Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 4887 13. Wahlperiode 30. 11. 2005

Antrag der Abg. Karl Traub u. a. CDU und

Stellungnahme des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum

Geplantes Biosphärengebiet Schwäbische Alb

Antrag

Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten,

1. worin die besondere Eignung der Alblandschaft um den ehemaligen Trup- penübungsplatz „Gutsbezirk Münsingen“ für die Ausweisung eines Bio- sphärengebietes liegt;

2. welche wesentlichen Erkenntnisse der Landesregierung über die bisherige Entwicklung bereits ausgewiesener Biosphärengebiete in anderen Bundes- ländern vorliegen;

3. ob das geplante Biosphärengebiet die Voraussetzungen zur Anerkennung als UNESCO-Biosphärengebiet erfüllt;

4. welche Landkreise und Kommunen nach derzeitigem Stand Interesse an einer Teilhabe an einem Biosphärengebiet Schwäbische Alb bekundet ha- ben;

5. wie sich die Ausweisung eines Biosphärengebietes nach den UNESCO- Kriterien im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie auf die kommu- nalen Interessen auswirken kann;

6. welche finanziellen und personellen Auswirkungen mit der Ausweisung nach UNESCO-Kriterien verbunden sind;

Eingegangen: 30. 11. 2005 / Ausgegeben: 03. 01. 2006 1 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 13 / 4887

7. wie die Landesregierung die Interessen der Betroffenen bei der Aus- weisung berücksichtigen wird.

30. 11. 2005

Traub, Rüeck, Kübler, Dr. Schüle, Müller, Jägel, Kiefl, Dr. Brenner, Brunnemer CDU

Begründung

Die Konversion des ehemaligen Truppenübungsplatzes „Gutsbezirk Münsin- gen“ stellt insbesondere die Stadt Münsingen als Standortsgemeinde und die gesamte Region vor erhebliche Herausforderungen.

Die Entstehung eines Biosphärengebietes in diesem Raum bietet die Chance, den erforderlichen Strukturwandel positiv zu gestalten und die reiche Natur- ausstattung sowie das einmalige Landschaftsbild zu erhalten. Gleichzeitig können der Tourismus angeregt sowie die Umweltbildung, die Forschung und die regionale Wirtschaft nachhaltig gefördert werden.

Stellungnahme

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2005 Nr. Z(42)–01451.5/334F nimmt das Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum zu dem Antrag wie folgt Stellung:

1. worin die besondere Eignung der Alblandschaft um den ehemaligen Trup- penübungsplatz „Gutbezirk Münsingen“ für die Ausweisung eines Bio- sphärengebietes liegt;

Zu 1.:

Das Gebiet des Truppenübungsplatzes „Gutbezirk Münsingen“ ist wegen sei- ner reichen Naturausstattung und seines einmaligen Landschaftsbildes als na- turschutzfachlich hochwertige Landschaft einzustufen und steht beispielhaft für die überkommene Kulturlandschaft der Schwäbischen Alb. Diese ist Er- gebnis einer über 100 Jahre währenden restriktiven Zugänglichkeit und einer vorherrschenden Landnutzungsform – Hüteschäferei und extensive Forst- wirtschaft – die sich nicht zuletzt durch die Rücksichtnahme auf die militäri- schen Erfordernisse ergeben hat.

Folgerichtig wurde die Fläche des ehemaligen Truppenübungsplatzes in An- betracht des überaus dichten Bestandes von schutzwürdigen Flächen und Ar- tenvorkommen nach der FFH-Richtlinie nahezu vollständig zur Aufnahme in das Europäische Netz NATURA 2000 gemeldet. Eine Nachmeldung nach der Vogelschutzrichtlinie ist vorgesehen. Darüber hinaus handelt es sich mit 67 km2 um eine der ganz wenigen, nicht durch infrastrukturelle Maßnahmen zerschnittenen Landschaften dieser Ausprägung in Baden-Württemberg.

