ISSN 0948–2407 | 67485

DISPUT Starkstrom MITGLIEDERZEITSCHRIFT DER PARTEI DIE LINKE MÄRZ 2013 2 EURO Klaus Lederer zur Arbeit des Berliner Landesverbandes, zur langen Liste der verpass- ten Gelegenheiten und über »L«, die Zeitung mit Liebe, Lust und Leidenschaft. 8

Gleichstellung

Bernd Riexinger: Aus Jahr- zehnten der Gewerkschafts- arbeit weiß ich: Die alltägli- chen Sorgen sind meist an- dere. Trippelschritte auf dem Weg zur Gleichstellung 22

Aktiviert

Mit Spaß und Power gegen Castor-Transporte und ein Nukleares Entsorgungszent- rum Gorleben: Die Wendland- Aktivistin Kerstin Rudek im Interview 28

Alles anders! Der steinige Weg zur Geschlechtergerechtigkeit. DISPUT schaut »kompakt«, wo wir stehen und wo wir noch hinwollen. Ab Seite 22 Foto: Erich Wehnert

DISPUT März 2013 1 INHALT

DISPUT bittet zu jeder Ausgabe eine Leserin bzw. einen Leser um eine kurze Vor-Lesung des aktuellen Heftes.

kritisiert die Trippelschritte auf dem Caren Lay, die gute Vorschläge für Weg zur Gleichstellung in Deutsch- bezahlbares Wohnen macht. Zu gu- land. Oft sind diese sogar rückwärts- ter Letzt sei noch der Bericht über gewandt wie jüngst das Betreuungs- Roland Kümel empfohlen, der mit geld. Wenn die entsprechende Inf- dem Rad von Sylt bis zur Zugspitze rastruktur fehlt, werden Kinderbe- fährt, um dort eine Anti-Atom-Fah- treuung und Pfl ege von Angehörigen ne zu hissen. Eine gute Aktion, die meist unentgeltlich von Frauen über- dazu beiträgt, dass Fukushima und nommen. Das ist die Logik dahinter: die Gefahren der Atomkraft im Be- Es ist einfach billiger, Frauen mit 150 wusstsein bleiben. Euro im Monat abzuspeisen, als den leichstellung ist das Kita-Ausbau fl ächendeckend voran- JANINE WISSLER IST FRAKTIONSVOR- »kompakt«-Thema die- zutreiben. SITZENDE DER LINKEN IM HESSISCHEN ser DISPUT-Ausga- Neben dem Schwerpunktthema, dem LANDTAG. be. Gut so! Es reicht sich mehrere Artikel und Rezensi- nicht, die Diskriminie- onen widmen, gibt es weitere sehr G rung von Frauen in unserer Gesell- empfehlenswerte Texte, zum Beispiel schaft am Internationalen Frau- von Ronald Friedmann zur Verfol- DISPUT 03/2013 entag und Equal-Pay-Day zu the- gung der Juden in Deutschland. Und matisieren. LINKE Politik muss da ich als Frankfurterin das Problem die Gleichstellung bei allen Fra- steigender Mieten leider nur zu gut VOR-GELESEN gen mitdenken. kenne, empfehle ich den Artikel von VON JANINE WISSLER

UMFAIRTEILEN 4 FRAKTION Der »Brandenburger Weg« 20 MATTHIAS HÖHN Agenda für Soziale Gerechtigkeit 5 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT KANDIDAT Weniger Testosteron … 22 Roter Teppich für Toleranz 6 Frauen haben »Recht auf mehr« 26 Gleichstellung: Noch viel zu tun 27 PARTEI Mit viel Spaß und voller Power Raju Sharma zur Mitgliederkartei 7 Kerstin Rudek im Interview 28

LANDESVERBAND ERINNERUNGEN : Stark unter Strom 8 Nicht nur ein Baum 32 JEDEN MONAT GESCHICHTE AKTION Pogrom 10 NACHBELICHTET 13 Radtour gegen Atomwaffen 33 KURZ UND BUNT 17 LITERATUR PRESSEDIENST 18 INTERNATIONAL Zum »100.« von Stefan Heym 11 DAS KLEINE BLABLA 19 Weltweit geschaut und gedacht 34 FEUILLETON 21 Das ganze Dorf ein Fest 35 MIETEN POST 44 Auf bessere Zusammenarbeit 36 Wohnen als Menschenrecht 12 DEMNÄCHST 45 Wahlkampf ohne Wahltermin 38 BÜCHER 46 KOMMUNAL MÄRZKOLUMNE 47 KULTUR Schlüsselwechsel im Rathaus 14 Hans Eckardt Wenzel 40

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14–16, 10178 Berlin REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: 030 24009510, Fax: 030 24009399, [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE , Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS HEFT 3 18. März 2013. Im April erscheint DISPUT als Sonderausgabe (Mitgliedermagazin) an alle Mitglieder. Heft 5 gibt's am 16. Mai.

2 DISPUT März 2013 FRAGEZEICHEN

Was hat dich in letzter Zeit am meisten überrascht?

Dass die FDP mit zehn Prozent in den niedersächsischen Landtag eingezogen ist. Was ist für dich links? Kritisch sein: nichts einfach hinnehmen. Hinter- fragen, nachfragen, selber aktiv werden – Alternativen denken und leben. Wo- rin siehst du deine größte Stärke, deine größte Schwäche? Größte Stär- ke ist mein Ehrgeiz, meine größte Schwäche, dass ich oft zu viel will, statt mich mal zurückzulehnen. Wenn du Parteivorsitzende wärst … … würde ich noch mehr versuchen, DIE LINKE zu einer Mitmachpartei zu machen. Vie- le Menschen unserer Zielgruppe meinen, man könne doch nichts ändern. DIE LINKE muss Menschen, die schon aufgegeben haben, neue Perspektiven er- öffnen, sich für eine gute Sache einzusetzen. Echte Demokratie leben eben. Die Demokratie hat ein Problem, wenn sich vordergründig Privilegierte enga- gieren. Was regt dich auf? Sachen wie zuletzt die Verurteilung eines Antifa- schisten zu 22 Monaten wegen seines Engagements gegen den Naziaufmarsch in Dresden. Wenn gleichzeitig Faschisten freigesprochen werden und NSU- Akten verschwinden, läuft gewaltig etwas schief. Wofür gibst du gerne Geld aus? Musik. Für CDs und Konzerte habe ich schon ein kleines Vermögen aus- gegeben. Möchtest du anders sein, als du bist? Manchmal müsste ich mir etwas mehr Freizeit gönnen. Aber dafür macht die Politik einfach zu viel Spaß ... Wann fühlst du dich gut? Nach einer erfolgreichen politischen Aktion: Ei- ne Veranstaltung oder eine Demo, in die man viel Arbeit gesteckt hat und die dann erfolgreich war, ist das Sahnehäubchen des politischen Engagements. Welche Rolle spielen Kunst und Kultur in deinem Leben? Eine sehr große. Kultur ist wichtig, um mal abzuschalten. Aber auch, um politische Inhalte zu transportieren. Leider bleibt immer weniger Zeit, sich Kultur intensiv zu wid- men. Worüber lachst du besonders gern? Auch mal über sich selbst lachen zu können, ist wichtig. Wen oder was würdest du mit auf eine Insel neh- men? Meinen Hund, Musik und Nudelsalat. Dann bin ich wunschlos glücklich.

JULIA RANGE IST 23. SIE STUDIERT EMPIRISCHE DEMOKRATIEFORSCHUNG IN MAINZ UND IST BUNDESSPRECHERIN DER LINKSJUGEND [’SOLID].

DISPUT fragt jeden Monat ein Mitglied unserer Partei nach dem vollen Ernst im richtigen Leben.

DISPUT März 2013 3 AKTION Teilen macht Spa ß!

Warum wir weiter »UmFairteilen« wollen – Vor dem Aktionstag am 13. April VON NADIA ZITOUNI

ür den 13. April ruft das Bünd- mere Hälfte der Bevölkerung so gut verbänden und weiteren Organisati- nis »Umfairteilen – Reichtum wie kein Vermögen besitzt, verfügt onen, das sich vor gut einem Jahr ge- F besteuern!« erneut zum bundes- das reichste Prozent der deutschen gründet hat. Gemeinsam werden wir weiten Aktionstag auf, um gegen die Bürgerinnen und Bürger über Rück- am 13. April an vielen Orten auf die ungerechte Verteilung vorhandenen lagen, die zusammen genommen hö- Straße gehen und gegen die bestehen- Vermögens zu protestieren. Auch DIE her sind als die öffentlichen Schul- den Verhältnisse protestieren. Bei De- LINKE wird dabei sein. den in Deutschland. Rund 500.000 monstrationen, mit Menschenketten, Vielerorts fehlt es an Geld für not- Millionäre in der Bundesrepublik be- an Infoständen und mit vielen weite- wendige Investitionen in Bildung sitzen ein Drittel des Privatvermö- ren Aktionen werden wir die Bürge- und Soziales. Die Zahl der Kitaplätze gens – zusammen etwa 2,4 Billionen rinnen und Bürger darüber informie- ist bundesweit noch immer zu nied- Euro, die Schulden des Staates dage- ren, wie die Vermögensverteilung in rig, viele Schulen sind dringend sa- gen betragen etwa 2,1 Billionen Euro! Deutschland wirklich ist. nierungsbedürftig. In der Alten- und DIE LINKE will diese Entwicklung Wir rufen alle Genossinnen und Ge- Krankenpfl ege herrscht ein desaströ- umkehren. Dazu fordern wir unter nossen, Sympathisantinnen und Sym- pathisanten dazu auf, sich an den Ak- tionen vor Ort zu beteiligen und mit uns gemeinsam für eine Veränderung der Verhältnisse zu protestieren. Vie- Vom individuellen Nettovermögen le Aktionen befi nden sich noch in der entfallen auf ... Planung und werden in den kommen- den Wochen bis zum Aktionstag auf ... das reichste Zehntel der Bevölkerung www.die-linke.de und auf den Inter- 61,1 % netseiten des Bündnisses unter www. ... das 9. Zehntel 19,0 % umfairteilen.de veröffentlicht. ... das 8. Zehntel 11,1 % Aber nicht nur am Aktionstag wol- len wir die Forderung nach Umver- ... das 7. Zehntel 6,0 % teilung in die Öffentlichkeit tragen, ... das 6. Zehntel 2,8 % auch im bevorstehenden Bundestags- wahlkampf wird dies ein zentrales ... das 2. bis 5. Zehntel 1,6 % Anliegen der LINKEN sein. So wird ... das ärmste Zehntel –1,6 % die Umverteilung von Oben nach Un-

Quelle: Sozioökonomisches Panel 2007 DIW 2009 2007 Panel Quelle: Sozioökonomisches ten innerhalb unserer Gesellschaft zentrales Thema unseres Wahlpro- gramms sein, das im Entwurf in die- ser Spardruck. Öffentliche Einrich- anderem eine jährliche Millionär- sen Wochen in der Mitgliedschaft dis- tungen wie Theater und Schwimm- steuer in Höhe von fünf Prozent so- kutiert und im Juni auf dem Parteitag bäder werden geschlossen. Jedes wie eine einmalige Abgabe von Ver- beschlossen wird. Auch hier sind al- siebte Kind ist auf Hartz IV angewie- mögen über eine Million Euro. 80 Mil- le Genossinnen und Genossen aufge- sen, Millionen Menschen müssen liarden Euro zusätzliche Einnahmen rufen, Ideen und Änderungen beizu- von Niedriglöhnen leben und für im- pro Jahr würde das in die Staatskas- steuern, so dass wir im Juni mit dem mer mehr Menschen reicht die Rente sen spülen – Geld, das zum Beispiel besten Wahlprogramm aller Zeiten für einen würdevollen Lebensabend in neue Kita-Plätze, die Krankenhaus- in den Bundestagswahlkampf gehen nicht mehr aus. Das ist keine Fikti- versorgung oder den sozialen Woh- können! on, sondern leider bittere Realität in nungsbau investiert werden könnte. Deutschland. Die Zeit drängt und deshalb macht Die Sparpolitik der Regierung hat DIE LINKE weiter Druck für eine Um- dazu geführt, dass die öffentliche In- verteilung von Oben nach Unten. frastruktur unter dem Deckmantel Denn Teilen ist nicht nur sozial ge- Kontakt der klammen Kassen vernachlässigt recht, sondern macht auch Spaß und wurde. Was jedoch konsequent ver- tut der Mehrheit im Land gut. Aus www.die-linke.de/umfairteilen schwiegen wird: Deutschlands Kas- diesem Grunde unterstützt DIE LIN- www.umfairteilen.de sen müssten keineswegs so leer sein, KE auch weiterhin das bundesweite wie sie heute sind: Während die är- Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial-

4 DISPUT März 2013 AUS DEM HAUS

or zehn Jahren, am anliegen, das Kernanliegen der LIN- 14. März 2003, trat der KEN, ist es, das Fundament des Sozi- damalige rot-grüne Kanz- alstaates wieder herzustellen. Wenn ler Gerhard Schröder im es einer Agenda bedarf, dann einer ans Redner- Agenda für Soziale Gerechtigkeit. V pult. Damals verkündete er sein Kon- Aber: Wir können dies nicht allein zept zur Reform des deutschen Sozi- stemmen! Ob die SPD wirklich ein alsystems und des Arbeitsmarktes. Partner ist, wie es ihr Wahlprogramm Kernig wie er war, nannte er das Pro- zumindest in Ansätzen glauben ma- jekt »Agenda 2010«. Basta! chen will, ist mehr als fraglich. Zu Auch wir haben damals die Notwen- stark sieht es nach puren Blinken digkeit gesehen, an den Sozialsyste- MATTHIAS HÖHN nach links aus – und im Ergebnis pas- men etwas zu ändern. Unsere Vor- siert bestenfalls nichts, wenn nicht stellungen gingen allerdings in eine gar das Gegenteil. grundsätzlich andere Richtung: Mo- Wir brauchen Auch deshalb haben wir die Diskus- dernisieren und sicherer machen, eine Agenda sion um unser Bundestagwahlpro- statt gewaltige Löcher in das sozia- gramm weit geöffnet: Wir brauchen le Netz zu schneiden. Eine »Hänge- für Soziale Partnerinnen und Partner, wir brau- matte« war das bundesdeutsche Sys- Gerechtigkeit chen die Stimmlosen, die Resignier- tem schon vor Schröder nicht. Sei- ten, wir brauchen die Wütenden und ne »Bemühungen«, das Sozialsystem die Visionäre. Wir brauchen alle, die zu modernisieren waren aber letzt- mitmachen wollen wenn wir für gu- lich nichts anderes als Abbrucharbei- te Arbeit, gute Löhne, eine sichere ten: die Hartz-Gesetze, Kürzung der Rente kämpfen, wenn wir mehr so- Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, zu erwähnen, die gewaltige Umvertei- ziale Sicherheit wollen, gute medizi- Verschärfung der Zumutbarkeitsre- lung zu Lasten von Arbeitnehmerin- nische Versorgung und chancenglei- geln, die Lockerung des Kündigungs- nen und Arbeitnehmern – aber in der che Bildung. schutzes, Ausdehnung des Renten- dauerhaften gesellschaftlichen Aus- Die bisherige Debatte zeigt, dass un- eintrittsalters auf 67… In Kürze eine grenzung von über einer Million Men- sere Einladung angenommen wird, Mischung aus unsozialen Härten und schen manifestiert sich das ganze weit über die Grenzen unserer Par- arbeitgeberfreundlichen Gesetzen. Übel der Agenda 2010. tei hinaus. So haben wir die Chan- Es ist kein Wunder, dass die damali- In die Feiern der Agenda-Erfi nder ce, dass sich die Betroffenen in unse- ge Opposition von rechts, Union und mischt sich leider kaum ein kritischer rem Angebot wiederfi nden. Wer sich FDP, dem Genossen der Bosse ap- Ton. Dabei gab es am Anfang Protes- wiederfi ndet, angenommen wird, der plaudierte und applaudiert. te, erinnert sei an die Montagsde- fi ndet vielleicht auch seine Stimme Um die Folgen zu illustrieren, reicht monstrationen im ganzen Land: Tau- wieder. Die Stimme, die der Protest eigentlich eine Zahl: Über eine Millio- sende gingen Woche für Woche auf braucht, die Stimme, die wir brau- nen Menschen beziehen seit der Ein- die Straße. Und die Frage muss er- chen. Damit es besser wird. führung von Hartz IV im Jahr 2005 laubt sein: Wo sind diese Menschen diese entwürdigenden Almosen un- hin? Haben sie resigniert? Sich abge- MATTHIAS HÖHN IST BUNDESGESCHÄFTS- unterbrochen. Über eine Millionen funden? Wieviele von denen, die da- FÜHRER UND WAHLKAMPFLEITER. Menschen sind seit acht Jahren aus- mals laut protestiert haben, schlu- geschlossen von einer vernünftigen cken heute widerspruchslos die Lü- Foto: Erich Wehnert Teilhabe an der Gesellschaft, sind gen über die Erfolge der Agenda seit acht Jahren zu Armut per Gesetz 2010? Wieviele geben ihrem Protest verdammt. keine (Wähler-)Stimme mehr? Betrof- Natürlich gehören zu den Folgen fen sind Millionen – protestiert wird auch der massive Druck auf die Löh- nur noch von wenigen Hundert. ne, der mit dem Erpressungspotenzi- In den zehn Jahren, seit Kanzler al der Agenda-Politik einhergeht, und Schröder den Rammbock an die die enorme Zunahme von prekärer Grundfeste des Sozialstaates gesetzt Beschäftigung. Natürlich gehört da- hat, waren wir es, die Kritik und Pro- zu die Bedrohung durch Altersarmut test nie abebben ließen. Unser Kern-

DISPUT März 2013 5 KANDIDAT Roter Teppich für Toleranz Es gibt viele Punkte, bei denen wir uns einmischen müssen VON THOMAS EDTMAIER, IN BADEN-WÜRTTEMBERG GEWÄHLT ZUM DIREKTKANDIDATEN FÜR DIE BUNDESTAGSWAHL

s war im Kommunalwahlkampf 2009, als ich gefragt wurde, ob E ich als Parteiloser, aber aktives Mitglied der antifaschistisch engagier- ten Bevölkerung, auf der Liste der LIN- KEN kandidieren würde. Zuerst erbat ich mir ein wenig Bedenkzeit, doch schließlich entschied ich mich, lan- ge Zeit nach meinem SPD-Parteiaus- tritt, wieder zu einer Parteimitglied- schaft. Ich hatte mir die Versamm- lungen angeschaut, bin zu Sitzungen gegangen und konnte gleich mitarbei- ten. Nach den Kommunalwahlen bin ich in DIE LINKE eingetreten. Ich en- gagierte mich dann im Orts- und Kreis- verband. Jetzt bin ich ehrenamtlicher Kreisgeschäftsführer. Im Oktober letz- »Kein Fußbreit den Nazis!« Wegen seines Engagements wurde Thomas Edtmaier (r.) ten Jahres nominierten mich die Ge- kurz nach dieser Aufnahme von Neonazis angegriffen und verletzt. Foto: Peter Maier nossinnen und Genossen als ihren Bundestagskandidaten für den Land- kreis Göppingen. In meiner Bewerberrede für die liche Menschen, mit Vor- und Nach- entreißen. Bei meiner Intervention Landesliste habe auch ich mir für die teilen und die Vorteile dabei sollten wurde ich gezielt angegriffen und zu Zukunft natürlich Schwerpunkte ge- wir nutzen. Es gibt viele Punkte, bei Boden gestoßen. Die Aktion hat zwar setzt. Ich möchte mich besonders in denen wir uns einmischen müssen. Schmerzen durch Prellungen und der Gesundheits- und Energiepolitik Dort gilt es dann auch, unsere gan- Schürfwunden verursacht, aber mei- einbringen. Gesundheit und Energie ze Kraft einzusetzen. Wenn wir wie- ne Einstellung und auch mein Enga- sind für mich Grundbedürfnisse, die der zu einem respektvollen Umgang gement haben sich dadurch nur noch der Staat zu gewährleisten hat. Mei- miteinander kommen, erreichen wir verstärkt. Kein Fußbreit den Nazis! ne Stärken sind meine Ausdauer, auch unsere Wählerinnen und Wäh- Politik ist jedoch nicht alles in mein Organisationstalent und meine ler. Das sollte unser Ziel sein. Mahat- meinem Leben. Ich bin verheiratet Freundlichkeit. ma Gandhi sagte einmal: »Wir müs- und habe einen neunjährigen Sohn. Es gibt aber leider noch immer sen die Änderung sein, die wir in der In meiner, mit den Jahren immer einige Dinge, die mich aus der Haut Welt sehen wollen!« knapper werdenden Freizeit, unter- fahren lassen. So sind es zum Beispiel Mein Herz schlägt nach wie vor stütze ich ein soziales Schulprojekt in die »Klein-Kriege«, die uns das Leben für die antifaschistische Bewegung. Gambia. Zur Zeit bauen wir mit Spen- innerhalb unserer Partei schwer ma- So hat das Bündnis »Kreis Göppingen dengeldern schon die dritte Schule in chen. Wir alle sind ganz unterschied- – nazifrei« am 2. März 2013 einen In- einem kleinen gambischen Dorf. Wir fostand auf dem Marktplatz in Göp- haben außerdem für über 170 Kinder pingen organisiert. Er war sehr gut eine Schulkosten -Patenschaft organi- besucht und die Bürgerinnen und siert, um ihnen den Schulbesuch erst Bürger verewigten sich gerne auf un- zu ermöglichen. Die Spenden von Un- Kontakt serem »Roten Teppich für Toleranz«. terstützern und Schulpaten gehen zu Nachdem eine Gruppe, die Nazi-Auf- 100 Prozent an die dort lebenden Kin- DIE LINKE Kreisverband kleber entfernen wollte verfolgt wur- der bzw. Schulen. Göppingen & Geislingen de, kam sie wieder zum Stand zu- Außerdem habe ich noch ein Landskroner Weg 32 rück. Die Rechten ließen dann nicht heutzutage beinah exotisches Hob- 73033 Göppingen mehr lange auf sich warten. Ein Akti- by: Ich sammle Briefmarken. Das ist [email protected] onspartner und ich hielten ihnen ei- für mich pure Entspannung, die ich http://linke-bw.de/wk263/ ne »GEGEN NAZIS«-Fahne entgegen. zum Ausgleich nach meiner Arbeit Dann kamen sie auf uns zu und ver- brauche, damit ich mal wieder run- suchten, uns die Fahne mit Gewalt zu ter komme.

6 DISPUT März 2013 PARTEI

Aufgeräumt

DIE LINKE hat ihre Mitgliederkartei bereinigt – mit Erfolg! VON RAJU SHARMA

m Sommer 2012 waren bundes- Satzung vorgesehenen Verfahrens die weit mehr als zehn Prozent der Feststellung des Parteiaustritts. Viele I Mitglieder der LINKEN beitrags- derjenigen, die angeschrieben bzw. säumig (siehe DISPUT 9/12 – »Unser angesprochen worden waren, freuten aller Beitrag«). Parteivorstand und sich aber auch über die Kontaktauf- Bundesfi nanzrat haben deshalb be- nahme durch ihren Vorstand und zah- schlossen, die Mitgliederdatei zu be- len seitdem gern ihren Mitgliedsbei- reinigen. Dabei sollten alle Nichtbei- trag. Insgesamt erhöhte sich der mo- tragszahler angeschrieben werden, natliche Durchschnittsbeitrag bei der um sie entweder zur Beitragszahlung LINKEN bundesweit von 11,65 Euro zu bewegen oder aber gemäß unserer im Jahr 2011 auf 12,23 Euro im Jahr Satzung ihren Austritt aus der Par- 2012. Mit Ausnahme der Landesver- tei festzustellen. Das ehrgeizige Ziel, bände Saar und Rheinland-Pfalz, de- auf das die Landesschatzmeisterin- ren Durchschnittsbeiträge unter fünf nen und Landesschatzmeister sich im Euro monatlich liegen, zahlen die vergangenen Herbst verständigt hat- Mitglieder in allen Landesverbänden ten, lautete: Wir wollen die Quote der mittlerweile mehr als sieben Euro Nichtbeitragszahler bis zum Jahres- monatlich, wobei der Landesverband ende halbieren. Heute steht fest, dass Berlin mit einem Durchschnittsbei- dieses Ziel erreicht wurde – und mehr trag von fast 18 Euro die Spitzenposi- als das. Ende 2012 hatten bundesweit tion einnimmt. nur noch weniger als drei Prozent al- So erfreulich die Steigerung der ler Mitglieder keinen Beitrag gezahlt. zwar die Bereitschaft, sich unbeliebt rechnerischen Durchschnittsbeiträge Diese Bilanz kann sich sehen las- zu machen funktional zum Stellen- ist, so bedeutet dies nicht unbedingt sen, kommt aber auch nicht von un- profi l aller Finanzverantwortlichen, auch mehr reale Einnahmen. Tatsäch- gefähr. Sie ist das Ergebnis monate- dennoch ist zu hoffen, dass dieser Zu- lich gingen die Beitragseinnahmen in langer harter Arbeit von Finanzver- stand im konkreten Fall nur vorüber- allen Landesverbänden zurück, bun- antwortlichen und Mitgliederverwal- gehend ist, zumal der Bundesfi nanz- desweit im Vergleich zum Vorjahr um tern auf allen Ebenen. Arbeit, die zu rat sich vorgenommen hat, diese Ak- rund 350.000 Euro. Die Erhöhung der großen Teilen ehrenamtlich geleistet tion jährlich zu wiederholen. Umso Beitragseinnahmen ist die nächste wird und bei der man sich nicht nur mehr ein Grund, allen an der diesjäh- große Aufgabe, um die sich der Bun- Freunde macht – oder, wie es der Lan- rigen Aktion Beteiligten herzlich Dan- desfi nanzrat kümmern wird. Ich bin desschatzmeister eines Westverban- ke zu sagen. zuversichtlich, dass wir auch dies ge- des in der Sitzung des Bundesfi nanz- Die Mitgliederdatenbereinigung meinsam schaffen werden. rats ausdrückte: »Ich bin jetzt vermut- war jedoch keine reine Streichakti- lich der unbeliebteste Genosse im on. Wie erwartet, stand bei vielen RAJU SHARMA IST BUNDESSCHATZMEISTER ganzen Landesverband.« Nun gehört Beitragssäumigen am Ende des in der DER PARTEI DIE LINKE.

