ZEITSCHRIFT DES BUNDESINSTITUTS FÜR BERUFSBILDUNG W. BERTELSMANN VERLAG 33. JAHRGANG H 20155

BWP 3/2004 BERUFSBILDUNG IN WISSENSCHAFT UND PRAXIS

Jugendliche in Ausbildung!

Bundesministerin Bulmahn: „Ausbilden jetzt ist Zukunftssicherung“ Interview Wege zu mehr Ausbildungsplätzen Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Sind die Ausbildungsvergütungen zu hoch? „Unter einem Dach“ – eine Initiative des BMBF INHALT

GASTKOMMENTAR 36 RENATE KAPPLER Girls'Day – ein wichtiges Instrument in der Berufsfrühorientierung 03 JÖRG E. FEUCHTHOFEN Mit der Planwirtschaft zum Ablasshandel? Ein Erfahrungsbericht

39 HEINRICH ALTHOFF BLICKPUNKT Ausbildungsbetriebsquoten: welche Aussagekraft haben sie?

05 , MdB Ausbilden jetzt ist Zukunftssicherung – 42 EDITH BELLAIRE, HARALD BRANDES Ausbildungsoffensive 2004 Kein Abschluss ohne Anschluss – zur Gestaltung zweijähriger Ausbildungsberufe in der Schweiz INTERVIEW 46 CARMEN BERGMANN, SASKIA KEUNE, 08 Mögliche Wege zu mehr betrieblichen HERBERT SCHLÄGER Ausbildungsplätzen Ausbildung und Umschulung behinderter Menschen Ergebnisse eines Modellversuchs Interview mit den Berufsbildungspolitikern und

DISKUSSION THEMA: JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG! 49 INGRID LISOP, RICHARD HUISINGA Ein neuer Weg der Sicherung des dualen Prinzips Der neue Bachelor-Studiengang „Sozialversicherung“ 11 ELISABETH M. KREKEL, KLAUS TROLTSCH, JOACHIM GERD ULRICH Keine Besserung in Sicht? HAUPTAUSSCHUSS Zur aktuellen Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt

53 GUNTHER SPILLNER 15 JOACHIM GERD ULRICH Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Bericht über die Sitzung 1/2004 des Hauptausschusses des BIBB am 10. März 2004 in Bonn Diskussion der Lehrstellenprobleme aus attributionstheoretischer Sicht Stellungnahme des Hauptausschusses zum Entwurf des Berufsbildungsberichtes 2004 (Beilage) 20 URSULA BEICHT, GÜNTER WALDEN Sind die Ausbildungsvergütungen zu hoch? – Eine pauschale Antwort ist nicht möglich REZENSIONEN

24 KATHARINA KANSCHAT, REINHARD SELKA Vernetzung von Projekten schafft zusätzliche Ausbildungsplätze ABSTRACTS „Unter einem Dach“ – eine Initiative des BMBF

IMPRESSUM/AUTOREN 27 WOLFGANG MÜLLER-TAMKE, PHILIPP ULMER Regio-Kompetenz-Ausbildung – ein erfolgreiches Ausbildungsstrukturprojekt in den neuen Bundesländern

29 KORNELIA RASKOPP, CHRISTOPH ACKER STARegio – Strukturverbesserung der Ausbildung in ausgewählten Regionen

32 WALTER SCHLOTTAU Selbst finanzierte Verbünde als Modelle konjunkturunabhängiger Ausbildung Diese Ausgabe enthält die ständige Beilage „BWPplus“, Ergebnisse aus Fallstudien erfolgreicher Ausbildungsverbünde eine Stellungnahme des Hauptausschusses sowie einen Flyer des BIBB zu Modellversuchen.

Diese Netzpublikation wurde bei der Deutschen Nationalbibliothek angemeldet und archiviert. URN: urn:nbn:de:0035-bwp-04300-1 GASTKOMMENTAR

Mit der Planwirtschaft zum Ablasshandel?

Endlich! Spätestens 2005 gibt es keine Probleme mehr Auch der Blick auf die Größenordnung der vorgesehenen am Ausbildungsstellenmarkt. Eine gesetzliche Ausbildungs- Umverteilung ist erschreckend. Das vorgesehene Ausbil- platzabgabe soll es – zumindest als Drohung „mit geladener dungs-Soll wird ab zehn Mitarbeiter pro Betrieb gelten, Da- Waffe“ – möglich machen. Im Hauruckverfahren hat die mit sind von den über drei Millionen Betrieben in Deutsch- Bundesregierung im April 2004 ein Berufsausbildungssiche- land mehr als eine halbe Million betroffen. Zwangsläufig rungsgesetz (BerASichG) in den eingebracht und sind Ausnahmeregelungen, wie sie derzeit in schnell wach- am 7. Mai 2004 beschlossen, das im Kern eine Sonderab- sender Zahl gefordert werden, unumgänglich. Der abseh- gabe für einen bestimmten Adressatenkreis vorsieht. Be- bare Bürokratismus ist gigantisch, der Effizienzverlust für die triebe, die zu wenig ausbilden, sollen zahlen. Betriebe, die deutsche Volkswirtschaft gravierend und nachhaltig. Mit der besonders viel ausbilden, sollen finanziell belohnt werden. Umlage würden mindestens 3,4 Milliarden Euro dem direk- Das klingt auf den ersten Blick einfach und verständlich, zu- ten Wirtschaftskreislauf entzogen. Dabei sind die Steuerver- mindest für das Volk der Wähler. Die Jugend in Deutschland luste von über 600 Millionen Euro aufgrund der Abschrei- braucht mehr Ausbildungsplätze. Die Wirtschaft als Ganzes bungsfähigkeit der Abgabe noch gar nicht berücksichtigt. bietet nicht genug davon. Also nehme der Staat Geld von Sonderabgaben sind in der marktwirtschaftlichen Ge- den bösen Unternehmen und gebe es den guten, die reich- schichte der Bundesrepublik immer ein Fremdkörper gewe- lich ausbilden. Umverteilung ist das Zauberwort, Gerechtig- sen. Als besonders unrühmliches Beispiel sei hier nur die keit der Anspruch und eine Quote der Maßstab. Heraus- Fehlbelegungsabgabe für öffentlich geförderten Wohnraum kommen soll ein deutliches Mehr an Ausbildung, quasi frei genannt. Staatliche Eingriffsinstrumente dieser Art führen Haus für den Bürger als Steuerzahler, seine Kinder und die zu einem Dschungel an Fehlanreizen und in der Folge im- Gesellschaft als Ganzes. mer zu den sogenannten Kobra-Effekten: Unternehmen Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das Ergebnis ein Desaster. werden lernen, die Ausbildungsplatzabgabe sogar zu „nut- Selten waren sich die namhaften Wirtschaftsinstitute mit zen“. Sie werden z. B. an der Grenzschwelle der Abgabe den Lobbyisten dermaßen einig: Wenn der Staat für die den zehnten Mitarbeiter nicht einstellen oder ihn einsparen. Wirtschaft ein pauschales Ausbildungs-Soll festsetzt, ent- Manche werden einen zehnten Mitarbeiter einstellen, nur koppelt er das duale Ausbildungssystem von der Beschäfti- um Subventionen für ein Paket an „billigen“ betrieblichen gung. Berufsausbildung ist aber nur dann eine gute Per- Ausbildungsgängen mitzunehmen. Und alle anderen Unter- spektive für die spätere qualifizierte Arbeit, wenn sie den nehmen jenseits der magischen Zehn werden per Rechner sektoralen Strukturwandel einbezieht. Nicht die Gesamtbe- prüfen, ob die Abgabe als „Ablasshandel“ nicht preiswer- schäftigung ist das Maß der Dinge, sondern die Entwicklung ter ist, als selbst teuer auszubilden. von Beschäftigungspotenzialen in den vielen einzelnen, in Horst Siebert, der emeritierte Präsident des Instituts für ihrer Entwicklung völlig unterschiedlichen Branchen (und Weltwirtschaft, hat diese Effekte der Ausbildungsplatzab- überdies Regionen). gabe als „geradezu teuflische Anreize“ bezeichnet. Sie Der Staat fördert folglich mit einem planwirtschaftlichen, da könnten sogar eine erhebliche Gefährdung auf der Ebene einheitlichen Ausbildungs-Soll das Risiko von Fehlqualifika- der Gesamtbeschäftigung auslösen. tionen für den Arbeitsmarkt erheblich. Gleichzeitig entfällt Aus bildungspolitischer Sicht müsste daher die Kunst der ein bisher wesentliches Korrektiv zu den arbeitsmarktfernen Bundesregierung, aber auch der Länder anders angelegt Wünschen der meisten Jugendlichen nach einer Handvoll sein. Sie sollten schnell die entscheidenden Rahmenbedin- Modeberufe. gungen für eine gute und breite betriebliche Ausbildung verbessern. Dazu gehört die Qualität der schulischen Aus-

BWP 3/2004 3 GASTKOMMENTAR Gerechtigkeit bildung, damit deren Sub- um messen lassen, und nur auf diesem Terrain wird die Zukunft systeme zu guten Ausbil- der Abgabe entschieden werden. dungs(platz)ergebnissen bei- jeden Preis? Vorwürfe, die SPD halte an einem veralteten Gerechtigkeits- tragen. Dazu gehören auch ideal fest, helfen wenig. Sie schaden eher, weil sie von vorn- mehr Flexibilität im dualen herein die Kommunikation in der Sache blockieren. Es mag System und die Vereinfa- die Aufgabe, das Recht oder das Anliegen von Kommenta- chung von Verfahren. Der toren in den Medien sein, der SPD vorzuhalten, sie benötige Abbau von Ausbildungskos- in der Jugend- und Bildungspolitik Zeit, um gescheiterte ten im Verbund mit den zuständigen Stellen und den Tarif- Ideale einer „merkwürdigen Gerechtigkeitstheorie“ (F.A.Z.) partnern würde darüber hinaus wichtige Signale setzen. und einer Umverteilung um jeden Preis zu überwinden. Auf- Aus volkswirtschaftlicher Sicht sollten marktnahe Instrumente gabe der Arbeitgeber ist dies nicht. Auch die Gewerkschaf- näher geprüft werden. Dazu gehört insbesondere die Inves- ten haben auf diesem Feld kein Mandat. Die Wirtschaft titionsabsicherung bei Unternehmen, denen Auszubildende kann sich aber mehr und besser auf das dargestellte „Glau- gleich nach der Abschlussprüfung von der nicht ausbilden- bensfundament“ in der Politik einstellen. Es geht der SPD den Konkurrenz abgeworben werden. Stichworte sind z. B. beim Streit um die Abgabe auch um die grundlegende Ablösesummen oder Rückzahlungsverpflichtungen als Be- Frage, ob „die“ deutsche Wirtschaft heute noch ihr ökono- standteile des Ausbildungsvertrages. Das könnte Mitnah- misches Denken im kulturellen Feld des Standortes Deutsch- meeffekte verringern und ggf. sogar die Ausbildungsbereit- land definiert oder sich hieraus löst. Damit eng verbunden schaft bei bisher „ausbildungsresistenten“ Unternehmen ist die Frage nach der Identifikation von Unternehmen mit kraft einfacher „Rationalität der Kasse“ erhöhen. Die wirt- ihrem Umfeld. Hinterfragt wird mit der staatlichen Regelung schaftliche Erkenntnis ist dabei so simpel wie banal: Ausbil- der Abgabe als „Drohung“ auch die Verbindung von Unter- dungsplätze mit echten Perspektiven für eine Beschäftigung nehmen in Deutschland mit ihrem Standort, mit ihren Mit- entstehen nicht durch Gesetze mit pauschalen Zwangs- arbeitern und deren Familien, mit ihrer Einbindung und instrumenten. ihrem Bekenntnis plus Kontinuität im Feld des gesellschaft- lichen Engagements im Land. All das ist in den vergangenen Wochen in den meisten wich- Die Wirtschaft sollte dieses gesellschaftliche Bekenntnis zur tigen Medien und mehrfach gesagt worden. Eine nennens- Ausbildung stärker einbinden. Die gesetzliche Sonderabgabe werte Wirkung des Trommelfeuers der wirtschaftspolitischen als Verhikel der SPD zu bezeichnen, um die Wirtschaft zur Argumente auf die Bundesregierung bzw. die federführende Rückkehr in eine „Ausbildungsethik“ zu bewegen, wäre SPD-Fraktion kann allerdings nicht festgestellt werden. Die wohl zu polemisch. Aber gleichwohl: Die Fähigkeit zum Dia- politische Motivation und Entschlossenheit zur Abgabe liegt log in Grundsatzfragen ist wieder einmal gefragt. Es reicht offensichtlich an anderer Stelle. SPD-Chef Müntefering nicht aus, auf die drohende Abgabe nur mit Vorwürfen, selbst hat den Brennpunkt im FOCUS 15/04 in der ihm ei- etwa gegen die politische Willkür(lichkeit) einer Normung genen Weise kurz und knapp benannt: „Was ich mache, ist des Angebotsüberhangs von 15 Prozent gegenüber der eine sehr moderne Politik, damit kein junger Mann, keine Nachfrage, zu kontern. Die fehlende Validität einer solchen junge Frau von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit fällt.“ prozentualen Setzung ist sicherlich auch der SPD und ihren Hier wird deutlich, dass der Entschlossenheit zur gesetz- Fachleuten nicht verborgen geblieben. lichen Abgaberegelung mit volkswirtschaftlichen und wirt- schaftspolitischen Sachargumenten allein nicht zu begegnen Der Jugend auch in schlechten Zeiten eine Zukunft zu ge- ist. Es geht um eine Grundbastion sozialdemokratischer ben und Wege zu weisen, ist ein Ansatz, hinter den sich die Überzeugung, die Ausformung von Jugend- und Bildungs- Wirtschaft stellen kann, um gegenüber der Mehrheit der Po- politik. Das meint nicht den engeren Bereich der fachlichen litiker auf der Bundesebene dialogfähig zu bleiben. Dieser Berufsbildungspolitik mit ihren systemgetragenen Argu- Dialog erfordert vertrauensbildende Maßnahmen, bei denen menten. Es geht vielmehr um tradierte Grundüberzeugun- sich die deutsche Wirtschaft mehr grundsätzlich erklären gen der Sozialdemokraten, um das Prinzip der Chancen- muss, ohne gleich eine unbeschränkte gesetzliche Ausbil- gleichheit und mehr noch: um eine staatliche Bildungspolitik dungsverpflichtung zu „kassieren“. mit dem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und Ausgleich. Argumente für das Bekenntnis zur Bildungsarbeit in Hieran muss sich die Argumentation der Gegner der Abgabe Deutschland hat die Wirtschaft zu Genüge. Seit PISA hat sie ihre Initiativen, Hilfen und ihr Engagement über das weiter- führende Schulwesen hinaus in den Primar- bis tief in den

JÖRG E. FEUCHTHOFEN Elementarbereich hinein ausgedehnt. Das kann man hervor- Rechtsanwalt, Geschäftsführer der ragend deutlich machen. Dieses umfassende Engagement Vereinigung der hessischen Unternehmer- gegen eine verpflichtende Ausbildungsplatzversorgung im verbände (VhU), Frankfurt a. M., Publizist dualen System „einzutauschen“, wäre ein schlechtes Ge- schäft für Politik und Staat.

4 BWP 2/2004 BLICKPUNKT

Ausbilden jetzt ist Zukunftssicherung – Ausbildungsoffensive 2004

Die Diskussion über das duale System der Berufsausbildung im dualen System sichert der Wirtschaft den benötigten Fachkräftenachwuchs, ohne den Innova- Berufsausbildung in Deutschland, seine Be- tion und Wertschöpfung nicht zu realisieren sind. Unsere deutung für Wirtschaft und Gesellschaft sowie Wirtschaft lebt vom Know-how und der Kreativität seiner Menschen. Das gilt nicht nur für Ingenieure und Wissen- seine Zukunftsfähigkeit und nicht zuletzt schaftler, das gilt auch für qualifizierte Fachkräfte. Die Be- seine Finanzierung ist nicht neu, wenn auch in deutung des dualen Systems ist vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und der sich zunehmend 2004 von besonderer bildungspolitischer Bri- verändernden Arbeitsstrukturen nicht hoch genug zu be- sanz. Deutschland befindet sich in einer werten. Ausbilden jetzt ist Zukunftssicherung. Ein ausreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen fällt in schwierigen konjunkturellen Lage, dies bleibt erster Linie in den Verantwortungsbereich der Wirtschaft. Unternehmen, die nicht oder nicht mehr ausbilden, entzie- nicht ohne Auswirkungen auf die Beschäfti- hen sich ihrer sozialen und – im Sinne einer nachhaltigen gung und leider auch auf das betriebliche Unternehmenspolitik – auch ökonomischen Verantwortung.

Angebot an Ausbildungsplätzen. Unabhängig Ich möchte es offen ansprechen: Es kommt mir nicht in davon, das möchte ich an den Anfang stellen, den Sinn, dass gerade ein Teil derjenigen, die aus ord- nungspolitischen Gesichtspunkten dem Staat jegliche Legi- halte ich das System der dualen Berufsausbil- timation zur Einflussnahme auf die Wirtschaft absprechen dung – trotz aller gegenwärtigen Schwierig- wollen, auf der anderen Seite ihre eigene Verantwortung gegenüber der Jugend nicht oder nicht ausreichend wahr- keiten – für eine zukunftssichere Form der nehmen und nicht genügend Ausbildungsplätze anbieten. beruflichen Qualifizierung. Sie bietet nach wie Wer nicht ausbildet, schadet nicht nur seiner Branche, son- dern letztendlich gerade seinem eigenen Unternehmen. vor für die weit überwiegende Zahl der Absol- venten einen verlässlichen Weg in die qualifi- ENTWICKLUNG DER AUSBILDUNGSPLATZSITUATION IN 2003 UND 2004 zierte Berufstätigkeit. Im Jahr 2003 ist das Angebot an betrieblichen Ausbil- dungsplätzen zum vierten Mal in Folge zurückgegangen. Parallel zum Rückgang der Ausbildungsplätze zum 30. September 2003 lag die Zahl der unvermittelten Bewerbe- rinnen und Bewerber in der Größenordnung von 35.000. Dies muss uns wachrütteln, gerade weil es auch für 2004

EDELGARD BULMAHN, MdB alarmierende Signale gibt. Der negative Trend ist nicht ge- Bundesministerin für Bildung und brochen, so wurden im ersten Halbjahr des Vermittlungs- Forschung jahres 2003/2004 der Bundesagentur für Arbeit im Ver- gleich zum Vorjahr rd. 25.000 betriebliche Ausbildungs- plätze weniger gemeldet. Gleichzeitig sind die aktuellen

BWP 3/2004 5 BLICKPUNKT Wirtschaft Bewerberzahlen um über und Betriebe EINEN EUROPÄISCHEN BILDUNGSRAUM SCHAFFEN drei Prozent gestiegen. Ende Der 1. Mai 2004 ist ein historisches Datum, das mich mit April fehlen – wenn auch gezielt großer Genugtuung erfüllt. Die Grenze zu unseren Nach- nur als Momentaufnahme – barn in Polen und der Tschechischen Republik wird zur ca. 160.000 Ausbildungs- ansprechen schlichten europäischen Binnengrenze. Im Bereich der be- plätze, um für alle Bewerbe- ruflichen Bildung gibt es bereits erfolgreiche Kooperatio- rinnen und Bewerber einen nen, z. B. im Rahmen des BMBF-Programms Regio-Kompe- Ausbildungsplatz anbieten tenz-Ausbildung. Diese gilt es zu intensivieren und auszu- zu können. bauen. Ich bin mir der Bedeutung einer europäischen Berufsbildungspolitik bewusst; das BMBF gestaltet daher AUSBILDUNG UNABHÄNGIG VON die Brügge-Kopenhagen-Initiative aktiv mit und unterstützt KONJUNKTURELLEN SCHWANKUNGEN SICHERN die Stärkung der europäischen Zusammenarbeit in der Be- Diese Entwicklung zeigt deutlich: wir müssen Wege finden rufsbildung. Nur mit der Internationalisierung und Euro- und realisieren, die Ausbildung unabhängig von konjunktu- päisierung der Berufsbildung, der Schaffung eines euro- rellen Schwankungen und demografischen Entwicklungen päischen Bildungsraums und der Reduzierung von Mobi- sichert. Es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen litätshemmnissen werden wir mittel- und langfristig die werden, dass auch in veränderten Wirtschaftsstrukturen die Herausforderungen der Globalisierung erfolgreich bewälti- duale Ausbildung ihre Bedeutung behält. Der Deutsche Bun- gen können. Zu den Zielen eines europäischen Bildungs- destag hat am 7. Mai 2004 das Berufsausbildungsplatzsiche- raums gehören die Anerkennung, Anrechnung und Trans- rungsgesetz verabschiedet. Anders als in manchen Medien parenz von Abschlüssen. dargestellt, ist damit nicht automatisch die vieldiskutierte Umlage etabliert. So räumt das Gesetz freiwilligen Regelun- DIE AUSBILDUNGSOFFENSIVE 2004 GEZIELT UMSETZEN gen einen bewussten Vorrang ein. Ich hoffe sehr, dass durch Eine nachhaltige Trendwende auf dem Ausbildungsmarkt ist engagiertes Handeln aller relevanten Kräfte, insbesondere nur durch entschlossenes und gemeinsames Handeln aller Be- aus der Wirtschaft und den Verbänden, die Anwendung des teiligten zu erreichen. Die Bundesregierung ergreift auch in Gesetzes im Sinne einer Umlage letztendlich überflüssig diesem Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen zur Verbesserung wird. Die Entwicklung der Schulabgängerzahlen ist bekannt, der Ausbildungssituation. So beteiligt sich der Bund im Rah- so sind schon in wenigen Jahren in den neuen Ländern hier men des Ausbildungsplatzprogramms Ost im Jahr 2004 an erhebliche Einbußen zu verzeichnen. In den alten Ländern der Finanzierung von 10.000 betriebsnahen Ausbildungsplät- werden die Zahlen bis zum nächsten Jahrzehnt noch anstei- zen. Die Strukturförderprogramme „Fünf unter einem Dach“ gen, danach folgt auch hier ein deutlicher Rückgang. Das werden intensiviert; die bundesweite Konferenz „Ausbilden heißt, wir müssen heute schon entgegensteuern, wenn wir jetzt – Ausbildungsstrukturen verbessern“ in Leipzig hat hier unsere wirtschaftlichen Entwicklungschancen nicht verspie- wichtige Impulse für eine weitere Profilierung dieser Pro- len wollen. gramme gesetzt. Das Programm Ausbildungsplatzentwickler West eröffnet seit Jahresbeginn Fördermöglichkeiten auch in DURCHLÄSSIGKEIT IM BILDUNGSSYSTEM VERBESSERN den alten Ländern, Das Programm STARegio zielt auf mehr Das Nachfrageverhalten der Jugendlichen verändert sich, Ausbildungsplätze und auf mehr Qualität, z. B. mit innova- sei es innerhalb des dualen Systems, sei es, dass sie sich tiven, kooperativen Ausbildungsformen. Schon bei der Auf- häufiger als in der Vergangenheit für Qualifizierungswege taktveranstaltung im Oktober 2003 „Region – Betrieb – außerhalb des dualen Systems entscheiden. Dort wo die Be- Kooperation – Chancen für mehr Ausbildung“ in Gelsenkir- rufsausbildung mittlerweile in schulischen Vollzeitformen chen habe ich mich vom großen Potenzial innovativer Pro- stattfindet, muss die Möglichkeit der Zulassung zur Kam- jektideen überzeugen können. Eine Zusammenkunft der 20 merabschlussprüfung gegeben sein, um eine bessere Direkt- bereits gestarteten Projekte im April d. J. hat gezeigt, dass wir beschäftigung im Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es gibt den richtigen Weg eingeschlagen haben. Mit der im April er- verschiedene Wege, eine gute und zukunftssichere beruf- folgten Veröffentlichung der aktualisierten Förderrichtlinie ist liche Qualifikation zu erlangen: Eine Berufsqualifizierung die Basis für eine Programmerweiterung gelegt. Generell innerhalb des dualen Systems ist keine Sackgasse für die erscheint es mir sinnvoll, in der Wirtschaft existierende persönliche Karriereperspektive. Wir brauchen moderne Re- Kooperationsbeziehungen auch für Ausbildungskooperatio- gelungen zum Übergang von Berufsausbildung zur Weiter- nen bzw. für mehr Ausbildung zu erschließen. bildung und zur Hochschulbildung. Dazu gehört, den be- ruflich Qualifizierten den Hochschulzugang zu erleichtern Die Aktivitäten der Ausbildungsoffensive sind eingebettet in und bereits erworbene Qualifikationen auf die Studienleis- weitere berufsbildungspolitische Schwerpunkte und Ziele zur tungen anzurechnen, die berufliche Weiterbildung zu einer strukturellen Verbesserung der beruflichen Bildung (vgl. Kas- anerkannten Alternative zum Hochschulstudium auszu- ten) und kommen auch in den Eckpunkten zur Novellierung bauen sowie Doppelqualifikationen zu ermöglichen. der Reform des Berufsbildungsgesetzes zum Ausdruck.

6 BWP 3/2004 SCHWERPUNKTE DER AUSBILDUNGSOFFENSIVE

Die Ausbildungsoffensive 2004 ist im Kern auf die Gewin- Schwerpunkte und Ziele der aktuellen Berufsbildungspolitik nung zusätzlicher Betriebe für die Ausbildung gerichtet, • Mit der Integration der Ausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz und wobei eine bewusste Fokussierung auf drei Schwerpunkte dem Angebot von Qualifizierungsbausteinen aus Ausbildungsberufen werden Aus- vorgesehen ist: bildungsvorbereitung und Ausbildung besser aufeinander abgestimmt. • ausgewählte Regionen • Mit dem Programm „Früherkennung“ werden neue Qualifikationserfordernisse in • besondere Branchen neuen bzw. wachsenden Beschäftigungsfeldern identifiziert, um sie möglichst früh- zeitig in die betriebliche Aus- und Fortbildung zu integrieren. • bestimmte Personengruppen. • Die Modernisierung der Ausbildungsberufe sichert der Wirtschaft den anforderungs- gerechten Fachkräftenachwuchs und erhöht die mittel- und längerfristige Beschäf- Zu den regionalspezifischen Aktivitäten gehört die gezielte tigungsfähigkeit des/der Einzelnen. Seit 1999 wurden in 130 Neuordnungsverfahren Ansprache von Wirtschaft und Betrieben. Ich werde auch 101 Ausbildungsberufe modernisiert und 29 neue Berufe geschaffen. Im Jahr 2004/ 2005 sollen weitere 47 Berufe modernisiert und neun neue Berufe geschaffen wer- in diesem Jahr Ausbildungsreisen in verschiedene Regio- den. nen Ost- und Westdeutschlands unternehmen und persön- • Unter dem Stichwort „Ausbildung für Alle“ ist das BQF-Programm „Kompetenzen lichen Kontakt mit den Entscheidungsträgern suchen. fördern – Berufliche Qualifizierung für Zielgruppen mit besonderem Förderbedarf“ Die Medienservicepakete des BMBF werden in 2004 be- ein zentraler Eckpfeiler der Berufsbildungspolitik. Die Förderung wird qualitativ wei- terentwickelt und effizienter gestaltet; hierbei ist die Konzentration auf vier Schwer- wusst auch gezielt regionalspezifische Aspekte einbeziehen. punkte vorgesehen: Schon im Juni nutze ich anlässlich eines Journalisten- – Optimierung der Förderstrukturen workshop zum Thema Ausbildung die Möglichkeit, Chefre- – Verbesserung der Arbeit der Bildungseinrichtungen dakteuren von regionalen und überregionalen Tageszeitun- – Stärkung von Ansätzen zur Prävention von Arbeitslosigkeit bereits in der Schule – Verbesserung der Ausbildungschancen von Migrantinnen und Migranten. gen aus dem gesamten Bundesgebiet die große Bedeutung des Themas Ausbildung und Ausbildungsplatzsituation zu erläutern.

Als Bildungs- und Forschungsministerin ist es mir ein be- AUSBILDUNGSREIFE ALS AUSBILDUNGSHEMMNIS sonderes Anliegen, die Potenziale innovativer, forschungs- Im Rahmen der Ausbildungsoffensive werde ich zu einer naher Branchen für die berufliche Ausbildung noch effek- bundesweiten Konferenz zur Ausbildungsreife für den 31. tiver zu erschließen. Warum sollten Forschungsnetzwerke August 2004 nach Berlin einladen. Auch hiervon erhoffe nicht auch bei der Ausbildung kooperieren? Die Leistun- ich wichtige Impulse. Bei Diskussionen über Ausbildungs- gen der von meinem Hause institutionell geförderten For- hemmnisse wird häufig, nicht nur von Unternehmensseite, schungseinrichtungen bei der Ausbildung innerhalb des auf die fehlende Ausbildungsreife der Jugendlichen ver- dualen Systems – exemplarisch die Forschungszentren der wiesen. Ich möchte dies hier gar nicht bewerten, aber ei- Helmholtz-Gemeinschaft – zeigen, dass Spitzenforschung nes ist klar: Die berufliche Bildung ist Teil des Bildungs- und Ausbildung gut zusammenpassen. Auch die Verknüp- systems. Wenn wir in der Beruflichen Bildung zu Erfolgen fung der vielfältigen Aktivitäten und Veranstaltungen im kommen wollen, müssen wir bereits dort ansetzen, wo die Kontext „Jahr der Technik“ mit der Ausbildungsoffensive Ausbildungswege beginnen, wo Lernen beginnt. Nicht erst soll hier neue Felder und Handlungsoptionen erschließen. die PISA-Studie hat dies deutlich gemacht. Mit dem Pro- Es gibt aber auch Branchen, die angebotene Ausbildungs- gramm „Zukunft Bildung“, mit dem wir unter anderem plätze nicht in vollem Umfang besetzen können. Hier will 4 Mrd. o in den Ausbau des Ganztagsschulangebotes in- die Ausbildungsoffensive helfen, mit gezielten Informatio- vestieren werden, unterstützen wir genau diese Ziele. Gute nen über Berufs- und Karrierechancen Ausbildungsverträge Bildung bedeutet individuelle Förderung, Zeit und Raum zu generieren. für Kreativität und eine höhere Qualität des Unterrichts und des gemeinsamen Lernens. Das zielt auch auf einen höhere Ausbildungsreife der Jugendlichen und somit auf den Ab- bau von potenziellen Ausbildungshemmnissen. Hiervon können wir alle nur profitieren. Der dritte Schwerpunkt der Ausbildungsoffensive zielt auf konkrete Maßnahmen für Personengruppen. Hier sind ins- „JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!“ besondere die Aktivitäten des Projekts KAUSA zu nennen. Die Sonderausgabe der BWP „Berufsbildung in Wissen- Auf den Erfolgen des Vorjahres aufbauend, gehen sie ge- schaft und Praxis“ zur aktuellen Ausbildungssituation er- zielt auf Unternehmerinnen und Unternehmer nicht deut- scheint unter dem Titel „Jugendliche in Ausbildung!“. Ich scher Herkunft zu, um für die duale Berufsbildung zu wer- möchte diesen Titel bewusst aufgreifen und an die Verant- ben und zusätzliche Ausbildungsangebote zu schaffen. Ge- wortlichen in den Verbänden, Unternehmen und Betrieben rade in urbanen Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet, appellieren: Helfen Sie mit, ein ausreichendes und adäqua- Berlin oder auch dem Kölner Raum gilt es hier erhebliche tes Ausbildungsangebot zu realisieren. Bilden Sie aus! Aus- Potenziale für Ausbildung zu erschließen. bilden jetzt ist Zukunftssicherung!

BWP 3/2004 7 INTERVIEW

Mögliche Wege zu mehr betrieblichen Ausbildungsplätzen Interview mit den Berufsbildungspoli- tikern Willi Brase und Uwe Schummer

BIBB_ Die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist be- AM 7. MAI 2004 HAT DER DEUTSCHE BUNDESTAG NACH drohlich. Trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit werden MONATELANGEN HEFTIGEN POLITISCHEN KONTROVER- Sie das ähnlich bewerten. Nur die Rezepte zur Lösung des Pro- SEN DAS „BERUFSAUSBILDUNGSSICHERUNGSGESETZ“ blems sind offensichtlich andere. Ihre Fraktion, Herr Brase, prä- BESCHLOSSEN. DANACH SOLL DIE BUNDESREGIERUNG feriert eine Ausbildungsumlage, mit der die Unternehmen, die EINE ABGABE ERHEBEN KÖNNEN, WENN AM 30. SEPTEM- nicht ausbilden, an den Ausbildungskosten beteiligt werden. BER EINES JAHRES DIE ZAHL DER UNBESETZTEN AUS- Verspricht das eine umfassende Lösung des Problems? BILDUNGSPLÄTZE NICHT UM MINDESTENS 15 PROZENT Brase_ Es gibt mehr junge Leute als betriebliche Ausbil- HÖHER LIEGT, ALS DIE ZAHL DER NOCH NICHT VERMIT- dungsplätze, aber eine hohe Zahl von Unternehmen, die aus- TELTEN BEWERBER. bildungsfähig sind und trotzdem nicht ausbilden. Das Bundes- ABGABEPFLICHTIG SIND DANN BETRIEBE MIT MEHR ALS verfassungsgericht hat 1980 sehr deutlich zum Ausdruck ZEHN BESCHÄFTIGEN, BEI DENEN DER ANTEIL DER AUS- gebracht, dass es so etwas wie eine gesellschaftliche Verpflich- ZUBILDENDEN AN DER GESAMTZAHL DER BESCHÄF- tung der Unternehmen zur Schaffung ausreichender Ausbil- TIGTEN SIEBEN PROZENT UNTERSCHREITET. AUS DEN dungsplätze gibt und dass der Staat berechtigt ist, auf dieser MITTELN SOLLEN VOR ALLEM ZUSÄTZLICHE BETRIEB- Grundlage eine Sonderabgabe zu erheben. Sie muss ziel- und LICHE AUSBILDUNGSVERHÄLTNISSE BEZUSCHUSST zweckgerichtet sein und ist vor allem gruppennützig zu ver- WERDEN. wenden. Wir wollen zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze IM VORFELD DER PARLAMENTARISCHEN ENTSCHEIDUNG organisieren, und wir wollen gleichzeitig die Unternehmen ein SPRACH DIE BWP MIT ZWEI MITGLIEDERN DES DEUT- Stück weit mit einem Leistungsausgleich belohnen, die über SCHEN BUNDESTAGES ÜBER DIE NOTWENDIGKEIT EINES der Quote ausbilden. Das ist kurz gesagt, die Zielsetzung un- SOLCHEN GESETZES UND MÖGLICHE ALTERNATIVEN. seres Gesetzesentwurfs. Weiter wollen wir, dass existierende tarifvertragliche Verein- barungen anerkannt werden. Wir hoffen und wünschen uns, dass es zu zusätzlichen Vereinbarungen kommt, damit am 30. 9. genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen.

BIBB_ Herr Schummer: Sie sehen die Ursachen nicht nur in WILLI BRASE, MdB dem restriktiven Ausbildungsverhalten der Unternehmen, son- Mitglied der Fraktion der SPD dern auch in Problemen der Ausbildungsfähigkeit der Jugend- Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung lichen. Ist das richtig? und Technikfolgenabschätzung

Schummer_ Das ist richtig. Im Ziel sind wir einig, dass jeder Schulabgänger eine berufliche Perspektive bekommt. Nur dafür gibt es nicht den einen Königsweg. Und zu glauben, dass UWE SCHUMMER, MdB mit einer Ausbildungsplatzabgabe eine Strukturreform der Be- Mitglied der Fraktion der CDU/CSU rufsausbildung vorangetrieben werden kann, ist ein Irrglau- Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung ben. Deshalb wollen wir ein Bündel von Maßnahmen. Dazu und Technikfolgenabschätzung gehört u. a.: Wie können wir Einstiegskorridore für praktisch Begabte schaffen? Wir denken daran, dass man verstärkt die

8 BWP 3/2004 dreijährigen Berufsbilder stufenweise organisiert. Jedes Jahr produzieren wir 100.000 berufslose junge Menschen. Da hilft keine Abgabe, sondern es müssen beschleunigt neue Berufs- bilder geschaffen werden – auch für praktisch Begabte. Diese müssen stufenweise organisiert sein, damit sie nicht in Sack- gassen enden. Mein Appell: Lasst uns über Maßnahmen mit den Kammern, mit den Gewerkschaften, mit der Wirtschaft, mit Bund und Ländern reden, einen wirklichen Pakt schließen, der nachvollziehbar und berechenbar ist.

