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q 500 Jahre Reformation Luther Martin Martin Superstar — Dossier »Reformationsjubiläum Nr. 1« Martin Luther, Heinz Zander, Öl auf Hartfaser, 1982 95 Thesen Am 31. Oktober 1517 schrieb Martin Luther, der sich bereits in Predigten gegen den Ablasshandel ausgesprochen hatte, einen Brief an seine kirchlichen Vorgesetzten in der Hoffnung, damit den Missstand beheben zu können. Den Briefen legt er 95 Thesen bei, die als Grundlage für eine Disputation zu diesem Thema dienen sollten. Dass Luther seine Thesen mit lauten Hammerschlägen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll, ist jedoch umstritten. Editorial Von Himmel und Hölle, von Gnade so oder anders, von der Freiheit eines Christenmenschen, von den ersten Schritten zur Aufklärung bis zum unheiligen Paktieren von Protestantismus und Staat, von der deutschen Sprache bis zur Nation, vom Bildersturm bis zum Erblühen der protestantischen Kirchenmusik, 1. die Reformation, die vor 499 Jahren in Wittenberg ihren Als unser Herr Ausgang nahm, hat die Welt verändert. Aber nicht nur und Meister Jesus im großen Ganzen ist die Reformation Motor des Wan- Christus sagte: dels, auch das Verhältnis des Einzelnen zu Gott hat sich »Tut Buße, denn fundamental erneuert. Zwischen Gott und den Men- das Himmelreich schen steht nicht mehr immer ein professioneller kirch- ist nahe herbei licher Glaubensverkünder, der den vermeintlich rich- gekommen«, wollte tigen Weg vorgibt, sondern das Priestertum aller Gläu- er, dass das ganze bigen hat den Weg zu Gott für Protestanten merklich Leben der Glauben verkürzt, wenn auch nicht unbedingt vereinfacht. Die den Buße sei. Reformation brachte den Gläubigen den Zugang zur Heiligen Schrift, doch dafür musste man Lesen und Ver- stehen können. Die Reformation war deshalb auch eine große Bil- dungsbewegung. Die Reformation war nicht die Tat eines einzelnen Mannes, Philipp Melanchthon, Huldrych Zwingli, Martin Bucer, Johan- nes Calvin, Johannes Brenz, Johannes Bugenhagen, Balthasar Hubmaier, Menno Simons, aber natürlich auch Thomas Müntzer und Andreas Bodenstein und viele andere sind Teil der Bewegung. Doch Martin Luther ist eindeutig ihr Superstar! Die Konzentration auf die Person Luther ist auch deshalb gerechtfertigt, da das Reformationsjubiläum 2017 gerade auch medial vermittelt werden muss. Und eine Grundregel erfolgrei- cher Medienarbeit lautet, dass eine Person besser vermittelt wer- den kann als viele und dass über Personen besser In halte trans- portiert werden können als ohne sie. 50 Mal in den vergangenen acht Jahren ist die Luther-Kolum- ne in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, er- schienen. Das die Kolumnen zusammenfassende Buch hat schon zwei Auflagen erlebt. Mehr als ein halbes Dutzend Veranstal- tungen wird der Deutsche Kulturrat alleine und in Kooperation bis 2017 zum Reformationsjubiläum durchführen. Dem hier vor- liegenden Politik & Kultur-Dossier wird im Frühjahr 2017, im Ju- biläumsjahr, eine zweite Ausgabe folgen. Vom Streitgespräch, der Disputation, ist nicht nur zu Beginn der Reformation vielfach Gebrauch gemacht worden. Keine neue Er- kenntnis ohne Streit, das gilt auch heute noch, deshalb lassen sie uns gemeinsam heftig über die Reformation disputieren. Olaf Zimmermann ist Herausgeber von Politik & Kultur und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Martin Luther, Lucas Cranach d. Ä. (Werkstatt), Öl auf Holz, 1528 5. Der Papst will und kann nicht irgend welche Strafen erlassen, außer de nen, die er nach dem eigenen oder nach dem Urteil von Kirchenrechtssät zen auferlegt hat. Martin Luther, Stickerei, verglast, 1. Hälfte 19. Jh. 2. 3. 4. Dieses Wort darf Gleichwohl zielt Daher bleibt Pein, nicht auf die sakra dieses Wort nicht solange Selbst mentale Buße ge nur auf eine innere verachtung, das deutet werden, das Buße; ja, eine inne ist wahre innere heißt, auf jene Buße re Buße ist keine, Buße, bleibt, näm mit Beichte und wenn sie nicht lich bis zum Ein Genugtuung, die äußerlich vielfäl tritt in das Himmel unter Amt und tige Marter des reich. Dienst der Priester Fleisches schafft. vollzogen wird. › 4 ‹ Inhalt Reformation und Staat Förderprogramm – eine Spurensuche Reformationsjubiläum MONIKA GRÜTTERS / 6 EIN ÜBERBLICK / 32 Kultur in der Jauchzet Gott Reformationsdekade in allen Landen HEINRICH BEDFORD-STROHM / 9 CHRISTIAN HÖPPNER / 36 Musischästhetische Protestantische Brücken Bildkritik FRIEDHELM HOFMANN / 12 HANNES LANGBEIN / 39 Gegen, Neben und Luther 2.0? Miteinander JOHANNA HABERER / 40 STEFAN RHEIN / 15 Das Christentum ist Zwischenbilanz keine Bilderbuchreligion STEPHAN DORGERLOH / 19 STEPHAN SCHAEDE / 43 Kulturwerk Ein Mittel zur Reformationsjubiläum Veränderung der Welt ASTRID MÜHLMANN / 22 REGINE MÖBIUS / 46 Das Reformations Bücherei vs. jubiläum zu