254 III. „68" annehmen oder ablehnen?

2. Die Parteien und ihre Jugendorganisationen

Während die Gewerkschaften die Integration radikaler Mitglieder erfolgreich meisterten, sah das innerhalb der Parteien ganz anders aus. Ihnen bereitete vor al- len Dingen der eigene Nachwuchs Sorgen. Der hatte sich entweder - wie im Falle der Jungsozialisten - parallel zur Studentenbewegung radikalisiert oder sich - wie im Falle der Jungdemokraten - von den „1968ern" zu einem „linken Standpunkt" mitreißen lassen. Sogar die Junge Union erlebte im Zuge der Studentenrevolte ihr ganz eigenes „1968".84 Waren schon die 1960er Jahre von Auseinandersetzungen zwischen parteinahen studentischen Hochschulgruppen und den jeweiligen „Mut- terparteien" bestimmt gewesen85, traten die seit Mitte der 1960er Jahre schwelen- den Konflikte zwischen den politischen Jugendorganisationen und den etablierten Parteien mit dem Aufkommen der Studentenrevolte offen zutage. Besonders hart wurde die innerparteiliche Auseinandersetzung zwischen Jung- sozialisten und SPD geführt. Seit 1969, dem Jahr der „Linkswende" der Jungsozi- alisten nach dem Münchner Bundeskongress, kam es zunächst zu einer deutlichen Verjüngung und Akademisierung sowohl der Arbeitsgemeinschaft als auch der SPD. Jetzt strömten vor allen Dingen Schüler und Studenten, die an den Hoch- schulen und Gymnasien politisiert worden waren, in die Ortsvereine und Bezirke. In München stieg auf diese Weise der Anteil der Mitglieder bis 35 Jahre zwischen 1968 und 1974 um rund 14 Prozent.86 In Hessen waren fast 70 Prozent der im letzten Quartal des Jahres 1971 in die SPD aufgenommenen Mitglieder Jungsozia- listen, die damit mehr Mitglieder als alle hessischen Parteien zusammen - die SPD ausgenommen - hatten.87 Das veränderte auch die Führungsstruktur der SPD- Unterbezirke und Ortsvereine nachhaltig: 1970 amtierte im SPD-Unterbezirk Wiesbaden der bis dato jüngste geschäftsführende Vorstand. Seine sechs Mitglie- der, darunter Vorsitzender Jörg Jordan und sein Stellvertreter Dieter Löber, ge- hörten alle dem linken Flügel der Partei an, waren jünger als 35 Jahre und ohne Ausnahme Jungsozialisten.88 Aber auch in den Vorstand der SPD drangen die Jungsozialisten nach und nach vor: 1969 wurden drei Mitglieder des Bezirksaus- schusses der südhessischen Jungsozialisten in den SPD-Vorstand Hessen-Süd ge- wählt.89 Damit wurden die Jungsozialisten aber nicht nur quantitativ ein ernst zu neh- mender „Stachel" im Fleisch der Sozialdemokratie.90 Als Sprungbrett für den von

84 Für die Jungsozialisten seit Neuestem: Oberpriller: Jungsozialisten; noch immer zentral: Schonauer: Die ungeliebten Kinder; für die Junge Union: Grotz: Junge Union; sehr kurz, ärger- licherweise ohne Quellenangaben, Stankiewitz: München '68, S. 113 f.; für die Jugendorganisati- onen der Parteien insgesamt: Krabbe: Parteijugend, und zeitgenössisch Bilstein: Jungsozialisten, Junge Union, Jungdemokraten. 85 Vgl. Kapitel I. 2. c). 86 Süß: Enkel. 87 SPD-Jungsozialisten, Bezirk Hessen-Süd, Mitteilung an die Presse vom 17.11.971, in: AdsD, DP Streeck, Box 1. Insgesamt erhöhte sich allein die Zahl der sozialdemokratischen Parteimit- glieder im Bezirk Hessen-Süd zwischen 1966 und 1969 von 68675 auf 71379. Vgl. FR vom 1.3.1969. 88 Die Jungsozialisten kommen zur Macht, in: Rüsselsheimer Echo vom 24.2.1970. 89 Vgl. Jungsozialisten, in: Organisation und Politik der SPD in Hessen-Süd, Jahresbericht 1969, S. 42-47. 90 Süß: Enkel. 2. Die Parteien und ihre Jugendorganisationen 255

