Wässermatten
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Wässermatten Die Wässermatten in den oberaargauischen Flusstälern der Langete, Oenz und Rot sind die letzten Reste einer ehemals im Schweizer Mittelland verbreiteten Kultur- form der genossenschaftlichen Wiesenbewässerung und -düngung. Die Praxis lässt sich bis ins 9. Jahrhun- dert zurückverfolgen und wurde im 13. Jahrhundert durch die Zisterziensermönche des Klosters St. Urban im Rahmen der Massnahmen zur Bodenverbesserung gefördert. Es wurden weit verzweigte Systeme aus Ka- nälen und Gräben geschaffen, Dämme geschüttet und Hauptbewässerungsgräben mit «Brütschen» (Schleu- sen), Seitengräben mit «Ablissen» (Wasserauslassen), «Wuhren» (Wehre) sowie Staubrettern angelegt. Die Wässermatten wurden früher mehrmals im Jahr gewäs- sert. Die mitgeschwemmten Schwebstoffe düngten die Matten. Die Hauptgräben wurden von den Wässermat- ten-Genossenschaften im Gemeinwerk, die Seitengrä- ben privat unterhalten. Heute werden im bernischen Oberaargau noch rund 80 Hektaren Wässermatten un- terhalten, in der aargauischen Region Zofingen-Wigger- Verbreitung BE (Region Oberaargau), AG, LU tal noch etwa 15 Hektaren, im luzernischen Rottal, an der Grenze zum Kanton Bern, sind es noch gut 20 Hek- Bereiche Umgang mit der Natur taren. In allen anderen Regionen der Schweiz sind die Version Juni 2018 Wässermatten entweder ganz verschwunden oder auf einzelne kleinere Flächen beschränkt. 1983 wurden die Autorin Katrin Rieder Wässermatten ins Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufge- nommen. Die Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz sensibilisiert für kulturelle Praktiken und deren Vermittlung. Ihre Grundlage ist das UNESCO-Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes. Die Liste wird in Zusammenarbeit und mit Unterstützung der kantonalen Kulturstellen erstellt und geführt. Ein Projekt von: Wässermatten sind eine landwirtschaftliche Nutzungs- «usegloh» (Wasser herausgelassen). Die grossen Tal- form mit Grasanbau und einem speziellen Bewässe- matten wurden meist in Genossenschaften bewirtschaf- rungssystem. Sie waren früher im Schweizer Mittelland, tet. Im Langetental wurde schon 1349 das Amt des im Jura und bis Schaffhausen weit verbreitet, ebenso in Wässermanns geschaffen. Bis in die 1960er-Jahre war anderen Ländern Europas. Im Oberaargau blieben die unterhalb von Langenthal ein Wässer-Bannwart einge- letzten Wässermatten der Schweiz bis heute erhalten; setzt, der nach «alter Übung» erst die grosse Steina- sie liegen in den bernischen Gemeinden Rohrbach, Ur- cher-Schleuse an der Langete zog, hernach nach senbach, Madiswil, Lotzwil, Langenthal, Roggwil, Bet- «Kehrordnungen» und Regeln die «Brütschen» zu den tenhausen, Herzogenbuchsee und Melchnau sowie in einzelnen Mattengrundstücken. den luzernischen Gemeinden Altbüron und Pfaffnau. Neben den Tälern der Langete, der Oenz und der Rot im Trotz der Bezeichnung «Wässermatten» war der bernischen Oberaarau und im luzernischen Hinterland, Hauptzweck der Bewässerung nicht allein die Graswirt- gibt es gegenwärtig Wässermatten im aargauischen schaft. Ursprünglich zielte die Bewässerung darauf, die Wiggertal-Suhrental sowie in Deutschland, die grössten Talböden und andere Fluren überhaupt fruchtbar zu in der badischen Oberrheinebene «Elzwiesen» im Ge- machen; durch Aufschlämmung (Kolmation) wurde biet Rheinhausen-Rust-Kenzingen. neues Kulturland gewonnen. Im Wässerland lagen frü- her neben Wässermatten auch Äcker und Weiden – sie Ein traditionelles Bewässerungssystem wurden in Wechselwirtschaft genutzt. Im Roggwiler Zel- genland hiess dies: fünf Jahre Nutzung als Wässerwie- Ein durchlässiger Kiesuntergrund sowie grossflächige, sen, zehn Jahre Ackerwirtschaft im Turnus. In dieser zusammenhängende Areale in der Talsohle oder in ei- Fruchtfolge wurden die Felder zehn Jahre abwechs- ner Ebene bildeten die günstigen Voraussetzungen für lungsweise mit Dinkel und Hafer bebaut und anschlies- Wässermatten. Zur Wiesenbewässerung wurden Sys- send während fünf Jahren als Wässerwiese bewirt- teme aus Gräben geschaffen, Dämme geschüttet und schaftet. Wie in der klassischen Dreizelgenwirtschaft Hauptbewässerungsgräben mit «Brütschen» (Schleu- gab es also immer zwei bebaute Zelgen und eine be- sen), Seitengräben mit «Ablissen» (Wasserauslässen), wässerte (anstatt brachliegende) Zelge, wobei ein Tur- «Wuhren» (Wehre) sowie Staubrettern angelegt. Das nus fünfzehn (nicht drei) Jahre dauerte. Die Matten Wasser wurde durch ein weit verzweigtes, der Mikro- wurden mehrmals im Jahr gewässert, im Langetental morphologie angepasstes Netz von Kanälen geführt drei- bis viermal (im Frühling, nach dem Einbringen von und schliesslich zur Überrieselung der Matten genutzt. Heu und Emd im Sommer und im Spätherbst), im Die traditionelle landwirtschaftliche