Plenarprotokoll 16/123

Deutscher

Stenografischer Bericht

123. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 12734 A neten Dr. ...... 12723 A Dr. Karl-Theodor Freiherr Wahl des Abgeordneten Michael Link (Heil- zu Guttenberg (CDU/CSU) ...... 12734 C bronn) als Schriftführer ...... 12723 B Erweiterung und Ablauf der Tagesordnung . . 12723 B Tagesordnungspunkt 4: Absetzung der Tagesordnungspunkte 8, 23, Unterrichtung durch die Bundesregierung: 28, 30, 34, 35 a, 36, 38, 39 und 40 ...... 12726 B Der Nationale Integrationsplan Neue Wege – Neue Chancen Nachträgliche Ausschussüberweisung ...... 12726 B (Drucksache 16/6281) ...... 12734 D Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin BK . . . . 12735 A Tagesordnungspunkt 3: (FDP) ...... 12737 B Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung Fritz Rudolf Körper (SPD) ...... 12738 C des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- kräfte bei der Unterstützung der gemein- Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 12740 B samen Reaktion auf terroristische An- Renate Künast (BÜNDNIS 90/ griffe gegen die USA auf Grundlage des DIE GRÜNEN) ...... 12742 A Artikels 51 der Satzung der Vereinten Na- tionen und des Artikels 5 des Nordatlantik- Hartmut Koschyk (CDU/CSU) ...... 12743 D vertrags sowie der Resolutionen 1368 Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) ...... 12745 C (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Dr. Michael Bürsch (SPD) ...... 12746 C (Drucksache 16/6939) ...... 12726 C (DIE LINKE) ...... 12748 C Dr. Frank-Walter Steinmeier, (Spandau) (SPD) ...... 12749 B Bundesminister AA ...... 12726 D Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/ Birgit Homburger (FDP) ...... 12728 A DIE GRÜNEN) ...... 12750 B Dr. , Bundesminister (CDU/CSU) ...... 12751 C BMVg ...... 12729 B (SPD) ...... 12753 B (DIE LINKE) ...... 12730 B (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 42: DIE GRÜNEN) ...... 12731 A a) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Detlef Dzembritzki (SPD) ...... 12732 B brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsge- Dr. Karl-Theodor Freiherr setzes (StAG) zu Guttenberg (CDU/CSU) ...... 12733 B (Drucksache 16/5107) ...... 12754 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. , Donnerstag, den 8. November 2007 b) Erste Beratung des von der Bundesregie- – Bericht des Haushaltsausschusses ge- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- mäß § 96 der Geschäftsordnung zes zur Umsetzung des Rahmenbe- (Drucksache 16/6992) ...... 12755 C schlusses des Rates vom 22. Juli 2003 b) Zweite und dritte Beratung des von der über die Vollstreckung von Entschei- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs dungen über die Sicherstellung von eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Vermögensgegenständen oder Beweis- 9. Februar 2007 zwischen der Bundes- mitteln in der Europäischen Union republik Deutschland und Australien (Drucksache 16/6563) ...... 12754 C über die Soziale Sicherheit von vorü- c) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- bergehend im Hoheitsgebiet des ande- Uhl, Dr. Harald Terpe, , ren Staates beschäftigten Personen weiterer Abgeordneter und der Fraktion („Ergänzungsabkommen“) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz (Drucksachen 16/6567, 16/6829) ...... 12755 D vor Emissionen aus Laserdruckern, c) Zweite und dritte Beratung des von der Laserfax- und Kopiergeräten Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksache 16/5776) ...... 12754 C eines … Gesetzes zur Änderung des Ju- gendgerichtsgesetzes und anderer Ge- setze Zusatztagesordnungspunkt 5: (Drucksachen 16/6293, 16/6568, 16/6978) 12756 A a) Antrag der Abgeordneten Dr. , d) Zweite und dritte Beratung des von der Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs brücken), weiterer Abgeordneter und der eines Zweiten Gesetzes zur Änderung Fraktion DIE LINKE: Indisch-Deutschen des Finanzverwaltungsgesetzes und an- Studierenden- und Wissenschaftleraus- derer Gesetze tausch fördern – Mobilitätsprogramm (Drucksachen 16/6560, 16/6740, 16/6993) 12756 B zum Jahr der Geisteswissenschaften in Namentliche Abstimmung (zu Tagesordnungs- Deutschland punkt 43 d) ...... 12759 B (Drucksache 16/5811) ...... 12754 C Ergebnis ...... 12759 C b) Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Tagesordnungspunkt 43: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Indisch- e) Zweite und dritte Beratung des von der Deutschen Studierenden- und Wissen- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schaftleraustausch fördern – Mobili- eines Ersten Gesetzes zur Änderung des tätsprogramm zum Jahr der Geistes- Legehennenbetriebsregistergesetzes wissenschaften in Deutschland (Drucksachen 16/6559, 16/6862) ...... 12756 C (Drucksache 16/5968) ...... 12754 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des In- c) Antrag der Abgeordneten Marcus nenausschusses Weinberg, , Bernward Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der – zu dem Antrag der Abgeordneten Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Gisela Piltz, Dr. , Birgit ordneten , Jörg Tauss, Willi Homburger, weiterer Abgeordneter Brase, weiterer Abgeordneter und der und der Fraktion der FDP: Kein zu- Fraktion der SPD: Indisch-Deutschen sätzlicher Bundeswehreinsatz im In- Studierenden- und Wissenschaftleraus- neren – Die Polizei kann durch die Bundeswehr nicht ersetzt werden tausch fördern – Mobilitätsprogramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in – zu dem Antrag der Abgeordneten Deutschland Wolfgang Wieland, (Drucksache 16/6945) ...... 12755 A (Köln), , weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Bun- Tagesordnungspunkt 43: deswehr vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußballwelt- a) – Zweite und dritte Beratung des von der meisterschaft 2006 Bundesregierung eingebrachten Ent- (Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510) 12757 A wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch g) Beschlussempfehlung und Bericht des und anderer Gesetze Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- (Drucksachen 16/6540, 16/6986) . . . . 12755 B gie zu dem Antrag der Abgeordneten Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 III

Florian Toncar, Burkhardt Müller- GRÜNEN: Jüngste Entwicklungen in Pa- Sönksen, Dr. , weiterer Ab- kistan geordneter und der Fraktion der FDP: EU- Waffenembargo gegen China beibehal- (SPD) ...... 12761 D ten Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/969, 16/2574) ...... 12757 B DIE GRÜNEN) ...... 12763 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 12763 D Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer (FDP) ...... 12764 D , , Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter Dr. (DIE LINKE) ...... 12765 C und der Fraktion der FDP: Exportaktivi- Dr. Frank-Walter Steinmeier, täten deutscher Unternehmen im Tech- Bundesminister AA ...... 12766 C nologiebereich erneuerbarer Energien sachgerecht unterstützen (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 16/1565, 16/3587) ...... 12757 C DIE GRÜNEN) ...... 12768 A i) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 12769 A Ausschusses für Gesundheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Vor- Johannes Pflug (SPD) ...... 12770 A schlag für eine Verordnung des Europäi- Holger Haibach (CDU/CSU) ...... 12771 A schen Parlaments und des Rates zu Ge- meinschaftsstatistiken über öffentliche (SPD) ...... 12772 A Gesundheit und über Gesundheits- schutz und Sicherheit am Arbeitsplatz Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 12773 A KOM (2007) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07 (SPD) ...... 12773 D (Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949) 12757 C j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- Tagesordnungspunkt 5: schaft und Verbraucherschutz zu der Un- terrichtung durch die Bundesregierung: a) Antrag der Abgeordneten , Vorschlag für eine Verordnung des Ra- Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. , tes über die gemeinsame Marktorgani- weiterer Abgeordneter und der Fraktion sation für Wein und zur Änderung be- der FDP: Beschäftigungschancen Älte- stimmter Verordnungen (inkl. 11361/07 rer verbessern – Reformen der Agenda ADD 1 und 11361/07 ADD 2) 2010 nicht zurücknehmen KOM (2007) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07 (Drucksache 16/6644) ...... 12775 A (Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863) 12757 D b) Antrag der Abgeordneten Volker k)–u) Schneider (Saarbrücken), , Dr. , weiterer Abgeordneter Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- und der Fraktion DIE LINKE: Beschäfti- schusses: Sammelübersichten 286, 287, gungssituation Älterer verbessern – 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295 Übergang vom Erwerbsleben in die und 296 zu Petitionen Rente sozial gestalten (Drucksachen 16/6801, 16/6802, 16/6803, (Drucksache 16/6929) ...... 12775 A 16/6804, 16/6805, 16/6806, 16/6807, 16/6808, 16/6809, 16/6810, 16/6811) . . . . 12758 A Jörg Rohde (FDP) ...... 12775 B Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) ...... 12776 B Tagesordnungspunkt 35: Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU) ...... 12776 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (FDP) ...... 12779 A eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes Volker Schneider (Saarbrücken) (Drucksachen 16/6309, 16/6828) ...... 12759 A (DIE LINKE) ...... 12779 C Wolfgang Grotthaus (SPD) ...... 12780 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Jörg Rohde (FDP) ...... 12781 A Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ nen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN) ...... 12783 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Tagesordnungspunkt 6: – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: (Drucksache 16/6988) ...... 12800 A Erster Fortschrittsbericht zur High- tech-Strategie für Deutschland b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- (Drucksache 16/6900) ...... 12784 D nanzausschusses b) Beschlussempfehlung und Bericht des – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Ausschusses für Bildung, Forschung und Lenke, Frank Schäffler, Dr. Hermann Technikfolgenabschätzung Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Steuer- – zu dem Antrag der Abgeordneten klasse V abschaffen – Lohnsteuerab- Johann-Henrich Krummacher, Ilse zug neu ordnen Aigner, Dorothee Bär, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ – zu dem Antrag der Fraktion DIE CSU sowie der Abgeordneten Jörg LINKE: Entfernungspauschale voll- Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter ständig anerkennen – Verfassungs- Rossmann, weiterer Abgeordneter und mäßigkeit und Steuergerechtigkeit der Fraktion der SPD: IKT 2020: ge- herstellen zielte Forschungsförderung für zu- – zu dem Antrag der Abgeordneten kunftsträchtige Innovationen und Christine Scheel, , Wachstumsfelder im Bereich der , weiterer Abgeordneter Informations- und Kommunika- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tionstechnologien (IKT) GRÜNEN: Steuervereinfachung – – zu dem Antrag der Abgeordneten Lohnsteuerklassen III, IV und V ab- Priska Hinz (Herborn), Grietje Bettin, schaffen Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter (Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023, und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 16/6981, 16/7036) ...... 12800 A GRÜNEN: Innovationsfähigkeit stär- ken durch Bildungs- und For- c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- schungsoffensive nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Axel (Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923) 12785 A Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Dr. , Bundesministerin und der Fraktion DIE LINKE: Verbesse- BMBF ...... 12785 B rung der Statistik zur Lohn- und Ein- kommensteuer, Umsatzsteuer und Erb- (FDP) ...... 12787 A schaft- und Schenkungsteuer René Röspel (SPD) ...... 12787 D (Drucksachen 16/3025, 16/4274) ...... 12800 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Dr. (FDP) ...... 12789 A nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) ...... 12790 A ordneten Oskar Lafontaine, Dr. Barbara Höll, Dr. , weiterer Abgeord- Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ neter und der Fraktion DIE LINKE: Steu- DIE GRÜNEN) ...... 12791 C erpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Ilse Aigner (CDU/CSU) ...... 12793 A Einkommen gleichmäßig und regelmä- ßig prüfen Ulrike Flach (FDP) ...... 12794 B (Drucksachen 16/3699, 16/5693) ...... 12800 B Dieter Grasedieck (SPD) ...... 12795 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 12800 C Dr. (CDU/CSU) ...... 12796 A Dr. Volker Wissing (FDP) ...... 12801 C Jörg Tauss (SPD) ...... 12798 A (CDU/CSU) ...... 12803 A Frank Schäffler (FDP) ...... 12798 B Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) ...... 12804 A Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 7: DIE GRÜNEN) ...... 12805 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Gabriele Frechen (SPD) ...... 12806 C Bundesregierung eingebrachten Ent- (CDU/CSU) ...... 12807 D wurfs eines Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) Namentliche Abstimmung ...... 12812 B (Drucksachen 16/6290, 16/6739, 16/6981, 16/7036) ...... 12798 D Ergebnis ...... 12812 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 V

Zusatztagesordnungspunkt 7: c) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite- Antrag der Abgeordneten Volker Schneider rer Abgeordneter und der Fraktion DIE (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, LINKE: Bei öffentlichen Aufträgen so- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE zial-ökologische Anliegen und Tarif- LINKE: Rentenabschläge für Langzeit- treue durchsetzen erwerbslose verhindern (Drucksache 16/6930) ...... 12824 A (Drucksache 16/6933) ...... 12809 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 12810 A DIE GRÜNEN) ...... 12824 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) ...... 12811 A (Weiden) Volker Schneider (Saarbrücken) (CDU/CSU) ...... 12825 A (DIE LINKE) ...... 12811 B (FDP) ...... 12826 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 12814 B Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 12827 D Anton Schaaf (SPD) ...... 12815 D Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 12829 B Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12817 B Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 9: Bundesregierung eingebrachten Entwurfs – Zweite und dritte Beratung des von der eines Gesetzes zur Änderung des Invest- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs mentgesetzes und zur Anpassung ande- eines Gesetzes zur Regelung der Weiter- rer Vorschriften (Investmentände- verwendung nach Einsatzunfällen (Ein- rungsgesetz) satz-Weiterverwendungsgesetz – Ein- (Drucksachen 16/5576, 16/5848, 16/6874) 12830 A satzWVG) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- (Drucksachen 16/6564, 16/6650, 16/6896) 12818 B nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß ordneten Dr. , Christine § 96 der Geschäftsordnung Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn und (Drucksache 16/6909) ...... 12818 B der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Offene Immobilienfonds – Markt- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister stabilität sichern, Anlegervertrauen BMVg ...... 12818 C stärken Birgit Homburger (FDP) ...... 12819 B (Drucksachen 16/661, 16/6874) ...... 12830 B Petra Heß (SPD) ...... 12820 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF ...... 12830 C Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 12821 C Frank Schäffler (FDP) ...... 12831 A Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12822 B (CDU/CSU) ...... 12832 B Monika Brüning (CDU/CSU) ...... 12823 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12833 D Nina Hauer (SPD) ...... 12834 D Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Tagesordnungspunkt 12: Christine Scheel, weiterer Abgeordneter Beschlussempfehlung und Bericht des Sport- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE ausschusses GRÜNEN: Für ein transparentes, mit- telstandsfreundliches, innovationsoffe- – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef nes und soziales Vergaberecht Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens (Drucksache 16/6786) ...... 12823 D Ackermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Recht der Sport- b) Antrag der Abgeordneten Kerstin wetten neu ordnen und Finanzierung Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta des Sports sowie anderer Gemeinwohl- Wolf (Frankfurt), weiterer Abgeordneter belange sichern und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ökoeffiziente Beschaffung – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef auf Bundesebene durchsetzen Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens (Drucksache 16/6791) ...... 12823 D Ackermann, weiterer Abgeordneter und VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

der Fraktion der FDP: Liberalisierung tur für Arbeit marktgerecht ausgestalten – des Sportwettenmarkts in Deutschland private Arbeitsvermittlung stärken einleiten und europakonformes Konzes- (Drucksachen 16/1675, 16/6987) ...... 12844 D sionsmodell vorlegen Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 12845 A (Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838) 12836 B Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... (CDU/CSU) ...... 12836 C 12846 D Detlef Parr (FDP) ...... 12837 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) ...... 12847 D Detlef Parr (FDP) ...... 12838 B Volker Schneider (Saarbrücken) Klaus Riegert (CDU/CSU) ...... 12839 B (DIE LINKE) ...... 12849 B (SPD) ...... 12840 A Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 12841 A DIE GRÜNEN) ...... 12850 A (BÜNDNIS 90/ Peter Weiß (Emmendingen) DIE GRÜNEN) ...... 12841 D (CDU/CSU) ...... 12850 C Detlef Parr (FDP) ...... 12842 B Dr. (SPD) ...... 12843 A Tagesordnungspunkt 14: Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine Zimmermann, wei- Tagesordnungspunkt 13: terer Abgeordneter und der Fraktion DIE a) – Zweite und dritte Beratung des von der LINKE: Stärkung der sozialen und ökologi- Bundesregierung eingebrachten Ent- schen Verantwortung von Unternehmen wurfs eines Gesetzes zur Förderung (Drucksachen 16/3557, 16/5844) ...... 12852 B der betrieblichen Altersversorgung (Drucksachen 16/6539, 16/6983) . . . . 12844 B Tagesordnungspunkt 15: – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung – Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 16/6989) ...... 12844 C Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechts der landwirtschaftlichen Sozial- Ausschusses für Arbeit und Soziales versicherung (LSVMG) – zu dem Antrag der Abgeordneten (Drucksachen 16/6520, 16/6738, 16/6984) 12852 B Dr. Heinrich L. Kolb, Christian – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Ahrendt, (Münster), wei- § 96 der Geschäftsordnung terer Abgeordneter und der Fraktion (Drucksache 16/7018) ...... 12852 C der FDP: Abgabenfreie Entgeltum- wandlung über 2008 hinaus fortfüh- Rolf Stöckel (SPD) ...... 12852 D ren und ausbauen Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 12853 D – zu dem Antrag der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 12854 C Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Dr. (DIE LINKE) ...... 12855 C Abgeordneter und der Fraktion Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei- DIE GRÜNEN) ...... 12856 B tragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) ...... 12857 A (Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983) 12844 C Dr. Edmund Peter Geisen (FDP) ...... 12857 C (CDU/CSU) ...... 12858 B in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 16: Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Gerigk, Volker Beck (Köln), Alexander schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- Bonde, weiterer Abgeordneter und der Frak- trag der Abgeordneten Dirk Niebel, tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ge- Dr. Heinrich L. Kolb, , wei- schlechtersensible und effiziente Haus- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: haltspolitik einführen Vermittlungsgutscheine der Bundesagen- (Drucksache 16/6792) ...... 12859 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 VII

Tagesordnungspunkt 17: Tagesordnungspunkt 21: a) Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung a) – Zweite und dritte Beratung des von der der Beteiligung deutscher Streitkräfte Bundesregierung eingebrachten Ent- an der Friedensmission der Vereinten wurfs eines Gesetzes zur Finanzie- Nationen im Sudan (UNMIS) auf rung der Beendigung des subventio- Grundlage der Resolution 1590 (2005) nierten Steinkohlenbergbaus zum des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungs- nen vom 24. März 2005 und weiterer gesetz) Mandatsverlängerungen durch den Si- (Drucksache 16/6566) ...... 12866 C cherheitsrat der Vereinten Nationen (Drucksache 16/6940) ...... 12860 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und b) Antrag der Bundesregierung: Beteiligung SPD eingebrachten Entwurfs eines bewaffneter deutscher Streitkräfte an Gesetzes zur Finanzierung der der AU/UN Hybrid Operation in Dar- Beendigung des subventionierten fur (UNAMID) auf Grundlage der Re- Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 solution 1769 (2007) des Sicherheitsrats (Steinkohlefinanzierungsgesetz) der Vereinten Nationen vom 31. Juli (Drucksachen 16/6384, 16/6972) . . . . 12866 C 2007 (Drucksache 16/6941) ...... 12860 A – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung , Staatsminister AA ...... 12860 B (Drucksache 16/6973) ...... 12866 C (FDP) ...... 12861 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- BMVg ...... 12862 A gie: Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) ...... 12862 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Friedhoff, , Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordne- DIE GRÜNEN) ...... 12863 D ter und der Fraktion der FDP: Ausstieg Hartwig Fischer (Göttingen) aus der Steinkohle zügig und zu- (CDU/CSU) ...... 12864 D kunftsgerichtet gestalten – RAG- Börsengang an marktwirtschaftli- chen Grundsätzen ausrichten Tagesordnungspunkt 18: – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Antrag der Abgeordneten , Lötzer, Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Sibylle Laurischk, (Bay- Höll, Dr. Gesine Lötzsch und der Frak- reuth), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Ruhrkohle AG in tion der FDP: Integrierte Planung für eine Stiftung öffentlichen Rechts Schiene und Straße im Rheingraben – Ge- überführen – Börsengang verhin- samtverkehrskonzept Südbaden dern (Drucksache 16/6638) ...... 12865 C (Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972) 12866 D Paul K. Friedhoff (FDP) ...... 12867 A Tagesordnungspunkt 19:

Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP Tagesordnungspunkt 22: und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, wei- schaffung der Todesstrafe setzen terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (Drucksache 16/6942) ...... 12865 D NIS 90/DIE GRÜNEN: Umweltqualitäts- normen im Bereich Wasserpolitik – Forderungen des Europäischen Parlaments Tagesordnungspunkt 20: aufgreifen und ausweiten (Drucksache 16/6636) ...... 12868 D Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, , Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Tagesordnungspunkt 25: LINKE: Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom – Zweite und dritte Beratung des von der SGB II regeln Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksache 16/6928) ...... 12866 B eines Gesetzes zur Aufhebung der VIII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Heimkehrerstiftung und zur Finanzie- Michael Brand (CDU/CSU) ...... 12877 B rung der Stiftung für ehemalige politi- sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungs- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ aufhebungsgesetz – HKStAufhG) DIE GRÜNEN) ...... 12878 D (Drucksachen 16/5845, 16/6956) ...... 12869 A (SPD) ...... 12879 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 16/6990) ...... 12869 A Tagesordnungspunkt 27: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Tagesordnungspunkt 24: Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Änderung des Regionalisierungsge- schusses für die Angelegenheiten der Europäi- setzes schen Union zu dem Antrag der Abgeordne- (Drucksachen 16/6310, 16/6975) . . . . 12880 D ten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, , weiterer Abgeordneter und der – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die mäß § 96 der Geschäftsordnung Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik (Drucksache 16/6991) ...... 12881 A der Europäischen Union weiter entwickeln b) Zweite und dritte Beratung des von den (Drucksachen 16/5425, 16/6977) ...... 12869 C Abgeordneten Winfried Hermann, Axel Schäfer () (SPD) ...... 12869 D Dr. , Peter Hettlich, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU) ...... 12871 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 12872 B ten Entwurfs eines Gesetzes zur effizien- teren Finanzierung des öffentlichen Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Nahverkehrs (Regionalisierungsre- DIE GRÜNEN) ...... 12872 D formgesetz) (CDU/CSU) ...... 12873 C (Drucksachen 16/1435, 16/2807) ...... 12881 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 26: Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- neten Winfried Hermann, Peter Hettlich, schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion torsicherheit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verwen- – zu der Verordnung der Bundesregierung: dung der Regionalisierungsmittel offen- Fünfte Verordnung zur Änderung der legen Verpackungsverordnung (Drucksachen 16/652, 16/2807) ...... 12881 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst d) – Zweite und dritte Beratung des von Meierhofer, Michael Kauch, Angelika den Abgeordneten , Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und Katrin Kunert, Dorothee Menzner, der Fraktion der FDP: Verpackungsver- weiteren Abgeordneten und der Frak- ordnung sachgerecht novellieren – Wei- tion DIE LINKE eingebrachten Ent- chen stellen für eine moderne Abfall- wurfs eines Gesetzes zur Änderung und Verpackungswirtschaft in Deutsch- des Eisenbahnkreuzungsgesetzes land (Drucksachen 16/4858, 16/5771) . . . . 12881 B – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia – Bericht des Haushaltsausschusses ge- Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel mäß § 96 der Geschäftsordnung Höhn, weiterer Abgeordneter und der (Drucksache 16/5772) ...... 12881 C Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungs- Tagesordnungspunkt 29: verordnung nutzen und mit Biokunst- a) Zweite und dritte Beratung des von der stoffen echte Kreisläufe schließen Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2, eines Gesetzes zur Änderung der gesetz- 16/6598, 16/3140, 16/6982) ...... 12874 C lichen Berichtspflichten im Zuständig- keitsbereich des Bundesministeriums Michael Müller, Parl. Staatssekretär für Ernährung, Landwirtschaft und BMU ...... 12875 A Verbraucherschutz Horst Meierhofer (FDP) ...... 12876 A (Drucksachen 16/6737, 16/6957) ...... 12882 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 IX b) Beschlussempfehlung und Bericht des Nächste Sitzung ...... 12883 D Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- Berichtigung ...... 12883 B trag der Abgeordneten , Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Anlage 1 der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Volker Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 12885 A Blumentritt, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neuordnung des Berichtswesens Anlage 2 (Drucksachen 16/5421, 16/6492) ...... 12882 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstim- mung über den Entwurf eines Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 31: Modernisierung des Rechts der landwirt- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) desregierung eingebrachten Entwurfs eines (Tagesordnungspunkt 15) ...... 12885 C Gesetzes zur Änderung des Bundesversor- gungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts Anlage 3 (Drucksachen 16/6541, 16/6985) ...... 12882 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. , und Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/CSU) zur Ab- Tagesordnungspunkt 32: stimmung über den Entwurf eines Gesetzes a) Erste Beratung des von der Bundesregie- zur Modernisierung des Rechts der landwirt- rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) ten Gesetzes zur Änderung des Gen- (Tagesordnungspunkt 15) ...... 12886 B technikgesetzes (Drucksache 16/6814) ...... 12883 A Anlage 4 b) Erste Beratung des von der Bundesregie- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten (CDU/CSU) zur Abstimmung Gesetzes zur Änderung des EG-Gen- über den Entwurf eines Gesetzes zur Moder- technik-Durchführungsgesetzes nisierung des Rechts der landwirtschaftlichen (Drucksache 16/6557) ...... 12883 B Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesord- nungspunkt 15) ...... 12887 A in Verbindung mit

Anlage 5 Zusatztagesordnungspunkt 9: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, , Jens Ackermann, Dr. Karl Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ab- Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Ernst geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Burgbacher, Rainer Brüderle, Patrick Döring, DIE GRÜNEN: Kennzeichnung gentech- Jörg van , Miriam Gruß, Michael nikfreier Fütterung bei tierischen Produk- Kauch, Harald Leibrecht, Michael Link (Heil- ten ermöglichen bronn), Markus Löning, Patrick Meinhardt, (Drucksache 16/6944) ...... 12883 B Jan Mücke, Dirk Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele und Christoph Waitz (alle in Verbindung mit FDP) zur Abstimmung über den Antrag: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- Zusatztagesordnungspunkt 10: schaffung der Todesstrafe setzen (Tagesord- nungspunkt 19) ...... 12887 B Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Anlage 6 DIE GRÜNEN: Schutz von Mensch, Um- welt und gentechnikfreier Produktion im Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Gentechnikrecht bewahren Dr. (SPD) zur Abstimmung über (Drucksache 16/6943) ...... 12883 C den Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung X Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 der Beendigung des subventionierten Stein- datsverlängerungen durch den Sicherheits- kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefi- rat der Vereinten Nationen nanzierungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 21) 12887 D – Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- Anlage 7 solution 1769 (2007) des Sicherheitsrats Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 , Rita Pawelski, Andreas (Tagesordnungspunkt 17 a und b) G. Lämmel, , Dr. Georg Nüßlein und Hartmut Koschyk (alle CDU/ Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) ...... 12898 D CSU) zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung zu der Verordnung der Bundesre- gierung: Fünfte Verordnung zur Änderung der Anlage 11 Verpackungsverordnung (Tagesordnungs- punkt 26) ...... 12889 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Integrierte Planung für Schiene und Straße im Rheingraben – Gesamt- verkehrskonzept Südbaden (Tagesordnungs- Anlage 8 punkt 18) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Peter Weiß (Emmendingen) der Großen Anfrage: Stärkung der sozialen (CDU/CSU) ...... 12899 C und ökologischen Verantwortung von Unter- nehmen (Tagesordnungspunkt 14) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) ...... 12900 D Philipp Mißfelder (CDU/CSU) ...... 12889 C Ernst Burgbacher (FDP) ...... 12902 B (SPD) ...... 12891 A Dorothée Menzner (DIE LINKE) ...... 12903 A (SPD) ...... 12891 C Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12903 C Heinz-Peter Haustein (FDP) ...... 12892 B Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 12892 D Anlage 12 Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 12893 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen für die Anlage 9 weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen (Tagesordnungspunkt 19) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Geschlechtersensible und effizi- (CDU/CSU) ...... 12904 D ente Haushaltspolitik einführen (Tagesord- Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) ...... 12906 C nungspunkt 16) Florian Toncar (FDP) ...... 12907 B Ingrid Fischbach (CDU/CSU) ...... 12894 A (DIE LINKE) ...... 12908 C Christel Humme (SPD) ...... 12895 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Ina Lenke (FDP) ...... 12896 D DIE GRÜNEN) ...... 12909 A Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 12897 B Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Anlage 13 DIE GRÜNEN) ...... 12898 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und losgelöst vom Anlage 10 SGB II regeln (Tagesordnungspunkt 20) Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Maria Michalk (CDU/CSU) ...... 12909 D Anträge: Renate Gradistanac (SPD) ...... 12911 A – Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Ina Lenke (FDP) ...... 12911 C Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 12912 A auf Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ vom 24. März 2005 und weiterer Man- DIE GRÜNEN) ...... 12913 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 XI

Anlage 14 Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der – Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung Beschlussempfehlung und des Berichts: Die der Beendigung des subventionierten Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik der Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018 Europäischen Union weiter entwickeln (Ta- (Steinkohlefinanzierungsgesetz) gesordnungspunkt 24) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Michael Link (Heilbronn) (FDP) ...... 12928 A Antrag: Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zukunftsgerichtet gestalten – RAG- Börsengang an marktwirtschaftlichen Anlage 18 Grundsätzen ausrichten Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Beschlussempfehlung und des Berichts: Antrag: Ruhrkohle AG in eine Stiftung öf- fentlichen Rechts überführen – Börsen- – zu der Verordnung der Bundesregierung: gang verhindern Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- packungsverordnung (Tagesordnungspunkt 21 a und b) – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung Dr. (CDU/CSU) ...... 12914 A sachgerecht novellieren – Weichen stellen Rolf Hempelmann (SPD) ...... 12914 D für eine moderne Abfall- und Verpa- ckungswirtschaft in Deutschland Ulla Lötzer (DIE LINKE) ...... 12915 D – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunst- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ stoffbereich – Chance der Novelle der DIE GRÜNEN) ...... 12916 C Verpackungsverordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreisläufe schlie- ßen Anlage 15 (Tagesordnungspunkt 26) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Umweltqualitätsnormen im Be- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 12929 B reich Wasserpolitik – Forderungen des Euro- päischen Parlaments aufgreifen und auswei- ten (Tagesordnungspunkt 22) Anlage 19 Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 12918 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: (SPD) ...... 12920 B – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Än- Horst Meierhofer (FDP) ...... 12921 D derung des Regionalisierungsgesetzes Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 12922 C – Entwurf eines Gesetzes zur effizienteren Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Finanzierung des öffentlichen Nahver- DIE GRÜNEN) ...... 12923 A kehrs (Regionalisierungsreformgesetz) – Beschlussempfehlung und Bericht: Ver- wendung der Regionalisierungsmittel of- Anlage 16 fenlegen Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung Eisenbahnkreuzungsgesetzes der Heimkehrerstiftung und zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige politische Häft- (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) linge (Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz – HKStAufhG) (Tagesordnungspunkt 25) Klaus Hofbauer (CDU/CSU) ...... 12930 A Klaus Brähmig (CDU/CSU) ...... 12923 D Sören Bartol (SPD) ...... 12931 A Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU) ...... 12924 C Patrick Döring (FDP) ...... 12931 D Maik Reichel (SPD) ...... 12925 C Heidrun Bluhm (DIE LINKE) ...... 12932 D Dr. Max Stadler (FDP) ...... 12926 B Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ Petra Pau (DIE LINKE) ...... 12927 A DIE GRÜNEN) ...... 12933 D Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Achim Großmann, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN) ...... 12927 B BMVBS ...... 12934 C XII Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Anlage 20 Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE) ...... 12942 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ gesetzlichen Berichtspflichten im Zustän- DIE GRÜNEN) ...... 12942 C digkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver- braucherschutz Anlage 22 – Beschlussempfehlung und Bericht: Neu- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: ordnung des Berichtswesens – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- (Tagesordnungspunkt 29 a und b) rung des Gentechnikgesetzes Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) ...... 12935 B – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 12936 C rung des EG-Gentechnik-Durchführungs- gesetzes Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 12936 D Antrag: Kennzeichnung gentechnikfreier Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Fütterung bei tierischen Produkten ermög- DIE GRÜNEN) ...... 12937 D lichen Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin Antrag: Schutz von Mensch, Umwelt und BMELV ...... 12938 C gentechnikfreier Produktion im Gentech- nikrecht bewahren Anlage 21 (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesord- nungspunkte 9 und 10) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) ...... 12943 B des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungs- Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 12944 C rechts (Tagesordnungspunkt 31) Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 12945 C Max Straubinger (CDU/CSU) ...... 12939 D Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 12946 D Anton Schaaf (SPD) ...... 12940 C Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ Jörg Rohde (FDP) ...... 12941 B DIE GRÜNEN) ...... 12947 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12723

(A) (C) Redetext

123. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Die Sitzung ist eröffnet. LINKE Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie Errichtung eines Denkzeichens mit Dokumen- herzlich, wünsche Ihnen einen guten Morgen und uns tationszentrum zur Erinnerung an die friedli- gute Beratungen. che Revolution 1989 Es gibt eine Reihe von Mitteilungen zu machen, be- – Drucksache 16/6926 – vor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien Ich beginne mit einer rundum erfreulichen Mitteilung. Der Kollege Dr. Konrad Schily feierte gestern seinen ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin 70. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere Göring-Eckardt, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, ich herzlich und wünsche alles Gute. weiterer Abgeordneter und der Fraktion (B) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) (Beifall) Diskussionsprozess über ein Freiheits- und Die Fraktion der FDP teilt mit, dass der Kollege Einheitsdenkmal unter breit angelegter Betei- Christian Ahrendt sein Amt als Schriftführer niederge- ligung der Öffentlichkeit initiieren legt hat. Als Nachfolger wird der Kollege Michael Link (Heilbronn) vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- – Drucksache 16/6927 – den? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kol- Überweisungsvorschlag: lege Link zum Schriftführer gewählt. Ausschuss für Kultur und Medien Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge- LINKE: führten Punkte zu erweitern: Haltung der Bundesregierung zu den durch die Bundeskartellbehörde festgestellten Preis- ZP 1Beratung des Antrags der Abgeordneten und Marktabsprachen der vier großen deut- Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dr. Norbert schen Stromkonzerne Lammert, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordne- (ZP 1 bis ZP 4 siehe 122. Sitzung) ten Dr. h. c. , , Dr. Gerhard Botz, weiterer Abgeordneter und der ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten fahren Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), (Ergänzung zu TOP 42) Christoph Waitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Errichtung eines Freiheits- und Einheits- Schneider (Saarbrücken), weiterer Abgeord- Denkmals neter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 16/6925 – Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- Überweisungsvorschlag: senschaftleraustausch fördern – Mobili- Ausschuss für Kultur und Medien tätsprogramm zum Jahr der Geisteswis- senschaften in Deutschland ZP 2Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra – Drucksache 16/5811 – 12724 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Überweisungsvorschlag: Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und DIE LINKE Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose ver- Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hindern Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Drucksache 16/6933 – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Beschlussfassung/Überweisung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ausschuss für Kultur und Medien richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales b) Beratung des Antrags der Abgeordneten (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian Sager, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der FDP Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur senschaftleraustausch fördern – Mobili- für Arbeit marktgerecht ausgestalten – private tätsprogramm zum Jahr der Geisteswis- Arbeitsvermittlung stärken senschaften in Deutschland – Drucksachen 16/1675, 16/6987 – – Drucksache 16/5968 – Berichterstattung: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Innenausschuss Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend DIE GRÜNEN Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen bei tierischen Produkten ermöglichen Union Ausschuss für Kultur und Medien – Drucksache 16/6944 – (B) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und , Ilse Aigner, Bernward Verbraucherschutz (f) Müller (Gera), weiterer Abgeordneter und der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit neten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, , ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer SPD Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Indisch-Deutschen Studierenden- und Wis- DIE GRÜNEN senschaftleraustausch fördern – Mobili- tätsprogramm zum Jahr der Geisteswis- Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnik- senschaften in Deutschland freier Produktion im Gentechnikrecht bewah- ren – Drucksache 16/6945 – – Drucksache 16/6943 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Überweisungsvorschlag: Technikfolgenabschätzung (f) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Auswärtiger Ausschuss Verbraucherschutz (f) Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Technikfolgenabschätzung Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Fritz Union Ausschuss für Kultur und Medien Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Winfried Hermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen NIS 90/DIE GRÜNEN CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Tempolimit 130 km/h auf Autobahnen sofort einführen Jüngste Entwicklungen in Pakistan – Drucksache 16/6894 – ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Beschlussfassung/Überweisung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12725

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) ZP 12Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Nešković (C) Dr. , Dr. Gesine Lötzsch, Jerzy Montag Dorothee Menzner, weiterer Abgeordneter und b) Beratung der Beschlussempfehlung und des der Fraktion DIE LINKE Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Schnellstmögliche Einführung eines generellen zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesautobahnen Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 16/6932 – Reform der Telefonüberwachung zügig Beschlussfassung/Überweisung umsetzen ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ – Drucksachen 16/1421, 16/6979 – CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Sie- benundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung Berichterstattung: des Abgeordnetengesetzes Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) – Drucksache 16/6924 – Joachim Stünker Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Jörg van Essen Geschäftsordnung (f) Innenausschuss Wolfgang Nešković Rechtsausschuss Jerzy Montag Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried ZP 14 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Nachtwei, Jürgen Trittin, Silke Stokar von gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Neuforn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Änderung des Bundesministergesetzes BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/5052 – Ohne Polizei und Justiz keine Sicherheit – Po- Überweisungsvorschlag: lizei- und Justizaufbau in Afghanistan dras- Innenausschuss (f) tisch beschleunigen Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung – Drucksache 16/6931 – Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Überweisungsvorschlag: (B) Auswärtiger Ausschuss (f) (D) ZP 15 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Innenausschuss (f) Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Rechtsausschuss eines Gesetzes zur Neuregelung der Verteidigungsausschuss Telekommunikationsüberwachung und Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe anderer verdeckter Ermittlungsmaß- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nahmen sowie zur Umsetzung der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Richtlinie 2006/24/EG Haushaltsausschuss – Drucksache 16/5846 – Federführung strittig – Zweite und dritte Beratung des von den ZP 17 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Abgeordneten Jerzy Montag, Hans- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- weiteren Abgeordneten und der Fraktion rechts BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- – Drucksache 16/1830 – ten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Telekommunikationsüberwachung Beschlussempfehlung und Bericht des (… Gesetz zur Änderung der Strafpro- Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zessordnung) – Drucksache 16/6980 – – Drucksache 16/3827 – Berichterstattung: Beschlussempfehlung und Bericht des Abgeordnete Rechtsausschusses (6. Ausschuss) Joachim Stünker – Drucksache 16/6979 – Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jörn Wunderlich Berichterstattung: Irmingard Schewe-Gerigk Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- Schwenningen) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Joachim Stünker Berichts des Rechtsausschusses (6. Aus- Klaus Uwe Benneter schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg van Essen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Sibylle 12726 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Laurischk, Jens Ackermann, weiterer Abge- Der in der 73. Sitzung des Deutschen Bundestages (C) ordneter und der Fraktion der FDP überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Verteidigungsausschuss (12. Ausschuss) zur Mitbe- Unterhaltsrecht ohne weiteres Zögern so- ratung überwiesen werden: zial und verantwortungsbewusst den ge- sellschaftlichen Rahmenbedingungen an- Gesetzentwurf der Bundesregierung über die passen elektromagnetische Verträglichkeit von Be- triebsmitteln (EMVG) – Drucksachen 16/891, 16/6980 – – Drucksache 16/3658 – Berichterstattung: überwiesen: Abgeordnete Ute Granold Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Christine Lambrecht Rechtsausschuss Joachim Stünker Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Verbraucherschutz Jörn Wunderlich Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Irmingard Schewe-Gerigk Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 18 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Ich darf Sie fragen, ob Sie mit den vorgetragenen Ver- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten einbarungen einverstanden sind. – Das sieht so aus. Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvor- Dann können wir das als beschlossen festhalten. schussgesetzes Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 3: – Drucksache 16/1829 – Beratung des Antrags der Bundesregierung – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- Jugend (13. Ausschuss) scher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische An- – Drucksache 16/5444 – griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti- kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen Berichterstattung: und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags Abgeordnete Dr. Eva Möllring sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 Helga Lopez (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- Sibylle Laurischk nen (B) Jörn Wunderlich (D) Ekin Deligöz – Drucksache 16/6939 – Überweisungsvorschlag: – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Auswärtiger Ausschuss (f) schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss – Drucksache 16/5446 – Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Berichterstattung: Entwicklung Abgeordnete Dr. Frank Schmidt Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Dr. Ole Schröder Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Anna Lührmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- keinen Widerspruch. Dann haben wir das so vereinbart. weit erforderlich, abgewichen werden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst Die Tagesordnungspunkte 8, 23, 28, 30, 34, 35 a, 36, der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. 38, 39 und 40 werden abgesetzt. Die Tagesordnungspunkte 24 – hierbei handelt es sich Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des um einen Antrag zur europäischen Erweiterungs- und Auswärtigen: Nachbarschaftspolitik – und 25 – zweite und dritte Bera- Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord- tung des Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes – wer- neten! Es ist gerade einmal zwei Tage her, dass bei ei- den getauscht. nem schrecklichen Anschlag im Norden Afghanis- Der Tagesordnungspunkt 35 b – zweite und dritte Be- tans, in der Nähe von Baghlan, 40 Menschen zu Tode ratung eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzge- gekommen sind. Unter den Opfern waren – Sie wissen setzes – soll ohne Debatte abgeschlossen werden. es – sechs afghanische Abgeordnete; darunter auch der frühere Handelsminister Kasimi, den viele von Ihnen bei Schließlich mache ich auf eine nachträgliche Aus- seinen häufigen Besuchen in Deutschland kennengelernt schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste haben. Ich denke, es ist in Ihrem Sinne, wenn ich den aufmerksam: Hinterbliebenen der Opfer unser tiefes Mitgefühl aus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12727

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) spreche und den vielen Verletzten, die es darüber hinaus unter dem OEF-Mandat eingesetzt werden, von 20 000 (C) gegeben hat, baldige und vollständige Genesung wün- auf 10 000 halbiert. sche. Diese Entwicklung, die wir gerne zur Kenntnis neh- (Beifall im ganzen Hause) men, entlastet uns aber nicht von den Problemen, von denen zu berichten ist, erst recht nicht von denen im Seien wir uns bewusst: Das war kein Anschlag auf ei- Kampf gegen ideologisch unbeugsame Terroristen. Des- nen militärischen Konvoi. Das war kein Anschlag auf halb können wir – auch wenn sich viele das wünschen – die Repräsentanten ausländischer Streitkräfte in Afgha- auf eines dieser Instrumente internationaler Politik nicht nistan. Das war ein Anschlag auf das Leben von afghani- verzichten. Deshalb ist die kleiner gewordene OEF-Mis- schen Männern, Frauen und Kindern. Dieser Anschlag sion in Afghanistan auch im nächsten Jahr noch notwen- war möglicherweise gemeint als Anschlag auf ein gelun- dig. Sie ist aber nicht nur wegen des Kampfes gegen Ter- genes, mit deutscher Hilfe zustande gekommenes Wie- rorismus notwendig; denn 80 Prozent der OEF-Soldaten deraufbauprojekt im Norden Afghanistans, das mehr als arbeiten bereits heute für einen der Schwerpunkte auch 2 000 Menschen Brot und Einkommen gesichert hat: die unserer Ziele in Afghanistan. Das ist, wie ich gesagt Zuckerfabrik in Baghlan. habe, die Ausbildung der afghanischen Armee und Ich erinnere daran, weil uns dieses schreckliche Er- Polizei. Wir werden unsere Ausbildungsleistung weiter ver- eignis mahnt, dass die Bekämpfung des fundamentalisti- stärken. Wir sollten mit unseren NATO-Partnern – auch mit schen Terrors in Afghanistan eine der Aufgaben bleibt, den USA – prüfen, ob die Ausbildungsaufgaben in Zu- denen sich die internationale Staatengemeinschaft in Af- kunft nicht stärker unter dem Mandat von ISAF zusam- ghanistan zu stellen hat. Bevor Sie es gleich sagen, will mengezogen werden können. ich es sagen: natürlich nicht nur mit militärischen Mit- teln. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten SES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Ich weiß, dass es nicht nur hier im Hause kritische und berechtigte Fragen gibt. Ich will den Fragen nicht Wir haben vor sechs Jahren zum ersten Mal – damals ausweichen. Deshalb sage ich: Natürlich darf ein solcher unter dem Eindruck der verheerenden Anschläge in New OEF-Einsatz nicht dazu führen, dass unser gemeinsames York und Washington – hier im Deutschen Bundestag vorrangiges Ziel, nämlich den Menschen dort zu helfen, ein OEF-Mandat beschlossen. Ich darf sagen: Trotz al- an Glaubwürdigkeit verliert oder gar ganz verloren geht. (B) ler Schwierigkeiten, die ich sehe, die wir sehen und über Darum haben wir uns mit vielen Verbündeten bei unse- (D) die wir hier vielfach diskutiert haben, ist ein wichtiges ren Gesprächspartnern innerhalb der NATO für die Ver- Ziel dieser Einsätze erreicht. Afghanistan ist heute nicht änderung der Einsatzregeln nicht nur bei ISAF, son- mehr das Ausbildungszentrum für islamistischen Terro- dern auch bei OEF eingesetzt. Die Soldaten – Sie wissen rismus weltweit. Aber natürlich gilt auch: Die konkrete das – sind jetzt ausdrücklich angewiesen, bei ihren Ein- Gefahr durch fanatisierte Terroristen in Afghanistan ist sätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und kulturelle keineswegs gebannt. Traditionen zu nehmen. Die Befehlslage ist darauf aus- gerichtet, zivile Opfer zu vermeiden. Sie muss natürlich Sie wissen: Wir haben von Anfang an unseren Beitrag – wir werden darauf achten – konsequent umgesetzt wer- geleistet. Wir haben nicht nur mit Soldaten reagiert und den. agiert; unser Ansatz war vielmehr ein politischer. Der Schwerpunkt lag und – das darf ich gerade aufgrund der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Entscheidungen der Bundesregierung aus den jüngsten der CDU/CSU) Tagen sagen – liegt immer stärker auf dem zivilen Wie- deraufbau. Darum haben wir eben nicht nur Soldaten Meine Damen und Herren, mein Leitmotiv – ich geschickt, sondern von Anfang an auch Entwicklungs- hoffe, es ist unser gemeinsames Leitmotiv für die Afgha- helfer, Ingenieure, Polizeiausbilder, Regierungsberater, nistan-Politik; Sie kennen es – lautet, sich weder kopflos Lehrer und viele andere mehr. Sie wissen: Dieser Ansatz rauszuhalten noch kopflos drinzubleiben. Und was für wird inzwischen von der internationalen Staatengemein- den Gesamt-Afghanistan-Einsatz gilt, das gilt auch für schaft nicht nur geteilt, sondern auch von vielen gestützt das OEF-Mandat: Wir wollen diese Strategie in Afgha- und in gleicher Weise dort umgesetzt. nistan weiter mit beeinflussen. Das heißt auch, jetzt nicht Hals über Kopf aus diesem Mandat auszusteigen. Wir Sie haben gehört: Wir haben uns in Verfolgung unse- werden die nächsten Monate vielmehr aktiv nutzen und res Afghanistan-Konzeptes entschlossen, unser Engage- wollen eine aktive Rolle bei der Überprüfung einneh- ment neu zu justieren und stärker in die Infrastruktur, in men. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir eine die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Poli- Überprüfung des Afghanistan Compact – damit meine zei und Armee zu investieren. Mittlerweile zeigt sich das ich nicht nur die militärischen, sondern auch die zivilen auch deutlich an den Veränderungen der Strukturen in Anteile – im Rahmen einer Konferenz in Europa – und Afghanistan. Ich hatte hier in diesem Hause schon ein- falls es gewünscht wird, dann auch in Deutschland – in mal berichtet: Wir haben in den vergangenen zwei Jah- der nächsten Zeit vornehmen. ren die ISAF-Kontingente von 10 000 auf 40 000 ausge- baut. Gleichzeitig haben wir die Zahl derjenigen, die (Beifall bei der SPD) 12728 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Die Rechtsgrundlage für den OEF-Einsatz ist und Es ist ein Gebot der Vernunft, dem Politischen stets (C) bleibt vorläufig Art. 51 der VN-Charta. Der Sicherheits- Vorrang vor dem Militärischen zu geben. Deswegen war rat hat diese Bestimmung bei seinen Beschlüssen immer der NATO-Gipfel in Riga im Januar so wichtig; denn wieder als Rechtsgrundlage genannt und in Anspruch dort ist der Strategiewechsel beschlossen worden. Jetzt genommen. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die erwarten wir – ich denke, dies tun wir gemeinsam, liebe Mandatierung des OEF-Einsatzes – oder zunächst nur Kolleginnen und Kollegen – von der Bundesregierung, Teile davon – durch einen eigenen Beschluss des Sicher- dass dieser Strategiewechsel auch umgesetzt wird. Was heitsrates erfolgt. Wir werden mit unseren Partnern da- bedeutet dies? Es bedeutet, dass der Wiederaufbau und rüber sprechen – sprechen müssen, meine Damen und die Schaffung eigener afghanischer staatlicher Struktu- Herren. ren bei der Polizei, in der Justiz und in den Vollzugssys- temen im Zentrum der Bemühungen stehen müssen. Ich jedenfalls baue auf eine breite Zustimmung des Bundestages für eine Verlängerung des OEF-Mandats. Vor diesem Hintergrund sage ich klipp und klar: Es Das wäre ein starkes Zeichen für unsere Soldaten. Ich war ein grober Fehler der Koalition, die Debatte über weise auch darauf hin: Darauf hofft nicht nur Präsident Afghanistan wegen parteiinterner Querelen in der SPD Karzai, sondern darauf hofft die gesamte afghanische in ISAF und OEF zu trennen. Regierung. Meiner Meinung nach sollten wir versuchen, eine möglichst breite Zustimmung für die Verlängerung (Beifall bei der FDP – Dr. Peter Struck [SPD]: dieses OEF-Mandats hier im Deutschen Bundestag zu Na, na, na, so war es nicht!) erwirken. Dadurch ist der völlig falsche Eindruck entstanden, OEF (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der stehe singulär und das Militärische stehe im Zentrum. FDP) Das ist kontraproduktiv, und das hätten Sie, Frau Bun- deskanzlerin, niemals zulassen dürfen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Von Folgendem bin ich überzeugt: Wer über die Be- Das Wort erhält nun die Kollegin Homburger, FDP- kämpfung des Terrorismus und die Zukunft Afghanis- Fraktion. tans spricht, muss deutlich machen, dass er im Rahmen eines Gesamtkonzepts handelt. Sonst wird er scheitern. (Beifall bei der FDP) Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Bemer- Birgit Homburger (FDP): kung zur Polizeiausbildung machen. Wir begrüßen die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Ankündigung der Bundeskanzlerin, die Bemühungen in (B) bin dem Bundesaußenminister für seine Worte, die er zu diesem Bereich zu verstärken und auch die finanziellen (D) diesem furchtbaren Anschlag gefunden hat, sehr dank- Mittel hierfür aufzustocken. Ich möchte aber deutlich sa- bar. Die afghanische Regierung und das afghanische gen: Das reicht nicht aus. Es gibt nämlich noch ganz er- Volk sollen wissen, dass der Deutsche Bundestag, aber hebliche organisatorische Probleme. Dabei geht es um auch das deutsche Volk diesen barbarischen Anschlag die Fragen: Haben wir überhaupt genügend Kapazitäten? verurteilen und mit ihnen trauern. Haben wir genügend Leute ausgebildet, die wir zur Wahrnehmung solcher Aufgaben ins Ausland entsenden (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei können? Wie ist die organisatorische Struktur zwischen Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN Bund und Ländern geregelt? – Diesen Fragen muss sich und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Bundesregierung endlich stellen. Sonst wird ein Engagement im nötigen Umfang nicht möglich sein. Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit hier im Dann wird all das ein Lippenbekenntnis bleiben. Das Hause die Bekämpfung des internationalen Terrorismus können wir uns nicht erlauben. weiterhin als notwendig ansieht. Das ist aber nicht pri- mär eine militärische Aufgabe. Vielmehr sind umfas- (Beifall bei der FDP) sende Anstrengungen zur Beseitigung der gesellschaftli- chen, sozialen und auch ökonomischen Ursachen des In der Debatte der letzten Wochen ist immer wieder Terrorismus zu treffen. Wer allerdings behauptet, der der Eindruck erweckt worden, es gebe ein „gutes“ ISAF- Wiederaufbau sei schon heute ohne militärische Absi- Mandat, unter dem der Wiederaufbau stattfindet, und ein cherung möglich, ist entweder gutgläubig, naiv oder will „böses“ OEF-Mandat, das aufgrund des militärischen den Menschen Sand in die Augen streuen. Vorgehens hauptsächlich für die zivilen Opfer verant- wortlich ist. Es wird Zeit, mit diesem Märchen aufzuräu- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten men. Beide Mandate haben sich in den letzten Jahren der SPD) deutlich verändert, auch was ihr Verhältnis zueinander Eines will ich ausdrücklich sagen: Wenn wir jetzt in un- betrifft. ISAF deckt längst ganz Afghanistan ab, und na- seren Bemühungen nachlassen, dann bewirkt das nicht türlich kommt es unter ISAF zu Kampfhandlungen. Um- nur einen Rückschlag bei der Entwicklung in Afghanis- gekehrt werden 80 Prozent der Soldaten, die unter dem tan, sondern dann wird auch die Lage hier bei uns unsi- OEF-Mandat zum Einsatz kommen, bei der Ausbildung cherer. des afghanischen Militärs eingesetzt. Wer OEF in Af- ghanistan beenden will, der muss sagen, wer diese Auf- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gaben übernehmen soll; denn die Aufgaben werden blei- der CDU/CSU) ben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12729

