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2./3. Les. Altersvorsorge- Verbesserungsgesetz 2013_01_31

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Petra Hinz (Essen) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es war sehr gut, lieber Kollege,

(Dr. Birgit Reinemund (FDP): Fand ich auch!) dass Sie Ihre Rede mit einem Zitat des ehemaligen Arbeitsministers Franz Müntefering begonnen haben. Franz Müntefering hat recht mit dem, was er gesagt hat.

Da wir heute anscheinend in der Phase der Aufarbeitung sind - einige Geschichten werden wir heute sicherlich auch noch von anderen Kollegen hören -, möchte ich gerne einmal darstellen, wo wir 1998 standen. 3 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Sozialhilfeempfänger sind zusammengeführt worden. Das sind additiv unter dem Strich - hier gebe ich Ihnen recht - 5 Millionen. Ich frage Sie jetzt: Wer war denn vor 1998 16 Jahre lang an der Regierung? Rot? Nein! Schwarz-Gelb!

( (CDU/CSU): Die sind doch erst unter Rot-Grün entstanden!)

Wir haben in unserer Regierungszeit eine ganze Menge aufgearbeitet. Wenn Sie meinen, Sie könnten heute durch die Lande gehen und sagen, es gebe jetzt nur noch 3 Millionen Arbeitslose und das sei Ihr Verdienst, dann kann ich nur sagen: Nichts haben Sie in dieser Zeit getan. Sie haben nicht dazu beigetragen, dass die Menschen faire Löhne bekommen. Schauen Sie sich doch an, mit welchen Tarifverträgen und Löhnen diejenigen, die in Arbeit gekommen sind, letzten Endes auskommen müssen. Nicht umsonst verweigern Sie gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner permanent das Thema Mindestlöhne.

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Da nützt es auch nichts, wenn Sie auf Ihren Parteitagen nur mit Überschriften wie „Mindesteinkünfte“ arbeiten. Verdummen Sie die Menschen doch nicht! Die wissen doch ganz genau, dass Sie das Thema Mindestlöhne in Ihrer Regierungszeit nicht angehen werden. Ich gebe Ihnen insofern völlig recht: Nur wer einen fairen, gerechten und auskömmlichen Lohn erhält, kann auch für sein Alter vorsorgen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben auch recht, mein lieber Kollege, wenn Sie darüber reden, dass die private Altersvorsorge wichtig ist. Wir haben uns 1989, 2000 und 2001 mit dem Thema Alterseinkünftegesetz beschäftigt, weil Sie sich seit 1980 nicht um dieses Thema gekümmert haben.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Grund würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie das?

Petra Hinz (Essen) (SPD): Nein, vielen Dank, ich möchte ganz gerne in meiner Rede fortfahren.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Ihr Bedauern trifft mich sehr.

( (CDU/CSU): Aber immer bei der Wahrheit bleiben!)

- Ich hoffe, Sie wissen, was die Wahrheit ist.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Auch beim Mindestlohn!)

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Weiter zum Alterseinkünftegesetz: 1980 hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben, die Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten auf den Weg zu bringen. Sie haben in Ihrer Regierungsphase nichts gemacht. Wir sind das Thema angegangen, und dies mündete unter anderem in die Riester- und die Rürup-Rente. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bleiben Sie also bei der tatsächlichen Chronologie und bei dem, was Sie in 16 Jahren schwarz-gelber

Regierung einfach ausgesessen und versäumt haben. Andere Regierungen, unsere rot-grüne und nachher auch - ich gestehe - die Große Koalition, haben hier einiges auf den Weg gebracht. Allein der Titel „Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz“ verspricht viel. Was hält er? Ich sage: Sehr wenig. Schauen wir einmal ins Kleingedruckte. In der Öffentlichkeit behaupten Sie gerade, Riester werde einfacher. Sie haben eben auch gesagt, Riester sei eigentlich ein sehr gutes Produkt. Darauf kommen wir gleich noch.

Sie sagen, das Produktinformationsblatt für Verbraucher führe zu mehr Transparenz. Da gebe ich Ihnen allerdings recht. Das Produktinformationsblatt ist ein wichtiger und richtiger Schritt in die richtige Richtung. Allerdings haben Sie - auch im Zuge der Änderungsanträge - den richtigen Weg wieder verlassen. Auch darauf komme ich gleich noch.

Zur FDP. Ich denke, wir werden hier gleich die stereotype FDP-Rhetorik hören, nämlich: mehr Flexibilität, mehr Wahlfreiheit.

(Beifall der Abg. Dr. Birgit Reinemund (FDP))

Was für den Einzelnen dahintersteckt, ist eine ganz andere Frage. Dazu kommen wir gleich aber auch noch.