Telefon 030/24009-555 www.die-linke.de

DISPUT März 2013 7 LANDESVERBAND Stark unter Strom

Die LINKE. Berlin VON KLAUS LEDERER, LANDESVORSITZENDER

eit dem 11. Februar steht die Abgeordnetenhauswahlen 2011. Die Nachtruhe am Krisenfl ughafen BER, Berliner LINKE unter Strom. rosa-schwarze Koalition stützt ei- die dem Projekt die notwendige Ak- S Denn an diesem Tag startete das nen Senat, in dem die politischen Ge- zeptanz verschaffen könnten, werden Volksbegehren »Neue Energie für Ber- meinsamkeiten überschaubar und blockiert. Und nicht zu vergessen der lin«, das einen Volksentscheid über Konzepte und Strategien für die Ent- öffentliche Dienst , der durch die Rekommunalisierung des Berli- wicklung der Stadt nicht erkennbar massenhaftes altersbedingtes Aus- ner Stromnetzes und die Neugrün- sind. Zwar überschlägt sich die SPD scheiden ausblutet: Statt einer breit dung eines kommunalen Energiean- regelmäßig mit wortgewaltigen An- angelegten Ausbildungs-, Qualifi zie- bieters herbeiführen will. Mindestens kündigungen, wie sie die Stadt sozi- rungs- und Einstellungsoffensive ris- 200.000 Unterschriften wollen die 50 al zu gestalten beabsichtige. Doch da- kiert die Koalition den Kollaps in we- am Berliner Energietisch beteiligten raus folgt: nichts! Das liegt nur zum nigen Jahren. Die Liste der unterlas- Organisationen bis zum 10. Juni da- Teil daran, dass sich die Berliner So- senen Maßnahmen und verpassten für sammeln, damit die Berlinerinnen zialdemokraten für die CDU als Koa- Gelegenheiten ist lang und wächst und Berliner am Tag der Bundestags- litionspartner entschieden haben. Es täglich an. Und jede dieser traurigen wahl darüber abstimmen können. Als sind die eigene konzeptionelle Unfä- Unterlassungen bedeutet, dass Berlin Landesverband der Partei DIE LINKE higkeit, innere Blockaden zwischen bald neue Krisen ins Haus stehen. haben wir uns das ehrgeizige Ziel ge- parteiinternen Karrierenetzwerken Die ganze Stadt erleidet die Fol- setzt, hierfür rund 50.000 Unterschrif- oder auch die permanenten Quer- gen, ganz besonders aber die Men- ten beizutragen. Rund 2.000 davon schüsse des Finanzsenators und des schen mit geringem Einkommen. Und konnten wir nach den ersten Tagen Regierenden Bürgermeisters, die da- deren Anteil an der Bevölkerung Ber- schon übergeben. Unser Ziel zu errei- zu führen, dass sich nichts zum Bes- lins ist hoch. Ihre Probleme küm- chen, wird aber noch viel Kraft und seren wendet. mern die Koalition nicht. Sie werden Engagement brauchen. mit rasant steigenden Preisen für Aber nicht nur die erste Resonanz Wohnen, Energie, Verkehr und ge- stimmt uns optimistisch. Es ist mo- Verpasste sunde Lebensmittel allein gelassen. tivierend zu erleben, wie sich ältere Gelegenheiten Die Verdrängung einkommensarmer und jüngere Genossinnen und Genos- Schichten ist inzwischen ein Dau- sen, wie sich all unsere Bezirksver- Wasserpreissenkungen werden voll- erthema. Immer häufi ger regt sich bände gemeinsam für dieses Ziel en- mundig in Aussicht gestellt, aber Protest, etwa ziviler Ungehorsam ge- gagieren. Wir laufen uns damit auch nicht realisiert. Der S-Bahn-Verkehr gen Zwangsräumungen. schon für den Wahlkampf warm. wird durch Ausschreibung privaten Für uns ist das eine mehrfache Dass es überhaupt notwendig Konzernen geöffnet, statt ihn als Leh- Herausforderung. Einerseits sind wir wurde, für die Sicherung einer de- re aus dem Nahverkehrschaos in die gefordert, die wachsende Zahl au- mokratisch kontrollierten Energie- eigenen Hände zu nehmen. Grund- ßerparlamentarischer Initiativen zu versorgung den steinigen Weg eines stücke werden aus fi skalischen Inte- unterstützen. – Das klingt leichter Volksbegehrens zu beschreiten, ist ressen verschleudert, stadtpolitische als es ist, denn es kommt vieles zu- symptomatisch für die gesamte po- Belange sind nachrangig. Ernsthaf- sammen: Unterstützung von Flücht- litische Situation in Berlin seit den te Verhandlungen über eine längere lingsprotesten, Blockaden von Nazi-

14. November 2012: Solidaritätsaktion zum Europäischen Aktionstag gegen die Verarmungspolitik der EU Foto: DIE LINKE.Berlin

8 DISPUT März 2013 Foto: Istockphoto Am 11. März ging »L – DIE LINKE Zeitung aus Berlin« in den Druck. Das »L« steht für Liebe, Lust und Leiden- DIE LINKE. Zeitung aus Berlin schaft. Für Links und von nun an auch 01/2013 für DIE LINKE. Zeitung aus Berlin.

Gregor Gysi sagt, wie die Energie- wende sozial wird 02 Potz Blitz! Strom wird ein Berliner 200.000 Unterschriften will der WARUM WIR DEN ENERGIETISCH UNTERSTÜTZEN Berliner Energietisch bis zum 10. Juni sammeln. ler, Partnerinnen und Partner müs- und Genossen sind gefragt und wer- Wir wollen ihn dabei unter- Die Versorgung mit Energie ge- all in Deutschland versuchen Kom- stützen. hört wie die mit Wasser zu den munen, Bürgerinnen und Bürger, elementaren Dingen unseres Le- die Energienetze zurückzukaufen. bens. Die Geschichte der Mensch- sen wir permanent verbessern. Das den gebraucht, damit wir mit Ener- Stadtwerke und Energiegenossen- Der lange Abschied heit begann mit der Erfi ndung des schaften werden gegründet, die von Kohle- und Feuers. Wer darüber verfügt, trägt sauberen Strom als Alternative zur Wo immer DIE LINKE in Atomstrom 04 große Verantwortung. Ohne Energie Energie aus Kohle und Atom anbie- den kommenden Wochen kein Leben. ten. Die dafür sorgen, dass Strom auf der Straße sein wird, ist durchaus ein Kraftakt. Denn auch gie und Schwung alle Chancen nut- Darum sei die Frage erlaubt: Wür- für alle bezahlbar ist und bleibt. den Sie das jemandem überlassen, Wir wollen, dass auch Berlin die- sammelt sie Unterschrif- der zuerst auf seinen eigenen Vor- sen Weg geht. Wir haben jetzt die ten. Die Listen dafür gibt teil bedacht ist? Chance dazu. Doch von allein wird es in jedem LINKEN-Büro Mit unserem Strom ist genau das sich nichts ändern. Vattenfall will wir müssen mit sinkenden Mitglieds- zen, trotz schwierigerer Rahmenbe- geschehen. Die Energieversorgung das Netz nicht abgeben, und die in Berlin und in dieser Zei- wurde hierzulande in die Hände rot-schwarze Koalition lässt trotz tung auf den Seiten 5/6. von Konzernen gelegt, die vor allem vollmundiger Ankündigungen die Einfach unterschreiben, ausschneiden ein Ziel haben: Profi t zu machen. Sache schleifen. Deshalb braucht es und an uns senden: DIE LINKE.Berlin, zahlen und Einnahmen umgehen, dingungen unsere politische Wirk- Das rächt sich nun. Die großen politischen Druck. Mit dem Volks- Kleine Alexanderstr. 28, 10178 Berlin Energiekonzerne nutzen ihre Stel- begehren »Neue Energie für Berlin« lung, um die Kosten der Energie- können wir ein Signal setzen und wende auf die Kundinnen und Kun- dazu beitragen, Vattenfall das Netz Hä? Wieso ein Stadt- den abzuwälzen. Und sie sorgen da- abzunehmen und es wieder selbst wollen das jedoch nicht einfach lau- samkeit zu erhöhen. Den Stein der werk? – Wie Berliner für, dass es alternative Stromerzeu- zu betreiben. Machen Sie mit, unter- Strom cool wird 08 ger schwer haben, sauberen Strom schreiben Sie! preisgünstig anzubieten. Doch es regt sich Widerstand. Über- DIE LINKE.Berlin fen lassen. Sicherlich: Wenn es dar- Weisen gibt es hier sicher nicht. Jede um geht, manche Routine zu über- und jeder ist gefragt, wenn wir Neues winden, Liebgewonnenes über Bord ausprobieren – und mich stimmt es zu werfen, Strukturen zu verändern, sehr optimistisch, dass wir trotz man- demos, Demonstrationen gegen die müssen wir immer wieder gegen un- cher politischer Differenz mehr denn Krisenpolitik im Bund und in Euro- sere eigene Schwerfälligkeit aufbe- je an einem Strang ziehen und unse- pa und die Einschränkung demokra- gehren. Aber wir wollen und müssen re Energie nicht in kräftezehrender tischer Rechte. Es vergeht, jenseits die Dinge gestalten, solange die Spiel- Selbstbeschäftigung verschwenden. von Weihnachten, faktisch kein Wo- räume da sind. Denn es ist ein solidarisches inner- chenende, an dem in der Hauptstadt Und so gehen wir neue Wege. Ge- nicht mindestens eine größere Akti- rade dieser Tage erblickt unsere neue vität stattfi ndet. Zeitung das Licht der Welt – ein an- Anderseits reicht es nicht, allein sprechendes, spannendes Blatt, das den Protest auf die Straße zu tra- wir für die Berlinerinnen und Berli- gen. Wir müssen und wollen Druck ner produzieren. Damit wollen wir durch die Entwicklung konkreter po- direkt mit unseren Angeboten an litischer Alternativen erzeugen. Auch die Leute. Unsere Neumitgliederar- das geht nicht im stillen Kämmer- beit qualifi zieren wir mit guten Ide- lein, sondern braucht breite Beteili- en und neuen Formen, einander zu gung der Mitglieder und der stadtpo- begegnen und kennenzulernen. Wir parteiliches Klima, das anzieht und litischen Initiativen. Bereits im ver- sind in den sozialen Netzwerken motiviert. Gemeinsame Erlebnisse gangenen Jahr haben wir mit unse- wirksam und wollen das noch brei- und Erfolge schaffen Vertrauen, er- rer stadtpolitischen Konferenz einen ter und pfi ffi ger hinkriegen. Mit un- zeugen Lust auf Politik und machen Zukunftsdialog begonnen. Wir haben serer neuen Partyreihe »LINKE meets uns stärker. All das bildet auch die Fragen, auch manche Antwort, sind LUXEMBURG« öffnen wir uns kultu- Grundlage für einen erfolgreichen Suchende. Drei Schwerpunkte haben rell und diskursiv einem neuen Pub- Wahlkampf. Mit Gregor Gysi an der wir uns im Wahljahr gesetzt, die sich likum und bereichern zugleich unser Spitze wollen wir zu einem guten Er- gut mit unseren bundespolitischen innerparteiliches Leben. Politische gebnis für DIE LINKE beitragen und Themen verbinden lassen: Kämpfe Bildung, Geschichtsarbeit und Kultur die 2009 gewonnenen Mandate ver- für gute Arbeit, für bezahlbares und sind wichtige Elemente linker politi- teidigen. Und mir ist gar nicht bange, gutes Wohnen, für den Erhalt und scher Arbeit. Und auch hier sind wir dass wir auch das noch zuwege brin- den Ausbau einer leistungsfähigen darauf angewiesen, mit weniger Res- gen! öffentlichen Daseinsvorsorge. Wir sourcen mehr zu leisten. Basiskonfe- präsentieren unsere Ideen, stellen sie renzen und Arbeitsnetzwerke sind zur Debatte und Kritik, hören zu, was die Orte, wo wir Ideen und Konzep- bewegt. Schließlich ist es uns wichtig, te entwickeln. Manches funktioniert, mit pointierten Initiativen auch un- manches nicht – dann versuchen wir Kontakt sere Bundespartei zu bereichern. Das eben etwas anderes. Wir halten es da- ist nicht die Baustelle der Vorstände, bei mit , die einst an- DIE LINKE. sondern eine Herausforderung für merkte, ständige Selbstkritik sei »Le- Landesverband Berlin die ganze Mitgliederpartei. bensluft und Lebenslicht der proleta- Kleine Alexanderstraße 28 Und schließlich müssen wir uns rischen Bewegung«. Nur wer perma- 10178 Berlin selbst verändern. Unsere politische nent lernt, sich in Frage stellt, neues Telefon: 030/24009301 Substanz und Mobilisierungsfähig- ausprobiert, wird sich verändern. [email protected] keit, unsere Ausstrahlung und At- Selbstgenügsamkeit ist der Mehltau www.die-linke-berlin.de traktivität für Mitglieder und Sympa- der Erstarrung. thisierende, Wählerinnen und Wäh- All unseren aktiven Genossinnen

DISPUT März 2013 9 GESCHICHTE Pogrom Vor 80 Jahren begann die systematische Verfolgung der Juden in Deutschland VON RONALD FRIEDMANN

ntijüdische Gewalttaten der ne engsten Gefolgsleute zu einer Kon- So berichtete zum Beispiel der deutschen Faschisten, insbe- ferenz auf dem berüchtigten Berghof Reichsrundfunk am 1. April 1933 auf A sondere ihrer Schlägertrup- zusammengerufen. Dort wurde ein Anweisung von Goebbels in einer Re- pe, der SA, gehörten bereits in den »Zentralkomitee zur Abwehr der jüdi- portage aus dem Berliner Scheunen- ersten Tagen und Wochen nach der schen Greuel- und Boykotthetze« un- viertel über die Festnahme und die Machtübergabe an Hitler und sei- ter Leitung von Julius Streicher, dem ersten Verhöre ostjüdischer Zuwan- ne Bande zum traurigen Alltag in Herausgeber des antisemitischen derer durch die als Hilfspolizei auf- Deutschland. Immer wieder wurden Schundblattes »Der Stürmer«, gebil- tretende SA. Nur Tage später zeigten jüdische Geschäfte und Warenhäuser det, das alle Maßnahmen des 1. April die Wochenschauen in den Kinos die sowie Anwalts- und Arztpraxen über- 1933 koordinieren und leiten sollte. dazugehörigen Bilder … fallen und geplündert, ihre Inhaber Doch der eigentliche Einpeitscher des Die große Mehrheit der Bevölke- wurden misshandelt und ermordet. antisemitischen Terrors war »Reich- rung stand dem antijüdischen »Boy- Am 9. März 1933 trieben SA-Leute spropagandaminister« Joseph Goe- kott« am 1. April 1933 skeptisch oder Dutzende ostjüdische Bewohner des bbels. Er nutzte dazu alle Möglich- sogar ablehnend gegenüber. Trotz- Berliner Scheunenviertels zusammen keiten der modernen Massenkom- dem konnten die Nazis einen ersten und peinigten sie in ihren Folterkel- munikation, um das eigentliche Ziel Triumph verbuchen – es regte sich lern. In diesen Tagen wurde auch das der Nazis durchzusetzen: In der deut- kaum Widerstand, und die Zeichen Karl-Liebknecht-Haus, das seit dem schen Bevölkerung eine solche Stim- aktiver Solidarität mit den verfolgten 17. Februar 1933 von der Polizei be- mung zu schaffen, die weitere, noch jüdischen Mitbürgern beschränkten setzt war, zu einem »wilden« Konzen- brutalere antisemitische Maßnah- sich auf einige wenige Fälle. trationslager, in dem die SA wütete. men erlaubte. Dieser erste staatlich organisier- Am 11. März 1933 »veranstaltete« die te Pogrom dauerte nur wenige Stun- Führung der Nazipartei im Freistaat den, denn noch fürchtete die Hitler- Braunschweig einen »Warenhaus- regierung die politischen und vor al- sturm«. Am 28. März 1933 überfi elen lem wirtschaftlichen Reaktionen des SA-Leute in Göttingen die örtliche Sy- Auslands. Trotzdem wurde bereits nagoge und beschädigten sie schwer. am 7. April 1933, nur wenige Tage Die Reihe solcher Beispiele ließe sich nach dem offi ziellen »Ende« der ers- beinahe beliebig fortsetzen. ten Welle des antijüdischen Terrors, Doch die Ereignisse des 1. April das »Gesetz über die Wiederherstel- 1933, der von den Nazis höhnisch lung des Berufsbeamtentums« erlas- als »Reichsboykotttag« bezeichnet sen. Jüdische und politisch misslie- wurde, hatten eine völlig neue Qua- bige Beamte konnten nun ohne wei- lität. An diesem Tag hatte die brau- tere Formalitäten entlassen oder in ne Staatsmacht die antijüdischen Ter- den »einstweiligen« Ruhestand ver- rormaßnahmen angeordnet und ihre setzt werden. »ordnungsgemäße« Durchführung Am 14. Juli 1933 folgte das »Gesetz organisiert und überwacht. Über- über den Widerruf von Einbürgerun- all in Deutschland zogen vor den Ge- gen und die Aberkennung der deut- schäften, Praxen und Büros jüdischer schen Staatsangehörigkeit«, auf des- Kaufl eute, Ärzte und Rechtsanwälte sen Grundlage nicht nur zahlreiche SA-Posten auf, die die Kunden und bekannte Persönlichkeiten aus Poli- Besucher in Angst und Schrecken tik, Wissenschaft und Kultur ausge- versetzen und am Betreten hindern Literaturtipp bürgert wurden, sondern auch etwa sollten. Unter der verlogenen Losung 60.000 ostjüdische Zuwanderer, die »Deutsche, wehrt Euch! Kauft nicht Horst Helas in den Jahren seit dem Ersten Welt- beim Juden!« sollten die in Deutsch- Die Grenadierstraße im krieg nach Deutschland gekommen land lebenden Juden für die angeb- Berliner Scheunenviertel: waren. lich vom »internationalen Finanzju- Ein Ghetto mit offenen Toren, Damit waren die ersten Schritte dentum« organisierte »antideutsche Hentrich & Hentrich auf dem kurzen Weg zum Massen- Hetze« im Ausland »zur Verantwor- Berlin 2010 mord an den europäischen Juden ge- tung« gezogen werden. tan, dem bis 1945 weit mehr als 5 Mil- Am 26. März 1933 hatte Hitler sei- lionen Menschen zum Opfer fi elen.

10 DISPUT März 2013 LITERATUR Ein Jahrhundert Erzähler

Zum 100. Geburtstag von Stefan Heym VON ANTJE KIND

as war das für ein Jahrhun- wiedervereinigte Deutschland. Er »Ein merkwürdiges Erlebnis, die- dert! Stefan Heym erlebte lebte in Chemnitz, Berlin, Prag und ser Mann (A. Hitler – d. A.) in dem W zwei Weltkriege, die Wei- den Vereinigten Staaten. Als junger verwurschtelten Hemd, der ir- marer Republik, die Nazidiktatur, Mann wurde der jüdische Querulant gendwie aussah, als ob er sich Nachkriegszeit, die DDR sowie das wegen eines Gedichts von der Schu- nicht richtig gewaschen hätte – le verwiesen, entzog sich seiner Ver- wahrscheinlich hatte er sich auch haftung durch die Flucht nach Prag, nicht richtig gewaschen – und der wo er sich von Helmut Flieg in Stefan eine derartige Wirkung auf einen Heym verwandelte. Zum Ende des gewissen Typ von Menschen hat- Zweiten Weltkriegs kam er als Ame- te, der um mich herumstand […]. rikanischer Soldat das erste Mal in Da wurde ich mir schon der gro- »EINER, DER NIE sein Heimatland zurück. 1951 kehr- ßen Gefahr bewusst, die das be- SCHWIEG« te er ganz und bewusst in den Osten deuten könnte.« INTERVIEW 1999 Deutschlands zurück. Wegen seiner Ehrlichkeit gefürchtet und daher zahl- reichen Repressionen ausgesetzt, leb- Szenische Lesung te und wirkte er dort als Schriftsteller auf dem Berliner Alexanderplatz am mit Dagmar Enkelmann und Publizist. Seine fl ammende Rede 4. November 1989 ist ebenso unver- 27. März, 17.30, Erna-und-Kurt- gessen wie die, mit der er als Alters- Kretschmann-Oberschule, präsident am 10. November 1994 den Bad Freienwalde Deutschen Bundestag eröffnete (Foto). 12. April, 19 Uhr, Goldener Löwe, »Ich bin in erster Linie Erzähler, Er führte ein Leben, das von vielen Kulturbühne, Wandlitz und ich wollte was erzählen, und Brüchen gekennzeichnet war. Stets wenn ich dadurch noch was and- eckte er an mit seiner Offenheit, war mit Thomas Nord res erreicht habe – umso besser. unbequem doch hoch verehrt – ein 7. April, 16 Uhr, Friedrich-Wolf- Das ist meine Haltung.« kluger Kopf und ein nach wie vor un- Theater, Eisenhüttenstadt INTERVIEW 1998 bedingt lesenswerter Autor! 8. April, 19 Uhr, Kulturfabrik, Fürstenwalde/Spree 12. April, 19 Uhr, Gerhard- Hauptmann-Museum, Erkner 13. April, 18 Uhr, Theater , Frankfurt (Oder)

