Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/116

Deutscher

Stenografischer Bericht

116. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- (DIE LINKE) ...... 11287 A neten Petra Crone und . . . 11283 A Dr. Eva Högl (SPD) ...... 11288 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 32: DIE GRÜNEN) ...... 11291 D a) – Zweite und dritte Beratung des von der (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 11293 D Bundesregierung eingebrachten Ent- Dr. (BÜNDNIS 90/ wurfs eines Gesetzes zur Verbesse- DIE GRÜNEN) ...... 11295 D rung der Zusammenarbeit im Be- reich des Verfassungsschutzes Uli Grötsch (SPD) ...... 11296 D Drucksachen 18/4654, 18/5051, 18/5415 11283 B (CDU/CSU) ...... 11298 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ mäß § 96 der Geschäftsordnung DIE GRÜNEN) ...... 11300 B Drucksache 18/5416 ...... 11283 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses Tagesordnungspunkt 31: a) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Brigitte Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Pau, , Dr. André Hahn, wei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Flexible DIE LINKE: Wirksame Alternati- und sichere Rentenübergänge ermögli- ven zum nachrichtendienstlich ar- chen beitenden Verfassungsschutz schaf- Drucksache 18/5212 ...... 11302 B fen b) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, – zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Hans- weiterer Abgeordneter und der Fraktion Christian Ströbele, , wei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kommu- terer Abgeordneter und der Fraktion nales Ehrenamt stärken – Anrechnung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für von Aufwandsentschädigungen auf die eine Zäsur und einen Neustart in der Rente neu ordnen deutschen Sicherheitsarchitektur Drucksache 18/5213 ...... 11302 B Drucksachen 18/4682, 18/4690, 18/5415 . 11283 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister DIE GRÜNEN) ...... 11302 C BMI ...... 11284 A Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 11304 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN) ...... 11285 D GRÜNEN) ...... 11305 C II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. , Freitag, den 3. Juli 2015

Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 11307 A (DIE LINKE) ...... 11332 A (SPD) ...... 11308 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11333 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 11310 B Dr. (CDU/CSU) ...... 11334 B (DIE LINKE) ...... 11311 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) ...... 11334 D Dr. (SPD) ...... 11312 C Dr. (SPD) ...... 11336 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 11313 D (CDU/CSU) ...... 11337 B Dr. (CDU/CSU) ...... 11315 A (Wetzlar) (SPD) ...... 11316 A Tagesordnungspunkt 34: (CDU/CSU) ...... 11317 B a) Antrag der Abgeordneten , , Sabine (SPD) ...... 11319 A Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bürgerinnen- und Bürgerversicherung Tagesordnungspunkt 33: in der Pflege – Solidarische Pflegever- sicherung einführen a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Drucksache 18/5110 ...... rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Berufsqualifika- b) Beschlussempfehlung und Bericht des tionsfeststellungsgesetzes und anderer Ausschusses für Gesundheit zu dem An- Gesetze trag der Abgeordneten Harald Weinberg, Drucksache 18/5326 ...... 11320 B Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwi- ckau), weiterer Abgeordneter und der b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fraktion DIE LINKE: Private Kranken- Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015 versicherung als Vollversicherung ab- Drucksache 18/5200 ...... 11320 B schaffen – Hochwertige und effiziente Stefan Müller, Parl. Staatssekretär Versorgung für alle BMBF ...... 11320 C Drucksachen 18/4099, 18/5354 ...... 11338 C Sigrid Hupach (DIE LINKE) ...... 11322 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) ...... 11338 C Dr. (SPD) ...... 11323 B Thomas Stritzl (CDU/CSU) ...... 11340 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11324 D DIE GRÜNEN) ...... 11342 C (CDU/CSU) ...... 11326 B (SPD) ...... 11343 C Dr. (SPD) ...... 11328 A (CDU/CSU) ...... 11344 C (SPD) ...... 11345 D

Tagesordnungspunkt 35: Erwin Rüddel (CDU/CSU) ...... 11346 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für Nächste Sitzung ...... 11348 C sichere digitale Kommunikation und An- wendungen im Gesundheitswesen Drucksache 18/5293 ...... 11329 A Anlage 1 Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11349 A sekretärin BMG ...... 11329 B Pia Zimmermann (DIE LINKE) ...... 11330 C Anlage 2 (SPD) ...... 11331 C Amtliche Mitteilungen ...... 11349 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11283

(A) (C)

116. Sitzung

Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. : Gesetzes zur Verbesserung der Zusam- Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. menarbeit im Bereich des Verfassungs- schutzes Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zu unserer vorläufig letzten Plenarsitzung vor Drucksachen 18/4654, 18/5051 Beginn der parlamentarischen Sommerpause. Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich ausschusses (4. Ausschuss) zwei Kollegen zu ihren heutigen Geburtstagen gratulie- Drucksache 18/5415 ren, und zwar der Kollegin Petra Crone zu ihrem 65. und dem Kollegen Manfred Grund zu seinem – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- 60. Geburtstag. schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Beifall) Drucksache 18/5416 (B) (D) Das ganze Haus ist in den guten Wünschen für Sie wie- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- der einmal einträchtig vereint. Das Präsidium schließt richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) sich dem ausdrücklich an. Da kann eigentlich schon – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Pau, nichts mehr schiefgehen. Jan Korte, Dr. André Hahn, weiterer Abge- Ich möchte Sie dann darüber informieren, dass sich ordneter und der Fraktion DIE LINKE der Ältestenrat in seiner gestrigen Sitzung darauf ver- Wirksame Alternativen zum nachrichten- ständigt hat, in der Woche der Haushaltsberatungen, dienstlich arbeitenden Verfassungsschutz die ab dem 8. September dieses Jahres stattfinden, wie schaffen üblich keine Befragung der Bundesregierung, keine Fra- gestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzufüh- – zu dem Antrag der Abgeordneten ren. Als Präsenztage sind die Tage von Montag, dem Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian 7. September, bis Freitag, dem 11. September, festgelegt Ströbele, Irene Mihalic, weiterer Abgeordne- worden. Das ist alles überraschungsfrei. ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich füge – wahrscheinlich auch nur zu Ihrer mäßigen Überraschung – hinzu, dass keineswegs sicher ist, dass Für eine Zäsur und einen Neustart in der wir uns erst am 8. September dieses Jahres wieder zu ei- deutschen Sicherheitsarchitektur ner Sitzung hier versammeln. Ich wiederhole also meine frühere Empfehlung: Schwimmen Sie nicht zu weit raus. Drucksachen 18/4682, 18/4690, 18/5415 Vielleicht wäre auch zu überlegen, Kurzurlaube in Ber- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein lin in fußläufiger Entfernung zum Reichstagsgebäude für Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- die diesjährige Sommerpause einzuplanen, um für alle nen vor. Eventualitäten gerüstet zu sein. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Heiterkeit) die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- nen Widerspruch. Also können wir wohl so verfahren. Dann rufe ich nun die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf: Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundes- innenminister Thomas de Maizière das Wort. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 11284 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

(A) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- zelfällen, in denen die sonst gebotenen dringenden Maß- (C) nern: nahmen unterbleiben würden. Mit ihr wird keine Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Länderzuständigkeit verdrängt, sondern sie dient dem Aufdeckung der NSU-Verbrechen vor dreieinhalb Jahren flächendeckenden Schutz vor extremistischer Gewalt in war für uns alle ein Schock, war Ergebnis eines kollekti- Deutschland. Dort, wo in Deutschland verfassungsfeind- ven Versagens der Sicherheitsbehörden, auch der Verfas- liche Ziele gewaltorientiert verfolgt werden, können wir sungsschutzbehörden, führte zum NSU-Untersuchungs- uns keine blinden Flecken der Beobachtung erlauben. ausschuss und war der Beginn eines umfassenden Reformprozesses der Verfassungsschutzbehörden von (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Bund und Ländern. Dazu gehört die Binnenreform die- Meine Damen und Herren, eines möchte ich aber ses Bundesamtes – auch in den Ländern gibt es entspre- auch sagen: Dieses Gesetz fordert und regelt eine gute chende Bemühungen –, und dazu gehört das Gesetz, das Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehör- wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten und ver- den von Bund und Ländern. Herbeibefehlen mit einem abschieden. Gesetz kann man dies aber nicht. Ich habe von dieser Dieses Gesetz ist eine entschlossene Konsequenz aus Stelle aus schon einmal gesagt: Es gibt einen guten Geist den Mängeln bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen der Zusammenarbeit bei den Polizeibehörden. Der ist für den Bereich der Verfassungsschutzbehörden. dort ganz selbstverständlich. Diesen guten Geist der Zu- sammenarbeit gibt es bei den Verfassungsschutzbehör- ( [DIE LINKE]: Das sehen wir aber den so noch nicht. Wir müssen mit diesem Gesetz und anders!) mit weiteren Maßnahmen dazu kommen, dass das zu ei- ner Mentalität wird. Die Verfassungsschutzbehörden von – Klar sehen Sie das anders; es hätte mich, ehrlich ge- Bund und Ländern müssen die Sicherung und den sagt, auch überrascht, wenn nicht. Schutz unserer Verfassung als gemeinsame Aufgabe (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU empfinden. Sie dürfen ihre Informationen nicht wie ih- und der SPD) ren Augapfel hüten und damit die Sicherheit der Bundes- republik Deutschland eher gefährden als schützen. Gleichzeitig setzen wir damit die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses um, der eine zentrale (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zusammenführung von Informationen und deren gründ- Zweitens. Wir verbessern mit dem Gesetz den Infor- liche Auswertung einstimmig angemahnt hat. Der Ge- mationsfluss im Verfassungsschutzverbund und bauen setzentwurf legt den Fokus auf die Zusammenarbeit der unsere Fähigkeiten bei der Analyse von Informationen Verfassungsschutzbehörden und sorgt für mehr Rechtssi- (B) aus. Wir ermöglichen und verpflichten zugleich, das (D) cherheit beim Einsatz von V-Leuten. Lassen Sie mich nachrichtendienstliche Informationssystem – abgekürzt: hier drei wesentliche Komponenten erwähnen. NADIS – im Verfassungsschutzverbund noch mehr als Erstens. Wir stärken das Bundesamt für Verfassungs- bislang zu nutzen. Damit erweitern wir den Informa- schutz als Zentralstelle und den Verbund der Verfas- tionsaustausch zwischen den Verfassungsschutzbehör- sungsschutzbehörden. Das Bundesamt erhält einen den und legen ihn gesetzlich fest. gesetzlichen Koordinierungsauftrag für das Zusammen- Das NADIS ermöglicht es, länderübergreifende Zu- wirken der Verfassungsschutzbehörden im Verbund. sammenhänge an einer zentralen Stelle zu analysieren. Diese Koordinierung wird die Abstimmung zwischen Statt nur auf isolierte Einzelfälle zu sehen, können wir den einzelnen Behörden verbessern und deren Zusam- auf diese Weise verfassungsfeindliche extremistische menarbeit effizienter machen. Davon werden auch die Strukturen und Muster besser erkennen. Auch und ge- Länder profitieren. rade daran hat es bei den Ermittlungen im NSU-Verfah- Außerdem soll das Bundesamt, wenn es nötig ist, ren gefehlt. Aus dieser Erfahrung werden nun auch hier auch bei regionalen gewaltorientierten Phänomenen in die gesetzlich richtigen Schlüsse gezogen. die Beobachtung eintreten können – notfalls auch ohne Einvernehmen mit dem betroffenen Land. Diesen Punkt Neben einem verbesserten Informationsaustausch haben wir mit den Ländern streitig diskutiert. Ich hatte wollen wir aber auch unser Blickfeld vervollständigen: übrigens zwischendurch einmal den Eindruck, dass es Bislang wurde NADIS allein zur Aufklärung im Bereich dazu auch schon Zustimmung gegeben hat, weil wir auf des Rechtsextremismus genutzt, nicht aber im Bereich einen anderen Punkt – eine noch stärkere Koordinierung – zum Beispiel des Salafismus, wo es bislang im soge- verzichtet hatten. Aber nun finden die Länder das immer nannten legalistischen Bereich ein bloßer Aktennach- noch nicht in Ordnung. Ich glaube aber, dass wir bei die- weis ist. Diese Lücke werden wir jetzt schließen. Damit sem Punkt in der Sache richtig liegen. vermeiden wir auch dort Informationsinseln und gewin- nen einen besseren Überblick über die Strukturen im Be- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE reich des islamistischen Extremismus, einschließlich der GRÜNEN]: Was sagt denn die Datenschutzbe- Bezüge und Zusammenhänge zwischen vorgeblichen auftragte dazu?) Legalisten und der gewaltorientierten Szene. Das Bundesamt wird in diesen Fällen nur tätig, wenn In diesem Zusammenhang, Herr Abgeordneter es nach dem Benehmen mit dem Land wirklich nicht an- Ströbele, würde ich gern eine Anmerkung auf Ihren Zwi- ders geht. Die Regelung dient der Behandlung von Ein- schenruf machen mit Blick auf Datenschutzbedenken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11285

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dem vorliegenden Gesetzentwurf maßvoll und klar re- (C) GRÜNEN]: Ja!) geln, und zwar erstmals in einem Gesetz. Es trifft zu, dass die Datenschutzbeauftragte Bedenken Zur Frage der Anwerbung sind im parlamentarischen gegen diese Form der Zusammenarbeit vorgetragen hat. Verfahren Änderungen in den Entwurf aufgenommen worden. Personen mit gewichtigen Vorstrafen dürfen nur (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE angeworben werden, wenn das zur Aufklärung von be- GRÜNEN]: Sie wurde nicht einmal eingela- sonders gefährlichen Bestrebungen unerlässlich ist. den!) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ich will ja gerade darauf eingehen. – Ich halte diese Be- NEN]: Also ändert sich nichts!) denken für unberechtigt. Man kann nicht einerseits wie wir und wie Sie bei den Empfehlungen zum NSU-Unter- Die Regelungen sehen nun außerdem vor, dass in kei- suchungsausschuss sagen: „Die Verfassungsschutzbehör- nem denkbaren Fall verurteilte Schwerstkriminelle für den sollen besser zusammenarbeiten; es kann nicht sein, einen Einsatz angeworben werden dürfen. dass sie sich Informationen gegenseitig vorenthalten“; (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Stimmt doch nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Diese neu hinzugekommenen Restriktionen ergänzen die bereits bestehenden Ausschlusskriterien wie zum Bei- und wenn wir das regeln, dann sagen Sie: Das dürfen die spiel Minderjährigkeit und machen die Anwerbevoraus- aber nicht, wegen Datenschutzbedenken. – Das passt setzungen noch einmal klarer und strenger. doch überhaupt nicht zusammen. Ich halte die Regelungen zur Anwerbung für eine (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gute Lösung. Wenn wir durch eine V-Person für unser GRÜNEN]: Und da ignorieren Sie einfach die Land gefährliche Bestrebungen aufklären können – nur Datenschutzbeauftragte! Sehr ministerlich!) dann ist ihr Einsatz zulässig –, ist es grundsätzlich nicht verantwortlich, hierauf zu verzichten. Noch einmal: Wir reden über behördeninterne Be- obachtungen. Alles das, was an Informationen dort aus- getauscht wird innerhalb eines Landes, ist völlig selbst- Präsident Dr. Norbert Lammert: verständlich. Herr Minister, darf der Kollege Ströbele eine Zwi- schenfrage stellen? ( [SPD]: Genau!) (B) (D) Da gelten die gleichen Datenschutzregeln. Ich kann Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- nicht erkennen, warum der Datenschutz verletzt sein nern: soll, wenn zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein Gerne. eine Information intern ausgetauscht wird. Wo soll der Unterschied dazu sein, dass sie innerhalb Hamburgs aus- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Er redet getauscht wird? doch gleich! Kann er doch dann fragen!)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE neten der SPD) GRÜNEN): Deswegen glaube ich, dass diese Bedenken unberechtigt Ich kann Sie beruhigen, Herr Kollege Binninger: Da sind. habe ich noch mehr zu sagen. Herr Minister, Sie haben gesagt: Bei schwersten Drittens. Wir sorgen – das wird ja auch gleich disku- Straftaten dürfen V-Leute nicht weiterbeschäftigt wer- tiert – jetzt für Klarheit beim Einsatz von V-Leuten. Da- den. rüber wurde natürlich streitig diskutiert, und wir werden es gleich wieder tun. Die Nutzung von V-Leuten aus der (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Schwerst- extremistischen Szene ist und bleibt ein politisch sensib- kriminelle hat er gesagt!) les Einsatzmittel. Niemand tut das gerne, niemand arbei- tet mit diesen Menschen gerne zusammen, die meistens Der Änderungsantrag, dem Sie das entnehmen, bezieht irgendwie so sind, dass man mit ihnen im normalen Le- sich ausschließlich auf Tötungsdelikte, und zwar nur ben nicht zusammenarbeiten würde. Für einen Nachrich- Mord und Totschlag. Körperverletzung mit Todesfolge, tendienst bleiben V-Leute aber ein unverzichtbares Ein- schwerste Erpressung beispielsweise, schwerer Raub, satzmittel. Wir brauchen V-Leute, um an Informationen das alles sind nach dem Gesetz, wie Sie es jetzt vorschla- zu gelangen – wohl wissend, dass diese Leute Nähe zu gen, keine Taten, bei denen V-Leute nicht weiterbe- Extremisten haben. schäftigt werden können – der Präsident oder der Vize- präsident muss lediglich zustimmen. Sagen Sie also Beim Einsatz von V-Leuten stellen sich, wenn man nicht: bei schwersten Straftaten. Schwerste Straftaten sie generell für nötig hält, zwei Fragen: Erstens, wer darf sind nicht nur Mord und Totschlag. Können Sie sich das angeworben werden? Und zweitens, was dürfen V-Leute Gesetz mal anschauen und mir darauf eine Antwort ge- im Einsatz tun und was nicht? Beides werden wir mit ben? 11286 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

(A) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- gungsentscheidungen; das ist wohl wahr. Mit diesem (C) nern: Gesetzentwurf – insbesondere mit den jetzt aufgenom- Das will ich gerne tun. Aus Zeitgründen habe ich die menen Änderungen – haben wir eine ausgewogene Lö- einzelnen Delikte nicht aufgeführt. sung gefunden, und ich finde, diese Regelungen verdie- nen Unterstützung. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Ich will Ihnen aber Folgendes sagen: Nehmen wir einmal an, es gibt einen Rückkehrer aus dem sogenann- Im parlamentarischen Verfahren wurde außerdem ten Dschihad in Syrien, der hierher kommt und bereit ist, eine Regelung aufgenommen, die die Bundesregierung über Strukturen der islamistischen Gewaltszene Aussa- dazu verpflichtet, einmal im Jahr einen Lagebericht zum gen zu machen, wobei wir nicht genau wissen, was er da Einsatz von V-Leuten im Parlamentarischen Kontroll- gemacht hat. Auch wenn man es nicht gerne macht, halte gremium vorzulegen. Der Verfassungsschutz wird damit ich es für vertretbar und verantwortbar, die Informatio- auch beim Einsatz von V-Leuten einer verstärkten struk- nen eines solchen Menschen zum Schutz vor Anschlä- turellen Kontrolle durch das Parlament unterliegen, und gen in Deutschland zu nutzen. Das halte ich für absolut das Parlament übernimmt damit ein Stück Mitverant- geboten und richtig. wortung für den Einsatz von V-Leuten. Darauf wird si- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- cher auch dann zurückzukommen sein, wenn einmal et- neten der SPD) was schiefgegangen ist. Herr Abgeordneter Ströbele, im Übrigen ist dieser (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gedanke in der Strafverfolgung selbstverständlich. – Ja. Verantwortung gibt es nicht nur an schönen Tagen. Selbst Kapitalverbrecher können geeignete Kronzeugen sein, (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja, ist schon klar!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die stellt man aber nicht an!) Bedrohungen für die Freiheit und für die Demokratie wenn sie zuverlässige Informationen bieten, die zur Auf- in unserem Land beginnen nicht erst mit Gewalt und An- klärung oder Verhinderung weiterer schwerer Straftaten schlägen, sondern dort, wo radikale und extremistische führen. Denkweisen entstehen. Wozu diese Denkweisen führen können, haben wir bei den NSU-Verbrechen erleben (B) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen. Die Anschläge der letzten Wochen in Tunesien (D) NEN]: Die werden von den Sicherheitsbehör- und Frankreich haben uns das noch einmal auf schreckli- den aber nicht alimentiert! Die bekommen che Weise vor Augen geführt. kein Geld! – Dr. Konstantin von Notz [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden nicht mit Die kritische Debatte über die Organisation und Staatsknete finanziert!) Strukturen der Verfassungsschutzbehörden in unserem Land war und ist richtig und hat zu den ausgewogenen Auch das, was ein V-Mann im Einsatz darf und was Regelungen geführt, über die wir heute beraten und ent- nicht, legen wir in diesem Gesetzentwurf erstmalig fest. scheiden. Wir dürfen nicht blind werden gegen Extre- Hier gilt die klare Regel: Ein V-Mann darf keine anderen misten. Wir brauchen ein Frühwarnsystem und damit ei- Personen schädigen. Das gilt auch für szenetypisches nen modernen und leistungsfähigen Verfassungsschutz – Verhalten. Eingriffe in Individualrechte sind ausnahms- übrigens auch zur Spionageabwehr. los verboten. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rich- In den anderen Fällen, wenn es also um Gesetze geht, tig!) die nicht Individualrechte schützen, muss das Verhalten für die Akzeptanz in der aufzuklärenden Szene unerläss- Wir haben die Lehren aus den Defiziten bei der Arbeit lich und darf keinesfalls unverhältnismäßig sein. Ich will unserer Verfassungsschutzbehörden gezogen und entwi- dies an einem praktischen Beispiel deutlich machen: Bei ckeln den gesetzlichen Rahmen dafür mit Maß und Mitte der Nutzung von V-Leuten ist eine Vermummung im fort. Wir brauchen Verfassungsschutzbehörden, die zu- Schwarzen Block der Versammlung erlaubt, Sachbe- sammenarbeiten und die ihre Strukturen dort, wo es nö- schädigung bleibt verboten. tig ist, immer wieder erneuern. Für diesen Erneuerungs- prozess ist der vorliegende Gesetzentwurf ein wichtiger Die strafprozessuale Einstellungsmöglichkeit wird Baustein. Ich bitte um eine breite Zustimmung. hiervon im Übrigen weder berührt noch relativiert. Die Strafprozessordnung ermöglicht bereits jetzt eine Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fahrenseinstellung bei geringer Schuld und mangelndem Strafverfolgungsinteresse als Ergebnis einer Abwägung. Wir regeln nun wesentlich klarer und erstmals, wo das Präsident Dr. Norbert Lammert: beim Einsatz von V-Leuten der Fall ist und wo nicht. Das Wort erhält nun die Kollegin Petra Pau für die Fraktion Die Linke. Ich sage unumwunden: Die Regelungen zu V-Leuten sind das Ergebnis schwieriger rechtsstaatlicher Abwä- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11287

(A) Petra Pau (DIE LINKE): Vielmehr besteht eine nachvollziehbare Empörung (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und darüber, dass nun auf ihrem Rücken und mit dem Kollegen! Ich beobachte derzeit zwei widerstreitende Leid, was sie gerade auch durch staatliche Behör- Entwicklungen. Die erste Entwicklung: Auch die deut- den über Jahre hinweg erfahren mussten, in gesetz- schen Geheimdienste sind zunehmend diskreditiert, und licher und finanzieller Hinsicht eine der größten sie haben sich durch ihr Agieren selbst delegitimiert. Machterweiterungen des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz begründet werden soll … (Beifall bei der LINKEN) So weit das Zitat. – Ich finde diese Empörung verständ- Die Ämter für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit lich; denn der Verweis auf angebliche Erwartungen der dem NSU-Nazi-Mord-Desaster agierten im Zentrum des NSU-Opfer und Hinterbliebenen ist da einfach ungezo- Staatsversagens. Der Bundesnachrichtendienst steht mit gen. den globalen, unsäglichen Spähattacken der NSA im Bunde, und das ist genauso inakzeptabel. Knapp zusammengefasst zielt das Gesetz auf drei Än- derungen. Erstens sollen die Kompetenzen und die Aus- (Beifall bei der LINKEN) stattung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ausge- Die zweite Entwicklung: Die Bundesregierung schal- weitet werden. Zweitens soll die Werbung und Führung tet trotzdem auf Offensive und will beide Geheimdienste sogenannter Vertrauensleute, kurz V-Leute, klarer gere- – das ist auch Gegenstand des Gesetzentwurfs – weiter gelt werden. Drittens sollen die Befugnisse des BfV zur ausbauen. Der ehemalige Regierungssprecher, Uwe- Sammlung, Verknüpfung und Verarbeitung persönlicher Karsten Heye, meinte in diesem Zusammenhang einmal: Daten erhöht werden. Das alles wird mit zusätzlich Versager rüstet man nicht auf. – Die Linke findet: Er hat 17 Millionen Euro jährlich und 260 neuen Planstellen im recht. Bundesamt verbunden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!) Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Namens der Fraktion Die Linke sage ich Ihnen: Keine der vorgeschlagenen Änderungen ist eine logische Kon- Zwischen dem NSU-Desaster und den anhaltenden sequenz aus dem NSU-Desaster, und keine behebt wirk- NSA-Attacken gibt es noch eine weitere Parallele. Beide lich Defizite, die zu diesem Desaster geführt haben. Male, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie bedingungslose Aufklärung versprochen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ( [CDU/CSU]: Verspre- (B) chen gehalten!) Deshalb werden wir das Gesetz in der Sache ablehnen. (D) Von Aufklärung kann nach wie vor keine Rede sein, im (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Es setzt doch Gegenteil. Sie sollten aufpassen, dass Ihre Kollegen im die Empfehlungen um!) Kabinett Sie nicht in einen Meineid hineinmanövrieren. – Sie müssen gar nicht so aufgeregt sein. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der Ich will Ihnen unser Nein an zwei Beispielen illustrie- CDU/CSU: Oh!) ren. Das erste Beispiel ist die V-Leute-Praxis. V-Leute Untersuchungsausschüsse im Bund und in Landesparla- sind gekaufte Spitzel und bezahlte Täter, menten werden nach wie vor systematisch hingehalten, (Beifall bei der LINKEN) ausgebremst und ausgetrickst. Deshalb sollte in diesem Zusammenhang niemand das Wort „Vertrauen“ strapa- im NSU-Fall verbohrte Nazis mit all ihrer Menschenver- zieren. achtung. Rund um das NSU-Nazinetzwerk waren übri- gens rund 40 V-Leute verschiedener Sicherheitsbehör- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten den aktiv. Ich frage Sie: mit welchem Erfolg? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Weder das Leben der NSU-Opfer noch die Verfassung Wir entscheiden heute über ein Gesetz. Es betrifft das wurden geschützt. Stattdessen wurden diese V-Leute, Bundesamt für Verfassungsschutz und sein Verhältnis zu also Nazis, vor Ermittlungen gewarnt und geschützt. den Landesämtern. Sie, Herr Innenminister, haben es als Über üppige Honorare und Sachleistungen für diese logische Folge aus den NSU-Untersuchungen bezeichnet V-Leute wurden Nazinetzwerke obendrein gestärkt und und gesagt, das sei man den Opfern des Nationalsozialis- zum Teil erst aufgebaut. Daran ändert auch der vorlie- tischen Untergrundes schuldig. gende Gesetzentwurf nichts. Er regelt bestenfalls schwarz Wir haben im Innenausschuss zu diesem Gesetzent- auf weiß, was bislang im Grauen geschah. Die Linke for- wurf Sachverständige angehört. Ich möchte aus der Stel- dert deshalb eine andere, eine wirkliche Konsequenz, lungnahme des Sachverständigen Sebastian Scharmer nämlich das V-Leute-Unwesen der Sicherheitsbehörden zitieren. Er vertritt als Anwalt beim Münchner NSU- sofort zu beenden. Prozess Opfer der Terrorbande bzw. Angehörige der Op- (Beifall bei der LINKEN) fer. In seiner Stellungnahme heißt es ausdrücklich: We- der die Familie Kubasik noch weitere Hinterbliebene der Das zweite Beispiel ist der Informations- und Daten- Mordopfer tragen dieses Gesetz auch nur ansatzweise fluss. Alle Informationen der Ämter für Verfassungs- mit. Ich zitiere: schutz sollen verlässlicher ausgetauscht und letztlich 11288 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Petra Pau (A) beim Bundesamt für Verfassungsschutz gebündelt wer- len kompetent, transparent und ohne geheimdienstliche (C) den. So verheißt es der vorliegende Gesetzentwurf. Das Befugnisse arbeiten. klingt harmlos und sogar vernünftig. Das ist es aber (Beifall bei der LINKEN) nicht. Denn wie das NSU-Desaster gezeigt hat, hatte der Verfassungsschutz sehr wohl Erkenntnisse über den Ver- Damit würden zugleich Grundrechte wie das Recht auf bleib und die Vorhaben des NSU-Kerntrios. Sie wurden informationelle Selbstbestimmung, das Post- und Brief- auch innerhalb des Verfassungsschutzes ausgetauscht. geheimnis sowie die Meinungsfreiheit verfassungsge- Den Fahndern der Kriminalämter indes wurden sie ver- mäß gestärkt. heimlicht, weil der Schutz der V-Leute mehr zählte als (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die Fahndung nach Räubern und Mördern. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ändert das Gesetz etwas an diesem Prinzip? Nein. Al- tes wird uns hier als etwas Neues verkauft. So etwas Präsident Dr. Norbert Lammert: nennt man Täuschung. Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Eva Högl (Beifall bei der LINKEN) das Wort. Das Geheime wird weiter geschützt, und nicht die Ver- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) fassung. Deshalb bleibt die Linke dabei: Der Verfas- sungsschutz ist als Geheimdienst aufzulösen. Dr. Eva Högl (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Einen schönen guten (Beifall bei der LINKEN) Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr Nun habe ich mehrfach unser Nein begründet. Es geehrten Damen und Herren! Ich möchte meine Rede stellt sich die Frage: Gibt es Alternativen? Die Regie- mit einem ausdrücklichen Lob beginnen, und zwar mit rung sagt wie immer Nein, die Opposition natürlich Ja. einem Lob für unsere Sicherheitsbehörden im Bund und Ich sage: In diesem Fall ist die Opposition weitaus klü- in den Ländern. ger. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN]: Na, na!) NEN]) Sie leisten jeden Tag hervorragende Arbeit, und sie sind im Großen und Ganzen exzellent aufgestellt. Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag, das (B) Regierungsgesetz zurückzuziehen. Dem stimme ich als (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (D) Linke zu. Außerdem listen sie detailliert auf, warum der GRÜNEN]: Zwölf Jahre Totalversagen!) Regierungsentwurf am eigentlichen Problem vorbeigeht. Das gilt für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Auch das teile ich. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Menschen, die in diesen Behörden arbeiten, verhin- Ich will dennoch auf das Grundproblem und damit dern jeden Tag Straftaten. Sie ermitteln Täter und klären auf den Antrag der Fraktion Die Linke zurückkommen. auf. Täter werden auch verurteilt. Ich finde, es gehört zu Wir sind der festen Überzeugung: Geheimdienste sind dieser Debatte auch dazu, dafür ganz herzlich Danke zu Fremdkörper in einer Demokratie, zudem unkontrollier- sagen. bar und mithin nicht reformierbar. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Ja, es gab ein flächendeckendes Versagen. Es gab Deshalb fordert die Linke, übrigens in Übereinstimmung Fehler und Versäumnisse. Ich möchte das noch einmal mit dem Grundgesetz, den Verfassungsschutz als Ge- darlegen, weil das der Grund ist, warum wir heute Mor- heimdienst aufzulösen. Denn das Grundgesetz schreibt gen diese Debatte über den Reformprozess im Verfas- zwar eine Behörde zum Schutz der Verfassung vor, aber sungsschutz führen. Der 4. November 2011 stellte eine mitnichten in der Organisationsform eines Nachrichten- Zäsur für Polizei, Verfassungsschutz und Justiz sowie dienstes. Auch das muss man wissen. die Politik im Bund und in den Ländern dar. Der NSU (Beifall bei der LINKEN – Dr. Eva Högl enttarnte sich in Eisenach, und in den Tagen danach tra- [SPD]: Aber keine Stiftung!) ten nach und nach – wir alle erinnern uns daran – die Verbindungen zutage. Der ganze Schrecken wurde deut- Deshalb schlagen wir alternativ eine „Koordinie- lich. Wir alle hatten das nicht vermutet: zehn Morde, rungsstelle des Bundes zur Dokumentation neonazisti- zwei Sprengstoffanschläge und mehr als ein Dutzend scher, rassistischer und antisemitischer Einstelllungen Banküberfälle. Fast 14 Jahre lang zog die rechtsextreme und Bestrebungen sowie sonstiger Erscheinungsformen Terrorgruppe NSU völlig unerkannt eine Schneise der gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor. Kor- Gewalt und des rassistischen Hasses durch Deutschland. respondierend mit ihr soll eine „Bundesstiftung zur Zu keinem einzigen Zeitpunkt – das ist das Erschre- Beobachtung, Erforschung und Aufklärung der Er- ckende an dieser Erkenntnis – wurde eine Verbindung scheinungsformen gruppenbezogener Menschenfeind- zwischen den 1998 in Jena untergetauchten Rechtsextre- lichkeit“ eingerichtet werden. Beide Einrichtungen sol- misten sowie der Mordserie und den Sprengstoffanschlä- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11289

Dr. Eva Högl (A) gen hergestellt. Das zeigt: Es muss etwas schiefgelaufen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) sein. Sonst wären die Täter gefasst worden und wären GRÜNEN]: Und sind die Verantwortlichen zur die Taten aufgeklärt worden. Damit hat sich der NSU- Rechenschaft gezogen worden?) Untersuchungsausschuss 20 Monate lang befasst. Das war eine ganz fatale Fehleinschätzung. Deswegen Wir sind der Frage nachgegangen: Wie konnte das kam der Untersuchungsausschuss zu dem Ergebnis, dass passieren? Wie konnte es passieren, dass ein rechtsextre- es hier tatsächlich an der erforderlichen Analysekompe- mes Netzwerk mit der Unterstützung Gleichgesinnter in tenz ganz unbestreitbar mangelte und der Verfassungs- Deutschland 14 Jahre lang unbehelligt lebt und Morde schutz hier versagt hat. begeht? Wie konnte es vor allen Dingen passieren, dass Dritter Punkt: die Praxis der V-Leute. Das ist kein die Sicherheitsbehörden zu keinem einzigen Zeitpunkt einfaches Thema. Das diskutieren wir zu Recht streitig. auf die Spur der Täter kamen? Wir hatten im Untersu- V-Leute sind keine netten Menschen. chungsausschuss die Aufgabe – das hat unseren Blick gelenkt –, nach Fehlern, Versäumnissen und Versagen zu (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE suchen und dann Erklärungen dafür zu geben und Vor- GRÜNEN]: Das wissen wir nicht, ob die nett schläge zu machen, aus denen hervorgeht, was wir ver- sind!) bessern müssen. Wir haben herausgearbeitet, dass es Wir möchten mit ihnen nicht zu Hause auf dem Sofa sit- sich um das Versäumnis einzelner Personen an ihrem Ar- zen. Wir haben in puncto V-Leute viel herausgearbeitet beitsplatz handelte. Diejenigen, die damit befasst waren, und Kritik vorgetragen. Ich komme zu dem Ergebnis: haben nicht gut gearbeitet. Aber was uns hauptsächlich Bei den V-Leuten gab es viel Aufwand, viel Geld ist ge- beschäftigt, sind die systematischen Fehler und das sys- flossen, und wenige Informationen hat es gegeben. tematische Versagen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Wir befassen uns heute Morgen mit dem Verfassungs- GRÜNEN]: Und jetzt weiter so! Vielen Dank, schutz. In diesem Zusammenhang sind drei Themen an- Frau Högl! – Zuruf von der LINKEN: Und zusprechen, die wir herausgearbeitet, analysiert und im jetzt fließt noch mehr Geld!) Gesetzentwurf aufgegriffen haben. Das Erste ist die feh- lende Zusammenarbeit. Wir haben flächendeckend – von – Ich komme dazu. – Es ist kein einfaches Thema. Ich Nord nach Süd, von Ost nach West – festgestellt, dass sage gleich, warum wir trotzdem V-Leute brauchen. die Verfassungsschutzbehörden nicht ausreichend zu- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sammengearbeitet haben, und zwar weder zwischen den GRÜNEN]: Auf den Kniff der Geschichte Bundesländern noch untereinander noch zwischen Bund warten wir gespannt!) (B) und Ländern und auch nicht innerhalb der Bundesländer (D) mit anderen Behörden, insbesondere mit der Polizei Im NSU-Untersuchungsausschuss haben wir festgestellt, nicht, beispielsweise in Bayern und Hessen. Ich nenne dass Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis standen. diese Bundesländer exemplarisch, weil es dort besonders Ich nenne drei Beispiele und sage Ihnen gleich, wa- augenfällig war. Ich gehe so weit, zu sagen: Die rechts- rum diese drei Beispiele mit dem neuen Gesetz nicht extremen Terroristen haben sich den Föderalismus zu- mehr möglich wären. „Piatto“, der V-Mann aus Bran- nutze gemacht. Sie haben genau die Schwäche in der Zu- denburg, ein wegen versuchten Mordes zu acht Jahren sammenarbeit ausgenutzt. Das ist ein Kardinalfehler, Gefängnis verurteilter Straftäter, wurde aus dem Straf- den wir herausgearbeitet haben. vollzug heraus vom brandenburgischen Verfassungs- schutz angeworben. Dieser verurteilte Gewaltverbre- Der zweite Punkt ist – dieser ist genauso erschre- cher bekam dann diverse Erleichterungen und wurde ckend –: Wir mussten feststellen, dass der Verfassungs- auch vorzeitig aus der Haft entlassen. Ein erschrecken- schutz überhaupt nicht ausreichend aufgestellt ist, um des Beispiel. Rechtsextremismus zu analysieren. Der Rechtsextremis- mus wurde verharmlost und bagatellisiert. Von Anfang Das zweite Beispiel ist Tino Brandt, allen bestens be- an wurde die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus völ- kannt, ein vom Thüringer Verfassungsschutz geführter lig falsch eingeschätzt. Es wurde nicht gesehen, dass der V-Mann. Er hat rund 200 000 D-Mark während seiner Rechtsextremismus eine Gefahr für unsere Demokratie Zeit als V-Mann als Vergütung für seine Tätigkeit be- ist. Das begann schon 1998 in Jena und setzte sich fort. kommen. Dieses Geld hat er – so sagt er selbst, und das Ich will ein Beispiel nennen, weil wir genau das bei der ist auch nachgewiesen worden – in den „Thüringer Hei- Reform bedenken müssen. Es gab eine ganz fatale Fehl- matschutz“ gesteckt und damit den Rechtsextremismus einschätzung in den Jahren 2003 und 2004 durch das in Thüringen und weit darüber hinaus gestärkt und unter- Bundesamt für Verfassungsschutz. Es hat damals das stützt. Terrortrio zwar erwähnt, aber noch nicht als solches er- ( [DIE LINKE]: Und was ist kannt. Es hatte also das Terrortrio noch auf dem Schirm. die Konsequenz daraus?) Es kam zu dem Ergebnis: Ja, die drei Rechtsextremisten aus Jena sind abgetaucht. Wir wissen nicht, wo sie sind. Das dritte Beispiel ist der Fall „Corelli“, der uns hier Sie sind auf der Flucht, aber sie verüben erkennbar keine noch immer beschäftigt. Auch „Corelli“ ist ein Beispiel Gewalttaten und haben bisher noch keine Straftaten be- dafür, wie V-Leute nicht ausgewählt werden dürfen, gangen. – Da hatte das Terrortrio bereits vier Menschen nicht geführt werden dürfen, nicht eingesetzt werden ermordet und sieben Überfälle begangen. dürfen. Viel Geld ist geflossen. Er wurde immer tiefer in 11290 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Dr. Eva Högl (A) die rechtsextreme Szene gedrückt und wurde nie zum gab; ich habe das dargestellt. Deswegen ist es richtig und (C) Ausstieg motiviert. wichtig, dass wir jetzt das Bundesamt für Verfassungs- schutz stärken, die Zentralstelle ausbauen und eine bes- Jetzt spreche ich die Kolleginnen und Kollegen von sere Zusammenarbeit mit den Landesbehörden organi- den Grünen an. Wir sind uns völlig einig in der Analyse. sieren. Das ist eine ganz wichtige Konsequenz. Es gab ein völliges Versagen an dieser Stelle. Es gab massive Missstände. Das Zweite ist die Analysekompetenz; da komme ich auf die Bedenken in Sachen Datenschutz zu sprechen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Herr de Maizière hat es eben schon richtig gesagt: Wir GRÜNEN]: Deswegen haben Sie sie auch ge- haben bei der Beschäftigung mit dem NSU festgestellt, lobt!) dass die Informationen nicht richtig ausgewertet wurden, Ich zitiere aus Ihrem Antrag: Wir brauchen eine Zäsur, dass nicht genügend Informationen vorlagen und dass wir brauchen einen Neustart, und wir brauchen eine deswegen die Analyse des Rechtsextremismus fehlerhaft grundlegende Reform. – Da haben wir hier Einigkeit im und, wie ich eben schon gesagt habe, sogar bagatellisie- Deutschen Bundestag. rend war. Deswegen bauen wir NADIS aus. Es ist genau die richtige Konsequenz, NADIS jetzt analysefähig zu ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- machen. Dass wir diese Daten nutzbar machen, ist genau NEN]: Aber nicht so! – Dr. André Hahn [DIE die richtige Konsequenz aus den Erkenntnissen der Be- LINKE]: Doch nicht mit dem Gesetz!) schäftigung mit dem NSU. – Jetzt bin ich dran. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich bin dafür, dass Daten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ausgetauscht werden können, dass sie dann aber einem hohen Schutz und einer nur eingeschränkten Möglich- Wir streiten uns darüber, ob wir die richtigen Konse- keit des Zugriffs durch bestimmte Personen unterliegen. quenzen ziehen, und wir sind uneinig – das waren wir Aber dass die Daten genutzt werden müssen, das halte schon im NSU-Untersuchungsausschuss – bei der Frage ich für den absolut richtigen Schritt. des Umgangs mit dem Verfassungsschutz. Ich sage: Ja, dieses Gesetz ist ein richtiger und wichtiger Schritt im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Prozess der Reform des Verfassungsschutzes. Ich komme zu dem sensiblen Thema V-Leute. Ich (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. André habe eben schon angedeutet: Das ist kein einfaches Hahn [DIE LINKE]: Leider nein!) Thema. Aber wir haben uns entschieden, und das aus gu- ten Gründen, auf den Einsatz von V-Leuten nicht zu ver- Wir brauchen den Verfassungsschutz, und wir stärken (B) zichten. Ein Einsatz von menschlichen Quellen ist nach (D) mit diesem Gesetz den Verfassungsschutz. Ich will Sie wie vor ein wichtiges Instrument der nachrichtendienst- alle nur ermuntern, einmal einen Blick in den Verfas- lichen Aufklärung. Diese Quellen sind nicht ohne Weite- sungsschutzbericht 2014 zu werfen, der diese Woche res zu ersetzen. Deswegen ist es ein großer Schritt nach vom Innenminister vorgestellt wurde. vorne, dass wir den Einsatz von V-Leuten aus der Grau- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE zone herausholen. Wir regeln ihn erstmals klar gesetz- GRÜNEN]: Sehr freundlich!) lich. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten haben den (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE höchsten Stand seit 2008 erreicht. Sie sind um 23,6 Pro- GRÜNEN]: Sie schreiben das auf, was Sie zent gestiegen. Wir sind bedroht von Spionageangriffen, vorher kritisiert haben!) sogenannten Cyberangriffen, und von internationalem Wir regeln die Auswahl, wir regeln den Einsatz, wir re- Terror. Wir haben gerade gestern in der Aktuellen geln die Vergütung und wir regeln die weiteren Rahmen- Stunde darüber diskutiert. Auch gewaltbereiter Links- bedingungen für Vertrauensleute. Außerdem regeln wir extremismus macht uns Sorgen. die Befugnisse für verdeckte Mitarbeiterinnen und Mit- Ich sage Ihnen ganz klar – das geht an die Adresse der arbeiter. Linken und Grünen –: Diese Aufgaben können wir nicht Ich will noch einmal ganz klar sagen: Wir legen fest, mit einer neuen Inlandsaufklärung erledigen, wie Sie dass Personen, für die Geld oder Sachzuwendungen auf von den Grünen das fordern, oder mit einer Bundesstif- Dauer die Lebensgrundlage darstellen, als V-Leute nicht tung oder einer Koordinierungsstelle, wie Sie von den angeworben werden dürfen. Linken es vorschlagen. Wir brauchen einen starken Ver- fassungsschutz für diese Aufgaben. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sollen die mit dem Geld ma- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) chen? Sollen die die Szene unterstützen?) Deswegen stärken wir mit diesem Gesetz den Verfas- Ebenfalls nicht angeworben werden dürfen Personen, sungsschutz. Das ist genau der richtige Ansatz, und das die an einem Aussteigerprogramm teilnehmen. Das ist die richtige Konsequenz aus dem Versagen, das wir heißt, der Fall Brandt und der Fall „Corelli“ wären nach im Zusammenhang mit dem NSU aufgedeckt haben. Wir Verabschiedung unseres Gesetzentwurfs überhaupt nicht brauchen eine bessere Zusammenarbeit. Es war der Kar- mehr möglich. Das ist ein Riesenschritt nach vorne. dinalfehler im Hinblick auf den NSU, dass es keine aus- reichende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11291