Birgit Homburger (A) Das bedeutet nicht, dass es keine Kritikpunkte gebe. Afghanistan zu beobachten waren, gibt, ist es notwen- (C) Wir alle wissen um die Akzeptanzprobleme der Ein- dig, das OEF-Mandat zur Bekämpfung des Terrorismus sätze. Deshalb haben wir stets gefordert, dass alle An- zu verlängern. Dieses Mandat stellt einen Beitrag zur strengungen unternommen werden müssen, um zivile Unterstützung unserer Bemühungen zur Gewährleistung Opfer zu vermeiden, und dass vor allen Dingen auf die von Sicherheit und Wiederaufbau dar. OEF und ISAF kulturellen Gepflogenheiten und Traditionen in Afgha- bedingen einander. OEF ist eine Grundlage für die Si- nistan Rücksicht zu nehmen ist. Hier gibt es Fortschritte. cherheit unserer Soldaten in Afghanistan. Deshalb bitte So wurden für ISAF neue Verhaltensregeln festgelegt. ich Sie um Ihre Zustimmung zur Verlängerung dieses Als wir vor kurzem Afghanistan besucht haben, hat uns Mandats. General McNeal bestätigt, dass diese auch von der Ope- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ration Enduring Freedom in vollem Umfang übernom- neten der SPD und der FDP) men worden sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen. Im Rahmen des OEF-Mandats operieren wir zum ei- Das ist ein Erfolg der beharrlichen politischen Diskus- nen in Afghanistan, zum anderen am Horn von Afrika; sion, die hier zu einem Umdenken geführt hat. das konzediere ich gerne, Frau Kollegin Homburger. Ich war gerade mit Kollegen aus dem Deutschen Bundestag (Beifall bei der FDP) in Akaba. Dort waren auch Soldaten zugegen, die im Es muss mit einem weiteren falschen Eindruck aufge- Rahmen von OEF ihren Dienst tun. Ich kann Sie beruhi- räumt werden. Beim OEF-Mandat geht es längst nicht gen, Frau Kollegin Homburger: Unsere Soldatinnen und mehr nur um Afghanistan. Die meisten deutschen Solda- Soldaten sichern am Horn von Afrika die Seewege und tinnen und Soldaten werden bei der Marineoperation verwehren so erstens Terroristen den Zugang zu Rück- am Horn von Afrika eingesetzt. Auch die NATO-ge- zugsgebieten, und zweitens leisten sie damit einen wich- führte Seeraumüberwachung im Rahmen der Operation tigen Beitrag zur Sicherheit dieser Seepassage. Active Endeavour gehört dazu. Diese Einsätze werden 80 Prozent unseres Handels erfolgen ja über See. Sie kaum thematisiert. Allerdings stellt sich, insbesondere wissen: Es ist ein großes Seegebiet, vom Zugang zum was die Operation am Horn von Afrika angeht, die Roten Meer über die Küste Somalias, die Seewege vor Frage, um was es hierbei eigentlich geht. Geht es noch Jemen und Oman bis hin zur Straße von Hormus, in dem um die Bekämpfung des Terrorismus, oder hat sich die unsere Marinesoldatinnen und -soldaten Sicherheit ge- Mission, dieses Mandats nicht faktisch weiterentwickelt, währleisten und terroristischen Aktivitäten entgegentre- und zwar in Richtung Sicherung der Handelswege? Ich ten. Im letzten Jahr haben sie zum Beispiel 900 Schiffe erwarte, dass sich die Bundesregierung diesen Fragen im Hinblick auf derartige Aktivitäten untersucht. Das ist ein Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, aber eben auch (B) endlich stellt und sie gemeinsam mit den Partnern (D) Deutschlands erörtert. Das ist zwingend notwendig, ein Beitrag zur Herstellung der Seesicherheit im Inte- wenn sie zukünftig Unterstützung erhalten möchte. resse der Bundesrepublik Deutschland. Meine Damen und Herren, ich denke, das Ziel der Be- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kämpfung des internationalen Terrorismus ist unbestrit- neten der SPD) ten. Wir brauchen den Vorrang des Politischen vor dem Im Rahmen der Operation Active Endeavour im Mit- Militärischen. Ohne militärische Absicherung geht es je- telmeer treten unsere Marinekräfte ebenfalls terroristi- doch nicht. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefor- schen Aktivitäten entgegen und gewährleisten auch dort dert, auf dem weiteren Weg für die richtige Gewichtung die Seesicherheit. zu sorgen. Für die FDP-Bundestagfraktion sage ich: Wir sind bereit, Sie dabei parlamentarisch zu unterstützen. Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere Grundkonzeption der vernetzten Sicherheit weiter (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten umsetzen und durchsetzen. Die umfassende Bekämp- der CDU/CSU und der SPD) fung des internationalen Terrorismus sowohl mit politi- schen, mit entwicklungspolitischen und mit polizeili- Präsident Dr. Norbert Lammert: chen als auch mit militärischen Maßnahmen bleibt Das Wort hat nun der Bundesminister der Verteidi- notwendig. Deshalb bedingen die Mandate einander. gung, Franz Josef Jung. Ich halte es für wichtig, dass es uns gelungen ist, in Afghanistan eine Koordinierung zwischen ISAF und Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- OEF vorzunehmen und mit konkreten Weisungen darauf gung: hinzuwirken, dass alle Anstrengungen unternommen Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Die Verhältnis- Herren! Ich bitte den Deutschen Bundestag um Zustim- mäßigkeit ist ja ein Punkt, der gerade in den vergange- mung zum Beschluss der Bundesregierung, den Beitrag nen Wochen in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. der Bundeswehr im Kampf gegen den internationalen Wenn Sie einmal die Situation im ersten Halbjahr mit Terrorismus um zwölf Monate zu verlängern. der in diesem Halbjahr vergleichen, dann kommen auch Sie, denke ich, zu dem Schluss: Wir sind auf dem richti- Wir haben gerade erst erlebt, dass auch wir von An- gen Weg. schlägen in Afghanistan direkt betroffen sind. Ich glaube, dies hat uns deutlich vor Augen geführt: Solange Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung gewin- es terroristische Aktivitäten wie die, die jetzt konkret in nen. Wir müssen aber auch terroristische Aktivitäten zu- 12730 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) rückdrängen. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit ge- den. Unabhängig von der UNO-Entscheidung, die Sie (C) wahrt werden, wenn wir der Strategie der Taliban, zivile bemüht haben, Herr Bundesaußenminister, gelten die Opfer zu verursachen, um damit die politische Diskus- Genfer Konventionen. Durch die Genfer Konventionen sion zu bestimmen, entgegenwirken wollen. Deshalb ist wird der Schutz der Zivilbevölkerung gefordert, der in diese Koordinierung zwischen ISAF und OEF in Af- Afghanistan nicht im Mindesten gewährleistet ist. ghanistan, die wir in concreto durchsetzen konnten, so wichtig. Die Beteiligung an der OEF ist ein grundsätzlicher, ein fundamentaler Bruch mit einer Friedenspolitik, die Das alles sind Punkte, die aus meiner Sicht zu einer nach dem Zweiten Weltkrieg ein Markenzeichen wirkungsvollen und entschiedenen Terrorismusbekämp- Deutschlands war. fung dazugehören. Wir können es uns erlauben, den Per- sonalumfang des Mandats von 1 800 auf 1 400 Solda- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tinnen und Soldaten zu verringern. Dies reicht sowohl Winkelmeier [fraktionslos]) für unseren Auftrag in Afghanistan als auch für unseren Ich rufe zwei Zeugen auf: die Kanzler Helmut Schmidt Auftrag am Horn von Afrika als auch für unseren Auf- und . Helmut Schmidt sagte vor einigen Ta- trag im Mittelmeer im Rahmen von Active Endeavour. gen in einem Interview – jeder von Ihnen konnte das le- Konkret besteht unsere Beteiligung aus folgenden Teil- sen –: kontingenten: 1 000 Soldaten der See- bzw. Seeluftstreit- kräfte, 100 Soldaten der Spezialkräfte, 100 Soldaten der … dieses Streben einiger Deutscher nach mehr Ver- Unterstützungskräfte, 100 Soldaten der Lufttransport- antwortung in der Welt ist mir zutiefst unsympa- kräfte und 100 Sanitätern. thisch. … Dieses Mandat – das will ich ebenfalls unterstreichen – Das Argument, Menschen in Not mit dem Einsatz dient auch der Sicherheit unserer Bevölkerung. Denn es von Waffen zu helfen, hat es bis 1990 nicht gege- ist wesentlich klüger, die Gefahr unmittelbar an der ben. … Entwicklungshilfe ist ein gutes Konzept, Quelle zu beseitigen, und nicht erst dann, wenn sie in das seit Kriegsende gegolten hat. Das Völkerrecht wesentlich größerem Umfang die Bundesrepublik verbietet die militärische Intervention in einem sou- Deutschland erreicht. Deshalb bitte ich Sie, der Verlän- veränen Staat, wie schwach oder stark er innerlich gerung des Mandats OEF, das der Terrorismusbekämp- auch sein mag. fung dient, zuzustimmen. … Besten Dank. Der Grund für die Intervention war ausschließlich al-Qaida; und inzwischen ist al-Qaida nach Pakis- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (B) tan gezogen. Sollen wir demnächst auch dort ein- (D) FDP) marschieren?

Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Damen und Herren, bisher stand im Grund- Ich erteile das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, satzprogramm der einen Koalitionspartei, der SPD: Fraktion Die Linke. „Krieg darf kein Mittel der Politik sein“. – Das galt viele Jahrzehnte. Jetzt wird dieser Satz durch die Formulie- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert rung aufgehoben: „Der Einsatz militärischer Mittel Winkelmeier [fraktionslos]) bleibt für uns Ultima Ratio“. Das ist eine grundsätzliche Abkehr von der Politik Willy Brandts, Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ren! Wir stimmen in diesem Hause darin überein, dass Winkelmeier [fraktionslos] – Jörn Thießen der internationale Terrorismus bekämpft werden muss. [SPD]: Das müssen wir uns von Ihnen gerade Worin wir uns unterscheiden, ist, welches der Weg ist, sagen lassen, Herr Kollege!) den wir dazu beschreiten müssen. Meine Fraktion bleibt der in seiner Nobelpreisrede am 11. Dezember 1971 bei der Auffassung, dass Krieg kein geeignetes Mittel sagte: ist, den Terrorismus zu bekämpfen. Krieg ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Ultima Irratio. Auch wenn das noch nicht allge- Winkelmeier [fraktionslos]) meine Einsicht ist: Ich begreife eine Politik für den Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass wir Terroris- Frieden als wahre Realpolitik dieser Epoche. mus durch Kriege geradezu heranzüchten, und wir blei- Dass Ihre Politik die Ultima Irratio im Sinne Brandts ist, ben bei der Auffassung, die auch von den Sicherheits- zeigen die schrecklichen Fakten. Seit Jahresbeginn wurden diensten und einigen Politikern in Deutschland geteilt in Afghanistan laut Agenturmeldungen 5 600 Menschen wird, dass wir uns den Terrorismus durch solche Kriege getötet. Zwei Frauenrechtlerinnen aus Afghanistan, geradezu in unser eigenes Land holen. von Terre des Femmes eingeladen, sagten: Seit 2004 ist es Wie die indirekte Beteiligung am Irakkrieg, so ist schlimmer geworden. Es ist fast wieder wie unter den Ta- auch die direkte Beteiligung am Krieg in Afghanistan liban. In ihrer Verzweiflung wählen Frauen oft den Frei- ein Bruch des Völkerrechts. Bauern, die ihr Feld be- tod durch Selbstverbrennung. Allein in der Stadt Herat stellen, sind von Talibankämpfern nicht zu unterschei- gibt es 200 Fälle pro Jahr. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12731

Oskar Lafontaine (A) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) in einem Aufsatz: Zum Teilauftrag Marine nur wenige Worte: Wir Die Arbeit humanitärer Helfer ist von Afghanistan Mitglieder des Verteidigungsausschusses waren am bis Darfur aus politischen Gründen gefährlicher ge- Horn von Afrika und haben festgestellt, dass der ur- worden – sie gelten mittlerweile als Kriegspartei … sprüngliche Auftrag und die Einsatzrealität inzwischen völlig auseinandergelaufen sind. Das heißt, hier, wo es Wie im Irak, so ist auch in Afghanistan diese soge- unbestritten um eine Frage kollektiver Sicherheit geht, nannte militärische Mission komplett gescheitert. ist ein klares UN-Mandat notwendig; anders geht es (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert nicht. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Man kann Töten nicht durch Töten verhindern. Wir blei- Nun zum Teilauftrag Afghanistan, Kommando Spe- ben bei dieser Auffassung: Krieg ist und bleibt das fal- zialkräfte: Dass ein Großteil von Enduring Freedom in- sche Mittel. zwischen für die strategisch wichtige Aufgabe der Aus- Es wäre gut, wenn Sie diesen Weg wieder verließen bildung von Armee und Polizei eingesetzt wird, ist gut. und sich wieder zu der verlässlichen Außenpolitik der Allerdings ist zu fragen, warum dieser große Ausbil- Bundesrepublik bekennen würden, die jahrzehntelang dungsanteil nicht unter dem Dach von ISAF geleistet ein Markenzeichen Deutschlands war. wird. Herr Minister, Sie haben dies zu Recht als eine Möglichkeit und Notwendigkeit angedeutet. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] – Walter Kolbow (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) [SPD]: Sie sind doch vor dem Verfassungsge- Den strittigen Kern stellt aber die Antiterroroperation richt gescheitert!) Enduring Freedom dar. OEF war zunächst zur Vertrei- bung der Taliban und in den Jahren danach zum Fernhal- Präsident Dr. Norbert Lammert: ten der Taliban notwendig. Seit jedoch nach der Auswei- Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die tung von ISAF auf das ganze Land die Gewalt in den Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ursprünglichen Operationsgebieten von Enduring Free- dom geradezu explodiert ist, muss man verstärkt die Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frage nach der Wirksamkeit stellen. Alles, was ich dazu ansonsten gehört habe, ist so beunruhigend wie eindeu- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tig. Hochrangige Insider haben mir gegenüber die Ope- ist unverändert meine Überzeugung und Erfahrung, dass (B) rationsweise von Enduring Freedom mit folgenden Wor- (D) Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan weiterhin der ten beschrieben: Es gehe nicht vorrangig darum, militärischen Absicherung bedürfen und dass internatio- Gefangene zu machen, sondern darum, die Taliban zu naler Terrorismus auch mit militärischen Mitteln be- zerschlagen; die Taliban würden mithilfe der Luftwaffe kämpft werden muss. Zugleich reicht es aber ganz und gnadenlos niedergemacht. gar nicht, diese prinzipielle Erklärung abzugeben. Viel- mehr haben wir heute konkret zu überprüfen, was die Sehen Sie sich bitte auch die Meldungen über Endu- militärische Antiterroroperation Enduring Freedom ring Freedom der letzten Tage und Wochen auf der ent- bringt und inwieweit sie noch legitim, wirksam und ver- sprechenden Webseite an. 10. Oktober, Uruzgan: Zur antwortbar ist. Unterstützung von 60 Koalitionssoldaten wurde über 19 Stunden Luftnahunterstützung mit 13 Kampfbom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bern geflogen. Oder 19./20. Oktober, Musa Kala – man- Dazu muss ich sagen: Die Bundesregierung und ihre chen ist diese Distrikthauptstadt vielleicht bekannt –: beiden Minister haben bisher zu erheblichen Teilen um Mehr als drei Dutzend Tote auf der Gegnerseite. Eine dieses Thema herumgeredet. Es ist zwar wichtig, etwas Woche später: Sieben Dutzend Tote auf der Gegnerseite. zum Aufbau Afghanistans zu sagen und Wünsche zur Dies alles wird mit Aufständischenbekämpfung begrün- Zukunft von Enduring Freedom zu äußern. Vor allem det, allerdings in den Zusammenhängen von Stammes- aber geht es aber darum, wie Enduring Freedom heute gesellschaften, wo man eben nicht zwischen Kämpfern aussieht, Herr Minister. Dazu sagten Sie in den letzten und Zivilisten, also dem Normalafghanen, der mit der Jahren notorisch nichts. Knarre herumläuft, unterscheiden kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zur völkerrechtlichen Legitimation von Enduring Freedom: Vor sechs Jahren wurde nach dem In der jüngsten OEF-Unterrichtung der Bundesregie- 11. September das Recht auf Selbstverteidigung in An- rung steht folgender Satz: spruch genommen. Sechs Jahre danach wird – so meinen Nur wenn extremistischen Kräften wirkungsvoll wir – diese völkerrechtliche Grundlage aber immer dün- begegnet wird, kann eine nachhaltige Befriedung ner und fragwürdiger. Jetzt weiter auf das Selbstverteidi- des Landes gelingen. gungsrecht zu pochen, heißt, es völlig zu entgrenzen und damit das internationale Gewaltverbot im Grunde zu zer- Die tatsächliche Wirksamkeit der Antiterrororganisa- setzen. tion von Enduring Freedom ist äußerst zwiespältig. Mili- 12732 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Winfried Nachtwei (A) tärische Siege gibt es am laufenden Band. Aber zugleich Ich bin dem Bundesaußenminister sehr dankbar für (C) werden dabei – das ist die Botschaft, die wir aus Afgha- seine sensiblen Worte zu dem Attentat in Baghlan. Die- nistan immer wieder hören – fortwährend Köpfe und ses Ereignis ist unvorstellbar furchtbar. Stellen Sie sich Herzen der Bevölkerung verloren. vor, eine Delegation von 18 Bundestagsabgeordneten besucht ein Institut, und sechs werden dort durch ein At- (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- tentat ermordet. Sie können sich vorstellen, welche NISSES 90/DIE GRÜNEN) Empfindungen heute im Saal vorherrschen würden. Deshalb muss ich feststellen: OEF ist inzwischen Meine Betroffenheit und mein Mitgefühl mit allen, die längst kontraproduktiv geworden. dem Anschlag zum Opfer gefallen sind, und mit ihren Familien sind sehr groß. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem DIE GRÜNEN und der LINKEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Sie dient nicht, wie vorgesehen, der Terrorismuseindäm- geordneten der FDP) mung, sondern facht den Terrorismus eher an. Sie ist Ich bin der Kollegin Homburger sehr dankbar für ih- nicht die einzige Ursache dafür, aber sie trägt dazu bei. ren Beitrag. Für die Querelen mit der SPD habe ich ein Das schadet dem ISAF-Auftrag und dem internationalen bisschen Nachsicht. Ich weise darauf hin, Frau Kollegin, Aufbau mehr, als es ihm nutzt. Daraus ergibt sich die dass wir uns in den zurückliegenden Monaten mit großer Konsequenz, dass eine weitere Bereitstellung von deut- Entschiedenheit des Themas Afghanistan angenommen schen KSK-Soldaten für eine solche Operation nicht haben. Ich glaube, dass wir etliches dazu beigetragen ha- mehr notwendig, legitimierbar und verantwortbar ist. ben und manches – ob Strategiewechsel oder stärkeres Die Bundesregierung sollte alles dafür tun, dass mili- ziviles Engagement – mit darauf zurückzuführen ist. tärische Sicherheitsunterstützung in Afghanistan allein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) unter dem Dach von ISAF stattfindet, und das nicht zu- letzt im Sinne eines effektiven Multilateralismus, der Wenn in unserer Öffentlichkeit das Thema Afghanis- eindeutig an Völkerrecht und Menschenrechte gebunden tan diskutiert wird – das übrigens gegenwärtig nicht den ist. großen Zuspruch erhält, den wir Gott sei Dank im Parla- ment immer noch erreichen –, dann finde ich es vernünf- Danke. tig, dass wir zum Beispiel unseren Parteitag zu Recht in die Lage versetzen, dieses Thema zu diskutieren, bevor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entscheidungen getroffen werden können. Schließlich wird in der Regel immer im November über dieses Man- (B) (D) Präsident Dr. Norbert Lammert: dat entschieden. Das bitte ich mit zu berücksichtigen. Das Wort erhält nun der Kollege Detlef Dzembritzki, Ich halte es für dringend notwendig, dass wir im Be- SPD-Fraktion. reich der Sicherheit außerhalb des Militärs weitaus grö- ßere Anstrengungen unternehmen. Detlef Dzembritzki (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist interessant, Abg. Jörg van Essen [FDP]) dass die OEF zwar überwiegend außerhalb von Afgha- nistan stattfindet, wir aber insbesondere – das ist auch Richten Sie noch einmal den Blick auf unseren Einsatz, nachvollziehbar – über Afghanistan reden. Herr Kollege den europäischen Einsatz und den Einsatz der internatio- Nachtwei, Sie wissen, wie Sie auch bei uns als engagier- nalen Staatengemeinschaft im Kosovo. Das ist vergli- ter Politiker und sicherlich auch als Sachkenner Afgha- chen mit Afghanistan ein Landkreis. Gestern habe ich nistans geschätzt werden, wenn man sich überhaupt als erfahren, dass sich die Europäische Union – das ist gut solcher – ich beziehe mich ebenfalls mit ein – bezeich- und richtig – mit 1 800 Juristen vorbereitet, dort die nen kann. Denn unsere Besuche dort waren zeitlich be- Rechtsstaatlichkeit aufzubauen und zu sichern. Über- grenzt. trägt man das auf Afghanistan, wo dies dringend not- wendig ist, dann wird sofort deutlich, wo die Defizite Ich glaube nicht, dass wir alle über repräsentative Bil- liegen. Ich fände es natürlich gut, wenn der Bundesinnen- der verfügen. Ich warne ein bisschen davor, immer das minister und die Landesinnenminister einmal ein Signal zu übernehmen, was uns einzelne mit auf den Weg gege- dafür setzten, dass nun alle Anstrengungen unternom- ben haben. Mir lag zum Beispiel vor wenigen Tagen eine men werden, um dorthin 100, 200 oder möglicherweise sehr interessante Untersuchung von kanadischen Institu- sogar 300 Ausbilder zu schicken. ten vor, die von den großen Tageszeitungen, der Rund- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten funkanstalt und der Universität von Ottawa beauftragt der FDP) waren. Darin stellt sich das von den befragten Menschen aufgezeigte Bild von Afghanistan etwas anders dar, als Herr Fried hat nach einem Kurzbesuch in Afghanistan wir es möglicherweise gegenwärtig selbst wahrnehmen in der Süddeutschen Zeitung geschrieben, er habe den und durch unsere eigenen Beiträge erzeugen. Wir müs- Eindruck, dass dort eigentlich nur verwaltet werde und sen uns davor hüten, in dieser punktuellen Information nicht mit Leidenschaft um den Erfolg gerungen werde. und Darstellung die Realitäten, die sich zum Positiven Damit hat er nicht ganz unrecht. Wir müssen darauf ach- entwickelt haben, zu übersehen. ten – dazu fordere ich das Parlament und die Ausschüsse Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12733

Detlef Dzembritzki (A) auf –, dass wir ausreichend Druck ausüben und für eine Herr Kollege Lafontaine, es war einmal mehr interes- (C) entsprechende Dynamik sorgen. sant, zu sehen, welche Begründungsmuster Sie im Hin- blick auf das Mandat aufgebaut haben. Bemerkenswert Kollege Lafontaine, wir alle haben erwartet, dass Sie war heute, dass Sie keine eigene Begründung, sondern unsere großen Vorbilder zitieren. Man kann die Situation lediglich fremde Zitate angeführt haben. Das ist nicht natürlich immer so interpretieren, wie man es braucht. gerade Ausdruck einer großen Rede. Aber es wurde klar: Ich habe Jahrzehnte mit Willy Brandt verbringen dürfen. Es geht Ihnen nicht um die Verantwortung dieses Lan- Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Willy Brandt des. Es geht Ihnen auch nicht um die Menschen in Af- als Regierender Bürgermeister von Berlin nach dem ghanistan. Es geht Ihnen mit Sicherheit nicht um die Si- 13. August 1961 die Amerikaner mit Nachdruck auffor- cherheit unseres Landes. derte – das hat zu Spannungen in den Beziehungen zwi- schen den USA und Deutschland bzw. Berlin geführt –, (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Das ist eine endlich Panzer zu schicken, und gesagt hat: Wir wollen große Unverschämtheit!) ein Zeichen der Solidarität sehen, dass Westberlin nicht allein steht. Dieser große Friedenspolitiker hat damals – Angesichts Ihrer Begründung muss man sagen, dass es zu Recht – darum gebeten, militärische Präsenz zu zei- Ihnen einmal mehr um einen populistischen Rundum- gen, um deutlich zu machen, wo die Grenzen sind und schlag geht. Das geht an der Verantwortung unseres Lan- dass wir nicht bereit sind, einfach den Kopf hinzuhalten des vorbei. und ihn uns sozusagen abschlagen zu lassen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei Präsident Dr. Norbert Lammert: der LINKEN) Herr Kollege Dzembritzki, kommen Sie bitte zum Die von Ihnen angestoßene Debatte krankt an einem Schluss. gewissen Mangel an Aufrichtigkeit. Ihre Behauptung, dass das Mandat, über dessen Verlängerung wir heute Detlef Dzembritzki (SPD): debattieren, keine völkerrechtliche und verfassungs- Die Sicherheit in Afghanistan hängt für eine gewisse rechtliche Grundlage habe, ist schlicht barer Unsinn. Zeit noch von der militärischen Präsenz ab. Ich bitte, das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nicht zu diskreditieren, sondern zu respektieren. Ohne bei Abgeordneten der FDP – Oskar Lafontaine Sicherheit ist Entwicklung nicht möglich. Aber ohne [DIE LINKE]: Sie sind doch ahnungslos! Ha- Entwicklung ist auch Sicherheit nicht denkbar. Daran ben Sie schon etwas von der Genfer Konven- müssen wir gemeinsam arbeiten. tion gehört?) (B) Vielen Dank. (D) Streuen Sie den Menschen unseres Landes doch nicht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Sand in die Augen! Durch stete Wiederholung wird FDP) diese Behauptung nicht richtiger, Herr Lafontaine. Sie bleibt falsch. Lesen Sie doch einmal die Begründungen Präsident Dr. Norbert Lammert: des Bundesverfassungsgerichtes! Gelegentlich bildet Le- Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der sen. Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU- Sie benutzen OEF wiederholt als pazifistisches Fei- Fraktion. genblatt; das bietet sich möglicherweise an. Sie werden mit Ihrer Ablehnung des Mandats und Ihrer Forderung Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ nach einem Abzug aus Afghanistan möglicherweise Ih- CSU): ren Zielen gerecht, nicht aber unserem Ziel, Afghanistan Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und aufzubauen. Herren! Lieber Herr Kollege Nachtwei, es ist schon be- Das wäre in meinen Augen schlicht ein Verrat an den merkenswert, was der Ausstieg aus der Regierungsver- Menschen vor Ort, ein Verrat an Afghanistan. antwortung bei Ihnen so alles bewirkt hat. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Wie viele (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Menschen müssen denn noch sterben?) Dr. [CDU/CSU]: Rauswurf!) Wir sind in Afghanistan aber eine Verpflichtung einge- – „Rauswurf“ ist vielleicht sogar die bessere Bezeich- gangen und werden auch in Zukunft daran festhalten, nung. – Nicht auszudenken, welche Pirouetten Sie, wenn Herr Lafontaine. Sie irgendwann in die Regierungsverantwortung zurück- kehrten – das möge der liebe Gott verhüten –, drehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- müssten, um das darzulegen, was Sie in den ersten Jah- neten der SPD) ren Ihrer Regierungszeit zu OEF haben verlauten lassen! Darüber hinaus verschweigen Sie einen Punkt, klam- Darauf warten wir mit Spannung, allerdings nicht auf mern in Ihrer Darstellung des Mandats eines völlig aus: Es Ihre Rückkehr in die Regierungsverantwortung. ist sicherlich richtig, dass ein hohes Maß an Verbesse- (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast rungsbedarf gegeben ist. Herr Nachtwei und Frau [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tag wird Homburger haben das immer wieder benannt, auch was kommen!) die Mandatsstruktur anbelangt. Eines allerdings ist Ge- 12734 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (A) genstand dieses OEF-Mandates, was man nicht oft genug Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) wiederholen kann, nämlich die Ausbildungskompo- Zur Erwiderung Herr Kollege zu Guttenberg. nente. Sie umfasst den größten Teil dessen – der Herr Bundesminister hat das benannt –, was unter OEF statt- Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/ findet. Wenn wir tatsächlich ein Interesse in Afghanistan CSU): haben, dann besteht es in der Ausbildung der Sicher- heitskräfte vor Ort, die wir mit Vehemenz betreiben Sehr verehrter Herr Kollege Gehrcke, was die Ausbil- müssen. Das ist ein Beitrag zur Stabilität, und dieser Bei- dungskomponente anbelangt, so habe ich vorhin betont, trag wird unter OEF geleistet. Daran muss man gelegent- dass sie die größte Komponente von OEF darstellt. Das lich erinnern. OEF ist nicht nur das, was Sie benennen. ist nicht nur eine Fußnote, sondern Ausbildung ist ein Schwerpunkt der Operation Enduring Freedom. Lediglich nach Abzug zu rufen, lediglich zu behaup- Was die völkerrechtliche Grundlage anbelangt, so ten, dass das Mandat völkerrechtswidrig sei, was nicht der Fall ist, ist mit Sicherheit kein Konzept. Konzeptio- würden wir, Herr Kollege Gehrcke, wahrscheinlich noch die nächste halbe Stunde hier stehen, wenn ich die nen müssen zusammengeführt werden, aber nicht in der Resolutionen 1386 ff., 1373, 1368, 1444 – weitere ließen Art und Weise, wie es heute die Linke versucht hat. sich nennen – mit Ihnen diskutieren oder wenn ich auf Herzlichen Dank. Art. 51 der UN-Charta und auf Art. 5 des NATO-Vertra- ges verweisen würde. Vor diesem Hintergrund kann die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Behauptung, dass eine völkerrechtliche Grundlage nicht neten der SPD) gegeben sei, schlichtweg nur als absurd bezeichnet wer- den. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Wolfgang Gehrcke das Wort. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der LINKEN – Dr. Norbert Röttgen Ich schließe die Aussprache. [CDU/CSU]: Die applaudieren schon, bevor er Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf etwas gesagt hat! Das scheint eine alte Ge- Drucksache 16/6939 an die in der Tagesordnung aufge- wohnheit zu sein!) führten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs- antrag auf der Drucksache 16/6971 soll an dieselben Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss (B) (D) Lieber Herr Kollege zu Guttenberg, Sie müssen schon überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – eine Frage beantworten, wenn Sie bemängeln, dass mein Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- Kollege Lafontaine die völkerrechtliche Situation nicht schlossen. korrekt beurteilt hat: Wieso fordern denn der SPD-Par- Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4: teitag und der Bundesaußenminister in seiner Rede eine eigene VN-Resolution zur Operation Enduring Free- Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- dom? Das heißt, man ist sich schon klar darüber, dass die gierung völkerrechtliche Basis, was die Vereinten Nationen an- geht, mehr als dünn ist, wenn man nach sechs Jahren auf Der Nationale Integrationsplan die Idee kommt, dass es eigentlich einer Resolution der Neue Wege – Neue Chancen Vereinten Nationen bedürfte. Das müssen Sie doch ein- fach zugeben. – Drucksache 16/6281 – Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der LINKEN) Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Hier so zu tun, als ob völkerrechtlich alles klar wäre, Ausschuss für Arbeit und Soziales ist eigentlich ein Werfen von Nebelkerzen. Werfen von Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nebelkerzen ist auch, lieber Herr Kollege, wenn man Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung heute besonders auf die Ausbildungskomponente von Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung OEF abhebt. Die war nie Ziel von OEF. Ausschuss für Kultur und Medien (Beifall bei der LINKEN) Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. OEF war immer ein Kampfeinsatz; dieser Einsatz war so geplant und wird so geführt. Dem muss man sich stellen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Es ist aus meiner Sicht völlig klar: Am Hindukusch, in die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Afghanistan herrscht Krieg, und Deutschland führt höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Krieg am Hindukusch. Das muss man in aller Deutlich- keit aussprechen und nichts anderes. Darüber können Sie Ich weise schon jetzt darauf hin, dass nach diesem Ta- nicht hinwegreden. gesordnungspunkt, also in etwa 90 Minuten, eine na- mentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte, sich darauf (Beifall bei der LINKEN) in der weiteren Zeitplanung einzurichten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12735

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Im Übrigen wäre es schön, wenn diejenigen, die dem ersten Integrationsgipfel kamen Vertreter aller staatli- (C) nächsten Tagesordnungspunkt nicht folgen können oder chen Ebenen: der Verbände, der Wirtschaft, der Gewerk- wollen, dazu beitragen würden, dass diejenigen, die blei- schaften, der Kirchen, der Religionsgemeinschaften, der ben oder gerade hinzukommen, mit der notwendigen Wissenschaft, des Sports, der Medien, der Kultur. Vor al- Aufmerksamkeit der Debatte folgen können. len Dingen saßen die Migrantinnen und Migranten an diesem Tisch, und sie haben damit die Integrationspoli- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst tik mitgestaltet. die Staatsministerin im Kanzleramt, Frau Professor Böhmer. Der 14. Juli 2006 war ein historischer Tag in unserem Land. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin bei der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU) kanzlerin: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Er war der Startschuss für die Arbeit am Nationalen Inte- Kollegen! In unserem Land leben mehr als 15 Millionen grationsplan. 400 Personen haben daran mitgewirkt. Menschen aus Zuwandererfamilien. Das ist immerhin Zum ersten Mal haben Migrantinnen und Migranten eine ein Fünftel der Bevölkerung. Viele dieser Menschen ha- aktive Rolle in der Integrationspolitik gespielt. Sie haben ben ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden. Sie sich dieser Verantwortung gestellt, und das kommt in sind erfolgreich. Sie tragen mit ihren Fähigkeiten und vielen Selbstverpflichtungen im Nationalen Integrations- mit ihren Leistungen zum Wohlstand und zur Vielfalt plan zum Ausdruck. unseres Landes bei. Und sie schaffen Arbeitsplätze: Ich Zum ersten Mal haben die Ministerpräsidenten einen verweise auf die 600 000 Unternehmer ausländischer gemeinsamen Beschluss zur besseren Integration vonsei- Herkunft in unserem Land. ten der Länder gefasst, und zum ersten Mal haben die Aber wir müssen auch sagen: Die Integrationspro- kommunalen Spitzenverbände eine gemeinsame Erklä- bleme haben in den vergangenen Jahren zugenommen. rung zur Integration abgegeben. Wie wir wissen, ge- Es gibt Menschen aus Zuwandererfamilien, die nicht ge- schieht Integration vor Ort. Dort entscheidet sich das Zu- nügend deutsch sprechen. Sie schneiden in Bildung und sammenleben. Integration vor Ort muss Chefsache sein. Ausbildung schwächer ab. Sie sind häufiger arbeitslos. In den Städten werden Integrationskonzepte weiterentwi- Darunter sind viele – viel zu viele – junge Menschen. ckelt und umgesetzt. Das schafft bessere Ausgangsbedin- Wir können es uns nicht leisten, dass es in unserer Ge- gungen für erfolgreiche Integration in den Kommunen. sellschaft eine verlorene Generation gibt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (B) (D) neten der SPD) Aber wir wissen auch, dass Integration nicht verord- Nicht hinnehmbar ist, dass einige die Grundregeln un- net und nicht allein vom Staat geleistet werden kann. Sie seres Zusammenlebens nicht akzeptieren. Integration muss in unserer gesamten Gesellschaft wachsen und vor- braucht die Basis gemeinsamer Werte. Notwendig ist auf angebracht werden. Deshalb brauchen wir eine aktive der Seite der Zuwanderer die Bereitschaft, sich auf ein Bürgergesellschaft. Leben in Deutschland wirklich einzulassen. Das heißt, Ja Ein besonderes Kennzeichen des Nationalen Integra- zu unserem Grundgesetz, zu unserer Rechtsordnung und tionsplans sind die 400 Selbstverpflichtungen, die zei- zu unserer deutschen Sprache zu sagen. Notwendig ist gen, dass viele dafür einstehen und Verantwortung dafür auf der anderen Seite, dass diejenigen, für die Deutsch- übernehmen wollen; damit leisten sie einen ganz konkre- land Heimat ist, wirklich offen sind gegenüber denjeni- ten Beitrag zur Integration in unserem Land. Die Bun- gen, die zu uns kommen, und sie ehrlich willkommen zu desregierung hat selbst 150 Selbstverpflichtungen einge- heißen. Für die Bundesregierung ist Integration eine bracht. Wir stellen 750 Millionen Euro dafür bereit, dass Aufgabe von nationaler Bedeutung. Ich sage hier ganz Integration in unserem Land vorankommt. All dieses un- klar: Wir haben in der Integrationspolitik umgesteuert. terstreicht: Der Nationale Integrationsplan ist eine große (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gemeinschaftsleistung, die wir gemeinsam auf den Weg NEN]: Das stimmt allerdings!) gebracht haben. Wir reden nicht mehr übereinander, sondern mitei- Ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben. nander. Das ist der entscheidende Punkt. Wir nehmen Ich danke ganz besonders der CDU/CSU-Bundestags- damit die Menschen, die zu uns gekommen sind, ernst. fraktion, die den Anstoß für den Nationalen Integrations- In der Vergangenheit ist vieles nur über Beiräte gesche- plan gegeben hat. Der SPD-Bundestagsfraktion danke hen. Wir binden sie gleichberechtigt ein. ich für die breite Unterstützung. Bei all den Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, die mit Anre- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gungen, Impulsen, Rat und auch so mancher kritischer neten der SPD) Anmerkung dazu beigetragen haben, dass wir den Natio- nalen Integrationsplan als erstes integrationspolitisches Wir fordern und fördern, und wir setzen auf Teilhabe Gesamtkonzept heute hier diskutieren können, bedanke und Eigenverantwortung. Dafür steht dieser Nationale ich mich ebenfalls. Integrationsplan. Mit ihm haben wir ein neues Kapitel in der Integration aufgeschlagen. Entscheidend war: Die Die Bundeskanzlerin hat den Nationalen Integrations- Bundeskanzlerin hat alle an einen Tisch geholt. Zum plan am 12. Juli dieses Jahres beim zweiten Integrations- 12736 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer (A) gipfel vorgestellt. Wir sind jetzt mitten in der Umset- deutschen Sprache schon im Herkunftsland vorgenom- (C) zung; denn wir haben bei der Integration keine Zeit zu men haben, so wichtig. verlieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Erwerb der deutschen Sprache zieht sich wie Wir sind uns einig: Bildung ist der Schlüssel für Inte- ein roter Faden durch den gesamten Nationalen Integra- gration. Es gibt dazu eine Vielzahl von Maßnahmen im tionsplan. Denn nur wer die deutsche Sprache be- Nationalen Integrationsplan. Wichtig ist, dass Schulen herrscht, wird auch Zugang zu den Chancen und Mög- sich besser auf viele Kinder aus Zuwanderungsfamilien lichkeiten, die unser Land bietet, finden. einstellen können. Wenn heute nicht mehr nur Sprache ist in diesem Zusammenhang mehr als nur 30 Prozent der Kinder, sondern oft 70, 80 Prozent oder Kommunikation. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein mehr Kinder aus Zuwanderungsfamilien in einer Klasse hat gesagt: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Gren- sind, bedeutet dies eine völlig andere Unterrichtssitua- zen meiner Welt.“ Wir wollen helfen, dass diese Grenzen tion für Lehrerinnen und Lehrer. überwunden werden können. Deshalb war es so wichtig, dass die Länder gesagt Deshalb ist es wichtig, dass die Kinder von der haben: Wir wollen in den nächsten fünf Jahren dafür Grundschule an deutsch sprechen können, sodass sie sorgen, dass alle Lehrerinnen und Lehrer über Fort- dem Unterricht wirklich folgen können. Das ist ein ent- bildungsmaßnahmen die Möglichkeit haben, an Sprach- scheidender Punkt im Nationalen Integrationsplan. Die förderungsmaßnahmen teilzunehmen, sodass sie nachher Länder haben sich zur Sprachförderung in den Kinder- im Unterricht wirklich diese Aufgabe leisten können, gärten und zur flächendeckenden Durchführung von dass in jedem Fach – nicht nur in Deutsch – Sprachför- Sprachstandstests verpflichtet. Gerade in diesen Tagen derung stattfindet und die Bildungschancen sich für Kin- geht Hessen als eines der großen Bundesländer diesen der verbessern; denn Bildungschancen dürfen in unse- wichtigen Schritt. rem Land keine Frage der Herkunft sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ neten der SPD) DIE GRÜNEN]: Da ist Wahlkampf in Hessen! Was mich von Anfang an ganz besonders umgetrie- Normalerweise sammelt man da Unterschrif- ben hat, war die Ausbildungssituation. Es ist doch ein ten gegen Ausländer!) Alarmzeichen, wenn 40 Prozent der Jugendlichen ohne Für die Bundesregierung sind die Integrationskurse jegliche berufliche Qualifizierung bleiben. Es muss uns das entscheidende Instrument, um die Sprachförderung umtreiben, dass die Ausbildungsquote in den letzten Jah- (B) voranzubringen. Wir haben gesagt, dass wir die Integra- ren gesunken ist, dass die Jugendlichen aus Zuwande- (D) tionskurse verbessern wollen, und wir erfüllen dieses rungsfamilien von der Verbesserung der Ausbildungs- Versprechen. Ich habe mich über die vielen Vorschläge, situation nicht so profitiert haben wie die deutschen die in den Nationalen Integrationsplan eingegangen sind, Jugendlichen. gefreut. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die Deshalb ist es so entscheidend, dass beim Ausbil- daran aktiv mitgewirkt haben. Es gab viele Verbesse- dungspakt das Thema Integration jetzt fest verankert ist. rungsvorschläge in Bezug auf die Differenzierung nach Es ist hoch anzuerkennen, dass Unternehmer ausländi- Zielgruppen, die Erhöhung der Stundenzahl und das An- scher Herkunft gesagt haben: Wir wollen 10 000 Ausbil- gebot von Kinderbetreuung, sodass auch Mütter davon dungsplätze mehr zur Verfügung stellen. – Die Bundes- profitieren können. Die guten Vorschläge werden jetzt regierung sorgt mit der Initiative „Aktiv für zügig umgesetzt. Ausbildung“, dem Jobstarter-Programm und der Flan- Die Integrationskursverordnung wird in Kürze auf kierung durch das Sonderprogramm EQJ dafür, dass die den Weg gebracht sein. Ich bin mir sicher, dass dann Chancen besser werden. auch die finanziellen Mittel vom Bundestag bereitge- Aber die Chancen müssen von den Jugendlichen und stellt werden. Es wäre gut, wenn wir die vorgesehenen ihren Familien auch ergriffen werden. Deshalb werbe ich 155 Millionen Euro zur Verfügung hätten. dafür, dass wir deutlich machen: Über Bildung und Aus- Von Anfang an die deutsche Sprache zu fördern, be- bildung geht der Weg in eine gute Zukunft in unserem deutet auch, dass wir endlich die Sprachlosigkeit der Land. Wir wollen dies auch den Eltern vermitteln. Des- Mütter überwinden müssen. Denn sie behindert in vielen halb brauchen wir Brückenbauer, Brückenbauer, die in Fällen die notwendige Unterstützung der Kinder. Wir ha- den Familien – ob das die türkische Familie oder die ita- ben deshalb auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. lienische Familie ist – sagen: Schickt eure Kinder in den Wir setzen nicht mehr nur auf nachholende Integration. Kindergarten! Unterstützt sie auf dem Weg in die Schule Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz gehen wir in Rich- und beim Übergang in die Ausbildung! – Wir wollen den tung vorbereitende Integration. Es gab viel Kritik da- Eltern auch helfen, indem wir ein Netzwerk „Bildungs- ran, dass schon im Herkunftsland erste Sprachkenntnisse paten“ aufbauen. erworben werden sollen. Ich halte das für richtig; denn Die Wirtschaft zieht mit. Wir haben die „Charta der die Frauen, die in unser Land kommen, müssen sich ver- Vielfalt“ auf den Weg gebracht. ständigen und teilhaben können. Sie dürfen nicht ausge- schlossen und unmündig bleiben. Deshalb sind die Wei- So haben wir vieles in den Nationalen Integrations- chenstellungen, die wir in Bezug auf den Erwerb der plan aufgenommen. Er ist mehr als die Summe der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12737