Dutschke propagierten „Marsch durch die Institutionen" gewannen sie auch zu- nehmend Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der SPD. Beispielhaft lässt sich das an der politischen Karriere zweier in der Hochschulpolitik engagierten Stu- denten in Hessen und Bayern ablesen. Wolfgang Streeck, späterer Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, studierte Soziologie bei Ludwig von Friedeburg und Jürgen Habermas an der Universität Frankfurt.91 Als SHB- Mitglied und stellvertretender AStA-Vorsitzender in den 1960er Jahren war er maßgeblich an der Entwicklung der Forderung nach Drittelparität als Minimal- forderung gegenüber dem hessischen Kultusminister beteiligt gewesen92, hatte im Zuge der Studentenrevolte zunehmend radikalere Positionen vertreten93 und als Jungsozialist für kräftige Missstimmung im Kreise der Mutterpartei gesorgt, die ihm sogar ein Untersuchungsverfahren einbrachte.94 Bei den südhessischen Jung- sozialisten wirkte Streeck zunächst als Hochschulreferent und wurde dann mit erst 23 Jahren in den kulturpolitischen Ausschuss des traditionell linken SPD-Be- zirks Hessen-Süd berufen, wo er die Hochschulpolitik mit beeinflusste.95 In Mün- chen sorgte der erste Vorsitzende der bayerischen Studentenschaft, Dieter Berlitz, zunächst für große Unruhe im Vorfeld der parlamentarischen Behandlung des bayerischen Hochschulgesetzes von 196996, wurde 1974 bayerischer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft, wo er in einem Kommunalpapier die „Enteignung" der Eigenheimbesitzer forderte, und schließlich als Dezernent in das bundesweit erste Umweltamt nach Wiesbaden berufen.97 Auf diese Weise trugen die Jungsozialisten zu einer verstärkten Auseinander- setzung über politische Inhalte innerhalb der SPD bei. Ablesen lässt sich das an den zahlreichen Flügelkämpfen, die die Sozialdemokraten in Hessen und Bayern nun führten. In Hessen beispielsweise drohten Teile der Jungsozialisten mit dem Übertritt zur FDP resp. den Jungdemokraten, sollte die hessische Sozialdemo- kratie weiterhin nach „stalinistischem Vorbild Teile der eigenen Organisation zu unterdrücken" versuchen98, und initiierten massive Angriffe auf den rechten Parteiflügel, namentlich auf den Vorsitzenden des Innenausschusses des Deut- schen Bundestages, Hermann Schmitt-Vockenhausen, und den Frankfurter Poli- zeipräsidenten Gerhard Littmann wegen dessen Vorgehen gegen die Studenten

91 Vgl. zu einem kurzen Lebenslauf Streecks Homepage: http://www.mpi-fg-koeln.mpg.de/peop- le/ws/lebenslauf de.asp (letzter Zugriff Juli 2008). 92 Protokoll der 8. Sitzung des Studentenparlaments vom 30.1.1968, in: UAF, 410-5, Mai 1968 bis April 1969; Drittelparität nur in Diktatur. Gesprächsprotokoll zwischen dem 2. AStA-Vorsit- zenden Wolfgang Streeck, dem Frankfurter Rektor Walter Riiegg und dem hessischen Kultus- minister Ernst Schütte vom 17.12.1967, in: APO-AB, Ordner Frankfurt 1967-1969. 93 Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht an den hessischen Minister der Justiz vom 28.6.1969, Nr. 4 Js 529/68, betr. Ermittlungsverfahren gegen Krahl und andere wegen Diebstahls und ge- fährlichem Hausfriedensbruch, in: AdsD, NL Strelitz, Aktenordner 57. 94 Vgl. Bericht der Untersuchungskommission zum Vorgang Hochheim am 25.5.1968, in: AdsD, NL Strelitz, Aktenordner 290. 95 Protokoll der Sitzung des Bezirksvorstands der SPD Hessen-Süd vom 23.5.1969 in Frankfurt, in: AdsD, Bezirk Hessen-Süd II, Bezirksvorstand 1969. 96 Vgl. Kapitel IV. 2. b). 97 Die Zeit, Nr. 49 vom 4.12.1970; Lichter aus, in: Der Spiegel, Nr. 11 vom 13.3.1978, S. 49; Exotik wehte über Rathaus-Flur, in: Wiesbadener Tagblatt vom 19.3.2005; Der Umweltpolitik folgt nun der Ruf der Berge, in: Wiesbadener Tagblatt vom 27.5.2008. 98 Erklärung der Jungsozialisten aus dem SPD-Distrikt Sachsenhausen-Ost vom 6.11.1968, in: AdsD, SPD-UB Frankfurt, Box 167, Protokolle 1968/69. 256 III. „68" annehmen oder ablehnen?

während der Osterdemonstrationen." Damit trugen sie maßgeblich zu Littmanns Sturz und Schmitt-Vockenhausens Absetzung von seinem Landeslistenplatz bei.100 In Bayern, wo die Jungsozialisten sehr zum Leidwesen der SPD-Oberen auch öffentlich die „negativste Haltung" gegenüber der Mutterpartei einnahmen, kam es zu ähnlichen Auseinandersetzungen.101 Wohl den größten Bekanntheits- grad hat dabei die Fehde erlangt, die die Arbeitsgemeinschaft gegen den jungen Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel führte.102 Dass die Jungsozia- listen dabei mit immer härteren Bandagen kämpften, zeigt auch die hohe Zahl der Anträge auf Parteiordnungsverfahren gegen etablierte Parteimitglieder, die zu einem der wichtigsten „Kampfmittel" der Jungsozialisten in den 1970er Jahren wurden.103 Dass die Hochschulpolitik in diesen innerparteilichen „Machtkämpfen" eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, lässt sich auch an den zunehmenden An- griffen der Jungsozialisten auf den Fraktionsvorsitzenden der hessischen SPD, Werner Best, ablesen. Sie warfen ihm, der von Beginn der Auseinandersetzungen an den Universitäten an zu einem der Kritiker des radikalen Hochschulreform- programms seiner Partei gehört hatte, vor, die sozialdemokratische Hochschulpo- litik sabotiert und „skandalöse Geheimdiplomatie" betrieben zu haben. Offenbar hatte sich Best im Kampf gegen die Radikalen an den Hochschulen mit der CDU an einen Tisch gesetzt.104 Besonders die Jungsozialisten im linken Bezirk Hessen-Süd trugen zur Spal- tung der hessischen SPD in wachsendem Maße bei. Sie übten seit 1967 einen er- heblichen Einfluss auf die Politik der Parteiführung aus und bestimmten nun in zunehmendem Maße auch den hochschulpolitischen Kurs der hessischen Sozial- demokratie.105 Dem Einfluss der Jungsozialisten jedenfalls ist es zuzuschreiben, dass sich der Bezirksparteitag der südhessischen SPD im Januar 1968 als eines der ersten parteipolitischen Gremien überhaupt für die Einführung der von den Stu- denten geforderten Drittelparität stark machte.106 Der hessische Kultusminister

