LUTHERLAND THÜRINGEN

Lutherland Thüringen Der Freistaat auf dem Weg hat seine Wurzeln in Thüringen. Seine Familie stammt zum Reformationsjubiläum aus Möhra bei . Nach der Eisenacher Pfarrschule studierte „Luther 2017“ er an der Universität . Sein Eintritt ins Erfurter Augustiner- kloster 1505 gilt als „Werdepunkt der “. Hier empfing Lutherland der spätere Reformator seine wesentlichen theologischen Impulse. m Anfang war das Wort.“ „In the beginning was the word.“ – „En el principio era el Verbo.“ – „ A „Au commencement était la Parole.“ Dieses Zitat aus der Bibel, aus dem Johannes-Evangelium 1521/22 wurde die für Luther zur Zuflucht, wo er das Neue im Neuen Testament, wird als Botschaft weltweit verstanden und ist das Leitwort der kommenden Testament ins Deutsche übersetzte. Der Kurfürst von Sachsen, Thüringen Jahre. 2008 begann die Reformationsdekade „Luther 2017“ mit acht thematisch gestalteten Jahren, die 2017 in die Feierlichkeiten „500 Jahre Reformation“ münden. der auch über thüringische Territorien herrschte, war Luthers wich- tigster Förderer. Im „Lutherland Thüringen“ gelang es der neuen Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablass. Der Thesen­ anschlag an der Wittenberger Schlosskirche markiert den Beginn der Reformation, die ganz Konfession, sich rasch zu etablieren. Europa erfasste. Einstimmig hat der Deutsche Bundestag im Juli 2011 festgehalten: „Bei dem Reformationsjubiläum im Jahr 2017 handelt es sich um ein kirchliches und kulturgeschichtliches Ereignis von Weltrang.“ Thüringen verfügt so – gemeinsam mit Sachsen-Anhalt und Sachsen Die Abgeordneten sind sich mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern aber auch darin – über die meisten bedeutenden Luther- und ­stätten. einig, dass das Reformationsjubiläum keineswegs nur als religiöses und historisches Phänomen Aus verschiedenen Perspektiven – Geschichte, Kulturpolitik, Touris­ zu verstehen ist. Vielmehr seien ausdrücklich „auch zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen in das Blickfeld zu rücken“. Zahlreiche positive touristische und ökonomische mus, Kirche – und durch prominente Thüringer wird diese historische Synergieeffekte werden ebenso erwartet wie Gelegenheiten „zur theologischen und wissenschaft- lichen Reflektion, zur stärkeren Förderung des Dialogs zwischen Kirche, Gesellschaft und Politik Bedeutung mit ihren Bezügen für unsere Gegenwart heraus­gestellt. sowie eine Vertiefung ökumenischer Kontakte“.

Dies ist ein entscheidender Grund dafür, dass sich der Freistaat „Thüringen als Lutherland entdecken und entwickeln“ – so lautet die Aufgabe hier im Lande. Thüringen gemeinsam mit zahlreichen Bundesländern, der Bundes- Bis zum Jubiläumsjahr 2017 soll mit vielen Partnern in Staat, Kirche und Zivilgesellschaft an 500 Jahre Reformation erinnert werden. Als „Lutherland“, als Kernland der Reformation, besitzt der regierung und der evangelischen Kirche bis zum 500. Reformations- Freistaat Thüringen sowohl einzig­artige historische Zeugnisse und kulturelle Schätze als auch viel- jubiläum 2017 intensiv darauf vorbereitet, im Lande selbst und welt- fältige Ressourcen und Potenziale. Dabei geht es nicht nur um ein nationales Event an authenti- schen Erinnerungsorten. Vielmehr stehen äußerst spannende Forschungs- und Bildungsaufgaben weit als „Lutherland Thüringen“ erkennbar zu sein und zu bleiben. sowie kultur- und tourismuswirtschaft­liche Attraktionen im Fokus der Landespolitik. Die hiesigen Universitäten und Schulen, Museen und Lutherstätten leisten dazu, auch mit Blick auf einzigartige Exponate, einen außerordentlich wertvollen Beitrag.

In Städten und Dörfern Thüringens erinnern Kirchen, Burgen, Schlösser, Klöster und Wohnhäuser unmittelbar an das Werden der Reformation und ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart. In Martin Luthers Fußstapfen auf 900 Kilometern durch Thüringen wandern oder pilgern, das macht der Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Hessen und Bayern verbindende Lutherweg möglich. Eingebettet in abwechslungsreiche Landschaften führt er zu bedeutenden Stätten der Reformation und weiteren faszinierenden Sehenswürdigkeiten.

Wir laden Sie herzlich ein zu einer Entdeckungsreise durch das „Lutherland Thüringen“!

Thomas A. Seidel Steffen Raßloff

www.lutherland-thueringen.de LUTHERLAND THÜRINGEN Erfurt, im Oktober 2013 Luthers INHALT Gotha Nordhausen Christoph Matschie Thomas A. Seidel Wo der schwer erkrankte 1525 rief Luther in St. Blasii Das Lutherland Thüringen entdecken 6 Die Reformationsdekade Thüringer Orte Luther 1537 sein erstes zum Gehorsam gegenüber „Luther 2017“ in Thüringen 40 Testament diktierte und wo der weltlichen Obrigkeit auf. Ilse Junkermann KIRCHEN, KLÖSTER, BURGEN UND SCHLÖSSER Friedrich Myconius die in der In der Stadt wirkte Thomas Weimar Stadt stürmisch begonnene Müntzer für einige Monate. Lutherland Thüringen ist für mich … 16 Hellmut Th. Seemann Wo Luther predigte, sich ERINNERN AUTHENTISCH UND MUSEAL AN DAS Reformation in seine Hände mit dem kurfürstlichen Lutherland Thüringen ist für mich … 50 nahm. Bad Frankenhausen WERDEN DER REFORMATION Geheim­sekretär Georg Steffen Raßloff Am 15. Mai des Jahres 1525 Spalatin traf und nach Geschichte – Erinnerungsorte – Bärbel Grönegres unterlagen die von Thomas Müntzer Erscheinen des übersetzten geführten Bauern in den Fluren um das Neuen Testaments in die Rezeption 18 500 Jahre Reformation: traditionsreiche Salzstädtchen einer reformatorischen Debatten Eine herausragende Gelegenheit, Übermacht fürstlicher Heere. Nordhausen eingriff. Thomas A. Seidel das Lutherland Thüringen in den Fokus Mühlhausen Theologische Miniaturen 30 der Weltöffentlichkeit zu rücken 52 Wo der als Pfarrer tätige einstige Bad Köstritz Altenburg Weggefährte Luthers, der radikale 38 In dem am Endpunkt der Wo Georg Spalatin, der Joachim Wanke Christoph Stölzl Prediger und Theologe Thomas Reußischen Fürstenstraße engste Mitarbeiter des Lutherland Thüringen ist für mich … 38 Lutherland Thüringen ist für mich … 56 Müntzer, die aufständischen Bauern Bad Frankenhausen liegenden Ort kam Heinrich Kurfürsten, wichtiger Freund führte und später hingerichtet wurde. Schütz, der neben Johann Luthers und vielleicht Ernst Koch Walter und Johann Sebastian auch „Steuermann der Mühlhausen Bach „protestantischste“ Reformation“, selbige in der Christentum, Reformation und Komponist überhaupt, zur Stadt praktisch umsetzte. Evangelische Kirche bis 1918 58 Welt. IMPRESSUM 71 Reinhard Werneburg Gera HERAUSGEBER: Die Evangelische Kirche seit 1918 66 Altenburg Eisenach Die Reformation wurde in Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Erfurt, 2013 „Keine andere Stadt kennt Gera erst 1533 eingeführt. Gotha Erfurt Weimar Bad Köstritz Paul-Josef Raue mich besser“ erinnert sich Auf Schloss Osterstein wurde KONTAKT: Eisenach Jena Lutherland Thüringen ist für mich … 74 Luther an die Stadt seiner 4 die Tragikomödie „Daphne“ Dr. Thomas A. Seidel Hohenfelden 4 4 des eng mit der Reußen- Der Beauftragte der Thüringer Landesregierung zur Schulzeit und späterer Altenstein Friedrichroda/ Gera Möhra Reinhardsbrunn Vorbereitung des Reformationsjubiläums "Luther 2017" Jahre sowie an die Arnstadt Dynastie verbundenen Carmen Hildebrandt Seitenroda Trockenborn- Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Wartburg, auf der er die Wolfersdorf 9 Komponisten Heinrich Schütz Wege zu Luther: Reisen durch Luthers Tambach- Werner-Seelenbinder-Str. 7, 99096 Erfurt Bibel übersetzt hatte. Dietharz uraufgeführt. Tel. +49 361 3794 873 Land in Mitteldeutschland 76 [email protected] Rudolstadt Schmalkalden 71 www.tmbwk.de/luther2017 Gunther Emmerlich BEZUG: Saalfeld http://www.thueringen.de/apps/publikationen Lutherland Thüringen ist für mich … 78 Suchwort "Lutherland"

73 REDAKTION: Michael Inacker / Lauscha Dr. Steffen Raßloff, Historiker und Publizist (Erfurt) Alexander von Witzleben Dr. Thomas A. Seidel, Theologe und Historiker (Erfurt) 71 Die Internationale Martin Luther Stiftung 80 Jena GESTALTUNG UND HERSTELLUNG: Dessen Universität ein Kind der Reformation ist Diemar, Jung & Zapfe Werbeagentur GmbH Christopher Spehr Schmalkalden Arnstadt und wo Luther mit dem einstigen Verbündeten FOTOS: Reformationsforschung in Thüringen 82 Das Städtchen stand zur In dem heute als Bad Colberg- und späteren Gegner Karlstadt ein legendäres Archiv Thüringer Tourimus GmbH, Archiv Weimar Heldburg Reformationszeit im Blick­ Oberkirche bekannten Streitgespräch führte. GmbH, Stadtmuseum Erfurt/ Dirk Urban, Dr. Steffen punkt europäischer Politik. Gotteshaus des einstigen Raßloff, H.-P.Szyszka, B. Neumann, M. Schuck, M. Zapfe, Andreas Jantowski Zu einer Tagung des 1530 Franziskanerklosters war J. Negwer, A. Weise, T. Babovic, G. Werner, Wikipedia, Reformation und Schule in Thüringen 84 ThULB Jena, A. Müller, bild13.com gegründeten Schmalkal­ Luther mindestens zwei Erfurt dischen Bundes legte Luther Mal zu Gast. Saalfeld Rudolstadt KARTE: mr-kartographie (S. 67) Wo wichtige Wurzeln von Martin Lutherland Thüringen – Glaubensgrundsätze vor. In der als „Steinerne Chronik Die historische Bibliothek Luthers Theologie liegen. Der von QUELLEN: „Theologische Miniaturen“ Die wichtigsten Reformationsorte Thüringens“ gerühmten verfügt mit rund 72 000 („Unterwegs zu Luther“ S. 100) einem Gewitter über Stotternheim im Überblick 86 bei Erfurt ausgelöste Eintritt Luthers Stadt weilte Martin Luther Bänden zum Jahrhundert der nachweislich drei Mal. Reformation – darunter die AUTOR ERINNERUNGSORTE: Heinz Stade LUTHERWEG in das Erfurter Augustinerkloster markiert den Anfang der Caspar Aquila, einer der „Rudolstädter Merianbibel“ DRUCK: Sachsendruck Plauen Literatur 104 geplanter Verlauf des Thüringer folgenreichsten Wandlung der bedeutendsten Reformatoren, von 1541 – über einen Lutherweges; Fertigstellung Ende 2014 www.lutherland-thueringen.de Kirchengeschichte. war hier sein Gastgeber. bedeutenden Schatz. www.luther2017.de

3 lutherland thüringen 5 Thüringen lädt zu einer Entdeckungsreise an die Stätten von Luthers Wirken und der Reformation ein. Hierbei wird das breite Spektrum der historischen und aktuellen Bezüge deutlich: Religion, Musik, Kunst, Gesellschaft, Bildung, Politik und nicht zuletzt die Gastlichkeit der Thüringer.

Johann-Sebastian-Bach Ensemble anlässlich der Thüringer Bachwochen in der Herderkirche zu Weimar

6 christoph matschie lutherland thüringen 7 CHRISTOPH MATSCHIE Das Lutherland Thüringen

Christoph Matschie, entdecken Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur

utherland Thüringen – das ist die Die Reformation war eine Singebewegung. Die Was wäre die Reformation ohne ihre Bilder? In nern Gedenktafeln an die illustren Herbergsgäste Einladung zu einer Entdeckungsreise. Lieder von Luther und anderen Reformatoren trugen der Cranach-Werkstatt haben Luther und seine Weg- von einst. Thüringen ist ein Kernland der Refor- die reformatorische Botschaft von der Freiheit eines gefährten ein Gesicht bekommen. Mitte des 16. Jahr- mation. An zahlreichen authenti- Christenmenschen aus den Kirchen auf die Straßen hunderts zog die Cranach-Werkstatt von Die Reformation hat soziale Kräfte freigesetzt schen Orten lässt sich Reformations- und Plätze. Mit der Reformation entstand eine Lai- nach Weimar um. Rund 100 Gemälde aus der Werk- und sie hat blutige Konflikte entfacht. In Mühlhau- geschichte noch heute hautnah erle- enmusikbewegung, die bis heute lebendig ist. Musik statt bewahren wir heute in Thüringen: Dieser Schatz sen kann man die Marienkirche besichtigen, in der Lben. In der Gemeinde Möhra im Thüringer Wald hat war in Thüringen nie nur etwas für eine exklusive steht im Mittelpunkt der Präsentationen, wenn der radikale Prediger Thomas Müntzer seine Anhän- die Familie Luther ihre Wurzeln. Die Pfarrschule der Gruppe. Aufführungen von Bach und Telemann – die wir 2015 den 500. Geburtstag von Lucas Cranach ger begeisterte. Eine Begeisterung, die Tausende Georgenkirche in Eisenach und das Collegium maius gab es nicht nur an den Höfen. Die gab es früh schon d. J. begehen. Ausstellungen auf der Wartburg, auf mit dem Leben bezahlten: Nicht einmal eine Auto- der Erfurter Universität waren Ausbildungsstätten in den Scheunen und Buden auf den Dörfern. Bauern Schloss Friedenstein in Gotha und an verschiedenen stunde nordöstlich entfernt liegen die Schlacht- des jungen Luthers. Von dort führt ein kurzer Spazier- und Handwerker kamen nach der Arbeit zusammen Orten in Weimar eröffnen einen neuen Blick auf den felder, auf denen die von Müntzer geführten Bau- gang durch die Erfurter Altstadt zum Augustinerklos- und musizierten. großen Künstler und Unternehmer. ern vernichtend niedergeschlagen wurden. Die DDR ter, wo der Mönch Luther tief eintauchte in die theo- Thüringen steht aber auch für Musik von Weltrang. Die reformatorischen Ideen wurden aber nicht deutete diese Auseinandersetzung als „frühbürger- logischen Debatten seiner Zeit. In Thüringen begeg- Im Schatten der Wartburg, in derselben Kirche, in der nur mit Tinte und Papier, mit Musik und Gesang, mit liche Revolution“. In den 1970ern entstand auf dem nen wir aber auch dem späteren Reformator Luther: Martin Luther als Schüler im Chor sang, wurde rund Ein Gedenkstein in einem Tal unweit von Bad Lieben- 200 Jahre später Johann Sebastian Bach getauft. Arn- stein markiert die Stelle, wo Luther auf der Rückreise stadt, Ohrdruf, Mühlhausen, Weimar waren Stationen vom Reichstag in Worms zum Schein entführt wurde. seines Wirkens in Thüringen. In vielen Kirchen erklin- Als Junker Jörg schrieb er auf der Wartburg mit der gen heute noch Orgeln, auf denen schon der spätere Thüringen – Schauplatz entscheidender Übersetzung des Neuen Testaments Geschichte. Bis Thomaskantor spielte. Bach an historischen Orten Kapitel der Reformationsgeschichte heute ist das Weltkulturerbe Wartburg Anziehungs- erleben – das ist etwas Besonderes. Seit über 20 Jah- punkt für Kulturinteressierte aus der ganzen Welt. ren ziehen die Thüringer Bachwochen damit ein inter- Rund 400.000 Besucher lassen sich Jahr für Jahr nationales Publikum an. in den Bann dieses Ortes ziehen. In Thüringen fan- Leinwand und Öl verbreitet und verteidigt. Allianzen Schlachtberg bei Bad Frankenhausen das Panora- den die Vorschläge Luthers eine rasche Verbreitung. Thüringen ist Musikland. In Residenzstädten wie taten sich zusammen, die bereit waren, die reforma- mamuseum, das mit dem monumentalen Gemälde Schnell und kostengünstig vervielfachten die neu Sondershausen, Gotha oder Weimar entwickelte torischen Ideen gegebenenfalls mit Gewalt zu ver- von Werner Tübke Besucher bis heute fasziniert. entwickelten Druckerpressen die aktuellen Debat- sich eine reiche Musiktradition. Das prägt unsere teidigen. In Schmalkalden kamen 1531 Landesher- Thüringen war Schauplatz entscheidender Kapitel tenbeiträge. Die Reformation war ein Medienereignis Kultur bis heute: Thüringen verfügt auch im ländli- ren protestantischer Territorien zusammen, um ein der Reformationsgeschichte. Wer mit offenen Augen – das gilt auch für Thüringen. Aber nicht nur techni- chen Raum über ein dichtes Netz an Orchestern und Verteidigungsbündnis zu schließen. Auch führende durch das Land fährt, kann sich davon selbst ein Bild sche Innovationen brachten die reformatorische Bot- Theatern. Reformatoren waren anwesend, als der Schmalkaldi- machen. Die Lutherdekade lädt dazu ein. Ich freue schaft zu den Menschen. Auch Bild und Musik spiel- sche Bund entstand. An prachtvollen Gebäuden, die mich, dass viele Gäste aus der ganzen Welt diese Ein- ten eine Rolle. bis auf die Zeit der zurückgehen, erin- ladung annehmen.

8 christoph matschie lutherland thüringen 9 Die Lutherdekade ist ein kulturelles Highlight. ander. Ein Neuanfang war notwendig. Wie konnte der Sie ist aber noch mehr. Für uns in Thüringen eröffnet Aufbau gelingen? Auf Schloss Friedenstein kannte das Reformationsjubiläum die Chance, das reforma- man den Ausweg aus der Krise: Nur, wer gut ausgebil- torische Erbe neu und kritisch zu befragen. Welche det war, konnte das Land wieder voran bringen. Eine Impulse können wir für das Denken und Handeln im gute Ausbildung für alle diente dem Landesinteresse. 21. Jahrhundert fruchtbar machen? Diese Lektion hatte man hier rasch begriffen.

Thüringen hat immer wieder Bildungsgeschichte bildung und verantwortung geschrieben. Einer der profiliertesten Pädagogen der Aufklärungszeit, Christian Gotthilf Salzmann, ie Reformation war eine Bildungs-Bewegung. Phi- verwirklichte in Schnepfenthal sein Konzept einer Minister Christoph Matschie Dlipp Melanchthon, Luthers Weggefährte, wurde ganzheitlichen Erziehung: „Leben – Arbeit – Lernen“ mit Kindergartenkindern in der schon zu Lebzeiten „praeceptor Germaniae“, „Lehrer war das Programm, das Schnepfenthal zu einer der Stadtbibliothek Mühlhausen Der vermutliche Deutschlands“ genannt. Als Pädagoge und Bildungs- erfolgreichsten Musterschulen des 18. Jahrhunderts Schreibkasten politiker verwies Melanchthon auf Schulbildung als machte. Aus allen Teilen Europas schickten Eltern Martin Luthers ist Grundlage einer starken Zivilgesellschaft. Seine ihre Kinder in den kleinen Ort am Thüringer Wald. im Stadt­museum „Lobrede auf die neue Schule“ liest sich wie ein flam- Wie sieht die beste Schule für unsere Kinder aus? Erfurt zu sehen. mender Appell für ein klares, öffentliches Bekenntnis Diese Frage hat Menschen in Thüringen immer wie- Schlachtberg Bad Frankenhausen, zur Bildung: „Wer keine Mühe darauf verwendet, daß der umgetrieben. Selbsttätiges Arbeiten, gemein- Denkmal Ernsts des Frommen seine Kinder so gut wie möglich unterrichtet werden, schaftliche Zusammenarbeit und eine starke Mitver- vor Schloss Friedenstein (unten) handelt nicht nur pflichtvergessen gegenüber Gott, antwortung aller – das liest sich wie das Vorwort zu sondern verbirgt hinter einem menschlichen Aus- einem aktuellen Bildungsplan. Bis heute ist der Jena- sehen seine tierische Gesinnung. […] Daher besteht Plan Grundlage vieler ambitionierter Schulen. Entwi- gerade in einer wohlgeordneten Bürgerschaft ein ckelt wurde das Konzept in den 1920ern. Bedarf an Schulen, in denen die Jugend, die Pflanz- stätte der Bürgerschaft, ausgebildet wird.“ Bildung beginnt nicht erst mit der Schulzeit. Das Für uns in wissen heute Bildungsexperten und nehmen zuneh- Auch Luther betonte die Bedeutung einer fun- mend die frühkindliche Phase in den Blick. In Thü- Thüringen eröffnet dierten Bildung. Vor dem Hintergrund eines gras- ringen ist das nichts Neues. „Kindergarten“ – das ist sierenden Bildungsnotstandes, weil „man allenthal- ein internationaler Exportschlager made in . das Reformations- ben die Schulen untergehen läßt“, richtete er 1524 einen dringenden Appell „an die Ratsherren aller jubiläum die Chance, Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schu- len aufrichten und halten sollen“. Luther forderte das reformatorische die politischen Verantwortungsträger seiner Zeit zu deutlichen Investitionen in die Bildung auf. „Das ist“ – Erbe neu und kritisch so schreibt er – „ungemein gut angelegt.“ In Thüringen griff man diese reformatorischen zu befragen. Welche Forderungen auf. Hier, genauer: in Sachsen-Gotha, wurde bereits 1642 die allgemeine Schulpflicht ein- Impulse können wir geführt. Bildung für alle, für Jungen und Mädchen, egal welcher Herkunft – das war das Ziel, das Herzog für das Denken und Ernst der Fromme auf Schloss Friedenstein in Gotha für sein Land verwirklichte. Diese Bildungsoffensive Handeln im war Teil seiner Bemühungen, in Sachsen-Gotha einen 21. Jahrhundert lutherischen Musterstaat zu errichten. Zugleich reagierte er damit aber auch auf ein akutes Problem fruchtbar machen? seiner Zeit. Der Dreißigjährige Krieg hatte das Land ausgezehrt. Die Welt war aus den Fugen geraten, die Wirtschaft am Boden, die Gesellschaft brach ausein-

10 christoph matschie lutherland thüringen 11 Links: Gedenkstätte Buchenwald auf dem Etterberg bei Weimar

Grenzmuseum Geisa

haben einen Prozess angestoßen, der nicht mehr auf- Geschichte reißt vor allem junge Leute mit. Das zeigt zuhalten war. Denn nach Luther gab es etwas, was es das große Interesse an der Gedenk- und Bildungs- bis dahin so nicht gegeben hatte: Differenz – in den stätte Andreasstraße in Erfurt. Die ehemalige MfS- religiösen Überzeugungen, in den Meinungen, und Haftanstalt steht für Unterdrückung und Repression, auch in der Lebensweise. aber auch für Mut und Widerstand in der DDR. Hier wird deutlich, dass Grundrechte keine Selbstver- Toleranz ist die Voraussetzung dafür, dass wir in ständlichkeit sind und dass jede Generation sie aufs Frieden miteinander leben können. Sie ist Grund- Neue erstreiten muss. lage dafür, dass unser Zusammenleben gelingt. In Erfunden hat ihn im 19. Jahrhundert der gebürtige Gemeinschaftsschule etabliert sich eine Schulart, in der Erklärung der UNESCO aus dem Jahr 1995 heißt Wenngleich Luther kein Vorkämpfer war für Tole- Oberweißbacher Friedrich Fröbel. In Blankenburg, der alle bis zur achten Klasse gemeinsam lernen kön- es: „Toleranz ist der Schlussstein, der die Menschen- ranz und Menschenrechte, so verknüpfen doch wo Fröbel den ersten Kindergarten gründete, gibt nen. Politik und Gesellschaft tragen Verantwortung rechte, den Pluralismus (auch den kulturellen Plu- viele in meiner Generation seinen Namen mit der heute das Friedrich-Fröbel-Museum lebendige Ein- dafür, dass jeder gute Bildungschancen hat. Das ist ralismus), die Demokratie und den Rechtsstaat Erfahrung der Freiheit. Wer miterlebt hat, welche blicke in die Geschichte der frühkindlichen Erziehung. ein reformatorischer Impuls, der bis heute nichts an zusammenhält.“ Kraft sich in den vollen Gemeinderäumen und Kir- Aktualität eingebüßt hat. Das vergangene Jahrhundert hat gleich mehrfach chensälen bei den Montagsgebeten 1989 entfal- Thüringen setzt auf Bildung. Das zieht sich wie auf schreckliche Weise gezeigt, was geschieht, wenn tet hat, der hat eine Vorstellung davon, was Luther ein roter Faden durch unsere Geschichte. Und das dieser Schlussstein fehlt. In Thüringen gibt es viele meinte mit der „Freiheit eines Christenmenschen“. gilt bis heute. In Thüringen beginnt eine gute Ausbil- toleranz und freiheit Orte, die uns das vor Augen führen. Denn Thüringen Die Anerkennung der Freiheit des Einzelnen ist heute dung schon im frühkindlichen Alter. 2010 haben wir ist nicht nur Lutherland. In Thüringen haben zwei Dik- eine Grundlage unseres Zusammenlebens. Wir leben das modernste Kindertagesstätten-Gesetz Deutsch- eformation und Toleranz“ – das ist der Titel eines taturen ihre Spuren hinterlassen. Gedenkstätten hel- heute in einer pluralen Gesellschaft. Das ist ein gro- lands verabschiedet. Einen Betreuungsplatz für Kin- „RThemenjahrs der Lutherdekade. Reformation und fen uns, das Unbegreifliche zu begreifen. Die Gedenk- ßes Glück. Das eröffnet uns Möglichkeiten der Ent- der ab dem vollendeten ersten Lebensjahr und zehn Toleranz: passt das denn zusammen? Die erste Ant- stätte Buchenwald leistet hier seit Jahren gerade mit faltung. Das stellt uns aber auch vor Fragen. Wo zie- Stunden garantierte Betreuungszeit am Tag – damit wort ist: Nein. Luther und seine Weggefährten waren Blick auf die Arbeit mit Jugendlichen einen hervorra- hen wir die Grenze zwischen dem, was wir dem Ein- können Familien hier nicht nur auf dem Papier rech- nicht tolerant. Die Gewissensfreiheit, die Luther vor genden Beitrag. Thüringen setzt sich deshalb dafür zelnen an persönlicher Freiheit zugestehen und dem, nen. Ich will, dass jedes Kind die beste Möglichkeit dem Reichstag in Worms für sich in Anspruch nahm, ein, dass die Gedenkstätte Buchenwald einen Platz was wir nicht dulden? Freiheit und Toleranz gehö- hat, sich zu entfalten. Daher hat auch jede Schü- und für die er selbst mit dem Tode bedroht wurde, auf der UNESCO-Liste des Welterbes findet. ren zusammen. Sie sind aber kein Freifahrtschein lerin und jeder Schüler das Recht auf individuelle ließ er nicht für alle anderen gelten. Nicht für die Täu- Die Grenzlandmuseen in Geisa, Mödlareuth und für Gleichgültigkeit und Wegschauen. Wo Menschen Förderung. Seit 2011 haben wir diesen Grundsatz fer. Nicht für Katholiken. Und auch nicht für Juden Teistungen sind Besuchermagneten. Zu Recht: Denn bedroht und ausgegrenzt werden, ist eine Grenze im Schulgesetz verankert. Und: Mit der Thüringer oder Muslime. Gerade die antijudaischen Luther- sie erzählen nicht nur die Geschichte der deutschen klar gezogen: Keine Toleranz gegenüber Fremden- Schriften sind für uns heute schwer erträglich. In Teilung. Sie erzählen auch vom Freiheitswillen der feindlichkeit und Rassismus. Das ist eine Lehre, die der Geschichte der Toleranz haben die Vertreter der Ostdeutschen – einem Freiheitswillen, der letzt- Thüringen bis in die jüngste Zeit immer wieder aus Reformation keine Heldenrolle gespielt. Aber sie lich stärker war als Beton und Stacheldraht. Diese der Geschichte ziehen musste.