Dr. Eva Högl (A) Wir regeln, Herr Ströbele – jetzt hören Sie gut zu –, dazu einen wichtigen Punkt: Wir bekommen von der (C) dass das Anwerben von Personen, die bereits wegen ei- Bundesregierung einen Bericht über den Einsatz von nes Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe ohne Be- V-Leuten, einen sogenannten Lagebericht. währung verurteilt wurden, künftig nicht mehr möglich ist. Das ist in unserem Gesetzentwurf klar geregelt. (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dass man eine solche Selbstverständ- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE lichkeit ins Gesetz schreiben muss!) GRÜNEN]: Aber wenn sie dann welche bege- Das versetzt uns in die Lage, den Verfassungsschutz hen im Dienst? Darum geht es! – deutlich besser zu kontrollieren, als es in der Vergangen- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE heit der Fall war. GRÜNEN]: Vom Staat bezahlte Nazis! Das machen Sie!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wir schließen kategorisch, ohne Ausnahme, die Ver- Mein Fazit ist: Es ist ein hervorragender Gesetzent- pflichtung eines Mörders oder Totschlägers aus. Warum wurf geworden. Wir stärken den Verfassungsschutz. Wir machen wir das? Damit der Fall „Piatto“ mit diesem Ge- ziehen die Konsequenzen aus dem NSU-Desaster. Ich setz niemals wieder möglich sein wird. denke, dass wir damit ein deutliches Signal an alle sen- den, die von den NSU-Straftaten betroffen waren. Auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – was die Opfer angeht, hoffe ich, dass wir mehr Vertrauen Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE in unseren Rechtsstaat schaffen. Ich freue mich, wenn GRÜNEN]: Was ist mit einem Brandstifter?) Sie dem Gesetzentwurf zustimmen. Wir ziehen unmittelbar die Konsequenzen aus dem, was Vielen Dank. wir herausgearbeitet haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Die Strafbarkeit von V-Leuten ist und bleibt ein sen- Hans-Christian Ströbele erhält nun das Wort für die sibler Punkt. Wir tun uns damit natürlich nicht leicht. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben in diesem Gesetz erstmals die Strafbarkeit von V-Leuten geregelt, Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (B) GRÜNEN]: Die Nichtstrafbarkeit haben Sie (D) geregelt!) Es stimmt ja, dass wir alle hier im Saal – – weil wir der Auffassung sind, dass wir auch das keinem (Bundeskanzlerin Dr. spricht Graubereich überlassen können, dass auch das ausdrück- mit Abg. [SPD] an dessen lich geregelt werden muss. Darüber, ob das sinnvoll ist, Platz) haben wir lange diskutiert. Aber es ist sinnvoll. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir haben klargestellt, dass es keinen Eingriff in Indi- vidualrechte geben darf – das ist eine ganz wichtige Ein- Frau Bundeskanzlerin, das muss sich auch anderswo schränkung – und dass das Begehen einer Straftat selbst- erledigen lassen. verständlich unerlässlich sein muss zum Erlangen einer (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Information. Es geht darum, dass wir eine Verbindung SES 90/DIE GRÜNEN) haben zwischen Qualität der Information und der zur Er- langung der Information begangenen Straftat. Außerdem Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE gibt es eine Verhältnismäßigkeitsprüfung. Ich finde – ich GRÜNEN): sage das für die SPD-Fraktion –, dass wir damit in einem Die interessiert das Thema offenbar wenig. sensiblen Punkt eine ganz klare und sehr gute Regelung gefunden haben. Ich kann Sie nur ermuntern, dieser Re- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gelung zuzustimmen. NEN]: Es ist ja alles aufgeklärt!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Aber auch die Frau Bundeskanzlerin hat wie wir alle den Opfern und der deutschen Bevölkerung versprochen, Die Reform des Verfassungsschutzes muss weiterge- dass wir alles tun wollen, dass so etwas an Mord und hen. Wir haben innerhalb der Behörden noch einiges vor. Verbrechen, wie es in den Jahren von 1998/99 bis 2011 Wir müssen an einigen Punkten noch weiterarbeiten. Wir geschehen ist, wovon vor allen Dingen eine Bevölke- müssen etwa die Analysekompetenz des Personals stär- rungsgruppe besonders betroffen war, nie wieder pas- ken; die Herangehensweise an die Arbeit muss verbes- siert. Dieses Gesetz, das Sie jetzt hier vorgelegt haben, sert werden. Auf unserer Agenda steht vor allen Dingen ist kein Gesetz, das hilft, zu verhindern, dass so etwas außerdem die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle. wieder passiert. Dazu werden wir in dieser Legislaturperiode noch eini- ges verabschieden. Ich hoffe jedenfalls, dass wir das zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stande bringen. Aber schon dieser Gesetzentwurf enthält sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 11292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Hans-Christian Ströbele (A) Dieses Gesetz leidet unter ganz erheblichen Mängeln. (Burkhard Lischka [SPD]: Lesen bildet! – (C) Sie schreiben nur das im Gesetz auf, was schon vorher Dr. Eva Högl [SPD]: Ich kann Ihnen das vorle- praktiziert worden ist und was bei der Verfolgung des sen, Herr Ströbele!) Nationalsozialistischen Untergrunds so wenig genützt hat. Ich sage Ihnen: Mit Blick auf die vielen Fälle, in denen der Verfassungsschutz versagt hat, wird durch die neuen Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: Im Jahr 2006, gesetzlichen Regelungen keine Abhilfe geschaffen. nach den Morden in Nürnberg und München, Nun komme ich zu der V-Leute-Problematik. Es ist ja (Clemens Binninger [CDU/CSU]: 2005!) hier mehrfach darauf hingewiesen worden, dass V-Leute ist vom Landeskriminalamt in Bayern ein Gutachten er- eine ganz besondere Rolle spielen. V-Leute im rechts- stellt worden, bei dem festgestellt worden ist, dass die extremen Bereich bleiben Rechtsextreme! Täter wahrscheinlich im Bereich der rechtsextremisti- schen Gewalttäter zu suchen sind. Die BAO seinerzeit, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN also die Ermittlungsgruppe in Bayern, hat sich an das und bei der LINKEN) Landesamt für Verfassungsschutz in Bayern gewandt Rassisten und Neonazis bleiben Rassisten und Neonazis. und dieses gebeten, alle Erkenntnisse über die rechte Die Erfahrung zeigt – gerade auch die Erfahrung dieses Szene, die möglicherweise Gewaltbereiten, zu liefern. Untersuchungsausschusses –, dass sie vieles melden und Sie hat als allererste Antwort bekommen: Wir können sich immer Neues einfallen lassen, weil sie ja danach be- keine Informationen geben. Dagegen spricht der Quel- zahlt werden, wie viel sie melden, wie hoch das Mel- lenschutz, und dagegen spricht der Datenschutz. – Das deaufkommen ist. Aber was sie nie, in keinem einzigen Landesamt hat nichts gegeben. Es sind dann mehrere weitere Versuche unternommen worden, unter anderem Fall, getan haben, das war, ihre Informationen über „Ka- vom Vorsitzenden der Polizeibehörde, doch Informatio- meraden“ weiterzugeben, sodass die hätten erwischt nen zu bekommen. Die Ermittlungsgruppe hat mehr als werden können. Bei einzelnen V-Leuten bezog sich das ein halbes Jahr lang gewartet – mehr als ein halbes Jahr sogar auf das NSU-Trio im Untergrund. Diese V-Leute lang! –, bis sie in dieser Mordsache Informationen be- – das wissen Sie auch, Frau Högl; das haben wir heraus- kommen hat, und sie hat dann lediglich allgemeine Da- gefunden – verfügten über Informationen. Sie haben zu ten über Rechtsextreme in Bayern bekommen, weder In- Beginn sogar dabei geholfen, dieses NSU-Trio in Sach- formationen darüber, was denen vorgeworfen wurde, sen unterzubringen. Sie waren bei der Wohnungsbe- noch Informationen darüber, wessen sie verdächtig wa- schaffung dabei. Das heißt, sie haben nicht nur ihre ren, noch weitere Hinweise. Leute nicht verraten, sondern sie haben sogar die gefähr- lichen Leute im Untergrund unterstützt. Und daran wird (B) Wenn jetzt ein solcher Fall wieder passieren würde, sich in Zukunft nichts ändern. (D) würde sich nach den neuen gesetzlichen Regelungen an dieser Lage nichts ändern, weil § 23 des Bundesverfas- Anstatt zunächst eine Evaluierung durchzuführen, ob sungsschutzgesetzes, das die Übergabe von Informatio- der Einsatz von Verfassungsschutz-V-Leuten mehr Nut- nen vom Verfassungsschutz an die Polizeibehörden zen als Schaden erbracht hat, sagen Sie, dass die V-Leute – nicht an die Landesämter für Verfassungsschutz, son- auf jeden Fall weiter benötigt werden. Ich sage Ihnen: dern an die Polizeibehörden – regelt, völlig unverändert Wenn Sie eine solche Analyse gemacht hätten, hätten Sie geblieben ist. Darin steht: Die Verfassungsschutzbehör- festgestellt, dass diese V-Leute mehr Schaden angerich- den können Informationen geben; aber wenn angenom- tet haben und weniger der Aufdeckung der Straftaten des men wird, dass überwiegende Sicherheitsinteressen da- NSU-Trios sowie der Strafverfolgung genutzt haben. gegenstehen, dann brauchen sie keine Informationen zu geben. – Das heißt, selbst in solchen Fällen, in denen es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN um Mord und Totschlag geht, sind sie nicht verpflichtet, und bei der LINKEN) ihre Informationen, die bei der Aufklärung von Morden helfen könnten, weiterzugeben. Ein solches Gesetz kön- Jetzt komme ich zu den einzelnen Regelungen des nen Sie nicht verteidigen, Herr Binninger. Gesetzentwurfs zu den V-Leuten. Dort findet sich tat- sächlich die Regelung, dass sie ihren Lebensunterhalt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht allein durch den Lohn des Staates bestreiten dür- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) fen. Sie waren selber in der Anhörung dabei, als Sachver- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war ständige gesagt haben: Diese Regelung des § 23 Bundes- Ihre Forderung!) verfassungsschutzgesetz ist nicht nur völlig untauglich, sondern verfassungswidrig. – Nachdem Sie Kontakt mit Nun frage ich mal ganz zynisch, Herr Binninger: Wofür der Kollegin Högl aufgenommen hatten, haben Sie ange- sollen die denn das Geld ausgeben, wenn nicht für ihren kündigt, dass man da etwas ändern wolle. Ich habe dann Lebensunterhalt? Sollen sie, was Tino Brandt immer in Ihren Änderungsantrag hineingeguckt und habe dazu wieder bekannt hat, davon die Bewegung, wie die das nichts gefunden. nennen, unterstützen? Sollen die Rechtsextremen davon (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Eva zum Beispiel den Aufbau des „Thüringer Heimatschut- Högl [SPD]: Doch! Da steht es drin!) zes“ finanzieren, wie Tino Brandt es gemacht hat? Dazu steht dort nichts drin. Was machen die mit den Hundert- – Nein, zu § 23 steht darin nichts. tausenden, die sie zum Teil bekommen haben? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11293

Hans-Christian Ströbele (A) (Burkhard Lischka [SPD]: Da steht etwas von ben, dass sie nicht einmal die Befragung von V-Leuten (C) „überwiegend“ und „alleinig“! Herr Ströbele, durch die Strafermittlungsbehörden zugelassen haben. Sie lesen die Sachen gar nicht durch, über die (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Sie reden!) GRÜNEN]: Bis heute!) Was ist Ihre Auffassung dazu? Sie dürfen den nicht auf- Nein, wir bräuchten eine eindeutige Regelung, nach bauen, aber sie dürfen den unterstützen. Wo ist da die der immer dann, wenn schwerste Delikte aufzuklären Grenze? Das ist eine völlig unzulängliche Regelung. sind, das Strafverfahren Vorrang hat und allein maßgeb- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich ist und alle Informationen, die der Verfassungsschutz und bei der LINKEN) hat, den Strafverfolgungsbehörden selbstverständlich zu- geleitet werden. Eine solche Vorschrift müsste in § 23 Das Gleiche gilt für die Regelung, die hier mehrfach des Bundesverfassungsschutzgesetzes eingebaut wer- diskutiert worden ist, worüber wir auch schon in anderen den. Sitzungen beraten haben: Wenn V-Leute beschäftigt werden und sie während ihrer Beschäftigung erhebliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Straftaten begehen, sollen sie grundsätzlich abgeschaltet Wir lehnen dieses Gesetz ab, weil leider weder Sie werden. Allerdings können der Präsident und der Vize- noch wir die Bevölkerung – schon gar nicht den beson- präsident Ausnahmen davon zulassen. Zunächst gab es ders betroffenen Teil der Bevölkerung – damit beruhigen im Gesetzentwurf Ausnahmen ohne jede Grenze nach können nach dem Motto „Jetzt sind wir auf einem guten oben. Jetzt haben Sie in den Gesetzentwurf geschrieben, Weg“. Nein, das sind wir nicht. dass Straftaten gemäß § 212 und § 213 des Strafgesetz- buches davon ausgenommen sind. Aber Sie dürfen – das Präsident Dr. Norbert Lammert: habe ich ja schon vorhin gesagt – beispielsweise eine Herr Kollege. Körperverletzung mit Todesfolge, einen schweren Raub, eine schwere Erpressung, eine Entführung, Sexualde- likte begangen haben. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Aber doch Wir brauchen völlig neue gedankliche Ansätze. Ich nicht im Einsatz! – Burkhard Lischka [SPD]: fordere von Ihnen, das fortzusetzen, was wir im Untersu- Es geht um Vorstrafen, nicht um den Einsatz!) chungsausschuss praktiziert haben: Tino Brandt, der zurzeit wegen anderer Sachen im Ge- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Machen (B) fängnis sitzt, könnte also theoretisch weiterbeschäftigt wir!) (D) werden, wenn er noch beschäftigt würde. dass Sie sich mit uns zusammensetzen, Dinge durchden- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie bringen ken und mit uns diskutieren, Alternativen zu einer sol- zwei Paragrafen durcheinander!) chen Art von Verfassungsschutz entwickeln, wie wir sie in unserem Entschließungsantrag angedeutet haben. – Auch dann, wenn eine allein mit lebenslanger Haft be- drohte Straftat erfolgt ist, darf eine Ausnahme gemacht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Burkhard Lischka [SPD]: Das ist ein ganz an- Stephan Mayer ist der nächste Redner für die CDU/ derer Punkt! – Dr. Eva Högl [SPD]: Das ist ein CSU-Fraktion. Angebot!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Nach oben ist also keine ausreichende Grenze gesetzt. neten der SPD) Das kann nicht funktionieren, und das kann auch nicht rechtsstaatlich sein. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nen! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem Gesetz zur Verbes- serung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungs- Nun komme ich zu dem Argument, dass jetzt der Da- schutzes setzen wir die wesentlichen Empfehlungen des tenaustausch unter den Verfassungsschutzbehörden ge- NSU-Untersuchungsausschusses eins zu eins um. regelt ist. Der entscheidende Fehler – ich kann Ihnen Hessen nennen, ich kann Ihnen Nordrhein-Westfalen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nennen – war doch, dass die Verfassungsschutzbehörden neten der SPD) keine Informationen an die Strafverfolgungsbehörden, Ich möchte zu Beginn deutlich machen, dass wir die an die Polizei und an die Staatsanwaltschaft, weitergege- im Rahmen der Aufdeckung der schrecklichen NSU- ben haben, Morde zutage getretenen Mängel in unserer Sicherheits- (Burkhard Lischka [SPD]: Genau!) architektur sehr ernst nehmen und daraus die erforderli- chen Konsequenzen ziehen. Das gilt sowohl für den Jus- dass sie nicht einmal die Befragung von Zeugen, etwa tiz- als auch für den Polizeibereich, aber eben auch für aus dem hessischen Verfassungsschutz, zugelassen ha- den Bereich der Nachrichtendienste. 11294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Stephan Mayer (Altötting) (A) Ich möchte mich, sehr verehrte Frau Kollegin Pau, in zentrum gegen Rechtsextremismus nennen. Dies ist (C) aller Deutlichkeit gegen Ihre Pauschalverurteilung der zweifelsohne ein unverzichtbares Kommunikations- und Nachrichtendienste verwahren. Kooperationsinstrument, eine ganz wichtige Plattform für den Informationsaustausch zwischen den verschiede- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen Sicherheitsbehörden. neten der SPD) Wir haben darüber hinaus den Bereich der Justiz ge- Wenn Sie hier mit dem Begriff „Versager“ inflationär stärkt, als wir vor einigen Monaten den Generalbundesan- umgehen und behaupten, dass die Nachrichtendienste walt legislativ deutlich aufgewertet haben. Wir werden generell Versager wären, dann müssen Sie zur Kenntnis mit diesem Gesetz das Bundesamt für Verfassungsschutz nehmen: Es waren die Versager des Bundesnachrichten- bezüglich seiner Zentralstellenfunktion qualitativ erheb- dienstes und des Militärischen Abschirmdienstes, die lich stärken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird mit dazu beigetragen haben, dass seit 2011 19 geplante in Zukunft eine stärkere koordinierende Rolle im Verfas- Anschläge auf Bundeswehrsoldaten in Afghanistan ver- sungsschutzverbund einnehmen. Ich möchte kein Ge- hindert werden konnten. heimnis daraus machen und in aller Offenheit sagen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass wir uns durchaus noch mehr hätten vorstellen kön- neten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ nen, was die koordinierende Funktion des Bundesamtes CSU]: Hört! Hört!) für Verfassungsschutz angeht. Aber – dies ist schon er- wähnt worden –, es gab einen langen, einen sehr intensi- Es waren die Versager des Verfassungsschutzes, die ven Diskussionsprozess mit den Ländern. Der jetzt vor- 2007 mit dazu beigetragen haben, dass die sogenannte liegende Gesetzentwurf ist meines Erachtens ein sehr Sauerland-Gruppe rechtzeitig zur Strecke gebracht und ordentliches und sehr tragbares Ergebnis. Ich möchte ihr Vorhaben aufgedeckt werden konnte. Es waren bei- aber noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns bezüg- spielsweise auch die Versager des Verfassungsschutzes, lich der Stärkung des BfV noch mehr hätten vorstellen die mit dazu beigetragen haben, dass das Terrorduo von können. Oberursel, das einen ganz konkreten Anschlag auf ein Radrennen in Frankfurt-Eschborn am 1. Mai dieses Jah- Wichtig ist aber, dass es mit diesem Gesetz in Zukunft res geplant hatte, rechtzeitig zur Strecke gebracht wer- ermöglicht wird, dass das Bundesamt für Verfassungs- den konnte. All dies waren die Versager des Verfas- schutz bei gewaltorientierten Bestrebungen oder gewalt- sungsschutzes und der Nachrichtendienste. bereiten Organisationen in den Ländern im Einzelfall auch im Benehmen mit den Ländern tätig wird. Dies soll Es sind Fehler passiert, keine Frage. nicht die Regel sein, um es klar zu sagen. Die Regel wird (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sein, dass versucht wird, das Einvernehmen mit den Län- (B) (D) GRÜNEN]: Nennen Sie mal einen, Herr dern herzustellen. Es wird auch in keiner Weise die Mayer!) generelle Länderzuständigkeit verdrängt. Aber die Re- gelung, die jetzt geschaffen wird, sieht eine Auffang- Es gab erhebliche Fehler der Nachrichtendienste. funktion für den Fall vor, dass die Länder entweder nicht (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE tätig werden wollen oder nicht tätig werden können, GRÜNEN]: Aber nennen Sie mal einen!) wenn es um die Observation von regionalbezogenen ge- waltorientierten Bestrebungen geht. Es ist mir auch sehr Aber die einzigen auf unserer Welt, die keine Fehler ma- wichtig: Wir können uns keine blinden Flecken leisten, chen, sind die Vertreter der Opposition. Die Kolleginnen wenn es um die Überwachung von gewaltorientierten und Kollegen der Oppositionsfraktionen sind komplett Bestrebungen geht. fehlerlos. Ich muss schon sagen – das möchte ich auch sehr ernsthaft betonen –: Wenn wir nicht gut funktionie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) rende, motivierte Mitarbeiter bei den Nachrichtendiens- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir ten hätten, dann hätte es in den letzten zehn Jahren meh- verbessern darüber hinaus den Datenaustausch zwischen rere Anschläge in Deutschland gegeben, die mit Opfern Bund und Ländern. Das sollte an sich eine Selbstver- verbunden gewesen wären. Dies gehört mit zur Wahrheit ständlichkeit sein. Aber wie der NSU-Untersuchungs- dazu. ausschuss zutage gefördert hat, ist das leider nicht immer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – so gewesen. Ich möchte auch betonen: Es wird aus mei- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ner Sicht in der einen oder anderen Behörde notwendig GRÜNEN]: Ich kenne niemanden, der das be- sein und auch bei dem einen oder anderen Mitarbeiter er- streitet! Das ist ein Popanz, den Sie aufbauen, forderlich sein, einen Mentalitätswechsel hervorzurufen. und der zeigt, dass Sie in der Sache nichts zu Es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, dass Herr- sagen haben!) schaftswissen nur für die eigene Behörde behalten wird. Man wird intensiver miteinander reden müssen, und man Es hat sich, auch was die Bekämpfung des Rechts- wird sich auch intensiver miteinander austauschen müs- extremismus und des Rechtsterrorismus anbelangt, in sen. Das ist unverzichtbar. den letzten Jahren viel verändert und auch viel verbes- sert, sowohl in der innerbehördlichen Organisation, ins- Wir regeln darüber hinaus NADIS neu, das Informa- besondere im Bundesamt für Verfassungsschutz, aber tionssystem des Verfassungsschutzverbundes. Auch hier auch in der Zusammenarbeit der Behörden untereinan- möchte ich in aller Deutlichkeit betonen: Ein Verfas- der. Ich möchte exemplarisch das Gemeinsame Abwehr- sungsschutz ohne ein vernünftiges und modernes Infor- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11295

Stephan Mayer (Altötting) (A) mationssystem macht keinen Sinn. Wir berücksichtigen (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C) bei dieser Neuregelung zum einen datenschutzrechtliche GRÜNEN]: Was bedeutet das denn?) Belange, dass zum Beispiel die Befugnis derer, die auf Das ist aus meiner Sicht ein erheblicher Fortschritt, der die Daten zugreifen können, deutlich begrenzt wird, und mit dem neuen Gesetz erreicht wird: Es werden qualita- führen zum anderen eine umfangreiche Protokollie- tive Anforderungen an die Person des V-Manns gestellt. rungspflicht ein. Es muss im Einzelfall also immer klar Er sollte nicht nur möglichst unbescholten sein, sondern protokolliert werden, welcher Mitarbeiter auf welche In- muss auch durch seinen Einsatz wirklich werthaltige In- formation zugreift. Darüber hinaus wird die bislang formationen zutage fördern. Auch dies ist ein erhebli- nicht nachvollziehbare Ausklammerung bestimmter cher Fortschritt, der mit diesem Gesetz einhergeht. Phänomenbereiche aufgehoben. Es gibt darüber hinaus einen Totalausschluss von Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist die Neuregelung Schwerstkriminellen – es ist schon erwähnt worden –: des Einsatzes von V-Leuten. Auch hier möchte ich zur Wenn sich jemand einen Mord, einen Totschlag oder Sachverhaltsaufklärung, sehr geehrter Herr Ströbele, eine andere zwingend mit Freiheitsstrafe bedrohte Straf- beitragen. Es gibt zwei unterschiedliche Tatbestände. tat zu Schulden hat kommen lassen, kommt er katego- Zum einen die Fragestellung: Wer kommt grundsätzlich risch nicht als V-Mann in Betracht. für die Arbeit als V-Mann in Betracht? Die andere Frage ist: Was darf ein V-Mann im Einsatz? Ich habe, sehr geehrter Herr Kollege Ströbele, in der ersten Lesung dieses Gesetzes erwähnt, dass es mir sehr Zum Ersten. Wir schaffen erstmals – das ist ein Para- wichtig ist und es mir enorm darauf ankommt, dass ein digmenwechsel – eine gesetzliche Regelung für die Aus- Fall „Piatto“ nach der neuen Rechtslage nicht mehr mög- wahl der V-Leute. Bisher war das nur auf der Ebene von lich ist. Auch hier kann man ganz klar rückmelden: Wir Verwaltungsvorschriften geregelt. Jetzt wird erstmals haben Wort gehalten. gesetzlich festgelegt und auch mit Grenzen verbunden, wer als V-Mann überhaupt in Betracht kommt. Es gibt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und klare Ausschlusskriterien: Parlamentarier, Minderjäh- der SPD) rige, Personen, die sich in Aussteigerprogrammen befin- Der Fall „Piatto“ wäre nach der neuen Rechtslage nicht den, und Personen, die auf Dauer durch die Vergütung, mehr möglich. Ich glaube, auch das ist ein erheblicher die sie als V-Mann erhalten, ihren Lebensunterhalt be- Fortschritt, der in diesem Gesetz liegt. streiten, kommen nicht in Betracht. Um dies klar dazu zu sagen: Die Alternative wäre gewesen, dass wir auf den Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich Einsatz von V-Leuten komplett verzichten, wie dies bei- glaube aber auch, dass man dieses Gesetz nicht nur im (B) spielsweise die rot-rote Koalition in Thüringen möchte. Lichte der schrecklichen Erkenntnisse aus dem NSU- (D) Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: Das wäre ein fa- Untersuchungsausschuss sehen darf, sondern man es tales Ergebnis. Wenn wir in bestimmte extremistische auch progressiv im Lichte der aktuellen Bedrohungs- Organisationen rein wollen, um Informationen zu erhal- situation sehen muss. Da möchte auch ich auf den Ver- ten, dann ist der Einsatz von V-Leuten unverzichtbar. fassungsschutzbericht Bezug nehmen, den unser Bun- Wenn man es so macht, wie es Thüringen jetzt beabsich- desinnenminister am vergangenen Dienstag vorgestellt tigt, dann würde dies – um dies klar zu sagen – das Ende hat. Es wird doch keiner von uns behaupten wollen, dass des Verfassungsschutzverbundes bedeuten. Der Verfas- die Welt sicherer geworden ist. Die Welt droht an vielen sungsschutzverbund kann nur funktionieren, wenn sich Ecken und Enden aus den Fugen zu geraten. Die Aus- sowohl der Bund als auch alle 16 Länder daran beteili- wirkungen sind sehr schnell mittelbar oder unmittelbar gen, wenn Informationen von allen beigesteuert werden auch in Deutschland spürbar. Der Extremismus nimmt in und dann auch alle davon profitieren. Das Land Thürin- allen Bereichen zu, sowohl rechts als auch links als auch gen nimmt da eine isolierte Position ein und sieht eine im Bereich des Islamismus. Deswegen brauchen wir ei- Regelung vor, die der Funktionsfähigkeit des Verfas- nen leistungsfähigen, einen qualitativ hochwertigen Ver- sungsschutzverbundes diametral entgegengesetzt ist. fassungsschutz. Dieser ist zur Bewahrung unserer frei- heitlich-demokratischen Grundordnung und für eine (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wehrhafte Demokratie unerlässlich. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, da- rüber hinaus gibt es klare Regelungen, was den Aus- Präsident Dr. Norbert Lammert: schluss bestimmter Personen anbelangt, die ansonsten Herr Kollege, lassen Sie eine Zusatzfrage des Kolle- möglicherweise als V-Männer in Betracht kämen. Wer gen von Notz zu? sich gewichtige Vorstrafen zu Schulden hat kommen las- sen, also Verbrechen begangen hat, oder wer zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kommt Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): als V-Mann nicht in Betracht. Es gibt nur ganz wenige Selbstverständlich, sehr gerne. Ausnahmemöglichkeiten: wenn der Einsatz für die Auf- klärung von besonders gefährlichen Bestrebungen uner- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE lässlich ist und – das ist auch sehr wichtig – wenn sicher- GRÜNEN): gestellt ist, dass durch den Einsatz des V-Manns wirklich Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr qualitativ hochwertige Informationen gewonnen werden. Mayer. Sie haben den dramatischen Anstieg der Zahl der 11296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Dr. Konstantin von Notz (A) Straftaten im rechtsextremistischen Bereich eben beschrie- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) ben. Während die Möglichkeit zum Einsatz von V-Leuten Beantworten Sie doch mal die Frage!) in den letzten Jahren voll bestand, ist diese Entwicklung Ich möchte noch einmal betonen: Mit diesem neuen zu verzeichnen gewesen. Jetzt erklären Sie mir mal, wie Gesetz werden die Qualität der Auswahl der V-Leute sich die Ihrer Meinung nach erfolgreiche V-Mann-Arbeit und auch die Kontrolle ihrer Tätigkeit deutlich verbes- der letzten Jahre, die ja ganz unreguliert erfolgen konnte, sert. Mit diesem neuen Gesetz gehen wir einen großen da positiv ausgewirkt hat! Schritt nach vorne, besonders was den Einsatz von V-Leu- Herr Mayer, finden Sie es wirklich richtig, dass Men- ten anbelangt. schen, die in Syrien gefoltert haben und hier nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deutschland kommen, oder Nazis, die Brandstiftungen neten der SPD) begangen haben, über Jahre und Jahre hinweg staatlich dafür alimentiert werden können, irgendwelche Informa- Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Kollege von Notz. tionen durchzustecken, an den Staat weiterzugeben? Sie haben das Thema „Syrienrückkehrer“ angesprochen. Kann das rechtsstaatlich sein? Sie haben gefragt: Was ist mit einem Dschihadisten oder mit jemandem aus dem rechtsextremistischen Bereich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der sich der Brandstiftung schuldig gemacht hat? Um es sowie bei Abgeordneten der LINKEN) noch einmal klar zu sagen: Wer eine schwere Straftat be- gangen hat, die mit einer Freiheitsstrafe verbunden war, Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde – und das ist Sehr geehrter Herr Kollege von Notz, ich antworte bei Brandstiftungsdelikten üblicherweise der Fall –, der sehr gerne auf die beiden Fragen, die Sie mir gestellt ha- kommt kategorisch nicht als V-Mann in Betracht. ben. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Zur ersten Frage. Natürlich ist mit Besorgnis festzu- GRÜNEN]: Gut, dass Sie die nicht massenhaft stellen, dass die Zahl der Gewalttaten im Bereich des anstellen, das ist mir schon klar!) Rechtsextremismus in Deutschland deutlich zugenom- Eine Ausnahme wird nur im Einzelfall gemacht, und men hat. Aber es wäre natürlich perfide, jetzt so zu argu- zwar dann, wenn er zum einen werthaltige Informatio- mentieren, wie Sie es machen, und zu sagen: Na ja, ihr nen liefern kann – hier muss der Behördenleiter persön- hattet ja bisher schon die Möglichkeit, V-Leute zum Ein- lich zustimmen – und zum anderen – das ist die zweite satz zu bringen, Voraussetzung –, wenn sein Einsatz zur Aufklärung ex- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE tremistischer Bestrebungen unerlässlich ist. (B) (D) GRÜNEN]: Sie haben so argumentiert, Herr (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Mayer! Das war Ihre Argumentation!) Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, und trotzdem gibt es diese Gewalttaten. – Ich könnte an- damit Ihr erwähnter Brandstifter im Einzelfall, als abso- dersherum fragen: Was wäre der Fall, wenn es überhaupt lute Ausnahme, als V-Mann überhaupt eingesetzt wer- keine Möglichkeit des Einsatzes von V-Leuten im Be- den kann. reich rechtsextremistischer Organisationen gäbe? Viel- leicht wären dann die Gewalttaten noch weitaus größer. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Auch dies ist eine Hypothese, die man durchaus aufstel- Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: len kann. Und was unerlässlich ist, entscheidet der Ver- fassungsschutz!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!) Ich muss wirklich sagen: Ihre Vorwürfe und Zweifel ge- hen völlig ins Leere. Ich glaube, man kann es sich nicht so einfach machen wie Sie, Herr Kollege von Notz, indem Sie sagen: Na ja, Mit diesem Gesetz zur Stärkung unseres Verfassungs- es gibt hier eine deutliche Zunahme gewaltorientierter schutzes gehen wir einen erfreulichen Schritt nach Bestrebungen im Bereich des Rechtsextremismus, auch vorne. Ich darf Sie deshalb dringend um Zustimmung mehr Gewalttaten, und dies zeigt ganz klar, dass der Ein- bitten. satz von V-Leuten obsolet und untauglich ist. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe eine Frage gestellt!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Meines Erachtens – und das möchte ich deutlich un- Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Uli terstreichen – gibt es verschiedenste extremistische Be- Grötsch das Wort. strebungen sowohl im Bereich des Islamismus als auch im Bereich des Rechtsextremismus. Da kommt man mit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) herkömmlichen Aufklärungsinstrumenten nicht zurecht. Im Einzelfall ist der Einsatz von V-Leuten – das sind, zu- Uli Grötsch (SPD): gegebenermaßen, keine angenehmen Zeitgenossen – un- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor verzichtbar. ein paar Wochen habe ich an gleicher Stelle gesagt, dass Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11297

Uli Grötsch (A) ich fest davon überzeugt bin, dass wir das Bundesamt für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) Verfassungsschutz brauchen. Genauso deutlich habe ich der CDU/CSU) gesagt, dass eine Reform dringend notwendig ist. Auch jetzt nach der öffentlichen Anhörung des Innenausschus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Abgeord- ses, nach der öffentlichen Debatte der letzten Wochen nete nehmen unsere Aufgabe als parlamentarische Kon- und nach den Gesprächen mit zahlreichen Interessenver- trolleure ernst. Wir erwarten eine entsprechende Koope- tretern hat sich an meiner Meinung nichts geändert. ration vonseiten der Bundesregierung, wenn es darum geht, deutsche – und ich füge ganz bewusst hinzu – und (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- europäische Interessen zu schützen. NEN]: Sie hätten ja mal die Datenschutzbeauf- Ich erhoffe mir und erwarte von der neuen Regelung tragte kommen lassen können!) zur Berichtspflicht, dass die Mitarbeiterinnen und Mitar- Im Gegenteil: Die Bewertungen der meisten Sachver- beiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz zukünftig ständigen haben uns gezeigt, dass das BfV nicht abge- angehalten sind, bei der Auswahl der V-Leute noch ge- schafft, sondern dass dessen Befugnisse und rechtliche nauer hinzuschauen. Außerdem gehe ich davon aus, dass Grundlagen an die neuen Herausforderungen angepasst sie vor allem auf die Qualität der Informationen achten werden müssen. Insbesondere die Ergebnisse aus dem werden und nicht eine Vielzahl von unverwertbaren Do- NSU-Untersuchungsausschuss waren ausschlaggebend kumenten, Bildern und Dateien sammeln, wie das in der für diese Bewertung. Vergangenheit der Fall war. Schließlich wissen sie nun, dass sie Rechenschaft vor dem Parlament ablegen müs- In einigen Punkten gab es natürlich auch Kritik am sen. Sie werden daher im eigenen Interesse die neu auf- vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung gestellten Kriterien zum Einsatz von V-Leuten einhalten. der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschut- zes. Ich glaube aber, dass wir diese Kritikpunkte gut in Ich glaube auch, dass der Einsatz von V-Leuten in Zu- unseren Änderungsantrag integriert haben. Herr Kollege kunft wohl zurückgehen wird, Ströbele, Sie haben es inzwischen sicher schon gefun- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den: NEN]: Ich denke, die sind so wichtig!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ganz bestimmt nicht, weil dafür keine Notwendigkeit GRÜNEN]: Nee! Wir suchen noch!) – Gegen- mehr besteht, sondern weil das Ermittlungsinstrument ruf des Abg. Burkhard Lischka (SPD): Der des Einsatzes von V-Personen nicht das Allheilmittel für will das nicht finden!) die Aufklärung terroristischer Strukturen in Deutschland ist. Es ist nur ein Ermittlungsinstrument unter vielen, (B) Die von Ihnen angesprochene Kritik an § 23 des Gesetz- wenn auch ein höchst sensibles, weil die Sicherheitsbe- (D) entwurfs befindet sich auf Seite 4, zweiter Absatz des hörden mit Menschen zusammenarbeiten müssen, die Änderungsantrags; unseren Staat im Grunde ablehnen. Das ist an sich schon (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schrecklich genug, aber ihr Einsatz ist aus den schon be- NEN]: Das ist aber die Begründung! Lesen Sie schriebenen Gründen und Umständen wichtig und erfor- doch mal im Gesetz nach! – Hans-Christian derlich. Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zi- (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tieren Sie mal ganz genau!) Ich habe noch keinen Grund gehört!) nach unserer Lesart jedenfalls. Was aus unserer Sicht aber auf keinen Fall stattfinden darf, ist die Zusammenarbeit mit Verbrechern. Dieser (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Gesetzentwurf regelt das. Dieser Gesetzentwurf sieht GRÜNEN]: Sie haben nichts geändert!) vor, dass die Anwerbung von V-Personen, die sich des Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in inten- Mordes oder des Totschlags strafbar gemacht haben, siven Gesprächen mit den Kollegen unseres Koalitions- künftig nicht mehr möglich ist. Hier haben wir eine ganz partners den Gesetzentwurf an einigen, meiner Meinung klare Grenze gezogen. nach wesentlichen Punkten nachgebessert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU) GRÜNEN]: In § 23 ändert sich keine Zeile, Ich möchte an dieser Stelle die gute Zusammenarbeit nicht einmal ein Komma!) mit dem Bundesinnenministerium loben. Ich habe die Gespräche als konstruktiv und zielführend empfunden. Mir war dabei ganz besonders wichtig, dass der Einsatz Die Ankündigung von Bundesinnenminister de Maizière und die Auswahl der vom BfV eingesetzten Vertrauens- in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs, dass er für Än- leute einer strikten Kontrolle unterliegen, und damit derungsvorschläge offen ist, hat, wie ich finde, dazu ge- meine ich nicht die Kontrolle durch die Fachaufsicht, führt, dass wir ein wirklich gutes Ergebnis gefunden ha- sondern ausdrücklich die parlamentarische Kontrolle. ben. Als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bundesregierung Was den NSU-Untersuchungsausschuss in der letzten in Zukunft eine gesetzliche Berichtspflicht gegenüber Wahlperiode stark gemacht hat, das hat bei den Beratun- dem Gremium hat. Ich meine, das war längst überfällig. gen des heute zur Abstimmung stehenden Gesetzes auch 11298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Uli Grötsch (A) die Mehrheit des Parlaments stark gemacht: der gemein- wann zurückkommen und für uns auch ein Problem dar- (C) same Wille, das gemeinsame Arbeiten an der Umsetzung stellen, neue Formen von Angriffen wie Cyberattacken, der Handlungsempfehlungen des NSU-Untersuchungs- wie wir in diesem Hause selber leidvoll erfahren muss- ausschusses und jetzt der gemeinsame Weg hin zu einem ten – all das zeigt, wie schwierig es ist, die Sicherheit für Gesetz, das sich sehen lassen kann und dafür sorgen die Menschen in diesem Land zu gewährleisten, und wie wird, dass die Missstände, die in der Vergangenheit vor- wichtig es ist, dass wir dafür Sicherheitsbehörden, auch geherrscht haben, in der Zukunft nicht mehr möglich Nachrichtendienste, haben, die das tun können. Ich halte sein werden. Das ist unsere Aufgabe als Gesetzgeber, es mit Blick auf die Anträge der Opposition an diesem und dieser Aufgabe sind wir mit diesem Gesetzentwurf Punkt schlicht für unverantwortlich, gerecht geworden. (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) fast schon naiv, bei dieser Sicherheitslage zu sagen: Wir schaffen die Nachrichtendienste ab. – Nicht mit uns. Auch ich will, wie mein Vorredner, gegen Ende mei- ner Redezeit eine Lanze für das Bundesamt für Verfas- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sungsschutz brechen: Es greift zu kurz, alle Verantwor- Wenn wir heute im Zusammenhang mit dem NSU tung beim Bundesamt für Verfassungsschutz abzuladen über konkrete Veränderungen im Bereich des Verfas- und es sozusagen zur Strafe gleich abzuschaffen. Liebe sungsschutzes reden, muss man, um es für die Öffent- Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in Ihren lichkeit deutlich zu machen, etwas vorausschicken: Ja, Anträgen fordern Sie genau das, meiner Meinung nach es gab schwere Fehler beim Verfassungsschutz – auf völlig zu Unrecht. Das BfV ist eine zentrale Säule in der diese sind viele Redner zu sprechen gekommen –, aber Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland. Fehler gab es auch bei der Polizei in Bund und Ländern, Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschützt die Fehler gab es auch bei der Justiz bis hin zum General- Menschen in Deutschland vor den Gefahren einer Welt, bundesanwalt, die sich auch hinsichtlich terroristischer Bedrohungen so schnell und drastisch entwickelt, dass Außenstehenden (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) leicht schwindelig werden kann. Was es meiner Meinung nach braucht, ist eine Stärkung des Bundesamtes für und Fehler gab es auch bei uns in der Politik, bei der par- Verfassungsschutz, eine Stärkung hinsichtlich der Perso- lamentarischen Kontrolle der Dienste. Es war also eine nal- und der Sachausstattung. Dazu gehören natürlich Ansammlung von verschiedenen Fehlern. Wir alle sind der Wille und die feste Überzeugung von uns Parlamen- gefordert. Bei aller Kritik an den Nachrichtendiensten tariern, bei den nach der Sommerpause anstehenden dürfen wir nicht so tun, als ob es nur die träfe. Denn für (B) (D) Haushaltsberatungen dazu zu stehen, wenn es um die einiges, was hinterher schiefging, waren sie gar nicht zu- Stärkung des Bundesamtes geht. ständig. Wir alle sind gefordert, und wir alle hier sind aufgerufen, einen Teil dazu beizutragen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) An dieser Stelle gestatten Sie mir, weil ja auch viel über das Verhältnis von Bund und Ländern gesprochen Wir sprechen nämlich nicht nur über den Bereich des wird, etwas Kritik in Richtung der Länder. Bei einer De- Rechtsterrorismus, sondern wir sprechen über alle Berei- batte von dieser Wichtigkeit und der gleichzeitig immer che, die unseren Staat und damit die Menschen in wieder vorgetragenen Kritik der Länder, wir würden hier Deutschland bedrohen. im Rahmen des Föderalismus zu weit gehen, hätte ich Vielen Dank. mir gewünscht, dass in der zweiten und dritten Lesung außer dem Vertreter des Landes Bayern – herzlich will- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kommen – noch ein paar andere da wären; bis auf ihn ist der CDU/CSU) die ganze Bundesratsbank leer. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Präsident Dr. Norbert Lammert: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Auf die Bayern Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion das ist Verlass, jedenfalls bei der inneren Sicher- Wort. heit!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Beim Stichwort „Föderalismus“ muss man natürlich neten der SPD) sagen, dass die NSU-Verbrechensserie – das klang schon in der Rede meiner geschätzten Kollegin Högl an – den Clemens Binninger (CDU/CSU): Föderalismus an seine Grenzen gebracht hat. In Deutsch- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! land sind für die Bekämpfung von Extremismus und Ter- Die Sicherheit in unserem Land ist zurzeit sowohl von rorismus 37 verschiedene Behörden bei Verfassungs- innen wie von außen so bedroht wie noch nie. Eine schutz und Polizei zuständig. Dass es da sehr schnell zu starke Zunahme von gewaltbereitem Rechtsextremis- Reibungsverlusten, zu Informationsverlusten kommen mus, die uns mit großer Sorge erfüllen muss, die Bedro- kann, liegt auf der Hand. Wenn man diese Fehler korri- hung durch den IS, mehr als 3 000 sogenannte Foreign giert, nimmt man, glaube ich, keinen Angriff auf den Fighters aus Europa, die für den IS morden und irgend- Föderalismus vor. Ganz im Gegenteil: Wir stärken das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11299