99 Mehr Demokratie wagen. Der Fall Littmann. Eine Dokumentation, hrsg. vom Unterbezirks- vorstand der SPD Frankfurt am Main, März 1970, in: AdsD, DP Streeck, Box 4; Schmitt-Vo- ckenhausen: „Unruhestifter mundtot machen". Dokumentation zum Fall Schmitt-Vocken- hausen, hrsg. vom Bezirksausschuss der Jungsozialisten Hessen-Süd am 29.4.1969, in: AdsD, DP Streeck, Box 4. 100 Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2.6.1969; Wiesbadener Kurier, ohne Datum [1969/70], alle in: AdsD, DP Streeck, Box 2. Zum Parteiordnungsverfahren gegen Schmitt-Vockenhausen vgl. Antrag des Bezirksvorstands Hessen-Süd auf Durchführung des Parteiordnungsverfah- rens gegen Schmitt-Vockenhausen, ohne Datum [April/Mai 1969], in: AdsD, Bezirk Hessen- Süd II, Bezirksvorstand 1969. 101 Vorlage Volkmar Gaberts für die Sitzung des Landes Vorstands der bayerischen SPD am 4.11. 1968, in: AdsD, LV Bayern II, Nr.215, Protokolle 1968. 102 Vogel: Amtskette. Zum Fall Littmann und Vogel vgl. auch die kurze Darstellung in Schonauer: Ungeliebte Kinder, S.249ff. Zum Fall Vogel und Kronawitter: Lösche: SPD. 103 Schreiben des Landesvorstands der SPD-Hessen an den Vorsitzenden der SPD, , vom 3.2.1976, in: AdsD, Bezirk Hessen-Süd II, Landesvorstand (LV) 1969-1977. 104 Dr. Best ist genauso untragbar wie Littmann, in: Wiesbadener Tagblatt, März 1970, in: AdsD, DP Streeck, Box 2. 105 Schonauer: Ungeliebte Kinder, S. 129ff. 106 Schreiben Professor Dr. Hövels an den Vorstand des SPD-Bezirks Hessen-Süd, z.H. des Vor- sitzenden Minister Albert Osswald vom 30.1.1968, in: AdsD, Bezirk Hessen-Süd II, Bezirks- vorstand 1968. 2. Die Parteien und ihre Jugendorganisationen 257

Ernst Schütte wurde dadurch für die Verhandlungen mit den Professoren in der ohnehin angespannten Atmosphäre in erhebliche Bedrängnis gebracht.107 Damit übernahmen die Jungsozialisten und der linke Flügel der hessischen SPD direkt Forderungen der Studenten der Universität Frankfurt. Ein eigenes Hoch- schulkonzept erarbeiteten die Jungsozialisten aber 1968 noch nicht. Wie sie er- klärten, spiegelten die Vorlage der vier Frankfurter Professoren Habermas, von Friedeburg, Wiethölter und Denninger sowie die Wünsche der Frankfurter Stu- dentenschaft die eigenen Reformforderungen adäquat wider.108 Vehement verurteilten sie hingegen sowohl die vermeintlich wenig fortschrittli- che Haltung eines Teils der hessischen Parteigenossen wie auch die Obstruktions- haltung der Ordinarien in der Hochschulpolitik und unterstützten den „kultur- politischen Durchbruch", den man sich von dem maßgeblich durch den linken Parteiflügel getragenen hochschulpolitischen Kurs erwartete.109 Erst 1969, als die Verabschiedung des hessischen Hochschulgesetzes in eine heiße Phase eintrat, meldeten sich die hessischen Jungsozialisten dann mit einer eingehenden Stellung- nahme zur geplanten Hochschulgesetzgebung zu Wort.110 Das zunehmende hochschulpolitische Engagement der hessischen Jungsozialis- ten seit 1968/69 lässt sich auch an der Gründung von Juso-Hochschulgruppen ab- lesen. Die erste Universität der Bundesrepublik, an der die Jungsozialisten im Jahr 1969 kandidierten, war die Justus-Liebig-Universität im hessischen Gießen.111 Al- lein zwischen März und Mai 1973 wurden weitere 13 Hochschulgruppen an den Hochschulen der Bundesrepublik gegründet.112 Mit den Juso-Hochschulgruppen etablierte sich neben dem SHB, der aufgrund seiner zunehmenden Radikalisierung bei der Mutterpartei in Ungnade gefallen war und keine finanzielle Unterstützung mehr genoss, eine zweite SPD-nahe Vereinigung an den hessischen Universitä- ten.113 Zwar rückte auch in Bayern die an Ruhe und Ordnung an den Universitäten interessierte bayerische Landesregierung schnell ins Fadenkreuz der Jungsozialis-