mit Sabine Stüber 2. Mai, 18 Uhr, Restaurant »Wilder Eber«, Eberswalde

Foto: Deutscher Bundestag

DISPUT März 2013 11 MIETEN Ein Menschenrecht

Nur DIE LINKE steht für bezahlbares Wohnen VON CAREN LAY

ie Themen Wohnen und Mie- die Versäumnisse fallen auch in ih- Grundgesetz verankert werden soll. ten werden eine wichtige Rol- re Regierungszeit. Zudem sind die Viele weitere Forderungen der LIN- D le im Bundestagswahlkampf SPD-Vorschläge überaus mager. Wäh- KEN wie ein Verbot der Übertragung spielen. Viele Menschen leiden zu- rend die Sozialdemokraten wollen, von Maklergebühren auf Mieterinnen nehmend unter den Folgen einer ver- dass die Miete bei Neuvermietungen und Mieter, eine Förderung des Ge- fehlten Wohnungspolitik, die die In- nicht mehr als zehn Prozent über der nossenschaftswesens und eine Aus- teressen der Mieterinnen und Mie- örtlichen Vergleichsmiete liegen soll, setzung des ungerechten Mietrechts- ter aus den Augen verloren hat. Be- fordern wir, dass Mieterhöhungen al- änderungsgesetzes gehören dazu. Und sonders in den Großstädten erleben lein auf Grund von Neuvermietungen noch immer wollen wir die ostdeut- wir erschreckende Umwälzungspro- überhaupt nicht zulässig sind. schen kommunalen Wohnungsgesell- zesse. Das Gesicht ganzer Städte än- schaften von der Last der Altschulden dert sich rasant. Mietsteigerungen befreien und sie bei der Herausforde- von durchschnittlich zehn Prozent Sozialbau ist rung Stadtumbau unterstützen. Das und mehr pro Jahr sind in besonders Mangelware geht nur mit der LINKEN. beliebten Stadtteilen und Kiezen kei- In Hinblick auf das Wahlpro- ne Seltenheit. Die soziale Zusammen- DIE LINKE beschäftigt sich nicht erst gramm müssen wir aus meiner Sicht setzung der Bevölkerung kippt, wenn seit gestern mit dem Thema. Bereits noch zwei Dinge diskutieren. Erstens immer mehr ärmere Bewohnerinnen vor einem Jahr startete unsere Par- unsere bisherige Forderung von ma- und Bewohner an den Stadtrand ge- tei ihre mietenpolitische Offensive. ximal fünf Prozent bei der Moder- drängt werden und nur noch Vermö- Im vergangenen Herbst veranstalte- nisierungsumlage. Jetzt debattieren gende und Besserverdienende sich ten wir in Göttingen unsere mieten- wir, ob die Modernisierungsumla- ein Leben in der Innenstadt leisten politische Konferenz. Auch die Bun- ge, wie es auch Mieterverbände dis- können. Was vor einigen Jahren noch destagsfraktion hat inzwischen ei- kutieren, komplett wegfallen soll. die soziologische Theorie der »Gentri- nen umfangreichen Forderungska- Zweitens die Forderung nach festge- fi zierung«, also der Verdrängung der talog beschlossen. Auch sie fordert, legten Höchstmieten oder Mietober- angestammten Wohnbevölkerung dass bei Neuvermietungen die Miete grenzen. Dazu wurde auf der Mie- durch Besserverdienende war, pas- nicht erhöht werden darf. Denn ge- tenkonferenz lange debattiert. Zwei siert mittlerweile tagtäglich. Die Mie- rade bei Neuvermietungen wird oft Positionen standen sich gegenüber. ten steigen vor allem in Großstädten. richtig aufgeschlagen. Allein die Tat- Ein Teil forderte, dass es keinerlei Immer mehr Menschen leiden unter sache, dass eine Wohnung einen an- Höchstmieten geben soll, ein anderer den Folgen von Luxussanierungen, deren Mieter hat, rechtfertigt aus un- forderte einen bundesweit festgeleg- Umwandlung in Eigentumswohnun- serer Sicht keine Mieterhöhung bei ten Quadratmeterpreis. Im aktuellen gen und einer Politik, die tatenlos zu- gleichbleibender Qualität. Entwurf des Wahlprogramms schla- sieht. Gerade für Ältere, Alleinerzie- Angesichts des Wohnungsman- gen wir eine andere Lösung vor. Wir hende und Menschen mit geringem gels ist die Wiederbelebung des so- wollen, dass der Mietspiegel, der mit Einkommen gibt es zu wenig Wohn- zialen Wohnungsbaus unerlässlich. seiner bisherigen Konzentration auf raum. Hier zieht der Staat sich zunehmend neue Mietverträge faktisch ein Miet- Gleichzeitig entzieht der Staat zurück. Allein zwischen 2002 und erhöhungsspiegel ist, neu berechnet sich immer mehr seiner Verantwor- 2010 sind über 800.000 Sozialwoh- wird. Auf dieser Grundlage sollen tung und vernachlässigt den sozialen nungen weggefallen, wurde als Er- dann die Kommunen das Recht erhal- Wohnungsbau. Durch diese und an- gebnis einer schriftlichen Frage im ten, nach Bedarf Höchstmieten für ih- dere Faktoren entwickelt sich sozia- vorigen Sommer von mir an die Bun- re Stadt oder für bestimmte Stadtteile ler Sprengstoff in vielen Großstädten. desregierung festgestellt. Wir sagen: festlegen zu können. Das ist aus mei- Leider sind inzwischen auch zuneh- Der Staat muss wieder in die Wohn- ner Sicht ein guter Kompromiss und mend Kleinstädte betroffen, so im Os- raumförderung investieren. Mindes- sachgerechter Vorschlag, der den un- ten, denn Leerstand bedeutet im Um- tens 150.000 neue Sozialwohnungen terschiedlichen Situationen vor Ort kehrschluss nicht, dass die Mieten müssen jährlich entstehen. Die Mo- Rechnung trägt. von GeringverdienerInnen bezahlt dalitäten des sozialen Wohnungsbaus werden können. müssen allerdings geändert und zeit- CAREN LAY IST VERBRAUCHERPOLITISCHE Die SPD hat das Thema für sich gemäß angepasst werden. SPRECHERIN IN DER BUNDESTAGSFRAKTI- entdeckt und fordert unter ande- Es geht um nicht weniger als dar- ON UND IM SPITZENTEAM ZUR BUNDES- rem die Wiederbelebung des sozi- um, dass Wohnen als Grundrecht für TAGSWAHL. alen Wohnungsbaus. Zu spät, denn alle Menschen begriffen wird, das im [email protected]

12 DISPUT März 2013 NACHBELICHTET

ARTHUR PAUL

Erschlagen wie mit einer Axt

as Haus sieht nicht ein- Das ist lange her. Heute sind wir ein ze herzlos entseelt. Es fehlen etwa ladend aus. Graffi ti- Wohlstandsland, eine Insel der Glück- 250.000 bezahlbare Wohnungen in Sprayer übten die Auf- seligkeit inmitten der Eurokrise. Vor den Großstädten. Im Wahljahr gelo- hübschung. Sie hal- allem durch die neoliberale Privatisie- ben alle Parteien die Behebung der fen »Nazis vertreiben«. rung. Zwischen 1999 und 2011 ver- Wohnungskrise. Wenn sie sich nur DDas macht sie sympathischer als kaufte die öffentliche Hand 917.000 nicht verheben! das Haus. Solche »Mietskasernen« Wohnungen an private Unternehmen. Ein Wohnhaus ohne Bewohner wurden einst für die entwurzel- Die haben »modernisiert« – mit Miet- stirbt schneller. Die Besetzung ist ten Landarbeiter gebaut, die in den erhöhung – oder verkauft für sechs- Notwehr und Werterhaltung, so- städtischen Fabriken gebraucht stellige Beträge oder vergrößert durch lange das Wohnrecht kein verbrief- wurden. Da teilten sich sechs bis Luxussanierung für Neureiche. Die tes Menschenrecht ist. Die Inves- zehn Personen einen Raum. Die Verdrängung der früheren Bewohner toren werten das als »Okkupation Toilette für zwei Etagen war au- der Innenstädte rollt wie eine Dampf- einer Goldgrube« durch die Habe- ßen auf halber Treppe. Die Investo- walze durch , Frankfurt, Düs- nichtse! Drum steht da das Auto ren nannten das »eine gut verzins- seldorf und Berlin. Die Zahl der Sozi- von Deutschlands größter Bauspar- liche Geldanlage«. Die Hausnum- alwohnungen sank in den vergange- kasse vor der Tür: »Schwäbisch Hall mer 208 lässt ahnen, wie groß hier nen 20 Jahren von vier Millionen auf – Auf diese Steine können Sie bau- die »Anlagefl äche« war. Der Maler 1,6. Die Berliner Mieten stiegen in en!«. Mag ja sein. Auf diesen Staat Heinrich Zille warnte: »Man kann fünf Jahren um 28 Prozent. Wo mal aber nicht! die Menschen mit einer Wohnung gewohnt, gearbeitet und sich ent- wie mit einer Axt erschlagen!« spannt wurde, sind lebendige Kie- Foto: Gert Gampe

DISPUT März 2013 13 KOMMUNAL Es geht ihr gut Nach zehn Jahren als Bürgermeisterin übergibt Heidi Michaelis die Rathausgeschicke von Ueckermünde an Gerd Walther VON STEFAN RICHTER

uf dem Tisch ein paar Kaffee- ther. Sie führte ein Jahrzehnt lang die Heidi drängt ein bisschen, das ist gedecke. Drei wichtige Rat- Geschicke von Ueckermünde (Meck- wohl ihre Art, auch heute, am letzten A hausmitarbeiter haben Platz lenburg-Vorpommern), nun wird er Februarmontag, wer kann schon aus genommen, dazu die Lokaljournalis- die Verantwortung übernehmen, bei- seiner Haut. Sie liest den Amtseid vor tin, DISPUT und die beiden Hauptper- de sind seit Urzeiten Mitglied der – von Gesetzen, die einzuhalten sind, sonen: Heidi Michaelis und Gerd Wal- LINKEN. ist die Rede und vom Wohle der Kom-

14 DISPUT März 2013 mune –, und er spricht den Text nach. lis sagt nicht bestimmt Ja und nicht Dann noch rasch Unterschriften un- Nein, eine Tendenz lässt sich denken: ter die Ernennungsurkunde, Fotos, Einer Bürgermeisterin sei es nicht in Kaffee und Torte. Amtswechsel. So die Wiege gelegt worden, dafür zu schnell kann’s gehen. So schnell? sorgen, dass Menschen in Brot und Als Heidi Michaelis vor gut zehn Arbeit kommen. Darauf habe sie kei- Jahren zur ersten Bürgermeisterin nen Einfl uss, selbst wenn es oft so da- in der Geschichte Ueckermündes ge- hergeredet werde. Die Zahl der Ar- wählt worden war, lernte ich sie ken- beitssuchenden sei nach wie vor sehr nen als leidenschaftliche Lehrerin, hoch, an die 25 Prozent, und die offi - erfahrene Kommunalpolitikerin und ziell ausgewiesenen 15 Prozent (ohne ungemein tatendurstige Rathausche- Menschen in »Maßnahmen« und so fi n in spe; Geschich- weiter) Augenauswi- ten und Ansich- scherei. ten sprudelten ge- Erst SIE, jetzt ER: Die sehr beschau- schwind hervor, sehr Schlüsselwechsel liche Kleinstadt liegt fl ott steuerte sie ihr im Rathaus. wenige Kilometer vor Auto über die Land- Ueckermünde der polnischen Gren- straße, und die CD erlebt DIE LINKE ze am Stettiner Haff, trällerte ihren Lieb- seit zehn Jahren im äußersten Nordos- lingshit: »Es geht mir in Verantwortung. ten des Landes. Eine gut«. Der DISPUT-Ar- Menge hat das Rat- tikel schloss mit dem haus versucht, um einfachen Anspruch den Blick möglicher der »Neuen«: »Die Investoren auf die- künftige Bürgermeisterin will dazu sen Flecken und seine 10.000 Bewoh- beitragen, dass es unterm Strich mög- nerinnen und Bewohner zu lenken. lichst vielen gut geht.« Ein Referat für Wirtschaftsförderung Also, geht’s zehn Jahre darauf, wurde eingerichtet, eine tüchtige eineinhalb Wahlperioden später, Kollegin warb bundesweit, teure Bro- möglichst vielen gut? Heidi Michae- schüren unterm Arm. Die Erkenntnis >

DISPUT März 2013 15 KOMMUNAL

Wenn Gerd Rat wünscht, wird Heidi ihm den geben. In die Stadtverordnetenver- sammlung wird sie dennoch nicht gehen. Fotos: Erich Wehnert

aus allen Bemühungen: auf die an- sässigen Betriebe setzen, sie stärken. Wie die Haff-Dichtungen. Die Vorzei- ge-GmbH konnte sich auf 40 Beschäf- tigte vergrößern und einige Preise gewinnen; 2012 wurde sie Unterneh- men des Jahres in Mecklenburg-Vor- pommern. Die Unternehmen liefern, die Stadt begleitet mit Rat und Tat. Auf dieser Strecke wurde Erfreuli- ches erreicht. Allerdings, schränkt Heidi Michaelis ein, könne niemand daraus schlussfolgern, dass es vielen Ueckermündern besser geht. Dabei steht die Kleinstadt alles in allem »ganz gut« da, hat »gut gewirt- schaftet« und eine vergleichsweise geringe Pro-Kopf-Verschuldung von machen, werden wir die Welt nicht über linke Kommunalpolitik Aufnah- 325 Euro: »Das ist fast nichts.« verbessern. Das ist die wichtigste Er- me fänden. Erfahrungen, die weh tun Wo man um Inhalte streiten kann, kenntnis.« konkret im Alltag. Als Bürgermeiste- sagt Heidi Michaelis, mache die Tä- Irgendwie werde man ein ande- rin indes trägt sie Verantwortung für tigkeit Spaß. Im Rathaus habe sie ei- rer Mensch, nur mit »Rot Front« gehe alle, für die gesamte Stadt. ne Reihe kreativer Leute mit gewach- im Rathaus nichts. Heidi Michaelis sener Eigenverantwortung erleben wünscht sich, mancher könnte (oder können. Zuverlässig unterstützt fühl- müsste?) die Realisierbarkeit seiner Amtsperson te sie sich vor allem in der ersten Le- Forderungen einmal im Alltag über- und LINKE gislaturperiode durch die Fraktion prüfen: Man könne eben nicht in die- der LINKEN in der Stadtverordneten- sem Gesellschaftssystem leben und Unbestritten Spaß machten die Ein- versammlung (SVV). Das tat ihr gut. zugleich so handeln, als wäre man weihung des attraktiven Schlossan- Umso mehr, wenn sie in der Öffent- nicht in diesem System. baus oder das Begrüßen polnischer lichkeit auf falsche oder überzogene Nachdenklich führt sie an: »Ich Schiffe. Oder – auf völlig andere Wei- Erwartungen stieß: »Immer wenn’s kann ja dafür sein, dass alle Kinder se – ihre Ansprachen bei zwei öf- ans Sparen geht, kommen die größ- an der Schule jeden Tag Milch bekom- fentlichen Vereidigungen der Bun- ten Kompromisse. Und da ist die Fra- men, wie wir’s zu DDR-Zeiten hatten. deswehr. Letztere waren Spaß und ge der Gerechtigkeit zu klären: War- Aber ich muss dann auch die Frage Herausforderung zugleich: den Spa- um willst du dem einen etwas zuge- beantworten, wovon es bezahlt wer- gat hinzubekommen, als Amtsper- stehen, was du dem anderen weg- den soll. Ich kann ja dafür sein, dass son freundliche Worte für die jungen nimmst? Wehe der eine ist jemand, überall Schulsozialarbeiter tätig sind Menschen zu fi nden und als Mitglied der zu deiner Partei gehört, dann – mein Herz brennt regelrecht dafür der LINKEN den Einsatz der Bundes- geht die Welt unter …« –, aber die Frage der Bezahlung muss wehr in Afghanistan anzuprangern. Wie viel hat die Lehrerin in ih- stehen. Und es schmerzt mich als Wäre sie nicht in einer bestimmten rer zehnjährigen Rathaus-Schule ge- LINKE-Politikerin unendlich, wenn Position, weiß die Bürgermeisterin, lernt? »So viel wie selten zuvor. Auf ich Leute einstellen muss für einen hätte ihre Kritik nicht die gewünsch- jeden Fall habe ich gelernt: Goe- Lohn, wo man nur den Kopf schüt- te Wirkung erzielt. the hat recht: Grau ist alle Theorie. teln kann. Wenn ich einen 400-Eu- Gerd Walther mischt sich erst nach Wir können noch so schöne Vorstel- ro-Job auf den Weg bringe, habe ich einer Weile ins Gespräch ein, das hat lungen entwickeln von einer besse- ein schlechtes Gewissen – auch wenn vielleicht mit seiner Art zu tun, mög- ren Welt, wenn es nicht gelingt, die ich weiß, die Leute freuen sich, einen licherweise gewinnt er den Eindruck, Grundlagen für die bessere Welt zu solchen Job zu bekommen.« Das sei- seine Vorgängerin stelle ihr Licht zu schaffen – sprich: die Grundpfeiler en Dinge, die das Bürgermeister-Sein sehr unter den Scheffel. Ihr Auftritt verändern –, wird nix besser werden. keinen Spaß machen lassen. vor der Bundeswehr sei toll gewesen. So lange es immer nur darum geht, Erfahrungen, die wohl nicht un- Und überhaupt: Die Stadt habe sich in mehr zu produzieren, mehr Profi t zu bedingt in jeden Hochglanzprospekt ihrer Zeit unwahrscheinlich gut ent-

16 DISPUT März 2013 KURZ UND BUNT

wickelt, sie strahlt in die Region aus, fasst ruckizucki, worum es geht.« Sei- Viel hilft viel und in wenigen Tagen erhält sie sogar ne Schwäche? »Er fällt manchmal zu den Titel eines Seebades. schnell auf jemanden rein. Als Bür- Das Wahlkampf-Spendenbaro- Die Haffstadt lebt auch vom Tou- germeister sollte man weder miss- meter wies am 2. März rismus. Im vorletzten Jahr verzeichne- trauisch noch zu gutgläubig sein.« 167.707 Euro aus. te Ueckermünde 140.000 Übernach- Selbstverständlich, wenn Gerd Parteivorstand DIE LINKE, tungen. Heidi Michaelis würde deren Rat wünscht, wird sie ihm den geben. Konto: 5000 6000 00 Anzahl nicht mit aller Macht erhö- In die Stadtverordnetenversamm- BLZ: 100 900 00, Berliner hen wollen. Noch sei es eben schön, lung wird sie dennoch nicht gehen. Volksbank eG, Vwz. »Spende«. weil »man sich bei uns beim Spazie- Da bleibt Heidi Michaelis trotz man- ren nicht schubst«. Sie jedenfalls sei cher Anfrage resolut. Gerd werde sei- gegen große Betten-Wachstumsraten. nen Weg fi nden. »Ich helfe jederzeit, Viel Pfi ngsten »Man muss das Maß kennen.« wenn er das wünscht. Doch als Bes- Gerd Walther ist Vermessungs- serwisser Gerd in der Stadtverordne- Politik, Kultur, Unterhaltung, techniker und Kulturfreak. Fürs Alt- tenversammlung beobachten? Nein! Sport mit der LINKEN vom stadt- und Schlossspektakel schrieb Das tue ich ihm nicht an. Zu Beginn 17. bis 20. Mai 2013. er Drehbücher und schlüpfte in ei- meiner Amtszeit hatte ich bei mei- Jugenderholungs- und Begeg- ne Hauptrolle – in die des herzogli- nem Vorgänger erlebt, wie das ist.« nungsstätte Werbellinsee. chen Kämmerers. Auch ansonsten Der Rathauserfolg der LINKEN Anmeldung unter pfi ngsten- ist der 42-Jährige ein alter Hase, was – und das ist er auch bei einer Per- [email protected] die Kommunalpolitik betrifft. Bis zum sonenwahl unstrittig – bleibt nicht 28. Februar war er der ehrenamtliche ohne eine Kehrseite. Die Personal- Bürgermeister der Nachbargemein- sorgen der Partei kennt der frühere Viel Girl's Day de Vogelsang-Warsin. Seine Mitmen- Kreisvorsitzende Walther zur Genü- schen dort hatte er zu allererst in sei- ge. Die LINKE-Fraktion in der Stadt- Praktisch und links und nur für ne Überlegungen um eine Kandidatur verordnetenversammlung besteht Mädchen am 25. April 2013. einbezogen; ihnen erklärte er seine ausschließlich aus Parteilosen, und Bewerbung an: Gründe, sie sollten nicht den Ein- mit Blick auf die Kommunalwahlen DIE LINKE druck von einer Flucht zu Höherem im kommenden Jahr sind die Pers- Kleine Alexanderstraße 28 haben. Und erst als sie ihn verstan- pektiven nicht rosig. Da steht auch 10178 Berlin oder per Mail: den hatten, verkündete er seine Be- außerhalb des Rathauses eine Men- [email protected] werbung. Im zweiten Wahlgang setz- ge Arbeit an. te er sich gegen den Mann von der Gerd Walther, der »Neue« im Amt, CDU, der von allen anderen unter- will den sozialen Zusammenhalt in stützt wurde, durch. Das war im Ok- der Kleinstadt stärken, was auch für tober 2012. Seither sind schier endlo- ihn nicht heißt, mit der Spendier- se Wochen ins platte Land gegangen. Gießkanne durch die Straßen zu lau- Vorfreude und Ungeduld wuchsen fen. »Mir geht’s um die Wertschät- bei Gerd gleichermaßen. Er wird sich zung der vielen Ehrenamtlichen und zunächst allen demokratischen Par- um eine gute, funktionierende Ver- teien vorstellen und eine gute Zusam- waltung, um transparente Politik und menarbeit zum Wohle der Stadt an- um einen eigenen Stil.« Am 1. März bieten. Die Hälfte der Stadtverordne- 2013, an seinem ersten Arbeitstag, ten kennt er, darin sieht er Anknüp- hat Gerd Walther die Einwohnerin- Viel verteilen fungspunkte. Mal sehen, wie’s wird. nen und Einwohner für fünf Stunden Seit den 90er Jahren kennen und zu sich ins Amtszimmer eingeladen, Viele Leute an vielen Orten: Am schätzen sich Heidi und Gerd. Im DIS- als Tag der offenen Tür. 13. April ist bundesweiter, de- PUT 4/2003 bescheinigte er ihr: »Ihr Heidi Michaelis hätte noch ein zentraler Aktionstag des Bünd- Durchsetzungsvermögen haben wir paar Jährchen weitermachen kön- nisses »umFAIRteilen – Reich- schon des Öfteren erlebt.« – Als sei- nen. Sie hat den anderen Weg ge- tum besteuern«. Wo genau eine ne große Stärke beschreibt sie heute wählt, freut sich auf freie Zeit und Aktion startet, kann man unter seine Fähigkeit, eine komplizierte Si- ausgedehnte Spaziergänge; es geht www.umfairteilen.de fi nden. tuation moderieren zu können: »Er er- ihr gut.

DISPUT März 2013 17 PRESSEDIENST

▀ ▀ Anti-Atom I: Eine der LINKEN, Christian Gör- Delegation der LINKEN ke, erwartet von Mehdorn hat am 10. März an der umgehend einen Gesamt- Großdemonstration gegen überblick über die BER- Atomkraft in Paris teilge- Probleme und zeitnahe Lö- nommen. Dagmar Ensch- sungsvorschläge. Die von Engel (stellvertrende Lan- rot-roter Re- desvorsitzende) zeigte sich gierung beschlossene Aus- erfreut über die rege Teil- weitung der Nachtruhe sei nahme der Aktivisten aus so umzusetzen. unserem Land: »Bei ins- gesamt ca. 20.000 Teil- ▀ ▀ Berlin: Die Linksfrak- nehmern hätte man davon tion im Berliner Abgeordne- ausgehen können, dass wir tenhaus hat auf ihrer Klau- Saarländer nicht ins Ge- sur in Rheinsberg zur Stra- wicht fallen. Das Gegenteil tegie der energiewirtschaft- war der Fall.« lichen Strukturen im Land Vor zehn Jahren hat Gerhard Schröder seine Agenda 2010 ver- Berlin diskutiert. Im Gegen- ▀ ▀ Anti-Atom II: DIE kündet. Die SPD hielt das für einen Anlass zum Feiern und hat satz zum schwarz-roten Se- LINKE Niedersachsen hat das Jubiläum mit einem Festakt gewürdigt. und nat habe DIE LINKE in der an der Aktionskette um Bernd Riexinger sahen keinen Anlass zur Freude und haben vor Hauptstadt konkrete Pläne das Atomkraftwerk Grohn- dem Jobcenter Neukölln gegen die verheerenden sozialen Fol- für den Umbau der energie- de am 9. März teilgenom- gen der Agenda 2010 protestiert. DIE LINKE fordert eine Agenda wirtschaftlichen Struktu- men. Das Anliegen ist klar: Sozial als Gegenmodell zu Hartz IV: Mindestlohn, Mindestrente, ren. Dazu gehört die Unter- »Wenn sich in Grohnde ein Mindestsicherung! Foto: Tanja Behrend stützung der zweiten Stu- größtanzunehmender Un- fe des Volksbegehrens des fall ereignet, ist ganz Nie- Energietisches zur Rekom- dersachsen verstrahlt. Wir munalisierung des Strom- fordern die Abschaltung gern. Es reiche nicht aus, ▀ ▀ Speyerer Tafel: Seit netzes und für den Aufbau des AKW Grohnde vor dem die einfache Wohnlage als zehn Jahren gibt es die eines eigenen, ökologisch SuperGAU.« Grundlage zur Berechnung Speyerer Tafel, wo freiwilli- orientierten »Stadtwerks«. der Miethöhe heranzuzie- ge Helferinnen und Helfer Ein Viertel der notwendi- ▀ ▀ Anti-Atom III: Mehr hen. Auch andere Wohnla- sich in ihrer Freizeit bemü- gen 200.000 Unterschrif- als 1.000 Menschen wa- gen müssten einbezogen hen, Bedürftigen Lebens- ten will DIE LINKE in Berlin ren am 9. März, trotz et- werden, damit man zu rea- mittel zukommen zu las- sammeln. was widriger Wetterbedin- litätstauglichen Richtwer- sen. Für DIE LINKE vor Ort gungen, dem Demoaufruf ten kommt. ist das kein Grund zum Fei- ▀ ▀ Thüringen: Die Thü- in das nordrhein-westfäli- ern, sondern zum Trauern: ringer LINKE legte auf ei- sche Gronau zur »Fukushi- ▀ ▀ Neonazis: Am 2. »Leider ist es auch in unse- ner Beratung von Landes- ma-Gedenkdemo Gronau März haben Rechtsradika- rer Stadt möglich, dass Fa- vorstand und Kreisvorsit- URENCO Stop« gefolgt. Es le während und nach der milien ihre Kinder nicht er- zenden am 8. März ihren war damit eine der größten Aktion »Roter Teppich für nähren können, dass Men- Führungsstreit bei. Der Demos in der Geschichte Toleranz« des Bündnisses schen nicht von ihrer Hän- Vorstand sprach Knut Kor- des Widerstands gegen die »Kreis Göppingen Nazi- de Arbeit, nicht von ihrer schewsky das Vertrauen Gronauer Uranfabrik. frei« drei Menschen ange- hart verdienten Rente le- aus. Zuvor hatte der Lan- griffen. Zwei Mitglieder der ben können«, so ein Spre- desvorsitzende persönliche ▀ ▀ Wohnkosten: Mit LINKEN, darunter Thomas cher des Kreisverbandes. Fehler in der internen Kom- seinem Urteil vom 22. Fe- Edtmaier, Bundestagskan- munikation eingeräumt. An- bruar 2013 bestätigt das didat der LINKEN im Wahl- ▀ ▀ : Hart- lass für heftige Kontrover- Berliner Sozialgericht die kreis Göppingen, wurden mut Mehdorn ist neuer sen war die Wahl der Lan- Kritik der LINKEN an der so schwer verletzt, dass Chef des BER, des Flugha- desliste für die Bundestags- Regelung für die Wohnkos- sie ins Krankenhaus ge- fens Berlin-Brandenburg. wahl am 2. März gewesen, ten von Hartz-IV-Emfän- bracht werden mussten. Der Fraktionsvorsitzende bei der die Landtagsvize-