Demgegenüber steht die Tatsache, dass dieser Bereich der Schwäbischen Alb bereits heute intensiv zur Wochenenderholung genutzt wird. Bei diesen Be-

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sucher- und Zielgruppen stehen Landschaftserleben sowie die Aktivitäten Wandern, Radfahren und Naturbeobachtung im Vordergrund. Künftige Entwicklungsschwerpunkte in dieser Region müssen diesen Erkenntnissen Rechnung tragen.

Bei einer auf einen naturverträglichen Tourismus ebenso wie auf nachhaltige Entwicklung und Erprobung von die Naturgüter besonders schonenden Wirt- schaftsweisen (§ 28 NatSchG) ausgerichteten Konzeption muss die Ein- maligkeit dieser Landschaft auch überregional vermittelt werden. Anders als in anderen Schutzgebietstypen steht in Biosphärengebieten der wirtschaf- tende Mensch im Mittelpunkt. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Schutzkategorie „Biosphären- gebiet“ nicht nur sachgerecht ist – die Alblandschaft um den ehemaligen Truppenübungsplatz „Gutsbezirk Münsingen“ erfüllt die rechtlich gebotenen Voraussetzungen in geradezu idealtypischer Weise – sondern diese Entwick- lungsschwerpunkte auch am besten vermittelt.

2. welche wesentlichen Erkenntnisse der Landesregierung über die bisherige Entwicklung bereits ausgewiesener Biosphärengebiete in anderen Bundes- ländern vorliegen;

Zu 2.:

Die Struktur der in Deutschland bislang ausgewiesenen 14 Biosphärenge- biete ist sehr unterschiedlich; systematische, vergleichende Erhebungen hierzu sind der Landesregierung nicht bekannt. Allerdings belegen verschie- dene wissenschaftliche Arbeiten ebenso wie Umfragen eine durchweg posi- tive Resonanz bei Bewohnern und Besuchern gleichermaßen.

Beispielsweise bestätigt eine wissenschaftliche Arbeit über die wirtschaft- liche Bedeutung des Fremdenverkehrs im Biosphärenreservat Rhön – das Biosphärenreservat Rhön ist wohl am ehesten vergleichbar mit dem geplan- ten Biosphärengebiet Schwäbische Alb – diesem eine bedeutsame positive Rolle für die Rhön. Regionale Einkommen werden erhöht, der Imagegewinn für die Region erscheint beträchtlich.

Eine Meinungsumfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach aus dem Jahre 2002 belegt darüber hinaus eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung für das Biosphärenreservat Rhön.

Eine 2005 vom Bundesamt für Naturschutz veröffentlichte Studie „Ökonomi- sche Effekte von Großschutzgebieten“ kommt zu dem Ergebnis, dass Groß- schutzgebiete beträchtliche Beiträge für die regionale Wirtschaft leisten kön- nen. Beispielsweise werden für den Müritz-Nationalpark 261 Arbeitsplatz- äquivalente, für den Naturpark Hoher Fläming 211 Arbeitsplatzäquivalente und im Naturpark Altmühltal 483 Arbeitsplatzäquivalente errechnet. Der Mehrwert wird überwiegend durch den Verkauf regionaler Produkte und den Tourismus erwirtschaftet.

Auch aus dem benachbarten Ausland, z.B. aus dem Biosphärenreservat „Gro- ßes Walsertal“ in Österreich, liegen der Landesregierung ausschließlich posi- tive Rückmeldungen vor.

3. ob das geplante Biosphärengebiet die Voraussetzungen zur Anerkennung als UNESCO-Biosphärengebiet erfüllt;

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Zu 3.:

Die Möglichkeit einer UNESCO-Anerkennung geht zurück auf die 16. Gene- ralkonferenz der UNESCO 1970, bei der die Regierungen der Mitgliedsstaa- ten das interdisziplinär ausgerichtete, zwischenstaatliche Programm „Man and Biosphere (MAB)“ ins Leben gerufen hatten. Aufgabe des MAB-Pro- gramms ist es, international koordiniert auf nationaler Ebene Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung und für eine wirksame Erhaltung der natürlichen Ressourcen der Biosphäre zu erarbeiten bzw. diese zu verbessern.