107 Notiz über den Anruf Professor Hövels am 12.2.1968, in: UAF, 200-4. 108 Organisation und Politik der SPD in Hessen-Süd, Jahresbericht 1968, in: HHStAW, 1203 350. 109 Erklärung der südhessischen Jungsozialisten zur Erklärung der Rektoren vom 20.9.1968, in: HHStAW, 504 7584b; Juso-Pressedienst, Bezirk Hessen-Süd vom 20.9.1968. Dabei stellte man sich auch hinter den Gesetzentwurf des hessischen Kultusministers Ernst Schütte. Schrei- ben der Jungsozialisten in der SPD, Bezirk Hessen-Süd, an den hessischen Kultusminister Ernst Schütte vom 24.9.1968, in: AdsD, NL Schütte, Box 64. 110 Stellungnahme der südhessischen Jungsozialisten zum Entwurf eines hessischen Hochschul- gesetzes. Verabschiedet auf der Funktionärskonferenz der südhessischen Jungsozialisten am 7./8.12.1968, in: HHStAW, 504 7586a. 111 Meng: Juso-HSG. 112 AStA-Plattform. Situation an der Universität. Zielsetzung der Jungsozialisten im Hochschul- bereich, ohne Datum [ca. 1975], in: ACDP, RCDS Frankfurt, IV-046-00312; Jungsozialisten verstärken Hochschularbeit, in: FR vom 8.5.1973. 113 Darüber kam es aber in den SPD-Unterbezirken zu nicht unerheblichen Auseinandersetzun- gen. Nach Meinung einiger hessischer Parteigliederungen war die Gründung von Juso-Hoch- schulgruppen nämlich von höchstpersönlich betrieben worden, um die „so- zialistische Hochschulpolitik" des radikalen SHB zu „unterlaufen". Vgl. Jungsozialisten und Hochschulpolitik. Zur Situation der Jungsozialisten an der Frankfurter Universität, ohne Da- tum [1972], in: AdsD, DP Streeck, Box 3; Erklärung des Unterbezirksausschusses der Frank- furter Jungsozialisten zur neuesten Entwicklung an der Frankfurter Universität, ohne Datum [1972], in: AdsD, DP Streeck, Box 3. 258 III. „68" annehmen oder ablehnen? ten. Hier war es insbesondere der Gesetzentwurf zur Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre, der die bayerischen Jungsozialisten gegen die Politik der CSU Stellung beziehen ließ.114 Allerdings schalteten sich die Jungsozialisten in Bayern - anders als ihr hessisches Pendant - Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre kaum aktiv in die Hochschulreformdebatte ein. Grund dafür war vor allem, dass man dem Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) durch die Gründung eigener Juso-Hochschulgruppen die ohnehin umkämpften Positionen an den Universitäten nicht streitig machen wollte. Wenn sich die bayerischen Jung- sozialisten zur Hochschulpolitik äußerten, geschah dies deswegen meistens in Ab- stimmung mit dem SHB; ansonsten standen im Bereich der Bildungspolitik eher Fragen der Schul- und Berufsbildung im Vordergrund.115 Damit folgten die bayeri- schen Jungsozialisten dem Vorbild der Arbeitsgemeinschaft auf Bundesebene, de- ren hochschulpolitische Abstinenz bereits Martin Oberpriller herausgestellt hat.116 Engagierter noch als die hessischen Jungsozialisten in Fragen der Hochschul- politik waren die hessischen Jungdemokraten. Sie schalteten sich seit 1968 aktiv in die Debatte um die Hochschulreform ein117 und gründeten - ebenso wie die hessischen Jungsozialisten - eigene Hochschulgruppen an den Universitäten.118 In Hessen war es insbesondere der ehemalige hessische Landesvorsitzende des Libe- ralen Studentenbunds Deutschlands (LSD), Wolfgang Gerhardt, nun stellvertre- tender Landesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten119, der die Linie der hessischen Jungdemokraten in der Hochschulpolitik vorgab. Gerhardt, der schon lange Zeit vor der Popularisierung der Forderung nach Drittelparität im Zuge der Studentenrevolte eine gleichberechtigte Vertretung der universitären Gruppen in den Organen der akademischen Selbstverwaltung gefordert hatte120, rechnete sich zwar explizit der APO zu, sah aber für die Jungdemokraten nur begrenzte Mög- lichkeiten der Zusammenarbeit mit dem radikalen Sozialistischen Deutschen Stu- dentenbund. Der hatte Gerhardt zufolge den Kontakt zu der Bevölkerung längst verloren. Man dürfe sich nicht, so sein Appell, das Heft des Handelns von „radi- kalen Sozialisten" aus der Hand nehmen lassen.121 Anders als die hessischen Jung-

114 Klaus Warnecke zur Unterbezirkskonferenz der SPD-München im Bürgerbräukeller am 20.2. 1969, in: Juso-Information 2 (1969) [ohne Seitenangabe]. 115 Landeskonferenz der bayerischen Jungsozialisten. Rechenschaftsbericht des Landes Vorstands, in: Juso-Information 4 (1969), S. 16-18; Rechenschaftsbericht der Münchner Jungsozialisten 1972, in: IfZ, ZGn 012. 116 Oberpriller: Jungsozialisten, insbesondere S. 217-220. 117 Deutsche Jungdemokraten, Landesverband Hessen, Antrag des Mitglieds Günter Untucht, Kreisverband Wetzlar vom 27.2.1968 für den Landesjugendtag der Deutschen Jungdemokra- ten, Landesverband Hessen, am 9./10.3.1968 in der Stadthalle in Offenbach, in: ADL, NL Gries, N63-163. 118 Schreiben der DJD-Hochschulgruppe Kassel an den Liberalen Hochschulverband in Bonn vom 25.3.1976, in: AdL, LHV Bundesverband, 23914; Jungdemokraten an Hessens Hoch- schulen [Stand 1974], in: ADL, DJD Bundesverband, Korrespondenz mit DJD-LV Hessen, 11369. 119 Landesvorstand der DJD, Landesverband Hessen 1968, in: ADL, Jungdemokraten, Bundes- verband, Korrespondenz mit DJD Hessen, 11289. 120 Vgl. Kapitel I. 2. b). 121 Beschluss des hessischen Landesjugendtags der DJD, LV Hessen am 9./10.3.1968 in Offen- bach, Drucksache Nr. 12, in: ADL, Jungdemokraten, Bundesverband, Korrespondenz mit DJD Hessen, 11289; Deutsche Jungdemokraten, Landesverband Hessen, Antrag des Landes- vorstandes Wolfgang Gerhardt vom 2.3.1968 für den Landesjugendtag der Deutschen Jung- 2. Die Parteien und ihre Jugendorganisationen 259