Clemens Binninger (A) föderale System, indem wir seine Schwachstellen besei- und Kollege Lischka hat zu Recht darauf hingewiesen, (C) tigen. dass Sie wenigstens die Ergebnisse und unsere Anträge lesen sollten; dann wäre manche Debatte seriöser. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hierzu passt vielleicht ein interessanter Satz aus unse- ren Empfehlungen. An die Kollegen der Linken und der Jetzt zu den konkreten Änderungen, die wir vorneh- Grünen gerichtet sage ich: Es war klar, irgendwann en- men. Wir stärken das BfV. Ich verstehe schon, dass sich den alle Gemeinsamkeiten; das ist so. Ich gestehe Ihnen manche fragen: Ist es denn nicht ein Paradoxon, dass wir selbstverständlich Ihre Position zu, die hinsichtlich der die Stelle, an der auch Fehler passiert sind, jetzt stärken, Dienste eine grundlegend andere ist. Da werden wir ihr mehr Personal zur Verfügung stellen und ihr mehr auch nie zusammenkommen. Sie von den Linken wollen Befugnisse geben? Aber es wäre ja ein Widerspruch in sie abschaffen, wir wollen sie stärker machen. Sie von sich, zu sagen: Auch wenn dort Fehler passiert sind, kor- den Grünen wollen eine andere Behörde aufbauen und rigieren wir sie nicht – nur um irgendetwas Politisches die Dienste in Teilen abschaffen. Da wird es keinen Kon- zu erreichen – und machen die Situation hinterher viel sens geben. Wir sollten auch nicht so tun, als ob. schlimmer. – Fehler zu korrigieren, heißt, diese auszu- merzen und dort, wo notwendig, für neue Stärken zu sor- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gen. Anders geht es nicht. GRÜNEN]: Warten wir den nächsten Skandal ab!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – Da werden Sie mit Ihrer Lösung sicherlich auch nicht Das, was Sie machen würden, wäre nur eine weitere zu einem besseren Ergebnis kommen. Schwächung des Verfassungsschutzes, und dabei ma- chen wir nicht mit. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt noch einer! Da können Es geht uns um mehrere Punkte: Das BfV wird als Sie die Uhr nach stellen!) Zentralstelle gestärkt, der Informationsfluss wird verbes- sert, und auch die Analysefähigkeit von NADIS wird – Ja, ja, für Skandale sind Sie immer zu haben, Herr Kol- verbessert; das war unsere Forderung. lege von Notz. Das weiß ich. Aber Politik in diesem Land besteht aus ein bisschen mehr, als immer nur (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) „Skandal“ zu schreien. Jetzt muss man der Öffentlichkeit erklären: NADIS, das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Informationssystem der Nachrichtendienste, war in der Vergangenheit nur eine Aktenfundstelle. Wenn also eine Ich will Ihnen nur einen Satz aus unseren Empfeh- (B) Landesbehörde etwa Erkenntnisse über gewaltbereite (D) lungen verkürzt wiedergeben – ich hoffe, ich zitiere Neonazis hatte und etwas mehr wissen wollte, zum Bei- richtig –, Empfehlung Nummer 32 aus unserem Ab- spiel, ob sie auch schon woanders bekannt sind, hat sie schlussbericht NSU; diese betrifft den Bereich der Ver- aus NADIS in der Vergangenheit nur ein Aktenzeichen fassungsschutzbehörden. Dort steht unsere gemeinsame bekommen. Dann hieß es: „Bitte dort anrufen und um Empfehlung – beschlossen von allen Fraktionen in die- Informationen bitten“, und dann konnte es schon einmal sem Hause –, dass wir im Hinblick auf die Verfassungs- ein bisschen dauern. Jetzt stellen wir diese Informatio- schutzbehörden fordern, dass zukünftig alle notwendi- nen zur Verfügung; sie werden analysiert. Das ermög- gen Informationen an einer zentralen Stelle gebündelt, licht allen Behörden, die in diesem Verbund mitarbeiten, dort gründlich ausgewertet und die Ergebnisse allen Ver- eine sehr viel bessere Einschätzung der Lage. Gerade an- fassungsschutzbehörden zur Verfügung gestellt werden gesichts der zunehmenden Gewaltbereitschaft und der sollen. steigenden Zahl von Anschlägen, die uns allen Sorge machen müssen, halte ich das für unverzichtbar. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) können doch nicht nur mit Tagebuchnummern unter- Genau dafür sorgen wir heute mit diesem Gesetz. Ich einander handeln, sondern wir müssen auch Informatio- muss sagen: Jetzt so zu tun, als würden wir Empfehlun- nen austauschen. gen nicht umsetzen, geht einigermaßen an der Realität (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – vorbei. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Strafverfolgungsbehörden!) GRÜNEN]: Ja, ja! Weil Sie sich jetzt eine Jetzt komme ich zu Ihrem Lieblingspunkt, Herr Kol- Nummer rausgepickt haben! – Gegenruf des lege Ströbele – das ist gar nicht ironisch gemeint –, Abg. Burkhard Lischka [SPD]: Nein, weil Sie nicht lesen, Herr Notz! Das ist das Problem! – (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) GRÜNEN]: Aha!) Ich darf für die Zuhörer, die dem Zwiegespräch zwi- der auch mich lange beschäftigt hat: zum Einsatz von schen Herrn von Notz und Herrn Lischka nicht folgen V-Leuten. Wir sollten nicht so tun, als ob wir nicht wüss- konnten, kurz sagen: Herr von Notz, Sie haben gesagt, ten, dass V-Leute natürlich nicht Mitarbeiter einer Be- ich hätte mir eine Nummer herausgepickt – das war die hörde sind, sondern Angehörige einer extremistischen zentrale Empfehlung unseres Ausschusses –, Szene – Salafisten, Linksextremisten oder Neonazis – und das auch bleiben. Sie werden ja nicht zu geläuterten (Dr. Eva Högl [SPD]: Genau!) Bürgern, nur weil sie uns Informationen liefern; das wis- 11300 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Clemens Binninger (A) sen wir alle. Deshalb ist für uns alle klar, dass dieses In- – Fast. – Das wäre angesichts der Kompliziertheit und (C) strument für den Rechtsstaat eine Gratwanderung ist. der, sagen wir mal, Schwierigkeit dieses Gesetzes, das von allen Sachverständigen in der Anhörung kritisiert (Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!) wurde – sie haben gesagt: wie kann man so ein Gesetz Aber wir sagen genauso klar: Wir werden Situationen schreiben? aber lassen wir das dahingestellt sein –, ja erleben, in denen man keinen anderen Zugang zu klei- nicht verwunderlich: Man kann ja was übersehen. – nen, abgeschotteten Gruppen haben wird – im Bereich Aber ich habe nichts übersehen. des Salafismus sowieso, aber auch im Bereich des Isla- Sagen Sie doch vorne vom Pult aus klar etwas zu der mismus und bei Neonazis –, wenn man nicht eine Quelle Frage der Übermittlung von Erkenntnissen des Verfas- im Umfeld platziert. Wollen wir dann ernsthaft sagen: sungsschutzes von Bund und Ländern an Strafverfol- „Nein, lieber verzichten wir darauf, das letzte Mittel an- gungsbehörden. Das ist doch die Schlüsselfrage. Da ha- zuwenden, und nehmen in Kauf, dass sich gewaltbereite ben Sie behauptet: Das steht hier drin. – Das steht für Phänomene etablieren können“? den einen seltenen Ausnahmefall drin. Dabei geht es da- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE rum, dass ein V-Mann auffällt, der erhebliche Straftaten GRÜNEN]: Aber dieses Mittel taugt nichts! begangen hat. Dann soll das auch an die Strafverfol- Das ist ein untaugliches Mittel!) gungsbehörden weitergegeben werden. Das steht in der neuen Vorschrift. Wir sagen: Nein, für diesen Fall können wir nicht darauf verzichten; das ist der Punkt. Aber es geht doch darum: Der Verfassungsschutz hatte – in diesem Fall in Nürnberg und München – um- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) fassendes Wissen. Er hatte dicke Akten dazu, in denen Ich selbst habe in allen NSU-Debatten an diesem auch das NSU-Trio vorkam, nämlich die „Rennsteig“- Rednerpult gestanden und im Zusammenhang mit der Akten, die Sie ja auch kennen. Der Verfassungsschutz Aufklärung immer wieder gesagt – daran lasse ich mich hatte die vorliegen. Davon hat er den Strafverfolgungs- auch messen –, dass im Hinblick darauf, wie V-Leute im behörden nichts mitgeteilt, als sie danach gefragt haben. Bereich des Rechtsextremismus in der Vergangenheit Es geht darum, dass solche Skandale in Zukunft vermie- eingesetzt waren, Aufwand und Ertrag in keinem Ver- den werden. Jetzt sagen Sie mal, wo das geregelt ist. hältnis standen. Weil das in der Vergangenheit so war, haben wir Änderungen vorgenommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ Clemens Binninger (CDU/CSU): DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- Ich beantworte die Frage gerne. Die Empfindlichkeit schenfrage) (B) verstehe ich nicht ganz. Wer austeilt, muss sich auch, (D) – Alles andere hätte mich enttäuscht. Herr Kollege glaube ich, einmal einen Zwischenruf gefallen lassen. Ströbele, ich würde Ihre Frage zulassen, wenn der Präsi- Ich wollte Sie aber nicht aus der Ruhe bringen. dent Sie aufruft. Mein Eindruck ist nur – der hat sich durch Ihre Frage bestätigt –: Sie verwechseln dauernd verschiedene Pas- Präsident Dr. Norbert Lammert: sagen aus einem sicher anspruchsvollen Gesetz. Das ist Das mache ich ganz besonders gerne, wenn es wech- der Punkt. Die bringen Sie durcheinander. Es geht einer- selseitig dieses erkennbare Interesse gibt. – Bitte schön, seits um die Frage: Welche Straftaten darf ein V-Mann Herr Kollege Ströbele. überhaupt begehen? Zweitens: Welche V-Leute sind auf- grund ihrer kriminellen Vorgeschichte von vornherein Clemens Binninger (CDU/CSU): von der Anwerbung ausgeschlossen? Und drittens: In Wenn Sie auch meine Redezeit anhalten würden, welchen Situationen muss der Verfassungsschutz seine wäre ich Ihnen noch mehr verbunden. Erkenntnisse an die Polizei mitteilen? (Heiterkeit) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!)

Präsident Dr. Norbert Lammert: Das sind die drei Dinge, die man aber auseinanderhalten Das ist längst erfolgt. – Bitte schön. muss. Das machen Sie aber nicht. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!) GRÜNEN): Sie vermischen sie dauernd und ziehen daraus die fal- Herr Kollege Binninger, Sie haben das als meinen schen Schlussfolgerungen. Das ist das Problem. Lieblingspunkt angesprochen. Ich habe heute die ganze Zeit, auch bei der Frage an den Minister, den anderen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Lieblingspunkt angesprochen, zu dem Sie sich bisher Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht geäußert haben. Sie haben hier gesessen und ver- Er hat doch jetzt genau danach gefragt!) sucht, mich zu verunsichern. Das ist Ihnen fast gelungen. Ich werde jetzt versuchen, Ihnen alle drei Punkte im (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jetzt aber! Stenogrammstil noch einmal zu erklären, ohne dass ich Nicht so empfindlich!) die Hoffnung habe, Erfolg zu haben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11301

Clemens Binninger (A) (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich glaube, da sind wir auch auf einem guten und richti- (C) NEN]: Es geht um den letzten!) gen Weg. Unterstellen Sie uns bitte nicht dauernd Dinge, Aber ich spreche auch für die Öffentlichkeit und für die die so wirklich nicht stimmen! Kollegen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Punkt eins. Ein V-Mann darf keine Straftaten bege- der SPD) hen, mit denen er Individualinteressen verletzt. Punkt. Jetzt hat aus irgendeinem Grund der Präsident die Uhr Das steht im Gesetz. doch wieder laufen lassen, und die Minute ist weg; aber (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ich will einen Satz noch sagen: Bei aller Unterschied- NEN]: Das war nicht die Frage! Es geht um lichkeit der Ansichten glaube ich, dass wir hier als Parla- den letzten Punkt!) ment durch die Aufarbeitung der NSU-Verbrechensserie und das im Zusammenhang damit stehende Behördenver- – Doch, er hat eine Mischfrage gestellt. Er wirft doch sagen sowie durch unsere Empfehlungen viel erreicht dauernd alles durcheinander. haben. Es gab in der Vergangenheit – und gibt es mögli- Punkt zwei. Wenn er dennoch Straftaten begeht, muss cherweise auch in Zukunft – keinen Untersuchungsaus- der Einsatz abgeschaltet werden. Und nur in Bezug auf schuss, der so konkret parteiübergreifend Maßnahmen die Frage, wann diese Abschaltung stattfindet, hat der vorgeschlagen hat, und es gab keinen Untersuchungsaus- Behördenleiter im Ausnahmefall ein eigenes Recht. Es schuss, dessen Empfehlungen auch so konkret – wie hier wird aber in keiner Weise eine Straftat erlaubt. Und das in diesem Parlament gemeinsam mit der Regierung – suggerieren Sie hier dauernd. umgesetzt wurden. Darauf, glaube ich, kann man mit (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Stolz zurückblicken. Es gab Grund, zu handeln. Wir sind GRÜNEN]: Ich rede gar nicht davon!) sicher noch nicht am Ende des Prozesses; aber wir haben eine Menge erreicht im Sinne der Sicherheit der Men- – Sie reden jetzt nicht von V-Leuten? schen in unserem Land und für eine Stärkung unserer (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Behörden, damit sie ihre Arbeit auch machen können. GRÜNEN]: Herr Binninger, ich rede von was Herzlichen Dank. anderem!) Von was dann? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Präsident Dr. Norbert Lammert: GRÜNEN]: V-Leute sind ein Problem!) Ich schließe die Aussprache. (B) – Es wird heute mit uns beiden schwierig, aber ich habe (D) es versucht. Ich glaube, das Bemühen war mir anzuse- Um den auch nur angedeuteten Verdacht, dass ausge- hen. rechnet bei einem solch wichtigen Thema der Präsident nickelig mit den Redezeiten umgehe, auszuräumen, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weise ich darauf hin, dass wir zu Beginn dieser Debatte Punkt drei – diesen einen Punkt darf ich noch erwäh- beschlossen haben, 77 Minuten zu debattieren. Jeder nen, dann sind wir damit ja auch durch; wir sehen uns Blick auf die Uhr macht deutlich, dass wir jetzt 95 Minu- nachher wieder, dann können wir noch einmal darüber ten debattiert haben. Das räumt den Verdacht aus, mit reden –: Ja, die Übermittlung der Informationen des den Redezeiten sei restriktiv umgegangen worden. bayerischen Verfassungsschutzes an die Polizei hat skan- dalös lange gedauert. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der GRÜNEN]: Ja, das ist jetzt wieder so!) Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver- besserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfas- Das ist wahr. Aber wir haben doch schon festgestellt: sungsschutzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buch- Die bayerischen Verfassungsschützer hätten schon nach stabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache geltender Rechtslage übermitteln müssen. – Da gab es 18/5415, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf gar nichts zu ändern. Sie haben sich nicht an die geltende den Drucksachen 18/4654 und 18/5051 in der Aus- Rechtslage gehalten. schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Deshalb brauchen wir § 23 Bundesverfassungsschutz- Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zwei- gesetz auch nicht zu ändern. Auf das, was wir aber ge- ter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die macht haben, hat Sie Frau Kollegin Högl – das war wirk- Stimmen der Opposition angenommen. lich fast schon pädagogisch wertvoll – mehrfach hingewiesen: Wir haben in unserer Begründung deutlich Wir kommen zur gemacht, dass die Bestimmung, wann der Verfassungs- schutz etwas nicht übermitteln darf, restriktiv – so steht dritten Beratung dieses Wort drin – zu handhaben ist. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – NEN]: In der Begründung!) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der 11302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Gesetzentwurf mit den gleichen Mehrheiten angenom- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll auch (C) men. diese Aussprache 77 Minuten dauern. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem der Drucksache 18/5431. Wer stimmt für diesen Ent- Kollegen Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Grünen. hält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Fraktion Die Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Linke abgelehnt. Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfeh- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was beschäftigt die lung des Innenausschusses auf der Drucksache 18/5415 Menschen in diesem Land, wenn sie sich Gedanken über fort und kommen nun zum Tagesordnungspunkt 32 b. ihre Alterssicherung machen? Zwei Fragen dürften sich Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- die meisten in jedem Fall stellen: Erstens diejenige nach fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der der Höhe der Altersversorgung und eng damit zusam- Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/4682 mit dem menhängend zweitens, ob und wie lange sie zum Ende Titel „Wirksame Alternativen zum nachrichtendienstlich ihres Berufslebens arbeiten werden, ob sie sich bis zum arbeitenden Verfassungsschutz schaffen“. Wer stimmt für Renteneintritt quälen oder ob sie sogar über das gesetzli- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – che Renteneintrittsalter hinaus Spaß an ihrem Job haben Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung können. mit der Mehrheit der Koalition angenommen. Auf der Suche nach Antworten werden sie bei der jet- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch- zigen Regierung jedenfalls nicht fündig. Obwohl der stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Anstieg des Renteneintrittsalters nun im fünften Jahr Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der läuft und obwohl das Durchschnittsalter der Erwerbsbe- Drucksache 18/4690 mit dem Titel „Für eine Zäsur und völkerung stetig steigt – diese Regierung handelt nicht. einen Neustart in der deutschen Sicherheitsarchitektur“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer sowie bei Abgeordneten der LINKEN) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung, wiederum mit der Koalitions- Bei dem Thema, das wir heute auf die Tagesordnung mehrheit, angenommen. stellen, dem flexiblen Renteneintritt, haben wir es mit ei- nem eklatanten Fall von Führungsversagen zu tun. (B) Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk- (D) tes. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf: Unfähig, die Initiative zu ergreifen, versteckt sich sogar die Bundeskanzlerin hinter einer Fraktionsarbeitsgruppe. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Geht es noch? Auf dem Deutschen Seniorentag in Frank- Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller- furt sagte sie gestern zum Thema: Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Frak- Sie müssen noch ein bisschen warten, bis wir da zu tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Potte kommen. Aber ich hoffe, dass es gelingt. Flexible und sichere Rentenübergänge ermög- Ich nehme an, sie hatte nicht die lange Liste der unerle- lichen digten Aufgaben ihrer Arbeits- und Sozialministerin im Drucksache 18/5212 Kopf. Sonst dürfte ihre Hoffnung schnell schwinden. Überweisungsvorschlag: Es geht ja nicht nur um die sogenannte Flexirente, Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) nein. Auch bei der Betriebsrente regeln Sie nichts. Die Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Rechtsvereinfachung für die Jobcenter schieben Sie Ausschuss für Gesundheit schon seit bald zwei Jahren vor sich her. Die Riester- Rente erfüllt ihren Sicherungszweck nicht, und Sie ana- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus lysieren sie nicht einmal. Sie versprechen, tun aber Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz- nichts. Die Regulierung der Leiharbeit und der Werkver- Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion träge, die Angleichung der Ost- und der Westrentenwerte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ganz zu schweigen von der solidarischen Lebens- Kommunales Ehrenamt stärken – Anrech- leistungsrente: Stets vertrösten Sie Beschäftigte und So- nung von Aufwandsentschädigungen auf die zialversicherte, und ich bin mir sicher, dass Sie, wie Sie Rente neu ordnen das seit Monaten tun, auch nach dieser Rede wieder schwören werden: Wir machen hier auf jeden Fall etwas. Drucksache 18/5213 Dabei sind die beiden Koalitionsfraktionen in einer Überweisungsvorschlag: gegenseitigen Blockade gefangen. Wie zwei Boxer, die Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Innenausschuss sich in der ersten Runde gegenseitig ordentlich eins auf Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Nase gegeben haben, haben Sie sich jetzt aufs Halten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11303

Markus Kurth (A) und Klammern verlegt und schaffen nichts mehr. Große Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Koalition: Das ist entweder großer Mist, wie wir im letz- Ja. – Es ist immer schön, wenn man als Redner merkt, ten Jahr gesehen haben, oder eben, wie jetzt, großer dass man einen gewissen Unterhaltungswert hat. Aber Stillstand. kommen wir wieder zur Sache. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Katja Mast [SPD]: Lesen Sie erst mal, was Dr. Martin Rosemann [SPD]: Ein Boxkampf unter der Überschrift steht, vor!) geht über zwölf Runden!) Wir denken in beide Richtungen: Einerseits machen wir Was ist in der Rentenpolitik die Ursache für den Still- Vorschläge, wie das Arbeiten jenseits der Altersgrenze stand? Ihr unseliges Rentenpaket. Sie haben keine Poli- attraktiv gemacht werden kann. Andererseits machen tik für alle Rentenversicherten, sondern Interessenpolitik wir Angebote für diejenigen Beschäftigten, gemacht. (Katja Mast [SPD]: Seid froh, dass die Bürger (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Immer den Antrag nicht lesen!) die alte Leier!) die schon einige Jahre vor dem Renteneintrittsalter mit Insbesondere der Streit um die Rente mit 63 hat beide ihren Kräften haushalten müssen, um den Renteneintritt – Union und SPD – in ihre Trutzburgen getrieben, und nicht als Arbeitslose, Minijobber oder Erwerbsgemin- von dort aus belauern Sie sich jetzt gegenseitig. Dabei derte zu erleben. böte gerade das Thema des selbstbestimmten und sozial- Wir brauchen neue Wege, um Menschen früher als politisch flankierten flexiblen Rentenübergangs genü- bisher die Chance zu bieten, Arbeitszeit und damit gend Chancen, konstruktiv mit dem demografischen Belastung zu reduzieren. Bevor Sie das gleich falsch Wandel umzugehen, Sozialpartner zusammenzuführen interpretieren, sage ich: Ziel ist es ausdrücklich nicht, und vor allen Dingen den Menschen die Angst vor der irgendwelche neuen Frühverrentungsmöglichkeiten zu Rente mit 67 zu nehmen und ihnen tragfähige Wege auf- schaffen, sondern Ziel ist es, unter dem Strich durch eine zuzeigen. rechtzeitige Belastungsreduzierung einen längeren Ver- bleib im Erwerbsleben zu ermöglichen. Das ist uns ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wichtig. Stattdessen passiert nichts. Es scheint so, als ob (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei ihrem Blitzstart, dessen sie sich im letzten Jahr ja so rühmte, ein bisschen zu viel aufs Gas Da halten wir eine reformierte Teilrente für ein taugli- (B) getreten und dann auch noch vergessen hat, rechtzeitig ches Instrument. (D) zu schalten. Jetzt hängt sie da mit einem veritablen Ge- triebeschaden, und die Abgeordneten der Koalition rufen (Katja Mast [SPD]: Wie?) in ihrer Verzweiflung die Chefmechaniker von der Frak- Wir glauben, dass die Kombination aus einer Teilrente tionsspitze zu Hilfe, sie mögen dort doch bitte mal was und einer Teilzeitbeschäftigung einen gleitenden Ren- tun und ihre Karre wieder flottmachen. Aber Herr tenübergang über die Jahre ermöglichen kann. Er sollte Kauder und Herr Oppermann haben Ihnen ja beschieden, vor dem 64. Lebensjahr möglich sein. sie hätten gerade andere Sorgen. Ehrlich gesagt, an deren Stelle hätte auch ich keine Lust, an dieser abwrackreifen (Katja Mast [SPD]: Wie? – Dr. Martin Koalitionsarbeitsgruppe noch länger herumzuwerkeln. Rosemann [SPD]: Konkret!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auf der anderen Seite haben wir natürlich die Beschäf- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) tigten, die das Glück haben, fit zu sein, und über die Re- gelarbeitsgrenze hinaus arbeiten möchten und das auch Wir, die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, zeigen können. Diese Menschen – von ihnen habe ich schon ei- Ihnen heute mit unserem Antrag, wie es geht. nige Zuschriften bekommen – verstehen nicht, dass der Arbeitgeber für sie Rentenversicherungsbeiträge entrich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – tet, diese sich aber in keiner Weise auf ihren Rentenan- Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Oh, spruch auswirken. oh, oh! – Katja Mast [SPD]: Nur die Über- schrift und nichts gewesen!) Bei all dem, was ich der Presse über die Koalitionsar- beitsgruppe entnehmen konnte, habe ich nie verstanden, – Doch. dass die Sozialdemokraten eisern daran festhalten, dass das so umstandslos nur der Rentenkasse zufließt, ohne Präsident Dr. Norbert Lammert: dass dem Ansprüche gegenüberstehen. Herr Kollege, Sie sollten aber jetzt ganz langsam zum (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja!) Mitschreiben sprechen. Wir wollen, dass sich die Rentenbeiträge, die der Arbeit- (Dr. [CDU/CSU]: Damit wir geber zahlt, auf die Ansprüche der Rentnerinnen und das auch verstehen! – Katja Mast [SPD]: Le- Rentner nachher auswirken und sie davon etwas haben. sen Sie doch mal die These Ihres Antrags vor!) Das steht ihnen auch zu. 11304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Markus Kurth (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Herr Kurth, wenn Sie nun dieser Regierung und der (C) Albert Stegemann [CDU/CSU]: Aber nicht so Großen Koalition in dieser Frage Führungsversagen vor- ungerecht, wie Sie das wollen!) halten, dann muss ich sagen: Offensichtlich ist die de- menzielle Erkrankung, sprich: die Altersverwirrung, bei Meine Damen und Herren, mein Kollege Wolfgang den Grünen weit vorangeschritten. Strengmann-Kuhn wird gleich noch auf einige Details eingehen können, die ich wegen der knappen Redezeit (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – nicht mehr unterbringen kann. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! – (Katja Mast [SPD]: Steht ja auch nicht im An- Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das hat trag!) doch sogar der Kollege Linnemann eben be- Wir werden dazu die Beratungen durchführen. Ziel ist stätigt!) es, Zeitsouveränität selbstbestimmt zu ermöglichen und das notwendige Maß an sozialer Absicherung denjeni- Warum? Am 1. Juli war es ein Jahr her, seit das Ren- gen zur Verfügung zu stellen, die darauf angewiesen tenpaket der Großen Koalition in Kraft getreten ist. Zu sind. Diese Kombination aus Selbstbestimmung und diesem Rentenpaket gehört eine ganz entscheidende Ge- Zeitsouveränität ist jedenfalls nach meiner Beobachtung setzesänderung, die wir miteinander durchgesetzt haben, etwas, was in diesem Haus nur die Fraktion der Grünen nämlich die Änderung des § 41 Satz 3 des Sozialgesetz- hinbekommen hat. buches VI. Darin heißt es jetzt – das möchte ich jetzt gerne vorlesen –: Vielen Dank. Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – beitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelal- Albert Stegemann [CDU/CSU]: Der Anspruch tersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien ist gut, der Antrag ist schlecht!) – also der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer – Präsident Dr. Norbert Lammert: durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnis- Peter Weiß ist der nächste Redner für die CDU/CSU- ses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch Fraktion. mehrfach, hinausschieben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- neten der SPD – Albert Stegemann [CDU/ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das die Flexi- CSU]: Lass’ Dampf ab!) rente?) (B) Das heißt, wir haben eine rechtliche Grundlage dafür (D) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): geschaffen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmerinnen Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! und Arbeitnehmer, wenn sie dies wollen, das Arbeitsver- Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Natürlich macht es hältnis deutlich über die Regelaltersgrenze hinaus fort- Spaß, im Parlament eine Rede mit Unterhaltungswert zu setzen können. hören. Aber auch zum Inhalt hätte man von den Grünen gerne etwas erfahren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das ist die Flexibilisierung, die wir geschaffen haben. Sie haben einen schönen Satz an den Anfang Ihres Insofern ist die Flexirente nicht etwa ein Fantasiege- Antrags gestellt: bilde, sie ist vielmehr seit einem Jahr gesetzlich in Kraft. Menschen sollen grundsätzlich selbst entscheiden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und können, wann und wie sie den Übergang vom Er- der SPD) werbsleben in den Ruhestand gestalten möchten. Ein weiterer Punkt: Auch die Deutsche Rentenversi- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Markus cherung hat reagiert. Bis vor kurzem hat jemand, der Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) kurz vor dem Renteneintritt stand, einen netten Brief von Vollkommen richtig. Das ist auch unser Ziel. Ich glaube, der Rentenversicherung bekommen, in dem es sinnge- das entspricht dem modernen Menschen. Wir wollen mäß hieß: Sie erreichen demnächst die Regelalters- mehr Flexibilität. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit- grenze. Wir empfehlen Ihnen, einen Rentenantrag zu nehmer können sich vorstellen, länger als nur bis zur Re- stellen. – Das haben die meisten so verstanden: Jetzt gelaltersgrenze zu arbeiten, andere wollen das nicht. muss ich aber schnell einen Antrag auf Rente stellen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Können In dem neuen Schreiben, das seit dem 1. Januar dieses das nicht! Oft!) Jahres an die künftigen Rentnerinnen und Rentner ver- sandt wird, heißt es: Wir möchten Sie darauf hinweisen, Wir wollen es jedem ermöglichen, dass er das, was er dass Sie einen Antrag bei Erreichen der Regelalters- möchte, für sich realisieren kann. grenze stellen können. – Es heißt also nicht „müssen“, (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sondern „können“. Es folgt eine Aufklärung darüber, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie was es bedeutet, wenn man zum Beispiel seinen Renten- es doch!) antrag nicht bei Erreichen der Regelaltersgrenze stellt, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11305

Peter Weiß (Emmendingen) (A) sondern weiterarbeitet. Das ist bisher verschwiegen wor- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) den. neten der SPD – Markus Kurth [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit vollen Abschlä- Für jedes Jahr, das ein Arbeitnehmer nach Erreichen gen! Mit Abschlägen!) der Regelaltersgrenze länger arbeitet, steigert sich sein Rentenanspruch um 6 Prozent. Das ist eine ordentliche Zahl. Dies zeigt: Länger arbeiten lohnt sich auch durch Präsident Dr. Norbert Lammert: mehr Rente. Lieber Kollege Weiß, darf der Kollege Kurth eine Zwischenfrage stellen? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Zuruf von der CDU/CSU: Er hat doch gerade der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE geredet! – Gegenruf des Abg. Matthias W. LINKE], an Abg. Markus Kurth [BÜND- Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht dazu! – NIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Das reicht, Gegenruf der Abg. [BÜND- Herr Kollege Kurth! Das reicht völlig! Mehr NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bitte! Manche brauchen wir nicht!) Dinge muss man inhaltlich klarstellen!) Was noch nicht ausreichend geregelt ist – darauf weist der Antrag der Grünen in der Tat hin –, was aber nicht Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): durch den Gesetzgeber geregelt werden kann, ist die Tat- Bitte schön. sache, dass die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses nicht durch ein Gesetz geregelt ist, sondern durch den Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Arbeitsvertrag. Entweder bezieht er sich auf einen Man- Herr Weiß, eines muss ich klarstellen. Ich habe fast teltarifvertrag, oder in dem Arbeitsvertrag ist ausdrück- vermutet, dass Sie der Versuchung nicht widerstehen lich festgehalten, dass das Arbeitsverhältnis automatisch können, unseren Antrag unvollständig wiederzugeben, ohne Kündigung mit dem Erreichen der Regelalters- um den Eindruck zu erwecken, dass wir ein neues Früh- grenze endet. verrentungsfenster öffnen. Ich habe vorhin ausdrücklich Es wäre wünschenswert, wenn Arbeitgeber und Ge- gesagt, dass das nicht unser Ziel ist. Unser Vorschlag, es werkschaften in ihren Manteltarifverträgen oder unsere zu ermöglichen, die Teilrente früher zu beziehen, wird Industrie- und Handelskammern und Handwerkskam- sich im Gegensatz zur Rente mit 63 und zur Mütterrente mern in ihren Musterarbeitsverträgen, die sie den Mit- nicht negativ auf die Rentenkasse auswirken, weil die gliedsbetrieben an die Hand geben, die Regelungen, die vollen Abschläge wirksam werden; das ist der entschei- wir ins Sozialgesetzbuch VI aufgenommen haben, über- dende Punkt. Zusätzlich sehen wir für gesundheitlich (B) nehmen würden, um klarzumachen: Jeder Arbeitnehmer Beeinträchtigte die Möglichkeit vor – darauf wird Herr (D) hat die Möglichkeit, vor seinem Ausscheiden aus dem Strengmann-Kuhn nachher noch näher eingehen –, diese Erwerbsleben mit dem Arbeitgeber frei darüber zu ver- Abschläge auszugleichen. Ansonsten werden mit dem, handeln, ob er den Arbeitsvertrag über die Regelalters- was wir vorschlagen, die Rentenkasse sowie die Bei- grenze hinaus verlängert. Das ist eine Aufgabe, die Ge- tragszahlerinnen und Beitragszahler nicht belastet. Sind werkschaften und Arbeitgeber in der Tat noch zu leisten Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: „… einer vollen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Altersrente“ steht da!) neten der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit der Debatte Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): über das Rentenpaket der Großen Koalition und auch da- Herr Kollege Kurth, das heutige Recht sieht wie folgt nach haben wir erlebt, dass vor allem die Fraktion Bünd- aus – um das allen Zuhörerinnen und Zuhörern zu erklä- nis 90/Die Grünen diesen Maßnahmenkatalog scharf kri- ren –: Ab dem Erreichen des 63. Lebensjahres kann ich tisiert, die Nachhaltigkeit der Finanzierung unserer vorzeitig in Rente gehen. Ich kann aber auch, wenn ich gesetzlichen Rente infrage gestellt will, eine Teilrente beantragen, zum Beispiel zu 50 Pro- zent in Rente gehen und zu 50 Prozent weiterarbeiten. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ Diese Grenze von 63 bleibt auch dann bestehen, wenn DIE GRÜNEN]: Ja! Alles zu Recht!) wir die Regelaltersgrenze von 67 haben. Es gibt eine und vor allen Dingen eine deutliche Polemik gegen die vierjährige Übergangszeit, in der Flexibilität herrscht. In sogenannte abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Bei- der Tat: Auf diese Rente werden im Vergleich zu dem, tragsjahren geführt hat. Nun wundere ich mich sehr, dass was sich erreichen lässt, wenn man erst mit 67 in Rente der Antrag der Grünen Folgendes vorsieht: Künftig soll geht, Abschläge erhoben. man die Rente ab 60 beantragen können. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Hor- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: rende Abschläge!) Nein!) Sie wollen diese Möglichkeit nun auf einen Zeitraum von 60 bis 67 ausdehnen. Was ist das für ein rentenpolitischer Zickzackkurs? Ge- gen die Rente mit 63 wird polemisiert, und jetzt wird die (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rente ab 60 beantragt. NEN]: Ja!) 11306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Entschuldigung, aber das bedeutet die Möglichkeit, frü- legt wird, dann kann man verlangen, dass er auch ein so- (C) her in Rente zu gehen. Dabei haben Sie bei der Rente mit lides Finanzierungstableau enthält. Aber das fehlt völlig. 63 gegen die Regelung polemisiert, die wir geschaffen Ein Antrag ohne Finanzierungsgrundlage ist wertlos. haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der SPD – Markus Kurth [BÜND- NEN]: Das ist kostenneutral! Es geht darum, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Rich- länger zu arbeiten!) tige, der die Rentenkasse plündert!) – Das ist doch für die Rentenkasse egal. – Zu diesem Zuruf „die Rentenkasse plündern“: Die Plünderer der Rentenkasse sind die Grünen, wenn wir Das Zweite ist: Die Abschläge bedeuten zwar, dass den vorliegenden Antrag annehmen. das für die Rentenkasse am Schluss pari aufgeht. Aber richtig ist auch: Zuerst einmal muss die Rentenversiche- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung für mehrere Jahre diese vorzeitige Rente mit hohen neten der SPD) Summen vorfinanzieren. Diese Belastung der Renten- In der Tat ist es erfreulich, dass die längere Lebenser- kasse erzeugen Sie. wartung der Menschen in unserem Land, die ja weiter Das Dritte, was Sie vorschlagen, ist, dass wir be- ansteigt, dazu führt, dass immer mehr Menschen bereit stimmten Beschäftigtengruppen diese Abschläge durch und in der Lage sind, länger zu arbeiten. Das hat wiede- Steuergelder ausgleichen sollen. rum dazu geführt, dass sich die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- letzten Jahren deutlich verbessert hat. Es ist nicht nur der NEN]: Nur gesundheitlich Beeinträchtigten! Anteil der Beschäftigten zwischen 60 und 65 Jahren Sie reden schon wieder nicht vollständig!) stark gestiegen, sodass mittlerweile 35 Prozent von ih- Da frage ich mich: Was ist das für eine Gerechtigkeit ge- nen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, son- genüber den Rentnerinnen und Rentnern? Der eine hat dern auch bei den über 65-Jährigen sind mittlerweile fast Abschläge bei der Rente hinzunehmen, die ihm ein Le- 9 Prozent in sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Da- ben lang bleiben, während dem anderen seine Abschläge mit liegen wir Deutsche übrigens im europäischen Ver- durch Steuermittel ausgeglichen werden. Herr Kollege gleich ganz vorne. Das ist ein erfreuliches Ergebnis. Kurth, was Sie hier vorschlagen, bedeutet, dass Sie für Wir als Koalition wollen diesen Trend weiter beflü- eine neue Ungerechtigkeit im Rentensystem sorgen und geln. Richtig ist: Ein Instrument ist die Teilrente, die zwei Klassen von Rentnerinnen und Rentnern schaffen. heute bereits ab 63 Jahren bezogen werden kann. Sie hat allerdings ein Hindernis, nämlich eine sehr komplizierte (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (D) Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Regelung zu den Hinzuverdienstgrenzen. Wir sind uns NEN]: Nein, falsch!) einig, dass diese Hinzuverdienstgrenzen reformiert wer- den müssen. Wenn die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf die Wichtigkeit der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen und (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- der Rentenfinanzierung hinweist und mahnt, darauf zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie?) achten, dass die Rentenversicherung generationenüber- Das wäre ein wichtiger Beitrag, um den Gesamtkomplex greifend sicher finanziert ist, dann kann sie keinen sol- der Flexibilisierung beim Renteneintritt zu vervollstän- chen Vorschlag wie den heutigen machen; denn das wi- digen. Den ersten großen und entscheidenden Schritt ha- derspricht jedem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt. ben wir mit der Reform, die wir vor einem Jahr be- (Beifall bei der CDU/CSU) schlossen haben, gemacht; der zweite Schritt, die Reform der Hinzuverdienstgrenzen, wird folgen. Interessant ist: Als es um das Rentenpaket der Großen Herr Kurth hat ja so grundsätzlich angefangen. Was Koalition vor einem Jahr ging, war es die Fraktion die Grünen heute vorlegen, ist kein rentenpolitisches Bündnis 90/Die Grünen, die mit Nachfragen ohne Ende Konzept, sondern eine rentenpolitische Irrfahrt, zumin- die exakte Finanzierung dargelegt haben wollte. Seither dest ein rentenpolitischer Zickzackkurs, weil sie das, stellt sie praktisch jede Woche eine Kleine Anfrage im was sie gestern verkündet haben, heute wieder infrage Deutschen Bundestag, in deren Mittelpunkt die Fragen stellen. stehen: Wie steht es um das Finanzierungstableau? Wel- che Kosten sind entstanden? – Aber heute wird uns ein (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antrag vorgelegt, der keine einzige Kostenberechnung NEN]: Sie sind ja bloß neidisch!) enthält. Das ist nicht solide. Über Geld sprechen die Grünen nicht. Geld gibt es offensichtlich wie Heu. Im Vergleich dazu ist die Rentenpolitik der Großen Ko- alition von Solidität und Seriosität gekennzeichnet. In (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- diesem Sinne wollen wir weitermachen. neten der SPD – Markus Kurth [BÜND- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist doch Erde ist eine Scheibe, ja!) Unsinn!) Vielen Dank. – Entschuldigung. Wenn ein solcher Antrag mit einer ganzen Reihe rentenpolitischer Maßnahmen – Garantie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rente ab 60 und Ausgleich durch Steuermittel – vorge- neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11307