BIBB_ Herr Brase, wie sehen Sie diese Alternativen von Herrn Schummer? Sind nicht gerade zweijährige Berufe angesichts Im Gespräch (v. l.): Uwe Schummer, Folkmar Kath, Willi Brase der Prognosen über einen ständig wachsenden Qualifikations- bedarf der Wirtschaft problematisch? einer aktiven Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik das korri- giert, was die Wirtschaft derzeit allein nicht schafft. Weder die Brase_ Wenn die Zahl der Einfacharbeitsplätze weiter sinken Wirtschaft noch der Gesetzgeber werden es allein bewerkstel- wird, frage ich mich, ob man über zweijährige Berufe oder ange- ligen können. Es darf nicht wieder der Fehler wie im Bündnis lernte Tätigkeiten das Niveau erreichen kann, das wichtig wäre. für Arbeit gemacht werden, dass Vereinbarungen von sehr all- Auch erleben wir seit Jahren, dass es diese freiwilligen Ver- gemeiner Art und nicht verlässlich nachrechenbar sind. pflichtungen gibt. Tatsache ist jedoch, dass die Zahl der be- trieblich angebotenen Ausbildungsplätze zurückgegangen ist. Brase_ Die Frage ist doch, wie schaffen wir es, auch zu- Tatsache ist auch, dass immer weniger Betriebe sich an der kunftsfähig gerichtet genügend Ausbildungsplätze in diesem dualen Ausbildung beteiligen, und Tatsache ist schließlich, dass Land zur Verfügung zu stellen? Alle freiwilligen Vereinbarungen es nach wie vor junge Leute gibt, die sehr wohl in der Lage haben letztendlich dies nicht auf den Weg bringen können. Und sind, eine voll qualifizierende betriebliche Ausbildung zu wenn das so ist, dann muss der Gesetzgeber handeln. durchlaufen. Die jungen Leute, die wir in den letzten Jahren in Über Grundsatzfragen der beruflichen Bildung können wir je- Ersatzmaßnahmen gefördert haben, sind nicht immer ausbil- derzeit diskutieren. Wie reformieren gegenwärtig das Berufbil- dungsunfähig. Insofern muss man schon überlegen, ob es mit dungsgesetz. Es wird im Sommer einen Referentenentwurf ge- den Warteschleifen so weiter gehen kann. Es geht kein Weg ben, und da werden wir sehen, wo die unterschiedlichen politi- daran vorbei: Es gibt nach dem Grundgesetz und nach den schen Positionen liegen und wo wir ein Stück nach vorn Wertvorstellungen der SPD eine Verpflichtung von Unterneh- kommen. Wenn die Unternehmen über 14 Milliarden im Jahr men, sich auch an der nötigen Ausbildung von jungen Men- für die Berufsausbildung ausgeben und der Anteil der durch die schen zu beteiligen. Und wenn das nicht so geht, dann ist es Bundesagentur für Arbeit und der öffentlichen Hand finanzier- unsere Aufgabe, zu überlegen, mit welchen Mitteln die Politik ten Maßnahmen sich auf fast 7 Milliarden addiert, dann besteht diesem Ziel ein Stück näher kommen kann. die Gefahr der Verstaatlichung der Berufsausbildung. Wir haben in den vergangenen Jahren vergessen, darüber zu BIBB_ Herr Schummer, es gibt ja in der Tat das Urteil des Bun- diskutieren, ob das bestehende Finanzierungssystem der beruf- desverfassungsgerichts, das den gesetzlichen Auftrag der Un- lichen Bildung noch adäquat und zukunftsgerichtet ist. Ich be- ternehmen bestätigt hat, für ein qualitativ und quantitativ haupte nicht, dass unser Gesetzesentwurf dieses Problem alleine auswahlfähiges Angebot zu sorgen. Auch Betriebe bemängeln, lösen kann, es handelt sich höchstens um einen ersten Schritt, dass nicht ausbildende Betriebe davon profitieren, von ihnen dem andere folgen müssen. ausgebildete junge Menschen in eine Beschäftigung überneh- men zu können. Spricht das nicht für ein Umlagesystem? BIBB_ Herr Schummer, es fällt auf, dass die heftigen Kontro- versen über eine kollektive Finanzierung durch alle Arbeitge- Schummer_ Ich bin sehr dafür, dass man die Betriebe, die ber einmalig ist. Ich erinnere an das Beispiel Dänemark, wo entsprechend der Verfassung agieren, auch unterstützt. Aber die Tarifvertragsparteien gemeinsam den Gesetzgeber ermun- da wäre ein Bonussystem besser als eine solche Strafaktion. tert haben, eine derartige Regelung gesetzlich zu verankern. Ich bin auch sehr offen für regionale Bündnisse und für tarif- Wäre nicht durch Konsens zwischen Arbeitgebern und Arbeit- liche oder regionale Umlagemodelle. Aber sie müssen von un- nehmern dem dualen System in dieser Frage besser gedient? ten wachsen. Ich habe große Bedenken gegen eine staatliche Megabürokratie. Tatsache ist, Betriebe können nur dann aus- Schummer_ Sehen Sie, der Unterschied ist, dass in Dänemark bilden, wenn sie eine wirtschaftliche Zukunft haben. Hand- die Arbeitgeber und die Gewerkschaften auf den Gesetzgeber werksmeister, die keine Aufträge bekommen, können keine zugegangen sind. Und hier wird der Gesetzgeber zum Büttel ei- 3jährigen Ausbildungsverträge unterschreiben. Klar ist natür- ner Tarifpartei. Tatsache ist, dass lich auch, dass, wenn für die berufliche Zukunft herangebildet in Deutschland die Ausbildungs- * Das Interview führte Folkmar Kath, Leiter der Abteilung „Struktur und Ordnung werden soll, der Staat substituierend gefordert ist. Aber nicht quote der Wirtschaft wesentlich der beruflichen Bildung“ im BIBB, am mit einem zentralistischen Moloch, sondern indem man mit höher ist als in Dänemark. Ge- 28. 4. 2004 in Berlin

BWP 3/2004 9 INTERVIEW

genüber dem Modell dort verfügt die Berufsausbildung in Schummer_ Dieses Bündnis ist ja gerade als Ausbildungspakt Deutschland trotz aller Schwierigkeiten über das bessere Kon- angeboten worden. Nun muss man sich zusammensetzen und zept. Wir sollten nochmals darüber reden, ob man nicht diesen darüber reden. Die Vorschläge könnten bis September umge- Gesetzesentwurf zurückzieht, um statt dessen untereinander ein setzt werden. Ich kann nur appellieren, dass man diesen Pakt Bündel pragmatischer Maßnahmen zu vereinbaren. Bei dem Ge- auf seine Verlässlichkeit hin überprüft und testet. Wenn man setz sehe ich eine große Gefahr der Fehlsteuerung. sich auf die Abgabe verlässt, dann wird es ein Debakel geben. Wir sollten die wichtigsten Kräfte bündeln, und nicht meinen, Brase_ Unternehmen werden sich nicht in großem Maße frei- dass wir mit einem solchen Gesetz letztendlich die Wirtschaft kaufen, weil es durchaus ein Interesse gibt, den eigenen Nach- dirigieren könnten. wuchs auszubilden und weiterzuqualifizieren. Von daher han- delt es sich mehr um ein Schreckensgemälde. Wir müssen die Brase_ Wir wollen keine Wirtschaft dirigieren. Wir wollen sie Ausbildungschancen der Jugendlichen durch ein erhöhtes An- nur berechtigt an Pflichten und Aufgaben erinnern und, wenn gebot betrieblicher Ausbildungsplätze stärken. Zur Stärkung es freiwillig nicht geht, über eine Handlungsmöglichkeit durch der Jugendlichen gehört auch die Novellierung des Berufsbil- den Gesetzgeber verfügen. Wenn wir es schaffen, dass die ver- dungsgesetzes. Dabei möchte ich vor allem die Kernberuflich- tragliche Vereinbarung in der großen verarbeitenden Industrie keit vorantreiben. kommt, dann sind wir ein schönes Stück weiter. Ich könnte mir ebenso vorstellen, wenn der DIHK und andere zwischen BIBB_ Herr Schummer, auch ein Bonussystem muss sich aus 15.000 und 25.000 Plätze zur Ausbildungsvorbereitung in den einer Finanzierungsquelle speisen. Denken Sie dabei an Betrieben und Unternehmen organisieren, dann sind wir Steuervorteile oder Prämien zu Lasten öffentlicher Haushalte? ebenso auf einem guten Weg. Auch mit der Weiterführung des Programms STARegio und damit über die Bündelung von Schummer_ Ich denke da an ein Bündel von Maßnahmen, Maßnahmen werden noch Verbesserungen möglich. Das sind über das man sich auf kommunaler, auf Landes- und auf Bun- drei konkrete Dinge, die man überprüfen kann. Bei freiwilli- desebene unterhalten sollte: Erstens sollten bei öffentlichen gen Absichtserklärungen sind wir vorsichtig geworden. Wür- Aufträgen bei gleichwertigen Angeboten Ausbildungsbetriebe den allein die ausbildungsfähigen Betriebe ausbilden, hätten bevorzugt werden. Weiterhin könnten die Prüfungsgebühren in wir die notwendige Zahl betrieblicher Ausbildungsstellen wei- den Kammerbeitrag einfließen, damit ausbildende Betriebe nicht testgehend im Griff. Deshalb bin ich dafür, dass wir dieses allein die Gebühren bezahlen. Ein Konzept, das ohne organisa- Instrument auf den Weg bringen. torischen Aufwand sofort umgesetzt werden könnte. Ein weite- rer Punkt wäre, die für JUMP und andere Trainingsmaßnahmen BIBB_ Das Bundesinstitut für Berufsbildung befasst sich mit ausgegebenen Mittel, von denen nachweislich 70 % nicht in eine dem Thema, kann aber gleichwohl keine empirischen Ergeb- berufliche Perspektive führten, gezielt für die betriebliche Aus- nisse über Umlagefinanzierungsregelungen vorweisen. Als bildung einzusetzen. Wir würden die Gelder da effizient einset- Forschungs- und Dienstleistungseinrichtung liefert es der zen, wo Brücken in den ersten Ausbildungsmarkt bestehen. praktischen Politik Erkenntnisse, die ihr bei politischen Ent- scheidungen hilfreich sein könnten. Welchen konkreten Bei- Brase_ Sehr spannend finde ich, ausbildende Unternehmen trag sollte das Bundesinstitut zu diesem Thema leisten? bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bei gleichwertigen An- geboten zu prämieren. Es ist noch gar nicht lange her, da Schummer_ Ich würde mir wünschen, dass das Bundesinstitut wurde dieser Vorschlag massiv kritisiert, weil darin eine Ein- Alternativen entwickelt. Ich sehe zwei Problembereiche: er- schränkung freien unternehmerischen Handelns gesehen stens Hilfe bei der Lösung der Probleme von der schulischen wurde. Ich finde es gut, dass auch die Oppositionsfraktion hier Ausbildung in die Berufsausbildung. Hier gibt es Defizite auf eine ethische Verantwortung sieht. Unser Entwurf für ein Be- Länderebene, was sich besonders auf Hauptschulabgänger rufsbildungssicherungsgesetz ist ein erster Schritt. Auch künf- ohne Abschluss auswirkt. Der zweite Problembereich ist der tig müssen wir öffentliche Mittel einsetzen, wie z. B. berufs- Übergang von der beruflichen Ausbildung zur permanenten vorbereitende Bildungsaktivitäten. Man kann junge Menschen Weiterbildung. Hier geht es insbesondere um die Entwicklung nicht von Warteschleife zu Warteschleife schicken. Aber wir eines aussagefähigen Ausbildungspasses und die Erarbeitung sehen die Vorschläge der Unionsfraktion durchaus als eine von modularisierten Qualifizierungskonzepten. sinnvolle Ergänzung an, die wir im Herbst mit ihr diskutieren wollen. Wenn wir es gemeinsam schaffen, im Laufe des Som- Brase_ In der Stellungnahme des BIBB bei der Anhörung im mers mehr betriebliche Ausbildungsplätze zu organisieren, zuständigen Bundestagsauschuss ist deutlich geworden, dass wird dieses Gesetz nicht zur Anwendung kommen. Offensicht- es so etwas wie eine Gerechtigkeitslücke gibt, die mittel- und lich war dieser Druck notwendig, denn erst jetzt kam es zu ei- langfristig zu schließen ist. Ich glaube, dass die Anregungen nem Angebot von der Arbeitgeberseite. Darin sind bekannte des BIBB hier und bei weiteren Problemen durch Forschung Aspekte, die deshalb nicht falsch sein müssen. sehr hilfreich sind. Ob es um die Fragen geht, die Herr Schum- mer schon angesprochen hat, oder um weiter gehende An- BIBB_ Von dem Gesetzentwurf soll ja offensichtlich eine Droh- sätze. Im Zusammenhang mit der Bildungsreform erwarten wir wirkung ausgehen, weil es bisher nicht zu den von Ihnen ge- uns in einem gemeinsamen Diskussionsprozess Unterstützung forderten Bündnissen gekommen ist? bei der Suche nach sachgerechten Lösungen.

10 BWP 3/2004 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Keine Besserung in Sicht? Zur aktuellen Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt

2003 war kein gutes Jahr für den Ausbil- Rückblick auf 2003 dungsstellenmarkt. Offiziell standen nur etwa Im Jahr 2003 wurden 2,6 % weniger Ausbildungsverträge 97 Ausbildungsplatzangebote 100 Lehrstellen- abgeschlossen als im Vorjahr. Die 557.612 neu abgeschlos- senen Lehrverträge markieren somit einen weiteren Tief- nachfragern gegenüber. Dabei ist dieses stand. Mit den 14.840 bei der Bundesagentur für Arbeit Ergebnis nur die halbe Wahrheit. Denn es (BA) zum 30. 9. 2003 noch unbesetzten Ausbildungsstellen und den 35.015 noch unvermittelten Bewerbern bezifferte spiegelt lediglich das Endergebnis eines durch sich das offiziell ausgewiesene Ausbildungsplatzangebot zahlreiche Stabilisierungsmaßnahmen und auf 572.452 und die Nachfrage auf 592.627.1

Ausgleichsprozesse überformten Marktes Die Angebots-Nachfrage-Relation (ANR), die traditionell wider. Ohne diese Überformungen hätte sich als eine der wichtigsten Kenngrößen zur Beschreibung der Ausbildungsmarktsituation Verwendung findet, lag 2003 noch ein deutlich dramatischeres Bild erge- bei 96,6. Dies bedeutet, dass rein rechnerisch knapp 97 Ausbildungsangebote auf 100 Nachfrager entfielen. Damit ben. Leider ist für 2004 mit keiner durchgrei- erscheint der Lehrstellenmarkt trotz des starken Angebots- fenden Besserung zu rechnen. rückgangs in Folge der schwierigen wirtschaftlichen Situa- tion immer noch einigermaßen ausgeglichen. Die ANR ver- mag die tatsächlichen Probleme allerdings nicht abzu- bilden. Denn sie spiegelt lediglich die abschließenden Verhältnisse auf einem Markt wider, der von zahlreichen Ausgleichsprozessen überformt wurde. Zum rechnerischen

ELISABETH M. KREKEL Ausgleich von Angebot und Nachfrage trugen im Wesent- Dr. phil., Soziologin, M. A., Leiterin des lichen folgende Faktoren bei: Arbeitsbereichs „Qualifizierungsbedarf, Bildungsangebot und -nachfrage“ im BIBB • Überbedarfsausbildung der Wirtschaft, • außerbetriebliche Zusatzangebote durch Bund, Länder und Arbeitsverwaltung, KLAUS TROLTSCH • Mobilität der Ausbildungsplatznachfrager, Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter im • Jugendliche, die zwar weiterhin auf Lehrstellensuche Arbeitsbereich „Qualifizierungsbedarf, Bildungsangebot und -nachfrage“ im BIBB sind, sich wegen fehlenden Bewerbungserfolgs aber um eine Alternative oder zwischenzeitliche Überbrückung bemühen und offiziell dann nicht mehr zu den Nachfra-

JOACHIM GERD ULRICH gern gezählt werden. Dr. rer. pol., Dipl.-Psych., wiss. Mitarbeiter im Arbeitsbereich „Qualifizierungsbedarf, Bildungsangebot und -nachfrage“ im BIBB

BWP 3/2004 11 THEMA

Tabelle 1 Realisiertes Ausbildungsplatzangebot 2003 AUSSERBETRIEBLICHE AUSBILDUNG Auf der Angebotsseite wurden von Bund, Ländern und den

Betriebliches Außerbe- Realisiertes Proz. Anteil Arbeitsverwaltungen in gleicher Höhe wie im Vorjahr rund Angebot triebliches Angebot des außer- 60.000 außerbetriebliche Ausbildungsplätze bereitgestellt. Angebot insgesamt betrieblichen Die Plätze stammten im Wesentlichen aus dem Bund-Län- Angebots derprogramm Ost inkl. Ergänzungsmaßnahmen der Länder BW Baden-Württemberg 67.482 3.322 70.804 4,7 (14.800), aus dem Sofortprogramm (2.500), aus der Benach- BY Bayern 89.085 2.840 91.925 3,1 BE Berlin 14.102 5.050 19.152 26,4 teiligtenförderung nach § 242 SGB III (28.000) und aus BB Brandenburg 11.446 7.046 18.492 38,1 Reha-Maßnahmen (14.900). Somit ist der Rückgang an neu HB Bremen 5.732 429 6.161 8,1 abgeschlossenen Verträgen ausschließlich auf eine Vermin- HH Hamburg 11.172 742 11.914 6,2 derung der betrieblichen Ausbildungsplätze zurückzuführen. HE Hessen 35.880 1.932 37.812 5,1 MV Meckl.-Vorpommern 11.257 5.386 16.643 32,4 Der Anteil des betrieblichen Angebots am Gesamtangebot NI Niedersachsen 48.098 3.102 51.200 6,0 schwankte 2003 in den einzelnen Ländern zwischen 62% NW Nordrhein-Westfalen 105.399 5.647 111.046 5,1 in Brandenburg und 97% in Bayern (Tabelle 1). RP Rheinland-Pfalz 25.524 1.414 26.938 5,2 SL Saarland 7.713 465 8.178 5,7 SA Sachsen 22.054 8.611 30.665 28,1 ST Sachsen-Anhalt 11.941 7.192 19.133 37,6 REGIONALE MOBILITÄT DER NACHFRAGER SH Schleswig-Holstein 17.654 1.115 18.769 5,9 TH Thüringen 12.704 6.076 18.780 32,4 Ein rechnerischer Ausgleich von Angebot und Nachfrage Alte Länder 413.739 21.008 434.747 4,8 wird auch durch die regionale Mobilität der Ausbildungs- Neue Länder und Berlin 83.504 39.361 122.865 32,0 platznachfrager begünstigt. Hierzu liegen zumindest für die Bundesgebiet 497.243 60.369 557.612 10,8 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) registrierten Quellen: Bundesagentur für Arbeit, Bundesinstitut für Berufsbildung, Lehrstellenbewerber Daten vor. Denn die Arbeitsverwaltung Bundesministerium für Bildung und Forschung, Angaben der Länder registriert, wie viele der von ihr unterstützten Bewerber in einem anderen als ihrem Heimatbundesland mit einer Lehre beginnen. Auf dieser Basis lässt sich der rechnerische An- Abbildung 1 Prozentualer Anteil der Nettoeinpendler an der Gesamtzahl aller teil der Nettoeinpendler an der Gesamtzahl aller Neuver- neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2003 träge bestimmen (Auspendler werden hierbei von der Zahl der Einpendler abgezogen). Wie Abbildung 1 zeigt, war er 2003 in Hamburg mit über 15% am höchsten. Die negati- 16 ven Werte in Ostdeutschland signalisieren, dass diese Län- 12 der weiterhin zu großen Teilen Jugendliche an die alten 2 8 Länder verloren haben.

4 ALTERNATIV VERBLIEBENE BEWERBER 0 Nach der klassischen Definition setzt sich die Ausbildungs- -4 platznachfrage aus der Zahl der neu abgeschlossenen Aus- -8 bildungsverträge (2003: 557.612) und der Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber (2003: 35.015) zusammen. Im -12 Jahre 2003 wurden nach dieser Definition 592.627 Ausbil- -16 dungsplatznachfrager ausgewiesen. Ausbildungsstellenbe- BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SA ST SH TH werber, die bei erfolgloser Suche auf Alternativen auswei-

Quellen: Bundesagentur für Arbeit, BIBB, eigene Berechnungen chen (z. B. Jobben, Arbeit, berufsvorbereitende Maßnahme, Schule), werden nicht mehr berücksichtigt („latente Nach- frager“). Dies gilt auch dann, wenn sie ihren Vermittlungs- wunsch nach einer Lehrstelle offiziell aufrecht erhalten. Die Zahl dieser Jugendlichen, die trotz weiteren Vermittlungs- ÜBERBEDARFSAUSBILDUNG DER WIRTSCHAFT wunsches statistisch nicht mehr zu den Nachfragern ge- Viele Betriebe haben sich auch im letzten Jahr bereit erklärt, zählt werden, lag 2003 bundesweit bei 46.703, dies sind trotz schwieriger wirtschaftlicher Lage über den eigenen Be- 5.518 mehr als im Jahr zuvor. Seit Anfang der neunziger darf hinaus weitere Auszubildende einzustellen. Leider lie- Jahre ist ihre Zahl von ursprünglich unter 10.000 stetig an- gen hierzu keine Statistiken vor. Die Aktionen der zuständi- gestiegen. gen Stellen und der Arbeitsverwaltung zur Akquisition zu- sätzlicher Lehrstellen deuten jedoch darauf hin, dass es sich Diese Jugendlichen entlasten zwar nicht den Ausbildungs- hierbei um ein beträchtliches Volumen handelt. stellenmarkt, dafür aber die Statistik. Diese sollte allerdings

12 BWP 3/2004 den geänderten Gegebenheiten angepasst werden. Die defi- Abbildung 2 Angebots-Nachfrage-Relation in den sechzehn Bundesländern vor nitorische Beschränkung der erfolglosen Nachfrageanteile und nach dem Marktausgleich allein auf die unvermittelten Bewerber hat traditionelle

Gründe und war in Zeiten eines relativ entspannten Lehr- Vor dem Ausgleich: Nach dem Ausgleich: stellenmarktes wie etwa Anfang der neunziger Jahre auch 92,8 BW 101,8 angemessen. Inzwischen ist sie nicht mehr zeitgemäß. Dies 91,9 BY 99,5 gilt umso mehr, als nach den Ergebnissen der BA/BIBB- 61,0 BE 83,9 Lehrstellenbewerber-Befragungen die Zahl der Bewerber, die nicht unbedingt freiwillig, sondern vor allem wegen 45,9 BB 87,5 mangelnden Bewerbungserfolges auf Alternativen oder 82,9 HB 95,8 Überbrückungsmaßnahmen ausweicht, noch höher liegt, als 97,7 HH 95,4 sie sich in der amtlich ausgewiesenen Größe von 46.703 82,0 HE 93,1 Personen niederschlägt. Danach dürfte die Gesamtzahl aller 56,5 MV 90,4 erfolglosen Lehrstellenbewerber, die im Herbst 2003 wei- terhin an der Aufnahme einer Lehre interessiert war, selbst 84,4 NI 98,7 bei vorsichtiger Schätzung mindestens 100.000 betragen 85,2 NW 97,1 haben.3 86,0 RP 97,4

87,4 SL 98,2

59,6 SA 94,5 ANGEBOTS-NACHFRAGE-RELATION VOR DEM MARKTAUSGLEICH 51,4 ST 97,2 Wie wäre eigentlich die Angebots-Nachfrage-Relation 2003 89,5 SH 98,4 in den sechzehn Bundesländern ausgefallen, wenn man: 55,3 TH 93,0

Quellen: BIBB 2004, Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen 1. nur die betrieblichen Ausbildungsplatzangebote berück- sichtigen würde, 2. die Nachfrage der Ausbildungspendler ihrem Heimat- bundesland zurechnen würde (und nicht wie bisher der Abbildung 3 Die Zahl der noch offenen Plätze, der noch nicht vermittelten Region des Ausbildungsbetriebs) und Bewerber und das Saldo zwischen beiden Größen 1995 bis 2003 (Ist- 3. die alternativ verbliebenen Bewerber, die weiterhin su- Werte) und 2004 (Vorausschätzung auf Basis der bisherigen Entwicklung chen, zu den Nachfragern dazugezählt hätte? im aktuellen Vermittlungsjahr)

Die resultierende Größe könnte man im Gegensatz zur tra- 50.000 ditionell ausgewiesenen ANR als Angebots-Nachfrage- Noch nicht vermittelte Bewerber Relation vor dem Marktausgleich bezeichnen. In Abbildung

2 sind beide Größen mit ihren Ergebnissen für die sechzehn 40.000 Länder gegenübergestellt. Wie man sieht, fallen die Werte „vor dem Ausgleich“ im Schnitt nicht nur deutlich nied- riger aus, sondern sie variieren auch wesentlich stärker: Die 30.000 Spanne reicht von 45,9 (Brandenburg) bis 97,7 (Hamburg). Lücke Lücke 2003: 2004: Die Daten auf der linken Seite der Abbildung 2 geben ein 20.175 25.000 wesentlich realistischeres Bild von den gegenwärtig bis 30.000? 20.000 schwierigen Verhältnissen auf dem Lehrstellenmarkt, auch Offene Plätze wenn sie an die tatsächlichen Ausgangsbedingungen im- mer noch nicht herankommen. Denn in den Berechnungen werden auf der Nachfragerseite – wie wir oben gesehen ha- 10.000 ben – die Zahlen der Pendler und der Jugendlichen unter- 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 schätzt, die wegen fehlender Lehrstellen auf Alternativen ausweichen. Und auf der Angebotsseite sind weiterhin die betrieblichen Ausbildungsplätze enthalten, welche die Un- ternehmen aus sozialpolitischen Gründen über ihren eige- nen Bedarf hinaus anbieten.

BWP 3/2004 13 THEMA

Ausschau auf die Entwicklung im Jahr 2004

Die Geschäfts- und Vermittlungsstatistik der BA deutet noch nicht auf eine Entspannung auf dem Ausbildungsstellen- Literatur zum Thema markt hin: Bis Ende April wurden der Arbeitsverwaltung 26.910 Ausbildungsplätze weniger (-6,5 %) zur Vermittlung

ALTHOFF, H.; BROSI W.; TROLTSCH, K.; ULRICH, J.G.; WERNER, angeboten, während die Zahl der Bewerber um 11.251 R.: Vorzeitige Lösung von Lehrverträgen und Ausbildungsab- (+2,0 %) anstieg. Deshalb fiel auch die rechnerische Lücke bruch. Problemaufriss und Untersuchungen der methodisch- statistischen Grundlagen. Hrsg. BIBB, Bielefeld 2003, S. 49–58 zwischen den bis dato noch offenen Plätze und den noch nicht vermittelten Bewerbern größer aus. Bis September BEICHT, U.; TROLTSCH, K.; WALDEN, G.; WERNER, R.: Techni- sche Ausbildungsberufe im Wandel, Strukturen und Chancen wird sich die Zahl der noch nicht Vermittelten jedoch wieder eines Berufsbereichs des dualen Systems. Hrsg. BIBB, Bielefeld deutlich verringert haben, nicht zuletzt wegen der großen 2003 Zahl von Jugendlichen, die notgedrungen auf Alternativen BEICHT, U.; WALDEN, G.: Wirtschaftlichere Durchführung der ausweichen. Berufsausbildung – Untersuchungsergebnisse zu den Ausbil- Nichtsdestotrotz droht die rechnerische Lücke, die im letz- dungskosten der Betriebe. In: BWP 31 (2002) 6, S.38–43 ten Jahr 20.175 unterschüssige Plätze umfasste (= 14.840 BEICHT, U.; WALDEN, G.; HERGET, H.: Kosten und Nutzen der noch offene Ausbildungsstellen abzüglich 35.015 unver- betrieblichen Berufsausbildung in Deutschland. Hrsg. BIBB, Bielefeld 2003 mittelte Bewerber), weiter anzuwachsen. Dies ist das Er- gebnis einer Regressionsgleichung auf Basis der Entwick- BIBB; BA (Hrsg.): Nutzung und Nutzen des Internets bei der Berufswahl und bei der Lehrstellensuche. Ergebnisse der lungen der vergangenen zwölf Jahre. Demnach ist nach BA/BIBB-Lehrstellenbewerberbefragung 2002/2003. In: ibv der bisherigen Entwicklung mit einem weiteren Anstieg 13/03, Nürnberg 2003 der Lücke um 5.000 bis 10.000 auf 25.000 bis 30.000 zu BROSI, W.; TROLTSCH, K.: Ausbildungsbeteiligung von Jugend- rechnen (vgl. Abbildung 3). lichen und Fachkräftebedarf der Wirtschaft – Zukunftstrends Dieses Datum ist insofern von besonderer Relevanz, als der Berufsbildung bis zum Jahr 2015. Hrsg. BIBB, Bielefeld 2004 nach dem vom Bundestag am 7. Mai beschlossenen Berufs- ausbildungssicherungsgesetz (BerASichG) die Zahl der of- KREKEL, E. M.; TROLTSCH, K.; ULRICH, J. G.: Betriebliche Aus- bildungsbeteiligung bei schwieriger Wirtschaftslage. In: BWP fenen Plätze um mindestens 15 % über der Zahl der noch 32 (2003) Sonderausgabe, S. 13–16 nicht vermittelten Bewerber liegen muss, wenn auf eine

ULRICH, J. G.; TROLTSCH, K.: Stabilisierung des Lehrstellen- Ausbildungsplatzabgabe verzichtet werden soll. Zwischen marktes unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen? Aktu- beiden Größen darf also keine Lücke bestehen, sondern es elle Analysen der Berufsberatungsstatistik zur Lage auf dem muss im Gegenteil ein Überschuss erreicht werden. Danach Ausbildungsstellenmarkt. Hrsg. BIBB, Bielefeld 2003 sieht es zur Zeit allerdings nicht aus; das Gegenteil ist lei- WALDEN, G.; BEICHT, U.; HERGET, H.: Warum Betriebe (nicht) der der Fall. ausbilden. In: BWP 31 (2002) 2, S. 35–39 Der fortgesetzt negative Trend auf dem Ausbildungsstel- WALDEN, G.; HERGET, H.: Nutzen der betrieblichen Ausbil- lenmarkt wird auch durch die Frühjahrsumfrage des DIHK dung für Betriebe – erste Ergebnisse einer empirischen Erhe- bung. In: BWP 31 (2002) 6, S. 32–37 zur Ausbildungssituation 2004 bestätigt. Danach wollen die meisten Betriebe ihr Ausbildungsengagement lediglich

Weitere Beiträge finden Sie in der Sonderausgabe der BWP zur beibehalten, aber nicht ausbauen. Nur 9 % der Betriebe Ausbildungsoffensive 2003 „Jugend in Ausbildung“ rechnen mit mehr Ausbildungsanfängern, während 12 % ➝ ➝ www.bibb.de Publikationen BWP beabsichtigen, weniger Auszubildende einzustellen.4

Anmerkungen

1 Neu abgeschlossene Ausbil- 3 Vgl. Ulrich, J. G.: Ergänzende dungsverträge Stand März 2004 Hinweise aus der Lehrstellenbe- 2 Das ist eine Teilerfassung, denn werberbefragung. Interpretation über die Mobilität der mehr als der Berufsbildungsstatistik: das 200.000 Jugendlichen, die ihre Problem der latenten Nachfrage. Lehrstelle ohne Unterstützung In: ibv 13/03 vom 25. Juni der BA suchten, gibt es keine 2003. S. 1775–1784 bundesweiten Informationen. 4 DIHK: Ausbildungssituation Die tatsächlichen Mobilitäts- 2004. Daten – Fakten – Pro- quoten dürften noch viel höher gnosen. Ergebnisse einer Unter- ausfallen (vgl. ULRICH „Wer ist nehmensbefragung, März 2004 schuld an der Ausbildungs- misere?“ in diesem Heft).

14 BWP 3/2004 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Diskussion der Lehrstellenprobleme aus attributionstheoretischer Sicht

Über die Ursachen der Probleme auf dem Zur Lage auf dem Ausbildungsstellen-

Lehrstellenmarkt wird zur Zeit heftig gestrit- markt

ten. Die Konfliktlinie verläuft mitten zwischen Im letzten Jahr wurden nur noch 557.612 neue Ausbil- dungsverträge abgeschlossen, so wenig wie noch nie seit den Anbietern und Nachfragern von Ausbil- der Wiedervereinigung. Entfielen zehn Jahre zuvor rech- dungsplätzen bzw. ihren Repräsentanten, den nerisch noch deutlich mehr als 70 Neuabschlüsse auf 100 Schulabgänger, sind es jetzt nur noch 60. Insgesamt 35.015 Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Lehrstellenbewerber konnten nicht vermittelt werden; wei- Die Wirtschaft kritisiert vor allem die man- tere 46.703 begannen eine Alternative zu einer Lehre, hiel- ten ihren Vermittlungswunsch jedoch weiter aufrecht. Ohne gelnde Mobilität und fehlende Reife der die massive Unterstützung von Bund, Ländern und Ar- beitsverwaltung, die rund 60.400 außerbetriebliche Ausbil- Jugendlichen, die Gewerkschaft die kurzsich- dungsplätze bereitstellten, wäre die Versorgungssituation tige Personalpolitik der Betriebe. Diese Argu- noch schwieriger gewesen. Die Zahl der rein betrieblichen Lehrverträge fiel unter die 500.000-Marke (vgl. dazu auch mente sind nicht neu und bereits aus vergan- KREKEL, TROLTSCH, ULRICH: Keine Besserung in Sicht? in die- genen Krisenzeiten bekannt. Gleichwohl sem Heft).

scheint die Debatte nicht so recht voran-

zukommen. Warum fällt eine Annäherung Keine Einigung im Streit über die eigentlich so schwer? Sozialpsychologische Ursachen Forschungsansätze zu den spezifischen Sicht- Politik und Sozialparteien sind sich darüber einig, dass die weisen von Konfliktparteien bieten hierfür Entwicklung alles andere als erfreulich ist, doch wird über eine verblüffende Erklärung. ihre Ursachen heftig gestritten. Die Gewerkschaften reden als Interessenvertreter der Ausbildungsplatznachfrager von einem mangelnden Ausbildungsengagement und von einer kurzsichtigen Personalpolitik der Wirtschaft. Dies sei der Grund, warum viele Jugendliche bei ihrer Suche leer aus- gingen. Dem widersprechen die Betriebe: Sie sehen die Ursachen in der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situa- tion. Zugleich verweisen sie auf eine mangelnde Mobilität

JOACHIM GERD ULRICH und fehlende Reife der Jugendlichen. Dr. rer. pol., Dipl.-Psych., wiss. Mitarbeiter Die Argumente beider Seiten sind nicht neu und bereits im Arbeitsbereich „Qualifizierungsbedarf, aus vergangenen Krisenzeiten bekannt; gleichwohl scheint Bildungsangebot und -nachfrage“ im BIBB die Debatte nicht so recht voranzukommen. Warum fällt eine Annäherung eigentlich so schwer? Vielleicht hängt

BWP 3/2004 15 THEMA

die Antwort hierauf nicht allein mit der Komplexität des wir gerne bereit, vom üblichen Schema abzuweichen und Sachverhaltes zusammen. Dies legen zumindest spezielle uns selbst als Ursache des Erfolges mit ins Spiel zu bringen. Forschungsansätze aus der Sozialpsychologie nahe, die sich mit der Hartnäckigkeit unterschiedlicher Sichtweisen von Unsere Neigung, eigenes Verhalten situativ zu begründen, Konfliktparteien beschäftigen. fremdes Verhalten dagegen eher personenbezogen, wirkt bei Konflikten streitfördernd:

Ergebnisse der Attributionsforschung Denn aus Sicht der Person A hat ihr eigenes Verhalten keinesfalls mit irgendeinem Charaktermangel zu tun (wie Person B hart- näckig behauptet), sondern ist ausschließlich auf die besonderen Diese Ansätze sind Teil der sog. Attributionsforschung. Das Umstände zurückzuführen. Und diese sind in diesem Fall das feh- 1 Wort „Attribution“ steht dabei für Ursachen-Zuschreibung lerhafte Verhalten der Person B, welches wiederum zweifelsohne (vgl. Kasten). Gemäß des als ein untrügliches Symptom einer bedenklichen Persönlichkeits- zentralen und verblüffenden schwäche zu werten ist: Und passt zu diesem Mangel der Person Attributionstheorie Resultats dieses Forschungs- B nicht, dass sie sich so uneinsichtig zeigt und weiterhin partout davon überzeugt ist, der ganze Ärger läge allein an A? Ist dies (Attribution = Ursachen-Zuschreibung) zweiges neigen wir dazu, nicht als ein eindeutiges Indiz dafür zu werten, dass B große Eine Theorie der Sozialpsychologie, die das eigene Verhalten auf Schwierigkeiten hat, eigene Fehler und Schwächen zuzugestehen sich damit beschäftigt, wie wir uns das anderen Ebenen zu erklären und die Schuld stattdessen immer beim anderen suchen muss? Verhalten der anderen und unser eige- als das Verhalten unserer nes Handeln erklären. Hier gibt es Mitmenschen: Unser eigenes offenbar Unterschiede: Eigenes Verhal- Handeln bringen wir vor al- Das Tragische ist natürlich, dass Person A von exakt den- ten wird eher situativ begründet, das lem mit den besonderen selben Vorstellungen getrieben wird. Der Konflikt verläuft Verhalten unseres Gegenüber eher per- situativen Umständen in dann wie der Streit um die Henne und das Ei. sonenbezogen. Das wirkt bei Konflikten Verbindung, die uns im All- Aber was hat das Ganze nun mit der Entwicklung auf dem streitfördernd. tag begleiten. Dagegen ten- Lehrstellenmarkt zu tun? dieren wir bei der Beobach- tung anderer Leute dazu, ihr Verhalten auf ihre besondere Persönlichkeit bzw. ihren spezifischen Charakter zurückzu- führen. Vereinfacht und beispielhaft ausgedrückt: Fahren Was heißt das für die wir selbst bei grüner Ampel nicht sofort los, wurden wir Ausbildungsplatzsituation? von irgendetwas abgelenkt; ist es aber das Auto vor uns, das einfach nicht losfährt, wird es zweifelsohne von ir- Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass alle Voraus- gendeinem „Sonntagsfahrer“ gesteuert. setzungen für das Auftreten des attributionstheoretischen Phänomens gegeben sind. Da ist zunächst die uner- Dieser je nach Selbst- oder Fremdbeobachtung unterschied- wünschte Entwicklung auf dem Lehrstellenmarkt. Und da liche Erklärungsansatz hat u. a. wahrnehmungspsychologi- gibt es die beiden Seiten, die zugleich Selbst- und Fremd- sche Wurzeln. Wenn wir uns durch den Alltag bewegen, se- beobachter der Entwicklung sind: die Betriebe, die Ausbil- hen wir niemals uns selbst; was wir aber wahrnehmen und dungsplätze anbieten (oder auch nicht), und die Jugendli- was stets mit unserem Verhalten einhergeht, sind die sich chen, die diese Plätze nachfragen. Flankiert werden beide wandelnden äußeren Umstände. Dieser situative Eindruck Gruppen von ihren jeweiligen Interessenvertretern, den bestimmt dementsprechend auch unser Erleben. Wenn wir Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden bzw. den Gewerk- nun andere Menschen beobachten, dann kennen wir die schaften. Beschäftigt man sich nun damit, wie beide Sei- Umstände ihres Verhaltens zumeist nicht im Detail. Was uns ten die schwierige Lage auf dem Lehrstellenmarkt erklären, aber auffällt, ist, dass selbst bei identischer Situation die so entdeckt man das typische Grundmuster: situative Be- eine Person etwas völlig anderes macht als die andere.2 Dar- gründungen für das eigene Verhalten, personenbezogene aus folgern wir: Unterschiedliches Verhalten bei identischer für das der Gegenseite. Situation – dies lässt sich eigentlich nur auf unterschied- So verweisen die Arbeitgeber darauf, dass sie allein schon liche Persönlichkeitsmerkmale zurückführen. aufgrund der schwierigen konjunkturellen Lage kaum mehr Ausbildungsplätze anbieten können (situative Begrün- Hinter diesem je nach Selbst- oder Fremdbeobachtung un- dung). Bei der Gegenseite, den Jugendlichen, entdecken sie terschiedlichen Erklärungsansatz stecken auch selbstwert- jedoch substanzielle personenbezogene Mängel, welche die schützende Motive. So ist die Neigung, die Ursache für das Aufnahme einer Ausbildung erschweren oder gar unmög- eigene Verhalten primär in den äußeren Umständen zu su- lich machen. Dazu zählen sie vor allem mangelnde regio- chen, umso größer, je misslicher der Sachverhalt ist, den es nale und berufliche Flexibilität sowie fehlende Ausbil- zu erklären gilt. Allein wenn Gutes zu vermelden ist, sind dungsreife.