18 DISPUT März 2013 DAS KLEINE BLABLA

Im Regen präsidentin Birgit Klau- ▀ ▀ Sachsen: Drei wich- bert als Vorschlag des Vor- stehen tige Punkte hatte die säch- standes durchgefallen war. lassen sische LINKE zunächst Stattdessen wählten die bei der Debatte um die Delegierten die Bundes- Aufnahme der Schulden- tagsabgeordnete Kerstin bremse in die Landesver- Steinke auf den ersten Lis- fassung in Verhandlun- tenplatz. as Ei ist hart, das Radio läuft: Musik, gen erreicht: die Entschär- dann Nachrichten. Ich höre: »… lassen fung der Schuldenbrem- ▀ ▀ Mecklenburg-Vor- Patienten im Regen stehen.« se, den sozialen Ausgleich pommern: Als einen Mein Blick schweift durch das weit ge- bei der Haushaltsaufstel- »schlechten Witz« bezeich- öffnete Fenster nach draußen: strah- lung, die garantierte um- nete die sozialpolitische Dlend blauer Himmel, bis zum Horizont kein Wölk- fassende Finanzierung aller Sprecherin der Linksfrakti- chen. Gut, zumindest hier werden die Patienten den Kommunen übertra- on im Schweriner Landtag, nicht nass. Es sei denn, sie schwitzen – bei 32 Grad. gen Aufgaben – und des- Karen Stramm, Diskussio- Jeder, der schon einmal einen Herbst mitgemacht halb Zustimmung im Parla- nen um das Heraufsetzen hat, weiß, dass »im Regen stehen« im Allgemeinen ment signalisiert. Ein »Klei- des Renteneintrittsalters der Gesundheit abträglich ist. Man wird durch das ner Parteitag« kippte die auf 69 Jahre. Besonders für Stehen im Regen erst krank und dann zum Patien- Möglichkeit, an der Betei- Mecklenburg-Vorpommern ten. Also bitte, was soll das? ligung des Gesetzestextes mit seiner zunehmend älte- Immer wieder werden größere Gruppen im Regen mitzuarbeiten, jedoch. Drei ren Bevölkerung würde dies stehen gelassen: Rentnerinnen und Rentner, Arbeit- Schritte vor, einen wieder die Verarmungstendenzen nehmerinnen und Arbeitnehmer, Alleinerziehen- zurück – so Landes- und nur noch verstärken. Statt- de und Alleinerziehende, Schülerinnen und Schü- Fraktionsvorsitzender Rico dessen bräuchte die Ren- ler. Immer, wenn Menschen schutzlos der Unbill der Gebhardt. tenversicherung eine brei- Regierenden, Stärkeren, Vorgesetzten ausgesetzt tere Basis. werden, stehen diese aus Sicht der Betroffenen im ▀ ▀ Sachsen-Anhalt: Regen. Wieso? Weshalb? Warum? Ich ziehen einen Ein V-Mann des Verfas- ▀ ▀ Hessen: Die hes- kräftigen Landregen einem veritablen Sonnenbrand sungsschutzes, der offen- sische LINKE-Vorsitzen- durchaus vor. Und was ist mit der Erfi ndung des bar zum Umfeld des NSU de Heidemarie Scheuch- Schirms? Rettungs- respektive Regenschirme wer- gehörte, bekam insgesamt Paschkewitz begrüßte am den heute ja für alles und jeden aufgespannt. 180.000 Euro für seine Tä- 13. März, dass der Landtag Nur für die Bauern niemals. Bei ihnen ist das »im tigkeit, u.a. für Reisen zum die in seinem Auftrag erar- Regen stehen« durchaus Vorbote einer guten Ern- Ku-Klux-Klan in die USA. beitete Vorstudie »NS-Ver- te. Stimmt ja auch nicht – sobald EU-Subventionen Für DIE LINKE in Sachsen- gangenheit ehemaliger hes- für Rind und Kuh und Mais ausbleiben, lässt die EU Anhalt ist die Finanzierung sischer Landtagsabgeord- selbst den landwirtschaftlich Produzierenden im ne- einer der zentralen Perso- neter« vorstellen wird. Der gativ-ungemütlichen Nassen ausharren. Bleiben hin- nen der Neonaziszene im Auftrag für diese Studie er- gegen Reis- und Mehllieferungen der UNO für Dürre- Land schlicht skandalös. folgte als Reaktion auf die opfer in der Sahelzone aus, lässt niemand die Men- Während Demokratiebe- Untersuchung »Braunes Er- schen dort im Regen stehen, dann hat das andere ratungsprojekte und Be- be – NS-Vergangenheit hes- Ursachen. Da bemüht man gar nicht erst den ver- ratungsnetzwerke gegen sischer Landtagsabgeord- meintlichen Wortwitz. Neonazismus jährlich um neter der 1. – 11. Wahlperi- Es kommen auch wieder schöne Tage, gewiss. Bis die Fortsetzung ihrer wich- ode (1946-1987)«, die von dahin: I’m singing in the rain. tigen Arbeit bangen müs- der LINKE-Landtagsfrakti- sen, wurde hier öffentli- on bereits im Mai 2011 ver- DANIEL BARTSCH ches Geld von einem nicht öffentlicht worden war: »Es nachvollziehbar handeln- ist das Verdienst der LIN- den Geheimdienst verpul- KEN, dass der Mantel des vert. Schweigens über ehemali- DISPUT hat Probleme mit dem Regen, vor allem bei ge NSDAP-Mitglieder end- Abwesenheit von Schirmen und Kapuzen. Als Ersatz gibt‘s ZUSAMMENSTELLUNG: lich gelüftet wird.« die kleine Glosse. FLORIAN MÜLLER

DISPUT März 2013 19 FRAKTION Kein Vorhof Berlins

Der »Brandenburger Weg oder: wie baut man einen Flughafen?« VON KORNELIA WEHLAN

o immer man sich als Bran- die Metropole Berlin und das Umland Respekt vor der freien und demo- denburgerin zu erkennen Brandenburg eigentlich zueinander kratischen Willensbildung von Men- W gibt, schlagen einem schnell stehen. Aus brandenburgischer Sicht schen als Populismus denunziert, Spott und Verständnislosigkeit we- ist es schon unglaublich, in welchem stellt seine eigene demokratische Re- gen des neuen, nicht fertig werden- Ausmaß sich Berlins Regierender Bür- putation infrage. den und nach wie vor umstrittenen germeister – gerade erst als Aufsichts- Deswegen verstecken sich man- Hauptstadtfl ughafens entgegen. Lasst ratsvorsitzender des Flughafens ge- che gerne hinter dem Vorwurf, ins- doch endlich die Fachleute ran, heißt scheitert – im Ton vergreift, seit im besondere Matthias Platzeck verhal- es. Wowereit ist weg – was muss jetzt Nachbarland das erfolgreiche Volks- te sich nicht, wie er es als Aufsichts- euer Platzeck an die Spitze des Auf- begehren gegen Fluglärm zum bestim- ratsvorsitzender tun müsse, sondern sichtsrates? Was musstet ihr ihm das menden politischen Faktor gewor- wie ein Landesvater. Das ist interes- Vertrauen aussprechen, was klebt ihr den ist. Brandenburg aber ist nicht sant. Denn wir waren unter anderem so an euren Sesseln? der Vorhof Berlins, in den man lästige deswegen für den Politiker Platzeck Seit Mitte Februar mischt sich ein Flughäfen – aber nicht zu fern – ent- an der Spitze des Aufsichtsrates, weil anderer Ton hinein – eine Art »Aha!«. sorgt und dessen Bürgerinnen und wir neben der ökonomischen eben Seit unter den Parteien im Lande Bürger samt ihrer Landesregierung seine politische und soziale Kompe- nicht mehr nur allein DIE LINKE für ansonsten zu kuschen haben. Wer als tenz für unverzichtbar halten, um das längere als die bisher vorgesehenen Aufsichtsratsvorsitzender auf ganzer Projekt zum Erfolg zu führen. Und Nachtruhezeiten am Flughafen BER Linie gescheitert ist, sollte der Öffent- was nun das Ökonomische im enge- eintritt, sondern sich die rot-rote Ko- lichkeit und seinem Nachfolger Maß- ren Sinne anbelangt: Da verlangen alition als Ganzes das erfolgreiche regeln ersparen, wie man Landespoli- CDU-Stimmen aus Berlin Platzecks Volksbegehren zu eigen gemacht hat, tik und Verantwortung für das Gelin- Rücktritt als Aufsichtsratsvorsitzen- zeichnet sich so etwas wie ein eigen- gen des BER zusammenbringt. der, weil er angeblich gegen Unter- ständiger »Brandenburger Weg« ab, Doch es geht noch um mehr als nehmensinteressen verstößt. Aber auf dem der Flughafen nicht nur zum um diese schnöselige Arroganz, die wer behauptet, Brandenburg stürze Laufen gebracht wird, sondern dafür das Zusammenwachsen der Region mit seiner Entscheidung den BER ins auch ein tragfähiger gesellschaftli- wieder und wieder zurückwirft. Es wirtschaftliche Elend, der sollte die cher Konsens gefunden wird. geht letztlich um die Achtung vor Positionsbestimmung der branden- Das ist schwierig, denn – das hat- demokratischer Willensbildung, um burgischen CDU lesen. Dort wird zu- te schon die PDS seit den frühen 90er die Frage, welchen Wert man auf die mindest schon mal begründet, war- Jahren betont – der Standort mitten tatsächliche Akzeptanz von Groß- um eine Ausweitung der Nachtruhe im Berliner Ballungsgebiet ist für ei- projekten legt, ob Politik auf wirkli- auf die Zeit zwischen 23.00 und 6.00 nen Flughafen dieser Größenordnung chen Konsens setzt – oder auf Diszi- Uhr keinerlei ökonomischen Scha- nicht zumutbar. Auch die märkische plinierung der Bürgerinnen und Bür- den anrichten würde. SPD hatte dies anfangs so gesehen ger und auf Machtworte. Rot-Rot in und einen anderen Standort favori- Brandenburg hat sich da klar ent- KORNELIA WEHLAN IST STELLVERTRETENDE siert, konnte sich dann aber gegen schieden. Und das im Wissen, dass VORSITZENDE DER BRANDENBURGISCHEN die beiden Mitgesellschafter – das die Bürgerinnen und Bürger im Land LANDTAGSFRAKTION UND SPRECHERIN FÜR Land Berlin und den Bund – letztlich wie auch die eigenen Anhängerinnen VERKEHRSPOLITIK, REGIONALPLANUNG nicht durchsetzen. und Anhänger bei den Abwägungen UND RAUMORDNUNG. Doch während sein Amtsvorgän- um Fluglärm und Nachtruhe durch- ger Manfred Stolpe seinerzeit ein- aus zerrissen sind. Dass vor allem geknickt ist, stellt sich der heutige Menschen in sozialer Not den Streit brandenburgische Ministerpräsident um die Lebensqualität im Flughafen- Platzeck der Auseinandersetzung im umfeld ein Stück weit auch als Lu- Kontakt Interesse der Betroffenen, im Interes- xusproblem ansehen. se des Landes. Denn das Thema Flug- Es ist also nicht so, als würde Rot- Wahlkreisbüro lärm zerreißt das ganze Land – es ist Rot hier einfach auf einen fahrenden Kornelia Wehlan nicht nur ein lokales Phänomen. Zug aufspringen oder einer Mehrheit Zinnaer Straße 36 Der Kampf, der jetzt ausgefochten hinterherlaufen. Schon von daher er- 14943 Luckenwalde wird, weist in seiner Dimension weit weisen sich die schrillen Populismus- Telefon 03371/40 65 44 über das eigentliche Anliegen hinaus. Vorwürfe als ziemlich unsinnig. Sie Das beginnt bei der alten Frage, wie offenbaren aber noch etwas: Wer den

20 DISPUT März 2013 FEUILLETON

an könnte weinen: Unser liebes, fl eißi- ges, starkes Land, von dem der silber- weil sie immer billiger essen wollen. »systemisch«. Die Linken sagen: graue Bundespre- Doch welche Nahrungsmittelskanda- systemimmanent! Was heißt: Man Mdiger und alle schwarz-gelben Mi- le hat jemals das Ministerium für Ver- kann diese Missstände nur dauer- nister sagen, dass es das glück- braucherschutz aufgedeckt? Immer haft überwinden, indem man das lichste Land der Welt sei, ist doch waren es die Kunden, die Presse oder System ändert. Das will aber kei- immer wieder vom Pech und von die Schutzvereine. Die Minister be- ne der großen Parteien. Nur DIE fi nsteren Mächten verfolgt. kunden dann ihr Entsetzen. Aber ihre LINKE sieht das und sagt das und Dem deutschen Stellvertreter Got- Kontrolleure reichen nicht. Die holen wird daher gejagt! tes auf Erden schwinden die Kräf- nur Stichproben aus der Markthalle Anders natürlich im Wahlkampf. te. Mercedes schleicht der For- statt Hersteller in den Knast. Da geloben sie alle Besserung mel 1 hinterher, und Opel landet Welche Preisabsprachen sind durch und versuchen, DIE LINKE links zu im Rollstuhl. Die fünf Weisen hal- das Kartellamt aufgefl ogen? Keine. überholen, um sie klein zu halten. bieren ihre versprochenen Wachs- Das Amt bestätigt hinterher nur, dass Am 17. Februar sagte nun gar See- tumsraten. Die von Frau Merkel alles »rechtens« verlief, oder verlangt hofer, der Landeschef des gläu- gebändigte Eurokrise zeigt immer fünf Prozent Anteil vom Sonderpro- bigsten aller Bundesländer, am wieder ihre Krallen. Die geäch- fi t. Welche Verstöße gegen Buchsta- bayerischen Fernsehstammtisch, teten Heuschrecken an der Bör- ben und Geist der Verfassung – wie dass nicht nur der Sozialismus ge- se machen weiter Geld wie Heu. das bisherige Wahlgesetz oder die scheitert ist, sondern auch der Ka- Priester vergreifen sich an ihren Hartz-IV-Regeln oder die Frauenlöhne pitalismus. Das einzige, was nun Schäfchen. Leuchten der aka- – wurden vom »Verfassungsschutz« noch hoffen ließe, sei die soziale demischen Eliten verblassen zu aufgedeckt? Keine. Die Schlapphü- Marktwirtschaft. Nieten. Man serviert uns Rinder- te verfolgen die Linken, die das auf- Aber dieses »Modell Deutsch- Rouladen, die nach Renn-Pferd decken. Wer legt den Organhändlern, land« wurde ja mit Ludwig Erhard schmecken. Die »Umsonst-Ener- den Bilanzschwindlern, den Pharma- und Willy Brandt begraben. Und gie« aus Sonne und Wind wird profi teuren Handschellen an? Kein nach der Entsorgung des Sozia- noch teurer als der Atomstrom. Ärzteverband und keine Bankenauf- lismus wurde dessen Asche von Die teuersten Protzbauten werden sicht haben vorher die Notbremse den Neoliberalen in alle Winde von Versagern in den Sand ge- gezogen. Entsprechend lahm sind sie gestreut. Doch nun bilden sich setzt. Und immer ist die Antwort dann beim Ausmisten. Also, wer kon- durch die umlaufenden Wirbel- der Regierenden: »Da hat die Kon- trolliert die Kontrolleure? stürme aus diesem roten Staub trolle versagt!« Sobald mal nachträglich kontrol- neue »Klumpen«, die als Gespenst Wie lange müssen wir uns das liert wird, zeigt sich, dass es keinem am Himmel stehen. Man weiß, noch anhören? Ich fürchte: Noch der Beteiligten um das Gemeinwohl was passiert, wenn solche Klum- lange! geht, sondern stets um den Eigen- pen die Atmosphäre durchdrin- Die gängige Antwort auf das »wie- nutz, um Macht und Einfl uss, Profi t gen. Dann zittert die Erde! Viel- hernde« Rindfl eisch lautet: Die und Marktanteile. Die Ursachen und leicht ist der Papst deshalb vor- Verbraucher haben selber Schuld, Motive dieser Gaunereien sind also zeitig zurückgetreten?

JENS JANSEN Illustration: Ale Sund

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

DISPUT März 2013 21 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT Weniger Testosteron …

… mehr Gleichstellung VON BERND RIEXINGER

enn es ums Einkommen gliedern drei weiblich sein. Die Zahl Die Unterschiede von Arbeitszei- von Frauen geht, darum, drei und das Wort Gleichstellung pas- ten und Einkommen nach Geschlech- W am Arbeitsmarkt teilzuneh- sen dabei nur irgendwie nicht zuein- tern klaffen in Deutschland im Ver- men, Beruf und Familie zu vereinba- ander. gleich besonders weit auseinander. ren, werden in Deutschland nur Trip- Aus Jahrzehnten der Gewerk- Frauen verdienen rund ein Viertel pelschritte gemacht – leicht, wenig schaftsarbeit weiß ich: Die alltäg- weniger als ihre Kollegen. Sie arbei- energisch, und ein Vorankommen ist lichen Sorgen sind meist andere. ten häufi ger als früher, immer häufi - kaum sichtbar. Frauen sind heute zwar häufi ger er- ger aber in Teilzeit. 1985 waren noch Da sind auf der einen Seite die Ar- werbstätig als vor einigen Jahren, ar- annähernd 70 Prozent in Vollzeit be- beitgeber und auf der anderen Seite beiten aber eher in Berufen, die häu- schäftigt, heute sind es nur noch die Politik. Ein Unternehmen, das et- fi g schlecht entlohnt werden: im Ge- knapp über 50 Prozent. Frauen arbei- was auf sich hält, bekennt sich wie sundheitswesen, im Verkauf, in der ten dreimal häufi ger in Teilzeit und selbstverständlich zur berufl ichen Bildung, der Kinderbetreuung, der viele auch nur in Kleinst-Teilzeit für Förderung von Frauen, sucht die Ko- Gastronomie. Als Geschäftsführer eine Mini-Entlohnung mit unkalku- operation mit dem Gleichstellungs- von ver.di Stuttgart habe ich mit vie- lierbaren Arbeitszeiten: Wer einen beauftragten, und der Personalchef len von ihnen Betriebsräte gegrün- Vertrag über fünf oder zehn Stun- betont immer wieder, wie unermüd- det, für bessere Tarifverträge ge- den hat, aber 40 Stunden verfügbar lich er für die Gleichstellung kämpft. kämpft, wir haben zusammen für sein muss, kann keinen Zweitjob an- Und die Bundesregierung: Familien- ihre Rechte gekämpft, und ich habe nehmen und hat kein Anrecht auf ministerin Schröder will eine selbst- häufi g mit ihnen unter der Brutalität Urlaub. Mini-Jobs sind nicht nur ein verpfl ichtende Flexiquote und befi n- ihrer Arbeitsgeber gelitten. Die Be- Desaster mit Blick auf den Arbeits- det sich darüber im »Disput« mit Ka- schäftigten von Schlecker und H&M markt, sondern auch ein Armuts- binettskollegin Ursula von der Leyen, seien stellvertretend für viele mutige zeugnis für die Geschlechtergerech- die meint, in Aufsichtsräten und Vor- Beschäftigte genannt, die Schikanen tigkeit. Deshalb ist es empörend, ständen sollten doch von zehn Mit- und Ungerechtigkeiten satt hatten. dass die Arbeitsgeber im Einzelhan-

Preisverleihung des Clara-Zetkin-Frauenpreises im Berliner Pfefferberg am 8. März 2013 Foto: Erich Wehnert

22 DISPUT März 2013 Eine Frau, gleichgestellt, wird überlegen. Sokrates

del zu einem Generalangriff auf Löh- beitszeit erhöhen würden, wünschen ne, Arbeits- und Urlaubszeiten bla- sich viele Männer eine Reduktion ih- sen und Tarifverträge gekündigt ha- rer Arbeitszeit. Das Ziel einer moder- ben, um den Vernichtungskampf im nen Gleichstellungspolitik kann aber Einzelhandel über Mega-Öffnungs- nicht die Orientierung an der allzu zeiten und Preisschlachten auf dem häufi g männlichen 40-plus-Stunden- Rücken der Beschäftigten austragen Woche sein, in der für Familie, Haus- zu können, die heute schon vielfach arbeit, Kinderbetreuung und Gesprä- mit niedrigen Löhnen und miesen Ar- che kein Raum bleibt. Eine faire Dis- beitszeiten kämpfen müssen. kussion würde bedeuten: Reduktion Frauen scheiden auch häufi ger der männlichen Wochenarbeitszeit und länger aus dem Beruf aus oder und ein Abbau der häufi g weiblichen sind gezwungen, die Arbeitszeit zu Unterbeschäftigung. Eine solche Dis- reduzieren, um Kinder zu versorgen. kussion würde in Konsequenz zu Je mehr Kinder in einem Haushalt le- neuen Arbeitszeiten und einer not- ben, desto niedriger ist die Beschäf- wendigen Arbeitszeitverkürzung ins- tigungschance für Frauen, und das gesamt führen. liegt zentral an den Betreuungsange- Damit aber sind die Hausaufga- boten. Das Elterngeld mag über die ben nicht erledigt. Was wir brau- erste Zeit hinweghelfen, es zielt aber chen, ist eine Infrastruktur, die Frau- vor allem darauf, dass die Eltern sich en und Männern die Wahl lässt, und entscheiden, überhaupt Kinder zu be- kein Betreuungsgeld, das insbeson- kommen. Wenn es im Westen nur für dere prekär Beschäftigte an den Wi- 22 Prozent der Kinder einen Betreu- Der Clara-Zetkin- ckeltisch kettet. Wir brauchen Un- ungsplatz oder eine Tagespfl ege gibt, Frauenpreis würdigt ternehmer, die Arbeit und Fami- braucht man keine hellseherischen jedes Jahr eine In- lie nicht als Gegensatz verstehen. Fähigkeiten, um zu erkennen, wo ei- itiative, die die Le- Wir brauchen eine Aufwertung der ne Ursache für die Ungerechtigkeit bensbedingungen gesamten Sorge-Arbeit: Kranken- in Arbeit und Wirtschaft liegt. Seit von Frauen verbes- schwestern, Altenpfl egerinnen oder diesem Jahr sollte es einen Rechts- sert, Gleichstellung Kindergärtnerinnen verdienen deut- anspruch auf einen Betreuungsplatz befördert oder ande- lich mehr in unserer Gesellschaft: geben. Blöd nur für die Familienmi- re Frauen inspiriert. Sie müssen mehr Anerkennung, ins- nisterin und damit auch für viele Fa- Dieses Jahr ging er besondere aber deutlich höhere Ge- milien: 150.000 Plätze fehlen, und es an die Besetzerin- hälter erhalten und können weder dürfte schwer werden zu erklären, nengruppe »Stille mehr Stress noch mehr Arbeitsstun- warum die Bundesregierung dieses Straße«. Der Ehren- den gebrauchen. Schließlich ist in Versprechen brechen wird. preis wurde der So- kaum einem Land der Abstand zwi- Sorgt ein bisschen Glück dann ziologin und Philo- schen Industriegehältern und de- doch mal für einen Betreuungsplatz, sophin Frigga Haug nen im sozialen Bereich größer als passen die Öffnungszeiten der Kita verliehen. bei uns. Und wir müssen die Klam- meist nicht zu einem Vollzeitjob, bei mern aufzeigen, die unsere Politik den Angeboten der Schulen ist die zusammenhalten. Die Aufwertung Situation noch schlechter. Am Ende der Sorge-Arbeit wird nur dann ge- steht dann ein ernüchterndes Ergeb- lingen, wenn höhere Löhne durch nis: Teilzeit, häufi g gering entlohnte steigende Einnahmen der Sozialkas- Beschäftigungsverhältnisse und er- sen fl ankiert werden. Das Konzept zwungene Auszeiten. Spätestens der unserer Partei für eine solidarische Rentenbescheid wirkt dann wie ein Bürgerinnen- und Bürgerversiche- Hammerschlag. rung ist deshalb nicht nur ein Kon- Dabei bietet sich gerade in der Fa- zept für mehr Gerechtigkeit im Ge- milie ein enormes Umverteilungs- sundheitswesen, sondern auch zwi- potenzial bei den Arbeitszeiten an. schen den Geschlechtern und damit Denn während Mütter gerne ihre Ar- beispielhaft.