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Ich komme zum Thema „Mehr Transparenz in Produktinformationsblättern“. Ja, ich gebe Ihnen recht: Da gab es ein großes Defizit; mehr Klarheit und mehr Transparenz müssen unbedingt eingeführt werden. Wir haben es in der Finanz- und Wirtschaftskrise gesehen. Viele Menschen haben gerade in dieser Zeit versucht, das, was sie für ihr Alter angespart haben, besonders günstig, spekulativ anzulegen, und haben gar nicht verstanden, welche Produkte sie letztendlich gekauft haben. Aber bei

Riester und Rürup ist ganz klar: Es geht hier nicht um Spekulation, sondern es geht um eine konservative Anlage. Insofern ist die Einführung dieses Produktinformationsblattes sehr wichtig. Es ist ein richtiger Schritt, aber er geht nicht weit genug. Hier wurde vorhin die Zeitschrift Finanztest zitiert. Auch ich war in der Anhörung und habe mitbekommen, was der Vertreter von Finanztest dort gesagt hat. Sie haben nicht vollständig zitiert. Ich will hier jetzt auch andere zitieren. Der Sachverständige Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale

Baden-Württemberg sagt: Ja, das Produktinformationsblatt hilft und ist ein richtiger Schritt; aber es hilft nur denjenigen Verbrauchern, die dieses Informationsblatt tatsächlich verstehen. Alle anderen, die es nicht verstehen, laufen Gefahr, eine falsche Entscheidung zu treffen. Dr. Christian Pfarr von der Universität Bayreuth hat ganz deutlich gesagt:

Dieses Informationsblatt ist ein erster und richtiger Schritt; aber dieser Schritt ist noch nicht ausreichend, da ein Produktinformationsblatt nur die Produktdarstellung betrifft, nicht aber an der Fähigkeit der Menschen ansetzt, diese Information tatsächlich zu verstehen. Ich komme zu einem anderen Punkt. Sie und auch wir haben in der letzten Zeit mit Vertretern der Versicherungswirtschaft gesprochen. Sie haben aber nicht mit den Verbraucherschützern gesprochen. Das kreiden wir Ihnen an

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und sagen: All das, was Sie, auch gestern im Finanzausschuss, an Änderungsanträgen eingebracht haben, hat nur zu einer Verbesserung für die Finanzwirtschaft geführt, aber nicht für die Kunden, nicht für die Versicherungsnehmer. Insofern: Ja, es ist ein richtiger Schritt, aber er geht nicht weit genug. Ich denke, auf die Frage der Kostentransparenz werden der Kollege von den Grünen und meine Kollegin von der SPD eingehen.

Auch zu den Vergleichszahlen konnten Sie sich gestern nicht abschließend äußern. Das Gutachten, das dazu auf den Weg gebracht werden soll, wird uns irgendwann, möglicherweise nach dem Oktober 2013, vorliegen. Das ist viel zu spät. Kommen wir zu einem anderen Punkt, dem Thema „Wohn-Riester“. Von Ihnen wird es immer so dargestellt: Alle Menschen, die Eigentum kaufen, sorgen damit für ihr Alter vor. - Diejenigen, die es sich leisten können - da gebe ich Ihnen recht -, haben damit tatsächlich Vorsorge für ihr Alter getroffen. Sie suggerieren aber auch den vielen anderen, mit einem Eigenheim würden sie eine Altersvorsorge schaffen. Das schaffen sie eben nicht;

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Kommen Sie mal zu mir in den Wahlkreis!) denn die nachgelagerten Kosten, die dafür entstehen, die Rücklagen, die gebildet werden müssen, die Instandhaltungskosten, die zu zahlenden Steuern und anderes, all das sind Dinge, die die Menschen, die Eigentum erworben haben, ebenfalls finanzieren müssen. Insofern sage ich Ihnen: In Bezug auf diejenigen, auf die dieses Produkt passt, ist das, was Sie gesagt haben, richtig. Allen anderen streuen Sie Sand in die Augen und führen sie in die Irre.