16 BWP 3/2004 Aus Sicht der Jugendlichen bzw. der Gewerkschaften stellt Es gibt keine Studie in Deutschland, die all diese Fragen zu sich das Problem anders da. Sie führen die eigenen Pro- beantworten vermag. Für das Jahr 2002 lässt sich aber bleme bei der Lehrstellensuche vor allem auf ein mangeln- nachweisen, dass sich in Regionen mit schwieriger Lehr- des Angebot zurück (situative Begründung). Dies resultiere stellensituation 41% der Ausbildungsplätze suchenden aus einer Kurzsichtigkeit oder gar Verantwortungslosigkeit Bewerber überregional in einem Umkreis von mehr als der Betriebe. Die Betriebe orientierten sich zu sehr an kurz- 100 km vom Wohnort entfernt bewarben (vgl. Abb. 1). fristigen Interessen. Sie seien deshalb nicht in der Lage oder willens, die für eine langfristige Zukunfts- und Nach- Dabei sind viele weitere Randbedingungen noch gar nicht wuchssicherung erforderlichen Schritte zu tun (personen- eingerechnet. Handelt es sich bspw. um ländliche Regionen bezogene Begründung). Deshalb müssten sie notfalls mit mit geringer Einwohnerdichte, fällt die Quote noch höher staatlichen Zwangsmaßnahmen gezwungen werden. Die aus; ebenso, wenn es um ältere Bewerber geht, denen be- Forderungen nach einer Ausbildungsplatzabgabe bauen ge- reits eine Fahrerlaubnis zugeteilt werden kann. Und inter- nau auf dieser Sichtweise auf. essanterweise zeigten sich junge Frauen noch mobiler.3

Es verwundert nicht, dass sich weder die Anbieter noch die Abbildung 1 Zusammenhang zwischen der gezeigten Mobilitätsbereitschaft der Nachfrager nach Ausbildungsplätzen durch die Ursachen- Lehrstellenbewerber des Jahres 2002 und der Lage auf dem heimat- deutungen der Gegenseite verstanden fühlen. Doch welche lichen Ausbildungsmarkt Perspektive ist nun jeweils die „richtige“? Eine klare Ant- wort lässt sich nicht geben, aber festzustehen scheint, dass Mobilitätsbereitschaft (in %) Fremdbeobachter die situativen Einflüsse auf das Handeln 50 der von ihnen Beobachteten oft massiv unterschätzen. Dies 40,9 hängt vor allem damit zusammen, dass sie diese gar nicht 40 im Detail kennen und insofern bei ihrer Analyse auch nicht 32,0 30 richtig berücksichtigen können. Die Attributionsforschung spricht hier vom „fundamentalen Zuschreibungsirrtum“. 20 16,9 11,1 11,0 10

Zuschreibungsirrtümer zu Lasten der 0 Jugendlichen unter 60 60 bis unter 75 75 bis unter 90 90 bis unter 100 100 und mehr Zahl der betrieblichen Ausbildungsangebote je 100 Nachfrager „FEHLENDE ANSTRENGUNGSBEREITSCHAFT“ Lassen sich solche „Irrtümer“ in der Diskussion um die Ur- Quelle: BA/BIBB-Bewerberbefragung 2002 sachen für die Probleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt identifizieren? Wahrscheinlich schon. Ein Beispiel ist der Vorwurf, die Jugend sei insgesamt nicht mobil genug. Aus- gangsbasis dieser Kritik ist, dass nur wenige der gemelde- „FEHLENDE NACHFRAGE“ ten Ausbildungsplatzbewerber eine Lehrstelle außerhalb des Somit empfinden viele Jugendliche den Vorwurf wohl zu eigenen Bundeslandes antreten (2002: 3,6 %). Aber allein Recht als unzutreffend, sie würden sich bei ihrer Lehrstel- aus dieser Information lässt sich keine Schlussfolgerung lensuche nicht genügend „anstrengen“. Dass dennoch so zur Mobilitätsbereitschaft der Jugendlichen ableiten. Wich- viele scheitern, ist aus ihrer Sicht Folge eines im Vergleich tige Randbedingungen sind zu untersuchen: War die zur Zahl der ausbildungsinteressierten Jugendlichen viel zu Lehrstellensuche überhaupt erfolgreich? Vielleicht wurde ja geringen Ausbildungsplatzangebots. Selbst dies wird aber überregional gesucht, doch ohne Erfolg? Bestand über- zum Teil bestritten, weil rechnerisch immerhin noch 97 haupt die individuelle Erfordernis für eine überregionale Ausbildungsangebote auf 100 Nachfrager fallen. Dieses Bewerbung? Oder gab es vor Ort ausreichend viele Ausbil- vermeintliche Gleichgewicht zwischen Angebot und Nach- dungsplätze? Waren die persönlichen Mobilitätsvorausset- frage entsteht aber nur, weil nach der traditionellen Nach- zungen gegeben, sei es im materiellen oder immateriellen fragedefinition all diejenigen erfolglosen Bewerber aus der Sinne? Verfügte die Familie über ausreichend finanzielle Statistik herausfallen, die notgedrungen auf eine Alterna- Mittel für eine externe Unterkunft? Lebte vielleicht Ver- tive ausweichen.4 Mit dieser Definition wird aus attribu- wandtschaft in der Nähe des anvisierten Ausbildungsortes? tionstheoretischer Sicht ebenfalls eine unzulässige „Perso- Gab es gute Verkehrsverbindungen, um – falls ein Auszug nalisierung“ für die Ausbildungslosigkeit des Jugendlichen von zu Hause nicht möglich ist – weite Entfernungen durch betrieben: Denn die Statistik suggeriert, der Nichtbeginn tägliches Pendeln zu überbrücken? Besaßen die Bewerber einer Lehre habe damit zu tun, dass die Jugendlichen gar bereits den Führerschein? nicht „nachgefragt“ hätten!

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„FEHLENDE AUSBILDUNGSFÄHIGKEIT“ Aus attributionstheoretischer Perspektive ist der Sachver- Enger Zusammenhang halt in Bezug auf die Ausbildungsfähigkeit etwas kompli- zwischen Ausbildung und zierter, da hier selbstwertschützende Motive eine besonders große Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die Eignung immer Beschäftigungslage auch situationsgebunden als Fähigkeit für eine bestimmte Klasse von Anforderungen zu definieren ist und Jugend- liche aufgrund fehlender Erfahrungen häufig gar nicht beurteilen können, ob sie die Voraussetzungen für eine be- stimmte Ausbildung mitbringen. Insofern sind für eine fun- dierte Beurteilung immer auch diejenigen (z. B. Betriebe, Be- Denn bei chronischem Lehrstellenmangel erfolgt Bestenaus- rufsberater) einzubeziehen, die über die spezifischen Aus- lese. Die übrig gebliebenen, leistungsschwächeren Jugendli- bildungsanforderungen vor Ort Auskunft geben können. chen müssen es in den nächsten Jahren wieder versuchen, und damit senkt sich zwangsläufig das durchschnittliche Allerdings gibt es auch hinsichtlich der Ausbildungsfähig- Qualifikationsniveau der nachfolgenden Bewerberjahrgänge. keit fragwürdige Zuschreibungen. Dazu zählt, dass in Ost- deutschland 15 % der Ausbildungsanfänger in Anlehnung an § 242 SGB III zu sozial Benachteiligten bzw. Lernbeein- trächtigten erklärt werden, die für eine normale Lehre gar Zuschreibungsirrtümer zu Lasten der nicht geeignet seien und deshalb außerbetrieblich ausgebil- Betriebe det werden müssten. Der wesentlich niedrigere Vergleichs- wert für die alten Länder (2 %) lässt an der Richtigkeit die- Nicht nur die Jugendlichen sind „Opfer“ von Zuschrei- ser Zuschreibung zweifeln. Es ist zwar verständlich, dass bungsirrtümern, sondern auch die Betriebe. Dass es in in Regionen mit sehr geringem betrieblichen Angebot auf Deutschland an der Ausbildungsbereitschaft der Unterneh- diese unmittelbarste Form der „Personalisierung der Ursa- men mangele, ist aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbar. che für den fehlenden Bewerbungserfolg“ zurückgegriffen Denn fast alle Betriebe sind vom Nutzen einer eigenen wird, denn sie eröffnet zusätzliche Lehrstellen. Doch ist da- Nachwuchsausbildung überzeugt. Sie wissen um die gro- mit zwangsweise eine Stigmatisierung von Jugendlichen ßen Chancen, Jugendliche im Rahmen der Lehre „prägen“ verbunden, die bei günstigerer Ausbildungsmarktlage ohne zu können und ihnen diejenigen fachlichen und überfach- Probleme eine betriebliche Lehre durchlaufen könnten.5 lichen Fertigkeiten zu vermitteln, die speziell in ihrem Be- trieb von besonderer Relevanz sind.6 Allerdings handelt es Ein weiterer Punkt: Wenn der Durchschnitt der Bewerber sich bei der konkreten Entscheidung für oder gegen Aus- immer schlechter wird, so ist dies skurrilerweise nicht nur bildung um ein relativ komplexes Bedingungsgefüge von Ursache, sondern auch Folge des schrumpfenden Ausbil- Einflussgrößen. Die mittel- und langfristige Sicherung des dungsplatzangebots (und hat damit auch situative Gründe). Fachkräftebedarfs stellt dabei nur einen Aspekt dar. Müssen Betriebe sogar daran zweifeln, ob sie in einigen Jahren überhaupt noch existieren, wachsen ihre Vorbehalte ge-

620.000 genüber einer Einstellung von Auszubildenden noch weiter 1992 an – nicht zuletzt auch aus Verantwortung gegenüber den 600.000 Jugendlichen. Tatsächlich lässt sich statistisch ein enger 580.000 Korrelationsstatistisch Zusammenhang zwischen der allgemeinen Entwicklung im 560.000 errechneter Trend Beschäftigungssystem und der Angebotsentwicklung auf 540.000 dem Ausbildungsstellenmarkt nachweisen (vgl. Abb. 2). 520.000 Dies verwundert auch nicht. Denn bei der beruflichen Aus- 500.000 bildung in Deutschland handelt es sich um ein integratives 480.000

Ausbildungsplatzangebote 1997 System, das zwei Teilsysteme, Bildung und Beschäftigung, 460.000 2003 miteinander vereinigt. Unter diesen Umständen müssen 440.000 sich die großen Beschäftigungsprobleme, die gegenwärtig 6,0 6,5 7,0 7,5 8,0 8,5 9,0 9,5 10,0 10,5 11,0 den Arbeitsmarkt in Deutschland beherrschen, zwangs- Höhe der Arbeitslosenquote läufig in einem niedrigeren Lehrstellenangebot nieder- Messzeitraum: 1992 bis 2003 in Westdeutschland; Stärke des Zusammenhangs: r = – 0,73 Quellen: BIBB, Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen schlagen. Die Betriebe haben somit Recht, wenn sie auf die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als wich- Abbildung 2 Die Höhe des Ausbildungsangebots in Abhängigkeit von der allge- tigsten Grund für die derzeitige Angebotsentwicklung meinen Lage im Beschäftigungssektor, hier gemessen an der verweisen und sich gegen den Vorwurf mangelnder Bereit- Arbeitslosigkeit schaft verwahren. Umso mehr empfinden sie Zwangsmaß-

18 BWP 3/2004 nahmen, die ihnen mit dem Argument eigener Uneinsich- fikant, aber von ihrer absoluten Größe eher klein sind, tigkeit angedroht werden, als unverständlich. Aus ihrer spielt in der Außendarstellung der Ergebnisse dann oft Sicht reicht die Politik den „Schwarzen Peter“ für die keine Rolle mehr. In der Praxis führt dies letztlich dazu, Lehrstellenmisere einfach nur an die Betriebe weiter. dass die Forschung die Vor-Urteile, die durch den funda- Die Betriebe und ihre Interessenvertreter zeigen sich aller- mentalen Zuschreibungsirrtum ausgelöst werden, nicht nur dings auch nicht müde und reichen einen Großteil der Ver- nicht auszuräumen vermag, sondern sie noch verstärkt. antwortung zu den Jugendlichen und Schulen durch. Diese beschweren sich wiederum über die Politik und die Betriebe. Und so schließt sich der Kreis der Ursachendeutungen. Schlussfolgerungen

Welche Schlussfolgerungen sind nun zu ziehen? Bei der Auch die Forschung trägt zu den Fremdbeobachtung sollte stets Vorsicht geboten sein vor Zuschreibungsirrtümern bei raschen, personenbezogenen Ursachenerklärungen. Exper- tenstatus hat zunächst immer der Akteur selbst und nicht An den Zuschreibungsirrtümern im Zusammenhang mit der der Außenbeobachter. Der Fremdbeobachter kann ein sach- Analyse des Lehrstellenmarktes und sonstigen Themen ist kundiges Urteil eigentlich nur dann für sich beanspruchen, die Forschung auch nicht unschuldig. Dies gilt insbeson- wenn er sich in differenzierter Form über die situativen dere für standardisierte, quantitative Untersuchungs- Randbedingungen des Handelns der Gegenseite kundig ge- ansätze. Denn es ist wesentlich einfacher, im Rahmen von macht hat. Dies verlangt, zunächst zuzuhören, eigene Fragebögen einige Fragen zu personen- bzw. betriebsbezo- Hypothesen von der Gegenseite überprüfen zu lassen und genen Merkmalen zu entwickeln als eine Itembatterie, die erst dann zu einem vorsichtigen Urteil zu gelangen. alle situativen Besonderheiten einfängt, welche auf das Verhalten der Befragten (Jugendliche, Betriebe) Einfluss Die Akteure selbst zum Experten für die eigene Lage zu ma- nehmen können. Allein aus Platzgründen kann nicht für chen, heißt in Hinblick auf die jetzige Lehrstellensituation: jeden einzelnen Punkt ein ausdifferenziertes Fragenreper- Geht es um das Bewerbungs- und Nachfrageverhalten der toire reserviert werden, das sich allen möglichen Randbe- Jugendlichen, so dürften diese am ehesten in der Lage sein, dingungen widmet. Dies würde außerdem unfangreiche verlässliche Auskunft zu geben. Fragt man dagegen nach Vorstudien erforderlich machen, die zeitlich aufwändig und den Ursachen für die Entwicklung des Ausbildungsplatzan- teuer sind. Zudem sind quantitative Studien stark an gene- gebots, sind vor allem Betriebe zu kontaktieren. ralisierbaren Schlussfolgerungen interessiert, und da wir- ken allzu individuelle Besonderheiten, die nur für einzelne Für die Forschung gilt, dass auch sie sich der besonderen Untersuchungsteilnehmer zutreffen, eher störend. Bedeutung der attributionstheoretischen Phänomene be- Deshalb haben wir es oft mit Erhebungsinstrumenten zu wusst sein muss. Denn Sozialwissenschaftler sind von Be- tun, die situativen Einflussgrößen längst nicht den Raum rufes wegen Außenbeobachter, und die Identifikation von geben, der ihnen tatsächlich zustehen müsste. Die For- Zusammenhängen ist für sie ein wichtiges Erfolgskriterium schung konzentriert sich folglich zu einseitig auf die perso- ihrer Arbeit. Umso mehr unterliegen aber auch sie biswei- nenbezogenen Merkmale. Dass die Varianzanteile, die hier- len der Gefahr, ein allzu rasches Urteil der Urteilsenthal- über erklärt werden, zwar vielleicht statistisch hoch signi- tung vorzuziehen.

Anmerkungen

1 Eine praktische Einführung in beruflicher Lernorte und Bera- 3 Vgl. ULRICH, J. G.; EHRENT- In: ibv 13/03 vom 25. 6. 2003, die Attributionsforschung und tungsinstitutionen durch HAL, B.; HÄFNER, E.: Regio- S. 1.775–1.784 ihre Konsequenzen für den Jugendliche. In: SCHOBER, K.; nale Mobilitätsbereitschaft und 5 Vgl. ULRICH, J. G.: Benach- betrieblichen Alltag bietet GAWOREK, M. (Hrsg.): Mobilität der Ausbildungsstel- teiligung – was ist das? VOLLMER, G. R. (1991): Berufswahl: Sozialisations- lenbewerber. In: TROLTSCH, Theoretische Überlegungen zu Ursachen von Erfolg und Miss- und Selektionsprozesse an der K.; ULRICH, J. G. (Hrsg.): Stigmatisierung, Marginalisie- erfolg im Betrieb (Arbeitshefte ersten Schwelle (BeitrAB 202). Berufsausbildung in Deutsch- rung und Selektion. In: Führungspsychologie; Bd. 17). Nürnberg. S. 269–285 land. Aktuelle Entwicklungen LAPPE, L. (Hrsg.): Fehlstart in Für eine ausführlichere Erör- 2 Zum Beispiel am Strand: des dualen Ausbildungssys- den Beruf? Jugendliche mit terung der Attributionstheorie Während der eine immer nur tems aus Sicht der Struktur- Schwierigkeiten beim Einstieg im Zusammenhang mit dem müßig in der Sonne liegt, forschung. Bielefeld 2004 ins Arbeitsleben. München Verhalten von Ausbildungs- treibt der andere Bodybuilding, 4 Vgl. ULRICH, J. G.: Ergänzen- 2003, S. 21–35 stellenbewerbern siehe und der nächste isst unent- de Hinweise aus der Lehrstel- 6 Vgl. WALDEN, G.; BEICHT, ULRICH, J. G. (1996): wegt. lenbewerberbefragung 2002 U.; HERGET, H.: Warum Attributionstheoretische zur Interpretation der Berufs- Betriebe (nicht) ausbilden. In: Anmerkungen zur Evaluierung bildungsstatistik: das Problem BWP 32 (2003) Sonderaus- der latenten Nachfrage. gabe, S. 35–39

BWP 3/2004 19 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Sind die Ausbildungsvergütungen zu hoch? – Eine pauschale Antwort ist nicht möglich

Angesichts des gegenwärtigen Mangels an Für die Betriebe sind die Ausbildungsvergütungen einer der größten Kostenfaktoren bei der Berufsausbildung: Nach ei- betrieblichen Ausbildungsplätzen wird von ner repräsentativen Erhebung des Bundesinstituts für Be- Vertretern aus Wirtschaft und Politik häufiger rufsbildung (BIBB)1, auf deren Daten der vorliegende Bei- trag basiert, nehmen die Ausbildungsvergütungen im Klage über zu hohe Ausbildungsvergütungen Durchschnitt mehr als ein Drittel (37%) der Ausbildungs- geführt. Neben der Forderung nach einer kosten (Bruttokosten) ein. Werden die Ausbildungsvergü- tungen einschließlich der gesetzlichen, tariflichen und frei- generellen Absenkung wird dabei z. B. auch willigen Sozialleistungen betrachtet, so beträgt der Anteil eine Bezahlung nach Leistung der Auszubil- an den Bruttokosten sogar 50 %. Dadurch erklärt sich, wes- halb bei Diskussionen um die Kostenbelastung der Ausbil- denden oder nur für die tatsächliche Anwe- dungsbetriebe meist die Ausbildungsvergütungen im Mit- senheit im Betrieb gefordert. Von einer Umset- telpunkt stehen. Im Folgenden wird zunächst darauf eingegangen, inwie- zung dieser Vorschläge verspricht man sich – weit die Zahlung der Ausbildungsvergütungen auf tarif- vertraglichen Regelungen beruhen, d. h., in welchem Um- durch die damit verbundene Kostenentlastung fang die Ausbildungsbetriebe tarifgebunden sind oder sich der Betriebe – eine positive Wirkung auf die freiwillig an den Tarifen orientieren. Anschließend werden die tatsächlich gezahlten Vergütungen und ihre starke Dif- Ausbildungsbereitschaft. Der vorliegende Bei- ferenzierung dargestellt. Weiterhin wird untersucht, wie trag will zu einer Versachlichung der Diskussi- hoch die Ausbildungsvergütungen im Vergleich zu den Löhnen und Gehältern von Fachkräften und zu den pro- on beitragen, indem die Höhe der Ausbil- duktiven Leistungen der Auszubildenden im Betrieb sind. dungsvergütungen und maßgebliche Einfluss-

größen anhand empirischer Daten beleuchtet

werden. Bedeutung der Tarife für die Vergütungszahlungen

URSULA BEICHT In den meisten Wirtschaftszweigen werden in den Tarifver- Mitarbeiterin im Arbeitsbereich handlungen zur Festsetzung der Löhne und Gehälter auch „Qualifizierungsbedarf, Bildungsangebot und -nachfrage“ im BIBB Vereinbarungen zu den Ausbildungsvergütungen getroffen. Die tariflichen Vergütungssätze stellen für tarifgebundene Betriebe2 verbindliche Mindestbeträge dar, d. h., niedrigere

GÜNTER WALDEN Vergütungen sind unzulässig, übertarifliche Zahlungen da- Dr. rer. pol., Leiter der Abteilung gegen möglich. Nicht tarifgebundene Ausbildungsbetriebe „Sozialwissenschaftliche und ökonomische zahlen häufig freiwillig die in ihrer Branche und Region Grundlagen der Berufsbildung“ im BIBB geltenden tariflichen Sätze. Nach derzeitiger Rechtspre- chung können sie die tariflichen Ausbildungsvergütungen

20 BWP 3/2004 jedoch auch um bis zu 20 % unterschreiten. Sofern es in Tabelle 1 Betriebe und Auszubildende nach Tarifbindung bzw. Tariforientierung einer Branche oder Region keine tarifliche Vereinbarung bei den Ausbildungsvergütungen im Jahr 2000 insgesamt, nach Ausbil- dungsbereichen und Betriebsgrößenklassen – Anteile der Betriebe und gibt, müssen die Betriebe die ortsübliche Ausbildungsver- Auszubildenden in Prozent gütung im betreffenden Bereich als Maßstab heranziehen und können dann ebenfalls 20 % weniger zahlen. Betriebe bzw. Auszubildende insgesamt* In Deutschland sind die Ausbildungsvergütungen für 62 % Ausbildungsbereich bzw. Betriebsgröße der Ausbildungsbetriebe durch Tarifvertrag festgelegt, und mit Tarif- ohne Tarif- ohne Tarif- 72 % der Auszubildenden werden in diesen Betrieben aus- bindung bindung, aber bindung, ohne mit Orientierung Orientierung gebildet (vgl. Tab. 1). 18 % der Betriebe sind nicht an ei- am Tarif am Tarif nen Tarif gebunden, zahlen jedoch freiwillig die tarifliche Betriebe Auszu- Betriebe Auszu- Betriebe Auszu- Ausbildungsvergütung. In den betreffenden Betrieben sind bildende bildende bildende 14 % der Auszubildenden vertreten. Insgesamt wird damit in % in % in % in % in % in % die Vergütungshöhe für 80 % der Betriebe und 86 % der Industrie und Handel 57 69 19 15 22 14 Handwerk 68 77 20 14 9 6 3 Auszubildenden durch die Tarife bestimmt. Keine Orien- Landwirtschaft 65 70 24 17 6 6 tierung an einem Tarif gibt es in 17% der Ausbildungsbe- Freie Berufe 58 55 12 11 25 28 triebe, hier sind 12 % der Auszubildenden anzutreffen. Öffentlicher Dienst 87 97 8 2 5 0,4 bis 9 Beschäftigte 56 60 19 15 21 20 10 bis 49 Beschäftigte 66 71 19 15 13 11 Die Differenzierung nach Ausbildungsbereichen zeigt, dass 50 bis 499 Beschäftigte 73 76 12 13 13 9 im Öffentlichen Dienst, im Handwerk und in der Landwirt- 500 u. mehr Beschäftigte 88 90 4 6 8 1 schaft die Tarife eine besonders große Bedeutung bei den Insgesamt 62 72 18 14 17 12 Ausbildungsvergütungen haben. Dagegen erfolgen die Ver- * Für insgesamt jeweils 3 % der Betriebe bzw. Auszubildenden liegen keine Angaben zur Tarifbindung vor, daher ergeben die Prozentanteile in der Summe nicht 100 %. gütungszahlungen vor allem bei den Freien Berufen, aber auch in Industrie und Handel relativ häufig nicht auf tarif- licher Grundlage. Ausgeprägte Unterschiede gibt es nach Tabelle 2 Relationen von Ausbildungsvergütung zu Fachkraftlohn/-gehalt sowie der Betriebsgröße: Während über 90 % der großen Betriebe Personalkosten zu Erträgen der Auszubildenden im Jahr 2000 insgesamt mit 500 und mehr Beschäftigten die tarifliche Vergütung nach Ausbildungsbereichen und nach Betriebsgrößenklassen – Durch- zahlen, richtet sich immerhin ein Fünftel der Kleinstbe- schnittliche monatliche Beträge triebe mit bis zu neun Beschäftigen nicht nach einem Tarif. Ausbildungsbereich Ausbil- Fachkraft- Ausbil- Personal- Erträge Personal- bzw. Betriebsgröße dungsver- lohn/ dungsver- kosten der Aus- kosten Die Betriebe mit Tarifbindung oder mit tariflicher Orientie- gütung -gehalt gütung der Aus- zubil- der Aus- rung wurden zusätzlich danach gefragt, ob sie die Ausbil- in % von zubil- denden zubilden- Fachkraft- denden den in % dungsvergütungen entsprechend dem Tarif oder über Tarif lohn/ der zahlen. Immerhin insgesamt 5 % der Betriebe gewähren in Euro in Euro -gehalt in Euro in Euro Erträge demnach allen Auszubildenden oder einem Teil von ihnen Industrie und Handel 555 2.231 25 769 685 112 übertarifliche Zuschläge. Die Bereitschaft zu übertariflichen Handwerk 428 1.905 22 573 565 101 Zahlungen weicht kaum zwischen den Ausbildungsberei- Landwirtschaft 493 1.833 27 672 736 91 chen und Betriebsgrößen ab. Nur im Öffentlichen Dienst freie Berufe 486 1.975 25 663 757 88 öffentlicher Dienst 647 2.292 28 892 533 167 kommen Vergütungen über Tarif seltener vor. bis 9 Beschäftigte 451 1.925 23 602 641 94 10 bis 49 Beschäftigte 477 1.940 25 646 631 102 50 bis 499 Beschäftigte 553 2.279 24 760 682 112 500 u. mehr Beschäftigte 593 2.451 24 859 602 143 Höhe und Unterschiede der Insgesamt 504 2.081 24 689 644 107 Ausbildungsvergütungen

Die tatsächlich gezahlten Ausbildungsvergütungen betru- Handwerk (vgl. Tab. 2). Die Ausbildungsvergütungen neh- gen im Jahr 2000 durchschnittlich 504 o pro Monat. Für men mit der Betriebsgröße deutlich zu: In den Großbetrie- das gleiche Jahr wurde vom BIBB ein Durchschnitt der ta- ben liegen sie um 31% höher als in den Kleinstbetrieben. riflichen Vergütungen von 555 o ermittelt.4 Die Abwei- Auch innerhalb der Ausbildungsbereiche variieren die Aus- chung zwischen den beiden Durchschnittswerten weist dar- bildungsvergütungen stark, wie die Unterscheidung nach auf hin, dass die Vergütungszahlungen der nicht tarifori- einzelnen Berufen zeigt (vgl. Tab. 3). Im Bereich Industrie entierten Betriebe merklich unter den Tarifen liegen. und Handel sind die Ausbildungsvergütungen für die an- Zwischen den tatsächlich gezahlten Ausbildungsvergütun- gehenden Bankkaufleute recht hoch, für die Hotelfachleute gen gibt es – ebenso wie zwischen den tariflichen Vergütun- dagegen niedrig. Im Handwerk erhalten die künftigen Mau- gen – beträchtliche Unterschiede. Am höchsten ist das Ver- rer/-innen auffallend hohe Vergütungen, während die Be- gütungsniveau im Öffentlichen Dienst, am niedrigsten im träge für Elektroinstallateure/-innen und Bäcker/-innen

BWP 3/2004 21 THEMA

sehr niedrig ausfallen. Die starke Differenzierung der Aus- Beruf Maurer/-in auf, in dem die Ausbildungsvergütungen bildungsvergütungen lässt eine pauschale Beurteilung ihrer immerhin einen Anteil von 31% des Fachkraftlohns errei- Höhe somit kaum zu. chen. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich die Tarifpart- ner im Bauhauptgewerbe vor vielen Jahren dazu entschie- den, sehr hohe Ausbildungsvergütungen zu zahlen, um Ju- gendliche zu einer Ausbildung in Bauberufen zu motivieren Vergleich mit Löhnen und Gehältern und so einen hohen Fachkräfteanteil zu sichern. der Fachkräfte Die Ergebnisse zeigen, dass trotz der erheblichen Unter- Ein wichtiger Maßstab für eine Bewertung der Ausbil- schiede in der Höhe der Ausbildungsvergütungen ihr Ver- dungsvergütungen ist das Niveau der Löhne und Gehälter hältnis zu den Fachkraftentgelten meist ähnlich ist. Es der Fachkräfte. In der Erhebung wurden neben den Vergü- kann von einem deutlichen Zusammenhang zwischen Aus- tungen der Auszubildenden auch die Löhne und Gehälter bildungsvergütungen und Fachkraftentgelten ausgegangen von entsprechenden Fachkräften erfasst. Danach liegen die werden. Bezogen auf die entsprechenden Werte für die 52 Ausbildungsvergütungen im Durchschnitt bei einem Viertel insgesamt in die Erhebung einbezogenen Einzelberufe er- der Fachkraftentgelte (vgl. Tab. 2).5 Während im Öffentli- gibt sich mit einem Koeffizienten von r = 0,68 eine relativ chen Dienst die betreffende Relation mit 28 % am höchsten hohe Korrelation. Die Ausbildungsvergütungen werden so- ist, beträgt sie im Handwerk nur 22 %. Nach Betriebsgröße mit in starkem Maße durch das jeweilige Lohn- und Ge- sind keine nennenswerten Unterschiede im Verhältnis von haltsniveau der Fachkräfte bestimmt. Ausbildungsvergütungen zu Fachkraftlöhnen und -gehäl- tern festzustellen. Auch bei Betrachtung einzelner Berufe halten sich die Ab- weichungen in relativ engen Grenzen (vgl. Tab. 3): Bei den Vergleich mit den Ausbildungserträgen ausgewählten Berufen von Industrie und Handel schwankt die Relation nur wenig. Im Handwerk fällt allerdings der Während der betrieblichen Ausbildungszeit werden die Auszubildenden in der Regel auch für produktive, d. h. für den Betrieb wirtschaftlich verwertbare Arbeiten eingesetzt. Die Erträge aus diesen produktiven Leistungen mindern die Ausbildungsberufe Ausbil- Fachkraft- Ausbil- Personal- Erträge Personal- dungs- lohn/ dungs- kosten der Aus- kosten Kostenbelastung der Ausbildungsbetriebe. Im Folgenden vergütung -gehalt vergütung der Aus- zubil- der Aus- wird der Frage nachgegangen, in welchem Umfang die Aus- in % von zubil- denden zubil- Fachkraft- denden denden zubildenden durch die von ihnen erwirtschafteten Erträge lohn/ in % der einen Beitrag zur Abdeckung der ihnen unmittelbar zu- in Euro in Euro -gehalt in Euro in Euro Erträge fließenden finanziellen Leistungen der Betriebe erbringen. Bankkaufmann/-frau (IH) 665 2.523 26 946 719 132 Dabei werden die Ausbildungsvergütungen zuzüglich der Chemielaborant/-in (IH) 620 2.692 23 905 421 215 Hotelfachmann/-frau (IH) 481 2.056 23 656 803 82 gesetzlichen, tariflichen und freiwilligen Sozialleistungen, Industriemechaniker/-in also die gesamten Personalkosten der Auszubildenden, be- – Betriebstechnik (IH) 597 2.265 26 847 577 147 trachtet. IT-System-Kaufmann/ -frau (IH) 549 2.263 24 716 665 108 Bäcker/-in (Hw) 430 1.827 24 568 674 84 Insgesamt ergibt sich für die Relation von Personalkosten Bürokaufmann/-frau (Hw) 522 2.021 26 705 914 77 der Auszubildenden zu den von ihnen erwirtschafteten Er- Elektroinstallateur/-in (Hw)* 428 1.873 23 583 526 111 trägen ein Wert von 107 % (vgl. Tab. 2). Die Personalkosten Kraftfahrzeug- mechaniker/-in (Hw)* 455 2.032 22 620 517 120 liegen also im Durchschnitt nur leicht über den Erträgen. Maurer/-in (Hw) 677 2.162 31 892 649 137 Dies bedeutet, dass die Auszubildenden zu einem erheb-

IH = Industrie und Handel lichen Teil die für sie anfallenden Personalkosten durch Hw = Handwerk ihre eigene Arbeitsleistung selbst finanzieren. Allerdings * Alte Berufsbezeichnungen. Diese Berufe wurden nach der Neuordnung 2003 durch die Berufe „Kraftfahrzeugmechatroniker/-in“ bzw. „Elektroniker/-in – Energie- und Gebäudetechnik“ ersetzt. gibt es zwischen den Ausbildungsbereichen deutliche Un- terschiede: Im Öffentlichen Dienst sind die Personalkosten wesentlich höher als die Erträge. Auch in Industrie und Handel übersteigen die Personalkosten die Erträge, wäh- rend im Handwerk das Verhältnis ausgeglichen ist. In der Landwirtschaft und bei den Freien Berufen liegen die Per- sonalkosten sogar merklich niedriger als die Erträge. Die Relation von Personalkosten der Auszubildenden und Tabelle 3 Relationen von Ausbildungsvergütung zu Fachkraftlohn/-gehalt sowie Personalkosten zu Erträgen der Auszubildenden im Jahr 2000 in zehn Erträgen hängt deutlich von der Betriebsgröße ab. Je größer ausgewählten Ausbildungsberufen – Durchschnittliche monatliche Beträge ein Betrieb ist, umso ungünstiger ist für ihn in der Regel

22 BWP 3/2004 auch das betreffende Verhältnis. Großbetriebe haben we- Fazit sentlich höhere Personalkosten der Auszubildenden als Ausbildungserträge. In kleineren Betrieben unter 50 Be- Die präsentierten Ergebnisse zeigen große Unterschiede schäftigten gleichen sich Personalkosten und Erträge dage- zwischen den von den Betrieben gezahlten Ausbildungs- gen aus, und in den Kleinstbetrieben liegen die Erträge so- vergütungen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Ausbil- gar höher. Maßgebend für dieses Ergebnis ist vor allem, dungsvergütungen eng an das jeweilige Lohn- und Ge- dass die Personalkosten der Auszubildenden mit der Be- haltsniveau der betreffenden Branche gekoppelt sind. Auf- triebsgröße erheblich zunehmen, die Erträge sich jedoch fällig ist, dass auch relativ viele Betriebe ohne Tarifbindung kaum verändern und in den Großbetrieben sogar am nied- sich an den tariflich vereinbarten Vergütungen orientieren. rigsten sind. In jedem zwanzigsten Betrieb wird sogar ein höherer Betrag als die tariflich festgelegte Ausbildungsvergütung gezahlt. Offensichtlich folgt die Höhe der Ausbildungsver- Eine pauschale Diskussion um gütungen spezifischen Konstellationen in den einzelnen Branchen. Durch besonders hohe Ausbildungsvergütungen die Höhe der Ausbildungsver- sollen auch Anreize gege- ben werden, um einen lei- Anmerkungen gütungen ist nicht angemessen stungsfähigen Nachwuchs zu gewinnen. Die Ausbil- 1 Gegenstand der Untersuchung waren Kosten und Nutzen der betrieblichen Ausbildung. Es dungsvergütungen ein- wurden rund 2.500 Betriebe aller Ausbil- schließlich Personalneben- dungsbereiche (außer Hauswirtschaft und See- kosten werden in vielen schifffahrt) befragt. Vgl. BEICHT, U.; WAL- DEN, G.; HERGET, H.: Kosten und Nutzen der Ausgeprägte Abweichungen im Verhältnis von Personal- Fällen durch die von den betrieblichen Berufsausbildung in Deutsch- kosten der Auszubildenden und Erträgen gibt es auch zwi- Auszubildenden erwirt- land. Hrsg. BIBB, Heft 264. Bielefeld 2004 schen den einzelnen Berufen (vgl. Tab. 3). Im Bereich schafteten Erträge refinan- 2 Betriebe sind tarifgebunden, wenn sie dem Arbeitgeberverband angehören, der einen ent- Industrie und Handel verursachen die angehenden Chemie- ziert. sprechenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. laboranten/-innen mehr als doppelt so hohe Personalkos- Ist ein Tarifvertrag für allgemein verbindlich ten, wie sie Erträge erwirtschaften. In den Berufen Bank- Aufgrund der Abhängigkeit erklärt worden, müssen ihn alle Betriebe der kaufmann/-frau und Industriemechaniker/-in – Betriebs- der Ausbildungsvergütun- betreffenden Branche und Region anwenden. 3 In Westdeutschland ist die Orientierung an technik übersteigen die Personalkosten die Erträge ebenfalls gen von branchenspezifi- den Tarifen mit 84% der Betriebe und 87% deutlich, im Beruf IT-System-Kaufmann/-frau nur leicht. schen Faktoren ist u. E. eine der Auszubildenden etwas stärker, in Ost- Bei den Hotelfachleuten sind die Personalkosten dagegen pauschale Diskussion um deutschland mit 67% der Betriebe und 80% der Auszubildenden dagegen geringer ausge- wesentlich geringer als die Ausbildungserträge. Im Hand- die Höhe der Vergütungen prägt. werk sind insbesondere bei den Maurern/-innen die Erträge der Sache nicht angemes- 4 Vgl. Ausbildungsvergütungen 2000. In: BIBB- in Relation zu den Personalkosten niedrig, während bei den sen. So ist beispielsweise zu aktuell 1/2001, S. 2. Es handelt sich um ein Ergebnis der Datenbank „Ausbildungsvergü- künftigen Bäckern/-innen und Bürokaufleuten deutlich beachten, dass die durch- tungen“. Datenbasis bilden hier die tariflichen höhere Erträge als Personalkosten zu verzeichnen sind. schnittlichen Vergütungen Ausbildungsvergütungen aus über 600 Tarifbe- bereits heute im Handwerk reichen in Deutschland. Eine für die Betriebe ungünstige Relation entsteht häufig deutlich niedriger sind als 5 Bei den Angaben zu den Löhnen und Gehältern der Fachkräfte ist zu berücksichtigen, dass nur durch überdurchschnittlich hohe Personalkosten der Aus- in anderen Ausbildungs- Ausbildungsbetriebe befragt wurden. Die zubildenden. Selbst relativ hohe Erträge, wie bei den Bank- bereichen. Bei einer pau- Ergebnisse geben daher nicht Auskunft über kaufleuten, können das Verhältnis dann nicht mehr aus- schalen Senkung von Aus- das allgemeine Lohn- und Gehaltsniveau von Fachkräften. gleichen. Oft kommen allerdings niedrige Erträge hinzu, bildungsvergütungen be- wie bei den Berufen Chemielaborant/-in und Industrieme- stünde die Gefahr einer Fehlsteuerung in Bereiche mit chaniker/-in. Auch durchschnittliche Personalkosten kön- hoher Ausbildungs-, aber niedriger Übernahmequote der nen durch sehr niedrige Erträge nicht gedeckt werden, wie Ausbildungsabsolventen in ein Beschäftigungsverhältnis. beim Beruf Kraftfahrzeugmechaniker/-in. Zwischen den Personalkosten der Auszubildenden und den Erträgen exis- Für eine Beurteilung der Angemessenheit von Ausbil- tiert – bezogen auf die Werte für die insgesamt untersuch- dungsvergütungen müssen die jeweiligen besonderen Ver- ten 52 Einzelberufe – statistisch kein Zusammenhang. Wie hältnisse und Gesichtspunkte in den einzelnen Branchen bereits gezeigt, orientiert sich die Höhe der Ausbildungs- berücksichtigt werden. Über die erforderlichen Informatio- vergütungen in starkem Maße am Lohn- und Gehalts- nen verfügen nur die Tarifpartner, die regelmäßig im Rah- niveau der Fachkräfte, während die Erträge wesentlich von men der Lohn- und Gehaltsverhandlungen auch die Höhe der Ausbildungsorganisation bzw. den grundsätzlich vor- der Ausbildungsvergütungen zum Verhandlungsgegenstand handenen Spielräumen für einen produktiven Arbeits- machen. einsatz der Auszubildenden abhängen.