(A) Vizepräsident : – Doch, Herr Brauksiepe. – Die Union will, dass die (C) Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Rentnerinnen und Rentner arbeiten bis zum Umfallen, Matthias W. Birkwald. weit über das Rentenalter hinaus. Ich sage: Diese Art von flexiblem Übergang brauchen wir nicht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorges- Die SPD will in eine andere Richtung als die Union. tern hatte das Rentenpaket mit der sogenannten Mütter- rente und der Rente ab 63 seinen ersten Geburtstag. (Dr. [CDU/CSU]: Da war der Kurth noch besser mit seinem Beitrag!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Selbst das Bundesarbeitsministerium beteiligt sich nicht mehr an dieser Zeitverschwendung, wie das Kollege Seit einem Jahr tagt auch Ihre Arbeitsgruppe für einen Linnemann genannt hat. Kein Wunder. Ein Jahr lang flexiblen Übergang in die Rente, die AG „Flexi-Rente“. läuft Ihre AG „Flexi-Rente“ nun. Was haben Sie vorge- Und was ist seit einem Jahr? Still ruht der See. Mit ande- legt? Nichts. Niente. Nietzsche. Nada. Null. So ist es. ren Worten: Die Große Koalition ist rentenpolitisch handlungsunfähig. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Ich mache Ihnen einen Vorschlag – das, was Herr Kurth gesagt hat, trifft nämlich auf die Linke zu –: Wir Dabei gibt es gute Gründe, über flexible Altersüber- Linken haben bereits im November 2014 einen Antrag gänge nachzudenken. Den wichtigsten kann ich Ihnen mit dem schönen Titel „Statt Rente erst ab 67 – Altersge- allen leider nicht ersparen. Die Rente erst ab 67 ist nach rechte Übergänge in die Rente für alle Versicherten er- wie vor für die übergroße Mehrheit der Beschäftigten leichtern“ eingebracht. Schauen Sie da einmal hinein; nicht zu schaffen. Darum fordert die Linke: Alle Arbeit- darin stehen gute Ideen, zum Beispiel: Weg mit den Ab- nehmerinnen und Arbeitnehmer sollen spätestens ab schlägen bei der Erwerbsminderungsrente! 65 Jahren abschlagsfrei aus guter Arbeit in die Alters- rente gehen können. Dafür müssen wir alles tun. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Wer wegen Krankheit in Rente gehen muss, dem darf doch die Rente nicht gekürzt werden. (B) Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die Kranken- (D) schwester und der Bauarbeiter in Rente gehen können, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten ohne am Ende ihres Berufslebens auf Hartz IV angewie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sen zu sein. Den Gesetzentwurf dazu hatten wir Linken übrigens (Beifall bei der LINKEN) schon direkt nach der Bundestagswahl im Oktober 2013 eingebracht. Und: Die Hartz-IV-Betroffenen dürfen Die Krankenschwester muss im Durchschnitt vor ihrem nicht mehr gegen ihren Willen in die Rente gezwungen 61. Geburtstag aus dem Beruf ausscheiden, und der Bau- werden. arbeiter kann durchschnittlich nur bis 57,5 Jahren schwere Steine schleppen. Dann geht es nicht mehr. Vor (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- allem für diese Menschen sollte die Große Koalition NIS 90/DIE GRÜNEN) nach Lösungen suchen. Diesen Antrag hat die Linke bereits im Februar in den (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Bundestag eingebracht. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Katja Mast [SPD]: Und nicht umgesetzt!) Ja, es stimmt: Die SPD setzt sich in der AG „Flexi- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich Rente“ dafür ein, dass besonders belastete Beschäftigte freue mich, dass Sie uns Linke hier unterstützen und vor dem 63. Geburtstag in die Rente gehen können sol- diese beiden Punkte in Ihren Antrag aufgenommen ha- len. ben. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich im Namen der (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner und der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben sie eben 63-jährigen Hartz-IV-Berechtigten. noch bestritten!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Okay, diese Zielrichtung stimmt. Aber, liebe Sozialde- Zimmer [CDU/CSU]: Das erste Mal, dass ein mokratinnen und Sozialdemokraten, seit einem Jahr las- Plagiat was taugt!) sen Sie sich von der Union ausbremsen, und das ist schlecht. Ihr Antrag enthält noch andere gute Vorschläge. Sie wollen die Erhöhung der Regelaltersgrenze für Schwer- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Ralf behinderte von 63 auf 65 Jahre zurücknehmen und das Brauksiepe [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar Aussortieren von älteren Arbeitslosen abschaffen. Gut nicht!) so! Hier sind wir uns einig. Das war es dann aber auch. 11308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Matthias W. Birkwald (A) In der FAZ vom 23. Juni 2015 war zu lesen – ich zi- Sie, liebe Grüne, schlagen vor, dass „Rentenbeiträge (C) tiere –: der Arbeitgeber künftig rentenwirksam und freiwillige Rentenbeiträge der beschäftigten Rentnerinnen und Jeder entscheidet ab 60 Jahren selbst, wann er in Rentner ermöglicht werden“. Ich sage Ihnen klipp und Rente geht. Wer früher in Rente geht, erhält eine klar: Davon halte ich gar nichts. Entweder jemand ist so- geringere, wer später geht, eine höhere Rente. zialversicherungspflichtig beschäftigt und will über (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- seine persönliche Regelaltersgrenze hinaus arbeiten. Wer NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist es doch!) das kann und das will, darf das tun – heute schon; das hat Herr Weiß berichtet. Dafür brauchen wir kein neues Ge- Das sagte Johannes Vogel, FDP-Bundesvorstandsmit- setz. Wer länger arbeiten will, bekommt dafür 6 Prozent glied. lebenslange Zuschläge pro Jahr auf seine Rente und den (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) üblichen Entgeltpunktanteil. Das bedeutet bei einer re- gulären Altersrente von 1 000 Euro: Ein Jahr länger ar- Bündnis 90/Die Grünen schlagen jetzt in die gleiche beiten gibt 1 090 Euro Rente. Anders gesagt: Es wird so Kerbe. Die Grünen wollen – ich zitiere aus ihrem Antrag – getan, als hätte er oder sie in diesem Jahr rund 9 000 „eine längere Teilhabe am Erwerbsleben … ermögli- Euro verdient. Ich finde, das ist attraktiv genug. chen“.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Vizepräsident Johannes Singhammer: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir uns zu- Herr Kollege Birkwald, darf ich Sie an die Redezeit fällig mal einig mit der FDP!) erinnern, welche schon ausreichend genutzt wurde? Im Handelsblatt vom 29. Juni heißt es – Zitat –: Der Vorschlag der Grünen zielt darauf ab, Ältere so Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): lange wie möglich im Job zu halten. … Jeder dürfte Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Lassen ab 60 gehen, aber mit vollen Abschlägen. Sie mich noch diesen Gedanken ausführen. – Oder aber Die Rückkehr von Rentnern ins Erwerbsleben soll jemand ist bereits in Altersrente; dann darf er oder sie gefördert werden, indem der Rentenbeitrag, den Ar- unbegrenzt hinzuverdienen und zahlt weder Beiträge zur beitgeber auch für sie zahlen, zu einer höheren Arbeitslosenversicherung noch Beiträge zur Rentenver- Rente führt. sicherung, hat also netto mehr in der Tasche. Ich finde, auch das ist attraktiv genug. Jetzt kommt es: (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE (B) Damit kommen die Grünen ähnlichen Forderungen (D) des CDU-Wirtschaftsflügels entgegen. LINKE]) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir dürfen die Grenze zwischen Erwerbsarbeit und NEN]: Wir sind doch nicht dafür verantwort- Ruhestand nicht weiter auflösen. Wir Linken wollen lich, was die FAZ schreibt! Das ist ja lächer- kein neues gesellschaftliches Leitbild des arbeitenden lich!) Rentners oder der rentenberechtigten Arbeiterin. Wir sind gegen Maloche bis zum Tode. Was wir brauchen, ist FDP und CDU-Wirtschaftsflügel, liebe Grüne, das eine armutsfeste und den Lebensstandard sichernde zeigt: Hier seid ihr auf dem Holzweg. Rente und ein deutlich höheres Rentenniveau. (Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth Herzlichen Dank. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, ist das billig! Das kannst du besser!) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Und die Erde ist eine Meine Damen und Herren, die Grünen sagen, man Scheibe!) soll schon vor 63 in Rente gehen können, aber dann eben mit noch höheren Abschlägen. Das klingt ja schön und einfach. Aber was bedeutet das? Der Jahrgang 1950 geht Vizepräsident Johannes Singhammer: ab 65 Jahren und vier Monaten in Rente. Ginge man Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Katja Mast. schon ab 61 in Rente, müsste man dann lebenslang 15,6 Prozent Abschläge von der monatlichen Rente von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sagen wir einmal 1 200 Euro in Kauf nehmen. Das der CDU/CSU) macht bei der aktuellen Lebenserwartung also rund – halten Sie sich an den Stühlen fest – 46 000 Euro Ver- Katja Mast (SPD): lust für den Mann und 54 250 Euro Verlust für die Frau. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Nein, liebe Liberale vom Wirtschaftsflügel der Union, und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Der Un- und nein, liebe Liberale von den Grünen, das ist keine terschied zwischen einer Koalitionsarbeitsgruppe und Grundlage für eine freie Entscheidung. Ihr Vorschlag ist Oppositionsanträgen ist, dass das, was wir in einer Koa- nur für Besserverdienende gut. Alle anderen können sich litionsarbeitsgruppe besprechen und beschließen, Reali- die Abschläge nicht leisten. Dieser Vorschlag ist sozial ungerecht, und darum lehnen wir ihn ab. tät wird, während Oppositionsanträge nicht umgesetzt werden. Das ist der wichtigste Unterschied an dieser (Beifall bei der LINKEN) Stelle. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11309

Katja Mast (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fragen immer an vorderster Front ist – kürzlich in seiner (C) der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des Studie „Fachkräfte 65 plus – Erwerbstätigkeit im Ren- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Markus tenalter“ sehr erhellende Erkenntnisse für unsere Debatte Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das in der Koalition publiziert hat, nämlich dass das Weiter- glauben Sie doch selbst nicht! – Dr. Wolfgang arbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus de facto nur Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- für zwei Gruppen infrage kommt. Die meisten derjeni- NEN]: Wann?) gen, die weiterarbeiten, nämlich über ein Viertel, sind sehr hoch qualifizierte und sehr gut verdienende Arbeit- Deshalb können wir es uns auch nicht so leicht machen nehmerinnen und Arbeitnehmer. wie die Grünen und nur Überschriften aufschreiben, ohne zu überlegen, welche Finanztableaus dahinterste- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist hen, sondern beschäftigen wir uns in unserer Arbeits- es!) gruppe sehr ernsthaft damit, wie wir flexible Übergänge Meist liegt es daran, dass sie eine individuelle Sinnhaf- in Rente ermöglichen. tigkeit in ihrem Job sehen; in der Regel sind sie im Alter (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – von 55 oder 66 Jahren aber auch in einem relativ guten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Gesundheitszustand. Für diese Zielgruppe ist die Frage: NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie?) „Bekomme ich 1,5 Prozent, 2 Prozent oder 3 Prozent mehr?“ am Ende des Tages in der Regel nicht von Rele- Aber bevor ich dazu komme, ist mir wichtig, noch vanz, diese Menschen arbeiten aus ganz anderen Grün- einmal zu betonen: Menschen, die über das Rentenein- den weiter. Die andere Gruppe, eine viel kleinere, sind trittsalter hinaus keine Rente beziehen und weiterarbei- diejenigen, die Renten deutlich unter 1 100 Euro bekom- ten, bekommen pro Monat ein halbes Prozent mehr men, die de facto arbeiten müssen, weil sie sonst mit ih- Rente, das heißt am Ende des Jahres 6 Prozent. Weil sich rer Rente nicht klarkommen. – Das sind die zwei großen das Einkommen auch noch rentensteigernd auswirkt, Gruppen. In der Mittelschicht gibt es kaum Beschäfti- sind es am Ende des Jahres 8 bis 10 Prozent mehr Rente gung über das Rentenalter hinaus. pro Jahr der Weiterbeschäftigung. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein biss- stimmt!) chen zu einfach!) Das ist sehr attraktiv. Allerdings wissen viele Bürgerin- Wir haben uns in der Koalition – ich will doch noch nen und Bürger das nicht. Deshalb kann es heute an die- auf den Einsetzungsbeschluss für unsere Koalitionsar- sem Rednerpult gar nicht oft genug gesagt werden. beitsgruppe eingehen, weil das bisher nicht gemacht (B) (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – worden ist – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da hat (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- die Kollegin recht!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz wichtig! Ein- Die Koalition hat zum Thema „Flexible Übergänge in setzungsbeschluss zu einer Koalitionsarbeits- Rente“ auch schon gehandelt; der Kollege Weiß hat es gruppe!) vorhin gesagt. drei Ziele vorgenommen: Wir haben flexibleres Arbeiten (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze vereinbart. Wir NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann die Ar- haben attraktives Weiterarbeiten nach Erreichen der Re- beitsgruppe ihre Arbeit ja einstellen!) gelaltersgrenze vereinbart. Wir haben vereinbart, uns über das Thema Zwangsverrentung auszutauschen. – Wir haben § 41 SGB VI verändert und Unsicherheiten Alle drei Punkte sind Bestandteil des Auftrags unserer bei der Weiterbeschäftigung Älterer beseitigt und flexi- Arbeitsgruppe und werden von uns sehr ernsthaft und bles Weiterarbeiten ermöglicht, indem das Rentenein- konsequent verfolgt. trittsalter durch eine gemeinsame Vereinbarung von Ar- beitnehmern und Arbeitgebern nach hinten verschoben (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- werden kann. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil es NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Jahre wol- da sehr viel Rechtsunsicherheit gab. Im Übrigen steht in len Sie noch daran arbeiten? – Matthias W. keinem Gesetz, dass man mit 65, 66 oder 67 Jahren auf- Birkwald [DIE LINKE]: Nur drei Punkte, und hören muss. nach einem Jahr kommt immer noch nichts raus!) (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!) Weil uns von der SPD die Frage „Wie schaffen wir es, dass Menschen gesund und fit und mit guter Arbeit bis Das ist in der Regel in Arbeits- oder Tarifverträgen gere- zum Renteneintrittsalter arbeiten können?“ am meisten gelt. Deshalb war es so wichtig, das an dieser Stelle noch beschäftigt und wir wissen, dass wir in der Arbeitswelt einmal klarzustellen. viel verbessern müssen, will ich einige unserer Leitfra- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen für diese Arbeitsgruppe noch einmal reflektieren: der CDU/CSU) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Ich finde, dass das Institut der deutschen Wirtschaft NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wäre es denn – zugegebenermaßen kein Institut, das in Arbeitnehmer- mal mit Antworten statt Fragen?) 11310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Katja Mast (A) Sind alle Menschen, die in Erwerbsminderungsrente 65 und 74 Jahren in den vergangenen Jahren mehr als (C) sind, zu Recht darin, und müssen sie darin bleiben? verdoppelt. Während im Jahr 2000 noch 3,7 Prozent der Hätte man nicht durch klügeres, früheres Agieren, durch Menschen in der genannten Altersgruppe erwerbstätig Prävention bei Gesundheit und Qualifizierung viel mehr waren, lag der Anteil 2013 bereits bei 8,7 Prozent, und erreichen können? das bei weiterhin steigender Tendenz. Die Steigerung er- scheint mir logisch und nachvollziehbar. Längere (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Erwerbstätigkeit wird heute meist positiv bewertet, posi- der CDU/CSU) tiver als in früheren Jahren. Sie bedeutet für den Einzel- Es gibt auch Menschen, die für die Erwerbsminderungs- nen die Beibehaltung eines jahrzehntelangen Tages- rente zu gesund sind, aber zu krank, um Vollzeit weiter- rhythmus, Austausch, soziale Kontakte mit Kollegen, zuarbeiten. Ich rede über Bauarbeiter, Pflegekräfte, Anerkennung in der Gesellschaft. Eine niedrige Rente ist Krankenschwestern. Diese verlieren häufig im Alter von für viele Ältere eben nicht der ausschlaggebende Grund, 55 Jahren ihren Job und bekommen dann 24 Monate im Rentenalter weiterzuarbeiten. Die Menschen arbeiten lang Arbeitslosengeld. Ist es klug, die Arbeitslosigkeit länger, weil sie es wollen. zu finanzieren, oder finden wir nicht Modelle, die da an- setzen und die Arbeit von Menschen finanzieren, viel- Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass nicht nur die leicht auch Teilzeit? Gründe des Einzelnen für ein längeres Arbeiten spre- chen. Auch für den derzeitigen Arbeitsmarkt und das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutsche Rentensystem ist eine Verlängerung der Er- DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Strengmann- werbstätigkeit zu begrüßen. Den demografischen Wan- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ma- del und den Renteneintritt von vielen älteren Arbeitneh- chen!) mern spüren viele Betriebe in Deutschland bereits jetzt. Viele Firmen blicken mit Sorge auf den drohenden Fach- Ist es richtig, mit der Teilrente so spät anzufangen? Muss kräftemangel, wenn die älteren Mitarbeiter ihre Er- sie nicht früher beginnen, muss sie nicht flexibler sein? werbstätigkeit beenden. Immer mehr Arbeitgeber versu- Muss man nicht besser und klarer hinzuverdienen kön- chen, mit flexiblen Arbeitszeiten und Prämien ihre nen? Ist es richtig, dass derjenige, der früher in Rente Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Leider beenden geht, nur 450 Euro pro Monat hinzuverdienen kann? heute viele Beschäftigte ihre Erwerbstätigkeit, obwohl Wäre es nicht besser, ein bisschen mehr hinzuverdienen sie noch weiterarbeiten wollen. Eines ist sicher, verehrte zu können? Last but not least: Reha und Prävention zu Kolleginnen und Kollegen: Wir dürfen die erprobte Er- stärken, ist ein gemeinsames Anliegen. Wir reden immer fahrung und das Wissen von älteren Arbeitnehmerinnen von „Reha vor Rente“. Brauchen wir in der Politik nicht und Arbeitnehmern nicht verschwenden. (B) einen neuen Grundsatz, der lautet: Prävention vor Reha? (D) (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, dass wir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur den rechtlichen Rahmen für flexiblere Übergänge vom Fragen stellen! Sie sind in der Regierung! Ein- Erwerbsleben in den Ruhestand verbessern werden. Ei- fach mal was tun!) nen ersten Schritt in die richtige Richtung haben wir in der Großen Koalition mit dem Gesetz über Leistungsver- Wir wissen, dass das, was wir aufschreiben, für alle besserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung ge- Gültigkeit entfaltet. Gut Ding will Weile haben. Wir macht, das am 1. Juli 2014, also vor fast genau einem brauchen nicht nur Überschriften, wie im Antrag der Jahr, in Kraft getreten ist. Arbeitnehmer und Arbeitgeber Grünen, ohne ein Finanzierungstableau. Sie werden un- können sich demnach noch während des laufenden Ar- sere Ergebnisse noch in diesem Jahr kennenlernen. beitsverhältnisses darauf verständigen, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinauszuschieben. Dies ist ins- Vielen Dank. besondere dann sinnvoll, wenn noch kein Ersatz für den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ausscheidenden Arbeitnehmer gefunden wurde oder eine der CDU/CSU) Nachwuchskraft noch nicht vorhanden ist bzw. eingear- beitet werden muss. Vizepräsident Johannes Singhammer: Diese Änderung ist jedoch nicht ausreichend; denn es Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Matthäus geht um mehr. Im Kern müssen wir den Arbeitnehmerin- Strebl. nen und Arbeitnehmern mehr Flexibilität ermöglichen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Die Arbeitsgruppe der Koalition befasst sich deshalb mit Dr. Martin Rosemann [SPD]) Fragen des flexiblen Übergangs in die Rente. Dabei stellt sie sich vor allem die Frage: Wie können wir ver- nünftige und einfache Anreize schaffen, um längeres Ar- Matthäus Strebl (CDU/CSU): beiten attraktiver zu gestalten? In der Arbeitsgruppe Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen widmen sich die Kollegen Themen wie Hinzuverdienst- und Kollegen! Bis vor einigen Jahren endete die Berufs- grenzen, Arbeitgeberbeiträge und Rehabudget. tätigkeit für viele Menschen in Deutschland mit dem Er- reichen des Renteneintrittsalters. Das hat sich geändert. Erfreulich ist, dass wir fraktionsübergreifend die Hierzu möchte ich einige Zahlen nennen: Nach einer Überzeugung teilen, dass das Weiterarbeiten von Be- Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft schäftigten jenseits des Renteneintrittsalters nicht finan- Köln hat sich der Anteil der Erwerbstätigen zwischen ziell bestraft werden darf. Deshalb begrüße ich grund- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11311

Matthäus Strebl (A) sätzlich die Überlegungen, die Hinzuverdienstgrenze für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) Vollrenten vor dem Erreichen der Regelaltersgrenze zu Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- erhöhen. Welcher Betrag statt der derzeit 450 Euro sinn- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!) voll ist, wird noch diskutiert. Es ist sicher eine gute Idee, sich hier an der Gleitzone zu orientieren und die Grenze Wenn jeder so viel hinzuverdienen kann, wie er früher bei 850 Euro, um eine Hausnummer zu nennen, festzule- netto verdient hat, führt das zu einer gravierenden Un- gen. Mit der Teilrente könnte übrigens auch ein einfa- gleichbehandlung zwischen den kommunalen Ehrenbe- cheres Anrechnungsmodell verbunden werden. Ganz ab- amten. Den Antrag halte ich nicht für zielführend. Er schaffen sollten wir die Hinzuverdienstgrenzen jedoch hilft auch nicht, das kommunale Ehrenamt zu stärken. nicht. Wir müssen hier genau abwägen, um eine Früh- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- verrentungswelle zu vermeiden. Dabei sollten wir vor al- NEN]: Das ist ja nur ein Übergangsantrag! lem klare und einfache Lösungen finden, um den büro- Schaffen Sie doch eine vernünftige Anrech- kratischen Aufwand zu reduzieren. Auch sollten wir nungsregelung! Dann brauchen wir den An- darüber diskutieren, ob sich die gezahlten Arbeitgeber- trag nicht! Das ist ein Stillstand der Rechts- beiträge rentenerhöhend auswirken sollten. Mit diesen pflege bei Ihnen!) Ideen können wir längeres Arbeiten attraktiver gestalten und Anreize schaffen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße es, dass sich die Arbeitsgruppe der Großen Koalition In Ihrem Antrag fordern Sie von der Fraktion Bünd- zum flexiblen Renteneintritt weiter beraten und austau- nis 90/Die Grünen, die Beschäftigungssituation älterer schen wird. Wir sollten uns bei einem so wichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich zu ver- Thema ausreichend Zeit nehmen und keinen Schnell- bessern, und bringen auch eine Anti-Stress-Verordnung schuss riskieren. Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/ ins Spiel. Natürlich obliegt es der Politik, den Sozialpart- Die Grünen lehnen wir daher ab. nern und den Betrieben, die Arbeitswelt altersgerecht anzupassen und der Leistung entsprechende Arbeits- Herzlichen Dank. plätze zu schaffen. Grundsätzlich halte ich es für erstre- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- benswert, die Beschäftigungssituation für Beschäftigte neten der SPD – Markus Kurth [BÜND- aller Altersklassen zu verbessern. Ob eine Anti-Stress- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Beraten Sie sie doch Verordnung tatsächlich hilft, ist zu bezweifeln. erst einmal!) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Das ist ganz sicher!) Vizepräsident Johannes Singhammer: Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion (B) (D) Ich sehe da schon Schwierigkeiten, allgemeingültige und Die Linke die Kollegin Kerstin Kassner. rechtssichere Kriterien für unterschiedliche Beschäftigte und unterschiedliche berufliche Tätigkeiten festzulegen. (Beifall bei der LINKEN) Ihr Konzept der Garantierente mit einem Mindestni- Kerstin Kassner (DIE LINKE): veau von 850 Euro für Versicherte mit 30 oder mehr Ver- sicherungsjahren halte ich für schwer finanzierbar. Auch Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin- lässt sich die Garantierente schwer mit dem Äquivalenz- nen und Kollegen! Liebe Gäste! Das Thema, das uns mit prinzip des deutschen Rentenversicherungssystems ver- der Drucksache 18/5213 auf den Tisch gelegt wurde, einbaren. geht uns alle an. In Zeiten knapper Kassen, namentlich in den Kommunen, wird immer mehr auf das Ehrenamt (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- gesetzt. Vieles, was vorher von hauptamtlichen Mitar- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Sehr beitern geregelt wurde, wird jetzt durch ehrenamtlich gut!) Engagierte – Gott sei Dank haben wir sie – erledigt. Es gibt aber Grenzen. Diese Grenzen gibt es immer im Zu- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, in sammenspiel mit Menschen, mit Kindern. Es wird nicht Ihrem zweiten Antrag widmen Sie sich dem kommuna- nur guter Wille gebraucht, sondern auch Wissen und len Ehrenamt und den Aufwandsentschädigungen. Da- Können, insbesondere bei den kommunalen Mitstreitern, mit möchte ich mich ganz kurz auseinandersetzen. Ohne den kommunalen Ehrenämtern. Dort wird eine riesen- ehrenamtliches Handeln – darin sind wir uns einig – große Verantwortung wahrgenommen. Es geht nicht nur würde in vielen Bereichen des sozialen und politischen um eine sinnvolle Freizeitgestaltung. Lebens Stillstand herrschen. Menschen engagieren sich in den verschiedensten Bereichen: in Sportvereinen, (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Feuerwehren, Kirchen oder Parteien. Für die CDU/CSU- NIS 90/DIE GRÜNEN) Fraktion hatte das Ehrenamt schon immer einen hohen Sie haben Verantwortung für Geld, aber in allererster Stellenwert. Wir sprechen jedem Menschen hohe Aner- Hinsicht für Menschen; denn die kommunalen Mitstrei- kennung aus, der in seiner Freizeit Verantwortung für ter entscheiden über Stellenpläne und sorgen dafür, dass das Gemeinwesen übernimmt. Die Übergangsregelung in den kommunalen Einrichtungen noch etwas läuft. Da- für die kommunalen Ehrenbeamten haben wir bis 2017 mit haben sie sehr viel zu tun. verlängert. Ich halte Ihren Antrag zwar von der Idee her für richtig; die Umsetzung würde aber zu einer Un- Aus diesen Gründen ist es für mich unverständlich, gleichbehandlung führen. dass es seit zehn Jahren – nun noch einmal verlängert 11312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Kerstin Kassner (A) um zwei Jahre – eine Übergangsfrist für Menschen gibt, Dr. Martin Rosemann (SPD): (C) die vorgezogene Altersrente oder Erwerbsunfähigkeits- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und rente bekommen und sich in den Kommunen engagie- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu ren. Viele, die die vorgezogene Altersrente oder die Er- Beginn meiner Rede der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- werbsunfähigkeitsrente in Anspruch nehmen, machen nen sehr herzlich danken, dass Sie mit Ihrem Überschrif- das nicht freiwillig, sondern weil die Umstände sie dazu tenantrag uns die Gelegenheit zu der heutigen Debatte gezwungen haben. Für sie ist es sehr wichtig, dass sie geben und damit mir die Möglichkeit, die Position der eine Aufgabe haben, die sie ausfüllt und mit der sie et- SPD-Bundestagsfraktion zum Thema „flexible Über- was bewegen können. Viele sind einsam und bekommen gänge“ deutlich zu machen. durch das Ehrenamt Kontakte mit anderen; andere haben einfach Spaß am Ehrenamt, weil sie etwas befördern Was bedeuten für uns flexible Übergänge? Sie bedeu- können. Ich glaube, das ist ein Riesengewinn für unsere ten nicht einen früheren Renteneintritt. Denn wenn wir Gesellschaft. im Durchschnitt, liebe Kolleginnen und Kollegen, im- mer älter werden, dann müssen wir im Durchschnitt (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- auch länger arbeiten. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Warum? ten der CDU/CSU) Produktivitätssteigerung gibt es nicht?) Sie sollten für ihre verantwortungsvolle Arbeit nicht mit Hierzu müssen flexible Übergänge einen Beitrag leisten. einem Grundbetrag bestraft werden, den sie hinzuverdie- nen können, sondern das bekommen, was ihnen zusteht, (Beifall der Abg. [SPD]) wie jeder andere auch. Es geht beim Thema „flexible Übergänge“ aber nicht (Beifall bei der LINKEN) nur darum, das Arbeiten über die Regelaltersgrenze hi- naus attraktiver zu machen; denn das Kernproblem – da- Ein weiterer Aspekt betrifft die Bezieher von Hilfen rauf haben einige Vorrednerinnen und Vorredner schon im Rahmen von SGB XII oder SGB II. Sie dürfen nur hingewiesen – ist ja nicht, dass man es nicht dürfte oder den Grundfreibetrag von 175 Euro behalten. Das ist ein- dass es dafür keine Anreize gäbe. Es gibt keinerlei ren- fach zu wenig. tenrechtliche Hürde für ein Weiterarbeiten über die Re- gelaltersgrenze hinaus. Es gibt sogar Zuschläge – es ist (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. gesagt worden –: 6 Prozent mehr Rente für jedes zusätz- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- liche Jahr. Hinzu kommen die Entgeltpunkte, die man NIS 90/DIE GRÜNEN]) dann zusätzlich erwirbt. Das bedeutet für einen Stan- (B) dardrentner: Wenn er ein Jahr länger arbeitet, hat er pro (D) In meiner Zeit als Landrätin und als Chefin vom Jobcen- Monat circa 110 Euro mehr in der Tasche. Das ist ja ter standen Bürgerinnen und Bürger vor mir, die fragten, nicht nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen. warum das so ist. Ich musste ihnen dann die Gesetzes- lage erklären, und sie waren natürlich unzufrieden. Da (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – ich heute hier stehe, kann ich nur an Sie appellieren, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für weniger SPD: Bitte ändern Sie etwas an dieser Situation! Die Jahre! Das ist ja nicht äquivalent!) Menschen, die sich engagieren, haben das wirklich ver- dient. Das Problem ist doch eher: Die meisten wissen es nicht. Das geht bis in die Medienberichterstattung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hinein. Vor einigen Monaten konnte man bei Spiegel neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Online lesen – ich zitiere –: Es ist einfach unwürdig, wenn wir ihnen nicht das geben, Wer will, soll länger arbeiten können – das fordert was ihnen zusteht und was jeder andere bekommt. Ich der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank- weiß auch: Viele davon könnten sich sehr viel weniger Jürgen Weise. engagieren, wenn ihnen diese Möglichkeit genommen Ich muss zugeben, dass ich zuerst Herrn Weise im Ver- würde. Ich glaube, wir gewinnen als Gesellschaft insge- dacht hatte. Nähere Recherchen haben dann aber ge- samt ungeheuer dadurch, dass die Menschen bereit sind, zeigt: Der Fehler lag bei der Spiegel-Online-Redaktion. sich zu engagieren. Das sollten wir entsprechend hono- rieren. So viel muss einfach drin sein. (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt bei denen Ich danke Ihnen. öfter vor!) (Beifall bei der LINKEN) Die Spiegel-Online-Redaktion befindet sich da durchaus in guter Gesellschaft, beispielsweise mit SWR1 Arbeits- platz oder – ganz aktuell in dieser Woche – mit Vizepräsident Johannes Singhammer: Beckmann. Nächster Redner ist der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben sie wieder den Weise mit dem Weiß verwech- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) selt!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11313

Dr. Martin Rosemann (A) Dabei – darauf ist von Frau Mast schon hingewiesen 60 Jahren, ob mit Abschlägen, wie Sie es fordern, oder (C) worden – sind die letzten arbeitsrechtlichen Hürden mit ohne Abschläge, wie das die Linke fordert. dem ersten Rentenpaket beseitigt worden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD) Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das wollen wir doch auch nicht! Dann Deshalb meine ich: In allererster Linie ist eine bessere haben Sie etwas nicht verstanden!) Informationspolitik notwendig, damit deutlich wird, was möglich ist und was ein längeres Arbeiten über die Re- Wir haben Vorschläge zur Stärkung von Prävention gelaltersgrenze hinaus bedeutet. und Reha gemacht. Wir müssen dabei insbesondere die- jenigen erreichen, die besonders gefährdet sind, nicht bis (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zur Regelaltersgrenze arbeiten zu können. Wir müssen Das Kernproblem ist aber doch, dass trotz insgesamt hier rechtzeitig Angebote machen – nicht erst, wenn das steigender Erwerbsbeteiligung Älterer viele Arbeitneh- Kind schon in den Brunnen gefallen ist –, zum Beispiel merinnen und Arbeitnehmer es eben nicht bis zur Regel- durch aufsuchende Reha. Im Einzelfall kann mit 45, altersgrenze schaffen. Herr Birkwald hat es angespro- 46 oder 48 Jahren eine berufliche Umorientierung not- chen: In der Baubranche liegt das durchschnittliche wendig sein. Ausstiegsalter unter 58 Jahren, in den Gesundheits- Genauso wichtig finde ich es, dass wir endlich Teil- dienstberufen bei knapp 61 Jahren, bei den Hilfsarbei- zeitarbeitsverhältnisse für jene Menschen schaffen, die tern über alle Branchen hinweg bei 59 Jahren. Dafür, häufig nur teilerwerbsgemindert sind, aber trotzdem bis- meine Damen und Herren, brauchen wir eben auch Lö- her die volle Erwerbsminderungsrente bekommen, weil sungen. Deshalb ist es das Ziel der SPD, die Arbeitneh- es auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechenden Teil- merinnen und Arbeitnehmer bei möglichst guter Ge- arbeitsverhältnisse gibt bzw. weil das Zusammenspiel sundheit möglichst lange im Arbeitsleben zu halten. von Rentenversicherung und Bundesagentur für Arbeit an dieser Stelle noch nicht gut genug ist. Daran müssen (Beifall bei der SPD) wir arbeiten. Denn für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten deutet es höhere Rentenanwartschaften, und den Arbeit- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE gebern sichert es die dringend benötigten Fachkräfte. GRÜNEN) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Sie sehen also: Bei der Diskussion um flexible Über- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wie?) gänge geht es um weit mehr als um ein paar Verbesse- (B) (D) Dafür, meine Damen und Herren, gibt es zwei zen- rungen bei der Teilrente. Es geht auch um weit mehr als trale Ansatzpunkte: erstens Übergänge zu flexibilisieren um das Arbeiten oberhalb der Regelaltersgrenze. „Flexi- und gleitende Ausstiege zu ermöglichen, zweitens Prä- ble Übergänge“ ist eines der großen Themen an der vention und Rehabilitation zu stärken. Wir haben zu bei- Schnittstelle von Arbeitsmarkt- und Alterssicherungs- dem Vorschläge gemacht. Wir wollen die Teilrente at- politik. Ein so großes Thema verlangt mehr als Über- traktiver machen. schriften. Deshalb nehmen wir uns die notwendige Zeit, um Lösungen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zu finden. NEN]: Wir auch! – Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – auch! Ab 60!) Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der letzte Satz klang schon ein biss- Wir wollen die bisher zu starren drei Stufen flexibilisie- chen resigniert!) ren und die Hinzuverdienstgrenzen bei vorzeitigem Ren- tenzugang großzügiger ausgestalten. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn für die NEN]: Alles richtig! – Dr. Wolfgang Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der nächste Redner. Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann können Sie unserem Antrag ja Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/ zustimmen!) DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie Wir wollen aber auch, dass ein gleitender Übergang hatten relativ lange Zeit, sich um das Thema „flexible bereits vor dem 63. Geburtstag möglich ist: bei gesund- Rentenübergänge“ zu kümmern. In Bezug auf die Pro- heitlichen Einschränkungen oder bei Modellen, die das blembeschreibung sind wir uns einig, aber wenn es um Arbeitsvolumen insgesamt erhöhen. So hat zum Beispiel eine Lösung geht, dann sind Sie sehr blockiert. Diese die IG BCE ein Modell vorgeschlagen, dass man von Debatte macht sehr deutlich, dass die Grünen an dieser 60 Jahren bis zur Regelaltersgrenze 60 Prozent arbeitet. Stelle die Partei der Freiheit sind. Das ist mehr, als wenn man, wie bisher häufig, von 60 bis 63 Jahren voll arbeitet und danach gar nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Was wir nicht wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – von den Grünen, das ist die volle Altersrente bereits ab Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Den Ver- 11314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (A) dacht hatte ich schon immer! Grün ist das neue (Katja Mast [SPD]: Aber mit diesen Konzep- (C) Gelb!) ten nicht!) Deswegen habe ich auch überhaupt kein Problem, wenn Ich will verdeutlichen, was wir vorschlagen. Es ist der Kollege uns als liberal bezeich- wichtig, Freiheit und soziale Sicherung miteinander zu net. Wir sind aber auch die Partei für soziale Gerechtig- kombinieren. In der Tat hatte die FDP ähnliche Vor- keit. Deswegen unterbreiten wir mit unserem Antrag ei- schläge wie wir. Diese Vorschläge orientieren sich an nen Vorschlag, in dem wir Flexibilität und soziale dem skandinavischen Modell. Wir haben nichts dage- Sicherung kombinieren. Daran sollten Sie sich in Ihrer gen, wenn auch die FDP nach Skandinavien schaut, wo Arbeitsgruppe orientieren, dann kommen Sie vielleicht man mit der Kombination aus Freiheit und sozialer Si- auch voran, und das sowohl bei den Möglichkeiten nach cherung gerade beim Thema Rente gute Erfahrungen ge- oben als auch nach unten. macht hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die CDU/CSU betont, dass es mehr Flexibilität nach Bezogen auf die Teilrente heißt das: Wir wollen es oben gibt, die SPD betont, dass es mehr Flexibilität nach Menschen ermöglichen, ab 60 teilweise Rente in An- unten gibt. spruch zu nehmen, und zwar damit sie die Möglichkeit haben, länger zu arbeiten. (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ergänzt sich das doch prima!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sagen: Wir brauchen Flexibilität in beide Richtun- NEN]: Das ist der Punkt!) gen, damit die Menschen selbstbestimmt entscheiden können, ob sie früher oder später in Rente gehen. Wir wollen eine Reduzierung der Arbeitszeit plus so- ziale Sicherung. Die empirischen Studien zeigen, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Menschen in Skandinavien länger arbeiten, obwohl Zum Thema „länger arbeiten“. Hier ist es wichtig es dort die Möglichkeit gibt, ab 60 Teilrente zu bekom- – mein Kollege Markus Kurth hat das schon gesagt, aber men. Sie sind nicht darauf eingegangen –, dass die Beiträge, Bezüglich der Menschen, die besondere gesundheitli- die die Arbeitgeber in die Rentenkasse einzahlen, auch che Probleme haben, muss man tatsächlich über die Ab- zu höheren Rentenansprüchen führen. schläge nachdenken; aber das ist eine eng begrenzte (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei Gruppe. Wir schlagen vor, dass die Erwerbsgeminderten, (B) Rentnern? Warum?) also diejenigen, die gesundheitlich beeinträchtigt sind, (D) ohne Abschläge in Rente gehen können. Dann gibt es Das würde die soziale Sicherheit erhöhen, und das noch die Gruppe derjenigen, die nicht erwerbsgemindert würde auch den Anreiz, länger zu arbeiten, erhöhen. sind, aber auch nicht voll erwerbsfähig sind. Für diese Menschen, die länger arbeiten, würden belohnt werden. Gruppe brauchen wir eine Lösung, um die Abschläge Das ist ein wichtiger Punkt, um Flexibilität nach oben zu auszugleichen, damit auch sie sich eine Teilrente leisten ermöglichen. können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann gibt es Lohndumping! Das wollen wir nicht!) Auf die weiteren Punkte kann ich jetzt nicht mehr ein- gehen. Wir schlagen vor, Flexibilität, Freiheit und so- – Es gab eben den Zwischenruf: „Dann gibt es ziale Sicherheit miteinander zu verbinden. Die Skandi- Lohndumping!“ Im Gegenteil: Zu Lohndumping kommt navier haben damit gute Erfahrungen gemacht. Dort ist es dann, wenn, wie der Wirtschaftsflügel der CDU/CSU das Renteneintrittsalter gestiegen, ist die Erwerbstätig- es vorgeschlagen hat, keine Beiträge mehr gezahlt wer- keit im Alter gestiegen. Dort gibt es sowohl die Mög- den. lichkeit, länger zu arbeiten, als auch die Möglichkeit, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann früher in Rente zu gehen. erst recht!) Wenn Sie Freiheit und soziale Sicherung haben wol- Deswegen sagen wir: Die Beiträge sollen weiter gezahlt len, dann orientieren Sie sich an unserem Antrag. Wenn werden, und es soll die Möglichkeit geben, dass die Ar- Sie ihm schon nicht zustimmen, dann nehmen Sie ihn beitnehmer freiwillige Beiträge zahlen, die dann renten- wenigstens mit in Ihre Koalitionsarbeitsgruppe. steigernd wirken. So wird ein Schuh daraus. Vielen Dank. Ich gebe dem Kollegen Rosemann durchaus recht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wenn er sagt, dass die Möglichkeit, früher auszusteigen, tatsächlich die sozial relevantere ist. In vielen Punkten Vizepräsident Johannes Singhammer: kann ich Ihnen durchaus zustimmen. Ich glaube, wenn Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carsten wir in einer Koalitionsarbeitsgruppe zusammenarbeiten Linnemann für die CDU/CSU. würden, würden wir sehr viel schneller zu einem Ergeb- nis kommen, als das bei der jetzigen Koalition der Fall (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ist. neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11315

(A) Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): – Ja, das mache ich. – Dafür schauen Sie sich die (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung an, bei der 64- und Lieber Martin Rosemann, ich reihe mich gerne ein: 65-Jährige gefragt wurden, warum sie gern sozialversi- Auch ich bedanke mich dafür, dass Sie dieses Thema in cherungspflichtig weiterarbeiten. Das Ergebnis ist ganz die Kernzeit und nicht in die Randzeit unserer Plenartage interessant. An Stelle eins steht: Spaß an der Arbeit. Das geschoben haben. Das Thema „Arbeiten im Alter“ ist sagten fast 75 Prozent. Drei Viertel derjenigen, die im wichtig. Ich freue mich auf die Diskussionen im Aus- Rentenalter länger arbeiten, machen das nicht wegen des schuss. Bisher kam aber, glaube ich, der Umstand, wa- Geldes, sondern aus Spaß an der Arbeit. An zweiter rum wir über dieses Thema reden, ein bisschen zu kurz. Stelle steht der Wunsch nach einer Aufgabe und an drit- ter Stelle der Kontakt zum Menschen. Das sind die Top Jeder geht dieses Thema auf seine eigene Art und drei der Gründe, warum man länger arbeitet. Erst danach Weise an. Für mich sind drei Zahlen interessant: kommen die finanziellen Gründe. Ich glaube, das sollten Erstens. Alle Institutionen Deutschlands sagen, dass wir mehr beachten. Denn manchmal hat man den Ein- das Arbeitskräftepotenzial in den nächsten 10, 20 Jahren druck, dass Arbeit gar kein Wert an sich ist, sondern dass zurückgehen wird. Manche sprechen von 6 Millionen, man das nur wegen des Geldes machen muss. Viele ar- andere von 8 Millionen; aber alle sind sich einig, dass beiten auch deshalb, um weiter Kontakte und Teilhabe das Arbeitskräftepotenzial signifikant zurückgehen wird. im Leben zu haben. Zweitens. Die Babyboomer-Generation geht in diesen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jahren in Rente. Man kann sagen, dass in den nächsten neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE 10 Jahren durchschnittlich 300 000 Menschen mehr den GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE Arbeitsmarkt verlassen als hinzukommen. LINKE]: Wir kümmern uns vor allen Dingen um die kleinen Leute, die es brauchen!) Drittens. Die Rentenbezugsdauer ist von 10 auf 20 Jahre gestiegen. 1960 betrug sie knapp 10 Jahre. Da- Herr Kurth, wir können uns gerne im Ausschuss da- mals hat man nach dem Renteneintritt im Durchschnitt rüber unterhalten. Ich habe jetzt zum Teil auch andere noch knapp 10 Jahre gelebt, heute sind es fast 20 Jahre. Informationen aus Schweden bekommen. Es gibt eine Ex- Man muss zudem konstatieren, dass die Menschen nicht pertenkommission, die gesagt hat, dass die Rente mit 60, nur länger leben, sondern auch im Alter länger fit blei- also auch Ihr Vorschlag, mit Abschlägen zwar mathema- ben. tisch korrekt ist, aber in Schweden – dort sind es 61 Jahre – dazu führt, dass die Lebensarbeitszeit am Deshalb sprechen wir über dieses Thema. Deshalb ist Ende des Tages in Summe nicht steigt. Deswegen über- das Thema Demografie für mich das zentrale Thema in (B) legen die, jetzt umzuschwenken. Darüber können wir (D) diesem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, viel- gerne im Ausschuss debattieren. Deswegen unterstütze leicht neben dem Thema Digitalisierung. Ich glaube, das ich auch den Kollegen Weiß, der gesagt hat: Das ist nicht ist die große Linie, die wir im Auge behalten müssen. das Ziel. Ziel muss es sein – ich glaube, das wollen wir alle –, dass die Menschen nicht nur länger arbeiten können, Aber es stimmt, Frau Mast, dass der zentrale Schritt sondern auch länger arbeiten wollen. Ich glaube, das ist der Flexirente geschafft ist, nämlich dass wir befristet der Mentalitätswechsel, den wir brauchen, und ich weiterarbeiten können. Wenn wir uns die aktuellen Zah- glaube, da ziehen wir alle an einem Strang. Das ist unser len der Bundesagentur für Arbeit ansehen, werden wir Ziel. feststellen: Seitdem wir die Flexirente verabschiedet ha- ben, arbeiten in Deutschland 25 000 Menschen im Alter (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. über 65 mehr. Da gibt es einen Zusammenhang mit unse- Dr. Martin Rosemann [SPD]) rer Befristungsmöglichkeit. Das war richtig. Das war die Bundespräsident Gauck hat kürzlich in einer Rede zur Leistung der Großen Koalition. Das war der erste Flexirente bzw. zum längeren Arbeiten zum Ausdruck Schritt. Weitere müssen folgen. gebracht, dass wir die Möglichkeit dazu schaffen müs- Herr Rosemann, Sie haben recht: Wir müssen dafür sen. Interessant ist, dass die Menschen in Deutschland sorgen, dass die Menschen länger arbeiten können, aber praktisch mit einer Vollbremsung in die Rente gehen. wir müssen auch dafür sorgen, dass sie es wollen. Viel- Die Erwerbsbeteiligung Älterer steigt. Sie arbeiten bis leicht sollten wir einmal darüber nachdenken, es nicht 65, und dann kommt das Fallbeil. Einige arbeiten dann Renteneintrittsalter zu nennen, sondern Rentenbezugsal- noch in 450-Euro-Jobs. Auch einige Selbstständige wol- ter. len oder müssen länger arbeiten. Interessant ist, dass in anderen Ländern, zum Beispiel in Japan, die Menschen Herr Strengmann-Kuhn, wenn Sie das lesen, was ich freiwillig gerne länger arbeiten. In Deutschland hinge- und andere sagen, wissen Sie, dass ich völlig bei Ihnen gen gibt es ein anderes Klima. Hier sagt man: Die Men- bin. Ich habe überhaupt kein Problem damit, im Gegen- schen arbeiten nur deshalb länger, weil sie Geld benöti- teil. Wenn die isolierten Rentenbeiträge der Arbeitgeber gen. Das kommt ja auch, Herr Birkwald, häufig von bei den Arbeitnehmern, bei den arbeitenden Rentnern Ihnen. ankommen, dann wird die Arbeit nicht teurer. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sehen (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Arbei- Sie sich doch einmal die Renten an! Das Ren- tende Rentner sind keine Rentner mehr! Die tenniveau sinkt!) sind Rentner!) 11316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Dr. Carsten Linnemann (A) Das ist attraktiv; das ist richtig. Diesen Vorschlag unter- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) stütze ich. Die Arbeitslosenversicherungsbeiträge, diese der CDU/CSU) 1,5 Prozent, gehören meines Erachtens abgeschafft. Der Vorschlag stammt nicht nur von mir, sondern auch von Gerade die flexiblen Übergänge dürfen nicht nur eine Herrn Weise, dem Chef der Bundesagentur für Arbeit. Möglichkeit für Besserverdienende sein. Es braucht Ordnung am Arbeitsmarkt und starke Tarifpartner, damit Das alles sind Maßnahmen, die vielleicht nur punk- die Voraussetzungen für alle geschaffen werden können. tuell wirken; es sind kleine Bausteine. Die einzelnen Punkte führen nicht dazu, dass die Menschen jetzt länger (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias arbeiten, aber es ist das richtige Signal. Diese Bausteine W. Birkwald [DIE LINKE] – Dr. Wolfgang brauchen wir. Flexirente heißt Flexibilität im Renten- Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alter. Der erste große Schritt ist mit der befristeten NEN]: Und die gesetzlichen Rahmenbedin- Beschäftigung gemacht. Weitere müssen folgen. Wir gungen!) müssen es schaffen, einen Mentalitätswechsel herbeizu- Auch dafür haben wir in den letzten anderthalb Jahren führen, sodass die Menschen nicht nur länger arbeiten schon einiges getan – wir haben aber auch noch einiges können, sondern dies auch freiwillig wollen. vor –: Genannt seien der Mindestlohn, die Öffnung des Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, die Vereinfachung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung, die Stärkung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Tarifpartner – die Regulierung von Werkverträgen und neten der SPD) Leiharbeit liegt noch vor uns –, die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen, aber auch die Stärkung der sozia- Vizepräsident Johannes Singhammer: len und der Erziehungsberufe durch entsprechende Mit- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Schmidt telerhöhung in der Pflegeversicherung und zusätzliche für die SPD. Mittel für Bildung und Betreuung für Länder und Kom- munen. All das haben wir in den letzten anderthalb Jah- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ren schon geschafft. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Mit dem Präventionsgesetz haben wir die betriebliche Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Prävention gestärkt. Bei alledem, was wir auf den Weg Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Unser aller- gebracht haben, gilt es aber auch, sich die einzelne Er- erstes Anliegen als SPD ist es, allen Menschen ein ge- werbsbiografie anzuschauen und passgenaue Unterstüt- (B) sundes Arbeiten bis zum Regelrenteneintrittsalter zu er- zung – über Prävention, Reha, Beratung, Fort- und Wei- (D) möglichen. Das Problem ist ja nicht – das ist an vielen terbildung – zu gewährleisten, damit Gesundheit und Stellen schon angesprochen worden –, länger arbeiten zu Arbeitsplatz geschützt werden. Wenn man Neues und können. Es ist gesagt worden: Diese Möglichkeiten ha- manchmal auch Großes vorhat, dann sollte dies wohlge- ben wir geschaffen. Das Problem ist doch eigentlich, prüft, durchdacht und durchgerechnet werden. In man- dass viele Menschen es aus den unterschiedlichsten chen Koalitionen – vielleicht ist das ja in den Koalitio- Gründen nicht schaffen, Vollzeit bis zur Rente zu arbei- nen auf Landesebene, an denen Sie von den Grünen ten. beteiligt sind, anders – muss man über die Dinge auch Unser Rentensystem ist an verschiedenen Stellen re- noch diskutieren. formbedürftig. Wichtige Reformen sind von uns bereits (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) umgesetzt worden. Lasst mich einmal sagen: Wir regie- ren seit anderthalb Jahren. Zeigen Sie mir eine andere Ich möchte Ihnen eines unserer Vorhaben – das ist Bundesregierung, die so viel auf den Weg gebracht und mein Lieblingsvorhaben – vorstellen: den Ü-45-Check- in der Rente und darüber hinaus umgesetzt hat wie wir! up, formerly known as Ü-50-Check-up. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- SPD) NEN]: Viel Geld haben Sie ausgegeben! Das Daran sehen Sie schon, dass es sich lohnt, über manche stimmt!) Dinge etwas länger nachzudenken. Denn bei genauem Ich nenne die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjah- Hinsehen erkennt man, in welch großem Umfang bereits ren, die Mütterrente, die Verbesserung bei der Erwerbs- mit Mitte 40 Rehamaßnahmen, aber auch eine Erwerbs- minderung und bei der Reha. minderung stattfinden. Insbesondere betrifft das den Be- reich der psychischen Probleme, der ja schon angespro- Aber bei allen Reformen, eines wird das Rentensys- chen worden ist. Deshalb haben wir unsere Idee des tem nicht leisten können, nämlich soziale Härten, Unge- Check-ups fünf Jahre vorgezogen. rechtigkeiten und Defizite, die im Erwerbsleben entstan- den sind, vollständig auszugleichen oder zu korrigieren. Um was geht es uns genau? Wir wollen mit dem Ü-45- Deswegen ist es eine wichtige sozialpolitische Aufgabe Check-up einen wichtigen individuellen Baustein zur und ein notwendiger Beitrag zur Armutsbekämpfung, Gesundheitsprävention und zur Arbeitsplatzsicherheit dafür zu sorgen, dass Menschen länger gesund bei ge- etablieren. Es gibt viele Berufe und auch persönliche, rechtem Lohn arbeiten können. gesundheitliche Situationen, bei denen man schon mit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11317