12 christoph matschie lutherland thüringen 13 gesellschaft im aufbruch Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit der Gleichstellung der er Thesenanschlag in Wittenberg. Der Auftritt vor Geschlechter, mit einem besseren Zugang zu Bildung Ddem Reichstag in Worms. Das sind heute Ikonen haben sich Teilhabechancen erhöht. Gut ausgebil- unseres Reformationsverständnisses. Mindestens dete Frauen suchen auch beruflich Verwirklichung. genau so wichtig ist ein Ereignis, das in Altenburg Sie verdienen gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Und stattgefunden hat. Dort in der Bartholomäi-Kirche Familien verdienen Unterstützung: durch verlässli- hat 1523 Martin Luther die Trauung eines Pfarrers che Kinderbetreuung und Ganztagsangebote. durchgeführt. In der Alten Kirche waren Geistliche zur Ehelosigkeit verpflichtet gewesen. Weil man- Wir brauchen ein neues Miteinander der Gene- che Priester dennoch mit Frauen zusammenlebten, rationen. Der demographische Wandel ist bereits schürte das die Kritik der Zeitgenossen an den beste- im Gange. Unsere Gesellschaft wird älter. Fragen der henden Verhältnissen. Wasser predigen und selbst Altersabsicherung, der Pflege und der medizinischen Wein trinken: Geistliche machten sich unglaubwür- Versorgung erfordern Lösungen. Aber der Blick wei- dig, sie galten als Heuchler. Indem Luther das Zölibat tet sich. Experten weisen uns längst darauf hin, dass für Geistliche abschaffte, anerkannte er, was schon demographischer Wandel auch Chancen eröffnet. längst praktiziert wurde. Und er legte den Grundstein Die Erfahrung der Älteren kann uns bereichern: In der für das evangelische Pfarrhaus, das für viele evange- Arbeitswelt genauso wie im Umgang zwischen Jung lische Gemeindemitglieder Vorbildcharakter in Fra- und Alt. Für diesen Austauschprozess wollen wir gute gen des Zusammenlebens hatte. Rahmenbedingungen schaffen. Unsere Gesellschaft Das evangelische Pfarrhaus befindet sich heute wird nicht grauer – sie wird bunter. Heute gibt es eine selbst im Umbruch. Frauenordination, gemischtre- Vielzahl von Lebensentwürfen, die gleichberech- Luther im Kreis seiner Familie – Urbild ligiöse Ehen, Scheidungen, gleichgeschlechtliche tigt nebeneinander stehen. Wenn wir davor unsere des evangelischen Pfarrhauses Lebensweisen stellen das Klischee unserer Vorstel- Augen nicht verschließen, sondern diese Vielfalt als lung einer konventionellen Pfarrfamilie auf den Kopf. Aufruf zum Aufbruch begreifen, dann gewinnen alle. Das Pfarrhaus muss umgebaut werden. Die evange- lischen Landeskirchen haben diese Aufgabe ange- nommen. Das Pfarrhaus spiegelt im Kleinen, was in lutherland thüringen der Gesellschaft längst schon Realität ist. Unsere bittet zu tisch Formen des Zusammenlebens ändern sich. Auch wir sind herausgefordert, die neuen Räume, die sich auf- uther war nicht nur ein streitbarer Kopf, der uns tun, zu gestalten. Lbis heute zur Auseinandersetzung reizt. Luther verfügte – wenn man den Beschreibungen glauben darf – auch über eine beachtliche Leibesfülle. Luther wusste: Essen und Trinken, am besten in anregender Gesellschaft, das hält Leib und Seele zusammen. Das Das Pfarrhaus spiegelt im Kleinen, was in der gilt bis heute. Auch dafür ist das Lutherland Thüringen eine gute Gesellschaft längst schon Realität ist. Unsere Adresse. Genießen Sie unsere Thüringer Spezialitä- ten und lernen Sie die Thüringer Gastfreundschaft Eine typische Thüringer Spezialität – Formen des Zusammenlebens ändern sich. kennen. Thüringer Klöße

Autor Christoph Matschie ist seit 2009 Thüringer Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie stell- vertretender Ministerpräsident des Freistaats Thüringen

14 christoph matschie lutherland thüringen 15 ILSE JUNKERMANN ist Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Lutherland Thüringen ist für mich …

Kloster Volkenroda

Hier finden sich bekannte Lutherorte, wie Eisenach chen Traditionen. Eine dieser Traditionen ist die reiche Vielfalt der Musik, die … immer wieder und Erfurt. Hier finden die Besucher in allen Dör- mir deutlich als ein starkes Erbe der Reformation begegnet. Martin Luther hat voller Entdeckungen fern und Städten eine vielfältige und reiche Kultur. die Musik als ‚Bewegerin des Herzens‘ und als ‚der schönsten und herrlichsten In Thüringen wirkt auf besondere Weise die frü- Gaben Gottes eine‘ wertgeschätzt. Komponisten wie Johann Sebastian Bach und interessanter here Residenzstruktur nach. Das gibt jeder Stadt und Michael Prätorius, deren Geburtsorte in Thüringen liegen, sind über die Begegnungen. mit ihrem Nahbereich eine besondere Note und Landesgrenzen bekannt. Aber auch Thüringer Liederdichter, deren Namen viel- einen besonderen Charme und das alles in einer leicht nicht so vertraut sind, wie Cyriacus Schneegaß, Ämilie Juliane Reichsgrä- abwechslungsreichen Landschaft. Sich auf den Weg durch die Geschichte dieses fin von Schwarzburg-Rudolstadt, Melchior Vulpius, Johann Walter, haben Lie- Kulturraumes zu begeben, lohnt sich, denn hier finden unterschiedlich Interessierte der gedichtet, die bis heute in den Gottesdiensten und zu Festtagen gesungen Anknüpfungen: Musik, Kunst und Wort, aber eben auch Gastfreundschaft und gesel- werden. Musik und Orte, an denen sie erklingen kann, gibt es reichlich in Thü- liges Zusammensein, Glaube und Zusammenhalt. Bei meinen Besuchen und Gottes- ringen und das verbindet diese Region Mitteldeutschlands mit anderen Orten diensten in Thüringen begegne ich Menschen, die für dieses kulturelle Erbe und auch in Deutschland und auf der Welt. das reiche geistliche Erbe Sorge tragen. Einer Einladung nach Thüringen zu folgen, heißt deshalb auch immer auf Ja, auch das ist für mich das Lutherland Thüringen: das Leben mit den geistli- Entdeckungsreise gehen.“

16 ilse junkermann lutherland thüringen 17 Erfurter Dom St. Marien

Kein Land neben Sachsen- Anhalt ist so reich an authentischen Erinnerungs- orten Martin Luthers und der Reformation wie Thüringen. Hier hat der Reformator seine prägenden Jugendjahre verbracht, die Bibel übersetzt und die „Wiederentdeckung des Evangeliums“ befördert. Dies findet bis heute trotz allem Wandels seinen deutli- chen Niederschlag in Geschichtsbild und Identität der Thüringer.

18 steffen raßloff lutherland thüringen 19 STEFFEN RASSLOFF Geschichte – Erinnerungsorte – Lutherhaus in Eisenach (oben) Rezeption Luther-Stammort Möhra (rechts)

martin luther in thüringen Thüringen verfügt so neben Sachsen-Anhalt über die meisten bedeutenden Luther-Erinne- Der Reformator er Reformator Martin Luther (1483-1546) besitzt rungsstätten, voran die Wartburg und die Stadt Dseine biographischen Wurzeln in Thüringen, wo Erfurt. Seit dem 16. Jahrhundert hatte dies eine Martin Luther sich entscheidende Momente seines Leben abge- intensive Erinnerungskultur zur Folge, die im 19. und spielt haben. Die Eltern stammten aus Möhra und 20. Jahrhundert gipfelte. Luther wurde zu einer Gal- reise vom Wormser Reichstag kurz vor seiner Schein- (1483–1546) besitzt Eisenach. Nach der Eisenacher Pfarrschule stu- lionsfigur der deutschen Nationalbewegung, der auf entführung auf die Wartburg im Dorf gepredigt. Nie dierte Luther 1501-1505 an der Universität Erfurt. In dem Wartburgfest 1817 sowie mit zahllosen Feier- sollte Luther seine thüringische Herkunft verleugnen. seine biographischen der spätmittelalterlichen Metropole hat er wichtige lichkeiten, Publikationen und Denkmalen gedacht „In bin ein Bauernsohn; der Urgroßvater, mein Groß- Impulse erhalten. Sein Eintritt ins Erfurter Augusti- wurde. Sogar in der DDR-Zeit nahm man sich des vater, der Vater sind richtige Bauern gewesen“, heißt Wurzeln in Thüringen, nerkloster 1505 wird als „Werdepunkt der Reforma- Reformators an, dessen 500. Geburtstag 1983 mit es in einer seiner berühmten Tischreden aus den tion“ eingestuft. großen Ehrungen begangen wurde. Im heutigen Frei- 1530er- Jahren. wo sich entscheidende Trotz der Übersiedlung nach Wittenberg 1511 staat Thüringen spielt Luther als identitätsstiftende sollte Thüringen im Fokus von Luthers weltgeschicht- und tourismusfördernde historische Persönlichkeit 1483 zog Hans Luder nach , um sich als Momente seines Leben lichem Wirken bleiben. Nach dem Beginn der Refor- nach wie vor eine wichtige Rolle. Bergmann im mansfeldischen Kupferbergbau zu ver- mation 1517 und der Reichsacht durch Kaiser Karl V. dingen. Hier wurde Martin Luther am 10. November abgespielt haben. wurde die Wartburg 1521/22 für Luther zur Zuflucht, 1483 geboren. Dass er später zu einer weltgeschicht- wobei er das Neue Testament ins Deutsche über- lebensstationen und lichen Persönlichkeit werden konnte, verdankte er setzte. Luther besaß mit dem Kurfürsten von Sach- erinnerungsorte dem beruflichen Aufstieg seines Vaters. Seit 1484 in sen, der auch über thüringische Territorien herrschte, ansässig, brachte dieser es bis zum wohl- einen wichtigen Förderer und Schutzherrn. Im „Kern- och immer leben Verwandte Martin Luthers in habenden Grubenteilhaber und Bürger. Große Pläne land der Reformation“, wo sich 1531 protestantische Nund um Möhra südlich von Eisenach, wo des- verband Hans Luder mit der Schulbildung seines Reichsstände zum Schmalkaldischen Bund zusam- sen Familie seit dem 14. Jahrhundert nachweisbar ist. Sohnes. Nach der Lateinschule in Mansfeld und der menschlossen, gelang es der neuen Konfession, Sein Vater Hans Luder (erst Martin änderte 1517 die Domschule in besuchte Luther von 1497 sich rasch zu etablieren. Das evangelische Landes- Schreibweise in Luther um) war dort als ältester Sohn bis 1501 die Pfarrschule St. Georg in Eisenach. Auf- kirchenwesen wurde ein Grundpfeiler neuzeitlicher eines Bauern aufgewachsen. Bis ins Geburtsjahr des nahme fand er bei Verwandten der Mutter, den ange- Staatlichkeit. späteren Reformators 1483 wohnte er gemeinsam sehenen Patriziern Heinrich (oder Hans) Schalbe und mit seiner Frau Margarethe im „Luther-Stammort“. Konrad Cotta. Seit 1498 lebte Luther im Cottaschen Diese entstammte der angesehenen Bürgerfami- Haus, dem heutigen Lutherhaus. In diesen Bürger- lie Lindemann aus Eisenach. In dem zur Gemeinde kreisen wurde eine zeittypische Laienfrömmigkeit Moorgrund gehörenden Dorf erinnert heute das ver- gepflegt, die in freier Anlehnung an die Bettelorden mutliche Elternhaus an die historische Verbindung nach gottgefälligem Leben strebte. Luther sollte zu Luther. Dieser hatte am 4. Mai 1521 auf der Rück- seine „liebe Stadt“ Eisenach, wo er mit eigenen Wor-

20 steffen raßloff lutherland thüringen 21 che Druckereien befanden sich im „lateinischen Vier- tel“. Im Collegium maius war auch die Philosophische Fakultät untergebracht, mit der das Studium begann, ten „vier Jahre lang den Wissenschaften oblag“ und der pulsierenden Metropole, mit fast 20.000 Ein- ehe man eine der drei höheren Fakultäten (Recht, Kreuzgang im Augustinerkloster zu Erfurt sich „fast meine ganze Verwandtschaft“ befand, wohnern eine der größten Städte des Reiches. Neben Medizin, Theologie) besuchen konnte. Luther schloss neben dem Wartburgaufenthalt 1521/22 noch zwei- Erfurt nähmen sich alle übrigen Universitäten wie jenes Grundstudium der sieben Freien Künste mal 1529 und 1540 besuchen. Mit ihren Erinne- „kleine (ABC-)Schützenschulen“ aus, so Luther. Beim 1505 erfolgreich als Magister Artium (= Meister der rungsorten, voran dem zum modernen Museum aus- Eintrag in die Matrikel 1501 wehte „Martinus Lud- Künste) ab. Sein ganzes Leben lang behielt er eine gebauten Lutherhaus, steht die Landgrafenstadt am her ex Mansfeldt“ im Collegium maius, dem Hauptge- enge Beziehung zu Erfurt und bekannte: „Die Erfurter Fuße der Wartburg für Luthers Schulzeit und seine bäude der Universität, bereits der Geist von gut hun- Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.“ familiären Bande in Thüringen. dert Jahren Geschichte an. Die Hierana (= Universität an der Gera) galt zu jener Zeit als eine der angese- Das anschließende Jurastudium, Voraussetzung Die entscheidende geistige Prägephase durch- hensten Hochschulen Mitteleuropas und hatte 1379 für den vorgezeichneten Karriereweg, brach Luther lebte Martin Luther in Erfurt. Hier sollte er an der als erste im heutigen Deutschland ein Gründungs- nach seinem sagenumwobenen „Gewittererlebnis“ Universität das Rüstzeug für eine glanzvolle Karriere privileg erhalten. Luthers „Studentenwohnheim“, die jedoch ab. Auf dem Heimweg von den Eltern in Mans- erwerben, am besten an einem Fürstenhof. Der junge Georgenburse, sowie die meisten Bursen, Kollegien, feld ereilte ihn am 2. Juli 1505 nahe dem heutigen Mann war beeindruckt vom regen geistigen Leben die Universitätskirche (Michaeliskirche) und zahlrei- Erfurter Vorort Stotternheim ein Unwetter, wobei er in größter Not geschworen haben soll: „Hilf du, Hei- lige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Dies ist als ent- scheidender biographischer Wendepunkt, als „Wer- „Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der depunkt der Reformation“ eingestuft worden. Aus dem lebenslustigen Jurastudenten wurde der ver- scheidung gegen den Willen von Eltern und Freun- ich alles verdanke.“ MARTIN LUTHER zweifelt um sein Seelenheil ringende Mönch. Heute den geführt haben. Am 17. Juli 1505 trat Luther in das geht man von einem längeren Prozess und einem Erfurter Augustinerkloster ein. Bis 1511 sollte er sich Bündel verschiedener Motive aus, die zu jener Ent- hier der strengsten „Möncherei“ unterwerfen und mit der Frage kämpfen, wie er zu einem gnädigen Gott kommen könne. 1507 erfolgte die Priesterweihe im Dom St. Marien, zugleich nahm Luther das Theolo- giestudium auf, das er 1512 in Wittenberg mit der Doktor-Promotion abschloss. 1510/11 führte eine Ordensangelegenheit den Erfurter Augustinermönch zum einzigen Mal an den Sitz des Papstes nach Rom.

Erfurt darf also neben Wittenberg und der Wart- burg als wichtigster Lutherort gelten, in dessen historischer Altstadt sich noch viele Spuren des „wer- denden Reformators“ finden. Hier stehen das Haupt- gebäude seiner Universität, heute Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, die Georgenburse mit Gedenkstätte und Pilgerherberge sowie das Augustinerkloster, eine renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte mit Ausstellung samt Lutherzelle und historischer Bibliothek. Zu die- sen herausragenden Erinnerungsorten kommen wei- tere hinzu, wie Dom, Kaufmannskirche, Michaeliskir- che, Barfüßerkirche oder Gasthaus „Zur Hohen Lilie“.

Ansicht der Stadt Erfurt in Hartmann Schedels „Weltchronik“ von 1493

22 steffen raßloff lutherland thüringen 23 Landgrafenzeit, symbolisiert im „Sängerkrieg auf der Die Verfestigung des protestantischen Bündnis- Wartburg“ (1206/07), an die Heilige Elisabeth von ses wie auch dessen Niederlage ist mit dem Namen Thüringen (1207-1231) und an das Wartburgfest der der Stadt Schmalkalden verbunden. Hier wurde Im Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ wird die Burschenschaften 1817. So hat man die im 19. Jahr- am 27. Februar 1531 der Schmalkaldische Bund authentische Geschichtslandschaft museal gebün- hundert im romantischen Zeitgeist rekonstruierte als Verteidigungsbündnis protestantischer Fürsten delt und Luthers Erfurter Zeit in den Kontext der „Lutherburg“ auch als „deutscheste aller deutschen und Städte unter Führung von Kursachsen und Hes- spätmittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Burgen“ bezeichnet. sen gegründet. Auf den Tagungen in Schmalkalden gestellt. wurde der Bund zu einem bedeutenden Machtfaktor In den Folgejahren sollte sich der reformatorische ausgebaut. Auf der Bundestagung 1537 legte Luther Ab 1511 sollte sich das Leben Luthers und sein Impuls weit über die Ziele Luthers hinaus zu sozia- mit den Schmalkaldischen Artikeln eine wichtige pro- Wirken als Reformator eng mit der kursächsischen len Bewegungen ausweiten, gipfelnd im Bauernkrieg testantische Bekenntnisschrift vor. Luther blieb es Residenz- und Universitätsstadt Wittenberg ver- 1524/25. Thüringen wurde unter der Führung Tho- binden. Seine theologischen Ansichten zielten mas Müntzers (1489-1525), ursprünglich Mitstrei- dabei zunächst keineswegs auf den Bruch mit Rom ter Luthers, zu einem Zentrum der Bauernaufstände. und eine neue Kirche. Sie lassen sich im Kern auf Zentrale Erinnerungsorte sind Mühlhausen, wo sich Insignien der Universität Erfurt die Erkenntnis zurückführen, dass der Mensch nur der radikale Theologe Müntzer 1524 niedergelas- im Stadtmuseum Erfurt durch den Glauben an einen gnädigen Gott und nicht sen hatte, und Bad Frankenhausen, wo am 15. Mai durch kirchliche Vermittlung oder gute Taten Erlö- 1525 die Entscheidungsschlacht gegen die Bauern sung erlange. „Gerecht“ werde er allein durch Jesus stattfand. Luther begrüßte die blutige Niederschla- Christus (solus Christus), die Heilige Schrift (sola gung des Aufstandes durch die fürstliche Obrigkeit. scriptura), die Gnade (sola gratia) und den Glauben Zugleich konnte keine Einigung zwischen protestan- (sola fide). Dies mündete in die Reformation, wobei tischen und katholischen Reichsständen erreicht Thüringen wurde die ausufernde kirchliche Praxis des Ablasshandels werden. Die Protestanten, so genannt nach der Pro- den Auslöser bildete. Luther fasste nach dem legen- testation (= Protestschreiben) auf dem Reichstag zu unter der Führung dären Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 seine Speyer 1529, besaßen weiterhin keine Rechtssicher- Theologie in eine Reihe von Schriften, wobei ihm heit. Ihr neues, von Luthers Weggefährten Philipp Thomas Müntzers, die moderne Technik des Buch- und Flugblattdru- Melanchthon (1497-1560) verfasstes Glaubensbe- ckes bei der raschen Verbreitung zugutekam. Nach kenntnis, das Augsburgische Bekenntnis (Confessio Das Thomas-Müntzer- ursprünglich der Exkommunikation durch Papst Leo X. weigerte er Augustana), wurde von Kaiser Karl V. nicht anerkannt. Denkmal steht an sich auch vor Kaiser Karl V. auf dem Wormser Reichs- Der noch immer geächtete Luther hatte die Verhand- der Stadtmauer in Mitstreiter Luthers, tag 1521 zu widerrufen, worauf die Reichsacht über lung auf dem Augsburger Reichstag 1530 von Coburg Mühlhausen ihn verhängt wurde. aus verfolgt, dem südlichsten Vorposten des Kurfürs- zu einem Zentrum der Luther besaß in seinem wettinischen Landesherrn tentums Sachsen. Altstadt Schmalkalden Bauernaufstände. Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen (1486- mit Stadtkirche 1525) jedoch einen umsichtigen Beschützer. Er ließ St. Georg den Mönch und Professor am 4. Mai 1521 unweit der Burg Altenstein bei zum Schein entführen und auf die Wartburg bringen. Für zehn Monate lebte Luther als Junker Jörg auf dem einstigen Sitz der Landgrafen von Thüringen, deren Erbe die Wettiner 1247/64 angetreten hatten. Er nutzte die Zeit für die Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche, dem 1534 die vollständige „Lutherbibel“ folgte. Hiermit legte Luther eine weitere wesentliche Grundlage für die Ausbreitung des protestantischen Glaubens. Darüber hinaus wird der sprachgewalti- gen und volksnahen Bibelübersetzung eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung einer neuhochdeutschen Schriftsprache zugeschrieben. Die heute zum Welt- kulturerbe zählende Wartburg verdankt ihren Ruf als nationaler Symbolort freilich nicht Luther allein, sondern ihrer erinnerungskulturellen Vielschichtig- keit. Hinzu kommen das Andenken an die glanzvolle

24 steffen raßloff lutherland thüringen 25 Martin Luthers Arbeitsplatz in der Burgvogtei der Wartburg: Durch römisch-katholische Intoleranz „vogelfrei“ und kurfürstliche Schein- gefangennahme „untergetaucht“ konnte er hier die Bibel übersetzen.

Chorraum in der Schlosskirche Altenburg (rechts)

Im „Kernland der Reformation“ konnte sich unter Ausnahme der kurmainzischen Gebiete die neue Konfession rasch durchsetzen.

durch seinen Tod in Eisleben am 18. Februar 1546 luther-rezeption erspart, die Niederlage und Auflösung des Bundes im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 mitzuerleben. Kur- m „Kernland der Reformation“ konnte sich unter fürst Johann Friedrich der Großmütige (1532-1547) IAusnahme der kurmainzischen Gebiete mit dem verblieb bis 1552 in kaiserlicher Gefangenschaft. Er konfessionell gespaltenen Erfurt und dem katholi- herrschte danach als Herzog von Sachsen in Weimar schen Eichsfeld die neue Konfession rasch durchset- über die thüringischen Gebiete, während Wittenberg zen. In Form des Landeskirchenwesens mit den Fürs- und die Kurfürstenwürde an die albertinische Linie ten als Landesbischöfen wurde der Protestantismus der Wettiner im heutigen Sachsen ging. Mit nach zu einem Grundpfeiler neuzeitlicher Staatlichkeit. Weimar um zog auch Hofmaler Lucas Cranach d. Ä. Parallel hierzu entfaltete sich ein wahrer Kult um den (1472-1553), der bedeutendste Renaissancekünst- Reformator. Zentrale Erinnerungsorte wie das Augus- ler an der Seite Luthers, woran das Cranachhaus am tinerkloster in Erfurt oder die Wartburg mit ihrer Markt erinnert. Luther hatte mehrfach in der thüringi- Lutherstube erlangten geradezu den Status von Wall- schen Hauptresidenz der Wettiner geweilt, in der sich fahrtsorten. Zugleich fand die Theologie und Luther- mit dem Dreiflügelaltar von Cranach (1552/55) in der forschung in Thüringen eine wichtige Heimstatt. An Herderkirche eine der eindrucksvollsten bildlichen der Universität Jena, über Jahrhunderte Hüterin des Darstellungen der lutherischen Theologie findet. lutherischen Erbes und Ausbildungsstätte evange- Zu den genannten Erinnerungsorten kommt eine lischer Geistlicher, findet sich eine der bedeutends- Reihe hinzu, zumal Luther auf seinen Reisen viel in ten Schriftensammlungen der Reformationszeit. Von Thüringen unterwegs war und an zahlreichen Kir- 1883 bis 2009 erschien die maßgebliche „Weimarer chen predigte. In Jena, Sitz der späteren wettinischen Ausgabe“ aller Werke Luthers. Landesuniversität im kleinstaatlichen Thüringen (1548/58), findet sich in der Stadtkirche St. Michael Im 19. Jahrhundert erreichte der nationalprotes- die Grabplatte Luthers. Diese war ursprünglich für tantische Lutherkult seinen Höhepunkt. Begin- Wittenberg geplant, das hölzerne Modell hängt in nend mit dem Wartburgfest der Burschenschaften der Erfurter Andreaskirche. Georg Spalatin (1484- 1817 bildeten besonders die großen Jubiläen 1830, 1545), enger Vertrauter Luthers und des Kurfürsten 1846 und 1883 den Anlass, Luther als nationale Hel- Friedrich, wirkte ab 1525 in Altenburg als einer der denfigur zu feiern. Dies prägte auch die Denkmal- ersten Superintendenten am praktischen Aufbau der landschaft. Denkmale in Möhra (1861), Erfurt (1889) evangelischen Kirche. Freunde Luthers und aktive und Eisenach (1895) zeigen einen in bronzener Uner- Beförderer der Reformation waren in vielen Orten schütterlichkeit stehenden Luther mit der Bibel in Thüringens aktiv. der Hand. Der Gedenkstein bei Stotternheim (1917)

26 steffen raßloff lutherland thüringen 27 Landesbischof Werner Leich und SED-Generalsekretär Erich Honecker (vorne links) bei der Einweihung des neuen Wartburg-Museums am 21. April 1983

weist auf den „Werdepunkt der Reformation“ hin. Im lichen Revolution, 1989 in dem imposanten Panora- die zugleich für den Tourismusstandort hohe Bedeu- Luthergrund bei Steinbach markiert neben Luther- magemälde von Werner Tübke auf dem Schlachtberg tung besitzen. Dieses Erbe gilt es gerade während born und Lutherbuche seit 1857 ein Obelisk den Ort bei Bad Frankenhausen. der „Lutherdekade“ bis zum 500. Reformationsjubi- der Scheinentführung auf die Wartburg; in Tambach- läum 2017 auf der Grundlage eines zeitgemäßen, dif- Dietharz erinnert der Lutherbrunnen an die Erlösung Nach der Friedlichen Revolution und deutschen ferenzierten Lutherbildes zu pflegen. Luthers von einem lebensgefährlichen Harnstein- Wiedervereinigung 1989/90 sollte Luther im Frei- leiden auf dem Rückweg von Schmalkalden 1537. staat Thüringen wieder zu den wichtigsten identitäts- Hinzu kommen zahllose Gedenktafeln, Straßenna- stiftenden historischen Persönlichkeiten zählen. Er men, Luthereichen usw. Eine nochmalige Steigerung steht am Beginn der im kollektiven Gedächtnis fest Autor Dr. Steffen Raßloff erfuhr die nationalistische Akzentuierung des Luth- verankerten frühneuzeitlichen Kulturlandschaft zwi- arbeitet als Historiker, Publizist erbildes mit dem Ersten Weltkrieg 1914/18, in den schen Reformation und Klassik, die das Bild vom und Kurator in Erfurt das Reformationsjubiläum 1917 fiel. Das Dritte Reich „Kulturland Thüringen“ maßgeblich prägt. Das Land 1933-1945 griff die antijüdischen Schriften Luthers Luthers, Bachs und Goethes definiert sich in starkem auf, der so als Kronzeuge für den Antisemitismus Maße über seine kulturgeschichtlichen Traditionen, missbraucht wurde. Hieran hatten auch die in Thürin- gen stark vertretenen Deutschen Christen (DC) Anteil, die dem Nationalsozialismus nahe stehende Strö- mung des Protestantismus. Lutherdenkmal vor der Kaufmannskirche in Erfurt In der DDR-Zeit führte die Staatspartei SED beson- ders in den 1950er Jahren einen heftigen Kampf Das Land Elisabeths, gegen die evangelische Kirche. Hiermit korrespondie- rend stigmatisierte man Luther als „Bauernschläch- Luthers, Bachs und ter“ und „Fürstenknecht“, während Thomas Müntzer zur Heldenfigur aufrückte. Doch allmählich hellte sich Goethes definiert sich in das Bild auf, was erstmals 1967 anlässlich des 450. Reformationsjubiläums spürbar wurde. 1983 kulmi- starkem Maße über seine nierte dies in einer großen Lutherehrung zu dessen 500. Geburtstag. SED-Generalsekretär Erich Hone- kulturgeschichtlichen cker erklärte Luther zu „einem der größten Söhne des deutschen Volkes“. Das stand auch im Zusam- Traditionen, die menhang mit der neuen Kirchenpolitik seit 1978, die zugleich für den auf ein harmonischeres Verhältnis zielte. Während der aufwändigen Ehrungen 1983, für die erhebli- Tourismusstandort hohe che Sanierungsanstrengungen unternommen wor- den waren, gehörten die Wartburg und Erfurt zu den Bedeutung besitzen. Schwerpunkten. Am 21. April wurde die Wiederer- öffnung des Wartburg-Museums gefeiert, am 4. Mai folgte der kirchliche „Luthertag auf der Wartburg“ mit live im DDR-Fernsehen übertragenem Gottesdienst. Die Rekonstruktion des Erfurter Augustinerklos- ters durch die Kirche gehört zu den nachhaltigsten Erträgen des Lutherjahres 1983. Ihren Höhepunkt fand die staatliche Erinnerung an Reformation und Bauernkrieg, von der DDR-Geschichtswissenschaft zusammengefasst unter dem Begriff der Frühbürger-

28 steffen raßloff lutherland thüringen 29 Der Reformator fordert zu geistes­ geschichtlichen Spurensuchen heraus: Was ist die Theo-Logik seiner Beziehung zur Heiligen Elisabeth oder zu Thomas Müntzer? Was bewirkte seine Bibelüber- setzung auf der Wartburg? Was zeichnet Luthers Verhältnis zur Politik aus?