Sozialisten, die zentrale Forderungen der Studentenrevolte übernahmen, distan- zierten sich die Jungdemokraten also von den Radikalen, machten sich aber gleich- wohl für eine weitgehende Demokratisierung der Hochschulen stark.122 In Bayern war das Engagement der Jungdemokraten nicht so weitreichend wie das der hessischen Liberalen. Wie auch bei den bayerischen Jungsozialisten wur- den im Kreis der bayerischen Jungdemokraten nämlich andere bildungspolitische Schwerpunkte gesetzt. In der Schulpolitik und der Lehrlingsarbeit erlangten sie dabei sogar einen erheblichen Einfluss auf die Politik der Mutterpartei.123 Für die Hochschulpolitik konnten sich im Gegensatz dazu aber nur Wenige begeistern. Zwar unterstützte man generell die Demokratisierungs- und Liberalisierungs- forderungen der Studenten - auch die nach Drittelparität - und erarbeitete ein eigenes Hochschulreformprogramm.124 Wie aber der Hochschulreferent der baye- rischen Jungdemokraten, Helmut Hackenstein, enttäuscht feststellen musste, er- schienen zu den angesetzten hochschulpolitischen Seminaren nie mehr als acht bis zehn Teilnehmer; einige Veranstaltungen mussten deswegen sogar abgesagt wer- den.125 Offensichtlich wirkte sich damit auch bei den bayerischen Jungdemokra- ten die Tatsache aus, dass sich mit der Gründung einer Landesgruppe des Libera- len Hochschulverbandes (LHV) im Jahr 1967126 und dem Liberalen Studenten- bund Deutschlands (LSD)127 bereits zwei FDP-nahe studentische Gruppen an den Universitäten des Freistaates zu etablieren begonnen hatten, die - linksliberal ausgerichtet - die hochschulpolitische Linie bestimmten und in diesem Kontext für nicht unerhebliche Konflikte mit der FDP sorgten.128 Dass es aber insgesamt seit 1968 zu einer erheblichen Radikalisierung der bis- herigen Demokratisierungsforderungen der Deutschen Jungdemokraten kam, lässt sich auch an den verstärkten Auseinandersetzungen zwischen dem hessischen Landesverband und der FDP auf dem Gebiet der Hochschulpolitik seit Beginn

demokraten, Landesverband Hessen am 9./10.3.1968 in der Stadthalle in Offenbach in: ADL, NL Gries, N63-163. 122 Vgl. zu den bildungspolitischen Forderungen der Jungdemokraten überhaupt: 4. Landesdele- giertenkonferenz der DJD-LV Hessen 1971, Antrag Nr. 18, Bildung, Hochschulpolitik, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11197. 123 Vorlage zu TOP 4b der Landesvorstandssitzung am 28.11.1975 in Landshut. Stellungnahme des Landesfachausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Konzept der bayerischen Jung- demokraten für die Lehrlingsarbeit, in: ADL, FDP-Landesverband Bayern, Landesvorstand, 22568; Stellungnahme des Landesfachausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Konzept der Jungdemokraten zur Schülerarbeit, ohne Datum [1975], in: ADL, FDP-Landesverband Bayern, Landesvorstand, 22568. 124 Stellungnahme der Deutschen Jungdemokraten, Landesverband Bayern, zu den hochschulpo- litischen Thesen der bayerischen FDP in der Fassung vom März 1972. Beschlossen vom a. o. Landesjugendtag am 13./14.5.1972 in München, Initiativantrag Nr.4. Bei zwei Enthaltungen angenommen, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11190. 125 Rechenschaftsbericht des Hochschulreferats der DJD Bayern vom 8.12.1973, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11170. 126 Bericht zum BHA am 7.1%. 7.1973. Punkt Hochschule, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11170. 127 Schreiben Heinz Brandts an den Kreisverband Regensburg-Stadt der FDP, ζ. H. Werner Gal- lus, vom 15.2.1968, in: ADL, FDP-Landesverband Bayern, Korrespondenz mit LHV, 12448; Who is Who im Landesvorstand, in: DJD-aktuell, Sondernummer, Januar 1974, hrsg. vom DJD-Landesvorstand Bayern, in: IfZ, ZGn 031, Deutsche Jungdemokraten. 128 Einschreiben des Hauptgeschäftsführers der bayerischen FDP, Heinz Brandt, an Hermann Brammerts vom LSD Regensburg, ohne Datum [1969], in: ADL, FDP-Landesverband Bay- ern, Korrespondenz mit LHV, 12448. Zu den hochschulpolitischen Forderungen des LHV vgl. Flugblatt des LHV München, ohne Datum [ca. 1973], in: IfZ, Zg/HS München, Mappe 7. 260 III. „68" annehmen oder ablehnen? der 1970er Jahre ablesen. Die Liberalen, die seit 1970 in einer Koalition mit den hessischen Sozialdemokraten regierten, waren - ebenso wie die SPD - in zuneh- mendem Maße Angriffen ihrer Jugendorganisation ausgesetzt, die sich gegen die vermeintlich „konservative" Haltung der Mutterpartei in Fragen der Hochschul- gesetzgebung wandte. Die Gründung von jungdemokratischen Hochschulgrup- pen an den Universitäten erfolgte dabei nicht zuletzt mit dem Ziel, den Forderun- gen der jungen Liberalen eine breite Basis zu verleihen, um die FDP damit in der Hochschulreformdebatte „massiv unter Druck" setzen zu können.129 Das gelang vor allen Dingen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwischen FDP und SPD im Jahr 1970, in deren Zentrum die Hochschulpolitik stand. Mit Andreas von Schoeler wurde auch ein Jungdemokrat zu den Gesprächen hinzugezogen. In einem anschließend verfassten Papier hielt sich der hessische Landesvorstand der Jungdemokraten trotz ansonsten harscher Selbstkritik zugute, dass die „Ordina- rienfreundlichkeit" der Mutterpartei in den Verhandlungen zunehmend hätte auf- geweicht werden können. Dadurch sei es gelungen, eine gute „Basis für weitere sinnvolle Arbeit" im Hochschulbereich zu schaffen.130 Doch auch abseits hochschulpolitischer Belange übten die die Jungdemokraten einen teils erheblichen Druck auf die Mutterpartei aus.131 Im Kreisverband Mün- chen der bayerischen FDP wurde aufgrund des radikalen Auftretens der bayeri- schen DJD in den 1970er Jahren darüber nachgedacht, wie man Äußerungen der Jugendorganisation als „außerhalb der Parteimeinung" stehend unterbinden kön- ne; aufgrund der „Radikalisierung" gab es Parteiaustritte.132 In Marburg mehrten sich Gerüchte, denen zufolge die FDP sogar Parteiausschlussverfahren gegen missliebige Jungdemokraten erwog. Der Vorsitzende der Deutschen Jungdemo- kraten in den 1970er Jahren, Theo Schiller, machte dann auch von der Mutterpar- tei ausgehende erhebliche „Einschnürungstendenzen" aus. Offenbar habe man es hier mit einer „konzerüertefn] Aktion der Einschüchterung und Säuberung" zu tun, argwöhnte er in einem vertraulichen Schreiben an die Landesvorsitzenden der DJD. Öffentlicher Gegenreaktionen auf die Disziplinierungsversuche der Mutter- partei enthielt man sich aber, weil man nicht die innerparteiliche Basis der Gegner stärken wollte.133