Dagmar Schmidt (Wetzlar) (A) 45 weiß, dass man nicht mehr 20 Jahre wie bisher wei- (Anhaltender Beifall – Die Abgeordneten er- (C) terarbeiten kann. Deswegen wollen wir vor allem den heben sich.) Menschen in kleinen und mittleren Betrieben, die es schwerer haben, Prävention und individuelle Gesund- Vizepräsident Johannes Singhammer: heitsförderung umzusetzen, und in denen es meistens Nach dieser verdienten Wertschätzung und allgemei- keine Arbeitnehmervertretung gibt, die sich um einen nem Beifall – das wird von der Redezeit abgezogen – ha- verbesserten Gesundheitsschutz kümmert, rechtzeitig ben Sie wieder das Wort. und früh ein individuelles Recht auf Prävention und Hilfe zukommen lassen. (Heiterkeit – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Präsident, dann hätte ich das (Beifall bei der SPD) auch schon gemacht!) Im 46. Lebensjahr – jeder und jede soll darüber in ei- nem persönlichen Anschreiben informiert werden – kann Albert Stegemann (CDU/CSU): der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin einen berufs- Herzlichen Dank. – Der von mir angewandte Spruch bezogenen Gesundheitscheck machen und sich im und hieß: Mein lieber Pensionär, wir hier im Büro vermissen mit dem Unternehmen beraten lassen, welche Maßnah- dich sehr. Du hast mit uns hinter dem Schalter gesessen, men am Arbeitsplatz selbst oder durch einen Arbeits- wir werden dich niemals vergessen! – Mit solchen oder platzwechsel innerhalb des Betriebes, aber auch durch ähnlichen Sprüchen werden tagtäglich langgediente Mit- einen Berufs- und Arbeitsplatzwechsel insgesamt ergrif- arbeiter in den Ruhestand geschickt. fen werden sollten, um Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu sichern. Inklusive sind persönliche Beratung, auf Wir müssen feststellen, dass sich die Arbeitswelt seit Wunsch Beratung und Gespräch mit dem Betrieb, ein einigen Jahren grundlegend ändert. Die Erwerbsbiogra- Profiling und, wenn notwendig, Fort- und Weiterbil- fien werden vielfältiger und bunter. Um hierauf reagie- dung, finanziert über die Bundesagentur für Arbeit, und ren zu können, muss auch das System der Rente flexibler das alles unter Berücksichtigung der realen Situation des werden. Dennoch gilt in der allgemeinen Wahrnehmung Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin und der regio- fälschlicherweise der Grundsatz, dass das Berufsleben nalen Arbeitsmarktlage. zu einem gesetzlich festgelegten Stichtag endet. Damit nähert sich der Renteneintritt unaufhaltsam, ob der Mit- „Arbeit ist der Umweg zu allen Genüssen“, sagte arbeiter nun möchte oder nicht, ob er fit ist oder nicht. Willy Brandt. Gute Arbeit soll dazu beitragen, dass auch Vor diesem Hintergrund bin ich Ihnen, liebe Kollegen das Rentenalter genießbar wird. Ich wünsche allen Kol- von den Grünen, sehr dankbar, dass Sie das Thema der flexiblen Rentenübergänge auf die heutige Tagesord- (B) leginnen und Kollegen, dass sie in den kommenden Wo- (D) chen nicht nur im Wahlkreis arbeiten, sondern auch eine nung gesetzt haben. schöne, freie Urlaubszeit genießen können. Ich stimme Ihnen zu, dass wir uns auch fragen müs- In diesem Sinne: Glück auf! sen, ob das traditionelle Bild noch zeitgemäß ist. Die Re- gierungsparteien haben vor ziemlich genau einem Jahr (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie im Rahmen des Rentenpakets die ersten Weichen ge- bei Abgeordneten der LINKEN und des stellt, damit flexiblere Übergänge gelingen können. So BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ermöglicht – das wurde hier schon einige Male erwähnt – § 41 SGB VI das Arbeiten über das Renteneintrittsalter hinaus. Vizepräsident Johannes Singhammer: Nach diesen guten Wünschen hat der Kollege Albert Als Gesetzgeber müssen wir allerdings feststellen, Stegemann für die CDU/CSU das Wort. dass diese Möglichkeit in der Praxis bisher viel zu wenig genutzt wurde. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind unsi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- cher, was die konkrete Umsetzung anbelangt. Hier ste- neten der SPD) hen wir in der Verpflichtung. Zugleich braucht es aber auch eine gesellschaftliche Debatte, ein Umdenken im Albert Stegemann (CDU/CSU): Kopf, um die Notwendigkeit einer solchen Regelung insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Wandels anzuerkennen. Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sommerpause im Parlament wirft ihre Schatten voraus. Daher suchen die Regierungsparteien mit der Arbeits- Ich freue mich sehr, dass wir uns heute, bevor das Parla- gruppe „Flexi-Rente“ eine langfristige Lösung, die den ment in die wohlverdiente Ruhepause startet, mit der Bedürfnissen der heutigen Arbeitswelt umfänglich ge- Phase des Ruhestandes im Arbeitsleben beschäftigen. recht wird. Uns alle eint das Ziel, dass Arbeitnehmer Hierzu hatte ich mir einen Vers notiert, den ich vortragen grundsätzlich frei entscheiden sollen, wann und wie sie wollte, um danach in die nächsten Seiten meiner Rede den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente gestalten. einzusteigen. Diesen Vers kann ich heute aber auch Sofern es die eigene Gesundheit zulässt, soll jeder so anwenden; denn unser geschätzter Saaldiener Herr lange arbeiten, wie er möchte. Damit aber die Proportio- Grothkopf wird am 31. Juli dieses Jahres in den Ruhe- nen in der Dreiteilung des Lebens in der Waage bleiben, stand gehen. Wir wünschen ihm von hier aus alles, alles kommen wir nicht umhin, durchschnittlich länger zu ar- Gute! beiten, zumindest dann, wenn wir alle älter werden. Er- 11318 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Albert Stegemann (A) freulicherweise können wir feststellen, dass das in den kommunalen Ehrenamt eine Zweiklassengesellschaft (C) letzten Jahrzehnten der Fall war. Am besten lässt sich entstünde. Es darf nicht passieren, dass im Gemeinderat das an der Rentenbezugsdauer ablesen. So erhielt 1960 zwei Vertreter sitzen, die aufgrund unterschiedlich hoher ein Rentner in der Bundesrepublik Deutschland durch- Verdienste im Berufsleben abweichende Abzüge von ih- schnittlich noch zehn Jahre Leistungen von der Renten- rer Entschädigung hinnehmen müssen. Ihre Idee ist gut versicherung. Mittlerweile liegt die durchschnittliche gemeint, aber nicht gut gemacht. Aus Sicht der CDU/ Rentenbezugsdauer bei fast 20 Jahren. Die Ausweitung CSU-Fraktion lässt sich die offene Baustelle durch hö- der Lebensarbeitszeit – die sogenannte Rente mit 67 – here Hinzuverdienstgrenzen lösen. war daher eine richtige Entscheidung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) Wir brauchen eine deutliche Anhebung, allerdings ohne – Doch! dabei neue Anreize zur Frühverrentung zu setzen. Ich Ein weiterer Grund, Menschen ein längeres Berufsle- bin optimistisch, dass dies gelingen wird. ben zu ermöglichen, ist der Bedarf an Fachkräften. Viele Beim Thema Arbeitgeberbeiträge sind wir eng beiein- Firmen und Institutionen können in einer sich rasch wan- ander. Nach geltendem Recht zahlen Arbeitgeber für ei- delnden Arbeitswelt nicht auf erfahrene Mitarbeiter ver- nen älteren Beschäftigten weiterhin den Anteil an die zichten. Seien wir doch ehrlich: Die Zeiten der Frühver- Rentenversicherung, obwohl sich dieser nicht rentener- rentung wie in den 90er-Jahren sind vorbei. Der Großteil höhend auswirkt. Dies ist nicht nachvollziehbar. Daher der Unternehmen hat kein Interesse daran, den gut aus- sollten Rentner zukünftig mit diesen Beiträgen ihr Ruhe- gebildeten 60-jährigen Mitarbeiter mit einem goldenen gehalt weiter aufbessern können. Handschlag zu verabschieden. Hierfür braucht es aller- dings vernünftige Rahmenbedingungen und altersge- Darüber hinaus möchte ich den Punkt der Gesundheit rechte Arbeitsplätze. Zugleich gilt es aber auch, so nennen. Wie lange jemand arbeiten kann, hängt maßgeb- manche Vorurteile älteren Mitarbeitern gegenüber abzu- lich von seiner Gesundheit ab. Vor diesem Hintergrund bauen. Daher noch einmal: Politik kann Anstöße geben müssen wir uns noch stärker mit präventiven und Reha- und Regeln festlegen. Wirklich entscheidend ist aber maßnahmen beschäftigen. Hier schwebt uns ein ganzes auch eine gesellschaftliche Debatte. Bündel von Maßnahmen vor: Die Erhöhung des Reha- budgets im Rentenpaket war ein erster Schritt dazu. Zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- künftig sollten sich Leistungen stärker an der individuel- neten der SPD) len gesundheitlichen Situation orientieren. In diesem Letztlich – das sollte nicht vergessen werden – gibt es Kontext sind eine engere Abstimmung zwischen Renten- (B) schlicht und einfach den Wunsch von zukünftigen Rent- und Krankenversicherung und eine Stärkung der Selbst- (D) nern, weiterzuarbeiten. Gerade der Kontakt mit den be- verwaltung unerlässlich. Es sollte außerdem sicherge- kannten Kollegen und eine tägliche Aufgabe machen stellt werden, dass Menschen, die teilweise erwerbsge- den Alltag wertvoll. Wenn wir von einem selbstbe- mindert sind, weiter am Arbeitsleben teilhaben können, stimmten Altern reden, gehört dies auch dazu, getreu zum Beispiel auf einem alternativen Arbeitsplatz. dem Motto: Wer rastet, der rostet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Insofern ist festzustellen, dass Politik und Gesell- der SPD) schaft in den vergangenen Jahren entscheidende Schritte in die richtige Richtung getan haben. So ist die Erwerbs- In der Summe bleibt festzuhalten, dass Deutschland tätigenquote bei den 55- bis 64-Jährigen in den letzten auf dem Feld der Integration von Älteren in den Arbeits- fünf Jahren um fast 30 Prozent gestiegen. In Europa markt auf dem richtigen Weg ist. Diesen gilt es konse- nimmt Deutschland damit einen Spitzenplatz ein, was quent weiterzugehen: mit stärkeren Anreizen und Si- die Beschäftigung älterer Menschen anbelangt. cherheit für alle Beteiligten, allerdings nicht mit einer Antistressverordnung oder sonstigen bürokratischen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Hindernissen. Die Politik sollte den Menschen nicht vor- schreiben, wie sie ihr Leben führen sollen, sondern Rah- – Genau. – Es kommt allerdings noch ein kleines Aber: menbedingungen schaffen, damit sie leben können, wie Die Rente mit 63 wirkt dieser Entwicklung aktuell etwas sie es wollen. Kurz gesagt: Die Entscheidung, wann je- entgegen; aber insgesamt stimmt die Richtung. mand in Rente geht, sollte nicht bei der Politik liegen. Der Auftrag liegt also klar vor uns. Und doch gebe ich Zugleich dürfen individuelle Entscheidungen nicht die zu: Wir haben in den letzten Wochen sehr intensiv disku- Solidargemeinschaft gefährden; denn bei aller Freiheit tiert; denn wie so oft steckt der Teufel – vor allen Dingen steht die Politik in der Verantwortung, die langfristige im Rentenrecht – im Detail. Finanzierbarkeit sicherzustellen. Da wäre zum Beispiel der Punkt der Hinzuverdienst- Viele der von Ihnen gestellten Forderungen sind gut grenzen vor Erreichen des regulären Renteneintrittsal- gemeint und manche auch richtig. Ich kann Ihnen aber ters. Die Grünen sprechen dieses Problem in ihrem An- versichern, dass die Regierungsparteien zeitnah vernünf- trag an, und sie haben recht: Hier hakt es, hier sind tige und noch geeignetere Lösungen vorlegen werden. Änderungen notwendig – allerdings nicht in der Form, Diese sollten es älteren Arbeitnehmern erlauben, weiter- wie Sie sie vorschlagen. Die von Ihnen ins Spiel ge- hin im Berufsleben zu bleiben, sofern sie das können brachte Regelung würde dazu führen, dass gerade im und auch wollen. Wir können und wollen als Gesell- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11319

Albert Stegemann (A) schaft nicht auf ihre Ideen und ihr Können verzichten. zeitarbeit sprechen; denn der Rechtsanspruch steht viel (C) Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. zu oft nur auf dem Papier. Dass sich echte Altersteilzeit noch nicht durchgesetzt hat, liegt aber sicher auch daran, Herzlichen Dank. Schöne Sommerpause. dass die Arbeitsplätze oft für nicht teilbar gehalten wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den und dass eine Teilzeitbeschäftigung in den Betrieben neten der SPD) oft unbeliebt ist. Angesichts des immer wieder beschwo- renen Fachkräftemangels ist es aber auch im Interesse Vizepräsident Johannes Singhammer: der Unternehmen, diese Vorbehalte aufzuknacken. Es ist Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs- relativ simpel: Wenn ältere Arbeitnehmerinnen und Ar- punkt ist der Kollege Ralf Kapschack für die SPD. beitnehmer ihre Belastung reduzieren und im Betrieb bleiben, dann bleiben auch Erfahrungen und Kompeten- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. zen im Betrieb. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ralf Kapschack (SPD): DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! CDU/CSU) Liebe Zuschauer! Ich möchte mich erst einmal bedanken für die bisher sehr konstruktive Debatte. Ich glaube, sie Eine Teilrente ab 60 würde aus unserer Sicht anders, ist auch angemessen, wenn man sich überlegt, dass jeder als oft behauptet wird – auch heute ist das wieder be- Zweite über 55 gerne schrittweise in die Rente gehen hauptet worden –, keine Frühverrentungswelle auslösen. will und nicht abrupt. Im Gegenteil: Diese Teilrente würde vielen Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmern überhaupt erst die Mög- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lichkeit geben, das gesetzliche Renteneintrittsalter zu er- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- reichen, und genau das wollen wir. NISSES 90/DIE GRÜNEN) Bei den Frauen liegt dieser Anteil noch höher. Voll (Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang durcharbeiten bis 67 wird für die meisten oder für viele Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- jedenfalls kaum möglich sein. Der Bedarf an flexiblen NEN]: Aber die CDU offensichtlich nicht!) Übergängen ist extrem hoch. Den größten Handlungsbedarf sehen wir aktuell aller- Deshalb ist es gut, dass wir heute darüber reden und dings bei Beschäftigten mit gesundheitlichen Einschrän- dass die Koalition eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, kungen; das ist in der Debatte vielfach schon angespro- (B) die Vorschläge vorlegen soll. Wir haben es gehört: Bau- chen worden. Sie sind oft zu krank, um in Vollzeit bis (D) arbeiter scheiden im Schnitt mit 58 aus dem Arbeitsle- zur Regelaltersgrenze zu arbeiten, und sie sind oft zu ge- ben aus, Beschäftigte im Gesundheitswesen mit 61. sund, um Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu Deshalb brauchen wir bessere gesetzliche Rahmenbedin- haben. gungen für gleitende und abgesicherte Übergänge von der Arbeit in die Rente. Eine, ich sage mal, kreative und Wir haben hier eine Idee, das Arbeitssicherungsgeld, unkomplizierte Kombination von Teilzeitbeschäftigung mit der wir Vorschläge der IG BAU aufgreifen. Wie der und Teilrente ab 60 kann dabei aus unserer Sicht ein Name schon sagt, soll die Arbeitsfähigkeit der Beschäf- wichtiger Baustein sein. tigten gesichert werden. Es ist keine Rente im eigentli- chen Sinne. Mit dem Arbeitssicherungsgeld sollen für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bestimmte, besonders belastete Berufsgruppen Anreize des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gesetzt werden, in Teilzeit weiterzuarbeiten, statt ganz Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und in der Arbeits- NEN]: Aus unserer auch!) losigkeit zu landen. Seit 1992 gibt es die Möglichkeit der Teilrente. Das Problem ist: Kaum jemand weiß davon, und noch weni- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ger nehmen sie in Anspruch. Nur rund 1 000 Beschäf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tigte pro Jahr nutzen diese Chance, um ihre Arbeitszeit zu reduzieren und über eine echte Altersteilzeit aus dem Auch hier gilt unser Ziel, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu Berufsleben auszusteigen. finanzieren. Das derzeitige Modell ist viel zu starr und vor allem Das Arbeitssicherungsgeld kommt für Beschäftigte viel zu kompliziert. Zumindest darin sind wir uns einig. ab 61 infrage, die im bisherigen Beruf nicht mehr Voll- Wir brauchen mehr Flexibilität bei den Stufen der Teil- zeit arbeiten können und für die sich keine andere Voll- rente und andere Hinzuverdienstgrenzen; denn die Teil- zeitbeschäftigung findet. Das Arbeitssicherungsgeld rente wird nur dann attraktiv, wenn sie nicht zu gravie- gleicht maximal für zwei Jahre die Differenz zwischen renden Einkommensverlusten führt. dem vorigen Nettoentgelt und dem Nettoentgelt der Teil- (Beifall bei der SPD) zeitbeschäftigung teilweise aus. Durch das Arbeitssiche- rungsgeld stehen gesundheitlich eingeschränkte Be- Ein ganz entscheidender Punkt ist: Wir müssen über schäftigte finanziell besser da, als wenn sie arbeitslos die bestehenden Einschränkungen beim Recht auf Teil- würden, und die Arbeitslosenversicherung würde durch 11320 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Ralf Kapschack (A) die Teilzeittätigkeit weniger in Anspruch genommen Überweisungsvorschlag: (C) werden als bei der drohenden Arbeitslosigkeit. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt die CDU dazu?) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre Unsere Idee ist, das Arbeitssicherungsgeld als Versi- keinen Widerspruch. Dann ist das somit beschlossen. cherungsleistung im SGB III zu verankern. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (Beifall bei der SPD) ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Stefan Müller Die Bundesagentur für Arbeit wäre für die Umsetzung das Wort. zuständig, die Finanzierung würde über Beitragsmittel (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sichergestellt. Ganz offen zugegeben: Es gibt noch eine Reihe von Stefan Müller, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Details zu klären. Wir denken aber, das ist ein Vorschlag, ministerin für Bildung und Forschung: über den man intensiv diskutieren kann, und das würden Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor wir gerne tun. rund drei Jahren, am 1. April 2012 – das war kein April- Die Bundeskanzlerin hat gestern gesagt, sie sei zuver- scherz –, ist das sogenannte Anerkennungsgesetz des sichtlich, dass die Koalitionsarbeitsgruppe noch „zu Bundes in Kraft getreten. Wir haben damals eine, wie Potte“ kommt. Ich hoffe das sehr. ich finde, gute rechtliche Grundlage dafür geschaffen, dass im Ausland erworbene Abschlüsse in Deutschland (Beifall bei der SPD) einfacher anerkannt werden können und wir damit Mi- Das wäre gut für ältere Beschäftigte, das wäre gut für die grantinnen und Migranten besser in den Arbeitsmarkt in- Unternehmen, das wäre gut für die Renten- und die Ar- tegrieren können. beitslosenversicherung, und das wäre auch gut für die Eines kann man feststellen: Dieses Gesetz hat in der öffentlichen Haushalte. Bevölkerung ein Umdenken in der Form bewirkt, dass Vielen Dank. die ausländischen Qualifikationen Zugewanderter als Potenzial wahrgenommen werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Umdenken auch bei der CSU?) (B) (D) Vizepräsident Johannes Singhammer: Das Bild hat sich gewandelt: weg von den unterstüt- Damit schließe ich die Aussprache. zungsbedürftigen Migranten, hin zu einem Menschen, der eine Chance für unser Land bietet. Viele Menschen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen in Deutschland sehen jetzt mit mehr Respekt und Wert- auf den Drucksachen 18/5212 und 18/5213 an die in der schätzung auf die Qualifikationen und Lebensleistungen Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Zugewanderter. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keine andere das ist eine positive Wirkung dieses Gesetzes. Haltung oder Meinung. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Trotz der schon mehrfach geäußerten guten Wünsche Herr Mutlu, falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen für die nahen Ferien ist unsere Tagesordnung noch nicht ist: Auch die CSU hat damals zugestimmt. Deswegen ist abgeschlossen. es wahrscheinlich ein so gutes Gesetz und auch so er- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b folgreich geworden. auf: (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann es gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- noch besser machen!) rung des Berufsqualifikationsfeststellungsge- Gerade gestern hat der Bundestag die Zuwanderungs- setzes und anderer Gesetze möglichkeiten im Rahmen der Anerkennung ausländi- Drucksache 18/5326 scher Qualifikationen weiter verbessert. Das Gesetz zum Bleiberecht enthält einen neuen Aufenthaltstitel zur Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Durchführung von Qualifizierungs- und Anpassungs- Technikfolgenabschätzung (f) maßnahmen sowie von Sprachkursen, die dazu dienen, Ausschuss für Wirtschaft und Energie in Deutschland die volle Anerkennung solcher Ab- Ausschuss für Arbeit und Soziales schlüsse zu erhalten. Darüber hinaus haben wir klarge- b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- stellt, dass während der Berufsausbildung keine Ab- gierung schiebung erfolgt. Auch das schafft Perspektive und Planungssicherheit für die jungen Menschen, aber eben Bericht zum Anerkennungsgesetz 2015 auch für die Betriebe in unserem Land. Drucksache 18/5200 (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11321

Parl. Staatssekretär Stefan Müller (A) Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, programm „Integration durch Qualifizierung“ die Ange- (C) dass sich das Anerkennungsgesetz von Anfang an als In- bote für Anpassungsmaßnahmen und Sprachkurse wei- strument der Fachkräftesicherung etabliert hat. Seit dem terentwickeln. Inkrafttreten des Gesetzes bis Ende 2013 wurden insge- samt rund 26 500 Anträge gestellt. Ich meine, das ist bei (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) einem neuen Gesetz durchaus beachtlich. Wir wollen damit die Chancen der Antragsteller auf eine Noch erfreulicher ist die Tatsache, dass die allermeis- volle Anerkennung verbessern und werden dafür in den ten Anträge bereits beschieden wurden, und zwar posi- Jahren 2015 bis 2018 insgesamt 188 Millionen Euro ge- tiv. Gerade einmal 4 Prozent der Anträge wurden gänz- meinsam mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds be- lich abgelehnt. Fast 80 Prozent der Anträge betrafen reitstellen. reglementierte Berufe, insbesondere im medizinischen Wie Sie sehen, nehmen wir das Thema sehr ernst, und Bereich, in dem es nachgewiesenermaßen einen großen wir wollen auch weiter daran arbeiten, in der Umsetzung Fachkräftebedarf gibt. Erfreulich finde ich auch, dass bei und in den Verfahren noch deutliche Verbesserungen für den dualen Ausbildungsberufen im gewerblich-techni- die betroffenen Migrantinnen und Migranten zu errei- schen, im kaufmännischen oder im handwerklichen Be- chen. reich die Anerkennungszahlen ebenfalls weiter steigen. (Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was klug und Auch das Interesse an der Anerkennung steigt weiter. weise ist! – Dr. [CDU/CSU]: So Das sehen wir an der Nachfrage in unserem Anerken- sind wir! – Gegenruf des Abg. Özcan Mutlu nungsportal. Wenn Sie es sich ansehen wollen: www. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was überfäl- anerkennung-in-deutschland.de. Sie können gleich nach- lig ist!) schauen – die Möglichkeit haben Sie ja – und sich infor- mieren, ob das, was ich sage, stimmt. Es ist tatsächlich Genauere Ergebnisse und Erfahrungen zum gesamten richtig: Die Zahl der Besucher hat sich seit 2012 jedes Anerkennungsgeschehen können Sie dem Bericht zum Jahr verdoppelt. Insgesamt waren es bisher rund 2,7 Mil- Anerkennungsgesetz entnehmen, den das Bundeskabi- lionen, die sich über dieses Anerkennungsportal über die nett am 10. Juni beschlossen hat und der auch schon Ge- Möglichkeiten, ihren Abschluss in Deutschland anerken- genstand einer Regierungsbefragung war. Weil Sie alle nen zu lassen, informiert haben. Ich sagte: Die Zahl ist in ihn lesen konnten, will ich – das kann ich auch aus Zeit- den letzten Jahren deutlich angestiegen, was mit Sicher- gründen nicht – nicht auf jeden einzelnen Punkt einge- heit auch damit zu tun hat, dass dieses Informationsan- hen. gebot mittlerweile in acht Sprachen angeboten wird und Ich will nur einen Punkt herausgreifen, den ich per- (B) wir im Ausland sehr erfolgreich dafür werben. sönlich für außerordentlich spannend halte. Vielleicht (D) Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Es gibt eine wollen Sie es noch einmal nachlesen: Der Bericht enthält stärkere Nachfrage nach persönlicher Beratung durch die auch eine Darstellung aus der Perspektive der Betriebe. Hotline genauso wie nach Beratung in den Beratungs- Eine repräsentative Befragung des Bundesinstituts für stellen im Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“. Berufsbildung bei 5 300 Betrieben hat gezeigt, dass es eine große Bereitschaft zur Rekrutierung ausländischer Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieser Fachkräfte in den Unternehmen gibt und – auch das ist Nachfrage und dem offensichtlich großen Interesse, was entscheidend – eine große Bereitschaft, die jeweiligen dieses Instrument der Anerkennung angeht, war es umso Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann auch im An- wichtiger, dass die Länder beim sogenannten Flücht- erkennungsverfahren zu unterstützen. lingsgipfel am 18. Juni – auf Drängen der Bundeskanzle- rin – zugesagt haben, mehr eigenes Personal für die Be- Gleichwohl – das ist sicherlich auch Ergebnis der Ge- arbeitung der Anerkennungsverfahren zur Verfügung zu spräche, die Sie alle führen – gibt es noch die eine oder stellen. Es sollen nicht nur die für die Anerkennung zu- andere Hürde. In der Praxis werden erst wenige Fach- ständigen Stellen adäquat ausgestattet werden, sondern kräfte aus dem Ausland beschäftigt. Eine Erkenntnis, die es soll auch endlich die seit langem geforderte Gutach- man gewinnen kann, ist, dass es in den Unternehmen tenstelle für Gesundheitsberufe bei der ZAB bzw. der selbst noch an konkreten Informationen über die Mög- KMK eingerichtet werden. lichkeiten des Anerkennungsgesetzes mangelt und dass – ich will es einmal so formulieren – die nötige Sensibi- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) lisierung in den Unternehmen noch nicht vorhanden ist. Ich sage „endlich“, weil dieser Prozess nun schon sehr Wir werden deshalb gemeinsam mit dem DIHK ein Pro- lange dauert, und ich hoffe, dass das jetzt auch rasch um- jekt auflegen und anstoßen, mit dem wir Betriebe da- gesetzt werden kann. rüber informieren wollen, welche Möglichkeiten das Anerkennungsgesetz bietet. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Sie denn daran gehindert?) Es geht heute speziell um eine Änderung des Aner- kennungsgesetzes. Der Gesetzentwurf, den wir heute in Wir schaffen seitens der Bundesregierung auch wei- erster Lesung beraten, setzt die Änderungen der EU-Be- tere umfangreiche Möglichkeiten zum Beispiel für rufsanerkennungsrichtlinie um, die den Anwendungsbe- Nachqualifizierungen, wenn in einem Anerkennungsver- reich des BQFG und der Gewerbeordnung betreffen. Wir fahren Defizite zwischen deutschen und ausländischen müssen sie bis zum 18. Januar 2016 in deutsches Recht Abschlüssen festgestellt wurden. Wir werden im Förder- übernehmen. Ich will hinzufügen, dass es sich um eher 11322 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Parl. Staatssekretär Stefan Müller (A) geringe Änderungen im Gesetz handelt, die die regle- resses, das 1 Million Zugriffe auf die Datenbanken zur (C) mentierten Berufe betreffen. Es geht zum Beispiel um Anerkennung von Abschlüssen zeigt. Oder ist es etwa die Einführung einer Möglichkeit zur elektronischen ein Erfolg, dass dieses Gesetz weiterhin vorrangig ein Übermittlung von Anträgen und Unterlagen innerhalb Ärzteanerkennungsgesetz ist? Immerhin entfallen der EU und des europäischen Wirtschaftsraumes und um 62,9 Prozent aller Verfahren auf die Referenzberufe Ärz- die Befassung des Einheitlichen Ansprechpartners, der tin und Arzt sowie andere Gesundheitsberufe. Das hilft schon durch die Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland zwar dem deutschen Gesundheitssystem, ist aber gleich- geschaffen wurde, mit der Entgegennahme und Weiter- zeitig Ausdruck der Konstruktionsfehler dieses Gesetzes gabe von Anträgen und Unterlagen in einem Anerken- auf der einen Seite und der Ausbildungspolitik in nungsverfahren. Deutschland auf der anderen Seite. Jedenfalls werden durch diese Änderungen zur Aner- (Beifall bei der LINKEN) kennung auch raschere Verfahren ermöglicht. Dadurch werden auch Hürden abgebaut. Wir versprechen uns da- Die überwiegende Mehrheit der anerkannten Berufs- von des Weitern, dass die Mobilität zunimmt, die in Eu- abschlüsse entfällt auf bundesweit reglementierte Be- ropa noch immer deutlich geringer ist als beispielsweise rufe. Doch schon bei der Altenpflege gestaltet sich die in den Vereinigten Staaten. Sache schwieriger oder bei den Hochschulabschlüssen, die zu keinem reglementierten Beruf führen, wie zum Die Umsetzung dieser Richtlinie macht – das will ich Beispiel bei den Ingenieurberufen. Einerseits hat die nur nachrichtlich hinzufügen – eine ganze Reihe von Bundesregierung erst in diesen Tagen beim MINT-Gip- Änderungen in anderen berufsrechtlichen Fachgesetzen fel die fehlenden Fachkräfte gerade auf naturwissen- erforderlich. Die Bundesregierung wird die entsprechen- schaftlich-technischen Berufsfeldern beklagt. Das Hand- den Änderungsgesetze zeitnah vorlegen. werk sowie die klein- und mittelständische Wirtschaft werden völlig zu Recht als Rückgrat der deutschen Wirt- Ich will abschließend hinzufügen, dass wir bei der Er- schaft bezeichnet. Andererseits wird die Chance leicht- arbeitung des vorliegenden Gesetzentwurfs sehr eng mit fertig vertan, dem großen Fachkräftemangel in diesen den Ländern zusammengearbeitet haben und mit den Bereichen durch Anerkennung ausländischer Berufsab- Ländern einen gemeinsamen Mustergesetzentwurf ent- schlüsse zu begegnen. Beim Beruf Erzieherin/Erzieher wickelt haben, weil die Länder ihrerseits hier etwas um- sind die Ausbildungswege und die pädagogischen An- setzen müssen. Wir haben das auch beim Anerkennungs- forderungen in den Bundesländern sehr unterschiedlich gesetz gemacht. Der Mustergesetzentwurf entspricht im geregelt. Ausländische Fachkräfte haben es bei der An- Wesentlichen dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf. erkennung besonders schwer. Als ein Ergebnis der guten Kooperation und Zusammen- (B) arbeit mit den Ländern hat der Bundesrat am 12. Juni (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist aber (D) keine wesentlichen Einwände gegen diesen Gesetzent- Ländergesetzgebung! Das haben Sie zu Recht wurf erhoben. gesagt!) In diesem Sinne hoffe ich auf eine wohlwollende und – Darauf komme ich gleich zu sprechen. zustimmende Beratung im weiteren parlamentarischen Verfahren. Der Unsinn wird an folgendem Beispiel deutlich. In Frankreich werden Lehrkräfte der frühkindlichen Bil- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dung an Hochschulen als Lehrkräfte für die École Mater- nelle ausgebildet. In der frühkindlichen Bildung werden Vizepräsident Johannes Singhammer: sie aber in einigen Bundesländern nicht als Fachkräfte Nächste Rednerin ist die Kollegin Sigrid Hupach für zugelassen, weil sie in ihrer Ausbildung den „Landesbil- die Fraktion Die Linke. dungsplan elementar“ nicht kennengelernt haben. In den gleichen Ländern werden aber im Land ausgebildete So- (Beifall bei der LINKEN) zialpädagogen als Fachkräfte anerkannt, obwohl sie während ihres Studiums auch nichts von dem frühkindli- Sigrid Hupach (DIE LINKE): chen Landesbildungsplan erfahren haben. Kinderein- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bei richtungen mit bilingualem Konzept müssen daher ent- der Vorstellung des Berichts zum Anerkennungsgesetz weder auf Muttersprachler verzichten oder sie als 2015 feiert die Bundesregierung das Gesetz als großen Nichtfachkräfte prekär absichern. Auch bei bundesrecht- Erfolg. Warum eigentlich? Weil gerade 26 500 Men- lich geregelten Berufen kann die Anerkennung von Land schen in Deutschland einen Antrag auf Anerkennung ih- zu Land unterschiedlich sein. Das beweist einmal mehr rer ausländischen Berufsabschlüsse gestellt haben? Doch die Unsinnigkeit des Kooperationsverbotes. Das könnten wohl eher nicht! Ich teile also nicht ganz das Lobeslied wir regeln. von Staatssekretär Müller. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – [CDU/CSU]: Das ist aber ein heftiger Schlen- Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Nicht über- ker gewesen!) raschend!) Der sich entwickelnde Anerkennungstourismus zwi- Die Bundesregierung versprach doch, dass damit etwa schen den Bundesländern kann doch nicht wirklich Ziel 300 000 Menschen geholfen werden kann. Das Ergebnis dieses Gesetzes sein. Wir brauchen hier dringend ein- ist also unbefriedigend, auch angesichts des großen Inte- heitliche Anerkennungsverfahren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11323

Sigrid Hupach (A) (Beifall bei der LINKEN – Tankred Die Tür steht dir offen, du bist willkommen, du (C) Schipanski [CDU/CSU]: Das liegt an den wirst gebraucht, und du kannst dich mit all deinen Bundesländern, Frau Hupach! Damit muss Fähigkeiten hier entfalten. sich die KMK auseinandersetzen!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auf noch einen Aspekt möchte ich hinweisen. Die Das ist die Botschaft, die von dem Anerkennungsgesetz fehlende Anerkennung der Berufe des dualen Systems ausgeht. hat auch deutliche Auswirkungen auf die tarifgerechte Bezahlung. Es wäre ein klares Bekenntnis zu guten und (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gerechten Löhnen für gute Arbeit – wie dies die Sozial- NEN]: Was zu beweisen wäre!) partner gemeinsam mit uns Linken fordern –, Das ist eine gute Willkommensbotschaft in Deutschland. (Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ Das stimmt. CSU]) Mit diesem Versprechen beendete ich meine Rede in wenn es gelänge, mit einem in diesem Punkt verbesser- der Debatte im Herbst 2014. Nun sind wir einige Schritte ten Anerkennungsgesetz gerade die Anerkennung der weiter. Wir beraten heute in erster Lesung die Novelle Berufe des dualen Systems zu erreichen. des Anerkennungsgesetzes, und es liegt ein ganz aktuel- ler Evaluierungsbericht vor. Ob jemand seinen im Ausland erworbenen Abschluss hier in Deutschland anerkannt bekommt, ist aber auch Ich möchte auf zwei Gesichtspunkte eingehen. Zum eine Frage der Kosten. Diese variieren zwischen den einen will ich die Erfolge benennen, und zum anderen Bundesländern und den unterschiedlichen Berufsarten will ich die Haltung der SPD für die Weiterentwicklung teilweise sehr erheblich. Im Kammerbereich zum Bei- klarmachen. Wir sind mit dem Anerkennungsgesetz auf spiel schwanken sie zwischen 100 und 600 Euro. Diese einem guten Weg. Ich mache das an folgenden Facetten Unterschiede sind doch nicht durch einen unterschiedli- fest: Es besteht ein Rechtsanspruch auf Antragstellung, chen Aufwand zu erklären. Darüber hinaus steht zu be- unabhängig von einem Aufenthaltstitel und von der fürchten, dass die Kosten für eine individuelle Gleich- Staatsbürgerschaft. Die durchschnittliche Bearbeitungs- wertigkeitsprüfung sowie für die Analyse von zeit liegt bei 59 Tagen. Ich meine, das ist eine hervorra- Qualifikationen noch weitaus höher liegen. Das ist si- gende Voraussetzung, damit das Gesetz seine volle Wir- cherlich kein Anreizsystem, es schreckt vielmehr ab. kung entfalten kann. Wir Linke kritisieren die Aussage im Gesetz und im (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Bericht, mit der Anerkennung ausländischer Abschlüsse (B) Das Gesetz bietet die Möglichkeit, den Antrag vom (D) zuerst den Fachkräftemangel in Deutschland beseitigen Ausland aus zu stellen oder zwecks Anerkennung nach zu wollen. Für uns stehen die Menschen im Mittelpunkt. Deutschland einzureisen. Das ist neu im Gesetz. Auch (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist für Menschen ohne Zertifikate ist es möglich, beispiels- [CDU/CSU]: Was ist das für eine Logik? Das weise mit dem Kompetenzfeststellungsverfahren ihre ist Dialektik 4.0!) Qualifikation anerkennen zu lassen. Als SPD-Fraktion sagen wir aber deutlich, dass wir mehr Begleitmusik Das Gesetz setzt hier eindeutig die falschen Prämissen. zum Anerkennungsgesetz brauchen. Eine wirkliche Willkommenskultur sieht anders aus. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn, wie die frühere Bundesministerin Frau der CDU/CSU) Schavan sagte, die Anerkennung der Abschlüsse eine Frage der Gerechtigkeit und des Respekts vor der Quali- Das Anerkennungsgesetz ist im Jahr 2012 in Kraft ge- fikation von Menschen ist, dann muss an diesem Gesetz treten. Wir haben es also mit einem jungen Gesetz zu und an der Anerkennungspraxis wohl noch heftig gear- tun. Damals ging die Bundesregierung davon aus, dass beitet werden. bis zu 500 000 erwerbsfähige Personen in Deutschland durch das Gesetz erreicht werden. Seither wissen wir Vielen Dank. – die Zahl wurde schon genannt – von 26 000 Anträgen im Bund. Das sind gerade einmal 5 Prozent des Gesamt- (Beifall bei der LINKEN) potenzials. Übrigens sind die seither neu Eingewander- ten und hierher Geflüchteten dabei nicht eingerechnet. Vizepräsident Johannes Singhammer: Ich bin der Meinung: Trotz aller bereits laufenden und Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr. Karamba guten Werbe- und Informationsportale brauchen wir Diaby. noch mehr Engagement, damit die Botschaft vom Aner- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kennungsgesetz dort ankommt, wo sie gehört werden der CDU/CSU) soll, nämlich bei den vielen Menschen mit ausländischen Qualifikationen und bei den Arbeitgebern, die nach Fachkräften suchen. Auch in meiner Region, in an Dr. Karamba Diaby (SPD): der Saale, suchen die Arbeitgeber Fachkräfte. Darauf Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und werde ich immer wieder angesprochen, wenn ich auf Be- Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! suchen in Betrieben bin. 11324 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Dr. Karamba Diaby (A) Unser Ziel muss sein, dass jeder Mensch entspre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) chend seiner Qualifikation arbeiten kann. Daher dürfen der LINKEN) wir uns mit diesen Zahlen nicht zufriedengeben. Das Anerkennungsverfahren darf nicht vom Geldbeutel (Beifall bei der SPD) der Antragsteller abhängen. Zudem bin ich fest davon überzeugt, dass es im Sinne der Bekämpfung des Fach- Hier stellt sich meine Fraktion beispielsweise einen kräftemangels volkswirtschaftlich vernünftig ist, hier ein Rechtsanspruch auf unabhängige Beratung vor, so wie er Darlehensprogramm aufzulegen. bereits in einigen Landesanerkennungsgesetzen veran- kert ist. Zum Beispiel weiß ich aus Hamburg und aus Nun komme ich zum dritten und letzten Aspekt meinem Bundesland Sachsen-Anhalt, dass man dort mit – meine Zeit ist fast zu Ende –: Vorausgesagt ist ein Be- dem Rechtsanspruch auf unabhängige Beratung bereits darf an Einwanderung aus Drittstaaten von 500 000 Per- positive Erfahrungen macht. sonen jährlich; wir wissen aber, dass über die Bluecard nur 25 000 seit dem Jahr 2012 zu uns gekommen sind. Nun komme ich zum zweiten Bereich. Die Frage der Das ist viel zu wenig. Daher muss das Anerkennungsge- Finanzierungsangebote für Antragsteller treibt uns So- setz einen Beitrag zur Linderung des Fachkräftemangels zialdemokraten um. Dies betrifft die Höhe der Verfah- leisten. Bei insgesamt etwa 600 Anträgen aus Drittstaa- renskosten und die Finanzierung von Anpassungsmaß- ten ist da, wie ich finde, noch sehr viel Luft nach oben. nahmen sowie des Lebensunterhalts. Im aktuellen Evaluationsbericht heißt es nämlich – ich bitte meinen (Beifall bei der SPD) Koalitionspartner, genau zuzuhören; ich zitiere –: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, wie ich Nicht selten können nach einer Kosten-Nutzen-Ab- vorhin sagte, auf einem guten Weg. Das Anerkennungs- wägung auch die Kosten für die Durchführung ei- gesetz ist gut. Aber wir wollen mehr. nes Anerkennungsverfahrens Interessierte davon abhalten, eine Anerkennung zu beantragen. Dies Danke schön. dürfte insbesondere für Personen … gelten, die mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weniger eindeutigen Bildungsrenditen rechnen als der CDU/CSU) zum Beispiel Ärzte … (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist ein Vizepräsident Johannes Singhammer: tapferer Konjunktiv!) Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Diaby, auch was die Einhaltung der Redezeit betrifft. Sie sind ja auch Schrift- Das steht also im Bericht. Für meine Fraktion gilt: Keine führer und wissen die Disziplin zu schätzen. Vielen Person darf aus Angst vor den Kosten des Anerken- (B) Dank. (D) nungsverfahrens zurückweichen. (Heiterkeit) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. [DIE LINKE] – Özcan Mutlu Jetzt kommt der Kollege Özcan Mutlu für Bünd- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir nis 90/Die Grünen. schon bei! Überzeugen Sie mal die auf der rechten Seite!) (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Auch Schrift- führer! Da werden wir mal sehen, wie er sich Gleichzeitig wissen wir, dass vom neuen ESF-Förder- an die vorgegebene Redezeit hält!) programm der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles 9 000 Personen profitieren können. Ich rufe noch einmal Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Zahlen in Erinnerung: Von bis zu 500 000 Infrage- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und kommenden haben bislang nur 26 000 ein Anerkennungs- Kollegen! Bei Ihnen, Herr Kollege Diaby, habe ich zeit- verfahren durchlaufen. Ich meine, das ist zu wenig. Daher weise gedacht, hier redet ein Oppositionspolitiker und sehe ich das Bildungsministerium in Verantwortung. nicht ein Vertreter der Regierungskoalition. Aber sei’s Sehr geehrter Herr Staatssekretär, es reicht nicht, abzu- drum. Wenn Sie auf dem richtigen Weg sind, freuen wir warten und sich die Frage zu stellen, ob es überhaupt Be- uns sogar. darf gibt. Ich denke, da müssen wir wirklich handeln. ( [SPD]: Immer den Blick (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nach vorn, Kollege!) LINKEN) Gute Idee, mäßig umgesetzt – so kritisierte der Sach- Es gibt einen Bedarf. Da sprechen die Zahlen ihre eigene verständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Sprache. Migration im Jahr 2011 den Gesetzentwurf zur Anerken- Wir als SPD-Fraktion wollen ein bedarfsorientiertes nung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse. Leider Einstiegsdarlehen zur Finanzierung des Lebensunter- hat sich daran bis heute nicht viel geändert, und das kriti- halts und der Nachqualifizierungen. Dieses Darlehen sieren wir. soll die Regelungslücke schließen für diejenigen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht vom ESF-Programm profitieren, und für diejeni- [SPD]: Völlig daneben!) gen, die nicht im SGB-II- oder SGB-III-Bezug stehen. Die Finanzierungsfrage berührt uns also. Das ist eine Seit 2012 gilt endlich das Berufsqualifikationsfest- Frage der sozialen Gerechtigkeit. stellungsgesetz – was für ein Wort! Wir sagen in der Tat: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11325