Wartburg bei Eisenach

In ihrem Inneren: Farbenprächtige Mosaiken in der Elisabeth- Kemenate

30 thomas a. seidel lutherland thüringen 31 dehnte Skepsis gegenüber allen Formen menschli- cher „Selbst-Heiligung“. Sich durch fromme Übung oder Leistung „gottgefällig“ zu erweisen, hielt er für unnütz oder sogar „gottlos“. THOMAS A. SEIDEL Die in der mittelalterlichen Frömmigkeit weit ver- breitete Anbetung der Heiligen lehnte er gleichfalls ab. Allerdings war es (im Unterschied zu heutiger protestantischer Praxis) keineswegs die Absicht der Theologische Reformatoren, das Heiligen-Gedenken gänzlich zu beseitigen. Vielmehr sollten evangelische Christen, gemäß dem Augsburger Bekenntnis von 1530 (CA, Miniaturen Artikel 21), „[…] der Heiligen gedenken, damit wir unse- ren Glauben stärken, wenn wir sehen, wie ihnen Heilige Gnade widerfahren und auch wie ihnen durch Elisabeth den Glauben geholfen wurde. Außerdem soll man auf der luther und elisabeth Diese Glaubens-Zeugin des Hochmittelalters war für sich an ihren guten Werken ein Beispiel nehmen.“ Wartburg Luther ein Musterbeispiel christlichen Regierungs- ie eindrucksvolle Burganlage über der Luther- handelns. In einer Predigt des Jahres 1530 stellte er Ob Luther während seiner arbeits- und erkenntnis- Dund Bachstadt Eisenach gilt als einer der „deut- das vorbildliche Handeln dieser Aristokratin seinen reichen Monate auf der Wartburg jener um dreihun- heute Verwunderung und Staunen weckt, und (hof- schesten“ aller deutschen Symbolorte. Diese „feste Zeitgenossen lobend vor Augen: dert Jahre zuvor dort lebenden Burgbewohnerin fentlich) fröhliche Nachahmung findet. Nicht morali- Burg“ hat den in Schutzhaft befindlichen Martin gedanklich und geistlich näher gekommen ist, wis- sche oder ethische Anstrengung, sondern tatkräftige Luther wohl zu einem seiner bekanntesten Lieder ani- „Aber wenn ein Fürst oder Fürstin einmal in ein sen wir nicht. Die Vorbildhaftigkeit ihres Lebens hat Mystik – diese Haltung verband und verbindet diese miert. „Ein feste Burg ist unser Gott, ein' gute Wehr Spital ginge und diente da den Armen und wüsche er bereits 1516 betont. Im Laufe dieses Jahres hatte beiden Thüringer Zeugen des Evangeliums, trotz aller und Waffen…“ wurde zur Hymne des Protestantismus. ihnen die Füße etc., wie man von der Heiligen Eli- er sich intensiv mit dem deutschen Mystiker Johan- Unterschiedlichkeit. Die thematische Trias Wartburg-Luther-Bibel ist für sabeth liest, oh das wäre ein trefflich Ding.“ nes Tauler (ca. 1300-1361) auseinander gesetzt. diese Burg sprichwörtlich. Im Nachdenken über eine Predigt Taulers schlug er Dabei gerät eine andere Wartburg-Bewohnerin Was trennt, was verbindet Elisabeth und Luther? Man eine bemerkenswerte Brücke zu Elisabeth: luther und die bibel und für die Geschichte des Christentums gleichfalls könnte annehmen, dass Luther, der die Heiligen-Vita wichtige Symbolfigur leicht ein wenig ins Hintertref- der ungarischen Königstochter und Thüringer Land- „Nicht allein die Süße des Fleisches muss man n den konfessionellen Auseinandersetzungen (ins- fen. Auch die Heilige Elisabeth von Thüringen ist – gräfin gut kannte, die Radikalität ihrer Weltentsa- ausrotten, sondern auch die des Geistes wie Ibesondere) des 19. Jahrhunderts wurde den Pro- bei aller Unterschiedlichkeit der beiden Menschen – gung und ihres caritativen Engagements unter den Gelübde, Neigungen, Tröstungen und die Gesell- testanten vorgeworfen, für sie sei die Bibel der Papst eine in ihrer Zeit und in der Überlieferung wirkmäch- Verdacht der „Werkgerechtigkeit “ stellte. Gemeint ist schaft guter Menschen. So wurde uns anderen in Papierform. Dieser Vorwurf ist nicht ganz falsch. Er tige „Zeugin des Evangeliums“, wie der Reformator. damit Luthers überdeutliche und gelegentlich über- die Heilige Elisabeth ein Vorbild.“ wurde und wird von vielen Evangelischen bis heute eher als Kompliment denn als Kritik aufgenommen. Bei aller „Werkgerechtigkeitsskepsis“ scheint jene Mit einem gewissen Stolz wird dann regelmäßig dar- mystisch-spirituelle Radikalität dem Augustiner- auf verwiesen, dass für Martin Luther nicht die Auto- mönch also weder unbekannt noch gänzlich unsym- rität des Papstes und die kirchliche Überlieferung, pathisch gewesen zu sein. Ähnlich wie die fromme sondern das biblische Wort selbst die existenzielle und tatkräftige Mystikerin Elisabeth erkannte und Grundlage und theologische Mitte aller seiner Über- erlebte der fromme und tatkräftige Luther, dass der legungen bildete. Damit evangelisches Selbstbe- Weg zu Gott und zu den Menschen über die Einhe- wusstsein nicht in anti-katholische Überheblichkeit gung und Umwandlung des eigenen Ego führt. „Sola umschlägt, muss darauf hingewiesen werden, dass fide“, „allein aus Glauben“, war ein Slogan der Refor- dies selbstverständlich auch für die katholische Theo- mation. Beide, Luther und Elisabeth, nahmen die logie galt und gilt. Allerdings scheiterten nicht wenige Bitte des Christus-Gebetes, des Vaterunsers: „dein „vor-lutherische“ Reformansätze – wie beispielsweise Elisabeth- Wille geschehe“, tot- und lebensernst. Beide schöpf- die des Papstlegaten Nikolaus von Kues (1401-1464) Triptychon, ten daraus, offenbar auch in schwierigen Lebens- – an der Reformunwilligkeit und erschreckenden Kor- Wartburg phasen, eine Heiterkeit und Gelassenheit, die bis ruption der römischen Kurie. Eisenach

32 thomas a. seidel lutherland thüringen 33 Bauernkriegs- museum in der Kornmarktkirche Luther nahm die vorhandene Papst- und Kirchen- mit der Übersetzung (zunächst) des Neuen Testa- „Wer dies tut, der wird gelehrter und besser aus Mühlhausen kritik auf und spitze sie radikal zu. Der Papst war der mentes, um allen Deutschen, die des Lesens mächtig der Schrift. Wer es nicht tut, der lernt nichts, ja, „Antichrist“, die (willentliche oder unwillentliche) Per- waren, diesen „Ganzkörpervorgang“ der Bibel-Anei- er wird ärger daraus; denn reine Tiere käuen wie- sonifizierung der „widergöttlichen Mächte“, und als gung zu ermöglichen. Jeder Christenmensch – unab- der. Wiederkäuen aber heißt, Gottes Wort mit solcher blockierte er gewissermaßen die theologisch- hängig von seiner Herkunft und also nicht wie bisher rechtem Ernst annehmen, es zu Herzen fassen, spirituelle Kommunikation. Er stand – für Luther und in erster Linie Aristokraten und Gelehrte, Priester und Liebe und Lust dazu haben, fleißig betrachten alle seine Weggefährten und Unterstützer ganz offen- Mönche oder Nonnen – sollte in der Lage sein, sich und fest daran halten.“ sichtlich – in „unheiliger Allianz“ mit dem Kaiser und unmittelbar von „Gottes Wort“ ansprechen zu las- der Verkündigung der „frohen Botschaft“ im Wege. sen. Dieses „Wort“, griechisch: dieser „Logos“, diese Dass Luther an der Lesbarkeit und Allgemeinver- Auch deswegen musste die Bibel, die „Heilige „ewige, göttliche Logik“ ist – davon war Luther zutiefst ständlichkeit seiner Bibelübertragung ein sehr gro- Schrift“ – im Zusammenhang der menschlichen Ver- überzeugt – in die Texte der Bibel in verborgener wie ßes Interesse hatte, ergibt sich darüberhinaus aus nunft – rasch und entschieden als alleiniges Kriterium offen ersichtlicher Weise „eingemischt“. der „Zielgruppendefinition“ der Texte selbst. So, wie für die Institution Kirche und ihre geistigen Begrün- der Engel in der Weihnachtsgeschichte (Lukas-Evan- luther und müntzer dungsformen gesetzt und gewichtet werden. „Sola „Wer die Schrift lernen will, der soll sie verstehen gelium 2, 10) dies ansagt: „Siehe, ich verkündige scriptura“, „allein die Schrift“, lautete einer der zen- (...). Denn du liest nicht eines Menschen, sondern euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ n den Auseinandersetzungen um die Bauernauf- tralen Slogans der Reformation. So war es nur folge- Gottes, des Allerhöchsten Wort. Der will Schü- Für ein gelingendes Dolmetschen sei es darum uner- Istände des Jahres 1525 tritt bei Martin Luther eine richtig, dass Luther sich daran machte, das „Buch der ler haben, die fleißig darauf achten und mer- lässlich, „dem Volk aufs Maul zu schauen“. Aus die- Haltung zutage, die man Antifundamentalismus nen- Bücher“ aus den Ursprachen dem Griechischen (für ken, was er sagt. Und so wie es zutreffend gere- sem Grunde wählte Luther kein Schriftdeutsch, son- nen könnte. Dieser speist sich wohl einerseits aus das Neue Testament) und dem Hebräischen (für das det ist, man solle Fürstenbriefe deshalb dreimal dern ein mündliches, gesprochenes Deutsch. Bis einem tiefsitzenden Schrecken über den „Volkszorn“, Alte Testament) beziehungsweise aus der im Mittelal- lesen, damit sie bedächtig reden und nicht für heute ist die Sprachgewalt und poetische Ausdrucks- den er als junger Student in Erfurt beim so genannten ter gebräuchlichen lateinischen Übersetzung beider Narren gehalten werden, um wie viel mehr soll kraft dieses Textes unübertroffen. Aufstand der Fischfrauen mit Entsetzen erlebte. Zum Textteile, der Vulgata, ins Deutsche zu übertragen. man Gottes Briefe, das heißt die Heilige Schrift, Zugleich konnten mit dem „Luther-Deutsch“ die anderen lässt seine gewachsene theologische Über- drei-, vier-, zehn-, hundert-, tausend- und aber- erheblichen Sprachgrenzen überwunden werden, die zeugung, die er erstmals eindrucksvoll in den refor- „Wenn doch jede Stadt ihren eigenen Dolmet- tausendmal lesen. Denn er redet bedächtig und es zu jener Zeit im deutschen Sprachraum gab. Die matorischen Hauptschriften des Jahres 1520 formu- scher hätte und dies Buch allein in aller Zunge, wichtig, ja, er ist die ewige Weisheit selbst.“ erste, komplette Bibel-Ausgabe, die Luther gemein- liert hat („An den christlichen Adel deutscher Nation Hand, Augen, Ohren und Herzen wäre!“ sam mit Philipp Melanchthon erarbeitete, wurde bald von des christlichen Standes Besserung“, „Von der Ganz im Sinne der sinnlich-körperlichen Schriftbezo- nach ihrem Erscheinen 1534 zum absoluten Bestsel- Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, „Von der Die Monate seines unfreiwilligen Asyls auf der Wart- genheit der jüdischen Schwester-Religion lädt Luther ler. Der Grundstock für unser Hochdeutsch war gelegt, Freiheit eines Christenmenschen“), eine fundamenta- burg im Jahr 1521 nutzte er intensiv und erfolgreich zu täglicher „Einverleibung“ der heiligen Texte ein. mit weitreichenden Folgen für Wirtschaft und Wis- listische Deutung oder gar gewalttätige Umsetzung senschaft, Kunst und Kultur, Handel und Wandel. Die der christlichen Botschaft nicht zu. technische Grundlage für diesen Innovationsschub Hier liegt sozusagen der grundlegende Unter- auf nahezu allen gesellschaftlichen und kirchlichen schied zu den so genannten „Schwärmern“. Obgleich Historische Feldern bildete die von Johannes Gutenberg revoluti- Luther die Hartherzigkeit und Ungerechtigkeit der Luther-Bibel onierte Technik des Buchdrucks mit der Erfindung von Fürsten scharf kritisiert und die Berechtigung der auf der Wartburg beweglichen Metall-Lettern und der Druckerpresse. Anliegen der Bauern durchaus anerkennt, lehnt er Die Luther-Bibel hat seit dem 16. Jahrhundert Revolte und Gewalt ab: etliche Überarbeitungen erfahren. Sie ist nach wie vor – neben der reformierten „Zürcher Bibel“ – die „Dass die Obrigkeit böse und ungerecht ist, ent- offizielle Bibelausgabe für die evangelischen Kir- schuldigt kein Zusammenrotten und keinen chen weltweit und Grundlage für zahlreiche wei- Aufruhr.“ tere Übersetzungen. Gegenwärtig ist die Bibel ganz oder in Teilen in ca. 2400 Sprachen übertragen. Mit unerbittlicher Härte wendet er sich gegen die Vor- Die heute gültige deutsche Luther-Version ist der stellungen der „Schwärmer“, der Utopisten um Tho- „Bibeltext in revidierter Fassung von 1984“, der vor- mas Müntzer, die die Ordnungsgewalt des Staates aussichtlich im 500. Jubiläumsjahr des Wittenber- einerseits kritisieren oder aber für den eigenen „heili- ger Thesenanschlags 2017 eine weitere Überarbei- gen Krieg“ gewinnen wollen. Luther ist dieser fromme tung erfahren wird. Überschwang suspekt, mit dem alles Unrecht und Elend der Welt beseitigt und das „Reich Gottes“ mit Gewalt herbeigezwungen werden soll. Er hält ihnen warnend vor Augen, dass sie damit das Evange-

34 thomas a. seidel lutherland thüringen 35 „Wo weltliche Gewalt sich vermisst, der Seele „Darum muss man die beiden Regimente sorgfäl- Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regi- tig voneinander unterscheiden und beide blei- ment und verfährt und verdirbt die Seelen.“ ben lassen: eins, das fromm macht, das andere, lium funktionalisieren und zu einem innerweltlichen das äußerlich Frieden schafft und bösen Werken Heilsprojekt „um-müntzen“. Damit – wie er meint – Dieser Keim heutiger Glaubens- und Gewissensfrei- wehrt.“ die Welt nicht ins Chaos stürzt, ermuntert er die Fürs- heit drohte in den schrecklichen Religionskriegen ten zum militärischen Vorgehen „wider die räuberi- des 17. Jahrhunderts zu ersticken. Über die europäi- Luthers „Lehre von den beiden Regimenten“ (fälsch- schen und mörderischen Rotten der Bauern“. Tau- sche Aufklärung, die in Deutschland maßgeblich von licherweise „Zwei-Reiche-Lehre“ genannt), mit der er sende Aufständische bezahlen ihren Widerstand mit Thomas Müntzer auf dem evangelischen Theologen und Philosophen geprägt Überlegungen des großen Theologen und Kirchen- dem Leben. 5-Mark-Schein der DDR wurde, fand diese doppelte Herrschaftskritik in der vaters Augustinus aufnimmt, ist häufig missverstan- Trennung von Staat und Kirche auf der einen und mit den worden. Sie wurde eng geführt darauf, als seien „Wenn nun jemand die Welt nach dem Evangelium der Gewährung der Religionsfreiheit auf der anderen die Welt der Kirche und die Welt der Politik zwei völlig regieren und alles weltliche Recht und Schwert Seite Eingang in modernes Recht und gesellschafts- zu trennende Bereiche, die sich wechselseitig mög- aufheben und vorgeben wollte, sie wären alle politische Praxis. lichst nicht stören sollten. Luther geht es allerdings getauft und Christen, unter denen das Evange- Von Martin Luther kann man so auch die Kunst weniger um eine harte Abgrenzung von Institutionen. lium kein Recht noch Schwert haben will, […] des Unterscheidens lernen. Diese Kulturtechnik steht Er fragt danach: Was ist die Aufgabe des Staates, der was würde derselbe machen? Er würde den wil- heute nicht hoch im Kurs. Insbesondere im Raum der Politik? Was ist der spezifische Beitrag des Glaubens, den, bösen Tieren die Bande und Ketten auflö- Politik, und dies nicht selten in (mittel-)deutschen der Kirche? sen, dass sie jedemann zerrissen und zerbissen, Landen, ist diese Kunst infolge von NS- und SED- Im Zentrum lutherischer Unterscheidungskunst und daneben vorgeben, es wären feine, zahme, luther und die politik Diktatur aus der Übung und auf den Hund gekom- steht die Vorstellung von einem „inneren“ und zutrauliche Tiere. […] So würden die Bösen unter men. Doch auch im bundesrepublikanischen Wes- einem „äußeren“ Menschen. In seiner großartigen dem christlichen Namen die evangelische Frei- n Martin Luther kann man die Praxis einer dop- ten Deutschlands hat im studentisch-revolutionären Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heit mißbrauchen.“ Apelten Herrschaftskritik studieren. Zwei fol- Überschwang der 68er-Generation eine eigentümli- (1520) betont Luther, dass die auf dem spirituellen genschwere Macht-Missverständnisse seiner Zeit che Verwischung der Grenzen von gesellschaftlichem Wege des Glaubens und einer reflektierten Theolo- Luthers Haltung ist in ihrer Schonungslosigkeit und nimmt er scharf aufs Korn: die überbordende welt- Traum und politischer Wirklichkeit Platz gegriffen. gie gewonnene „innere“ Freiheit die unabdingbare, Aggressivität mitunter nur schwer erträglich. Gleich- liche Macht geistlicher Würdenträger auf der einen Diese Unentschiedenheit bildet den grummeln- vitale Voraussetzung für die Freiheit im „Äußeren“, wohl ermöglicht sein skeptischer Blick auf den Men- und die Anmaßung weltlicher Machthaber, in Fragen den Untergrund für ein doppeltes Dilemma, das sich im weltlichen Leben bildet. Innere Freiheit ermög- schen eine politische Ethik, die weder den Bereich des Glaubens einzugreifen, auf der anderen Seite. in Umfrageergebnissen wiederspiegelt: Aggressive licht äußere Freiheit. Beide Freiheiten bilden die der Politik, noch den Öffentlichkeitsauftrag der Kir- In seiner so genannten Obrigkeitsschrift von 1523 Politikerschelte auf der einen und überbordende Grundlage dafür, dass sich mürrische Untertanen in che und auch nicht das Gewissen des einzelnen („Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehor- Sehnsucht nach dem „Vater Staat“ auf der anderen mündige Bürger verwandeln. Und mit dieser Kunst Menschen überdehnt. Luther lehrt uns einen nüch- sam schuldig sei“) versucht er unter Bezugnahme Seite. Einerseits halten viele Menschen „die Politiker“ des Unterscheidens können unterschätzte oder ternen Realismus, der sich in der Kunst des Unter- auf den Apostel Paulus (Römerbrief, Kapitel 13), die für unfähig und korrupt. Anderseits richten dieselben überforderte Politiker geübte und geachtete Meister scheidens übt, ohne jedoch die Sehnsucht nach seiner Überzeugung nach gottgegebene Aufgabe Menschen große Hoffnungen auf Politik und Staat, der Staatskunst werden. Gerechtigkeit, Frieden und Ehrfurcht vor der Schöp- des Staates zu umreißen. Die häufig vorgebrachte „der es doch bitteschön richten möge.“ fung preiszugeben. Kritik „lutherischer Obrigkeitsfixierung“ zahlreicher Protestanten ist dort, wo diese Haltung zu beobach- „Deshalb hat Gott zwei Regimente verordnet: das ten war oder ist, durchaus angebracht. Der Blick in Autor Dr. Thomas A. Seidel ist der geistliche, welches durch den Heiligen Geist Chris- Luthers Text selbst lässt allerdings eine solche Eng- Beauftragte der Thüringer Landes­ ten und fromme Leute macht, unter Christus –, führung nicht zu. regierung zur Vorbereitung des und das weltliche, welches den Unchristen und Mit dem Verweis auf die Bibel kritisiert er die Reformationsjubiläums „Luther 2017“ Bösen wehrt.“ politische, militärische und organisatorisch-äußere Machtausübung der Kurie. Und sieht sich hier durch- Gottvertrauen und Weltverantwortung, spiritu- aus in Übereinstimmung mit seinem inner-reforma- elle Kraft und praktische Vernunft können auf torischen Gegenspieler Thomas Müntzer. Doch im diese Weise für den einzelnen und für das Wohl der Unterschied zu Müntzer beharrt er darauf, dass das Gemeinschaft zur Wirkung gelangen. Gewaltmonopol allein bei den Fürsten liege, also beim Staat. Dieses Gewaltmonopol diene jedoch einzig und allein dem Zweck, äußerlich Frieden zu schaffen und bösen Werken zu wehren. In Fragen des Gewissens und des Glaubens des Einzelnen hat der Staat nichts zu suchen: „Luther – Das Fest“ in Eisenach

36 thomas a. seidel lutherland thüringen 37 Dom St. Marien und St.-Severi-Kirche auf dem Erfurter Domberg

DR. JOACHIM WANKE ist emeritierter katholischer Bischof des Bistums Erfurt

Lutherland Thüringen ist für mich …

Es war ein Zufall, dass ich als schlesi- und werf' all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz/ in Meerestiefen hin.‘ Georg Neumarks … katholisch beten und scher Katholik mit unserer Familie in Thü- Choral ‚Wer nur dem lieben Gott lässt walten‘ in seiner Bachfassung gehört bis heute evangelisch singen lernen. ringen eine neue Heimat fand. Dass die- zu meinen Lieblingsliedern. ses Land eine überwiegend evangeli- Die reformatorische Prägung Thüringens und anderer mitteldeutscher Territorien sche Bevölkerung hatte, damals vor 60 Jahren noch deutlicher als heute, spielte für erfolgte anfänglich sicherlich durch obrigkeitliche Verfügung, dann natürlich auch uns katholische ‚Evakuierte‘ aus dem Osten keine Rolle. Wichtig war vielmehr, unter durch die evangelische Predigt und Katechese, aber am tiefsten ohne Zweifel durch den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit zunächst ein neues ‚Zuhause‘ zu das evangelische Liedgut. Dieses transportierte freilich nicht nur reformatorisches finden. Dazu haben uns viele freundliche Menschen, nicht zuletzt auch evangelische Gedankengut, sondern eben auch den ‚alten‘ Glauben. Ein Beispiel dafür sind etwa Nachbarn und Freunde, geholfen. die von Martin Luther selbst verfassten sechs Zusatzstrophen zu dem mittelalterli- Erst später ist mir bewusst geworden, dass ich als Jugendlicher wie selbstver- chen Weihnachtslied ‚Gelobet seist du, Jesu Christ‘. ständlich in unseren katholischen Gottesdiensten häufig evangelische Kirchenlie- Das evangelische Liedgut, zu dem nicht zuletzt auch eine Reihe Thüringer Dichter der gesungen habe. Die Auswahl der Lieder wurde in der Pfarrgemeinde meiner Kind- beigetragen haben, hat dieses Land nachhaltiger geprägt als wir manchmal meinen. Es heit gottlob nicht nach konfessionellen Gesichtspunkten getroffen, sondern danach, gehört zu dem kostbaren Erbe der Reformation, an dem wir katholischen ‚Beter‘ Anteil ob die Leute ein Lied gern oder weniger gern sangen. Manche dieser Lieder sind mir haben dürfen. Das tiefe Gottvertrauen und die innige Christusfrömmigkeit, die aus sol- durch den Gebrauch in unseren Gottesdiensten zu richtigen ‚Ohrwürmern‘ geworden, chen Liedern spricht, sind konfessionsverbindend. Sich gemeinsam in Gottes Liebe beispielsweise der Choral von Paul Gerhardt ‚Nun danket all und bringet Ehr‘ mit sei- vertiefen und betrachten, was er uns in Christus geschenkt hat – das ist ein Ökumene- ner aufmunternden Strophe: ‚Er gebe uns ein fröhlich Herz,/ erfrische Geist und Sinn/ Programm, das auch heute zukunftsweisend ist, nicht nur im ‚Lutherland Thüringen‘.“

38 joachim wanke lutherland thüringen 39 Die Themenjahre der Reformationsdekade „Luther 2017“ THOMAS A. SEIDEL

Die Reformationsdekade dungen der Reformation, die fest durch die Verbreitung der Luther- Die Reformations- nähert sich in Themen- zum evangelischen Glauben gehö- Bibel eine neue Qualität; Flugblät- jahren dem Reforma- ren; deshalb wird die Reformation ter waren fortan ein Massenme- tionsjubiläum 2017. auch als Singbewegung bezeichnet. dium. Bedeutende Künstler wie Dabei werden inhaltliche Evangelische Kirchenmusik großer Lucas Cranach entwickelten eine dekade „Luther 2017“ Schwerpunkte gesetzt, Musiker von Johann Sebastian Bach neue Wort- und Bildsprache auf die das Ereignis für Men- bis Felix Mendelssohn Bartholdy dem Weg in die Moderne. Innerhalb schen heute erlebbar und erfahrbar wurde von den Kirchen auch in die dieses Themenjahres organisieren in Thüringen machen möchten. Konzertsäle gebracht und prägt die die Stiftung Schloss Friedenstein europäische Musikkultur bis heute. Gotha, die Wartburg Stiftung Eise- Reformation und Bekenntnis nach und die Klassik Stiftung Wei- [2009] Die Reformation verbreitete Reformation und Toleranz mar unter der Überschrift: „Bild und sich über Landesgrenzen hinweg [2013] Wir leben heute in einem Botschaft – Cranach 2015 in Thü- die „lutherdekade“: gefragt: Ist mit der Bezeichnung „Lutherdekade“ und in ganz Europa. In der Schweiz war toleranten Europa, in dem die ringen“ eine Landesausstellung zu ein sprachlicher stolperstein? dem Fokus auf Martin Luther so etwas wie eine alt- sie von Johannes Calvin geprägt, Würde und Meinungsfreiheit jedes Leben und Werk Cranachs d. Ä. und neue Form protestantischer Heiligenverehrung im dem Gründungsvater des reformier- einzelnen Menschen geachtet seiner Söhne. erfen wir zunächst einen Blick zurück, auf den Blick? Oder sollte etwa, ganz im baulichen Duktus ten Protestantismus. Das Refor- wird. Dies war in der europäischen WAnfang der Jubiläumsvorbereitung im Jahre der Wittenberger Schlosskirche, der „teutsche Held“ mationsjubiläum 2017 möchte ein Geschichte nicht immer selbst- Reformation und die eine Welt 2006: Die Anregung zu einer „Dekade“ im Vorfeld des Luther im Sinne einer protestantisch-preußischen Fest aller reformatorischen Kirchen verständlich, die Konfessionskir- [2016] 400 Millionen Protestan- 500. Reformationsjubiläums gab der vormalige Minis- Nationalstaats-Idee wieder „auferstehen“? sein und Menschen aus aller Welt chen haben in ihren Kämpfen auch ten weltweit richten ihren Blick nach terpräsident von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Nachdem sich der Rat der EKD noch einmal bera- ansprechen. schweres Leid hervorgerufen. Die- Deutschland, das Mutterland der Böhmer. Eine zeitlich gestaffelte, sorgfältige Vorbe- ten hat und nachdem die Botschafterin Margot ses Jahr dient dazu, auch diese Reformation. Viele Menschen wer- reitung des feierlichen Gedenkens an jenes Ereig- Käßmann es kategorisch (und – wie ich finde – zu Reformation und Bildung Schattenseiten zu benennen, die den die Orte besuchen, an denen der nis in Wittenberg vom 31. Oktober 1517 sollte auf Recht) abgelehnt hat, als „Luther-Botschafterin“ titu- [2010] Luther prägte die deutsche Lerngeschichte der Kirchen aufzu- Aufbruch aus der mittelalterlichen diese Weise ermöglicht werden (unabhängig von der liert zu werden, sind mittlerweile beide Begriffe im Sprache durch seine Bibelüberset- zeigen und ein religionsbefriede- Einheitswelt und die Erneuerung von Frage: „nailed or mailed“, d.m., ein wenig scherzhaft: Schwange. Ich spreche zumeist von der Reformati- zung wie kein Zweiter. Ausgehend tes Zusammenleben ohne nationa- Glauben und Denken den Anfang hat Luther die Thesen an die Wittenberger Schloss­ onsdekade „Luther 2017“. von der eigenen Lektüre wurde Bil- listische oder konfessionalistische nahmen. Das Jubiläum wird ein inter- kirchentür genagelt oder doch lediglich verschickt?). Das Kuratorium zur Vorbereitung des Reformati- dung für alle verfügbar. Philipp Begrenzungen zu stärken. nationales Ereignis sein und in die Diese Anregung, die durchaus auch die umfas- onsjubiläums „Luther 2017“ wird vom Ratsvorsitzen- Melanchthon, Johann Gottfried Her- ganze Welt ausstrahlen. sende bauliche Ertüchtigung sämtlicher Denk- den der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der oder Wilhelm von Humboldt führ- Reformation und Politik male der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen- derzeit Nikolaus Schneider, in enger Abstimmung mit ten diese Bildungsimpulse fort und [2014] Die Reformation prägte Jubiläumsjahr [2017] 500 Jahre Anhalt und die umfassende Sanierung des Schloss- dem Reformationsdekaden-Koordinator der Bundes- prägen noch heute unser Denken. einen neuen christlichen Freiheits- nach dem Thesenanschlag vom 31. kirchenensembles in Wittenberg im Blick hatte und regierung, dem Staatsminister für Kultur und Medien, begriff, hatte aber auch ein durch- Oktober 1517 werden im Jubiläums- hat, wurde – aus leicht nachvollziehbaren Gründen derzeit Bernd Neumann, den Ministerpräsidenten der Reformation und Freiheit aus zwiespältiges Verhältnis zur jahr 2017 in Deutschland und welt- – vom damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Prof. historischen „Lutherländer“ in Ost und West (die sich [2011] Die Reformation steht für die staatlichen Macht: Zwischen Erge- weit zahlreiche Veranstaltungen an Dr. Wolfgang Huber freudig aufgenommen. Aller- an der Finanzierung der gemeinsamen Geschäfts- christliche Rückbesinnung auf das benheit und Aufstand pendelte das dieses Weltereignis erinnern. Der dings setzte sich Huber im Streit um die Benennung stelle in Wittenberg beteiligen: Bundesregierung, Wort Gottes. Sie ist aber gleichzeitig Engagement. Zugleich wurde die Deutsche Evangelische Kirchentag der Dekade durch: Weil er eine Verwechslung der von Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Bayern, Bran- Ausdruck eines am Individuum orien- Reformation zu einem Meilenstein wird in Berlin und Wittenberg statt- Böhmer angeregten „Reformationsdekade“ mit sei- denburg, Hessen und Rheinland-Pfalz) sowie den tierten, freiheitsbewussten Weltbil- auf dem Weg zu einer demokrati- finden. In Berlin („Die weltweite nem Lieblings-EKD-Projekt „Reformdekade“ befürch- evangelischen Bischöfen derselben geleitet. des. Aus der Freiheit jedes Einzelnen schen Gesellschaft und einer akti- Wirkung der Reformation“), Witten- tete, hatten das Projekt und der Prozess fortan Auf Vorschlag seines wissenschaftlichen Beirats folgt auch die Gewissensfreiheit, die ven Zivilgesellschaft, wie wir sie berg („Das Jahr 1517“) und auf der „Lutherdekade“ zu heißen, mit den weniger schönen hat das Kuratorium zentrale Themenjahre für die bis heute das Miteinander in Staat, heute kennen. Wartburg bei Eisenach („Luther und Folgen und Nebenwirkungen. So wurde, vor allem Reformationsdekade verabschiedet. Diese bilden Kirche und Gesellschaft prägt. die Deutschen“) werden gemein- von katholischer, aber auch von reformierter Seite, gute inhaltliche Orientierungspunkte und gestal- Reformation und Bild und Bibel sam und mit je eigenem Profil große, manchmal augenzwinkernd, manchmal auch zornig, tungsoffene Wegmarken: Reformation und Musik [2015] Vor 500 Jahren begann national und international bedeut- [2012] Musik und Gesang im Got- mit der Reformation eine Medien- same Ausstellungen vorbereitet. Die tesdienst der Gemeinde sind Erfin- revolution. Der Buchdruck bekam Welt ist zu Gast im Lutherland.

40 thomas a. seidel lutherland thüringen 41 Blick vom Erfurter Petersberg gemessen. Hinsichtlich der theologischen und spi- rituellen Bedeutung Luthers sind in erster Linie die Thüringen als Kirchen und die Christenmenschen gefragt. Von staatlicher Seite verstehen und verwenden Lutherland entdecken wir den Begriff „Lutherland“ nicht in kirchlicher, kon- fessioneller, sondern konsequent in historischer, und entwickeln kultureller und politischer Hinsicht. Um es ganz eindeutig zu machen: Mit dem landespolitischen Fokus auf „Luther“ und die „Reformation“ im Kon- text der nationalen und internationalen Reformati- onsdekade „Luther 2017“ weisen wir staatlicher- seits nicht allein und auch nicht in erster Linie auf ein kirchliches, sondern auf ein gesamtgesellschaftli- ches Modernisierungsprojekt des 16. Jahrhunderts hin, auch wenn uns bewusst ist, dass die Reforma- tion im Ursprung von theologisch-spirituellen Impul- sen getragen und getrieben wurde. Dass die Evan- Der Cranach- gelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die im Altar in Neu- Wesentlichen die Länder Thüringen und Sachsen- stadt an der Anhalt umfasst, gelegentlich von „Kirche in Luthers Orla. Auch hier Heimat“ spricht, ist unseres Erachtens nicht nur wirkte Luther. schlicht zutreffend, sondern benennt vor allem eine Die bisherige Zusammenarbeit hat es gezeigt: demie Thüringen oder Beauftragter der Kirche bei große evangelisch-lutherische und konsequent öku- es gibt viele Felder, auf denen sich Staat und Kir- Landtag und Landesregierung ist mir das „Netzwer- menische Herausforderung in jener stark säkulari- che, Politik und Wirtschaft, Kultur und Zivilgesell- ken“, das vielseitige, kooperative Arbeiten an den sierten mitteldeutschen Region – bis 2017 und dar- schaft kooperativ begegnen und in der Bearbeitung Schnittstellen von Politik und Kirche sowie von Kul- über hinaus. der jeweiligen Themen sogar wechselseitig berei- tur und Zivilgesellschaft, wohl vertraut. Für den Freistaat Thüringen geht es in diesem chern können. Übrigens auch ganz unabhängig von So war ich durchaus auf die Frage gefasst, die mir Prozess auch nicht nur um die Erinnerung an ein der Frage, ob das jeweilige Land oder die Landeskir- am Beginn meines Dienstes als „Luther-Beauftrag- ganz zweifellos bedeutsames historisches Erbe. che über besondere historische Lutherstätten oder ter“ hin und wieder auf den Fluren des Kulturminis- Vielleicht sollte man statt Erinnerung besser von Reformationsorte verfügt. Dass allerdings die mittel- teriums gestellt wurde: Ist – neben dem Begriff der „Vergegenwärtigung“ sprechen. Wenn die Bürgerin- deutschen „Lutherländer“, die historischen Kernlän- „Lutherdekade“ – nun auch noch so eine Wortschöp- nen und Bürger des Thüringer Landes unserer Ein- der der Reformation Thüringen, Sachsen-Anhalt und fung wie „Lutherland“ als kultuspolitische Aufga- ladung folgen und gemeinsam mit ihren (hoffentlich Sachsen, in der Vorbereitung des Reformationsjubi- benbeschreibung überhaupt sachgerecht und ange- zahlreichen) Gästen den bemerkenswerten kulturel- läums in besonderer Weise gefordert und herausge- messen? Kann man angesichts eines Prozentsatzes len Wurzeln, den einzigartigen authentischen Orten fordert sind, versteht sich beinahe von selbst. Oder? von ca. 25 % evangelischen Bürgern, der zudem Jahr und den vielfältigen Folgewirkungen dieses Welter- um Jahr weiter abnimmt, wirklich von einem „Luther- eignisses vor Ort nachspüren, kann das Motto der land Thüringen“ sprechen? Sind wir nicht vielmehr Landesregierung „Hier hat Zukunft Tradition“ tat- lutherland thüringen? genötigt, die verheerenden Ergebnisse einer rassis- sächlich erfahrbar werden. „Lutherland“ kann und tisch-antisemitischen und christentumsfeindlichen soll – so gesehen – als ein identitätsstiftender hüringen als Lutherland entdecken und ent- Politik der NS-Diktatur ab 1933 sowie einer repressi- Bestandteil der einzigartigen Kulturlandschaft Thü- Twickeln – lautet mit Kabinettsbeschluss vom 31. ven Entkirchlichung unter Führung der „Diktatur der ringen verstanden und gestaltet werden. Mai 2011 die ressortübergreifende landespoliti- Arbeiterklasse“ zwischen 1945 und 1989 als gesell- sche Zielstellung im Freistaat Thüringen. Ich habe schaftliche Gegebenheit einfach zu konstatieren? mein Amt als „Leiharbeiter“ der evangelischen Kir- Wenn wir diese Entwicklung ausblenden, „Luther“ che beim Freistaat am 1. September 2010 angetre- oder „Reformation“ allein als kirchliche Phänomene ten und soll dieses bis 2018 ausfüllen. Nicht zuletzt und Fakten begreifen oder in ihrer Relevanz allein aufgrund meiner vorherigen Arbeitsfelder als luthe- auf die aktuelle Kirchenzugehörigkeit beziehen wür- rischer Landpfarrer in der sogenannten „Weimarer den, wäre der Begriff „Lutherland“ in der Tat irre- Eröffnung der Dauerausstellung „‚Tolle Jahre‘ – Kirchenwüste“, als Direktor der Evangelischen Aka- führend und für eine moderne Landespolitik unan- An der Schwelle der Reformation“ im Stadtmu- seum Erfurt am 20. Mai 2012.