DISPUT März 2013 23 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT

Foto: Erich Wehnert

24 DISPUT März 2013 Im Rhythmus der Solidarität

Tanz-Flashmob an der Weltzeituhr auf auch bekannt unter »One Billion Rising« es schaffen, dass weltweit eine Milliarde dem Berliner Alexanderplatz. Am 14. Feb- – eine weltweite Bewegung von Frau- Menschen am Aktionstag gegen Gewalt ruar 2013 fand weltweit der V-Day statt, en für Frauen. Die Initiatorinnen wollten an Frauen demonstrieren.

DISPUT März 2013 25 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT Nicht hinnehmbar

Frauen haben ein »Recht auf mehr« VON DIANA GOLZE

eit mehr als 100 Jahren kämpfen selten, dass sich Führungspositionen wo zum Beispiel ein gesetzlicher Min- Frauen um Gleichberechtigung nur schlecht mit Erwerbspausen etwa destlohn beschlossen werden könn- S in der Arbeitswelt. Und noch zur Kindererziehung vereinbaren lie- te, wird seit Jahren blockiert – egal, in immer bestehen große Ungleichhei- ßen – offenbar auch im Jahr 2013 noch welcher Konstellation regiert wurde. ten zwischen Frauen und Männern. immer eine Rollenzuweisung, die al- Und so beschränkt sich auch die der- Sicher, Frauen müssen heute nicht leinig für Frauen gilt. Ebenfalls ist zeitige Regierung auf Scheinaktivitä- mehr – wie im westlichen Teil des Lan- neuerdings zu lesen, dass Frauen bei ten: Appelle an die Wirtschaft sind ge- des noch bis 1977 – ihren Mann um außertarifl ichen Gehältern unter Um- nauso sinnlos wie die weitere Prüfung Erlaubnis bitten, einer Berufstätigkeit ständen nicht mit der gleichen Här- von Prüfaufträgen. nachgehen zu dürfen, doch es begeg- te wie ihre männlichen Kollegen ver- Die Kanzlerin versucht sich in ei- nen ihnen nach wie vor tagtäglich Dis- handeln. All dies, ohne auch nur mit ner Politik der Projektchen. Nach- kriminierungen. einer Silbe zu erwähnen, dass es Auf- haltige Maßnahmen, die auf dauer- Eine solche ist die noch immer be- gabe der Politik sein müsste, hier ent- hafte Verbesserungen der Arbeitsbe- stehende ungleiche Bezahlung von gegenzuwirken. Doch im Bundestag, dingungen ausgerichtet sind, sehen Frauen und Männern. Um das Jahres- anders aus! Statt einer gezielten Ar- gehalt ihrer männlichen Kollegen zu beitsmarktpolitik, die Frauen wirklich erreichen, müssen Frauen im Durch- fördert, erleben wir das genaue Gegen- schnitt drei Monate länger arbeiten. teil: keine Wirtschaftspolitik, die kla- Seit Jahren stagniert dieser Verdienst- EINFACH POLITIK re Lohnuntergrenzen festlegt, keine abstand. Und so markiert auch in die- Gesundheitspolitik, die Lohnfortzah- sem Jahr der 21. März den sogenann- Gleichstellung lung im Krankheitsfall für jede und ten »Equal Pay Day«, bis zu dem Frau- jeden zu einem selbstverständlichen en arbeiten müssen um das durch- Recht macht. Wir erleben eine Fami- schnittliche Vorjahresgehalt der lienpolitik, die Kinder zum Armutsri- männlichen Kollegen zu erreichen. Gleichstellung meint die Her- siko macht und Kindererziehung zum Die Ursachen der Lohndifferenz zwi- stellung tatsächlich gleichwer- Hausfrauendasein zwingt. Familien- schen den Geschlechtern sind be- tiger Lebensbedingungen al- freundliche Arbeitszeitmodelle sucht kannt: Es sind Niedriglöhne, Teilzeit- ler Menschengruppen. Auch man weiterhin vergeblich, und der arbeit, Mini-Jobs und schlechtere Be- das persönliche Empfi nden von Ausbau von Betreuungsangeboten be- zahlung von sogenannten »frauenty- Chancengleichheit spielt da- wegt sich weiterhin im Schneckentem- pischen« Berufen. Wie verfestigt sie bei eine große Rolle. Erstmals po. Wer politisch auf die Verfestigung sind, macht eine Kleine Anfrage der beschäftigte man sich im Zu- von Minijobs und Leiharbeit setzt, Linksfraktion im Bundestag deutlich. ge der französischen Revolution nimmt Altersarmut in Kauf, weil die Sie stellte nicht nur Fragen nach der mit Gleichstellung, noch aus- Betroffenen kaum nennenswerte Ren- Erwerbstätigkeit, sondern auch nach schließlich in Bezug auf Frau- tenansprüche erwerben. Es wird ein den Arbeitswelten von Frauen. Was en. Ab Anfang/Mitte des 20. Kreislauf geschaffen, in dem nur eine im Alltag als gefühlte Ungleichheit Jahrhunderts kamen für weite- Gruppe verliert: die der Beschäftigten. präsent ist, hat die Bundesregierung re benachteiligte Gruppen da- Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass mit Zahlen belegt. Ganze 26,5 Prozent zu (zum Beispiel Menschen mit dies immer wieder Frauen mit beson- der berufstätigen Frauen arbeiten für Behinderung). Auf dem Papier derer Härte trifft. Wir brauchen ein einen Stundenlohn unter 10,36 Euro ist Gleichstellung. zwar in den Tarifsystem, in dem sogenannte Frau- – bei Männern liegt diese Quote bei meisten Ländern festgeschrie- enberufe im Dienstleistungsbereich 15,8 Prozent. Auch bei den sogenann- ben, doch de facto ist sie noch nicht länger schlechter eingestuft wer- ten »Aufstockern«, denjenigen, die lange nicht erreicht. Frauen be- den. Wir brauchen einen gesetzlichen trotz Arbeit auf Hartz IV angewiesen kommen trotz gleichwertiger Mindestlohn, der einen Stundenlohn sind, übernehmen Frauen die trauri- Arbeit deutlich weniger Lohn von zehn Euro als verbindliche Unter- ge Führungsposition, die ihnen im Be- und haben geringere Aufstiegs- grenze markiert ! rufsleben sonst so beharrlich verwei- chancen. Gleichgeschlechtli- gert wird. che Paare besitzen trotz glei- DIANA GOLZE IST KINDER- UND JUGEND- Statt aber an die Ursachen her- cher Pfl ichten nicht die gleichen POLITISCHE SPRECHERIN IN DER BUNDES- anzugehen, wird immer wieder ver- Rechte. AK TAGSFRAKTION UND IM SPITZENTEAM ZUR sucht, den Frauen die Schuld in die BUNDESTAGSWAHL. Schuhe zu schieben. So heißt es nicht [email protected]

26 DISPUT März 2013 Alles andere als Nebensache Noch viel zu tun: Erster Bericht zur Geschlechtergleichstellung in der LINKEN VON ANTJE SCHIWATSCHEV

IE LINKE beschließt neues innen der Landesvorstände, eine Ver- Das betrifft gleichermaßen die Betei- Grundsatzprogramm, so hieß treterin der BAG Lisa und Mitglieder ligung an Aktionen anderer Organi- D es nach dem Erfurter Partei- des Parteivorstandes mitarbeiten. sationen wie den Girlsday und den tag im Oktober 2011 sowohl in den Auf Bundesebene wurde eine Mit- Equal-Pay-Day oder gegen Gewalt an Medien als auch in der Partei. Doch gliederinitiative ins Leben gerufen, Frauen. im »Schatten« der programmatischen welche sich insbesondere an Frauen Im Bereich Politische Bildung der Debatte wurde damals auch das Kon- richtet. Doch dies bleibt hinter dem Bundesgeschäftsstelle wurden fe- zept zur Herstellung von Geschlech- formulierten Ziel des Konzeptes, das ministische Angebote weiterentwi- tergerechtigkeit in der LINKEN be- im Beschluss festgehalten war, zu- ckelt und mit Seminaren wie »Frau- schlossen. Ende des vorigen Jahres rück. Dort war eine Mitgliedergewin- en fi t für den Vorstand – Vorstände entstand der erste Bericht zur Ge- nungsinitiative beschlossen, die sich fi t für Frauen« endlich eine Ange- schlechtergleichstellung in unserer ausschließlich an Frauen richtet. botsreihe gestartet, die die Kommu- Partei. nikation und Sitzungskultur in den »Die größte Gefahr für die Gleich- Vorständen der Partei kritisch ana- stellung ist die Annahme, wir hät- Eben lysiert und damit sicherlich verbes- ten sie schon«, so wurde Grethe Nes- noch nicht sern wird. Ferner wurde ein Leitfa- tor im Konzept zitiert. Doch von den den zur geschlechtergerechten An- Zielen, die wir uns gemeinsam vor- Immerhin wurde 2011 erfolgreich sprache erstellt. genommen hatten, ist einiges auf das Mentoringprogramm mit 15 jun- Ein Beschluss des Parteivorstan- der Strecke geblieben. Waren 2011 gen Frauen aus den Landesverbän- des hat dies für die Ansprache von noch alle Landesvorstände quotiert, den gestartet. Auf Beschluss des Par- Frauen 2013 für den Bundestags- so müssen wir zum Stichtag 31. Au- teivorstandes im Januar 2013 gehen wahlkampf zu einer Kernaufgabe ge- gust 2012 festhalten, dass vier Lan- wir hier in die zweite Runde. macht. In der Wahlstrategie ist der desvorstände inzwischen die Quotie- In der Partei DIE LINKE wurden integrierte Frauenwahlkampf zen- rung nicht mehr einhalten. Die Quo- seit dem Erfurter Parteitag diverse tral gesetzt. Doch wie wird er mit te allein löst offenbar nicht die dahin- frauenspezifi sche Veranstaltungen Leben erfüllt? Das beginnt konkret ter liegenden Probleme. Woran liegt organisiert. Vor drei Jahren konn- schon im Wahlprogramm, wo es nö- es, dass sich Frauen, vor allem wenn te der Internationale Frauentag auf tig ist, Perspektiven von Frauen deut- es ums Entscheiden geht, weniger eine hundertjährige Geschichte zu- lich aufzugreifen, ihre Vorstellungen einmischen und die Verantwortung rückschauen. Seither verleiht die vom guten Leben, vom Arbeiten oh- in Ämtern und Funktionen gar nicht Partei den Clara-Zetkin-Frauenpreis ne Druck und miese Bezahlung, klar erst anstreben? Frauen sind aktiv im an Projekte und Persönlichkeiten, reinzuschreiben. Zeit für Kinder, die Wahlkampf, bei konkreten Projekten die für das Wirken von Frauen Er- Pfl ege von Angehörigen, für die po- und geben im Alltag an der Basis – mutigendes auf den Weg gebracht litische Einmischung und für sich vor allem im Osten – der LINKEN ein haben. Gleichfalls jährlich findet selbst ist genauso geschlechterge- spürbar weibliches Gesicht. Sind un- die Bundesfrauenkonferenz statt, recht zu verteilen wie im Erwerbs- sere Netzwerke und Strukturen, un- die die Einmischung von Frauen in leben. Zum Themenbereich Frau- sere Diskussionskultur und die Vor- programmtische, strategische Fra- en und Parteileben wird es im ers- stände selbst wirklich offen für fe- gen organisiert und den wertvollen ten Quartal 2013 auf Beschluss des ministische Politik, die Ansprüche Austausch zum Parteiaufbau im Ge- Parteivorstandes ein erstes Diskus- an ein guten Leben, ja selbst auf die päck hat. Entscheidend ist allerdings sionspapier zur Parteientwicklung kleinen und großen Konfl iktlösungen auch, dass dann Raum für Begeg- aus geschlechtergerechter Sicht ge- gründlich verändern? nungen mit Kunst, mit Netzaktivis- ben. Darin wird es unter anderem An den offen Fragen und den fakti- tinnen und Frauen aus anderen ge- um die Fragen der innerparteilichen schen Leerstellen können wir erken- sellschaftlichen Spektren geschaffen Kultur, Sitzungskultur und den Aus- nen, dass weiterhin eine riesige Auf- wird, die ihren Beitrag zu feministi- bau von Beteiligungsformen gehen. gabe vor uns liegt, wenngleich viele schen Debatten leisten, uns inspirie- Vieles wurde begonnen, und wichtig wichtige Schritte längst eingeleitet ren und kritisch begleiten. Deshalb ist nun, das Anliegen der geschlech- wurden. Zur Umsetzung des Konzep- ist es gut, dass in fast allen Landes- tergerechten und feministischen Ent- tes zur Herstellung von Geschlechter- verbänden nun Landesfrauenkon- wicklung unserer Partei Alltag wer- gerechtigkeit in der LINKEN wurde ferenzen durchgeführt werden und den zu lassen. Geschlechtergerech- ein Ausschuss eingesetzt, in dem die die Vernetzung zu Fraueninitiativen tigkeit ist alles andere als Nebensa- Bundesgeschäftsführung, Vertreter_ vor Ort dadurch verbindlicher wird. che.

DISPUT März 2013 27 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT Mit viel Spaß und voller Power DISPUT im Gespräch mit Kerstin Rudek

»Die nächsten 15 Jahre kann Man kann nicht immer nur in eine erst ab der dritten Generation. Ge- ich mir noch ein Leben auf vol- Initiative, eine Bewegung, eine Partei boren und aufgewachsen bin ich in len Touren vorstellen …, dann »reinbuttern«, mit viel Kraft reinge- Dannenberg. möchte ich es etwas entschleu- hen – und ausgelaugt rausgehen, son- Früher, in den 70er-Jahren, war die nigter angehen«, schreibst du dern man muss das Gefühl haben, Region sehr bäuerlich (nur wenige auf deiner Internetseite. Planst so kann ich das noch eine Weile ma- Höfe sind übrig geblieben), und die du dein Leben wirklich so de- chen. Inzwischen leg ich großen Wert Wendländer/innen sind recht kon- tailliert? darauf: dass man ein gutes Team hat, servativ, nach dem Motto: Watt de Im Moment verspüre ich noch richtig dass man sich ergänzt, dass man Kri- Buer nich kennt, datt freet he nich. Power, und das will ich nutzen. Ich tik bekommt … Das alles gehört dazu. (Was der Bauer nicht kennt, das möchte mithelfen, den Dissens zwi- Und mir macht das Spaß. frisst er nicht.) schen Politik und Zivilgesellschaft Wie beschreibst du den Men- Nach der Benennung von Gorleben abzubauen. schenschlag im Wendland? zum Nuklearen Entsorgungszent- Viele fragen: Ist das nicht total frust- Ein richtiger Wendländer wird man rum bildete sich eine spannende Mi- rierend, Veranstaltungen und so, was kommt dabei eigentlich raus? – Doch was ist die Alternative? Ich sag ja nicht, dass ich glücklich bin mit den gesellschaftlichen Zuständen oder mit den Zuständen der Umwelt, aber ich sehe Hoffnung. Ich sehe wirklich Hoffnung, dass genügend Leute die Kurve kriegen und sagen, wir wollen das alles gern ein bisschen anders haben, und dass sie sich dafür enga- gieren. Oder dass sie, wenn sie sich nicht engagieren, wenigstens uns ih- re Stimme geben, damit wir das tun. Du warst/bist sehr stark enga- giert in der Bürgerinitiative, de- ren Wirken im Zusammenhang mit Gorleben und den Castor- Transporten bundesweit einen Ruf hat; hast für den Landtag kandidiert, bist seit einigen Wo- chen Mitglied der LINKEN und nun im Landesvorstand, hast ei- ne vielköpfi ge Familie, die Kraft und Zuwendung bedarf. Wie be- kommst du das alles unter ei- nen Hut? Ich bin ein großes Organisationsta- lent, das ist ein Grund dafür, dass ich so viele Sachen machen kann. Vor langer Zeit habe ich festgestellt: Wenn ich organisiere, habe ich ganz viele Freiräume. Meine Familie unterstützt meine Ar- beit bedingungslos. Entweder ma- chen alle mit oder sie lassen mich machen. Außerdem habe ich irgendwann be- schlossen, es muss Spaß machen.

28 DISPUT März 2013 Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Un- abhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter. KERSTIN RUDEK August Bebel

Die Mutter von sechs Kindern schung: Viele Menschen aus Städ- beiden Fördertürme des Erkundungs- lebt im Wendland unweit der ten zogen hierher, und die Einheimi- bergwerkes für ein Endlager besetzt, Elbe und einen Katzensprung schen öffneten sich sehr schnell, weil am 21. Juni 1990, am Tag des Antritts von Gorleben entfernt. Bereits sie nicht mit den Problemen allein der rot-grünen Landesregierung. Zu als Schülerin hat sie sich in der bleiben wollten: Sie wollten ihre Le- der Zeit erzählte uns Niedersachsens Anti-Atom-Bewegung engagiert bensmittel auch weiterhin verkau- grüner Umweltminister Trittin, ge- und kaum eine Demonstration fen, sie wollten deshalb kein Nukle- gen die Castor-Transporte dürften die ausgelassen. Später war sie Vor- ares Entsorgungszentrum, und sie Menschen nicht mal auf der Straße sitzende der Bürgerinitiative Lü- wollten erst recht nicht, dass über ih- tanzen, weil es völkerrechtliche Ver- chow-Dannenberg. Als Parteilo- re Köpfe hinweg entschieden wird. träge gäbe. se kandidierte sie Anfang 2013 Der intensive Austausch zwischen Wie ist die Stimmung im Wend- auf der Liste der LINKEN für den den Alteingesessenen und den Zu- land momentan? niedersächsischen Landtag. Ei- gezogenen war so etwas wie die Ge- Der jetzige Vorsitzende der Bürgerin- nige Tage nach der Wahlnieder- burtsstunde der Republik Freies itiative, Martin Donat, sagt, es sei un- lage trat sie in die Partei ein. Wendland – es gab die Bereitschaft, heimlich schwer, Aktionen und eine www.kerstinrudek.de einander zuzuhören, voneinander zu gute Politik gegen ein Endlagersuch- lernen und miteinander ein Stück gesetz zu machen und dessen De- Foto: Erich Wehnert Weg zu gehen. tails zu vermitteln. Dieses Gesetz ist Das hatte einen riesigen Einfl uss auf alles andere als toll: weil es im Mo- den Alltag. Viele der anfänglichen ment nur Gorleben als Option kennt Träume haben sich zumindest ein und weil quasi die alternative Su- Stück weit umsetzen lassen. Wir hat- che überhaupt nicht begonnen wird, ten – aufs platte Land bezogen – ei- wenn Gorleben mit all diesen Festle- ne hohe Dichte an selbstorganisier- gungen einfach beibehalten wird; es ten alternativen Projekten: Wohnge- ist alles auf Gorleben zugeschnitten. meinschaften, Kinderläden, Bioläden, Es gibt als Diskussionsgrundla- Kooperativen … Manches wurde sehr ge von der LINKEN den »Plan B« skeptisch beäugt, anderes war sehr für einen sozial-ökologischen anziehend. Umbau der Gesellschaft. Was Du warst Vorsitzende der bun- hältst du von dem Plan? desweit berühmten Bürgeriniti- Das ist ein unheimlich guter An- ative Lüchow-Dannenberg. Ein satz, weil alle Veränderungen, die weites Feld, ist zu vermuten … die Welt dringend braucht, Hand in Fünf Jahre war ich Vorsitzende der Hand gehen müssen. Man muss Mo- BI, das war sehr, sehr viel ehrenamt- delle entwickeln, wo beide Pole – liche Arbeit, und das waren Demons- Ökologie und Soziales – für sich re- trationen mit 50.000 Menschen in ei- klamieren können: Es geht in die ner Gegend, wo ansonsten eine große richtige Richtung. Lethargie herrscht, wenn es darum Von daher hatte ich mit der Kandida- geht, sich einzumischen und Politik tur für den Landtag für mich ein grö- auf der Straße zu machen. ßeres Politikfeld aufgemacht. Zur Tätigkeit der BI gehören von An- Ein paar Jährchen zurück: Wie fang an Aufklärung und Beratung. verlief deine Kindheit, was hat Als beispielsweise die ersten Nach- dich begeistert? richten über das wirkliche Ausmaß Ich war ein Einzelkind und hatte im- der Tschernobyl-Katastrophe eintra- mer vor, ganz viele Kinder zu krie- fen, machten wir innerhalb weniger gen. Denn als ein Kind allein mit Stunden Flugblätter mit Informatio- zwei Eltern ist es ein bisschen lang- nen und Verhaltenshinweisen. Das weilig, da muss man sich viel mehr war mein Einstieg in die aktive Anti- nach den Eltern richten, als wenn atomarbeit. sechs Kinder zwei Eltern haben. Das Jahrelang hatte ich Hausverbot beim verschiebt sich im Alltag ganz an- Schwarzbau Gorleben: Wir hatten die ders. >

DISPUT März 2013 29 DISPUT KOMPAKT: GESCHLECHTERGERECHTIGKEIT

Dennoch hatte ich eine ganz gute später dann meine Mitarbeit in der dockt habe … Kindheit, ich durfte – im Gegensatz BI, 2007 bis 2012 dann der Vorsitz Und: Warum nicht? zu anderen in meinem Alter – mit al- der Bürgerinitiative. Das ist einfach: Kriegseinsätze sind len und zu jeder Zeit spielen, durf- Doch 2013 wolltest du sozusa- für mich ein absolutes K.-o.- Kriteri- te in der Gegend rumfl itzen und war gen von der Bürgerinitiative ins um. Ich fi nde auch einige Grünen- gern in Wald und Flur. Ich habe am Landesparlament wechseln. Strukturen sehr bedenklich. Damit, liebsten Vögel beobachtet, bin auf Warum? dass ein Teil von ihnen sich jetzt nur Bäume geklettert, mit einem riesen- In der Bürgerinitiative bin ich wei- noch oberfl ächlich einem »Umwelt- großen Fernglas und einem großen terhin, aber ein einfaches Mitglied schutz« verpfl ichtet fühlt und die Vogelbestimmungsbuch. von etwa tausend. Meine Erfahrun- wirtschaftliche Problematik viel hö- Da hattest du genügend Aus- gen hatten sich jedoch irgendwie er- her bewertet als die Umweltproble- dauer gehabt? schöpft, es drehte sich ein bisschen me, könnte ich niemals mitgehen. Da Ja, sehr. Ich wollte Ornithologin wer- im Kreis. Mit dem Schwerpunkt Anti- gibt es inzwischen so eine Moral der den, das war mein erster Berufs- atompolitik wollte ich mich weiteren Doppelverdiener, Besseresser … Es wunsch. Politikfeldern öffnen. Dieses Thema geht vielen gar nicht mehr darum, al- Und dein zweiter Berufs- kann man nicht für sich genommen len ein gutes Leben zu ermöglichen. wunsch? lösen. Man muss an das gesamte Pro- Daraus spricht eine große Arroganz. Kinderärztin. Jetzt bin ich Homöopa- blem ran, und das ist ein gesamt- Wie hast du das Wahlergebnis thin, nicht auf Kinder spezialisiert, gesellschaftliches und das ist auch von 3,1 Prozent (2008: 7,1 Pro- sondern auf alle Zustände des Da- nicht vom Himmel gefallen. Wenn zent) aufgenommen? seins in jedem Alter. wir das Atomproblem lösen wollen, Ich brauchte zwei Wochen, um es Das hat durchaus was mit damals zu müssen wir das Problemfeld genauer wirklich zu begreifen. Es war ein tun. Es hat auch damit zu tun, dass benennen und größer fassen. All die düsteres Gefühl, nicht, was meinen wir jetzt so dicht an der Elbe leben: Verfl echtungen mit der Atomwirt- Alltag betrifft – da kann ich mit dem Hier gibt’s eine wahnsinnig schöne schaft sind ja der eigentliche Grund, Ergebnis umgehen. Aber bei dem Ge- Vogelwelt. Ich kann ganz viele Rufe warum »über Leichen« gegangen danken, was das für die Politik im zuordnen – nicht nur Kraniche oder wird, warum menschliche, gesell- Land bedeutet und was das für die Störche, sondern auch beispielsweise schaftliche, kommunale Interessen Struktur des Landesverbandes be- den Schrei des Seeadlers. überhaupt keine Rolle spielen, war- deutet, ist mir ein bisschen das Herz Wie warst du in der Schule? um die Entscheidungen immer im In- in die Hose gerutscht: Es gibt nun Nicht gut genug, als dass ich mich teresse von Konzernen – je höher die nicht mehr nur keine LINKE-Land- vorbehaltlos mit vielen Lehrern hät- Ebene, desto schneller – fallen. tagsabgeordneten mehr, es gibt ihre te anlegen dürfen – dafür bin ich Für meine Kandidatur habe ich mich Büros, ihre Anlaufstellen nicht mehr, manchmal ziemlich abgestraft wor- in kürzester Zeit in 30 Themen einge- es wird viel wegbrechen. den. arbeitet, das hab ich gern gemacht. Jetzt erst recht! – War dies dein Du warst Lehrers »Liebling«? Es ist eine Herausforderung, den ro- Motiv, ausgerechnet nach der Na ja. Mein Spitzname war Öko. ten Faden zu sehen, der alle Themen Niederlage der Partei beizutre- Schon damals? verbindet. Und es gab in allen lin- ten? Ja. Das ergab sich so. Für Dannenber- ken Politikthemen nichts, wo ich sa- Fünf Tage nach der Wahl fragte ger Verhältnisse war ich ein bisschen gen müsste, das geht mir gegen den mich ein Freund, auch eine gebür- auffallend. Meine Eltern wären bei- Strich. Einige Fragen (wie das Bedin- tiger Wendländer, ob wir nicht ein- spielsweise nie auf die Idee gekom- gungslose Grundeinkommen) sind treten wollten – gerade jetzt! Okay, men, irgendwas in einem Second- noch nicht geklärt; und ich fi nde sagte ich, das wär mal ‘ne Maßnah- handladen zu kaufen – ich aber fand gut, dass wir nicht vorgeben, für al- me. Denn so ein Wahlergebnis möch- das toll, ich fand Blümchenkleider, les den fertigen Plan in der Tasche zu te ich nicht akzeptieren, ich möchte Entenschuhe und so was toll. Das haben. Wir entwickeln uns ja. es verändern helfen. Und außerdem: Wort Öko passte ganz gut zu mir. Wie haben deine Mitstreiter/in- Was sollte ich mit den Erfahrungen Mit 14 nahm ich mit unserer Segel- nen auf deine Kandidatur – bei aus den vorangegangenen Monaten fl iegergruppe an der 25 Kilometer der LINKEN! – reagiert? machen? Einfach aufhören, das hätte langen Menschenkette an der West- Unterschiedlich. Einige meinten be- nicht zu mir gepasst. Nur weil es ei- seite des Landkreises teil. Das war sorgt, ob ich das nicht eines Tages be- ne Schwierigkeit gibt zu sagen, okay, meine erste Antiatomaktion, und reuen könnte. Andere fragten, war- dann war’s das jetzt – das ist nicht neue Freundschaften entstanden, um ich nicht bei den Grünen ange- meine Art, eine Krise zu bewältigen.