BWP 3/2004 23 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Kooperation der einzelnen Programme/Projekte zur Er- höhung ihrer Wirksamkeit und um eine bessere Abstim- mung der jeweiligen Programmplanungen, insbesondere auf regionaler Ebene.

Die Projekte sind darauf angelegt, bestehende Angebote zu vernetzen, Erfahrungen zu übertragen und so Synergien sowohl zwischen den Strukturprojekten selbst als auch in- nerhalb der einzelnen Projekte, Programme und Initiativen zu fördern, um so die Zahl der betrieblichen Ausbildungs- plätze zu erhöhen. Vorhandene Strukturen und Institutio- nen werden aktiv in die Arbeit eingebunden, und gemein- sam werden innovative Ideen für betriebliche Ausbildungs- stellen entwickelt. Zugleich wird eine bessere öffentliche Präsenz durch gemeinsames Auftreten und gemeinsame Marketingmaßnahmen, z. B. bei Veranstaltungen und bei Publikationen, angestrebt. Vernetzung von Projekten schafft zusätzliche Ausbildungsplätze „Unter einem Dach“ – eine Initiative des BMBF Gemeinsame Prinzipien Allen fünf Ausbildungsstrukturprojekten geht es darum, die KATHARINA KANSCHAT, REINHARD SELKA regionalen Ressourcen gezielt für die Schaffung von Aus- bildungsplätzen zu entwickeln. Dabei steht die Vernetzung der jeweiligen Partner stark im Vordergrund. Die Struktur- Im Rahmen der Ausbildungsoffensive 2003 projekte sind Informations- und Servicestellen für ihre haben sich Bundesregierung und die Sozial- Partner, geben regelmäßige Informationen heraus, führen zahlreiche Regionaltreffen durch und betreiben eine inten- partner auf neue Maßnahmen und Schwer- sive Öffentlichkeitsarbeit, um die Ergebnisse und Erfahrun- punkte zur Verbesserung der Ausbildungs- gen der regionalen Partner möglichst breit zugänglich zu machen. Insgesamt umfasst das Partnernetzwerk der fünf platzsituation verständigt. Dazu gehört u. a. Projekte „Unter einem Dach“ knapp 140 regionale Projekte die Initiative „Ausbildungsstrukturprojekte – und Initiativen in ganz Deutschland, die durch die Dach- koordinierung regional und überregional für eine verstärkte Unter einem Dach“. Mit ihr werden verschie- Zusammenarbeit gewonnen werden. dene vom Bundesministerium für Bildung und Innerhalb der Einzelprojekte oder über deren Grenzen hi- Forschung geförderte Strukturprojekte ver- naus ist in allen Projekten der Transfergedanke in unter- schiedlicher Weise integriert. Der im Beitrag Regio-Kompe- netzt, die auf unterschiedlichen Wegen und tenz-Ausbildung dargestellte Wettbewerb mit seiner jährli- mit unterschiedlichen Instrumenten das che Veröffentlichung aller eingereichten Beiträge ist hier ein gutes Beispiel. Das Patenschaftsprogramm hat durch seine gemeinsame übergeordnete Ziel verfolgen, Konzentration auf die öffentliche Würdigung der Einzelbei- Potenziale für zusätzliche Ausbildungsplätze spiele das Good-Practice-Prinzip zum Projektgegenstand gemacht, und auf den Internetseiten von KAUSA finden zu erschließen. sich Portraits von fast allen regionalen Partnerprojekten.

Seit 1995 entwickelt das Bundesministerium für Bildung Weiterhin gemeinsam ist den Strukturprojekten, dass keine und Forschung (BMBF) Projekte und Programme, mit de- direkten Zuwendungen für Ausbildungsplätze erfolgen. nen der regionalen Unterversorgung mit betrieblichen Aus- Stattdessen werden regionale Agenturen oder Stellen mit bildungsplätzen entgegengewirkt wird. Mit der Ausbil- konkreten Aufgaben oder auch einzeln beauftragte Dienst- dungsoffensive 2003 wurde eine neue Qualität in der För- leistungen gefördert, oder es werden regionale Einzelpro- derung von Ausbildungsplätzen erreicht: Mittlerweile sind jekte eingerichtet. Zusätzlich bemühen sich alle fünf Struk- fünf Ausbildungsstrukturprojekte „Unter einem Dach“ tätig turprojekte um zentrale Dienstleistungen, so beispielsweise (vgl. Übersicht). Dabei geht es vorwiegend um eine engere Handbücher über Verbundausbildung (STARegio), Hand-

24 BWP 3/2004 Fünf Ausbildungsstruktur- projekte – „Unter einem Dach“ APE – Ausbildungsplatzentwickler

Über die Dachverbände, Deutscher Industrie- und Han- delskammertag, Zentralverband des Deutschen Hand- werks und Bundesverbandes der Freien Berufe läuft seit 1995 das Programm APE - Ausbildungsplatzentwickler in den neuen Bundesländern. Die Ausbildungsplatzentwickler werden in den regionalen Kammern eingesetzt und werben direkt in Betrieben für Ausbildungsplätze. Ab 2004 wird es auch in den westlichen Bundesländern Ausbildungsplatzentwick- ler geben. www.dihk.de; www.zdh.de; www.freie-berufe.de

Regio-Kompetenz-Ausbildung

In den vergangenen fünf Jahren konnte durch Regio-Kompetenz ein umfassendes Netzwerk von rund 60 Kooperationspartnern in den neuen Bundesländern aufgebaut werden. Beispielsweise im Bereich der Implementierung von neuen Berufen und für Ausbildungskooperationen in den Grenzregionen konnten Initiativen angestoßen und verfestigt werden. Träger des Projekts ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (vgl. auch den Beitrag von MÜLLER-TAMKE/ULMER in diesem Heft). www.regiokom.de

KAUSA – Koordinierungsstelle Ausbildung in ausländischen Unternehmen

Seit 1999 vernetzt KAUSA bundesweit rund 35 Projekte und Initiativen, die sich um die Ausbil- dungsbeteiligung von Unternehmern ausländischer Herkunft bemühen. Zahlreiche regionale und überregionale Konferenzen, eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit und das Erstellen von Materialien in verschiedenen Sprachen sind die Kernbereiche der Arbeit der Koordinierungs- stelle. Träger des Projektes ist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). www.kausa.de

Patenschaftsprogramm für Ausbildung

Viele Unternehmen nutzen innovative Möglichkeiten, um mit Geld, Personal- und Sachleistungen zusätz- liche Lehrstellen im eigenen und in anderen Betrieben einzurichten. Das Patenschaftsprogramm spricht Unternehmen an, diese Ideen aufzugreifen, zeichnet vorbildliche Initiativen öffentlich aus und beteiligt sich an Veranstaltungen und Publikationen, um gute Beispiele publik zu machen. Getragen wird das Patenschaftsprogramm von der Stiftung Begabtenförderungswerk berufliche Bildung (SBB). www.patenschaftsstelle.de

STARegio

Im Rahmen von STARegio werden regionale Ausbildungsnetzwerke in den alten Bundesländern ge- fördert. Dabei werden zusätzliche Ausbildungsverbünde eingerichtet, innovative Ausbildungsko- operationen entwickelt und externes Ausbildungsmanagement ermöglicht. Das Programm ist bereits im Jahr 2003 mit Einzelprojekten gestartet und wird 2004 weitere regionale Projekte einrichten. Träger von STARegio ist das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) (vgl. auch den Beitrag von RASKOPP in diesem Heft). www.staregio.de

bücher zu den neu geordneten Berufen (Regio-Kompetenz) dem regelmäßigen Informationsaustausch hat ein gemein- oder Fachglossare in verschiedenen Sprachen (KAUSA). samer Kongress im Mai in Leipzig die Aktivitäten der Pro- Alle Materialien können über die jeweiligen Projekte be- jekte einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. stellt werden. Darüber hinaus nehmen alle fünf Projekte mit ihren Aktivi- täten auch an der Ausbildungsoffensive des BMBF teil. Zu- sätzlich werden die Ausbildungsstrukturprojekte „Unter einem Dach“ sich im Rahmen des vom BMBF initiierten Gemeinsame Aktivitäten Jahrs der Technik mit dem Themenbereich Ausbildung prä- Die gemeinsamen Prinzipien waren eine gute Grundlage, sentieren. Die Industriemesse in Hannover war dazu der um die Zusammenarbeit der Projekte zu intensivieren und Auftakt. Weitere gemeinsame Aktionen zum Jahr der Tech- sie durch eine Projektkoordinierung unter ein gemeinsames nik finden in Dresden und Düsseldorf statt. Dach zu stellen. Damit erfährt die bisher schon erfolgte punktuelle Zusammenarbeit eine Systematisierung, deren Im Folgenden werden konkrete Kooperationen an einigen Ergebnisse über die einzelnen Projekte hinausweist. Neben realisierten und geplanten Beispielen verdeutlicht.

BWP 3/2004 25 THEMA

Ausbildung von Sport- und Fitness- Landkreise und die Arbeitsagentur sicherte. Zudem wurde Kaufleuten für die Startphase ein externes Coaching eingerichtet, um Bei der schwierigen Ausbildungsplatzsituation in den diese ungewöhnliche Kooperation sonst teilweise konkur- neuen Ländern ist es nahe liegend, zusätzliche Ressourcen rierender Partner zu sichern. dort zu erschließen, wo neue Ausbildungsberufe für Bran- chen geschaffen wurden, in denen bisher keine Branchen- Nach den guten Anfangserfahrungen – es kann jährlich berufe existiert haben. Sport- und Fitnesskaufleute sind eine Berufsschulklasse eingerichtet werden, die früher nicht hierfür ein typisches Beispiel – die Erfahrungen ließen sich zustande kam – soll diese Kooperation auch für andere Be- übrigens gut auf den Sektor Schutz/Sicherheit übertragen. rufe und Branchen nutzbar gemacht werden. Zur Erschließung neuer Ausbildungsplätze arbeiteten die beiden Projekte Regio-Kompetenz-Ausbildung und Ausbil- Hierbei hat nun das Patenschaftsprogramm durch die ihm dungsplatzentwickler zusammen: Gemeinsam mit dem eigene öffentliche Hervorhebung guter Beispiele und des Deutschen Sportbund wurde vom Projekt Regio-Kompe- Engagements von Institutionen und Betrieben den neu ent- tenz-Ausbildung ausgelotet, in welchen Regionen im Ver- standenen Verein ANA (Ausbildungsnetzwerk Altmark) da- einssport Ausbildungsplätze bei unterstützt, seine Arbeit in der Region zu konsolidieren.

Literatur zum Thema für Sport- und Fitnesskauf- Dabei sind Ausbildungsplätze in den Berufen des Hotel- leute möglich wären. Durch und Gaststättenwesens, aber auch eine Gruppe von Veran- Das BMBF berichtet auf seinem Portal über die dabei entwickelten Stra- staltungskaufleuten entstanden. wichtige Entwicklungen im Zusammenhang mit der Ausbildungsoffensive. www.bmbf.de tegien – Zusammenführen der Akteure auf (in diesem Ein vom BIBB im Jahre 2003 eingerichtetes Falle) überregionalen Ver- Portal (www.ausbildungsoffensive2003.de) anstaltungen und Bereitstel- Ausbildung in Grenzregionen stellt umfangreiche Informationen rund um dieses Thema zur Verfügung. len einer Informations- Ein wichtiger Bestandteil des Projektes Regio-Kompetenz Die Ausbildungsstrukturprojekte stellen sich schrift – entstanden erste ist die Förderung der Ausbildung in den Grenzregionen der gemeinsam auf einem Flyer und in einer Bro- regionale Netzwerkstruktu- östlichen Bundesländer. Hier besteht eine besondere schüre vor. Beides kann über den BMBF (Por- tal) oder die einzelnen Projekte angefordert ren, in denen dann die Aus- Beschäftigungschance bei Unternehmen, die mit den Nach- werden. bildungsplatzentwickler barländern Geschäftskontakte unterhalten. Sie brauchen (zweites Projekt) wirksam mehrsprachiges Personal, das sich mit den Gepflogenhei- Die Dokumentation „Berufsausbildungskonfe- renz ,Ausbilden jetzt – Erfolg braucht alle‘“ unterstützt werden konnten. ten des jeweiligen Nachbarlandes auskennt. Ausbildung im berichtet über eine bundesweite Fachkonfe- In gemeinsamer Arbeit wur- eigenen Betrieb mit der besonderen Maßgabe der Sprach- renz, die am 14./15. Juli 2003 in Schwerin den Zusatzqualifikationen förderung und integrierter Auslandsaufenthalte macht stattfand. Hrsg.: BMBF, E-Mail: definiert und deren Vermitt- Sinn. Zusätzlich bieten diese Unternehmen für Jugendliche [email protected] lung organisiert. Sie waren aus Aussiedlerfamilien gute Ausbildungschancen, da sie ei- von Seiten der privaten Fitnesscenter als Ergänzung der nen Teil der sprachlichen und kulturellen Kenntnisse be- Ausbildung gewünscht worden. Auch die Problematik, dass reits mitbringen. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung eine Zielgruppe von Ausbildungsbetrieben – die Sportver- von Regio-Kompetenz und KAUSA wird mit Vertretern aus eine – nicht Mitglieder der Industrie- und Handelskammern Unternehmen und Institutionen diskutiert, wie man die Be- und damit für Ausbildungsplatzentwickler schwer identifi- darfe der Unernehmen besser mit den Fähigkeiten der Ju- zierbar sind, konnte durch die Kooperation gelöst werden. gendlichen zusammenbringen kann. Die Veranstaltung Zudem wurden in gemeinsamen Tagungen Erfahrungen wird im Herbst 2004 stattfinden. ausgetauscht und Ideen entwickelt, die zu weiteren Ausbil- dungsplätzen führten.

Zukünftige Aktivitäten Die erfolgreiche Zusammenarbeit der Ausbildungsstruktur- Ausbildungs-Netzwerk Altmark projekte wird über deren gesamte Laufzeit fortgesetzt. Da- Im nördlichen Sachsen-Anhalt – der Altmark – wurde zu bei steht neben der internen Kommunikation im Rahmen Anfang des Jahres 2001 ein IT-Ausbildungsnetzwerk ent- regionaler Tagungen die Veröffentlichung guter Praxisbei- wickelt, das sich inzwischen zu einer stabilen Einrichtung spiele im Vordergrund. Alle diese Schriften werden über entwickelt hat: Drei Berufsschulen, fünf Bildungsträger und das Portal des BMBF – aber natürlich auch über die einzel- mehr als zwanzig Unternehmen haben sich zu Teil-Netz- nen Partner – verfügbar sein. werken zusammengeschlossen, die gemeinsam die Ausbil- dung organisieren. Diese Initiative ging vom Projekt Regio- Kompetenz-Ausbildung aus, das auch die Unterstützung durch das Kultusministerium, das staatliche Schulamt, die

26 BWP 3/2004 Regio-Kompetenz-Ausbildung – ein • die gezielte Ansprache von Unternehmen und Betrieben erfolgreiches Ausbildungsstruktur- sowie Informations- und Beratungsangebote über neue projekt in den neuen Bundesländern bzw. modernisierte Ausbildungsberufe. Im vergangenen Jahr wurden dazu mit Experten des WOLFGANG MÜLLER-TAMKE, PHILIPP ULMER BIBB Veranstaltungen zu den neu geordneten Elektrobe- rufen in Rostock, Magdeburg, Schwerin, Berlin, Bautzen, Frankfurt (Oder) und Gera durchgeführt. In diesem Jahr Das Projekt „Regionalberatung zur Sicherung sind Informationstagungen zur Einführung der neuen und Weiterentwicklung des Ausbildungsplatz- Metallberufe vorgesehen. • Informations- und Beratungsangebote zur Berufsfrüh- angebotes in den neuen Ländern“ (Regio-Kom- orientierung, Berufsinformation und Berufsvorbereitung petenz-Ausbildung) ist Bestandteil der BMBF- der Jugendlichen. • Unterstützung der Betriebe im Rahmen der Ausbildungs- Initiative „Ausbildungsstrukturprojekte – Unter kooperation. Viele Unternehmen sind nur unter diesen einem Dach“. Voraussetzungen bereit und in der Lage, Jugendliche auszubilden. Darüber hinaus greifen immer mehr Aus- bildungsbetriebe auf den Service einer vollständigen Ziel von Regio-Kompetenz-Ausbildung ist die Initiierung Übernahme des Ausbildungsmanagements durch einen und Begleitung regionaler Projekte sowie die Vernetzung Ausbildungsverbund zurück (vgl. dazu auch den Beitrag bestehender Aktivitäten regionaler und lokaler Akteure, um von SCHLOTTAU). eine Verbesserung des betrieblichen Ausbildungsplatzan- gebotes und einer engeren Verbindung von Qualifizierung In den vergangenen Jahren hat sich vielfach ein enges Ver- und regionaler Wirtschaftsentwicklung zu erreichen. trauensverhältnis zwischen den Netzwerkpartnern ent- wickelt. Regio-Kompetenz-Ausbildung ist damit ein fester Zusammen mit der Gesellschaft zur Förderung von Bil- Bestandteil der Bemühungen um eine Verbesserung der dungsforschung und Qualifizierung mbH (GEBIFO) in Ber- Ausbildungsplatzsituation in den neuen Ländern geworden. lin ist in den letzten Jahren durch zielorientierte Projektar- beit eine solide Basis für erfolgreich arbeitende Netzwerke Neue Ausbildungspotenziale existieren insbesondere in aller für die Berufsbildung verantwortlichen Akteure in wirtschaftlichen Entwicklungsfeldern, in denen bisher nur verschiedenen Regionen, Branchen bzw. Berufsgruppen unterdurchschnittlich ausgebildet wurde oder von denen und Berufen entstanden. Seit dem vergangenen Jahr ist Re- nachhaltige Entwicklungen zu erwarten sind. Dabei han- gio-Kompetenz-Ausbildung auch Bestandteil der Ausbil- dungsoffensive der Bundesregierung, in deren Rahmen sich Bundesregierung und die Sozialpartner auf neue Maßnah- Stralsund Rostock Greifswald men und Schwerpunkte zur Verbesserung der Ausbildungs- Waren/Müritz platzsituation verständigt haben. Dazu gehört u. a. die Ini- Sternberg • IT-Ausbildung/ Neubrandenburg IT-Bildungs IHK Bildungszentrum Rothenklempenow tiative „Ausbildungsstrukturprojekte – Unter einem Dach“, Mecklenburg-Vorpommern Netzwerk Angermünde • Mechatronik- mit der verschiedene vom BMBF geförderte Projekte mit- Wöbbelin Schwerin Eberswalde Ausbildung einander verbunden werden (vgl. dazu den Beitrag von Perleberg und Netzwerk • Aus- und Wittenberge ABB KANSCHAT/SELKA in diesem Heft). Weiterbildung Brandenburg IT-Akademie im Hochtech- DWB-Akademie Stendal nologiebereich REGIONALE KOMPETENZZENTREN – GRUNDLAGE DER Gardelegen • Duale NETZWERKARBEIT IN REGIO-KOMPETENZ-AUSBILDUNG MAAT Berlin IHK Bildungszentrum Ausbildung ABV Frankfurt (Oder) an wissen- Magdeburg Potsdam Hedersleben Eisenhüttenstadt schaftlichen In jedem der neuen Länder und Berlin sind so genannte Wernigerode Teltow Cottbus Thale Einrichtungen Lauchhammer Landesstützpunkte vertraglich als regionale Kompetenz- Wolfen • Ausbildung in Halle-Dessau Sachsen-Anhalt Hoyerswerda Freizeitwirt- zentren damit beauftragt, die lokalen und regionalen Initia- Leuna schaft, Sport, tiven zum Aufbau von Netzwerken zu koordinieren und zu Leipzig Tourismus, Gastronomie unterstützen. Im Verlauf der Projektarbeit ist ein breit ge- Bautzen • Landwirtschaft Eisenach Sachsen • Handwerk fächertes und stabiles Netz von rund 60 Kooperationspart- Dresden Görlitz Erfurt • „Chance nern entstanden, die in den Regionen und auf lokaler Erfurt Neugersdorf Grenzregion“ Thüringen Gera Ebene verankert sind. Sie haben eine Vielzahl von Koope- Oberhof IHK Bildungszentrum Chemnitz rationen zwischen den für die Berufsausbildung relevanten Saalfeld Suhl Jena Sonneberg IHK Bildungszentrum Akteuren initiiert, um neue Potenziale für zusätzliche be- Hohenwarte triebliche Ausbildungsplätze zu erschließen. Dazu gehören zum Beispiel Struktur und Schwerpunkte des Netzwerkes

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delt es sich neben dem IT-Bildungsnetzwerk Neue Länder 60 betriebliche Ausbildungsplätze geschaffen und als In- (seit 2001 ein eigenständiges vom BMBF gefördertes Pro- itiator der Ausbildungsbörse 300 zusätzliche betriebliche jekt) vor allem um die Bereiche Freizeitwirtschaft/Sport/ Ausbildungsplätze gewonnen. Tourismus, Mechatronik, Hochtechnologie und die grenz- überschreitende Kooperation in der Berufsbildung. WETTBEWERB „REGIONALE KOOPERATION FÜR AUSBILDUNGSPLÄTZE“ LOKALE UND REGIONALE LEITINSTITUTIONEN Neben diesen vielfältigen Netzwerkaktivitäten vor Ort bil- Die bisherige Projektarbeit hat deutlich gemacht, dass Ent- det der jährlich vom BIBB ausgeschriebene Wettbewerb wicklung und Aufbau von Kooperationsformen auf der „Regionale Kooperation für Ausbildungsplätze in den Grundlage einer differenzierten Betrachtung der regionalen neuen Ländern“ einen wichtigen Bestandteil von Regio- Wirtschaftsstruktur und -entwicklung eng mit dem Enga- Kompetenz-Ausbildung. Er verfolgt das Ziel, innovative gement von lokalen und regionalen Leitpersonen und Leit- Beispiele für lokale und regionale Kooperationen aufzu- institutionen verbunden sind: decken und zu verbreiten. • So hat sich z. B. in der Oberlausitz ein Firmen-Ausbil- Bei den Wettbewerben der Jahre 2000 bis 2003 gab es dungsring etabliert, der die Ausbildungsplätze der mehr durchweg eine hohe Beteiligung; zugleich wurde deutlich, als 130 Mitglieder gemeinsam anbietet. Damit wird die dass es eine Vielzahl von Ideen und Projekten zur Verbesse- Auswahlprozedur für alle Beteiligten vereinfacht, mit der rung der Ausbildungsplatzsituation gibt, die vom Prinzip der Folge, dass in den ersten drei Jahren des Bestehens 59 Un- Netzwerkarbeit geprägt sind. Insgesamt ist in den letzten ternehmen für die Erstausbildung gewonnen werden Jahren damit eine Praxissammlung von fast 300 Good-Prac- konnten. Der Ausbildungsring organisiert ein zentrales tice-Beispielen entstanden, die in einer Publikationsreihe des Personal -und Ausbildungsmanagement, das die Mit- BIBB dokumentiert sind (vgl. Literatur zum Thema). gliedsbetriebe von dem für Aufnahme und Durchführung der Ausbildung erforderlichen Verwaltungsaufwand be- freit. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Unterstützung ins- POSITIVE WIRKUNG DER NETZWERKAKTIVITÄTEN besondere der KMU im Bereich der Personalplanung und Der Abschluss eines einzelnen Ausbildungsvertrages kann -entwicklung. Dieser Ausbildungsring hat in den vier Jah- sicherlich nicht allein nur den Aktivitäten des Projekts zu- ren seines Bestehens insgesamt 921 Lehrstellen initiiert. gerechnet werden; dennoch gibt es deutliche Hinweise dar- • Ein anderes Beispiel liefert das BWAW Bildungswerk für auf, dass der Aufbau neuer Netzwerkstrukturen und die berufsbezogene Aus- und Weiterbildung Thüringen Tätigkeit regionaler Leitinstitutionen eine maßgebliche gGmbH, das beispielhaft zur Umsetzung der Ausbil- Rolle bei der Schaffung zusätzlicher betrieblicher Ausbil- dungsoffensive 2003 der Bundesregierung beigetragen dungsplätze in den neuen Ländern gespielt haben. hat. Dieser Erfurter „Bildungsdienstleister“ unterstützt Welches Potenzial dabei ein gezieltes Berufemarketing für aktiv die Schaffung betrieblicher Ausbildungsplätze und neue oder modernisierte Ausbildungsberufe bietet, zeigen die Gewinnung zusätzlicher Ausbildungskapazitäten in z. B. die Netzwerkaktivitäten im Bereich des neuen Berufes den Kompetenzfeldern der IT-Aus- und Weiterbildung, „Fachkraft für Schutz und Sicherheit“. Hier haben sich der Mikrotechnologie und Mikrosystemtechnik und im weiterreichende Netzwerke gebildet, in denen die IHK-Bil- kaufmännischen Bereich. Im Jahre 2003 hat das BWAW dungszentren Frankfurt/O. und Schwerin als Bildungs- dienstleister fungieren. Sie haben die Bereitstellung zusätz- licher Ausbildungsplätze, die Gewinnung von Auszubil- denden sowie die Ausgestaltung der gesamten Ausbildung Gesamtes Neue Prozentualer Bundesgebiet Bundesländer Anteil der neuen in einem Netzwerk von Sicherheitsunternehmen, IHK, be- Bundesländer ruflichen Schulen und fachkompetenten Bildungseinrich- 2001 2002 2003 2001 2002 2003 2001 2002 2003 tungen geplant, koordiniert, umgesetzt und evaluiert. Des Sport- und weiteren konnte durch die Initiativen von Regio-Kompe- Fitness-Kaufleute 397 941 1.065 157 276 310 39,5 29,3 29,1 tenz-Ausbildung die Zahl der abgeschlossenen Ausbil- Kaufleute im dungsverträge in den 2001 neu geordneten kaufmänni- Gesundheitswesen 177 672 728 56 167 202 31,0 24,9 27,7 Mechatronik 5.648 5.428 5.824 1.264 1.110 1.263 22,4 20,4 26,5 schen Dienstleistungsberufen weiter erhöht werden. Dazu Mikrotechnologie 211 224 197 129 137 117 61,1 61,2 59,4 gehören die Berufe Veranstaltungskaufmann/-frau, Kauf- Fachkraft für mann/-frau im Gesundheitswesen und Sport- und Fitness- Schutz und Sicherheit 113 492 50 147 44,2 29,9 Alle Berufe 21,8 21,8 21,9 kaufmann/-frau. Auch mit Blick auf einige andere Ausbildungsberufe kön- Quelle: BIBB, Erhebungen zum 30. September 2001, 2002 und 2003 nen die neuen Länder erfreuliche Ergebnisse vorweisen, wie die Erhebungen des BIBB über die neu abgeschlossenen Neu abgeschlossene Ausbildungsverhältnisse in ausgewählten Berufen Ausbildungsverhältnisse zeigen: Während der Anteil der

28 BWP 3/2004 neuen Länder über alle neu abgeschlossenen Ausbildungs- STARegio – berufe hinweg bei rund 22 % liegt, gab es in einzelnen Strukturverbesserung der Ausbildung Ausbildungsberufen fast durchweg eine höhere Ausbil- in ausgewählten Regionen dungsbeteiligung, wie die Übersicht deutlich macht. All diese Ergebnisse waren in Ausbildungsbereichen zu KORNELIA RASKOPP, CHRISTOPH ACKER verzeichnen, in denen sich die Netzwerkpartner von Regio- Kompetenz-Ausbildung in besonderer Weise engagierten. Im April 2003 wurde vom Bundesministe- Die Entwicklungen und Ergebnisse der Projektarbeit wer- den kontinuierlich anhand umfassender Informationsange- rium für Bildung und Forschung das Programm bote dokumentiert (vgl. Literatur zum Thema). STARegio („Strukturverbesserung der Ausbil-

dung in ausgewählten Regionen“) ins Leben AUSBLICK Bei der weiteren Projektarbeit in diesem Jahr wird es gerufen. Ziel des Programms ist es, die Wirt- schwerpunktmäßig um die folgenden Punkte gehen: schaft, d. h. ausbildende und auch bislang 1. Fortführung und Konsolidierung der einzelnen Netz- werkarbeiten mit dem Ziel einer stärker netzwerk- und nicht ausbildende Betriebe, durch gezielte länderübergreifenden Kooperation. regionale Projekte und Maßnahmen für die 2. Weiterentwicklung der Modelle einer engeren Verknüp- fung von Qualifizierung und Regionalentwicklung in der Bereitstellung zusätzlicher Ausbildungsplätze Berufsbildung (Mechatronik, Mikro- und Biotechno- zu gewinnen. Offizieller Starttermin des Pro- logie). 3. Intensivierung der Beratungs- und Informationsarbeit gramms war die Konferenz „Region – Betrieb für Betriebe zur Erhöhung der Ausbildungsbereitschaft. – Kooperation“ im Oktober 2003 in Gelsen- 4. Erneute Durchführung des Wettbewerbs „Regionale Kooperation für Ausbildungsplätze in den neuen Län- kirchen. Die erste Auswahlrunde ist inzwi- dern“ zur Identifizierung von innovativen Beispielen lo- schen abgeschlossen, und 20 Projekte haben kaler und regionaler Kooperationen. Auf diese Weise kann auch ein Beitrag dazu geleistet werden, erfolgreich ihre Arbeit aufgenommen. arbeitende Projekte einer Region auf ihre Transfermög- lichkeiten hin zu überprüfen. 5. Ergebnissicherung der Netzwerkarbeit unter dem Ge- ZIELE DES PROGRAMMS sichtspunkt der Verstetigung und Nachhaltigkeit. Mit dem Ziel „Strukturverbesserung der Ausbildung in aus- 6. Ausbau der Verknüpfung und Kooperation mit den an- gewählten Regionen“ hat das Bundesministerium für Bil- deren BMBF-Ausbildungsstrukturprogrammen im Rah- dung und Forschung (BMBF) im April 2003 das Programm men der Ausbildungsoffensive. STARegio ins Leben gerufen. STARegio fördert Projekte und Maßnahmen, die sich die Erhöhung des betrieblichen Ausbildungsplatzangebots durch nachhaltige Struktur- Literatur zum Thema verbesserung zum Ziel gesetzt haben. Das Programm wird

BIBB (Hrsg.): Regionale Koopera- MÜLLER-TAMKE, W.; SELKA, R.: die Organisation und Koordination von neuen und die Aus- tion für Ausbildungsplätze, Good Regionale Netzwerke für mehr weitung von bestehenden Ausbildungsverbünden ebenso Practice in den neuen Ländern, Ausbildungsplätze und nachhalti- unterstützen wie das Ausbildungscoaching – d. h. die ge- Bonn 2000, desgl. 2001; 2002; ge Regionalentwicklung. In: BWP zielte Beratung und Unterstützung von Ausbildungsinitia- 2003 31 (2002) 4, S. 22 ff. tiven zu bestimmten Themen und Fragestellungen – sowie BIBB (Hrsg.): Chance Grenzregion EBERHARDT, CH.; WÖLFFLING, die Beratung von Betrieben durch externes Ausbildungs- – Brücken bauen. Good Practice P.: Regio-Kompetenz-Ausbildung management. In den von STARegio geförderten Ausbil- in den neuen Ländern, Bonn 2002 auf dem Weg nach Europa. In: MÜLLER-TAMKE, W.: Der Wett- BWPplus 2/2004, S. 3 dungsprojekten sollen möglichst viele der relevanten bewerb „Regionale Kooperation Akteure einer Region (Kammern, Betriebe, Sozialpartner, für Ausbildungsplätze“, In: KOM- www.regiokom.de – die Informa- Wirtschaftsfördergesellschaften, Vertreter der Gebiets- PETENZ Nr. 37, Berlin/Bonn tions- und Kommunikationsplatt- 2003, S. 5 form bietet den lokalen und regio- körperschaften, Bildungsträger u. a.) zusammenarbeiten. nalen Akteuren eine Vielzahl von Aufbau, Koordination und Organisation von regionalen SELKA, R.; ALBRECHT, G.: Informationen und Good-Practice- Ausbildungsnetzwerken werden durch das Programm ge- Gemeinsam zum Ziel: Ausbil- Beispielen und nennt mögliche fördert. dungsinitiative Altmark. Good Kooperationspartner vor Ort. Practice in den neuen Ländern: IT-Berufe. Hrsg. BIBB, Bonn 2004

BWP 3/2004 29 THEMA

ERGEBNIS DER ERSTEN AUSWAHLRUNDE Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), beauftragt mit der Durchführung von STARegio, hat gemeinsam mit dem BMBF aus den bis November 2003 eingegangenen rund 90 Projektanträgen 20 Projekte für eine Förderung ausge- wählt, die inzwischen ihre Arbeit aufgenommen haben. Diese verteilen sich wie folgt auf die alten Bundesländer: Ausbildungs- coaching und Regionale Ausbildung externes Ausbildungs- im Verbund Bayern: 2 Projekte Ausbildungs- netzwerke management Bremen (Land): 1 Projekt Hamburg: 1 Projekt Hessen: 4 Projekte Branchenentwicklungs- und Ausbildungsplatzpotenzial – Niedersachsen: 2 Projekte Analysen Nordrhein-Westfalen: 7 Projekte Rheinland-Pfalz: 1 Projekt Schleswig-Holstein: 1 Projekt Saarland: 1 Projekt

PROJEKTBEISPIELE FÖRDERRICHTLINIEN DES PROGRAMMS Fünf Projekten wurde bereits im Dezember 2003 das Start- Wegen der vergleichsweise überproportionalen Verschlech- zeichen gegeben. Ein Beispiel ist das Projekt LEA! des Ver- terung der Ausbildungsangebote liegt der Förderschwer- bandes Spedition und Logistik Niederrhein. LEA! hat sich punkt des STARegio-Programms in den alten Bundeslän- das Ziel gesetzt, die vielen kleinen Unternehmen der Trans- dern. Es werden in erster Linie Initiativen in Regionen portbranche davon zu überzeugen, dass sich Ausbildung gefördert, in denen zwar ein ungenügendes Ausbildungs- lohnt. Der Verband verfügt über intensive Kontakte zu sei- angebot besteht, zugleich aber auch ein wirtschaftliches nen Mitgliedern in der Region Niederrhein. Diese Kontakte Entwicklungspotenzial ausgemacht werden kann. Förde- haben gezeigt, dass viele Unternehmen – insbesondere klei- rungsfähig sind deshalb Projekte, die eine fortschreibbare nere und mittelständische Speditionsunternehmen – durch- Analyse der regionalen Ausbildungsplatz- und Branchen- aus eigene betriebliche Ausbildung anbieten möchten, sich entwicklungspotenziale beinhalten. Auf der Basis dieser aber häufig dazu nicht in der Lage sehen oder aber den Informationen sollen bedarfsgerechte, auf die jeweilige Re- Verwaltungsaufwand scheuen. Gerade hier sieht der Ver- gion zugeschnittene Konzepte und Strategien zur Erhöhung band ein hohes Potenzial für neue Ausbildungsplätze, das des betrieblichen Lehrstellenangebots von den Projekten mit dem Projekt LEA! erschlossen werden soll. Hierzu ist entwickelt werden. Die ersten Förderrichtlinien zum Pro- unter anderem die Gründung eines „Ausbildungsvereins gramm STARegio, die am 24. September 2003 im Bun- Logistik“ geplant, der den Verbandsmitgliedern bedarfsge- desanzeiger veröffentlicht wurden, sahen für die erste För- rechte Unterstützung anbietet und so den Ausbildungsbe- derrunde Zuwendungen an Projekte in ausgewählten trieb durch Übernahme organisatorischer Aufgaben deut- Regionen Westdeutschlands vor, in denen die Angebots- lich entlastet. Nachfrage-Relation (ANR) von Ausbildungsplätzen ungün- stig ist. Es wurde festgelegt, dass diese regionale Unausge- Ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, jedoch in der Region wogenheit immer dann anzunehmen ist, wenn die ANR Ostwestfalen-Lippe (OWL), wird sich das Gewerbe- und von Ausbildungsplätzen mit einem Wert von < 99 und/oder Innovationszentrum Lippe-Detmold (Gilde) GmbH in den ein Rückgang in der ANR von 10 Prozentpunkten für das kommenden Monaten in Kooperation mit den Technologie- dem Antrag vorangegangene Jahr gegeben war. Im Durch- zentren in der Region für zusätzliche Ausbildungsplätze schnitt betrug 2002 die ANR in der gesamten BRD 99,1 einsetzen. Eine Potenzialanalyse des Instituts für Arbeit (100,9 im Westen und 93,1 im Osten). Für das Programm und Technik (IAT) in Gelsenkirchen aus dem Jahr 2003 hat stehen – kofinanziert mit Mitteln aus dem Europäischen die unterschiedlichen Entwicklungspotenziale für die Re- Sozialfonds – bis 2007 insgesamt rund 25 Millionen Euro gion aufgezeigt, die zu einem nachhaltigen Strukturwan- bereit. Auf der Basis der in den Richtlinien für 2003 fest- del beitragen können. An diesen Entwicklungspotenzialen gelegten Förderhöchstsumme von 250.000 Euro werden möchte die Gilde GmbH ansetzen und u. a. zu einer ver- voraussichtlich rund 70 Projekte im Rahmen des Pro- stärkten Ausbildung im Gesundheitsbereich beitragen. Ein gramms gefördert werden können. Die Laufzeit der Projekte von der Gilde GmbH gemeinsam mit der Stadt Detmold er- beträgt 18 Monate mit der Möglichkeit, eine Verlängerung probtes Verbundkonzept, das nach dem Modell einer Pu- zu beantragen. blic-Private-Partnership (PPP) organisiert ist, soll im Rah-