129 Landesdelegiertenkonferenz der hessischen Jungdemokraten vom 17./18.4.1971 in Wetzlar, 3. Hochschule, in: ADL, Jungdemokraten, Bundesverband, Korrespondenz mit DJD-LV Hes- sen, 11197; Offener Brief der hessischen Jungdemokraten an die Mitglieder der FDP im hessi- schen Landtag vom 3.9.1974, in: ADL, DJD Bundesverband, Korrespondenz mit DJD-LV Hessen, 11369. 130 Darüber hinaus waren die hessischen Jungdemokraten 1970 erstmals im hessischen Landtag vertreten und sorgten über ihren Hochschulreferenten, der dafür plädierte, einmal durch das Hochschulgesetz von 1970 gewonnene Mitbestimmungsrechte nicht wieder rückgängig zu machen, für Aufsehen. Vgl. Rechenschaftsbericht des Landesvorstands der DJD Hessen für die Zeit vom März 1970 bis April 1971, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11197. 131 So gingen etwa die in den 1970er Jahren intensivierten Gespräche zwischen bayerischer FDP und SPD auf einen Antrag der Deutschen Jungdemokraten zurück. Vgl. Vermerk für Dieter Bahner, Georg Letz und Rudolf Widmann vom 9.3.1970 von Heinz Brandt, in: ADL, FDP- LV Bayern, Landesvorstand, 22545. 132 Abschrift eines Schreibens von Heinz Starke an vom 8.10.1970, in: ADL, FDP- LV Bayern, Landesvorstand, 22545. 133 Schreiben des Bundes Vorsitzenden der DJD, Theo Schiller, an die Landesvorsitzenden der DJD vom 29.11.1974. Vertraulich, in: ADL, DJD, Bundesverband, 11398. 2. Die Parteien und ihre Jugendorganisationen 261