42 thomas a. seidel lutherland thüringen 43 „Luther 2017“ in Thüringen – Kulturpolitische Perspektiven der „lutherweg“ – Der Lutherweg verbindet prioritär die 21 durch eine einladung zum mehr- die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) dimensionalen reisen definierten Lutherstätten, die besonders mit dem Leben und Werk des Reformators in Verbindung ste- 1. Die Thüringer Lan- im »Lutherland Thüringen«, um sie litischen und kulturtouristischen Der Freistaat Thüringen ist als „Luther- hen. Neben diesen 21 Thüringer Lutherorten (Kate- desregierung hat mit den Bürgern des Freistaats und den Grundlagen der Landesregierung land“ ein an Lutherstätten und Orten gorie A) als Basis für das Wegesystem sind im Verlauf zahlreichen Initiativen zahlreichen Gästen aus Deutsch- (Kulturkonzept, Landestourismus- der Reformation reiches Bundesland der Recherchen und Verhandlungen weitere Luther- und Projekten deut- land und der Welt zugänglich konzeption, Thüringenjahr, IBA Thü- (siehe die Beiträge von Steffen Raß- orte (Kategorie B) dazugekommen, die sich vor allem lich gemacht, dass sie machen zu können. ringen u.a.). Dazu zählen – neben loff und Ernst Koch). Bis zum Refor- durch örtliches Engagement und eine überzeugende die Vorbereitung des dem »Thüringer Lutherweg«, dem mationsjubiläum 2017 und vor allem in den Jahren Kooperationsbereitschaft auszeichnen. Reformationsjubiläums 4. Die Entdeckung und Entwick- »Netzwerk für Reformations- und danach, wenn an die reformatorischen Hauptereig- Der Weg verläuft auf attraktiven vorhandenen »Luther 2017« als bedeutende lan- lung des »Lutherlandes Thüringen« Protestantismusforschung« – jah- nisse erinnert wird, werden sich flächendeckend in Wander- und Pilgerwegen und garantiert die Anbin- despolitische Querschnittsaufgabe soll in einem erkennbar säkulari- resthemenbezogene Ausstellungs- staatlichen, gesellschaftlichen und kirchlichen Berei- dung länderübergreifend an die Nachbarbundeslän- und wichtigen Bestandteil der Kul- sierten Land die kulturelle Verwur- projekte zu Spalatin in Altenburg, chen zahlreiche Veranstaltungen, Ausstellungen und der. Die Gliederung in thematische Wegeabschnitte turlandschaft Thüringen begreift. zelung und die elementare Sprach- Müntzer in Mühlhausen u.a. Hervor- Projekte mit den Wirkungen der Reformation, der und eine angestrebte Zertifizierung unterstützen Der Beauftragte der Thüringer Lan- und Diskursfähigkeit von Menschen gehoben sei die geplante Koope­ Bedeutung Martin Luthers (1483-1546) und seiner die Nachhaltigkeit. Größere verbindende Abschnitte desregierung zur Vorbereitung des unterschiedlicher religiöser oder rationsausstellung der Wartburg- Weggefährten befassen. Auf dem Weg dorthin und am Lutherweg von überregionaler Bedeutung sind Reformationsjubiläums »Luther nichtreligiöser Überzeugungen und Stiftung, der Stiftung Schloss darüber hinaus soll ein besonderes kulturtouristisch- bis zur endgültigen Fertigstellung des Weges Vor- 2017« bündelt und fokussiert die Weltanschauungen stärken. Zahl­ Friedenstein und der Klassik Stiftung kirchliches Projekt buchstäblich wegweisend sein, aussetzung für eine nationale und internationale Aktivitäten des Freistaats. reiche schulische, außerschulische, Weimar im Themenjahr »Reformation, der „Lutherweg“ (www.lutherweg.de). Vermarktung. kulturelle und künstlerische Pro- Bibel und Bild« 2015 anlässlich des Im Jahr 2011 hat das Thüringer Ministerium für Die Gesamtlänge des Thüringer Lutherwegs 2. Die zentrale politische Aufgabe jekte wurden in Gang gesetzt bzw. 500. Geburtstagsjubiläums Lucas Wirtschaft, Arbeit und Technologie (TMWAT) eine Kul- beträgt aktuell ca. 900 km in Thüringen und ca. besteht in der regionalen und nach- befinden sich in der Umsetzung: Cranachs d. J. Sie steht unter dem turtourismuskonzeption für den Freistaat Thüringen 100 km in Bayern. Schirmherrin und Botschafterin haltigen Gestaltung eines histori- wie z. B. »Denkwege zu Luther«, Arbeitstitel »Bild und Botschaft«. entwickelt und veröffentlicht. Dem Kulturtourismus des Thüringer Lutherweges ist die Thüringer Minis- schen und kulturellen Ereignisses »Lutherfinder«, »Luther und die Diese großen Cranach-Ausstellungen wird dort ein starkes Wachstumspotenzial beschei- terpräsidentin Christine Lieberknecht, die auch als mit internationaler Dimension. Mit deutsche Sprache« (www.denkwege- sollen gemeinsam mit den korres- nigt. Vier herausragende, so genannte imagebildende Präsidentin den Deutschen Gebirgs- und Wanderver- dem Kabinettsbeschluss vom 31. zu-luther.de www.lutherfinder.de). pondierenden Ausstellungsprojek- Themen – Bach, Goethe und Weimar, Bauhaus und einen, Landesverband Thüringen e.V. vorsteht. Im Mai 2011 zur Bündelung der laufen- In der Bearbeitung der Themenjahre ten in Sachsen-Anhalt vermarktet Luther – werden als „Leuchttürme“ bezeichnet. Jubiläumsjahr 2017 wird der „Deutsche Wandertag“ den Aktivitäten wurde eine wesent- »Reformation und Toleranz« 2013 werden. Mit Blick auf das Jubilä- liche Grundlage zur Erfüllung die- und »Reformation und Politik« 2014 umsjahr wurden die Vorbereitungen ser Aufgaben gelegt. Dazu gehört steht die Befassung mit Luthers zu einer »Jubiläums-Dramaturgie die auskömmliche Finanzierung der pejorativen Äußerungen zu den 2017« in Gang gesetzt. Im konzep­ »Lutherdekade«-relevanten Projekte Juden, den Türken oder den auf- tionellen Brennpunkt steht dabei gemäß der beschlossenen »Deka- ständischen Bauern im Fokus der die große nationale Jubiläumsaus- den-Grundsätze« und die zusätzli- Aufmerksamkeit. Damit korrespon- stellung zum Thema »Luther und die che Bereitstellung der erforderlichen dierende Veranstaltungen, Aus- Deutschen« auf der Wartburg. Komplementärfinanzierung, um die stellungen und Projekte werden für die Vorbereitung von »Lutherde- gemeinsam mit dem Museums­ kade« und Reformationsjubiläum verband, dem Landesmusikrat, »Luther 2017« zur Verfügung ste- der Evangelischen Kirche in Mit- henden Mittel Dritter, insbeson- teldeutschland (EKM), der evang- dere Mittel des Bundes, möglichst lischen Schulstiftung in Mittel- auszuschöpfen. deutschland und weiteren Partnern diskutiert und organisiert. 3. Eine große Aufgabe ist und bleibt dabei die notwendige denk- 5. Die Vorbereitung des Refor- malpflegerische und städtebaulich mationsjubiläums »Luther 2017« Quelle: begleitete Instandsetzung der zahl- erfolgt entlang der o.g. Jahres­ Kulturkonzept des Freistaats Thürin- gen, hier: Thomas A. Seidel: Die Vor- reichen originalen Lutherstätten themen in enger konzeptioneller bereitung des Reformationsjubiläums und historischen Reformationsorte Verschränkung mit den kulturpo- „Luther 2017“. S. 129 f. Abendstimmung im Thüringer Wald

44 thomas a. seidel lutherland thüringen 45 tausende Wanderfreundinnen und -freunde auf den 1. die historische oder Bildungsdimension, die Luther- oder anderen Wegen in die Lutherstadt Eise- Spuren der Reformation vor Ort kenntlich macht: vor- nach führen. reformatorische ebenso wie nachreformatorische, Was kann, was soll der Lutherweg sein und leis- besondere Denkmale und Architekturen, wie typisch ten? Es gibt bekanntlich viele, sehr kritische Äuße- mitteldeutsche Pfarrhof-Ensembles mit Kirche, Pfarr- rungen Luthers zum Pilgern. Vor allem dann, wenn er haus, Schule (Kantorat). „Werkgerechtigkeit“, d.h. eine Art frommer Leistungs- orientierung zu erkennen meint. Wenn die Intention 2. die künstlerische oder Kulturdimension, die stimmt, wir würden heute sagen: eine heitere Gelas- Kunst und Kultur am Lutherweg in vielfältiger Weise senheit oder stressfreie Absichtslosigkeit dem Pil- inszeniert, vom mdr-Musiksommer bis zu besonde- gern oder geistlichen Wandern zu Grunde liegen, ren Veranstaltungen im „Luthermonat November“. dann wären wir nach reformatorischem Anspruch Möglichst viele „verlässlich offene Kirchen“, aber buchstäblich auf dem richtigen Weg. auch Gutshäuser, Schlösser, Burgen, Gärten und Parklandschaften laden zu Konzerten und Lesun- „Man nennt nämlich als Werke des ersten Gebo- gen, zu Ausstellungen und gemeinsamen Essen am tes zu dieser Zeit: Singen, Lesen, Orgelspiel, „Lutherstammtisch“ ein. Messe halten, Metten, Vespern und andere Tag- Lutherhaus zeiten beten, Kirchen, Altäre, Klöster stiften und 3. die Wellness- oder Gesundheitsdimension, Aus diesen fünf (Reise-)Dimensionen des Luther- in Eisenach schmücken mit Glocken, Kleinodien, Messge- die den Lutherweg als Wanderweg ernst und unter Wanderns oder spirituellen Reisens wird ersichtlich, wändern, Geschmeide; auch Schätze von Ver- die Füße nimmt und zu einem besinnlichen Laufen, dass die Organisation und nachhaltige Pflege des diensten sammeln, nach Rom laufen, zu den Hei- mit Zeit für Kneipp-Kuren, zum Atemholen, für ein Lutherweges nur gelingen kann, wenn dieser Weg als ligen laufen. […] Nun wohlan, geschehen diese beschauliches Gehen einlädt. ein mehrdimensionales Projekt begriffen wird, das Dinge in solchem Glauben, dass wir dafür halten, partnerschaftlich, länderübergreifend und mit gut es gefalle Gott alles wohl, dann sind sie löblich, 4. die Fitness- oder Sportdimension, die den sichtbarer thematischer Profilierung (auf der Basis nicht um ihres besonderen Wertes, sondern um Sportsmännern und -frauen Gelegenheit zur Kör- regionaler Besonderheiten, bspw. Mühlhausen: dieses Glaubens willen, dem alle Werke gleich perertüchtigung gibt. Viele Formen der Fitness sind „Luther & Müntzer“; Tambach-Dietharz-Schmalkalden: viel gelten.“ hier möglich: vom Joggen über schnelles, kraftvol- „Luther und Gesundheit“; Weimar: „Luther und Herder“ (Martin Luther, Von guten Werken, 1520) les Wandern und Nordic Walking bis zu Inline-Skate, etc.) organisiert wird. Dann wird der Lutherweg ganz Skateboard und Radfahren. sicher Freude für Leib und Seele bereiten und spiritu- Beim (Thüringer) Lutherweg, zumindest für den elle Neugier wecken. Teil, der vom Luther-Beauftragten und der Thürin- 5. die spirituelle oder Glaubensdimension, die Wer auf dem Lutherweg unterwegs ist, sollte die ger Tourismus GmbH (TTG) koordiniert wird, geht es unmittelbar an die alte Tradition und Praxis des Pil- Mehrdimensionalität stets vor dem (inneren und wiederum nicht allein und auch nicht in erster Linie gers anschließt: das Zusammenfinden von „inneren“ äußeren) Auge haben und – wie Hape Kerkeling – um spirituelle Dinge. Dieser Weg ist vielgestaltig und und „äußeren“ (Lebens-)Wegen. Text-Meditationen auf überraschende Begegnungen gefasst sein. Ganz Der Lutherweg – mehrdimensional und deshalb offen für alle Men- lutherischer oder interreligiöser Mystik können diese am Ende seines Bestsellers „Ich bin dann mal weg“ schen, ob „religiös musikalisch“ oder „religiös unmu- Dimension zu einer ganz besonderen und kostbaren kommt er zu einem Fazit, das sich wie eine fröhliche Eine Einladung zum sikalisch“ (Max Weber), ob Mann oder Frau, jung Wegerfahrung werden lassen. Unterstützung und Ermutigung für alle liest, die sich oder alt, reich oder arm, sportlich oder unsportlich. für die gezielte und nachhaltige Förderung des „spiri- spirituellen Reisen Alle sind eingeladen, sich auf den (Luther-)weg zu tuellen Tourismus“ engagieren: machen! „Bald sitze ich im Zug nach Porto, um von dort aus Wegen des vielgestaltigen Charakters des Luther- am darauffolgenden Tag nach Hause zu fliegen. Wäh- weges gibt es verschiedene Intentionen und inhalt- rend ich im Zug sitze, versuche ich meine Gedan- lautet: Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liche Zugänge. Ich nenne diese verschiedenen ken zu sammeln und sie für mich noch einmal so liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Zugänge „Reise-Dimensionen“. Diese Dimensionen griffig wie möglich zu formulieren. Gott ist >das eine Fänger sein. werden bei den jeweiligen Luther-weg-Gefährten Individuum<, das sich unendlich öffnet um >alle< zu Und wenn ich es Revue passieren lasse, hat Gott ganz sicher sehr unterschiedlich ausgeprägt und in befreien. […] Der Schöpfer wirft uns in die Luft, um mich auf dem Weg andauernd in die Luft gewor- unterschiedlicher Weise wichtig sein. Nicht selten uns am Ende überraschenderweise wieder aufzu- fen und wieder aufgefangen. Wir sind uns jeden Tag sind mehrere Dimensionen für die Lutherweg-Wahl In der fangen. Es ist wie in dem ausgelassenen Spiel, das begegnet.“ (Hape Kerkeling: „Ich bin dann mal weg. ursächlich. Ich unterscheide fünf Dimensionen des Drachen- Eltern mit ihren Kindern spielen. Und die Botschaft Meine Reise auf dem Jakobsweg“ S. 344) schlucht bei Lutherweg-Wanderns: Eisenach

46 thomas a. seidel lutherland thüringen 47 Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht mit Papst Benedikt XVI. in Luthers Erfurter Augustinerkloster, am 23. September 2011

kleine und große ökumene – die welt zu gast im lutherland thüringen

icht erst der Deutschland- und insbesondere der 1. indem die Reformationsdekade das Gespräch zwi- NThüringenbesuch von Papst Benedikt XVI. – mit schen den Konfessionen und Kirchen und den interre- der Begegnung des Papstes mit dem Ratsvorsitzen- ligiösen Dialog sowie den Dialog mit den nichtreligiö- den und dem ökumenischen Gottesdienst im Erfurter sen Zeitgenossen anregt und befruchtet, Augustinerkloster am 23. September 2011 – hat das Thema Ökumene und die Frage der Beteiligung der 2. indem diese Reformationsdekade als Stichwort- katholischen Kirche an der Vorbereitung des Refor- geber für aktuelle politische Debatten über die Ver- mationsjubiläums auf die Agenda gehoben. fasstheit unseres Gemeinwesens und insbesondere Seitens der staatlichen Akteure kann der annon- über das, was frei nach Goethe „die Welt im Innersten cierte „neue Blick auf Luther“ (Hans Langendörfer) zusammenhält“, genutzt wird, sowie das mehrfach bekundete „stärkere Engage- ment im Zugehen auf Luther 2017“, so der derzeitige 3. indem die bis heute aktuellen Impulse der Refor- Leiter der deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof mation als vielgestaltige, herzliche Einladung ent- Robert Zollitsch, als (künftiger) Beitrag der deut- schlossen internationalisiert, d.h. in vielfacher Weise schen Katholiken an der Gestaltung dieses nationa- über Deutschland hinaus nach Europa und in die len und internationalen Weltereignisses begrüßt und Welt und auch wieder zurück getragen werden. aufgenommen werden. Vorurteilsfreie und wissenschaftlich seriöse Die Reformationsdekade „Luther 2017“ bedeu- Reflexionen der je eigenen Konfessionsbildung und tet dann erneut: „die Welt zu Gast bei Freunden“ – ihrer kulturellen, soziopolitischen und mentalen Fol- und selbstverständlich ganz besonders willkom- gen sowie erkennbare Schritte der Ökumene könn- men hier, in der Mitte Deutschlands, im Lutherland ten einen Impuls zur Stärkung des inneren Friedens Thüringen. setzen und ein besonderes Beispiel gelebter Tole- ranz inmitten einer zunehmend säkularer werden- den Zivilgesellschaft Deutschlands geben. Also: wie ökumenisch gedenkt oder feiert Deutschland Autor Dr. Thomas A. Seidel ist der „Luther 2017“? Beauftragte der Thüringer Landes­ Und daran anschließend ein letzter Gedanke: Von regierung zur Vorbereitung des besonderer Bedeutung scheint mir, dass (wie ein- Reformationsjubiläums „Luther 2017“ gangs gesagt) diese ungenau bezeichnete „Luther- Pilger vor dem dekade“ künftig – über den „klein-ökumenischen“ Eisenacher Luther- Ansatz hinaus – ganz bewusst und entschieden als denkmal „Reformationsdekade“ in dreifacher Weise inhaltlich geweitet wird:

48 thomas a. seidel lutherland thüringen 49 … der Cranach-Altar in Weimar.

Nach Weimar kommt man in der Regel nicht, um auf den Spuren der Refor- mation zu wandeln. Zu diesem Zweck fährt man nach Wittenberg, Torgau und Eisleben, in Thüringen hingegen auf die Wartburg und vielleicht nach Erfurt zum Augustinerkloster, in dem Luther leidenschaftlich fromm sechs Jahre als Mönch gelebt hat. Aber Weimar? Weimars Bedeutung beginnt doch erst mit Goethe, nun gut, vielleicht auch schon mit Bach, aber jeden- falls nicht mit Luther. Das ist alles richtig. Zwar ist Luther wiederholt in Weimar gewesen, aber davon haftet wenig im allgemeinen Bewusstsein. Die Zeugnisse sei- nes Hierseins sind spärlich. Und so geht man denn auch nicht in die Stadt- kirche St. Peter und Paul, um Luther zu begegnen. Diese schlichte spät- gotische Kirche, in der man schon 1525 zum protestantischen Ritus über- ging, ist berühmt, weil Johann Gottfried Herder, der große Aufklärer, hier fast dreißig Jahre gewirkt hat. So nennt sie der Volks-, aber auch der Kir- Lutherland chenmund schlicht die Herder-Kirche. Vor der Kirche steht das eindrucksvolle Standbild Herders. Tritt man ein, umfängt einen der typische evangelische Kirchenraum: hell, schlicht, Thüringen ist mit großen Emporen auf beiden Längsseiten und einer dritten im Wes- ten, über der die Orgel thront. Man könnte rasch wieder auf dem Weg nach draußen sein, und es mag Menschen geben, die tatsächlich die eigentli- für mich … che Sensation dieser Kirche gar nicht wahrnehmen: Den Cranach-Altar im Chor der Kirche. Das Triptychon ist ein Wunderwerk und ein Rätselwerk zugleich. Es geht um den Vater und den Sohn. Um viele Väter und viele Söhne. Zunächst also die Familie Cranach. Offenbar hat der Vater das riesige Werk, geöffnet HELLMUT TH. SEEMANN sechs Meter in der Breite und fast vier in der Höhe, begonnen; aber der Sohn hat es vollendet. Unten an den Kreuzes-Stamm hat er, der Sohn und ist Präsident der Klassik Stammhalter, seine Signatur gesetzt: eine Schlange mit Flügeln und die Stiftung Weimar Jahreszahl 1555. Da war der Vater schon zwei Jahre tot. Das Blut des Got- tessohnes, das am Stamm herunter fließt, wird gleich über diese Signatur des Sohnes rinnen. So wie dieses Blut aus der Seitenwunde des Gekreu- zigten in hohem Bogen auf das Haupt des Vaters zielt. Tatsächlich: Der tote Vater, Lucas Cranach d. Ä., steht mitten im Bild unter dem Kreuz. Zwi- schen Johannes dem Täufer und Luther. Er wird getauft mit der roten Farbe des Blutes. Rot ist die Schlüssel- farbe in diesem Bild der Väter und der Söhne. Selbst Luther, der in sei- Im Westflügel der nen schwarzen Talar gehüllt ist, trägt einen scharlachroten Saum um den Stadtkirche Hals. Hier steht der Vater des Protestantismus. Links und rechts flankie- St. Peter und Paul: ren die Seitentafeln das Mittelbild. Links der Vater, Johann Friedrich I. Der Cranach-Altar von Sachsen, rechts seine drei Söhne. Auch dieser Vater ist tot, als das Bild fertiggestellt wird. Beim Vater kniet die Mutter, Sibylle von Kleve. Sie ist die einzige Frau auf dem übergroßen Tableau. Hier war es nicht zu vermeiden, auf diesem ansonsten ganz den Vätern und dem Vater gewid- meten Bild. Weimar ist klein und elend in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Aber hier werden von den Söhnen große Geschichten erzählt. Bis heute.“

50 hellmut th. seemann lutherland thüringen 51 BÄRBEL GRÖNEGRES ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. Die epochalen Veränderungen, die sie hervorbrachte, hatten Wirkungen quer durch alle Kontinente. Was 500 Jahre Reformation: von ihr ausging, ist darum ein Ereignis nicht nur von nationaler, sondern von europäischer, ja weltweiter Relevanz. Doch was bedeutet das für uns, die wir das Eine herausragende Reiseland Deutschland, insbesondere unser schö- nes und interessantes Thüringen unter solch themati- scher Orientierung ausländischen Gästen „schmack- Gelegenheit, das Lutherland haft“ machen wollen? Wir haben sehr früh damit begonnen, Thüringen Thüringen in den Fokus der als ein Kernland der Reformation in bedeutenden Ländern und Städten anspruchsvoll vorzustellen. Im September 2012 reiste ich auf Einladung der Deut- Weltöffentlichkeit zu rücken schen Zentrale für Tourismus nach Südkorea, um dort vor über 40 Journalisten aus allen Landesteilen die Themen Reformation, Luther und Thüringen darzu- stellen. Die im Anschluss gestellten Fragen machten das große Interesse an diesen Inhalten deutlich. Ich er ist der beliebteste Deut- Nach den guten touristischen Erfahrungen mit denke, dass wir bis 2017 mit einer bemerkenswerten sche im Ausland? Umfragen, dem Jubiläum „800 Jahre Heilige Elisabeth von Thü- Zahl an Gästen auch aus Korea rechnen können, die die das herauszufinden suchen, ringen“ vor wenigen Jahren war es daher für uns als auf den Spuren der Reformation und Martin Luthers werden von deutschen Insti- Thüringer Tourismus GmbH keine Frage, die über durch unser Land reisen. Schon einige Zeit zuvor hat- tutionen und Medien in regel- zehn Jahre sich erstreckende Vorbereitung des Jubi- ten wir die Chance, den gesamten Themenkomplex mäßigen Abständen veranstal- läums „500 Jahre Reformation“ im Jahr 2017 als das vor einer interessierten Öffentlichkeit in Chicago zu Wtet. Innerhalb solcher Rankings gibt es gelegentlich zu nehmen, was sie ist: eine einmalige und herausra- präsentieren. Auch aus den USA, wo bekannterma- Blick in den Wartburg-Hof Unterschiede zwischen den Plätzen eins bis zehn. gende Gelegenheit, das Lutherland Thüringen in den ßen viele Protestanten leben, reisten wir mit einem Alle Umfragen aber eint, dass der Reformator Martin Fokus der Weltöffentlichkeit zu rücken. Denn auch guten Gefühl und wichtiger noch: konkreten Buchun- Luther stets weit oben, und ausnahmslos beispiels- unsere eigene touristische Marktforschung hat erge- gen – wieder nach Hause. weise vor Johann Sebastian Bach, Johann Wolfgang ben, dass innerhalb der deutschen Bevölkerung ein Von besonderer Bedeutung in unserer aktuellen Tourismus GmbH, der Städte Erfurt, Weimar und Eise- von Goethe, Johannes Gutenberg oder Karl Marx zu hohes Interesse an den Stätten der Reformation vor- Arbeit sind auch die Vorbereitungen für den „Ger- nach sowie der Messe Erfurt AG. In dieser Broschüre finden ist. In diesem Zusammenhang darf keinesfalls liegt – und zwar bei Protestanten wie Katholiken oder many Travel Mart“ (GTM), der wichtigsten internatio- wird nachlesbar und anschaulich vorgestellt, welche unerwähnt bleiben, dass in Umfragen, die nach den Konfessionslosen. Dabei blicken wir nicht nur auf den nalen Incoming-Veranstaltung für den Deutschland- Fülle touristisch attraktiver Sehenswürdigkeiten das Lieblingsbüchern der Deutschen forschen, über Jahr- Freistaat Thüringen, sondern müssen und wollen an Tourismus. Dieses erfahrungsgemäß nachhaltige Lutherland Thüringen Gästen aus dem In- und Aus- zehnte stets dieser eine Titel vorderste Plätze ein- einem Strang ziehen, so etwa mit den Nachbarlän- Treffen zur Präsentation touristischer Schwerpunkte land zu bieten hat. Dazu gehören Dome, Kirchen, nimmt: Das von Martin Luther auf der Wartburg bei dern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern. vor ausgesuchten internationalen touristischen Mul- Klöster und historische Friedhöfe, Burgen und Uni- Eisenach in 100 Tagen Einsamkeit übersetzte Neue Vor allem für die Evangelische Kirche, die Wis- tiplikatoren wird im Jahr 2015 erstmals in Thüringen versitäten, Rathäuser, Wohnhäuser, Herbergen, Gast- Testament. senschaft und die Politik ist klar: Die Reformation ist stattfinden – als Kooperationsprojekt der Thüringer stätten, Denkmale, Museen und vieles mehr, die mit den Ereignissen der Reformation und dem Wirken Martin Luthers eng verflochten sind und/oder diese museal am authentischen Ort präsentieren. Wir haben sehr früh damit begonnen, Zum Schluss möchte ich zurückkommen auf das „über den Thüringer Tellerrand hinausschauen“. Dies Thüringen als ein Kernland der Reformation meint den bis zum Reformationsjubiläum 2017 ent- stehenden Lutherweg Mitteldeutschland, der es Pil- in bedeutenden Ländern und Städten gern und Wanderern ermöglichen wird, die Wege des Reformators durch reizvolle Landschaften, durch anspruchsvoll vorzustellen. attraktive Städte und anheimelnde Dörfer nachzulau- fen. Am 10. November 2009, Luthers 526. Geburts- tag, wurde das erste Teilstück des Thüringer Weges übergeben: Auf 15,5 Kilometern führt der mit einem großen weißen „L“ auf grünem Grund markierte Weg

52 bärbel grönegres lutherland thüringen 53 Unser Ziel für den von Nordhausen bis an die Landesgrenze von Sach- gut gelungen. Noch bevor die Heldburger einen eige- Lutherweg lautet, sen-Anhalt und schließt so die Lücke zwischen den nen protestantischen Pfarrer bekamen, pilgerten sie Wegen in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Inzwischen in Scharen stets dorthin, wo Mörlin das Wort ergriff. dass es bis 2014 kamen viele Teilstücke hinzu – so auch der Weg der Thüringen mit Bayern verbindet. Der ca. acht Kilome- Die Veste geht in ihren Ursprüngen in das 12./13. möglich ist, in Martin ter lange, rund um Heldburg führende Abschnitt des Jahrhundert zurück. Ihre entscheidende Prägung „Lutherweges“ wird gekrönt von der auch als „Frän- erfuhr die fürstliche Nebenresidenz um die Mitte des Luthers Fußstapfen kische Leuchte“ bekannten „Veste Heldburg“. Daran, 16. Jahrhunderts durch den der Reformation zuge- dass die Burg- und Schlossanlage erst seit der Wie- wandten Herzog Johann Friedrich II. Das bis heute auf über 900 gut dervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 wieder zu besichtigende bildhauerische Programm an dem Der Dom zum für jedermann zugänglich ist, erinnern Informati- im Stil der Hochrenaissance errichteten sogenann- ausgeschilderten Heiligen Kreuz in onstafeln auf dem Weg, der in seinem Verlauf auch ten Französischen Bau vermittelt Botschaften, die Nordhausen Abschnitte der einstigen innerdeutschen Grenze pas- sich aus den religiösen, ethischen und moralischen Kilometern durch siert. In diese Region wurde auf Luthers Empfehlung Grundsätzen des neuen evangelisch-lutherischen im Jahr 1520 der Wittenberger Philosophieprofes- Glaubens herleiten. Am sogenannten Frauenerker Thüringen zu wandern sor Jodok Mörlin mit dem Auftrag entsandt, dort die sind im Hauptfries acht Tugendbildnisse, am soge- als Lutherstadt an. Aus den 80 bis 90 Städten, die Reformation voranzutreiben. Das ist dem in Westhau- nannten Herrenerker acht Bildnisse von weltlichen oder zu pilgern. für ihn als Aufenthaltsorte Luthers in Frage kamen, sen ansässig gewordenen Freund Luthers offenbar Regenten aus der Reihe der Ernestiner und wichtiger konstruierte er Triaden der wichtigsten: Wittenberg – Eisleben – Erfurt; Mansfeld– Worms – Eisenach; Marburg – Schmalkalden – Möhra. An dritter Stelle nennt er Erfurt. Es folgen weitere Thüringer Orte, „die den sterblichen Luther zu unsterblicher Größe her- anreifen ließen“. Schon damals, also vor fast einem Jahrhundert, war dem Historiker klar, was es neben Verbündeter dargestellt. Derzeit wird die Veste Held- Kenntnisgewinn bedeutet, an authentischen Orten burg als Standort für das Deutsche Burgenmuseum verweilen zu können: „Vieles begreift man ganz vorbereitet, das voraussichtlich im Jahr 2015 eröff- anders, wenn man den Schauplatz sieht. Eine Erfor- nen wird. schung der Örtlichkeit im Zusammenhang mit ihrer Unser Ziel für den Lutherweg lautet, dass es bis geschichtlichen Bedeutung dürfte also wichtig sein.“ 2014 möglich ist, in Martin Luthers Fußstapfen auf An der Wichtigkeit hat sich bis heute nichts geändert, über 900 gut ausgeschilderten Kilometern durch außer: In den Mediengesellschaften der globalisier- Thüringen zu wandern oder zu pilgern. Die Auftei- ten Welt sind die Anforderungen höher und differen- lung des Weges in eine West- und eine Südschlaufe zierter denn je. „500 Jahre Reformation“ sehen wir sowie eine den Norden bzw. den Osten umschlie- daher nicht allein als Gelegenheit und Chance, son- ßende Route, kommt der Reiseplanung durch das dern auch als besondere Herausforderung. Lutherland Thüringen entgegen. Das vor einiger Zeit in Friedrichroda-Reinhardsbrunn bei Gotha gegrün- dete „Informations- und Ausstellungszentrum Spi- ritueller Tourismus“ des „Kirche und Tourismus e.V.“ Autorin Bärbel Grönegres ist gewährt den am Wandern und Pilgern auf Luthers Geschäftsführerin der Thüringer Pfaden Interessierten Unterstützung. Und selbstver- Tourismus GmbH ständlich sind auch unsere Internetseiten unter www. Luther-in-thueringen.com eine gute Adresse für die Reisevorbereitung in der Lutherdekade.