30 DISPUT März 2013 Es gibt keine Freiheit der Männer, wenn es nicht eine Freiheit der Frauen gibt. Wenn eine Frau ihren Willen nicht zur Geltung bringen darf, warum soll es der Mann dürfen? Hedwig Dohm, 1876

Foto: Erich Wehnert

Meine Art ist eher zu fragen: Woran lich noch an eine bessere Welt glau- einfaches Mitglied eine Aufgabe hat hat’s gelegen? ben und dass das umsetzbar ist. oder im Kreisvorstand, auf Landes- Am folgenden Tag füllten wir den Also, ich bin schwer dafür, Inhal- oder Bundesebene oder als Mandats- Antrag aus. te auszubauen und mit ein bisschen träger/in. Immer ist man an bestimm- Was wäre deine Art, Politik zu mehr Spaß an der Freude diese In- te Umgangsregeln gebunden. Wenn machen? halte zu vertreten und andere Leute wir eine bessere Welt wollen, dann Im Zweifelsfall entscheide ich mich zu begeistern, sich dafür zu öffnen: müssen wir das doch leben. Als zer- für Inhalte, eng angelehnt an außer- das heißt zumindest uns zu wählen strittener Haufen verschrien zu sein, parlamentarische Meinungsführer/ oder sogar mitzumachen, als ein Teil ist echt Antiwerbung. innen. Wir müssen uns nicht alles des Ganzen. Werdet ihr, nach der Enttäu- selber ausdenken. Wenn man es al- Wie stellst du dir deine, unsere schung im Januar, motiviert lein erarbeitet, kommt man nicht zu Partei vor? sein für den Bundestagswahl- anderen Schlüssen, aber es dauert Streitbar und kultiviert. Gegen Streit kampf? wesentlich länger. Diese Art, außer- habe ich überhaupt nichts; wenn Klares Ja. Der Landtagswahlkampf parlamentarischen Bewegungen Ge- wir Fehler nicht wiederholen wol- hatte uns viel Spaß gemacht, auch hör zu verschaffen und zu sagen, wir len, wenn wir besser werden wol- wenn es anstrengend (und kalt!) war. möchten das auch im Parlament ver- len, wenn wir auch offener werden Wir haben zahlreiche betagte Mit- ankert wissen, kommt meinem Poli- wollen, müssen wir ganz viel mitei- glieder; ich hab sie bewundert, wie tikverständnis sehr nahe. nander streiten – auf eine produkti- sie mit 70 Jahren aufwärts Plakate Wir müssen daran arbeiten, dass ve Weise, nach Regeln des menschli- aufgehängt und Flugblätter verteilt man den Unterschied zwischen der chen Anstands. haben. Und wir hatten eine tolle Un- LINKEN und dem ganzen fetten an- Das ist so ein bisschen das Politik- terstützung aus dem »nahen Osten«, deren Block wahrnimmt. Die Men- verständnis von den Zapatistas. Ich aus Schwerin und Brandenburg. schen müssen eine Alternative ha- war oft in Chiapas, da gibt es Spre- Auf unserer vorigen Versammlung ben und nicht mehr sagen, eigent- cher/innenräte. Die bekommen das haben wir über die Vorbereitung auf lich ist es egal, wen wir wählen, Mandat sozusagen nur zur Probe. den Bundestagswahlkampf gespro- es kommt sowieso die gleiche So- Wenn sie sich nicht bewähren, wird chen. Ich bin, was den Elan angeht, ße raus. Wir müssen zeigen, dass jemand anderes dorthin gesetzt. Ich sehr optimistisch. Und die Jahreszeit wir viele Idealistinnen und Idealis- fi nde, man hat einen Vertrauensvor- wird auch schöner! ten sind, natürlich auch mit Fehlern, schuss, und man muss dieser Rolle aber lernwillig; zeigen, dass wir wirk- gerecht werden – egal, ob man als GESPRÄCH: STEFAN RICHTER

DISPUT März 2013 31 ERINNERUNGEN Nicht nur ein Baum

Ein Gruß aus Frankfurt am Main VON HEINER HALBERSTADT

ir haben uns im Laufe der Am 2. Mai 1933 wurden die SPD- 1946 begann eine Trümmerbahn Jahre miteinander bekannt Stadtverordneten im Römer ihrer längs des Ostparks, die Frankfurter W gemacht: die über hundert- Ämter enthoben, und der Oberbür- Innenstadt wieder begehbar zu ma- jährige Roteiche im Ostpark in Frank- germeister Ludwig Landmann, der chen. Nicht wenige »ehemalige« NS- furt am Main und der über achtzig- unter anderem mit Ernst May vie- Funktionsträger meldeten sich in jährige Heiner Halberstadt, der ober- le soziale Stadtsanierungen umge- Ämtern und Betriebsleitungen, jetzt halb des Ostparks am Röderbergweg setzt hatte, fl oh vor den Nazis, die die als christliche Demokraten, zur Ar- wohnt. »Macht« in Frankfurt »übernommen« beit zum Wohle der Stadt Frankfurt Wo jetzt der Ostpark ist, fl oss in hatten, nach Holland. wieder zurück. Urzeiten der Main. Der Röderberg- Knapp zehn Jahre später war vom Mein Baum erinnerte mich wei- hang, oberhalb und parallel zum Ost- Baum aus zu sehen, wie sich der Him- terhin an Demos der APO (Außer- park gelegen, ist ein Vul- parlamentarische Oppositi- kanausläufer des Vogels- on) und an die auf der offe- bergs. Einige Millionen Jah- nen Spielwiese zu Füßen des re nach dem Erlöschen der Baums laut über die Fußball- Vogelsbergvulkane wuchs regeln miteinander streiten- auf dem Lava-Hang Röder- den Joschka Fischer und Da- berg Wein. Etwa 1810 scha- ny Cohn-Bendit. Als der Oster- muzierte der Student Goe- marsch 1963 im Ostpark pau- the in diesem vor der Stadt sierte, tanzte ich mit Joan Baez gelegenen Weinberg mit der zur Musik der Barrelhouse an Bankierstochter Charlotte meinem Baum vorbei. von Willemer. Das habe ich Und so weiter und so fort meinem Baum erzählt. Er – es wären noch manche Er- nahm es mit einem leichten innerungsgeschichten rings Rauschen in seiner Blätter- um meinen Ostparkbaum zu krone zur Kenntnis. schildern. Aber ich dachte Der Baum seinerseits be- zu Beginn des neuen Jahres, richtete mir, er habe in sei- es wäre vielleicht möglich, nen jungen Jahren erlebt, euch freundlich darauf hin- wie der französische mar- zuweisen, dass »mein« Baum xistische Sozialist Jean Jau- so groß und so stark wurde, rés in dem 1902 angeleg- weil seine Wurzeln die harten ten Ostpark vor vielen Tau- Erdschichten über dem ehe- send Frankfurter Arbeite- maligen Mainfl ussbett durch- rinnen und Arbeitern mit brochen haben. So konnte er großem Beifall gegen den he- mächtig viel aus dem in der raufziehenden Krieg gespro- Tiefe weiter fl ießenden Was- chen habe. Er setzte sich zu- ser in sich aufnehmen. Ist es gleich für eine freundschaft- nicht bedingt analog, in die liche Zusammenarbeit zwi- unter uns liegende Geschich- schen dem deutschen und te tiefer einzudringen. Dabei dem franzöischen Proletari- konkret zu lernen? Wäre es at ein. (Jaurés wurde 1914 in nicht förderlich für unser poli- Frankreich wegen seiner Kriegsgeg- mel über Frankfurt von den Bränden tisches Wachstum? Der Baum im Ost- nerschaft ermordet.) nach den Luftangriffen rot färbte. In park könnte uns so symbolisch be- Am 1. Mai 1933 demonstrierten dieser Zeit zogen täglich Tausende gleiten … oder? 200.000 Frankfurter im Ostpark. Da- aus dem Osten nach Frankfurt ver- Erfolgreiches Gelingen! zu hatten NS-Verbände gemeinsam schleppte Frauen morgens um 6 Uhr mit kirchlichen und Organisationen von einem Barackenlager zwischen HEINER HALBERSTADT, des Allgemeinen Deutschen Gewerk- Ostparkstraße und Röderbergweg am FREIER JOURNALIST, IST MITGLIED schaftsbundes aufgerufen. Zum soge- Ostpark vorbei in die Rüstungsfabri- DES ÄLTESTENRATES DER PARTEI nannten Tag der Nationalen Einheit. ken an der Hanauer Landstraße. DIE LINKE.

32 DISPUT März 2013 AKTION Radtour gegen Atomwaffen

Roland Kümel quer durch Deutschland VON MAREIKE WINTER

Wer möchte mitradeln? Bei Interesse bitte bei DISPUT melden. Foto: privat

irklich ernst hat ihn kei- post«, der »Sylter Rundschau« sowie nover nach Kassel. Die Unterbrin- ner genommen, als Roland auf der Homepage der »Anti-Atom-In- gung war nie ein Problem. Oft waren W Kümel voller Begeisterung itiative Göttingen«. es linke Gruppen, die dem Parteimit- von seiner Idee erzählte. Niemand Dabei ist das alles eigentlich kei- glied eine Unterkunft anboten. Auch hat daran geglaubt, dass er es schaf- ne wirkliche Premiere für Roland in Jugendherbergen übernachtete er, fen könnte. Vielleicht auch wegen Kümel. Schon vor ungefähr zwei Jah- seine Mitgliedschaft hat ihm bei den seiner geistigen Behinderung. Doch ren hat er seinen Schwager Manfred »Dachgebern« genützt. Trotzdem hat für den 51-jährigen Genossen stand Sohn auf dem größten Teil von des- er immer ein Zelt dabei, man weiß ja fest, dass er etwas tun wollte. Gegen sen Reise begleitet, als der mit einem nie, wie es kommt ... Atomkraftwerke und Atomwaffen. ähnlichen Projekt an die Atombom- In diesem Sommer folgt nun das »Einer der auszog, um gegen Atom- benabwürfe 1945 auf Hiroshima und letzte Stück seiner Deutschland- kraft zu demonstrieren«, nennt der Nagasaki erinnerte. Tour. Mitte Juli soll es weitergehen, gelernte Garten- und Landschafts- Da ihn die Themen Atomener- mit dem Ziel, die Zugspitze Anfang bauer die Aktion, bei der er von List gie und Atomwaffen sehr beschäfti- September zu erreichen. Dort ange- auf Sylt in mehreren Etappen zur gen, beschloss Roland, eine ähnliche kommen, will er den höchsten Berg Zugspitze radeln will. Am 2. Juli 2012 Aktion zu starten und als »Knochen- Deutschlands zu Fuß erklimmen und ging es für den Frührentner los, und mann« einmal quer durch Deutsch- seine Anti-Atomkraft-Fahne hissen. schon nach kurzer Zeit wurde die Lo- land zu fahren. Roland Kümel hat den Anfang ge- kalpresse aufmerksam auf den Mann Ein ausgebildeter Sportler ist Ro- macht und seine bisherigen Etappen- mit dem Skelett-Kostüm und der we- land Kümel nicht. Für ihn stand fest, ziele entgegen aller Skepsis gemeis- henden Fahne am Gepäckträger mit dass er die insgesamt knapp tau- tert. Er hat sich getraut und sucht der Aufschrift: »Atomkraft macht send Kilometer in mehreren Etappen nun interessierte Mitradlerinnen und schlank. Keine Atomwaffen. Keine schaffen möchte. Circa 40 bis 60 Ki- Mitradler, die ihn auf dem letzten Teil Atomkraftwerke. Kinder haften für lometer pro Tag. Nach Abschnitt eins seiner Strecke begleiten. Denn in Ge- ihre Eltern«. So erschienen Artikel über Sylt nach Peine folgte einen Mo- sellschaft macht es eindeutig mehr über ihn in der »Hamburger Morgen- nat später Abschnitt zwei von Han- Spaß.

DISPUT März 2013 33 INTERNATIONAL Weltweit gedacht und geschaut

Zu den Internationalen Beziehungen der Partei DIE LINKE VON OLIVER SCHRÖDER

en besorgten Leserbrief von Forum (NELF), die Gruppe von Oss Das bedeutet jedoch keinesfalls, Helmut Kapfenberger im Ja- sowie das FORO de Sao Paulo (Orga- dass sich innerhalb der LINKEN kei- D nuar-Heft (Seite 44, »Fragen«) nisation lateinamerikanischer Links- nerlei Kenntnis oder kein Bewusst- nahm DISPUT zum Anlass, den Leiter parteien, mit Gaststatus der EL). sein um die Wichtigkeit des prak- des Bereiches Internationale Politik Zu den obersten Prinzipien der in- tizierten Internationalismus fi ndet. in der Bundesgeschäftsstelle um Aus- ternationalen Parteibeziehungen ge- Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben künfte über die internationalen Bezie- hören gegenseitiger Respekt und die eine Internationale Kommission, ver- hungen der LINKEN zu bitten. Anerkennung des vom Partner ge- schiedene regionale Arbeitskreise, wählten politischen Weges, auch die Bundesarbeitsgemeinschaft Frie- DIE LINKE unterhält Beziehungen zu wenn er nicht immer dem eigenen den und Internationale Politik oder etwas 100 Partnerparteien und Bewe- entspricht. DIE LINKE unterhält keine auch das Zentrum für internationa- gungen in der ganzen Welt. Sie reprä- Beziehungen zu Parteien und Organi- len Dialog der Stiftung (ZID). All diese sentieren ein sehr breites Spektrum: sationen, die antidemokratischen oder Gremien besitzen Sachverstand und linkssozialistische, kommunistische, stalinistischen Charakters sind, die ih- genug Idealismus – alle arbeiten am trotzkistische, sozialdemokratische re politischen Ziele mit bewaffnetem genannten Ziel. Die Welt kann nicht und grüne Parteien. Gewerkschafts- Kampf oder terroristischen Mitteln er- allein durch DIE LINKE verbessert bewegungen, Friedensorganisatio- reichen wollen oder in anderen grund- werden. Die Weichen für Verbesse- nen, Regierungs- wie Oppositionspar- sätzlichen Fragen Positionen vertre- rungen werden nur zu einem kleinen teien sind Partnerinnen und Partner ten, die nicht mit dem politischen Ver- Teil in Deutschland gestellt. Die Zu- auf dem internationalen Parkett. Die- ständnis und der Programmatik der sammenarbeit mit der pluralen Lin- se politische Vielfalt entspricht in et- LINKEN vereinbar sind. ken auf der ganzen Welt ist notwen- wa der inneren Verfasstheit und Plu- Das Interesse der Linken an inter- dig, um konkrete und kohärente Al- ralität der LINKEN. Daher betrachtet nationaler Zusammenarbeit mit po- ternativen zu entwickeln, denen die es der Bereich Internationale Politik litischen Parteien und Organisatio- Menschen – oft jüngere, jeder Pers- als seine besondere Aufgabe, diese nen sowie verschiedenen sozialen pektive beraubte – besonders jetzt in Vielfalt innerhalb unserer Partei in Bewegungen ergibt sich aus unse- Zeiten der Finanzmarktkrise ihr Ver- die internationale Arbeit einzubezie- rem internationalistischen Charak- trauen schenken können. hen und nach außen zu repräsentie- ter und unserem Selbstverständnis. ren. Über die bilaterale Ebene hinaus Wir möchten als integraler Bestand- wirkt DIE LINKE in mehreren multi- teil und als Partnerin der weltwei- Bereichern des lateralen Gremien mit. ten, sich neu formierenden Bewe- Parteilebens gung von linken, demokratischen, gewerkschaftlichen, grün-alternati- Dazu gehört natürlich auch bei uns Respekt als ven und anderen gesellschaftlichen im Bundestagswahlkampf die klare oberstes Prinzip Kräften für ein humanes, friedliches, und gut verständliche Darstellung gerechtes, ökologisches und soziales des internationalen Zusammenwir- Die engste Form der Kooperation bil- Zusammenleben der Völker unseren kens. In der Tat gibt es hier derzeit det auf europäischer Ebene die Euro- Beitrag leisten. Dies ist vor dem Hin- noch Defi zite. Solche Gelegenheiten päische Linke (EL), eine Organisati- tergrund der zunehmend militärisch wie die Auftritte von Alexis Tsipras onsform, die aus achtunddreißig eu- ausgerichteten Machtpolitik zur Si- oder Pierre Laurent in der Berliner ropäischen Parteien besteht. cherung eines als alternativlos dar- »Volksbühne« bereichern das Pro- Auf parlamentarischer Ebene ist gestellten globalisierten Kapitalis- fi l der Partei und bringen die so not- DIE LINKE Mitglied der Konföderalen mus dringend geboten. wendige internationale Perspektive Fraktion der Vereinten Europäischen Im Parteileben nehmen die in- mit herein. Mehr davon! Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/ ternationalen Kontakte noch wenig Den Leserinnen und Lesern der in- NGL) im Europäischen Parlament. In Raum ein. Weder die EL noch der Di- ternationalen Seiten unserer Partei- der parlamentarischen Versammlung alog mit der Linken, beispielsweise website www.die-linke.de/politik/in- des Europarates sind wir Mitglied der aus Südamerika, werden dort in aus- ternational empfehle ich die Seite »In- Fraktion der Vereinten Europäischen reichendem Maße refl ektiert. Eine ternational«, die bald wieder erschei- Linken (UEL). Darüber hinaus gibt es Ursache dafür ist, dass das Parteile- nen wird – unter anderem mit einem noch weitere multinationale Gremi- ben durch die national ausgerichte- Bericht des Bundesgeschäftsführers en, in denen DIE LINKE mitwirkt: Da- ten Wahlen ebenfalls national domi- der LINKEN Matthias Höhn von einer zu gehören das New European Left niert bleibt. Reise nach Vietnam.

34 DISPUT März 2013 INTERNATIONAL Das ganze Dorf ein Fest Vom Lebensgefühl in Montaretto, einer kommunistischen Kommune in Italien VON ANNELIESE KÜHN

edenken und Feiern geht in In diesem Ort wird (fast) alles ge- in Montaretto ganz eindeutig die bei- Italien Hand in Hand, schließ- teilt und gemeinsam erlebt und gelebt. den genannten Feste zum Tag der Be- G lich ist la dolce vita ein lang ge- Stolz nennen sie sich ein »communista freiung vom Faschismus und dem Tag pfl egtes Klischee, in welchem wie so villagio«, ein kommunistisches Dorf. der Arbeit, an welchem im Übrigen oft ein Körnchen Wahrheit ruht. Doch Hier ist das ein Lebensgefühl, für das noch bis 12 Uhr mittags rege gewer- feiern allein und ohne Anlass ziemt dieses Dorf in ganz Italien und seit kelt wird. Am Vorabend beginnen die sich nicht, und so gibt es glücklicher- dem Dokumentarfi lm »Zum Beispiel Vorbereitungen: Da wird geschnippelt weise auch in bella Italia eine feine Montaretto« auch darüber hinaus be- und gekocht, geschwatzt, gesungen Auswahl an Nationalfeiertagen. Ganz rühmt ist. Der Bau einer Straße ist nur und gelacht. Das ganze Dorf wird zum besonders schön ist, wenn diese in die ein Beispiel und folgt dem Leitsatz: Festsaal, doch das Zentrum ist das angenehmen Jahreszeiten fallen und »Wir brauchen etwas, dann bauen wir Casa del Popolo. Mit Blick aufs Meer man gemeinsam draußen feiern kann. es uns, einer von uns benötigt Hilfe, oder die Berge, draußen oder drinnen Exemplarisch tun dies die Montaretti- dann helfen wir ihm.« Die Leute reden stehen überall Tische und Bänke, es ni zum Beispiel zur »Festa della Libe- nicht, sondern handeln, und das zum gibt Ziegengulasch, Salat, frittierte razione« am 25. April und der »Festa Wohle aller. Meeresfrüchte und natürlich Ravio- del Lavoro« am 1. Mai jedes Jahres. Es gibt einen kleinen Laden im Ort. li, eine besondere Spezialität des Dor- Das winzige ligurische Dörfchen Der Besitzer starb vor seiner Zeit, und fes und mitnichten vergleichbar mit Montaretto liegt auf halber Strecke die laufenden Kredite drängten die der schnöden Dosenvariante. Und na- zwischen Genua und Pisa seeseitig in Witwe zur Entscheidung über Aufga- türlich gibt es Wein: viel Wein, Criti- die Berge geschmiegt, die in dieser ab- be oder Erhalt des Lädchens. Das ist cal Wine. Auch das gehört zum gro- geschotteten Gegend bis ins Meer zu nun mehrere Jahre her, den kleinen ßen Ganzen dessen, was die Monta- wachsen scheinen. Schon am allerers- Laden mit regionalen Produkten gibt rettini meinen, wenn sie von »ihrem« ten Hinweisschild wird deutlich, dass es noch immer. Die Gemeinde gab ein Kommunismus reden. Bis spät in die es sich hier um kein Dorf wie alle an- zinsloses Darlehen, die meisten Ein- Nacht werden italienische Partisanen- deren handelt. Direkt am Abzweig von käufe tätigen die Montarettini hier – lieder gesungen und Geschichten von der Hauptstraße ziert ein mannsho- selbst wenn die Auswahl etwas klei- damals erzählt. Sentimentalität und hes Gemälde die in den Fels gemauer- ner und die Preise oft ein bisschen hö- Trinkfreude liegen ja oft nah beiein- te Ziegelwand. Es zeigt die Dorfbewoh- her sind. So funktioniert sie, die geleb- ander, manchmal wird geweint, meist ner mit stolzgeschwellter Brust, diese te Solidarität in Montaretto. jedoch gelacht und getanzt – jung und Straße hier haben sie selbst gebaut: Der gesellschaftliche Mittelpunkt alt, alle gemeinsam und fröhlich. Um Männer, Frauen, Kinder – jeder hat des Ortes ist das Casa del Popolo, das Mitternacht leert sich das Casa del Po- mit angepackt. Offi ziell gehört Monta- Haus des Volkes. Es entstand eben- polo, die Band macht Feierabend, und retto zu der kleinen Küstenstadt Bon- falls in freiwilliger und fröhlicher Ge- allmählich machen sich auch die letz- assola, die den ohnehin oft querköpfi - meinschaftsarbeit. Das bedeutet: ge- ten auf den Heimweg. Morgen ist Auf- gen Dörfl ern eine befestigte Zufahrts- meinsam schaffen, gemeinsam fei- räumen dran, natürlich gemeinsam. straße lange verweigert hatte. Darauf- ern – zu gleichen Teilen. Jeder im Dorf hin nahmen sie es selbst in die Hand identifi ziert sich damit, jeder hilft, je- und bauten gemeinschaftlich Meter der feiert anschließend mit. um Meter ihre eigene Straße. Die Höhepunkte des Jahres sind