Nicht unberührt von der Studentenrevolte blieb auch die Junge Union (JU) in Bayern und Hessen - wenn auch der Einfluss von „1968" auf die Ziele der Partei- jugend geringer ausfiel als bei den entsprechenden Organisationen von SPD und FDP.134 Seit 1969 äußerte die Junge Union „zunehmend konkrete Ideen zur inhalt- lichen Anpassung konservativer Politik an die sich zügig entwickelnden Reali- täten".135 Dabei blieb sie keineswegs immer „parteiloyal" und enthielt sich ebenso wenig „aller programmatischen Problematisierungen", wie das immer wieder behauptet wird.136 Das zeigen insbesondere die Auseinandersetzungen, die die Christlich Soziale Union in Bayern seit 1968 mit ihrer Jugendorganisation führte. Anstoß bei den Parteioberen erregte dabei vor allem das offenbar auch im Kreise der Jungen Union veränderte Auftreten gegenüber etablierten CSU-Mitgliedern. „Beleidigend" nannte Ende der 1960er Jahre ein Fraktionsmitglied den politischen Stil der Jungen Union, den diese seit kurzer Zeit pflege. Zunehmend werde deut- lich, was man innerhalb der CSU doch „für eine Arbeit" mit der rebellischen Par- teijugend habe. Das sah auch Ministerpräsident Alfons Goppel so: Er registrierte mit äußerster Irritation, dass auf einer von der Jungen Union organisierten Veran- staltung Vertreter des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes hätten zu Wort kommen dürfen, ohne dass sich die eigene Parteijugend auch nur darum geküm- mert habe. In den Augen vieler Mitglieder der CSU-Fraktion zeigte dieser Vorfall exemplarisch die veränderte Haltung der JU gegenüber der Mutterpartei und ihrer Politik.137 Der Landesvorsitzende der CSU war deswegen Adressat einer ganzen Reihe von Briefen erboster Parteimitglieder, in denen er gebeten wurde, der JU zu verbieten, die CSU „lächerlich zu machen". Solchem „politischen Unfug" müsse ein für alle Mal ein Ende bereitet werden, denn entweder, die Partei gewinne zu- sammen oder aber „wir [...] [gehen] alle miteinander unter", warnte etwa CSU- Mitglied Albert Kaps.138 Die Spannungen mit der Mutterpartei zeigten sich auch in der Haltung der JU in Fragen der Hochschulpolitik.139 Der 1969 von Kultusminister Ludwig Huber vorgelegte Hochschulgesetzentwurf stieß im Kreise der Parteijugend auf erhebli- che Kritik. Der Entwurf, hieß es etwa aus dem Kreisverband Dachau, sei „wenig geeignet", „eine grundsätzliche Verbesserung des Hochschulwesens herbeizufüh- ren". Die Schuld an der gegenwärtigen „Hochschulmisere" schoben diese Mitglie- der der Jungen Union dabei Huber sogar selbst in die Schuhe: Er habe durch seine „Reformunwilligkeit" zu der angespannten Situation an den Universitäten bei- getragen, so die Stellungnahme aus Dachau. Man könne daher die CSU-Politik

134 Die Geschichte der Jungen Union ist noch nicht in Ansätzen geschrieben. Das hat bereits vor einiger Zeit Thomas Schlemmer als erhebliche Forschungslücke angeprangert. Vgl. Schlem- mer: Aufsässige Schwester, S. 287-324. 135 Lemke: Jugendorganisationen, S. 809-822, hier S. 810. 136 Grasser: Die CDU und die Junge Union, S. 327-348. Ahnlich auch: Meier-Walser: Auftrag, Funktion und Profil, S. 97-116. 137 Kurzprotokoll über die Vorstandssitzung der CSU am 25.6.1968, in: ACSP, Landtagsfraktion der CSU im bayerischen Landtag (LTF), Sitzungen 1968. 138 Kurzprotokoll über die Fraktionssitzung der CSU vom 10.6.1969, in: ACSP, Landtagsfraktion der CSU im bayerischen Landtag (LTF), Sitzungen 1969. 139 Zur Hochschulpolitik der Jungen Union insgesamt vgl. Ergebnisse der Konferenz für Hoch- schulfragen der Jungen Union Deutschlands, hrsg. vom Bundesvorstand der Jungen Union, Bonn 1968. 262 III. „68" annehmen oder ablehnen?

öffentlich nicht mehr mit vertreten, schloss das Schreiben ungewöhnlich deutlich. Nur aus Loyalitätsgründen habe man bisher davon abgesehen, diese „Resolution" zur Hochschulpolitik auch im Rundfunk zu veröffentlichen.140 Die Angriffe gegen Kultusminister Huber wegen seiner als verfehlt bezeichne- ten Hochschulpolitik verschärften sich im Jahr 1969 auf der Landesversammlung der Jungen Union in Eichstätt, die unter dem Motto „Moderne Bildungspolitik - unsere Zukunft" stand. Fast schon aufsässig machte die JU ein „tiefgreifendes Ver- sagen" des Kultusministers in der Kulturpolitik aus. Dabei mangelte es Huber in den Augen der Jungen Union nicht nur an Ideen und einem zukunftsorientierten Programm. Nach Meinung der Parteijugend enthielt der Hochschulgesetzentwurf sogar „bedenkliche autoritäre Gedanken".141 Dem keineswegs mehr zeitgemäßen Stil des Ministeriums habe man es auch zu verdanken, so die kritische Formulie- rung der Jungen Union Nürnberg-Fürth, dass sich die Studenten zu einem Groß- teil mit dem SDS solidarisiert hätten.142 Offen wurde nun der Rücktritt des un- geliebten Ministers gefordert.143 Wie weit darüber hinaus selbst die Forderungen der Jungen Union mit den Demokratisierungsforderungen der linken Studenten übereinstimmten, zeigt ein Antrag der späteren JU-Bundesvorsitzenden Ursula Männle. Männle, Jahrgang 1944, hatte Politik, Soziologie und Neuere Geschichte an den Universitäten München und Regensburg studiert und war dabei mit den Hochschulreformforderungen der Studentenrevolte in Berührung gekommen. Sie forderte 1969 eine tiefgreifende Demokratisierung der Universität und die Stär- kung ihrer Verantwortung für die „gesellschaftlichen Implikationen des einzelnen Wissenschaftsbereichs", wie es in fast „sozialistischem" Jargon hieß. Männles Re- formkonzept sah sogar eine 25% ige Beteiligung der Studenten in allen Organen der akademischen Selbstverwaltung vor.144 Die bayerische Regierung forderte sie auf, umgehend eine aus Professoren, Assistenten und Studenten zusammengesetz- te Hochschulreformkommission einzusetzen.145 Andere Anträge an die JU-Landesversammlung in Eichstätt zeigen, dass diese Demokratisierungs- und Liberalisierungswünsche keinesfalls ein Minderheitenvo- tum waren. Auch der Kreisverband München-Land der Jungen Union bekannte sich zu den „Demokratisierungsbestrebungen unserer Gesellschaft" und machte sich für einen modernen Bildungsbegriff stark: Die Passivität der zu Bildenden galt es zu überwinden zugunsten einer „Selbstverwirklichung des Menschen durch ein sich stetiges Ergänzen theoretischer Erkenntnisse und praktischer Möglichkei- ten der Gestaltung der eigenen Umwelt". Deutlich wird hier das Gewicht, das man auch innerhalb der Jungen Union auf Verantwortlichkeit und Selbsttätigkeit