Maßstab für die Anerkennung der UNESCO sind die „Kriterien für Anerken- nung und Überprüfung von Biosphärenreservaten der UNESCO in Deutsch- land“, die das Deutsche MAB-Nationalkomitee beschlossen hat, um seinen internationalen Pflichten nachzukommen.

Danach ist für die Anerkennung erforderlich, dass

– das Biosphärengebiet bestimmte Ökosystemkomplexe umfasst, die in an- deren Biosphärengebieten in Deutschland noch nicht ausreichend reprä- sentiert sind, – eine Mindestgröße von 30.000 ha erreicht wird, – eine Unterteilung in Kernzone (mindestens 3 % der Gesamtfläche), Pflege- zone (mindestens 10 %, zusammen mit der Kernzone mindestens 20 % der Gesamtfläche) mit entsprechendem Schutzstatus und Entwicklungszone erfolgt, – eine mit Fach- und Verwaltungspersonal sowie mit Sachmitteln ausgestat- tete Verwaltung aufgebaut wird, – ein abgestimmtes Rahmenkonzept erarbeitet wird und – verschiedene Aktivitäten in den Bereichen Naturhaushalt und Landschafts- pflege, Biodiversität, Forschung, ökologische Umweltbeobachtung, Um- weltbildung sowie Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation nachgewie- sen werden.

Nach den derzeit vorliegenden und mit den betroffenen Gebietskörperschaf- ten erörterten Konzepten können die UNESCO-Kriterien – zustimmende Be- schlüsse der zuständigen Gremien unterstellt – voraussichtlich erfüllt werden.

4. welche Landkreise und Kommunen nach derzeitigem Stand Interesse an einer Teilhabe an einem Biosphärengebiet Schwäbische Alb bekundet ha- ben;

Zu 4.:

Bislang Interesse bekundet haben bzw. betroffen sind die Landkreise Reutlin- gen und Esslingen sowie der Alb-Donau-Kreis mit folgenden Gremeinden:

Alb-Donau-Kreis: Heroldstatt, , , , Westerheim

Landkreis Esslingen: Beuren, Bissingen/Teck, Dettingen/Teck, Erkenbrechtsweiler, Kohlberg, Lenningen, Neuffen, Owen, Weilheim/Teck

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Landkreis : Bad Urach, Gomadingen, Grabenstetten, Gutsbezirk Münsingen, Hayingen, Hülben, Mehrstetten, Münsingen, Römerstein, St. Johann, Zwiefalten.

5. wie sich die Ausweisung eines Biosphärengebietes nach den UNESCO- Kriterien im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie auf die kommu- nalen Interessen auswirken kann;

Zu 5.:

Sowohl nach den einschlägigen Vorschriften des Naturschutzgesetzes (§ 28) als auch nach den für die UNESCO-Anerkennung relevanten Kriterien des Nationalen MAB-Komitees sind Biosphärengebiete – die UNESCO spricht von Biosphärenreservaten – in Kern-, Pflege- und Entwicklungszonen geglie- dert. Nach den in dieser Hinsicht stringenteren MAB-Kriterien müssen die Kernzonen und sollen die Pflegezonen als Naturschutzgebiete ausgewiesen werden.

Nach der derzeitigen Konzeption sind als Kernzone – ca. 4 % der Gesamt- fläche – vor allem die Hang- und Schluchtwälder im Bereich des Albtraufs und im oberen Ermstal sowie verschiedene Waldstücke auf dem Truppen- übungsplatz vorgesehen. Diese sind in der Regel von Nutzungen ausge- schlossen. Vorgesehen ist hier insoweit ein Schutzstatus, der Bannwäldern nach § 32 des Landeswaldgesetzes vergleichbar ist.