Staatsministerin Dr. Maria Böhmer (A) 400 Einzelmaßnahmen. Mit dem Nationalen Integra- Das Thema Integration geht alle an und muss öffentlich (C) tionsplan haben wir eine Aufbruchstimmung in unse- diskutiert werden. Für die FDP-Fraktion ist es inakzepta- rem Land erzeugt. Wir wollen über neue Wege neue bel, dass die demokratische Vertretung des Souveräns in Chancen geben. In dieser Woche gestaltet das ZDF eine diesem Land, der Deutsche Bundestag mit allen Fraktio- Woche der Integration mit dem Titel „Wohngemein- nen, zur Erstellung des Nationalen Integrationsplans schaft Deutschland“. Das kann nicht bedeuten, dass es nicht eingeladen wurde. ein Kommen und Gehen ist. Eine Wohngemeinschaft muss auch Zusammenhalt bedeuten. Sie muss bedeuten, Die Kanzlerin nennt in ihrem Vorwort zu diesem Plan füreinander einzustehen. Sie muss bedeuten, wechselsei- die Integration „eine Schlüsselaufgabe unserer Zeit“, tig Verantwortung zu übernehmen. welche „in Zusammenarbeit mit allen staatlichen Ebe- nen“ umgesetzt werden müsse. Ich frage Sie: Ist der (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutsche Bundestag keine staatliche Ebene? Es gibt die NEN]: Ziehen Sie doch mal in eine! Dann wis- demokratische Tradition in diesem Land, dass politische sen Sie, was „Wohngemeinschaft“ bedeutet!) Entscheidungen von erheblicher Tragweite möglichst Ich kann Ihnen zusichern: Wir werden nicht locker- fraktionsübergreifend geregelt werden. Die Probleme lassen, wenn es um die Umsetzung all dessen geht, was der Integration werden Deutschland noch Jahrzehnte be- im Nationalen Integrationsplan steht. Nächstes Jahr im gleiten, egal welche Regierung dieses Land hat. Politi- Herbst wird Zwischenbilanz gezogen. Wir werden dafür sche Einigkeit und damit Sicherheit für alle Bürger und sorgen, dass aus dem Plan Wirklichkeit wird – für ein Bürgerinnen wären daher ein vornehmes Ziel von Regie- gutes Zusammenleben in unserem Land, damit alle die rungshandeln gewesen. Dieses wurde leider zugunsten Chancen in diesem Land nutzen und an ihnen partizipie- von Gipfeln mit Showeffekten vertan. ren können. (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Renate Herzlichen Dank. Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Führen wir es uns noch einmal vor Augen: Am 14. Juli 2006 wurde mit großem Medienauftrieb der Präsident Dr. Norbert Lammert: erste Integrationsgipfel abgehalten. Der Gipfel dauerte Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Laurischk drei Stunden, die Pressekonferenz dazu ungefähr eine für FDP-Fraktion. Stunde. Die Teilnehmer des Integrationsgipfels hatten eine durchschnittliche Redezeit von knappen zweiein- (Beifall bei der FDP) halb Minuten. Dieser erste Gipfel, auf dem Migranten kaum zu Wort kamen, dauerte gerade einmal doppelt so (B) (D) Sibylle Laurischk (FDP): lange wie die heutige Debatte. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über den Nationalen Integrationsplan haben wir in den vergange- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie waren nen Monaten schon so manches gehört, aber heute wird doch gar nicht dabei! Frau Pieper war doch da- zum ersten Mal im Deutschen Bundestag darüber disku- bei!) tiert. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die Ist ein Integrationsgipfel also nur eine Abnickveranstal- Bundesregierung sich des Themas annimmt. Wir sind tung der Regierungspolitik ohne Beteiligung des Parla- aber skeptisch, ob der Plan auch wirklich zu den Ergeb- ments, und dient er leider hauptsächlich der Selbstdar- nissen führen wird, die gewünscht sind und die Frau stellung von Regierungspolitik mit hübscher Kulisse? Böhmer gerade vorgetragen hat. Daran wird der Erfolg zu messen sein. Frau Böhmer, in Ihrer Einleitung zum Integrations- Zu den Problemen mit dem Thema Integration haben plan stellen Sie zwei Leitlinien und zehn Themenfelder wir alle selbst beigetragen – das sollten wir nicht verges- vor, unter denen Bildung und Spracherwerb besondere sen –; denn wir haben lange die Tatsache, ein Einwan- Bedeutung haben. Dies halten wir für gut und wichtig. derungsland zu sein, geleugnet und ignoriert. Lange Wir haben als FDP-Fraktion ja auch den Antrag zur herrschte die Fehlvorstellung, dass Ausländer wieder in deutschen Sprache als Schlüssel zur Integration vorge- ihre Heimat zurückgehen und Zuwanderer mit deutscher legt. Der Erfolg des Integrationsplans wird ganz ent- Staatsangehörigkeit ohnehin problemlos dazugehören. scheidend davon abhängen, dass wir es schaffen, alle Wir haben mangelhafte rechtliche Rahmenbedingungen jungen Menschen, schon die Kinder im Kindergarten, für Zuwanderung und Integration zu lange nicht wahrge- zum deutschen Spracherwerb hinzuführen. Dies gilt nommen. Außerdem besteht das Problem mangelnder nicht nur für Kinder mit Migrationshintergrund; es gilt Kommunikation zwischen der deutschen Gesellschaft immer mehr auch – dessen sollten wir uns bewusst sein – und den Zugewanderten. für deutsche Kinder. Die FDP-Fraktion hält es insofern für sehr wichtig, (Beifall bei der FDP) dass die Kommunikation mit den Akteuren, die den Inte- In den Details bleibt der Plan seltsam vage. Absichts- grationsplan aufgestellt haben, gesucht wird. Wir halten erklärungen sind aufgereiht; die Realisierung der The- es aber für schlecht, dass dies hinter verschlossenen Tü- menfelder steht in den Sternen. Ich habe es bereits ge- ren geschieht. sagt: Wir werden den Erfolg des Plans an den (Beifall bei der FDP) Ergebnissen messen. 12738 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Sibylle Laurischk (A) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- legen. Integration ist möglich, wenn wir integriert han- (C) NEN]: Was? Wie denn?) deln – im Deutschen Bundestag und mit allen Bürgern und Bürgerinnen in diesem Land. Angesichts der aktuellen Haushaltsdiskussion wird jedoch deutlich, dass Anspruch und Wirklichkeit weiter (Beifall bei der FDP) auseinanderklaffen. Das Familienministerium gibt bisher 66 Millionen Euro per annum für die „Integration junger Präsident Dr. Norbert Lammert: Zuwanderinnen und Zuwanderer“ aus. Dieser Titel Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper wurde um 58 Millionen Euro auf 8 Millionen Euro ge- für die SPD-Fraktion. kürzt. 44 Millionen Euro davon wurden in den Kinder- und Jugendplan in einen neuen Integrationstitel verscho- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Herr Körper, ben. Es bleibt eine reale Kürzung um 14 Millionen Euro schön die Regierung loben!) für die Integration junger Menschen im Haushaltsjahr 2008. Ich finde, hier wird ein falsches Zeichen gesetzt. Fritz Rudolf Körper (SPD): (Beifall bei der FDP) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ob der Kollege Koschyk Außerdem verkündet die Bundesregierung stolz, dass es geahnt hätte: Ich wollte in der Tat mit einem Lob be- im Finanzplanungszeitraum 750 Millionen Euro per an- ginnen num für Maßnahmen der Integration zur Verfügung ge- stellt würden. Das soll beeindrucken. Prüft man die Zah- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Na also! – len jedoch nach, stellt man fest, dass der Bund künftig Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Geht doch!) keinen Cent mehr – keinen Cent mehr! – für Integration und mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion insbe- ausgeben wird als bisher. sondere bei Staatsministerin Frau Maria Böhmer für die gute Zusammenarbeit im Rahmen der Integrationsfragen Meine Damen und Herren von der Koalition, solch eine Effekthascherei ist unaufrichtig und beschämend. bedanken – nicht nur, weil sie aus Rheinland-Pfalz kommt, sondern auch deswegen, weil sie eine wirklich Wenn Sie der Auffassung sind, dass die bisherigen Aus- gute Zusammenarbeit praktiziert hat. gaben des Bundes für Integration ausreichend sind, sa- gen Sie das und erwecken Sie nicht den Anschein, dass (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der Bund demnächst mehr tun würde. Daran anschließend möchte ich sagen: Die in diesem Frau Böhmer, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie Integrationsplan vorgesehenen Maßnahmen können nur die im Zuwanderungsrecht bestehende Einschränkung in dann gelingen, wenn wir auf allen politischen Ebenen (B) Bezug auf Sprachtests für zuwandernde heiratswillige – ob auf Bundes-, Länder- oder kommunaler Ebene – zu- (D) Frauen für richtig halten. Ich hätte mir gewünscht, dass sammenarbeiten und zu den vereinbarten Zielen stehen. Sie in dieser Debatte gerade nicht das Signal gegeben Angesichts der leeren Bundesratsbank zu meiner linken hätten – Sie haben es heute wiederholt –, dass in dieser Seite habe ich jedoch Bedenken, ob das Interesse auf der Frage ein unterschiedliches Maß angesetzt wird. Wir Länderseite so groß ist, wie es dem Thema angemessen halten diese Regelung für verfassungswidrig; das haben wäre. wir im Rahmen der Zuwanderungsdebatte deutlich ge- sagt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich möchte darauf hinweisen, dass heute auch ein Die Situation der in Deutschland lebenden Migrantin- Entschließungsantrag der Linken vorliegt, in dem, wie nen und Migranten geht eigentlich auf das Jahr 1955 zu- ich meine, richtigerweise die Einrichtung eines unabhän- gigen Gremiums aus Vertretern aller Fraktionen vorge- rück, in dem die ersten ausländischen Arbeitnehmer nach Deutschland gekommen sind. Im Jahre 1964 wurde schlagen wird, so wie wir für die Einrichtung einer der einmillionste Arbeitnehmer bzw. Gastarbeiter – es Enquete-Kommission zum Thema Integration wer- war ein Portugiese – begrüßt. Er bekam ein Begrüßungs- ben. Allerdings steht in diesem Entschließungsantrag geschenk, ein kleines Moped. auch die Forderung nach Einführung eines Mindest- lohns. Ein solcher ist für die FDP nun wirklich nicht ak- Das Erreichen dieser Zahl wurde allseits als Grund zeptabel. Mit einem Taschenspielertrick werden wir zum Feiern angesehen, bezeugte es doch die Stärke des nicht dazu bewogen, über die Einführung eines Mindest- sogenannten Wirtschaftswunders durch den damit ein- lohns zu diskutieren. hergehenden Bedarf an Arbeitskräften. Die Freude be- zog sich also durchaus auch auf uns selbst. Den Beteilig- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ten war damals nicht so sehr bewusst, was Max Frisch Die versuchen es halt auf allen Wegen!) auf den Punkt bringen sollte: Integration kann nur gelingen, wenn wir alle diese Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Men- Zielsetzung unbefangen annehmen und wechselweise schen. Wünsche und Erwartungen aussprechen und verstehen. Integration erreicht man nicht durch Unterrichtung von Es kamen Menschen – so muss man hinzufügen –, die oben nach unten, sondern nur dann, wenn wir nicht mehr sich selbst nicht bloß als Gastarbeiter betrachteten, son- ausgrenzen und abspalten. Integration geschieht, wenn dern als Menschen mit eigenen Bedürfnissen und einer wir uns selbst nahe sind und die Angst vor Fremden ab- eigenen Lebensplanung. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12739

Fritz Rudolf Körper (A) Beispielsweise gab es im Jahr 1969 zum ersten Mal Ich begrüße ausdrücklich, dass wir einen Integrations- (C) einen Bericht der Bundesanstalt für Arbeit, der Zahlen gipfel initiiert haben – die SPD-Bundestagsfraktion hat zur Lage ausländischer Arbeiter in der Bundesrepublik sich da aktiv eingebracht –, dessen Ergebnis wir jetzt in Deutschland enthielt. Form des nationalen Aktionsplans sehen. Meine Damen und Herren, der Begriff des „Gastar- Meine Damen und Herren, wir müssen uns da aber beiters“ war eine Abwandlung des älteren Begriffes des ein Stück in die Selbstverpflichtung nehmen, damit die „Saisonarbeiters“. Der gemeinsame Hintergrund beider gut gemeinten Maßnahmen dann nicht nur in diesem In- Begriffe ist die zeitliche Begrenzung des Arbeitsaufent- tegrationsplan aufgeschrieben werden. haltes, die wie selbstverständlich erwartet wurde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Josef Die zeitliche Begrenzung des Aufenthaltes in Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deutschland wurde im Übrigen nicht nur stillschwei- NEN]: Wir nehmen Sie beim Wort!) gend erwartet, nein, sie wurde vielmehr in den Anwerbe- Vielmehr müssen sie auch umgesetzt werden. Es ist rich- abkommen der ersten Zeit rechtlich verankert. Es war im tig, dass wir dies angehen. Grunde genommen ein sogenanntes Rotationsprinzip vorgesehen. Es kamen viele Gastarbeiter zwischen 1955 Ich wünsche mir, dass wir uns als Parlament an dem und 1973. notwendigen Kontrollprozess aktiv beteiligen können. Ich will mich insbesondere bei den Kollegen Bürsch und Auch in der DDR wurden solche Arbeitskräfte aus Veit bedanken, die sich hier aktiv eingebracht haben. dem Ausland angeworben. Man nannte sie „Vertragsar- Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass Sprache und beiter“. Sie kamen aus bestimmten Ländern, und ihr Sprachvermittlung eine ganz wichtige Brücke für das Aufenthalt war äußerst restriktiv geregelt. Ein Familien- Gelingen der Integration darstellen. Deswegen ist es nachzug beispielsweise war nicht möglich. richtig, darauf den Schwerpunkt zu setzen. Meine Damen und Herren, seit den 50er-Jahren sind Es wäre auch gut, wenn wir bei den Haushaltsbera- Millionen von Menschen mit unterschiedlichen Motiven tungen erreichen könnten, dass auf die 155 Millionen zu uns gekommen. Darum haben mittlerweile Euro noch etwas draufgepackt wird, um die Sprachkurse 15 Millionen Menschen in Deutschland einen sogenann- noch ein Stück effektiver zu machen. ten Migrationshintergrund. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Mit Blick auf diesen Teil unserer Bevölkerung gibt es Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ein paar Entwicklungen, die uns Sorge machen müssen. GRÜNEN) (B) Der Anteil derjenigen zwischen 25 und 35 Jahren, die (D) über keinen beruflichen Bildungsabschluss verfügen, Was ist darüber hinaus zu tun? Ein weiterer wichtiger liegt bei den Personen mit Migrationshintergrund bei Punkt ist das Thema Bildung. Wir brauchen nicht nur 41 Prozent. Das ist ein nicht hinnehmbarer Zustand. eine qualifizierte Zuwanderung, sondern auch eine Qua- lifizierung der bereits hier lebenden Migrantinnen und (Beifall bei der SPD – Hüseyin-Kenan Aydin Migranten. Daher ist es richtig und wichtig, auf die The- [DIE LINKE]: Und was tun Sie dagegen?) men Bildung und berufliche Ausbildung besonderes – Das sagen wir gleich. – Die Ausbildungsquote bei den Augenmerk zu legen. Damit komme ich zu den Ländern. jugendlichen Ausländern ist leider rückläufig. Auch das Die Länder sind für Bildung und berufliche Ausbildung ist nicht hinnehmbar. weitgehend zuständig. Man kann nur hoffen, dass sie diese Forderungen und Maßnahmen durch aktive Politik Eine pragmatische Lösung dieser Probleme, die es unterstützen. nicht erst seit kurzem gibt, ist leider dadurch ein Stück (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der verzögert worden, dass lange Zeit in einem bestimmten CDU/CSU) politischen Raum nicht anerkannt worden ist, dass Deutschland eigentlich ein Einwanderungsland ist. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich will noch auf wenige Punkte zu sprechen kommen, die nach mei- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sind wir auch nem Dafürhalten über diesen Nationalen Integrations- nicht!) plan hinausreichen und über die wir miteinander disku- Mit diesem Problem haben wir zu kämpfen. tieren müssen: (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Quatsch! – Erstens. Die Einbürgerung ist aus unserer Sicht nicht Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wieso der Abschluss der Integration, sondern eine wichtige Vo- Quatsch?) raussetzung für ihr Gelingen. Erst die Einbürgerung macht die volle gesellschaftliche und politische Teilhabe Die politische Debatte – lieber Herr Grindel, ich bin möglich. Deshalb sollten wir die Einbürgerungsbedin- dieser Auffassung – wurde nach meinem Dafürhalten gungen überprüfen und in der Praxis zu Erleichterungen lange Zeit mit unnötigem ideologischen Ballast befrach- kommen. tet, der uns nicht weitergebracht hat. Ich finde, dass wir hier glücklicherweise auf einem besseren Weg sind. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und der FDP) NEN]) 12740 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Fritz Rudolf Körper (A) Zweitens. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die lange Für die Linke steht der Mensch als Maß aller Dinge (C) in Deutschland leben, sollten aus den gleichen Gründen im Vordergrund und nicht seine Nützlichkeit im wirt- das kommunale Wahlrecht erhalten. schaftlichen Sinne. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der des Abg. Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ SPD: Für uns auch!) DIE GRÜNEN]) Deshalb sieht für uns eine wirkungsvolle Integrationspo- Drittens. Wir müssen eine den Bedürfnissen des Ar- litik anders aus. Eine gute Integrationspolitik ist zugleich beitsmarktes und den Bedürfnissen unserer Gesellschaft eine gerechte Sozialpolitik für alle in diesem Land le- angepasste, also eine herausforderungsgerechte Zuwan- benden Menschen. derungspolitik entwerfen. (Beifall bei der LINKEN) Viertens sollten wir uns noch einmal – ich weiß, dass Mehr und bessere Sprach- und Integrationskurse sind der eine oder andere darin ein Steckenpferd von Rüdiger sehr wohl wichtige Schritte. Sie allein werden die Mi- Veit oder mir sieht – dem § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsge- granten aber nicht vor den Hartz-Gesetzen, Arbeitsver- setzes zuwenden und ihn so ausgestalten, dass das Kin- boten und sozialen Benachteiligungen im Bildungssys- deswohl bei der Entscheidung über eine Aufenthaltser- tem schützen. laubnis stärker in den Vordergrund gerückt wird. Auch das ist eine Maßnahme, die wir angehen wollen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Diese Benachteiligungen und Diskriminierungen sind nicht die Folge unzureichender Integration der Betroffe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nen. Das Gegenteil ist der Fall: Die Benachteiligungen der CDU/CSU) und Diskriminierungen sind es, die den Betroffenen ihre Integration tagtäglich erschweren. Präsident Dr. Norbert Lammert: Wie kann es sein, dass wir in Ihrer Analyse der Rah- Ich erteile nun das Wort der Kollegin Sevim Dağdelen menbedingungen für die Integrationspolitik kein Wort über für die Fraktion Die Linke. diese Diskriminierungen lesen? Wir finden kein Wort über Rassismus und Diskriminierungen in allen Bereichen der (Beifall bei der LINKEN) Gesellschaft wie Beruf, Schule, Politik und Privatleben, kein Wort über diskriminierende, ausgrenzende Gesetze Sevim Dağdelen (DIE LINKE): und Regelungen wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die (B) sogenannte Residenzpflicht, faktische Ausbildungs- und (D) Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Arbeitsverbote, kein Wort über den weitgehenden Aus- Herren! Eigentlich hätten der Nationale Integrationsplan schluss von der Teilnahme an Wahlen und der damit ver- und die zwei Integrationsgipfel zu einschneidenden Ereig- weigerten politischen Teilhabe in einem zentralen nissen in der Geschichte bundesdeutscher Migrations- Demokratiebereich, kein Wort über die erschwerten Ein- und Integrationspolitik werden können; denn zum ersten bürgerungsregelungen, die Migranten sehr lange im Zu- Mal setzte sich die Politik auf höchster Ebene gemein- stand der grundlegenden Ungleichbehandlung und min- sam mit Vertretern von Migranten und Verbänden mit derer Rechte belassen, und kein Wort über ein sozial Fragen der Migration und Integration auseinander. Sie höchst selektives und Ungleichheiten verfestigendes waren wichtige, nötige und seit langem überfällige Ini- dreigliedriges Schulsystem. tiativen von hohem Symbolwert. Bei Ihnen ergibt sich der Eindruck, als wurzele die Die Anerkennung von Migrantenorganisationen als unzureichende Integration im Unvermögen und im Un- Gesprächspartner auf höchster Ebene sollte dies verdeut- willen der zu Integrierenden. Sie reduzieren das Problem lichen. Viele erhofften sich davon einen politischen und weitgehend auf mangelnde Deutschkenntnisse von Mi- gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Doch nun ist granten, denen eine Bringschuld unterstellt wird. Die die Enttäuschung groß. Der Nationale Integrationsplan Mehrheitsgesellschaft habe lediglich die Aufgabe, sie kann keinen nennenswerten Beitrag dazu leisten, die Mi- dabei zu fördern und zu fordern. Doch während beim For- grations- und Integrationspolitik zu modernisieren, er ist dern im Rahmen der Novellierung des Zuwanderungs- nicht geeignet, die Voraussetzungen für eine gleichbe- gesetzes knallharte gesetzliche Fakten geschaffen wurden, rechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teil- bleibt es beim Fördern im Nationalen Integrationsplan bei habe aller in unserem Land lebenden Menschen zu Handlungsempfehlungen und Absichtserklärungen. Wis- schaffen. sen Sie, das erinnert mich irgendwie an Hartz IV und die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Sozialpolitik der letzten Jahre. Beim Fordern – Zwang und Ausbeutung – war die Politik sehr effizient und er- Das liegt schlicht daran, dass Symbole allein nichts folgreich, beim Fördern blieb es bei wohlfeilen Erklä- nützen. Die im Plan enthaltenen unverbindlichen rungen. Absichtserklärungen sind ungeeignet, die vielen Be- (Beifall bei der LINKEN) nachteiligungen und Diskriminierungen in der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik abzuschaffen, unter Über aufenthaltsrechtliche Aspekte durfte auf dem denen Migranten besonders leiden. Gipfel überhaupt nicht diskutiert werden. Dafür gab es in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12741

Sevim DaðdelenDağdelen (A) den Arbeitsgruppen überhaupt kein Mandat. Von Anfang Veränderungen bedarf es auch bei der Ausbildung. (C) an war klar: Während die Bundesregierung mit den Orga- Statt ausländische Unternehmer, wie Frau Böhmer das nisationen und Verbänden in Arbeitsgruppen symbolhaft dargestellt hat, immer wieder aufzurufen, jugendliche über Integration debattierte, stellte sie im Bundestag mit Migranten auszubilden, fordert Die Linke, alle Unter- den massiven Verschärfungen im Aufenthaltsgesetz die nehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Diens- ganz unsymbolischen Weichen für die zukünftige hässli- tes in die Verantwortung zu nehmen und eine gesetzliche che und harte Integrationspolitik, für das, was auch Sie, Ausbildungsplatzumlage einzuführen, um allen Jugend- Frau Böhmer, unter den neuen Paradigmenwechseln ver- lichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen. stehen: Sanktionen statt Angebote, Ausweitung von Ab- schiebungen statt Aufenthaltsverfestigung und Eingriffe Darüber hinaus fordern wir, ausländische Abschlüsse in Grundrechte statt Ausbau von Rechten. von Migranten leichter anzuerkennen. Denn sonst rau- ben wir diesen Menschen ihre biografischen Leistungen. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider alles wahr!) Ganz besonders fordern wir die Einführung eines ge- setzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Mini- Ich sagte vor ein paar Minuten, dass Symbole keine jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsver- notwendigen Schritte ersetzen. Besonders schlimm ist es hältnisse, weil gerade Migranten überdurchschnittlich aber, wenn das Symbolhafte die wirklichen Absichten stark im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden. nicht nur zu ersetzen versucht, sondern auch versucht, von ihnen abzulenken. Das Gesetzgebungsprojekt der Meine Damen und Herren, wenn Sie die Integration Bundesregierung steht nicht versehentlich in einem kras- von Menschen wollen, dann müssen Sie dafür die Rah- sen Widerspruch zu den Absichtserklärungen im Vorfeld menbedingungen schaffen. Nur so erreichen wir die des Gipfels und zum Plan selbst. Was bleibt, ist die Er- dringend erforderliche Förderung und Stärkung der be- kenntnis, dass es nie um tatsächliche Mitbestimmung und reits laufenden und bestehenden eigenständigen Integra- Teilhabe ging. Migranten und deren Organisationen soll- tionsdynamik. Sie würden bemerken, dass sich alle ver- ten sich als Feigenblatt für eine in Wahrheit integrations- meintlichen Probleme fast von selbst erledigten. feindliche Politik hergeben. Die Bundesregierung hat ge- Am deutlichsten macht sich dies bei der Sprache be- nau jene Themen ausgeklammert, die für die Migranten merkbar. Wenn ich heute von dieser Stelle und an diesem wichtig waren. Wie sonst erklären Sie sich, dass zahlrei- Ort zu Ihnen spreche, dann doch nicht deswegen, weil che Verbände den Gipfel boykottiert haben? man mich in Sprachkurse gesteckt hätte. Sprache ist (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die bereuen Herzenssache. das schon! Die arbeiten schon wieder zusam- (B) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) men!) Ich selbst und jede Frau und jeder Mann werden so Das war in letzter Konsequenz sehr verständlich. sprechen, wie es ihnen das jeweilige Lebensumfeld er- möglicht. Symbole ersetzen nicht die Tat. Symbole werden missbraucht, wenn sie von Taten ablenken sollen, die zu erklärten Zielen in Widerspruch stehen. Wer von dem Ziel Präsident Dr. Norbert Lammert: der Integration redet, darf über rechtliche und soziale Frau Kollegin, Sie denken bitte an Ihre Redezeit. Gleichstellung nicht schweigen. Lassen Sie mich kurz auflisten, worüber Sie lieber geschwiegen haben: Mi- granten werden seit Jahrzehnten demokratische Rechte Sevim Dağdelen (DIE LINKE): der Mitbestimmung vorenthalten. Es wird verhindert, Ich komme zum Schluss. dass sie sich an der Bildung eines demokratischen Mehr- Sprache ist nicht die erste Voraussetzung für Integra- heitswillens beteiligen und mit gestalten können. Die tion, sondern vor allem ihre tägliche Folge. Linke will diese Integrationshemmnisse beseitigen. Deshalb fordern wir die erleichterte Einbürgerung. Aber Abschließend eine kurze persönliche Bemerkung. Als auch für Menschen, die keinen deutschen Pass haben, meine Eltern vor 35 Jahren in Deutschland ihr Zuhause müssen Grund-, Bürger- und Menschenrechte gelten. fanden, war es nicht der Zwang, der Druck, der uns zum Teil der hiesigen Gesellschaft machte. Vielmehr hat man (Beifall bei der LINKEN) gegen Schwierigkeiten und Hindernisse gekämpft, um Die Linke will, dass politische Rechte dort gewähr- diese zu überwinden. leistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen Sorgen Sie sich um die Teilhabe und die soziale Ge- ist. Deshalb muss mindestens das kommunale Wahlrecht rechtigkeit für Migranten, für deutsche Staatsbürger, für für Nicht-EU-Bürger eingeführt werden. Die Linke for- Arbeitnehmer, für Frauen und für Kinder, also für alle dert strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungs- Menschen in diesem Land! Und Sie werden erleben, und Bildungssystem, um die Lern- und Bildungschancen dass eine gerechte Gesellschaft ohne Ausgrenzungen, von Migranten zu verbessern; das heißt, statt des drei- ohne Gräben zwischen den Menschen auskommt. gliedrigen Schulsystems die Einführung eines flächen- und bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots. Danke sehr. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) 12742 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Renate Künast ist die nächste Rednerin für die Frak- Zweitens. Nun wird über eine Charta der Vielfalt und tion Bündnis 90/Die Grünen. Ähnliches geredet. Sie können viele Chartas verfassen, aber es reicht nicht, am Ende nur blumige Absichtserklä- Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): rungen zu machen. Das sieht geradezu putzig aus. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Böhmer, ich weiß nicht, ob es Ihrerseits Chuzpe Ich glaube, dass der CDU-Integrationsminister aus oder Naivität war, die Sie uns hier vorgeführt haben, als NRW vollkommen recht hat. Ich möchte ihn zitieren, weil Sie den Nationalen Integrationsplan vorgestellt haben. man es treffender nicht sagen kann. Er hat gesagt: All Sie haben darüber geredet, dass der 14. Juli des letzten diese blumigen Absichtserklärungen und Selbstverpflich- Jahres ein historisches Datum gewesen sei, weil an die- tungen entziehen sich jeder Evaluierung und unterliegen sem Tage der Integrationsgipfel stattgefunden und man keiner effektiven parlamentarischen Kontrolle. – Meine sich große Dinge vorgenommen habe. Sie haben in einem Damen und Herren, Programme, von denen man weiß, Punkt recht: Es war gut, dass man hochrangig angefan- dass man ihren Erfolg nicht kontrollieren kann, kann gen hat. Es war gut, dass sich Vertreter der Ebenen Bund, auch ich schreiben. Sie bringen aber nichts. Länder und Kommunen, des öffentlichen Lebens und der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NGOs zusammengesetzt haben. Sie haben an einer Stelle allerdings nicht recht: Dies ist kein historisches Datum. Drittens. Der Integrationsgipfel hat einen zentralen Denn dabei – das sage ich Ihnen klipp und klar – ist we- Fehler – darauf haben auch andere schon hingewiesen –: nig bzw. fast gar nichts herausgekommen. Für die Konservativen endet Integration immer dann, wenn es darum geht, den Migrantinnen und Migranten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rechte zu geben; Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ Frau Böhmer, nicht mehr als Absichtserklärungen ist DIE GRÜNEN]: Ja! Das ist wohl wahr!) dabei herausgekommen. Schauen wir es uns einmal an! das hat meine Vorrednerin bereits angesprochen. In Ih- Man hat in großem Stile angefangen, und es gab viele rem gesamten Integrationsplan wird der Zusammenhang Teilnehmer, aber als Erstes wurden die Mitglieder des zwischen Integration und Rechtssicherheit für die Be- Deutschen Bundestages aus den Arbeitsgruppen ausge- troffenen überhaupt nicht erwähnt. Dieser Zusammen- laden. hang ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett „ausge- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Stimmt doch bürgert“. gar nicht!) (B) (Beifall des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE (D) – Doch, das stimmt schon, meine Damen und Herren! LINKE]) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Wo steht denn etwas zum Einbürgerungsrecht? Wo GRÜNEN], zur CDU/CSU gewandt: Ihr durf- steht denn etwas zur Erweiterung der Teilhaberechte? tet weitermachen, aber wir nicht!) Wir kämpfen seit sehr vielen Jahren für die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Migranten. Sie wollen, – Ja, vielleicht durften Sie weitermachen, aber andere dass sich die Menschen integrieren und ihren Lebensmit- wurden ausgeladen, Herr Grindel. telpunkt hierher verlagern. Ich frage Sie: Warum erhal- (Zuruf des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ ten diese Menschen nicht einmal das Wahlrecht auf CSU]) kommunaler Ebene, um dort teilhaben und mit organi- sieren zu können? – Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe es im O-Ton im Ohr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hier wird auf hohem Ross geritten, und am Ende sowie bei Abgeordneten der LINKEN) kommt – jetzt muss ich einmal vier Punkte nennen – we- nig heraus. Integration auf kommunaler Ebene heißt: mit die Ver- antwortung für das Geldausgeben zu haben. Dabei geht Erstens kommen 134 Selbstverpflichtungen der es auch um die Fragen: Wie spricht man die Menschen, Bundesregierung heraus, bei denen es allein um die auch die in den Problemstadtteilen, an? Wie schafft man Fortführung von Maßnahmen der Vorgängerregierung dort Frieden, und wie sorgt man für ein Miteinander? geht. Mit denen schmücken Sie sich allerdings hier. Es Wie engagiert man sich für mehr Bildung? Wie schafft ist also bedeutend weniger. man es, die Communities dazu zu bewegen, miteinander zu reden, zu feiern und gemeinsam Deutsch zu lernen? Vor Es ist ein klarer Fall von Selbstbeweihräucherung: Es den Antworten auf diese Fragen haben Sie sich komplett sind lauter Kurse, die Sie früher bekämpft haben. Bei- gedrückt. Der Wille und die Fähigkeit zur Integration spielhaft nenne ich den Integrationskurs, das Programm sind ohne sicheres Aufenthaltsrecht und ohne rechtliche „Soziale Stadt“, Ganztagsschulprogramme, EQUAL, Teilhabe aber nicht zu erwarten. Xenos und KAUSA. Meine Herren von der CDU, all diese Programme laufen und hätten von den CDU-Län- Am Beispiel der Rütli-Schule wurde es ja deutlich. dern von Anfang an viel besser gefördert werden kön- Die jungen Männer sagen: Ich? Schulabschluss? Wozu nen. Dann hätten Sie sie heute nicht noch einmal als neu denn? Ich kriege doch nachher sowieso keine Lehrstel- verkaufen müssen. le. – Denn ganze Familienkohorten müssen sich von kur- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12743

Renate Künast (A) zer Duldung zu kurzer Duldung hangeln. Frau Böhmer, (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach was!) (C) vor diesen Problemen haben Sie sich bei der Erarbeitung Ihres Nationalen Integrationsplans gedrückt. Deshalb ist Sie haben die Einführung des humanitären Aufenthalts- er nicht als historisch zu bezeichnen. rechts für ausländische Ehegattinnen abgelehnt, Sie haben beim Zuwanderungsgesetz bis zum Schluss gegen die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe ge- bei der LINKEN – Hartmut Koschyk [CDU/ kämpft, und jetzt setzen Sie beim Thema Zwangsehen CSU]: Sie haben aber lange gebraucht, um das die frauenfeindliche Linie fort. zu begründen! – Gegenruf der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN]: Manchmal brauchen Sie aber auch ganz sowie bei Abgeordneten der LINKEN) schön lange!) Obwohl alle Experten – von Terre des Femmes bis – Auch Sie werden das irgendwann verstehen; so lange PAPATYA – darauf aufmerksam machen, dass die begründen wir das, Frauen ein eigenes Aufenthaltsrecht brauchen, ducken Sie sich weg. Ich kann Ihnen, Frau Böhmer, nicht erspa- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ach so!) ren, darauf hinzuweisen: Wenn Sie das Aufenthaltsrecht anders organisiert hätten, dann wäre Sazan Bajez-Abdullah meine Herren von der CDU. im Oktober 2005 in München nicht ermordet worden. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bei uns gibt Sie hatte nämlich kein eigenständiges humanitäres Auf- es auch Damen!) enthaltsrecht. Sie hatte in einem bestimmten Bezirk eine Residenzpflicht. Sie konnte sich nicht im Münchener – Es ist gut, dass Sie diesen Zuruf gemacht haben. Ich Frauenhaus aufhalten, weil es die „falsche“ Adresse wollte mich aber ganz besonders auf die Herren von der hatte. Diesen Umstand hat ihr geschiedener Ehemann zu CDU fokussieren. einem sogenannten Ehrenmord genutzt. Meine Damen (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Bitte auch und Herren, würde man endlich ein Aufenthaltsrecht für auf die CSU!) diese Frauen schaffen, würde sich zeigen, dass man Inte- gration will. – Auch auf die CSU? Dann wird es ja noch doller. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Viertens. Frau Böhmer, ich finde, wenn Sie schon die und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Vergangenheit ansprechen, wäre ein wenig Demut ange- der FDP) bracht gewesen. Man darf nicht nur von den Migrantinnen und Migranten mehr Engagement verlangen; vielmehr Frau Böhmer, wenn ich Ihre Leistungen mit denen all (B) muss auch die aufnehmende Gesellschaft ein kritisches Ihrer Vorgängerinnen – damals wurden sie noch „Aus- (D) Wort über sich selbst sagen. länderbeauftragte“ genannt – vergleiche, muss ich sagen: Sie sind die schlechteste Integrationsbeauftragte, die die (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Selbstver- Bundesrepublik je hatte. ständlich! – Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann die Union nicht!) (Widerspruch bei der CDU/CSU) Es waren nämlich die Ministerpräsidenten von der CDU, Ich würde mir von Ihnen wünschen, dass Sie für die die viele Jahre lang dagegen gekämpft haben, dass die Frauen kämpfen und sich für die Perspektive einer Ein- Kosten der Sprachkurse übernommen werden. bürgerung einsetzen. Dann müssen Sie auch von der auf- nehmenden Gesellschaft etwas fordern, dann müssen Sie (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Das ist doch rechtlich normieren – Bildung, Sprache, Arbeit, Einbür- absurd!) gerung, kommunales Wahlrecht und Teilhabe – und den Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass mir Vertre- Islam europäisieren. Nichts davon haben Sie getan. ter der CDU in Kreuzberg vor 20 Jahren gesagt haben: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Was? Das sollen wir noch bezahlen? Kommt gar nicht in wie des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE LINKE]) die Tüte! – Lassen wir das Thema Sprachkurse jetzt aber beiseite. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte noch auf die Situation der Frauen eingehen. Das Wort hat nun der Kollege Hartmut Koschyk für die CDU/CSU-Fraktion. Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie müssen sich aber ein bisschen beeilen. Hartmut Koschyk (CDU/CSU): (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie hat doch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! so lange für ihre Begründung gebraucht!) Frau Künast, aus Ihren Worten hat man ganz klar erken- nen können: Sie können es nicht verwinden, dass unter Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dieser Bundesregierung das Thema Integration Ja. Ich beeile mich, Herr Präsident. – Die CDU hat an (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Stelle immer gegen die Interessen der Migrantinnen NEN]: Da ist nichts!) gekämpft, wenn es um ihre körperliche Unversehrtheit ging; so klar muss man das sagen. endlich dort angekommen ist, wo es hingehört, 12744 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Hartmut Koschyk (A) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Integration muss sich schon die kommunale Ebene be- (C) NEN]: An den Stammtisch!?) schäftigen, und das muss über die Länder und den Bund bis auf die europäische Ebene gehen. nämlich ins Bundeskanzleramt, (Beifall bei der CDU/CSU) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo ist denn die Bundeskanzlerin?) Heute sagt jeder in Deutschland: Sprache ist der Schlüssel zur Integration, und wer auf Dauer in Deutsch- mit einer Staatsministerin für Migration und Integration, land leben will, muss Deutsch sprechen. Frau Künast, also ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik. das ist ein Satz, der vor zehn Jahren in Deutschland Gerade Sie, die Grünen, haben bei diesem Thema in keine Selbstverständlichkeit war. Heute ist er es. Dass er sieben Jahren Rot-Grün immer nur den Mund gespitzt – das ist, ist auch dem beharrlichen Bemühen unserer wir pfeifen jetzt. Was die Integrationsbeauftragten der Fraktion zu verdanken. grünen Partei in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung (Lachen der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/ an Vorschlägen unterbreitet haben, hat bei der Integra- DIE GRÜNEN]) tion in unser Land nicht weitergeführt. Ich verweise nur auf den Vorschlag von Frau Beck, den Islam in Deutsch- Liebe Frau Künast, an Ihren Worten hat man eines land kirchenrechtlich anzuerkennen. Das sind Vor- deutlich gemerkt: Sie müssen böse sein und ein Stück schläge, die nicht weitergeführt haben. weit dagegen ankämpfen, weil die Mehrheit der Deut- schen heute begriffen hat, dass das, was Sie lange Zeit Wir packen das Thema an. Die CDU/CSU-Fraktion unter Integration verstanden haben – wovon die Grünen ist der Bundeskanzlerin dankbar, dass sie durch zwei In- in ihrem letzten Integrationspapier dankenswerterweise tegrationsgipfel dieses Thema zu einem Topthema der Abstand genommen haben –, deutschen Politik gemacht hat. Unsere Staatsministerin Maria Böhmer leistet hervorragende Arbeit (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was?) (Beifall bei der CDU/CSU) nämlich Multikultiseligkeiten, ausgeträumt ist und ein und sorgt dafür, dass bei diesem Thema nicht nur gere- solcher Weg nicht weiterführt. det, sondern gehandelt wird. (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast Ich rate Ihnen, Frau Künast: Kommen Sie aus der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus welchem Schmollecke heraus! Beteiligen Sie sich an der Diskus- Papier wollen Sie das vorgelesen haben? Ich sion über dieses Thema und verzichten Sie auf überflüs- kann auch aus Ihren Papieren etwas vorlesen!) (B) sige Polemik! Die ist diesem Thema nicht angemessen. (D) Ich will Ihnen etwas zum Thema Frauen sagen. Stel- (Beifall bei der CDU/CSU) len Sie sich doch an unsere Seite! Wir wollen, dass Es war die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die den Schluss ist mit der Gleichgültigkeit bei Verstößen gegen Nationalen Integrationsgipfel und den Nationalen Inte- die Gleichberechtigung. Das gilt im Kleinen – wenn grationsplan vorgeschlagen hat. Wir freuen uns, dass Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen dürfen –, diese Anregung so schnell und erfolgreich aufgegriffen und das gilt im Großen: Wir wollen mit allen, auch mit wurde. Frau Staatsministerin Böhmer hat davon gespro- rechtlichen Mitteln die Zwangsverheiratung bekämpfen. chen, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat: Wir wären dankbar, wenn auch die Grünen bereit wären, einen Beitrag zu einer Initiative für eine wirkliche (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wel- rechtsstaatliche Bekämpfung von Zwangsverheiratung cher denn?) und gegen arrangierte Ehen zu leisten. Da spitzen Sie Es wird nicht über die, sondern es wird mit den Migran- immer nur den Mund, während wir pfeifen. ten gesprochen. Es ist unsere Überzeugung: Zuwande- (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast rung muss gewollt sein – von der Aufnahmegesellschaft, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir! aber auch von den Zuwanderern selbst. Bund, Länder Haben wir!) und Gemeinden – das ist das Historische, auf das Frau Böhmer hingewiesen hat – haben erstmals in der Ge- Natürlich ist Integration auch ein Thema, das ein wei- schichte unseres Landes circa 400 Selbstverpflichtungen tes Feld für bürgerschaftliches Engagement bietet. Ge- übernommen. Dass Integration keine Aufgabe ist, die rade mit dem Sport verbinden sich große Chancen für nur den Bund etwas angeht, und keine Aufgabe, die nur mehr Integration der Menschen in Deutschland. Das gilt die Länder etwas angeht, sondern auch eine kommunale für den Spitzensport; das gilt aber auch für den Breiten- Aufgabe, zeigt das Beispiel der bayerischen Großstadt sport. Wir freuen uns, wenn Gerald Asamoah und David Augsburg. Odonkor erfolgreich in unserer Nationalmannschaft stür- men, aber ich sage auch sehr bewusst: Kein Platz in ei- (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Hat einen guten ner deutschen Auswahlmannschaft sollte für einen Na- Oberbürgermeister!) tionalspieler sein, der nicht spielen will, wenn ein Spiel in Israel ansteht. Das nicht hinzunehmen, ist auch ein So hat mein Kollege Ruck zu Recht darauf hingewiesen, Beitrag zur Integration in Deutschland. dass 2007 in dieser bayerischen Großstadt erstmals mehr Kinder mit Migrationshintergrund eingeschult worden (Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz [Span- sind als einheimische Kinder. Das zeigt: Mit dem Thema dau] [SPD]: Das ist ein bisschen billig!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12745

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht sogar größere Probleme als wir in Deutschland ha- (C) Herr Kollege Koschyk, möchten Sie eine Zwischen- ben. Deshalb sage ich: Wir als Parlament werden dafür frage zulassen? – Nein. sorgen, dass die Verpflichtungen, die der Bund gemäß dem Nationalen Integrationsplan übernommen hat, auch Hartmut Koschyk (CDU/CSU): umgesetzt werden. Klare Werte und klare Worte im Dialog – das ist der Ich möchte dem Kollegen Grindel herzlich dafür dan- richtige Weg zur Integration. ken, dass er ein ganz wichtiges Thema für unsere Frak- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tion betreut, nämlich das Thema Integrationskurse. Ich Da ist ja selbst der DFB weiter als Sie!) meine, Integration ist dann gelungen, wenn sich die Men- schen in Deutschland heimisch fühlen. Das darf nicht die Ich sage für unsere Fraktion sehr deutlich: Es ist gut Aufgabe der eigenen Wurzeln bedeuten. Dies wäre Assi- und richtig, dass diese Bundesregierung mit Wolfgang milation. Das muss aber die Bereitschaft bedeuten, un- Schäuble – neben dem Integrationsplan und dem Inte- sere Sprache zu sprechen, unsere Verfassungs- und grationsgipfel – auch eine Islamkonferenz einberufen Rechtsordnung auch innerlich anzunehmen, sie gegen hat; Bedrohungen zu verteidigen und sich für die gewachse- nen Traditionen unseres Landes innerlich zu öffnen, so (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE wie sich auch Deutschland immer für die mitgebrachten GRÜNEN]: Gleichstellung bei der Islamkon- Traditionen von Zuwanderern geöffnet hat und weiter ferenz!) öffnen wird. denn Verständnis kann nur wachsen, wenn im Dialog der Religionen in Deutschland auch kritische Fragen gestellt Herzlichen Dank. werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir danken den Kirchen, dass sie diesen schwierigen Weg mutig und entschlossen gehen. Durch die Handrei- Präsident Dr. Norbert Lammert: chung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ des Rats der Hartfrid Wolff ist der nächste Redner für die FDP- Evangelischen Kirche in Deutschland werden wichtige Fraktion. Anstöße für einen aufrichtigen und zielführenden Dialog (Beifall bei der FDP) zwischen Muslimen und Christen gegeben. Die Regens- burger Rede von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis von Religion und Gewalt war ebenso bemerkenswert Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): wie die Reaktion von 30 führenden muslimischen Geist- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutsch- (B) (D) lichen aus aller Welt. land hätte schon früher der Frage einer offensiven Inte- grationspolitik mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Ein ganz wichtiges Feld der Integration ist das Er- werbsleben; denn es ist keine Frage: Wer Teilhabe an (Rüdiger Veit [SPD]: Stimmt! Zur Zeit von beruflicher Bildung und Ausbildung sowie an berufli- und der FDP-Regierungsbeteili- chen Chancen hat, dem fällt Integration leichter. Wir gung!) wollen durch die gezielte Integration gerade auch im Er- Frau Künast, auch das müssen Sie sich vorhalten lassen. werbsleben dafür sorgen, dass diejenigen, die in unser Aber es ist gut, dass es nun begonnen wurde. Es ist drin- Land kommen, unabhängig von staatlicher Unterstüt- gend überfällig, dass sich die Gesellschaft über die zung werden. Deshalb ist es richtig, Zuwanderung in un- Grundlagen ihres Zusammenlebens Gedanken macht. sere Sozialsysteme durch gezielte Integration zu unter- Die Mehrheitsgesellschaft stellt an Zuwanderer be- binden. stimmte Anforderungen, und der Bundestag als Gesetz- Der Integration durch gleichberechtigte Beteiligung geber ist gut beraten, diese Erwartungen der Bürgerin- der Zuwanderer in den Betrieben, in den Sozialversiche- nen und Bürger auch angemessen zu berücksichtigen. rungen, in der Wirtschaft und in den Gewerkschaften ver- (Beifall bei der FDP) danken wir die meisten Erfolge hinsichtlich eines guten Zusammenlebens in Deutschland. Frau Staatsministerin Integration ist ein stetiger Dialog und kann nur bei Böhmer, ich bedanke mich, dass Sie auch mit Unterneh- klarer Definition der Perspektiven geführt werden. Ich merpersönlichkeiten mit Integrationshintergrund, mit halte es für nicht richtig, wenn bestimmte Kreise so tun, jungen Leuten, die Auswahlstipendien erhalten, und mit als wären die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger wichtigen Partnern im Ausland einen Dialog führen. Ich unseres Landes an Zuwanderer nur Stammtischge- will nur an eine von Ihnen organisierte Konferenz erin- schwätz oder Islamphobie. Fraglos gibt es solche Pro- nern, auf der die Bundeskanzlerin mit Bill Gates darüber bleme; aber jede kritische Anmerkung zum Integrations- gesprochen hat, was wir von Amerika lernen können. erfolg unserer Zuwanderer in solche Kategorien einzusortieren, berücksichtigt zu wenig die Beidseitig- Lieber Reinhard Grindel, wir waren ebenfalls auf die- keit der Integration. ser Konferenz. Für uns war es sehr interessant, dass Bill Gates deutlich gemacht hat, dass auch die USA, die sich Der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber als ein klassisches Einwanderungsland verstehen, im Be- hat dankenswerterweise solche Kritik artikuliert, als er reich der Zuwanderung von unqualifizierten und nicht an eine Debatte über Moscheebauten in Deutschland ange- Bildung teilhabenden Zuwanderern dieselben, wenn stoßen hat. Die Befürchtungen, die Huber äußerte, sollten 12746 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (A) nicht einfach als islamfeindlich abgetan werden, sondern wirtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiter (C) zum Nachdenken darüber anregen, wie die Akzeptanz ei- und Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, als nes verfassungstreuen Islam in Deutschland verbessert Nachbarn und Freunde. Dafür gebührt ihnen Anerken- werden kann. Der Anspruch auf öffentliche Religionsaus- nung und unsere Solidarität. Wir heißen sie willkom- übung in würdigen Moscheen ist berechtigt. Bauten aber, men. die als Machtanspruch empfunden werden können, sind Wenn wir die Leistung dieser Menschen richtig wür- dafür kaum nötig. Auch Forderungen an Moscheevereine digen, dann können Zuwanderer nicht immer nur als nach Öffnung, nach Kommunikation von Zielen und Ver- problembeladene Menschen angesehen werden, die sich anstaltungen in deutscher Sprache, nach Achtung der selbst nicht zu helfen wissen und staatlicher Fürsorge be- rechtlichen Vorschriften, nach in Deutschland ausgebil- dürfen, sondern dann müssen sie als freie und kluge deten Imamen oder nach Transparenz bei Willensbildung Köpfe anerkannt werden, die gerne bereit sind, sich in und Finanzierung sind keine Schikane, sondern berech- unsere Gesellschaft einzubringen. Hierfür sind klare Ori- tigter Anspruch einer Gesellschaft, die ein hohes Maß an entierungen und Erwartungen erforderlich. Integration Religionsfreiheit gewährt. heißt, diese Menschen mitzunehmen und teilhaben zu (Beifall bei der FDP) lassen. Integration heißt aber auch, dass diese Menschen bereit sind, sich mitnehmen zu lassen und Teil unserer Gerade das Beherrschen der deutschen Sprache ist Gesellschaft werden zu wollen. Auf die Umsetzung fundamentale Bedingung für die Akzeptanz und damit kommt es an. auch Integration von Zuwanderern. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Rüdiger (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) Veit [SPD]) Daran ändert keine Einbürgerung etwas, auch keine par- allelgesellschaftliche Infrastruktur, die vielleicht ein Präsident Dr. Norbert Lammert: Durchlavieren ohne Deutsch erleichtert. Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Dr. Michael (Sebastian Edathy [SPD]: Die können doch Bürsch für die SPD-Fraktion. nur eingebürgert werden, wenn sie die deut- sche Sprache erlernt haben!) Dr. Michael Bürsch (SPD): Vielen Dank. – Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen Wer die sprachlichen Anforderungen reduzieren möchte und Kollegen! Ich sage es vorweg: Durch den Nationalen oder sie gar zum Diskriminierungstatbestand erhebt, wie Integrationsplan ist Integration im Zentrum der Politik es die Linken gelegentlich tun, trägt lediglich dazu bei, angekommen. Sie hat damit eine politische und gesell- Zuwanderer langfristig und nachhaltig von Integration (B) schaftliche Dynamik erreicht, die Dank und Anerken- (D) und Partizipation in Deutschland fernzuhalten. Dadurch nung verdient. In diesem Zusammenhang nenne ich aus- arbeitet man obskuren Mittlern in die Hände, und es drücklich Frau Böhmer und die Bundesregierung; das kann Menschen in die Hinterzimmer der Abhängigkeit kann an diesem Tag, glaube ich, von allen Seiten des bringen. Hauses anerkannt werden. Meine Damen und Herren, die Investition in früh- Meine zweite Feststellung aber ist: Integration hat kindliche Bildung ist für unsere Gesellschaft zentral. nicht erst am 14. Juli 2006 angefangen – das kann durch Die Unionsparteien tun unserem Land insgesamt, den die Debatte, wie sie bisher geführt worden ist, vielleicht Familien und insbesondere der Integration von Zuwan- missverstanden worden sein –; derern keinen Dienst, wenn sie, wie unlängst in Baden- Württemberg, verpflichtende Sprachtests im Alter von (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE vier Jahren und die Förderung der frühkindlichen Bil- GRÜNEN]: Sehr richtig!) dung auf die lange Bank schieben wollen. vielmehr hat sie in den letzten 50 Jahren stattgefunden, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und zwar mit großem Erfolg. Ob die Politik das in den der SPD) letzten Jahrzehnten immer richtig erkannt hat, ist eine andere Frage. Integration hat aber stattgefunden. Über Wer Kindern so den Zugang zu integrierender Bildung 30 Millionen Menschen sind in unser Land gekommen verwehrt, handelt unverantwortlich gegenüber diesen – über 20 Millionen Menschen haben das Land verlas- Kindern und ihren Familien. sen –, Millionen Menschen sind von der Bürgergesell- (Sebastian Edathy [SPD]: In Baden-Württem- schaft integriert worden. Das hat keine großen Wellen berg regieren Sie doch mit!) geschlagen. Das haben die Medien und die Politik viel- leicht nicht richtig wahrgenommen, aber wir können an Aber auch die Elterneinbindung, der Zugang zum Ar- dieser Stelle feststellen: Jawohl, Deutschland hat sich als beitsmarkt und die Verbesserung der Schul- und Ausbil- Land der Integration erwiesen. Anders wäre es nicht dungsabschlüsse von Zuwandererkindern und -jugendli- möglich gewesen, die Gastarbeiterinnen und Gastarbei- chen müssen wichtige Bausteine der Integrationspolitik ter und viele andere Menschen wie die Russlanddeut- sein. Es gilt festzuhalten: Obwohl in Deutschland von schen bei uns willkommen zu heißen. Regierungsseite lange keine Anstrengungen zur Integra- tion unternommen wurden, haben sehr viele Zuwanderer (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef genau dies geschafft. Sie sind hier angekommen und ha- Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ben unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert: NEN]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12747