Özcan Mutlu (A) Das ist ein wichtiger und überfälliger Schritt. Lieber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) Kollege Müller, da sind wir bei Ihnen; das ist nicht das Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Deswegen ha- Problem. ben wir das Gesetz auch gemacht! Sie haben dagegengestimmt!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Das ist eine Binsenwahrheit, der inzwischen nicht mal Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Immerhin!) mehr die CSU widersprechen möchte – und das ist auch gut so. Aber Sie haben ein Bürokratiemonster mit erheblichen Schwächen geschaffen, Sie verkennen in diesem Zusammenhang nicht nur eine wichtige Integrationsmaßnahme, sondern nehmen (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ auch ökonomischen Schaden in Kauf. CSU und der SPD – Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU]: Ach, das ist doch Unfug!) (Martin Rabanus [SPD]: Kurz vor der Staats- pleite sind wir noch nicht!) und Sie haben auch heute hier die Chance verpasst, diese Schwächen im Gesetz zu beseitigen. Denn eine schnelle und unbürokratische Anerkennung bringt nicht nur finanzielle, sondern auch soziale Aner- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kennung. Allein schon aus wirtschaftlicher Sicht können Sie hatten genügend Zeit, um nachzubessern, aber Sie wir es uns nicht leisten, dass diese hochqualifizierten haben diese Zeit leider nicht genutzt. Menschen, die Zuwanderinnen und Zuwanderer, die aus den vielfältigsten Gründen zu uns kommen, als Hilfs- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koali- kräfte angestellt werden und zum Teil degradiert wer- tion und der kleinen Taten, leider interessiert Sie nicht, den. Da muss viel mehr getan werden. Da ist in der Tat wo die wirklichen Probleme der Menschen bei der Aner- viel Luft nach oben – zu viel Luft nach oben, lieber Kol- kennung ihrer Berufsabschlüsse sind. Vielmehr wird das lege Diaby! Gesetz wieder mal nur an den Stellen geändert, wo dies gemäß EU-Vorgaben zwingend erforderlich ist, nämlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei der Frage der elektronischen Datenübermittlung und sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den Maßnahmen zur Evaluierung des Gesetzes – nicht Das Land Hamburg beispielsweise hat mit einem Sti- mehr und nicht weniger. Das haben Sie den Ländern pendienprogramm sehr gute Erfahrungen gemacht. Auch aber bereits 2011 versprochen. das Land Baden-Württemberg will diesen Weg gehen. (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Wir halten, was (Cemile Giousouf [CDU/CSU]: Das sind euro- (B) wir versprechen! Das ist der Unterschied!) päische Mittel! Das können sie auch machen! (D) Deshalb sagen wir: Es ist und bleibt unverantwortlich, – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das kann je- dass Sie notwendige Reformen, die dringend umgesetzt des Bundesland machen!) werden müssten, nicht angehen. Ich frage einfach: Warum nicht daraus lernen und es flä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chendeckend einführen? Nein, der Bund prüft und prüft und prüft und lässt die Länder alleine. Es gibt immer noch keine Initiative, flächendeckend Stipendien für die Menschen anzubieten, die für die An- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: So ein erkennung ihrer Qualifikation Nachqualifizierungen brau- Quatsch!) chen. Was sollen diese Menschen machen? Sie sind gut Das ist genau wie bei dem folgenden Beispiel, das ich ausgebildet, aber zu einer guten Beschäftigung, die ihrer jetzt vortragen möchte: Das Aufenthaltsgesetz sieht eine Qualifikation entspricht, fehlt oftmals nur eine kurze Verordnungsermächtigung vor, nach der der für Hoch- Fort- oder Weiterbildung. schulabsolventen vorgesehene Aufenthaltstitel der Blauen (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Dann kann sie Karte EU auch Ausländerinnen und Ausländern erteilt auch nicht so teuer sein!) werden kann, die über keinen Hochschulabschluss ver- fügen, aber eine mindestens fünfjährige Berufserfahrung Diese bleibt aber unerreichbar; denn sie kostet Geld, was nachweisen können. Mit dieser simplen Verordnung die Menschen nicht haben. können wir erreichen, dass qualifizierte Nichtakademi- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und zusätzli- kerinnen und Nichtakademiker mit Erfahrung bei uns che Bürokratie!) eingesetzt werden. Aber auch hier prüfen Sie nur – in diesem Fall das Haus von Frau Ministerin Nahles –, und Für den Einzelnen bedeutet das in der Regel Arbeits- das seit Monaten. Ich sage: Hier ist keine Zeit mehr zu losigkeit und Abhängigkeit und in gewisser Weise auch verlieren, nichts mehr zu prüfen. Schreiten Sie zur Tat, Erniedrigung bzw. Benachteiligung. und geben Sie diesen Menschen eine Chance! (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Man kann auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN übertreiben!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Karamba Diaby [SPD]: Wir sind dabei!) Für unser Land bedeutet das – das muss ich hier in Rich- tung der CDU/CSU unterstreichen – einen großen Ver- Ich hoffe, dass die angekündigte unbürokratische An- lust. Wir brauchen diese Fachkräfte dringend. erkennung durch Qualifikationsanalysen, wenn Doku- 11326 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Özcan Mutlu (A) mente fehlen, auch wirklich unbürokratisch umgesetzt Demnach haben 78 Prozent von ihnen Arbeit. Nur in we- (C) wird und dass das Prozedere der Anerkennung in der Tat nigen Ländern ist die Beschäftigungsquote höher. vereinfacht wird. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse Ih- res Projekts „Prototyping Transfer“. Und vor allem bin (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. ich gespannt, wie schnell das alles tatsächlich geht. Dr. [SPD]) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Vor allem aber wird unser Anerkennungsgesetz gelobt. Sie haben zu wenig getan, um die Länder vom Mehrwert Dieses Gesetz habe seit 2012 die Anerkennung ausländi- einheitlicher Verfahren zu überzeugen. scher Berufsabschlüsse deutlich erleichtert. Hier sei Deutschland europaweit führend. Das, liebe Kolleginnen (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben gar und Kollegen, ist für die Politik des BMBF eine glatte nichts getan!) Eins! Es gibt weiterhin keine einheitlichen Kostensätze; das (Beifall bei der CDU/CSU) haben wir gerade sogar von einem Vertreter der Regie- rungskoalition gehört. Wir brauchen flächendeckende Der eingebrachte Gesetzentwurf der Bundesregierung und funktionierende Strukturen bei den Anerkennungs- zur Änderung des Anerkennungsgesetzes, den wir disku- verfahren statt eines unsäglichen und unglaublichen Zu- tieren, dient dazu, Vorgaben der novellierten EU-Richtli- ständigkeitsgerangels. Auch beim Ausbildungszugang nie zur Berufsanerkennung in deutsches Recht umzuset- für Geflüchtete oder beim Arbeitsmarktzugang für Men- zen. Durch die vorgesehenen Änderungen werden ein schen, die schon Fertigkeiten und Qualifikationen mit- einfacherer Zugang zur Anerkennung und raschere Ver- bringen, sind bisher von Ihnen keine Heldentaten, ge- fahren ermöglicht, wodurch die Hürden für den Wechsel schweige denn Taten zu sehen. in einen anderen EU-Mitgliedstaat sinken. Dies betrifft einerseits die Einführung der Option einer elektroni- Deshalb wiederhole ich mich: Es sind genug der schen Übermittlung von Unterlagen innerhalb der EU, Worte gefallen, lieber Kollege Diaby, nun wollen wir und andererseits gibt es nunmehr einen einheitlichen An- von Ihnen – vielleicht sagt ja gleich Frau De Ridder et- sprechpartner, der das Anerkennungsverfahren betreut. was dazu – endlich Taten sehen. (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Wir sind dabei!) NEN]: Quod erat demonstrandum!) Danke sehr, auch Ihnen, Herr Präsident, für die Ge- Lieber Herr Kollege Karamba Diaby, Sie haben eben duld. in Ihrer Rede Punkte angesprochen, die wir in der Be- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN richterstatterrunde eigentlich schon abgestimmt hatten. (D) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Deswegen wundert es mich, dass Sie diese Punkte hier noch einmal aufwerfen. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Dr. Karamba Diaby [SPD]: Für die Zunkunft! Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU-Fraktion die – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollegin Cemile Giousouf. NEN]: Gründet mal wieder eine Arbeits- gruppe!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Aber ich glaube, wir sind uns alle darin einig, dass wir es einerseits geschafft haben, ein historisches Gesetz, das Cemile Giousouf (CDU/CSU): hochkomplex und hochkompliziert ist, auf den Weg zu bringen, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Brüssel können dieser Tage auch gute (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nachrichten kommen. Am 10. Juni, also an dem Tag, als NEN]: Vereinfachen Sie es!) der vorliegende Bericht vom Bundeskabinett beschlos- sen wurde, hat der Brüsseler Thinktank Migration Policy und dass wir andererseits natürlich Dinge noch verbes- Group eine Studie vorgestellt, in der die Integrations- sern können. Aber man muss natürlich gut unterschei- politik von 38 Ländern verglichen wurde. Nach dieser den, wer die Dinge verbessern kann. Und da möchte ich Studie ist Deutschland in die Top Ten der besten Integra- auf Punkte eingehen, die bereits Staatssekretär Müller tionsländer aufgestiegen. angesprochen hat. (Beifall bei der CDU/CSU) Erstens. Eine große Herausforderung liegt natürlich in der Vereinheitlichung des Gesetzesvollzugs durch die Mehr noch: Deutschland wird inzwischen von anderen Länder. Mittlerweile – das ist erfreulich – gibt es in je- Ländern in der Integrationspolitik als Vorbild gesehen. dem Bundesland ein Anerkennungsgesetz. Allerdings Besonders gut gefiel den internationalen Forschern, liegt die Umsetzung auch der Bundesregelungen in Län- dass Einwanderer in Deutschland leicht Zugang zum Ar- derzuständigkeit. Es gilt, diese weiter zu vereinheitli- beitsmarkt finden. chen, beispielsweise durch die dringend benötigte zen- trale Gutachtenstelle für die Gesundheitsberufe. Wir sind (René Röspel [SPD]: Das hat auch lange ge- sehr froh, dass sich die Länder endlich bewegen konn- nug gedauert!) ten, diese bei der KMK einzurichten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11327

Cemile Giousouf (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sich bei uns beraten lassen, sondern wir wollen ihnen (C) neten der SPD) auch helfen, die volle Anerkennung zu erreichen, indem sie sich ihre Qualifikationen anerkennen lassen und sich Denn es kann nicht sein, dass ein ausgebildeter Medizi- bei fehlenden Qualifikationen nachqualifizieren. ner für jedes einzelne Bundesland gesonderte Anträge stellen muss, die alle unterschiedlich beschieden werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- können. So ist jedenfalls die derzeitige Rechtslage. neten der SPD) (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Viertens. Als notwendige Verbesserung nennt der Be- NEN]: Jetzt sind wieder die Länder schuld! richt auch eine Vereinheitlichung der Verfahrensgebüh- Immer, wenn ihr nicht weiterwisst, sind die ren. Im Bericht ist von einer Varianz von einem zweistel- Länder schuld! – Gegenruf des Abg. ligen Betrag bis hin zu einer vierstelligen Summe die Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie hat doch Rede. Da geht es natürlich auch um die unterschiedli- recht!) chen Kosten der Nachqualifizierung – keine Frage. Die Gutachtenstelle muss selbstverständlich auch zen- Keine Frage ist auch, dass der Bund nicht alles dirigis- trale Antragstelle für ganz Deutschland sein. tisch vorgeben kann. Aber im Bereich der Kammern sollten schon verbindliche, einheitliche Sätze erhoben Das gilt auch für den Bereich Pflege. Hier stehen wir werden. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten einerseits vor einem gravierenden Fachkräftemangel. Im wir tatsächlich noch mehr insistieren. Jahr 2030 werden uns wahrscheinlich 466 000 Pflege- kräfte fehlen. Dabei sind die Altenpflegeeinrichtungen Fünftens. Es wurde auch untersucht, welche Meinung nicht berücksichtigt. Auf der anderen Seite gibt es viele deutsche Arbeitgeber zur Rekrutierung von Zugewan- Menschen, die sich gerade mit Qualifikationen im Ge- derten mit ausländischen Berufsabschlüssen haben. Le- sundheitsbereich bei uns vorstellen. Aber es hapert eben diglich etwas über 40 Prozent der Befragten kennen in- an der Umsetzung vor Ort. zwischen die noch relativ neuen Anerkennungsregeln. Gerade für die KMUs ist das Anerkennungsgesetz eine Vor diesem Hintergrund ist die Praxis der einzelnen gute Möglichkeit, Fachkräfte zu gewinnen. Deswegen Länderbehörden, was Pflegekräfte angeht, einfach un- appelliere ich auch an meine Bundestagskollegen, in ih- verständlich, zum Beispiel wenn das Landesamt für so- ren Wahlkreisen mit den Betriebsräten, mit den Kam- ziale Dienste in Schleswig-Holstein die philippinischen mern vor Ort mehr über das Anerkennungsgesetz zu Nursing Curricula abqualifiziert oder wenn vom Regie- sprechen und es noch bekannter zu machen. rungspräsidium Darmstadt trotz sechsjähriger Berufs- erfahrung ein Katalog von Anpassungsmaßnahmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) gefordert wird. Der Kern des Problems ist: Die Bedin- neten der SPD) (D) gungen für die Anerkennung scheinen oft nicht klar er- Wir sprechen viel über Zahlen, Fakten und Daten, sichtlich. Behörden behelfen sich dann, indem sie bei der aber eines sollten wir dabei nicht vergessen: Für die nächsthöheren Dienststelle nachfragen oder den Fall res- Menschen, die aus freien Stücken zu uns kommen, aber triktiv behandeln. Mit dem Anerkennungsgesetz wollen auch für die, die aus den Krisengebieten dieser Welt zu wir gerade das verhindern: Mit dem Anerkennungsge- uns flüchten, bedeutet die Möglichkeit zur Anerkennung setz wollen wir klare Bedingungen schaffen, den Büro- ihres Berufsabschlusses in Deutschland eine ganz wich- kratieabbau fördern und es gleichzeitig als Instrument tige Hilfestellung. Eine wachsende Herausforderung in gegen den Fachkräftemangel nutzen und ein Zeichen der den kommenden Jahren wird es sein, gut qualifizierten Willkommenskultur in Deutschland setzen. Flüchtlingen, die häufig ohne Papiere einreisen, den Zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen. Wo formale Nach- neten der SPD) weise fehlen, können praktische Prüfungen eine gute Lösung sein. Diese Möglichkeit bietet das Anerken- Noch etwas: Es gibt leider bei den Gesundheitsberu- nungsgesetz. Darüber bin ich sehr froh. Dass wir damit fen unterschiedliche Sprachanforderungen in den einzel- Menschen schneller eine Möglichkeit geben, sich in un- nen Bundesländern. Auch das führt eben zum Anerken- serer Gesellschaft zu integrieren, hilft der Gesamtgesell- nungstourismus. schaft. Der zweite Punkt betrifft den Verwaltungsvollzug in (Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den Länderbehörden jenseits der Gesundheitsberufe, NEN]: Davon sollten Sie Herrn de Maizière etwa beim Lehramt. Es ist sehr bedauerlich, dass manche auch mal überzeugen!) Länder, darunter auch Nordrhein-Westfalen, den Beruf des Lehrers erst gar nicht aufgenommen haben. Unsere Aufgabe ist es nunmehr, bei den Menschen mit einer hohen Bleibeperspektive frühzeitig die berufliche Drittens. Wir haben mit dem Beratungsnetzwerk „In- Kompetenz abzufragen. Im Pilotprojekt „Early Interven- tegration durch Qualifizierung (IQ)“ sehr gute Informa- tion“, bei dem BA und BAMF kooperieren, geschieht tions- und Beratungsstrukturen aufgebaut. Ich finde es dies bereits. Das Anerkennungsgesetz ist hierfür – das sehr gut, dass das IQ-Netzwerk jetzt auch in Richtung sieht man ganz eindeutig an dieser Stelle – eben genau kostenloser Nachqualifizierungsangebote weiterentwi- das richtige Instrument. ckelt wird. Zudem werden verstärkt Angebote für An- passungsqualifizierungen bei festgestellten Defiziten be- Jetzt ist es Aufgabe – damit komme ich zum Schluss – reitgestellt. Wir wollen ja nicht nur, dass die Menschen aller Beteiligten, die Anwendung der Anerkennungsre- 11328 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Cemile Giousouf (A) gelungen weiter zu vereinheitlichen und sie im Sinne ei- werk „Integration durch Qualifizierung“ leistet eine her- (C) ner gelebten Willkommenskultur auszugestalten. Das vorragende Arbeit. wäre im Geiste dieses Gesetzes, oder, um die Worte auf- (Beifall bei der SPD) zugreifen, die mir ein Unternehmer aus meinem Wahl- kreis vor kurzem sagte: Wir suchen doch händeringend Seit 2013 wurden allein bei uns 500 Beratungsgespräche Menschen, die bei uns arbeiten. Macht uns das Leben geführt. Vor so viel Engagement müssen wir uns vernei- nicht so schwer! gen. Ich danke jedenfalls dafür ganz ausdrücklich. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ Bürgerinitiativen, Ausländerbehörden, Jobcenter und DIE GRÜNEN]: Das war eine Kritik an Ihrer die Kammern vor Ort haben in der Tat ein dichtes Netz- Politik!) werk gebildet. Individuelle Beratung, Sprachtrainings, Antragstellung und Jobvermittlung werden als Kom- plettservice angeboten. Mittlerweile, Frau Giousouf, ge- Vizepräsident Johannes Singhammer: hen die Arbeitgeber bereits ganz gezielt auf die Bera- Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die tungsstellen zu, um geeignetes Personal zu finden. Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD. Bis Ende 2013 wurden mehr als 26 000 Anträge auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Anerkennung gestellt. Ich finde, das ist viel zu wenig; der CDU/CSU) denn rund eine halbe Million Menschen leben in Deutschland, deren Ausbildung nicht anerkannt ist. Das ist eine vergebene Chance. Ja, liebe Oppositionspoliti- Dr. Daniela De Ridder (SPD): ker, daran werden wir in der Tat weiterarbeiten. Das ist Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und uns eine Pflicht. Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Wings University“ heißt das Projekt, von dem mir zwei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Studierende in dieser Woche berichteten. Sie wollen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) flüchtenden Menschen die Chance geben, ein Studium Sie erinnern sich an die hervorragende Arbeit, die ich aufzunehmen und mit einem Abschluss zu beenden: aus meinem Wahlkreis berichtet habe? Sie wird – das ohne Kosten, ohne Zugangsvoraussetzungen, ohne Aus- sollte uns in Staunen versetzen – von einer einzigen Frau weispflicht. Gerade in der ungewissen und unsicheren organisiert. (B) Situation, in der sich viele geflüchtete Menschen befin- (D) den, gibt das diesen möglicherweise einen neuen Sinn. (Mechthild Rawert [SPD]: Toll!) Beim Start im Herbst sind zunächst alle Kurse online. Dazu kann ich nur sagen: Chapeau! Schon jetzt haben sich über 3 000 Menschen angemel- det. Wenn wir mehr Menschen eine berufliche Perspektive durch Anerkennung geben wollen, müssen wir sie über Ich erwähne dieses Projekt deshalb, weil es genau ihre Chancen informieren. Das ist ein gewichtiger Punkt, beim richtigen Punkt ansetzt: Es gibt Menschen berufli- kostet aber Geld, und das, lieber Stefan Müller, müssen che Chancen und die Hoffnung auf eine gesicherte Zu- wir auch zur Verfügung stellen: für eine bessere Ausstat- kunft. Das tut im Übrigen auch das Anerkennungsgesetz. tung der Beratungsstellen, für mehr Personal, für mehr Auch wenn, lieber Kollege Mutlu, noch nicht alles auf Sprachkurse und vor allem für eine Absenkung der Ver- der richtigen Bahn ist und noch ein Stück Arbeit vor uns fahrenskosten. liegt: Wir von der SPD stricken nie mit der heißen Na- del. Ich weiß, wovon ich spreche. (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]) (Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜND- Als Einwanderungsland – lassen Sie mich das als Zu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha, ha! Große gewanderte sagen – müssen wir jetzt den begonnenen Worte!) Weg konsequent weitergehen. Das geht nicht allein Vor etwas mehr als drei Jahren haben wir das Aner- durch ehrenamtliches Engagement, wie etwa bei der kennungsgesetz in Deutschland verabschiedet. Die Ziele „Wings University“. Durch die Flüchtlingsströme wird waren damals die gleichen wie heute. Menschen aus al- unsere Aufgabe nicht kleiner, aber das Potenzial wird er- ler Welt, die zu uns kommen wollen oder bereits hier heblich größer. sind, sollen ihre Berufsabschlüsse anerkennen lassen (Beifall bei der SPD) können und somit in ihrem erlernten Beruf arbeiten dür- fen. Es wäre ja auch absurd, liebe Kolleginnen und Kol- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und, lieber legen: Soll eine Ärztin aus Syrien etwa nicht in Deutsch- Herr Präsident, gestatten Sie mir, den Kolleginnen und land in ihrem Beruf arbeiten können? Wie ist es mit dem Kollegen einen schönen, krisenarmen Sommer zu wün- Ingenieur aus Polen oder der Architektin aus Libyen? – schen. Ich weiß aus meinem Wahlkreis, der Grafschaft Vielen Dank. Bentheim und dem Emsland, wie viel Arbeit hinter je- dem erfolgreichen Antrag steckt. Das Beratungsnetz- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11329

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: 1.0“. Das können wir uns nicht länger leisten, und das (C) Vielen Dank für diesen guten Wunsch. – Damit wollen wir uns auch nicht länger leisten. schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungs- Klar ist: Wir haben kein Anwendungsproblem, aber punkt. ein erhebliches Vernetzungsproblem, weil die Datenau- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf tobahn fehlt. Das ist so, als hätte man lauter Sportwagen, den Drucksachen 18/5326 und 18/5200 an die in der Ta- aber nur Feldwege, auf denen man fahren kann. gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Weil sich keinerlei Widerspruch erhebt, gehe ich davon GRÜNEN]: Ja! Und wer ist seit zehn Jahren aus, dass Sie alle damit einverstanden sind und die Über- durchgehend an der Regierung?) weisungen so beschlossen sind. Wir brauchen endlich die Autobahnen, damit die Wagen Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 35 auf: auch zeigen können, was in ihnen steckt. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Daher stellen wir jetzt mit dem E-Health-Gesetz die gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für sichere Weichen für den Aufbau einer Telematikinfrastruktur. digitale Kommunikation und Anwendungen Wir schaffen damit Voraussetzungen für eine schnellere im Gesundheitswesen und sicherere Kommunikation, für mehr Patientensi- Drucksache 18/5293 cherheit und für mehr Wirtschaftlichkeit in unserem Ge- sundheitswesen. Es geht dabei nicht nur um Fragen bes- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) serer Kommunikation und höherer wirtschaftlicher Innenausschuss Effizienz. Nein, meine Damen und Herren, es geht um Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz bessere Medizin; denn digitale Vernetzung kann Leben Ausschuss Digitale Agenda retten. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil sich neten der SPD) auch hier kein Widerspruch erhebt, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit einverstanden sind und dies so be- Wenn es zum Beispiel nach einem Unfall schnell ge- schlossen ist. hen muss, dann soll der Arzt künftig wichtige Notfallda- ten direkt von der elektronischen Gesundheitskarte abru- Ich eröffne dann die Aussprache und erteile als erster fen können. Das geht nur mit der elektronischen Rednerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Speicherung grundlegender Daten zum Beispiel zu be- (B) Annette Widmann-Mauz das Wort. stehenden Allergien oder Vorerkrankungen. Ab 2018 (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wird es möglich sein, wenn der Patient es wünscht, dass neten der SPD) diese Daten abgespeichert werden. Ärzte bekommen dann eine Vergütung, wenn sie die entsprechenden Da- tensätze erstellen. Es geht also um elektronische Notfall- Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin daten und ein modernes Versichertenstammdatenmana- beim Bundesminister für Gesundheit: gement. Dafür setzt das E-Health-Gesetz Fristen fest, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! setzt Anreize und legt Sanktionen fest. Ich freue mich, dass wir als vorletzten Tagesordnungs- punkt vor der Sommerpause über den Regierungsent- In Deutschland sterben leider noch immer viel zu wurf eines E-Health-Gesetzes sprechen. Es mag zwar viele Menschen an gefährlichen Wechselwirkungen von der vorletzte Tagesordnungspunkt sein, aber das ist eher Arzneimitteln. Auch hier kann und wird die digitale Ver- Understatement; denn in Wirklichkeit geht es um eines netzung einen echten Fortschritt und einen echten Mehr- der anspruchsvollsten IT-Projekte der Gegenwart. Man- wehrt bringen. Wir schaffen jetzt schnellstmöglich die che sprechen sogar vom größten IT-Projekt weltweit, Grundlage dafür, dass ein Medikationsplan mit der elek- und das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus tronischen Gesundheitskarte gespeichert werden kann. gutem Grund; denn wir wollen in Deutschland eine um- Ab Oktober 2016 soll er den Patientinnen und Patienten, fassende Infrastruktur schaffen, die einen sicheren elek- die drei oder mehr Medikamente nehmen, ausgehändigt tronischen Datenaustausch im Gesundheitswesen er- werden. Der Arzt kann dann direkt sehen, welche Medi- möglicht. kamente gerade eingenommen werden, und so gefährli- che Wechselwirkungen verhindern. Das hilft insbeson- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dere älteren und allein lebenden Menschen. Uns ist neten der SPD) wichtig, dass ein solcher Medikationsplan mittelfristig über die elektronische Gesundheitskarte abrufbar sein Eine solche Infrastruktur ist auch dringend nötig. Fast wird. alle Praxen und Krankenhäuser nutzen digitale Daten auf hohem Niveau, und das bei rund 1,5 Milliarden Behand- Liebe Kollegen, digitale Vernetzung stärkt die Patien- lungen pro Jahr. Aber wenn dann die rund 5 Milliarden ten. Wer seine eigenen Daten kennt und gelernt hat, ver- Behandlungsdokumente ausgetauscht werden müssen, antwortlich damit umzugehen, der wird zum mündigen läuft das bei uns im Land meist noch per Fax oder gar Patienten. Die elektronische Gesundheitskarte ist der per Post. Wie schrieb die FAZ neulich so treffend über erste Schritt zu einer elektronischen Patientenakte. Da- diese analoge Insel im digitalen Zeitalter? „Gesundheit mit werden die Patienten über die Diagnose und über die 11330 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (A) Therapie viel genauer und umfassender informiert, und Uns ist es ernst. Wir wollen mit diesem E-Health-Ge- (C) sie können auch besser in die Entscheidungsprozesse setz einen Durchbruch erreichen. Ich werbe um Ihre Un- eingebunden werden. Jeder von uns weiß: Was in ge- terstützung für dieses einzigartige Projekt. meinsamer Entscheidung und Verantwortung gemacht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wird, ist in der Medizin am Ende erfolgreicher. Das Stichwort „Compliance“ spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Außerdem werden die Zugriffsverfahren auf das Vizepräsidentin : Patientenfach erleichtert, sodass Versicherte dort wich- Vielen Dank, Frau Kollegin Widmann-Mauz. – Einen tige Dokumente, zum Beispiel einen elektronischen schönen Nachmittag von meiner Seite, liebe Kollegin- Impfausweis, ablegen können. Auch das stärkt die Pa- nen und Kollegen. tientenautonomie. (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Gleichfalls, Frau Präsidentin!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Endspurt! Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Stunde. Die Digitalisierung ist ein echter Fortschritt für mün- Wenn wir uns anstrengen und uns an die Zeiten halten, dige und selbstbestimmte Patienten, aber nur dann, wenn dann kommen wir auch pünktlich zum Ende. der Datenschutz so umfassend wie möglich gewahrt ist. Darum erfüllt die geplante Telematikinfrastruktur die (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir können höchsten Sicherheitsstandards. Das ist der dritte große auch ganz schnell fertig werden!) Fortschritt dieses Gesetzes. Der Zugriff der Ärzte auf die – Das hängt jetzt ganz von Ihnen ab. Daten wird protokolliert. Krankenkassen sind zur Infor- mation verpflichtet. Medizinische Daten werden ver- Pia Zimmermann ist die nächste Rednerin für die schlüsselt. Der Patient kann auch Daten löschen lassen. Fraktion Die Linke. Der Patient ist jederzeit Herr über seine Daten und be- (Beifall bei der LINKEN) stimmt selbst, ob und welche medizinischen Daten ge- speichert werden und wer sie lesen darf. Pia Zimmermann (DIE LINKE): (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit Ihrem Gesetzentwurf verbessern Sie Das sind im Übrigen höhere Sicherheitsstandards als nicht primär die gesundheitliche Versorgung der Patien- bei der EC-Bankkarte, und wir werden sie noch einmal tinnen und Patienten, mit Ihrem Gesetz wollen Sie viel- verschärfen. Es drohen strafrechtliche Konsequenzen für mehr das Gesundheitswesen stärker ökonomisieren. Das (B) unberechtigte Zugriffe. Das ist echte Patientensouveräni- lehnen wir als Linke grundsätzlich ab. (D) tät. Und vor allem: Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient bleibt unangetastet, und das ist das (Beifall bei der LINKEN) Wichtigste. Das wollen wir auch bewahren. Welches Kernanliegen verfolgen Sie mit diesem Ge- setzentwurf? Sie wollen die elektronische Gesundheits- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) karte und die Telematikinfrastruktur für weitere Nutzer- Nicht umsonst hat der Präsident des BSI das E- gruppen anwendbar machen. Wer diese Nutzergruppen Health-Gesetz als „Meilenstein für die IT-Sicherheit im eigentlich sind, beschreiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf Gesundheitswesen“ bezeichnet. Das immer wieder zu allerdings nur vage. Zum Beispiel sprechen Sie von hörende Argument, es gebe zu wenig Datenschutz, ist „Angehörigen der nicht-approbierten Gesundheitsbe- also nicht nur vorgeschoben, sondern es ist schlichtweg rufe“ und von der „Nutzung … durch die Gesundheits- falsch. Mit solchen Argumenten sind Fortschritte viel zu forschung“. Die Pharmaindustrie, die Arbeitgeberver- lange blockiert worden. Das darf wirklich nicht mehr bände und die Krankenversicherungskonzerne mit ihren Gesundheitsüberwachungs-Apps reiben sich schon jetzt sein. die Hände. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Meine Damen und Herren, ich frage mich vor diesem neten der SPD) Hintergrund, wie Sie einen Gesetzentwurf „für sichere digitale Kommunikation und Anwendung im Gesund- Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Mit dem E- heitswesen“ vorlegen können, bei dessen Umsetzung ris- Health-Gesetz muss jetzt der Durchbruch erreicht wer- kiert würde, dass hochsensible Gesundheitsdaten von den. Dazu muss auch die Selbstverwaltung ihren Beitrag etwa 70 Millionen Menschen, die versichert sind, in die leisten. Ich habe kein Verständnis dafür, dass es zu Ver- falschen Hände gelangen. Das ist unverantwortlich! zögerungen im Bewertungsausschuss kommt. Dieses in- teressenpolitische Klein-Klein können wir uns nicht (Beifall bei der LINKEN) mehr leisten. Ich erwarte von allen Akteuren – und hier Der euphemistische Titel Ihres Gesetzes zeigt doch, dass beziehe ich die Industrie explizit mit ein –, dass sie ihren Sie um diese Gefahren wissen. Beitrag liefern. Ausreden, warum es immer wieder zu Verzögerungen gekommen ist – wie wir sie in den letz- Außerdem findet sich in Ihrem Gesetzentwurf kein ten Jahren immer wieder gehört haben –, werden wir und verlässlicher Hinweis darauf, wie und wo die Patientin- wollen wir nicht mehr hinnehmen. Wir werden die Sank- nen und Patienten Zugriff auf ihre Daten haben. Sie tionen durchsetzen. schreiben zwar etwas von Terminals in Arztpraxen, al- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11331

Pia Zimmermann (A) lerdings ohne Zeitplan und konkrete Vorstellungen. Ich nehme ich nicht, wie Sie die Sicherheit hochsensibler (C) kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, wie Ihr Gesundheitsdaten gewährleisten wollen. Sie entziehen Onlinecheckpoint beim Arztbesuch funktionieren soll; den Menschen das Recht, selbst frei über ihre Daten zu aber Sie wissen das ja anscheinend auch nicht. entscheiden. Die Hauptnutznießer sind nicht die Patien- tinnen und Patienten, sondern eher die Versicherungs- Meine Fraktion sagt deutlich: Personenbezogene Ge- wirtschaft und die Pharmaindustrie. sundheitsdaten gehören in Patientenhand und nicht in ir- gendwelche Daten-Clouds. Die Datenhoheit des Einzel- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nen muss geschützt werden. Sie setzen, wie in vielen Ihrer Gesetze, auf Sanktionen (Beifall bei der LINKEN) statt auf Handlungsfreiheit und preisen das dann auch noch als gut. Den Datenschutz nehmen Sie nicht so Sie aber untergraben diesen Schutz mit Ihrer Politik; ernst. Sie ignorieren die Hinweise der Interessengruppen denn Sie haben keinen Schimmer, wie die Versicherten- und – ich sage es noch einmal – Ihrer eigenen Daten- daten, auf die von mehreren Hunderttausend Rechnern schutzbeauftragten. aus zugegriffen werden kann – in Arztpraxen, Kranken- häusern und Krankenkassenverwaltungen –, dauerhaft Die Linke empfiehlt Ihnen daher mit Nachdruck, den vor Cyberangriffen geschützt werden können. Wir erle- Gesetzentwurf zurückzuziehen und das Projekt „elektro- ben seit einigen Wochen, wie das Netz des Deutschen nische Gesundheitskarte“ einzustampfen. Bundestages von Hackern angegriffen wird und es nicht gelingt, Datenströme des Hohen Hauses zu schützen. Vielen Dank. Und Sie sagen, dass Sie das in diesem Bereich hinbe- (Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann kommen? Das kann doch wirklich nicht wahr sein! [CDU/CSU]: Ganz sicher nicht!) (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Das Fazit lautet: Solange dies nicht möglich ist, soll- Vielen Dank, Pia Zimmermann. – Nächster Redner in ten wir nicht fahrlässig Patientendaten in digitale Netze der Debatte: Dirk Heidenblut für die SPD. einspeisen. Datenschutz und Datensensibilität müssen endlich zu einem politischen Gebot der Regierungspoli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tik werden. (Beifall bei der LINKEN) Dirk Heidenblut (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (B) Meine sehr verehrten Damen und Herren, übrigens Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines möchte (D) hat diesbezüglich nicht nur die Linke akute Bedenken, ich gleich zu Beginn klarstellen: Wir werden natürlich sondern auch Ihre eigene Datenschutzbeauftragte, Frau nichts zurückziehen, und wir werden auch nichts ein- Voßhoff. Nehmen Sie diese Kritik endlich ernst. motten. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie versuchen hier, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, Ganz im Ernst: Wer angesichts einer Infrastruktur, mit dem der elektronischen Gesundheitskarte irgendwie über die wir uns – ich bedaure das durchaus – seit über noch ein Fundament gegeben werden soll. Das geht, wie zehn Jahren Gedanken machen – wir machen uns vor al- immer, auf Kosten der Versicherten. Ihre Gesundheits- lem Gedanken über die Sicherheit –, mit dem Vorwurf karte hat die Versicherten bis heute über 1 Milliarde kommt, wir würden fahrlässig Gesundheits- und Patien- Euro gekostet, und das ohne wirklichen Nutzen. tendaten in irgendwelche Netze speisen, den kann man Ganz nebenbei führen Sie für die Versicherten, die nicht für voll nehmen. Das tut mir furchtbar leid, aber sich aus Sorge um ihre Daten noch nicht für die elektro- das ist natürlich Kokolores. Insofern werden wir das nische Gesundheitskarte entschieden haben – immerhin auch nicht tun. sind das 2 Millionen Versicherte –, die Praxisgebühr (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie durch die Hintertür wieder ein: nicht pro Quartal, son- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE dern pro Arztbesuch 5 Euro. Das kann doch wohl nicht GRÜNEN) wahr sein! Ihre Repressionsmethoden sind unanständig. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Anstatt weiter mit Sanktionen Ihre Politik durchzuset- Herr Kollege Heidenblut, erlauben Sie eine Zwi- zen, sollten Sie Ersatzverfahren für die Versicherten schenfrage oder -bemerkung der Kollegin Vogler? schaffen, die für alle frei und unkompliziert zugänglich sind. Dirk Heidenblut (SPD): Bitte sehr. Zusammengefasst lässt sich sagen: Die elektronische Gesundheitskarte und die Telematikinfrastruktur ver- schwenden enorme Versicherungsbeiträge, ohne zu sub- Vizepräsidentin Claudia Roth: stanziellen Verbesserungen für die Beitragszahlerinnen Wir wollen rechtzeitig fertig werden, aber es ist Ihr und Beitragszahler zu führen. Ihrem Gesetzentwurf ent- Recht, Frau Vogler. 11332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

(A) Dirk Heidenblut (SPD): können, weil der Arzt weiß, was Sie nehmen und Ihnen (C) Hätte ich Nein sagen sollen? das Richtige dazu verordnen kann. Wenn Sie sich dies wünschen, muss ich Ihnen sagen: Das ist leider nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: möglich. Nein, um Gottes Willen, ich mische mich nicht ein. Genau das will das Gesetz verändern. Wir wollen si- cherstellen, dass Sie die Hoheit über Ihre Daten bekom- Kathrin Vogler (DIE LINKE): men und dass solche Dinge in Zukunft für alle Beteilig- Herr Kollege Heidenblut, wir haben doch erst kürz- ten möglich werden. lich im Fernsehen bewundern dürfen, wie einfach es ist, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sich mit öffentlich erhältlichen Daten aus dem Callcenter einer Krankenkasse Zugang zu den Versichertendaten ei- Denn gerade für mehr Patientensicherheit, für mehr Ho- ner anderen Person zu beschaffen, sich eine falsche elek- heit über die eigenen Daten und für mehr Nutzung tele- tronische Gesundheitskarte ausstellen zu lassen und da- medizinischer Möglichkeiten – auch das gehört dazu; mit sogar auch noch Einsicht in die Rentenunterlagen zu das ist ja kein Frevel – ist es dringend nötig, dass die seit nehmen. Meinen Sie nicht auch, dass das zumindest ein Jahren angekündigte IT-Gesundheitsstruktur endlich in Anlass hätte sein können, in dieser Debatte ein bisschen Schwung kommt. Wir haben das übrigens schon im Ko- nachdenklicher aufzutreten und noch einmal zu überle- alitionsvertrag festgehalten, leider mit ein wenig dürren gen, ob Sie da tatsächlich auf dem richtigen Weg sind? Worten; aber der Minister hat daraus gleich ein recht umfangreiches und, wie ich finde, zielführendes Gesetz Dirk Heidenblut (SPD): entwickelt. Wenn Menschen durch betrügerische oder andere (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Maßnahmen versuchen, sich Zugang wozu auch immer CDU/CSU) zu verschaffen, dann ist das ein Anlass, darüber nachzu- denken, wie man dafür sorgt, dass sie das a) nicht mehr Nun will ich hier keineswegs die Entwicklung von können und dass man b) ihrer entsprechend habhaft Apps mit unserer komplexen Telematik auf die gleiche wird, damit man sie dafür bestrafen kann. Ebene stellen, nein, wegen der von uns zwingend zu si- chernden geschützten und zuverlässigen Infrastruktur, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dem deutlich höheren Maß an Datenvolumen und am bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Ende natürlich auch an echten Gesundheitsleistungen ist GRÜNEN) das unmöglich. Aber die Apps machen deutlich: Es gibt Das ist der primäre Ansatz. Wir sagen außerdem: Wir viele, die so etwas gerne nutzen würden, auch für die ei- (B) (D) brauchen eine sichere, eine zuverlässige, eine geschützte gene Gesundheit, und es gibt eigentlich keinen Grund, Infrastruktur. Wir erwarten natürlich von der Selbstver- warum das eine im Monats-, Wochen- oder Tagesrhyth- waltung, und zwar von allen Beteiligten der Selbstver- mus problemlos aktualisiert und vorgelegt werden kann waltung, dass sie das mit sicherstellen. und das andere – ich sage das einmal freundlich – nach etwas mehr als einem Jahrzehnt noch nicht so ganz aus (Zuruf der Abg. Pia Zimmermann [DIE den Puschen gekommen ist. Deswegen müssen wir dem LINKE]) einen Schub verleihen. Das tun wir mit diesem Gesetz- entwurf an mehreren Stellen. Ich will drei davon kurz Genau das wird an dieser Stelle auch passieren. ansprechen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Erstens: die elektronische Gesundheitskarte. Ich weiß, Liebe Kolleginnen und Kollegen, nutzen Sie eigent- dass man sie als Politiker nicht so gerne anspricht, weil lich eine der Fitness- und Gesundheitsapps mit dem man dann häufig gesagt bekommt: Da habt ihr uns ja Smartphone oder vielleicht mit einem dieser wunder- eine schöne Karte mit Bild beschert. – Aber so ist es schönen Armbänder, die man dazubekommen kann? eben nicht. Sie ist eine Karte, die den Schlüssel zu einem Speichern Sie Ihre Schritte und versuchen, Laufbewe- sicheren Gesundheits-IT-System und die für den Patien- gung und Puls aufzuzeichnen, wahrscheinlich im Inter- ten und die Patientin den Schlüssel zur Hoheit über die net? Nein? Na gut, dann gehören Sie wahrscheinlich wie eigenen Daten darstellt. ich zu der Spezies Mensch, die sagt: Es muss jetzt nicht (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wie das funk- alles von mir elektronisch im Internet verfügbar sein. tionieren soll, müssen Sie uns mal erklären!) Meine Pulsdaten gehen am Ende nur mich etwas an. – Aber wenn Sie das nutzen wollen, dann können Sie das. Natürlich bilden das Notfalldatenmanagement und der Medikationsplan, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, Vielleicht gehören Sie zu den Menschen, die leider insgesamt ganz sicher noch keine elektronische Patien- unendlich viele Medikamente nehmen müssen und gerne tenakte; aber wir sind jetzt konsequenter auf dem Weg sichergestellt haben würden, dass sie den Medikamen- dorthin. tenplan in einer vernünftigen Struktur in der Hand haben – nicht nur in der Hand, sondern nach Möglichkeit auch Zweitens: die Telematikinfrastruktur; auch sie wurde auf elektronischen Medien –, dass die Daten aktuell sind schon angesprochen. Auf diesem Wege werden Daten in und dass, egal zu welchem Behandler Sie kommen, Zukunft sicher über ein Netz übertragen. Die Testphasen Fehlmedikationen und Fehlbehandlungen – die Staatsse- laufen an. Ich bin sicher, sie werden nächstes Jahr er- kretärin hat das angesprochen – ausgeschlossen werden folgreich abgeschlossen. Dann muss natürlich definiert Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11333