Veste Heldburg bei Hildburghausen – Der Erfurter Gymnasiallehrer, Forscher und KONTAKT das künftige Deutsche Burgenmuseum Schreiber einer unvollendet gebliebenen Stadt- geschichte Johannes Biereye (1860 – 1949), Thüringer Tourismus GmbH stellte in einer 1917 verfassten Schrift uns heute Willy-Brandt-Platz 1, 99084 Erfurt sehr zeitgemäß klingende Überlegungen zu Erfurt Tel.: +49 361 37420 www.thüringen-entdecken.de

54 bärbel grönegres lutherland thüringen 55 ‚Ein feste Burg‘ sangen wir … die lebendige Konfirmanden im Frühjahr 1958 in der Münchner ‚Him- Erinnerungslandschaft melfahrtskirche‘, einer Stil- von Luther bis Bach. collage aus Jugendstil und Neobarock. Das Altarbild zeigte irritierender Weise eine düstere Gethsemane-Szene und keine son- nenstrahlende ascensio Christi. Dafür brauste die Orgel jeden Sonntag umso stattlicher die selbstbewussten Choräle des Protestantismus. Wer in den 1950-er Jahren als Evangelischer in der bayerischen Diaspora auf- wuchs, der wurde in Schul- und Konfirmandenunterricht zum feurigen Lutherland Lutheraner herangebildet. Den thüringischen Teil der Biographie des Reformators habe ich als Erzählung früh eingeimpft bekommen. Noch gut erinnere ich die Religions- Thüringen ist buch-Illustrationen, welche von der Entführung des Reichstags-Heimkeh- rers handeln und von der stillen Arbeit des ‚Junkers Jörg‘ an der Bibelüber- setzung droben auf der Wartburg. Die realen Szenerien habe ich natürlich für mich … viel später entdeckt. Sie waren und sind ein starker Eindruck, trotz aller Historismus-Überformung im 19. Jahrhundert. Dass da droben, einige Ser- pentinen weit über Eisenach, der zentrale Text unserer Kultur, das Neue Testament, seine deutsche Gestalt bekommen hat, erfüllt mich bei jedem Besuch mit Rührung. Die Sprache der Lutherbibel ist das Haus, in dem ich PROF. DR. seit meiner Kindheit lebe, ihre Kraft und bildhafte Anschaulichkeit ist ein CHRISTOPH STÖLZL unerschöpfliches Schatzhaus meiner Assoziationen. Was gut, was böse ist Präsident der Hoch­ ist, was erhebend und erschütternd, das denke ich, auf die eine oder schule für Musik FRANZ andere Weise in Worten, die einst dort oben auf der Wartburg ausgedacht LISZT Weimar worden sind. Wer sich ein wenig auskennt in der Geschichte der Reforma- tion, der wird in Thüringen auch noch anderen Luther-Schauplätzen mit Fernwirkung bis heute begegnen. Von meiner Hochschule aus blicke ich jeden Tag auf das Schloss in Weimar. Dort hat Luther zwischen dem 24. und dem 26.Oktober 1522 dar- über gepredigt, wie es die Christen mit der Macht halten sollten. Der Pre- digttext, kurz darauf publiziert als ‚Von weltlicher Obrigkeit wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei‘ hat die neuere deutsche Geschichte wahr- scheinlich so tief geprägt wie nichts anderes. Das spezifisch deutsche Staatsverständnis mit seinem Vertrauen auf den Zivilisierungsberuf der weltlichen Mächte und seiner Scheu vor aller Unordnung und Revolu- tion hat hier seine Quelle. Ein problematisches Erbe, denken wir an die Geschichte der deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert. Ganz unproblematisch dagegen ein anderes, nicht weniger ur-lutheri- sches Vermächtnis, dem man in Thüringen auf Schritt und Tritt begegnen kann. Es ist die unsterbliche Musik J. S. Bachs. Neben unserer Hochschule stand sein Haus, von dem nur die Kellergewölbe übrig geblieben sind. Hier hat der junge Bach gewohnt, komponiert und musiziert, Kinder aufgezo- gen. Wem gehört Bach? Natürlich allen Menschen, die Ohren haben zu hören. Aber gerührt sein darf man doch, wenn man sich vorstellt, dass von Bachkonzert in der Thüringen aus diese humane Welt-Botschaft ausgegangen ist.“ Kirche zu Dornheim

christoph stölzl lutherland thüringen 57 Die Geschichte des Christentums reicht weit in die Anfänge der thüringischen Geschichte zurück und hat die einmalig dichte Kulturland- schaft nachhaltig geprägt. Mit der Reformation entstanden protestantische Landeskirchen, die nach mehrfachen Wandlungen in der heutigen Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zusammenfanden.

Klöster historisch und modern: Paulinzella (links) und Volkenroda

58 ernst koch lutherland thüringen 59 ERNST KOCH Christianisierung des Orlagaus, der schon in karo- lingischer Zeit zum Reich gehört hatte, begann erst Christentum, nach der Jahrtausendwende. Der weitere Ausbau der Kirchenorganisation erfolgte seit dem Ende des 12. Jahrhundert mit der Anlage von großräumigen Rodungspfarreien. Bis Reformation und zum 17. Jahrhundert dauerte die Aufteilung der alten Großpfarreien in kleinere Sprengel an. Den entste- henden Städten gelang in der Regel die Konstituie- Evangelische Kirche rung eines eigenen Pfarrbezirks unter Loslösung von einer Mutterpfarrei. Die besondere Situation Erfurts führte zur Aufteilung der Marienpfarrei in schließ- lich 26 Einzelpfarreien. Erfurt wurde im 15. Jahrhun- bis 1918 dert die kirchenreichste Stadt in ganz Mittel- und Ostdeutschland.

christianisierung und gründete sie das Kloster Sainte-Marie-hors-les-Murs, klosterleben und kirchliche organisation die spätere Abtei vom Heiligen Kreuz in Poitiers und kanonikerstifte damit das erste Frauenkloster Europas. ie Anfänge des Christentums in Thüringen haben Die eigentliche Christianisierung Thüringens ie frühen Klostergründungen in Ohrdruf, Milz und Dnur wenige Spuren hinterlassen. Dass es vor dem begann mit dem Missionar Bonifatius (um 673-754). DRohr wurden rasch von Hersfeld und Fulda über- Untergang des mächtigen Thüringer Königreiches im Er traf bei seinem ersten Aufenthalt (719) auf christ- nommen. Ähnlich erging es dem von den ottonischen Relief des Kampf gegen die Franken 531/34 am Königshof mit liche Vertreter der Oberschicht, gleichzeitig auch Königen und Kaisern mit großen Plänen begleiteten Heiligen Bonifatius Amalaberga, der Schwester Theoderichs des Großen auf Kleriker, die seinen Anforderungen an ein pries- Memleben. Ungebrochene Existenzkraft bewies das und romanische und Gattin König Herminafrids, christlichen Einfluss terliches Leben nicht entsprachen. Das Wirken des zwischen 961 und 1802 bestehende Reichsstift St. Madonna im gab, hatte für die Bewohner des Landes wohl keine Angelsachsen bezog sich v.a. auf den Aufbau einer Crucis in Nordhausen. Adlige stifteten als Grable- Erfurter Dom Folgen. Die unter fränkischem Einfluss eingesetzten an Rom orientierten Kirchenorganisation. Darauf gen Hausklöster, so die Ludowinger Reinhardsbrunn Herzöge des 7. Jahrhunderts und Teile des thüringi- weist etwa die Gründung eines Klosters in Ohrdruf (1085), die ostsächsische Adlige Paulina Paulinzella schen Adels waren bereits christianisiert. (725) hin. Vor 741 entstand als weiterer Stützpunkt (1106), die Grafen von Tonna-Gleichen Volkenroda Besondere Erwähnung verdient die Königstochter Sülzenbrücken. 732 erfolgte die Erhebung des Boni- (1131), die Markgrafen von der Lausitz Bürgel (Thal- und spätere Volksheilige Radegundis (um 520-587), fatius zum Erzbischof durch Papst Gregor II.; jedoch bürgel) (1133), die Freifrau Frideruna von Grumbach Tochter Berthachars von Thüringen. Sie wurde 531 konnte er einen Bischof für Erfurt erst 741 oder 742 die Klosterkirche Ichtershausen (1133, ab 1147 Zis- nach Frankreich verschleppt und dort 540 zur Hei- weihen. Da das Bistum Erfurt nie real in Funktion trat, terzienserinnenkloster), die Grafen von Schwarzburg- rat mit dem Frankenkönig Chlothar I. gezwungen. 558 sondern von Bonifatius wenige Jahre später in seinen Käfernburg Georgenthal (1143), die Vögte von Weida Mainzer Funktionsbereich einbezogen wurde, blieb Mildenfurth (1193) und Cronschwitz (1238). Die Hir- Thüringen lange ohne einen kirchlich-administrati- sauer Reform gewann starken Einfluss auf benedik- ven Mittelpunkt. Unbestreitbar ist dennoch der Cha- tinische Männer- und Frauenkonvente des Landes Ritterordens dar. Sie reichte über das Land hinaus rakter Erfurts als eines kirchlichen Zentrums, das im (Reinhardsbrunn, Erfurt St. Peter und Paul, Heusdorf, und zählte mindestens neun Komturate (regionale Die eigentliche 9. Jahrhundert Sitz eines Mainzer Chorbischofs, seit Beichlingen). Die insgesamt 30 Zisterzienserinnen- Untergliederungen) und etwa 50 Kirchenpatronate. dem 14. Jahrhundert eines Weihbischofs wurde. konvente Thüringens waren besonders im Eichsfeld Christianisierung begann vertreten. Bereits 1224 kamen die Franziskaner (Erfurt, mit dem Missionar Für die „dunklen Jahrhunderte“ zwischen etwa Alle Sitze der Archidiakonate (Untereinheiten von Eisenach), 1228 die Dominikaner ins Land. Die 750 und 1050 sind sichere Auskünfte über den Ver- Bistümern) befanden sich an Kanonikerstiften. Ihrem Augustinereremiten gründeten ihren bedeutendsten Bonifatius (um 673-754). lauf der Christianisierung lediglich über die Gründung Selbstverständnis nach sahen sich die Augustiner- Konvent in Erfurt. Mit ihm war das Generalstudium von Pfarrkirchen zu erhalten. Der dichte Besitz der chorherren den Städten verpflichtet (Erfurt, Naum- der Provinz Saxonia verbunden. Seit 1372 konn- Klöster Fulda und Hersfeld in Thüringen bietet wei- burg, Bibra, Altenburg), die Prämonstratenser der ten die Kartäuser in Erfurt und in Eisenach Fuß fas- tere Anhaltspunkte. Das östliche Thüringen von der Seelsorge an Neusiedlern (Ilfeld, Mildenfurth, Veßra). sen. Auf Drängen thüringischer Dynasten zog im 15. Saale an wurde erst in ottonischer Zeit mit der Errich- Die Ballei Thüringen des Deutschen Ordens stellte Jahrhundert die Observanzbewegung mit strengerer tung des Bistums Zeitz/Naumburg 968 erreicht. Die die wichtigste deutsche Provinzorganisation dieses Beachtung der Ordensregeln in die Bettelorden ein.

60 ernst koch lutherland thüringen 61 Gründung der Universität Erfurt 1379/92 stellten die krieg 1525 noch vor 1530. Seit 1527 fand von Fran- Die wichtigsten Orden immer wieder Theologen und Philosophen als ken und Hessen her die Täuferbewegung Eingang Thüringer Reformatoren Professoren. Unter den in Thüringen verehrten Hei- in den Randgebieten Thüringens. Ihren Höhepunkt ligen nahm Elisabeth von Thüringen (1207-1231) erreichte sie um 1535. einen besonderen Platz ein. Ihre Vita bot Anhalts- Abgeschlossen war die erste Phase der Visitatio- punkte zur Indienstnahme als Patronin des Landes, nen 1551 mit der Fertigstellung der Bewidmung, die zumal auch ihr Ehegatte, Landgraf Ludwig IV., als Hei- die Einkünfte der Pfarreien festlegte. Der Einfluss von liger verehrt wurde. Landesherrschaft und Adel machte sich außerhalb Peterskirche in Erfurt Das Erzstift Mainz hatte sich angesichts der Rand- des ernestinischen Herrschaftsbereichs besonders lage Thüringens und der relativ großen Vollmacht der stark in Gebieten bemerkbar, die teils landsässigem Archidiakone immer wieder seiner Gerichtsbarkeit zu (dem Territorialherrn unterstellt), teils reichsunmittel- versichern. Dazu diente nach 1250 die Einsetzung barem Lehnsrecht unterstellt waren, so z. B. in einigen spätmittelalterliches von erzbischöflichen Exekutoren und an der Wende reußischen und schwarzburgischen Herrschaften. Am christentum zum 14. Jahrhundert von Generalrichtern für Thürin- frühesten gelang die Einführung der Reformation im gen. Für die Verwaltung der erzbischöflichen Besit- schwarzburgischen Arnstadt (1531), als letzter Lan- en gewachsenen Ansprüchen der Landesher- zungen waren Provisoren, für die allgemeine kirchli- desherr gab Heinrich XV. von Lobenstein im Septem- Nicolaus von Amsdorf Caspar Aquila Dren entsprach seit Ende des 13. Jahrhunderts che Verwaltung Generalkommissare zuständig. ber 1543 den Widerstand gegen die Reformation auf. 1483–1565 1488–1560 die Gründung von Kollegiatstiften (Gemeinschaf- Im gleichen Jahr schloss sich Graf Wilhelm IV. von ten von Weltgeistlichen), die durch Gottesdienst, Henneberg-Schleusingen der Reformation an. Schulen und Hospitäler anregend auf die Residen- reformation und zen wirkten. In Erfurt sorgten die Stifte für weitrei- konfessionalisierung chende Ausstrahlung auf das Bildungswesen. In die Seelsorge schalteten sich zunehmend die Orden ein, b 1521 machte sich in vielen Orten Thüringens, wobei neben den Bettelorden der Deutsche Orden Abeginnend mit Erfurt, die reformatorische Bewe- Ab 1521 machte eine wichtige Rolle spielte. Die Stiftung von städti- gung in Protesten, Unruhen und konkreten Forderun- schen Prädikaturen (Predigerstellen) in der zwei- gen bemerkbar. Sie erhielt Organisatoren und Spre- sich in vielen ten Hälfte des 15. Jahrhunderts spielte beim Einzug cher in den Predigern, wie dem „Reformator Erfurts“ der Reformation eine Schlüsselrolle. In den ländli- Johannes Lang. Einige von ihnen (Georg Spalatin in Orten Thüringens, chen Regionen verbesserte die Verdichtung des Net- Altenburg, Friedrich Myconius in Gotha, Johann Grau beginnend mit Erfurt, zes von Kirchen und Kapellen den Zugang zu den in Weimar, Anton Musa in Jena, Balthasar Düring in Heilsangeboten. Coburg, Justus Jonas in Eisfeld) gehörten später zu die reformatorische Justus Jonas Justus Menius den ersten zwölf ernestinischen Superintendenten. 1493–1555 1529–1557 Für das 15. Jahrhundert lassen sich in Thüringen 24 Ein erstes Signal für ein landesherrliches Eingrei- Bewegung in Kalandbruderschaften (Bruderschaften wohlhaben- fen zugunsten der Reformation stellte der 1525 durch der Bürger unter Beteiligung auch von Geistlichen) Kurfürst Johann ergangene Befehl dar, das Wort Protesten, Unruhen nachweisen. Ähnlich zahlreich dürften Fronleich- Gottes lauter und rein ohne menschlichen Zusatz namsbruderschaften gewesen sein. Neben unzähli- zu verkündigen. Ihm folgte die Anweisung, künftig und konkreten gen regionalen Wallfahrtsorten kamen dem Hülfens- die Messe nur noch in deutscher Sprache zu feiern. berg im Eichsfeld und Grimmenthal die Bedeutung Das ernestinische Thüringen wurde im Gefolge ers- Forderungen von Fernwallfahrtsorten zu. Seit Mitte des 14. Jahr- ter Visitationen (Kontrollbesuche) der Gemeinden hunderts fand im Anschluss an Judenpogrome die 1525/26 das Ursprungsland der Superintendentur- bemerkbar Inquisition Opfer unter den Brüdern und Schwestern verfassung (Superintendent = 1. Pfarrer und Leiter des freien Geistes, den Beginen von Erfurt, Eisenach eines Kirchenkreises). und Mühlhausen und kleinen Gruppen von Walden- Zeitgleich mit der frühen Reformationsbewegung sern. Geißler hielten sich v.a. südlich des Harzes zwi- traten in Eisenach, Orlamünde, Allstedt und Mühl- schen Nordhausen, Querfurt und Weißensee. hausen u.a. mit Karlstadt und Thomas Müntzer Ver- Friedrich Myconius Georg Spalatin Thüringens Bedeutung für die mittelalterli- treter einer anderen Bewegung auf. Diese wurzelte in 1490–1546 1484–1545 che Theologie war mit der Tätigkeit großer Erfur- radikaler Wirtschafts- und Sozialethik, Apokalyptik ter Ordenstheologen verbunden, etwa dem Domini- und augustinisch-mystischer Frömmigkeit. Ihr Wirken kaner Meister Eckhart (um 1260–1328). Auch nach in Thüringen endete nach der Niederlage im Bauern-

62 ernst koch lutherland thüringen 63 Einen tiefen Einschnitt bedeuteten neben den kirchenreform, pietismus Kommunikanten ein. Zur Popularisierung rationalisti- politischen die kirchlich-theologischen Folgen und aufklärung scher Religiosität trugen leitende Geistliche bei. des Ausgangs des Schmalkaldischen Krieges Mit der veränderten Religiosität fielen die Schran- und des Augsburger Reichstags von 1548. Der ie Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges führ- ken der lutherischen Territorien gegenüber den bisherige Kurfürst Johann Friedrich widerstand allen Dten 1640 im Herzogtum Sachsen-Gotha zu einer Reformierten. Der Beitritt der thüringischen Staaten Collegium Ienense – die Keimzelle kaiserlichen Forderungen nach Zugeständnissen umfassenden Reform durch Herzog Ernst I., den zum Rheinbund 1807 forderte die freie Religionsaus- der Jenaer Universität in Glaubensfragen; die ernestinisch-thüringischen Frommen. Sie nahm Kirchenreformideen der Zeit auf übung für römische Katholiken. Die von der Universi- Theologen bestärkten ihn. Der größte Teil Thüringens und gewann u.a. im Schulwesen starke Ausstrah- tät längst geforderte Gründung einer Seelsorgestelle blieb der Wittenberger Reformation verpflichtet. Die lung. Kritik an den Gothaer Vorgängen erhob sich in Jena 1808 wurde von Napoleon reich dotiert. Sie In Sachsen-Weimar-Eisenach wurde 1851 eine von Johann Friedrich gegründete Hohe Schule und in Weimar. Die Reform bereitete den Boden für den änderte schließlich ihren Status zu dem einer Pfarrei. Kirchgemeindeordnung erlassen, die der Gemein- spätere Universität Jena (1548/58) entwickelte ein Hallischen Pietismus, der im Umkreis von Gotha und devertretung mitwirkende und beratende Funktio- theologisches Gegenprogramm zum nunmehr alber- Erfurt eine seiner Wurzeln hatte. Die übrigen ernes- nen zuschrieb. 1854 folgte Schwarzburg-Rudolstadt, tinischen Wittenberg und Leipzig. tinischen Höfe verhielten sich kritischer und beob- der protestantismus zwischen bis 1893 die übrigen Staaten außer Sachsen-Coburg Für das kirchliche Leben Thüringens wurden das achteten misstrauisch vom Pietismus (evangelische befreiungskriegen und erstem und Gotha. Die Liberalisierung der rechtlichen Grund- 17. und 18. Jahrhundert besondere Blütezeiten der Strömung mit Betonung der persönlichen Frömmig- weltkrieg lagen wurde durch Dissidentengesetze und Verord- Kirchenmusik. Spiritualistische Bewegungen wie das keit) ausgelöste Vorgänge an der Universität Jena. nungen über Bildung neuer Religionsgesellschaften Auftreten von Esaias Stiefel und Ezechiel Meth wur- In Erfurt meldeten sich seit 1692 ekstatische as kirchliche Klima Thüringens war bis um 1850 fortgesetzt. Zu den Folgen gehörte die Entstehung den aufmerksam wahrgenommen. Erscheinungen, in Coburg und Reuß nach 1700 die Düberwiegend durch den liberalen Protestantis- lutherischer Freikirchen. Unter den kirchlichen Ver- Die Gegenreformation zog im kurmainzischen radikalpietistische Bewegung. Heinrich XXIV. Reuß- mus geprägt. Abweichungen von diesem Gesamt- einen fanden der Gustav-Adolf-Verein (1844) und Eichsfeld seit 1574 ein, getragen durch die Grün- Köstritz wurde einer der vertrautesten Ratgeber bild ergaben sich durch die Einstellung einzelner Lan- die Missionsvereine den stärksten Zuspruch. An der dung des Jesuitenkollegs Heiligenstadt. Ihr konnten August Hermann Franckes (1663–1727), in der Resi- desherren oder Geistlicher. Die Erweckungsbewe- Gründung des Evangelischen Bundes in Erfurt (1886) lediglich die im Gebiet ansässigen Adelsherrschaf- denz von Reuß-Ebersdorf bildete sich eine herrnhu- gung machte sich nur an wenigen Orten bemerkbar. waren Jenaer Professoren führend beteiligt. Auch ten widerstehen. Auch in Erfurt, wo 1530 zwischen tische Brüdergemeine, ebenso in Neudietendorf bei Mit dem Ausgang der napoleonischen Kriege setzte die Freunde der Christlichen Welt fanden eine starke Stadt und Mainzer Erzbischof die Doppelkonfessio- Gotha (1743/53). Die herrnhutische Diasporaarbeit sich das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Anhängerschaft. Sammelort für die konfessionell nalität festgeschrieben worden war, machten sich mit fand weite Verbreitung, vor allem in den ernestini- auch auf kirchlicher Ebene an die Spitze der Entwick- lutherischen Gruppen wurde seit 1879 die Thüringer dem Zuzug von Jesuiten 1582 gegenreformatorische schen Territorien. Anregungen des Pietismus für Wai- lung. Die erste Landtagssitzung nach Einführung der kirchliche Konferenz. Einflüsse bemerkbar. Das zur Abtei Fulda gehörige senfürsorge und die Ausbildung von Pfarrern wirkten Verfassung von 1816 brachte eine Reihe von Ange- Die Presselandschaft spiegelte die gewandelte Amt Rockenstuhl (später Amtsgerichtsbezirk Geisa) an mehreren Orten Thüringens nach. legenheiten zur Verhandlung, die auf eine teilweise Situation nach 1850 wider. Dem vorliberalen Ratio- erlebte ab 1570 energische Bemühungen um die Trennung von Staat und Kirche hinausliefen. Sie kam nalismus verpflichtete Sonntagsblätter konnten sich Rückführung zum Katholizismus. Sie führten erst zum Dort, wo der Pietismus nicht Eingang in breitere jedoch nicht zur Ausführung. Eine Synodalverfassung nicht mehr halten. Unter den eher volkstümlich-kon- Erfolg, nachdem 1578 der Kaiser eingriff. Kreise fand, lebte die Frömmigkeit des 17. Jahrhun- mit Synoden als einer Art Kirchenparlament wurde servativen Organen erntete das Thüringer Evange- derts zunächst ungebrochen weiter. An den meisten 1873 eingeführt. Sachsen-Meiningen folgte 1876. In lische Sonntagsblatt den stärksten Zuspruch. Die Höfen wurden sie und der Pietismus verhältnismä- den übrigen Staaten scheiterte die Einführung an den Monatsschrift Die Dorfkirche war weit verbreitet. Wie ßig abrupt zwischen 1730 und 1750 durch aufge- Landtagen. auch in der Literatur, bildete in der kirchlichen Presse klärte Einstellungen zum überlieferten Christentum Die Revolution von 1848 führte bis 1869 außer in Thüringens der Bezug auf die idealisierten Werte von abgelöst. Reuß ä. L. zur Auflösung der Konsistorien (staatliche Bauerntum und Heimat einen wichtigen Hintergrund, Im Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg erfolgte Kirchenbehörden) und zur Übernahme ihrer Funktio- dem sich auch der Titel des seit 1924 erscheinenden dieser Wechsel 1745, im Herzogtum Sachsen-Wei- nen durch Ministerialabteilungen. An die Spitze der Sonntagsblattes Glaube und Heimat verdankte. Ein mar mit dem Regierungsantritt von Carl August 1775. demokratischen Bewegung des Revolutionsjahrs umfangreiches Wirkungsfeld erhielt die große Zahl Hier wurde beim Schlossneubau 1774 auf den Einbau setzten sich auch Studenten der Theologie. Initiiert der Heimatglocken-Ausgaben als Gemeindeblätter. einer Kapelle verzichtet. Zwischen 1770 und 1795 durch den Jenaer Theologen Eduard Schwarz ging Seit 1913 erschien als Publikationsorgan des freien wurden Kirchenzucht und Einzelbeichte abgeschafft. eine Delegiertenversammlung aus allen Einzelstaa- Protestantismus die Christliche Freiheit für Thürin- Zur gleichen Zeit setzte der Rückgang der Zahl von ten an Verhandlungen über eine Kirchenverfassungs- gen, seit 1918 Die Freie Volkskirche für Thüringen reform. Sie versandeten mit dem Scheitern der Revo- und Sachsen genannt. lution 1849. Auch Reformversuche in den Einzelstaa- ten brachten keine Ergebnisse. Als unverbindliches Kontaktorgan hielt sich bis 1872 der Thüringer Kir- chentag. Ein Thüringer Kirchenblatt (1849) hielt sich Autor Prof. Dr. Ernst Koch Gedenktafel für die ebenso wie die Thüringische Kirchenzeitung (1870) ist evangelischer Theologe Gründung des Evangelischen lediglich anderthalb Jahre. und Kirchenhistoriker Bundes 1886 in der Erfurter Predigerstraße

64 ernst koch lutherland thüringen 65 REINHARD WERNEBURG Die Evangelische Kirche seit 1918

88 jahre – eine heimat gangen. Damit war auch das Ende des Staatskirchen- evangelischer freiheit und tums besiegelt. Die Kirchen der Reformation waren duldsamkeit als Landeskirchen organisiert. In jedem einzelnen Land gab es eine eigene evangelische Kirche, deren ür einen Menschen sind 88 Lebensjahre ein Oberhaupt der jeweilige Landesherr war. Mit dem Fgesegnetes Alter. Wenn eine Kirche 88 Jahre alt Untergang der Territorialstaaten fehlten die Rahmen- wird, dann sieht das im Vergleich mit anderen Kir- bedingungen für diese kleinteilige Kirchenstruktur. chen eher kurzlebig aus. Parallel zur Neuordnung der Länder mussten nun Die „Thüringer evangelische Kirche“ wurde in der auch die Kirchen eine neue Verwaltungs- und Lei- Folge der Novemberrevolution 1918 gegründet. Sie tungsstruktur organisieren. Es war ein Prozess, der hat dann 88 Jahre das evangelische Leben in Thü- gut zwei Jahre Zeit in Anspruch genommen hat. Die ringen geprägt. Mit dem Deutschen Kaiserreich sind Initiative dazu ging von Professoren der Theologi- auch die Thüringer Territorialherrschaften unterge- schen Fakultät in Jena aus. Noch im November 1918 luden sie zu einer Kirchenversammlung ein, die gewissermaßen die Gründungsinitiative der späte- Die Thüringer Landeskirche entstand parallel zur Bildung des Landes Thüringen 1920 aus ren Thüringer evangelischen Kirche war. Sie ist dann acht ehemaligen Herzog- und Fürstentümern (ohne die preußischen Gebiete mit Erfurt). als „kleinthüringische Lösung“ parallel zur Bildung Die Evangelische Kirche des Landes Thüringen 1920 entstanden und ver- sammelte in ihrem Gebiet die ehemals selbststän- wie der Pflugensberg liebevoll und augenzwinkernd Es war also vor allem eine Veränderung der gesell- in Thüringen wurde in digen Landeskirchen der Thüringer Fürsten- und von den kirchlichen Mitarbeitern genannt wurde, zur schaftlichen Rahmenbedingungen, die 1918–1921 der Folge der November­ Herzogtümer. „Hauptstadt“ der evangelischen Kirche in Thüringen. zur Gründung der „Thüringer evangelischen Kirche“ Von Januar 1921 an war das evangelische kirchli- geführt hatte. revolution 1918 gegründet Am 1. Januar 1921 nahm der Landeskirchenrat der che Leben in Thüringen nun in einem größeren Rah- Inspiriert von dem parallel laufenden Prozess neu gegründeten „Thüringer evangelischen Kirche“ men organisiert und verbunden. Die preußischen der Ländergründung und der Neuordnung des poli- seine Arbeit in Eisenach auf. Eine besondere Aufgabe Teile Thüringens mit Erfurt und das Dekanat Schmal- tischen Lebens in der Weimarer Republik mit einer war für ihn auch die Integration der unterschiedli- kalden, das von der Kurhessischen Landeskirche demokratischen Verfassung, hat man auch bei der chen ehemaligen Teilkirchen. Mit der Villa des Fabri- geleitet wurde, gehörten allerdings nicht dazu. Diese Entstehung der neuen Kirche großen Wert darauf kanten von Eichel-Streiber auf dem Eisenacher Pflu- Neugründung brachte außerdem den Wechsel von gelegt, diesem, als modern angesehenen parlamen- gensberg war ein ansprechendes und repräsenta- einem jahrhundertelang geprägten landesherrlichen tarischen Weg zu folgen und möglichst viele Men- tives Gebäude für die gemeinsame Verwaltung der Kirchenregiment zu einer vom Staate unabhängigen schen zu beteiligen. neuen Landeskirche, als Sitz des Landeskirchenrates Volkskirche mit sich. Doch in den Kirchengemeinden Der erste Landesoberpfarrer der neuen Kirche und des Landesoberpfarrers (später Landesbischof) hat sich das obrigkeitliche Denken und Verhalten Erich W. Reichardt hat es so formuliert: „Die neue Zeit gefunden. Und so wurde Eisenach mit dem „Vatikan“, noch lange lebendig erhalten. hat den Neubau des Staates in die Hände des Volkes