Dr. Michael Bürsch (A) Es verdient Dank und Anerkennung, dass das Thema schulabschluss, die schon bei uns sind. Dies ist aus mei- (C) Integration in der Politik angekommen ist. Dass ein Na- ner Sicht der soziale Sprengstoff in den nächsten 10, tionaler Integrationsplan vorliegt, kann ich nur begrü- 20 Jahren, wenn wir hier nichts tun. Absichtserklärun- ßen. gen reichen nicht. Wir müssen flexible und individuelle Antworten finden. Wir müssen diese 50 000 jungen Aus Sicht der SPD weise ich – um auch hier keine Menschen quasi an die Hand nehmen und ihnen mit al- Missverständnisse aufkommen zu lassen – darauf hin, lem, was uns zur Verfügung steht, eine Chance geben; dass es nie gelingen wird, allein vonseiten des Staates denn sonst haben sie keine Perspektive. Sie werden dann oder der Politik Integration zu fördern. Wer das glaubt, 50 oder 60 Jahre – mit Fug und Recht – in Deutschland unterliegt einem Irrtum. Es wird immer eine Art Gesell- leben und können keinen Beitrag leisten. Aber sie haben schaftsvertrag zwischen Politik, Wirtschaft und Gesell- wie jeder andere in Deutschland den Anspruch auf Un- schaft bzw. Zivilgesellschaft notwendig sein, damit Inte- terstützung. gration gelingt. Wir werden aufseiten der Politik bzw. des Staates die Verantwortung haben, Sprachkurse bzw. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kurse zur Förderung von Jugendlichen anzubieten. An Ich erwarte ein deutliches Zeichen, dass wir auch solche dieser Stelle beginnt die Integration oft erst. Wir müssen Menschen mit besonderen Problemen ernst nehmen. im Blick behalten, das zu unterstützen und zu fördern, was die Bürgergesellschaft auf diesem Gebiet leisten Ein weiteres Stichwort ist – das ist schon gefallen – kann. das kommunale Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger. Ich halte das für einen ausgesprochen wichtigen Schlüssel Lassen Sie mich – weil Politik auch von Anregungen zur Integration, weil es deutlich signalisiert: Jawohl, ihr und konstruktiver Kritik lebt – einige Punkte anspre- sollt beteiligt sein; ihr habt die Möglichkeit zur Teilhabe. chen. Wir haben jetzt einen Plan – das ist gut –, aber es – Wir fordern – das wäre aus meiner Sicht ein mutiger wird sich in einem Jahr zeigen, was aus diesen Absichts- Schritt – ein kommunales Wahlrecht nicht nur für EU- erklärungen geworden ist. Dass es 400 freiwillige Bürger. Das ist das richtige Signal an die Menschen, die Selbstverpflichtungen gegeben hat, klingt numerisch zu- zu uns kommen. Es macht deutlich: Ihr sollt nicht nur nächst einmal wunderbar. Entscheidend ist aber, was hier leben, sondern könnt auch mitwirken und mitbe- drinsteckt, und noch entscheidender ist, was dabei he- stimmen. rauskommt. (Beifall bei der SPD) In diesem Zusammenhang meine ich, Frau Böhmer – darin stimme ich mit Frau Laurischk überein –, dass Nun komme ich zum Stichwort „doppelte Staatsan- gehörigkeit“; ein schwieriges Thema, auf das Herr (B) spätestens jetzt das Parlament eingebunden werden (D) sollte. Spätestens an dieser Stelle sollten wir in objekti- Grindel wahrscheinlich gleich eingehen wird. Seit 1999 ver Form evaluieren und beurteilen, was bei den Selbst- befasse ich mich in meiner Fraktion mit dem Thema verpflichtungen herausgekommen ist. Es geht mir nicht „doppelte Staatsangehörigkeit“. Ich habe mit großer um Hochglanzbroschüren und Erklärungen der Betroffe- Freude vernommen, dass Herr Koschyk gesagt hat, Inte- nen nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“; ich gration dürfe nicht Aufgabe der eigenen Identität bedeu- will vielmehr wissen, was wirklich erreicht wurde. Die ten. Bundesregierung soll angeben, wie viele Auszubildende (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das habe ich mit Migrationshintergrund sie einstellt. Zurzeit ist der immer schon gesagt!) Anteil erschreckend niedrig; es sind 1,2 Prozent. In der Absichtserklärung werden 7 Prozent angestrebt. Die Das ist genau richtig. Zahl könnte noch etwas höher sein. Ich will aber in ei- (Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- nem Jahr wissen, ob diese 7 Prozent auch erreicht wor- NIS 90/DIE GRÜNEN]) den sind. Wir können nicht nur den Mund spitzen, son- dern müssen auch wirklich Ergebnisse liefern. Das ist Aber warum bitte schön ist dann die doppelte Staatsan- ein sehr wichtiger Punkt. gehörigkeit für Sie noch immer Teufelszeug? Das kann doch nicht sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Sie sind doch in der Regierung!) LINKEN) Neben dem Verfahren und der Notwendigkeit, sich in Die doppelte Staatsangehörigkeit bietet doch beste Mög- einem Jahr zur Evaluation zusammenzufinden, sind lichkeiten, die Identität zu wahren und Brücken zwi- noch einige weitere Stichworte anzusprechen. Was Aus- schen der alten und der neuen Heimat zu bauen. bildung und Beschäftigung angeht, haben wir den großen (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Block von 7 Millionen Ausländern oder 15 Millionen GRÜNEN]: Wir machen einen Gruppenantrag Menschen mit Migrationshintergrund im Blick. Lassen mit Herrn Koschyk!) Sie uns einmal genauer hinschauen – das entspricht viel- leicht der speziellen Sichtweise der SPD –: Es gibt Grup- Wir wollen dieses Thema voranbringen. Politik ist das pen, die es besonders schwer haben, zum Beispiel die Bohren dicker Bretter, und zwar mit Leidenschaft und etwa 50 000 benachteiligten Jugendlichen ohne Haupt- Augenmaß. 12748 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Michael Bürsch (A) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Es ist ein Irr- gar keine Staatsangehörigkeit haben. Wir haben bei die- (C) weg, wenn Sie glauben, dass die doppelte sem Besuch gesehen, wie wichtig die Frage der Staats- Staatsangehörigkeit integrationsfördernd ist!) bürgerschaft ist, um eine Gesellschaft zu entwickeln. Wir werden an diesem Thema dranbleiben. Die Welt Zusammenfassend: Der Integrationsplan ist ein hat sich in den letzten zwei Jahren auch innerhalb der Schritt in die richtige Richtung. Ich erwarte mir davon, Koalition verändert. Ich lebe vom Prinzip Hoffnung. nachdem die Absichtserklärungen nun in der Welt sind, Herr Koschyk, ich werde auf Ihre Ausführungen zurück- Ergebnisse und in einem Jahr eine hervorragende, objek- kommen und Sie sozusagen dingfest machen. Ich habe tive Evaluation, die bestätigen wird: Jawohl, wir können schon vor sieben Jahren in der Debatte über die doppelte Erfolge melden, vielleicht nicht an 400 Stellen, aber an Staatsangehörigkeit gesagt: Beatrix, Königin der Nieder- 200. lande, hat vier Staatsangehörigkeiten. Danke schön. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Dafür ist sie auch die Königin, Herr Bürsch! Sie könnten (Beifall bei der SPD) nicht Königin von Holland werden!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Aber niemand fürchtet den Untergang der Niederlande, weil sie vier Pässe hat. Herr Kollege Koschyk, die Bay- Nun erteile ich Kollegin Petra Pau, Fraktion ern haben zwei Staatsangehörigkeiten. Das sollten wir Die Linke, das Wort. also nicht so eng sehen. Seien Sie ein bisschen liberaler (Beifall bei der LINKEN) und toleranter und versuchen Sie, sich die Sichtweise des 21. Jahrhunderts anzueignen! Der sogenannte Dop- Petra Pau (DIE LINKE): pelpass ist kein Teufelszeug. Wir sind weltoffen und kosmopolitisch. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach meinen Erfahrungen gibt es sehr viele und sehr en- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gagierte Initiativen in den Ländern, in den Kommunen, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hartmut in den Kiezen. Ich war übrigens gestern beim Jüdischen Koschyk [CDU/CSU]: Das ist kein Teufels- Kulturverein hier in Berlin. Gegründet wurde er, um jü- zeug, aber es ist Unsinn! Das ist grober Un- disches Leben in Berlin zu beleben. Dann engagierte er fug!) sich für die Integration von Spätaussiedlern. Inzwischen – Darüber können wir gerne Tage und Nächte reden. Das ist er eine lebendige Heimstatt, die verschiedene Reli- ist kein grober Unfug, sondern der richtige Weg, um zu gionen und Kulturen im multikulturellen Berlin zusam- (B) zeigen, dass wir weltoffen sind und Menschen zu uns menführt. Ein Gedanke allerdings würde den Mitglie- (D) lassen. Ein ähnliches Signal setzen wir auch mit der von dern dieses Vereins und seiner Vorsitzenden Irene Runge mir propagierten Punktereglung. nie kommen, nämlich dass Integration eine Bringepflicht von Migrantinnen und Migranten sei, die gefälligst deut- Nun kommt ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. sche Benimmregeln zu lernen hätten. Wir brauchen – das wäre für mich die sinnvolle Fortset- zung des Integrationsplanes – ein mittel- bzw. langfristi- (Beifall bei der LINKEN) ges, nachhaltiges und stimmiges Zuwanderungskon- Ich sage nicht, dass der Integrationsgipfel das gefordert zept, das nicht nur ökonomische Gesichtspunkte hat oder dass das im Integrationsplan steht. Aber allzu berücksichtigt. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir oft wird die allgemeine politische Debatte genau in die- diese Debatte nur unter ökonomischen Gesichtspunkten sem Gestus geführt. führen und ausschließlich danach fragen, wer uns wirt- schaftlich nutzt und wo wir Arbeitsplätze, zum Beispiel Integration heißt gesellschaftliche Teilhabe, und das im IT-Bereich, mit Zuwanderern besetzen können. Das gleichberechtigt. Deshalb fordert die Linke unter ande- verkürzt die ganze Diskussion dramatisch. Dabei fällt rem ein kommunales Wahlrecht für Bürgerinnen und unter den Tisch, dass wir Zuwanderung in einer globali- Bürger, die hier leben, aber eben nicht den EU-Status ge- sierten Welt dringend benötigen. Sie ist die Vorausset- nießen. Es sind Millionen, und sie werden politisch aus- zung dafür, dass eine Gesellschaft lebendig bleibt und gegrenzt. Zum Thema Staatsbürgerschaft wurde schon nicht den Anschluss an internationale Entwicklungen etwas gesagt. Das muss ich hier nicht vertiefen. verliert. Es waren in der Moderne stets die Einwande- Integration erfordert tatsächliche Chancen. Alle Bil- rungsgesellschaften, die aufgrund neuer Ideen und neuer dungsstudien, nicht nur PISA, belegen: Das dreigliedrige Impulse von Zuwanderern für Innovationen gesorgt ha- Schulsystem grenzt aus. Auch deshalb beginnt man zum ben. Kulturelle Vielfalt ist in der heutigen Welt aus mei- Beispiel hier im Land Berlin, dieses System aufzubre- ner Sicht eine wichtige, vielleicht sogar die wichtigste chen und integrierte Gemeinschaftsschulen zu schaffen. Voraussetzung, und zwar auch für ökonomischen Wohl- Wir sollten bundesweit dafür werben. stand. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Vor kurzem habe ich mit dem Innenausschuss die bal- tischen Länder besucht. Ich habe bemerkt, wie schwierig Integration heißt auch: keine Diskriminierung in der es ist, in diesen Aufbruchländern über das Thema Staats- Arbeitswelt. Selbst Friedrich Wilhelm von Potsdam war bürgerschaft zu diskutieren. Es gibt in diesen Ländern mit seinem Toleranzedikt weiter als das bundesdeutsche noch Hunderttausende Nichtbürger, also Menschen, die Recht im Jahr 2007. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12749

Petra Pau (A) (Beifall bei der LINKEN) sind kulturelle und soziale Barrieren. Muslimische Mäd- (C) chen etwa würden gerne häufiger Sport treiben. Es gibt Er hatte gefördert und nicht borniert gefordert. Warum Eltern, nicht nur ausländischer Herkunft, die sich den folgen wir eigentlich nicht seinem Erfolgsrezept? Sport der Kinder nicht so recht leisten können. Diese Der Nationale Integrationsplan enthält eine Fülle von Probleme müssen wir angehen. Es muss möglich sein, Ideen, Vorschlägen und Selbstverpflichtungen. Ich er- dass alle Bürger Sportangebote wahrnehmen können. warte von der Bundesregierung, dass sie endlich ehrlich Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die auf Erfolg drängt und dazu spürbare eigene Beiträge Sportvereine sensibilisieren und Migranten in die Orga- leistet. Die fehlen bislang. Das nährt den Verdacht von nisation von Sport einbeziehen. Wir brauchen Teilhabe Alibiveranstaltungen. durch Sport, und deswegen müssen wir Teilhabe im Sport organisieren. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD) Ich danke jedem Sportverein, der seinen Beitrag leis- tet, jedem Kulturverein, jeder Kiezinitiative. Sie sind un- Der Sport übernimmt gesellschaftliche Aufgaben. Er verzichtbar. Aber solange die große Politik die großen macht das gerne und erfolgreich. Dabei dürfen wir aller- Fragen eher umsteuert und den Hebel nicht tatsächlich dings nie vergessen, dass der Sport vor allem von den umlegt, wird der Erfolg ausbleiben. Die großen Fragen vielen Ehrenamtlichen gestaltet wird. Deren Engage- heißen: mehr Demokratie, bessere Bildung, gleiche Be- ment ist von unschätzbarem Wert. Sie haben wirklich rufschancen, auch für Migrantinnen und Migranten. unseren Dank und unsere Anerkennung verdient. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Abschließend an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet: Bekommen wir all das nicht Die verbesserten Rahmenbedingungen für Ehrenamtli- überzeugend hin, dann nützt auch die erneute Forderung che – ich verweise auf die Initiative „Hilfen für Helfer“ – nach einem NPD-Verbotsverfahren nichts; denn die waren da ein handfester Fortschritt. NPD nährt ihre Gefolgschaft auch mit dem Nektar völki- Dem Ehrenamt sind aber gewisse Grenzen gesetzt. scher Diskriminierung von Migranten und Asylsuchen- Wir müssen die Leute auch vor einer Überbeanspru- den. Genau dort darf man keine Schützenhilfe geben. chung schützen. Manchmal kommt ein Jugendtrainer bei Kurzum und in Anlehnung an Goethes Faust: Der bestimmten Problemen oder Konflikten nicht mehr wei- Worte sind zwar nie genug gewechselt, aber lasst uns ter. Da ist Hilfe von außen nötig. Deshalb ist eine bes- nun endlich Taten sehen. sere Verzahnung von Sportförderung und anderen Pro- (B) grammen, etwa zur sozialen Stadtentwicklung, sinnvoll. (D) (Beifall bei der LINKEN) Wie erfolgreich Zusammenarbeit sein kann, zeigt bei- spielsweise der deutsch-türkische Treff hier in Berlin im Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Kreuzberger Wasserturm. Wir, die SPD-Fraktion, waren Das Wort hat nun Kollege Swen Schulz, SPD-Frak- neulich mit Franz Müntefering dort. Was wir da gesehen tion. haben, war wirklich sehr beeindruckend. Über den Sport kommen dort die Mitarbeiter mit den Jugendlichen in Swen Schulz (Spandau) (SPD): Kontakt. Sie helfen für die Schule, betreiben Sprachför- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! derung, bieten Berufsorientierung an oder haben einfach Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege einmal ein offenes Ohr für Probleme. Das ist ein starkes Bürsch hat es angesprochen: Integration ist erfolgreich Projekt. Davon brauchen wir mehr in Deutschland, und in Deutschland. Bei allen Problemen möchte ich das als das wollen wir unterstützen. Erstes betonen. Integration gelingt – jeden Tag, überall im Land. Besonders erkennbar ist das im Sport. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zu Recht ist dem Sport im Nationalen Integrations- Sport hat viel mit Bildung zu tun. Auch das ist im plan ein eigenes Kapitel gewidmet. Sport bringt Men- Nationalen Integrationsplan gewürdigt. Ich habe bereits schen zusammen, ist international, vermittelt Werte wie von der Wertevermittlung gesprochen; man kann auch Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Akzeptanz von „Herzensbildung“ sagen. Aber es geht auch um kluge Regeln. Beim Sport ist es egal, woher du kommst, wel- Köpfe; denn Sport fördert die geistige Leistungskraft. che Hautfarbe du hast oder an welchen Gott du glaubst. Das sollte übrigens auch manchem von uns hier im Saal Sport ist gelebte Integration, und darum wollen wir ihn zu denken geben. Der Landessportbund betreibt Kinder- weiter stärken. tagesstätten, in denen mit großem Erfolg Bewegung und Spracherwerb verbunden werden. Da sind weiterer Aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der bau und Unterstützung nötig. Darum sage ich jetzt in CDU/CSU) Richtung unseres geschätzten Koalitionspartners: Dort, wo wirklich mit größtem Engagement Bildungsarbeit Doch seine Integrationskraft entwickelt sich nicht geleistet wird, versteht kein Mensch, warum Betreu- quasi automatisch. Wir erleben – zum Glück sehr selten –, ungsgeld gefordert wird, anstatt mit aller Kraft den Kitas dass es bei Sportereignissen zu Gewalt und zu rassisti- zu helfen. schen Vorfällen kommt. Dem treten wir mit dem organi- sierten Sport gemeinsam entgegen. Ein weiteres Thema (Beifall bei der SPD) 12750 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Swen Schulz (Spandau) (A) Noch ein paar Worte zur Schule. Schüler, die mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Sportunterricht haben, werden in anderen Fächern bes- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ser; das haben Untersuchungen gezeigt. Darum ist die Ausweitung des Sportunterrichts nötig und überfällig, Frau Staatsministerin, Sie sagen, für den Nationalen übrigens auch mit Blick auf muslimische Mädchen. Die Integrationsplan seien zusätzliche 750 Millionen Euro in Länder müssen es zustande bringen, dass der Sportunter- den Haushalt eingestellt. Auf die klare und konkrete richt nicht ausfällt, dass, im Gegenteil, die tägliche Frage meiner Fraktion, wo das Geld denn liege, kamen Sportstunde eingeführt wird. Das wäre ein wirklich star- keine klaren und konkreten Antworten. Alles Mögliche ker Beitrag. fällt darunter, zum Beispiel der Haushaltstitel des Deut- schen Akademischen Austauschdienstes. Am besten ist der weitere Ausbau der Ganztagsschu- len. Sie werden im Nationalen Integrationsplan aus- (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Genau!) drücklich gelobt. Dort können die Schülerinnen und Wir sind gespannt, welchen Beitrag dieser zur Integra- Schüler ihren Fähigkeiten entsprechend optimal geför- tionsförderung leisten wird. Bei der Überprüfung dessen dert werden, unabhängig davon, welches Leistungs- werden wir Sie nicht im dunklen Kämmerchen alleine niveau sie haben oder woher sie kommen. Da gibt es lassen. dann auch ausreichend Zeit, etwa für Sport und Mu- sikangebote – für alle und ohne Hürden. Das ist ein prak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tischer Beitrag zur Integration. Sie sind gestartet als Mutter Courage der Integration, Rot-Grün hat mit dem Ganztagsschulprogramm viel aber das, was Sie vorgelegt haben, kommt eher von einer bewirkt, und das muss weitergehen. Wir brauchen die Mutter Beimer des Kanzleramtes: irgendwie ganz nett, qualifizierten Menschen. Es kann doch nicht wahr sein, aber irgendwie auch unkonkret und relativ erfolglos. dass so viele Jugendliche ausländischer Herkunft ohne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ausbildung bleiben und gleichzeitig händeringend ge- Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist nicht dein suchte Fachkräfte aus dem Ausland hierhin geholt wer- Niveau, Josef!) den sollen. Es ist die Aufgabe des Staates und der Wirt- schaft, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hier leben, Beim kommunalen Wahlrecht gibt es keine Fort- auch tatsächlich qualifiziert werden. schritte. Beim Thema „zusätzliche Sprachkurse“ gibt es keine konkreten Ergebnisse. Für die 15 Millionen Euro, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sevim die Sie jetzt draufgesattelt haben, haben Sie im vorigen Dağdelen [DIE LINKE]) Jahr 75 Millionen Euro abgezogen. Kein Mensch glaubt Ihnen, dass es da Fortschritte gibt. (B) Dieses Land braucht Chancengleichheit, weil wir kei- (D) nen Menschen verloren geben wollen und dürfen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Sport und Bildung sind wichtige Säulen der Integra- wie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE] – tion; sie sind auch im Nationalen Integrationsplan ent- Dr. Michael Bürsch [SPD]: Du bist nicht der halten. Er hat einige gute Ansätze, aber wir haben noch Gottschalk des Bundestages!) sehr viel an praktischer Politik vor uns. Die SPD ist dazu Ich möchte jetzt noch auf die Ungeheuerlichkeiten bereit. von Herrn Koschyk eingehen, auch wenn das der Ehre Herzlichen Dank. fast zu viel ist, lieber Kollege. Was Sie über meine Frak- tion zum Thema Zwangsverheiratung gesagt haben, (Beifall bei der SPD) hat mich wirklich geärgert. Wir haben unter der rot-grü- nen Bundesregierung die Zwangsverheiratung unter Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Strafe gestellt. Da haben Sie nicht vorneweg mitge- Ich erteile das Wort Kollegen Josef Philip Winkler, macht. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Koschyk [CDU/CSU]: Das hat einen Placebo- NEN): effekt! Das ist leider nicht wirksam genug!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man die Debatte Revue passieren lässt, Es steht bereits im Strafgesetzbuch, dass Zwangsverhei- kann man eigentlich nur festhalten, dass von den Punk- ratung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft wird. Diesbe- ten, die umgesetzt werden sollen, kein einziger konkret züglich sollten wir als demokratische Parteien zusam- genannt wurde. menhalten und uns nicht in Kleinlichkeit verlieren. Dass im Rechtsausschuss des Bundesrates Anträge von unions- (Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt doch regierten Ländern liegen, wonach geprügelten Frauen, nicht!) die in Ehen gezwungen werden, nicht schon nach zwei Jahren, sondern erst nach vier Jahren ein eigenständiges Ich halte es wirklich für eine Schande, dass man das Aufenthaltsrecht gegeben werden soll, haben Sie in dem „Nationaler Integrationsplan“ nennt. Es liegen nur frei- Zusammenhang wohlweislich verschwiegen! willige Selbstverpflichtungen, die nicht überprüfbar sind, vor; gleichzeitig wird von einem historischen Da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tum gesprochen. Das ist absolut unglaubwürdig. sowie bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12751

Josef Philip Winkler (A) Wenn es um das Problem der Aufenthaltserlaubnis Reinhard Grindel (CDU/CSU): (C) geht, gibt es nicht nur den Fall, dass man nach Deutsch- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! land einreist und zwangsverheiratet wird. Es gibt viel- Kollege Winkler, Sie haben gefragt: Wo bleibt das Kon- mehr auch den Fall, dass man aus Deutschland heraus im krete? – Ich will Ihnen konkret sagen: Ihre Strafvor- Ausland zwangsverheiratet wird. Wir haben immer wie- schrift zur Zwangsverheiratung, die Sie hier so hervor- der festgestellt, dass die Union diesbezüglich überhaupt gehoben haben, hat bisher keine einzige Verurteilung zur nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Wenn man sechs Folge gehabt. Monate ins Ausland verschleppt wurde, gibt es keine Möglichkeit mehr, den ursprünglichen Aufenthaltstitel (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zurückzuerlangen. Da könnten Sie konkrete Hilfe leis- NEN]: So ein Unsinn!) ten, da verweigern Sie sich aber, meine Damen und Her- Das ist Ihre Politik: Nach außen sieht es gut aus, aber tat- ren von der Union. sächlich hilft es nicht. – So kommen wir im Kampf etwa (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegen Zwangsverheiratungen nicht weiter. Auch von Frau Staatsministerin Böhmer werden im- (Beifall bei der CDU/CSU – Josef Philip mer wieder die Sprachkurse angesprochen. Wir sind Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ma- überhaupt nicht dagegen – das entspricht aber einer häu- chen Sie mal was Besseres!) figen Verdrehung der Tatsachen –, dass die Frauen und Männer, die nach Deutschland kommen, Deutsch lernen. Der Nationale Integrationsplan enthält nicht nur Ab- Es waren die Unionsländer, die sich im Vermittlungsver- sichtserklärungen, sondern auch – das ist einfach die fahren zum Zuwanderungsgesetz vehement dagegen ver- Wahrheit – ganz konkrete Maßnahmen, die wir gemein- wahrt haben, dass sie Mittel für die Sprachförderung ein- sam erarbeitet haben. Als Beispiel nenne ich die Inte- stellen sollen. Wir als Grüne haben gesagt, dass wir beim grationskurse. Das sind nicht nur Sprachkurse, sondern gesamten Zuwanderungsgesetz nicht mitmachen, wenn darin wird auch etwas über die Kultur, die rechtlichen die Sprachförderung nicht Teil des Gesetzespaketes ist. Grundlagen und das Wertesystem unseres Landes ver- Wir haben dies durchgesetzt. Das ist Teil der histori- mittelt. 250 000 Teilnehmer haben diese Kurse bereits schen Wahrheit. besucht. Wir werden die Kurse weiter verbessern. Wir erhöhen die Stundenzahl, damit die Teilnehmer die Ab- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schlussprüfung bestehen. Wir bieten Zielgruppenkurse für junge Mütter und Jugendliche an. Wir übernehmen Die Folge ist, dass jetzt überwiegend der Bund die Las- Fahrtkosten und die Kosten der Kinderbetreuung, ob- ten trägt, obwohl Integration vor allem auf der lokalen wohl das eigentlich eher Sache der Kommunen wäre. (B) Ebene zu gestalten ist. Insofern fordern wir Sie auf: Lo- Wir werden im Haushalt 2008 noch einmal 14 Millionen (D) ben Sie Herrn Koch nicht nur für irgendwelche Dinge, Euro mehr ausgeben und dann 154 Millionen Euro allein die nicht nachprüfbar sind, sondern fordern Sie ihn auf, für diese Integrationsmaßnahme vorsehen. dass er neben den Sprachkursen in den Kindergärten endlich seiner Verpflichtung nachkommt und die Mittel, Kollege Körper hat gesagt, man solle noch etwas die der Bund zur Verfügung stellt, durch Eigenmittel draufpacken. Darauf kann ich nur erwidern: Dann fragen verdoppelt. Das wäre ein Beitrag zu mehr Integration Sie Finanzminister Steinbrück einmal, ob er uns das zu- und zu mehr Gerechtigkeit in diesem Land. sätzliche Geld gibt! – Das ist ein bisschen widersprüch- lich. Die SPD-Innenpolitiker wollen mehr Geld für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Integrationskurse, und der SPD-Finanzminister gibt es sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD]) uns nicht. Ganz überzeugend, Kollege Körper, war das Wir werden Sie mit dem sogenannten Nationalen In- nicht. tegrationsplan nicht alleine lassen. Darin sind sehr viele indirekte und unkonkrete Punkte. Wie gesagt, es sind Wir haben natürlich Integration gehabt, aber ich kaum konkrete Projekte, sondern alles Dinge, die entwe- glaube, dass sie bei vielen Menschen noch nicht ange- der schon da waren oder nicht besonders viel Arbeit kos- kommen ist, und das ist das Entscheidende. Da müssen ten. Die Selbstverpflichtung von Unternehmen, nach wir etwas tun, über formale Zuständigkeiten hinaus. 50 Jahren Bundesrepublik gern auch einmal Ausländer Wer erlebt hat, wie gerade Frauen, die seit 17, in ihre Belegschaft aufzunehmen, verkaufen Sie als 18 Jahren in Deutschland sind und praktisch kein „Charta der Vielfalt“. Das ist nun wirklich nicht histo- Deutsch können, sich freuen, im Kurs zu sein, weil sie risch. Man müsste sich eigentlich dafür schämen, das als das erste Mal aus ihrer häuslichen Umgebung heraus- historisch zu verkaufen. kommen und durch den Kurs andere Frauen mit anderen Herzlichen Dank. kulturellen Hintergründen kennenlernen, Kontakte knüp- fen, auch über den Kurs hinaus, wer erlebt hat, wie enga- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) giert dort im Kurs gearbeitet wird, der fragt nicht nach Zuständigkeiten, aber er fragt sich schon – das sage ich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: mit Blick gerade auf die Grünen und Frau Künast, die Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel, sieben Jahre zuständig gewesen wären –: Was haben Sie CDU/CSU-Fraktion. eigentlich in der Vergangenheit ganz konkret getan, um zum Beispiel diesen Frauen bei der Integration zu hel- (Beifall bei der CDU/CSU) fen? 12752 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Reinhard Grindel (A) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der große Wert des Nationalen Integrationsplans be- (C) NEN]: Wo haben Sie denn gekämpft? Sie wa- steht auch darin, dass er deutlich macht, dass wir auf al- ren der Bremser! – Swen Schulz [Spandau] len Ebenen zusammenarbeiten müssen: Bund, Länder [SPD]: Sie haben doch im Bundesrat blo- und Gemeinden. Maria Böhmer hat hier zu Recht ange- ckiert!) sprochen, dass wir in den Kindergärten, in den Schulen und bei der beruflichen Bildung mehr machen müssen; Die konkrete Lebenssituation dieser Menschen hat Sie denn mit Blick auf die demografische Entwicklung muss nicht interessiert. Sie haben sich mit Ideologien befasst, man feststellen: Wenn wir bei der Integration gerade der aber nicht mit der konkreten Lebenssituation der Men- Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund schen. nicht für eine gute Zukunft sorgen, dann hat unser Land (Beifall bei der CDU/CSU) keine gute Zukunft. Frau Künast, es wäre ganz schön, wenn Sie einem Dabei kommt es auch auf ganz konkrete Einzelmaß- Redner, der sich mit dem Beitrag der Fraktionsvorsitzen- nahmen an. Ich bin den Ländern Niedersachsen und den der Grünen auseinandersetzt, nicht unbedingt den Hamburg sehr dankbar, die im Rahmen des Integrations- Rücken zukehrten, aber das ist eine Stilfrage. – Frau gipfels ganz konkret angekündigt haben, mehr Jugendli- Künast hat hier gesagt, der Integrationsgipfel habe chen mit Migrationshintergrund einen Ausbildungsplatz keine große Konsequenz. In Wirklichkeit ist sie natürlich im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu stellen. Das ist neidisch, dass gerade wir als CDU/CSU das Integra- eine doppelte Integration: Auf der einen Seite wird Ju- tionsthema besetzt haben. gendlichen eine berufliche Perspektive eröffnet; auf der anderen Seite legt man damit die Wurzeln dafür, dass (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE ausländische Mitbürger bei den Behörden, in den Rat- GRÜNEN]: In welchen Kategorien denken Sie häusern auf mehr Menschen mit Migrationshintergrund eigentlich?) stoßen. Das ist echte, ganz konkrete Integrationspolitik. hat in sieben Jahren gemeinsamer Regierung (Beifall bei der CDU/CSU) mit den Grünen noch nicht einmal eine Teestunde zur In- tegration veranstaltet, geschweige denn einen Gipfel. Herr Kollege Körper, lassen Sie uns doch endlich die Das haben wir gemacht, und darauf sind wir mit Recht Debatte „Einwanderungsland oder nicht?“ beenden. Wir auch ein bisschen stolz. sagen ganz bewusst: Wir sind ein Integrationsland. (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Otto gab (B) es immer Rotwein!) Das ist ein gewaltiger Unterschied. Einwanderungslän- (D) der zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zuwanderung Frau Künast, es wäre schon ein Gebot der Höflich- steuern können. Wir konnten die Zuwanderung von Aus- keit, wenn Sie jetzt zuhörten. – Sie haben uns in Zusam- ländern nicht steuern. Asylbewerber, Aussiedler, Bürger- menhang mit einem „Ehrenmord“ in München vorge- kriegsflüchtlinge, all diese Menschen sind ohne Steue- worfen, dass wir wegen der Residenzpflicht im rung auf Grundlage eigener Rechte zu uns gekommen. Aufenthaltsrecht – eine solche galt für das Opfer – die Wir müssen uns jetzt um eine nachholende Integration Frauen hier nicht richtig schützen würden. bemühen, um Versäumtes aufzuholen. Der Streit um Be- Ich habe mir den Fall eben noch einmal sehr genau griffe hilft dabei nicht. Wir müssen etwas tun. Deswegen angesehen. Was Sie behauptet haben, ist die glatte Un- sagen wir: Wir sind ein Integrationsland. Da liegt unser wahrheit. Schwerpunkt. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! (Beifall bei der CDU/CSU) So ist Künast!) Ich will hier gerne zitieren, was die Anwältin Seyran Die Frau war im Frauenhaus in München; sie hätte dort Ateş in ihrem neuen Buch „Der Multikulti-Irrtum“ ge- auch bleiben können. Sie ist aus eigener Entscheidung schrieben hat: nach Garching im Landkreis München zurückgegangen. … vor allem viele Linke glauben noch immer, der Der Täter hatte seinerseits eine Residenzpflicht für die Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde Stadt München; er hätte also gar nicht in den Landkreis irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen gehen dürfen. Aber das Entscheidende ist: Er war gedul- nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multi- det. Die rot-grüne Stadtregierung von München hätte kulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte längst die Chance gehabt, ihn abzuschieben. Verantwortungslosigkeit. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Mit dem Nationalen Integrationsplan übernehmen wir Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verantwortung. Früher waren Ausländerbeauftragte im NEN]: Wohin denn abschieben?) Arbeits- oder Frauenministerium versteckt. Unsere Inte- Insofern ist es unerhört, wenn Sie einen solchen Fall vor grationsbeauftragte sitzt im Bundeskanzleramt, dem Forum des Deutschen Bundestages in dieser Weise sinnentstellen, um uns hier einen Vorwurf zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das (Beifall bei der CDU/CSU) ist aber auch der einzige Aktivposten!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12753

Reinhard Grindel (A) als Zeichen dafür, dass Integration für uns Querschnitts- Botschaft. Sie ist ein Auftrag, den wir politisch auf allen (C) aufgabe und vor allen Dingen Chefsache ist. Ebenen mit Leben füllen müssen. Das gilt für Bund, Länder und Kommunen. Kollege Bürsch, Sie haben gefordert, ich solle etwas zur Frage der doppelten Staatsbürgerschaft sagen. Nur Es gilt, mit aller Ernsthaftigkeit daran zu arbeiten, in aller Kürze – auch das ist so eine formale Debatte –: dass sich die Chancen der Migrantenkinder wirklich ver- Viele derjenigen, die in den letzten Wochen hier in Ber- bessern. Das ist eine gesellschaftliche Herausforderung; lin als Türken und Kurden gewalttätige Auseinanderset- denn jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat einen Mi- zungen hatten, haben die deutsche Staatsbürgerschaft. grationshintergrund. In einigen Großstädten sind vier Aber sie haben trotzdem vor allem und in erster Linie von zehn Jugendlichen nicht deutscher Herkunft. Viel zu eine türkische oder eine kurdische Identität. Deswegen viele Kinder sind vom schulischen und beruflichen Er- ist es richtig, was wir sagen: Dass nur dann ein Zusam- folg abgehängt, weil sie in den ersten Lebensjahren häu- menleben in Deutschland funktioniert, wenn die Einbür- fig unzureichende Deutschkenntnisse erwerben. gerung am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozes- Wir haben es heute schon oft gehört – man kann es ses steht, wenn wir uns auf gemeinsame Werte nicht oft genug betonen –: Sprachkompetenz ist der verständigen. Das Ganze darf nicht am Anfang, sozusa- Schlüssel zu Bildung und Integration. Deshalb muss die gen als gute Hoffnung oder Eintrittskarte, eines Integra- Sprachförderung ein zentraler Bestandteil der frühkindli- tionsprozesses stehen, der sich dann am Ende als chen Bildung werden. schwierig und meistens als erfolglos herausstellt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Staatsministerin Böhmer, herzlichen Glück- wunsch zu diesem Nationalen Integrationsplan. Wir wer- Die sprachliche Bildung ist eine vordringliche und ge- den ihn umsetzen, auch, Herr Kollege Körper – weil Sie meinsame Aufgabe von Eltern, Erziehern und Pädago- das hier angesprochen haben –, im Bereich Bleiberecht. gen. Der frühe Besuch von Kindern in Tageseinrichtun- Wir haben hier Entscheidungen getroffen. Am häufigs- gen bietet – so heißt es im Integrationsplan – „eine ten wird das Bleiberecht in Bayern und Baden-Württem- besondere Chance“ für Migrantenkinder. Die natürliche berg ausgesprochen. Dort haben die Menschen Sicher- Aneignung der deutschen Sprache kann so erheblich ge- heit. Die wenigsten Bleiberechte werden in Berlin steigert werden. Kinder sind gern mit Kindern zusam- ausgesprochen. Jeder hat vor seiner eigenen Tür zu keh- men. Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig ren. Freunde. Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, lernen Deutsch in der Krippe spielend, im wahrsten Entscheidend ist – dies soll mein Schlusssatz sein –: Sinne des Wortes. Dieser Nationale Integrationsplan, liebe Maria Böhmer, Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern ist dabei (B) ist in der Tat ein großer Wurf, ein Meilenstein. Aber da- (D) mit er richtig erfolgreich wird, müssen wir alle in unse- wichtig, um deren Kompetenz bezüglich der Sprachent- wicklung ihrer Kinder zu stärken. Positiv sind niedrig- ren Wahlkreisen vor Ort an seiner Umsetzung mitarbei- schwellige Angebote für Kinder und deren Familien, die ten. den gezielten Erwerb der deutschen Sprache unterstüt- Herzlichen Dank. zen. Projekte wie „Mama lernt Deutsch“ sind sehr er- folgreich. Wir müssen Eltern mit Migrationshintergrund (Beifall bei der CDU/CSU – Swen Schulz motivieren bzw. darin bestärken, dass ihre Kinder früh- [Spandau] [SPD]: Statt zu spalten!) zeitig die Vorteile einer Betreuungs- und Bildungsein- richtung nutzen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Kollegin Caren Marks, SPD- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Fraktion. Auch der von der SPD durchgesetzte Rechtsanspruch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – er gilt ab 2013 – auf einen Betreuungsplatz ab eins wird sich positiv auf die Integration auswirken. Caren Marks (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das Betreuungsgeld hingegen, wie es die Union Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Famili- nach wie vor fordert, ist nicht nur bildungs- und gleich- enpolitikerin begrüße ich, dass sich die Bundesregierung stellungspolitisch fatal, sondern auch integrationspoli- und das Parlament intensiv mit dem Thema Integration tisch. Eine monatliche Zahlung an Eltern, die ihre Kin- beschäftigen, dabei den Dialog mit Migrantinnen und der im Alter bis zu drei Jahren ausschließlich zu Hause Migranten suchen und gemeinsam Handlungsfelder erar- betreuen, wäre auch unter Integrationsgesichtspunkten beiten. Nach dem vielversprechenden Integrationsgipfel falsch. und dem damit einhergehenden Integrationsplan dürfen Regierung und Parlament in ihrem Handeln nicht hinter (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der den erweckten Erwartungen zurückbleiben. FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir würden diesen Kindern einen Bärendienst erweisen. Ein Betreuungsgeld würde für viele der benachteiligten Das Themenfeld des Nationalen Integrationsplans Familien einen hohen Anreiz setzen, ihre Kinder von „Von Anfang an deutsche Sprache fördern“ ist von zen- frühkindlichen Bildungseinrichtungen fernzuhalten. traler Bedeutung. Die Überschrift enthält mehr als eine Norwegen hat genau diese negativen Erfahrungen ge- 12754 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Caren Marks (A) macht und will das Betreuungsgeld deswegen abschaf- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (C) fen. Auch in Thüringen bewirkt das dortige Erziehungs- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset- geld, dass Eltern ihre Kinder aus dem Kindergarten zung des Rahmenbeschlusses des Rates vom verstärkt abmelden. Wir sollten aus diesen Erfahrungen 22. Juli 2003 über die Vollstreckung von Ent- lernen, liebe Kolleginnen und Kollegen. scheidungen über die Sicherstellung von Ver- mögensgegenständen oder Beweismitteln in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Europäischen Union der FDP) – Drucksache 16/6563 – Es muss klar sein: Integration kann nicht verordnet werden. Sie braucht die Mitwirkung aller, auch der Mi- Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) granten. Insbesondere den Müttern mit Migrationshin- Innenausschuss tergrund kommt eine Schlüsselstellung für die Integra- tion ihrer Kinder zu. Die Berufstätigkeit von Migrantin- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia nen fördert nicht nur Selbstbewusstsein und finanzielle Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Cornelia Behm, Unabhängigkeit, sondern auch deren Integration. Gut in- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- tegrierte Eltern, Mütter und Väter, die an der Gesell- NIS 90/DIE GRÜNEN schaft teilhaben, sind Vorbilder für ihre Kinder. Auch an Schutz vor Emissionen aus Laserdruckern, diesem Punkt setzt das Betreuungsgeld für Frauen fal- Laserfax- und Kopiergeräten sche Anreize, nämlich nach der Geburt eines Kindes län- ger zu Hause zu bleiben. – Drucksache 16/5776 – Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Beispiele Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) zeigen: Ein Betreuungsgeld läuft der Integration vielfäl- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie tig entgegen. Es würde eine erfolgreiche Umsetzung des Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und vielversprechenden Integrationsplanes konterkarieren. Verbraucherschutz Das Betreuungsgeld ist schlicht eine „Optimierung“ des Ausschuss für Bildung, Forschung und Unsinns. Technikfolgenabschätzung ZP 5a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Herzlichen Dank. Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saar- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ brücken), weiterer Abgeordneter und der Frak- DIE GRÜNEN) tion DIE LINKE Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen- (B) (D) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro- Ich schließe die Aussprache. gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in Deutschland Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6281 an die in der Tagesordnung aufge- – Drucksache 16/5811 – führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Überweisungsvorschlag: verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Ausschuss für Bildung, Forschung und so beschlossen. Technikfolgenabschätzung (f) Auswärtiger Ausschuss Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak- Innenausschuss tion Die Linke auf Drucksache 16/6976. Interfraktionell Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales ist vereinbart, über den Entschließungsantrag abwei- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend chend von der Geschäftsordnung heute abzustimmen. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer Entwicklung stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ßungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD Ausschuss für Kultur und Medien und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska Stimmenthaltung vom Bündnis 90/Die Grünen abge- Hinz (Herborn), Kai Gehring, Krista Sager, wei- lehnt. terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 42 a bis c sowie die NIS 90/DIE GRÜNEN Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf. Es handelt sich um Über- Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen- weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte: schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro- gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in 42 a) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Deutschland Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) – Drucksache 16/5968 – – Drucksache 16/5107 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Überweisungsvorschlag: Technikfolgenabschätzung (f) Innenausschuss (f) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12755