Bedeutung der Rottal jeden Monat. Die mitgeschwemmten Schweb- Wässermatten liegt in der Naturdüngung und der Wet- und Nährstoffe düngten die Matten auf natürliche terunabhängigkeit. Mit der natürlichen Düngung, die Weise. Zudem boten die Wässermatten Schutz vor über das Rieselverfahren mit seinem grossen Wasser- Hochwasser, da dieses ohne Schäden über die Matten durchsatz erreicht wurde, konnten die landwirtschaftli- floss und von dort ins Grundwasser versickerte. chen Erträge gesteigert werden; die Heuwiesen waren Voraussetzung für vermehrte Viehhaltung und damit Durch die grossflächige Wiesenbewässerung entstand vermehrter Mistproduktion, die eine Erweiterung des im Langetental, im Rottal und im Oenztal eine natur- Ackerbaus ermöglichte. Der Überschwemmungen we- nahe Kulturlandschaft mit Flüsschen, Gräben und den gen wurden die Wässermatten nie gepflügt; die dick- zahlreichen Hecken sowie einem die Landschaft prä- verfilzte Grasnarbe verhinderte selbst bei reissenden genden Kleinrelief, geschaffen durch die feinen, ständi- Überflutungen ein Wegschwemmen der Erde. Hoch- gen Ablagerungen des Wassers. Die Graben-Relief- wasser der letzten Jahrzehnte an der Langete zeigten, landschaft der alten Wässermatten ist in photogramme- dass Äcker metertief ausgefressen wurden, während trischen Karten im Sinne eines Denkmals festgelegt. die Wässermattengebiete verschont blieben. Die Wässermattenlandschaft ist geprägt von weiten Grünlandflächen – meist Naturwiesen – und vielen He- Das Bewässerungssystem war überall sehr ähnlich an- cken sowie Einzelgehölzen entlang den Gewässern und gelegt. Den Abfluss in einen ersten Kanal (Hauptgra- Wassergräben. Erlen, Weiden, Traubenkirschen, ben) stellt normalerweise eine Stauschleuse mit Eschen und einzelne, markante Eichen gliedern die «Schwelli» (Schwelle) im Fluss her. In diesem folgen in Landschaft. bestimmten Abständen Verteilwerke (sogenannte «Brüt- schen»), die das Wasser in Seitengräben leiten, wo es Viele Tierarten finden hier ihren Lebensraum: Raben- schliesslich in die Matten überläuft und diese überrieselt krähe, Mäusebussard, Stockente, Ringeltaube, Fisch- (daher der Ausdruck: «Rieselbewässerung»). Gemäss reiher, Specht, Lerche und zahlreiche Amphibien. verbrieften Rechten und althergebrachten Regeln wurde in jeder Jahreszeit einmal während rund einer Woche Lebendige Traditionen · Wässermatten · Juni 2018 2 Das Kloster St. Urban als Begründer der Oberaar- Genossenschaftlicher Besitz und gemeinsame gauer Wässermatten Nutzung Die Wässermatten im Oberaargau sind die letzten Reste Wie Wald, Weide und Wege war auch der Wasserlauf einer ehemals im schweizerischen Mittelland verbreiteten im Tal ein Teil der Allmend und wurde als Gemeingut Kulturform der genossenschaftlichen Wiesenbewässe- von der Genossenschaft genutzt. Von den alten Eigen- rung und -düngung. Am besten sind sie heute noch in tumsverhältnissen ausgehend sind zwei Arten von den Flusstälern der Langete, Oenz und Rot erhalten. Das Wässermatten zu unterscheiden: In den Talböden die Entstehen der Oberaargauer Wässermatten geht zurück genossenschaftlich genutzten sogenannten «echten» bis ins 9. Jahrhundert. Die Massnahmen zur Bodenver- Wässermatten mit vielseitigen Grabensystemen; und in besserung der Zisterzienser Mönche des Klosters den Seitentälern die privaten «Ablissmatten» an den St. Urban im 13. Jahrhundert beförderte die Bewässe- Hängen mit einfachen Grabensystemen und meist pri- rungswirtschaft stark. Die Mönche, denen die Urbarisie- vater Nutzung. Die genossenschaftliche Nutzung ist rung des Bodens als Ordensregel aufgegeben war, fass- charakteristisch für die Talwässermatten, ebenso die ten die Langete bei der Mühle Langenthal, um das systematischen Wässerzeiten auf Grund von urkundli- Wasser auf die Felder ihres Roggwiler Zehnthofes zu lei- chen Rechten und von Regeln «nach alter Übung». Da ten. Unter der Leitung der Mönche wurde der Kanal ge- die Wässerung auch mit Kosten und Aufwand verbun- graben, der noch heute den Langetelauf bis zum Zusam- den war, wurde genau Buch geführt, welcher Landwirt menfluss mit der Rot darstellt. Sie schufen das zu welchen Zeiten Wasser bezog und wie hoch der da- weitverzweigte Grabensystem, schütteten Dämme auf für zu entrichtende Wasserzins war. Um die Wasser- und erstellten «Wuhreschwellen», «Britschen» und «Ab- verteilung gab es immer wieder Konflikte, die oft vor lisse», die eine intensive Bewässerung erst erlaubten. Gericht ausgetragen wurden. Ursprünglicher Hauptzweck der Bewässerung war die Bil- dung einer landwirtschaftlich nutzbaren Bodenschicht Hauptgräben und «Brütschen» wurden von den Wäs- und die Düngung; die Befeuchtung wurde erst später sermatten-Genossenschaften im Gemeinwerk, die Sei- zum eigentlichen Zweck. tengräben mit den dazugehörigen Anlagen von den je- weiligen Bewirtschaftern