30 BWP 3/2004 men des STARegio-Projekts auch auf andere Verbundmo- zusätzlicher Ausbildungsnetzwerke; Gewinnung zusätzlicher delle in der Region übertragen werden. Das Projekt möchte Ausbildungsbetriebe durch externes Ausbildungsmanage- alle relevanten Partner in der Region vernetzen und zu ei- ment; Regionale Analysen des Ausbildungsplatzpotenzials; nem „Regionalen Aus- und Weiterbildungsmanagement Formelle Organisation und Rechtsfragen bei Ausbildungs- OWL“ zusammenfassen. verbünden und Netzwerken. Zur Konferenz konnten als erste Arbeitsergebnisse vier Informationsbroschüren präsentiert Als weiteren Projektträger konnte mit der Gesellschaft für werden: Gestaltung von Ausbildungsverbünden; Rechtsrat- Projektierungs- und Dienstleistungsmanagement (gpdm) geber für die Verbundausbildung; Öffentliche Programme ein in der Ausbildungsplatzakquise bereits erfahrenes und zur Förderung der Ausbildung; Handbuch zum Coaching in diesem Kontext erfolgreiches Unternehmen gewonnen von Ausbildungsinitiativen. werden. Die gpdm ist ein überregional tätiges Beratungs- unternehmen, das seit 1998 zahlreiche Ausbildungsnetz- Am 29. April 2004 hatten die Mitarbeiter der ersten 20 werke in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Projekte auf einer Auftaktveranstaltung im BIBB die Gele- aufgebaut hat. Im Rahmen von STARegio wird die gpdm genheit, sich gegenseitig kennen zu lernen und unterein- in den hessischen Arbeitsagenturbezirken Göttingen, Kassel ander auszutauschen. Für den Herbst 2004 ist dann eine und Korbach zum einen in bisher wenig ausbildenden (jun- weitere Konferenz in Planung, auf der sich erstmals ge- gen) Branchen und Unternehmen mit Zukunftspotenzial meinsam alle STARegio-Projekte der Öffentlichkeit präsen- neue Ausbildungsstellen schaffen und zum anderen beson- tieren können. ders Handwerksbetriebe, die sich aus der Ausbildung zurückgezogen haben, wieder als Ausbilder gewinnen. Dar- Auf der Basis einer Verwaltungsvereinbarung mit dem über hinaus ist ein Ausbildungsverein im Metallbereich ge- BMBF übernimmt das BIBB im Rahmen der Programm- plant, der mittelständischen Unternehmen ein Angebot von durchführung und wissenschaftlichen Begleitung folgende Verbundausbildung anbietet. Ein viertes Handlungsfeld der Aufgaben: gpdm wird im Bereich der Umwelttechnologien liegen. An- gesprochen werden sollen Unternehmen, Institute und • Konzeption und Durchführung des Ausschreibungs- und öffentliche Einrichtungen, die sich mittel- und unmittelbar Auswahlverfahrens für die jährlich stattfindende Aus- mit dem Thema Umwelt befassen. Ziel ist es hier, duale schreibungsrunde in Absprache mit dem BMBF; Ausbildungsbedarfe zu eruieren und zu generieren. • wissenschaftliche Begleitung und Beratung der Projekte; • Konzeption, Aufbau und Durchführung der Projekteva- luationen; • Konzeption und Durchführung der jährlich stattfinden- den STARegio-Konferenzen sowie Literatur zum Thema BRAND, T.; MARKERT, W.: Strukturverbesse- • Öffentlichkeitsarbeit und die rung der Ausbildung in ausgewählten Regio- Dokumentation des Pro- nen (STAR) – neue Initiative zur betriebsbezo- Diese drei Projekte sind als Beispiele für die im Rahmen gramms. genen Ausbildung in Problemregionen. In: BWP 32 (2003) Sonderausgabe, S. 17–20 des neuen Ausbildungsplatzprogramms gestarteten Initia- tiven und Maßnahmen zu verstehen. Sie, ebenso wie die Die zweite Auswahlrunde für Weitere Publikationen unter www.staregio.de: anderen 17 Projekte, die mit der ersten Ausschreibungs- STARegio-Projekte wurde am • BIBB: STARegio – Strukturverbesserung der Ausbildung in ausgewählten Regionen. runde in STARegio auf den Weg gebracht wurden, haben 15. 4. 2004 mit der Veröffentli- Rechtsratgeber für die Verbundausbildung, sich das Motto der Ausbildungsoffensive des BMBF zum chung der Förderrichtlinien im Bonn 2003 gemeinsamen Ziel ihrer Arbeit gemacht: Ausbilden jetzt – Bundesanzeiger gestartet. Bis • BIBB: STARegio – Strukturverbesserung Erfolg braucht alle! Weitere Projekte werden ihnen bis zum 21. 5. 2004 konnten neue der Ausbildung in ausgewählten Regionen. Öffentliche Programme zur Förderung der 2007 an die Seite gestellt. Förderanträge beim Bundes- Ausbildung, Bonn 2003 institut eingereicht werden. Aus • BIBB: STARegio – Strukturverbesserung den eingegangenen Anträgen der Ausbildung in ausgewählten Regionen. Gestaltung von Ausbildungsverbünden, BISHERIGE PROGRAMMDURCHFÜHRUNG UND werden voraussichtlich bis zu Bonn 2003 WEITERE PLANUNG 15 Projekte ausgewählt, die ge- • BIBB: STARegio – Strukturverbesserung Das Programm STARegio wurde anlässlich der Konferenz meinsam zum 15. 7. 2004 ihre der Ausbildung in ausgewählten Regionen. Handbuch zum Coaching von Ausbildungs- „Region – Betrieb – Kooperation“ des BMBF am 21./22. Ok- Arbeit in STARegio aufnehmen initiativen, Bonn 2003 tober 2003 in Gelsenkirchen von Bundesministerin Edelgard sollen. Eine weitere Ausschrei- Bulmahn der Öffentlichkeit vorgestellt. Es nahmen ca. 250 bung 2005 ist geplant. Dokumentation der Tagung „BMBF-Ausbil- Personen teil, die vorwiegend aus Betrieben, Politik und Ver- dungskonferenz zu STARegio in Gelsenkirchen“ bänden kamen. Insgesamt wurden fünf Foren veranstaltet: Weitere Informationen zum Projekt: Initiierung von neuen Ausbildungsverbünden; Schaffung www.staregio.de

BWP 3/2004 31 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Selbst finanzierte Verbünde als Modelle konjunkturunabhängiger Ausbildung Ergebnisse aus Fallstudien erfolgreicher Ausbildungsverbünde

Das betriebliche Ausbildungsplatzangebot Ausbildungsverbünde: Von der staatlichen Förderung zur Selbstfinanzierung verringerte sich seit 1999 von Jahr zu Jahr. Die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ha- Von Arbeitgeberseite werden immer wieder ben auch im vergangenen Jahr wesentlich zum Rückgang des Ausbildungsplatzangebots beigetragen.1 Der bereits seit die ungünstigen wirtschaftlichen Rahmenbe- mehreren Jahren geleistete finanzielle Beitrag aus Förder- dingungen als wesentliche Ursachen dafür programmen des Bundes, der Länder und der Europäischen Union wird im Zusammenwirken mit weiteren Schwer- hervorgehoben. Um allen Jugendlichen ein punkten neu akzentuiert. Für die Schaffung zusätzlicher ausreichendes und auswahlfähiges Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze spielt die Verbundförde- rung eine besondere Rolle.2 Trotz der in beträchtlichem an Ausbildungsplätzen unterbreiten zu kön- Umfang eingesetzten Fördermittel beträgt ihr Anteil an der nen, sind Konzepte erforderlich, mit denen die Gesamtzahl der Ausbildungsplätze nur rund drei Prozent. Um die Fördermittel effektiver einzusetzen, wird deshalb Konjunkturabhängigkeit der Ausbildung ver- dem Prinzip der Anschubfinanzierung eine besondere Auf- ringert wird. In der berufsbildungspolitischen merksamkeit gewidmet. Zur staatlich geförderten Verbund- ausbildung liegen bereits umfangreiche Forschungsergeb- Diskussion spielen dabei Ausbildungsverbün- nisse aus dem BIBB vor.3 de eine besondere Rolle. Viele dieser Verbün- In einem Forschungsvorhaben ist das BIBB in Zusammen- de werden nach wie vor staatlich gefördert. arbeit mit der Forschungsgruppe SALSS Fragen hinsicht- lich der Strukturmerkmale und Entwicklungsperspektiven Seit einiger Zeit richtet sich die Aufmerksam- selbst finanzierter Ausbildungsverbünde nachgegangen. keit auch auf Ausbildungsverbünde, die nicht Dazu sind in 20 Verbünden Fallstudien in Form telefoni- scher Interviews durchgeführt worden, aus denen wichtige auf eine öffentliche Förderung angewiesen Ergebnisse nachfolgend vorgestellt werden. Dabei sind sind. In diesem Beitrag werden Ergebnisse nicht nur Verbünde berücksichtigt worden, die noch nie Zuschüsse aus Bundes- oder Länderprogrammen bezogen einer BIBB-Untersuchung von Verbünden dar- haben, sondern auch solche, die nach einer anfänglichen gestellt, die sich vollständig selbst finanzie- Unterstützung als Anschubfinanzierung anschließend ihre Arbeit selbst finanziert fortgeführt haben.4 ren.

Ansatzpunkte zur Initiierung selbst tragender WALTER SCHLOTTAU Dipl.-Handelslehrer, wiss. Mitarbeiter im Ausbildungsverbünde Arbeitsbereich „Bildungstechnologie, Zu einem Verbundpartner wird ein Betrieb in erster Linie Bildungspersonal, Lernkooperation“ im BIBB aufgrund einer starken Eigenmotivation. So bilden Betriebe vor allem aus drei Gründen im Verbund aus:

32 BWP 3/2004 • da sie nicht alle Ausbildungsinhalte des Ausbildungs- Lösungsansätze bei der Suche nach Verbund- rahmenplans selbst vermitteln können, partnern • um die Ausbildungskosten zu reduzieren, Besonders Existenzgründern, darunter gerade Firmen aus • um die Qualität der Ausbildung zu sichern oder zu er- neuen Branchen, fällt es zumeist schwer, einen Verbund- höhen. partner zu finden. Es fehlt an Kontakten und der nötigen Zeit für die oft aufwändige Suche. Ebenfalls schwierig Meist werden kosteneffiziente und auch ansonsten mit kann sich die Suche nach Partnern für die Anbieter einer möglichst wenig Aufwand verbundene Kooperationsformen Auftragsausbildung erweisen. Hier müssen die Umworbe- gewählt, wie sie informelle Ausbildungskooperationen zwi- nen (z. B. durch eine entsprechende Beratung) zunächst da- schen zwei oder auch mehreren Verbundpartnern oder auch von überzeugt werden, dass sich die zusätzlichen Ausga- die Auftragsausbildung bieten. Selbst aufwändigere Orga- ben lohnen, auch wenn sich der Kostenreduzierungseffekt nisationsmodelle – bei denen in der Regel höhere Regie- erst mittelfristig auswirken wird. Zudem gibt es Partner, die kosten anfallen – können sich offensichtlich finanziell eigentlich zur gemeinsamen Ausbildung prädestiniert selbst tragen, wenn damit die Ausbildung insgesamt wären, aber aus den unter- kosteneffizienter wird. Förderlich für das Zustandekommen schiedlichen Gründen ohne Typisierung selbst finanzierter Aus- von Verbünden sind Persönlichkeiten, die sich in besonde- externe Hilfe zunächst einmal bildungsverbünde: rer Weise in der Erstausbildung engagieren und bereits über nicht zusammenkommen. • Der „naturwüchsige“ Ausbildungs- ein gewisses Netzwerk an Kontakten verfügen. verbund Hier könnten sich die betref- • Ausbildungsverbünde mit Kranken- Die Rahmenbedingungen erfolgreicher selbst finanzierter fenden Firmen durch ein Aus- häusern, Universitäten, oder in „the- Ausbildungsverbünde lassen sich unter drei Aspekten ty- bildungsprojekt unterstützen menzentrierten“ Gewerbegebieten pisieren: lassen, dessen Aufgabe in der • Unternehmen und Kommunen in Initiierung von Verbünden be- Umstrukturierungsprozessen • Der „naturwüchsige“ Ausbildungsverbund: Für viele steht. So gibt es z. B. die Mög- Kleinbetriebe ist es traditionell üblich, sich bei der Aus- lichkeit, in Ausbildungsplatzkonferenzen andere Unterneh- bildung gegenseitig zu unterstützen. Meist werden hierzu men mit ähnlichen Überlegungen kennen zu lernen. Die bereits bestehende persönliche Kontakte aus Prüfungs- Praxis zeigt, dass diese Treffen dann besonders effektiv ausschüssen, Arbeitskreisen sowie zu Kunden oder Zu- sind, wenn die Teilnehmerzahl nicht kleiner als zehn und lieferern genutzt. Die Kooperation beschränkt sich meist nicht größer als 20 ist. Dabei ist der persönliche Kontakt auf informelle Absprachen. Diese Form des Verbundes besonders wichtig. Auch die Unternehmenskulturen sollten gilt als selbstverständlich und wird nicht als ein beson- zueinander passen. deres Modell der Ausbildung empfunden. So wird hier auch kaum der Begriff „Verbundausbildung“ verwendet, Erreicht werden muss, dass jedes einzelne Unternehmen sondern von Ausbildungskooperation gesprochen; denn seinen Bedarf an Unterstützung für bestimmte Ausbil- mit der Bezeichnung Verbundausbildung werden eher dungsanteile offen legt. Gelegentlich ist es auch notwen- komplexe, aufwändige Organisationsformen in Verbin- dig, bestehende Vorurteile gegenüber den potenziellen Ver- dung gebracht. bundpartnern abzubauen. Ein Erfolg versprechendes Kon- • Ausbildungsverbünde mit Krankenhäusern, Universitä- zept, um Partner in einem Verbund dauerhaft aneinander ten, oder in „themenzentrierten“ Gewerbegebieten: Sie zu binden, ist der Einstieg über eine „passive“ Partner- entwickeln sich bevorzugt dort, wo mehrere Betriebe schaft. Verbundpartner, die noch nicht dazu bereit sind, die räumlich nah beieinander liegen und bereits eine vor- volle eigene Verantwortung für Auszubildende zu über- handene Infrastruktur gemeinsam nutzen (z. B. in Tech- nehmen, betätigen sich vorerst nicht als Stammbetrieb, nologie- und Innovationszentren). Auch Universitäten sondern übernehmen in einem ersten Schritt die Jugend- und Krankenhäuser eignen sich bei der Ausbildung lichen für bestimmte eingegrenzte Ausbildungsabschnitte. betrieblicher Fachkräfte zur Initiierung von Verbünden, die sich ihre Partner auch im privatwirtschaftlichen Be- Die Wahl des richtigen Verbundpartners spielt vor allem reich suchen. dann eine besondere Rolle, wenn ein Betrieb den Gast-Aus- • Unternehmen und Kommunen in Umstrukturierungspro- zubildenden so weit wie möglich in seinen betrieblichen zessen: Diese zeigen dann eine besondere Aufgeschlos- Arbeits- und Geschäftsprozess integrieren will. Dann näm- senheit für neue Ausbildungskonzepte, wenn z. B. öf- lich ist es wichtig, dass die zeitlichen Vorstellungen und fentlich-rechtliche Betriebe privatisiert werden oder bei Geschäftsfelder zusammenpassen. Es wird bereits schwie- Großunternehmen ein Outsourcing von Bildungseinrich- rig, wenn zwei zum Austausch vorgesehene Auszubildende tungen stattfindet. zwar in demselben Beruf ausgebildet werden, aber in un- terschiedlichen Fachrichtungen.

BWP 3/2004 33 THEMA

Doch gibt es auch ideale Voraussetzungen, um ohne viel Verbünde arbeiten häufig Aufwand den richtigen Verbundpartner zu finden: Viele Ausbildungskooperationen entstehen praktisch eher beiläu- auf der Basis fig in Zusammenhang mit bereits bestehenden Kontakten. Grundsätzlich ist festzustellen, dass günstige Bedingungen, informeller Absprachen um die Möglichkeiten einer Verbundausbildung auszu- schöpfen, immer dann gegeben sind, wenn in einer Region traditionell enge Kommunikations- oder Kooperationsbe- ziehungen zwischen den Betrieben bestehen.

seitiger Austausch von Auszubildenden, Auftragsausbil- dung, Ausbildungsmodule sowie Prüfungsvorbereitung. Zur Organisation der Ausbildung im selbst finanzierten Verbund Die Befragten gaben eine Reihe wichtiger Hinweise und Wie bei den staatlich geförderten Ausbildungsverbünden nannten darüber hinaus Lösungswege für spezielle Pro- sind auch bei den selbst finanzierten die vier klassischen bleme in der Verbundpraxis: Organisationsformen anzutreffen.5 (vgl. Kasten) Entgegen der vorherrschenden Meinung bei geförderten Verbünden • Immer wieder kommt es zu Unstimmigkeiten zwischen wird von Verbundpartnern selbst finanzierter Verbünde im- Stammbetrieb, Berufsschule und Bildungsträger im Hin- mer wieder die Auffassung vertreten, dass kein besonderer blick auf den jeweils aktuellen Ausbildungsstand der Aufwand erforderlich ist, um einen Verbund zu organisie- Auszubildenden. Diesem Problem kann durch engere ren. Ein erhöhter Organisationsaufwand besteht allenfalls Kontakte und intensiveren Informationsaustausch zwi- in der Phase der Verbundinitiierung und -gründung. Der schen den Beteiligten begegnet werden. Abschluss formaler Kooperationsverträge, der eine Voraus- • Um spätere Abstimmungsprobleme zu vermeiden, soll- setzung für die staatliche Förderung von Verbünden dar- ten die Einsatzzeiten der Auszubildenden im Partnerbe- stellt, ist bei den selbst finanzierten Verbünden keinesfalls trieb bereits vor dem Ausbildungsbeginn festgelegt wer- die Regel. Viele Verbünde arbeiten auf der Basis informel- den; insbesondere sollten die Partnerbetriebe im Vorfeld ler Absprachen. Hier erweist sich die Idee der Anschub- die besten Zeiten zur Aufnahme der externen Auszubil- finanzierung überwiegend als Erfolgskonzept. Nach Ablauf denden benennen. der Förderung funktioniert der Austausch – wie von be- • Die besondere Situation von kleinen Unternehmen kann troffenen Verbünden berichtet wird – vor allem über die zu Schwierigkeiten bei der Kontinuität in der Zusam- persönlichen Kontakte un- menarbeit bei den Verbundpartner führen; z. B., wenn Organisationsformen von Ausbil- tereinander, man kennt sich der Firmeninhaber häufiger außerhalb seines Unterneh- dungsverbünden und schätzt die bisherige mens arbeiten muss und der geplante Verbund-Ausbil- • Leitbetrieb mit Partnerbetrieben Zusammenarbeit. Selbst dungsplatz deswegen trotz einer Zusage doch nicht ein- • Ausbildungskonsortium dann, wenn Kostenbeiträge gerichtet werden kann. In diesen Fällen ist rechtzeitig • Auftragsausbildung für eventuell in Anspruch für einen Ersatzpartner Sorge zu tragen. • Ausbildungsverein genommene Ausbildungs- • Hält sich der eigene Auszubildende gerade am Beginn leistungen entstehen, kann der Ausbildung lange beim Verbundpartner auf, kann dies ohne formelle Regelungen abgewickelt werden. Bei der das späte Kennenlernen des eigentlichen Stammbetriebs Organisationsform „Ausbildungsverein“ erfolgt die Kosten- zum Problem werden. Die Aufenthaltsdauer außerhalb beteiligung in der Regel über die Vereinsbeiträge. des Stammbetriebes sollte deshalb insgesamt nicht mehr als sechs Monate betragen. Zudem sollte bedacht wer- Ebenfalls als „Selbstläufer“ funktionieren nach Einschät- den, dass es auch bei einer Verbundausbildung immer zung der Befragten Verbünde auf der Basis von Auftrags- darauf ankommt, dass der Auszubildende auch im Part- ausbildung, und das vor allem dann, wenn Großunterneh- nerunternehmen auf seinen Stammbetrieb zugeschnit- men beteiligt sind. Das Eigeninteresse an dem lukrativen tene Qualifikationen vermittelt bekommt, da er bei der Ausbildungsgeschäft ist so groß, dass das betreffende Abschlussprüfung seine Fertigkeiten im Stammbetrieb Großunternehmen von sich aus die erforderlichen Schritte unter Beweis stellen muss. unternimmt, um den Bestand des Verbundes zu bewahren. • Gerade für kleinere Unternehmen ist es bedeutsam, dass Die Kooperationsbeziehungen zwischen Verbundpartnern der eigene Auszubildende auch dann im Stammbetrieb können grundsätzlich alle Aspekte einschließen, die in ist, wenn seine Arbeitskraft – etwa in Stoßzeiten – be- Zusammenhang mit der Erstausbildung stehen: Bewerber- sonders benötigt wird. auswahl, Übernahme von Formalitäten, Grundausbildungs- • Schließlich ist auch eine zu große Entfernung der ver- lehrgänge, gemeinsamer theoretischer Unterricht, gegen- schiedenen Lernorte nicht immer günstig für eine län-

34 BWP 3/2004 gerfristige Verbundkooperation. Auf jeden Fall sollten kommunale Einrichtungen. Den Partnern entstehen so für die Wege für Auszubildende von vornherein so angelegt die Beteiligung am Verbund keine zusätzlichen Kosten. In sein, dass sie in akzeptabler Zeit zu bewältigen sind. anderen Fällen zahlen die jeweiligen Stammbetriebe dem ausführenden Verbundpartner einen für sie günstigen Kos- tenbeitrag.

Finanzierung von Ausbildungsverbünden ohne öffentliche Fördermittel Selbst finanzierte Ausbildungsverbünde sind von ihrer Fazit Konzeption her darauf angelegt, dass alle Verbundpartner Die Ergebnisse der Untersuchungen des BIBB haben ge- gleichermaßen Vorteile aus dem Arrangement ziehen. Sie zeigt, dass sich typische Rahmenbedingungen identifizieren bringen deshalb gute Voraussetzungen mit, auch auf Dauer lassen, unter denen Ausbildungsverbünde erfolgreich ini- zu existieren. Sie sind nicht auf eine bestimmte Organisa- tiiert werden können und welche Wege es für eine trag- tionsform festgelegt. Ein Großteil der Ausbildungsvereine fähige dauerhafte Selbstfinanzierung für diese Verbünde finanziert sich allein über Mitgliedsbeiträge. Die jeweilige gibt. Vor dem Hintergrund knapper werdender Fördermittel Höhe der Beiträge ist dabei abhängig vom Organisations- und um Mitnahmeeffekte und grad. So erhebt z. B. ein Ausbildungsverein, der sich als abwartendes Verhalten (auf Verbundfinanzierung ohne staat- „Selbsthilfeverein“ versteht, lediglich einmal im Jahr 25 o neue Förderprogramme) zu liche Fördermittel pro Person und 75 o pro Unternehmen, um daraus nicht vermeiden, hat ein Umdenken • Ausbildungsvereine finanzieren sich kostendeckende Veranstaltungen zu finanzieren. bei der staatlichen Förderung allein über Mitgliedsbeiträge Oft werden organisatorische Aufgaben ehrenamtlich über- von Verbundausbildung statt- • Organisatorische Aufgaben werden nommen. Die Leistungen, die die Verbundpartner erbringen, gefunden. An die Stelle der Be- ehrenamtlich übernommen basieren entweder auf dem Gegenseitigkeitsprinzip oder zuschussung von Sach-, Ver- • Bildungsträger übernehmen kleinere werden entgolten. Zum Teil entstehen selbst bei einseitigem waltungs- und Personalausga- Auftragsarbeiten Auszubildendenaustausch für den Partnerbetrieb keine wei- ben je zusätzlich geschaffenem • Ein finanzstarker Stammbetrieb über- teren Kosten. Auch bei Ausbildungskooperationen und Ausbildungsplatz tritt zuneh- nimmt die verbundbedingten Zusatz- Konsortien verlangen Unternehmen, die Auszubildende ih- mend die pauschale Förderung kosten rer Partner mit ausbilden, oft keine Kostenbeteiligung. verbundbedingter Zusatzkos- ten. Parallel dazu wird das Prinzip der Anschubfinanzie- Bildungsträger mit Lehrwerkstatt finanzieren sich häufig rung konsequenter angewendet mit dem Ziel, dass Ver- nicht nur aus den Dienstleistungen rund um die Erstaus- bünde sich nach einer geförderten Anlaufphase in der bildung, sondern übernehmen darüber hinaus kleinere Folge vollständig selbst finanzieren. In der Praxis erweist Auftragsarbeiten – meist für die eigenen Verbundpartner, sich dieses Vorgehen überwiegend als erfolgreiches Kon- was zum einen die Einnahmen erhöht, zum anderen den zept. Verbundinitiativen, die beabsichtigen, ihre Verbünde Auszubildenden die Gelegenheit gibt, im Rahmen einer von der Startphase an selbst zu finanzieren, werden insti- realen Auftragsabwicklung seine Qualifikationen zu erwer- tutionelle Beratungsleistungen angeboten (z. B. von Aus- ben. Diese Finanzierungsquelle findet sich vor allem bei bildungsberatern, Ausbildungsplatzentwicklern und bei der Bildungsträgern, die aus ehemaligen Lehrwerkstätten Bundesagentur für Arbeit), um so Lösungen zur Überwin- größerer Unternehmen hervorgegangen sind. dung von Anfangsschwierigkeiten zu finden. Bildungspoli- tisch angestrebt wird, bei der anstehenden Novellierung Manche Verbünde werden von einem finanzstarken Ver- des Berufsbildungsgesetzes die Verbundausbildung als bundinitiator als Stammbetrieb alleine getragen. Dies kön- eigenständige konjunkturunabhängige Säule der Berufs- nen Betriebe sein, Universitätsverwaltungen oder auch ausbildung zu verankern.6

Anmerkungen

1 Vgl. dazu den Beitrag von Ausbildung. Band 4: Handbuch 4 Vgl. DRINKHUT, V.: Selbst Verbundausbildung. In: Cramer, KREKEL, TROLTSCH und zum Coaching von Ausbildungs- finanzierte Verbünde: Ansatz- G. (Hrsg.): Jahrbuch Ausbil- ULRICH in diesem Heft initiativen. Bonn 2003 (als punkte zur Initiierung von Ver- dungspraxis 2004. Erfolgreiches 2 Vgl. BIBB (Hrsg.): STARegio – Downloads im Internet: bünden. In: Dokumentation zur Ausbildungsmanagement. Strukturverbesserung der Aus- http://www.af-bibb.de/links) Konferenz „Region – Betrieb – München/Unterschleißheim bildung in ausgewählten Regio- 3 Vgl. SCHLOTTAU, W.: Verbund- Kooperation“ am 21./22. Okto- 2004, S. 65–70 nen. Band 1: Rechtsratgeber für förderung: Anschubfinanzierung ber 2003 in Gelsenkirchen. 6 Vgl. BMBF: Eckwerte Reform die Verbundausbildung. Band 2: für betriebliche Ausbildungs- Bonn 2004, S. 40–42 berufliche Bildung. Bonn 2004 Gestaltung von Ausbildungsver- plätze. Ergebnisse einer Befra- 5 Vgl. zu den einzelnen Organisa- bünden. Band 3: Öffentliche gung von Verbundbetrieben und tionsmodellen für Verbünde z. B. Programme zur Förderung der -koordinatoren. In: BWP 32 SCHLOTTAU, W.: Qualifizierter (2003) Sonderausgabe, S. 28–30 Fachkräftenachwuchs durch

BWP 3/2004 35 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Girls’Day – ein wichtiges Instrument in der Berufsfrühorientierung Ein Erfahrungsbericht

Am 22. April 2004 ging der bundesweite GIRLS’DAY – NUR EIN ASPEKT DER BERUFSFRÜHORIENTIERUNG IN SACHSEN „Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag“ in die Der Girls’Day ist ein besonderer Tag der Berufsorientierung vierte Runde. Folgt man den aktuellen Zahlen für Mädchen und Jungen, ein spannender Projekttag außerhalb der Schule. Als Berufsfrühorientierung ist er eine auf der Aktionslandkarte für diesen Tag auf komplexe Herausforderung an viele Betroffene regional www.girlsday.de, so gab es über 5.000 Veran- und überregional. Er braucht die Vernetzung von Schule, Wirtschaft, Unternehmen, Eltern und vielen anderen Part- staltungen mit mehr als 108.000 Angeboten nern. Jeder Mitveranstalter ist eine inspirierende und akti- für Mädchen in verschiedenen Orten Deutsch- vierende Kraft und vermittelt wichtige Sichtweisen auf Berufe – Berufsfelder – Berufswahl – Berufstätigkeit. lands. Das war neuer Rekord. Die IHK-Bil-

dungszentrum Dresden gGmbH beteiligte sich Das Projekt Girls’Day – Mädchen-Zukunftstag gibt es seit 2001. Er stand 2004 im Zeichen des „Jahres der Technik“. in diesem Jahr zum zweiten Mal am Girls’Day. Der Schwerpunkt lag daher auf naturwissenschaftlichen und informationstechnologischen, technischen und tech- Der Andrang war groß. 381 Schülerinnen und niknahen Berufsbildern. In Werkstätten, Büros, Laboren Schüler nahmen in diesem Jahr die Mög- und Redaktionsräumen bot sich eine hervorragende Mög- lichkeit, Einblick in die Praxis verschiedenster Bereiche der lichkeit wahr, sich über Berufe rund um den PC Arbeitswelt zu gewinnen und Kontakte herzustellen. zu informieren. Es ist kein Schreibfehler: Die Koordination des Projektes hat das Kompetenzzentrum Frauen in Informationsgesellschaft und Technologie. Mädchen und Jungen. Im Beitrag wird über die Frauen geben Technik neue Impulse e. V., E-Mail: info@ Erfahrungen dieses Bildungszentrums bei der frauen-technik-impulse.de, Internet: www.girlsday.de

Gestaltung des Girls’Day berichtet. Der Widerhall auf die bundesweite Initiative „Girls’Day“ war in den ersten beiden Jahren von Bundesland zu Bun- desland unterschiedlich. Als eher verhalten kann man die Reaktion im Freistaat Sachsen bezeichnen. Ganz anders im vergangenen Jahr: Das Sächsische Staatsministerium für Kultus startete genau zu dem Zeitpunkt eine neue Aktion im Rahmen der Berufsfrühorientierung: die 1. Sächsische Berufsorientierungsinitiative „Neugier wecken – Berufe ent- decken“ vom 5. bis 10. Mai 2003 – Mädchenberuf – Jun-

RENATE KAPPLER genberuf, wen interessiert’s? Du wirst, was du willst! In Dr. paed. habil. diese Initiative ordnete sich der Girls’Day 2003 ein. Die Be- IHK-Bildungszentrum Dresden gGmbH reitschaft zur Teilnahme war bei Behörden, Institutionen, Unternehmen und überbetrieblichen Bildungseinrichtungen groß. Von Vorteil war auch, dass es keine Begrenzung auf

36 BWP 3/2004 zei, Bundesgrenzschutz und . Der Anteil von Jungen in sozialen und erzieherischen Berufen, wo sie dringend gebraucht werden, ist sehr klein. Das neue Fach soll ebenfalls helfen, Informationen zur ver- mitteln und falschen Vorstellungen zu begegnen.

ERFAHRUNGEN DES IHK-BILDUNGSZENTRUMS DRESDEN MIT DEM GIRLS’DAY Schüler/-innen waren bis zum Jahr 2001 nicht direkt Ziel- gruppe des IHK-Bildungszentrums Dresden. Das änderte sich mit dem Angebot zur Organisation und Durchführung von PC-Kursen für Mädchen „Mädchen macht euch fit für Technik“, die aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds fi- Hereinspaziert ...; die Mädchen werden am Check-In erwartet nanziell gefördert wurden. Der große Zulauf bestätigte die Konzeption. Vor diesem Hintergrund wurde für 2003 die einen Tag gab. Im Hintergrund stand das Bemühen, Berufs- Teilnahme am Girls’Day geplant. Eltern hatten uns direkt orientierung aus einer aspekthaft-punktuellen Betrachtung angesprochen, weil wir ein so offenes und vertrauensvolles in Verbindung mit lehrplanbezogenen Aufgabenstellungen Verhältnis zu ihren Mädchen aufgebaut hätten. in den Klassen acht und neun zu einer komplex-prozess- Wichtigster Eckpunkt in der konzeptionellen Phase waren haften und die Fächer verbindenden Aufgabe zu führen. die Fragen: Wie schaffen wir es, dass sich die Schülerin- Der Dresdner Arbeitskreis Wirtschaft – Schule unterstützte nen an diesem Tag bei uns wohl fühlen? Wie können sie diese Entwicklung. möglichst viele Informationen erhalten? Wie gestalten wir unsere eigene Vorbereitung auf diese Zielgruppe – ihre Er- Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch: Mit Beginn wartungen, ihre Sichten, ihre Fragen? des Schuljahres 2003/2004 wurde in Sachsen in Klasse 7 Die Rolle des Bildungszentrums konnte nur die des Rat- der Mittelschulen das Fach „Wirtschaft – Technik – Haus- gebers und nicht die des Ausbildungsberaters oder Ver- halt/Soziales“ eingeführt. In diesem Unterrichtsfach geht mittlers von Ausbildungsplätzen sein. Wir wollten vieles es um eine allgemeine und berufsvorbereitende Bildung, demonstrieren, erklären und zeigen, mit ihnen unvorein- um Voraussetzungen für eine berufliche Qualifizierung, um genommen diskutieren, ihnen viele Möglichkeiten des das Recht jedes jungen Menschen auf eine seinen Fähig- Selbstausprobierens, Testens bieten und ihnen Hilfestellun- keiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bil- gen empfehlen. Fremde Ratgeber haben oft mehr Chancen dung, um Chancengleichheit für alle Schüler.1 Das neue als vertraute Lehrer. Dabei wa- Fach wird künftig zur Stundentafel der Klassen 7 bis 9 ren wir uns der Probleme Die IHK-Bildungszentrum Dresden gehören, in Klasse 10 kann ein Vertiefungskurs gewählt durchaus bewusst: Die Schüle- gGmbH wurde 1995 gegründet. Sie werden. Mit dieser Maßnahme wird der Bedeutung der rinnen werden Bestätigung auf unterstützt die sächsischen Unterneh- „Berufsfrühorientierung“ von Jugendlichen Rechnung ihre Sichtweise auf das Leben men mit Bildungsmaßnahmen im getragen. Das hatte viele Gründe – u. a. das ungünstige erhoffen und ihre von Interes- Bereich der überbetrieblichen Ausbil- Verhältnis von vorhandenen Ausbildungsplätzen und Be- sen geleiteten Anfragen mehr dung für technische, kaufmännische werbern, von Nichtübernahme Ausgebildeter gerade im IT- als Imperativ stellen. Es ist an- und Büroberufe und fördert mit maßge- und Medienbereich, von Ausbildungsabbrüchen, von Ju- zunehmen, dass ihnen viele schneiderten Bildungsangeboten Berufs- gendarbeitslosigkeit. Immer mehr Schulabgänger suchten Antworten nicht gefallen wer- und Aufstiegschancen sowie den Ein- ihre Ausbildungschance in einem der alten Bundesländer. den. Also muss es um maßvol- stieg in neue und interessante Berufsfel- Ein Aspekt, diesem Trend entgegenzuwirken, setzt bei der le Hilfestellungen gehen beim der. Das Bildungszentrum verfügt über Berufswahl von Mädchen und von Jungen an. Es scheint, Erkennen der eigenen Ich-Rea- sehr gut ausgestattete Fachräume und als bliebe die Zeit still stehen: Mädchen wünschen sich – lität (was sie wirklich können), Werkstätten, eine DVS-Kursstätte, ein wie in alten Zeiten – vorrangig traditionelle „weibliche“ beim Erklären, dass Arbeits- CNC-Trainingzentrum, ein Bildungs- und Ausbildungsberufe im Dienstleistungsbereich mit unter welt, Medienwelt und Traum- Informationszentrum Umweltschutz dem Durchschnitt liegenden Verdienstmöglichkeiten sowie welt keine Harmonie eingehen sowie eine WirtschaftsAkademie. Es ist meist nur geringen Aufstiegschancen. In den IT-Ausbil- können, dass das tägliche Um- Landesstützpunkt für den Freistaat Sach- dungsberufen und in den Informatikstudiengängen bleiben feld eher eine Arbeits- und sen im BMBF-Ausbildungsstrukturprojekt die Mädchen unterrepräsentiert. Wissensgesellschaft als eine Regio-Kompetenz-Ausbildung und orga- Jungen wünschen sich – auch wie in alten Zeiten – Berufe Spaßgesellschaft ist und dass nisiert in diesem Rahmen Formen der im Umfeld von Kraftfahrzeugen, Haus und Straße, von die Arbeitswelt nur anfangs überbetrieblichen Ausbildung in einem Flugzeug und Maschinen. Dazu kommen zunehmend Poli- als eher fremde und manchmal von ihr initiierten Ausbildungsverbund.