einer zivil Literaturportal gesellschaftlichen GABRIELE KASSENBROCK / 48 Volksbewegung machen OLAF ZIMMERMANN / 25 Dichtkunst und Theologie? Das Dezimalsystem nutzen EVA LEIPPRAND / 50 JOHANN HINRICH CLAUSSEN / 26 Angewandte 366 + 1 Reformation KLAUS-MARTIN BRESGOTT / 29 ELLEN UEBERSCHÄR / 52 LutherMesse Was rettet das Abendland? GABRIELE SCHULZ IM GESPRÄCH STEPHAN DORGERLOH / 53 MIT MICHAEL SCHÜTZ / 30 Impressum 54 › 5 ‹ Reformation und Staat – eine Spurensuche MONIKA GRÜTTERS as Vermächtnis des großen Reforma- und müsse Zugang zum Wort Gottes ha- tors Martin Luther reicht weit über ben. Damit forderte er die Autorität der D die revolutionä ren Veränderungen Kirche heraus. Mutig war er auch als Über- hinaus, die sein Wirken innerhalb der Kir- setzer. Sein Ziel war eine umfassende »Ver- che nach sich zog. Doch war die Reformati- dolmetschung«, die sich nicht am Buchsta- on in erster Linie religiös motiviert. Luther ben, sondern am Sinn des Textes orientie- und andere Reformatoren kritisierten die ren sollte. So schlicht und anschaulich wie damalige kirchliche Lehre und Praxis über- möglich sollte die Übersetzung sein. Lu- all dort, wo sie eine Abkehr von zentralen ther wurde damit zum Sinnsucher wie zum Glaubensüberzeugungen oder Macht- Dolmetscher gleichermaßen. Dies zeigt sich missbrauch zu erkennen meinten. Die Kri- auch in der sprachschöpferischen und sti- tik entzündete sich – formuliert in den be- listischen Leistung seiner Bibelüberset- rühmten 95 Thesen, die Luther am 31. Ok- zung. Wort paare wie »Milch und Honig«, tober 1517 bekannt machte – insbesondere Wortneuschöpfungen wie »Gewissensbis- am Ablasshandel, der das individuelle See- se«, »Machtwort« und »Friedfertigkeit« und lenheil mit der Finanzierung des Peters- Wortbilder wie »Stein des Anstoßes«, »die doms in Rom verknüpfte, des ehrgeizigs- Zähne zusammen beißen« oder »im Dunk- ten Bauprojekts der Christenheit, Sinnbild len tappen« bleiben modern und anschau- päpstlicher Prachtentfaltung im 16. Jahr- lich. Luthers Bibelüber setzung war nicht die hundert. Damit war die Reformation von erste deutsche Übersetzung, doch durch die Anfang an auch ein Politikum. Für die rö- lebensnahe Sprache und die weite Verbrei- misch-katholische Kirche war die Zäsur of- tung bekam sie schon bald den Charakter fensichtlich: Sie sah sich scharfer Kritik und einer Volksbibel und wirkte stilbildend. So einem für sie neuen Konkurrenzdruck aus- konnte sich mit der Zeit auch eine einheit- gesetzt und musste darauf reagieren – nach liche deutsche Schriftsprache aus formen – innen wie nach außen. Kern gemeinsamer Identität und bis heu- 6. Ihre politische und geistige Prägekraft te gemeinschaftsstiftend, gerade in unse- Der Papst kann entfaltete die Reformation zunächst in der rer pluralistischen Gesellschaft. nicht irgendeine Auseinandersetzung mit traditionellen Au- Damit verdankt auch das Bildungswe- Schuld erlassen; toritäten. Als sich Martin Luther auf dem sen der Reformation wichtige Impulse. Die er kann nur er Wormser Reichstag 1521 dem Diktat von Lehrer der Reformation wie Philipp Melan- klären und bestä Kaiser und Papst widersetzte, berief er sich chthon und Martin Bucer griffen huma- tigen, sie sei von auf die Heilige Schrift und sein Gewissen. nistisches Gedankengut auf und setzten Gott erlassen. Damit setzte er der weltlichen und geistli- sich ein für die allgemeine Bildung brei- Und gewiss kann 7. chen Macht Grenzen und betonte die Ge- ter Schichten. Möglichst jeder, so das er- er ihm selbst vor Überhaupt nie wissensfreiheit, die Urteilskraft sowie die klärte Ziel, sollte in die Lage versetzt wer- behaltene Fälle mandem vergibt Eigenverantwortung des Einzelnen. Sei- den, selbst in der Bibel zu lesen. Dies führte erlassen; sollte Gott die Schuld, ne Schrift »Von der Freiheit eines Chris- zur Gründung neuer Schulen, sehr häufig – man diese verach ohne dass er ihn tenmenschen«, in der er sich dem Verhält- und das war neu – nicht in kirchlicher, son- ten, würde eine nicht zugleich – nis zwischen der Freiheit von allen »Herr- dern in städtischer oder in der Trägerschaft Schuld geradezu in allem ernied schern, Mächten und Gewalten« und der des Landesherrn. So wurde beispielswei- bestehen bleiben. rigt – dem Priester, Freiheit zur Verantwortung, zum Dienst se 1530 in Wittenberg die erste Mädchen- seinem Vertreter, am Nächsten widmet, wies den Weg zum schule eröffnet. Die einsetzende Bildungs- unterwirft. Menschenbild der Frühmoderne und trug reform, bald schon aufgegriffen von den Je- zur Entfaltung neuer gesellschaftlicher und suiten, schuf die Grundlagen für das heuti- wirt schaftlicher Kräfte bei. ge mehrstu fige Schulsystem und auch für Eine gewaltige Wirkung hatte Luthers gesellschaftliche und politische Teilhabe. Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Lu- Zu Recht gilt Luther