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Ausschuss für Arbeit und Soziales – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Drucksache 16/6992 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Berichterstattung: c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marcus Abgeordnete Steffen Kampeter Weinberg, Ilse Aigner, Bernward Müller (Gera), Waltraud Lehn weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Dr. Claudia Winterstein CDU/CSU Dr. Gesine Lötzsch sowie der Abgeordneten Ulla Burchardt, Jörg Tauss, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in der Fraktion der SPD seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6986, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache Indisch-Deutschen Studierenden- und Wissen- 16/6540 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte schaftleraustausch fördern – Mobilitätspro- diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- gramm zum Jahr der Geisteswissenschaften in sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer Deutschland stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- – Drucksache 16/6945 – wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Grünen gegen die Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Stimmen der FDP bei Enthaltung der Linken angenom- Technikfolgenabschätzung (f) men. Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Dritte Beratung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Entwicklung entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien der zweiten Beratung angenommen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Tagesordnungspunkt 43 b: die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu (B) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- (D) überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. zu dem Abkommen vom 9. Februar 2007 zwi- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 43 a bis schen der Bundesrepublik Deutschland und 43 u sowie 35 b. Es handelt sich um die Beschlussfas- Australien über die Soziale Sicherheit von vor- sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge- übergehend im Hoheitsgebiet des anderen sehen ist. Staates beschäftigten Personen („Ergänzungs- abkommen“) Ich weise darauf hin, dass wir über den Gesetzentwurf – Drucksache 16/6567 – zu Tagesordnungspunkt 43 d, Zweites Gesetz zur Ände- rung des Finanzverwaltungsgesetzes, namentlich ab- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- stimmen werden. Vor der namentlichen Abstimmung ha- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) ben wir noch drei einfache Abstimmungen. Bitte begeben Sie sich erst zu den Urnen, wenn ich die na- – Drucksache 16/6829 – mentliche Abstimmung aufrufe. Berichterstattung: Tagesordnungspunkt 43 a: Abgeordnete Katja Kipping – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6829, setzes zur Änderung des Vierten Buches So- den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- zialgesetzbuch und anderer Gesetze sache 16/6567 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- – Drucksache 16/6540 – chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- men von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung der schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus- Fraktion Die Linke und der Grünen angenommen. schuss) Dritte Beratung – Drucksache 16/6986 – und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Berichterstattung: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Abgeordneter Gerald Weiß (Groß-Gerau) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- 12756 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthal- (C) zweiten Beratung angenommen. tung der Fraktion Die Linke angenommen. Tagesordnungspunkt 43 c: Dritte Beratung Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- und Schlussabstimmung. Nach Art. 87 Abs. 3 des gierung eingebrachten Entwurfs eines … Geset- Grundgesetzes ist zur Annahme des Gesetzentwurfs die zes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes absolute Mehrheit – das sind 307 Stimmen – erforder- und anderer Gesetze lich. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- – Drucksachen 16/6293, 16/6568 – nen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuss) Haben alle Kolleginnen und Kollegen Ihre Stimme abgegeben? – Das ist offensichtlich der Fall. – Drucksache 16/6978 – Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- Berichterstattung: rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- Abgeordnete Siegfried Kauder (Villingen- nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später Schwenningen) bekannt gegeben.1) Joachim Stünker Jörg van Essen Ich bitte Sie, sich wieder zu Ihren Plätzen zu begeben, Wolfgang Nešković damit wir mit den Abstimmungen fortfahren können. Jerzy Montag Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte nehmen Sie Platz, damit wir einigermaßen übersichtlich die Abstimmun- Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- gen fortsetzen können. empfehlung auf Drucksache 16/6978, den Gesetzent- wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6293 Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 43 e: und 16/6568 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Gesetzes zur Änderung des Legehennenbe- – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- triebsregistergesetzes entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. – Drucksache 16/6559 – (B) (D) Dritte Beratung Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem cherschutz (10. Ausschuss) Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- – Drucksache 16/6862 – entwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses ange- Berichterstattung: nommen. Abgeordnete Dr. Hans-Heinrich Jordan Tagesordnungspunkt 43 d: Dr. Wilhelm Priesmeier Hans-Michael Goldmann Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Dr. Kirsten Tackmann gierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ulrike Höfken Gesetzes zur Änderung des Finanzverwal- tungsgesetzes und anderer Gesetze Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt auf Drucksache 16/6862, – Drucksachen 16/6560, 16/6740 – den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa- che 16/6559 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- schusses (7. Ausschuss) chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der – Drucksache 16/6993 – Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP-Fraktion Berichterstattung: angenommen. Abgeordnete Reinhard Schultz (Everswinkel) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – 16/6993, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- den Drucksachen 16/6560 und 16/6740 in der Aus- wurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die FDP-Fraktion angenommen. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter 1) Ergebnis Seite 12759 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12757

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Tagesordnungspunkt 43 f: der FDP auf Drucksache 16/969 abzulehnen. Wer stimmt (C) für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Ent- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim- richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der – zu dem Antrag der Abgeordneten Gisela Piltz, drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dr. Max Stadler, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Tagesordnungspunkt 43 h: Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im In- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- neren – Die Polizei kann durch die Bundes- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- wehr nicht ersetzt werden nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- ordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Horst Meierhofer, weiterer Abgeordneter und der Wieland, Volker Beck (Köln), Jerzy Montag, Fraktion der FDP weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im Technologiebereich erneuerbarer Energien Keine Bundeswehr vor öffentlichen Gebäu- sachgerecht unterstützen den und Stadien für die Fußballweltmeister- schaft 2006 – Drucksachen 16/1565, 16/3587 – – Drucksachen 16/563, 16/359, 16/1510 – Berichterstattung: Abgeordneter Berichterstattung: Abgeordnete Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Wolfgang Gunkel lung auf Drucksache 16/3587, den Antrag der Fraktion Gisela Piltz der FDP auf Drucksache 16/1565 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Wolfgang Wieland dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Empfeh- und Linken gegen die Stimmen der FDP bei Enthaltung lung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP der Grünen angenommen. auf Drucksache 16/563 mit dem Titel „Kein zusätzlicher Bundeswehreinsatz im Inneren – Die Polizei kann durch Tagesordnungspunkt 43 i: die Bundeswehr nicht ersetzt werden“. Wer stimmt für (B) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (D) diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – richts des Ausschusses für Gesundheit (14. Aus- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den schuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen gierung der FDP und der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung schen Parlaments und des Rates zu Gemein- des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf schaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit Drucksache 16/359 mit dem Titel „Keine Bundeswehr und über Gesundheitsschutz und Sicherheit vor öffentlichen Gebäuden und Stadien für die Fußball- am Arbeitsplatz weltmeisterschaft 2006“. Wer stimmt für diese Be- KOM (2007) 46 endg.; Ratsdok. 6622/07 schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Drucksachen 16/4819 Nr. 11, 16/5949 – tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen Berichterstattung: der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Abgeordneter Tagesordnungspunkt 43 g: Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak- ordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller- tion angenommen. Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP Tagesordnungspunkt 43 j: EU-Waffenembargo gegen China beibehalten Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- – Drucksachen 16/969, 16/2574 – schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Berichterstattung: der Unterrichtung durch die Bundesregierung Abgeordneter Erich G. Fritz Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- die gemeinsame Marktorganisation für Wein lung auf Drucksache 16/2574, den Antrag der Fraktion und zur Änderung bestimmter Verordnungen 12758 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) (inkl. 11361/07 ADD 1 und 11361/07 ADD 2) ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der FDP (C) KOM (2007) 372 endg.; Ratsdok. 11361/07 angenommen. – Drucksachen 16/6389 Nr. 1.49, 16/6863 – Tagesordnungspunkt 43 o: Berichterstattung: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Abgeordnete Julia Klöckner ausschusses (2. Ausschuss) Dr. Volker Wissing Sammelübersicht 290 zu Petitionen Dr. Kirsten Tackmann – Drucksache 16/6805 – Ulrike Höfken Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Unterrich- tungen? – Die Sammelübersicht 290 ist mit den Stim- tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Grünen angenommen. Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstim- mig angenommen. Tagesordnungspunkt 43 p: Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 43 k bis 43 u. ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 43 k: Sammelübersicht 291 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/6806 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Sammelübersicht 286 zu Petitionen tungen? – Die Sammelübersicht 291 ist mit den Stim- men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die – Drucksache 16/6801 – Linke angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Tagesordnungspunkt 43 q: tungen? – Die Sammelübersicht 286 ist einstimmig an- genommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 43 l: Sammelübersicht 292 zu Petitionen (B) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- (D) ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/6807 – Sammelübersicht 287 zu Petitionen Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- tungen? – Die Sammelübersicht 292 ist mit den Stim- – Drucksache 16/6802 – men des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- FDP angenommen. tungen? – Die Sammelübersicht 287 ist mit den Stim- Tagesordnungspunkt 43 r: men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion der Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Grünen angenommen. ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 43 m: Sammelübersicht 293 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- – Drucksache 16/6808 – ausschusses (2. Ausschuss) Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Sammelübersicht 288 zu Petitionen tungen? – Die Sammelübersicht 293 ist mit den Stim- men von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen – Drucksache 16/6803 – der Linken bei Enthaltung der Grünen angenommen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- Tagesordnungspunkt 43 s: tungen? – Die Sammelübersicht 288 ist einstimmig an- genommen. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 43 n: Sammelübersicht 294 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) – Drucksache 16/6809 – Sammelübersicht 289 zu Petitionen Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt – Drucksache 16/6804 – dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 294 ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP ge- Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Grünen dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 289 angenommen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12759

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Tagesordnungspunkt 43 t: Dr. Wilhelm Priesmeier (C) Hans-Michael Goldmann Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Dr. Kirsten Tackmann ausschusses (2. Ausschuss) Undine Kurth (Quedlinburg) Sammelübersicht 295 zu Petitionen Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksache 16/6810 – Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- lung auf Drucksache 16/6828, den Gesetzentwurf der hält sich? – Die Sammelübersicht ist mit den Stimmen Bundesregierung auf Drucksache 16/6309 in der Aus- von CDU/CSU, SPD und Linken gegen die Stimmen schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die von FDP und Grünen angenommen. dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Tagesordnungspunkt 43 u: Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- ausschusses (2. Ausschuss) gen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken und der FDP angenommen. Sammelübersicht 296 zu Petitionen – Drucksache 16/6811 – Dritte Beratung Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem dagegen? – Enthaltungen? – Die Sammelübersicht ist Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen ge- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- gen die Stimmen von FDP und Linken angenommen. wurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 35 b: gen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung von FDP und Linken angenommen. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zu Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes Tagesordnungspunkt 43 d zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- – Drucksache 16/6309 – nis der namentlichen Abstimmung über den von der Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Gesetzes zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes (B) cherschutz (10. Ausschuss) und anderer Gesetze bekannt: Abgegebene Stimmen (D) 553, gültige Stimmen 553. Mit Ja haben gestimmt 507, – Drucksache 16/6828 – mit Nein haben gestimmt 0, Enthaltungen 46. Der Ge- Berichterstattung: setzentwurf ist damit mit der erforderlichen Mehrheit an- Abgeordnete Dr. Peter Jahr genommen.

Endgültiges Ergebnis Otto Bernhardt Dr. Wolfgang Götzer Abgegebene Stimmen: 553; Dr. Hans Georg Faust Ute Granold davon Reinhard Grindel Peter Bleser Ingrid Fischbach Hermann Gröhe ja: 507 Hartwig Fischer (Göttingen) Markus Grübel enthalten: 46 Dr. Maria Böhmer Dirk Fischer (Hamburg) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Monika Grütters Ja Wolfgang Börnsen Land) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu (Bönstrup) Dr. Guttenberg CDU/CSU Klaus Brähmig Klaus-Peter Flosbach Olav Gutting Michael Brand Holger Haibach Ulrich Adam Dr. Hans-Peter Friedrich Ilse Aigner Dr. (Hof) Ursula Heinen Monika Brüning Erich G. Fritz Uda Carmen Freia Heller Jochen-Konrad Fromme Michael Hennrich Dorothee Bär Cajus Caesar Dr. Michael Fuchs Jürgen Herrmann Thomas Bareiß Leo Dautzenberg Hans-Joachim Fuchtel Ernst Hinsken Dr. Robert Hochbaum Dr. Alexander Dobrindt Klaus Hofbauer Günter Baumann Thomas Dörflinger Franz-Josef Holzenkamp Ernst-Reinhard Beck Marie-Luise Dött Joachim Hörster (Reutlingen) Maria Eichhorn Ralf Göbel Anette Hübinger Dr. Stephan Eisel Josef Göppel Hubert Hüppe Dr. (Lübeck) Peter Götz Susanne Jaffke 12760 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Dr. Peter Jahr Dr. Peter Ramsauer Klaas Hübner (C) Dr. Hans-Heinrich Jordan Peter Rauen Dr. Axel Berg Christel Humme Dr. Franz Josef Jung Eckhardt Rehberg Lothar Ibrügger (Konstanz) (Potsdam) Petra Bierwirth Johannes Jung (Karlsruhe) Bartholomäus Kalb Klaus Riegert (Heidelberg) Hans-Werner Kammer Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Kahrs Steffen Kampeter Franz Romer Ulrich Kasparick Johannes Röring Dr. h. c. Susanne Kastner Bernhard Kaster Kurt J. Rossmanith Gerd Bollmann Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Norbert Röttgen Dr. Gerhard Botz Schwenningen) Dr. Christian Ruck Willi Brase Hans-Ulrich Klose Albert Rupprecht (Weiden) Astrid Klug Eckart von Klaeden Peter Rzepka (Hildesheim) Dr. Bärbel Kofler Jürgen Klimke Anita Schäfer (Saalstadt) Walter Kolbow Julia Klöckner Hermann-Josef Scharf Marco Bülow Fritz Rudolf Körper Hartmut Schauerte Karin Kortmann Dr. Michael Bürsch Kristina Köhler (Wiesbaden) Dr. Annette Schavan Rolf Kramer Manfred Kolbe Dr. Marion Caspers-Merk Norbert Königshofen Karl Schiewerling Ernst Kranz Georg Schirmbeck Dr. Peter Danckert Nicolette Kressl Dr. Hartmut Koschyk Volker Kröning Christian Schmidt (Fürth) Martin Dörmann Dr. Hans-Ulrich Krüger Thomas Kossendey Dr. Carl-Christian Dressel (Berlin) Jürgen Kucharczyk Dr. Elvira Drobinski-Weiß Helga Kühn-Mengel Garrelt Duin Dr. Martina Krogmann Dr. Ole Schröder Ute Kumpf Bernhard Schulte-Drüggelte Detlef Dzembritzki Dr. Uwe Küster Johann-Henrich Sebastian Edathy Krummacher Christine Lambrecht Wilhelm Josef Sebastian Siegmund Ehrmann Dr. Hermann Kues Christian Lange (Backnang) Kurt Segner Dr. Karl A. Lamers Waltraud Lehn Bernd Siebert Petra Ernstberger (Heidelberg) Helga Lopez Thomas Silberhorn Karin Evers-Meyer Gabriele Lösekrug-Möller Andreas G. Lämmel Annette Faße Dirk Manzewski Dr. Norbert Lammert Elke Ferner Lothar Mark Katharina Landgraf Erika Steinbach Caren Marks Dr. Max Lehmer Rainer Fornahl Christian Freiherr von Stetten Katja Mast Gabriele Frechen (B) (D) Andreas Storm Markus Meckel Eduard Lintner Peter Friedrich Max Straubinger Petra Merkel (Berlin) Dr. Klaus W. Lippold (Heilbronn) Ulrike Merten Patricia Lips Martin Gerster Michael Stübgen Dr. Dr. Michael Luther Hans Peter Thul Iris Gleicke Günter Gloser Ursula Mogg (Altötting) Marko Mühlstein Wolfgang Meckelburg Dr. Hans-Peter Uhl Renate Gradistanac Angelika Graf (Rosenheim) Detlef Müller (Chemnitz) Maria Michalk Michael Müller (Düsseldorf) Dr. h. c. Volkmar Uwe Vogel Dieter Grasedieck Gesine Multhaupt Philipp Mißfelder Andrea Astrid Voßhoff Dr. Rolf Mützenich Dr. Eva Möllring Gabriele Groneberg Achim Großmann Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Marcus Weinberg Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Holger Ortel Hildegard Müller Peter Weiß (Emmendingen) Heinz Paula Carsten Müller Gerald Weiß (Groß-Gerau) Hans-Joachim Hacker Johannes Pflug (Braunschweig) Ingo Wellenreuther Klaus Hagemann Joachim Poß Stefan Müller (Erlangen) Karl-Georg Wellmann Alfred Hartenbach Christoph Pries Bernward Müller (Gera) Annette Widmann-Mauz Dr. Wilhelm Priesmeier Klaus-Peter Willsch Michael Hartmann (Wackernheim) Dr. Georg Nüßlein Willy Wimmer (Neuss) Dr. Dagmar Wöhrl Nina Hauer Franz Obermeier Wolfgang Zöller (Cottbus) Willi Zylajew Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Maik Reichel Rita Pawelski Dr. Barbara Hendricks Dr. Carola Reimann SPD Ulrich Petzold Gustav Herzog Christel Riemann- Dr. Joachim Pfeiffer Petra Heß Hanewinckel Sibylle Pfeiffer Ingrid Arndt-Brauer Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Sönke Rix (Neuruppin) (Essen) René Röspel Ruprecht Polenz Gerd Höfer Dr. Daniela Raab Dr. Hans-Peter Bartels (Wismar) Karin Roth (Esslingen) Sören Bartol Frank Hofmann (Volkach) Michael Roth (Heringen) Hans Raidel Eike Hovermann Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12761

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Marlene Rupprecht Uta Zapf Dr. Enthaltung (C) (Tuchenbach) Manfred Zöllmer Dr. Max Stadler Anton Schaaf Dr. Rainer Stinner DIE LINKE Axel Schäfer (Bochum) Carl-Ludwig Thiele Bernd Scheelen FDP Florian Toncar Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Christoph Waitz Dr. Jens Ackermann Dr. Otto Schily Dr. Karl Addicks Dr. Claudia Winterstein Dr. Lothar Bisky Christian Ahrendt Dr. Frank Schmidt Dr. Volker Wissing Eva Bulling-Schröter Daniel Bahr (Münster) (Aachen) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. (Nürnberg) Uwe Barth Martin Zeil Rainer Brüderle Roland Claus Heinz Schmitt (Landau) Sevim Dağdelen (Erfurt) Angelika Brunkhorst BÜNDNIS 90/ Dr. Ernst Burgbacher DIE GRÜNEN Patrick Döring Dr. Dagmar Enkelmann Reinhard Schultz Mechthild Dyckmans Kerstin Andreae Wolfgang Gehrcke (Everswinkel) Jörg van Essen (Bremen) Diana Golze Swen Schulz (Spandau) Ulrike Flach Volker Beck (Köln) Dr. Gregor Gysi Otto Fricke Cornelia Behm Heike Hänsel Birgitt Bender Paul K. Friedhoff Lutz Heilmann Dr. Angelica Schwall-Düren Horst Friedrich (Bayreuth) Grietje Bettin Alexander Bonde Hans-Kurt Hill Dr. Edmund Peter Geisen Cornelia Hirsch Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Thea Dückert Dr. Inge Höger Wolfgang Spanier Hans-Michael Goldmann Dr. Uschi Eid Ulla Jelpke Dr. Margrit Spielmann Miriam Gruß Kai Gehring Jörg-Otto Spiller Joachim Günther (Plauen) Katrin Göring-Eckardt Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Ditmar Staffelt Dr. Christel Happach-Kasan Anja Hajduk Dr. Hakki Keskin Dieter Steinecke Heinz-Peter Haustein Britta Haßelmann Katja Kipping Andreas Steppuhn Winfried Hermann Birgit Homburger Oskar Lafontaine Peter Hettlich Rolf Stöckel Dr. Werner Hoyer Michael Leutert Priska Hinz (Herborn) Christoph Strässer Michael Kauch Ulla Lötzer Dr. Anton Hofreiter Dr. Peter Struck Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Gesine Lötzsch Joachim Stünker Thilo Hoppe Hellmut Königshaus Ute Koczy Ulrich Maurer Dr. Rainer Tabillion Gudrun Kopp Jörg Tauss Renate Künast Dorothée Menzner (B) Jürgen Koppelin Markus Kurth Kornelia Möller (D) Jella Teuchner Heinz Lanfermann Dr. h. c. Wolfgang Thierse Undine Kurth (Quedlinburg) Kersten Naumann Sibylle Laurischk Jörn Thießen Wolfgang Nešković Harald Leibrecht Rüdiger Veit Anna Lührmann Dr. Norman Paech Ina Lenke Simone Violka Nicole Maisch Petra Pau Jörg Vogelsänger Sabine Leutheusser- Jerzy Montag Schnarrenberger Dr. Marlies Volkmer Kerstin Müller (Köln) Paul Schäfer (Köln) Markus Löning Winfried Nachtwei Hedi Wegener Volker Schneider Horst Meierhofer Omid Nouripour Andreas Weigel (Saarbrücken) Petra Weis Patrick Meinhardt Brigitte Pothmer Gunter Weißgerber Jan Mücke (Augsburg) Dr. Herbert Schui Burkhardt Müller-Sönksen Krista Sager Dr. Petra Sitte (Wiesloch) Dirk Niebel Christine Scheel Frank Spieth Dr. Hans-Joachim Otto Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Kirsten Tackmann Lydia Westrich (Frankfurt) Dr. Gerhard Schick Dr. Axel Troost Dr. Detlef Parr Rainder Steenblock Dr. Dieter Wiefelspütz Cornelia Pieper Jörn Wunderlich Engelbert Wistuba Gisela Piltz Hans-Christian Ströbele Sabine Zimmermann Dr. Jörg Rohde Dr. Harald Terpe Waltraud Wolff Frank Schäffler Jürgen Trittin fraktionslos (Wolmirstedt) Dr. Konrad Schily Wolfgang Wieland Heidi Wright Marina Schuster Josef Philip Winkler Gert Winkelmeier

Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 6 auf: (Beifall bei der SPD) Aktuelle Stunde Walter Kolbow (SPD): auf Verlangen der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein bestürzender Vorgang, dass der Prä- Jüngste Entwicklungen in Pakistan sident Pakistans, Musharraf, die Demokratie außer Kraft gesetzt hat. Zu Recht befassen wir uns hier im Parlament Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem in einer Aktuellen Stunde mit diesem bestürzenden Vor- Kollegen Walter Kolbow, SPD-Fraktion. gang. 12762 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Walter Kolbow (A) Die SPD-Bundestagsfraktion verlangt von der pakis- (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE (C) tanischen Führung die unverzügliche Rückkehr zur ver- LINKE]) fassungsmäßigen Ordnung und das Festhalten an der an- gekündigten Parlamentswahl. Wir protestieren gegen die Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Bundesregie- Massenverhaftungen und gegen jegliche Medienzensur. rung, wie getan, die aktuellen Ereignisse in ihre Überle- Wir äußern unseren Respekt sowohl vor der Richter- und gungen zur bilateralen Zusammenarbeit einbezieht. Dies Anwaltsbewegung mit Iftikhar Chaudhry an der Spitze ist richtig und wichtig. Andererseits dürfen wir nicht au- als auch vor den Journalisten, die sich bei ihrer Kom- ßer Acht lassen, dass Pakistan in der Region eine wich- mentierung nicht einschüchtern lassen. tige Rolle spielt. Insoweit gilt es, besonnen und politisch klug unsere nächsten Schritte zu planen. Das Abstimmen (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ unserer Haltung insbesondere im europäischen Rahmen CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜND- wissen wir bei Ihnen, Herr Außenminister, in guten Hän- NISSES 90/DIE GRÜNEN) den. Wir unterstreichen die Kommentierung der pakistani- Pakistan hat als Regionalmacht eine besondere und schen Zeitung The News, in der es hieß: Der 3. Novem- herausgehobene Verantwortung, die weit über die aktu- ber wird als weiterer dunkler Tag in die politische, elle innerpakistanische Machtfrage, die offensichtlich rechtsstaatliche Geschichte Pakistans eingehen. – Die persönliche Züge trägt, hinausgeht. Das sollte von denen massiven Proteste in Pakistan gegen den Ausnahmezu- bedacht werden, die Einfluss auf politische Entscheidun- stand zeigen, dass die pakistanische Zivilgesellschaft er- gen in Pakistan haben. starkt ist. Das ist positiv. Wir fordern von der pakistanischen Regierung die Anders kann auch die G-8-Afghanistan-Pakistan-Ini- Freilassung der unschuldig Verhafteten, unter ihnen der tiative, die am 30. Mai 2007 in Potsdam verabschiedet Chef der oppositionellen Moslemliga, PML-N, Javed wurde, nicht gelingen. Sicherheit, Stabilität und dauer- Hashmi, und die Vorsitzende der Menschenrechtskom- hafter Frieden in Afghanistan und in der Region gelin- mission, Asma Jehangir, und wir verlangen die Freilas- gen nicht mit Kriegsrecht in Pakistan. Die Mitglieder der sung der 40 festgenommenen Projektpartner der G 8 haben sich ausdrücklich bereit erklärt, mit den Re- Heinrich-Böll-Stiftung. gierungen Afghanistans und Pakistans eng zusammenzu- arbeiten, und zwar auf der Basis der bestehenden Me- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ chanismen der Vereinten Nationen. CSU, der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) Nur so wird Pakistan mit seiner 2 500 Kilometer lan- gen Grenze zu Afghanistan und als Frontstaat gegen den (B) An die internationale Gemeinschaft richten wir die (D) Terror stabilisiert werden können. Forderung, von sich aus alle Anstrengungen zu unter- nehmen, die dramatische Zuspitzung der seit Monaten in Hinzu kommt das pakistanische Nuklearprogramm. Pakistan herrschenden Krise einzuhegen. Es war richtig Schon seit Jahren heißt es, Pakistan sei eine politisch in- und wichtig, Herr Außenminister, dass Sie für die Bun- stabile Nuklearmacht mit fernen Bergregionen, die den desregierung die Ausrufung des Ausnahmezustandes in Terroristen als Rückzugsgebiete dienen. Es gibt alarmie- Pakistan unverzüglich kritisiert und dazu aufgefordert rende Informationen, dass die Taliban und al-Qaida Ge- haben, zur verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukeh- biete an der Grenze zu Afghanistan mehr und mehr be- ren. Wir unterstützen die Bundesregierung in diesen ih- herrschen. Die Folgen bekommen die NATO und unsere ren Bemühungen. Soldaten bei ISAF zu spüren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Pakistan ist ein Schlüssel für den Erfolg des Wieder- Es erfüllt unser Parlament mit Genugtuung, dass sich die aufbaus in Afghanistan. Pakistans Stabilität ist unab- Vereinigten Staaten eingeschaltet haben und der Präsi- dingbar für die regionale Stabilität und die Überwindung dent der USA die Wiederherstellung der Demokratie des internationalen Terrorismus. eingefordert hat. Auch Javier Solana hat dies für die Eu- ropäische Union zu Recht getan. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir befinden uns angesichts der eskalierten Lage in Auch deshalb muss Pakistan wieder demokratisch wer- Pakistan in einem schwierigen Spannungsfeld. Gleich- den, die Achtung der Menschenrechte gewährleisten, wohl hat Peter Münch recht, wenn er in der Süddeut- eine unabhängige Justiz, eine freie Presse, demokrati- schen Zeitung feststellt: sche Parteien, also starke Institutionen haben. Auch unter den zynischsten Regeln der Realpolitik (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) macht es wenig Sinn, weiterhin einen Diktator zu unterstützen, der die Demokraten bekämpft und die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind an der Islamisten nicht besiegen kann. Seite der Demonstrantinnen und Demonstranten. Wenn der lange Marsch der PPP und anderer nach Islamabad (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) jetzt stattfindet, dann möge er friedlich verlaufen und Uns allen ist bewusst, dass es bei deklaratorischen dann mögen die Ordnungskräfte wissen, dass man auf Aufforderungen an die pakistanischen Machthaber nicht Demokratinnen und Demokraten nicht schießt, sondern bleiben kann. sie unterstützt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12763

Walter Kolbow (A) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lieber Bundesaußenminister, wenn Sie einmal die Idee hatten, die Stabilisierung durch die U-Boote zu er- reichen, dann müssen Sie heute sagen, dass das falsch Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: war und dass Sie nicht liefern, wenn vom Militär weiter- Das Wort hat nun Kollege Jürgen Trittin, Fraktion hin Politik in dieser Form gemacht wird. Wir erwarten Bündnis 90/Die Grünen. hier eine sehr klare und sehr deutliche Ansage von Ih- nen. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss diesen Putsch mit allem Nachdruck verurteilen. Ich will das auch noch einmal unter einem anderen Aspekt sagen: Wer ist denn der Gewinner dieses Prozes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ses? Was macht das Militärregime? Betrachten wir die bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) großen Kräfte in der pakistanischen Gesellschaft: die Is- Das, was hier geschieht, ist unglaublich. Wer Richter ab- lamisten – sie werden immer stärker –, eine aufgeweckte setzt, statt sich dem Recht zu beugen, wer Rechtsanwälte Zivilbevölkerung und das Militär. Gegen wen geht das mit dem Gummiknüppel traktiert, wer Menschen, die an- Militär jetzt vor? Gegen die Islamisten? Nein, es sperrt deren helfen wollen, einsperrt, der ist kein Demokrat und die Basisbewegung, die aufgeklärte städtische Intelli- – das sage ich an dieser Stelle – der kann auch kein genz, all diejenigen, die für Meinungsfreiheit streiten, Bündnispartner für Demokratien sein, weil dadurch ein. Das heißt, es unterdrückt massiv genau die Kräfte, nicht dauerhaft Stabilität geschaffen wird. die die einzige Gegenmacht zu den Islamisten sein müss- ten. Deswegen werden die Islamisten durch diesen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Putsch gestärkt und nicht geschwächt, weshalb wir Put- sowie bei Abgeordneten der SPD) schisten nicht in dieser Form – mit solchen Rüstungslie- Ich sage das mit allem Ernst, weil wir alle wissen – Herr ferungen – unterstützen dürfen. Kolbow hat darauf hingewiesen –, welch zentrale Rolle Pakistan für einen Erfolg bei der Stabilisierung Afgha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nistans spielt. Man kann auch nicht sagen, dass sich die sowie bei Abgeordneten der SPD) Verbündeten der NATO hier zurückgehalten haben. Wir haben heute gehört, dass die Regierung erklärt Schauen Sie sich an, welche militärische Hilfe allein die hat, sie wolle im Februar Wahlen abhalten. Offensicht- USA in den letzten Jahren an die pakistanische Armee lich wirken die Proteste ein Stück. Aber Wahlen haben (B) geliefert haben – 10 Milliarden Dollar; 100 Millionen auch Voraussetzungen: Man kann keine Wahlen unter ei- (D) Dollar jeden Monat –, mit dem Ziel, Pakistan zu stabili- nem Ausnahmezustand abhalten. sieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Um zu sehen, was das Ergebnis ist, muss man Bilanz und bei der SPD) ziehen: Das Geld ist nicht für eine massive Bekämpfung der Aufständischen in Pakistan eingesetzt worden. Die Wahlen sind nur möglich, wenn der Richter Chaudhry Generalität und die höheren Offiziere haben sich mit die- wieder eingesetzt wird, wenn wieder Meinungsfreiheit sem Geld die Taschen vollgestopft. Sie haben das zum herrscht, wenn alle, die inhaftiert worden sind, wieder Teil nicht an ihre einfachen Soldaten weitergeleitet. freigelassen sind und wenn in diesem Lande die demo- Diese laufen heute zu den Taliban über, wodurch die kratischen Rechte wieder ihren Platz haben. Dazu gibt es ganze Regierung Musharraf lächerlich gemacht und zu keine Alternative. Wer die Demokratie in Pakistan unter- diesem Schritt getrieben wurde. drückt, wird am Ende erleben, dass die Islamisten die Sieger sein werden. Dies kann und darf nicht passieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ich finde, wenn man so etwas weiß, dann muss das bei der SPD und der LINKEN) doch Konsequenzen haben. Ja, wir sagen: Wir wollen, dass Pakistan stabil ist. – In ein solches Land kann man Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dann aber doch nicht immer weiter Geld pumpen. Man kann auch nicht einfach blind das fortsetzen, was bisher Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/ gemacht worden ist. CSU-Fraktion.

Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Sie müssen dem Hause einmal erklären, was drei Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe U-Boote mit der Situation in Waziristan zu tun haben Kolleginnen und Kollegen! In der Analyse und auch in und ob es in einer solchen Situation wirklich klug ist, der Verurteilung dessen, was in den letzten Tagen in Pa- U-Boote an ein Regime zu liefern, das so instabil ist und kistan geschehen ist, gibt es hier im Haus, wie ich glaube über ein ambitioniertes Raketenprogramm, nukleare Fä- – jedenfalls unter den demokratischen Fraktionen –, higkeiten und nukleare Waffen verfügt, und zu sagen, keine Differenzen. dass dies der Stabilisierung dieses Landes dient. Ich glaube nicht, dass dies der Stabilisierung Pakistans ge- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP dient hat. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12764 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Eckart von Klaeden (A) Deswegen will ich das, was die Kollegen Kolbow und sche Abstimmung zu suchen, damit es eine klare Ant- (C) Trittin gesagt haben, nicht wiederholen; ich unterstreiche wort der Europäischen Union auf die Verhältnisse und es ausdrücklich. Zustände in Pakistan gegeben hätte. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Lautstärke (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Empörung, die ich für berechtigt halte, manchmal neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- über die Hilflosigkeit hinweghelfen soll, SES 90/DIE GRÜNEN) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da hat er Das eigentliche Problem in Pakistan liegt aus meiner recht!) Sicht nicht allein in der Bekämpfung der Zivilgesell- schaft und in der Verhängung des Ausnahmezustands; die aus der Erkenntnis erwächst, dass unser Einfluss in vielmehr ergibt sich das eigentliche Dilemma aus der dieser Region bedauerlicherweise begrenzt ist. Die Lage Staatsräson Pakistans. Denn wir müssen leider beobach- in Pakistan ist außerordentlich kompliziert, und die geo- ten, dass die Saat aufgeht, die von General Zia ul-Haq politische Bedeutung des Landes ist nicht zu unterschät- und mehreren seiner Nachfolger einschließlich Mushar- zen. Pakistan spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität rafs gelegt wurde, nämlich auf eine Islamisierung Pakis- in Süd- und Zentralasien. Weder die Lösung des Kasch- tans zu setzen, um auf diese Weise den Nationalismus mir-Konflikts noch eine dauerhafte Befriedung in Af- der Paschtunen zu bekämpfen, der den Zusammenhalt ghanistan sind ohne eine aktive Rolle Pakistans denkbar. des Landes gefährdet, und eine nationale Identität zu Auch brauchen wir für eine effektive Bekämpfung des schaffen, die die Talibanisierung Pakistans befördert. internationalen Terrorismus eine enge Kooperation mit Islamabad. Auf die Gefahren, die mit der nuklearen Be- Wir stehen vor der großen Herausforderung, auf diese waffnung Pakistans verbunden sind, haben beide Vorred- Situation eine Antwort zu finden, eine Strategie zu ent- ner ebenfalls schon hingewiesen. wickeln, die der weiteren Entwicklung Einhalt gebieten oder sie zumindest verlangsamen kann. Eine nicht weg- Das Tragische und besonders Falsche an dem Verhal- zudenkende Voraussetzung dafür ist, dass die zivilgesell- ten Musharrafs ist, dass er mit seinem Putsch und der schaftlichen und demokratisch gesinnten Kräfte in Pa- Verhängung des Ausnahmezustands gerade diejenigen kistan, die es beeindruckenderweise gibt – der Kollege bekämpft, die er für die Bekämpfung des radikalen Isla- Kolbow hat darauf hingewiesen –, gestärkt werden und mismus so dringend braucht, und damit die Vorausset- sich unmissverständlich darauf verlassen können, dass zungen für das Scheitern des Projektes schafft, dem wir wir an ihrer Seite sind. uns alle verpflichtet fühlen und das für unsere eigene Si- cherheit enorm wichtig ist. Deswegen ist es erforderlich, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie (B) dass Pakistan so schnell wie möglich wieder zu demo- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (D) kratischeren Verhältnissen – ich bin mir der Ambivalenz GRÜNEN) dieses Komparativs durchaus bewusst – zurückkehrt, dass der Ausnahmezustand so schnell wie möglich auf- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gehoben wird und die Voraussetzungen für freie und Das Wort hat nun Kollege Werner Hoyer, FDP-Frak- faire Wahlen geschaffen werden. tion. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP (Beifall bei der FDP) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn wir erkennen, dass unser Einfluss begrenzt ist, Dr. Werner Hoyer (FDP): dann hätte ich mir allerdings gewünscht, dass sich die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! europäischen Staaten stärker zusammengefunden und zu Man läuft jetzt Gefahr, Wiederholungen zu äußern. Des- einer einheitlichen Reaktion durchgerungen hätten. wegen möchte ich pauschal feststellen, dass ich die von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Kollegen bisher erhobenen Forderungen nach Auf- hebung des Ausnahmezustands, Wiedereinführung der Es hat aber unterschiedliche Reaktionen gegeben. In den Gewaltenteilung und Ermöglichung freier und demokra- Niederlanden wird über das Einfrieren der Entwick- tischer Wahlen ausdrücklich unterstreiche. Ich unter- lungshilfe nachgedacht; möglicherweise ist sie schon streiche auch die Forderung, dass der Generalpräsident eingefroren worden. Man könnte aber auch mit guten seine Uniform ausziehen sollte, wie Eckart von Klaeden Gründen zu dem gegenteiligen Ergebnis kommen und eben gesagt hat. sagen, gerade jetzt seien mehr Entwicklungshilfe, mehr zivile Zusammenarbeit und mehr Unterstützung der Zi- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei vilgesellschaft in Pakistan erforderlich. Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Benazir Bhutto hat die Befürchtung geäußert, Pakis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tan bewege sich mit großen Schritten auf eine gewaltige Katastrophe zu. Ich fürchte, es gibt Anlass, davon auszu- Um widersprüchliche Signale aus Europa an Pakistan zu gehen, dass sie recht hat. Die beeindruckenden Mails vermeiden, wäre es wirklich gut gewesen, wenn jeder und Faxe, die sicherlich auch viele von Ihnen von pakis- Verantwortliche in den Regierungen in Europa die Kraft tanischen Kollegen bekommen, zeigen, wie verzweifelt aufgebracht hätte, in der Verurteilung der Verhältnisse die Lage ist. Es ist von Journalisten und Juristen gespro- und der Zustände einig zu sein und zugleich die europäi- chen worden; ich weise ausdrücklich auch auf Parlamen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12765

Dr. Werner Hoyer (A) tarier hin. Etliche von ihnen befinden sich auf der Flucht ist das Thema der Nichtverbreitung so außerordentlich (C) oder sind nicht mehr frei. Auch sie fordern uns auf, in brisant. In diesem Zusammenhang wurde zu Recht das dieser Situation Flagge zu zeigen. U-Boot-Thema angesprochen. Ich halte es für sehr be- denklich, dass der Wettbewerb mit dem französischen Wir haben heute Morgen über Afghanistan gespro- Konkurrenten gerade mit Verzicht auf die Proliferations- chen. Dabei hat auch Pakistan immer eine Rolle gespielt. klausel gewonnen werden konnte. Trotzdem ist es falsch, Pakistan immer nur durch die Brille unseres gegenwärtigen Afghanistan-Problems zu Der Zusammenhang mit dem indisch-amerikani- sehen. Pakistan ist wichtig und groß. Pakistan hat eine schen Nukleardeal ist evident, auf den sowohl in Indien enorme technologische Kapazität, die uns noch Schwie- als auch in Pakistan immer wieder Bezug genommen rigkeiten bereitet. Pakistan ist nicht nur Nuklearmacht, wird. Wir müssen die gewiss interessanten, aber wahr- sondern das größte Proliferationsproblem, das wir seit scheinlich akademisch bleibenden Überlegungen zum vielen Jahren haben. Thema Internationalisierung des nuklearen Brennstoff- kreislaufes durchaus fortsetzen. Aber wir müssen in der (Sebastian Edathy [SPD]: Allerdings!) Abrüstungspolitik sowie bei den konkret anstehenden Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir uns mit diesem Projekten und Vertragswerken eine klare Position fin- Thema befassen. den. Ich finde es gut, dass sich nun der Bundesaußenmi- nister dieses Themas kraftvoll annehmen wird. Insofern müssen wir die gegenwärtige Situation ana- lysieren und nüchtern betrachten. In Pakistan kommen Herzlichen Dank. alle Probleme der Region wie unter einem Brennglas zu- sammen. Wir haben es mit der Auseinandersetzung zwi- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der schen Islamisten und säkularen Kräften, Entwicklungs- SPD) defiziten enormer Dimensionen und der unbedingten Notwendigkeit, eine Atommacht staatlich stabil zu hal- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten, zu tun. Wir sehen das unbewältigte Erbe einer Kolo- Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion nialvergangenheit und nicht zuletzt – man muss das Die Linke. wohl so deutlich sagen – auch die Bereitschaft staatli- cher Autoritäten, vor Zusammenarbeit mit Terroristen (Beifall bei der LINKEN) gegebenenfalls nicht zurückzuschrecken. Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Damit ist die Politik des Westens gegenüber Pakistan Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – auch wir waren daran beteiligt – in den letzten Jahren Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns (B) gescheitert. Oberstes Ziel war die Stabilität des Landes (D) nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur. mit Rücksicht auf den Konflikt mit Indien und im Hin- Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat, blick auf die Sicherung des Nuklearwaffenpotenzials. nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt. Deswegen wurden lange Zeit beide Augen zugedrückt, Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie, selbst als sich die pakistanische Regierung mit den Tali- Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen ban zu arrangieren versuchte, was uns allen am sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind rich- 11. September 2001 teuer zu stehen gekommen ist. tig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir Seither geht Pakistan zwar gegen die Taliban vor, aber müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlo- es spielt auch eine Doppelrolle. General Musharraf gen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an glaubt offensichtlich, dass er Stabilität und Sicherheit er- der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht zielen kann, indem er Rechtsstaat und Demokratie preis- erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschge- gibt. Aber das Gegenteil wird eintreten: Auf dem jetzt neral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen eingeschlagenen Weg werden alle vier genannten Ele- schauen. mente auf der Strecke bleiben. Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der Für uns Liberale gilt für die Innenpolitik das Gleiche Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Bei- wie für die internationale Politik: Wer glaubt, Freiheit spiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner al- und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stellen zu kön- Qaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein nen, um Sicherheit und Stabilität zu erreichen, wird am funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzu- Ende mit leeren Händen dastehen. gängliche Trainingslager, exzellente elektronische Tech- nologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Si- (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei cherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie Abgeordneten der CDU/CSU und der LIN- eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine KEN) Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu Wir sollten uns aber auch Gedanken darüber machen, finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute wie es mit der internationalen Politik im Bereich der nu- ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamis- klearen Proliferation, der Atomrüstung, weitergeht, tische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-Qaida- wenn wir den Problemfall Pakistan nicht in den Griff be- Kämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor kommen. Die Restoptionen, die dann politisch verblei- Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Af- ben, sind fatal. Es droht ein unauflösbarer Konflikt zwi- ghanistan und im Irak findet dort die Operation Enduring schen unserem Wertesystem und den Realitäten. Deshalb Freedom nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen 12766 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Norman Paech (A) zudem – das wurde bereits erwähnt – über (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (C) 75 Atomsprengköpfe. Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Maga- Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des zine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed Sta- Auswärtigen: tes, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns ein- Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord- mal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat! neten! Es gibt einfachere Reden, und es gibt schwieri- Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher gere Reden. Eine Rede zur Bewertung der gegenwärti- ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angerei- gen Entwicklung in Pakistan gehört jedenfalls nach chertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle gera- meiner Ansicht zu den schwierigeren Reden, Herr tene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden Paech, wenn man redlich ist und wenn man Reden von Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außer- dieser Stelle aus nicht dazu benutzt, um nochmals die dem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten Fehler amerikanischer Außenpolitik zu entlarven, und seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sow- wenn man nicht, Jürgen Trittin, vergisst, dass wir auch in jets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Wi- den Jahren 2001 bis 2005 unter grüner Außenpolitik ver- derstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in sucht haben, Pakistan an uns zu binden. Das kann also die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle. nicht ganz falsch gewesen sein, auch nach deiner An- Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland sicht nicht. Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte Schon die Debatte bisher zeigt aus meiner Sicht: Die militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die an- Bilder und Nachrichten, die uns in den vergangenen Ta- schließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen. gen aus Pakistan erreichten, versetzen uns alle in der Tat Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schu- in große Sorge. Ja, die Ausrufung des Notstands ist nicht fen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen. nur ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverant- Pakistan, in Gefahr ist in der Tat die Stabilität im Lande wortung an der jetzigen Situation; insgesamt. Das ist eine schlechte Nachricht für Pakistan, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) aber auch eine schlechte Nachricht für die gesamte Re- gion Südasien. Wenn Pakistan mit seinen über denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf ge- 160 Millionen Einwohnern in Chaos und Gewalt ver- gen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Frei- sinkt, dann bedroht das die gesamte politische Tektonik fahrtschein ausgestellt. Was hat sie – das frage ich die weit über das Land hinaus, eben auch die im Nachbar- Regierung – eigentlich in Sachen Menschenrechte und land Afghanistan. Ich sage hier ganz klar: Niemals dür- Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie ge- (B) fen Atomwaffen und Raketensysteme in die Hände von (D) gen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir islamistischen Terroristen geraten. unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpo- litik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und ver- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der stößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie ge- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren. SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN und Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001 des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) ist Pakistan mit der Operation Enduring Freedom im An- Ich sage aber auch: Pakistans Präsident Musharraf hat titerrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie sich im Kampf gegen den Terror in den vergangenen gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbün- Jahren durchaus als wichtiger Verbündeter des gesamten deten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA an- Westens gezeigt. Er hat bis an den Rand seiner innenpo- geblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rück- litischen Kräfte nach den Anschlägen vom 11. Septem- zugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser ber 2001 den Kampf gegen al-Qaida und fanatisierte Ta- droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden. liban unterstützt. Ich betone das deshalb, weil wir uns Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in auch jetzt, in dieser schwierigen Situation in Pakistan, Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe vor Zerrbildern hüten sollten. Der eine oder andere hat für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger exis- die Gelegenheit zu politischen Gesprächen mit tieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokra- Musharraf gehabt. Wer ihn kennt, weiß – das ist kein tie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Be- Freibrief; verstehen Sie es bitte nicht so –, dass dieser seitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich Mann jedenfalls kein kaltblütiger Diktator ist. ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterror- Richtig ist leider auch: Der pakistanische Präsident kampfs zu trennen? sieht sich in seinem Land mit immer engeren Netzwer- Danke schön. ken konfrontiert, die – jetzt zitiere ich nicht ihn, sondern Benazir Bhutto – täglich Terror schüren, finanzieren und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ausführen. Ich füge hinzu: Das sind eben Netzwerke, die Winkelmeier [fraktionslos]) den Staat mit brutaler Gewalt von der Wurzel her zerstö- ren wollen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Was besagt das? Das besagt zunächst einmal, dass Das Wort hat nun Bundesminister Frank-Walter eine solche Situation Gegenwehr erforderlich machen Steinmeier. kann. Das besagt auch, dass eine solche Situation Ent- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12767