BWP 3/2004 37 THEMA

Übersicht Aktivitäten des IHK-Bildungszentrums Dresden gGmbH im Rahmen des Dann war es soweit: Alle Werkstätten waren bereit für neu- Girls’Day 2003 gierige Fragen zu Maschinen, Berufen und Tätigkeiten. Die Ausbilder, Trainer und Dozenten waren zur Moderation in Mitmachaktion 1 PC-Technik, die begeistert – der gläserne PC den Mitmachaktionen der 78 Teilnehmer, darunter acht In Werkstätten nachfragen, mitmachen, sich ausprobieren; Jungen, bestens gerüstet. Der Check-in war durchkompo- Innenleben eines PCs kennen lernen. Können auch Mädchen einen PC „verstehen“ und vielleicht aufbauen? niert. Der Countdown lief. Mitmachaktion 2 Mädchen, Metall und Mechatronik Mechatroniker – ein Beruf für Mädchen? Was hat ein Staubsauger mit Mechatronik zu tun? FAZIT Mitmachaktion 3 Elektrotechnik und Elektronik konkret Bestücken und Löten von Leiterplatten Es geht an dem Tag nicht vordergründig um einen Ausbil- Mitmachaktion 4 Internetkompetenz – Berufsorientierung leicht gemacht dungsplatz. Vielmehr geht es um Umsicht und Weitsicht in Internet-Info-Netz zu Ausbildungsberufen und Studium, zu dem weiten Feld der Berufsorientierung. Wer noch nie eine Lehrstellenbörsen und zum Bewerbungsprocedere CNC-Maschinen in Aktion gesehen hat, aber in den Stel- Mitmachaktion 5 Internetkompetenz – ICH im Internet Gestalten einer eigenen kleinen Homepage – neue Wege der lenangeboten darauf aufmerksam wird, sollte die Chance Selbstdarstellung bekommen, eine entsprechende Werkstatt zu besuchen, Mitmachaktion 6 Kreativ am PC und die Technik dahinter kennen nachzufragen, welche Berufe mit der Maschine „in Verbin- Souverän mit Standardsoftware arbeiten – eine Basis für viele Berufe dung“ stehen. Mitmachaktion 7 Schnell am PC – 10-Finger-Schreib-System Kennen lernen einer Lernsoftware für das 10-Finger-Schreib-System Berufsorientierung ist Aufgabe vieler Partner. Deshalb ist Mitmachaktion 8 Bewerbertraining vor der Kamera Mit Medienfachleuten die eigene Präsentation diskutieren – das Vernetzung groß geschrieben: Kleine Unternehmen haben andere Casting objektiv ihre Grenze; größere mit eigenständigen Verant- Mitmachaktion 9 Wege der Berufsorientierung und Eignungstests wortungsbereichen für Personalentwicklung, Aus- und Welcher Beruf „passt“ wirklich zu mir? Weiterbildung können mehr Möglichkeiten nutzen. Ein- richtungen der überbetrieblichen Ausbildung mit einem entsprechenden materiellen und technischen Hintergrund vielleicht gefürchtete „Insel“ (Ortswechsel, Arbeitszeit, Un- sind besonders gefragt. Sie haben eine besondere Nähe zu terordnung, Stress, Angst vor Aufgaben und Konflikten den Ausbildungsberufen und allen damit verbundenen …) erfahrbar wird. Neuerungen, zu jungen Leuten und ihren Einstellungen, Auch die Seite der Unternehmer, ihre Erwartungshaltung an zur Situation um Ausbildungsplätze, zu den Anforderun- Schulabgänger, musste beachtet werden. Unternehmer ha- gen an Prüfungen in der Erstausbildung. ben klare Vorstellungen von den beruflichen Tätigkeiten und möglichen Stellen und genau davon ausgehend wissen Unser Vorgehen wurde in folgenden Punkten bestätigt: sie, welches Verhalten, welche Einstellungen, welche Leis- • Der Girls’Day sollte inhaltlich so dimensioniert sein, dass tungsbreite sie erwarten müssen. Da spielen z. B. die „Kopf- IT-, Internet- und Technikkompetenz sowohl als Zeichen noten“ des letztes Halbjahreszeugnisses eine große Rolle. Es von Lebensqualität und Alltagserleben als auch als Chan- würde sich wohl ein weites Feld für Diskussionen auftun. ce für die breite Palette an Ausbildungsberufen erlebt wer- den kann: Keine Angst vor ... dafür ... Lust auf Technik! Bezogen auf die vermuteten Erwartungshaltungen der Ju- • Mitmachaktionen sollten im Mittelpunkt stehen. Dabei gendlichen wurden neun Mitmachaktionen vorbereitet, die geht es um Vielfalt, um Einfaches und Schwierigeres. Sie jeweils ca. 80 Minuten dauern und dreimal an dem Tag sollten zum Nachdenken anregen und auf Nachhaltigkeit durchgeführt werden sollten. (vgl. Übersicht) Damit waren die (für Gespräche mit Eltern, Lehrern u. a.) fokussiert sein. Aktivitäten auf keinen „Tourismus“, kein „bloßes Zuhören“ • Mitmachaktionen müssen in ihrem Anspruchsniveau, in ausgerichtet, vielmehr sollten die Mädchen/Jungen an die- ihrem Aufbau und in ihrem Umfang die Mädchen und sem Tag selbst Akteure sein. Entsprechend der sächsischen Jungen (Alter!) dort „abholen“, wo sie „stehen“. Gesamtkonzeption wurden natürlich auch Schüler eingela- • Mitmachaktionen sollten sehr unterschiedlicher Art sein den und der Titel so geändert in: Girls’Day 8. Mai 2003 – und von offenen Gesprächsrunden zu Berufen, beruf- Berufsorientierung konkret für girls und boys.“ lichem Alltag u. a. flankiert werden. Die Vorbereitung auf diese Mitmachaktionen war sehr auf- wändig. Unterstützung gaben vor allem die „Gesellschaft Inzwischen hat der vierte Girls‘Day stattgefunden. Es gab zur Förderung von Bildungsforschung & Qualifizierung 381 Teilnehmer. Da nicht alle Teilnahmewünsche umgesetzt mbH (GEBIFO)“ im Rahmen des BMBF-Ausbildungs- werden konnten, wurde ein 4-Stundenprogramm für Schul- strukturprojektes Regio-Kompetenz-Ausbildung sowie das klassen geplant, das den Schulen einen kostenfreien „Kompetenzzentrum Frauen in Informationsgesellschaft Projekttag im Bildungszentrum und seinen Werkstätten er- und Technologie. Frauen geben Technik neue Impulse e. V.“ möglicht. unter www.girls-day.de. Das Feedback auf die ersten Veranstaltungen war gut.

38 BWP 3/2004 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Ausbildungsbetriebsquoten: welche Aussagekraft haben sie?

Die Ermittlung von Ausbildungsbetriebs- In Zeiten eines akuten Mangels an Ausbildungsplätzen, in denen die Bundesregierung die Einführung einer Ausbil- quoten gehört zum festen Repertoire der dungsplatzabgabe plant, wächst auch in der Öffentlichkeit quantitativen Analyse betrieblicher Ausbil- das Interesse an den Ergebnissen quantitativer Messungen von Ausbildungsleistungen. In den Medien werden entspre- dungsleistungen. Ob das angesichts unter- chende Quoten nicht immer richtig interpretiert und geben schiedlicher Betriebsgrößen zu rechtfertigen damit Anlass zu Missverständnissen. Das trifft vor allem für die Interpretation von Ausbildungsbetriebsquoten zu.1 ist, wird mittels empirischer Daten und ein- Ausbildungsbetriebsquoten werden definiert als Anteil der zelner Fallbeispiele untersucht. Ergebnis ist, ausbildenden Betriebe an den Betrieben insgesamt. Sie ge- ben also darüber Auskunft, wie viele Betriebe zu einem be- dass unter bildungspolitischem Aspekt Ausbil- stimmten Zeitpunkt als ausbil- dungsbetriebsquoten nur begrenzte Rück- dende Betriebe tatsächlich Ausbildungsbetriebsquote: tätig sind. Dabei kann der Be- Anteil der ausbildenden Betriebe an schlüsse auf die quantitativen Ausbildungs- zugspunkt sowohl eine be- den Betrieben insgesamt stimmte Gruppe von Betrieben Ausbildungsquote: leistungen und Ausbildungsplatzreserven (Betriebsgrößenklassen), ein Anteil der Auszubildenden an der zulassen. Im Beitrag werden die Unterschiede einzelner Wirtschaftsbereich Gesamtzahl aller sozialversicherungs- aber auch die gesamte Wirt- pflichtig Beschäftigen. zwischen Ausbildungsquoten und Ausbil- schaft sein. Ausbildungsbe- dungsbetriebsquoten erläutert und an Bei- triebsquoten sagen noch nichts über die quantitative Aus- bildungsleistung einer bestimmten Gruppe von Betrieben. spielen illustriert. aus. Das wiederum leistet die Ausbildungsquote. Sie be- zieht die Zahl der Auszubildenden auf die Zahl der jeweils versicherungspflichtig Beschäftigten (vgl. Kasten).

Zur Charakterisierung des Ausbildungsverhaltens der Wirt- schaft werden in der Regel beide Quoten herangezogen. Wo dabei die Grenzen der Aussagekraft der Ausbildungsbe- triebsquote liegen, soll im Folgenden hinterfragt werden.

Ausbildungsbetriebsquoten und

HEINRICH ALTHOFF Ausbildungsquoten im Vergleich Dipl.-Soz., wiss. Mitarbeiter im Arbeitsbereich „Früherkennung, neue Beschäftigungsfelder, Übersicht 1 weist die Berechnungsergebnisse für die Aus- Berufsbildungsstatistik“ im BIBB bildungsbetriebsquote und die Ausbildungsquote nach ein- zelnen Betriebsgrößenklassen aus.2 Auffallend ist zunächst,

BWP 3/2004 39 THEMA

dass die Ausbildungsbetriebsquote mit zunehmender Be- abnehmender Betriebsgröße (vgl. Übersicht) in wachsendem triebsgröße sehr deutlich ansteigt. Bei Großbetrieben mit Umfange Betriebe, die keine Ausbildungsbetriebe sind. Die mehr als 500 Beschäftigten erreicht sie über 90 Prozent. Feststellung, dass ein Betrieb Ausbildungsbetrieb ist, be- Offenbar gibt es hier besonders viele Betriebe, die ausbil- sagt also über den tatsächlichen Ausbildungsumfang ten- den. Das Gegenteil gilt für Kleinbetriebe mit weniger als denziell umso weniger, je mehr Beschäftigte er aufweist. zehn Beschäftigten, von ihnen bilden nur 17 Prozent aus. Das ist nicht einmal ein Fünftel des für Großbetriebe gel- Dieser Zusammenhang lässt sich an folgendem Beispiel tenden Wertes. besser nachvollziehen: Angenommen, die Zahl der Be- schäftigten sei für zwei Gruppen von Betrieben identisch. Übersicht Die quantitativen betrieblichen Ausbildungsleistungen gemessen in Dabei soll die eine Gruppe aus fünf Betrieben mit je 1000 Ausbildungsbetriebsquoten und Ausbildungsquoten Beschäftigten bestehen, die zweite aus 1000 Betrieben mit je fünf Beschäftigten. Bilden beide Gruppen annähernd

Betriebe und Ausbildungsbetriebe1 nach Betriebsgrößenklassen durchschnittlich aus, also etwa 300 Jugendliche, und wer- in den alten Ländern im Jahr 2002 den diese 300 Jugendlichen per Zufall über jede der bei-

Beschäftigte den Gruppen verteilt, dann werden mit nahezu hundert- prozentiger Wahrscheinlichkeit alle fünf Großbetriebe zu 1 bis 9 10 bis 49 50 bis 499 500 und mehr gesamt Ausbildungsbetrieben. Unter den 1000 Kleinbetrieben aber Betriebe insgesamt 1.308.283 254.767 64.209 4.131 1.631.390 werden es höchstens 300 Betriebe sein, also maximal 30 Ausbildungsbetriebe 229.982 118.879 43.920 3.779 396.560 Beschäftigte Prozent. Obwohl die Ausbildungsquote für beide Gruppen insgesamt 3.835.683 5.061.622 8.068.136 5.071.212 22.036.653 gleich ist, ergeben sich also höchst unterschiedliche Aus- Auszubildende 326.195 353.098 434.164 249.293 1.362.750 bildungsbetriebsquoten. Ausbildungs- betriebsquote2 17,6 46,7 68,4 91,5 24,3 Die tatsächlich erbrachten Ausbildungsleistungen – also Ausbildungsquote3 8,5 7,0 5,5 4,9 6,2 das, was einerseits für die einen Ausbildungsplatz suchen- den Jugendlichen, andererseits aber auch für die auf den Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung Nachwuchs angewiesene Wirtschaft maßgebend ist – spie- 1 Auszubildende mit Ausbildungsvertrag nach Personengruppenschlüssel (102 und 104) Quelle: Beschäftigten- und Betriebsstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Ergebnisse jeweils zum gelt sich wegen dieser Zusammenhänge nicht in der Aus- 31. Dezember 2 Ausbildungsbetriebsquote = Ausbildungsbetriebe/Betriebe insgesamt bildungsbetriebsquote, sondern allein in der Ausbildungs- 3 Ausbildungsquote = Auszubildende/sozialversicherungspflichtige Beschäftigte insgesamt quote wider.

Was besagt dann aber die Ausbildungsbetriebsquote? Eine Werden statt der Ausbildungsbetriebsquoten die Ausbil- hohe Ausbildungsbetriebsquote signalisiert, dass sich im je- dungsquoten betrachtet, dann gilt das Gegenteil: Kleinbe- weiligen Erfassungsjahr relativ viele Betriebe an der Be- triebe weisen hier eine annähernd doppelt so hohe Rate auf rufsausbildung beteiligen. Welche quantitativen Ausbil- (8,5 %) wie Großbetriebe (4,9 %). – Augenscheinlich verlau- dungsleistungen diese Betriebe tatsächlich erbringen, kann fen die Ergebnisse beider Quoten genau konträr, und es aus der Ausbildungsbetriebsquote prinzipiell nicht er- fragt sich, wie derartig divergierende Ergebnisse zu inter- schlossen werden. Die Auswertungen nach Betriebsgrößen- pretieren sind. Denn sicher ist es erklärungsbedürftig, dass klassen (vgl. Übersicht) lassen zwar einen Zusammenhang Klein- und Mittelbetriebe in Bezug auf ihre Beschäftigten- zwischen Ausbildungsbetriebsquote und Ausbildungsquote zahlen zwar erheblich mehr Jugendliche ausbilden als erkennen, nur verläuft der genau umgekehrt wie eigentlich Großbetriebe, aber in Hinblick auf den Anteil der Ausbil- zu erwarten wäre, denn mit wachsenden Ausbildungsbe- dungsbetriebe an den Betrieben insgesamt dennoch we- triebsquoten fallen die Ausbildungsquoten. Hohe Ausbil- sentlich ungünstiger abschneiden. dungsbetriebsquoten verweisen also – im Mittel – nicht etwa auf überdurchschnittliche, sondern tendenziell eher auf das Gegenteil, auf unterdurchschnittliche quantitative Ausbildungsleistungen. Ausbildungsbetriebsquoten, führen Warum sind die Quoten so also leicht zu Fehleinschätzungen – bspw., dass Großbe- unterschiedlich? triebe, weil sie besonders hohe Ausbildungsbetriebsquoten aufweisen, im Schnitt auch besonders hohe quantitative Großbetriebe sind unabhängig davon, ob sie bedarfsgerecht Ausbildungsleistungen erbringen. ausbilden oder nicht, beinahe notwendig Ausbildungsbe- triebe, auch wenn sie im Extremfall nur einen Lehrling Bei niedrigen Ausbildungsbetriebsquoten, wie sie für klein- ausbilden. Für Klein- und Kleinstbetriebe gilt das Gegen- betriebliche Strukturen typisch sind, ist die Bewertung der teil. Obgleich sie gemessen an der Zahl der Beschäftigten Ausbildungsbetriebsquote als Indikator für unausge- überproportional viele Jugendliche ausbilden, gibt es mit schöpfte Ausbildungsplatzreserven ebenfalls fragwürdig:

40 BWP 3/2004 Aussagekraft Denn auch wenn Kleinbe- von Quoten Es bleibt indes anzumerken, dass auch bei der Interpreta- triebe aktuell nicht ausbil- tion von Ausbildungsquoten Schwierigkeiten auftreten kön- den, können sie vergleichs- hinterfragen nen. Denn für einen Kleinbetrieb mit fünf Beschäftigten ist weise hohe quantitative es sicher leichter, die Ausbildungsquote von 20 % auf 40 % Ausbildungsleistungen er- zu erhöhen, als für einen Betrieb mit 100 Beschäftigten. Im bringen. Das leuchtet unmit- ersten Fall müsste ein Auszubildender mehr ausgebildet telbar ein, wenn von recht werden, im zweiten Fall wären dagegen 20 Auszubildende kleinen Betrieben mit zwei zusätzlich auszubilden.5 Die Ausbildungsquote kann also Beschäftigten ausgegangen wird, die nur alle sechs Jahre nicht völlig losgelöst vom zugrunde liegenden quantitati- jeweils einen Jugendlichen für eine dreijährige Ausbildung ven Niveau interpretiert werden. einstellen. Hier errechnet sich eine Ausbildungsquote von 20 Prozent. Trotz der vergleichsweise hohen quantitativen Ausbildungsleistung erreichen solche Betriebe – obgleich sie in unserem Beispiel alle ausbilden – im Schnitt nur eine Fazit Ausbildungsbetriebsquote von 50 Prozent.3 Indikatoren haben stets Stärken und Schwächen und kön- Ursache ist, dass sie aufgrund ihres alternierenden Ausbil- nen letztlich nicht mehr Informationen erbringen als ihre dungsverhaltens nur in drei von sechs Jahren von der Be- Konstruktion erlaubt. Bei einem bildungspolitisch so bri- schäftigtenstatistik als Ausbildungsbetrieb erfasst werden.4 santen Thema wie der Ausbildungsleistung von Betrieben Der Versuch, solche Betriebe zu weiteren Ausbildungsan- ist also genau auf die Möglichkeiten und Grenzen der Aus- strengungen aufzufordern, mag zwar erfolgreich verlaufen, sagekraft der jeweiligen Quoten zu achten. Die Ausbil- doch anzunehmen, Kleinbetriebe erbrächten zu geringe dungsbetriebsquote gibt keine klaren Hinweise auf Ausbil- quantitative Ausbildungsleistungen, weil dort die Ausbil- dungsplatzreserven und fällt aufgrund ihrer Struktur umso dungsbetriebsquoten besonders niedrig sind, wäre zweifel- günstiger aus, je mehr Beschäftigte die untersuchten Be- los ein typischer Fehlschluss und verweist erneut auf den triebsgrößen aufweisen. Kleinbetriebe haben daher trotz ih- leicht zu Irrtümern führenden Charakter der Ausbildungs- rer bemerkenswert hohen quantitativen Ausbildungslei- betriebsquote. stungen recht geringe Ausbildungsbetriebsquoten. Die Folge ist häufig ein in der Öffentlichkeit und den Medien Soll ein alternierendes Ausbildungsverhalten in einer Aus- vergleichsweise negatives Bild ihres tatsächlich besonders bildungsbetriebsquote berücksichtigt werden, so müsste an hohen Ausbildungsengagements, weil die genannten Un- die Stelle einer zeitpunktbezogenen Betrachtung ein sich terschiede einer breiten Öffentlichkeit nicht präsent sind. über mehrere Jahre erstreckender Zeitraum treten, in dem abgefragt wird, ob ein Betrieb innerhalb dieses Zeitraums Die mangelnde Berücksichtigung dieser Einschränkungen ausgebildet hat. Das ist notwendig, weil die Chance, als Aus- führt leicht zu einer wenig realitätsgerechten Beurteilung bildungsbetrieb erfasst zu werden, bei einer zeitpunktbezo- des Ausbildungsstellenmarktes. Nur wenn die den jeweili- genen Betrachtung für Großbetriebe ungleich günstiger ist. gen Bewertungen und Urteilen zugrunde liegenden Quoten in Hinblick auf ihre Aussagekraft hinterfragt werden, las- sen sich Fehlurteile vermeiden.

Anmerkungen

1 Vgl.: „Süddeutsche Zeitung“ 2 Die Angaben wurden dem Berufs- obwohl alle Betriebe ihreAufga- wicklungs- und Forschungsab- vom 1. 3. 04: „Umlage vernich- bildungsbericht der Bundesregie- be bei der Nachwuchsausbildung teilungen oder auch Rechtsab- tet Arbeit“. Die zugeordnete rung entnommen. BMBF (Hrsg.), weit über ihren Eigenbedarf teilungen. Solche nicht ausbil- Grafik (Lehrstellen – Ausbil- Berufsbildungsbericht 2004, hinaus erfüllen. dungsfähigen Bereiche senken dungsreserven) suggeriert, dass Übersicht 52 und 53, S. 114 f. 4 Hier ist weiter zu berücksichti- bei Groß- und Kleinbetrieben gerade bei Kleinbetrieben be- 3 Wenn 20 Kleinbetriebe mit zwei gen, dass es vor allem unter die Ausbildungsquote. Das gilt sonders hohe Ausbildungsplatz- Beschäftigten alle sechs Jahre den Kleinbetrieben (1–9 Be- jedoch nicht für die Ausbil- reserven bestehen. Das ist aber jeweils einen Jugendlichen für schäftigte) einen sehr hohen dungsbetriebsquote; die sinkt aus der Ausbildungsbetriebsquo- eine dreijährige Lehre einstellen, Anteil von nicht ausbildungsbe- nur bei den Kleinbetrieben, weil te nicht herleitbar. Vgl. auch dann errechnet sich im Schnitt rechtigten Betrieben gibt. Das hier das Ingenieurbüro oder die „Focus“ Nr. 12. vom 15. 3. 04: eine Ausbildungsquote von können beispielsweise Werbe- eigenständige Kantine als nicht „Lehrstellenabgabe“. Die zuge- 20 Prozent (0,5 Jugendliche pro agenturen, Kantinen oder auch ausbildungsfähiger Betrieb ordnete Graphik (Großbetriebe Erfassungsjahr/2,5 Beschäftigte Ingenieurbüros sein. Prinzipiell gewertet wird, der als solcher vorn) behauptet, dass Großbe- = 0,2). Da von den 20 Ausbil- tritt dies Phänomen natürlich in den Nenner der Ausbildungs- triebe einen besonders hohen dungsbetrieben aber im Schnitt auch bei Großbetrieben auf, nur betriebsquote eingeht. Anteil von Ausbildungsplätzen nur 10 Betriebe aktuell ausbil- sind es hier Arbeitsbereiche 5 Bei konstanter Beschäftigungs- ausweisen, obwohl tatsächlich den, beträgt die Ausbildungs- innerhalb der Großbetriebe, zahl das Gegenteil der Fall ist. betriebsquote nur 50 Prozent, die nicht ausbilden, z. B. Ent-

BWP 3/2004 41 THEMA JUGENDLICHE IN AUSBILDUNG!

Kein Abschluss ohne Anschluss – zur Gestaltung zweijähriger Ausbildungsberufe in der Schweiz

Das BIBB untersucht die „Akzeptanz von Zur Situation in Deutschland In Deutschland verbleiben derzeit ca. 15 % der Jugendlichen zweijährigen betrieblichen Ausbildungsgän- eines Jahrgangs ohne beruflichen Abschluss; Tendenz: stei- gen“, um so das Potenzial an zusätzlich zu gend. Sie gelten als „benachteiligt“ und stehen im Zentrum einer kontrovers geführten Diskussion um die Einführung gewinnenden Ausbildungsplätzen abzuschät- von theoriegeminderten, zweijährigen Ausbildungsgängen, zen. Dass damit besondere bildungspolitische die diesem Personenkreis Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und zu nachhaltiger Beschäftigungsfähigkeit und pädagogische Fragestellungen verbunden eröffnen sollen. Deshalb hatte die Hartz-Kommission vor- sind, zeigt ein Blick in die Schweiz, wo in geschlagen, mehr differenzierte, arbeitsmarktfähige Ausbil- dungsberufe zu entwickeln, um zusätzlich Betriebe in die Pilotprojekten nach Antworten gesucht wird. berufliche Ausbildung einzubeziehen. In den Koalitionsver- Drei Kernelemente kennzeichnen alle Projekte einbarungen der damals neuen Bundesregierung vom 16. 10. 2002 wurde dieser Vorschlag aufgegriffen und an- in der Schweiz: die Anschlussfähigkeit aller gekündigt, „differenziertere, zweijährige Ausbildungsberufe ein(zu)führen“ (Koalitionsvertrag, S. 15). In Verbindung mit beruflichen Abschlüsse, ein Rechtsanspruch weiteren Maßnahmen und einer Reform des Berufsbil- auf besondere Förderung für Jugendliche mit dungsgesetzes soll so „mehr Jugendlichen eine echte Chance auf eine Ausbildung (ge)geben“ werden. Im Papier schlechten Startchancen und berufsspezifische des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) Lösungen. „Eckwerte Reform berufliche Bildung“ vom 9. 2. 2004 heißt es schließlich: „Soweit hierfür nachhaltige Beschäftigungs- und Entwicklungschancen auf dem Arbeitsmarkt bestehen, sollen deshalb in Zukunft auch weniger komplexe, darunter zweijährige und gestufte Ausbildungen geordnet werden.“ Zwischenzeitlich ist mit der Arbeit an Ausbildungsordnun- gen für mehrere zweijährige Ausbildungsberufe begonnen worden, wobei die Arbeitnehmervertreter ihre Mitwirkung aufgekündigt haben. Denn, so der DGB, „Wir halten nichts EDITH BELLAIRE von den zweijährigen Berufen.“ 1 M. A., wiss. Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Forschungs- und Dienstleistungsplanung“ im BIBB Das Schweizer Beispiel Anders stellt sich die Situation in der Schweiz dar. Die

HARALD BRANDES Schweiz steht am Ende eines langjährigen Diskussionspro- Dipl. Soz., Leiter des Arbeitsbereichs zesses, der auch die Möglichkeiten und Bedingungen von „Forschungs- und Dienstleistungsplanung“ Ausbildungsgängen für Lernbeeinträchtigte umfasst. Mit im BIBB der Überführung der beruflichen Bildung in die Gesamt- verantwortung des Bundes und die damit verbundene Ent-

42 BWP 3/2004 wicklung eines neuen Berufsbildungsgesetzes (nBBG), das der mittels Pilotprojekten in den Kantonen unterschiedliche am 1. 1. 2004 in Kraft getreten ist, wurden auch neue Kon- Wege erprobt, auf denen das Ziel „kein Abschluss ohne An- zepte für die Berufsbildung in zweijährigen Ausbildungs- schluss“ erreicht werden kann. gängen entwickelt, konkret: die Ablösung der bisherigen ein bis zweijährigen „Anlehre“ durch eine „Attestausbil- 1. Standardisierung, Ausbildungs- und Prozesseinheiten dung“, die systematisch in ein abgestimmtes Aus- und Das erste Kernelement definiert die Attestausbildung zu ei- Weiterbildungskonzept von schulischer und betrieblicher nem integralen Modell, das für die Grundausbildung und Bildung eingebettet ist. In 21 Pilotprojekten (vgl. Abb. 1) die Weiterbildung gleichermaßen geeignet ist. Erreicht wer- werden gegenwärtig die Voraussetzungen und Rahmenbe- den soll ein modulares System, das rasch auf Veränderun- dingungen für die Umsetzung dieser Attestausbildung in gen des Arbeitsmarktes reagiert und auch die Bedürfnisse die Praxis erprobt. von Behinderten berücksichtigt, weil einzelne Einheiten situationsadäquat und in der individuell benötigten Zeit abgeschlossen werden können. VON DER „ANLEHRE“ ZUR „BERUFLICHEN GRUNDBILDUNG MIT ATTEST“ 2. Fachkundige individuelle Begleitung Seit 1980 gab es (und wird es für eine Übergangszeit noch Hier findet sich der gesetzliche Anspruch auf individuelle geben) für „vorwiegend praktisch Begabte“ die Anlehre. Förderung, also kostenträchtige Maßnahmen, die Jugend- Anlehrlinge werden ein- bis zweijährig wie Lehrlinge in lichen mit Lernschwierigkeiten zugute kommen. Klarge- Betrieben ausgebildet und besuchen an einem Tag in der stellt wird auch, dass das Personal hierfür in besonderer Woche die Berufsschule in speziellen Klassen. Die Ausbil- Art und Weise geschult werden und dass eine passgenaue dungsinhalte werden auf die spezifischen Möglichkeiten Förderdidaktik entwickelt werden muss. der Jugendlichen zugeschnitten. Die Stärke dieses Verfah- rens ist zugleich seine Schwäche: Die intensive Berück- 3. Betriebliche Ausbildung sichtigung des individuellen Arbeits- und Leistungsvermö- Die Attestausbildung im Betrieb orientiert sich an den In- gens verhindert(e) eine gesellschaftlich anerkannte Wert- halten und Zielen der dreijährigen Ausbildung mit Eid- schätzung, da fehlende allgemeine und vergleichbare genössischem Fähigkeits-Zeugnis-(EFZ-)Abschluss. Die ver- Standards den Anlehren den Geruch von Sackgassenberu- mittelten Lerninhalte werden unmittelbar im Betrieb ange- fen verleihen. wendet. Funktionale Voraussetzung hierfür ist eine enge Das neue Berufsbildungsgesetz will mit der Einführung ei- Kooperation der Ausbildungspartner. ner in der Regel zweijährigen „berufspraktischen Bildung mit Attestabschluss“ zu einer anerkannten gesamtschwei- 4. Überbetriebliche Kurse (üK) zerischen Qualifikation führen. Der Artikel 17,1 des Die überbetrieblichen Kurse vermitteln den systematisch– schweizerischen Berufsbildungsgesetzes schafft zeitlich al- praktischen Teil einer Ausbildung. Sie waren bisher nur in lerdings einen weiten Rahmen: „Die berufliche Grundbil- den EFZ-Ausbildungen obligatorisch, werden aber nun dung dauert zwei bis vier Jahre,“ und konkretisiert dies im auch fester Bestandteil der Attest-Ausbildung. Artikel 18,1: „Für besonders befähigte oder vorgebildete Personen sowie für Personen mit Lernschwierigkeiten oder 5. Schulische Ausbildung Behinderungen kann die Dauer der beruflichen Grundbil- In der Berufsschule erfolgt die Förderung der Grundkom- dung angemessen verlängert oder verkürzt werden.“ Das petenzen, der Kulturtechniken und der Persönlichkeits- Gesetz sieht ausdrücklich vor, die Ausbildungsdauer zu bildung. Die Vermittlung erfolgt integriert mit dem fach- verlängern bzw. Weiterbildungsmöglichkeiten zu eröffnen, kundlichen Unterricht und setzt bei den Lehrern fundiertes was beides eine starre Grenzziehung verhindern soll. Wissen über lernpsychologische Grundlagen, didaktische Kenntnisse und ein besonderes methodisches Repertoire voraus. DIE KERNELEMENTE Die wesentlichen Punkte sind einvernehmlich in neun 6. Attestabschluss Kernelementen festgelegt, die die gesetzlichen Vorgaben Der Abschluss erfolgt anhand von Nachweisen über schuli- beachten, die sozialpolitischen und pädagogischen Anfor- sche und betriebliche Teilabschlüsse und dokumentiert den derungen an die berufliche Grundbildung konkretisieren Ausbildungsstand mit Blick sowohl auf den Arbeitsmarkt als und nicht zuletzt die bildungspolitischen Postulate inte- auch die Integration in das Weiterbildungssystem. Es ist ein grieren. Sie sind das Ergebnis „eines Konsensbildungspro- anerkanntes, standardisiertes und vergleichbares Zeugnis. zesses und verstehen sich als Richtlinien für die Umsetzung der Attestausbildung in die Praxis.“ 2 Dies ist also kein „von 7. Durchlässigkeit und EFZ-Abschluss oben“ verordneter Vorgang, sondern stellt sich als lang- Die Durchlässigkeit zwischen zweijähriger Attest- und drei- jähriger, sorgfältig geplanter und abgestimmter Prozess dar, jähriger EFZ-Ausbildung ist in beiden Richtungen nach je-

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dem Ausbildungsjahr gewährleistet. Wegen der konsequen- ZWEI DIESER KERNELEMENTE BEMERKENSWERT ten Kompatibilität beider Ausbildungsgänge ermöglicht die • Für jede Attestausbildung gibt es einen weiterführenden Attestausbildung einen Zugang zum eidgenössischen dreijährigen Ausbildungsberuf. In Deutschland ist dies Fähigkeitszeugnis unter Anrechnung der absolvierten Mo- nicht gewährleistet. dule. Auch ist bei Schwierigkeiten während der EFZ-Aus- • Die Rahmenbedingungen für die Ausbildung von Lern- bildung ein Umstieg in die Attestausbildung mit Anspruch beeinträchtigten eröffnen diesem Personenkreis gute auf zusätzliche Förderung möglich. Chancen, denn: „Der gesetzliche Anspruch auf fachkun- dige individuelle Begleitung für Personen mit Lern- 8. Weiterbildung/Erweiterte Grundausbildung schwierigkeiten ist auf Grund der persönlichen und ge- Neben der Möglichkeit, einen EFZ-Abschluss im Rahmen sellschaftlichen Realitäten ein Generalanspruch aller einer anschließenden betrieblichen Ausbildung zu errei- Lehrlinge auf Atteststufe. Es handelt sich um ein zusätz- chen, bietet sich den Attestlehrlingen auch die Chance, liches Förderangebot, das den Lern- und Entwicklungs- weitere Module mit abschließender Zertifizierung als Zu- prozess unterstützt und eng mit den schulischen und för- satzqualifikationen zu absolvieren. derdidaktischen Maßnahmen koordiniert ist. Die fach- kundige Begleitung setzt die spezifische Qualifizierung 9. Trennung von Bildungsweg und Abschluss sowie Aner- der Begleiter/-innen und die Bereitstellung zusätzlicher kennung informell erworbener Kompetenzen Mittel voraus.“ Das System der Lerneinheiten dient auch der Nachqualifi- Die praktische Umsetzung im Pilotprojekt „Verkauf Kan- zierung ehemaliger Anlernlinge und von Ungelernten. ton Schwyz“ lautet dann z. B. so: „Die Fachlehrerin Ver- Hierbei werden über Assessment-, Gleichwertigkeits- und kaufskunde übernimmt die Coachingfunktion. Die Un- Portfolioverfahren auch informell erworbene Fachkompe- terstützung umfasst alle Beteiligten, die Auszubildenden, tenzen anerkannt. die Betriebe, die Lehrpersonen und die Eltern. ... Zudem können die Jugendlichen eine externe psychologische Erstberatung beanspruchen.“

Die deutsche Diskussion um zweijährige Ausbildungsgänge lässt diese wichtigen Aspekte vermissen. Ein gesetzlicher Anspruch auf besondere Förderung von Jugendlichen mit Basel-Landschaft Berufsattest Metall schlechten Startchancen besteht nicht. Berufsattest Gastronomie

Bern Bäcker-Konditor-Confiseur, Bäckerin-Konditorin-Confiseurin DIE PILOTPROJEKTE Hauswirtschaft Kompetenzen Profil Holz Abbildung 1 zeigt die Berufe/Berufsfelder, die derzeit auf Landwirtschaft ihr Gestaltungspotenzial und auf unterschiedliche Mög- Verkauf lichkeiten des Übergangs bzw. des Anschlusses modellhaft Maler, Malerin geprüft werden. Bildungsnetz Zentralschweiz: • Schwyz Verkauf • Luzern Ausbaumonteur, Ausbaumonteurin Anhand von zwei Pilotprojekten soll verdeutlicht werden, • Oberwalden / Nidwalden Verkauf, Köche, Metallberufe wie sich die Qualifikationsprofile der Attestausbildung von Valais Formation pratique / Maçon, Maçonne der dreijährigen EFZ-Ausbildung unterscheiden, wie sie sich Vaud Formation au niveau attestation/ überlappen und wie die Übergänge gestaltet werden kön- Peintre en bâtiment nen. Ziel ist nicht ein für alle Berufe formal-einheitliches Zürich Fahrzeugwart, Fahrzeugwartin Modell, sondern sind unterschiedliche, im Diskurs befindli- Hauswartung che, optimale Wege der Aus- und Weiterbildungsgestaltung. Maschinen- und Gerätewart, Maschinen- und Gerätewartin Holzpraktiker, Holzpraktikerin BEISPIEL 1: KOMPETENZEN – PROFIL ZIMMERMANN/ Die Post / SVBL (Schweizer. Vereinigung für die Berufsbildung in der Logistik) / ZIMMERIN SBB (Schweizer. Bundesbahnen) Logistikpraktiker, Logistikpraktikerin In diesem Pilotprojekt sind Kompetenzprofile entwickelt SVM, Schweizerischer Milchwirt- worden, die sowohl für das Eidgenössische Fähigkeits- schaftlicher Verein Milchpraktiker, Milchpraktikerin Zeugnis als auch für das Attest die Ausbildung strukturie-

Quelle: Schweizerische Berufsbildungsämter Konferenz (SBBK), Handbuch für Modellentwicklung – ren. Abbildung 2 zeigt beispielhaft ein Leerformular zum Zweijährige berufliche Grundbildung mit Attest, Bern 2003, S. 41 Ausbildungsfeld Tragkonstruktion, das für jeden Lehrling vom Betrieb auszufüllen ist. Abbildung 1 Liste der Pilotprojekte einer zweijährigen Berufsausbildung in der Schweiz

44 BWP 3/2004 Abbildung 2 Formular zur Bestimmung von Kompetenzprofilen im Ausbil- Kompetenzen 7. Tragkonstruktion dungsfeld Tragkonstruktion BBT-Beruf Zimmermann/Zimmerin Quelle: Pilotprojekt Holz (Bern)

Berufliche EFZ (Eidg. Attest nicht Grundbildung Fähigkeitszeugnis) (minimaler Standard) ausfüllen

Kompetenzen im Lehrbetrieb im Einführungskurs im beruflichen Unterricht Begriffe kennen Begriffe Anforderung/Funktion kennen Planungsvorgaben verstehen Material auswählen Materialliste erstellen Qualitätsmerkmale kennen Reissen Abbinden Aufrichten Einbauen kennen Begriffe Anforderung/Funktion kennen Planungsvorgaben verstehen Material auswählen Materialliste erstellen Qualitätsmerkmale kennen Reissen Abbinden Aufrichten Einbauen kennen Begriffe Anforderung/Funktion kennen Material auswählen Materialliste erstellen Qualitätsmerkmale kennen Planungsvorgaben verstehen erstellen Werkzeichnung Austragen