66 reinhard werneburg lutherland thüringen 67 gelegt. Wir müssen den Neubau der Kirche ebenso in ner Berichterstattung über das kirchliche Leben aus sich mit ihren „Thüringer Kameraden“ die liberale Kir- die Hände des Kirchenvolkes legen. In dieser Zeit darf den Gemeinden einen wichtigen Dienst für unsere chenfassung der Thüringer evangelischen Kirche „als die Kirche nicht hinter dem Staate zurückstehen und neue Landeskirche leistet. Aber auch übergemeind- einer Heimat evangelischer Freiheit und Duldsamkeit“ weniger Vertrauen zeigen.“ liche Dienste, deren Wirken dem weiteren Aufbau der zu ihrer „Machtergreifung von rechts“ skrupellos zu Der Aufbruch in die neue Kirche gestaltete sich einen Kirche diente. Es wurde ein Kirchenmusikwart Nutze gemacht. Vor der Wahl zum 3. Landeskirchen- in den Folgejahren zwischen der Befürwortung, die berufen, ein Landessozialpfarrer eingesetzt und ein tag im Januar 1933 wandte sich Adolf Hitler persön- Gestaltung des kirchlichen Lebens in die Hände der Landesjugendpfarrer sollte Impulse für eine evange- lich an die Thüringer und rief sie auf, bei der Wahl Gemeinden zu legen und der Befürchtung, sich nur lische Jugendarbeit in die neue Kirche senden. Das ihre Stimme den Kandidaten der NS-nahen „Deut- dem Zeitgeist anzupassen. Dass diese noch junge neue Predigerseminar in Eisenach sollte die ange- schen Christen“ zu geben. So zogen diese bald als Kirche sich alsbald mit zwei kirchenfeindlichen Dik- henden Pfarrer für ihren Dienst in den Gemeinden stärkste Gruppierung in den neuen Landeskirchen- taturen auseinanderzusetzen hatte, konnte zu die- zurüsten. Zu den Aufbrüchen zählten auch Ordina- tag ein, und so war es nur noch eine Frage der Zeit, sem Zeitpunkt niemand ahnen. Diese Auseinander- tionen für Frauen, die ab 1927 in Thüringen einge- bis auch der Landeskirchenrat von ihnen übernom- setzung hat nach innen und nach außen zu ganz führt wurden. Allerdings wurden Pfarrerinnen damals men wurde. Damit begann ein beschämendes Kapi- erheblichen theologischen und politischen Span- auf den Dienst in der Krankenhaus- und Gefängnis- tel in der Geschichte unserer Kirche. Die Landesbi- nungen geführt. seelsorge oder mit der Beauftragung zum Pfarr- Georgenkirche zu Eisenach während der dienst neben einem männlichen Pfarrstelleninhaber friedlichen Revolution 1989 „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…“ und begrenzt eingesetzt. Die Mitglieder des Landeskir- auch mit diesem Neubeginn verknüpften sich viele chentages (später Landessynode) und die Gemein- Hoffnungen. Die neue „Thüringer evangelische Kir- dekirchenratsmitglieder in der Kirchgemeinderatslei- Doch dieses schöfe Martin Sasse (1934–1942) und Hugo Rönck che“ sollte eine vom Kirchenvolk getragene Landes- tung vor Ort wurden direkt gewählt. (1942–1945) waren „treue Gefolgsleute des Führers“. kirche sein. Zahlreiche neu gegründete Einrichtun- Doch dieser bewusst an den demokratischen Vor- düstere Kapitel In Eisenach wurde das „Institut zur Erforschung und gen und Institutionen sollten die Identität und das gaben der Zeit orientierte Aufbruch wurde in einen unserer Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deut- Zusammenwachsen der neuen Kirche fördern. Dazu jähen Umbruch gestürzt. Radikale, nationalsozialis- sche kirchliche Leben“, kurz „Entjudungs-Institut“ gehörten das Monatsblatt „Glaube und Heimat“, das tisch engagierte Pfarrer aus dem benachbarten Fran- Kirchengeschichte genannt, gegründet und von ihrem wissenschaftli- noch heute als Evangelische Wochenzeitung mit sei- ken, Siegfried Leffler und Julius Leutheuser, haben chen Leiter Walter Grundmann ein Neues Testament ist allen folgenden und ein Gesangbuch erarbeitet, in denen alle jüdi- schen Bezüge entfernt wurden. Dieses düstere Kapi- Generationen als tel unserer Kirchengeschichte ist allen folgenden Generationen als warnendes Mahnmal mitgegeben. warnendes Mahnmal Doch nachdem 1933 in Berlin von mutigen Gegnern der Deutsch-Christlichen Bewegung die mitgegeben. „Bekennende Kirche“ gegründet worden war, in der sich viele Pfarrer und Gemeindeglieder der national- sozialistischen Gleichschaltung widersetzten, kam es auch in Thüringen 1934 zur Gründung der „Luthe- rischen Bekenntnisgemeinschaft“. Mit ihrer „Erfur- ter Erklärung“ protestierten sie gegen den deutsch- christlichen Landeskirchenrat und Landesbischof und sprachen ihnen das Vermögen einer geistlichen Leitung ab. Etliche Pfarrer sind in dieser Zeit für ihre Widerständigkeit von Dienst suspendiert worden, einige, wie z. B. Werner Sylten, haben sie mit ihrem Leben bezahlt.

Der Umbruch mit der Niederlage nach dem Zwei- ten Weltkrieg und der Zerstörung unseres Landes wurde für die doch noch junge evangelische Kirche in Ehemaliges Thüringen zunächst erneut zu einem Aufbruch. Landeskirchenamt auf Der Neuanfang in der evangelischen Kirche in Thü- dem Pflugensberg in ringen wurde von Männern und Frauen gestaltet, die Eisenach

68 reinhard werneburg lutherland thüringen 69 schaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Schulen, mit der Übernahme oder Neugründung von In diesen Auseinandersetzungen war die Kirche fast Kindergärten, ambulanten oder stationären Alten- immer den Repressalien der SED-Diktatur unterlegen. pflegediensten und Beratungsstellen, mit der Mög- Wohl deshalb hat Moritz Mitzenheim in der 2. Hälfte lichkeit in den Medien mit eigenen Programmbei- seiner 25-jährigen Amtszeit als Thüringer Landesbi- trägen präsent zu sein, mit der gesellschaftlichen schof einen anderen Weg als die Nachbarkirchen im Nachfrage nach Diensten in der Notfall- und Polizei- „Bund der evangelischen Kirchen der DDR“ beschrit- seelsorge, Telefon- und Militärseelsorge. Auf der ten: einen Weg, der auf Kompromiss und Kooperation anderen Seite muss sich nun auch die Kirche stärker mit dem SED-Regime gerichtet war, um – wie er es als bisher mit dem gesellschaftlichen Phänomen der nannte – „einen Freiraum für die Kirche“ zu behalten. „Säkularisierung“, der Entkirchlichung auseinander- Dieser zu Recht umstrittene „Thüringer Weg“ hat die setzen, sei dies nun hausgemacht, also aus Gründen Landeskirche in eine gewisse Isolierung innerhalb geistlicher Schwäche, oder von außen einwirkend: der Gemeinschaft der übrigen evangelischen Kir- aus Gründen einer allgemeinen materialistischen chen in der DDR und gegenüber den Landeskirchen Konsumorientierung der meisten Zeitgenossen. in der 1949 gleichfalls gegründeten Bundesrepublik Hinzu kommt die mit dem Geburtenmangel und der Deutschland (BRD) geführt. Doch bereits unter sei- Überalterung verbundene Abwanderung vieler jun- Unterzeichnung des Föderationsvertrages der beiden nem Nachfolger Ingo Braecklein (1970–1978) und ger Menschen in die so genannten „alten Bundeslän- evangelischen Landeskirchen am 1. Juli 2004 durch die Bischöfe erst recht mit der Übernahme des Bischofsamtes der“, kurz: demographischer Wandel genannt. Denn Dr. Christoph Kähler und Axel Noack durch Werner Leich (1978–1992) wurde dieser Weg korrigiert. Rechts: Landesbischof Dr. Werner Leich (geb. 1927) Mit Friedlicher Revolution und Mauerfall im Herbst 1989 deutete sich ein erneuter Aufbruch an. Der aus vielen, zunächst ganz unscheinbaren „Montagsgebeten“ evangelischer Kirchen und aus zum größten Teil in der Lutherischen Bekenntnisge- geschalteten Kirche im Dritten Reich waren die Aus- dem Engagement kirchlicher Oppositionsgruppen meinschaft ihre geistliche Heimat hatten. Der Eisena- löser einer gravierenden Neuordnung der Leitungs- erwachsene Proteststurm hatte diesen Umbruch cher Pfarrer Moritz Mitzenheim übernahm den Vor- struktur der nunmehr lutherischen Landeskirche. vorbereitet. So wurde die Friedliche Revolution zur sitz im Landeskirchenrat und wurde bereits 1945 zum Diese wurde nach dem Prinzip der konzentrischen „Wende“, zur Voraussetzung für die Wiedervereini- Landesbischof ernannt. 1948 sorgte Mitzenheim Kreise aufgebaut. Das stärkte die Rechte und Pflich- gung Deutschlands am 3. Oktober 1990 und für die dafür, dass die Thüringer evangelische Kirche von ten des Landesbischofs. Zugleich wurde mit dem Amt Bildung des Freistaates Thüringen am 14. Oktober der ersten Landessynode in „Evangelisch-Lutheri- der Visitatoren (Oberkirchenräte, mit der geistlichen 1990. Damit änderten sich erneut die gesellschaftli- sche Kirche in Thüringen“ (ELKTh) umbenannt wurde. und personalen Aufsicht über Visitationsbezirke chen Rahmenbedingungen für die evangelische Kir- Diese, im Reinigungs- und Erneuerungsprozess betraut) ein Gegengewicht installiert. Diese Visita- che in Thüringen. Auf der einen Seite eröffneten sich Landesbischof befindliche Kirche wurde umgehend Mitglied der neu toren hatten in Gera, Weimar, Gotha und Meiningen ihr neue Möglichkeiten mit der Einführung des Reli- Moritz Mitzenheim errichteten „Evangelischen Kirche in Deutschland“ dezentral im Land verteilt ihren Dienstsitz. gionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach in den (1891–1977) (EKD) sowie der „Vereinigten Evangelischen Lutheri- In ihren Neuordnungsbemühungen war die junge schen Kirche in Deutschland“ (VELKD) und trat auch Kirche erneut mit einer kirchenfeindlichen Dikta- dem „Lutherischen Weltbund“ (LWB) bei. tur konfrontiert. Dieses Mal von „links“, in Gestalt Das offizielle Siegel zeigte die Südansicht der der sowjetischen und deutschen kommunistischen Wartburg. Mit dieser Burg über „Luthers lieber Stadt“ Machthaber. In die erste Phase dieser Konfrontation In der Erfüllung dieses der gesamten Kirche Eisenach verbindet sich die Erinnerung an klang- fielen die heftigen Auseinandersetzungen zwischen volle Namen, die eine prägende Spur in die deutsche kirchlicher und staatlicher Jugendarbeit: um die von Jesus Christus anvertrauten Auftrags Kultur- und Kirchengeschichte gelegt haben. Daran „Junge Gemeinde“ bzw. die kommunistische „Jugend- arbeiten alle Gemeindeglieder geschwisterlich wollte die neu gegründete Thüringer Kirche anknüp- weihe“. Dazu gehörten auch die Zwangsaussiedlun- fen, wenn sie die Bibel als unveränderliche Heilige gen aus den Gebieten nahe der „Interzonengrenze“ zusammen und dienen mit der Vielfalt ihrer Schrift, die Bekenntnisse der Alten Kirche und das zu Hessen und Bayern sowie die zwangsweise vollzo- Werk Martin Luthers sowie der Reformatoren erneut gene Kollektivierung der Bauern in der Sowjetischen Gaben der Einheit der Kirche. als ihre wesentliche Lebensgrundlage bekannte. Die Besatzungszone (SBZ), seit 1949 der Deutschen schwierigen Erfahrungen mit der ideologisch gleich- Demokratischen Republik (DDR), in die Landwirt-

70 reinhard werneburg lutherland thüringen 71 für die Kirchen bedeutet das Mitgliederschwund und, Landeskirchenamt der damit unweigerlich verknüpft, abnehmende finanzi- EKM im Collegium maius elle Gestaltungsmöglichkeiten. der alten Erfurter Die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und Universität flächendeckend präsent wirken zu können, hat in der Mitte der 1990er Jahre den Weg zu einer ver- stärkten Zusammenarbeit mit der anderen evangeli- schen Kirche in dem ehemals preußischen Teil Thü- ringens, der „Evangelischen Kirche der Kirchenpro- vinz Sachsen“ (EKKPS), eröffnet. Zunächst ging man noch zaghaft aufeinander zu. Doch es gab für das Aufeinander-zugehen viele Gründe. Erfurt als Lan- deshauptstadt Thüringens gehörte nicht zum Thü- ringer Kirchengebiet und besonders im Thüringer Becken waren die Territorien der beiden Kirchen so verzahnt wie ein Reißverschluss. In den Kernlanden (ELKTh) mit der „Evangelischen Kirche der Kirchen- der Reformation Thüringen und Sachsen-Anhalt, in provinz Sachsen“ (EKKPS) zur „Evangelischen Kirche der „Heimat Luthers“, jener mitteldeutschen Region, in Mitteldeutschland“ (EKM) vollzogen. Damit sind in der sich die meisten authentischen Lutherstätten die beiden evangelischen Kirchen der Lutherländer befinden, mit einer evangelischen Stimme zu spre- Thüringen und Sachsen-Anhalt in der Evangelischen chen, gemeinsam ein evangelisch sichtbares und Kirche in Mitteldeutschland aufgegangen. hörbares Profil zu entwickeln und im Miteinander auch noch Verwaltungskosten zu sparen, das waren Argumente, denen sich die Verantwortlichen in der 88 jahre – eine zeit voller auf- Kirchenleitung und den Synoden nicht lange entzie- brüche und umbrüche hen konnten. Im Herbst 1999 haben beide Landessynoden it den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahr- ihre Kirchenleitungen beauftragt, Verhandlungen Mhunderts, der NS- und der SED-Diktatur, war die über die Zusammenarbeit „im Rahmen einer ver- evangelische Kirche in Thüringen beinahe während bindlich strukturierten Kooperation mit dem Ziel der der ganzen Zeit ihres Bestehens konfrontiert. Der Föderation aufzunehmen“. Die kleine Dessauer Kir- Aufbau der Kirche nach innen wie nach außen stand che, die „Evangelische Landeskirche Anhalts“, mit immer unter diesem Vorzeichen. So war es für alle ihren knapp 50.000 Gemeindegliedern in etwa 140 Verantwortungsträger der Kirche ein ständiger Lern- Gemeinden ist dieser Einladung nicht gefolgt. Die fol- prozess, wichtige Schritte in der Neuordnung der Kir- genden Stationen sind rasch erzählt. Der eingeleitete che umzusetzen, die dem von Martin Luther betonten „Aufgrund ihrer Taufe sind alle Glieder der Kirche Prozess einer verbindlich gestalteten Zusammenar- „allgemeinen Priestertum aller Getauften“ entspre- Jesu Christi zum Zeugnis und Dienst in der Welt Autor Reinhard Werneburg war beit gewann seine eigene Dynamik. Dem Beschluss chen. Die Frauenordination gehört in diesen Lernpro- berufen. In der Erfüllung dieses der gesamten evangelischer Regionalbischof beider Kirchen zur Kooperation (Dezember 2000) zess ebenso wie die allmähliche Öffnung der kirch- Kirche von Jesus Christus anvertrauten Auftrags von Eisenach-Erfurt folgte der Synodalbeschluss zur Föderation (März lichen Häuser für Gruppen, die vordergründig kein arbeiten alle Gemeindeglieder geschwister- 2004) und damit zur Bildung eines gemeinsamen kirchliches Engagement, sondern ein ökologisches lich zusammen und dienen mit der Vielfalt ihrer Landeskirchenamtes sowie zur Einsetzung einer oder friedensethisches Engagement gestalteten oder Gaben der Einheit der Kirche.“ Verfassungskommission im November 2005. Am 5. einfach ihrem Ausreisegesuch in die Bundesrepublik Juli 2008 haben beide Landessynoden, die parallel mehr Nachdruck verleihen wollten. Dies erforderte Wenn die Erfüllung dieser Aufgabe in unseren evan- in Magdeburg tagten, der neuen Verfassung zuge- nicht selten eine Gratwanderung für die Gemeinde- gelischen Gemeinden lutherisch beherzt aufgenom- stimmt und so den Weg für die neue gemeinsame Kir- kirchenräte und Pfarrer und Pastorinnen vor Ort, aber men wird und in ökumenischer Weite, in kulturel- che frei gemacht. es hat das gemeindliche Leben insgesamt bereichert ler Offenheit und mit gesellschaftlicher Verantwor- und war ein wichtiges Lernfeld des Glaubens auf dem tungsbereitschaft gestaltet wird, dann hat die neue Am 1. Januar 2009 wurde mit einem Festgottes- Weg hin zum „Oktoberfrühling 1989“. gemeinsame Kirche im Lutherland Thüringen ihre dienst in der Erfurter Thomaskirche die Fusion In der Verfassung der Evangelischen Kirche in Mit- besten Aufbrüche erst noch vor sich – bis zum Refor- der „Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen“ teldeutschland ist in Artikel 14 formuliert: mationsjubiläum 2017 und weit darüber hinaus.

72 reinhard werneburg lutherland thüringen 73 Lutherland

Blick in den Thüringen ist Innenhof der Wartburg für mich …

PAUL-JOSEF RAUE ist Journalist und Chefredakteur der Thüringer Allgemeine

Auf diesem, vor fünfhundert Jahren leicht verwahr- so entscheidend ist für eine Demokratie: Nur wenn die Bürger verstehen, ist der … die Wartburg, der lostem Adelssitz hat Luther der deutschen Spra- Staat auch ihre Sache. Unser Grundgesetz folgt also der Lutherschen Diktion: Geburtsort der che das Leben eingehaucht, er hat sie zu unserer, ‚Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus!‘ Die Väter und wenigen Mütter des Grund- des Volkes Sprache gemacht. Vor Luther war Spra- gesetzes ahnten: Auch zu viele der Mächtigen in einer Demokratie stellen sich deutschen Sprache. che eine Sprache für die gebildeten Stände, für die nicht in die Nachfolge Luthers, sondern in die Nachfolge der Priester mit ihrer Priester und den Adel. Das war Absicht: Ein sprachloses Volk begehrt nicht auf, geschraubten Sprache. Macht verführt, sie weiß um die Macht der Sprache. es will vielleicht mitreden, aber kann es nicht. Ihm fehlen die Worte. Luther würde heute eine Zeitung gründen, mit Mächtigen ins Gericht gehen Luther hat nicht als erster die Bibel ins Deutsche übersetzt, aber er hat sie und dem Volk aufs Maul schauen – aber nicht nach dem Munde reden. Dabei auf der Wartburg so lebendig und farbig übersetzt, dass heute noch Journalis- war Luther derb, schlug mit Worten drein und schrieb über einen mächtigen ten, Minister und Deutschlehrer von ihm lernen können. Er kannte noch keine Präsidenten seiner Zeit, den Herzog Heinrich von Braunschweig: ‚Unsinniger, Demokratie, aber er schuf auf der Wartburg die Grundlage für unsere Demo- wütender Tyrann, der sich voll Teufel gefressen und gesoffen hat und stinkt wie kratie: Die Sprache, die jedermann verstehen und sprechen kann. Er nahm den ein Teufelsdreck.‘ Mächtigen das Monopol der Verkündigung, er schaute nicht zu den Thronen, So derb dürfte heute kein Journalist mehr schreiben. Aber ohne Weichspü- sondern in den Dreck der Städte: ‚Man muss die Mutter im Haus, die Kinder ler schreiben – das wäre schon in seinem Sinne. So bekommt der derbe Luther auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen und auf das Maul das letzte Wort: Er aß gerne und gut auf der Wartburg, hatte reichlich Blähun- sehen: Wie reden sie?‘. gen und kämpfte nicht nur mit dem Tintenfass: ‚Ich kann dem Teufel den Hin- Der Schöpfer der deutschen Sprache macht uns klar, warum Verständlichkeit tern zeigen und ihn mit einem einzigen Furz vertreiben.‘.“

74 paul-josef raue lutherland thüringen 75 WEGE ZU LUTHER

Luther auf dem Reisen durch Luthers Land Erfurter Anger vor der Kaufmanns- in Mitteldeutschland kirche

ege zu Luther: Sie laden ein, ausstellungen zu vielfältigen Aspekten der Reforma- Luther, seine Lebensorte, seine tion, Sonderausstellungen, kompetente Führungen, Zeit und eine für die deutsche Konzerte, Vorträge, Tagungen und vieles mehr. und europäische Geschichte herausragende Kulturland- Die im Jahr 2000 gegründete kulturtouristische schaft kennenzulernen. Eise- Initiative basiert auf der kontinuierlichen und län- Wnach, Erfurt, Magdeburg, Schmalkalden, Torgau, Wei- derübergreifenden Zusammenarbeit der Vertreter mar, Altenburg und die beiden Lutherstädte Eisle- der Lutherstädte und Lutherstätten in Mitteldeutsch- ben und Wittenberg beherbergen die bedeutendsten land. Die Hauptaufgabe liegt in der Profilierung von Lutherstätten, in denen Leben und Wirken des Refor- Mitteldeutschland als eine gemeinsame Kulturland- mators in der unmittelbaren Begegnung mit den ori- schaft. „Wege zu Luther“ bzw. „Routes to Luther“ ist ginalen Schauplätzen erfahrbar werden. Die „Wege“ heute eine weltweit eingeführte Marke und wird z.B. führen auf die Wartburg und in das Lutherhaus nach Eisenach, in das Augustinerkloster nach Erfurt, auf die Wilhelmsburg nach Schmalkalden, in Luthers Geburts- und Sterbehaus nach Eisleben, in die Johan- niskirche nach Magdeburg, auf Schloss Hartenfels nach Torgau, in das Lutherhaus und das Melanch- thonhaus nach Wittenberg, in die Stadtkirche St. Peter und Paul nach Weimar und in die Schlosskirche nach Altenburg. Dort erwarten den Besucher Dauer- Mit der Broschüre „Wege zu Luther“ speziell Autorin Dr. Carmen Hildebrandt ist für Individualgäste und der „Luthermappe“, die Geschäftsführerin der Erfurt Touris- besonders auch für die Anforderungen von Reisever- mus & Marketing GmbH anstaltern entwickelt wurde, sowie der Website www. Die Hauptaufgabe liegt wege-zu-luther.de (in Deutsch, Englisch, Schwedisch, Koreanisch) hält der Verein umfassende Informa- KONTAKT in der Profilierung von Tourismus-Information am Erfurter Benediktsplatz tionen über die Lutherstädte in Mitteldeutschland bereit. Im Hinblick auf die Lutherdekade, das Refor- Wege zu Luther e.V. c/o Erfurt Tourismus & Mitteldeutschland von der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) in mationsjubiläum 2017 und darüber hinaus bietet der Marketing GmbH New York für „Religious Travels to “ einge- Verein somit eine ideale Grundlage für die Gestaltung Benediktsplatz 1, 99084 Erfurt als eine gemeinsame setzt und erfährt auch in der Fachliteratur zum spiri- von Reisen auf den Spuren des großen Reformators Tel.: +49 361 66 40 - 0 tuellen Reisen zunehmende Beachtung als erfolgrei- Martin Luther. Informationen erhalten Sie über die Fax: +49 361 66 40 - 290 Kulturlandschaft. ches, länderübergreifendes Netzwerk. Geschäftsstelle. [email protected] www.wege-zu-luther.de

76 wege zu luther lutherland thüringen 77 Eisenberg, Kirche St. Petri GUNTHER EMMERLICH ist Opernsänger und Entertainer

Anna verdanke ich meinen evangelischen Geist, samt Protestierlust. Dass zum Protes- tieren auch das Engagement für die Alterna- tive gehört, habe ich peu à peu hinzugelernt. Alles in Butter, Herr Luther! Am Fuße der Wartburg war ich einst in einem evangelischen Kinderferienlager mit Blick zur Wartburg, Gesangbuch und Leber- tran. Die geografische Nähe zu Luthers Wir- kungsstätte hat mich beeindruckt. Natürlich durfte ein Besuch der Wartburg, samt Luther- Stube und Tintenfleck, nicht fehlen. Die tex- tile Ausstattung für meine Konfirmation schickte die Partnergemeinde in Limburg an Lutherland Thüringen der Lahn. Auf dem Beipackzettel stand: ‚Ein feste Burg ist unser Gott.‘ Bei meinem Studium in Erfurt war ich ist für mich … wieder auf den Spuren Luthers. In Eisen- berg erzählte man sich über viele Jahre, dass Luther in St. Petri gepredigt haben soll. Mitt- lerweile weiß man, dass er dort eine Predigt gehört hat und er fand sie sehr schlecht. Statt ‚Wie geht’s?‘ sagte Tante Anna immer: delt wurde. In jeder Hinsicht. Vielleicht kann ich, als gebürtiger Ost­ … ein Thüringer ‚Alles in Butter, Herr Luther?‘ Sie war keine ‚Alles in Butter, Herr Luther‘ war und ist eine thüringer, das ein wenig wieder gut machen, unablässige Kirchgängerin, aber sie suchte volkstümliche Formulierung, liebevolle Hoff- mit Leib und Seele indem ich als Schirmherr der Generalsanie- unsere schöne gotische Kirche gelegent- nung und auch eine heitere Hinwendung zu rung der Wittenberger Stadtkirche meine zu sein. lich auf und zum Pfarrer Stock hatte sie eine dem Mann, der widersprach, aneckte und Sache gut mache. 2017 feiern wir 500 Jahre innigere Beziehung als zur sozialistischen veränderte: Martin Luther. Im Religionsun- Reformation. Vielleicht helfen Sie mir dabei. Partei- und Kommunalverwaltung meiner terricht habe ich viel von ihm erfahren. Die ‚ER hilft uns frei aus aller Not…‘.“ Geburtsstadt Eisenberg. Bei Letzteren hätte Religionslehrer Fräulein Bürgel und Herr Neu- sie auch nicht gefragt ‚alles in Butter…?‘ Sie mann waren nicht direkt Bilderbuchpäda- wusste, dass dort nur mit Margarine gehan- gogen, aber ihnen, meiner Mutter und Tante

78 gunther emmerlich lutherland thüringen 79 Die IMLS hat ihre Geschäftsstelle im „Haus der Versöhnung“ des Erfurter Augustinerklosters MICHAEL J. INACKER Die Internationale Martin Luther Stiftung

uther neu begreifen. Mit diesem wollen wir die bis heute fortwirkenden theologischen, Anspruch ist 2007 die Internationale politischen und wirtschaftlichen Impulse der Refor- Martin Luther Stiftung angetreten, mation aufnehmen, aufschließen und für die Gestal- um die Rolle des Reformators für die tung unserer Gegenwart fruchtbar machen. Die gro- Debatte um die Zukunft unserer Wirt- ßen Themen unserer Zeit – Wirtschafts- und Finanz- schafts- und Gesellschaftsordnung zu krise, Zukunft des Euros und Europas – zeigen die Lschärfen. Vor allem der Dialog zwischen Wirtschaft, deutlich gestiegene Bedeutung von Fragen in der Gesellschaft, Kirche und Politik sollte neue Impulse Schnittmenge von Politik, Wirtschaft und theolo- erhalten. Dies ist der Stiftung mit einer Vielzahl von gisch fundierter Ethik. Konferenzen, Gesprächen, Publikationen und Ein- mischungen gelungen. Zugleich kann sich das Netz- Am 10. November 2007, dem 524. Geburtstag des werk der Stiftung aus unternehmerischen, politi- Reformators, wurde die Internationale Martin Luther stadt, in Eisenach, unter der Wartburg. Die Geschäfts- tung und Unternehmercourage“ an eine Unterneh- schen, kirchlichen und akademischen Persönlich- Stiftung in Luthers vormaligem Wohnhaus in der stelle der Stiftung befindet sich seit 2007 in der merpersönlichkeit, die in beispielgebender Weise mit keiten sehen lassen – es dokumentiert die prägende Lutherstadt Wittenberg errichtet. Auf Wunsch des Lutherstadt Erfurt, in jenem Kloster und an dem ein- ihrem Leben und beruflichen Wirken die reformato- Kraft des Reformators bis heute. Gründungsstifters und seiner Familie erhielt die Stif- drucksvollen Lutherort, dem der damalige deutsche rische Tradition von Freiheit und Verantwortung für tung ihren Sitz in einer weiteren wichtigen Luther- Papst, Benedikt XVI., fünfhundert Jahre später, am das Gemeinwohl eingesetzt hat. Die Initiative zur Stiftung wurde am 2. Mai 2007 23. September 2011, seine Referenz erwiesen hat. in der Bibliothek des Erfurter Augustinerklosters Ihrer Satzung gemäß ist die Internationale Martin Wir laden Sie ein, sich in unserer Geschäftsstelle im beraten und in der Augustinerklosterkirche festlich Luther Stiftung mit Partnern aus dem In- und Ausland, Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt mit unse- begangen. Dieses Datum war nicht zufällig gewählt. aus Kirche, Politik und Gesellschaft herausgefordert, rer Arbeit vertraut zu machen. Es ist begründet in der ereignis- und wendungsrei- aus dem Leben und Werk Martin Luthers „wichtige chen Biografie Martin Luthers. Am 2. Mai 1507, also Im einstigen Anstöße zur geistigen Orientierung in einer sich wan- Michael J. Inacker Alexander von Witzleben genau fünfhundert Jahre zuvor, hatte der damals Schlafsaal delnden Welt“ zu gewinnen. Um dieses Ziel zu errei- Vorstandvorsitzender­ Kuratoriums­vorsitzender gerade 24-jährige Augustinermönch, der am 3. April des Augus- chen, initiiert sie Ausstellungen, Tagungen und Kon- im Erfurter Dom zum Priester geweiht worden war, tinerklosters ferenzen, publiziert Texte, die „unterwegs zu Luther“ in der Augustinerkirche seine erste Primiz (die erste Erfurt befindet Einsichten der Reformation auch dem „religiös unmu- KONTAKT Heilige Messe) gelesen. sich heute die sikalischen“ Zeitgenossen (Max Weber) aufschließen Internationale Bibliothek – helfen und organisiert die „JugendUnternimmt – Martin Luther Stiftung Luthers Profil und Bedeutung – jenseits konfessio- ein Fundus Summer School“, um Jugendliche mit einem unter- Haus der Versöhnnug neller Inanspruchnahmen – neu zu gewichten, diese für alle an der nehmerischen Engagement auf einer christlich fun- Augustinerstraße 10, 99084 Erfurt Tel.: +49 361 55458540 weltweit bekannte historische Person im übertrage- Religions- und dierten Wertebasis bekannt zu machen. Jahr für Jahr Fax: +49 361 64418749 nen Sinne wieder lesbar und erfahrbar werden zu las- Reformations- an Luthers Geburtstag, dem 10. November, verleihen [email protected] sen, ist eines der zentralen Anliegen unserer Stiftung. geschichte wir die „Luther-Rose für gesellschaftliche Verantwor- www.luther-stiftung.org Von Luther ausgehend, nicht auf ihn allein begrenzt, Interessierten