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) schiedenheit in den staatlichen Entscheidungen und im Oberste Priorität muss dann sein, die Voraussetzun- (C) staatlichen Verhalten begründen, wenn nicht sogar ver- gen für freie und faire Wahlen wieder zu schaffen. Ich langen kann. Ebenso deutlich sage ich aber: Gerade we- begrüße, dass die pakistanische Regierung angekündigt gen der großen Herausforderung für Pakistan, die ich be- hat – der pakistanische Außenminister hat es mir gestern schreibe, ist Pakistans Präsident mit der Ausrufung des am Telefon noch einmal versichert –, dass die in Aussicht Notstands auf einem Irrweg, ich glaube, auf einem ge- genommenen Wahlen tatsächlich Anfang des Jahres, also fährlichen Irrweg. Januar/Februar 2008, stattfinden sollen. Wir werden die pakistanische Regierung und Präsident Musharraf bezüg- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP lich dieser Ankündigung beim Wort nehmen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die unverzügliche Vorbereitung von wirklich freien Der eine oder andere von Ihnen hat es angesprochen: und fairen Wahlen wäre jedenfalls auch aus unserer Die Verhaftungen, der Hausarrest von Führern politi- Sicht ein wichtiges Zeichen dafür, dass es der Regierung scher Parteien, von Juristen, von Vertretern des öffentli- mit der Rückkehr zur Demokratie, mit der Rückkehr zur chen Lebens sind genau die falschen Mittel, um die Ord- verfassungsmäßigen Ordnung, die jetzt angekündigt nung in diesem Land zu erhalten; denn sie untergraben worden sind, ernst ist. das Fundament, auf dem die staatliche Ordnung in Pa- Ziel muss es sein, den Notstand so schnell wie mög- kistan bislang noch stand. Die Notstandsmaßnahmen lich zu beenden und zur verfassungsmäßigen Ordnung richten sich ganz offensichtlich – das hat auch jemand zurückzukehren. Solange dies nicht der Fall ist, werden von Ihnen gesagt – gerade gegen die Kräfte, die Pakistan wir auch in unseren bilateralen Beziehungen nicht ohne braucht, um eine demokratische, rechtsstaatliche und Weiteres zur Tagesordnung übergehen können. Das heißt stabile Gesellschaft aufzubauen. Ich unterstreiche: Mit konkret, dass wir unsere ohnehin restriktive Rüstungs- einer erzwungenen Friedhofsruhe ist für Pakistan der exportpolitik gegenüber Pakistan im Lichte der aktuellen Kampf gegen die Feinde des Staates ganz sicher nicht zu Ereignisse überprüfen müssen. gewinnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der CDU/CSU und der FDP) bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt auch – Kollegin Wieczorek-Zeul hat das in diesen Tagen bereits angekündigt –, dass wir jedenfalls Gemeinsam mit vielen internationalen Partnern, vor Entwicklungshilfe vorübergehend nur noch für solche allen Dingen aus der Europäischen Union, haben wir, die Projekte gewähren, die konkret den Menschen helfen. (B) Bundesregierung, deshalb eine klare Botschaft an die Unsere Politik – deshalb sage ich das – richtet sich ge- (D) Regierung in Islamabad gesandt: Allein die möglichst rade nicht gegen die Menschen in Pakistan, gerade sie schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung dürfen wir in dieser Situation nicht allein lassen. Wir kann aus dieser gefährlichen Krise herausführen. Das müssen die Zusammenarbeit in allen Bereichen aufrecht habe ich gestern auch meinem pakistanischen Kollegen erhalten und die suchen, die wieder zu stabileren Ver- in aller Offenheit am Telefon erläutert. hältnissen in Pakistan und der gesamten Region beitra- gen können. Mit anderen Worten: Niemand bezweifelt das Recht der pakistanischen Regierung, sich gegen terroristische Das allerdings ist erforderlich, und ich füge hinzu: Al- Angriffe zur Wehr zu setzen. Niemand bezweifelt die les andere würde ich auch für nicht verantwortlich hal- Notwendigkeit, für Stabilität und Sicherheit in Pakistan ten. Denn uns allen muss bewusst sein: Ohne Pakistan einzutreten. Aber wer nachhaltige Stabilität erreichen, wird es in Südasien, wird es gerade in Afghanistan keine wer die Menschen gegen religiöse und politische Extre- Stabilität geben können. Ohne Pakistan wird es auch im misten mobilisieren will, der muss dafür zwingend den Kampf gegen den internationalen islamistischen Terro- Weg von Rechtsstaat und Demokratie einschlagen. rismus keinen nachhaltigen Erfolg geben. Das war einer der wichtigen Gründe – ich bin Herrn Kolbow dankbar, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ dass er daran erinnert hat –, warum wir den afghanischen CSU und der FDP) und den pakistanischen Außenminister im Juni gemein- sam nach Potsdam eingeladen haben, um die Koopera- Eine zivile Regierung, das Prinzip der Gewaltentei- tion zwischen den beiden Ländern zu verbessern. lung, die Unabhängigkeit der Justiz, die Freiheit der Me- dien, das sind die tragenden Säulen jeder Demokratie, Meine Damen und Herren, wir haben alles in allem in und es sind auch die Säulen, die Pakistan vor dem Chaos einer schwierigen und, was die weitere Entwicklung an- bewahren. Ich erneuere deshalb meinen Appell, die vie- geht, schwer zu beurteilenden Lage ein ureigenes Inte- len politischen Führer, Anwälte, Journalisten und Vertre- resse daran, dass Pakistan schnellstmöglich wieder zu ter der Zivilgesellschaft schnellstmöglich wieder auf Demokratie und Stabilität zurückkehrt. Genau dafür freien Fuß zu setzen und die Einschränkungen, vor allen werden wir uns und werde ich mich nach Kräften einset- Dingen der Medienfreiheit, zurückzunehmen. zen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der bei Abgeordneten der LINKEN) FDP) 12768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: inzwischen auf dem Tisch liegt, dann muss man feststel- (C) Nun hat Kollege Alexander Bonde, Fraktion Bünd- len: Es gibt im Gegenteil eine massive Anstrengung für nis 90/Die Grünen, das Wort. Rüstungsgeschäfte in der Region, sowohl in Pakistan wie auch in Indien, über das wir in dem Zusammenhang Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): natürlich mit sprechen müssen. Wir wollen und müssen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Sie ermuntern, Ihre Politik zu überprüfen, weil das Res- in diesem Hause sind uns in der Bewertung der Situation triktive in den letzten Jahren doch etwas zu kurz gekom- in Pakistan an den meisten Stellen sehr einig. Insofern, men ist. Herr Außenminister, kann ich die Bemerkung, die Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gegenüber meinem Kollegen Trittin gemacht haben, nicht ganz nachvollziehen. Selbstverständlich unter- Ich will das beispielhaft an der Frage der U-Boot-Lie- streicht jeder bei uns in der Fraktion die Notwendigkeit, ferungen an Pakistan noch einmal ausführen. Sie haben Pakistan an uns zu binden, um es in einen positiven Pro- im Geheimen beschlossen, drei U-Boote nach Pakistan zess in der Region einzugliedern. Insofern weiß ich zu liefern: modernste Bauart, Brennstoffzelle, schwer zu nicht, weshalb Sie hier versucht haben, Fronten aufzu- erkennen, potenzielles Erstschlags- oder Zweitschlagsin- machen, die wir in diesem Haus gar nicht haben. strument, selbst konventionell eine ganz erhebliche He- rausforderung für die regionale Stabilität im Bereich um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pakistan herum. Wir müssen in dieser Situation aber auch genau In einer schwierigen Situation mit Pakistan ist Indien. schauen, welche Fehler wir im Bündnis mit Pakistan ma- Sie als Bundesregierung fahren auch in der Frage der chen. Die Diskussion über die Entwicklungszusammen- Lieferung von Eurofightern wie auch in der Frage des arbeit ist da die denkbar falsche Diskussion. Die Pro- Nukleardeals mit Indien keine restriktive Politik, son- jekte, die wir dort durchführen, helfen den Menschen dern vernachlässigen den Charakter der Region als Kri- tatsächlich und tragen mehr zur Stabilität bei als die an- senregion an den Stellen, wo Wirtschaftsinteressen zie- deren Dinge, auf die wir noch zu sprechen kommen hen. Wir fragen Sie hier seit einem halben Jahr, welches müssen. nationale Interesse, welches besondere außen- und si- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) cherheitspolitische Interesse die Bundesregierung an diesen Rüstungsdeals hat. Die Antwort verweigern Sie Wenn man sich die aktuelle Situation anschaut, muss bis heute. man sich bei allem Interesse an einem engen Bündnis Es ist deutlich: Wir können überhaupt kein außen- mit Pakistan die Rolle des Militärs in der pakistanischen und sicherheitspolitisches Interesse daran haben, diese (B) Gesellschaft genau anschauen. Da muss man auch kon- (D) Art von Systemen an pakistanische Militärs zu liefern, statieren, dass der feste Wille von Musharraf und den zumal wir wissen – vor einem halben Jahr wussten wir Militärs, gegen den Islamismus vorzugehen, nicht in je- es auch schon –, dass niemand sagen kann, wer eigent- der der Meldungen über die Situation in Pakistan, die lich am Ruder dieser U-Boote sitzen wird, wenn sie denn wir heute mitbekommen, ersichtlich ist und dass die ei- jemals geliefert werden. Da ist die Überprüfung, die Sie gentlich zu stärkenden Kräfte in Pakistan diejenigen hier ankündigen, mehr als angezeigt. sind, die unter dem Militär zu leiden haben. Um es ein- mal deutlich zu formulieren: Man hat nicht den Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) druck, dass die Islamisten im Moment Hauptadressat staatlicher Gewalt sind. Wir müssen in dem Zusammenhang auch sehen, dass die Appelle, die hier zu einer gemeinsamen europäi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schen Position ausgesprochen werden, eine große He- rausforderung für die Linie der Bundesregierung darstel- Demzufolge muss man genau hinsehen, wie sich der len. Umgang Deutschlands mit Pakistan entwickelt hat, darf aber auch das regionale Gesamtgefüge nicht aus dem (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Blick verlieren. Wenn Sie, Herr Außenminister, von der NEN]: Wohl wahr!) ohnehin restriktiven Rüstungsexportpolitik Deutsch- lands gegenüber Pakistan sprechen, muss man dem ein- Wieder am Beispiel dieser U-Boote, aber auch bei ande- mal die konkreten Zahlen gegenüberstellen. Wir sehen, ren Projekten muss man sich einmal anschauen, welches dass sich Pakistan inzwischen – die Bundesregierung hat Wettrennen da zwischen Deutschen und Franzosen statt- gestern den Rüstungsexportbericht vorgelegt – in den findet – erlauben Sie den Ausdruck: welche Schleimspur Top Zehn befindet. da von Islamabad nach Rawalpindi gezogen wird – in der Konkurrenz darum, wer denn solche Systeme, über (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die wir hier sprechen, liefern darf. Oh! Das ist schlecht!) Angesichts dessen ist die erste Anstrengung, die wir Das gibt uns zu denken. Wenn man miterlebt, welch in- von Ihnen erwarten, die, die tatsächliche Europäisierung tensiver Handelstourismus von verschiedensten Minis- auf Basis dessen, was im europäischen Verhaltenskodex tern der Bundesregierung in dieser Region betrieben zum Rüstungsexportbereich enthalten ist, durchzusetzen. wird – der Verteidigungsminister, aber auch andere wa- Dann wird auch deutlich: Die restriktive Position gegen- ren da schon unterwegs –, und wenn man sieht, was da über Pakistan mit der Einstufung dieser Region als Kri- an wirtschaftlichen Interessen besteht und an Projekten sengebiet muss endlich entsprechend den Richtlinien der Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12769

Alexander Bonde (A) Bundesregierung wie auch des europäischen Verhaltens- den Kämpfernachschub nach Afghanistan unter Kon- (C) kodexes bezogen werden. Wir ermuntern Sie ausdrück- trolle zu bekommen. Wir haben natürlich – dazu will ich lich, diesen Weg einzuschlagen. Die Zahlen sprechen noch ein paar Worte in Ergänzung zu dem sagen, was der aber leider eine andere Sprache. Kollege Hoyer angesprochen hat – das unmittelbare vitale Interesse, dass die Atomwaffen, über die Pakistan Wenn die Situation in Pakistan etwas dazu beiträgt, verfügt, nicht in die falschen Hände geraten. Diese Ge- dass wir einen gemeinsamen Lernprozess durchmachen, fahr ist mit dem Ausnahmezustand gewachsen. dann sollte das der erste Weg sein; den können Sie schnell umsetzen. Wir warten gespannt darauf, Herr Mi- Wir haben, wenn wir ehrlich sind – das hat mein Kol- nister. lege von Klaeden richtigerweise gesagt –, wenig eigene Einflussmöglichkeiten als Bundesrepublik Deutschland; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) diese Möglichkeiten sollten wir nicht überschätzen. Die Europäische Union muss – das würde ich mir, gerade im Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Hinblick auf die hier angemahnte Überprüfung der Mili- Ich erteile das Wort Kollegen Ruprecht Polenz, CDU/ tärzusammenarbeit, wünschen – hier zu gemeinsamen CSU-Fraktion. Positionen finden. Sonst nützen die Forderungen, unsere Form der Kooperation zu überdenken, wenig; das muss (Beifall bei der CDU/CSU) auf europäischer Ebene überprüft werden. Ich schließe mich durchaus dem Wunsch an, bei der Militärhilfe jetzt Ruprecht Polenz (CDU/CSU): eine Art Moratorium vorzusehen, um zu schauen, mit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wem wir es nach der – hoffentlich erfolgreichen – Be- Diese Debatte hat deutlich gemacht, dass wir alle aner- wältigung der Krise in Pakistan dauerhaft zu tun haben. kennen: Pakistan ist ein strategischer Schlüsselstaat – un- abhängig von all den Problemen, die hier zu Recht be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der schrieben worden sind –, und zwar zum Ersten wegen SPD und der FDP) seiner Atomwaffen und zum Zweiten wegen seiner Be- deutung im Kampf gegen den internationalen Terroris- Bei der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages mus. müssen wir mittelfristig natürlich auch darüber nachden- ken, welche Brücken der Sperrvertrag Ländern wie In- Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen mit der dien, Pakistan und Israel bieten kann, in das Regime zu- Frage: Wie sieht es jetzt aus, und hätte man das verhin- rückzukehren oder einzutreten. Darüber wird bisher dern können? – Wir müssen einfach erkennen, dass der nicht allzu viel nachgedacht. Ich möchte uns alle auch Staat Pakistan von Anfang an ein großes Identitätspro- dazu auffordern, hier gemeinsam Wege zu finden. (B) blem gehabt hat, das er bis heute nicht hat lösen können. (D) Es ist im Wesentlichen, wenn ich es richtig sehe, eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Art Antiidentität, die den pakistanischen Staat zusam- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) menhält. Vor allem ist man antiindisch. Man ist jetzt zu- nehmend antiwestlich im Allgemeinen und antiamerika- Wenigstens müsste man versuchen, aus dem indisch- nisch im Besonderen. Weil sich dieser Staat auf den amerikanischen Abkommen einen Weg generellerer Art Islam begründet hat, war von Anfang an der Wider- zu finden, der dann auch für die anderen Länder gilt, die spruch inhärent, den der Islam für das Staatsverständnis näher an den Atomwaffensperrvertrag herangeführt wer- beinhaltet, nämlich eigentlich eine weltumfassende den sollten. Umma der Gläubigen zu sein, was sich nicht einfach in Nun zum Kampf gegen den Terrorismus. Es wird im- eine nationalstaatliche Schublade stecken lässt. Aus der mer gesagt, unsere offenen Gesellschaften seien beson- eben skizzierten Antiidentität heraus hat sich die spezi- ders anfällig. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Un- elle islamische Ausprägung in Pakistan zunehmend zu sere demokratischen Werte sind die stärkste Waffe im einer Art Dschihad-Islamismus entwickelt. Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Diese schwierige Grundlage hat dazu geführt, dass das Land in den 60 Jahren seiner bisherigen Unabhän- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP gigkeitsgeschichte 30 Jahre vom Militär regiert wurde, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weil das Militär wohl immer wieder die einzige Klam- Das gilt für das, was wir intern machen, und das muss mer war, die das Land zusammengehalten hat. Aber wir mindestens mittelbar bei der Frage zum Ausdruck ge- wissen aus der Entwicklung in Lateinamerika und an- bracht werden, mit welchen Partnern wir den internatio- derswo, dass Streitkräfte in einer solchen staatstragenden nalen Terrorismus bekämpfen. Deshalb bleibt es wichtig Rolle selten Geburtshelfer für demokratische Verhält- – dazu werden meine Kollegen gleich noch sprechen –, nisse sind. Jetzt sehen wir, dass der Ausnahmezustand dass wir die Respektierung der Menschenrechte und die die Lage noch weiter zuspitzt. Ich kann mich natürlich Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung einfordern allen Forderungen, die hier erhoben worden sind, an- und dass wir denen, die in Pakistan genau dafür kämp- schließen. fen, unsere Solidarität zusichern. Das ist das Ergebnis Folgendes bleibt aber unabhängig von der schwieri- dieser Aktuellen Stunde. gen Problematik bestehen: Wir haben mit unseren Vielen Dank. 40 000 Soldaten der ISAF-Truppen in Afghanistan ein ganz vehementes Interesse an Stabilität in Pakistan und (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP an einer pakistanischen Regierung, die in der Lage ist, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 12770 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Terror andererseits gezwungen, sich klar auf die Seite (C) Ich erteile das Wort Kollegen Johannes Pflug, SPD- der Amerikaner, der Antiterrorkoalition zu stellen. Da- Fraktion. mit begann natürlich die auch für ihn selbst lebensge- fährliche Auseinandersetzung mit den Radikalen im ei- Johannes Pflug (SPD): genen Lande und mit seinem Geheimdienst. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Das, was er sich vorgenommen hatte, etwa die Inte- Paech hat vorhin in seiner Rede darauf hingewiesen, gration der Religionsschulen, ist nicht ansatzweise ge- dass es eigentlich keine Überraschung gewesen sei, dass lungen. Als ich damals in Pakistan war, sprach man von Pervez Musharraf den Ausnahmezustand ausgerufen 8 000 bis 12 000 Religionsschulen. Mittlerweile spricht habe; das habe man aus der Historie ablesen können. In man von 14 000 bis 20 000. Wenn man sich überlegt, der Tat, Kollege Paech, dies ist keine Überraschung ge- welches Potenzial dahintersteckt – ich unterstelle ein- wesen; denn bereits am 7. Oktober hat Musharraf zum mal, dass jede Religionsschule in der Lage ist, zumindest ersten Mal mit der Verhängung des Ausnahmezustandes 1 000 bis 5 000 Anhänger innerhalb kürzester Zeit zu kokettiert. Das hatte allerdings einen anderen Ursprung: mobilisieren, und das bei 20 000 Religionsschulen –, Damals war er sich nicht sicher, ob der von ihm ur- dann weiß man, dass innerhalb von wenigen Stunden sprünglich abgesetzte Richter Chaudhry seine mögliche Millionen auf die Straße zu bringen sind. Das ist in der Wiederwahl bestätigen würde. Vergangenheit von den sogenannten demokratischen Nun kann man solche historischen Betrachtungswei- Parteien natürlich immer wieder ausgenutzt worden. sen natürlich immer vornehmen; das kann ganz nützlich Wenn sie versuchten, ihre Zwecke zu verfolgen, wurden sein. Die Frage ist nur: Wann und wo beginnt man da- die Anhänger auf die Straße geschickt. mit? Sie hätten natürlich auch sagen können: 1979, 1980 oder 1981 wurde dieses Land zum ersten Mal instabili- Wir sollten uns aber weniger mit der Vergangenheit siert, als die Afghanen auf der Flucht vor den sowjeti- beschäftigen und uns vielmehr die Frage stellen: Wie schen Panzern nach Pakistan gingen und den Prozess der könnte es weitergehen? Wie sieht die Zukunft aus? Nach Instabilisierung in Gang setzten bzw. fortsetzten. Ich meiner Einschätzung gibt es vier Entwicklungsszena- gebe Ihnen recht: Natürlich haben die Amerikaner in Pa- rien: Das erste Szenario ist gespenstisch. Der Staat zer- kistan eine falsche Politik gemacht. Aber auch dazu sage fällt und würde ähnlich unkontrollierbar wie Afghanis- ich: Sie sind wahrscheinlich nicht die Einzigen gewesen, tan, wenn wir Afghanistan verlassen würden. Zweites die in den vergangenen Jahrzehnten eine falsche Politik Szenario: Es entsteht so etwas Ähnliches wie ein islami- gemacht haben. Auch andere sollen das gemacht haben. – scher Gottesstaat. Drittes Szenario – das ist die augen- Das ist also so eine Sache mit den historischen Reminis- blickliche Entwicklung –: Die vom Militär gestützte Re- (B) zenzen. gierung bleibt an der Macht, und es entwickelt sich eine (D) harte Militärdiktatur in Pakistan. Viertes Szenario: Die Ich will das aufgreifen, worauf der Außenminister Demokratisierung bringt die alten, korrupten Führungs- eingegangen ist. Ich hatte nach dem Oktober 1999 die eliten wieder ins Amt. Gelegenheit, Pakistan zu bereisen. Das war einige Mo- nate nach dem Militärputsch. Außenminister Steinmeier Ich denke, alle vier Alternativen sind nicht besonders hat völlig recht: Ich habe damals nicht einen Pakistaner erfreulich. Von daher, meine ich, sollten wir versuchen, erlebt, der mir gesagt hätte, dass Musharraf ein blutiger alle unsere Möglichkeiten zu nutzen – es sind nicht Militärdiktator ist. Vielmehr waren in Pakistan gerade viele; sie haben eher appellatorischen Charakter –, das mit der Machtübernahme dieses Militärmachthabers zu fordern, was wir für notwendig halten. große Hoffnungen verbunden; denn man sagte: Die al- ten, korrupten Parteieliten haben ausgedient. Sie haben Von den Kolleginnen und Kollegen ist hier schon ge- das Land an den Abgrund gebracht. sagt worden: Wir sollten über die Europäer an die Verei- nigten Staaten appellieren, die Militärhilfe einzustellen. Er hat ja in den vergangenen Jahren durchaus ver- Präsident Bush hat ja angekündigt, dass er seine Maß- sucht, ziemlich viele demokratische Elemente zu bewah- nahmen überprüfen wolle. ren. Es gab eigentlich bis letzte Woche so etwas wie Pressefreiheit in Pakistan. Es gab keine Massenverhaf- Wir sollten weiterhin appellieren, dass Pakistan als- tungen. Selbst die Parteien durften sich artikulieren, was bald zur Demokratie zurückkehrt – wobei ich einschrän- allerdings für uns kein Grund sein kann, in ihm jetzt den kend sage: zu einer demokratischen Entwicklung mit Garanten eines Übergangs in eine demokratische Ent- oder ohne Musharraf. wicklung zu sehen. In jedem Fall müssen im nächsten Jahr demokratische Was er sich 1999 vorgenommen hatte, konnte er aller- Wahlen abgehalten werden, an denen sich natürlich die dings nicht umsetzen. Sicherlich hat dazu die Entwick- beiden großen Parteien und andere beteiligen. Vielleicht lung nach dem 11. September 2001 beigetragen. Die kann es so etwas wie eine Allparteienregierung geben. – Amerikaner haben ihn in die Antiterrorkoalition ge- Dabei will ich aber nicht darauf eingehen, ob es sinnvoll zwungen. Damit begann natürlich das Desaster für ihn ist, dass Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif dieser Regie- und das Land. Denn Musharraf war in der Abwägung rung angehören. Das sind doch die Repräsentanten dieser zwischen den religiösen Strömungen, insbesondere den alten korrupten Eliten. Aber es wird ohne die demokrati- fundamentalistischen Strömungen, in seinem Lande ei- schen Parteien nicht gehen. Vermutlich wird es auch nicht nerseits und der Bündnissolidarität im Kampf gegen den ohne die Hilfe von Musharraf gehen, der diesen Übergang Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12771

Johannes Pflug (A) mit einleiten muss. Dann ist irgendwann, meine ich, der kratischeren Entwicklung, als sie heute erkennbar ist, se- (C) Zeitpunkt gekommen, dass auch Musharraf zu gehen hat. hen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: der SPD) Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Schauen Sie sich einmal an, wie Präsident Musharraf Johannes Pflug (SPD): den Ausnahmezustand tatsächlich selber begründet hat: Ja. – Bei der Frage, warum uns das Ganze interessiert, Es geht ihm um das Problem einer drohenden Destabili- verweise ich auf unsere Debatte am heutigen Morgen. sierung des Landes und um das Problem, dass die Extre- Pakistan kann man nicht ohne Afghanistan sehen, und misten immer mehr an Macht gewinnen. Das wirft natür- Afghanistan kann man nicht ohne Pakistan sehen. So- lich Fragen auf. Die erste Frage ist: Warum jetzt? Dass lange wir in Afghanistan engagiert sind, bleibt uns nichts die Taliban in diesem Land mehr Einfluss gewinnen, ist anderes übrig, als uns auch für Pakistan zu engagieren keine neue Entwicklung. Weiterhin wirft das die Frage und uns dafür einzusetzen, dass dort eine demokratische auf: Wen trifft eigentlich dieser Ausnahmezustand? – Entwicklung einsetzt und das Land und die Region sich Diese Frage ist hier heute schon behandelt worden. – Er stabilisieren. trifft diejenigen, die sich für Demokratie einsetzen. Er trifft diejenigen, die sich für Rechtstaatlichkeit einset- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und zen. Er trifft die Anwälte, er trifft die Opposition, er trifft dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) viele, die Musharraf eigentlich braucht, um den Kampf gegen den Extremismus gewinnen zu können. Deshalb Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: meine ich, dass ihm klargemacht werden muss – auch in Ich erteile das Wort dem Kollegen Holger Haibach, seinem eigenen Interesse –, dass er falsch liegt, wenn er CDU/CSU-Fraktion. glaubt, dass er diese Entwicklung fortsetzen kann, und dass er falsch liegt, wenn er glaubt, dass wir auf diese Art und Weise mehr Stabilität für das Land bekommen. Holger Haibach (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- Es kommt noch die Tatsache hinzu, dass nicht einmal gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Johannes die UN-Sonderberichterstatterin für Religions- und Pflug hat recht, wenn er sagt, dass man Afghanistan und Glaubensfreiheit, die in diesem Land lebt, davor gefeit Pakistan zusammen sehen müsse. Ich teile sehr vieles ist, unter Hausarrest gestellt zu werden. Das sollte die in- von dem, was heute gesagt worden ist. ternationale Staatengemeinschaft doch in höchstem Maße beunruhigen. (B) Aber im Hinblick auf den Beitrag vom Kollegen (D) Paech möchte ich schon noch sagen: Wenn man ver- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der sucht, die heutige Debatte über Pakistan zu einer Debatte FDP sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] über Afghanistan, das militärische Engagement und die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Fehler der Vergangenheit umzufunktionieren, ist das an- gesichts der Probleme in Pakistan auf keinen Fall ange- Es ist vollkommen evident – darauf ist vielfach hinge- messen und dieser Debatte nicht würdig. wiesen worden –, dass Pakistan für uns ein wichtiger Partner ist. Pakistan ist zum Beispiel ein wichtiger Part- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LIN- ner in der Region, wenn es um die Frage geht, wie wir KEN: Sagen Sie doch einmal, warum!) Afghanistan stabilisieren können. Pakistan ist ja auch – Dazu komme ich gleich. – Wenn Sie sagen, Deutsch- eine Atommacht. Michael Stürmer hat vorgestern in der land habe sich da nicht hinreichend engagiert, ist das Welt sinngemäß geschrieben: Wenn Pakistan verloren schlichtweg falsch. Schauen Sie sich einmal an, durch geht, dann geht auch Afghanistan verloren. Unter diesem wessen Vermittlung ein wenig Bewegung in die Kasch- Aspekt müssen wir die gesamte Debatte sehen. mir-Frage gekommen ist! Diese Bundesregierung ist da- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ich habe es ran beteiligt gewesen. Schauen Sie sich einmal an, was kritisiert!) im Bereich der Demokratisierung in Pakistan passiert ist! Dort hat sich ebenfalls unsere Bundesregierung sehr – Es ist sehr interessant, dass diejenigen, die immer in stark engagiert. Das alles kann man sicherlich verbes- der Vergangenheit rühren und sagen, dass in der Vergan- sern; niemand ist perfekt. Aber ich glaube schon, dass genheit immer nur von einer Seite etwas falsch gemacht wir daran einen entscheidenden Anteil gehabt haben. – wurde, nämlich von den Amerikanern, nicht bereit sind, Ich denke, der Kollege Ruck wird dazu noch das eine anzuerkennen, dass diese Region eine lange Geschichte oder andere sagen. hat. Sie geht nicht nur 60 Jahre zurück, sondern wesent- lich weiter. Sehr viele Mächte, nicht nur die USA, haben Ich finde, dies ist ein Kernproblem. Es ist zu fragen: sich dort in sehr unguter Form betätigt. Ich finde, man Kann man eigentlich stabile Strukturen auf Kosten von kann nicht die Verantwortung des einen betonen, aber Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechten die Verantwortung des anderen nicht nennen. aufrechterhalten? Ich glaube, dazu muss man ganz deut- lich sagen: Nein, das ist definitiv der falsche Weg. Unser Das ist aber nicht die Frage, um die es geht. Die Signal kann nicht sein, eine solche Lösung in irgendei- Frage, um die es geht, ist, wie wir einen Beitrag dazu ner Form zu unterstützen. Vielmehr müssen wir deutlich leisten können, dass es in Pakistan zu stabilen Verhält- sagen, dass wir die Zukunft Pakistans nur in einer demo- nissen kommt und die Menschenrechte geachtet werden. 12772 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Holger Haibach (A) Es ist vor allem notwendig, nach vorne zu sehen. Wir kampf ist ja deshalb ausgebrochen, weil Musharraf ge- (C) müssen deutlich machen, dass wir das, was geschehen meint hat, dass der oberste Richter Chaudhry, sein Erz- ist, verurteilen und an der Seite derjenigen stehen, die feind, aufgrund der vergangenen Ereignisse, die hier sich für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einset- auch schon erwähnt worden sind, seine Wiederwahl als zen. Der sonst so viel gescholtene amerikanische Präsi- Präsident nicht als legitim abnicken würde, er also in dent Bush hat gesagt, dass Diktaturen ein Nährboden für große Schwierigkeiten kommen würde, wenn dieser wachsenden Extremismus sind. Es wäre eine Katastro- Mann nicht mundtot gemacht wird. Aber diese Men- phe – nicht nur für die USA oder die westliche Welt, schen lassen sich nicht mundtot machen. Es gibt, wie ich sondern für die gesamte Region, insbesondere für Pakis- finde, einige schöne Zitate von ihm, die es sich anzuhö- tan –, wenn sich dieses Wort ausgerechnet in diesem ren lohnt. Chaudhry sagt: Er hat die Verfassung in Stü- Land bewahrheiten würde. cke gerissen. – Das ist in der Tat eine schöne bildliche Sprache, die wir uns meistens gar nicht mehr leisten. Au- Herzlichen Dank. ßerdem ruft er seine Mitmenschen auf, sich für die Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie fassung zu opfern. bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte nicht, dass diese Menschen geopfert wer- den. Ich möchte vielmehr, dass wir uns überlegen, wel- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: che Möglichkeiten es gibt. Ich bin froh, dass es so viele Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Uta Zapf für Appelle zur Rückkehr zur Demokratie gegeben hat. In die SPD-Fraktion. der Tat ist es notwendig, dass die Verhafteten entlassen werden, dass die Verfassung wieder in Kraft gesetzt wird, dass Wahlen angesetzt werden und dass Musharraf Uta Zapf (SPD): seine Armeeuniform auszieht. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- legen! Hier ist schon so viel Richtiges über die Situation (Beifall bei der SPD) und die Hintergründe gesagt worden, dass ich das nicht noch einmal wiederholen möchte. Ganz deutlich ist ge- Das alles löst aber das Problem noch nicht endgültig. worden, dass wir alle ein Stück weit hilflos sind bezüg- Das Problem ist tiefer gehend; denn keine der Parteien, lich der Frage, wie wir diese tiefe Krise, die uns ganz weder Musharrafs Partei noch die beiden anderen großen hautnah betrifft – auch, aber nicht nur wegen Afghanis- Parteien, hat eine politische Vorstellung, wie man dieses tan –, beilegen können bzw. einen Beitrag zur Lösung Land stabilisieren kann. Sie haben nur Machtvorstellun- leisten können. gen, wie man dieses Land ausrauben oder beherrschen (B) kann. Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Wir alle wis- (D) Dass Pakistan ein Partner im Kampf gegen den Terror sen ja, dass es notwendig ist, dieses Land zu stabilisie- ist – gegen al-Qaida und die Taliban, die im Grenzgebiet ren, und dass dies nur dann möglich ist, wenn wir die zwischen Afghanistan und Pakistan sitzen –, ist erwähnt Menschen überzeugen, dass es sich lohnt, in diesem worden. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die wei- Land zu leben und Demokratie zu praktizieren. tere Entwicklung Konsequenzen für die gesamte Region hat. Für uns muss angesichts dessen, was in dem nuklear Wir müssen auch bei den bisher unbeherrschbaren bewaffneten, instabilen Staat Pakistan passiert ist, die Gebieten wie Waziristan und Belutschistan, in denen die höchste Alarmstufe gelten. In Pakistan ist nicht nur der Taliban sitzen, ansetzen. Die dortige Entwicklung macht Notstand verhängt worden, sozusagen nach den Regeln uns große Sorge, weil da zum Beispiel Soldaten, die der Kunst, sondern das war schlichtweg auch ein Coup: keine Lust mehr hatten, gegen ihre Stammesbrüder, die Die Verfassung ist ausgehebelt und eine vorläufige Ver- als Taliban bezeichnet wurden, zu kämpfen, ihre Waffen fassung etabliert worden, die jederzeit geändert werden niedergelegt haben und übergelaufen sind. Man hat über kann. Die Richter sind verjagt worden, und alle Opposi- Jahrzehnte versäumt, den Menschen in diesen Gebieten tionellen werden verfolgt. eine Perspektive zu geben. Dort besteht ein Nährboden für Radikalismus und Fundamentalismus, welchen Ich möchte mich auf das Szenario beziehen, das Musharraf bekämpfen sollte, aber tatsächlich nicht be- Johannes Pflug beschrieben hat. Die Szenarien sind alle kämpft. Ich denke, was ich in einer Presseerklärung von nicht besonders schön, das letzte müssen wir allerdings Herrn Polenz gelesen habe, ist der richtige Weg: Militär- als realistisch bezeichnen: Die verschiedenen Parteien hilfe überdenken, aber die humanitäre Hilfe nicht ein- sind nicht so aufgestellt, wie wir uns das wünschen. stellen. Benazir Bhutto ist, nachdem ihr die Absolution für ihre vergangenen Sünden versprochen wurde, zurückgekom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten men und hat sich als Partnerin für Musharraf angeboten. der CDU/CSU und der FDP) Sie ist äußerst unglaubwürdig, wenn sie jetzt plötzlich zum Widerstand aufruft und sich als die beste demokra- Ich würde sogar dafür plädieren, sich viele Gedanken tische Oppositionelle gebärdet. darüber zu machen, wie wir helfen können – ebenso massiv, wie wir Afghanistan, dem geschundenen Land, Die eigentlichen Helden in Pakistan sind in der Tat geholfen haben –, diese Regionen zu stabilisieren. Das die Richter und die anderen Oppositionellen, die es ge- ist in unserem eigenen Interesse. Ich erinnere trotz Ihres wagt haben, mit aufrechtem Kreuz den Gelüsten von Widerspruchs daran, dass Pakistan und Afghanistan im Musharraf entgegenzutreten. Der eigentliche Macht- Zusammenhang gesehen werden müssen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12773

Uta Zapf (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wenn es zutrifft – das ist zweifellos der Fall –, dass (C) der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung SES 90/DIE GRÜNEN) Pakistans – keine Grabesruhe – für den Erfolg unserer Afghanistan-Mission entscheidend sind, dann ist es in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: der Tat richtig, den Grundgedanken des damaligen An- Das Wort hat nun der Kollege Dr. Christian Ruck für trags noch einmal nachzuverfolgen, nämlich dass es die CDU/CSU-Fraktion. ohne grundlegende Reformen und ohne ein Wirtschafts- wachstum, das auch den breiten Schichten der Bevölke- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) rung zugute kommt und bis nach Waziristan und die Grenzgebiete dringt, keine Stabilität und keine positive Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Entwicklung in Pakistan geben kann. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Ich möchte zunächst an einen Vorgang in der jüngeren Geschichte des Bundestages erinnern, nämlich an den Ich möchte ganz besonders zum Ausdruck bringen – die 17. Mai 2001, an dem in den Bundestag ein Antrag ein- Entwicklungspolitik, die für Pakistan als einen der gebracht wurde, der dann mit den Stimmen aller Parteien Hauptempfänger unserer Hilfe in all den Jahren immer verabschiedet wurde. In dem Antrag wurde Präsident eine sehr bedeutende Rolle spielte, wurde bereits ange- Musharraf aufgefordert, so schnell wie möglich zur De- sprochen –, dass ich es für wichtig halte, dass wir uns, mokratie zurückzukehren, ihm wurde aber auch vom Frau Zapf, auf internationaler Ebene noch stärker und ganzen Haus der Rücken gestärkt für die überfälligen, konzentrierter darüber Gedanken machen, wie wir die notwendigen Reformen in einem zerrütteten Land, das Entwicklungs- und Hilfsangebote verbessern können. damals am Rand des Zerfalls stand, dessen Demokratie Es ist richtig, dass die unabhängige Justiz wiederher- damals desavouiert war und das sich durch korruptions- gestellt werden muss. Es ist richtig, dass die Medienfrei- behaftete Politiker wie Benazir Bhutto und Nawaz Sharif heit wiederhergestellt werden muss. Es ist auch richtig, in einer Sackgasse befand. Wir haben ihn als neuen Re- dass die Demokratie insgesamt wiederhergestellt werden gierungschef Pakistans in dem Antrag auch dazu aufge- muss. Ich bin mir mit Frau Wieczorek-Zeul darin einig, fordert, dass er die Unterstützung der Taliban einstellt, dass wir, um auch ein politisches Signal zu geben, zur- dass er sich mit Indien aussöhnt und dass er eine ent- zeit nicht über Neuzusagen für entwicklungspolitische wicklungsorientierte Politik betreibt, die der Mehrheit Maßnahmen verhandeln. der Bevölkerung dient und ihr Perspektiven verschafft. Es gibt viele Parallelen zu heute. Die Bilanz von Es sind jedoch auch die Grunderkenntnisse richtig (B) Musharraf ist sehr durchwachsen. Ich möchte daran erin- und wichtig, dass Pakistan viel stärker als bisher eine (D) nern, dass er gerade in letzter Zeit in der Aussöhnungs- Bildungsoffensive braucht – gegebenenfalls gegen den politik mit Indien große Fortschritte erzielt hat. Es gibt Widerstand der Koranschulen; diesen Wunsch müssen auch demokratische Reformen und wirtschaftlichen Er- wir mit unseren Appellen verbinden –, dass Pakistan ein folg, aber vieles ist nur halbherzig umgesetzt worden, viel besser als bisher funktionierendes Gesundheitssys- und – das ist vor allem zu nennen – der wirtschaftliche tem inklusive Familienplanung braucht, dass in Pakistan Erfolg kam nicht bei der breiten Bevölkerung Pakistans eine Landreform unabdingbar notwendig ist, dass Pakis- an. tan mithilfe von Mikrofinanzierungsinstrumenten viel mehr Wachstum von unten generieren muss und dass Pa- Man muss jedoch klar sehen – das wurde heute be- kistan Hilfe bei seiner Energieversorgung braucht. reits angesprochen –, dass der Krieg gegen die Terroris- ten in Afghanistan und der Kampf um die Wiederherstel- Wenn wir berechtigte Forderungen an Pakistan stel- lung von Demokratie und Frieden in Afghanistan infolge len, dann müssen wir gleichzeitig – das liegt in unserem des 11. September 2001 nicht nur die Bedeutung Pakis- ureigenen Interesse – den Umfang unserer Reform- und tans regional und international enorm erhöht haben, son- Hilfsangebote an Pakistan vergrößern. Das müssen zwei dern auch seine Probleme. Die aktuelle Situation, die Seiten ein und derselben Medaille sein. sich zuspitzt, zeigt, dass die Regierung Musharraf diesen Vielen Dank. Spagat zwischen Islamisten und Feudalisten sowie ech- ten und falschen Demokraten kaum mehr hinbekommen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie kann. des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP]) Es wurde auch schon gesagt, dass das Land in der Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Vergangenheit nicht zusammengewachsen ist und die zentrifugalen Kräfte stärker denn je offen zutage treten. Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Das hat viele Gründe; es hat hier und da etwas mit halb- Sebastian Edathy für die SPD-Fraktion. herzigen Politiken zu tun. Aber auch ich glaube, dass die tieferen Ursachen dafür in fehlender Entwicklung und Sebastian Edathy (SPD): fehlender Perspektive für die breite Bevölkerung zu su- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! chen sind. Ich denke an Stammesgebiete, wo noch archai- Der deutsche Schriftsteller Klaus Mann hat in seinem sche Zustände herrschen, an Großstadtslums und an feu- Buch Der Wendepunkt einen Wendepunkt wie folgt be- dalistische Zustände in weiten Teilen des Landes wie schrieben: Das sei ein Zeitpunkt, wo man sich zwischen zum Beispiel in Pandschab. zwei Möglichkeiten entscheiden muss. Die eine führe in 12774 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Sebastian Edathy (A) den Abgrund, die andere führe nicht notwendigerweise Mein zweites Erlebnis: Als wir in Karatschi waren (C) zum absolut Guten. Die Abzweigung, die nicht zum Ab- – diese Stadt ist übrigens eine Wirtschaftsmetropole –, grund führt, ermögliche aber vielleicht das Auffinden haben wir erfahren, dass wir die ersten deutschen Bun- weiterer Wendepunkte. destagsabgeordneten waren, die in den letzten fünf Jah- ren dort waren. Das ist keine Kritik von mir. Allerdings Pakistan ist ein unglaublich kompliziertes Land – auf möchte ich Sie bitten, daran zu denken, wenn sich die die vielen Probleme ist in dieser Debatte zu Recht mehr- Verhältnisse in Pakistan wieder ein wenig stabilisiert ha- fach hingewiesen worden –: ein Atomwaffenstaat; ein ben. Dann sollten wir durch Präsenz, Besuche und Dia- Staat, der in einem latenten Konflikt mit seinem großen log deutlich machen, dass wir ein echtes Interesse daran Nachbarn Indien steht, der ebenfalls Atomwaffen be- haben, was in diesem Land passiert; das war allerdings sitzt; ein Staat, der Proliferation betrieben hat; ein Staat, nicht der Punkt, den ich erwähnen wollte. dessen nördliche Regionen Rückzugsgebiet für Taliban- kämpfer sind. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass Eigentlich wollte ich auf die Nachwahlen hinweisen, sich die Situation in diesem Staat stabilisiert. Für mich die in Karatschi stattfanden, als wir dort waren. Pakistan steht allerdings im Vordergrund, dass es im Interesse der hat eine demokratische Verfassung; sie ist zwar suspen- Menschen in Pakistan ist, dass sich die Lage stabilisiert. diert, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Es stellt sich aber die Frage: Wie werden die Standards, die darin (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Jürgen definiert sind, durchgesetzt? – Wir haben dort Folgendes Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und der beobachtet: Es gab einen gemäßigten und einen radika- Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) len Kandidaten. Der gemäßigte Kandidat wurde im Völlig zu Recht sind einige Forderungen erhoben Wahllokal verprügelt, sein Sohn entführt, sein Fahrer vor worden, die ich nur unterstreichen kann: die Aufhebung dem Wahllokal erschossen, und die Wahlen wurden mas- des Ausnahmezustands und die Entlassung der Opposi- siv gefälscht. Am Tag nach der Wahl stand in den Zei- tionellen, der Bürgerrechtler, der Anwälte und der Rich- tungen, die örtliche Wahlkommission habe keinen Zwei- ter aus den Gefängnissen. Ich habe um kurz nach fel daran, dass das 90-Prozent-Ergebnis des radikalen 12.30 Uhr eine Agenturmeldung gelesen, nach der Präsi- Kandidaten verfassungskonform sei und dass die Wahl dent und General Musharraf erklärt haben soll, dass er ordnungsgemäß verlaufen sei. bereit sei, seine zweite Amtszeit als Präsident ohne Uni- Vor diesem Hintergrund möchte ich deutlich machen: form anzutreten; das wäre sicherlich richtig. Es wäre zu Das, was wir tun, reicht nicht aus. Wir sagen, dass in Pa- begrüßen, wenn er das tun würde. All das sind aber nur kistan so früh wie möglich Wahlen stattfinden sollten, notwendige Voraussetzungen für eine Verbesserung der damit eine demokratisch autorisierte Regierung ihr Amt Situation in Pakistan, keine hinreichenden. Es muss noch übernehmen und der Machtwechsel, der sicherlich in (B) mehr getan werden. (D) Phasen ablaufen muss, organisiert werden kann. Das ge- Als Mitglied des Vorstandes der deutsch-südasiati- nügt allerdings nicht. Wir müssen auch sicherstellen, schen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages zum Beispiel durch die Bereitstellung von Wahlbeobach- war ich vor einigen Monaten gemeinsam mit unserem tern – warum eigentlich nicht auch aus dem Deutschen Kollegen Josef Winkler in Pakistan. Ich möchte Ihnen Bundestag und warum nicht in größerer Zahl? –, dass die zwei Erlebnisse dieses Besuchs schildern: Wahlen fair und transparent durchgeführt werden. Mein erstes Erlebnis: Zehn Kilometer vor der wohl- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geformten Hauptstadt findet sich ein großes Gebiet, das der CDU/CSU) nur aus Slums besteht. Dort leben die Menschen in Lehmhütten, und die Kinder wachsen neben Tieren auf. Das eine ist der Appell an den unbestrittenen Macht- Nachdem die deutsche Botschaft in Pakistan dort für haber, jetzt zu handeln, die demokratischen Verhältnisse eine vernünftig funktionierende Wasserversorgung ge- formal wiederherzustellen. Das andere ist, sich in der sorgt hatte, lautete die größte Bitte der Menschen, dass Zukunft, mehr als in der Vergangenheit, verstärkt zu en- sie gerne eine Schule und damit Bildungschancen hätten. gagieren. Wir sollten weniger darüber debattieren, ob Wenn man sich vor Augen hält, dass das Schulsystem in wir die Entwicklungshilfe einfrieren sollen, als vielmehr Pakistan vor einigen Jahren aus den Händen des Staates darüber, wie wir sie sinnvoll weiterentwickeln können: entlassen und den Koranschulen überlassen wurde, wird zugunsten des Abbaus der Benachteiligung von Frauen, einem klar, dass hier ein ganz zentraler Ansatzpunkt zugunsten des Bildungswesens und zur Verbesserung liegt, um Pakistan eine gute Perspektive zu eröffnen. des Gesundheitswesens, damit man als normaler Pakis- tani, wenn man zuckerkrank ist, nicht sterben muss, weil (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten man sich die Medikamente nicht leisten kann. der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Bereich müssen wir weiter arbeiten, mehr tun, mehr investieren. Dann können wir vielleicht in der Bildung muss wieder zu einer staatlichen und demokra- Perspektive – das wird Jahrzehnte dauern – sagen: In Pa- tisch kontrollierten Aufgabe gemacht werden. Nicht jede kistan ist etwas gelungen, was nur sehr selten gelingt: Koranschule ist extremistisch geprägt; in manchen wird ein islamisches Land mit einer echten Demokratie. Das ganz ordentlich gearbeitet. Aber der Staat muss die Auf- liegt nicht nur in unserem Sicherheitsinteresse. Wir ha- sicht behalten. Wenn es um Bildung geht, muss der Staat ben auch eine Mitverantwortung für die pakistanischen den Daumen draufhalten können. Bürger auf der einen Welt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12775