140 Schreiben der Jungen Union, Ortsverband Dachau an das bayerische Kultusministerium, ohne Datum [Juni 1969], in: BayHStA, MK 68613. 141 Antrag zur Beschlussfassung des Kreisverbandes Starnberg vom 18.10.1969, in: ACSP, JU- Landesversammlung, 1969 Eichstätt. 142 Antrag zur Beschlussfassung der Jungen Union, Bezirksverband Nürnberg-Fürth, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eichstätt. 143 Antrag der Jungen Union Mittelfranken, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eichstätt; einen gleichlautenden Antrag stellte Klaus P. Arnold, Kreis Vorsitzender, Kreisverband 11, Junge Union München, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eichstätt. 144 Antrag von Ursula Männle, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eichstätt. 145 Zweiter Antrag Männles an die LV der JU, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eich- stätt. 3. Zwischen Abgrenzung und Solidarisierung: die Dozenten 263 des jungen Menschen innerhalb der Gesellschaft im Allgemeinen und der Bil- dungseinrichtungen im Speziellen legte.146 In ihren Forderungen nach Demokratisierung, Durchlässigkeit und Differen- zierung des Bildungssystems und dem Ruf nach Verwirklichung von Chancen- gleichheit war die Junge Union sowohl in Hessen als auch in Bayern zu Beginn der 1970er Jahre kaum noch von Sozialdemokraten zu unterscheiden.147 Der Wunsch, die Bildungseinrichtungen - insbesondere die Schule148 - zu demokrati- sieren, zeugt dabei von einem sich verändernden Demokratiebegriff auch in der Jugendorganisation der CDU/CSU. Der Deutschlandtag der Jungen Union in Braunschweig im Jahr 1970 spiegelt das wie kaum eine andere Veranstaltung wi- der: Hier wurde das Thema Demokratie, nicht nur als Organisationsform des Staates, Demokratie auch als Lebensprinzip der Gesellschaft diskutiert.149 Von „Basisarbeit" war dort die Rede und von „Problemen, die zu lange verschleiert" wurden. Die Wochenzeitung Die Zeit registrierte ganz zu recht, dass die Diktion der Antiautoritären nun auch in die Junge Union Einzug gehalten habe.150 Die Forderungen der Parteijugend führten der CSU deutlich vor Augen, dass die Demokratisierung des Bildungs- und Hochschulwesens keine Forderung der Radikalen allein war. Dass die Junge Union mit ihrer Haltung in der Hochschul- politik der Riege reformfreudiger, jüngerer CSU-Mitglieder den Rücken stärkte, beförderte dabei - ähnlich wie in SPD und FDP - eine Flügelbildung innerhalb der Mutterpartei.151

3. Zwischen Abgrenzung und Solidarisierung: die Dozenten

a) Marburg - München - Frankfurt: drei Idealtypen der Hochschulreform

Innerhalb der Hochschullehrerschaft wurde die Revolte der Studenten sehr un- terschiedlich wahrgenommen und führte zu geradezu gegensätzlichen Reaktio-

146 Antrag des Kreisverbands München-Land der JU, in: ACSP, JU-Landesversammlung, 1969 Eichstätt. 147 Für Bayern: Leitsätze der Jungen Union Bayern aus dem Jahr 1970. Verabschiedet auf der Sitzung des Landesausschusses am 12./13.9.1970 in Amberg, in: ACSP, JU 57, Böswald/ Schmid; Rundschreiben und Antrag der Landesversammlung der JU Bayern an den Landes- parteitag der CSU am 4./5.7.1970 in Nürnberg, in: ACSP, JU 57, LGF A. Schmid, April 70-Juli 71. Für Hessen: Kongress Leben in Freiheit. Thesen der Jungen Union Hessen zum Thema Freiheit und Demokratie in Erziehung, Bildung und Wissenschaft, in: ACDP, RCDS Mar- burg, IV-037, Karton 010/1, ohne Datum [1973], 148 Vgl. etwa Rahmenprogramm zur Kommunalwahl der Jungen Union Bayern 1972, hrsg. vom Landessekretariat der Jungen Union Bayern, München 1972 (verantwortlich: , Landes vorsitzender der JU). 149 Auch die Jungsozialisten und die APO propagierten ja die Demokratisierung aller Lebensbe- reiche. Vgl. Süß: Enkel, S.77. 150 Das Lied von der Veränderung, in: Die Zeit, Nr. 39 vom 25.9.1970. 151 Die innerparteiliche Auseinandersetzung blieb auch der Presse nicht verborgen. Vgl. Der Mann macht die Partei kaputt, in: SZ vom 27.6.1968; Quick vom 31.7.1968; Alle Macnt dem Huber? CSU-Rebellen gegen die Ämterfülle des Ministers, in: Die Zeit, Nr. 50 vom 13.12.1968; Dynamit für Bürgerkriege. Zum Vorentwurf für ein bayerisches Hochschulgesetz, in: Christ und Welt vom 15.11.1968; Hier, da, dort, in: Der Spiegel, Nr. 50 vom 9.12.1968, S.54f.