Pfosten, Riegel, Strebe Balken, Wechsel Sparren, Schifter Pfette, Unterzug Grat, Kehle, Kehlbrett Holzverbindungen

Abbildung 3 Struktur der Attestausbildung zum Logistikpraktiker Berufsprüfungen Fachhochschule Quelle: Pilotprojekt Logistik- höhere Fachprüfungen praktiker/-in

Logistikassistent/-in (evtl. mit technischer BM)

3. Lehrjahr* Logistikpraktiker/-in

* in einem der folgenden 2. Ausbildungsjahr* 2. Lehrjahr* Berufsfeldbereiche: • Lager • Verkehr • Distribution 1. Ausbildungsjahr* 1. Lehrjahr*

Volksschule

Lehre Passerellen Attest Berufspraktische Bildung Schule Fähigkeitszeugnis (FZ) Berufsmatura (BM)

Die grau hinterlegten Felder markieren die Mindestausbil- BEISPIEL 2: LOGISTIKPRAKTIKER/-IN UND dungsinhalte, die zum Erwerb des Attestes notwendig sind. LOGISTIKASSISTENT/-IN In Abstimmung zwischen allen Partnern ist es aber mög- Ein anderes Modell, das eine von vielen möglichen Über- lich, dass Auszubildende zusätzliche Kompetenzen erwer- gangsarten zeigt, wird in der Attestausbildung zum Logis- ben, die eigentlich für das EFZ vorgesehen sind (weiße Fel- tikpraktiker erprobt. Hier ist das erste Lehrjahr zum drei- der). Alle während der zweijährigen Grundausbildung er- jährigen Logistikassistenten auf zwei Jahre Ausbildung worbenen Kompetenzen werden bei einer möglichen zum Logistikpraktiker gestreckt worden. (vgl. Abb. 3) Ausbildung zum EFZ angerechnet. Auch bei diesem Pilotprojekt gilt, dass eine weiterführende

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Ausbildung möglich sein wird, sofern der Jugendliche einen Ausbildung und Umschulung Betrieb findet, der bereit ist, mit ihm einen entsprechenden behinderter Menschen Ausbildungsvertrag für das zweite und dritte Jahr zum Ergebnisse eines Modellversuchs1 Logistikassistenten abzuschließen. CARMEN BERGMANN, SASKIA KEUNE, HERBERT SCHLÄGER

Fazit Die Ausbildungsplatzoffensive der Bundesre- Das Berufsbildungssystem der Schweiz ist neu geordnet worden, was auch neue Angebote für lernbeeinträchtigte gierung bezieht selbstverständlich auch behin- Jugendliche und Nachqualifizierungsmöglichkeiten für Er- derte junge Menschen ein. Sie bedürfen jedoch wachsene beinhaltet. Die einjährige „Anlehre“ für lern- schwache Jugendliche wird durch eine kompetenz- und ar- unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungs- beitsmarktorientierte, auf Durchlässigkeit angelegte, zumin- dest zweijährige „berufliche Grundbildung mit Attest“ verbots noch zusätzlich besonderer Förderung ersetzt, die auf volle Kompatibilität mit der Ausbildung zum zum Nachteilsausgleich ihrer Behinderungsaus- eidgenössischen Fähigkeitszeugnis und auch mit schuli- schen Berufsbildungsgängen angelegt ist. Sie erfordert zu- wirkungen in Ausbildung und Prüfung. sätzliche, finanzielle Mittel für die individuelle Förderung der Jugendlichen in Kleinstgruppen durch hierfür speziell Es ist allgemeines Ziel des Diskriminierungsverbots des ausgebildetes pädagogisches Personal und Coachingange- Grundgesetzes, behinderten Menschen ein selbst bestimm- bote für alle Beteiligten. Die Schweiz setzt auf Konsens zwi- tes Leben zu ermöglichen. Hierfür ist die Ausbildung von schen den Beteiligten und der Bildungspolitik des Bundes, entscheidender Bedeutung. Ausbildung und Beruf sind we- den Berufsverbänden und den Berufsschulen als Koordinie- sentlich mitbestimmend für die gleichberechtigte Teilhabe rungszentren. dieser Personengruppen am Leben in der Gesellschaft. Der In ihrer Einbettung in das Gesamtsystem der beruflichen Beruf sichert vor allen Dingen auch die eigenständige ma- Bildung unterscheidet sich die Schweiz deutlich von den terielle Lebensgrundlage und macht somit frei von Abhän- deutschen Überlegungen zu zweijährigen Ausbildungsgän- gigkeit und Bevormundung. gen. Bei der deutschen Diskussion steht die Reduktion von Ausbildungsinhalten im Vordergrund, was zu zusätzlichen betrieblichen Ausbildungsplätzen führen soll. Nur am Rande EMPFEHLUNG DES HAUPTAUSSCHUSSES DES BIBB werden die Rahmenbedingungen diskutiert, die lernschwa- ZUR AUSBILDUNG UND UMSCHULUNG BEHINDERTER chen Jugendlichen den gewünschten Erfolg bringen könn- IN ELEKTROBERUFEN ten: didaktische Förderkonzepte, zusätzliche Qualifizierung Zur Unterstützung dieser Zielsetzung wurde im Rahmen ei- des Ausbildungs- bzw. Lehrpersonals, gezielte überbetrieb- nes Modellversuchs am Beispiel des Elektrobereichs er- liche Ausbildungsanteile, systematisch angelegte, attraktive probt, ob durch die konsequente Anwendung der „Empfeh- Möglichkeiten der Einmündung in die dreijährige Regelaus- lung des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufs- bildung bzw. vielfältige Übergänge zwischen den verschie- bildung zur Ausbildung und Umschulung Behinderter in denen Ausbildungsgängen etc. Damit sind weder Geld noch Elektroberufen“ spezielle Ausbildungsgänge für behinderte Aufwand einzusparen, im Gegenteil: der steigende Anteil Auszubildende (nach § 48b BBiG) wesentlich reduziert wer- von Jugendlichen ohne Berufsabschluss bedarf der beson- den könnten. deren Aufmerksamkeit der Bildungspolitik und besonderer, auch finanzieller Zuwendungen. Es ist damit zu rechnen, Kernziel dieser Empfehlung ist das folgende Postulat: dass eine richtig verstandene, gezielte Ausbildung von Ju- „Die dauerhafte Eingliederung behinderter Menschen in Ar- gendlichen mit schlechten Schulabschlüssen in zweijähri- beit, Beruf und Gesellschaft ist eine zentrale sozial- und gen Ausbildungsgängen teurer als eine „normale“ drei- bildungspolitische Aufgabe, an deren Erfüllung alle Teile jährige Ausbildung sein wird. Auf lange Sicht am teuersten unserer Gesellschaft mitwirken müssen. aber wird es, gar nichts zu tun. Es ist dabei erforderlich, für die besonderen Bedürfnisse dieser Jugendlichen geeignete Maßnahmen zu entwickeln und einzusetzen. Vorrangiges Ziel solcher Maßnahmen Anmerkungen muss es sein, auch behinderte Jugendliche zu einem 1 So wird das Vorstandmitglied 2 Schweizerische Berufsbil- berufsqualifizierenden Abschluss in einem anerkannten des DGB, Ingrid Sehrbrock, in dungsämter-Konferenz (SBBK), Ausbildungsberuf zu führen.“ einem Artikel „Neuer Streit Handbuch für Modellentwick- um kurze Lehrberufe“ am lung – Zweijährige berufliche 22.10. 2002 in der Berliner Grundbildung mit Attest, Bern Die Empfehlung enthält konkrete Hinweise für die mit der Zeitung zitiert 2003, S.19 Ausbildung und Umschulung von behinderten jugend-

46 BWP 3/2004 Bei Bedarf lichen und erwachsenen Menschen beauftragten Personen Ausbil- § 25 BBiG2 (d. h. staatlich und Institutionen. Als Kernaufgaben für diese Institutionen anerkannten Ausbildungs- nennt sie: dungszeit beruf) mit Erfolg absolviert. • Verbesserung der Diagnose hinsichtlich der Leistungs- Die Abbruchquote lag bei fähigkeit behinderter Jugendlicher und der Berufsorien- verlängern knapp 9 %; dies waren fast tierung, ausschließlich (fünf von • geeignete pädagogische Konzepte (z. B.: Förderung von sieben) Teilnehmer/-innen Basiskompetenzen, der Handlungsorientierung und der des Berufsbildungswerks Verbindung von Theorie und Praxis), Hannover, die keine Möglichkeit hatten, auf einen Ausbil- • einen Personalschlüssel, der kleine Gruppen und sozial- dungsgang nach § 48 BBiG2 auszuweichen. Einen Ab- pädagogische Betreuung gewährleistet, schluss nach § 48b BBiG (d. h. Abweichungen von der Aus- • Fortbildungsmaßnahmen und Betriebspraktika für die bildungsordnung für behinderte Menschen) machten knapp Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 14 % der Teilnehmer/-innen. • wenn notwendig, individuelle Ausbildungszeitverlänge- Von den sechs beschriebenen Modellgruppen der Berufs- rung (bei Jugendlichen bis zu viereinhalb Jahren), förderungswerke (je zwei aus jeder Einrichtung) haben • ausbildungs- bzw. umschulungsbegleitende Beratung knapp drei Viertel der Umschüler/-innen die IHK-Ab- und Betreuung, schlussprüfung nach § 25 BBiG bestanden, gut ein Viertel • Abweichungen von der Ausbildungsordnung im Einzel- hat abgebrochen bzw. die (nicht bestandene) Prüfung nicht fall (nach § 48b BBiG), wiederholt. Zu berücksichtigen ist bei der Zahl der „Abbre- • behindertengerechte Prüfungen. cher/-innen“, dass bedingt durch den Personenkreis starke gesundheitliche Probleme (oder sogar Todesfälle) Abbrüche Die Anwendung und Umsetzung dieser Empfehlung wurde erzwungen haben können. an den Modellversuchsstandorten Hannover, Neckar- gemünd und Volmarstein (Berufsbildungswerke) sowie in Frankfurt, Hamburg und Hamm (Berufsförderungswerke) MODULARISIERUNG DER AUSBILDUNG erprobt. Die ersten Modellversuchsteilnehmer/-innen wur- Im Rahmen eines EU-Projektes wurde im Berufsbildungs- den im August 1995 aufgenommen, die wissenschaftliche werk Neckargemünd (in Zusammenarbeit mit dem Berufs- Begleitung begann im Oktober 1996. bildungswerk Bigge für den kaufmännischen Bereich) ein Modulsystem entwickelt. Ausgehend von der Ausbildungs- ordnung und dem Rahmenlehrplan für den Ausbildungs- MODELLVERSUCHSDURCHFÜHRUNG UND -ERFOLG beruf der Industrieelektronikerin/des -elektronikers, Fach- Es bestanden einige grundsätzliche Unterschiede zwischen richtung Gerätetechnik, wurden verschiedene Module den verschiedenen Modellprojekt-Standorten. Die Berufs- entwickelt, die nach vollständigem Durchlaufen den erfolg- bildungswerke machten alle Gebrauch von dem in der reichen Abschluss des o. g. Berufs ermöglichten. Ergänzt Empfehlung genannten Instrument der Ausbildungszeit- wurden diese Basismodule durch diverse Förder- und Zu- verlängerung – der Standort Volmarstein verlängerte von satzbausteine. Die Besonderheit in der Umsetzung dieses 1 vornherein die Ausbildung auf 4 ⁄2 Jahre, die beiden an- Konzepts bestand darin, dass sowohl Jugendliche, die nach deren Berufsbildungswerk-Standorte verlängerten auf der § 48b BBiG, als auch jene, die nach § 25 BBiG angemeldet Grundlage der jeweils individuellen Entwicklung der Ju- worden waren, über einen längeren Zeitraum ihre Ausbil- gendlichen während der Ausbildung. In den Berufsförde- dung gemeinsam absolvieren konnten und gleichzeitig rungswerk-Standorten wurden solche Verlängerungen von beide Lerngruppen eine sehr individuelle Förderung auf der Seiten der Kostenträger nicht genehmigt, ermöglicht wurde Grundlage der Förder- und Zusatzbausteine erhielten. Dies nur die ohnehin übliche Verlängerung im Zusammenhang führte in vielen Fällen dazu, dass die ursprünglich nach mit der Wiederholung einer (Teil-)Prüfung. Die Berufsför- § 48b BBiG gemeldeten Jugendlichen, die alle für den an- derungswerke Hamburg und Frankfurt haben nach zwei erkannten Ausbildungsberuf notwendigen Module erfolg- Modellversuchs-Durchläufen nicht mehr teilgenommen; reich durchliefen, zur Abschlussprüfung zugelassen wur- dies vor allem deshalb, weil zeitweise kaum noch Anmel- den und diese auch bestanden. Das Berufsbildungswerk dungen für den Elektrobereich vorlagen. In Hamm wurde Hamburg hat dieses System für den Bürobereich als inte- noch eine weitere Gruppe zum Abschluss geführt (neun gratives Modell weiter entwickelt.3 Personen). Der besseren Vergleichbarkeit wegen wurden für alle drei beteiligten Berufsförderungswerke deshalb nur (die ersten) zwei Modellgruppen in die Auswertung einbezogen. ZUSAMMENFASSUNG DER RESULTATE Insgesamt haben (in regulärer oder verlängerter Ausbil- Zirka drei Viertel der Teilnehmer/-innen konnte durch ge- dungszeit) ca. 77% aller Modellversuchsteilnehmer/-innen zielte Förderungsmaßnahmen eine Facharbeiterinnen-/ der Berufsbildungswerke die Ausbildung in einem nach Facharbeiterprüfung nach § 25 BBiG mit Erfolg ablegen.

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Vergleicht man Teilnehmer/-innen der Berufsbildungs- • Trotz dieser sehr intensiven Förderung verbleibt jedoch werke, die ursprünglich nach § 48b BBiG angemeldet wor- auch dann eine Gruppe von Personen, denen ein Ab- den waren (n = 25) mit solchen, die nach § 25 BBiG ange- schluss nach § 25 BBiG nicht gelingt. Es ist notwendig, meldet waren (n = 31), ergibt sich folgendes Bild: auch für diesen benachteiligten Personenkreis bundes- Von der ersten Gruppe haben 60 % die Prüfung nach § 25 weit anerkannte Ausbildungsabschlüsse mit entspre- BBiG mit Erfolg bestanden, von der zweiten Gruppe 90 %. chender Rechtssicherheit und Akzeptanz zu gewähr- Der Chi-Quadrat-Test bestätigte, dass es sich hierbei um leisten. eine hochsignifikante Abweichung handelt.

AUSBLICK SCHLUSSFOLGERUNGEN Die bildungspolitische Diskussion über die Ergebnisse des Obwohl sich der besondere Personenkreis für einen Beruf Modellversuchs im Ausschuss für Fragen behinderter Men- mit relativ hohem Anforderungs- und Abstraktionsgrad4 schen5 zeichnet ein schwieriges Bild der derzeitigen Pro- entschieden hat, konnte unter den Bedingungen der Emp- blemlagen der beruflichen Rehabilitation und Teilhabe be- fehlung eine große Zahl erfolgreich eine Ausbildung/Um- hinderter Menschen vor dem Hintergrund wirtschaftlicher schulung nach § 25 BBiG absolvieren. Einbrüche. Insofern bleibt zu hoffen, dass die Ausbildungs- Trotz der intensiven Fördermaßnahmen im Rahmen der platzoffensive der Bundesregierung auch für behinderte Ju- Empfehlung blieben ca. 15 % der Teilnehmer/-innen übrig, gendliche das betriebliche und außer- bzw. überbetriebliche die eine Prüfung nach § 48b BBiG absolvierten. Ausbildungsplatzangebot quantitativ und qualitativ weiter Für körperlich stark beeinträchtigte Personen, die zudem verbessern hilft. Denn trotz knapper werdender Mittel gibt sprachlich wenig kompetent waren, gab es kaum berufli- es zu einer qualifizierten Berufsausbildung keine Alterna- che Alternativen zum Elektrobereich, da aufgrund bei- tive. Berufliche Bildung ist und bleibt die wichtigste Vor- spielsweise einer Rechtschreibschwäche auch die kaufmän- aussetzung für die Integration behinderter Menschen in den nischen Berufe entfallen sind. allgemeinen Arbeitsmarkt. Allerdings sollte mehr Zeit und Aufmerksamkeit auf eine fundierte Diagnose hinsichtlich Alle Forderungen der Empfehlung sind untrennbar mit der der Leistungsfähigkeit behinderter Jugendlicher eingeplant Gewährleistung entsprechender personeller Ressourcen in werden, um ineffiziente Maßnahmekarrieren zu vermeiden. den Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken verbun- Eine intensive Förderung mit dem Ziel höchstmöglicher Ab- den, die im Verlauf des Modellversuchs immer wieder schlüsse hat sich durch den bildungspolitisch bedeutsamen Schwankungen unterlagen. Deutlich wird aus dem (insge- Modellversuch als erstaunlich erfolgreich erwiesen. Hierbei samt erfolgreich umgesetzten) hohen Anforderungsprofil spielte auch die Entwicklung von curricularen Baustein- der Empfehlung: systemen, die eine stärkere Binnendifferenzierung der Aus- • Eine Verengung auf Kostenaspekte kann den von der bildungen ermöglichten, eine wichtige Rolle. Insofern sollte Empfehlung gesetzten Maßstäben nicht gerecht werden. der in dem Modellversuch erfolgreich durchgeführte Weg • Mit einer intensiven Förderung sind weitaus mehr Per- systematisch ausgebaut und gerade bei einem enger wer- sonen in der Lage, einen Abschluss nach § 25 BBiG zu denden Arbeitsmarkt bevorzugt eingeschlagen werden. erlangen, als zum Teil sogar von den beteiligten Stand- orten zunächst angenommen.

Anmerkungen Literatur zum Thema

1 Modellversuch des BMBF, Lauf- 4 „Knapp zwei Drittel der Ausbil- BORCH, H., KEUNE S., MÖTZING, LENNARTZ, D.: Die Zukunft der zeit: 1.10.1996–30. 06.2002, dungsanfänger/-innen 1999 die- F. & WEISSMANN, H.: Ausbildung Prüfungen in der beruflichen Bil- Wissenschaftliche Begleitung: ses Ausbildungsberufes verfügen und Umschulung Behinderter in dung. In: Personalführung 1/2003 Institut für angewandte Bil- über einen mittleren Bildungsab- Elektroberufen. Hrsg. BIBB, Bonn/ dungsforschung GmbH schluss. Ein weiteres knappes Berlin 1992 2 § 25 BBiG regelt anerkannte Fünftel kann den Hauptschulab- KEUNE, S.: Perspektiven behinder- Bundesministerium für Gesundheit Ausbildungsberufe. § 48 BBiG schluss vorweisen, und 8 Pro- ter Menschen in der Berufsausbil- und Sicherung (HRSG): regelt Ausbildungsgänge für zent haben die Hochschul- oder dung. In: Wirtschaft und Berufser- BBW – Einrichtungen zur beruf- behinderte Menschen. Fachhochschulreife.“ Quelle: ziehung. Zeitschrift für Berufsbil- lichen Rehabilitation junger Men- 3 GAB (Gesellschaft für Ausbil- BERUFEnet des Arbeitsamtes: dung, 12/01, S. 24 schen mit Behinderung – Erstaus- dungsforschung und Berufsent- www.arbeitsamt.de/berufenet KEUNE, S.: Prüfungen für Behin- bildung, Berlin 2002 wicklung): Integrative Ausbil- 5 Der Ausschuss berät das derte: Individualisierung und Berufsförderungswerke – Einrich- dung für Büroberufe. Zwischen- Bundesinstitut für Berufsbildung Differenzierung. In: Durchblick. tungen zur beruflichen Eingliede- bericht der wissenschaftlichen in allen Fragen der beruflichen Zeitschrift für Ausbildung, Weiter- rung erwachsener Behinderter, Ber- Begleitung. Hamburg 2002 Rehabilitation und Teilhabe bildung und berufliche Integration lin 2002 behinderter Menschen des heidelberger instituts beruf und SGB IX Rehabilitation und Teilhabe (§ 12 BerBiFG). arbeit (hiba), 3/2001 behinderter Menschen, Berlin 2002

48 BWP 3/2004 DISKUSSION

Ein neuer Weg der Sicherung des dualen Prinzips Der neue Bachelor-Studiengang „Sozialversicherung“

Das Beispiel des Bachelor-Studienganges Der folgende Beitrag stellt die Anregungen aus dem Ba- chelor-Studiengang Sozialversicherung in den Diskurs. Sozialversicherung – einer neuartigen Kombi- Könnte, so fragen wir, das Modell dieses Studienganges ei- nation von Theorie und Praxis – entstammt nen innovativen Weg weisen, den Kern des dualen Systems durch Neugestaltungen des dualen Prinzips besser zu- dem gesellschafts- und wirtschaftspolitisch kunftsfähig zu machen? Wir können dabei nicht auf die bedeutsamen Sektor der Gesetzlichen Unfall- oftmals ausschlaggebenden Details eingehen. Die Internet- hinweise des Literaturverzeichnisses zeigen Pfade zu ge- versicherung. Es geht darin um Fragen der naueren Informationen. didaktischen Modernisierung der Dualität wie um die Durchlässigkeit von Personalentwick- lung und Qualifizierungssystemen. Der neue Der Paradigmenwechsel in der berufs- genossenschaftlichen Ausbildung Bachelor-Studiengang enthält u. E. interessan- Die Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin te Anregungen für das duale System; speziell bietet in Kooperation mit dem Hauptverband der gewerb- dann, wenn es darum geht, vollschulische Aus- lichen Berufsgenossenschaften seit dem Wintersemester 2003 am Standort Hennef einen neuen dreijährigen dualen bildungsgänge zu konzipieren und dabei das Bachelor-Studiengang mit eigenem Fachbereich an. Das duale Prinzip zu wahren. Entsprechend konzi- Studium soll dazu befähigen, in der Sozialversicherung, speziell in der Unfallversicherung, gehobene Funktionen piert, brauchten wir nämlich vor vollschuli- des nichttechnischen Verwaltungsdienstes wahrzunehmen. scher Ausbildung nicht zurückzuschrecken. Bei erfolgreichem Studium wird der akademische Grad des Bachelor of Arts (B. A.) mit dem Zusatz „in Social Security Management“ verliehen. Der Studiengang löst die bisherige interne Berufsgenossen- schafts-Ausbildung nach der Fortbildungs-Prüfungsord- nung ab, deren Grundlagen mit den Sozialpartnern abge- INGRID LISOP stimmt waren. Die Studierenden haben einen Arbeits- Prof. Dr. rer. pol., vertrag/Studienvertrag mit einer Berufsgenossenschaft Prof. em. für Wirtschaftspädagogik abgeschlossen. Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Ein Paradigmenwechsel in der berufsgenossenschaftlichen Frankfurt am Main Ausbildung war notwendig geworden, weil die Mitarbeiter

RICHARD HUISINGA und Mitarbeiterinnen für anspruchsvolle Aufgaben in der Prof. Dr. phil., Verwaltung fachlich und persönlich angemessener auf Prof. für Berufspädagogik an der technischen Wandel, Strukturprozesse und Rahmenbedin- Universität/Gesamthochschule Siegen gungen in der Wirtschaft, auf Veränderungen in den Er- wartungen von Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch Ein-

BWP 3/2004 49 DISKUSSION

zelner an soziale sowie gesetzgebundene Dienstleistungen Das neuartige Berufsbild und sein vorbereitet werden müssen. Allgemeiner Strukturwandel Qualifizierungsziel und Rationalisierungsdruck, New Public Management, Strukturveränderungen des Gesundheitssektors und nicht Für die neuen Funktionsgruppen, nämlich das „Case- und zuletzt die Europäisierung der Ausbildung für gehobene Care-Management mit komplexen Einzelfall-Lösungen“ so- Funktionen sind der zwingende Hintergrund hierfür. wie das „Sozioökonomische Informationsmanagement“ war ein neues Berufsbild zu entwickeln. Der Terminus „Berufs- Generell ist der Strukturwandel heute durch Informatisie- bild“ stellt in diesem Kontext einen Hilfsbegriff da. Es geht rung und Standardisierung einerseits, Verwissenschaft- nicht um ein Berufsbild im Sinne der Berufsordnungsmittel lichung und Komplexitätssteigerung andererseits gekenn- nach BBiG, sondern um einen Referenzrahmen für die Ent- zeichnet. Hinzu kommen Branchenverschiebungen und or- wicklung von Curricula, speziell eines Hochschulcurricu- ganisationale Veränderungen sowie veränderte berufliche lums. Der Referenzrahmen umfasst vier Ebenen. Er lässt bzw. professionelle Leitbilder. Neben breiterem Fachwissen sich generell für die Konstruktion berufsbezogener Ausbil- sind stärker auch Managementfähigkeiten sowie Sozial- dungs- und Lehrpläne nutzen. Auch hier könnte eine in- und Selbstkompetenz zu entwickeln. Zielsetzung der Aus- teressante Anregung liegen. In der Ausdifferenzierung des bildung ist daher – und darin liegt der Paradigmenwechsel Curriculums war auf vier „Eckpunkte“ zu achten: • deutlicher Bezug zur Bewältigung komplexer Aufgaben

Abbildung 1 Referenzrahmen für zwei neue Funktionsgruppen im Bachelor- und deren Wissenschaftsbasierung; Studiengang „Sozialversicherung“ • systemische Kompetenz (Arbeit in Netzwerken; interdis- ziplinäre Kooperation mit den Bereichen Medizin, Reha- bilation und Prävention sowie mit anderen Sozialversi- Qualifikatorische Ebenen des „Berufsbildes“ cherungsträgern; ganzheitliches Arbeitsverständnis); A B C D • Integration von leitenden und ausführenden Tätigkeiten Die Makroebene der Die Mesoebene Die Mikroebene der Das subjektbezogene sowie gesamtgesellschaft- der organisationalen Arbeitsoperationen Kompetenzspektrum lichen Bedeutung Formgebung • Kombination von Sozialethos und Befähigung zu öko- der Arbeit Gesellschaftliche und Juristische Grundlegung Hierzu gehören die Hierzu gehören das be- nomischen Abwägungen. ökonomische Wertung (z. B. durch branchen- Geschäftsabläufe und rufsrelevante Wissen und Funktionen sowie spezifische Gesetze oder Arbeitsprozesse ein- und Können sowie die struktureller Stellenwert Unternehmensformen). schließlich prototypi- Berufsethik mit den Die zentrale Kategorie Management beinhaltet die aus- einer Branche/eines Zur Mesoebene, die scher Einzeloperationen spezifischen Arbeitstu- Berufsfeldes zwischen dem gesell- gemäß Organisations- genden. Das Kompe- führende und organisierende Seite komplexer Einzelfall- schaftlichen Umfeld und struktur, Satzungen, tenzspektrum bezieht der einzelnen Arbeits- Geschäftsverteilungs- sich immer auf die Lösungen, speziell als Arbeit im Netzwerk. Sie bezieht sich operation den Vermitt- plänen etc. Makro-, Meso- und lungsrahmen abgibt, Mikroebene. Es umfasst nicht auf strategische Leitungsfunktionen der Geschäfts- gehört der organi- die Selbst-, Sozial- und sationale Rahmen von Fachkompetenz als führung. Arbeit und dessen ganzheitlichen Ausdruck Binnenstruktur mit den der Arbeitspersönlich- Als Konstruktions- bzw. Konstitutionsprinzip für Berufs- Hierarchieebenen, aber keit. bild und Curriculum ergab sich aus speziell durchgeführ- auch die Unternehmens- philosophie und ihre ten empirischen Studien ein von den Verfassern dieses Bei- Leitbilder; ferner die Verbundsysteme der trags entwickelter Referenzrahmen (vgl. Abbildung 1). Branche.

– nicht mehr primär die Vermittlung von Berufsfertigkei- Das modernisierte Dualprinzip der ten, sondern die Entwicklung der Befähigung, auf wissen- Ausbildung/des Studiums schaftlicher Grundlage und unter Berücksichtigung juristi- scher, ökonomischer, technischer und politischer Rahmen- Zur Charakterisierung dualer Studiengänge wird in der Re- bedingungen ganzheitlich zu denken und zu entscheiden gel auf die Art der Integration von Beruf, Praktika oder sowie kundenorientierte Individuallösungen zu kreieren. Ausbildung nach BBiG verwiesen (vgl. Kerstin MUCKE Damit wird, soziologisch formuliert, der Schritt vom Beruf 2003). Die ursprüngliche Effizienz der Dualität durch Kom- auf die Ebene der Professionalität getan; qualifikations- bination von Ausbildungsarten („Lehre“ und Studium) oder theoretisch formuliert von wissens- und fertigkeitsbasier- Lernorten leidet heute aber aufgrund der immer komplexer ter Ausbildung hin zur Kompetenzorientierung. und dynamischer werdenden Arbeitsprozesse an dem, was man als Dualitäts-Paradox bezeichnen könnte: Die prakti- Zum Konzept des neu gegründeten Studiengangs gehört es, sche Ausbildung wird weniger als eine Ausbildung von die wissenschaftliche Kapazität des Fachbereichs im Laufe Grund auf begriffen denn häufig als mehr oder minder an- der Zeit auch für die Entwicklung der Forschung auf den be- wendend übende, hier und da auch immer noch als pro- rufsgenossenschaftlichen Aufgabenfeldern (z. B. Prävention, duktive Arbeitsleistung. Dem liegt die irrige Ausfassung Rehabilitation, Entschädigung, Finanzierung) zu nutzen. zugrunde, Theorie vermittle unmittelbare Handlungsanlei-

50 BWP 3/2004 Abbildung 2 Modernisiertes berufs- genossenschaftliches Qualifizierungssystem MA Studium

Weiterbildung

Abitur FOS Bachelor-Studium (FH)

Zugangs- Recht

FOS Sonstiges

prüfungsordnung Psychologie

Fachoberschule REHA/Medizin Probestudium Ökonomie/Führung Abitur bzw. FOS Abitur bzw. Abitur Zusatzqualifikation mittlere Reife Sozialversicherungsfachangestellte

Berufsgenossenschaften

tung, weshalb die theoretische Seite der Ausbildung in der Handlungsfunktion andererseits klarer. Die Rolle von Praxis nur durch anwendende Übung ergänzt zu werden Theorie bzw. Wissenschaft bleibt funktional, ist aber brauchte. Auf der „Praxisseite“ resultierten aus dieser Auf- nicht wie ein Rezept angelegt. fassung die Anforderungen an die Theorie, mehr oder min- • Die Zielformulierungen der Module und die Anregungen der „fertige Sachbearbeiter“ auszubilden, die höchstens be- zur Methodik weisen darauf hin, welche konkrete Art züglich des Arbeitstempos oder einiger Feinheiten noch De- und welche Gewichtung der Theorie-Praxis-Verschrän- fizite aufweisen. Wird die Praxis auch in den Prüfungen kung angestrebt werden sollte. berücksichtigt, dann fordert die Theorieseite, dass die Pra- • Der Fallstudienarbeit wird breiter Raum gewährt. xis in der Ausbildung prüfungskonforme Übungsfelder zur • Vier inhaltlich und methodisch unterschiedliche vier- Verfügung stellt. Konformität zwischen Theorie und Praxis wöchige Praktika im Gesamtfeld berufsgenossenschaft- gibt es nun aber nicht als real existierendes Phänomen, licher Arbeit, auch in medizinischen Einrichtungen und in sondern nur als immer wieder herzustellende Vermitt- Betrieben der Versicherten sowie eine 5-monatige Pro- lungsleistung der arbeitenden, lehrenden und lernenden jektphase am Ende des Studiums binden das Theoriewis- Subjekte. Das Paradox besteht deshalb darin, dass die Er- sen didaktisch gezielt, nicht nur formal, in ganzheitliche wartungshaltungen der Praxis an die Theorie und der Theo- Praxiskontexte ein. Durch Vor- und Nachbereitung der rie an die Praxis einander ausschließen. Praxisphasen und deren unterschiedliche Ausrichtung auf entweder vorlaufende Veranschaulichung, anwendendes Dieses weit verbreitete, wechselseitige Zuschreibungsmuster Üben und Vertiefen, erweiterndes Lernen im operativen zwischen Theorie und Praxis war zu überdenken. Das ver- Bereich oder auch Recherchieren und Problemlösen erhal- langte vor allen Dingen, die unverzichtbare Ergänzung von ten die Praxisphasen eine ebenso pointierte wie je diffe- Theorie durch Praxis und umgekehrt inhaltlich und didak- rente Funktion. Damit sind freilich auch die Praxis-Lern- tisch neu zu fassen. Dazu mussten die Theorie- wie die Pra- orte didaktisch herausgefordert und können nicht länger xisinhalte in ihrer Ausbildungsfunktion anders konzipiert darauf vertrauen, dass Mitarbeiten oder Zuarbeiten an werden. Auch die zeitliche Organisation und Abfolge der sich hinreichend qualifiziere oder gar trainiere. Praxisphasen sowie ihre Inhalte waren neu zu formulieren. • Alle Module sind nach den bündelnden, implikativen Prinzipien der „Arbeitsorientierten Exemplarik“ angelegt, Die Lösung sieht, kurz gefasst, so aus: die mithilfe von Referenzrahmen theoretische und prak- • Die theoretischen Lehr-/Lerneinheiten (Module) sind aus- tische Belange verschränkt. drücklich auf primär eine der vier Ebenen des Berufsbil- • Für diejenigen Praktikerinnen und Praktiker, welche die des hin fokussiert worden. Dadurch wurden in Bezug auf Praktikanten/-innen und Trainees betreuen werden, ist das Praxisfeld die Erkenntnisfunktion einerseits und die an eine ausführliche Einführung in das neue Curriculum

BWP 3/2004 51 DISKUSSION

gedacht. Auch dadurch lässt sich mit den paradoxen auch von der Akkreditierungsagentur als Innovation begrüßt Aufgaben- und Schuldzuweisungen, wie sie in dualen wurde. Es erklärt sich dies daraus, dass im Curriculum deut- Systemen häufig zu finden sind, brechen. lich bleiben sollte, welche Ergebnisse der vorausgegangenen • Fachbereichsleitung und Fachbereichsrat werden zum gezielten Qualifikationsbedarfsforschung bei den Berufsge- Wechseltransfer Wissenschaft/Praxis von einem pa- nossenschaften (schriftliche Umfragen, Expertenbefragun- ritätisch besetzten Beirat beraten. gen, Arbeitsplatzrecherchen vor Ort) das Fundament des Curriculums gebildet hatten. Curriculumtheoretisch waren darüber hinaus die Erträge der Curriculumforschung sowie die kombinierte Bildungstheorie und Didaktik der „Arbeits- Die Dualität innerhalb des Curriculums orientierten Exemplarik“ von LISOP und HUISINGA, vor allem die darauf beruhenden Erfahrungen aus der Personal- und Wenn die Dualität über eine additive Form der Kombina- Organisationsentwicklung, genutzt worden. tion von Lernorten hinausreichen soll, dann sind die Curri- cula durch ein didaktisches Dualprinzip zu konstituieren. Insgesamt handelte es sich um ein Forschungs- und Ent- An dieser Stelle kann dies nur durch eine grobe Skizze der wicklungsprojekt, das auch als Forschungsprozess mehr- Curriculum-Gliederung angedeutet werden (vgl. hier spe- fach dual konstituiert und organisiert war. Als Träger ziell die Literaturangaben im Anhang). Den Ebenen des Be- fungierte der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenos- rufsbildes entsprechend gliedert sich das Curriculum in senschaften (Dachverband der gewerblichen Berufsgenos- sechs Modulegruppen: senschaften). Die Mehrzahl der gewerblichen Berufsgenos- • Orientierungshilfe für das gesellschaftliche Praxisfeld senschaften war jedoch auch einzeln direkt und aktiv am und die professionelle Identität; Entwicklungsprozess beteiligt. Nicht zuletzt waren die So- • Orientierungshilfen im System angewandter Wissen- zialpartner und staatliche Stellen durch regelmäßige Be- schaft I richterstattung, Anhörungen und offene Gespräche in den (Recht und Wirtschaftswissenschaft einschließlich Fach- Prozess einbezogen. sprache, -logiken und Regeltechnik); • Orientierungshilfen im System angewandter Wissen- schaft II (Medizin einschließlich Fachsprache); Garantie für Durchlässigkeit • Professionsbezogene Qualifizierung: Interne Systeme und Strukturen der gesetzlichen Unfallversicherung; Aufgrund der erwähnten Strukturveränderungen und dem • Professionsbezogene Qualifizierung auf der operativen Qualifikationsbedarf entsprechend war dem Praxisbedarf Ebene des „Case-Managements“ (Arbeitsunfälle mit Be- auch mittels Durchlässigkeit zu entsprechen. Alle auch ju- rufskrankheiten); ristisch bestehenden Möglichkeiten eines Studiums ohne • Professionsbezogene Qualifizierung auf der operativen Abitur blieben erhalten. Eine Ergänzungsausbildung für Ebene „Beitrag“. Sozialversicherungs-Fachangestellte (intern: „SoFa plus“) wurde als neues Förderinstrument implementiert. Insgesamt Diese Gruppen werden ergänzt durch zwei Modulegruppen ergab sich ein modernisiertes berufsgenossenschaftliches „Orientierungshilfen im System angewandter Wissenschaf- Qualifizierungssystem (vgl. Abbildung 2). ten/fachspezifische Kernausbildung“, durch eine Module- gruppe zur professionellen Spezialisierung und Vertiefung Literatur sowie durch Übungen bezüglich kognitiver Flexibilität und sozialer Kompetenz beim Umgang mit hochkomplexen Kon- HUISINGA, R.; LISOP, I.: bericht „Weiterentwicklung der stellationen. Kompetenztheoretisch besehen umfasst das Cur- Qualifikationsbedarf, Personal- Ausbildung für gehobene Funktio- entwicklung und Bildungsplanung. nen im Bereich der gewerblichen riculum Module zur Fach- und zur Methodenkompetenz, er- ANSTÖSSE Band 14. Frankfurt Berufsgenossenschaften“. Sankt gänzt um solche zur Sozialkompetenz und zur Selbstkompe- 2002 Augustin 2002, (www.hvbg.de/ tenz. Die Verwirklichung jeder Kompetenzart ist von der HUISINGA, R.; BUCHMANN, U. bga), Stichworte: Ausbildung und (Hrsg.): Curriculum und Qualifi- Fortbildung ... für gehobene Funk- Mitwirkung der übrigen Kompetenzen abhängig. kation: Zur Reorganisation von tionen ... Evaluation). Allgemeinbildung und Spezial- LISOP, I.; HUISINGA, R. UND In den Grenzen des Freiheitsgebotes von Forschung und bildung. ANSTÖSSE Band 15. CURRICULUMKOMMISSION DES Lehre und trotz seiner Offenheit für weitere Entwicklungen Frankfurt 2003 VAB BACHELOR-CURRICULUM LISOP, I.; HUISINGA, R.: Arbeits- (FH): Gesetzliche Unfallversiche- wurde das Curriculum relativ stark ausdifferenziert. Es reicht orientierte Exemplarik. Theorie rung. Sankt Augustin 2003, weit über die bloßen „Hausnummern“ für Stoffgebiete hin- und Praxis subjektbezogener Bil- (www.hvbg.de/bga), Stichwort: aus, die im Wissenschaftsbetrieb vielfach üblich sind (z. B. dung. Frankfurt 1994 Fachhochschulausbildung). LISOP, I.; HUISINGA, R. UND MUCKE, K.: Duale Studiengänge Allgemeine BWL I und II). Hochschuldidaktisch ist dies ein VERWALTUNGSAUSSCHUSS an Fachhochschulen. Eine Über- Novum, das jedoch sowohl von der FH Bonn-Rhein-Sieg als BILDUNG DES HVBG: Schluss- sicht. Hrsg. BIBB, Bielefeld 2003

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liche Schiene, nach der die Höhe der Ausbildungsvergü- tungen eingefroren und nicht weiter gesteigert werden dürfe und darüber hinaus Übernahmeverpflichtungen – ge- rade auch im Metallbereich – einvernehmlich ausgesetzt werden sollten. Außerdem müsse die Möglichkeit geschaf- fen werden, Vergütungsklauseln für betriebliche Lösungen zu öffnen. Auf einer zweiten Schiene sollte bei einer No- vellierung des BBiG der Begriff der „Angemessenheit“ neu interpretiert werden. Die Sozialisation junger Menschen und die Herstellung der Ausbildungsreife liege neben der betrieblichen auch in einer allgemeingesellschaftlichen Verantwortung. Besondere Anstrengungen müssten zur Verbesserung der Situation an den Hauptschulen und zur Ausweitung der Berufsvorbereitung unternommen werden.