Sebastian Edathy (A) Danke schön. auch noch genau das Falsche getan: Mit gutgemeinten (C) Gesetzen zur Altersteilzeit, zur Frühverrentung, zum er- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie leichterten ALG-I-Bezug ab dem 58. Lebensjahr hat der bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Gesetzgeber älteren Beschäftigten etliche goldene Brü- DIE GRÜNEN) cken in den Vorruhestand gebaut. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht; denn diese Fehlanreize Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: entziehen dem Arbeitsmarkt dringend benötigte Fach- Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. kräfte, treiben Arbeitnehmer unnötig früh in die sozialen Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: Sicherungssysteme und führen dort zu einem immensen Ausgabenanstieg. Wer sich dann zu seiner kargen Alters- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk rente etwas dazuverdienen möchte, stößt viel zu schnell Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, an enge Hinzuverdienstgrenzen. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Beifall bei der FDP) Beschäftigungschancen Älterer verbessern – Reformen der Agenda 2010 nicht zurückneh- All diese Regelungen haben eines gemeinsam: Sie men halten Ältere vom Arbeitsmarkt fern. Ältere Arbeitslose, die alles tun würden, um wieder in Arbeit zu kommen, – Drucksache 16/6644 – scheitern bei der Jobsuche an Gesetzen, die eigentlich zu Überweisungsvorschlag: ihrem Schutz gedacht waren. Ich spreche zum Beispiel Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) vom Kündigungsschutz: Was eigentlich gut gemeint Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend war, steht Älteren bei der Arbeitssuche im Wege. Auch das Lebensalter als Kriterium der Sozialauswahl bei be- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker triebsbedingten Kündigungen gehört abgeschafft; denn Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar kein Arbeitgeber stellt einen Älteren ein, wenn er einen Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion jüngeren Arbeitnehmer im unternehmerischen Notfall DIE LINKE leichter entlassen kann. Beschäftigungssituation Älterer verbessern – Weil der Kündigungsschutz in seiner jetzigen Form Übergänge vom Erwerbsleben in die Rente so- insgesamt, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ein zial gestalten immenses Einstellungshemmnis darstellt, sollten Arbeit- – Drucksache 16/6929 – suchende nach den Vorstellungen der FDP eine Wahl- möglichkeit haben: Statt des gesetzlichen Kündigungs- Überweisungsvorschlag: (B) Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) schutzes sollen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer (D) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie vertraglich auf eine Abfindungsregelung einigen kön- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Beifall bei der FDP) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre Denn eines ist sicher, meine Damen und Herren: Besser dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfah- vorübergehend einen Arbeitsplatz haben als dauerhaft ren. arbeitslos sein. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- (Beifall bei der FDP) ner das Wort dem Kollegen Jörg Rohde von der FDP- Auch das Senioritätsprinzip, das in vielen Tarifverträ- Fraktion. gen Anwendung findet, erschwert im Zweifel die Be- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Günter schäftigung Älterer. Auch hier muss abgewogen werden, Baumann [CDU/CSU]) ob die Schutzfunktion für einige Beschäftigte nicht gleichzeitig ein Einstellungshindernis für unzählige Job- suchende ist. Nicht zuletzt führt die Möglichkeit zur Er- Jörg Rohde (FDP): klärung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträ- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen gen dazu, dass Betriebe und deren Angestellte gegen und Herren! Zum wiederholten Male beschäftigen wir ihren ausdrücklichen Willen tarifvertraglichen Regelun- uns heute mit den Chancen Älterer auf dem Arbeits- gen unterworfen und damit der Erhalt und die Schaffung markt. Dass wir diese Debatten führen, liegt daran, dass von Arbeitsplätzen erschwert werden. leider nicht alle vom momentanen Aufschwung am Ar- beitsmarkt profitieren. Denn nicht nur Krankheit, Behin- (Wolfgang Grotthaus [SPD]: Damit beschnei- derung, fehlende Kinderbetreuungsangebote oder eine den Sie fast alle Arbeitnehmerrechte!) schlechte Berufsausbildung sind ein Einstellungshemm- Eine erfolgreiche Politik für mehr Beschäftigung in nis, nein, auch das Lebensalter ist noch für zu viele ein allen Generationen bedarf aber grundsätzlicher Anstren- K.-o.-Kriterium bei der Jobsuche. gungen in allen Politikbereichen. Gerade auch, um ältere Woran liegt das? Hat die Politik in der Vergangenheit Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren zu zu wenig für ältere Arbeitnehmer und Arbeitsuchende können, müssen strukturelle Hemmnisse beseitigt wer- getan? Nein, das Gegenteil trifft zu: Die Regierungen den. Deutschland braucht neben einer besseren Arbeits- Schröder und Merkel haben zu viel reguliert und dabei marktpolitik eine Steuer-, Wirtschafts- und Tarifpolitik, 12776 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Jörg Rohde (A) die zu mehr Wachstum und damit zu mehr Arbeitsplät- Wir fordern zum Beispiel eine Kommunalisierung, (C) zen führt, und nicht beschäftigungsfeindliche Mindest- dass man sich also vor Ort viel intensiver um den Einzel- löhne. nen kümmert und sich bemüht, dass er wieder einen Ar- beitsplatz erhält. (Katja Mast [SPD]: Das glauben Sie ja selber nicht!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist der ei- – Doch, das glaube ich ganz sicher. gentliche Grund!) Aber auch die Unternehmen und Tarifpartner sind ge- Dann könnte man sich auch andere Gesetze erlauben. fordert, die Rahmenbedingungen zur Nutzung der Poten- Das gibt es aber in Deutschland leider nicht. ziale älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Kompe- (Iris Gleicke [SPD]: Jetzt haben sie ein halbes tenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer Jahr länger Zeit!) müssen stärker genutzt werden. Hierbei ist es absolut kontraproduktiv, dass innerhalb der schwarz-roten Ko- Deswegen fordern wir eine Gesamtdiskussion für die alition jetzt über eine Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitsmarktpolitik und die Gesetze, die ich angespro- ALG I gesprochen wird. chen habe. Wenn man diesen Kontext sieht, dann kann man den Vergleich mit Dänemark eben nicht ziehen. (Beifall bei der FDP) Wir haben in der Vergangenheit doch bereits mehrere (Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Sie Vorruhestandswellen erlebt. Sobald sich die Konjunktur ziehen den doch selber immer! – Uwe Barth ein wenig abschwächt, werden Arbeitgeber und Arbeit- [FDP]: Das verstehen die demokratischen So- nehmer diese längere Bezugsdauer nutzen, um sich von- zialisten nicht!) einander zu trennen. Das dürfen wir doch nicht zulassen, Die Frau Bundeskanzlerin ist leider nicht da. Frau meine Damen und Herren! Stattdessen fordern wir eine Wöhrl, vielleicht können Sie es ihr ausrichten. Die Frau maximal mögliche Senkung des Beitrages zur Arbeitslo- Bundeskanzlerin ist bei diesem Thema mit ihrer Richtli- senversicherung. Hier sind 3 Prozent erreichbar. nienkompetenz gefordert. Sie muss ein Machtwort spre- (Beifall bei der FDP) chen. Die SPD will das Haus „Agenda 2010“ mit der Abrissbirne angreifen und reißt damit einen wichtigen Stützpfeiler ein. Das dürfen wir nicht zulassen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Wolfgang Grotthaus [SPD]: Habt ihr damals Kollegen Schneider von der Fraktion Die Linke? zugestimmt? – Andrea Nahles [SPD]: Ihr habt (B) abgelehnt!) (D) Jörg Rohde (FDP): Wir dürfen die erreichten Erfolge nicht riskieren. Ich Gerne. hoffe, die Bundeskanzlerin wird ein entsprechendes Machtwort sprechen. Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): (Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Herr Kollege Rohde, ich bemühe mich intensiv, das Konzept der FDP zu verstehen, Das Ziel der Verbesserung der Situation Älterer auf (Uwe Barth [FDP]: Das gelingt Ihnen nicht!) dem Arbeitsmarkt ist wohl auch das einzige, das uns als FDP inhaltlich mit dem Antrag der Linken verbindet. habe aber in einem sehr zentralen Punkt meine Schwie- Ein paar Worte in Ihre Richtung, Herr Schneider. rigkeiten. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Schon die Realisierung Ihres ersten Forderungspake- Sie haben jetzt auch wiederholt, dass eine längere Be- tes in Punkt 1 würde überschlägig berechnet zig Milliar- zugsdauer von Arbeitslosengeld I im Grunde genommen den Euro kosten. Wer soll das bitte bezahlen? Der Bund dazu führt, dass die Leute dieses mehr in Anspruch neh- oder gar die Kommunen vor Ort? Öffentlich finanzierte men. Können Sie mir erklären, warum dänische Arbeits- Beschäftigung hat sich doch schon so oft als teures Ab- lose im entsprechenden Alter nicht nur deutlich schneller, stellgleis für Arbeitslose erwiesen. Bleiben Sie doch bitte sondern auch in größerer Zahl vermittelt werden – selbst realistisch. Aber eine Partei, die mit Herrn Lafontaine so- dann, wenn sie 60 Jahre alt und älter sind –, obwohl in gar die Notwendigkeit eines demografischen Faktors in Dänemark drei Jahre lang ein Arbeitslosengeld von der Rentenversicherung leugnet, hat sich sowieso schon 90 Prozent des vorherigen Gehalts gezahlt wird? von der Realität verabschiedet. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist die Kul- Die Umsetzung der zweiten Forderung Ihres Antrags tur da!) würde den Beitrag zur Rentenversicherung stark steigen lassen; dabei setze ich natürlich voraus, dass Sie keine Jörg Rohde (FDP): Rentenkürzungen wollen. In Dänemark gibt es nicht nur dieses Gesetz, sondern auch eine andere Form der Herangehensweise an die Ar- In Punkt 3 fordern Sie die Erhöhung des Beitrags zur beitsvermittlung. Sie haben eben ein anderes Konzept. Arbeitslosenversicherung. Ein Bundeszuschuss fällt ja aus, da Sie das Geld unter Punkt 1 bereits ausgegeben (Beifall bei der FDP) haben. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12777

Jörg Rohde (A) Durch die Umsetzung der Vorschläge der Linken wür- keine Verlängerung. Sozialversicherungspflichtige Be- (C) den die Lohnzusatzkosten in Deutschland also gesteigert schäftigung mit einem Mindestlohn von 1 400 Euro lau- und somit Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet tet eine klassische Forderung der PDS; sie will so viel werden. Geld wie möglich von dem, was die Steuerzahler erwirt- schaften, sozusagen raushauen. Die FDP will dagegen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einen völligen Verzicht auf Mindestlohnregelungen. Die der CDU/CSU) PDS will den Kündigungsschutz möglichst ausweiten Zu Punkt 4 – Erwerbsminderungsrenten – und und in diesem Bereich wieder alles festzurren. Bei der Punkt 5 – erzwungene Frührenten mit Abschlägen – fol- FDP habe ich den Eindruck, sie wolle möglichst alles gen separate Debatten. Deswegen kann ich aus Zeitgrün- weghaben. den hier nicht darauf eingehen. Eines ist aber sicher: Ihr (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein!) Antrag darf auf keinen Fall Grundlage für die Politik in Deutschland werden. – Okay, dann können wir das ja diskutieren. (Beifall bei der FDP) Was die Rente mit 67 angeht, so macht sich bei der PDS niemand die Finger schmutzig. Das wäre ja fürch- Angesichts der Gesamtsituation würde es uns als FDP terlich. sehr freuen, wenn Sie sich intensiv mit diesen Vorschlä- gen Punkt für Punkt befassen würden. Auch wenn wir (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das habt ihr nicht alles durchsetzen können: Jeder einzelne Schritt schon erfolgreich getan!) wäre ein Erfolg. Ich bitte Sie intensiv um konstruktive Beratung in den Ausschüssen. Lieber sagt sie, mit 65 sei es einfacher zu machen, auch wenn alle wissen, dass es nicht geht. Die FDP hingegen Vielen Dank. will eine Neuregelung der Zuverdienstmöglichkeiten und die Grenzen hier völlig fließend machen. Auch das (Beifall bei der FDP) ist kein ganz einfacher Vorschlag. Die Bandbreite des- sen, was heute diskutiert wird, ist also riesig. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Meckelburg Lassen Sie mich zum PDS-Antrag, Herr Kollege für die CDU/CSU-Fraktion. Schneider, auch wenn Sie nach mir reden, ein paar Dinge sagen: Beide Fraktionen, sowohl FDP als auch (Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Müller [Er- PDS, haben wieder einmal den politischen Antragsquirl langen] [CDU/CSU]: Erkläre das denen mal!) laufen lassen: (B) (Beifall des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe (D) Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): [CDU/CSU]) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Lust, heute zu diesem Thema zu reden – ich bin alle schon gestellten Anträge in einen Pott und einmal ehrlich –, ist nicht ganz so groß, weil wir das Thema mit durchquirlen. Auf diese Weise kommen Versatzstücke dieser Spagatstellung in den letzten vier Wochen drei- von dem einen oder anderen Antrag wortwörtlich wieder mal, wenn nicht gar viermal diskutiert haben, auch im in einen neuen Antrag hinein. So erreicht man natürlich Ausschuss. Dennoch muss diese Debatte wohl sein, da auch jede Woche eine neue Debatte; in der Sache aber uns zwei Anträge vorliegen. kommt man nicht weiter. Es ist auch nichts Neues mehr, dass wir Anträge von (Jörg Rohde [FDP]: Sie brauchen das nur zu be- FDP und PDS/Linke zusammen diskutieren. Aber heute schließen, dann machen wir das nicht mehr!) kann man feststellen, dass sie nichts miteinander zu tun – Mit dem Beschließen ist es ein bisschen schwierig. Ich haben, will das an dieser Stelle gleich sagen, Herr Rohde. Sie wis- (Uwe Barth [FDP]: Sonst auch nicht! Lesen sen, wie die Mehrheitsverhältnisse in diesem Haus sind. bildet gelegentlich!) (Jörg Rohde [FDP]: Leider!) sondern dass Welten zwischen ihnen liegen. Wahr- Zählen Sie einmal durch. Ihre Anträge bekämen wir scheinlich liegt auch die Realität irgendwo dazwischen. selbst dann, wenn wir sie unterstützten, leider nicht (Uwe Barth [FDP]: Die liegt deutlich hier durch; das wissen Sie. drüben!) (Jörg Rohde [FDP]: Aber immerhin tut es Ihnen Wir wollen einmal schauen, wie wir den Spagat heute scheinbar leid! Die Hoffnung stirbt zuletzt!) hinbekommen; denn wir wissen alle, dass am kommen- Die Tendenz ist wie immer: Die Liste im PDS-Antrag den Montag dazu einige Entscheidungen in der Koalition stellt die übliche Überforderung mit allem Möglichen fallen werden. Ich persönlich habe die Geduld, dies aus- dar. Ich habe die Beispiele eben schon genannt. Die Kos- zuhalten; aber ich bin auch gerne bereit, heute zu diesem ten sind auch benannt worden. Manchmal sträuben Sie Thema zu reden. sich ja ein bisschen, etwas dazu zu sagen, was das alles Lassen Sie mich die Welten, die dazwischen liegen, kostet. Diesmal haben Sie für alles eine Lösung. Aber deutlich machen. Im Antrag der Linken ist von einer ich bleibe dabei: Sie richten Ihre Politik für Gesamt- Verlängerung der 58er-Regelung die Rede, die FDP will deutschland an dem alten Modell der DDR aus, die 12778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Wolfgang Meckelburg (A) genau daran kaputtgegangen ist, dass sie all diese Dinge – Das kann Herr Schneider gleich erklären. Es hört sich (C) machen wollte. zwar gut an, aber ich verstehe es nicht. Es ist keine Politik. (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Sie sind nicht Was die im zweiten Teil enthaltene Forderung einer gut informiert! Das ist das Problem!) verbindlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge an- geht, mit der gesundheitlicher Verschleiß vermieden Am Ende hatten die Menschen keine Arbeit mehr, und in werden soll, gibt es bereits das Programm der Bundesre- der DDR gab es verdeckte Arbeitslosigkeit. Ich darf Sie gierung „Initiative Neue Qualität der Arbeit“, in dem auch daran erinnern, wie hoch das Rentenniveau war. entsprechende Maßnahmen vorgesehen sind. Insofern Das alles sind doch Konsequenzen einer falschen Politik kommt Ihr Antrag zu spät. Vielleicht kümmern Sie sich gewesen. Wir jedenfalls wollen nicht dahin zurück, Herr zwischen dem Antragquirlen auch einmal um die Politik, Schneider, auch wenn Sie aus dem Westen diese alte Po- die in diesem Lande stattfindet. litik freundlich unterstützen. Das muss zu Ihrem Antrag genügen, weil mir sonst (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: die Zeit wegläuft. Ich entschuldige mich dafür, dass ich vom Saar- land aus die DDR-Wirtschaft zugrunde gerich- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Die tet habe!) nächste Gelegenheit kommt bestimmt!) Wir wollen nicht dahin zurück, sondern wir wollen – Sie haben sicherlich den Quirl schon wieder für nach vorne. Wir wollen mehr Arbeitsplätze, stabile Sozial- nächste Woche in Gang gesetzt. systeme und eine Konsolidierung des Haushaltes, weil das der richtige Weg in die Zukunft Deutschlands ist. Ich komme zum FDP-Antrag. In vielen von Ihnen vorgeschlagenen Punkten sind wir uns einig, sodass wir (Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie wollen doch zueinanderfinden könnten. Aber – zählen Sie ruhig noch weiter zurück!) durch – wir bekommen keine Mehrheit zustande. Ich gebe Ihnen den Rat, den Antrag für den Fall aller Fälle in – Das wissen Sie am besten. Das Schöne ist, dass Sie im- die Schublade zu legen. Vielleicht holen wir ihn 2009 mer wissen, wo es langgeht. Aber selbstkritisch sind Sie noch einmal heraus und überlegen, was wir möglicher- im Grunde genommen nie. Da Sie jetzt schon Anträge weise gemeinsam erreichen können. stellen, die Sie zuvor viermal gequirlt haben, sage ich Ih- nen Folgendes: Sie beziehen sich in der Einleitung auf (Zuruf von der LINKEN: Aha! – Jörg Rohde einen IAB-Bericht. Sagen Sie den Leuten, die in Ihrer [FDP]: Wir werden ihn gut aufbewahren!) Fraktion quirlen, dass Sie einmal ein bisschen genauer – Was heißt „Aha“? Die Schnittmenge zwischen den (B) werden sollten. Es ist nicht ganz erkennbar, was wirklich (D) IAB-Bericht ist. Darin sind zwei Punkte richtig zitiert und Vorschlägen der FDP und unseren ist größer, als es bei mit Anführungszeichen versehen. Die „Babyboomer“- Ihren Vorschlägen der Fall ist. Mit Ihnen haben wir über- Generation kommt in die Späterwerbsphase. Das ist haupt keine Schnittmenge. Sie sind auf dem völlig fal- richtig. In Ihrem Antrag heißt es weiter: schen Weg. Dieser birgt insbesondere für Ältere das Risiko der (Beifall bei der CDU/CSU) Verdrängung in die Erwerbslosigkeit, Prekarität Lassen Sie mich noch auf die Situation Älterer ein- und Altersarmut. gehen, die in Arbeit kommen sollen. Es gibt die neue Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das in dem Be- Broschüre der Bundesagentur für Arbeit „Situation von richt stand, habe ich ihn durchgelesen und festgestellt, dass Älteren am Arbeitsmarkt“ von Oktober 2007 mit den das Ihre Formulierung ist. Bringen Sie das nicht durchei- neuesten Zahlen, die ich auch Ihnen zur Lektüre empfehle. nander! Die von Ihnen zitierten Zahlen sind von 2005. Ich lasse sie Ihnen gerne zukommen, wenn Sie sie noch nicht gelesen haben. Ich beschränke mich auf eine Kurz- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: fassung des Inhalts, damit Sie merken, was sich auf dem Da sind auch Anführungszeichen drin!) Arbeitsmarkt tut. – Es sind keine Anführungszeichen drin. Lassen Sie das 55- bis 65-Jährige profitieren nach Angaben der Bun- doch. Ich habe den Bericht gelesen. Wenn ich zu dem desagentur für Arbeit überdurchschnittlich vom aktuel- Thema rede, dann muss ich mir die Mühe machen, ihn len Wirtschaftsaufschwung. zu lesen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sie fordern in einem Kernsatz eine offensive Beschäf- tigungspolitik zur Steigerung der Arbeitsnachfrage. Das Die wichtigsten Fakten sind – ich beziehe mich auf die hört sich gut an. Ich habe darüber nachgedacht, was das Broschüre –: Das Arbeitskräfteangebot Älterer nimmt sein kann. Das ist wieder ein öffentlich geförderter Ar- zu. Auf diesen Punkt pochen Sie immer wieder. Das ist beitsmarkt. auch so; das können wir nicht bestreiten. Die Erwerbstä- tigkeit und die sozialversicherungspflichtige Beschäfti- (Kornelia Möller [DIE LINKE]: Nein! Es ist gung Älterer entwickeln sich positiv. Zwei Drittel des offensichtlich, dass Sie zwischen Arbeits- Beschäftigungsaufschwungs in Deutschland gehen auf marktpolitik und Beschäftigungspolitik nicht Ältere zurück. Bei der Arbeitslosigkeit Älterer gibt es unterscheiden! Ich kann Ihnen da gern eine eine günstigere Entwicklung. Es gibt weniger Arbeits- Schulung geben!) losmeldungen Älterer über 55 Jahren. Die Arbeitslosig- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12779

Wolfgang Meckelburg (A) keit geht nach dem sogenannten Ältereneffekt zu Beginn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) 2006 jetzt enorm zurück. Die Entwicklung zwischen 2005 und 2007 zeigt also, dass sich etwas bewegt hat. Es Sie sollten das zur Kenntnis nehmen und die Vorschläge gibt zudem deutlich mehr Abgänge Älterer aus der Ar- dieser Koalition nicht einfach in die Schublade stecken, beitslosigkeit als vor einem Jahr, aber – auch das ist ein sondern als Ausgangspunkt für etwas Neues nehmen. wichtiger Punkt – Ältere sind länger arbeitslos. Dann können wir uns sicherlich einigen. – Herzlichen Dank für Ihre Zwischenfrage. Insofern werden wir über einige Punkte sprechen (Beifall bei der CDU/CSU) müssen; Sie wissen das. Dazu gehört die Frage, wie man beim Mindestlohn gewisse Standards erreicht. Wir sind Ich komme zum Schluss. Sie haben gestern von der bereits auf dem Weg. Die Frage muss klug behandelt Kanzlerin gehört, dass wir nicht vom Kurs der Reform- werden. politik abkehren werden, sondern ihn fortsetzen werden. Genau darum geht zurzeit der Streit. Schauen wir einmal, Zu der Frage der Verlängerung der Bezugsdauer des wie er ausgeht. Auf jeden Fall sind wir in den letzten Arbeitslosengeldes I habe ich mich schon mehrfach ge- zwei Jahren mit dieser Regierung wesentlich weiter vo- äußert. rangekommen als zuvor in den sieben Jahren unter Rot- Grün. Vielleicht stimmen wir zumindest darin überein. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen Barth von der FDP-Fraktion? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Der nächste Redner ist der Kollege Volker Schneider Ja, bitte schön. für die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN) Uwe Barth (FDP): Lieber Herr Kollege Meckelburg, ich freue mich über Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): so viel Zustimmung zu dem Antrag unserer Fraktion. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber wenn Sie alles oder zumindest das meiste, was wir in Herr Meckelburg, es wird Sie überraschen, dass ich unserem Antrag fordern, richtig finden, wäre es dann nicht meine Rede damit beginne, anzuerkennen, dass Men- eigentlich folgerichtig, dass Sie in der jetzigen Koalition schen über 50 wieder mehr Chancen auf dem Arbeits- die Führung – die Sie durch die Regierungschefin aus- markt haben. Darüber freuen nicht nur Sie sich, sondern (B) weislich haben – übernehmen und versuchen, das in dieser auch meine Fraktion. Wir freuen uns über jeden, der län- (D) Koalition durchzusetzen? Ist es nicht eine Kapitulations- ger in Arbeit bleibt. Wir freuen uns über jeden, der über erklärung, wenn Sie sagen: Wir schaffen das jetzt nicht; 50 ist und wieder einen Arbeitsplatz findet. darum lassen wir das mal zwei Jahre liegen und machen es dann zusammen? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Aber, Herr Meckelburg, das ist nur ein Teil der Wirk- lichkeit. Den anderen haben Sie – vielleicht aus Zeit- gründen – ziemlich schnell übergangen. Man könnte Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): auch sagen, dass derzeit mit „verzerrenden Zahlen und Sie sind ein bisschen blauäugig. Wenn Sie die Reihen Statistiken von interessierter politischer Seite versucht“ durchzählen, werden Sie feststellen: Zurzeit gibt es für wird, den falschen Eindruck zu erwecken, dass sich der das, was Sie vorschlagen, keine Mehrheit hier im Haus. Arbeitsmarkt für ältere Arbeitnehmer entspannt habe. Es Ich habe zwar gesagt, dass unsere Positionen gewisse sollte Sie nicht verwundern, wenn Ihnen dieser Satz be- Schnittmengen aufweisen. Aber ich habe darauf verzich- kannt vorkommt. Er steht nämlich in einem Schreiben tet, ins Detail zu gehen; denn wir müssen nicht, wie ich Ihres Kollegen Laumann an die Bundestagsabgeordne- finde, künstlich Streit mit der FDP erzeugen. Wenn Sie ten der CDU/CSU-Fraktion. Ich muss sagen: Wo Herr aber genauer hinschauen, Herr Kollege, werden Sie fest- Laumann recht hat, hat er recht. stellen, dass wir eine sehr starke Kanzlerin haben. (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang (Uwe Barth [FDP]: Ich schaue sehr genau, Meckelburg [CDU/CSU]: Genau deswegen aber ich kann sie nicht sehen!) muss man darüber reden! Das tun wir momen- – Sie ist heute bei der IG Metall. Solche Termine müssen tan!) auch einmal sein. Sie geht jedenfalls sogar dorthin. Nun zur anderen Seite der Medaille. Fest steht – darauf (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Daran sieht haben Sie hingewiesen, Herr Meckelburg –: Die Men- man, wie stark diese Kanzlerin ist!) schen sind nicht nur länger in Arbeit, sondern auch län- ger ohne Arbeit. Fest steht: Ab 50 sinkt die Erwerbsbe- Wir haben innerhalb der letzten zwei Jahre für Bewe- teiligung kontinuierlich, und der Anteil der Arbeitslosen gung auf dem Arbeitsmarkt gesorgt. Wir werden den steigt an. Fest steht: Die steigende Erwerbsbeteiligung Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf 3,5 Prozent ist zu einem guten Teil auf mehr Teilzeitarbeit und ge- senken. Wir sind an den Stellen, an denen wir federfüh- ringfügige Beschäftigung zurückzuführen. Fest steht: rend sind, auf dem richtigen Weg. Nur 24,6 Prozent derjenigen, die in Rente gehen, kom- 12780 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Volker Schneider (Saarbrücken) (A) men aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäfti- gangs in die Rente, etwa die Altersteilzeit oder einen (C) gung. Dieser Anteil sinkt seit über fünf Jahren. Ich weiß erleichterten Zugang zu Erwerbsminderungsrenten. nicht, ob das etwas mit der Agenda 2010 zu tun hat. Fest (Beifall bei der LINKEN) steht: Gerade einmal jeder zehnte 64-Jährige geht einem Beruf nach. Fest steht weiter: Sieben von zehn Men- Ich weiß, Sie werden unseren Antrag reflexartig ab- schen verabschieden sich schon vor dem gesetzlichen lehnen, Zugangsalter von derzeit 65 Jahren in die Rente. Ange- sichts dieser Realität frage ich Sie, ob es nicht höchste (Uwe Barth [FDP]: Aus guten Gründen!) Zeit ist, sich von der Schnapsidee Rente mit 67 zu verab- aber ich hoffe, dass Sie wenigstens feststellen, dass es schieden. mehr im Instrumentenkasten politischer Maßnahmen gibt als die wenigen Dinge, die Sie im Moment darin ha- (Beifall bei der LINKEN) ben, und dass wir darüber eine konstruktive Diskussion Fest steht weiter, dass leider die zukünftige Entwick- führen sollten. lung in diesem Bereich mittelfristig eher Risiken als Danke schön. Chancen aufweist. Man kann zur 58er-Regelung stehen, wie man will, aber Fakt ist, dass das Auslaufen dieser (Beifall bei der LINKEN) Regelung zum Ende dieses Jahres die Arbeitslosigkeit in der genannten Personengruppe stark ansteigen lassen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nah- Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Grotthaus für men 585 000 Personen im Oktober 2007 diese Regelung die SPD-Fraktion. in Anspruch, 585 000 Arbeitslose, die bislang als Ar- beitslose in der Statistik nicht auftauchen, aber zukünftig (Beifall bei der SPD) dort auftauchen werden. Wolfgang Grotthaus (SPD): Fest steht schließlich, dass mit dem Eintritt der gebur- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und tenstarken Jahrgänge der 60er, der Heraufsetzung des Herren! Lassen Sie mich vorab zwei Bemerkungen ma- Rentenalters, der Beschränkung von Möglichkeiten des chen. Herr Meckelburg, ich finde das gut, was Sie zu der vorgezogenen Rentenzugangs sowie dem Absinken des Zeit über 2009 hinaus gesagt haben und dass Sie in vie- Rentenniveaus in den nächsten Jahren – so formuliert es len Dingen dem Antrag der FDP eigentlich zustimmen das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – ein könnten. Die Bundeskanzlerin ist heute auf dem IG-Me- enormer Arbeitsangebotsdruck auf dem Arbeitsmarkt tall-Kongress. Wenn sie dort ähnliche Worte wie Sie hier entstehen wird. (B) finden würde (D) Das heißt, Ältere fliegen wieder früher raus, finden (Uwe Barth [FDP]: Das würde auch ich mir schlechter Arbeit oder werden der Not gehorchend jeden wünschen!) Arbeitsplatz annehmen müssen, egal wie schlecht be- zahlt, egal ob nur in Teilzeit. – das bedeutet nämlich eine Einschränkung von Arbeit- nehmerrechten –, dann wäre ich gespannt, wie die dort (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) anwesenden Kolleginnen und Kollegen auf solche Aus- führungen reagieren würden. Wir fordern eine Politik, die diese Tatsachen berück- sichtigt. Auch für uns ist erstes und wichtigstes Ziel, die (Beifall bei der SPD) Beschäftigungslage für Ältere auf dem normalen Ar- Die Zeit scheint einiges zu verklären, Herr Rohde. beitsmarkt wirksam zu verbessern. Dafür muss das ge- Die rot-grüne Regierung war es, die die Frühverrentung samte Instrumentarium wirtschafts- und arbeitsmarkt- abgeschafft hat. politischer Maßnahmen genutzt werden. Dazu gehört aber auch, dass wir vor dem Hintergrund, dass (Andrea Nahles [SPD]: Ja! – Rolf Stöckel bestimmte Personengruppen auf dem klassischen Ar- [SPD]: Gegen die Stimmen der FDP!) beitsmarkt weiter chancenlos bleiben werden, für eine Sie wurde mit Ihrer Zustimmung vor 1998 eingeführt. öffentlich finanzierte sozialversicherungspflichtige Be- Ich will zugestehen, dass die Sozialdemokraten dem da- schäftigung eintreten. mals zugestimmt haben, auch die Gewerkschaften. Sich (Beifall bei der LINKEN) aber heute hier hinzustellen und zu sagen, man habe da- mit nichts zu tun, ist schon etwas komisch. Zweitens müssen wir allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance bieten, auch tatsächlich bis (Uwe Barth [FDP]: Das hat er gar nicht ge- zum Renteneintrittsalter zu arbeiten, egal wie physisch sagt!) und/oder psychisch belastend ihr Arbeitsplatz auch im- Daran werden Sie die Bürgerinnen und Bürger messen. mer sein mag. Dafür gibt es Konzepte der Förderung in den Betrieben, die wir verbindlich vorschreiben wollen. (Beifall bei der SPD) Schließlich brauchen wir, weil wir trotz aller Prävention nicht verhindern können, dass Menschen aus gesund- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: heitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des scheiden müssen, Möglichkeiten des gleitenden Über- Kollegen Rohde? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12781

(A) Wolfgang Grotthaus (SPD): Jörg Rohde (FDP): (C) Ich will den Gedanken noch zu Ende bringen. Ich bemühe mich, es bei dieser Zwischenfrage zu be- lassen. Sie haben gegen die Agenda 2010 gestimmt und ge- bärden sich heute hier, als wenn Sie das letzte Bollwerk Sie haben zwei Bereiche angesprochen. Meine erste für den Erhalt der Agenda 2010 wären. So nicht, Herr Zwischenfrage zielte nur auf einen ab. Wir haben gegen Rohde. Da entlassen wir Sie nicht aus der Pflicht. Wir die Agenda 2010 gestimmt, weil aus unserer Sicht schon werden immer wieder deutlich machen, wo Sie Ihre Alt- ihre Ursprungsfassung verwässert wurde und weil an- lasten haben, wir werden aber auch zugestehen, dass wir dere Instrumente, gerade bei der Vermittlung von Ar- unsere Altlasten haben. beitslosen in Arbeit, von uns gewünscht wurden und heute noch werden, zum Beispiel, was die Vermittlung in (Beifall bei der SPD) den Kommunen angeht. Da das, was im Vermittlungs- ausschuss ausgehandelt wurde – Stichwort „Options- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: kommunen“ –, nur teilweise unseren Vorstellungen ent- Gestatten Sie nun die Zwischenfrage? sprach, haben wir damals nicht zugestimmt. Auch das begründet unsere damalige Haltung. Wolfgang Grotthaus (SPD): Es wird immer über sehr breit angelegte Pakete abge- Gerne. stimmt. In zahlreichen Punkten stimmen wir überein, und in anderen gehen unsere Meinungen auseinander. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir hatten genügend Argumente, um dagegen zu stim- Herr Rohde, bitte. men. Würden Sie dem zustimmen?

Jörg Rohde (FDP): Wolfgang Grotthaus (SPD): Herr Grotthaus, vielen Dank für den Hinweis. Ich bin Nein, Herr Kollege Rohde. nicht persönlich dabei gewesen – ich bin erst seit 2005 im Deutschen Bundestag –, aber ich nehme gern die Ver- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) antwortung wahr. Erinnern wir uns aber bitte gemeinsam Ihre Logik ist auch da verkehrt. Sie sagen, die Ur- an die damalige gute Absicht mit der Frühverrentung. sprungsfassung sei verwässert worden. Wenn dem so Das Ziel war, jüngere Arbeitnehmer einzustellen, indem sein sollte, dann ist sie im Bundesrat verwässert worden. wir ältere in den Vorruhestand entlassen. Das war da- Welche Landesregierungen haben die Agenda 2010 im mals der Gedanke, dem wir alle nachgegangen sind. Bundesrat ihrer Auffassung entsprechend verwässert? (B) Aber das hat nicht funktioniert. Wenn etwas nicht funk- Diese Eingriffe haben mehr Einschränkungen für die (D) tioniert, dann muss man das einsehen und die richtigen Menschen in diesem Land und weniger soziale Bestand- Konsequenzen ziehen. teile bewirkt. Es wurde also draufgesattelt, und zwar von (Beifall bei der FDP) Landesregierungen, die zum größten Teil von CDU und FDP gestellt werden. In Wirklichkeit ist also nicht ver- Würden Sie meiner Einschätzung zustimmen? wässert, sondern draufgesattelt worden.

Wolfgang Grotthaus (SPD): Jetzt, im Nachhinein, möchte ich Ihnen, Kollege Rohde, sagen: Sie hätten damals mit Rot-Grün stimmen Ich glaube, Sie, Herr Kollege Rohde, haben mir nicht sollen. Sie hätten die Landesregierungen, an denen Ihre zugehört. Ich habe gesagt, dass es die rot-grüne Regie- Partei beteiligt war, auffordern sollen, dem Regierungs- rung war, die von 1998 bis 2005 gravierende Ein- gesetzentwurf zuzustimmen. Wenn das geschehen wäre, schnitte, die uns teilweise Mehrheiten gekostet haben, dann müssten Sie sich heute diese Antwort nicht gefallen am Arbeitsmarkt gemacht und unter anderem die Früh- lassen. verrentung abgeschafft hat. Sie haben damals dagegen gestimmt. Jetzt tun Sie hier so – und betonen es –, als ob (Beifall bei der SPD) Sie damals die Heilsbringer gewesen wären. 4,65 Millionen Arbeitslose gab es 2005. 622 000 von (Rolf Stöckel [SPD]: Das nennt man Opportu- ihnen waren unter 25 Jahre, und 576 000 von ihnen wa- nismus!) ren über 55 Jahre. Im September dieses Jahres, also zwei Man muss bei der Wahrheit bleiben. Das wollte ich Ih- Jahre später, betrug die Arbeitslosenzahl – ich nenne nen nur als Vorbemerkung sagen, bevor ich zu Ihrem diese Zahl bewusst – 3,54 Millionen. Mittlerweile ist Antrag komme. diese Zahl auf unter 3,5 Millionen gesunken. 424 000 Arbeitslose sind unter 25 Jahre, 434 000 Arbeitslose (Beifall bei der SPD) sind über 55 Jahre. Das ist eine Reduzierung der Arbeits- losigkeit – ich sage das hier bewusst noch einmal; das Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: kann man im Interesse der Menschen, die in Arbeit ge- Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen- kommen sind, nicht oft genug sagen – um frage des Kollegen Rohde? 1,107 Millionen Menschen, sprich: 23,8 Prozent. Der Antrag der FDP zielt darauf ab, mehr ältere Men- Wolfgang Grotthaus (SPD): schen in Arbeit zu bringen, und das ist auch gut so. Wir Des Kollegen Rohde immer. haben 23,5 Prozent der über 55-Jährigen in Arbeit 12782 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Wolfgang Grotthaus (A) gebracht. Das sind in absoluten Zahlen 133 000 über Rohde, was möchten Sie, was möchte Ihre Fraktion denn (C) 55-Jährige. Außerdem sind mittlerweile knapp über überhaupt? 200 000 der über 50-Jährigen in einem Beschäftigungs- verhältnis. Der Anteil der über 55-Jährigen in Arbeit lag (Jörg Rohde [FDP]: Wettbewerb!) 1998 – hören Sie gut zu; vielleicht erinnern Sie sich – Wettbewerb. Das heißt aber auch, dass wir nur bei Sit- noch daran, dass vor 1998 nicht wir, sondern Sie an der tenwidrigkeit von Löhnen eingreifen können. Wissen Regierung waren – nur bei knapp 38 Prozent. Heute liegt Sie, was Sittenwidrigkeit in diesem Land heißt? Wir ha- dieser Anteil bei knapp 52 Prozent, Tendenz steigend. ben Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 3,50 Euro. Wir Das ist fürwahr eine stolze Zahl. können natürlich lange darüber diskutieren, warum Ta- Nun werden Sie natürlich sagen: Das ist das Verdienst rifvertragsparteien so etwas beschließen; dazu bin ich der Wirtschaft. Dazu sage ich Ihnen: Da haben Sie teil- gern bereit. Sittenwidrig ist ein Lohn, wenn er weise recht. 30 Prozent unter dem Tariflohn liegt. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Verdienst (Beifall bei der SPD) der Politik sicher nicht!) Sie sind bereit, zu entscheiden, dass ein Mensch in die- Das ist aber auch ein Verdienst politischer Entscheidun- sem Lande mit 2,45 Euro für eine Stunde Arbeit nach gen. Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Lohnzurück- Hause geht. haltung bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, (Jörg Tauss [SPD]: Pfui! – Jörg Rohde [FDP]: Neuaufstellungen in den Betrieben und Aufschwung in Sie möchten, dass die Menschen lieber zu der Weltwirtschaft sind gleichrangige Faktoren, die den Hause bleiben!) Arbeitsmarkt beeinflusst haben. Sie sagen, dass Sie über Mindestlöhne überhaupt nicht Ich sage aber sehr deutlich: Wir lassen es nicht zu, diskutieren wollen. Dazu sage ich: Nein, nicht mit uns! dass Gewerkschaften und Politik für Arbeitsplatzver- luste und ausschließlich die Unternehmer für den Zu- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie wachs an Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht wer- des Abg. Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]) den. Es ist nicht so, dass die einen für das Negative und die anderen für das Positive zuständig sind. Im Kündigungsschutzgesetz soll es ein Optionsmo- dell geben, eine Abfindungsregelung statt Kündigungs- (Beifall bei der SPD) schutz. Sie waren ja einmal Betriebsrat. Hierüber sollten auch die Wirtschaftsweisen nachden- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das zeigt doch nur, (B) ken, die behaupten, dass die Reformen am Arbeitsmarkt dass der Mann weiß, wovon er spricht!) (D) mit dem Aufschwung nichts – wenn überhaupt, dann nur marginal – zu tun haben, gleichzeitig aber fordern, die Eigentlich müssten Sie wissen, wie Arbeitgeber mit Reformen nicht zurückzunehmen. Da frage ich mich: Menschen umgehen, die sie aus dem Betrieb ausgliedern Was denn jetzt? Wenn diese Reformen mit dem Auf- wollen. Die Aufgabe des Kündigungsschutzgesetzes ist schwung nichts zu tun haben, dann können wir sie auch eine allgemein bekannte Forderung von Ihnen. zurücknehmen. Dies sind nur einige wenige Punkte aus Ihrem Antrag, (Beifall der Abg. Kornelia Möller [DIE bei denen bereits erkennbar wird, nach welchem Motto LINKE]) gehandelt werden soll: Ihr Arbeitnehmer verzichtet auf eure Rechte und eine gerechte Entlohnung, und die Ar- Wir nehmen sie aber nicht zurück, weil uns sonst die beitgeber schauen dann, zu welchen Konditionen sie verkehrte Seite applaudiert. euch einstellen. Für mich ist dies schon fast menschen- verachtend. In Ihrem Antrag findet sich kein Wort da- Die von mir gerade genannten Arbeitsmarktzahlen rüber, dass humane Arbeitsplätze auch eine längere Ver- sind gut, aber nicht ausreichend. Wir müssen noch mehr weildauer von Menschen im Beruf bewirken können und Menschen in Arbeit bringen. Wir müssen die Beschäfti- dass Aus- und Weiterbildung notwendig sind, um ältere gungschancen der Älteren weiter verbessern. Ja, Herr Kolleginnen und Kollegen für den Job fit zu halten. Rohde und Kollegen von den Linken, darüber besteht im Hause Einigkeit. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) (Jörg Rohde [FDP]: Nur nicht über den Weg!) Es findet sich auch kein Wort über faire Löhne. Stattdes- sen zielt die FDP darauf ab, noch mehr Abhängigkeit für Wie sieht der Weg aus, den wir im Gegensatz zu Ih- die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. nen gehen wollen? Die FDP hat zur heutigen Beratung einen Antrag eingebracht. Schaut man sich diesen An- Das ist nicht überraschend, so kennen wir Sie. Aber trag an, stellt man fest, dass die FDP glaubt, durch die wir werden es Ihnen auch diesmal nicht durchgehen las- Aufgabe von Arbeitnehmerrechten erhöhe sich die sen. Um ältere Menschen fit für den Job zu halten, brau- Quote der Älteren im Berufsleben. chen wir eine altersgerechte Arbeitsplatzgestaltung und eine Gesundheitsförderung in den Betrieben. Sie wollen den Verzicht auf das Instrument der Allge- meinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, auch auf (Uwe Barth [FDP]: Dann stimmen Sie doch Mindestlohnvorschriften soll verzichtet werden. Herr dem Antrag der Linken zu!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12783

Wolfgang Grotthaus (A) Wir brauchen intelligente Schichtpläne und Personal- Dieser Weg heißt: keine Einschränkung von Arbeit- (C) strukturen, die sich an der demografischen Entwicklung nehmerrechten, Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, orientieren. Wir müssen qualifizieren und weiterbilden, nicht nur für die Älteren, sondern auch für die Jüngeren. und wir brauchen flexible Übergänge in den Ruhestand. Damit sind wir auf dem richtigen Weg. Den werden wir Wir brauchen ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um weiterverfolgen. einerseits die Produktivität und Erfahrung Älterer noch weiter nutzen zu können und andererseits ihnen glei- (Beifall bei der SPD) tende Übergänge aus dem Berufsleben in den Ruhestand zu ermöglichen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Brigitte Wir dürfen die Arbeitnehmer aber nicht in die freie Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wildbahn entlassen, in der sie dann keine Rechte mehr haben. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Uwe Barth [FDP]: Dieser Satz wird doch Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In bei- nicht dadurch besser, dass er immer wiederholt den Anträgen wird vorgegeben, die Beschäftigungschan- wird!) cen Älterer verbessern zu wollen. Gegen dieses Ziel Von den Maßnahmen, die noch vor uns liegen, werden kann man nichts haben – das wollen wir alle –, aber da nicht nur die Arbeitnehmer profitieren, sondern auch die hört die Einigkeit auch schon auf. Wenn man sich an- Unternehmen, so wie sie es bei den bisherigen Maßnah- schaut, mit welchen Mitteln und Instrumenten das je- men auch schon getan haben. weils erreicht werden soll, stellt man fest, dass die Sprei- zung da doch sehr groß ist. Da mir die Zeit wegläuft, will ich die Maßnahmen nicht im Einzelnen aufzählen. Aber Sie kennen die Ini- Die FDP setzt in uns allen bekannter Manier darauf, tiative „50 plus“, Sie kennen die zusätzliche Maßnahme, die Arbeitnehmerrechte zu reduzieren. Ihr Augenmerk mit der wir ältere Menschen mit Vermittlungshindernis- richtet sich immer und immer wieder neu darauf, vor al- sen in einen Job bringen, und Sie kennen auch die kom- len Dingen den Kündigungsschutz zurückzunehmen. munale Job-Perspektive, mit der wir uns ausschließlich (Uwe Barth [FDP]: Meine Güte, Arbeitneh- für die Menschen über 50 Jahren einsetzen. Ich habe Ih- merrechte! Wir brauchen erst mal Arbeitneh- nen gerade Zahlen genannt. Diese Zahlen beweisen, dass mer, bevor wir Rechte machen können!) diese Maßnahmen greifen und wir für die älteren Kolle- ginnen und Kollegen tatsächlich etwas getan haben. Da sind Sie einfach unbelehrbar. Wir wissen aus vielen Studien, dass der Kündigungsschutz einen viel geringe- (B) Zudem hat die SPD mit ihrem auf dem Parteitag be- (D) ren Einfluss auf die Bereitschaft von Unternehmen hat, schlossenen Antrag „Gute Arbeit“ ein Konzept vorge- Einstellungen vorzunehmen, als Sie hier ideologisch be- legt, das das Potenzial Älterer noch besser zu nutzen gründet immer wieder behaupten. hilft. Bei allem, was diese Regierung – insbesondere auch unsere Fraktion – gemacht hat, geht es darum, die Aber auch die Vorstellungen der Linken werden nicht Beschäftigungsquote Älterer noch weiter zu erhöhen, dazu führen, dass diejenigen, die geringere Chancen am das zu frühe Ausscheiden aus dem Berufsleben zu redu- Arbeitsmarkt haben, schneller wieder in Arbeit kommen. zieren, die Integration älterer Menschen, die arbeitslos Ihre Vorschläge sind zu sehr darauf ausgerichtet, den Ar- sind, in den Arbeitsmarkt zu verbessern sowie die Betei- beitsmarkt erneut zuzubetonieren. ligung Älterer an der beruflichen Weiterbildung im Sinne präventiver Arbeitsmarktpolitik zu erhöhen. Derzeit ist es so – das ist ein Fakt –: Ältere haben überdurchschnittlich vom konjunkturellen Aufschwung „Fördern und Fordern.“ Diese Aussage galt und gilt profitiert. Das sollten auch wir als Opposition einfach immer noch bei der Umsetzung von Maßnahmen am Ar- einmal erfreut zur Kenntnis nehmen. beitsmarkt. Nicht darin enthalten – das sage ich in Rich- tung der FDP – ist die Reduzierung von Arbeitnehmer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, rechten, und deshalb ist es auch nachvollziehbar, dass bei der CDU/CSU und der SPD) wir Ihren Antrag ablehnen. Aber Fakt ist auch, dass die Arbeitslosigkeit bei Älteren Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem An- in Deutschland immer noch deutlich höher ist als in je- trag der Linken. Das sind alte Forderungen, die wir dem anderen europäischen Land. Das ist ein Hinweis schon im Rahmen der Beratung vorheriger Anträge ab- darauf, dass der Jugendwahn noch nicht beseitigt wor- gelehnt haben, garniert mit Forderungen, die wir in unse- den ist, dass es also überhaupt keinen Grund gibt, die rem Antrag „Gute Arbeit“ vor zehn Tagen auf unserem Hände in den Schoß zu legen. Parteitag verabschiedet haben. Aufgrund dieser Tatsache (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden wir Ihrem neuen Antrag, den Sie hier zusam- mengewürfelt haben, nicht zustimmen können. Herr Grotthaus, es ist leider so, dass die Programme aus dem Hause Müntefering, die unter der Überschrift Mir scheint, als glaubten Sie, Sie hätten das Urheber- „50 plus“ firmieren, so gut wie überhaupt keine Wirkung recht auf bestimmte Forderungen. Dadurch lassen wir gezeigt haben. uns aber nicht beeinflussen. Die Bundesregierung und die SPD werden diesen Weg gemeinsam gehen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben!) 12784 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Brigitte Pothmer (A) Ich will Ihnen das einmal an dem Programm „WeGebAU“ lange Erwerbsbiografien zu verschaffen. Sie begreifen (C) erläutern. 200 Millionen Euro sind für das Programm in sich als Schutzmacht dieser Gruppe. Aber die soge- den Haushalt eingestellt worden. Jetzt, im November, nannte Unterschicht, in der viele nicht in der Lage wa- sind noch nicht einmal 10 Prozent dieser Mittel in An- ren, längere Zeit durchgängig erwerbstätig zu sein, wird spruch genommen worden. Dieses Programm ist ein La- deutlich schlechter behandelt. Wissen Sie, was Sie damit denhüter. tun? Dass wir besondere Probleme haben, Ältere in den Arbeitsmarkt zu bekommen, hat ganz häufig damit zu Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tun, dass diese zugleich schlecht qualifiziert sind. Des- Frau Kollegin, Sie müssen auf Ihre Redezeit achten, wegen müssen wir die Konzentration darauf richten, um- bitte. fängliche Qualifizierungsprogramme zu etablieren. Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass nur Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 5 Prozent aller Betriebe, die überhaupt Ältere einstellen, Ich komme zum Schluss. – Damit unterstützen Sie diese an Fortbildungsmaßnahmen beteiligen. eine vorhandene Sehnsucht, die es in der Bevölkerung (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gibt, nämlich die eigene Identität vor allen Dingen durch Unglaublich!) eins herzustellen: durch Unterscheidbarkeit und Abgren- zung. Dieser Wunsch nach Unterscheidbarkeit ist mit- Diese Betriebe sind immer noch von demografischer verantwortlich dafür, dass wir in der Gesellschaft eine so Blindheit geschlagen, und da wäre Erleuchtung dringend tiefe Spaltung haben. notwendig. Ich hätte gern noch etwas zu der 58er-Regelung ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sagt. Mit anderen Worten: Die Älteren profitieren. Aber sie (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) profitieren vom Aufschwung und nicht von den arbeits- marktpolitischen Programmen dieser Regierung. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Jörg Tauss [SPD]: Ach, nee!) Das geht leider nicht mehr, Frau Kollegin. Wenn sich der Aufschwung, so wie sich das jetzt schon andeutet, wieder abschwächt, dann wird die Arbeitslo- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sigkeit bei Älteren zunehmen, und wir werden speziell Das geht jetzt leider nicht. Wir werden über die Frage bei dieser Gruppe eine verfestigte Arbeitslosigkeit ha- sicher weiter diskutieren. (B) ben. Da muss man einfach einmal sagen – ich wende (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon bin ich (D) mich an beide Koalitionsfraktionen –: Das Signal der absolut überzeugt!) Verlängerung der Bezugsdauer des ALG I für Ältere ist genau das Falsche. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der FDP) Damit verbessern Sie die Jobchancen für diese Gruppe Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nun wahrlich nicht, ganz im Gegenteil! Damit sind wir am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Dieser Plan wird noch damit kombiniert, dass wir jetzt wieder über erleichterte Frühverrentungsregelungen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen reden. Das ist haargenau die Politik der 90er-Jahre, die auf den Drucksachen 16/6644 und 16/6929 an die in der dazu geführt hat, dass wir in Deutschland als Alleinstel- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. lungsmerkmal eine Beschäftigungsquote von älteren Ar- Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der beitnehmern von nur 37 Prozent hatten. Wir sind jetzt Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. bei 52 Prozent. Den eingeschlagenen Weg zu verlassen, Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b ist nicht nur falsch, sondern in jeder Hinsicht absurd. auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der gierung CDU/CSU) Erster Fortschrittsbericht zur Hightechstrate- Darum geht es Ihnen auch nicht. gie für Deutschland In dem Zusammenhang wende ich mich einmal an – Drucksache 16/6900 – meine Freunde von den Sozialdemokraten. Überweisungsvorschlag: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Freunde kann Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) man sich aussuchen, Verwandte nicht!) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sie – das ist das, was mich so wahnsinnig ärgert – rich- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit ten den Blick im Grunde auf die untere Mittelschicht, in Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der viele die Möglichkeit hatten, sich im Arbeitsmarkt Ausschuss für. Kultur und Medien Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12785