80 internationale martin luther stiftung lutherland thüringen 81 • Die „Projektgruppe Reformationsgeschichte“ (Ver- bund der Universitäten Erfurt und Jena sowie Stiftung Schloss Friedenstein Gotha) bereitet unter Leitung von Prof. Dr. Christopher Spehr, Dr. Kathrin Paasch und Dr. Martin Eberle die Edition von „Flugblättern der Reformationszeit“ bis 2016 vor, initiiert und koor- diniert weiterführende Projekte. • Das Landesgraduiertenkolleg „Protestantische Bil- CHRISTOPHER SPEHR dungstraditionen in Mitteldeutschland“ der Univer- sität Jena geht unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Ralph Koerrenz und Prof. Dr. Michael Wermke der Frage nach, wie in Mitteldeutschland der Zusammenhang Reformationsforschung von Protestantismus und Bildung vor dem Hinter- grund der Ausgangssituation (16. Jahrhundert) und der religiösen Transformationsprozesse (18. Jahrhun- dert) seit dem 19. Jahrhundert zu verstehen ist. in Thüringen • Das u.a. von der Sparkassen-Kulturstiftung Hes- sen-Thüringen und der Helaba Landesbank Hessen- Thüringen finanzierte Forschungsprojekt „Thüringen im Jahrhundert der Reformation“ ist als Vorhaben der n Thüringen hat die Luther- und Reformati- Durch Ernst den Frommen entstand seit dem 17. Jahr- Historischen Kommission für Thüringen und der Pro- onsforschung Tradition. Sie ist aufs Engste hundert auf Schloss Friedenstein in Gotha ein einzig- Jenaer Lutherausgabe, fessur für Thüringische Landesgeschichte der Univer- mit der Universität Jena verwoben, über artiges Sammlungszentrum protestantischen Schrift- Thüringer Universitäts- und sität Jena unter Leitung von Prof. Dr. Werner Greiling Jahrhunderte gewachsen und heute von und Bildgutes, welches stetig erweitert wurde (heute: Landesbibliothek Jena und Prof. Dr. Uwe Schirmer auf vier Jahre angelegt. internationaler Bedeutung. Ihr zu Grunde Stiftung Schloss Friedenstein und Forschungsbiblio- liegt ein weltweit einzigartiger Schatz refor- thek Gotha der Universität Erfurt). Problemlos ließe Ergänzt werden die Forschungsvorhaben Imatorischer Quellen und Urkunden. Diese in Thü- sich die Aufzählung durch weitere Thüringer Archive u.a. durch Projekte am Lehrstuhl für Kirchenge- ringer Archiven und Bibliotheken aufbewahrten und Sammlungen ergänzen. Studientag theologischen Impulsen der Reforma- schichte (Prof. Dr. Christopher Spehr) und Lehrstuhl Sammlungen bilden das kulturelle Gedächtnis der Aufgrund ihres markanten Erbes war es für die tion. Dass bei allen Projekten eine partnerschaftliche für Geschichte der Frühen Neuzeit (Prof. Dr. Georg Ernestiner und den Nährboden für jene generatio- Friedrich-Schiller-Universität Jena selbstredend, die Zusammenarbeit mit Thüringer Stiftungen, der Evan- Schmidt) der Universität Jena, wie z.B. die Herausgabe nenübergreifende Erforschung der Reformation. Reformationsdekade wissenschaftlich zu begleiten. gelischen Kirche in Mitteldeutschland, der Universi- des „Lutherjahr­buches“, Forschungen zu „Luthers Mit Luthers Tod 1546 und der Niederlage der Ernes- Der Rektor der Universität, Prof. Dr. Klaus Dicke, rief tät Erfurt und dem Freistaat erfolgt, gehört zu den Reisepredigten“ und zur „Kanonisierung der Theo- tiner im Schmalkaldischen Krieg 1547 begann der zusammen mit den Superintendenten von Eisenach, Vorzügen des Wissenschaftsstandortes Thüringen. logie Martin Luthers“, das DFG-Projekt „Unterricht Streit um das wahre Erbe Martin Luthers. Johann Jena und Weimar sowie Vertretern der Theologi- Diese Zusammenarbeit wird seit 2011 im „Netzwerk der Visitatoren“ (PD Dr. Joachim Bauer, Dr. Stefan Friedrich der Großmütige von Sachsen wurde schen Fakultät 2009 den „Initiativkreis Wissenschaft Reformationsforschung in Thüringen" (Dornburger Michel) sowie die Erschließung Thüringer Reforma- zusammen mit seinen Söhnen auf die thüringischen und Kirche“ (IKWK) ins Leben, um unter dem Motto Gespräche) federführend durch den Luther-Beauf- toren. Außerdem begleiten Thüringer Wissenschaft- Stammlande zurückgeworfen. Gegenüber den kon- „Reformation denken und erleben“ die wissenschaftli- tragten der Thüringer Landesregierung moderiert ler bedeutende Ausstellungen und Einrichtungen wie kurrierenden Albertinern, denen auch die Universi- chen, kirchlichen, kulturellen und staatlichen Akteure und begleitet. das Lutherhaus Eisenach oder die Wartburgaus­ tät Wittenberg zugefallen war, inszenierten sich die Thüringens zusammenzuführen. Dieses hochkarä- stellung 2017 „Luther und die Deutschen“. Es steht Ernestiner als rechtmäßige Erben der lutherischen tig besetzte Gremium dient der Vernetzung und dem Als Beispiele für Editions- und Forschungspro- zu hoffen, dass durch diese und weitere Projekte Reformation und entwickelten mit der 1548 gegrün- Austausch innerhalb Thüringens, regt reformatori- jekte, die durch Mittel des Thüringer Ministeriums für das Erbe der Reformation umfangreich erschlossen, deten Hohen Schule – seit 1558 Universität – in Jena sche Grundlagenforschung und wissenschaftliche Bildung, Wissenschaft und Kultur finanziert werden, langfristig gesichert und einer interessierten Öffent- das „bessere Wittenberg“. Grundlage für ihr Selbst- Veranstaltungen an und leistet insgesamt einen zen- seien genannt: lichkeit zugänglich gemacht werden wird. verständnis bildeten das ernestinische Gesamtarchiv, tralen Beitrag zur kritischen Rezeption und differen- • Das auch vom Bund unterstützte, länderübergrei- welches die Ernestiner von Wittenberg an den Hof in zierten Gegenwartsbedeutung der Reformation und fende Digitalisierungsprojekt „Digitales Archiv der Weimar transportierten (heute: Thüringisches Haupt- ihrer Ideen (www.reformation.uni-jena.de). Reformation“ (Reformationsportal), dessen Feder- staatsarchiv), und die kurfürstliche Bibliothek, die Der IKWK veranstaltete u.a. 2012 das Sympo- führung beim Thüringischen Hauptstaatsarchiv Wei- Autor Prof. Dr. Christopher Spehr nach Jena gebracht wurde (heute: Thüringer Univer- sium „Bach als Lutheraner“ in Eisenach, die Tagung mar unter Leitung von Dr. Bernhard Post liegt. ist Rektoratsbeauftragter der sitäts- und Landesbibliothek). Um das Erbe Luthers „Anmut und Sprachgewalt. Zur Zukunft der Lutherbi- • „Ausbau der Forschungsbibliothek Gotha zur For- Friedrich-Schiller-Universität Jena zu bewahren, erwarben die Herzöge zeitnah weitere bel“ und „475 Jahre Schmalkaldische Artikel“ in Jena schungs- und Studienstätte für die Kulturgeschichte für das Reformationsjubiläum Reformationssammlungen und veranlassten in Kon- oder 2013 „Reformation heute: Protestantische Bil- des Protestantismus in der Frühen Neuzeit“, wel- kurrenz zur Wittenberger Ausgabe die Herausgabe dungsakzente“ auf der Wartburg. Die Theologische cher mit Mitteln der DFG unter Leitung von Dr. Kathrin der Schriften Martin Luthers (Jenaer Lutherausgabe). Fakultät der Universität Jena widmet ihren jährlichen Paasch (Universität Erfurt) vorangetrieben wird.

82 lutherland thüringen 83 ANDREAS JANTOWSKI Reformation und Schule in Thüringen

as Thüringer Institut für Lehrerfort- zum Lerninhalt zu machen und dabei auch Aspekte bildung, Lehrplanentwicklung und zu beleuchten, die im Kontext des 21. Jahrhunderts Medien (ThILLM) entfaltete seine stehen. Aktivitäten bezogen auf das Refor- Hier setzt die vom ThILLM und Studierenden mationsjubiläum erstmals im The- des Lehrstuhls für Allgemeine Erziehungswissen- menjahr 2010 „Reformation und schaft der Universität Erfurt unter Leitung von PD Dr. DBildung“. Im Mittelpunkt dieses Jahres stand der Jens Brachmann und Rigobert Möllers entwickelte engste Weggefährte Martin Luthers: Philipp Melan- Wanderausstellung an, die bewusst den Titel: chthon. Als „Praeceptor Germaniae“, als „Lehrer „Martin Luther und der kulturelle Wandel im kon- Deutschlands“, hat er gewissermaßen das Thema fessionellen Zeitalter“ trägt. Wanderausstellung „Martin Luther Bildungsteilhabe auf die europäische Tagesordnung und der kulturelle Wandel im gesetzt. Und damit ein hochaktuelles Thema, nicht www.schulportal-thueringen.de/ konfessionellen Zeitalter“ nur in Deutschland, wie uns in vielen Bildungsstu- lutherdekade/wanderausstellung dien immer wieder vor Augen geführt wird. Diese „reformatorische Symbolik“ muss ein Insti- An acht Stelen werden Anregungen gegeben, um tut nutzen, das sich als zentrale Einrichtung im Thü- aktuelle gesellschaftliche Wandlungsprozesse für ausstellung in sieben thematischen Zugängen eine Daneben werden im Portal unter dem Navigations- ringer Bildungssystem zur Beratung und Unterstüt- die Schule exemplarisch über kulturelle Verände- Logik auf, die einer Denkfigur Luthers selbst ver- punkt „Lernort spezial“ exemplarisch außerschuli- zung von Pädagogen und Pädagoginnen in Kinder- rungen im Zeitalter der Reformation zu erschließen. pflichtet ist – der Ordnung der Welt und der sozia- sche Lernorte mit Materialien zur Reformation für die tageseinrichtungen und Schulen versteht. So wie Die Exposition will zunächst Impulse vermitteln, auf len Erfahrungsräume nach einem geistlichen und schulische Nutzung vorgestellt. Sie sind herzlich ein- Melanchthon in seiner Zeit sagte: „Kein Bollwerk und deren Grundlage die Schülerinnen und Schüler ihre nach einem weltlichen Regiment, mithin die Unter- geladen, dies intensiv und mit Gewinn zu nutzen! keine Befestigung macht eine Stadt stärker als gebil- eigenen Beiträge entwickeln. scheidung zwischen einerseits dominant theolo- dete, kluge und mit anderen Tugenden begabte Bür- So kann man anhand der Ausstellung gemein- gisch-religiösen und andererseits historisch-politi- ger“, so kann unsere Gemeinschaft heute nur stark sam an dem neben der französischen Revolution schen (profanen) Sachverhalten und Praktiken der sein, wenn wir uns der Begabungen jedes einzelnen so bedeutsamen europäischen Kapitel der Weltge- Daseinsbewältigung. Autor Dr. Andreas Jantowski bewusst sind und diese frühzeitig fördern. schichte exemplarisch über die historischen Gründe Ergänzt wird die Exposition durch ein virtuelles ist Direktor des Thüringer Instituts Der Weg zu einem solchen Bildungsverständnis von Spaltung, über religiöse Toleranz wie Intoleranz Angebot auf einer achten Stele sowie weiterführende für Lehrerfortbildung, ist sehr vielgestaltig. Wie am Beginn der Reformation und Diskriminierung während der Zeitenwende um Materialien zur Ausstellung im Thüringer Schul­ Lehrplanentwick­lung und Medien bedarf es auch heute vieler Impulse durch besondere 1500 mit Blick auf unseren heutigen Erfahrungs- portal, dem Onlineangebot zur Unterstützung Thü- (ThILLM) in Bad Berka Bildungsangebote. Auf diese Weise werden facetten- horizont nachdenken. Dies lässt die Reformation zu ringer Schulen. In der Mediothek des Thüringer Schul- reiche Zugänge zum Lerninhalt und zugleich eindrück- einem Bildungsgegenstand von besonderer Bedeu- portals hat man unter dem Suchbegriff „Reformation“ liche und motivierende Lernerfahrungen möglich. tung werden. in der Freitextsuche Zugriff auf weitere Lernangebote: Es war deshalb nur folgerichtig, das Spektrum Die Annäherung an diese Umbruchsepoche der Themenjahre des Reformationsjubiläums selbst erfolgt nicht willkürlich. Vielmehr greift die Wander- www.schulportal-thueringen.de/media

84 lutherland thüringen 85 Viele sehenswerte Orte und Plätze bieten Gelegenheit, das Lutherland Thüringen zu entdecken und das reformatorische Erbe neu zu befragen.

86 lutherland thüringen 87 LUTHERLAND THÜRINGEN Die wichtigsten Reformationsorte im Überblick In Eisenach kreuzen sich die Spuren Luthers und Bachs. Nachzuerleben ist Eisenach und die Wartburg dies auf der Wartburg und im Bachhaus „... keine andere Stadt nikolaitor lutherdenkmal seiner Eltern und Zeitgenossen von kennt mich besser“ mit nikolaikirche Wenige Meter vom Nikolaitor ent­ Hand und Werkstatt Lucas Cranachs Am Nikolaitor, durch das Luther bei fernt steht das Lutherdenkmal. Es d. Ä., hält die Burg und ihr Museum seinen Reisen nach Eisenach auch wurde Anfang Mai 1895, „dem Erin­ die Erinnerung an den bis heute welt- In der Stadt sind Welterbe und Weltgeschichte kam, lässt sich gut die stadträumliche nerungstage von Luthers Ankunft auf berühmten Bewohner auf vielfache be ein druckend erlebbar. Bach, der hier geboren wurde, Situation des mittelalter lichen Eisen- der Wartburg“ enthüllt. Es ist auch Weise lebendig. achs erleben. In der Nikolaikirche beredtes Zeugnis der Heldenvereh- Telemann, der hier wirkte, Goethe, der die Rettung der war mit Konrad Hutter ein weitläufi ­ rung im 19. Jahrhundert. bachhaus verfallenden Wartburg mit initiierte sowie Wagner, den ger Verwandter Luthers Küster. Beein­ In Eisenach kreuzen sich die Spuren Eisenach zu einem Akt des „Tannhäuser“ inspirierte, druckend im Inneren der Kirche ist die wartburg Luthers und Bachs: Hier besuchte Zum Bestand der Biblio- Duplizität zum Palas der Wartburg. Die zum UNESCO-Welterbe gehö- Luther vier Jahre lang die Latein- thek im Bachhaus gehört seien namentlich herausgehoben. rende Burg ist im volkstümlichen Ver- schule, erhielt Musikunterricht und auch eine historische lutherhaus ständnis so eng mit Luthers Namen lernte komponieren, und sang in Ausgabe der „Tischreden“ „In Eisenach sitzt nämlich fast meine ganze Verwandt- Als Schüler lebte Martin Luther von verbunden, dass sie häufi g und in der Kurrende sowie im Chor der von Martin Luther 1498 bis 1501 bei der Patrizierfa­ Anlehnung an das bekannte Kirchen­ Georgenkirche. Am 21. März 1685 schaft, und ich bin daselbst bei ihr [...] wohlangesehen, milie Cotta, der dieses repräsenta- lied als „Lutherburg“ bezeichnet wurde in Eisenach Johann Sebstian da ich dort vier Jahre lang den Wissenschaften oblag; tive Bürgerhaus gehörte. In Vorberei- wird. Die Stube in der Burgvogtei – Bach geboren, besuchte die gleiche tung auf das Reformationsjubiläum authentischer Wohn- und Arbeits- Lateinschule wie einst Martin Luther, keine andere Stadt kennt mich besser“ erinnert sich wird das Lutherhaus bis Mitte 2015 raum des Reformators von Mai 1521 erhielt hier den ersten Musikunter­ Luther an die Stadt seiner Schulzeit und späterer Jahre saniert und erhält eine völlig neue bis März des Folgejahres – darf richt, lernte komponieren und sang sowie an die Wart burg, auf der er 1521/1522 das Neue Dauerausstellung. Während der not- zugleich als Geburtsstätte der Luth­ ebenso im Chor der Georgenkir­ wendigen Umbauarbeiten präsen- erbibel und unserer modernen Spra- che und der Kurrende. Im Bachhaus, Testament übersetzt hatte. tiert das Museum direkt gegenüber, che gelten. Mit einer von Luther hand­ dem weltweit größten Bach­Museum, im historischen Creutznacher Haus schriftlich kommentierten Vollbibel, widmet sich ein Bereich den Bezü- von 1539, ein breites Angebot mit Gegenständen aus seinem Besitz gen zwischen Bachs Musik und der Führungen, Buchladen und Café. sowie einer beachtlichen Reihe von lutherischen Theologie. Bach ver- Bildnissen Luthers und seiner Frau, fügte über gleich zwei Ausgaben der

88 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 89 Weimar Wo sich Luthers Grundsätze politischer Ethik formten

„Weimar ist das fürnehmste Amt, da ist der Kurfürst am bequemsten und leichtlichsten, kann Haus halten.“ So In der Georgen kirche beschreibt Luther die seinerzeit nicht einmal 2000 Seelen predigte Luther mehrfach. zählende Ortschaft an der Ilm. Im September 1518 traf er Die museal genutzten Räume im Lutherhaus sich hier mit seinem Freund, dem kurfürstlichen Geheim ­ Eisenach (links) erinnern sekretär Georg Spalatin (1484 – 1545). Am 18. Oktober daran, dass der Schüler 1522 kam Luther in Begleitung von mehreren gleich- Luther hier zeitweilig Unterkunft fand gesinnten Männern nach Weimar, um in die reformatorischen Debatten einzugreifen. Bereits am nächsten Tag predigte er in der Schlosskirche. Anderntags ging es nach Erfurt, wo er zwei Mal predigte. Ein Resultat dieser dicht gedrängten KONTAKT Werke Martin Luthers, die mit ande­ Klosterkultur auf. In den Jahren nach politischen Aktivitäten war das 1523 erschienene Werk ren Titeln aus „Bachs theologischer dem Thesenanschlag wurden Klös­ Eisenach-Wartburg region „Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam Touristik GmbH Bibliothek“ zu sehen sind. 30 der 38 ter verwüstet und aufgegeben. Die Markt 24, 99817 Eisenach Kirchenlieder Martin Luthers verwen­ Predigerkirche zählt zu den wenigen schuldig sei“ – die Grundlinien Luthers politischer Ethik. Telefon 03691 79230 dete Bach in seinen Werken. erhalten gebliebenen Kirchengebäu­ [email protected] den. Sonderausstellungen unter dem www.eisenach.info georgenkirche Motto „Im Dialog mit Luther und sei­ stadtkirche st. peter und stadtschloss Wartburg-Stiftung Die den Markt dominierende Geor­ ner Epoche“ werden die Lutherde- paul (herderkirche) mit cranach-galerie In Weimar (unten) war Eisenach genkirche vermittelt in ihrem Inneren kade prägen. Das Innere der spätgotischen Kirche, Im Stadtschloss hat auch die Cra- Martin Luther mehrfach Auf der Wartburg 1 ein wohl nur in dieser Kirche aufkom­ in der Luther predigte, dominiert der nach­Galerie ihr Domizil. Der 1553 in zu Gast. Auf dem Altarbild 99817 Eisenach mendes einzigartiges Gefühl: Ste­ angebote von Lucas Cranach d. J. und Peter Rod- Weimar verstorbene Lucas Cranach der heutigen Herderkirche, Telefon 03691 2500 das aus der Cranach- [email protected] hend unter der Kanzel, von der Mar­ Gruppenführung „Martin Luther – delstedt 1555 vollendete Flü gelaltar. fertigte zahlreiche Gemälde­ und www.wartburg.de tin Luther predigte, den Taufstein Lateinschüler und Junker Jörg“ Das monumentale Werk zeigt auch Grafi kporträts von Martin Luther und Werkstatt stammt, ist der von Johann Sebastian Bach im Auge Kostümführungen wie zu Luthers Martin Luther und neben ihm stehend seiner Frau Katharina von Bora. Reformator mit der Bibel in Bachhaus Eisenach zu haben. Sowohl der Lateinschü- Zeiten (für Gruppen): Ein geschwät­ den vom Blutstrahl Christi getroff e­ der Hand zu sehen Frauenplan 21, 99817 Eisenach ler Luther wie jener namens Johann zig Weib in Luthers „lieber Stadt“ · nen Lucas Cranach d. Ä. Telefon 03691 79340 lutherhof [email protected] Sebastian Bach haben in dieser Kir­ Johanna, die Magd im Hause Cotta Im ehemaligen Franziskanerkloster www.bachhaus.de che auch gesungen. · Mit Mönch Heinrich auf turbu­ herzogin anna amalia nahm Luther mehrfach Quartier und lenter Reise durch die Eisenacher bibliothek predigte dort in der Kirche. Heute Lutherhaus Eisenach thüringer museum Geschichte · Ein Spaziergang durch Dass hier im September 2004 ein ver- wird es von der Hochschule für Musik Lutherplatz 8, 99817 Eisenach Telefon 03691 29830 predigerkirche Eisenach mit Luthers „lieber Käthe“ heerendes Feuer tobte, daran erin- Franz Liszt genutzt. Eine Gedenktafel [email protected] Das Museum präsentiert in der Pre­ Katharina von Bora (Termine: ganz­ nert rein äußerlich nichts mehr. Zu erinnert an die Zeit der Reformation. www.lutherhaus-eisenach.de digerkirche die Sammlung „Mittelal­ jährig, nach Voranmeldung) den vorm Feuer geretteten wertvol- KONTAKT terliche Holzschnitzkunst aus Thü- Rundfahrt auf Luthers Spuren (Ei­ len Stücken gehört die einzigartige angebote Tourist-Information Weimar Thüringer Museum Eisenach ringen“. Der Ort spiegelt den großen senach – Möhra – Luthergrund; für Bibelsammlung mit der prachtvollen Gruppenführung Stätten der Predigerkirche Markt 10 Predigerplatz, 99817 Eisenach Umbruch – die Reformation – exem- Gruppen) Luther bibel aus dem Jahr 1534. Reformation in Weimar 99423 Weimar Telefon 03691 784678 plarisch wider. Eisenach wies bis zur Lutherschmaus im Eisenacher Hof Öff entliche Kirchenführung in der Telefon 03643 7450 [email protected] Reformation eine reiche Kirchen­ und Kinderführung zu Martin Luther Stadtkirche St. Peter und Paul [email protected] www.eisenach.de www.weimar.de

90 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 91 Im Stadtmuseum Erfurt beeindruckt die Dauer- Erfurt ausstellung „Tolle Jahre – An der Schwelle der Reformation“ Die Wurzeln von Luthers Dort zu sehen: ein Kelch Theologie und Reformation aus dem 15. Jh. Erfurt war im Mittelalter wegen seiner vorteilhaften Lage In der heute museal genutzten an der von West nach Ost verlaufenden Königsstraße Georgenburse hat Luther vermut- lich als Student gewohnt (Via Regia), aber auch wegen des für Landwirtschaft und erwerbsmäßigen Waidanbau günstigen Klimas zu wirtschaftlicher Blüte und Wohlstand gelangt. Martin Luther, der auf Wunsch des Vaters seit dem Jahr 1501 an der Universität Erfurt studierte, wusste die Alma mater sehr zu loben, doch weniger die ihm auferlegte Juristerei. zelebrierte auf dem Platz vor dem Dom im September 2011 eine welt- Ein Gewitter nahe der Stadt im Sommer 1505 brachte die weit wahrgenommene Messe. Wende – er wurde Mönch. georgenburse Der Student Martin Luther wohnte In Erfurt liegen wichtige Wurzeln von Martin Luthers vermutlich in der unweit des Augus- Theologie und damit zugleich der Reformation. Der Eintritt tinerklosters stehenden Georgen­ burse, wovon eine kleine Ausstellung lutherstein stotternheim museum für thüringer Luthers ins Augustinerkloster markiert den Anfang von im Haus berichtet. Auf dem Rückweg von einem Besuch volks kunde erfurt einem der größten und folgenreichsten Wandlungsvor- der in Mansfeld lebenden Eltern er­ Das Museum gehört in seiner gänge der Kirchengeschichte. Auch später machte der alte universität und eignete sich über dem Ort Stottern- Gattung zu den größten in Deutsch­ michaeliskirche heim bei Erfurt am 2. Juli 1505 jenes land. Auf rund 900 Quadratmetern KONTAKT viel reisende Reformator immer wieder Station in Erfurt. Innerstädtisches Symbol von Erfurts Gewitter, welches dem Leben Martin Ausstellungsfl äche dokumentieren Alter Universität, an der Luther stu- Luthers eine entscheidende Wende Möbel, Hausrat, Arbeitsgeräte, Textili­ Erfurt Tourismus & dierte, ist das Collegium maius. Dem geben sollte. Der Blitzstrahl habe ihn en, Glas, Keramik, Schmuck, religiöse Marketing GmbH einstigen Hauptgebäude direkt ge- derart erschüttert, dass er gerufen Gegenstände und Dinge des Alltagsle­ Tourist Information, augustinerkloster genüber steht die zeitweilig als Uni- habe: ‚Hilf du, heilige Anna, ich will bens, wie unsere Vorfahren lebten. Die Benediktsplatz 1, 99084 Erfurt Telefon 0361 66400 mit augustinerkirche versitätskirche fungierende Michae­ ein Mönch werden!’ musealen Beiträge zur Lutherdekade [email protected] Martin Luther trat im Juli 1505 in den liskirche. Hier predigte Martin Luther. setzen die mit der Reformation ver- www.erfurt-tourismus.de Konvent der Augustinereremiten ein, stadtmuseum erfurt bundene Historie des Geländes und wo er ein Leben von strenger Askese andreaskirche Die neue Dauerausstellung „Tolle dessen Bausubstanz in Szene und in Ev. Augustinerkloster zu Erfurt Augustinerstraße 10, 99084 Erfurt mit dem Studium der Theologie ver- An einer Innenwand der Kirche hängt Jahre – An der Schwelle der Refor- ein neues Licht. Telefon 0361 576600 binden konnte. Abgesehen von Un- eine farbige Holztafel, auf der in mation“ gewährt einen Überblick www.augustinerkloster.de terbrechungen lebte er hier bis 1511. Lebensgröße Martin Luther als Re­ über die sozialen und wirtschaftli- angebote lief abgebildet ist. Das Werk eines chen Verhältnisse, die den Studen- Gruppenführung auf den Spuren Stadtmuseum Erfurt dom st. marien unbekannten Meisters bildete die ten und jungen Mönch Martin Luther Martin Luthers „Haus zum Stockfi sch“ Johannesstraße 169, 99084 Erfurt Nach seinem Eintritt in das Augusti- Vorlage für die gegossene bronzene nachhaltig geprägt haben. Prächtige Führung durch das Telefon 0361 6555651, nerkloster empfi ng Martin Luther im Grabplatte Luthers. Expo nate lassen die Mittelaltermet­ Augustinerkloster [email protected] April 1507 die Priesterweihe. Das ropole Erfurt wieder lebendig werden Speisen wie zu Luthers www.stadtmuseum-erfurt.de Im Dom zu Erfurt empfi ng Sakrament wurde in einer Kapelle lutherdenkmal und spiegeln das Zusammenleben Zeiten im Luther­Keller Museum für Thüringer Martin Luther im April 1507 des Dom­Kreuzganges gespendet. Das 1889 geschaff ene Denkmal der Bürger als sakrale Gemeinschaft, Volkskunde Erfurt die Priesterweihe; später hielt Im „Himmlischen Auditorium“ „Luther im Talar“ steht vor der Kauf­ die im Vorfeld der Reformation zu Juri­Gagarin­Ring 140a, er in dessen „Himmlischen (Coelicum) des Doms hielt der 1509 mannskirche, in der Luther 1522 pre- zerbrechen beginnt. Ein „Geschichts­ 99084 Erfurt Auditorium“ (Coelicum) auch promovierte Luther dem damaligen digte. Relieftafeln zeigen Szenen aus labor“ refl ektiert die Entwicklungen Telefon 0361 6421765 Vorlesungen Brauch entsprechend seine Eröff ­ Luthers Erfurter Zeit, eine widmet sich seit der Reformation und deren Bezü- www.volkskundemuseum-erfurt.de nungsvorlesung. Papst Benedikt dem Laute spielenden Studenten. ge zu unserer Gegenwart.