So sieht Kommunis- mus auf italienisch aus: Blick über das Dorf Montaretto. Foto: Antje Kind

DISPUT März 2013 35 INTERNATIONAL Auf bessere Zusammenarbeit Vernetzungstreffen der Europäischen Linken in Madrid und Massenproteste gegen die spanische Regierung VON UTA WEGNER

m 23. Februar trafen sich Ver- Im Anschluss fuhren alle zu der den Parteien (Izquierda Unida und treter einiger Mitgliedspartei- für den frühen Abend angesetzten KP Spanien) sehr wichtig. Wir ste- A en der Europäischen Linken Großdemonstration. Zornig, aber cken in Spanien in einer tiefen po- (EL), um über Möglichkeiten zur bes- bunt, laut und fröhlich zogen Tau- litischen, wirtschaftlichen und so- seren Online-Kommunikation und sende Menschen aus allen Himmels- zialen Krise und wollen natürlich Pressearbeit zu beraten. Aus Finn- richtungen ins Zentrum der Stadt, um auf die Ursachen hinweisen und land, Frankreich, Griechenland, Por- sich vor dem Parlament zu versam- zeigen, wie sich das entwickelt hat. tugal, Spanien und Deutschland tra- meln. Mitten hinein in Sparmaßnah- Wir entwickeln viele Online-Kampa- fen sich Mitarbeiter der Presse- und men und Steuererhöhungen, die wie- gnen, nutzen Youtube, audiovisuelle Öffentlichkeitsarbeit mit dem Büro der einmal die Falschen treffen, fi el Medien oder Twitter und informie- der EL, um über ihre Arbeit zu spre- in den letzten Wochen ein Korrupti- ren dabei sowohl über unsere parla- chen, Projekte und Publikationsfor- onsskandal nach dem anderen. Die mentarischen Aktivitäten als auch men zu diskutieren und vor allem, Arbeitslosigkeit steigt unaufhörlich. über unsere Arbeit auf der Straße. In um gemeinsam zu überlegen, wie die Das empört die Menschen – zurecht! jüngster Zeit versuchen wir immer EL in den Mitgliedsländern präsenter Wenn innerhalb weniger Augenbli- öfter, auf diesem Weg live dabei zu werden kann. Einig waren sich alle, cke auf dem noch eben brodelnden sein und verfolgen so vor allem die dass die Parteien der einzelnen Län- Platz alle Rufe verstummen, nur die Aktivitäten unseres Generalkoordi- der auf europäischer Ebene enger zu- unzähligen emporgereckten Hände nators Cayo Lara mit seinem »Parla- sammenarbeiten müssen, um mehr fl attern und dann auf einen Schlag ment der Straße«. Sichtbarkeit zu erlangen und insge- den gleichen Spruch skandieren, ist Carla: Vielleicht ein Beispiel: Wir samt mehr mediale Aufmerksamkeit Gänsehaut garantiert. haben eine Debatte über den Zu- zu erregen. Die große Frage war na- DISPUT sprach mit Teilnehmern. stand des Landes initiiert, das ist ei- türlich: Wie erreichen wir das, wie ne sehr wichtige Diskussion, die uns können wir der Dominanz der kon- sehr durch das Jahr begleiten wird. servativen Medien am erfolgreichs- Carla Alonso und In diesem Monat diskutieren wir ins- ten entgegentreten? Andrés Arangure besondere über eine alternative Re- Der Tag bot ausreichend Gelegen- gierungspolitik und ich bin die zu- heit, dies zu diskutieren und sich da- Andrés: Für uns ist das Bekannt- ständige Redakteurin. Wir gehen da- bei überhaupt erst einmal kennenzu- machen der Politik unserer bei- zu in die verschiedenen Städte und lernen – wer steckt eigentlich hinter führen dort eine Kampagne mit dem all diesen Namen? Wie arbeiten die Titel »Was ich unserem Regierungs- anderen? Mit welchen Problemen chef gern sagen würde« durch. Das kämpfen sie und vor allem: wie lösen hat bisher gut funktioniert, die Men- sie sie? Kaum überraschend ist, dass schen schicken uns ihre Vorschläge im Moment soziale Netzwerke wie und wir nehmen sie dann in die Dis- Facebook oder Twitter wegen ihrer kussion innerhalb der Izquierda Uni- großen Verbreitung viel genutzt wer- da auf. Die Vorschläge kommen über den. Das Internet wird immer wichti- Twitter, Facebook, unsere Webseite ger, da es eine preiswerte und schnel- usw. Wir haben dann eine Debatte le Möglichkeit ist, die Menschen di- zu diesen Themen mit unserem Ge- rekt und unverfälscht zu erreichen. neralkoordinator organisiert und die Doch auch das Medium Zeitschrift per Live-Stream übertragen. hat noch lange nicht ausgedient, wie Bei Twitter haben wir ungefähr man an Publikationen der anderen 40.000 Follower, aber wichtig ist für Parteien und nicht zuletzt an DISPUT uns vor allem die ständige Interak- sehen kann, der bei den internationa- tion mit der Bevölkerung über die len Kolleginnen und Kollegen großes sozialen Netzwerke. Und die ist tat- Interesses fand. sächlich ziemlich stark angewach- Das Treffen war als Auftakt ge- sen. Wir haben auch eine steigende dacht, um die Arbeit innerhalb der Besucherzahl auf unserer Webseite, EL zukünftig besser zu koordinieren das gilt auch für Facebook. Insgesamt – insbesondere mit Blick auf die an- gibt es immer zahlreiche Kommenta- stehenden Europawahlen. re zu unseren Beiträgen, das funktio-

36 DISPUT März 2013 ABOSCHEIN Ich abonniere DISPUT

Name, Vorname

niert immer besser. Außerdem gibt es die Menschen noch am besten über Straße, Hausnummer noch viele weitere Mitmachkampag- die sozialen Netzwerke. Es muss sich nen, die gern angenommen werden. dann jedoch um konkrete Personen handeln, und nicht um eine abstrakte PLZ, Ort Jan Koskimies Parteiseite. Es funktioniert am besten Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) mit den persönlichen Webseiten der der Zeitschrift DISPUT im Politiker und nur, wenn man auf die Ich bin Jan Koskimies von der Lin- Menschen eingeht und nicht zu ernst Halbjahresabonnement zum Preis von ken Allianz Finnland. Ich arbeite für und offi ziell ist. Ein wenig Humor ist 12,00 Euro inkl. Versandkosten die Fraktion im fi nnischen Parlament ganz wichtig! und arbeite halbtags für die Öffent- Jahresabonnement zum Preis von Christos Staikos 21,60 Euro inkl. Versandkosten und nutze den vorteilhaften Bankeinzug Ich bin Mitglied des Zentralkomitees von Synaspismos (Griechenland) und dort verantwortlich für die Pressear- beit. Natürlich arbeiten wir auch viel Geldinstitut im Bereich Social-Media. Ein Projekt, das uns von den anderen unterschei- det: in Athen senden wir seit sieben Bankleitzahl Jahren über das Webradio »In Red« (http://stokokkino.gr/ ) und planen nun, das auf ganz Griechenland aus- Kontonummer zuweiten. SYRIZA hat durch die vielen Mit- oder gliedsparteien mehrere Parteizeitun- gen. Es ist schön, auf der Demonstra- bitte um Rechnungslegung tion hier in Madrid die große Solida- (gegen Gebühr) an meine Adresse. rität untereinander zu erleben und Fotos: Antje Kind wie viele Menschen hier mobilisiert Das Abonnement verlängert sich werden konnten. Das ist einfach be- automatisch um den angegebenen eindruckend! Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, lichkeitsarbeit, zum Beispiel an unse- falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schriftlich kündige. rem wöchentlichen Newsletter und in den sozialen Netzwerken. Wir möchten unsere Mitglieder stärker einbeziehen und die inter- Datum, 1. Unterschrift ne Kommunikation und Demokrati- sierung unserer Partei vorantreiben. Persönlich würde ich sehr gern noch Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung innerhalb von 10 Tagen mehr Referenden innerhalb der Par- widerrufen kann. tei zum Beispiel über Personalent- Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige scheidungen erleben. Wir wollen die Absendung des Widerrufs. Menschen über das Internet mit ein- beziehen. Twitter wird in Finnland nicht so genutzt. In Finnland ist auch Facebook problematisch, weil viele Datum, 2. Unterschrift ihre politischen Ansichten nicht gern öffentlich diskutieren. Verglichen mit anderen nordischen Ländern gibt Coupon bitte senden an: es bei uns dort nur eine sehr geringe Parteivorstand DIE LINKE Beteiligung. Trotzdem erreichen wir Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de DISPUT März 2013 37 INTERNATIONAL Wahlkampf ohne Wahltermin

Malaysia: Die Parti Sosyalis Malaysia mischt eifrig mit VON JULIA WIEDEMANN

Fotos: Parti Sosyalis Malaysia

alaysia stehen die vermut- ge, und die Parti Sosyalis Malay- lich spannendsten Wahlen sia (PSM), die sozialistische Partei M seit der Unabhängigkeit Malaysias, mischt eifrig mit. Ent- 1957 bevor. Der Wahltermin stand bis standen ist die PSM 1991 aus meh- Redaktionsschluss noch nicht fest, reren Graswurzelbewegungen. Die doch viel Zeit bleibt der Regierung ursprüngliche sozialistische Par- nicht mehr, ihn bekannt zu geben, da tei Malaysias hatte sich nach 1990 ihre Amtszeit am 28. April ausläuft. umbenannt und einen national-libe- Seit 1957 regiert ununterbrochen ralen Kurs eingeschlagen. Die PSM das Parteienbündnis Barisan Nasio- versucht nun, die Leerstelle, die in nal (BN) in Malaysias Parlament, das der linken Parteienlandschaft ent- von der nationalkonservativen Partei standen ist, zu füllen. Sie hat vor al- UNMO angeführt wird. Die Hoffnung, lem Anhänger unter den Arbeitern dass die BN-Koalition dieses Mal ab- in Industrie und Landwirtschaft und gewählt wird, wächst. Schon zu den unter der armen Bevölkerung. 2008 Parlamentswahlen 2008 hatte BN die konnte sie auf dem Ticket einer an- stärksten Verluste seiner Geschich- deren Oppositionspartei einen Sitz te erlitten, und war nur noch mit ein- im Parlament erhalten. facher Mehrheit, statt wie zuvor mit und gegen Umweltzerstörung deut- In ihrem 9-Punkte-Wahlprogramm Zwei-Drittel-Mehrheit, im Parlament lich. fordert die PSM unter anderem mehr vertreten. Seit 2008 mehrten sich die Der Wahlkampf ist auch ohne Rechte für Arbeitnehmer, darunter Proteste gegen die Regierungspolitik Wahltermin bereits in vollem Gan- einen Mindestlohn und Erleichterun-

38 DISPUT März 2013 MALAYSIA

Malaysia ist eine konstitutio- nelle parlamentarische Wahl- gen für die Bildung von Gewerkschaf- monarchie. Das repräsentative on aus taktischen Gründen schon zur ten, Stopp der Privatisierung öffent- Staatsoberhaupt ist der König, letzten Wahl zum Bündnis Pakatan licher Aufgaben, bedarfsgerechten der alle fünf Jahre aus den Rei- Rakyat (PR, zu Deutsch Volksallianz) Wohnungsbau, Ende der Korrupti- hen der Oberhäupter der neun zusammengeschlossen, bestehend on, Förderung lokaler Lebensmittel- Sultanate gewählt wird. Das Par- aus zwei sozialdemokratischen und produktion, Anerkennung der Rech- lament in Malaysia besteht aus einer islamischen Partei. Die PSM te der indigenen Bevölkerung, Maß- zwei Kammern. Der Premiermi- kündigte bereits an, PR-Kandidaten nahmen zum Umweltschutz und zur nister ist der parlamentarische zu unterstützen, und hofft im Gegen- Stärkung der demokratischen Insti- Regierungschef. Das Oberhaus zug, Unterstützung für ihre vier Kan- tutionen. (Dewan Negra) besteht aus 70 didaten zu erhalten. Einer von ih- Zu den Maßnahmen im Wahl- Senatoren, die zum Teil durch nen soll für einen Sitz im nationalen kampf gehören öffentliche Diskussi- die Bundesstaaten gewählt, zum Parlament kandidieren und die drei onen, das Verteilen von Flyern und Teil vom König ernannt werden. weiteren für Sitze in den Parlamen- Haus-zu-Haus-Kampagnen. Junge Das Unterhaus oder Abgeord- ten von zwei Bundesstaaten Malaysi- Wähler sollen vor allem über sozia- netenhaus (Dewan Rakyat) be- as. Die Kandidatennominierung wird le Netzwerke und Online-Videos er- steht aus 222 Abgeordneten, erst erfolgen, wenn die Wahlkommis- reicht werden. Umgerechnet rund die in Wahlkreisen durch Mehr- sion über den Wahltermin entschie- 25.000 Euro muss die PSM für den heitswahlrecht gewählt werden. den hat. Aktuell befi ndet sich die Wahlkampf an Kosten einplanen, Die Bevölkerung Malaysias setzt PSM noch mit dem Bündnis RP in den sie allein aus Spenden fi nanzie- sich zusammen aus Malaien Verhandlungen. Nach wie gibt es ge- ren muss. (50,4 Prozent), Chinesen (23,7 genüber linken sozialistischen Kräf- Durch das malaysische Mehr- Prozent), indigenen Völkern (11 ten in der Bevölkerung große Vorbe- heits-Wahlsystem sind die Chancen Prozent), Indern (7,1 Prozent) halte, denen die PSM im Wahlkampf für Vertreter kleiner Parteien, über- und Sonstigen (7,8 Prozent). begegnen muss. haupt einen Sitz zu bekommen, sehr gering. Deshalb hat sich die Oppositi- WWW.PARTISOSIALIS.ORG

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DISPUT März 2013 39 KULTUR

Foto: Thomas Neumann

Besser wird es nie

Ein Gespräch mit dem Liedermacher Hans Eckardt Wenzel

Vereint mit Hemingway, Jesse- ihr verzweifelt sind, wie mühevoll habe dieses Lied für ein Kleistpro- nin, Tucholsky, van Gogh, Maja- sie auch um sie gerungen haben, jekt geschrieben und über seinen kowski zu gehen, aus dem Le- welche Kostbarkeiten sie uns hin- Selbstmord nachgedacht. Und dann ben zu scheiden, »Gründe gibt terlassen haben, immer auch an der fi elen mir die ganzen Namen ein, es genug«, so auf deiner neuen Grenze des Zumutbaren. Wir schwö- und dann dachte ich, allein wenn CD. Muss man sich ernsthaft ren uns alle mehr oder weniger auf man sie aufzählt, ist es schon ein Sorgen machen. Bist du etwa einen eigenartigen Opportunismus Schreck für den sogenannten Fort- selbstmordgefährdet? mit der Welt ein. Diesen Opportu- schritt der Menschheit. Ich glaube nicht. Man vergisst bei nismus stellt eine Aufzählung der »Wo ist das Glück? Wie kriegt dem Blick auf die Welt, wie viele an Selbstmörder für mich in Frage. Ich man es nach Haus?« Die Fra-

40 DISPUT März 2013 Konzerte 18.4. Hamburg 19.4. Celle 25.4. Berlin 1.5. Zollbrücke 2.5. Oldenburg 4.5. Rostock

ge wird von dir nicht beantwor- strahlung und Einmaligkeit aus- einen Leser, der ist immer einzeln, tet, nicht in dem Lied »Glück- macht. Bescheiden verkündest sitzt allein vor dem Blatt Papier. Der sucher«. Aber du hast eine Lö- du, »ich halte mich noch bes- Reim, um noch mal auf Müller ein- sung für dich gefunden. Oh- tenfalls…« Ich frage mich seit zugehen, versucht, diese beiden ne Wein und ohne Musik wäre 40 Jahren. Wie macht der das? Denkweisen zu verbinden. Ich weiß, dieses Leben tragisch. Die Ist er fl eißig? Ein Genie? Treibt das klappt nicht immer. Reime, vor neue CD verkündet: Wider- ihn die Angst zu versagen? allem in der deutschen Sprache, ha- steh, solange du kannst. Dann Es ist zum einen, dass ich mich nur ben ein sehr begrenztes Reservoir. ist Widerstehen, Singen und über meine Arbeit defi nieren kann. Ich habe mich lange mit dem öster- Weintrinken dein Überlebens- Ich habe keine Anstellung. Keiner reichischen Lyriker Theodor Kra- motto? gibt mir jeden Monat und sagt mir: mer beschäftigt, der nach dem Krieg Der Rausch jeglicher Art, auch der Du bist das und das wert für uns. in Vergessenheit geraten ist, weil Rausch an der eigenen sinnvollen Ich muss mir das alleine erzwin- er nicht als modern galt, weil er ge- oder sinnvoll erhofften Arbeit, die gen, das Sinnvolle meines Lebens. reimt hat, weil er sich auf tradier- dich stets ganz gefangen nimmt wie Und das andere ist, dass ich den Zu- te Formen berufen hat. Er ist aber in eine Liebe, bedeutet Attacke gegen stand der Welt nicht aushalte, so wie seinen Inhalten und dem Blick auf das politisch Korrekte. Wir leben er ist. Wenn ich folgenlos darüber die Welt sehr modern. Die äußere in einer Welt, die sich auf eine er- nachdenke, komme ich in Ausweglo- Form ist nicht unbedingt eine Frage dachte moralische Korrektheit ein- sigkeit. Wenn ich arbeite, wenn ich der Modernität. Zum anderen haben geschworen hat, weil sie an der feh- versuche, das, was mich quält oder Lied und Reim eine andere Tradition lenden inhaltlichen Defi nition lei- stört oder zornig macht, in die Form als meinetwegen die freie diskursi- det. Unsere Welt akzeptiert nur noch zu bringen, ihr eine Sprache, eine ve Lyrik. Da gibt es bestimmte Form- das Effi ziente, die Mehrheit, das Ge- Musik zu geben, dann komme ich zwänge, die ich sehr mag. Ich mache setz der Großen. Da erscheint das po- dem Phänomen ein Stück näher. Das mir es oft schwerer als notwendig, litisch Korrekte wie ein Ersatz, ein ist wie im Märchen von Rumpelstilz- damit ich anders denken kann als Inhalt ersetzendes Surrogat. Also, chen. Als die Königstochter den Na- ich denken kann. man darf nicht mehr »Neger« sagen, men des Bösen wusste, hat der seine Braucht ein Lyriker eine gute aber man kann jeden Schwarzen in Zauberkraft verloren. Wenn man be- Ausbildung, mindestens an der Deutschland sofort kontrollieren, stimmte Dinge benennen kann, ver- Humboldt-Universität Kultur- nur weil er dunkle Haut hat. Man lieren sie auch ihre obskure Macht. wissenschaften und Ästhetik glaubt, man löst das Problem über Meine Skepsis gegenüber der Spra- studiert zu haben, eine durch- die Reinigung der Sprache. Das Kor- che hat seit vielen Jahren zugenom- aus privilegierte Ausbildung zu rekte verlangt aber Genussverzicht. men. Deswegen habe ich mich viel DDR-Zeiten? Anders formuliert: So erleben wir letztlich eine Art Ent- mehr auf die Musik gestürzt und Was war dieses Studium wert? mündigung unserer sinnlichen Bin- mehr oder weniger eine Lyrik entwi- Ein Lyriker braucht das nicht. Es dungen zur Welt. Das Singen, Schrei- ckelt, die sozusagen aus beidem lebt. gibt genug Beispiele von sehr nai- ben, Trinken, Leben, das »sich Ver- Die Texte der Songs entstehen meis- ven Leuten in der Weltliteratur, die schwenden an der Zeit«, das Selbst- tens aus einer Beobachtung, einem großartige Lyrik geschrieben haben. zerstörerische letztlich versucht, Bild, einem Geruch, einem Gefühl. Man braucht eine Intelligenz, und sich diesen kalten Normen einer so- Das versuche ich zu notieren. Dann, das kann auch eine Intelligenz des zialen Effi zienz zu widersetzen. wenn ich Zeit habe, führe ich das Herzens sein oder die Intelligenz ei- Heiner Müller hat gesagt: »Rei- aus als Text, vertone ihn, dann ver- nes solidarischen Verhaltens. Ich als me sind Witze im Einsteinschen langt die Musik einen anderen Text, deutscher Intellektueller letzten En- Raum… Brechts Denkmal ist dann verändere ich den Text. Dann des bin in so einer Bildungstraditi- ein kahler Pfl aumenbaum… Das verlangt der Text eine andere Mu- on groß geworden, die mich sehr ge- letzte Programm ist die Erfi n- sik, dann verändere ich die Musik. prägt hat. Ich habe das Studium ei- dung des Schweigens…«. Auch Ein Ping-Pong-Spiel manchmal von gentlich nur begonnen, um nach Ber- wenn die Sprache allgemein zwei bis drei Monaten. Das Singen, lin zu kommen und weil ich nicht immer schlapper (eine For- das Liederschreiben zielt immer auf Lehrer werden durfte wegen mei- mulierung von dir) wird, deine ein Publikum, das heißt, dass man ner Stimme. Das klang irgendwie Stärke ist die Lyrik. Das ist ei- sich einen Hörer wünscht, ein Audi- gut: Ästhetik. Ich habe mich bewor- ne unheimliche Kraft und kras- torium, eine Gesellschaft, der man ben und wollte eigentlich nach ei- se Schönheit, die deine Aus- das vorsingt. Das Schreiben zielt auf nem halben Jahr aufhören und dann >