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Nun kommen wir zum Thema Basisrente im Alter. In diesem Bereich fördern Sie einseitig diejenigen, die Rürup-Verträge abschließen. Ich sage Ihnen: Es ist gut - hier soll kein falscher Eindruck entstehen - für die Selbstständigen und für diejenigen, die ihr Geld in Rürup anlegen wollen, dass Sie das Abzugsvolumen von 20 000 auf 24 000 Euro erhöhen wollen. Das geschieht zwar ohne Not, aber gut. Ich weiß, dass es hier um Beitragsbemessungsgrundlagen geht. Herr Schäffler, bevor Sie mir nachher eine kleine Belehrung hierzu geben, sage ich Ihnen, dass ich diese Grundlagen kenne und weiß, wie sie sich zusammensetzen. Aber wenn die Riester-Rente so gut und so toll ist, dann frage ich Sie: Warum haben Sie nicht auch hier die Fördergrenze hochgesetzt? Reden wir doch einmal darüber, wie viele die einzelnen Produkte nutzen. Wir reden über 10 000 Menschen, die von dieser Anhebung bei Rürup profitieren können, und wir reden über 16 Millionen Menschen, die Riester in Anspruch nehmen. Bei Riester belassen Sie den Höchstbetrag zur Förderung bei 2 100 Euro, obwohl die Gutachter im Rahmen der Anhörung deutlich gemacht haben, dass gerade diese Grenze angehoben werden muss. Ich frage Sie: Für wen machen Sie dieses Gesetz? Machen Sie es für die 16 Millionen Menschen mit Riester-Verträgen, oder machen Sie es für einen kleinen Teil, für die Versicherungswirtschaft und für die wenigen, die davon profitieren können? Ich komme zum Schluss und fasse zusammen, was ich gesagt habe. Es ist festzuhalten, dass das Gesetz keine Lenkungswirkung entfaltet. Das Gesetz bietet keine zielgerichteten Instrumente für Geringverdiener. Das aber war der Ursprung von Riester.

(Beifall bei der SPD)

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Das Gesetz führt nicht zu mehr Akzeptanz, im Gegenteil. Die Bundesregierung zeigt keinerlei Ansätze, den hier bestehenden Reformbedarf anzugehen. Wir von der SPD sehen natürlich ebenfalls Handlungsbedarf. Aber die Lösung besteht nicht in dem, was Sie uns hier vorgelegt haben. Sie sind gar nicht daran interessiert, den einzelnen Riester-Vertragsnehmer in den Genuss bestimmter Vergünstigungen kommen zu lassen. Ich habe im Dezember danach gefragt, wie hoch die Steuermindereinnahmen wären, wenn die Grenze für die in einen

Riester-Vertrag maximal einzuzahlenden Beträge von 2 100 auf 2 500 bzw. 2 600 Euro angehoben würde, wie es die Sachverständigen vorschlagen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin!

Petra Hinz (Essen) (SPD): Ich habe einmal gefragt. Ich habe zweimal gefragt. Ich habe noch gestern im

Ausschuss nachgefragt. Sie haben noch nicht einmal entsprechende Berechnungen vorgenommen. Verkaufen Sie also die Menschen nicht für dumm! Ihr Geschenk enthält nur heiße Luft, auch wenn es von außen schön aussieht. Ich kann allen nur raten, gut zuzuhören, wenn Sie von Wahlfreiheit reden.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen Manfred Grund.

Manfred Grund (CDU/CSU): …..

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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Hinz, bitte, zur Erwiderung.

Petra Hinz (Essen) (SPD): Vielen Dank, dass Sie mir zusätzliche Redezeit geben, Herr Grund. Gerne greife ich das auf, was Sie zu den Mindestlöhnen ausgeführt haben. - Hier geht es um die Umsetzung von Tarifverträgen. Das hat nichts mit gesetzlichen

Mindestlöhnen zu tun.

(Manfred Grund (CDU/CSU): Natürlich! Das sind zwölf gesetzliche Mindestlöhne!)

Alles, was in diesem Zusammenhang eingeführt wurde, ist in unserer Regierungszeit auf den Weg gebracht worden. Ich kann Ihnen sagen, was wir 1998 vorgefunden haben: Die Kassen waren leer, und es gab 3 Millionen Arbeitslose und 2 Millionen Sozialhilfeempfänger. Das können Sie nicht bestreiten; denn es können nicht über Nacht 5 Millionen Menschen vom Himmel gefallen sein. Das mögen Sie nicht hören, aber die Politik, die Sie 16 Jahre betrieben haben, hat dazu geführt, dass die Kassen, die über Jahrzehnte gut gefüllt waren, geleert wurden und dass das System nicht mehr gut funktionierte. Die Tatsache, dass wir Mindestlöhne in zwölf Branchen haben, wirft für mich die Frage auf: Warum können wir nicht generell einen Mindestlohn einführen? Warum sträuben Sie sich dagegen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darum geht es. Wenn das so gut ist, was Sie auf den Weg gebracht haben, dann machen Sie es doch noch besser. Führen Sie doch generell einen Mindestlohn ein. Sie können mir doch nicht erklären, dass Mindestlöhne keinen

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Sinn machen, wenn wir auf der anderen Seite bereit sind, 12 Milliarden Euro für Aufstocker auszugeben. Ich würde lieber mehr Geld in den Bereich Mindestlöhne investieren, damit wir weniger in die Aufstocker investieren müssen. Was könnten wir mit 4 Milliarden Euro mehr alles auf den Weg bringen! Ihre Vorschläge waren konzeptionslos. Sie haben in die Irre geführt. Sie haben alles ausgesessen während Ihrer Regierungszeit. Sie haben nichts auf den Weg gebracht, und darum sind Sie 1998 auch abgewählt worden.

(Beifall bei der SPD)

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