Dirk Heidenblut (A) werden: Wer darf was wie tun? Im vorliegenden Gesetz- weil wir meinen: Zehn Jahre nachdem die Gesundheits- (C) entwurf wird dafür ein vernünftiges Reglement vorgege- karte im SGB V verankert wurde, müssen wir endlich ben. Dazu gehört, dass wir über Interoperabilität, also entscheidende Schritte vorwärts machen, und zwar hin über vernünftige Standards, und über Zugangsmöglich- zu einer sicheren digitalen Kommunikation im Gesund- keiten reden müssen. All diese Punkte beinhaltet unser heitswesen. Gesetzentwurf. Ich muss sagen: Ich habe relativ wenig Verständnis Drittens – last but not least – ein Wort zur Telemedi- für die Position der Linken. Denn normalerweise treten zin. Ja, Telemedizin kann eine Menge bewirken. Darauf wir gemeinsam dafür ein, dass es in den Bereichen, die setzen wir, auch im Hinblick auf die Versorgungsstär- für die gesamte Gesellschaft grundlegend sind, so etwas kung. Wir setzen auch darauf, wenn es um moderne und wie eine öffentliche Infrastruktur gibt. Genau das soll aktuelle Behandlungsmöglichkeiten geht. Eines ist doch hier auf den Weg gebracht und vorangetrieben werden. völlig klar: Wenn das Ganze nicht geregelt ist – das gilt Es geht um eine sichere öffentliche Telematikinfrastruk- für die Nutzenbewertung genauso wie für die finanziel- tur für das Gesundheitswesen mit der eG-Karte als len Konsequenzen, die daraus erwachsen –, dann werden Schlüssel bzw. Zugang dazu. Das, muss man sagen, ist in wir die möglichen Weiterentwicklungen an dieser Stelle unserer heutigen Gesellschaft, die durch IT geprägt ist, nicht hinbekommen. Auch hierzu enthält unser Gesetz- ein öffentlicher Auftrag. Von daher kann ich Ihre grund- entwurf Regelungen. sätzliche Verweigerung an dieser Stelle nicht verstehen. Ich gebe zu: Das ist ein Punkt, an dem man sagen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, kann: Darüber, ob die Beschränkung auf den Röntgenbe- bei der CDU/CSU und der SPD) reich die richtige Zielsetzung ist, kann man ja noch ein- Im Gegenteil: Wir müssten ungeduldiger sein. Wir mal reden. müssten fragen, wie es sein kann, dass wir zehn Jahre gebraucht haben, um voranzukommen, und warum wir (Beifall bei der SPD) die entscheidenden Schritte noch nicht gemacht haben. Dass im Gesetzentwurf eine Regelung getroffen wurde, Vielmehr stecken wir in einem Innovationsstau, der dazu ist aber richtig. Außerdem werden viele Fragen zur führt, dass es im gesamten Gesundheitswesen mittler- Kommunikation und zu anderen Aspekten angespro- weile viele graue Nebenlösungen gibt, die nicht den ho- chen, die uns ganz sicher nach vorne bringen werden. hen Standards entsprechen, die in den entsprechenden Gremien erarbeitet wurden und immer wieder beschwo- Im Gesetzentwurf geht es auch um Sanktionen. Aber ren werden, die aber in der Gesellschaft bzw. bei der An- die Sanktionen – das haben Sie ein wenig unterschla- wendung im Grunde überhaupt noch nicht zum Tragen gen – richten sich im Zweifel gegen die Partner, die das kommen. Da müssen wir vorankommen. Darum muss es (B) Ganze nicht weiter voranbringen, also zum Beispiel ge- gehen. (D) gen die Ärzteschaft, gegen die KVen, gegen die gesetzli- chen Krankenversicherungen. Was aus Sicht der Linken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so fürchterlich daran ist – wir wollen einen Schub leis- sowie bei Abgeordneten der SPD) ten, damit das Ganze im Interesse der Patienten endlich Ich glaube, dass das Bild von der Autobahn und den vorankommt –, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Autos insofern verstaubt ist, als wir uns längst in einer (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ganz anderen Dimension befinden. Diese wird am besten durch die Fortschritte in der Telemedizin beschrieben. Abschließend: Ich finde, unser Gesetzentwurf ist gut Es geht einerseits darum, die Leistungserbringer besser und zielführend. Vielleicht geht er an einigen Punkten als heute miteinander zu vernetzen, und es geht anderer- nicht weit genug – daran kann man ja noch arbeiten –, seits darum, sicherzustellen, dass der Versicherte bzw. und einige Fristansätze – auch daran kann man noch ar- der Patient tatsächlich seine Autonomie bei diesem Aus- beiten – sind vielleicht etwas zu weit gefasst. Ich freue tausch von Daten wahren kann. Das sind die großen He- mich, dass wir weiter an diesem Thema arbeiten, und rausforderungen, die wir zu stemmen haben. Wir sind hoffe, dass wir das alle zusammen konstruktiv tun. aber eigentlich zehn Jahre zu spät. Das sage ich an die Linken gewandt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Trotz der Tatsache, dass viele richtige Dinge im Ge- setz stehen und in dem Sinne auch die Telematikinfra- Vizepräsidentin Claudia Roth: struktur ein Stück weit vorangebracht wird, muss man Vielen Dank, Kollege Heidenblut. – Nächste Rednerin sagen: Es gibt eine große Lücke. Diese hat damit zu tun, in der Debatte: Maria Klein-Schmeink für Bündnis 90/Die dass die Position der Patienten und der Versicherten, was Grünen. ihre Zugriffsrechte auf die eGK und den Austausch von Informationen angeht, noch nicht entscheidend gestärkt Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird. Das wiederum hat damit zu tun, dass sie nach der NEN): jetzigen Konstruktion eigentlich keinen wirklichen An- Liebe Präsidentin! Liebe Kollegen! Anders als die walt haben. Auch die Gematik und die Bundesregierung Linke begrüßen wir die Vorlage dieses Gesetzentwurfs, erfüllten diese Aufgabe nicht. Das muss man an dieser Stelle einmal sagen. Da müssen wir nachlegen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11334 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Maria Klein-Schmeink (A) Ich meine, wir sollten auch gezielt darüber nachden- war mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswe- (C) ken, ob es nicht so etwas wie die Einbeziehung der Pa- sen noch keine größere Bewegung abzusehen. Wenn tientenorganisationen in dieses Setting geben muss, damit Frau Zimmermann – wir haben ihr ja gerade zugehört – die patienten- bzw. versichertenbezogenen Anwendun- hier regieren würde, würde sich auf diesem Gebiet auch gen berücksichtigt werden. Dabei geht es darum, dass weiterhin gar nichts tun. Dann gäbe es – vor lauter Rück- die Patienten selbst wirklich entscheiden kämen: Wer wärtsgewandtheit, die Sie hier an den Tag gelegt haben – hat Zugriff auf welche Daten? Welche macht man im bestimmt auch keinen elektronischen Bankenverkehr. E-Kiosk öffentlich und welche nicht? Es sollte dafür ge- sorgt werden, dass das überhaupt vorangebracht wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Von daher wäre das, meine ich, ein wichtiger Punkt, der Pia Zimmermann [DIE LINKE]) im Gesetzgebungsverfahren eine Rolle spielen sollte. Insofern ist es ein ganz großes Verdienst von Bundes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN minister Gröhe und Staatssekretärin Annette Widmann- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mauz, das Thema aufgenommen und hierzu schnell ei- nen Gesetzesentwurf vorgelegt zu haben. Die Dynamik, Ich komme zu einer weiteren großen Lücke. Sie be- die hier ausgelöst wurde, ist wirklich phänomenal – an trifft die Einbeziehung anderer Dienstleister, die im IT- Ihnen etwas vorbeigegangen –: E-Health ist in aller Bereich überhaupt nicht zu vermeiden ist. Wie stellen Munde. Jeder, der die leider unrühmliche Historie der wir sicher, dass sich diese Dienstleister wirklich an die eGK kennt, weiß, dass das ein ganz wichtiger Schritt hohen Anforderungen des Sozialdatenschutzes halten? war, vor allem mit Blick auf die Versorgung der Men- Wie stellen wir sicher, dass die Daten nicht in irgendei- schen. ner Weise woandershin abfließen? Wie stellen wir si- cher, dass, wenn beispielsweise eine Firma pleitegeht, Die elektronische Gesundheitskarte, die wahrschein- die Daten nicht Gegenstand anderer Verfahren werden? lich viele von Ihnen im Portemonnaie haben, kann – das Wir brauchen also ein Nachsteuern beim Sozialdaten- wissen Sie auch – nicht besonders viel bisher, die „weiß“ schutz, gerade auch was die von außen agierenden in der Regel, wo Sie wohnen und bei welcher Kranken- Dienstleister anbelangt. Auch das ist aus meiner Sicht kasse Sie versichert sind. Darüber hinaus beinhaltet sie bisher nicht im Gesetz enthalten. Da muss nachgeliefert neuerdings auch ein Foto zur Identifizierung; aber sonst, werden. wie gesagt, hat sie keine weitere Anwendung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir uns weiter in unserem Gesundheitswesen umschauen, dann stellen wir fest, dass auch viele andere Die Gesundheits-Apps wurden schon angesprochen. wichtige Dokumente noch in Papierform vorliegen. Auch da hat sich ein breiter Markt entwickelt. Die Tech- (B) Vielleicht kennen Sie die Kampagne der Bundeszentrale (D) niker Krankenkasse hat jetzt gerade eine Studie vorge- für gesundheitliche Aufklärung „Deutschland sucht den legt. Danach gibt es fast 400 000 gesundheitsbezogene Impfpass“, wo jemand auf der Suche nach dem Impfpass Apps. Niemand aber weiß, ob sie wirklich sicher sind, in den Umzugskarton klettert. Das ist das, was wir nicht ob die Ergebnisse, die dort vielleicht nur vorgetäuscht wollen. Wir wollen, dass die Menschen ihre Impfpässe werden, tatsächlich haltbar sind. Und es ist die Frage, ob nicht mehr suchen müssen, sondern diese Daten langfris- sie in der Telemedizin Anwendung finden sollten. Auch tig vom Smartphone beispielsweise oder am Computer dazu fehlt bisher jegliche Regelung, die dazu führen daheim abrufen können. Das ist das, was wir – Frau könnte, dass wir es schaffen, diese externen Angebote Klein-Schmeink hat es angesprochen – unter Patienten- bestimmten Sicherheits-, aber auch Produkt- und Quali- souveränität auch verstehen. tätsstandards zu unterwerfen. Auch das muss passieren. Ich glaube, das sind die großen Herausforderungen, Vizepräsidentin Claudia Roth: die durch dieses Gesetz bisher noch nicht bewältigt wer- Frau Kollegin, entschuldigen Sie bitte: Erlauben Sie den. Von daher bin ich gespannt, wie die Debatte im eine Zwischenfrage oder –bemerkung von Frau Vogler? Herbst weitergehen wird. Danke schön. Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ja, gern. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kathrin Vogler (DIE LINKE): Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie meine Zwi- Vielen Dank, Maria Klein-Schmeink. – Nächste Red- schenbemerkung zulassen. – Ich konnte jetzt nicht mehr nerin ist Dr. Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion. anders, weil ich finde, der Impfpass ist nun wirklich ein ausgesprochen blödes Beispiel für eine mögliche nutz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bringende Anwendung der elektronischen Gesundheits- neten der SPD) karte. Den Impfpass benötigt nämlich nicht nur der, der bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, son- Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): dern auch, wer privat versichert ist. Man benötigt ihn Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch, wenn Kollegen! Liebe Gäste! Vor anderthalb Jahren hat der man ins Ausland reist. Da nützt es überhaupt nichts, Gesundheitsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Da wenn die Daten in Deutschland in einer elektronischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11335

Kathrin Vogler (A) Telematikinfrastruktur gespeichert sind. Damit kann Daneben haben wir schon viele andere Anwendungen (C) man in anderen EU-Ländern und erst recht im ferneren besprochen, vom E-Rezept – das ich ganz praktisch Ausland überhaupt nichts anfangen. finde – über den E-Mutterpass bis hin zu den Heften für die Untersuchungen der Kinder; das alles könnte in elek- Es handelt sich aber um wichtige Dokumente, um Ur- tronischer Form vorliegen. kunden, in denen ein Arzt mir bescheinigt – das muss ich in manchen Ländern bei der Einreise belegen –, dass ich Ganz wichtig ist auch, dass auf der elektronischen gegen bestimmte Krankheiten geimpft bin. Von daher ist Gesundheitskarte – ich bin Berichterstatterin für das es wirklich ein untaugliches Beispiel. Thema Organspende – auch die Organspendebereit- schaft vermerkt werden kann. Dieses Thema liegt mir (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sehr am Herzen, und ich setze mich gerne dafür ein.

Dr. Katja Leikert (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich denke mal, die Frage spricht für sich selbst. Wenn neten der SPD) wir uns gerade die Masernepidemie vor kurzem hier in Daneben sind weitere Abrechnungsziffern im Bereich Berlin vor Augen führen, bin ich mir nicht sicher, ob je- der telemedizinischen Anwendung wichtig. Herr der über seinen Impfstatus auf dem Laufenden ist und ob Heidenblut hat das ja schon auf den Punkt gebracht. dieses Heftchen, das so aussieht, als ob es aus den 70er- Jahren stammt, wirklich noch ein aktuelles Medium ist, Das Herzstück dieses ganzen E-Health-Komplexes um sich über den eigenen Impfstatus zu informieren. In- und unserer Strategie sollte natürlich die elektronische sofern kann ich Ihre Argumentation nicht teilen. Patientenakte sein, damit die Menschen einen autono- (Beifall bei Abgeordneten bei der CDU/CSU men Zugriff auf ihre Daten haben. Das ist sehr zentral sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. und momentan noch nicht der Fall. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Ein weiterer wichtiger Punkt – ich möchte das E- GRÜNEN]) Health-Gesetz aber nicht überfrachten; das ist wahr- Es geht dabei nicht nur darum, dass Dokumente in scheinlich eher etwas für E-Health II – ist die Versor- elektronischer Form vorliegen sollen, sondern es geht gungsforschung. Auch wenn es um diesen Bereich geht, auch um telemedizinische Anwendungen. Sie wissen, müssen wir dringend – das sollten wir im nächsten Jahr dass wir hier auch untermotorisiert sind. Wir haben aber tun – über Big Data sprechen, und wir müssen uns da- eine Verantwortung für chronisch kranke Menschen. In rüber unterhalten, wie wir die Versorgungsforschung in Brandenburg gibt es in einigen Regionen Projekte zur Deutschland verbessern können. Es nutzt ja nichts, die (B) (D) Überwachung von Menschen mit chronischer Herzinsuf- ganzen Daten zu erfassen und dann keine langfristigen fizienz. In meiner Region, im Main-Kinzig-Kreis, gibt es Studien durchführen zu können. Es gibt Daten, die bei so etwas nicht. Viele dieser Telemedizinprojekte, wie im den Krankenkassen lagern, und keiner kann sie verwen- Bereich Schlaganfall, zeigen einen echten Versorgungs- den. Das halte ich, ehrlich gesagt, für einen mittelgroßen nutzen für die Menschen. Die Menschen müssen weniger Skandal. oft ins Krankenhaus, es entstehen weniger Komplikatio- nen und sogar weniger Todesfälle. Vielleicht stimmen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wir wenigstens in dem Punkt überein, dass Telemedizin neten der SPD) ein großer Segen sein kann und wir dafür die Telematik- Abschließend – die Präsidentin hat mir ein Zeichen infrastruktur und auch die elektronische Gesundheits- gegeben – noch ein eindringlicher Appell an die Selbst- karte brauchen. verwaltung – ich habe mit vielen Akteuren gesprochen; (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und an manchen Stellen gibt es aber noch ein gewisses Be- der SPD) harrungsvermögen –: Ich wünsche mir, dass man sich von höchster Stelle aus – alle, die in der Selbstverwal- Das sind nur ganz wenige Beispiele dafür, warum die tung Verantwortung tragen – um das Change Manage- Digitalisierung unseres Gesundheitswesens Sinn macht. ment, das wir brauchen, kümmert. Es liegt auf der Hand, welchen Nutzen die Digitalisierung in unserem Gesund- Annette Widmann-Mauz hat schon ausgeführt, was heitswesen hat. Hier sind alle gefordert. der Gesetzentwurf im Detail vorsieht. Der schnelle Auf- bau der Telematikinfrastruktur ist wichtig, damit es ein Herzlichen Dank. sicheres Netz gibt. Die Anwendungen wurden schon skizziert. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Dass wir uns natürlich noch ein paar andere Dinge vorstellen können, haben wir an unterschiedlicher Stelle schon debattiert. Ein ganz zentraler Punkt für uns ist das Vizepräsidentin Claudia Roth: Thema Interoperabilität. Wir finden, dass wir viel von Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Leikert. – Nächster dem übernehmen können, was schon vorhanden ist. In- Redner: Dr. Edgar Franke für die SPD. ternational etablierte Standards für das gesamte System verbindlich festzulegen, macht aus unserer Sicht wirk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich Sinn. der CDU/CSU) 11336 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

(A) Dr. Edgar Franke (SPD): reitschaft und sichere Kommunikation zwischen den (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Leistungserbringern. Herren! Die medizinische Kommunikation – wir haben Wir schaffen mit diesem Gesetzentwurf auch Klar- es eben mehrfach gehört – muss endlich in das digitale heit: Wir setzen klare Fristen – das hat Herr Heidenblut Zeitalter überführt werden. Mancher Arzt zeigt mir zwar schon gesagt – und sehen klare Sanktionen vor. Wenn immer noch stolz seinen Zettelkasten aus Holz und sagt, man ein System implementieren und ihm zum Erfolg das sei der beste Datenschutz, aber ich glaube, diese verhelfen will, dann braucht man nämlich auch Sanktio- Form der Datenaufbewahrung sollte endlich der Vergan- nen. Ansonsten macht jeder, was er will. Außerdem er- genheit angehören. halten die Ärztinnen und Ärzte Geld für die IT-Dienst- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) leistungen. Ich glaube, das ist in dem Gesetzentwurf ordentlich und sachgerecht geregelt, Frau Staatssekretä- Wir brauchen vielmehr eine zentrale Infrastruktur und rin. eine sichere und zuverlässige Kommunikation, und vor allen Dingen brauchen wir keine Ärzte, die darüber me- Davon werden alle profitieren. Davon werden nicht ckern. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig. nur die Patienten profitieren, sondern auch die Leis- tungsträger. Auch die Krankenkassen werden davon pro- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) fitieren. Insofern kann ich die Bedenken nicht verstehen. Frau Klein-Schmeink, auch wenn Ihnen das Bild der Wir dürfen eines nicht vergessen: Die Selbstverwal- Datenautobahn nicht gefällt, tung, vor allen Dingen auch die Kassenärzte, haben teil- weise ganz bewusst Parallelstrukturen aufgebaut. Es (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE wurde lange gestritten. Es wurde blockiert; Herr GRÜNEN]: Das ist von gestern!) Heidenblut nickt. Es wurde die Einführung behindert. glaube ich schon, dass dieses Bild klarmacht, dass wir Was mich auch immer geärgert hat – da habe ich manch- hier eine Autobahn brauchen und auch ein Stück weit, mal wirklich einen Hals wie eine Kobra bekommen –, um im Bild zu bleiben, aufs Gaspedal drücken müssen. war, dass der Datenschutz als ein Grund vorgeschoben Wenn ich die Frau Staatssekretärin richtig verstanden wurde. Um den Datenschutz ging es aber nicht. Um was habe, dann hat sie gesagt, dass wir auf jeden Fall keine ging es? Es ging um handfeste wirtschaftliche Interessen Feldwege brauchen. Auch das ist sicherlich richtig. Das und um Egoismen. Diese haben die Einführung verhin- werden wir mit dem E-Health-Gesetz erreichen. dert, nichts anderes, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (B) GRÜNEN]: Ich fange mal mit dem E-Bike bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (D) an!) GRÜNEN) Wir forcieren jetzt die Telematik und öffnen sie vor Ich habe mich sehr gefreut – um auch einmal die or- allen Dingen für weitere Leistungserbringer. Alle Kos- ganisierte Ärzteschaft zu loben –, dass Herr Dr. Gassen, tenträger müssen auf die Daten zugreifen können. als er bei uns im Gesundheitsausschuss war, mehrfach erklärt hat, dass zum Beispiel auch Schnittstellen zum Wir reden ja immer davon, dass wir die sektorenüber- KV-SafeNet geschaffen werden sollen und dass wir statt greifende Versorgung stärken wollen. Liebe Linken, der Parallelstrukturen diese neue Infrastruktur in unser wenn man sektorenübergreifend zusammenarbeitet, System integrieren müssen. kann man Daten erhalten, durch die die Qualität der Ver- sorgung erhöht wird. Gerade dadurch verbessern wir (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE also die sektorenübergreifende Versorgung. Deswegen GRÜNEN]: Es hat ein bisschen länger gedau- verstehe ich eure Bedenken nicht. ert, bis er diese Erkenntnis hatte!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Über die Zusage des KBV-Chefs Gassen habe ich mich sehr gefreut. Ich hoffe, das wird klappen. Aber ich bin Wir haben es schon mehrmals gehört: Wir sind seit sicher, dass er zu seinem Wort steht und dass wir es zehn Jahren dabei. Es ist also schon eine gewisse Zeit schaffen, ein einheitliches System zu bekommen. Wir je- vergangen. hat das Projekt maßgeblich denfalls schaffen jetzt die Grundlagen dafür. eingeführt. Man darf das gar nicht so laut sagen, aber wir haben, glaube ich, schon – Frau Leikert, Sie sind die Be- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE richterstatterin – über 1 Milliarde Euro dafür ausgege- GRÜNEN]: Es wäre ein kleiner Schritt für die ben. Menschen, aber ein großer für die KBV!) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich möchte auch noch sagen: Wir sorgen dafür, dass NEN]: Das muss man schon laut sagen!) die Daten sicher sind. Herr Schaar, der Datenschutzbe- auftragte der vorigen Bundesregierung, ein Mensch, der Insofern muss es mit dem Gasgeben jetzt wirklich mal wirklich ganz genau hinschaut, hat immer gesagt: Die losgehen. Daten sind sicher. Das ist eines der sichersten Systeme, das es in der Gematik gibt. Da müssen wir keine Angst Wir haben schon verschiedene Stichworte gehört. Ei- haben. nige will ich noch einmal nennen: Notfalldaten – da- durch wird die Versorgung verbessert –, Organspendebe- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11337

Dr. Edgar Franke (A) Ich möchte zum Schluss einen weiteren Punkt ganz (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (C) kurz ansprechen; ganz kurz deshalb, weil Telemedizin GRÜNEN]: Hören Sie mal! Sie waren zehn bei uns schon lange ein Thema ist. Telemedizin ist ge- Jahre an der Macht!) rade bei der gesundheitlichen Versorgung auf dem Land ein wichtiges Thema, das Innovationen mit sich bringt. – Stopp, Frau Klein-Schmeink, auch Sie möchte ich Es führt letztlich zu einer Verbesserung der Versorgung, noch loben. – Dass auch Sie von der Fraktion Bünd- weil Patientinnen und Patienten mithilfe der Telemedizin nis 90/Die Grünen sich gemeinsam mit der Koalition bei von der Praxis aus in ihrer häuslichen Umgebung betreut diesem entscheidend wichtigen Zukunftsthema auf den werden können. Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt Weg gemacht haben, macht Spaß. Da arbeiten wir alle ist zwar wichtig, aber manchmal geht das auf dem Land gemeinsam an einer guten Sache. Vielen Dank dafür! nicht. Die Technik erleichtert hier die Betreuung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Über Videokonsultationen und auch technische Assis- GRÜNEN) tenz für nichtärztliches Personal können wir im Rahmen des Innovationsfonds sprechen. Die Digitalisierung revolutioniert unser Leben. Die Digitalisierung revolutioniert unsere Arbeit, die Indust- Vizepräsidentin Claudia Roth: rie und die Landwirtschaft. Aber die Digitalisierung re- volutioniert auch unser Gesundheitssystem. Lieber Kol- Aber das machen wir nicht heute. lege Heidenblut, ich bin einer von denen, die eine solche App nutzen. Ich bin gestern – das habe ich mir extra auf- Dr. Edgar Franke (SPD): geschrieben – 6 583 Schritte gegangen. Ich komme zum Schluss. – Im Bereich Telemedizin (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE und auch im digitalen Bereich der Gesundheitswirtschaft GRÜNEN]: Das ist zu wenig! – Halina dürfen wir die Zukunft nicht verschlafen; die Gefahr be- Wawzyniak [DIE LINKE]: Nur?) steht nämlich. Da gibt es riesige Potenziale für Innova- tionen in der Versorgung von Patienten. Der Einsatz – Mehr geht immer; da bin ich bei Ihnen. Aber ich war – Frau Präsidentin, mein letzter Satz – von digitaler In- schon darauf stolz. Woher ich das weiß, ist klar: Mein formationstechnologie verbessert nicht nur die Qualität Smartphone hat die Schritte mitgezählt und mir dann der Versorgung, sondern sichert auch den Wirtschafts- diese Info gegeben. standort Deutschland und ist von herausragender Bedeu- tung. Insofern ist das ein wirklich gutes Gesetz und Wahrscheinlich nutzen viele von Ihnen auch solche bringt Deutschland voran. Mit diesem Gesetz wird alles Gesundheits-Apps oder andere Innovationen, die es (B) gut. mittlerweile gibt, beim Joggen oder wie auch immer. (D) Fakt ist: Mehr als 40 Millionen Menschen in Deutsch- Ich danke Ihnen. land nutzen das Internet und Apps, um sich über das Thema Gesundheit zu informieren. Die Menschen war- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ten förmlich jeden Tag auf digitale Anwendungen, die ihnen das Leben erleichtern. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der vorliegende Gesetzentwurf für sichere digitale Danke, Herr Kollege Franke. – Wir im Präsidium wa- Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswe- ren uns etwas unsicher. Sie haben gesagt, Sie bekämen sen gibt aus meiner Sicht genau den richtigen Impuls. einen Hals wie wer? Wir haben nicht verstanden, was Ich danke Gesundheitsminister Gröhe und Frau Staatsse- danach kam. kretärin Widmann-Mauz, dass sie sich durchgesetzt und (Dr. Edgar Franke [SPD]: Einen Hals wie eine gemeinsam auf den Weg gemacht haben, einen Gesetz- Kobra!) entwurf zum Thema Digitalisierung vorzulegen. Das ist der erste Gesetzentwurf dazu, den wir im Bundestag dis- – Wir haben gedacht, wie ein Truthahn. Aber okay. kutieren. Frau Widmann-Mauz, nehmen Sie das Danke- schön gerne mit ins Ministerium. Ich bin auf jeden Fall (Heiterkeit) von dem Gesetzentwurf überzeugt. Vielen Dank dafür! Gut, da wir haben wieder etwas gelernt: 400 000 Apps Als ich vor ein paar Wochen ein Seniorenheim in mei- und die Sache mit dem Kobrahals. – Letzter Redner in nem Wahlkreis in Bückeburg im Landkreis Schaumburg dieser Debatte: Maik Beermann für die CDU/CSU-Frak- besucht und unter anderem über die elektronische Ge- tion. sundheitskarte und ihre zukünftigen Funktionen sowie (Beifall bei der CDU/CSU) die allgemeine Digitalisierung im Gesundheitswesen re- feriert habe – ein Thema war unter anderem das Spei- chern gesundheitsrelevanter Daten –, war die Frage Maik Beermann (CDU/CSU): nicht, ob das Ganze auch sicher sei. Die erste Frage der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! immerhin 70 bis 80 anwesenden Seniorinnen und Senio- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr ren war vielmehr: Wann wird es das denn endlich geben? froh, dass ich nicht nur in einer innovationsfreundlichen So spürt man, dass dieses Thema auch bei einer Genera- Partei mitarbeiten darf, sondern bei diesem Thema auch tion, bei der man es nicht vermutet hätte, den Punkt er- in einer innovationsfreundlichen Koalition. reicht hat, dass man einen Mehrwert erkennt. Man geht 11338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Maik Beermann (A) nicht unbedingt davon aus, dass sich gerade unsere ältere chen werden. Als Mitglied des Ausschusses Digitale (C) Generation dafür begeistert. Agenda freue ich mich aber besonders, dass ich heute als letzter Redner dieser Debatte die Möglichkeit hatte, zu Zudem ermöglicht E-Health gerade im ländlichen dem Thema zu sprechen. Ich möchte Ihnen zurufen: Las- Raum, wo auch ich herkomme, eine bessere, sicherere, sen Sie uns das Gesundheitswesen gemeinsam vernet- optimierte und zugleich kosteneffizientere Versorgung, zen: jetzt und sicher! indem zum Beispiel dort, wo Fachärzte fehlen, Kollegen über Telemedizin zugeschaltet werden können. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen allen eine erholsame und schöpferische parlamen- Digitale Vernetzung bedeutet aber nicht nur schnel- tarische Sommerpause. lere Kommunikation, sondern es geht auch um einen handfesten medizinischen Nutzen. Sie haben es ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sprochen, Frau Widmann-Mauz: Mit jederzeit abrufba- ren elektronischen Notfalldaten stehen dem Arzt in ei- Vizepräsidentin Claudia Roth: nem Notfall alle wichtigen Daten sofort zur Verfügung. Vielen Dank, Herr Kollege Beermann. Das wünschen Das kann nicht nur, sondern – davon bin ich überzeugt – wir Ihnen auch, das Schöpferische und das Erholsame. wird auch Leben retten. Ich schließe die Aussprache. Meines Erachtens ist es unsinnig, sich der Digitalisie- rung im Gesundheitswesen entgegenzustemmen. Viel Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- besser wäre es, diesen Prozess konstruktiv und da, wo es wurfs auf Drucksache 18/5293 an die in der Tagesord- notwendig ist, auch kritisch zu begleiten und mitzuge- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es stalten. anderweitige Vorschläge dazu? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Kritisch muss ich an dieser Stelle aber anmerken, dass ich im Gesetzentwurf die elektronische Patientenakte Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b vermisse. Ich bin kein Gesundheitspolitiker, sondern auf: Netzpolitiker. Deswegen sei mir dieser Einwand gestat- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Pia tet. Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine (Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter GRÜNEN): Das ist ein ganz heikles Projekt! und der Fraktion DIE LINKE Wir sollten uns nicht überfordern!) Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Wir sollten die nächsten Wochen und Monate intensiv Pflege – Solidarische Pflegeversicherung ein- (B) (D) nutzen, um zu prüfen, wie wir die elektronische Patien- führen tenakte noch im Gesetzentwurf implementieren können. Drucksache 18/5110 Aber ich finde es gut – Sie haben es gesagt, Frau Überweisungsvorschlag: Widmann-Mauz –, dass wir uns auf den Weg machen Ausschuss für Gesundheit (f) wollen. Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Beifall bei der CDU/CSU) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wenn wir uns auf den Weg machen, ist es aber entschei- richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- dend, dass die Patientinnen und Patienten ein Recht da- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald rauf bekommen, ihre Patientendaten in strukturierter und Weinberg, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann aufbereiteter elektronischer Form zu erhalten. (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak- Ebenso wichtig ist aber, dass im Zuge der Fertigstel- tion DIE LINKE lung der Telematikinfrastruktur auch ein offizielles und Private Krankenversicherung als Vollversi- einheitliches Datenformat für die elektronische Patien- cherung abschaffen – Hochwertige und effi- tenakte festgelegt wird. Sonst verlieren wir viel zu viel ziente Versorgung für alle Zeit. Das ist von entscheidender Bedeutung. Drucksachen 18/4099, 18/5354 Eine solche Anpassung würde im Zusammenspiel mit konkreten Regelungen für die Einführung einer elektro- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für nischen Patientenakte im System der gesetzlichen Kran- die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre und kenversicherung unser Gesundheitssystem in ein neues sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. digitales Zeitalter der Gesundheitsversorgung befördern. Dann hat die erste Rednerin das Wort, und das ist Pia Die Vorteile liegen auf der Hand: Steigerung der Effekti- Zimmermann für die Linke. vität und Qualität bei der Behandlung. (Beifall bei der LINKEN) Vernetzung, Telemedizin, neue Therapien und Daten- schutz: Das ist die digitale Revolution im Gesundheits- Pia Zimmermann (DIE LINKE): wesen. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Abschließend möchte ich feststellen, dass ich mir si- Personalmangel, Arbeitsverdichtung, Burn-out, das sind cher bin, dass wir in diesem Bereich noch einiges errei- Schlagworte, die mit der Pflege in diesem Land asso- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11339

Pia Zimmermann (A) ziiert werden. Wundliegen, keine Zeit für Gespräche, senden pflegerischen Versorgung darf nicht Kostenkal- (C) „im Minutentakt gepflegt werden“ prägen die Erfahrun- külen untergeordnet werden. gen von Menschen mit Pflegebedarf. Überlastung, ein (Beifall bei der LINKEN) permanentes Hin-und-her-gerissen-Sein zwischen dem ei- genen Lebensentwurf sowie den Sorgen und Nöten ge- Der entscheidende Punkt ist, wer den finanziellen Auf- liebter Menschen, damit kämpfen pflegende Angehö- wand trägt und wie die Lasten verteilt werden. Hier ver- rige. Dass dies Begriffe und Bilder sind, die vielen beim treten meine Fraktion und ich eine ganz klare Position. Thema Pflege einfallen, ist ein Armutszeugnis. Die Kosten müssen gerecht verteilt werden. (Beifall bei der LINKEN) (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig! Machen wir auch!) Das ist ein Armutszeugnis vor allen Dingen auch des- Das heißt, alle zahlen denselben Beitrag auf ihr gesamtes halb, weil es nicht sein muss, nicht angesichts der Wirt- Einkommen, unabhängig davon, ob es aus Löhnen, Un- schaftskraft der Bundesrepublik. ternehmensgewinnen oder Kapitalerträgen bezogen Gleich werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen wird. von Union und SPD, sicherlich auf die Pläne des Ge- (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert sundheitsministeriums für das Pflegestärkungsgesetz II [SPD]: Das steht bei mir schon in der Rede!) Bezug nehmen. Dass wir die Erwartungen nicht allzu hoch stecken sollen, davor haben Sie uns schon mehr- – Mechthild, ich freue mich, wenn du da mitgehst. fach gewarnt. Ich möchte hier gar nicht im Einzelnen da- Außerdem müssen die Arbeitgeber endlich auch in rauf eingehen, nur so viel: Solange die Finanzierung der Pflege in die Pflicht genommen werden; denn von ei- nicht gesichert ist, bleibt zu befürchten, dass jede Ver- ner paritätischen Finanzierung kann hier wohl niemand besserung an der einen Stelle Verschlechterungen an ei- mehr reden. Niemand soll aus der Verantwortung entlas- ner anderen Stelle mit sich bringt; denn der Finanzbedarf sen werden, weder durch eine Beitragsbemessungs- ist riesig. Gleichzeitig fehlt es aber an einem – ich be- grenze, die gerade die höchsten Einkommen entlastet, tone das – langfristigen Finanzierungskonzept; denn noch durch eine Privatversicherung. nach bisherigem Planungsstand reichen die Beitragser- (Beifall bei der LINKEN) höhungen nicht für die Finanzierung der Reformschritte aus. Langfristig gefährdet die Existenz der privaten Pfle- geversicherung die Finanzierung der sozialen Pflegever- (Mechthild Rawert [SPD]: Quatsch!) sicherung; denn sie entzieht dem Solidarsystem dauer- haft die Beiträge von Gutverdienenden, gleichzeitig sind (B) Statt nun aber den 2014 unsinnigerweise beschlosse- ihre Ausgaben aber viel geringer. Die Ausgaben der so- (D) nen Pflegevorsorgefonds aufzulösen, greifen Sie in die zialen Pflegeversicherung sind pro Versichertem jährlich Trickkiste. Sie zapfen die Rücklagen der Pflegeversiche- fast viermal so hoch wie die der privaten Pflegeversiche- rung an. Damit eröffnen Sie den Wahlkampf. Verbesse- rung. rungen im Wahlkampfjahr 2017 finanzieren Sie aus den dringend nötigen Reserven. Auf Dauer gesehen bedeutet (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Reichtum hält das Beitragserhöhungen oder Leistungskürzungen an an- gesund!) derer Stelle, weil Sie sich nicht trauen, grundsätzlich die Die Mitglieder der privaten Pflegeversicherung sind Finanzarchitektur der Pflegeversicherung zu verändern. im Schnitt deutlich jünger und verdienen besser als die (Beifall bei der LINKEN – Heike Baehrens Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung. Während [SPD]: Das ist ja Unsinn!) die private Pflegeversicherung mit ihren Rücklagen von rund 25 Milliarden Euro – das muss man sich einmal – Ich würde mich freuen, wenn Sie das tun würden. Sie vorstellen – etwa 32 Jahre lang die Ausgaben für die haben das in Ihrer Wahlpropaganda angekündigt, und Pflege decken kann, reichen die Vermögensrücklagen Sie werden das sicherlich wiederholen. Schauen wir ein- der sozialen Pflegeversicherung gerade einmal ein Quar- mal, was daraus wird. tal lang. Das ist gegenüber den fast 70 Millionen Versi- cherten in der sozialen Pflegeversicherung zutiefst unge- Wenn unterschiedliche Gruppen nicht gegeneinander recht. Hier muss umverteilt werden, solidarisch und ausgespielt werden sollen – seien es Beschäftigte gegen gerecht. Menschen mit Pflegebedarf oder Menschen mit unter- (Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert schiedlichen Pflegebedarfen gegeneinander –, dann [SPD]: Einbeziehen!) müssen wir die Pflegeversicherung auf ein langfristig stabiles finanzielles Fundament stellen. Mit dem entsprechenden politischen Willen ist das al- les relativ unkompliziert machbar. Dadurch, dass beide (Beifall bei der LINKEN) Versicherungen identisch ausgestattet sind, haben wir faktisch fast eine Versicherung für alle. Wir, die Linke, Für uns als Fraktion Die Linke ist klar: Ein solches Fun- wollen einen Schritt nach vorne gehen, hin zur solidari- dament kann nur durch die solidarische Weiterentwick- schen Pflegeversicherung. Ich fordere Sie auf: Gehen lung der Pflegeversicherung geschaffen werden. Klar ist Sie diesen Schritt mit uns. nämlich auch: Gute Pflege kostet Geld; sie gibt es nicht zum Nulltarif. Gute Pflege ist ein Menschenrecht, und (Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE der Zugang zu einer qualitativ hochwertigen und umfas- LINKE]) 11340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Pia Zimmermann (A) Eine unabhängige Studie hat ergeben, dass der Bei- ich erstaunlich. Sie fordern die Bundesregierung auf, (C) tragssatz der Pflegeversicherung trotz Ausgleich des Ihre Arbeit zu machen. Machen Sie die einmal selber. Realwertverlusts und einer sofortigen Erhöhung der Sachleistungen um 25 Prozent langfristig deutlich unter (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann 2 Prozent gehalten werden kann, also unterhalb des der- [DIE LINKE]: Dafür ist sie doch da! Wir hel- zeitigen Niveaus. Das schafft die Voraussetzung dafür, fen auch gern dabei mit! Kein Problem!) dass alle nach ihren individuellen Bedürfnissen versorgt Warum machen Sie das nicht? Ich werfe Ihnen keine werden können. bewusste Untätigkeit vor, aber das ist Ausdruck dessen, Für die Beschäftigten ließen sich faire Arbeitsbedin- dass Sie selbst nicht wissen, wie Sie das rechtlich ein- gungen und gute Löhne verwirklichen. Eine tarifgerechte wandfrei hinbekommen. Vergütung der Pflegefachkräfte und die Refinanzierung (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sagen Sie von Tariferhöhungen wären in einer Bürgerversicherung doch einmal inhaltlich etwas! – Maria Klein- möglich. Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Damen und Herren von der Koalition, mit un- Woher wollen Sie das denn wissen?) serem Antrag stellen wir Ihnen die Frage, was Ihnen Das ist nämlich genau der Punkt. Es gibt seit Jahren würdevolle Pflege wert ist. schwerste – Ihnen bekannte – verfassungsrechtliche Be- (Mechthild Rawert [SPD]: Viel!) denken. Jetzt sollen andere Ihren Job machen, damit Sie den Offenbarungseid nicht zu leisten brauchen. Das Ich fordere Sie auf: Enttäuschen Sie die Menschen mit kommt mit uns nicht infrage. Pflegebedarf, ihre Angehörigen und die Beschäftigten nicht. Gehen Sie diesen Weg mit uns. (Beifall bei der CDU/CSU – [DIE LINKE]: Wenn wir etwas Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. schreiben, lehnen Sie es ab, selbst wenn wir (Beifall bei der LINKEN) schreiben: Die Sonne scheint!) – Die Sonne scheint heute. Das hätten Sie hineinschrei- Vizepräsidentin Claudia Roth: ben können. Dann wäre mehr Wahrheit in Ihrem Antrag Vielen Dank, Kollegin Zimmermann. – Nächster gewesen als jetzt. Redner in der Debatte: Thomas Stritzl für die CDU/ (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Den hätten CSU-Fraktion. Sie abgelehnt!) (Beifall bei der CDU/CSU) (B) – Den hätten wir nicht abgelehnt. (D)

Thomas Stritzl (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Es ist doch ganz einfach: Wenn die Sonne scheint und Herren! lacht, dann hat’s die CDU gemacht. (Mechthild Rawert [SPD]: Er hat eine App!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – – Nein, ein Handy. Heiterkeit bei der SPD – Lachen bei der LIN- KEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Heiterkeit) SES 90/DIE GRÜNEN) Frau Zimmermann, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie auch etwas zu dem Thema Ihres Fraktionsantrags sa- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen, wonach Sie die private Krankenversicherung als Erlauben Sie Zwischenbemerkungen von den restli- Vollversicherung abschaffen wollen. Das haben Sie in chen Fraktionen hier im Haus? Ihrem Beitrag leider nicht erwähnt. Trotzdem haben Sie (Mechthild Rawert [SPD]: Lieber nicht! Es den Antrag gestellt. Es kann sein, dass das schlechte Ge- brennt! Das geht auch ins Gehirn!) wissen einen gewissen Schatten vorauswirft.