In den angrenzenden Pflegezonen, die eine Pufferfunktion für die Kernzonen haben sollen, ist eine schonende, naturnahe Landnutzung im bisherigen Um- fange erlaubt. Vor allem die Fläche des ehemaligen Truppenübungsplatzes stellt einen großen Teil dieser Pflegezone, sodass die bisherige Nutzung durch die Hüteschäferei die Voraussetzung für eine solchen Pflegezone ideal erfüllt.

Sowohl Kern- als auch Pflegezone liegen weitgehend auf Flächen, die be- reits heute einen Schutzstatus als Naturschutzgebiete, FFH- oder Vogel- schutzgebiete bzw. Biotopschutzflächen genießen, sodass sich auf Land- und Forstwirtschaft, aber auch auf die kommunalen Interessen keine Aus- wirkungen bzw. keine Restriktionen ergeben, die nicht schon heute gelten würden.

In der Entwicklungszone muss es keine rechtlichen Beschränkungen geben; allerdings sind hier – im Sinne der Zielsetzung eines Biosphärengebietes – in allen Wirtschaftsbereichen nachhaltige Nutzungen und schonende Wirt- schaftsweisen zu fördern bzw. nachzuweisen.

6. welche finanziellen und personellen Auswirkungen mit der Ausweisung nach UNESCO-Kriterien verbunden sind;

Zu 6.:

Die Kriterien des nationalen MAB-Komitees sehen den Aufbau einer leis- tungsfähigen Verwaltung im Biosphärengebiet innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nach Anerkennung vor.

Die erforderlichen Personal- und Sachkosten dürften sich nach ersten Schät- zungen auf jährlich 1 Mio. € und mehr belaufen. Nicht berücksichtigt dabei ist allerdings, inwieweit Teilaufgaben durch bereits vorhandenes Personal ab-

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gewickelt werden könnte und sich insoweit der erforderliche zusätzliche Per- sonalkörper reduzieren ließe.

Dazu kommen einmalige Gebäudeinvestitionen, die derzeit im Hinblick auf die noch offene Nachfolgenutzung des „Alten Lagers“, eines Ensembles von rd. 140 zum Teil denkmalgeschützten Gebäuden, noch nicht quantifizierbar sind.

7. wie die Landesregierung die Interessen der Betroffenen bei der Auswei- sung berücksichtigen wird;

Zu 7.:

Die Landesregierung ist bemüht, die Interessen der Betroffenen auf verschie- denen Ebenen zu berücksichtigen und diese einzubinden.

Im Rahmen der Arbeitsgruppe beim Regierungspräsidium Tübingen besteht für Interessierte die Möglichkeit, sich an der fachlichen Grundlagenarbeit für die Ausweisung dieses Biosphärengebietes zu beteiligen.

Die Einbindung aller Betroffener, Interessierter und aller gesellschaftlicher Gruppen – von Verbänden bis hin zur Wissenschaft – erfolgt im Rahmen eines projektbegleitenden „Ständigen Beirates“, der sich als offenes Forum versteht und den jeweiligen Projektfortschritt diskutiert. Die ersten Sitzungen werden unter Leitung des Ministers für Ernährung und Ländlichen Raum stattfinden.

Die Lenkung des Projekts obliegt einem Lenkungsausschuss, der beim Mi- nisterium für Ernährung und Ländlichen Raum gebildet wurde.

Vorgesehen ist darüber hinaus ein umfangreiches Programm zur projektbe- gleitenden Öffentlichkeitsarbeit, in dessen Rahmen die Bevölkerung gezielt angesprochen und eingebunden werden soll. So wird bereits Ende Januar eine Informationsveranstaltung für Mandatsträger im Bereich des künftigen Biosphärengebietes stattfinden, für Mai nächsten Jahres ist ein Kongress zu dieser Thematik geplant.

Hauk Minister für Ernährung und Ländlichen Raum

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