DISPUT März 2013 41 KULTUR

Meister des Krieges

Kommt, ihr Meister des Krieges, Die den Tod ihr erdacht, Die Gewehre und Bomben, Schwere Flieger zur Nacht. Hinter Mauern versteckt Sehe ich euch genau Ihr sollt wissen, daß ich Eure Masken durchschau. irgendwie als Kellner und Künst- fanem und Pontifi kalem. Ich habe ler durch die Welt ziehen. Hab dann Ihr könnt nichts! Nur den Tod. in dieser Spannung meine Auffas- aber gemerkt, wie dumm ich bin Nur was tötet, euch gefällt. sungen von Kunst ausprägen kön- und wie viel ich nicht weiß. Ich hat- So als wär es ein Spiel, nen. Ich verachte weder das exal- te großartige Dozenten, die mich Treibt ihrs mit meiner Welt. tierte Experiment noch den niede- sehr angeregt haben, viel zu lesen Reicht uns Waffen und fl ieht. ren Spaß. Das gehört für mich zu- Eure Kugeln sind schnell. und viel zu analysieren. Während Ihr rennt feige davon, sammen. dieser Zeit habe ich viel geschrie- Rettet’s eigene Fell. Neues System, selbe Sprache ben, habe quasi meine eigene Art zu (Glück gehabt), munter weiter entwickeln begonnen. Theorie und Und ihr lügt und ihr täuscht. komponiert und gedichtet, Prei- Poesie – nichts davon zu verraten Glaubt, daß keiner es weiß, se geholt und Publikum im Wes- oder zu entmachten, hat es für mich So als wäre ein Krieg ten. Sieht doch gut aus, aber ist oft auch schwierig gemacht, das, Zu gewinnen, welch Scheiß. es auch besser? was man an Theoretischem in sich Ich bin sowieso ein Pessimist. Besser Ich durchschau euren Plan, hatte, mit dem Lyrischen zu verbin- Wie ich’s Wasser durchschau, wird es nie, es wird immer schlech- den. Das ist der alte Widerspruch, Ich durchschau euer Hirn ter. Der gesamte Fortschritt der den Schiller schon beschrieben hat. Und ihr glaubt, ihr wärt schlau. Menschheit ist eine zunehmende En- Aber dieses Hin-und-her-Wandern, tropie, Trägheit. Ich glaube, dass es diese Ambivalenz, das hat mich letz- Sitzt im Sessel und raucht! keinen wirklichen Fortschritt in der ten Endes geprägt seit diesen Jahren Bringt eure Aktien auf Trab. westlichen Zivilisation gibt. Alle Vor- des Studiums bei großartigen Perso- Die Gewehre die ihr baut, stöße, die Verwahrlosung der Gat- nen, die mir vor allem eine Haltung Andre drücken sie ab. tung durch ihre zwanghafte Ökono- All die Listen der Toten zur Welt beigebracht haben. Wachsen still vor sich hin. misierung zu unterbrechen, sind ge- Jetzt gehen wir in der Geschich- Blut im Dreck und im Wüstensand. scheitert und der letzte ist im 20. te noch ein Stück zurück. Den Ihr habt die Gewinne im Sinn. Jahrhundert gescheitert. Wir sind an Wunsch nach Bühne und Auf- einem Endpunkt der westlichen Zivi- tritten, den gab es schon früh, Ihr habt erfunden die Angst, lisation angelangt. Die Erde verwei- als du noch in der Provinz (Pro- Die wie Asche auf uns fällt, gert uns mit dieser Lebensform ihr vinz sagtest du selbst) lebtest, Daß man Angst kriegt, ein Kind. Gastrecht. Jetzt trudeln wir weiter in Zu lieben her auf diese Welt. die Katastrophe. Gut gekleidet und am Rande einer Stadt namens Ihr seid das Blut nicht wert, Lutherstadt Wittenberg? Das euch wärmt wie jedes Tier. von Psychotherapeuten zu guter Lau- Ich habe sehr früh, seit der 2. Klas- Nicht mal Jesus würde euch vergeben ne und Selbstbewusstsein angehal- se, Gedichte geschrieben und durf- So verkommen seid ihr. ten. Es ist das Ewig-Gleiche. Dieses te die in der Deutschstunde vortra- Gefühl hat sich durch die sogenann- gen, und irgendwann habe ich auch Ist es wirklich so viel, te »Wende« nicht geändert. Das Land gesungen. Ich habe in Wittenberg So viel Wert euer Geld? war ja das gleiche geblieben, das Brecht-Abende gemacht, um ande- Daß ihr glaubt, ihr erkauft Geld war anders. Alles wurde nur res Material zu fi nden, alles sehr Euch Vergebung der Welt? teurer und bezog sich nun mehr auf Wenn die Stunde euch naht, naiv. Ich bin in musikalischen und Seht ihr es vielleicht ein, ein autonom gedachtes ICH. Ich hat- künstlerischen Belangen Autodi- Alles Geld, das ihr habt, te damals für mich eine Metapher: dakt. Ich habe im Singeklub gearbei- Wäscht euch nimmer mehr rein. Ich falle aus einer künstlichen Höhe tet, in zwei Tanzmusikbands. Eine auf die Realität herunter. Wenn ich hieß »Die Moosmännchen«, an der Ja, ich wünsche euch den Tod. mich sträube, stehe ich später wie- Melanchthon-Oberschule (MOS). Wir Wünsch ihn bald, wünsch ihn sehr. der auf und kann mich erst später be- haben Stones und Beatles gespielt. Durch den Nachmittag geh sinnen, was zu tun ist. Ich bin immer Ich eurem Sarg dann hinterher. Dann habe ich noch in einer Alten- Werde warten am Grab, Realist gewesen, auch in der Betrach- Männer-Dorf-Bums-Band gespielt, Bis verschwunden ihr seid, tung meiner Haltung zur Welt. Natür- »Studio 70«. Wir sind über die Dör- Bis ich sicher, daß ihr tot seid, lich habe ich in der DDR in einer un- fer gezogen, Exzesse, Saalschlachten. Tot für alle Zeit. real behüteten Welt gelebt, geschützt Immer existierte das Triviale neben vor großen Erfahrungen und Reisen dem sogenannten Anspruchsvollen. HANS ECKARDT WENZEL aber auch geschützt vor dem Elend Brecht nannte diese Trennung bei und Unrecht der gesamten Welt. Al- den Deutschen jene zwischen Pro- les dies wurde von mir fern gehalten,

42 DISPUT März 2013 Ich bin immer Realist gewesen, auch in der Betrachtung meiner Haltung zur Welt.

so dass ich mich mit einer gewissen aber du bleibst widerständig immer mehr an Bedeutung gewinnt, Gelassenheit, auch Überheblichkeit und an den großen Mensch- gerade in diesem Land. Deshalb habe dem Weltgeist gegenüber entwickeln heitsthemen dran. Das beweist ich dieses Lied auch auf die Platte ge- konnte oder glaubte, es zu können. auch das beeindruckende Frie- nommen. Neben den Autos sind Waf- Das hörte dann eben auf. In der DDR denslied »Meister des Krieges«, fen Deutschlands Exportschlager, ei- war sie ja noch gebremst, oder sagen für mich mit das Beste auf der ne Nation, die vor nicht mal hundert wir: kontingentiert, die Diktatur des CD. Ihnen wünschst du den Tod, Jahren einen der schlimmsten Kriege Kleinbürgertums. Das wurde dann Tod für alle Zeiten. Pazifi st bist auf der Welt geführt hat. unerträglich auf eine ganze Gesell- du nicht? »Meister des Krieges«, ist das schaft ausgebreitet: dass eben irgend- In gewissem Sinne ist das sicher kei- eine reine Textübersetzung? ein Trottel, der kaum schreiben kann, ne Art von Pazifi smus. Es ist eine Das ist eine freie Übersetzung. Verän- einen dicken Mercedes hat, auf ein- Übersetzung eines sehr frühen Bob- dert auf diese jetzige Welt hin. mal wertvoller ist als einer, der nach- Dylan-Songs. Ich selbst hätte diese Auf die Bühne wolltest du schon denkt. Die Werte der Gesellschaft ha- Kühnheit nicht so formuliert. Mein in deiner Kindheit und Jugend- ben sich geändert. Damit auch die Blick hat nicht die Konsequenz der zeit. Warum aber nicht zur Mari- Funktion, die man sich selber zuer- 60er Jahre. Meine Welt war nicht ne, zur See fahren, wo sich vie- kennt. Aber erstens kann ich nichts mehr so eindeutig. Es ist das Problem le Lieder um Meer und Matro- anderes als Schreiben und Singen, der Gewalt. Letzten Endes treibt es sen, drehen. Du trägst ja auch in zum anderen wollte ich auch diese die modernen Gesellschaften umher. deinen Konzerten ein Matrosen- Realität annehmen. Mein Prinzip in Wie gehen die Gesellschaften mit Ge- hemd. Warum bist du nicht See- der DDR war: Solange mir die Rea- walt um? Wie weit ist das Gewaltmo- mann geworden? lität nicht ans Leben geht und nicht nopol des Staates etwas Anständiges, Weil ich keine Zeit hatte, und das ist meine Existenz bedroht, habe ich das uns schützt? Wie weit ist es etwas ja eher die Metapher des Fernwehs. mich mit ihr auseinanderzusetzen. Unanständiges, das uns bezwingt? Es hängt an meinem Ursprung. Mei- Ich habe versucht, darin so anständig Die Gewalt, die sozusagen über Profi - ne Vorfahren stammen aus Böhmen, wie möglich zu leben und das zu ma- te und Börsen auf uns wirkt, ist auch und bei Shakespeare gibt es die Zeile chen, was ich kann. eine permanente, sehr grobe Gewalt, »Böhmen am Meer«. Es gibt diese gro- Das gilt heute für mich ebenso. die wir nur nicht unmittelbar wahr- ße Sehnsucht nach Ferne, nach dem Die nächste Frage zielt auf das nehmen. Dylan hat diesen Song im Fremden in mir. Die treibt mich wie Wirken von Liedern. Das be- Augenblick des Vietnamkrieges und einen Seemann über die Welt. kannte Lied »Das ist die Zeit der dieser ganzen Waffengeschäfte ge- Irren und Idioten«, das immer in macht. Das Traurige ist, dass der Song GESPRÄCH: GERT GAMPE Konzerten als Zugabe gefordert wird, stimmt heiter und ändert nichts. Das ist das Schicksal von Wader, Wecker, Wenzel und anderen. (Wenzel dreht sich ei- ne Zigarette.) Ich glaube, wir aus dem Osten sind etwas klüger, als man uns zutraut. Wir kennen die Losung: Kunst ist Waffe. Wir wissen, dass Lieder nicht sehr viel in der Welt verändern. Sie können bestenfalls Menschen stär- ken, die was verändern könnten, oder Leute zusammenführen, die sich in ihrem Widerspruch oder ihrer Kri- tik einsam fühlen und die merken, dass es anderen ebenso geht. Man kann vielleicht die Einsamkeit auf- heben damit. Das ist viel. Nicht allzu viel. Aber mehr als nichts. Foto: Gert Gampe Melancholisch magst du sein,

DISPUT März 2013 43 POST

Eine zuverlässige Adresse, wenn’s um Nachfragen, Hinweise, Wünsche, Einwände, Vorschläge, Widersprüche geht: REDAKTION DISPUT DISPUT, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin oder [email protected]

▀ Kämpfen! terstützen sie. Da sagt der oder in der Opposition. der SPD und den Grünen Wähler, da wähle ich gleich Wir müssen unsere The- bei Vorschlägen, die un- betr.: DISPUT 2/2013, die SPD, die LINKEN wis- men stärker dem Bürger serer Politik entsprechen, »Immer wieder sen sowieso nicht, was sie verständlich machen und zugestimmt werden, doch aufsteh'n« wollen. mehr in die Öffentlichkeit nicht schon im Wahlkampf. Wir brauchen uns diese gehen. Es darf nicht heute Was es brachte, zeigte Die Niedersachsenwahl Niederlage nicht schönzu- so und morgen anders ge- 2002, wo wir (PDS) noch ist vorbei, und wir dür- reden. Die haben wir uns redet werden. zwei Direktmandate hat- fen draußen bleiben. Die- selbst eingebrockt. Die Ba- Ich bin in DIE LINKE ge- ten und die SPD über uns se Niederlage kam aber ge- sis hat gekämpft um je- gangen, um etwas zu ver- lachte. Wir wollen 12+x rade zur rechten Zeit, so de Wählerstimme und wird ändern. Aber sie muss Prozent erreichen und ge- schmerzvoll sie auch war. dann so enttäuscht. Wir sich auch ändern. Die Ba- nauso stark sein wie zu- Dies zeigt, was der Wäh- können uns solche Fehler sis wird meist nicht in dem letzt. Wer anders redet, ist ler macht, wenn die Partei nicht leisten, da der Wäh- Maße bei Entscheidun- kein Kämpfer. Was dann nicht den Weg beibehält, ler genau darauf schaut. gen und Aktionen einge- wird, werden wir sehen. Je- den sie versprach. Erst ge- Da kommt es auch nicht bunden, wie es sein muss, der Sportler möchte Meis- gen SPD und Grüne, dann darauf an, ob die SPD und oder man hemmt sie. ter werden und er kämpft, sagt der Vorstand, wir un- die Grünen am Ruder sind In den Parlamenten kann selbst wenn er weiß, dass

Karikatur: Klaus Stuttmann GEDANKENSTRICH

44 DISPUT März 2013 Jubiläen und Jahrestage es vielleicht nicht klap- ▀ Weiter so! 21. März pen wird. Wir sollten kriti- Internationaler Tag gegen Rassismus und »Equal Pay scher zur SPD werden, sie Glückwunsch zum neuen Day« in Deutschland ist nicht unser Partner. Die DISPUT. Inhaltlich vielsei- Vergangenheit hat es ge- tig und vom Layout anspre- 2. April 1993 zeigt. Nur durch einen of- chend. Genau das, was ich Die Bundesregierung beschloss die Beteiligung fenen Umgang mit diesem von einem Mitgliedermaga- deutscher Soldaten in Bosnien-Herzegowina, Thema werden wir gestärkt zin erwarte: Politische De- erster Auslandseinsatz deutscher Soldaten seit 1945. herausgehen. Bei diesem batten, man erfährt über Wahlkampf steht unsere Best Practise in anderen 19. April 1943 Partei im Mittelpunkt der Ländern und Kommunen. Beginn des Aufstandes im Warschauer Ghetto Basis, und dies muss vom So informiert man Mitglie- Vorstand mit getragen wer- der und Symptisant/innen 26. April den, sonst werden die Wäh- über eine lebendige Partei. Welttag des geistigen Eigentums und Jahrestag der ler wie in Niedersachsen Damit lässt sich vor Ort ar- Katastrophe von Tschernobyl reagieren, auch im Osten. beiten. Und ich weiß, wovon ich MICHAEL GRUNST 3. Mai rede. Wir müssen mit der BEZIRKSVORSITZENDER DER Welttag der Pressefreiheit Analyse der Niederlagen LINKEN.LICHTENBERG bei Wahlen ehrlicher um- 4. Mai 1938 gehen, auch wenn die har- Carl von Ossietzky stirbt an den Folgen der KZ-Haft. te Wahrheit einigen nicht ▀ Hohe Latte passt. Nur aus Niederlagen lässt sich lernen, neue Sie- Am Wochenende bin ich Termine ge zu erkämpfen. endlich dazu gekommen, Also am 22. September: den DISPUT zu lesen. Hat- 23. März 12+x, ich bin dabei. Ihr te Sorge wegen der hohen Regionalkonferenz West, Dortmund doch auch? Messlatte vom Januarheft, DIETHARD BACH, aber ich bin wirklich be- 23. März DESSAU-ROSSLAU geistert. Das Februarheft Friedenskonferenz in Rostock gefällt mir nochmal besser! Danke! Großartig! Unse- 6./7. April ▀ Ehrlich re Partei ist so interessant, Listenaufstellung zur Bundestagswahl in Hamburg das geht hier im Haus zu Gratulation zu diesem Pro- oft unter. M. V. D. LIPPE 13. April dukt. Der neue DISPUT ist Listenaufstellung zur Bundestagswahl in Schleswig- ansprechendend gestal- Holstein, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, tet, er liest sich interes- ▀ Hui und hui Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz sant und vermittelt durch die gute Auswahl der Inhal- Um so eine Mitgliederzeit- 13. April te die wichtige Botschaft, schrift können andere Par- Aktionstag »Umfairteilen« dass Partei auch Spaß ma- teien euch beneiden: Innen chen kann. Mit dem neu- hui und außen auch hui, 18. April en DISPUT hat DIE LINKE und ziemlich günstig oben- Veröffentlichung Leitantrag zum Parteitag nun, was ihr noch fehlte: drein. NICKI LEIH Ein ehrliches Mitgliederma- 20. April gazin, das zwar bunt, aber Listenaufstellung zur Bundestagswahl Niedersachsen ohne Hochglanzschnick- ▀ Witt war's schnack daherkommt. Wei- 20./21. April ter so und mehr davon! Das Bild im DISPUT Landesparteitag Bayern, Landtagswahlprogramm SEBASTIAN MESKES 2/2013 auf Seite 20 foto- und Listenaufstellung zur Bundestagswahl DIE LINKE ORTSVERBAND grafi erte Uwe Witt. Vielen WOLTERSDORF Dank! ZUSAMMENSTELLUNG: DANIEL BARTSCH

DISPUT März 2013 45 LESEN

Die Provokation der Frauen

delnden Zeiten anzupas- GELESEN VON lungsvermögen begegnen. sen. Genau diese Flexibili- INGRID FEIX Denn das Gesetz der Natur tät und Reaktionsfähigkeit setzt sich durch: »Nicht um- entscheidet heute über Er- sonst hatte uns das Prin- folg. Männer wirken dage- zip der Auslese zu dem ge- gen viel starrer und wider- macht, was wir heute wa- standsfähiger.« ren …« Gefühle sind nutz- Die angeführten Beispiele u den Berufen, die los, meint Inge Lohmark, gehen quer durch die Ge- sich Frauen im Laufe auch wenn es um das The- sellschaft, konzentrieren Z der Jahrhunderte er- ma Fortpfl anzung geht, die sich aber vor allem auf die obert haben und die sie in- sie an der künstlichen Be- nordamerikanische Mittel- zwischen vielfach dominie- samung von Kühen den HANNA ROSIN schicht, in der Frauen mehr ren, gehört der Lehrerberuf. Neunklässlern erklärt. Und: DAS ENDE DER MÄNNER: und die besseren Schulab- Dieses ironischerweise als »Die wichtigste Aufgabe al- UND DER AUFSTIEG DER schlüsse haben, ehrgeizig Bildungsroman bezeichnete ler Organismen ist nun ein- FRAUEN und anpassungsfähig Beruf Buch liegt jetzt, durchaus mal, eine möglichst große AUS DEM ENGLISCHEN VON und Familie meistern, neue edel und wie im Hardcover Anzahl überlebender Nach- HEIKE SCHLATTERER UND Herausforderungen eher illustriert, im Taschenbuch- kommen zu zeugen. Es geht HELMUT DIERLAMM annehmen, sozial kommu- format vor. Mit der Auto- immer nur darum, Erban- BERLIN VERLAG nikativer sind und ihre Stär- rin Judith Schalansky, 1980 lagen weiterzugeben.« Das 400 SEITEN, 19,99 EURO ken besser einsetzen. Die in Greifswald geboren, die schließt Homosexualität beobachtete Veränderung auch Buchgestalterin und aus. Geschlechtsleben hat der Geschlechterrolle wirkt Typographin ist, stirbt die keine Varianten nötig. Da- sich natürlich auf alle Le- schöne Buchkunst nicht von ist Inge Lohmark über- ieses Buch hat in den bensbereiche aus, vermerkt aus. Ihr »Atlas der abge- zeugt, doch sie weiß, nichts USA einen Sturm der die Autorin. Interessant legenen Inseln« ist ein Le- ist sicher. Und mit den Ge- D Entrüstung ausgelöst sind die Exkurse zu Frauen segenuss auch fürs Auge. fühlen einer Schülerin ge- wie hierzulande ein Buch in Führungspositionen und Das Wort Genuss allerdings genüber, die sich bei ihr un- von Thilo Sarrazin. Dabei wie sie beispielsweise mit scheint anachronistisch zu gewollt einstellen, bewahr- stellt Hanna Rosin eigent- den Folgen der Wirtschafts- dem, was in »Der Hals der heitet sich auch dies. Mit lich gar nicht die These auf, krise umgehen. Beispie- Giraffe« behandelt wird. Es diesem Buch ist man hin- dass der Aufstieg der Frau- le dafür, dass in den einst geht um Inge Lohmark, ei- und hergerissen, zwischen en auch das Ende der Män- klassischen Männerberu- ne Biologielehrerin, Mit- Widerspruch und Zustim- ner bedeutet, wie der Titel fen inzwischen auch Frauen te 50, in Mecklenburg-Vor- mung. suggeriert. Allerdings geht zu fi nden sind und die Rol- pommern, einem sich von die Autorin, Journalistin in le des Mannes als einzigem Menschen entleerenden Washington, jenseits von Ernährer und Oberhaupt und entlehrenden Land- Gleichstellungsdebatten der Familie längst überholt strich. Mit den beschriebe- durch eigene Recherchen – ist, gibt es überall, aber die nen Unterrichtstagen, ein- Befragungen, Auswertung alte Rollenverteilung exis- geteilt in Naturhaushalte, von Statistiken und wissen- tiert oft immer noch, und in Vererbungsvorgänge und schaftlichen Studien – der der Konsequenz der Aussa- Entwicklungslehre, wird der Frage nach, wie sich die gen des Buches steht auch Leser Zeuge ihres darwinis- Rolle der Geschlechter in nicht die Ablösung des Pat- tischen Weltbildes, das sie der sich globalisierenden riarchats durch das Matriar- über die ungeliebten Schü- Welt verändert, und kommt chat. Vielmehr plädiert die ler ausbreitet und von de- zu Feststellungen wie die- Autorin, selbst Ehefrau und nen sie jede und jeden ein- ser: »Im Verlauf eines Jahr- Mutter, gewissermaßen teilt wie einen Organismus hunderts haben Frauen für ein gleichberechtigtes in Art, Gattung, Ordnung JUDITH SCHALANSKY gezeigt, dass sie sich ver- »Mal-darf-der-eine-mal-darf und Klasse. Voller Verach- DER HALS DER GIRAFFE ändern, neu erfi nden und die-Andere« in der Partner- tung ist sie auch für Kolle- BILDUNGSROMAN manchmal auch verbiegen schaft wie auch in der Ge- gen, die den Schülern mit SUHRKAMP TASCHENBUCH können, um sich den wan- sellschaft. Verständnis und Einfüh- 224 SEITEN, 9,99 EURO

46 DISPUT März 2013 MÄRZKOLUMNE

n den vergangenen Tagen bin el durch Iran bedroht werde. ich auf einige Meldungen gesto- Ich will keineswegs die antisemi- ßen, die mich sehr bewegt ha- tische Rhetorik eines Ahmadined- ben. In Saudi-Arabien, so hieß schad kleinreden oder die aggres- es in einer, würde die Einfüh- sive Außenpolitik Irans ignorieren. I rung neuer Hinrichtungsmetho- Aber kaum ein Experte geht davon den erwogen. Künftig könnten Ver- aus, dass Teheran zu einem – ato- urteilte erschossen statt mit dem maren – Militärschlag in der La- Schwert enthauptet werden – weil ge ist oder ein solcher bevorsteht. Scharfrichter fehlten. Kurze Zeit Und: Was sollten die Patrouillen- später las ich von zwei Bürgerrecht- boote für Saudi-Arabien gegen Irans lern, die für zehn und elf Jahre ins Drohgebärden gegenüber Israel be- Gefängnis müssen – weil sie sich wirken? Wäre es nicht viel sinnvol- mit ihrem Einsatz für Menschen- ler, sich endlich diplomatisch für rechte »illoyal« gegenüber den Herr- eine umfassende Lösung im Na- schern in Riad verhalten hätten. Un- hen und Mittleren Osten einzuset- willkürlich fi elen mir weitere Berich- zen? Aber weder bei Atomgesprä- te aus dem diktatorisch regierten chen der EU mit Iran noch im Nah- Golfstaat ein. Über jene Frau, die ostquartett, in dem die Europäer sich dagegen wehrte, allein wegen mit am Tisch sitzen, hat sich Ber- ihres Geschlechts kein Auto fah- lin durch Engagement und Intiativen ren zu dürfen; über Gewaltakte so- ausgezeichnet. genannter Religionswächter gegen Sicher, ich weiß um die schwierige Menschen, die den Koran anders Lage der maritimen Industrie in Eu- auslegen als sie; über das brutale ropa und nicht zuletzt in Mecklen- Vorgehen auch gegen kleinste An- burg-Vorpommern. Im Europäischen sätze von Opposition; über die Ün- Parlament und im Schweriner Land- terstützung anderer Regimes in der tag habe ich oft genug kritisiert, Region mit dem reichlich vorhande- dass die Werftenkrise zum großen nen Ölgeld – und mit Waffen. Teil hausgemacht ist. Ich bin sensibilisiert für solche Ich weiß, dass die Kolleginnen und Nachrichten. Könnte doch ein Kollegen um ihre Arbeitsplätze ban- ANDRÉ BRIE Schiffbauer aus meinem Heimat- gen, und nach den Entwickungen land Mecklenburg-Vorpommern, die der vergangenen Jahre nahezu jeder Peene-Werft in Wolgast, demnächst Auftrag willkommen ist. Rüstungs- über seinen Mutterkonzern Lürs- güter für diktatorische Regimes dür- Besseres sen an einem Rüstungsauftrag für fen jedoch nicht dazu gehören. Ich Saudi-Arabien beteiligt werden. Pa- bin mir sicher, dass die Schiffbaue- als trouillenboote im Wert von 1,5 Mil- rinnen und Schiffbauer mit solchen Kriegsschiffe liarden Euro hat das Königreich bei »Produkten« Bauchschmerzen ha- der Lürssen-Werft bestellt – und ben. der Bundessicherheitsrat, der über Unsere Schiffbauer an der Ostsee- Rüstungsgeschäfte entscheidet, küste können mehr und Besseres hat bereits grünes Licht gegeben. als Kriegsschiffe; das hat auch das Nicht zum ersten Mal übrigens: Im Land mit seiner Bürgschaft für die vergangenen Jahr hat sich der Wert Peene-Werft unterstrichen. Aber von genehmigten deutschen Waf- für die Zukunft der Werfen muss fenlieferungen in die Golfstaaten man sie unterstützen und die ent- mehr als verdoppelt. Von den 1,4 sprechenden Bedingungen schaf- Milliarden Euro schweren Exporten fen. Das ist keine Aufgabe für den entfi el der Löwenanteil, 1,24 Milli- Schweißer oder die Ingenieurin auf arden, auf Saudi-Arabien. Die Be- der Werft – sondern für Schwerin gründung, die Bundesverteidigungs- und Berlin. minister de Maizière dieser Tage für die Genehmigungen lieferte, ist ANDRÉ BRIE IST LANDTAGSABGEORDNETER IN ebenso skandalös wie absurd: Die MECKLENBURG-VORPOMMERN. Menschenrechtsfrage müsse zu- rückstehen, wenn ein Land wie Isra- Foto: Gert Gampe

DISPUT März 2013 47 SEITE ACHTUNDVIERZIG

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben

Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen

© sagas.edition, Stuttgart 2012 298 Seiten, 19,90 Euro ISBN 978–3–9812510–4–3