(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Auf gar kei- Thomas Stritzl (CDU/CSU): nen Fall!) Jederzeit. Das tut ja der Wahrheit keinen Abbruch. – Doch; denn der Antrag auf Abschaffung der privaten (Zuruf des Abg. Dr. Edgar Franke [SPD]) Krankenversicherung als Vollversicherung, den Sie ein- gereicht haben, ist im Grunde zunächst einmal ein Ever- – Das muss nun gerade ein Nordhesse sagen. green aus roter Feder. Wie gesagt, einerseits scheuen Sie den Arbeitsauf- (Mechthild Rawert [SPD]: Richtig! Wir wer- wand, selber einen rechtlich einwandfreien Gesetzent- den ihn auch wiederholen!) wurf zu erarbeiten. Sie haben natürlich auch nicht vor, zu sagen, welche Nebenwirkungen dieses rote Medika- – Genau. – Er macht deutlich, dass es die Linke trotz ment wirklich hätte. jahrelanger Agitation gegen das Bestehen der PKV im- mer noch nicht hinbekommen hat, selbst einen eigenen (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Gesetzentwurf vorzulegen. Ich muss sagen: Das finde GRÜNEN]: Das Medikament ist grün!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11341

Thomas Stritzl (A) Schauen wir uns doch einmal gemeinsam an, was auf (Zuruf von der LINKEN – Maria Klein- (C) den Beipackzetteln zur Patienteninformation stehen Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müsste, sollte es tatsächlich zugelassen und verordnet kennen sich mit der GKV aber schlecht aus, werden. Was wären das für Warnhinweise? Herr Stritzl!) Erstens: Verlust von bis zu 100 000 Arbeitsplätzen. – Na ja, ich schaue mir das ja an bei den Linken. – Ja, Frau Klein-Schmeink, gerne. Wissen Sie, dass die pri- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vate Krankenversicherung im Wesentlichen die Heil- NEN]: Was ist das denn für eine Rede?) praktiker bezahlt, nicht die gesetzliche? Halten Sie das – Frau Klein-Schmeink, Sie können doch die Gelegen- nun für medizinisch notwendig oder nicht? Sagen Sie es. heit nutzen und sich einmal die Stellungnahmen von Sie haben ja gleich die Chance dazu. Nur das Auswei- Verdi anschauen oder aber auch lesen, was die Hans- chen ins Konkrete hilft da weiter. Böckler-Stiftung dazu schreibt; dann werden Sie diese (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Zahlen wiederfinden. GRÜNEN]: Wir arbeiten daran und haben die (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Forderung, dass das evidenzbasiert sein muss!) GRÜNEN]: Selber Denken hilft auch!) Viertens: Auf welcher Rechtsgrundlage und auf wel- Sie kommen ja nicht von mir. Dass Sie sich meinen Rat chem Gesellschafts- bzw. Menschenbild fußt eigentlich nicht zumuten wollen – bitte! Aber den Rat von unab- die Anmutung, selbstbestimmt lebenden Bürgerinnen hängigen Experten sollten Sie vielleicht in Betracht zie- und Bürgern vorzuschreiben, was sie an Risiko wo versi- hen. chern wollen? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann GRÜNEN]: Die Leute können wir gut an an- [DIE LINKE]: Kommen Sie einmal zur Sache! derer Stelle gebrauchen!) Das ist unerträglich!) Zweitens: Milliardenverluste bei den Ärztehonoraren. Was ist das für ein Menschenbild? Was wollen Sie als Linke also wirklich? Nutzen Sie heute die Gelegenheit, Drittens: negative volkswirtschaftliche Effekte, und den Menschen in diesem Lande reinen Wein einzuschen- zwar nur negative volkswirtschaftliche Effekte. Das sagt ken, zumal Sie noch einen Fraktionsvorsitzenden haben, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsfor- der zumindest in seinen öffentlichen Reden immer von schung. Wenn man ferner Herrn Montgomery, der ganz der Wahrheit schwärmt. (B) bestimmt nicht jahrelang unserer Partei angehört hat, (D) glauben dürfte, dann ist es eine Mogelpackung mit Tur- Unter II. d) des Antrags der Linken steht ferner – Zi- bolader für eine Zweiklassenmedizin. tat –: (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein- Den Beschäftigten der PKV ist ein Übergang in Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: neue notwendig werdende Stellen in der GKV zu Der will selbst Privathonorare nehmen!) gewährleisten. Die Qualifikation ist sicherzustellen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Dies ist eine Passage, welche man den betreffenden Deutsche Facharztverband befürchtet eine überbordende Betriebsräten zunächst einmal zur Lektüre anempfehlen Zweiklassenmedizin, getrieben durch den Mix von Ein- sollte. Offensichtlich weiß auch die Linke, dass mit ihrer heitsversicherung auf der einen Seite und teuren Zusatz- Initiative für die Abschaffung des dualen Systems Ar- versicherungen auf der anderen Seite. Genau so wollen beitsplätze in erheblichem Umfang und auf allen Ebenen Sie es von der Linken ja auch; denn es heißt in Ihrem zerstört würden. Die bis zu 100 000 Arbeitsplätze Antrag – Zitat –: – diese Zahl beruht auf wissenschaftlich erhobenen Da- ten –, welche gemäß der Linken in die GKV-Obhut zu Die PKV wird auf Zusatzversicherungen für medi- überführen wären, würden für das System der gesetzli- zinisch nicht notwendige Leistungen beschränkt. chen Krankenversicherung, welches sich bekanntlich um Bürokratieabbau und sozialverträglichen Personalabbau (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE bemüht, eine milliardenschwere zusätzliche jährliche GRÜNEN]: Da kennt die sich auch am besten Last bedeuten. Die Antragsteller dürften wissen, dass die aus!) GKV dies nicht wird leisten können. Die Übernahmega- Eine Aufforderung, ein Wollen der besonderen Art, rantie der Linken für die Arbeitnehmer und Arbeitneh- wenn ich es einmal so sagen darf. Einerseits würde die merinnen der PKV ist also bestenfalls sogenannte weiße Umsetzung dieses Vorschlags die Gefahr bergen, der Salbe, in jedem Fall jedoch, aus meiner Sicht, eine Ver- Treiber einer Zweiklassenmedizin zu werden. Anderer- höhnung der berechtigten Existenzsorgen der Beschäf- seits ist die Forderung der Linken so gewählt, dass man tigten und ihrer Familien. berechtigte Zweifel haben muss, was eigentlich wirklich (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Als ob Sie gewollt ist. Denn wird es überhaupt einen Versiche- sich dafür einsetzen!) rungsmarkt für medizinisch nicht notwendige Leistun- gen geben können? Wer bestimmt berechenbar und be- – Wir müssen uns ja dafür einsetzen, weil Sie sie ja be- lastbar, was medizinisch nicht notwendig ist? drohen. 11342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Thomas Stritzl (A) Wozu das alles? Wenn es zutreffend ist, dass bei den Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion das politi- Danke, Herr Stritzl. – Nächste Rednerin: Elisabeth sche Interesse die Wahrnehmung steuert, Scharfenberg für Bündnis 90/Die Grünen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Bei Ihnen nicht, nein?) Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): dann haben Sie selbst die Antwort auf die berechtigte Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Frage „Wozu dies alles?“, in Ihrem Antrag gegeben: Staatssekretärin! Herr Laumann! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte gern ein Dankeschön an die Die PKV ist gesamtgesellschaftlich unzweckmäßig Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion sagen. Es und schädlich. ist gut, dass wir vor der Sommerpause noch einmal die (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau so ist Gelegenheit haben, über die Pflege zu reden. Es geht es!) nicht darum, bemüht Bilder über Beipackzettel im Be- reich der Pflegeversicherung zu finden oder Slapstick- Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las- einlagen über den Einfluss der CDU aufs Wetter zu brin- sen. Ich bin, ehrlich gesagt, etwas zusammengezuckt, als gen. Das macht die CDU manchmal, aber ansonsten: ich dieses Wording las. Ich hatte gehofft, wir wären ge- negativ im Bereich des Klimawandels, Herr Stritzl. meinsam ein Stück weiter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Auch wenn Sie uns die Sonne schenken: Kommen Sie Über die Pflege haben wir in den letzten Monaten viel zum Schluss! öfter debattiert, als wir das sonst gewohnt sind, und doch ist unter dem Strich noch viel zu wenig darüber gesagt worden. Das Thema Pflege kann gar nicht genug Raum Thomas Stritzl (CDU/CSU): einnehmen. Kaum ein anderes Thema geht so tief in jede Frau Präsidentin, selbstverständlich folge ich Ihrem Familie hinein wie dieses Thema. Pflege betrifft jeden Rat, muss meine Rede dann abkürzen. und jede von uns, früher oder auch später. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die schwarz-rote Koalition ist durchaus umtriebig in NEN) der Pflegepolitik. Da ist einiges passiert. Aber es ist noch kein Wert an sich, viel Papier vorzulegen. Viele kleine, durchaus auch gute Maßnahmen sind am Ende des Tages Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) eben nicht der große Wurf. (D) Das ist mehr als ein Rat. Neben den vielen kleinen Schritten gab es natürlich auch Unsinn, und zwar großen Unsinn. Thomas Stritzl (CDU/CSU): Lassen Sie mich im Ergebnis sagen: Ein System der (Mechthild Rawert [SPD]: Verkehrte Rela- dualen Krankenversicherung, das sich national und in- tion!) ternational bewährt hat, das das leistungsfähigste im in- Ich meine damit zum Beispiel den völlig nutzlosen und ternationalen Vergleich ist, soweit wir es wissen – – immens teuren Pflegevorsorgefonds. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist inter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie national aber nicht gut unterwegs! Gucken Sie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) sich das mal in den skandinavischen Ländern an!) Alle hier, auch Sie, die Koalition, wissen ganz genau, dass dieser Fonds nichts bringt. Der Fonds bindet viel – Gucken Sie mal in die skandinavischen Länder! Wenn Geld. Sie horten 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Sie gute Verbindungen zur Provinzialverwaltung in 1,2 Milliarden Euro pro Jahr bräuchten wir dringend bei Schweden haben, dann bekommen Sie dort vielleicht der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. eine Operation. Das ist die dortige Genehmigungssitua- Wir bräuchten sie für die Pflege jetzt. tion. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Die Versorgungsvielfalt, die Versorgungssicherheit, DIE GRÜNEN und der LINKEN) die Versorgungsqualität sind im dualen System herausra- gend. Die überwiegende Mehrheit der Deutschen stützt Und er kommt, der Fonds. Liebe SPD, maximaler dieses System. kann man sich nicht von seinem Wahlversprechen einer solidarischen und nachhaltigen Bürgerversicherung ent- (Beifall bei der CDU/CSU) fernen. Sie können von uns nicht verlangen, dass wir diesen gu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Weg verlassen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Danke schön. Sie wollen mehr Geld für eine bessere Pflege in die Hand nehmen. Das ist gut. Das ist richtig. Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Laumann, einer Ihrer Lieblingssprüche ist: „Geld pflegt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11343

Elisabeth Scharfenberg (A) nicht.“ – Damit haben Sie durchaus recht. Mehr Geld al- Sie aber geben das Geld heute aus und sagen nicht, wo (C) lein macht auch noch keine bessere Pflege. Wir werden es morgen herkommen soll. Sie hinterlassen unbezahlte sehr genau hinschauen, was am Ende dabei heraus- Rechnungen. Nutzen Sie die Zeit für eine ordentliche, kommt. Wir werden auch sehr genau hinschauen, ob das nachhaltige und wirklich gerechte Finanzierung! Geld da ankommt, wo es hingehört. Vielen Dank. Genau schauen wir auch bei den Pflegenoten hin. Ein unsägliches Theater der Koalition! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Mechthild Rawert [SPD]: Ist das auch in den Anträgen von den Linken?) Vizepräsidentin Claudia Roth: Da frage ich mich, ob Sie wirklich eine bessere Pflege Vielen Dank, liebe Elisabeth Scharfenberg, und auch wollen. Sie belohnen bessere Dokumentation, und Sie Danke für die Punktlandung, auf die Sekunde. Schauen mogeln sich immer wieder an den zentralen Fragen vor- wir mal, wie es weitergeht. – Mechthild Rawert von der bei. SPD ist die nächste Rednerin. Damit komme ich wieder zum Antrag der Linksfrak- (Beifall bei der SPD) tion. (Mechthild Rawert [SPD]: Super!) Mechthild Rawert (SPD): Ich nehme zunächst Bezug auf die Rede von Frau Wer so viel Geld für Pflege in die Hand nehmen will, Zimmermann. Auch ich habe den Worten Taten folgen wie Sie das von der Koalition vorhaben, der sollte auch lassen. Ich stehe an der Seite der Pflegenden. Ich war in erklären, wie er das auf Dauer finanzieren will. Dazu hö- Straßburg die Nummer 29 299 und habe von dort aus für ren wir von Ihnen nichts. Der Pflegevorsorgefonds ist je- die Interessen der Pflegenden in Krankenhäusern bei der denfalls keine Lösung. Das wissen wir, und das wissen Protestaktion „162000 für 162000“ gestreikt. auch Sie, insbesondere die SPD. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Rudolf Der Antrag der Linksfraktion legt den Finger genau Henke [CDU/CSU]: Wie kann denn eine Bun- zur richtigen Zeit in die Wunde. Ich sage ganz offen: Wir destagsabgeordnete streiken?) teilen nicht alle Forderungen in diesem Antrag. Ich finde, dass eine Vollkostenversicherung viele Fragen mit Zum Thema Pflegeversicherung. Die Bürgerversiche- sich bringt. Ganz so einfach ist es nicht. rung ist eine ursozialdemokratische Forderung. Sie war es, sie ist es, und sie wird es bleiben, sowohl für die Unsere Gesellschaft wird älter, wir werden älter. Die Pflege- als auch für die Krankenversicherung. (B) Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu. Da liegt es doch (D) auf der Hand: Eine gute Pflege wird mehr Geld kosten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia Und das können wir nur als Gemeinschaft stemmen. Zimmermann [DIE LINKE]: Sie waren nur im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wahlkampf dafür!) Deswegen ist es nicht die richtige Lösung, weiterhin Wir haben das in vielen Wahlkämpfen überzeugend dar- zwei Versicherungssysteme parallel laufen zu lassen. gestellt und werden dies auch in Zukunft tun. Zurzeit haben sich gut 10 Prozent der Bevölkerung – die (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie müssen Mitglieder der privaten Pflege- und Krankenversiche- das zwischen den Wahlkämpfen auch ma- rung – einfach so aus der Solidarität, aus der Solidarität chen!) mit den Schwächsten verabschiedet. Das ist unfair und ungerecht und kommt am Ende des Tages uns alle teuer Wir werden nicht müde, uns diesem Thema intensiv zu- zu stehen. Deswegen ist die Forderung nach einer solida- zuwenden; denn wir stehen für mehr soziale Gerechtig- rischen Pflegebürgerversicherung völlig richtig. keit und Nachhaltigkeit in den sozialen Sicherungssyste- men. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Alle Bürgerinnen und Bürger müssen sich in einem Sys- Zu Ihrem Antrag. Sie haben die Einbeziehung der Pri- tem an der Finanzierung der Pflege beteiligen. Alle Ein- vaten in die soziale Bürgerversicherung gefordert. Ja, kunftsarten, natürlich auch Kapitalvermögen, müssen auch wir wollen auf Dauer gesehen die private Pflege- mit einbezogen werden. Das ist gerecht und nachhaltig. versicherung in die Solidarität einbeziehen; denn es ist Dazu gibt es keine überzeugende Alternative. ungerecht, wenn sich gerade die Gutverdienenden, die Jüngeren aus der Solidarität verabschieden. Es heißt: Die (Beifall der Abg. Maria Klein-Schmeink Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung. Da- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) her gibt es in der Pflegeversicherung die Aufteilung. Wie Sie derzeit Pflegepolitik machen, gerade in Be- Aber wir sind der Meinung, es muss wie im Bereich der zug auf die Finanzierung, das ist und bleibt unverant- Krankenversicherung eine Bürgerversicherung Pflege wortlich. Alle hier wollen den neuen Pflegebegriff, und geben. alle hier wissen, dass man dafür viel Geld in die Hand Sie haben in Ihrem Antrag den Pflegevorsorgefonds nehmen muss. angesprochen. Der Pflegevorsorgefonds ist ein Dorn im (Mechthild Rawert [SPD]: Das tun wir!) Auge der SPD; das ist bekannt. Ich erhebe für uns auch 11344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Mechthild Rawert (A) nicht den Anspruch auf das Urheberrecht. Er wird nicht ner weiteren Verschiebung zugunsten der professionel- (C) ausreichen, um zukünftige Beitragssatzsteigerungen ab- len Dienste kommen wird. Auch das gilt es langfristig, zufedern. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass er de- dauerhaft, nachhaltig und vor allen Dingen solidarisch mografisch nicht nachhaltig ist. Ja, schade, ich hätte die- zu finanzieren. Die soziale Bürgerversicherung steht also ses Geld gerne in andere Bereiche investiert, zum für eine nachhaltige Pflegepolitik. Wir fangen selbstver- Beispiel in die Bekämpfung des Fachkräftemangels. ständlich aber jetzt, in dieser Koalition, schon einmal mit den Taten an – insofern machen wir auch nicht zu wenig – Zum Thema „Pflege-Bahr“ – ich gehe jetzt einzelne und sorgen selbstverständlich auch noch für die nachhal- Punkte des Antrags durch –: Wir wollen eine Umlage- tige Finanzierung in der Zukunft. Eines ist klar: Die SPD finanzierung. Wir halten herzlich wenig von einem kapi- bleibt am Ball. talgedeckten System à la „Pflege-Bahr“. Ich sage hier nichts Neues; das haben wir auch in der Vergangenheit (Beifall bei der SPD) immer deutlich gemacht. Aber die Bevölkerung hat schon selbst entschieden. Aus den großen Konzeptionen Vizepräsidentin Claudia Roth: und Planungen der Vorgängerregierung ist nichts gewor- Vielen Dank, Mechthild Rawert. – Bezüglich Feierta- den; denn – das hat man ja schon bei der Haushaltsbera- gen empfehle ich Augsburg; denn wir haben die meisten. tung für dieses Jahr gemerkt – letztendlich ist nur ein Drittel der vorgesehenen Bezuschussungsmittel einge- Nächster Redner – auch aus einem sonnenreichen setzt worden. Land, wo nicht nur die CSU für die Sonne zuständig ist –: Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion. Thema „solidarische Finanzierung“. Ja, wir wollen eine solidarische Finanzierung, bei der jede Bürgerin, jeder Bürger nach individueller Leistungsfähigkeit Erich Irlstorfer (CDU/CSU): einzahlt. Wir wollen keine einseitige Belastung der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- Erwerbseinkommen. Wir wollen auch weitere Einkom- gen! Bei einer so sonnigen Präsidentin macht es einfach mensarten einbeziehen. eine Freude, hier zu reden; das muss man einmal ganz klar sagen. Thema „paritätische Finanzierung“. Ja, wir sind für eine paritätische Finanzierung. Als Berlinerin, die so- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wieso darunter leidet, dass wir so wenige Feiertage ha- bei Abgeordneten der LINKEN und des ben, hätte ich auch nichts gegen eine Ausweitung von BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Feiertagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir besprechen ( [CDU/CSU]: Da müssen Sie heute die beiden Anträge der Fraktion Die Linke „Bür- (B) (D) nach Bayern ziehen!) gerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege – Soli- darische Pflegeversicherung einführen“ sowie „Private Thema Pflegebedürftigkeitsbegriff. An dieser Stelle Krankenversicherung als Vollversicherung abschaffen – kommt natürlich der Antrag der Linken ein wenig spät; Hochwertige und effiziente Versorgung für alle“. Das denn mittlerweile liegt ja längst der Referentenentwurf sind schöne Titel; das muss ich zugeben. für das Pflegestärkungsgesetz II vor. Die Forderung in diese Richtung ist also wirklich ein wenig überholt. In (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) dem Fall sage ich jetzt einmal: Nachlesen, wie viel Gu- Aber das war es dann auch schon. tes schon im Referentenentwurf zum PSG II steht. Zum Vorwurf, wir würden nichts für die Pflege tun, muss ich Frau Rawert, Sie haben mich geradezu förmlich he- sagen: Wir machen sehr viel im Interesse der Pflegebe- rausgefordert, dürftigen, der pflegenden Angehörigen und auch der (Mechthild Rawert [SPD]: Ja! Super!) Pflegefachkräfte; das hat die Große Koalition wirklich gezeigt. Ihnen hier einen Satz zu sagen: Sie haben viele richtige Dinge gesagt, aber Ihren Standpunkt zur Bürgerversiche- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) rung kann ich nicht teilen. Liebe Kollegen, ich diskutiere immer gerne mit allen (Mechthild Rawert [SPD]: Ihrer ist nur an- über die Bürgerversicherung; denn wir stehen als Sozial- ders!) demokratie für eine gerechte und nachhaltige Entwick- lung der sozialen Sicherungssysteme. Eines ist ja klar: Ich kann nur eins sagen: Etwas, was in meinen Augen Es ist richtig, immer wieder auf die zu erwartende Aus- völlig falsch ist, wird nicht dadurch besser, dass man es gabenentwicklung im Sozialversicherungsbereich zu immer wieder vorschlägt. Seien Sie der Union dankbar, schauen. Es ist richtig, die demografische und soziale dass wir in diesem Punkt so standhaft sind. Entwicklung im Auge zu behalten, sowohl die wach- (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild sende Zahl der Pflegebedürftigen als auch die Entwick- Rawert [SPD]: Wir sind stärker!) lung hinsichtlich der Schweregrade. Aber ich sage noch eines: Das betrifft auch die Inanspruchnahme professio- Die Aufgabe der Kranken- und Pflegeversicherung ist neller Dienste, die im Vergleich zu dem, was die Fami- es, die bestmögliche medizinische und pflegerische Ver- lien erhalten, die derzeit das Pflegegeld in Anspruch sorgung für die Menschen in unserem Land zu gewähr- nehmen, teurer sind. Das gewandelte Rollenverständnis leisten und zugleich die Kosten unseres Gesundheitswe- innerhalb der Familien wird dazu führen, dass es zu ei- sens in irgendeiner Form zu bewältigen. Wir dürfen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11345

Erich Irlstorfer (A) nicht vergessen: Unter dem Gesichtspunkt des demogra- Menschen mit der Volkskrankheit Demenz besserge- (C) fischen Wandels und des stetigen Fortschritts in der Me- stellt. Weiterhin geht die aktuelle Bundesregierung die dizin und Forschung ist das mit Sicherheit keine leichte längst überfällige Neuordnung des Pflege-TÜV sowie Aufgabe. Die Bürgerversicherung bietet für diese He- eine Reform der Pflegeberufe an. rausforderungen einer Krankenversicherung in meinen Meine verehrten Damen und Herren, ich würde mir Augen keine befriedigenden Lösungsansätze. Der beste- von der Opposition einen konstruktiven Beitrag zu die- hende Mix aus PKV und GKV hat sich bestens bewährt ser größten Reform der sozialen Pflegeversicherung seit und ist als System der Vollversicherung auch tauglich. ihrer Einführung vor 20 Jahren wünschen statt ideolo- Man muss sich vor Augen führen, was sich hinter gisch geführter Debatten. dem Begriff der Bürgerversicherung verbirgt. Es handelt (Beifall bei der CDU/CSU) sich um eine ausnahmslose und umfassende Zwangsmit- gliedschaft, Meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Schluss ein Hinweis: Ideologie hilft uns hier nicht wei- (Zurufe von der SPD: Oh!) ter, die mit der Einschränkung der persönlichen Wahlfreiheit (Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE verbunden ist, die uns immer wichtig ist. Eine solche GRÜNEN]: Das stimmt!) Bürgerversicherung würde in der Konsequenz zu weni- ger Selbstbestimmung für den einzelnen Bürger führen, wenn es darum geht, Verbesserungen für pflegebedürf- sie hätte eingeschränkte Leistungen, weniger Wettbe- tige Menschen, deren Angehörige und auch für das Pfle- werb im Krankenkassensystem – den wollen wir auch – gepersonal herbeizuführen und die soziale Pflegeversi- und damit letztlich auch keine Nachhaltigkeit zur Folge. cherung – das ist sehr wichtig – demografiefest zu machen und somit auch zukunftsfähig. Gerne können wir über Parteigrenzen hinweg über notwendige Reformen der gesetzlichen Krankenversi- Ich kann nur sagen: Die Anträge der Fraktion Die cherung diskutieren. Es ist in meinen Augen nicht nur le- Linke sind daher nicht zielführend und aus unserer Sicht gitim, sondern es ist auch notwendig, dass wir darüber abzulehnen. diskutieren. In diesem Zusammenhang jedoch nur auf Ihnen allen wünsche ich einen schönen Sommer, frei das Modell einer Bürgerversicherung als Alternative zu nach dem Motto von Karl Valentin: „Gar nicht krank ist verweisen, liebe Linke, zeugt in meinen Augen nicht von auch nicht gesund.“ einem konstruktiven Beitrag zu einem System, das sich in seinen Grundfesten bewährt hat. Ähnliches gilt auch In diesem Sinne: danke schön. (B) für die Pflegeversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Die Bürgerversicherung ist auch aus gesamtvolks- wirtschaftlicher Sicht nicht unbedenklich und führt nicht Vizepräsidentin Claudia Roth: zu mehr sozialer Gerechtigkeit; denn in der Bürgerversi- Vergelts Gott, Erich Irlstorfer. – Nächste Rednerin: cherung fände keine Gleichbehandlung der verschiede- Heike Baehrens für die SPD. nen Einkommensarten statt. Die Einnahmen von Selbst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ständigen würden um bestimmte Ausgaben verringert. der CDU/CSU) Vollständig erfasst und mit Beiträgen belegt würden in der Bürgerversicherung also weiterhin nur Löhne, Ge- hälter und Renten. Die Bürgerversicherung würde die Heike Baehrens (SPD): Beiträge für Arbeitnehmer und Rentner nicht in nen- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nenswertem Umfang senken. Die Bürgerversicherung Sehr geehrte Damen und Herren! Was erwarten die Bür- würde also vor allem die Bezieher mittlerer Einkommen gerinnen und Bürger von unserem Gesundheitssystem? belasten. Sie wollen die Gewissheit haben, dass sie, wenn sie krank werden, an ihrem Wohnort die bestmögliche medi- (Beifall bei der CDU/CSU) zinische und pflegerische Versorgung bekommen. Verbesserungen in der sozialen Pflegeversicherung (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Fernseher wiederum werden nicht durch eine Zusammenführung anmachen!) mit der privaten Pflegeversicherung erfolgen, sondern nur durch konsequente Reformen, wie sie von der der- Sie wollen vor allem auch, dass es dabei gerecht zugeht. zeitigen Koalition aus CDU, CSU und SPD angegangen Diese Intentionen, die auch in Ihren Anträgen zum Aus- werden. druck kommen, teilen wir. Politik, die diese Intentionen in die Tat umsetzt, gestalten wir. Darum haben wir mit Durch das Erste Pflegestärkungsgesetz hat die den großen Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturpe- schwarz-rote Koalition bereits zum 1. Januar 2015 die riode wichtige Schritte gemacht, die für mehr Patienten- Leistungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen orientierung und für eine gute Versorgung vor Ort sor- spürbar ausgeweitet. Mit dem Zweiten Pflegestär- gen. kungsgesetz sollen noch in dieser Wahlperiode der (Beifall bei Abgeordneten der SPD) neue Bedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutach- tungsverfahren eingeführt werden. Dadurch werden vor Ich nenne hier nur das Pflegestärkungsgesetz I oder die allem Menschen mit psychischen Erkrankungen und gerade erst in den letzten beiden Sitzungswochen verab- 11346 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Heike Baehrens (A) schiedeten Gesetze, das Gesetz zur Stärkung der Versor- Mit solch weitreichenden Forderungen werden wir So- (C) gung in der gesetzlichen Krankenversicherung und vor zialdemokraten jedenfalls die heute privat versicherten allem auch das Präventionsgesetz. Bürgerinnen und Bürger nicht verschrecken. Einiges, was unser bestehendes System gerechter Vielmehr wissen wir: Die Bürgerversicherung als macht, ist also schon auf dem Weg. Die Terminservice- überzeugendes Konzept zur Weiterentwicklung der ge- stellen werden kommen. Sie bieten die Chance, dass jede setzlichen Krankenversicherung wird der privaten Kran- und jeder zeitnah einen Termin beim Facharzt erhält, kenversicherung langfristig überlegen sein. Darum set- und zwar unabhängig davon, ob er oder sie privat oder zen wir an dieser Stelle auf Wettbewerb und nicht auf gesetzlich krankenversichert ist. Zwangsmitgliedschaft, wie Sie, Herr Irlstorfer, es gerade dargestellt haben. Wir sehen ja heute schon, dass die pri- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia vate Krankenversicherung alter Prägung an Attraktivität Zimmermann [DIE LINKE]: Das wüsste ich verliert. Viele Versicherte sind angesichts steigender aber!) Beiträge überfordert. Viele Privatversicherte, insbeson- Für mehr Gerechtigkeit soll auch sorgen, dass die dere chronisch kranke Menschen, müssen mit Leistungs- ärztliche Bedarfsplanung auf aktuellen Stand gebracht begrenzungen zurechtkommen. wird. Die neuen Regelungen für die Zu- und Niederlas- (Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!) sung von Ärztinnen und Ärzten sollen dazu beitragen, dass ländliche Regionen nicht abgehängt werden. Nicht zuletzt sind gerade ältere Privatversicherte und noch viel mehr Privatversicherte mit Beihilfeberechti- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- gung mit den aufwändigen Antrags- und Abrechnungs- wie der Abg. [SPD]) verfahren völlig überfordert. Darum ist es sachgerecht, Arztsitze in überversorgten Die Bürgerversicherung wird kommen, liebe Kolle- Regionen zukünftig unter bestimmten, eng gefassten Vo- ginnen und Kollegen. Sie wird kommen, sobald eine raussetzungen nicht nachzubesetzen. Und wir setzen be- Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Schwach- wusst positive Anreize, indem wir die Möglichkeit punkte der PKV erkennt. schaffen, beispielsweise medizinische Versorgungszen- (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) tren zu gründen, in denen nicht nur Facharztgruppen, sondern auch Hausärzte in modernen, flexiblen Arbeits- Wir werden die entsprechende Überzeugungsarbeit bis modellen zusammenarbeiten können. zur nächsten Bundestagswahl fortsetzen. Eines ist klar: Wir Sozialdemokratinnen und Sozial- Wir als SPD werden den Weg für eine solidarische (B) demokraten wollen eine gesundheitliche Versorgung, die Lastenverteilung in unserem Gesundheitssystem und für (D) gerecht ist, die allen Bürgern einen gleichen Zugang zu eine gerechte Bürgerversicherung in unserem Land be- medizinischen Leistungen und zur Pflege ermöglicht. reiten. Wir wollen keine Zweiklassenmedizin und keine Zwei- Vielen Dank. klassenpflege. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir wollen gleiche Gesundheitschancen für alle Bürge- Vizepräsidentin Claudia Roth: rinnen und Bürger und gleiche Teilhabe aller am medizi- Vielen Dank, Heike Baehrens. – Der letzte Redner in nischen Fortschritt. dieser Debatte und am heutigen Tag – schauen wir ein- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, Sie wol- mal, für wie lange – ist Erwin Rüddel für die CDU/CSU- len uns mit Ihren Anträgen immer wieder einmal aus der Fraktion. Koalitionssolidarität herauslocken. Wenn das aber ein- (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild mal Erfolg haben soll, dann müssen Ihre Anträge etwas Rawert [SPD]: Aber nur begrenzt!) mehr Substanz bekommen. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ach, wir Erwin Rüddel (CDU/CSU): machen die dann zu dritt!) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Begriff „Bürgerversicherung“ ist mehrfach Sie wollen alle Privatversicherten in Deutschland ab ei- gefallen. Ich glaube, es gibt sehr unterschiedliche Fanta- nem Stichtag X in der GKV versichern. Dabei wissen sien darüber, wie die Bürgerversicherung ausgestaltet Sie genauso gut wie wir, dass es erhebliche verfassungs- werden soll. Ein schlüssiges Konzept ist mir noch nicht rechtliche Bedenken gibt, die private Krankenversiche- vorgelegt worden, rung als Vollversicherung gänzlich abzuschaffen (Mechthild Rawert [SPD]: Wir geben Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das mal aus dem letzten Wahlkampf!) neten der SPD) zumindest keines, das uns überzeugt hat. Deshalb hat die und nur noch auf die Funktion einer Zusatzversicherung Bürgerversicherung mit keinem Wort Eingang in den zu reduzieren. Koalitionsvertrag gefunden, und trotzdem machen ge- rade wir sehr erfolgreiche Gesundheitspolitik. (Zuruf der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11347

Erwin Rüddel (A) Meine Vorredner, Thomas Stritzl und Erich Irlstorfer, ha- zögert. – Man könnte über diese Formulierung schon ein (C) ben sehr eindrucksvoll dargestellt, dass gerade die Dua- bisschen böse sein. lität in unserem System die Stärke unseres Systems ist. (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie erwei- (Beifall bei der CDU/CSU) tern den Kreis der Berechtigten und finanzie- ren das nicht!) Wir haben es bei dem Antrag der Linken mit dem Aufguss eines Antrages zu tun, über den wir schon letz- Das Gegenteil ist nämlich der Fall: Es ist diese Koali- tes Jahr im April diskutiert haben. tion, die den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff in die (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Nächstes Agenda aufgenommen und stringent umgesetzt hat. Jahr wieder!) (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Auf dem Pa- Damals ging es um die Abschaffung der privaten Zusatz- pier!) versicherung. Es ist diese Koalition, die zusätzlich 5 Milliarden Euro (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Wie beim jährlich für eine bessere Versorgung von Demenzkran- Mindestlohn! Wir werden einfach nicht ken mobilisiert. Es ist diese Koalition, die Menschen mit müde!) kognitiven und somatischen Einschränkungen erstmals gleichstellt und damit eine große Gerechtigkeitslücke Jetzt geht es um die Abschaffung der gesamten privaten schließt. Und es ist diese Koalition, die die umfassendste Pflegeversicherung. Beide Male war die Botschaft: Leistungsverbesserung in der Pflegeversicherung seit Leute, macht euch keine Gedanken über die Zukunft. 20 Jahren realisiert – für die Pflegebedürftigen, ihre An- Der Staat wird alles richten. gehörigen und die Mitarbeiter in der Pflege. (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da geht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Fantasie mit Ihnen durch! – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Herr Rüddel, Sie Wir halten unser Versprechen: Die Pflege wird nach- hätten den Antrag mal lesen sollen! Das wäre haltig gestärkt. Zusammen mit dem Ersten Pflegestär- besser gewesen! Es geht nicht um staatliche kungsgesetz ergibt sich mit dem Zweiten Pflegestär- Finanzierung! Es geht um eine solidarische kungsgesetz eine wirklich runde Sache. In Zukunft wird Bürgerversicherung!) es passgenaue Einstufungen geben. Die Minutenpflege wird entfallen. Für bereits pflegebedürftige Menschen Jedweder Eigenverantwortung, jedweder Eigeninitiative gibt es Bestandsschutz. Kein Pflegebedürftiger muss und jedweder Eigenvorsorge wird eine Absage erteilt. sich Sorgen machen, künftig schlechter eingestuft zu Die Fraktion Die Linke schüttet ihr Füllhorn über uns werden. Wir senken den Schlüssel für Betreuungskräfte. (B) aus, verkündet die Abschaffung der Teilkaskodeckung Wir bauen die Kurzzeit- und Verhinderungspflege, die (D) und verspricht nichts Geringeres als die Vollfinanzierung Tages- und Nachtpflege aus. Wir reduzieren überflüssige der Pflegekosten. Die Frage bleibt: Wer soll das bezah- Bürokratie; denn Pflege muss am Bett ankommen. len? Wie hoch werden die Belastungen durch Abgaben und Steuern für die arbeitende Mittelschicht und die Un- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ternehmen in unserem Lande sein? der SPD) (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Steht alles Wir wollen ein neues Pflegeberufegesetz. Wir brau- drin!) chen Anreize, um deutlich mehr Menschen für die Pfle- geberufe zu mobilisieren. Daran konstruktiv mitzuwir- Der vorliegende Antrag ist ein geradezu klassisches ken, dazu laden wir auch die Fraktion der Linken ein. Beispiel für politischen Populismus. Mit allen unseren Maßnahmen schaffen wir eine grund- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh! Das legende Erweiterung und Verbesserung der gesetzlichen würden Sie nie machen! – Pia Zimmermann Pflegeleistungen, und das kommt bei den Menschen an. [DIE LINKE]: Jetzt geht das wieder los!) Ich wünsche allen einen sonnigen Sommer. Was mich am meisten geärgert hat: Während die Koali- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) tion in dieser Legislaturperiode sehr ernsthaft und unter Einsatz zusätzlicher milliardenschwerer Mittel erfolg- reich an einer umfassenden Runderneuerung der Pflege- Vizepräsidentin Claudia Roth: versicherung arbeitet, fällt der Linksfraktion nichts Bes- Vielen Dank, Kollege Rüddel. – Ich schließe die Aus- seres ein, als den Menschen Wunderdinge vorzugaukeln sprache. und Wolkenkuckucksheime im pflegepolitischen Schla- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf raffenland zu propagieren. Drucksache 18/5110 an die in der Tagesordnung aufge- (Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Quatsch! – führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein- Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE verstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. GRÜNEN]: Lebendige Bildersprache bei der Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- CDU/CSU!) empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zum An- Empören kann man sich über die Behauptung in dem trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Private Kran- Antrag – ich zitiere –: Durch die Große Koalition wer- kenversicherung als Vollversicherung abschaffen – den die Umsetzung des neuen Pflegebegriffs und die da- Hochwertige und effiziente Versorgung für alle“. Der mit einhergehenden Leistungserweiterungen weiter ver- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf 11348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) Drucksache 18/5354, den Antrag der Fraktion Die Linke ich wünsche der Regierung, mit der wir ein mehr oder (C) auf Drucksache 18/4099 abzulehnen. Wer stimmt für weniger gutes Verhältnis pflegen, ich wünsche unseren diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gästen auf der Tribüne verdiente Sommertage, Ruhe, Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- Entspannung. Ich wünsche uns friedliche Tage. Ich wün- nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dage- sche uns Sonne, auch wenn es regnet. gen gestimmt hat die Linke, und enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen. Das ist jetzt schwierig – ich muss die nächste Sitzung einberufen –: Ich berufe die nächste reguläre Sitzung des Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 8. September ordnung angekommen. 2015, 10 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche all unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterin- Die Sitzung ist geschlossen. Vielleicht sehen wir uns nen, ohne die das, was wir tun, überhaupt nicht möglich ja schon früher. Alles, alles Gute und einen guten wäre, Sommer! (Beifall) (Schluss: 14.33 Uhr)

(B) (D) Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015 11349

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Innenausschuss

Liste der entschuldigten Abgeordneten – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungs- stand der Empfehlungen des 2. Untersuchungsaus- entschuldigt bis schusses des Deutschen Bundestages in der 17. Wahlpe- Abgeordnete(r) einschließlich riode (NSU-Untersuchungsausschuss) Drucksache 18/710 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 DIE GRÜNEN Finanzausschuss

Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 – Unterrichtung durch die Bundesregierung DIE GRÜNEN Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Exis- tenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Becker, Dirk SPD 03.07.2015 Jahr 2016 (10. Existenzminimumbericht) Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 03.07.2015 Drucksachen 18/3893, 18/4147 Nr. 1 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 – Unterrichtung durch die Bundesregierung DIE GRÜNEN Bericht über die Wirkung der kalten Progression im Verlauf des Einkommensteuertarifs für die Jahre 2013 Dr. Friedrich (Hof), CDU/CSU 03.07.2015 bis 2016 (Erster Steuerprogressionsbericht) Hans-Peter Drucksachen 18/3894, 18/4147 Nr. 2 Groneberg, Gabriele SPD 03.07.2015 Haushaltsausschuss Hagedorn, Bettina SPD 03.07.2015 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Hartmann (Wackernheim), SPD 03.07.2015 Haushaltsführung 2013 Michael Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im ersten Vierteljahr des Haus- (B) Ilgen, Matthias SPD 03.07.2015 haltsjahres 2013 (D) Karawanskij, Susanna DIE LINKE 03.07.2015 Drucksachen 17/13547, 18/770 Nr. 12 Kiziltepe, Cansel SPD 03.07.2015 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- DIE GRÜNEN tungsermächtigungen im zweiten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2013 Lemke, Steffi BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 Drucksachen 17/14801, 18/641 Nr. 30 DIE GRÜNEN – Unterrichtung durch die Bundesregierung Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 Haushaltsführung 2013 DIE GRÜNEN Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- tungsermächtigungen im dritten Vierteljahr des Haus- Mißfelder, Philipp CDU/CSU 03.07.2015 haltsjahres 2013 Özoğuz, Aydan SPD 03.07.2015 Drucksachen 18/134, 18/305 Nr. 8 Schlecht, Michael DIE LINKE 03.07.2015 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 03.07.2015 Über- und außerplanmäßige Ausgaben und Verpflich- DIE GRÜNEN tungsermächtigungen im vierten Vierteljahr des Haus- haltsjahres 2013 Weinberg, Harald DIE LINKE 03.07.2015 Drucksachen 18/1349, 18/1517 Nr. 1

Anlage 2 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Amtliche Mitteilungen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2013 der Bundesnetzagentur für Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisen- gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von bahnen für den Bereich Eisenbahnen mit Stellung- einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen nahme der Bundesregierung absehen: Drucksachen 18/4294, 18/4495 Nr. 1 11350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 116. Sitzung. Berlin, Freitag, den 3. Juli 2015

(A) Ausschuss für Bildung, Forschung und Ratsdokument 6954/15 (C) Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/4749 Nr. A.21 Ratsdokument 6957/15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 18/4749 Nr. A.22 Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur Ratsdokument 6963/15 IT-Sicherheit Drucksache 18/4749 Nr. A.23 Ratsdokument 7142/15 Selbstbestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015 – Drucksache 18/5286 Nr. A.4 2020 Ratsdokument 8968/15 Drucksache 18/4304

Ausschuss für Wirtschaft und Energie Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- Drucksache 18/4749 Nr. A.31 Ratsdokument 7317/15 dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- ratung abgesehen hat. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/5286 Nr. A.9 Ratsdokument 9196/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.1 Drucksache 18/5286 Nr. A.10 EuB-BReg 34/2015 Ratsdokument 9197/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.2 Ratsdokument 8504/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.3 Ausschuss für Arbeit und Soziales Ratsdokument 8532/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.4 Drucksache 18/4504 Nr. A.11 Ratsdokument 8534/15 Ratsdokument 6144/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.5 Drucksache 18/5165 Nr. A.10 Ratsdokument 8535/15 Ratsdokument 7880/15 Drucksache 18/5165 Nr. A.6 Ratsdokument 8682/15 Drucksache 18/5286 Nr. A.1 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe EP P8_TA-PROV(2015)0185 Drucksache 18/5286 Nr. A.2 Drucksache 18/3362 Nr. A.12 Ratsdokument 9025/15 EP P8_TA-PROV(2014)0039 Drucksache 18/5165 Nr. A.12 Ratsdokument 8511/15 Innenausschuss Drucksache 18/5286 Nr. A.13 (B) EP P8_TA-PROV(2015)0180 (D) Drucksache 18/3218 Nr. A.1 Ratsdokument 14520/14 Drucksache 18/4749 Nr. A.10 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Ratsdokument 6890/15 Union Drucksache 18/4749 Nr. A.11 Ratsdokument 6892/15 Drucksache 18/544 Nr. A.52 Drucksache 18/4749 Nr. A.12 EP P7_TA-PROV(2013)0498 Ratsdokument 6893/15 Drucksache 18/822 Nr. C.4 Drucksache 18/4749 Nr. A.13 Ratsdokument 6849/13 Ratsdokument 6894/15 Drucksache 18/3110 Nr. A.15 Drucksache 18/4749 Nr. A.19 Ratsdokument 14152/14 Ratsdokument 6953/15 Drucksache 18/4504 Nr. A.15 Drucksache 18/4749 Nr. A.20 Ratsdokument 6813/15

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