92 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 93 Schmalkalden

In der Kapelle von Schloss Wo Luther verhandelte, Wilhelmsburg erklingt eine der predigte, wohnte ältesten Holzorgeln Europas. Schmalkalden stand zur Zeit der Reformation im Blickpunkt europäischer Politik. Landesherr Philipp von Hessen war als einer der ersten Fürsten davon überzeugt, dass nur ein Bündnis aller Protestanten Schutz gegen den Kaiser bieten kann. In der Zeit, da es um Krieg oder Frieden ging, war dies der 1531 zustande gekommene Schmalkaldische Bund. Insgesamt acht Mal wurden dessen Bundestagungen in der Zu den attraktiven historischen Stadt abgehalten. Im Auftrag des Kurfürsten legte Martin Gebäuden Schmalkaldens gehört Luther zur Tagung im Februar 1537 als Schmalkaldische jenes weiß-rote Fachwerkhaus, in Der historische Stadtkern von Artikel bekannt gewordene Glaubensgrundsätze vor. dem Martin Luther im Winter des Schmalkalden ist ein Besucher- Jahres 1537 wohnte magnet. Rathaus und Kirche waren Treff punkte des „Schmalkaldischen Bundes“ lutherhaus stadtkirche st. georg hin. Die Wilhelmsburg ermöglicht zu- tantischen Theologen. Die im Unter- Martin Luther wohnte während der mit lutherstube dem Einblicke in die höfi sche Kultur geschoss zu fi ndende Darstellung bedeutendsten Tagung des Schmal- In einer der schönsten Hallenkir- und Lebensweise im 16. und 17. Jh. der Iwein-Sage von 1225/30 gehört kaldischen Bundes als Gast im Haus chen Thüringens predigten 1537 Die Festsäle, die Schlosskirche mit zu den ältesten profanen Wandmale- des hessischen Rentmeisters Baltha- die namhaftesten protestantischen einer der ältesten (1590) spielbaren reien Mitteleuropas. sar Wilhelm. Hier predigte er und ver- Theologen jener Zeit, darunter zwei Holzorgeln Europas sowie die Her- öff entlichte seine Schmalkaldischen Mal Martin Luther. Ein Relief des renküche sind eine Augenweide. die rosenapotheke Artikel, die als Glaubensbekenntnis Reformators im Mittelschiff erinnert Zunächst von der Reitenden Post der ev.­luth. Kirche ihren Weg nah­ an den Platz der damaligen Kanzel. rathaus und ab 1664 als Apotheke genutzt, men. Eine stuckierte Tafel von 1687 Die als „Lutherstube“ geläufi ge Para­ Der Mittelbau des Rathauses gehört wohnte hier im Frühjahr 1540 Phi- mit einer Inschrift und dem Schwan mentenkammer beherbergt ein klei- zu den fünf „Steinernen Kemenaten“, lipp Melanchthon. Zur Tagung des als Sinnbild des Reformators sowie nes Kirchenmuseum. die vom einstigen Reichtum der Stadt Schmalkaldischen Bundes im Jahr dessen und Melanchthons Petschaft, zeugen. Der Rathaussaal war Grün­ 1537 fanden hier die Nürnberger Ge­ erinnern daran. schloss wilhelmsburg dungs- sowie zwischen 1531 und sandten Unterkunft. Über dem mittelalterlichen Stadtkern 1543 auch wichtigste Beratungsstät- thront Schloss Wilhelmsburg. Zwi- te des Schmalkaldischen Bundes. angebote KONTAKT schen 1585 und 1590 erbaut, gilt Auf die Ereignisse im 16. Jahrhundert Gruppenführungen: Schmalkalden es aufgrund seiner nahezu vollstän- verweisen in der Rathausvorhalle eisern & evangelisch · Das Rathaus Tourist-Information dig erhaltenen Außenanlage, seiner u.a. die Wappen der Mitgliedsstädte zu Schmalkalden · Aufbruch in Mohrengasse 1a originalen Raumstruktur im Inneren, des Bundes. die neue Zeit – Renaissance und 98574 Schmalkalden Telefon 03683 403182 wegen seiner prächtigen Wandma- Reformation [email protected] lereien und Stuckaturen als Juwel hessenhof www.schmalkalden.com unter den Renaissanceschlössern Das platzprägende Bauwerk dien- Deutschlands. Die Dauerausstellung te bis 1241 als Verwaltungssitz der Museum Schloss Wilhelmsburg im Schloss entführt in die Zeit Mar­ Landgrafen von Thüringen. Während Schlossberg 9 tin Luthers, der Reformation und des der Tagung des Schmalkaldischen 98574 Schmalkalden Schmalkaldischen Bundes, der pro- Bundes von 1537 war der „Hessen- Telefon 03683 403186 testantischen Schutzmacht schlecht- hof“ Verhandlungsstätte der protes- [email protected] www.museumwilhelmsburg.de Schloss Wilhelmsburg ist das Wahrzeichen der Stadt

94 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 95 Die mit vielen Bemer- kungen Spalatins ver- sehene Vulgata-Bibel befi ndet sich im Besitz der Stadt Altenburg

Die Orgel in der Die „Rote Spitzen“ rote spitzen Schlosskirche genannten Türme Zu Beginn der Reformation existier- fand höchstes Lob wurden in der ten in der Stadt etwa fünf Kirchen, von J. S. Bach Stadt des Refor- Klöster und Kapellen. Als mächtigste mators Spalatin Institution galt das für die staufi sche zum Wahrzeichen Romanik beispielhaft stehende Berg- kloster, bei dessen Weihe im Jahr 1184 Kaiser Barbarossa anwesend war. Die als „Rote Spitzen“ geläufi gen Türme des einstigen Augustiner- klosters sind zum Wahrzeichen gewordene Erinnerung daran. das in Ostdeutschland zu den 20 schlosskirche führenden Museen zählt, bestimmt Auf dem Weg hinauf zum Schloss die 180 Werke umfassende Samm- verliert man die Schlosskirche nie lung „Frühe italienische Malerei“, aus den Augen. Georg Spalatin war einer der umfangreichsten außerhalb Altenburg seit 1511 Domherr und traf hier auch Italiens. Bemerkenswert sind auch Luther. Das Chorgestühl und die die Sammlung „Antike Keramik“, die Wandmalereien stammen aus dieser Kunstbibliothek des 17. bis 19. Jahr­ Versuchsfeld der Zeit. Die von J. S. Bach hochgelobte hunderts und die Sammlung von Orgel schuf der einheimische Meister Gipsabgüssen nach der Antike und Imposantes Bauensemble über der Stadt: Das Schloss und seine Kirche Reformation H. G. Trost. (Renovierung bis 2015) der Renaissance. Luther weilte oft in der Stadt – der neben Weimar zweiten schloss- und brüderkirche angebote Thüringer Residenz der Wettiner Kurfürsten. Quartier nahm spielkartenmuseum Auf den Fundamenten des ehema- Musikalische Stadtführung auf KONTAKT Spannend und kontrastreich wirken ligen Franziskanerklosters steht drei Orgeln er im Haus seines Freundes, des Geheimsekretärs des Burg und Schloss – die ehemalige die 1905 erbaute Kirche mit ihren Reformation für Einsteiger! Altenburger Tourismusinformation Residenz der Wettiner Fürsten – auf opulenten Jugendstil­Mosaiken. Die Eine Führung nicht nur für Kinder Kurfürsten und Domherrn des Georgenstiftes Georg Markt 17 Spalatin. 1519 traf dieser den Legaten des Papstes Karl Grund von 1000 Jahren Bauge­ Franziskanermönche mussten auf Stadtführung: Georg Spalatins 04600 Altenburg schichte. Das Museum in der ehema­ Spalatins Drängen 1529 das Kloster Arbeitswege in Altenburg Telefon 03447 512800 von Miltitz und verhandelte das „Altenburger Schweige­ ligen fürstlichen Residenz präsentiert schließen. An der Fassade erinnern Führung durch die Sonderaus- [email protected] abkommen“ als letzten Versuch einer gütlichen Einigung. herzogliche Wohnkultur und Expo- große Skulpturen an ihn und Luther. stellung im Residenzschloss www.altenburg-tourismus.de nate der vielfältigen Sammlungen. und Dauerausstellung in der Stadt- Residenzschloss In der „Skatstadt“ Altenburg sind stadtkirche kirche St. Bartholomäi Altenburg Spalatin übernahm ab 1528 die Superintendentur und darunter natürlich auch Spielkarten st. bartholomäi Schloss- und aus fünf Jahrhunderten und von fünf Der in der Reichspolitik gut ver- Spielkartenmuseum setzte Luthers Reformation nach seinen Vorstellungen Schloss 2– 4 Kontinenten. netzte Reformator Georg Spalatin administrativ um. Unterwegs auf dem innerstädtischen 04600 Altenburg war ab 1525 Pfarrer der Kirche, von Telefon 03447 512712 „Luther-Spalatin-Weg“ ermöglichen es zahlreiche lindenau museum deren Kanzel Luther mehrfach pre­ [email protected] www.residenzschloss- historische Bauten, sich anschaulich ein Bild von jener Der Neorenaissancebau beher- digte. Spalatin, dessen Grabstein in bergt die Sammlungen des Staats- der Kirche zu sehen ist, organisierte altenburg.de Zeit zu machen. mannes, Naturwissenschaftlers und Visitationen, regelte die soziale und Lindenau-Museum Kunstsammlers Bernhard August geistliche Versorgung von Stadt und Gabelentzstraße 5 von Lindenau (1779­1854). Den Region neu. Vom Turm hat man einen 04600 Altenburg internationalen Rang des Hauses, schönen Blick über die Stadt. Telefon 03447 89553 www.lindenau-museum.de

96 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 97 Erstklassige Malereien prägen die sogenannte „Himmelswiese“ Saalfeld und Rudolstadt in der Stadtkirche Saalfeld Luther unter der Die Stadtkirche (rechts) ist Jenas wichtigste Luther-Erinnerungsstätte. „Himmelswiese“ Das Denkmal für Kurfürst Johann Friedrich I. dominiert den Markt Was in Saalfeld über Jahrhunderte baulich entstand, verschaff te der Stadt den Beinamen „Steinerne Chronik Jena Thüringens“. Auch das benachbarte, von der Heidecksburg überragte Rudolstadt an der Saale begeistert mit einer Ein zweites Wittenberg attraktiven Altstadt. Luthers Gastgeber und Wegbegleiter Zum Gedenken an Martin Luther gab Kurfürst Johann Friedrich I. von 1816 heraus. Auf dieser Fahne in Saalfeld war Caspar Aquila, einer der bedeutendsten für die Schlosskirche Wittenberg eine Grabplatte in Auftrag, sind die deutschen Nationalfarben Reformatoren Thüringens. Schwarz­Rot­Gold erstmals vereint. die aber seit mehr als vier Jahrhunderten die Jenaer Stadtkirche schmückt. Tatsächlich war die Beziehung zwischen Luther hotel „schwarzer bär“ thüringer landesmuseum und Jena, wo er mindestens elf Mal weilte, konfl ikt reich. Seine Martin Luther wohnte während sei­ heidecksburg ner Aufenthalte in Jena auch in dieser Das von dem weithin sichtbaren baro- Aufenthalte hier und in weiteren Orten des Saaletales waren Herberge. Ein Gemälde im Haus, in cken Turm geprägte Bauensemble Resi- vor allem mit dem hier wirkenden Radikal reformer Karlstadt dem er inkognito mit Schweizer Stu- denzschloss Heidecksburg begeistert verbunden. Eine öff entliche Disputation der beiden führte zur denten sprach, erinnert daran. vor allem mit dem Heiterkeit verbreiten- den, zwölf Meter hohen Rokoko­Fest­ Vertreibung der heftigsten Widersacher. denkmal für saal, in dem auch Friedrich Schiller zu johann friedrich i. Gast war. Neben Fest­ und Wohnräu­ Das Denkmal für den Universitätsbe- men können u.a. die Gemälde­ und Por­ stadtkirche st. michael gründer zeigt einen kämpferischen zellangalerie und die Waff ensammlung Die Kirche, in der 1558 die Universi­ Regenten mit erhobenem Schwert in „Schwarzburger Zeughaus“ besichtigt tät feierlich eröff net wurde, ist Jenas der einen und der Lutherbibel in der werden. Eine besondere Attraktion wichtigste Luther-Erinnerungsstätte. anderen Hand. sind die fantastischen Miniaturarchi­ Heidecksburg Rudolstadt KONTAKT Von der um 1500 entstandenen Kan­ tekturen „Rococo en miniature“. zel predigte Luther gegen die Bilder- universitätsbibliothek Tourist-Information Saalfeld KONTAKT stürmer in der Region. Gegenüber Die Bibliothek kam 1549 von der Wit­ stadtmuseum saalfeld stadtkirche st. johannis Markt 6 der Kanzel ist die eigentlich für Wit­ tenberger Universität nach Jena. Kost­ im franziskanerkloster in saalfeld 07318 Saalfeld Jena tenberg vorgesehene Luther­Grab­ bare Drucke der Reformationszeit, Das in seiner Kubatur und Architek­ Am Eingangsportal der Kirche, in Telefon 03671 522181 Tourist-Information [email protected] Markt 16, 07743 Jena platte angebracht. darunter auch Luthers Handexemp- tur weitgehend original überkom- der Luther dereinst predigte, steht www.saalfeld-tourimus.de Telefon 03641 498050 lare des Alten und des Neuen Testa- mene ehemalige Kloster zählt zu den seit 1905 auf einem Sockel eine [email protected] stadtmuseum ments mit handschriftlichen Eintra- herausragenden mittelalterlichen fast lebensgroße steinerne Skulptur Tourist-Information Rudolstadt www.jenatourismus.de Ein im Treppenhaus des Museums gungen, gehören ebenso zu deren Bauwerken Thüringens. Besonders des Reformators. Das Chorgewölbe Markt 5 07407 Rudolstadt über alle vier Ausstellungsebenen Bestand wie 35 Bände Aufzeichnun- bedeutsam ist der um 1300 errich- beeindruckt durch die farbliche Dar- Stadtmuseum Jena Telefon 03672 486440 Markt 7, 07743 Jena führender Zeitstrahl markiert das von gen des Theologen Georg Rörer. tete, original erhaltene Dachstuhl stellung einer „Himmelswiese“, auf [email protected] Telefon 03641 498250 der Ur- und Frühzeit über die Erster- der Klosterkirche. Nach der Refor­ der Restauratoren etwa 80 Blu- www.rudolstadt.de [email protected] wähnung der Stadt um 1145 bis in die angebote mation lange Zeit als Schule, Münz­ men und Pfl anzen des Mittelalters www.stadtmuseum.jena.de Mitte des 19. Jahrhunderts reichende Gruppenführung Auf Luthers stätte und für Wohnzwecke genutzt, entdeckten. Eine Seltenheit ist die Thüringer Landesmuseum Thüringer Universitäts- und Profi l des Hauses. Aus den umfangrei­ Spuren – eine Wirtin erzählt fand hier das bereits 1904 gegrün­ Außenkanzel an der Südwestecke Heidecksburg Landesbibliothek Jena chen Sammlungen zur Stadt- und Uni- Speisen wie zu Luthers Zeiten dete Stadtmuseum sein Domizil. Zu der früher von einem Friedhof umge- Schloßbezirk 1 Bibliotheksplatz 2, 07743 Jena versitätsgeschichte ragen etwa die 4­Gang­Schlemmermenü dessen Sammlungen gehören auch benen Kirche. Das „Heringsmänn­ 07407 Rudolstadt Telefon 03641 940000 „Jenaer Lutherbibel“, die sogar erfolg- Besichtigung Stadtkirche zahlreiche Luther-Denkwürdigkeiten, chen“ an der Nordwestecke erinnert Telefon 03672 42900 www.heidecksburg.de www.thulb.uni-jena.de reicher war als diejenige aus Witten- St. Michael (Ostern­Ende Oktober), darunter ein Betbüchlein mit hand- an die Saale-Fischerei. berg, und die Jenaer „Wartburgfahne“ Turmbesteigung möglich schriftlichen Eintragungen Luthers.

98 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 99 Gotha und Arnstadt In der museal genutzten Kornmarktkirche stehen Auf Reisen im Dienste der Bauernkrieg und des- sen Thüringer Anführer katholischer Ordnungspolitik Thomas Müntzer (rechts) im Blickpunkt Martin Luther hat in Gotha und Arnstadt mehrfach Station gemacht; vor 1517 war er als Visitator im Dienst katholisch- klösterlicher Ordnungspolitik vor Ort. In Gotha diktierte der Mühlhausen schwer erkrankte Luther 1537 sein erstes Testament, demzu- folge er in dieser Stadt begraben werden wollte. Die heutige Thüringer Zentrum des Bauernaufstandes Oberkirche Arnstadt gehörte damals zu einem Franziskaner- kloster, das schon der Mönch Martin Luther besuchte. Eine begehbare Stadtmauer, Kirchen, das Rathaus, attraktive Bürgerhäuser und bedeutende Höfe gehören zu den Sehenswürdigkeiten der im Mittelalter augustinerkloster wöhnlicher Bedeutung dar. Außer- nach Erfurt bedeutendsten Stadt Thüringens. Im Bauernkrieg war die Stadt Erstmals 1258 als Wohnsitz von dem gehören zur Kunstsammlung das Thüringer Zentrum. Der zu jener Zeit als Pfarrer tätige, einstige Weggefährte Augustiner mönchen urkundlich 23 Gemälde von Lucas Cranach, die Luthers, der radikale Theologe Thomas Müntzer, war geistiger Anführer der Schloss Friedenstein in Gotha erwähnt, blickt das Augustiner- neben vielen anderen hochkarätigen (unten) verwahrt viele Zeugnisse kloster Gotha auf eine 750­jährige Kunstwerken seit 2013 im benach­ hiesigen Aufständischen. der Lutherzeit; die Oberkirche bewegte Geschichte zurück und ist barten Herzoglichen Museum zu Arnstadt entstand bereits im damit noch älter als das berühmte sehen sind. Das Bild „Verdammnis 13. Jahrhundert Kloster in Erfurt. Eine Inschrift am und Erlösung“ nimmt auf Luthers st. marien bauernkriegsmuseum Ostturm der Kirche „Erbaut im Gnadenlehre Bezug. Die Forschungs­ müntzergedenkstätte kornmarktkirche Jahre des Herrn 1366“ erinnert an bibliothek im Schloss verfügt über In der Kultur­ und Stadtgeschichte hat Der Innenraum der bereits 1802 pro- KONTAKT die Blütezeit des Klosters, aus wel­ einen herausragenden Bestand an „St. Marien“ stets eine wesentliche fanierten Kirche beherbergt eine cher der bis heute erhaltene Kreuz­ reformatorischen Handschriften und Rolle gespielt: Hier wurden kaiserli- Ausstellung, die über Verlauf, Höhe- Tourist-Information gang, der Kapitelsaal und die Sak­ alten Drucken, zahlreiche Originale che Rechts entscheidungen verkün- punkte und Nachwirkungen des Gotha/Gothaer Land KONTAKT Hauptmarkt 33 ristei stammen. Martin Luther hielt aus Luthers Bestand. det, erklang erstmals die Ratswahl- Deutschen Bauernkrieges im Kontext 99867 Gotha sich in den Jahren 1515 und 1516 kantate des jungen J. S. Bach, hier der Zeit und als Bestandteil der deut- Tourist Information Telefon 03621 5078570 als Mönch hier zu einer Inspektion predigte Thomas Müntzer. Die Kirche schen Nationalgeschichte informiert. oberkirche arnstadt Ratsstraße 20 [email protected] auf. Als Reformator predigte er wäh- 1506, Martin Luther war noch kein ist seit 1975 Müntzergedenkstätte, 99974 Mühlhausen www.gotha.de rend seiner Reise zum Reichstag Jahr ins Augustinerkloster Erfurt Ort musikalischer Veranstaltungen rathaus Telefon 03601 404770 service@touristinfo- Stiftung nach Worms in der Augustinerkirche. eingetreten, weilte er im damali- aber auch Stätte religiösen Lebens. Der Kernbau des Rathauses entstand muehlhausen.de Schloss Friedenstein In dem sich direkt an das Kloster gen Franziskanerkloster, von dem um 1280. Erweiterungsbauten aus www.muehlhausen.de 99867 Gotha anschließenden Gebäude hat sehr Rudimente im Gelände der Ober­ museum am lindenbühl den Epochen Gotik, Renaissance und Telefon 03621 82340 wahrscheinlich der „Gothaer Refor­ kirche beziehungsweise im evan- Das Museum befi ndet sich in einem Barock ließen ein einzigartiges Bau- St. Marien [email protected] Müntzergedenkstätte www.stiftung-friedenstein.de mator“ Friedrich Myconius (1491– gelischen Gemeinde haus erhalten erst jüngst sanierten Neorenaissance- ensemble inmitten der Altstadt ent- 1546) gewohnt. und teilweise zu besichtigen sind. bau. Die Ausstellung zur Ur- und Früh- stehen. Besonders sehenswert sind Bei der Marienkirche Forschungsbibliothek Gotha Während eines Aufenthaltes im Jahr geschichte gehört zu den bedeutends- die Rathaushalle, die große Ratsstube Bauernkriegsmuseum Schloss Friedenstein schloss friedenstein 1537 übernachtete er vermutlich im ten in Thüringen. Dargestellt wird auch mit gotischer Malerei und das Reichs­ Kornmarktkirche 99867 Gotha Schloss Friedenstein verwahrt zahl- Schloss Neideck. die Besonderheit einer Freien Reichs- städtische Archiv (1615). Hier wurde Kornmarkt Telefon 0361 7375540 [email protected] reiche authentische Zeugnisse der stadt in dem an Residenzen reichen 1525 durch Thomas Müntzer der alte Museum am Lindenbühl www.uni-erfurt.de/bibliothek/fb Lutherzeit. Insbesondere die Ein- Thüringen sowie die mit dem Wirken Rat abgesetzt und an seiner Stelle ein Kristanplatz 7 blattdruck- und Flugblatt sammlung von J. S. Bach verbundene, überregio- „Ewiger Rat“ als Vertretung aller Schich- Tourist-Information Arnstadt Herzog Ernsts I. von Sachsen­Gotha nal interessante Kirchenmusik. ten der Stadtbevölkerung eingesetzt. 99974 Mühlhausen Markt 1, 99310 Arnstadt Telefon 03601 85660 Telefon 03628 60 20 49 stellt einen kultur- und kunstge- [email protected] [email protected] schichtlichen Schatz von außerge- angebot www.muehlhaeuser-museen.de www.arnstadt.de Gruppenführung Mühlhausen und die Reformation

100 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 101 Fast ein halbes Jahrtausend alt ist der „Lutherstein“ von Bad Franken- hausen Bad Frankenhausen und Nordhausen Gera und Bad Köstritz Umwälzungen spektakulär ins Bild gesetzt „Wer musiziert, betet doppelt“ In der einstigen Salzstadt Frankenhausen erreichten erste reformatorische Bestrebungen Durch Gera, die Otto­Dix­Stadt, verläuft die „Reußische ihren Höhe punkt inmitten des Bauernkrieges. Am 15. Mai 1525 unterlagen die von Thomas Fürstenstraße“. Die kulturhistorische Route verweist auf ein Müntzer geführten Bauern hier einer Übermacht fürstlicher Heere. Martin Luther, der zuvor Geschlecht, dessen bis zu zehn Linien als Muster einstiger die Bauern auf Predigtreisen durch Mitteldeutschland vor Aufruhr und deren Folgen warnte, Thüringer Kleinstaaterei gelten. Das Werden der Reformation fand unter seinen Zuhörern kaum noch Gehör – wie beispielswiese in Nordhausen. war auch in Gera von Konfl ikten geprägt. Im benachbarten Bad Köstritz, dem Endpunkt der Reußischen Fürstenstraße, kam 1585 Heinrich Schütz zur Welt. Der Musiker ging als ein Kruzifi x aus dem 14./15. Jh., die Martin Luthers und Thomas Münt­ Im Stadtmuseum Gera wie kirche st. petri, erster deutscher Komponist von internationaler Bedeutung kirche st. blasii und 1591/92 entstandene Kanzel sowie zers im gegenseitigen Bezug aufei- in seinem Geburtshaus in kunsthaus nordhausen eine Kopie des Epitaphs für Bürger­ nander als Teile eines umfassenden in die Musikgeschichte ein. Bad Köstritz (oben) wird des Bereits 1522 wurde in St. Petri die meister Meyenburg aus der Cranach­ Erneuerungs prozesses, einer grund- Komponisten Heinrich Schütz erste evangelische Predigt gehal- Werkstatt. Der mit Melanchthon legenden Umwälzung in Kirche und gedacht ten. Einer der aufmerksamen Zuhö- befreundete Mann war neben Justus Gesellschaft sinnlich erlebbar. schloß osterstein gera zu setzen. Die von Heinrich Schütz rer war Thomas Müntzer. Im Inne­ Jonas und Johannes Spangenberg Von der ansehnlichen Pracht des als Totenmusik für den Landesherrn ren der Kirche St. Blasii, in der treibende Kraft der Reformation in regionalmuseum Schlosses einer Reußen-Dynas- komponierten „Musikalischen Exe­ Luther predigte, beeindrucken u.a. Nordhausen. Nach ihm ist ein attrak- bad frankenhausen tie ging im Kriegsjahr 1945 viel ver­ quien“ basieren auf einer durch Post- tives Kunsthaus benannt. Das Museum bewahrt u.a. den so loren. Erhalten geblieben sind u.a. humus selbst getroff enen Auswahl genannten „Lutherstein“ auf, ein die Wolfsbrücke, die Hofanlage des von Bibelzitaten. Heute zählen die KONTAKT panorama museum Kapitell mit einem Bildnis, dem por­ Unteren Schlosses, die Schlosswa- „Musikalischen Exequien“ sowie der trätähnliche Züge Martin Luthers che, die Remise und der zu herrlicher Sarkophag des Heinrich Posthumus Tourist-Information bad frankenhausen Anger 14 Das Museum präsentiert eines der zugesprochen wurden. Er wurde wäh- Aussicht auf die Stadt und ihr ostthü- Reuß zum internationalen Kulturgut, 06567 Bad Frankenhausen spektakulärsten Projekte neuerer rend Sanierungsarbeiten 1973 ent­ ringisches Umland einladende Berg- zugleich sind sie bedeutende Zeug- Telefon 034671 71717 Kunst geschichte, das von Werner deckt. Mit dem Zinnfi gurendiorama fried. In dem Schloss wurde 1627 nisse der Reformation in Gera. info@kyff haeuser­tourismus.de Tübke von 1983–1987 geschaff ene „Bauernschlacht 15. Mai 1525“ bildet die Tragikomödie „Daphne“ des eng www.kyff haeuser­tourismus.de Mo numentalgemälde. Das in seinen der Fund den Kern der Ausstellung zu mit dem Reußischen Hof verbunde- heinrich-schütz-haus KONTAKT Regionalmuseum Dimensionen nahezu einmalige Bild- Reformation und Bauernkrieg. nen Komponisten Heinrich Schütz bad köstritz im Schloss werk beleben mehr als 3000 Einzel- aufgeführt. Das Haus beherbergt eine Ausstel- Gera Tourismus e.V. Schlossstraße 13 fi guren. In altmeisterlicher Formen­ lung zu Leben und Werk von Heinrich Heinrichstraße 35 06567 Bad Frankenhausen 07545 Gera sprache werden Humanismus, Refor- Schütz (1585 –1672), dem neben Telefon 034671 62086 stadtmuseum gera Telefon 0365 8304480 [email protected] mation und Bauernkrieg, das Wirken Die Dauerausstellung des Hauses Johann Walter und Johann Sebastian [email protected] www.bad-frankenhausen.de informiert über die Bekanntschaft Bach sicherlich „protestantischs- www.gera-tourismus.de des hiesigen Landesherren Heinrich ten“ Komponisten überhaupt. Der in Stadtmuseum Gera Panorama Museum Reformation und Bauernkrieg prägen das Posthumus Reuß (1572 –1635) mit Motetten, Historien oder Psalmverto­ Am Schlachtberg 9 Museumsplatz 1 06567 Bad Frankenhausen Monumentalgemälde (Ausschnitt) im Panorama Heinrich Schütz, einem der bekann- nungen umgesetzte Bibeltext ist klin- 07545 Gera Telefon 034671 6190 Museum. Auch das Kunsthaus Meyenburg zeigt testen deutschen Komponisten des gende Textausdeutung. Dies ganz Telefon 0365 8381470 [email protected] Portraits jener Epoche 17. Jahrhunderts. Obgleich die Regie- im Sinne des Luther zugeschriebe- [email protected] www.panorama-museum.de rungszeit des Heinrich Posthumus nen Spruches: „Wer musiziert, betet Heinrich-Schütz-Haus durch zunehmende religiöse Span- doppelt“. Stadtinformation Heinrich-Schütz-Straße 1 Markt 1, 99734 Nordhausen nungen im Reich geprägt war – die 07586 Bad Köstritz Telefon 03631 696797 zum Dreißigjährigen Krieg führten – Telefon 036605 2405 [email protected] gelang es ihm, kulturelle Akzente [email protected] www.nordhausen.de www.heinrich-schuetz-haus.de

102 erinnerungsorte im überblick lutherland thüringen 103 LITERATUR ZUM LUTHERLAND THÜRINGEN

Orte der Reformation Kernland der Reformation Neues aus der Landesgeschichte Die Reihe „Orte der Reformation“ stellt mit ihren ansprechend Die populäre Überblicksdarstellung von Die altehrwürdige Zeitschrift für Thüringische gestalteten Journalen wichtige Zentren des reformatorischen Landes­historiker Dr. Steffen Raßloff verdeut- Geschichte erscheint seit 1852. Als maßgeb­ Geschehens in Deutschland und Europa vor und bietet viele licht die Bedeutung Thüringens für Luther und liches Periodikum zur Landesgeschichte bietet kulturell-touristische Anregungen. als „Kernland der Reformation“, eingeordnet sie auch die neuesten Ergebnisse zur Luther- in die großen Traditionen des Kulturlandes um und Reformationsforschung. Günter Schuchardt/Martina Berlich: Jürgen Römer: Orte der Reformation. Welterbe Wartburg und Weimar. Orte der Reformation. Schmalkalden, Evangelische Verlags­ Eisenach, Evangelische Verlags­ anstalt Leipzig 2013, 48 Seiten, 8,90 € Steffen Raßloff: Zeitschrift für anstalt Leipzig 2011, 72 Seiten, 9,90 € Geschichte Thüringens Thüringische Geschichte. In Planung: Bad Frankenhausen, Steffen Raßloff/Volker Leppin/ Mühlhausen, Weimar und Jena Verlag C.H.Beck Hg. vom Verein für Thomas A. Seidel: Orte der Reformation. München 2010, Thüringische Geschichte Erfurt, Evangelische Verlags­anstalt 128 Seiten, 8,95 € und der Historischen Leipzig 2012, 81 Seiten, 9,90 € Kommission für Thüringen.

Der tägliche Luther Unterwegs zu Luther Ungewöhnliche Perspektive Der Rebell Im Auftrag der Internationalen Martin Luther Der Theologe Dr. Thomas A. Seidel und der Prof. Dr. Volker Leppin nähert sich dem Refor- Prof. Dr. Heinz Schilling stellt den welthisto­ Stiftung hat Dr. Thomas A. Seidel ein Luther- Publizist Heinz Stade laden ein auf eine mator in einer der meist diskutierten Biogra- rischen Rebell in seine Zeit und zeigt das Brevier herausgegeben, das Luthers Gedan- Reise durch 50 Lutherorte von Altenburg phien aus neuer Perspektive: Luther wird Andere und Fremde an ihm. Er schildert ihn kenwelt und Theologie in kurzen Sequenzen bis Zwickau. Dabei führen sie den Leser weniger als impulsiver Neuerer beschrieben, nicht als einsamen Heros, sondern als Akteur einem breiten, interessierten Publikum auf zahlreiche Spuren des Reformators in sondern mehr als Mensch, der sich nur lang- in einem gewaltigen Ringen um die Religion vermittelt. Thüringen. sam von seinem mittelalterlichen Erbe löst. und ihre Rolle in der Welt.

Thomas A. Seidel (Hg.): Heinz Stade/Thomas A. Volker Leppin: Heinz Schilling: Martin Luther-Brevier – Worte Seidel: Unterwegs zu Luther, Martin Luther Luther. Rebell in einer für jeden Tag. Luther’s Wartburg Verlag Weimar/ Zeit des Umbruchs Breviary – A Meditation Eisenach 2010, 264 Seiten, WBG Darmstadt ²2010, for Each Day of the Year. 14,90 € 426 S., 39,90 € Verlag C.H.Beck München 2012, Wartburg Verlag Eisenach ENGLISCHE AUSGABE: 714 S., 29,95 € 2007, 384 S., 9,90 € Dies.: In the Footsteps of Martin Luther

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