Die Arbeitnehmer warnen vor einer schleichenden Verstaat- lichung der dualen Ausbildung und einer Aushöhlung des Bericht über die Sitzung 1/2004 Systems, die im Prinzip niemand wolle. Dies zeige sich des Hauptausschusses des BIBB nachdrücklich im Gesamtvolumen der staatlichen Förde- am 10. März 2004 in Bonn rung, insbesondere aber auch durch die Förderung der Aus- bildungsplätze durch die Länder pro Nachfrager mit 515 GUNTHER SPILLNER Euro in den alten und sogar 3.212 Euro in den neuen Län- dern. Diese Verschiebung zu Lasten des dualen Systems Die erste Sitzung des Hauptausschusses im Jahr 2004 stand wolle niemand, und doch sehe man dieser Entwicklung ta- ganz im Zeichen der aktuellen Ausbildungsplatzsituation tenlos zu. Der DGB fordere deshalb eine Umlagefinanzie- und der Beratung des Berufsbildungsberichts sowie der kri- rung, für die es ein sehr gutes Modell im Baugewerbe gebe. tischen Haushaltslage des Bundesinstituts. Weiteres wich- Zwar solle der Staat eine gesetzliche Regelung schaffen, aber tiges Thema war die bevorstehende Novellierung des Vorrang sollten Branchenregelungen haben. Es sei jetzt an Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und des Berufsbildungsför- der Zeit zu handeln. Die Wirtschaft komme ihrer Pflicht, derungsgesetzes (BerBiFG). genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, nicht Zunächst nahmen Sprecher der Gruppen der Arbeitgeber, nach. Die zuständigen Stellen seien unterbesetzt, es gebe der Arbeitnehmer und der Länder Stellung zum Entwurf eine der höchsten staatlichen Ersatzfinanzierungen, mit des Berufsbildungsberichts. enormen Mitteln würden sonst nicht vermittelte junge Men- schen in Maßnahmen der Benachteiligtenförderung ge- Nach Ansicht der Arbeitgeber ist die vorgelegte Ausbil- drängt. Auch die Aussetzung der AEVO habe an der Ausbil- dungsstellenbilanz das Ergebnis des insgesamt umfassen- dungsplatzsituation nichts geändert. Viele junge Menschen den Engagements von Wirtschaft und Bundesregierung. würden in das berufsfachschulische System abgedrängt. Die Die gerade auch in den neuen Ländern hohe überbetrieb- Bundesregierung habe durch die Einführung von zweijähri- liche Ausbildungsquote sei im Wesentlichen auf die Erblast gen Berufen das Konsensprinzip ausgehebelt. der DDR zurückzuführen. 2004 werde ein schwieriges Jahr mit wachsender Nachfrage ohne Verbesserung der wirt- Das Gros der Länder spricht sich ganz klar gegen eine Aus- schaftlichen Rahmenbedingungen. Dennoch werde die bildungsplatzabgabe aus. Diese führe eindeutig zu einer Wirtschaft so viele Ausbildungsplätze wie möglich zur Ver- Demotivierung der Wirtschaft. Besonders in den neuen fügung stellen. Zur Verwirklichung dieses Ziels sei die Um- Ländern sei eine Verbesserung der betrieblichen Ausbil- lagediskussion äußerst kontraproduktiv und erschwerend. dungsplatzsituation dringlich und der außerbetriebliche Die Betriebe seien über die demotivierende Diskussion ver- Anteil der Ausbildung zu hoch. Die Länder bedauern, dass unsichert. Es gehe auch gar nicht um sachliche Argumente. die Diskussion im Hauptausschuss abgekoppelt vom Ge- Die Bundesregierung trage die Verantwortung, wenn auf- samtbeschäftigungssystem geführt werde. Der Rückgang grund der fortgesetzten Umlagediskussion die Ausbil- bei der Zahl der Erwerbstätigen sei deutlich höher als der dungsbereitschaft der Betriebe zurückgehe. Die Arbeitge- bei den Auszubildenden. Wenn man bedenke, dass die ber bevorzugen flexible Lösungen für Ausbildungsbünd- Ausbildung wirtschaftsnah und am Fachkräftebedarf ori- nisse mit offeneren tariflichen Regelungen und einer neuen entiert erfolge, sei die Bilanz in Anbetracht der wirtschaft- Definition des Begriffs der angemessenen Ausbildungsver- lichen Gesamtsituation besser, als man hätte befürchten gütung durch den Gesetzgeber. In Bezug auf Ausbildungs- müssen. Gäbe es mehr Beschäftigung in Deutschland, sei vergütungen gebe es für die Arbeitgeber eine tarifvertrag- die Situation bei der Ausbildung und bei den Sozialversi-

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cherungssystemen eine andere. Da in den neuen Ländern Länder Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und die Wirtschaftsstruktur und das betriebliche Ausbildungs- Schleswig-Holstein werden Erklärungen zu Protokoll gege- niveau schlechter seien als in den alten, appelliert man an ben. Die Stellungnahme des Hauptausschusses und die die Bundesregierung, die Gesamtförderzahl Ost wenigstens Minderheitsvoten liegen dieser BWP-Ausgabe im Wortlaut aufrechtzuerhalten. bei und sind als BIBB-Pressemitteilung 8/2004 vom 10. März 2004 veröffentlicht worden. Die Bundesseite hält es für nicht redlich, wenn die Arbeit- geber zur Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation Frau Pahl, BMBF, erläutert im Anschluss Eckpunkte der forderten, die Regelung einer Angemessenheit der Ausbil- Reform von BBiG und BerBiFG, die vornehmlich das Bun- dungsvergütung aus dem BBiG zu streichen. Die Tarifpar- desinstitut sowie die Arbeit von Hauptausschuss und Stän- teien träfen die Vereinbarungen über die Ausbildungsver- digem Ausschuss betreffen: gütungen im Rahmen ihrer Tarifautonomie. Dies müssten auch die Spitzenverbände zur Kenntnis nehmen. Im Übri- • Der Hauptausschuss und der Ständige Ausschuss sollen gen verstecke sich die Bundesregierung nicht hinter dem zu einem verkleinerten Hauptausschuss (geplant sechs Gesetzentwurf zur Einführung einer Ausbildungsplatzab- Mitglieder pro Bank) zusammengeführt werden. Der neue gabe, sondern leiste den Regierungsfraktionen die gebotene Hauptausschuss soll dann auch über alle bisher vom Formulierungshilfe. Klar sei, dass eine Ausbildungsplatz- Ständigen Ausschuss wahrgenommenen Geschäfte be- abgabe nur dann komme, wenn das Angebot an betriebli- schließen. chen Ausbildungsplätzen nicht ausreiche. Insofern müsse • Der Länderausschuss soll abgeschafft werden. die Botschaft der Wirtschaft an die Betriebe sein, dass • Die Fachausschüsse zur fachlichen Beratung (§ 11 Ber- genügend Ausbildungsplätze die Ausbildungsplatzabgabe BiFG) sollen abgeschafft werden. verhindere. Darüber hinaus werde die Bundesregierung • Der neue Hauptausschuss soll künftig das Forschungs- ernsthaft prüfen, wie sich die Ausbildungslage in den programm des Bundesinstituts beraten. Für die Beratung neuen Ländern entwickeln werde. Es gelte die Vereinbarung der einzelnen Forschungsprojekte soll nicht mehr der der Staatssekretäre, diese Prüfung vor dem Hintergrund der Unterausschuss 1 zuständig sein, sondern ein wissen- demografischen Entwicklung, der Lage auf dem Ausbil- schaftlicher Beirat gebildet werden, der zugleich auch dungsstellenmarkt und dem Stand der einzelnen Ergän- eine kontinuierliche Evaluierung gewährleisten soll. Ein zungsprogramme der Länder vorzunehmen. solcher Beirat diene keinesfalls dazu, die Forschung im Bundesinstitut zu schwächen, soll aber auch die drin- Der Generalsekretär informiert mit Bezug auf den Berufs- gend erforderliche Verknüpfung zu anderen Forschungs- bildungsbericht über Korrekturen der beiden Handwerks- bereichen gewährleisten. kammern Konstanz und Stuttgart zu den Ergebnissen über • Zur besonderen Beratung der Bundesbildungsministerin neu abgeschlossene Ausbildungsverträge, denen zufolge in grundsätzlichen Fragen der beruflichen Bildung soll sich für den Erhebungszeitraum 1.10. 2002 bis 30. 9. 2003 ein Nationaler Berufsbildungsrat geschaffen werden, der ein bundesweiter Rückgang von 2,6 Prozent ergibt. Vor den bei Bedarf ad hoc zusammentreten und nach den derzei- Korrekturen wurde von einem bundesweiten Rückgang von tigen Überlegungen eher nicht als gesetzliches Gremium 2,1 Prozent ausgegangen. Das Handwerk verzeichnet bun- im Gesetz verankert werden soll. desweit einen Rückgang um 4,7 Prozent bei den Neuab- schlüssen zum 30. 9. 2003. In Baden-Württemberg ist nach Durch die BerBiFG-Reform soll die Servicefunktion des den Korrekturen ein Rückgang im Handwerk um 2,3 Pro- Bundesinstituts gestärkt werden unter Festschreibung wei- zent zu verzeichnen statt eines Plus von 9,5 Prozent, im terer Aufgaben im Tätigkeitskatalog des Bundesinstituts. Ländervergleich statt plus 1 Prozent ein Rückgang von 2,4 Weisungsgebundene Aufgaben und Forschung sollen klarer Prozent. Bereits Anfang Dezember habe man der HWK gegliedert werden, was sich auch in der Gremienstruktur Stuttgart mitgeteilt, dass nach Auffassung des Bundesinsti- widerspiegeln soll. Es sei nicht geplant, dass das Bundesin- tuts deren gemeldete Zahlen nicht stimmen könnten. Es sei stitut ein „Blaue-Liste-Institut“ werde. Gerade um zu ver- höchst erstaunlich, dass es bis zum Vorabend dieser Sitzung meiden, dass das Bundesinstitut unter einem falschen gedauert habe, bis die Korrekturen mitgeteilt worden seien. Etikett evaluiert werde, sei die auf den Forschungsteil Die gesamte Neuberechnung werde noch in die Vorlage des beschränkte Evaluation geplant. Der zeitliche Verfahrens- Berufsbildungsberichts 2004 eingefügt. weg sehe vor, dass nach Ostern ein Referentenentwurf vor- gelegt und die Anhörungen durchgeführt werden. Noch vor Die Stellungnahme der Länder wird mit Mehrheit als ge- der Sommerpause soll der Gesetzentwurf dem Kabinett vor- meinsame Stellungnahme des Hauptausschusses zum Ent- gelegt und das Gesetz möglichst zum 1. Januar 2005 in wurf des Berufsbildungsberichts beschlossen. Die Stellung- Kraft gesetzt werden. nahmen der Beauftragten der Arbeitgeber und der Arbeit- nehmer werden als Minderheitsvoten veröffentlicht. Für die

54 BWP 3/2004 Der Generalsekretär erklärt, dass das Bundesinstitut den des Haushaltsplans sind der Vorbehalt des Bundes aus der Eckpunkten der Reform ausdrücklich zustimmt. Von der Sitzung des Unterausschusses 2 vom 10./11. Februar 2004 Neuorganisation der Forschung verspreche er sich eine unter anderem hinsichtlich einer Überrollung der Bundes- Stärkung der praxis- und anwendungsorientierten For- zuweisung aus 2004 nach 2005 und die sich daraus erge- schung. benden Kürzungen in Höhe von insgesamt 1,496 Millionen Euro umgesetzt: Beide Sozialparteien betrachten mit großer Sorge die in der • ca. 873.000 Euro durch Bildung von Ausgabenresten für Reform der Bundesregierung angelegte Gleichsetzung des die Altersteilzeit, dualen mit dem schulischen System. Für beide Bänke hat • ca. 300.000 Euro durch Verschiebung der Einführung ei- die duale berufliche Bildung eindeutig Vorrang. Zur Stär- nes digitalen Dienstausweises, kung des dualen Systems sollte der Anteil an schulischen • ca. 323.000 Euro, die durch eine globale Minderausgabe Ausbildungsgängen möglichst niedrig gehalten werden. Die erwirtschaftet werden müssen. Pläne der Bundesregierung bedeuteten einen kompletten Systemwechsel in Deutschland, so dass in Zukunft dann Frau Pahl bestätigt, dass der BIBB-Haushalt auf der Basis der Weg zum Abschluss – schulisch oder dual – bei einheit- der Koch-Steinbrück-Vorschläge zum Subventionsabbau in licher Abschlussprüfung keine Rolle mehr spiele. Dadurch diesem Jahr zusätzlich mit einer Sperre in Höhe 1.145 T o würde das duale System kaputtgemacht, wie die Erfahrung zu rechnen habe. In dem Genehmigungsschreiben des in anderen Ländern eindeutig zeige. Im Übrigen sei völlig BMBF zur Bundeszuweisung 2004 werde diese Sperre aus- offen, welche Kosten durch ein zweigleisiges Ausbildungs- gebracht. Dabei soll das Bundesinstitut gebeten werden, angebot im schulischen und im dualen System entständen. entsprechende Einsparungspotenziale aufzuzeigen. Offen Nicht einsichtig sei die vom Gesetzgeber geforderte Praxis- sei, ob die Sperre reduziert werden könne – zumal das Bun- orientierung der schulischen Ausbildung, die sicherlich desministerium für Finanzen eine titelscharfe Sperre vor- durch die dann erforderlichen Betriebspraktika negative sehe. Sie könne nicht ausschließen, dass diese Sperre Aus- Auswirkungen auf den dualen Ausbildungsstellenmarkt wirkungen auf den hier zu verabschiedenden Haushalt hätten. Wenn man sich am Ende einer Systemdiskussion 2005 haben werde. Zur Überraschung des BMBF beträfen für ein paralleles schulisches Angebot entscheiden sollte – die Kürzungen auch Tatbestände, die aus Sicht des BMBF - was beide Sozialparteien für grundsätzlich falsch hielten –, und wohl auch des BMWA – keine eigentlichen Subventi- sollte man dieses auch umfassend schulisch regeln und onstatbestände seien: das BIBB, die Förderung der überbe- nicht mit einer Kammerprüfung verbinden. Die Eckpunkte trieblichen Ausbildung und die Aufstiegsfortbildung (nur des Gesetzes müssten massiv korrigiert werden. im Haushalt des BMWA). Die Koch-Steinbrück-Liste sehe in den kommenden Jahren weitere Kürzungen vor. Frau Pahl erwidert, dass zur Zeit ca. 50 Prozent aller Teil- nehmer an einem schulischen Ausbildungsgang nach zwei Im Anschluss an den Haushalt erfolgt eine Präsentation über Jahren ins duale System wechselten und damit eine insge- die Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung im Bun- samt 5-jährige Ausbildung bis zum Abschluss absolvierten. desinstitut in Verbindung mit einem Zielsystem. Außerdem Die Frage sei doch, ob man sich dieses leisten und den Ju- beschließt der Hauptausschuss, die Forschungsprojekte FP gendlichen zumuten wolle oder ob Steuermittel nicht effi- 3.5.101 „Bildungsgutscheine in der öffentlich geförderten be- zienter eingesetzt werden sollten. Insofern habe man den ruflichen Weiterbildung: Erfahrungen und Auswirkungen“ Ländern angeboten, in geeigneten, sinnvollen regionalen und 3.4.106 „Weiterbildungskonzepte für das spätere Fällen schulische Ausbildungsgänge anzubieten, die dann Erwerbsleben (WeisE) – im Kontext lebensbegleitenden Ler- auch von den Betrieben akzeptiert würden. Ein solcher re- nens“ in den vorgelegten Fassungen in das Forschungspro- gionaler Dialog biete die Möglichkeit, sich über die Kam- gramm aufzunehmen. Er beschließt das Forschungspro- mergrenzen hinaus auf Berufe zu verständigen, die sinn- gramm 2004 auf der Basis der vorgenommenen Einzelbe- voll auch in der Region schulisch ausgebildet werden schlüsse über die in Teil I Nr. 1 des Arbeitsprogramms könnten. Eine Kammerprüfung sei in Berufen, die im dua- enthaltenen Forschungsprojekte und nimmt die Vorhaben- len System ausgebildet würden, unumgehbar und müsse planung (Teil II des Arbeitsprogramms) zur Kenntnis. deshalb auch als Abschluss einer entsprechenden schuli- schen Ausbildung angeboten werden, weil auch sehr gute Neue Mitglieder im Hauptausschuss sind der neue stellver- Schulberufe in den Betrieben nicht ohne ein entsprechen- tretende Vorsitzende und Beauftragte der Arbeitgeber, des Zertifikat akzeptiert würden. Wolf-Rainer Lowack, Nachfolger von Dr. Bernd Söhngen, und der Beauftragte der Länder, Wolfgang Beck, Vertreter Der Hauptausschuss beschließt nach § 14 Abs. 1 des Berufs- des Landes Sachsen-Anhalt, Nachfolger von Frank Teichert. bildungsförderungsgesetzes den Haushaltsplan des Bun- Auf Vorschlag der Länder entsendet der Hauptausschuss desinstituts für das Haushaltsjahr 2005, der in Einnahmen Herrn Beck in den Unterausschuss 4 – berufliche Weiter- und Ausgaben mit 53.972 To abschließt. In dem Entwurf bildung und internationale Berufsbildung.

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kurse: den der empirischen Erziehungswissenschaft und den der kritischen Erziehungswissenschaft im Hinblick als Reaktion auf Modernisierung.

In Kapitel drei „Die Rückkehr der Lebenswelt“ werden die Entwicklungen seit den 80er Jahren beschrieben, indem ge- sellschaftlich-kulturelle und erziehungswissenschaftliche Linien aufeinander bezogen und in einem Diskurs verortet werden, der sich inhaltlich auf den (pädagogischen) Alltag und die reale Lebenswelt und methodologisch auf qualita- tive Forschungsverfahren bezieht.

Abschließend werden die diskursiven Linien stichwortartig zu wissenschaftstheoretischen Überlegungen zusammenge- fasst, um die Veränderungen im Wissenschaftsverständnis der letzten Jahrzehnte evident zu machen. Damit schließt sich der Kreis; denn es geht noch einmal um den Diskurs Erziehungswissenschaft von Zusammenhängen, Überblicken, Wissenschaftstransfer und die Diskussion von Theorie und Wissenschaft. WILFRIED BRÜGGEMANN Die vorliegende Einführung in die Erziehungswissenschaft Ein verschlungenes Feld – Eine Einführung in von H. J. FORNECK und D. WRANA ist im Kontext von Ein- die Erziehungswissenschaft führungsveranstaltungen an der Universität Gießen ent- standen. Sie versteht sich in erster Linie als eine Anleitung Hermann J. Forneck, Daniel Wrana für Studierende der Pädagogik bzw. Erziehungswissen- W. Bertelsmann Verlag Bielefeld 2003, 173 Seiten, o 19,90 schaft; gleichzeitig bietet sie Erziehungswissenschaftlern/ -innen und Bildungsexperten/-innen eine gute Grundlage Einführungen in die Erziehungswissenschaft bzw. Pädago- für weiterführende Fragestellungen in Theorie und Praxis, gik wurden in den letzten Jahren viele vorgelegt. Dabei um die verschlungenen Pfade des Feldes möglichst genau handelte es sich vorwiegend um lehrbuchartig-systema- zu erkennen und zu erkunden. tische Darstellungen mit Kompendiumcharakter. „Ein ver- schlungenes Feld“ von FORNECK und WRANA ist eine Ein- führung in die Erziehungswissenschaft anderer Art: sie ist systematisch und situativ zugleich. Sie orientiert sich an einem wandelnden Feld von Diskursen und Praktiken in Erziehung und Bildung und unterstellt, dass sie alle gleich- Matthäuseffekt in der zeitig existieren. Mit anderen Worten geht es um die Viel- Bildung(sfinanzierung)? falt pädagogischer Strömungen, Positionen und Ansätze. ULRICH DEGEN Dem Leser sollen die unterschiedlichen Konstitutionsbedin- gungen erziehungswissenschaftlicher Aussagen, Theorien Bildungsfinanzierung und soziale und Interpretationen aufgezeigt werden, womit gleichzeitig Gerechtigkeit die Verschlungenheit des (pädagogischen) Feldes beleuchtet und dargestellt wird. Dies geschieht in drei Kapiteln. Christoph Ehmann W. Bertelsmann Verlag Bielefeld 2001, 2. überarb. Auflage Das erste Kapitel beginnt mit der „Stunde Null“, dem Jahr 2003, 188 Seiten, o 16,90 1945, und versucht darzulegen, wie im Spiel zwischen Tra- dition und Neuorientierung ein Anfang gemacht wird. Dazu Klappentexte zu guten Büchern sind die propagandistische wird aufgezeigt, dass der (pädagogische) Neuanfang im Verdrehung von guten Inhalten: Jedenfalls ist dieses gute Wesentlichen aus Rückgriffen besteht, deren Grundlagen in Buch nicht „die Bibel zum Thema Bildungsfinanzierung“, der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und Reform- wie die taz glauben macht – zur ersten Auflage, die etwas pädagogik liegen. zurückliegt; und zur zweiten gibt es keine Stimmen.

Kapitel zwei trägt den Titel „Zwischen Reform und Kritik“. Wie dem auch sei, das eigentliche Anliegen des Autors und Hierbei geht es um die Darstellung zweier neuer(er) Dis- die zentrale Figur der Betrachtung – und Analyse – ist eine

56 BWP 3/2004 gesamtgesellschaftlich orientierte Bildungsgesamtrechnung. Zurück zum Analyseband ... Darauf weist bereits die argumentative Nutzung des Bil- Eine Bildungsgesamtrechnung, im Detail und vom empi- dungsfinanzberichts 2000/2001 der Bund-Länder-Kommis- risch-statistisch dazu notwendigen Handwerkszeug nicht sion für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) ganz einfach, wird in der Bildungs- und Berufsbildungs- eingangs zur Betrachtung der Geldströme im Bildungsbe- und Weiterbildungsforschung eigentlich in Deutschland reich hin, die sich danach zusammensetzen aus vier großen nicht systematisch betrieben. Blöcken: Insofern ist der Focus „Bildungsfinanzierung“ von EHMANN A. Ausgaben für den Bildungsprozess, B. Förderung von ein interessanten Surrogat einer solchen fehlenden deut- Bildungsteilnehmern, C. Ausgaben für Forschung und Ent- schen Bildungsgesamtrechnung und kann viele Defizite der wicklung und D. Sonstige Bildungs- und Wissenschaftsin- Analyse und Diskussion der „social exclusion“ aufdecken. frastruktur. Zu Recht kritisiert der Autor die nicht voll- Die Finanzierungsquellen, ihr Umfang und ihre Ziele wer- kommene Aufstellung und erinnert daran, dass insbeson- den auf das gesamte Bildungswesen bezogen offen gelegt dere noch folgende „investive Positionen“ zu ergänzen und dann detailliert für die einzelnen Bereiche, vom Kin- bleiben, damit die Budgetbetrachtung einigermaßen der dergarten über die Berufsausbildung und Hochschulbildung Realität der gesamten Faktoren der Investition in Bildung bis zur Weiterbildung auf allen Ebenen, durchleuchtet. in Deutschland entspricht (vgl. im Detail S. 12 u. 13): In die Analysefigur „Bildungsgesamtrechnung“ gehen bei • Transfers und Steuervergünstigungen für den Lebensun- ihm auch die privaten und familiären Investitionen in Bil- terhalt der Studierenden, die der beruflichen Weiterbil- dung mit ein, die von der Wirtschaft gerne reklamiert, je- dung zufließenden Aufwendungen in öffentlichen Haus- doch nicht eigentlich finanziert werden. halten, die in anderen Etats als denen der Bildungs- ministerien enthalten sind, Von hier an interessiert natürlich, wie der Autor mit wel- • alle Aufwendungen von Privatpersonen für den Besuch chen Vorschlägen an die Auflösung der Probleme und die privater Berufsschulen, für Nachhilfeunterricht und die in Matthäus 13, Vers 12 festgestellten Effekte gehen will. allgemeine und berufliche Weiterbildung, Mit vier „Ecksteinen“ möchte er dies tun: • und die Aufwendungen von Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen. 1. „Ganztagsunterricht: Wer mehr soziale Gerechtigkeit, wer gleiche Chancen für alle im Bildungswesen anstrebt, Worauf der Autor hinauswill, ist, festzuhalten, dass in muss deshalb nicht nur zielgruppengerecht, sondern in- Deutschland bei einer Summe von rd. 220 Mrd. o Bil- dividuell und somit extrem ungleich fördern“ (155); dungsaufwendungen, was einem Anteil von 10 bis 11 Pro- 2. „Gebührenfreiheit bis zum Sek-I-Abschluss“. Die Bil- zent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht, nicht die dungszeit bis zum Abschluss der Sekundarstufe I soll ge- Frage ist, dass Deutschland zu wenig für Bildung ausgibt bührenfrei sein (160); – viel mehr als beispielsweise das in der PISA-Studie ge- 3. „Dualisierung aller Berufsausbildungen: Nach der Se- lobte Finnland (0,2 % des BIP!), sondern dass man auch kundarstufe I sollte jede weitere Bildung weit gehend einmal über „die Verteilung der Bildungsinvestitionen dem Prinzip der Dualisierung, d. h. sowohl der Verbin- nachdenken (soll). In den ersten Schuljahren, wo wesent- dung von Theorie und Praxis als auch der Kostenteilung liche Grundlagen für Bildung gelegt werden, wird in folgen, also den Nutznießer der vermittelten Qualifika- Deutschland unterdurchschnittlich investiert, während in tionen an den Kosten beteiligen“ (163); den letzten Schuljahren Spitzenwerte bei den Ausgaben pro 4. „Einkommen statt Alimentierung: Nach der Sekundar- Schüler erreicht werden“ (A. SCHLEICHER, Gesamtkoordinator stufe I sollten Lernende in zunehmendem Umfang als so- der OECD für PISA, März 2002). zialversicherungspflichtige Beschäftigte behandelt wer- den. Dabei sollten die Förderung durch die Eltern, der Alle diese komplexen Investitionsstrukturen und Finanz- Eigenverdienst und die Ausbildungsförderung zu einem ströme im Bildungswesen werden im Detail referiert und Einkommen zusammengefasst werden.“ (167) reflektiert und zugespitzt im bereits angedeuteten „Mat- thäus-Effekt“: Ungleichheit durch Gleichbehandlung – „Die Nicht ganz gewohnte Anregungen, unkonventionelle Re- Untersuchung der Bildungsfinanzierung zeigt über alle Bil- flektionen und eine insgesamt an Generationeninteressen, dungsbereiche, wie sie erstens dazu beiträgt, dass der Nut- sozialen Ausgleichen und gesellschaftlicher Gerechtigkeit zen von Bildung im Verlauf des Lebens bei immer weniger orientierte Darlegung des deutschen investiv und struk- Menschen kumuliert wird, und wie damit zweitens der An- turell defizitären Bildungswesens reizen zur Lektüre – was spruch, jeden Einzelnen unabhängig von sozialer Herkunft Zweck dieser kleinen Rezension über den Klappentext zu fördern, von Bildungsstufe zu Bildungsstufe weniger hinaus ist. erfüllt wird.“ (144)

BWP 3/2004 57 ABSTRACTS

ELISABETH M. KREKEL, KLAUS TROLTSCH, JOACHIM GERD ULRICH WALTER SCHLOTTAU No improvement in sight? Self-financed affiliations: training models which are independent of the The current situation in the market for training positions state of the economy Keine Besserung in Sicht? Results of case studies on successful affiliations of training providers Zur aktuellen Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt Selbst finanzierte Verbünde als Modelle konjunkturunabhängiger Aus- bildung Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 11 Ergebnisse aus Fallstudien erfolgreicher Ausbildungsverbünde Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 32 2003 was not a good year for the training positions market in . Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Officially there were only about 97 training positions available for every 100 persons seeking such positions. But this statistic is only half the picture, as it In order to be able to offer all young people a sufficient number of viable train- merely reflects the end result in a market which has been patched up by stop- ing positions, strategies are needed to reduce dependence of training availa- gap measures and compensation processes. Without these stop-gap measures bilities on the current state of the economy. Affiliations of training providers the picture would have been much more dire. The authors use empirical data play a special role in the discussion over vocational training policy. Many of to show that no significant improvement is to be expected in 2004, either. these affiliations continue to receive government funding. For some time now attention has also been directed to affiliations of training providers which are not dependent on public funding. The article presents results from a study of affiliations of training providers which completely finance themselves. JOACHIM GERD ULRICH Who is to blame for the disastrous situation in the training sector? Discussion on the problem with apprenticeships from the perspective of attribution theory HEINRICH ALTHOFF Wer ist schuld an der Ausbildungsmisere? Percentages of trainees at companies: how meaningful are such Diskussion der Lehrstellenprobleme aus attributionstheoretischer Sicht statistics? Ausbildungsbetriebsquoten: welche Aussagekraft haben sie? Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 15 Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 39 Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis In Germany a fierce debate is currently raging over the causes of problems in the market for apprenticeship positions. The lines of conflict run right across Determining percentages of trainees at companies is part of the fixed reper- providers and users of training positions or their representatives, the business toire of quantitative analysis of company training performances. Whether this associations and trade unions. Business is especially criticising the lack of can be justified in view of different sizes of companies or not is examined using mobility and maturity among young people, while the trade unions are empirical data and individual case examples. The result is that the percentage attacking the short-term human resources policies of companies. These of trainees at companies only allow limited conclusions to be drawn as to the arguments are nothing new. At the same time it appears unlikely that the quantitative training performance and training position reserves from a train- opposing sides will be reconciled in the future. Social-psychological research ing-policy perspective. The article illustrates the differences in definitions for analysis of the specific views of the parties in the conflict offers a surprising percentages of trainees at companies and training quotas. explanation for this.

EDITH BELLAIRE, HARALD BRANDES URSULA BEICHT, GÜNTER WALDEN No dead-end careers Is remuneration for trainees too high? There is no “one-size-fits-all” The designing of two-year training occupations in Switzerland answer to this question Kein Abschluss ohne Anschluss Sind die Ausbildungsvergütungen zu hoch? – Eine pauschale Antwort Zur Gestaltung zweijähriger Ausbildungsberufe in der Schweiz ist nicht möglich Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 42 Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 20 Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis BIBB is examining the “acceptance of two-year company training programmes” In view of the current shortage of training positions, complaints are increasingly in order to estimate the potential for additional training positions to be created. being heard by representatives from business and the political arena about the The fact that training policy and educational questions are particularly related high remuneration paid to trainees. In addition to demands for a general reduc- to these questions is revealed by a look at Switzerland, where answers are tion in remuneration, some are also calling for e.g. performance-pegged remu- sought in pilot projects. Three core elements characterise all projects in neration of trainees or only for their actual presence at a company. It is be- Switzerland: free interchange between educational pathways, a legal claim to lieved that implementation of these demands would have a positive impact on special support for young people with poor start-up opportunities and occu- willingness to offer trainee positions. This article aims at putting the discussion pation-specific solutions. on a more objective footing by using empirical data to analyse remuneration for trainees and the most important variables involved.

INGRID LISOP, RICHARD HUISINGA A new path to placing the dual principle on a secure footing KATHARINA KANSCHAT, REINHARD SELKA The new “social insurance” bachelors programme Networking projects creates additional training positions Ein neuer Weg der Sicherung des dualen Prinzips “Under One Roof” – an initiative of the Federal Ministry of Education and Der neue Bachelor-Studiengang „Sozialversicherung” Research Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 49 Vernetzung von Projekten schafft zusätzliche Ausbildungsplätze Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis „Unter einem Dach“ – eine Initiative des BMBF The example of the social insurance bachelors programme – a new type of Vocational Training in Research and Practice - BWP 33 (2004) 3, p. 24 programme combining theory and practice – comes from the area of statutory Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis accident insurance. This programme focuses on questions relating to the The Federal Government and the social partners have agreed upon new educational modernisation of the dual system as well as the ability to move measures and areas of focus to improve the situation with respect to training between programmes and areas of training and qualification systems. The new positions within the framework of the Training Offensive 2003. This includes bachelors studies programme contains interesting suggestions for the dual inter alia the “Training Structure Projects – Under One Roof” initiative. In the system of vocational training; especially when the issue is designing training initiative, various structural projects which are being funded by the Federal programmes which take place exclusively at schools while at the same time Ministry of Education and Research which pursue the same general objective in preserving the dual system. The article presents the occupation and discusses different ways and with different tools are being networked to exploit the the dual nature of the curriculum. potential for additional training positions.

58 BWP 3/2004 AUTOREN

CARMEN BERGMANN REINHARD SELKA Institut für angewandte Bildungsforschung Schonensche Str. 8, 10439 Berlin Kaiser-Wilhelm-Str. 21, 67059 Ludwigshafen E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

WILLI BRASE, MdB SPD-Bundestagsfraktion Platz der Republik 1,11011 Berlin AUTOREN DES BIBB E-Mail: [email protected] CHRISTOPH ACKER EDELGARD BULMAHN, MdB E-Mail: [email protected] Bundesministerin für Bildung und Forschung Heinemannstr. 2, 53175 Bonn HEINRICH ALTHOFF E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

JÖRG E. FEUCHTHOFEN URSULA BEICHT Unternehmerverbände – VhU E-Mail: [email protected] Emil-von-Behring-Str. 4, 60439 Frankfurt a. M. EDITH BELLAIRE E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected]

PROF. DR. RICHARD HUISINGA HARALD BRANDES Universität/Gesamthochschule Siegen E-Mail: [email protected] Adolf-Reichwein-Str. 2, 57068 Siegen E-Mail: [email protected] DR. WILFRIED BRÜGGEMANN E-Mail: [email protected] KATHARINA KANSCHAT KAUSA ULRICH DEGEN Unter Sachsenhausen 10–26, 50667 Köln E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] DR. ELISABETH M. KREKEL DR. RENATE KAPPLER E-Mail: [email protected] IHK-Bildungszentrum Dresden gGmbH WOLFGANG MÜLLER-TAMKE Christian-Morgenstern-Str. 9, 01257 Dresden E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] KORNELIA RASKOPP PROF. DR. INGRID LISOP E-Mail: [email protected] Am Eschbachtal 50, 60437 Frankfurt a. M. E-Mail: [email protected] WALTER SCHLOTTAU E-Mail: [email protected] HERBERT SCHLÄGER Institut für angewandte Bildungsforschung KLAUS TROLTSCH Kaiser-Wilhelm-Str. 21, 67059 Ludwigshafen E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] PHILIPP ULMER UWE SCHUMMER, MdB E-Mail: [email protected] CDU/CSU-Bundestagsfraktion DR. JOACHIM GERD ULRICH Platz der Republik 1,11011 Berlin E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] DR. GÜNTER WALDEN E-Mail: [email protected]

IMPRESSUM Hannelore Paulini-Schlottau, Ulrike Schröder, Kündigung Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis Dr. Gert Zinke Die Kündigung kann bis drei Monate 33. Jahrgang, Heft 3/2004, Mai/Juni 2004 Gestaltung vor Ablauf eines Jahres beim Verlag erfolgen. Herausgeber Hoch Drei GmbH, Berlin Copyright Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) Verlag, Anzeigen, Vertrieb Die veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich Der Generalsekretär W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG geschützt. Nachdruck, auch auszugsweise, Robert-Schuman-Platz 3, 53175 Bonn Postfach 10 06 33, 33506 Bielefeld nur mit Genehmigung des Herausgebers. Redaktion Telefax: 0521 - 9 11 01 - 19, Dr. Ursula Werner (verantw.) Telefon: 0521 - 9 11 01 - 11 Manuskripte gelten erst nach Bestätigung Stefanie Leppich, Katharina Reiffenhäuser E-Mail: [email protected] der Redaktion als angenommen. Namentlich Telefon: 02 28 - 107- 17 22/17 23/17 24 Bezugspreise und Erscheinungsweise gezeichnete Beiträge stellen nicht unbedingt die E-Mail: [email protected], Internet: www.bibb.de Einzelheft 7,90 p Meinung des Herausgebers dar. Unverlangt Beratendes Redaktionsgremium Jahresabonnement 39,70 p eingesandte Rezensionsexemplare werden nicht Bettina Ehrenthal, Anja Hall, Ute Hippach-Schneider, Auslandsabonnement 44,40 p zurückgesandt. Prof. Dr. Werner Markert, Gisela Mettin, zuzüglich Versandkosten, zweimonatlich ISSN 0341–451