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- hochqualifizierte Arbeitsplätze in innovativen Unterneh- (C) richts des Ausschusses für Bildung, Forschung men in Deutschland. und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – zu dem Antrag der Abgeordneten Johann- Mit diesen drei Feststellungen ist im Grunde be- Henrich Krummacher, Ilse Aigner, Dorothee schrieben, was unsere Intention war, wobei völlig klar ist Bär, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – auch dessen sollten wir uns bewusst sein –: Dass schon der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Jörg nach einem Jahr so deutliche Entwicklungen zu ver- Tauss, René Röspel, Dr. Ernst Dieter zeichnen sind, hat natürlich auch mit der guten Konjunk- Rossmann, weiterer Abgeordneter und der tur in Deutschland und den damit verbundenen Möglich- Fraktion der SPD keiten der Unternehmen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen IKT 2020: gezielte Forschungsförderung für und deutlich mehr zu investieren, zu tun. zukunftsträchtige Innovationen und Wachs- Das Wachstum der F-und-E-Investitionen hat sich – um tumsfelder im Bereich der Informations- es auch in Zahlen auszudrücken – von 2006 auf 2007 und Kommunikationstechnologien (IKT) deutlich beschleunigt, und zwar, so die Studie des Zen- – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz trums für Europäische Wirtschaftsforschung, um 7,5 Pro- (Herborn), Grietje Bettin, Ekin Deligöz, weite- zent. 37 Prozent der Unternehmen sagen, dass für sie rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Forschung und Entwicklung heute deutlich wichtiger NIS 90/DIE GRÜNEN sind als noch vor einem Jahr. Sie spüren den globalen Wettbewerb. Mehr als 40 Prozent der befragten Unter- Innovationsfähigkeit stärken durch Bil- nehmen beschäftigen heute mehr Mitarbeiter in For- dungs- und Forschungsoffensive schung und Entwicklung. – Drucksachen 16/5900, 16/5899, 16/6923 – (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Sehr gut!) Berichterstattung: Wer sich den Business-Monitor, die Befragung von Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher 812 Managern in Deutschland, vor Augen führt, stellt René Röspel fest, dass im Unterschied zu der Befragung vor etwa drei Cornelia Pieper Jahren – die letzte Befragung war im Februar 2004 –, bei Dr. Petra Sitte der nur 40 Prozent gesagt haben, es gebe ein eher gutes Priska Hinz (Herborn) Klima für Innovationen, heute 83 Prozent der befragten Manager sagen, die Innovationsbedingungen in (B) (Unruhe bei der FDP) Deutschland hätten sich deutlich verbessert. Damit ha- (D) Bevor wir zur Aussprache zu diesem Tagesordnungs- ben wir stimmungsmäßig das erreicht, was wir mit der punkt kommen, darf ich die Kolleginnen und Kollegen Hightechstrategie für Deutschland intendieren. auf der rechten Seite von mir bitten, die Diskussionen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) hier im Saal einzustellen, damit wir den weiteren Bera- tungen folgen können. – Ich bedanke mich. Damit ist zugleich eine Priorität in der Arbeit der Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen Stück (Uwe Barth [FDP]: Entschuldigung, Frau Prä- um Stück konkreter geworden. Denn es gibt – auch das sidentin!) ist uns klar; das gilt heute und vor allen Dingen auch mit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Blick auf die Zukunft – einen engen Zusammenhang Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu kei- zwischen der Dynamik in der Wirtschaft, die nicht nur nen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren. eine Episode ist, sondern über längere Zeiträume zu hal- ten ist, künftigem Wohlstand und heute notwendigen In- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- vestitionen in Forschung und Entwicklung sowie Bil- nerin nun für die Bundesregierung der Frau Bundesmi- dung und Ausbildung. Deshalb ist es im Kontext der nisterin Dr. Annette Schavan das Wort. Haushaltsberatungen übrigens ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit und die Unternehmen in Deutschland, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass wir über die bereits festgelegten Investitionen von 6 Milliarden Euro hinaus weitere Investitionen im Bun- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- deshaushalt vorsehen. dung und Forschung: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Sommer Das erste Grundprinzip der Hightechstrategie war und des vergangenen Jahres haben wir die Hightechstrategie ist vor allem der Aufbau strategischer Partnerschaften. für Deutschland verabschiedet. Nach einem Jahr ist in Hier gilt der Satz, der immer wieder formuliert wird: dieser Woche bei einem Innovationskongress in Berlin Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in Bilanz über die Startphase gezogen worden. Dabei über- der Innovationspolitik. Allein die Innovationsallianzen, wiegen drei Feststellungen: Erstens. Die Innovationsbe- die im ersten Jahr zustande gekommen sind, konnten In- dingungen in Deutschland haben sich deutlich verbes- vestitionen der Unternehmen für F und E in Höhe von sert. Zweitens. Die Unternehmen investieren mehr in 3 Milliarden Euro mobilisieren. Wenn man die Investi- Forschung und Entwicklung. Drittens. Es entstehen neue tionen der öffentlichen Hand zu den Investitionen der 12786 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Bundesministerin Dr. Annette Schavan (A) Unternehmen im Kontext der Innovationsallianzen ins (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (C) Verhältnis setzt, stellt man fest, dass wir nicht nur von einem Verhältnis von 1 : 2 auszugehen haben. Vielmehr Was sind wichtige nächste Schritte? Nach dem ersten sind faktisch im ersten Jahr bei allen Innovationsallian- Schritt, der die Finanzen betrifft, und dem zweiten zen auf 1 Euro der öffentlichen Hand 5 Euro der Unter- Schritt, der die Konzepte betrifft – beide müssen stim- nehmen gekommen. Dies ist eine sehr gute Bilanz für men –, müssen wir uns im dritten und gleichberechtigten das erste Jahr. Schritt um den Fachkräftebedarf kümmern. Darüber ist in diesem Hohen Hause bereits diskutiert worden. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben in Meseberg, wie ich finde, wichtige Beschlüsse hierzu getroffen. Wir brauchen ein Konzept für die Zu- Zweitens. Wir haben von vornherein gesagt: Wir wol- wanderung hochqualifizierter Fachkräfte. Die demogra- len nicht nur neue Innovationsallianzen zustande brin- fische Entwicklung in Deutschland macht das notwen- gen. Wir wollen auch neue Instrumente schaffen, um dig. dort, wo es noch hakt, wo das Innovationspotenzial nicht ausgeschöpft wird – das bezieht sich vor allem auf kleine (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und mittelständische Unternehmen –, Anreize zu schaf- NEN]: Die Chance haben Sie jetzt gehabt!) fen. Dazu gehört die Einführung der Forschungsprämie und jetzt auch die der Forschungsprämie II, die der öf- Das muss immer mit der Qualifizierung all derer verbun- fentlichen und gemeinnützigen Forschung einen echten den werden, die hier in Deutschland leben. Denn nie- Anreiz gibt, die Zusammenarbeit mit kleinen und mittel- mand in Deutschland versteht Zuwanderung, wenn nicht ständischen Unternehmen zu verstärken. klar ist, dass jeder Jugendliche in Deutschland eine Chance hat. Drittens, die Förderinitiative KMU-innovativ, die den Unternehmen einen einfacheren und schnelleren Zugang (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zur Forschungsförderung eröffnet; Sie kennen die ent- Diesen Zusammenhang müssen wir sehen. Wer im- sprechenden Klagen aus Ihren Begegnungen mit mittel- mer nur auf einem Bein steht, wird feststellen, dass das ständischen Unternehmen. Das Wirtschaftsministerium ein bisschen unbequem ist. und wir haben gemeinsam – schwerpunktmäßig aber das Wirtschaftsministerium – einen, wie ich finde, guten (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neuen Ansatz zur Bündelung der Kräfte und besseren NEN]: Aber Sie stehen zurzeit auf keinem; das Präsentation der Fördermöglichkeiten, die vorhanden ist das Problem!) sind, gefunden. Beides ist notwendig: Qualifizierung aller und attraktiv Viertens, Spitzenclusterwettbewerb, bei dem die leis- werden für Talente aus aller Welt. (B) (D) tungsfähigsten Cluster Deutschlands ausgesucht und de- Als Weiteres werden wir uns in der zweiten Hälfte ren Weg in die internationale Spitzengruppe begleitet dieser Legislaturperiode über die Frage Gedanken ma- wird. Das, was ich aus der ersten Zeit nach der Aus- chen müssen – die vier betroffenen Häuser der Bundes- schreibung gehört habe, zeigt: Der Spitzenclusterwettbe- regierung sind auf Arbeitsebene darüber im Gespräch –: werb wird eine ähnlich mobilisierende Wirkung entfal- Wie geht es nach 2010 weiter? ten wie die Exzellenzinitiative. Neben der institutionellen Forschungsförderung und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) neben der Projektförderung werden wir uns aufbauend Der Hightechgründerfonds wird ausgebaut und das auf der Forschungsprämie auch über die Frage weiterer Programm EXIST des Wirtschaftsministeriums erwei- Anreize Gedanken machen müssen, damit der Satz tert. Die Haushaltsmittel für die Förderung des innovati- „Steuerpolitik ist Innovationspolitik“ eine klare Konkre- ven Mittelstandes werden bis 2009 auf 670 Millionen tisierung erfährt. Euro aufgestockt. Schließlich: Wir werden im Zusammenhang mit der Das ist die Bilanz – wohlgemerkt – der Startphase. Qualifizierungsinitiative die notwendigen Voraussetzun- Jetzt ist es wichtig, dass wir nach dem Start dafür Sorge gen etwa mit Blick auf technische Bildung, mit Blick auf tragen, dass das, was bei der Mobilisierung von Finanz- einen höheren Anteil Studierender, mit Blick auf mehr investitionen sowie bei F und E und den Innovationsal- Interesse für Naturwissenschaft und Technikwissen- lianzen erreicht worden ist, kontinuierlich fortgesetzt schaft oder mit Blick auf mehr Durchlässigkeit im Bil- wird. Der Zug ist auf der Schiene. Er gewinnt an Fahrt. dungssystem schaffen und die nächsten Monate nutzen, Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Fahrt be- um mit den Ländern und den Sozialpartnern gemeinsam schleunigt wird; denn vor uns steht das Jahr 2010, in neue Maßnahmen zu entwickeln, die bei einem Qualifi- dem wir das 3-Prozent-Ziel erreichen wollen. Wir wer- zierungsgipfel bei der Bundeskanzlerin im Herbst 2008 den nach Abschluss der Haushaltsberatungen mit dem verabschiedet werden. Finanzvolumen, das im Haushalt für 2008 vorgesehen Hightechstrategie steht also nicht isoliert da, sondern ist, für F und E einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt sie steht im Kontext dessen, was wir an Weiterentwick- von 2,7 Prozent erreichen. Damit sind wir europaweit in lung, Modernisierung und Internationalisierung von Bil- der Spitzengruppe. Auch das ist ein wichtiges Signal im dung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung in Kontext der Europäischen Union. Denn das, was für Deutschland leisten. Deutschland gilt, gilt in gleichem Maße auch für Europa: mehr Attraktivität am Forschungsstandort Europa. Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12787

Bundesministerin Dr. Annette Schavan (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) schließlich schon einmal ein weiter gehendes Eckpunk- (C) tepapier vorgelegt, nach dem Freilandversuche zugelas- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sen und keine zusätzlich Barrieren geschaffen werden Nun hat die Kollegin Cornelia Pieper für die FDP- sollten. Eine Forschung ohne Bewährung auf dem Acker Fraktion das Wort. ist nicht innovationsfreundlich, sondern innovations- hemmend. Das ist die Politik der Bundesregierung. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Cornelia Pieper (FDP): Beim „Innovationsfrühstück“ des Verbandes der Che- Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! mischen Industrie sind wir bewusst darauf aufmerksam Leitmärkte für die Zukunft definieren – diesem hohen gemacht worden, dass das Gentechnikgesetz der Bun- Anspruch fühlt sich die Hightechstrategie verpflichtet. desregierung dazu führen wird, dass sich die Industrie Aber, Frau Ministerin, wir dürfen uns dabei nicht verzet- andere Standorte suchen und nicht den Forschungsstand- teln. Wir als Liberale haben immer gesagt: Deutschland ort Deutschland vorziehen wird. Das dürfen wir nicht muss auch den Anspruch haben, die Technologieführer- wollen. Frau Ministerin, Sie müssen aufpassen, dass Sie schaft in wichtigen Forschungsfeldern zu übernehmen. nicht vom Prinzip der Forschungsfreiheit, welches zu Das sind für uns unter anderem die Bereiche Energie, Recht im Grundgesetz verankert ist, abweichen. Als Klimaforschung und Gesundheitsforschung. Liberale fühlen wir uns diesem Recht verpflichtet. Wir müssen zwar, zum Beispiel im Zusammenhang mit der (Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das Stammzellenforschung, ethische Debatten führen, Sie haben Sie gesagt! Aber Liberale gibt es ja müssen aber aufpassen, dass Sie nicht vom Pfad „Frei- nicht mehr!) heit in der Forschung“ abweichen; denn sonst würde aus Deutschland darf nicht den Fehler machen, nach dem Ihrer Hightechstrategie sehr schnell eine Lowtechstrate- Prinzip „viel hilft viel“ vorzugehen, lieber Herr Tauss. gie, Frau Ministerin. Wir können in der Tat auf hervorragende Leistungen aus (Beifall bei der FDP) Forschung und Entwicklung verweisen. Wir verfügen über ein reich gefülltes Portfolio an Patenten. Ich glaube, dass Ihr französischer Ministerkollege auf dem Innovationskongress mit Recht die Worte Napole- (Jörg Tauss [SPD]: Nur keine Liberalen mehr!) ons zitierte: Es reicht nicht aus, eine gute Strategie zu Ich stelle mir aber immer wieder auch die Frage, ob haben; man muss auch wissen, wie man sie umsetzt. Die Sie den richtigen Nährboden schaffen, auf dem For- Umsetzung werden wir weiterhin kritisch beäugen. schungsergebnisse und Patente zu wirklichen Innovatio- (B) Vielen Dank. (D) nen der Wirtschaft werden. Da habe ich meine Zweifel. (Beifall bei der FDP – Brigitte Pothmer (Beifall bei der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Napoleon ist Sie alle kennen ein prominentes Beispiel: Der Wert der richtige Kronzeuge!) der Entdeckung des diesjährigen Nobelpreisträgers für Physik, Peter Grünberg, wurde von der deutschen Wirt- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schaft nicht erkannt. Es war IBM, die sich für die Ent- Nun hat das Wort der Kollege René Röspel für die wicklung und den Bau leistungsfähiger Festplatten in SPD-Fraktion. den USA eingesetzt hat und diese auch nutzte. (Beifall bei der SPD) In der „Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft“ denken führende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft darüber nach, wie neue Ideen schnell und un- René Röspel (SPD): kompliziert in innovative Produkte umgesetzt werden Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und können. Ihre Aufgabe ist es, Innovationshemmnisse zu Herren! Wir haben uns heute hier versammelt, um das identifizieren und zu beseitigen. erste Jahr Hightechstrategie gemeinsam zu betrachten. Das Ziel der Hightechstrategie ist es, Wirtschaft und Aber wo stehen wir heute, nach einem Jahr Hightech- Wissenschaft in gemeinsamen Projekten und Koopera- strategie? Die Energietechnologien leiden nach wie vor tionen zu vernetzen, weiter voranzubringen und vor allen unter Forschungsverboten in der Kernenergie-, der Si- Dingen neue Leitmärkte zu erschließen und zu identifi- cherheits- und der Endlagerforschung. Doch ohne die zieren; denn das braucht Deutschland als Hightechstand- Kernenergie werden wir unsere ambitionierten Ziele ort in der Welt. beim Klimaschutz nicht erreichen, Frau Ministerin. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP) Deutschland steht als Exportweltmeister gut da. Die- Über dem Zukunftsfeld „Pflanzen“ liegt der Schleier des ser Erfolg wird aber von relativ wenigen Branchen getra- Gentechnikgesetzes. Der Deutsche Bundestag will heute gen. Der Vizepräsident des Stifterverbandes für die Nacht, zwischen 4 und 5 Uhr, also morgen früh, über die Deutsche Wissenschaft hat das im Februar 2007 einmal von der Bundesregierung vorgelegte Novelle zum Gen- so ausgedrückt: technikgesetz beraten. Man hat ein bisschen das Gefühl, dass Sie das verstecken wollen. Herr Seehofer hat Der FuE-Standort Deutschland 12788 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

René Röspel (A) – also der Forschungs- und Entwicklungsstandort wir am Ende sehen, dass wir nicht nur den Export stär- (C) Deutschland – ken, sondern auch eine positive Bilanz für Umwelt und Klima und am Ende für die Arbeitsplätze im Inland zie- steht und fällt mit der Entwicklung im Kraftfahr- hen können. zeugbau, der gut ein Drittel der FuE-Aufwendun- gen bestreitet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jeder dritte Forschungseuro wird im Kfz-Bereich ausge- Bei allem Lob gibt es aber auch Kritik. Wir werden geben. Jeder vierte Forscher arbeitet im Automobilbe- die Hightechstrategie in einigen Bereichen kritisch wei- reich. ter begleiten. Das betrifft das Innovationsfeld Sicher- heitsforschung. Auf Seite 42 im Bericht steht – ich darf Dieser Erfolg kann zur Falle werden. Ein Fuhrunter- zitieren –: nehmer, der ein starkes Zugpferd hat, auf das er seinen Erfolg gründen kann, bekommt ein Problem, wenn die- Ziel der Sicherheitsforschung ist es, die Freiheit der ses Pferd ausfällt, kränkelt, schwächelt oder gar nicht Bürger zu schützen. mehr existent ist. Es kann seine Existenz kosten, wenn er (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Genau!) nicht rechtzeitig für Nachwuchs bzw. Ersatz gesorgt hat. Das ist falsch formuliert. Es weckt auch eine falsche Deshalb ist es wichtig, über die Hightechstrategie Hoffnung. Ich glaube, es wäre besser wie folgt formu- neue Innovationsbereiche zu identifizieren, in denen wir liert: Ziel der Sicherheitsforschung muss sein, die Si- neue Technologien entwickeln und damit auch sichere cherheit der Bürger zu gewährleisten und weiterzuent- neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen können. wickeln, und zwar ohne Freiheitsrechte der Bürger Deshalb ist die Hightechstrategie ein guter Schritt in die abzubauen oder einzuschränken. richtige Richtung. Im vorliegenden Fortschrittsbericht wird eine ganze Menge von Projekten genannt, die be- (Beifall bei der SPD) reits begonnen haben und positiv bewertet werden kön- nen. Dass es ein wichtiges Spannungsfeld ist, haben wir vor zwei oder drei Wochen als SPD-Fraktion auf einer Als Beispiel möchte ich die Umwelttechnik nennen. Konferenz zur Sicherheitsforschung feststellen können. Frau Pieper, Sie haben gerade zu Recht gesagt, dass die Dort haben wir uns den Fragen gewidmet: Wie kann Liberalen immer gefordert haben, dass Deutschland auf man eigentlich Sicherheit für die Bevölkerung feststellen diesem Gebiet Technologieführer werden muss. Sie ha- und sicherstellen? Wo liegen die tatsächlichen Bedro- ben das nur nie realisiert. Wir haben es gemacht, als wir hungsszenarien? Die Fokussierung auf die üblichen 1998 zusammen mit den Grünen an die Regierung ge- Punkte Terrorismus und Kriminalität ist zu kurz gegrif- (B) kommen sind. fen. Der Sicherheitsbegriff und die Bedrohungspoten- (D) ziale müssen weiter gefasst werden. Dazu gehören eben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auch Naturkatastrophen; das ist unstrittig. DIE GRÜNEN) (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Das steht doch alles In der neuen Koalition setzen wir das jetzt fort. drin!) Der Bereich der Umwelttechnik ist ein klassisches Es ist klar: Wir brauchen einen breiter als bisher defi- Beispiel dafür, dass Deutschland im Bereich Sonne und nierten Sicherheitsbegriff. Ich persönlich glaube, dass Wind mittlerweile an der Weltspitze steht und da ver- – das haben wir, wenn wir es nicht schon vorher wuss- nünftige Möglichkeiten des Ausbaus hat. ten, auf dieser Konferenz eindrücklich gelernt – die zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nehmende Verwendung biometrischer Daten im öffentli- chen Bereich, zum Beispiel bei Personalausweisen, nicht 420 Millionen Euro werden wir bis 2009 in diesem Be- unbedingt mehr Sicherheit für die Gesellschaft bringt, reich investieren, um neue Technologien weiter zu heben sondern vielleicht sogar das Gegenteil. und sie zu fördern, damit sie auf dem Weltmarkt beste- hen können. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) (Beifall bei der SPD) Das gilt es bei künftigen Entscheidungen zu berücksich- tigen. Immerhin sind wir Umwelttechnologieexporteur Num- mer eins. Ich will mich noch einem anderen Thema widmen, über das in letzter Zeit diskutiert wird, nämlich der Frau Schavan schreibt im Fortschrittsbericht richtig, Frage, wie es mit der finanziellen Förderung von For- dass Ökotechnik mittlerweile zum Jobmotor entwickelt schung in Deutschland weitergehen soll. Klassischer- worden ist. Das gilt für viele Bereiche; man kann zum weise fördern wir in Deutschland Institutionen oder Pro- Beispiel die Gesundheitsforschung und Medizintechnik jekte; wir geben staatliche Gelder, um Forschung zu nennen. Das ist eines der 17 Innovationsfelder, die si- finanzieren. Aber es wird zunehmend darüber diskutiert, cherlich und hoffentlich jeden von uns bezüglich neuer inwieweit man steuerliche Anreize für solche Unterneh- Technologien, die wir nutzen können, betreffen werden. men entwickeln sollte, die Forschung und Entwicklung Im Bereich der optischen Technologien, Mikrosystem- betreiben. technologien und Werkstofftechnologien werden neue Materialien für das Exportland Deutschland entwickelt. Ich glaube, es ist wichtig, neue Innovationsfelder zu Wenn wir diese Technologien weiterentwickeln, werden erschließen, die von der Wirtschaft ohne staatliche För- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12789

René Röspel (A) derung nicht entwickelt worden wären. Diese Beispiele (Zuruf von der FDP: Sie vertreiben sie gerade! – (C) gibt es im Umweltbereich und in vielen anderen, die sich Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Halt! mittlerweile als Erfolg erwiesen haben. Wir müssen Im- Halt! – Ulrike Flach [FDP]: Er redet von Bat- pulse geben und eine Anschubfinanzierung ermöglichen. terien statt von Steuern!) Wichtig ist aber auch, Mitnahmeeffekte in Bereichen zu verhindern, die sowieso von der Wirtschaft erschlossen – Nein, ich sage Ihnen eines ausdrücklich: BASF – eine werden können. der Firmen, die diesem Industriekonsortium angehören – hat 2006 einen Überschuss nach Steuern von 2 Milliar- den Euro erwirtschaftet, und beim Volkswagen-Kon- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zern waren es nach Steuern 2,5 Milliarden Euro. Mit Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Blick auf diese Zusammenhänge halte ich es für falsch, Kollegen Dr. Wissing? zu fordern, diese Unternehmen auch noch steuerlich zu entlasten. René Röspel (SPD): (Beifall bei der SPD – Zurufe von der FDP) Aber gerne. Die Antwort auf die zweite Frage. Die Unternehmen- steuerreform hat für viele Unternehmen Entlastungen Dr. Volker Wissing (FDP): gebracht, und sie wird es nicht behindern, dass weiterhin Kollege Röspel, Sie haben eben gefordert, steuerliche Forschung und Entwicklung betrieben werden. Anreize für Unternehmen zu schaffen, die besonders viel (Beifall bei der SPD) in Forschung investieren. Teilen Sie meine Auffassung, die übrigens auch von der forschungsintensiven Indus- Deswegen muss man sehr kritisch sehen, in welchen trie in Deutschland geteilt wird, dass die Große Koali- Bereichen es nutzt und in welchen Bereichen es zu Mit- tion mit der Unternehmensteuerreform gerade die for- nahmeeffekten führen wird. Ich glaube, dass die Mit- schenden Unternehmen in besonderem Maße zusätzlich nahmeeffekte überwiegen werden. Wir wissen, dass zur Kasse bittet? 88 Prozent der Forschung und Entwicklung in Deutsch- land von großen Konzernen, dass aber nur 12 Prozent (Jörg Tauss [SPD]: Nein!) von KMU geleistet werden. Diese müsste man eigent- lich fördern. Ob wir dies über einen steuerlichen An- René Röspel (SPD): reiz für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten errei- Erstens habe ich nicht gefordert, steuerliche Anreize chen können, bezweifle ich stark, (B) (D) einzuführen, sondern gesagt, dass eine Diskussion da- (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann rüber ansteht. [SPD]) (Lachen bei der FDP) und die Erfahrungen, die Frau Flach während einer Reise nach Kanada sammelte – Ja. – Ich will Ihnen durchaus selbstkritisch ein Beispiel nennen. Am Montag ist im Rahmen der Hightechstrate- (Jörg Tauss [SPD]: Spannend!) gie die Innovationsallianz „Lithium Ionen Batterie LIB 2015“ gestartet worden. Sicherlich ist grundsätzlich und über die sie in der letzten Sitzungswoche sprach, richtig, Energiespeicherung zu fördern. Dieser Bereich waren interessant. Denn dort stellt es sich nicht als so gut ist hochinteressant. Es geht zum Beispiel darum, wie wir und interessant heraus, wie Sie es uns hier gerade darzu- den Strom aus Windkraftanlagen speichern. Zusammen stellen versuchten. mit einem Industriekonsortium, dem BASF, Evonik, Volkswagen und Bosch angehören, wird nun Forschung Wir sind diesbezüglich sehr offen, und es wird im hinsichtlich der Lithium-Ionen-Batterie betrieben. nächsten Jahr Vorschläge dazu geben. Diese werden wir ernsthaft bewerten. Es darf jedoch nicht sein, dass Mit- Das ist ein Bereich, der schon im Markt etabliert ist nahmeeffekte entstehen. Ziel muss es vielmehr sein, dass – diese Technologie finden Sie beispielsweise in Ihrem Politik und Wirtschaft gemeinsam Verantwortung tra- Handy oder in Ihrem Laptop – und den die Wirtschaft gen. Die Politik macht das gerade, indem sie hohe Inves- selber weiterentwickeln könnte. titionen – es sind weit mehr als 6 Milliarden Euro – für die Entwicklung neuer Technologien bereitstellt. Gerade (Zuruf von der FDP: Das hat nichts mit der vor dem Hintergrund solcher Gewinnzahlen, wie ich sie Frage zu tun!) eben nannte, sind auch die Unternehmen gefordert, statt Arbeitsplätze abzubauen, wie sie es zurzeit machen, in – Das hat mit der Frage etwas zu tun. Schauen Sie sich mehr Personal zu investieren, Ausbildungsplätze zur einmal die Finanzierung an! Das Industriekonsortium Verfügung zu stellen, mehr gute Ingenieure einzustellen wird 360 Millionen Euro beisteuern, das BMBF 60 Mil- und den Anteil an F und E über mehr Einstellungen von lionen Euro. Nun kann man sich darüber unterhalten, ob Menschen zu erhöhen. Dann bekommen wir nämlich Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betrei- viele gute Zugpferde, die Deutschland weiter nach vorne ben, steuerlich stärker gefördert werden sollten. Diesbe- ziehen können. züglich ist es hilfreich, die Bilanzen dieser Unternehmen zu betrachten. (Beifall bei der SPD) 12790 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Förderung der kulturellen Eigenentwicklung und der Viel- (C) Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin falt von Gruppen und Lebensgemeinschaften, die Förde- Dr. Petra Sitte das Wort. rung von menschendienlichen Technologien (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) und die Verhinderung superriskanter Techniken und irre- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): versibler Umweltzerstörungen. Diese Ziele sind in der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Profes- Hightechstrategie nur fragmentarisch zu finden. sor Schellnhuber, Umweltpreisträger, Direktor des Pots- dam-Instituts für Klimafolgenforschung und Klimabera- Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil sie ter der Kanzlerin, ist bekanntlich ein Mann klarer Worte. mit dieser Einseitigkeit zur Einengung von Forschungs- Auch das 21. Jahrhundert, sagte er unlängst, werde ein freiheit führt, Jahrhundert der Wissenschaft. Aber die Wissenschaft trete quasi aus der Begleitung von Dialogen heraus. Sie (Jörg Tauss [SPD]: Was?) müsse sich mit der Politik auf Augenhöhe treffen und und zwar auf eine ganz andere Weise, als bisher disku- ernst genommen werden. Gemeinsam müsse man die so- tiert wurde. Die Forschung wird nämlich im Wesentli- genannten Megathemen identifizieren, und dann müsse chen auf innovative Dienstleistungen für die Wirtschaft man alle Kräfte und Ressourcen bündeln und interdiszi- reduziert. Das haben die Väter des Grundgesetzes ganz plinär an Lösungen arbeiten. bestimmt nicht im Auge gehabt, als sie die Forschungs- Ich denke, an diesem Anspruch muss sich auch die freiheit in das Grundgesetz aufgenommen haben. Hightechstrategie der Bundesregierung messen lassen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Gesine Lötzsch Immerhin geht es um Entscheidungen für Jahrzehnte. [DIE LINKE]: Die Mütter des Grundgesetzes (Beifall bei der LINKEN) auch nicht!) Das bedeutet: Zwischen Politik, Wirtschaft, Wissen- – Selbstverständlich, die Mütter auch nicht. Ich glaube schaft und Gesellschaft muss ein Netz gespannt werden. aber, damals war gar keine Frau dabei. Wie ist das Netzwerk der Hightechstrategie derzeit ge- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Drei Frauen flochten? Sie, Frau Ministerin – das wurde schon er- waren dabei! – Jörg Tauss [SPD]: Oh doch!) wähnt –, haben strategische Partnerschaften geknüpft. Wichtigstes Gremium ist die Forschungsunion, deren – Ach so. Hier lasse ich mich gerne belehren. Mitglieder im Wesentlichen aus Wissenschaft und Wirt- (B) schaft kommen. Nicht ganz eindeutig lässt sich der Kol- Die Linke kritisiert des Weiteren, dass Geistes-, So- (D) lege Huber von der IG Metall zuordnen. zial- und Kulturwissenschaften lediglich Akzeptanzfor- schung zur Einführung strittiger Technologien, etwa im (Jörg Tauss [SPD]: Was?) Sicherheits-, Nano- oder Biotechnologiebereich, betrei- Sie als Ministerin vertreten sozusagen die Politik. Ver- ben sollen. Es geht aber nicht nur darum, der Gesell- treter der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sucht man schaft zu erklären, worin diese Technologien bestehen, hingegen vergebens, und das Parlament hatte zu keinem sondern es geht auch darum, zu untersuchen, was sie be- Zeitpunkt eine reale Chance, Einfluss auf die Gestaltung wirken. Wir haben gemeinsam zu entscheiden, ob wir der Hightechstrategie zu nehmen. diese Technologien haben wollen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Maschen dieses Netzes sind also nur zwischen Wis- Wir kritisieren die Hightechstrategie auch, weil die senschaft und Wirtschaft eng und weiten sich zur Politik kleinen und mittelständischen Unternehmen, die insbe- deutlich. Zur Gesellschaft gibt es im Grunde genommen sondere in Ostdeutschland die eigentlichen Innovations- nur eine Masche; diese Masche kann man durchaus auch treiber sind, weiterhin ein hohes Geschäftsrisiko tragen als Loch bezeichnen. Das betrachtet die Linke als gra- müssen. Sie erhalten weit weniger Fördergelder als vierenden Webfehler. Großkonzerne, obwohl sie weit mehr Arbeitsplätze schaffen. Zudem wird der Zugang der kleinen und mit- Wir kritisieren diesen Ansatz auch, weil durch ihn vor telständischen Unternehmen durch die Initiative „KMU- allem exportfähige Technologien mit Steuergeldern in innovativ“ auf nur fünf Technologiefelder begrenzt. Das Milliardenhöhe gepusht und kommerzialisiert werden. kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Sie, Frau Ministerin, fragen nicht: Welche Innovationen werden für die Lösung globaler Probleme wirklich benö- (Beifall bei der LINKEN) tigt? Welchen Maßstab haben wir eigentlich? Unser Jetzt möchte ich an die Ausführungen von Herrn Maßstab sind Leitperspektiven, die sich aus der Zu- Röspel anknüpfen. Bei einigen Strategie- und Pro- kunftsforschung ableiten lassen. grammlinien fragt man sich wirklich: Wieso werfen wir Dazu gehören die Verbesserung der Lebensqualität, die hier noch Förder- bzw. Steuergelder hinterher? Das gilt Sicherung von wissenschaftlichen Entwicklungen und beispielsweise für das Luftfahrtforschungsprogramm IV. von Beschäftigung, die Erhaltung der natürlichen Lebens- Die deutsche Luftfahrtindustrie jammert, sie habe kein grundlagen und der Naturressourcen, die Sicherung von Geld zur Entwicklung emissionsarmer Triebwerke. Sie sozialer Gerechtigkeit und von Chancengleichheit, die macht aber seit Jahren Rekordgewinne. Das gleiche Bild Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12791

Dr. Petra Sitte (A) zeigt sich bei der Pharmainitiative. Die Pharmabranche Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) ist bekanntermaßen extrem renditestark. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Die Nutznießer der Strategielinie „IKT 2020“ zur Er- Hightechstrategie ist überschrieben mit der Botschaft: forschung neuer Informations- und Kommunika- Ideen zünden. Da fragt man sich natürlich nach einem tionstechnologien sind letztlich Konzerne der Branchen Jahr: Welche Ideen haben denn gezündet? Welche In- Automobilbau, Gesundheitstechnik, Maschinenbau und strumentarien waren eigentlich erfolgreich? Softwareentwicklung. Die Linke fordert, diese Strate- gielinie so auszurichten, dass das Internet als Informa- Da schaue ich mir als Erstes die Forschungsprämie tions- und Wissensplattform viel mehr Menschen zu- an. Die Forschungsprämie kann es kaum gewesen sein. gänglich gemacht wird. Gerade die Nachfrage der kleinen und mittleren Unter- nehmen stockt, und diejenigen, für die die Forschungs- (Beifall bei der LINKEN) prämie im Besonderen ausgerufen wurde, nämlich die Hochschulen, partizipieren bislang unterdurchschnitt- Als ich Ihren Bericht gelesen habe, ist mir an einer lich. Stelle fast nichts mehr eingefallen. Ich habe mich ge- (Jörg Tauss [SPD]: Die schlafen aber auch noch!) fragt: Wieso müssen wir diesen Bereich fördern? Es wird nämlich Fördergeld in Forschungen zur Ablösung Die Fraunhofer-Gesellschaft wird 65 Prozent des Geldes von Ölplattformen und zur Entwicklung submariner För- abgreifen, die Universitäten nur 22 Prozent. dertechnologien gesteckt. Man muss sich einmal fragen: (Cornelia Pieper [FDP]: So war das nicht gedacht!) Haben die Ölkonzerne dieser Welt in den letzten Jahren nicht wirklich Milliarden und Abermilliarden an Re- Das ist eine klassische Fehlzündung des wichtigen In- kordgewinnen erzielt? Diskutieren wir nicht gerade da- strumentes Forschungsprämie. rüber, dass der Preis für Superbenzin bald auf 1,50 Euro (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Preis für Diesel bald auf 1,40 Euro pro Liter und bei der FDP) steigen könnte? Diesen Bereich unterstützen wir tatsäch- lich mit öffentlichen Geldern! Wie Sie sehen, regt mich Zum Instrument Wagniskapital. Haben Sie da viel- das auf. leicht etwas auf die Beine gestellt? – Herr Dr. Riesenhuber, der dort in den hinteren Reihen sitzt, (Beifall bei der LINKEN) grinst. Die erneuerbaren Energien werden hingegen mit nur (Jörg Tauss [SPD]: Er lächelt! – René Röspel [SPD]: Nicht provozieren, bitte!) (B) 77,5 Millionen Euro gefördert; das halte ich für einen (D) gravierenden Fehler. Die Bundesregierung macht sich – Entschuldigung: Sie lächeln. – Beim Wagniskapital ist mit Ihrer Hightechstrategie, genauso wie bei der Steuer- also auch noch nichts passiert, obwohl wir alle das gerne politik, zur Lobbyistin der Interessen großer Unterneh- wollen. Meines Wissens ist es immer noch nur der von men. Damit nicht genug, Frau Ministerin: Sie schaffen Rot-Grün ins Leben gerufene Hightech-Gründerfonds, künstlich Märkte, indem Sie Nachfrage durch öffentliche der hier hilft. Auch die Unternehmensteuerreform hat Behörden versprechen. Das gehört bestimmt nicht zu den jungen, innovativen Unternehmen nichts gebracht. den Kernaufgaben des Staates. – Eigentlich müssten mir Auch hier müssen die Ideen, die man hat, gut umgesetzt die Liberalen jetzt zustimmen. werden; sonst bringen sie überhaupt nichts. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Hightechstrategie muss insgesamt einen Beitrag Auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress in Dresden, zur innovativen Lösung komplexer globaler Widersprü- Frau Schavan, haben Sie verkündet, dass Sie über Steu- ervergünstigungen für mehr Forschungsinnovationen che leisten. Hier schließt sich der Kreis zu Professor nachdenken. Das soll vielleicht in der nächsten Wahlpe- Schellnhuber. Technologische Innovation, sagt er nämlich riode umgesetzt werden. Sie müssen aufpassen, dass Sie weiter, reicht nicht – wir brauchen auch einen Mentalitäts- nicht als Ankündigungsministerin enden. Denn auch das wandel im Verbraucherverhalten. Das heißt, Hochtechno- 3-Prozent-Ziel wird wahrscheinlich nicht erreicht, ers- logien sind gleichberechtigt vor dem Hintergrund sozialer, tens weil die Konjunktur so gut ist und zweitens weil ökonomischer, ökologischer und kultureller Innovationen auch die Wirtschaft, wie es Herr Oetker vom Stifterver- zu entwickeln. Vielleicht hört ja die Kanzlerin und viel- band für die Deutsche Wissenschaft gesagt hat, das Ziel leicht hören auch Sie, Frau Ministerin, tatsächlich auf den wohl nicht erreichen wird. Dann haben Sie ein Problem. Klimaberater. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Danke schön. Nicolette Kressl [SPD]: Da ist doch die Minis- terin nicht schuld!) (Beifall bei der LINKEN) – Wenn die Anreize fehlen und wenn es die falschen In- strumentarien sind, um die Wirtschaft dazu zu bringen, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zu investieren, innovativ zu sein, dann ist natürlich ein Nun hat das Wort die Kollegin Priska Hinz für die Teil der Verantwortung bei der Ministerin; das muss man Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. klar und deutlich sagen. 12792 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Priska Hinz (Herborn) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schung als Querschnittansatz. Hier reicht es nicht, einen (C) Leuchtturm in der Demenzforschung zu haben; vielmehr Die Hightechstrategie der Bundesregierung ist zudem muss das in der gesamten Pharma- und Medizinfor- noch immer vor allen Dingen auf technologische Neue- schung Platz finden. Das lässt sich aus der von Ihnen rungen ausgerichtet. vorgelegten Initiative bislang nicht herauslesen. Damit (Jörg Tauss [SPD]: Das ist gelegentlich bei ist das wieder eine Schieflage bei einer wichtigen Initia- Hightech so, Frau Kollegin!) tive, die die Hightechstrategie ja sein soll. In Ihrer Vorstellung von anwendungsbezogener For- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schung fehlt nach wie vor die sozial- und kulturwissen- schaftliche Dimension. Innovation kann aber nur gelin- Dann haben wir noch das Riesenproblem des Fach- gen und nur dann nachhaltig sein, wenn die potenziellen kräftemangels. Durch die gerade erschienene Innova- Nutzerinnen und Nutzer einbezogen werden. Das Ver- tionserhebung des Zentrums für Europäische Wirt- trauen in neue Technologien kann nur dann erhalten und schaftsforschung wird gezeigt: Deutsche Unternehmen gestärkt werden, wenn es auch Risikoforschung und investieren inzwischen zwar mehr in Forschung und Ent- Technikfolgenabschätzung gibt. Das sagen die Sozialde- wicklung, aber 20 Prozent der Unternehmen konnten in mokraten selbst: bei der Sicherheitsforschung. den letzten Monaten Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung nicht besetzen. Auch in dem Bericht zur (Jörg Tauss [SPD]: Ja!) technologischen Leistungsfähigkeit der Bundesregie- rung wird das ausgewiesen, und in der vor Kurzem er- Das wissen wir auch aus dem Bereich der Nanotechnolo- schienenen OECD-Studie wird ebenfalls auf diesen dro- gie. Zwei Jahre zu spät haben Sie, Frau Ministerin, einen henden Mangel hingewiesen. Bericht über Veränderungsbedarf bei der Anwendung der Nanotechnologie vorgelegt, in dem Sie Handlungs- Hier gibt es vier Bereiche, in denen die Bundesregie- bedarf konstatieren. Was wollen Sie da tun? Abwarten rung unmittelbar etwas tun kann: bei der Ausbildung, bei und vielleicht ein bisschen was klären? der Weiterbildung, bei dem Ausbau von Studienkapazi- täten und bei der Zuwanderung. Auch hier gilt: Der Staat muss bei der Forschung und Entwicklung da investieren, wo es die Wirtschaft nicht Bei der Ausbildung hat sich die Ministerin auch nach tut, nämlich in Risikoabschätzung und Vorsorge. Nur zwei Jahren noch nicht zu einer Modernisierung der dann kann die Herausforderung einer neuen Technologie Ausbildungsstrukturen durchgerungen. Bei der Weiter- wirklich so bewältigt werden, dass sie nachhaltigen Nut- bildung fällt ihr nicht mehr als das Bildungssparen ein. zen für die Gesellschaft und nicht nur Geld für einige Noch nicht einmal das ist bis heute umgesetzt. Beim (B) (D) Betriebe bringt. Hochschulpakt musste man sie zum Jagen tragen. Jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist er auch noch unterfinanziert; das heißt, nicht alle not- wendigen Studienplätze werden geschaffen werden kön- Auch bei der Klimaforschung sind Sie technologisch nen. Bei der Zuwanderung hat die Ministerin kurz nach ausgerichtet. Sie haben zwar die Idee der Grünen aufge- Verabschiedung des neuen Gesetzes schon wieder neue griffen, dass hier investiert werden und man innovativ Vorschläge gemacht. Obwohl Sie es vorher mitbeschlos- sein muss, schauen wir uns aber einmal die Mobilitäts- sen haben, haben Sie hinterher beklagt, dass die Einkom- forschung an. Zu ihr müsste ja auch die Verhaltensfor- mensgrenzen jetzt zu hoch sind, Frau Schavan. Und was schung gehören. Was tun Sie? – Sie beschränken sich haben Sie hinterher dann tatsächlich erreicht? – Eine auf die Entwicklung intelligenter Leitsysteme für den kleine Korrektur, nämlich die Erleichterung der Einwan- Autoverkehr. derung von Fachkräften aus den neuen EU-Mitgliedstaa- ten. Hier sind Sie als Tigerin gesprungen und als Bett- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch drin- vorlegerin gelandet. gend nötig! – Jörg Tauss [SPD]: Was ist gegen intelligente Verkehrssysteme einzuwenden?) (Jörg Tauss [SPD]: „Bettvorlegerin“? Das ist neu! – Heiterkeit – Beifall beim BÜND- Das ist in der heutigen Zeit doch wirklich viel zu kurz NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg gesprungen. Hieran erkennt man Ihre Schieflage bei der Tauss [SPD]) Hightechstrategie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es bleibt mir festzustellen: Die Hightechstrategie ist eine gute Idee, und sie könnte mit der richtigen Umset- Auch bei der Pharmainitiative frage nicht nur ich zung nicht nur zünden, sondern sogar eine richtige Ra- mich, ob ausgerechnet die Pharmaindustrie in Deutsch- kete werden. land so viele öffentliche Mittel braucht. Nachdem sie in den 90er-Jahren im Ausland investiert hat, weil sie kein (Ilse Aigner [CDU/CSU]: „Raketin“ müsste Vertrauen in Deutschland hatte, soll sie jetzt einen Hau- das heißen!) fen Geld bekommen. Wenn schon in Deutschland eine Dafür bräuchten wir aber eine andere Bundesregierung. Pharmainitiative greifen soll, dann müssen inhaltliche Maßstäbe gesetzt werden. Wenn man neue Ideen fördern Danke schön. will, gehört dazu vor allen Dingen der patientenorien- tierte Ansatz, zum Beispiel die patientenorientierte For- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12793

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie haben (C) Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ilse Aigner für das verhindert mit der Blockade bei der Eigen- die CDU/CSU-Fraktion. heimzulage!) (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Letztendlich haben erst wir das Geld tatsächlich zur Ver- Nicht über den Bettvorleger stolpern!) fügung gestellt. Ich erinnere an den Hochschulpakt, liebe Frau Hinz. Ilse Aigner (CDU/CSU): Zu behaupten, dass die Ministerin zum Hochschulpakt Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- gedrängt werden musste, ist unzutreffend. nen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Hinz, das Zün- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE den der Rakete ist mein Bild; ich halte es für nicht in GRÜNEN]: Ja, musste sie! Natürlich!) Ordnung, dass Sie es übernehmen. – Ich weiß ja nicht, auf welcher Veranstaltung Sie waren. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Ich glaube, wir sind gemeinsam im selben Ausschuss GRÜNEN]: Haben Sie das Patent darauf? – und waren uns eigentlich immer einig, Jörg Tauss [SPD]: Das Urheberrecht!) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE – Nein. GRÜNEN]: Wer wollte das Mitspracherecht Aber genauso wenig halte ich Folgendes für gut: Sie bei der Föderalismusreform nicht haben? Sie zählen im Prinzip auf der einen Seite auf, was alles ge- wollten doch keine Mitwirkungsmöglichkeit schehen ist, und bestätigen damit, was alles passiert ist. im Hochschulbereich!) Sie haben eine ganze Reihe von Themen aufgezählt, und dass dies nicht ganz einfach ist und dass man es gemein- Sie suchen immer nur das Haar in der Suppe, das viel- sam mit den Ländern und nicht gegen die Länder ma- leicht links herum oder rechts herum etwas anders ist, chen muss. Das war eine Riesenleistung von unserer Mi- und so haben es viele andere auch gemacht. nisterin Annette Schavan. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Damit ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben Sie schon länger Erfahrung! – Jörg Tauss [SPD]: Habt ihr früher auch gemacht!) Dass wir in Zukunft 90 000 zusätzliche Studienplätze aufbauen werden, ist eine riesige Leistung. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich stelle mir nur vor, wir stünden heute in einer wirtschaftlichen Ent- Damit bin ich bei dem, was für uns das Wichtigste ist. wicklung, wie wir sie leider viele Jahre hatten, als die Wir können letztendlich in Deutschland nur mit der Res- (B) Wirtschaftskraft eher abnahm, als die Arbeitslosigkeit source haushalten, die wir im größten Maße haben, näm- (D) stieg, als wir Jahr für Jahr überlegen mussten, woher wir lich mit den Menschen und dem, was sie im Kopf haben, das Geld bekommen bzw. wie wir die Neuverschuldung was sie können und die der Realität umsetzen. Deshalb eindämmen. Stünden wir nicht vor einer Situation, in der haben wir auf der einen Seite Geld in die Hand genom- wir es Gott sei Dank geschafft haben, die Richtung zu men; aber auf der anderen Seite haben wir versucht, In- ändern, strumente zu finden, um dies gemeinsam mit der Wirt- schaft umzusetzen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Denken Sie an die Eigenheimzulage!) Sie haben die Forschungsprämie angegriffen. Ich bitte Sie: Das braucht auch alles erst einmal Zeit, anzulaufen. in der wir mittlerweile mehr Arbeitskräfte vermittelt ha- ben – übrigens auch hochqualifizierte ältere Arbeits- (Ulrike Flach [FDP]: Aber doch nicht so!) kräfte –, in der es Wirtschaftswachstum gibt, dann hätten – Was heißt denn „nicht so“? Sie wissen genau, wie die wir überhaupt nicht die Gelegenheit, uns darüber zu un- Regularien bei der Forschungsprämie sind, dass nämlich terhalten, wie wir mehr Mittel in Forschung und Ent- erst einmal die Anträge geschrieben und sie erst am wicklung investieren, und zwar mehr als 6 Milliarden Ende des Projektes abgerechnet werden. Wie soll denn Euro in den nächsten Jahren. Diese Chance nutzen wir das so schnell funktionieren? Ich habe erst in der letzten auch. Woche mit Fachhochschulen telefoniert. Sie werden es Aber einfach nur das Geld in die Hand zu nehmen, ist umsetzen, aber sie müssen sich auch erst auf die neuen nicht das Einzige. Wir haben auch einiges fortgesetzt, Instrumente einstellen. Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob was einige – vielleicht nicht Sie persönlich – angekün- nach einem Jahr schon alles erledigt sein sollte. digt haben, was aber finanziell gar nicht untermauert Vielmehr ist jetzt entscheidend, dass wir die richtigen wurde. Ich erinnere nur an die Exzellenzinitiative, die Weichenstellungen vornehmen werden. Wir haben die ich als hervorragend erachte, Forschungsprämien und den Spitzenclusterwettbewerb (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) auf den Weg gebracht. Hiermit werden die Strukturen mit Sicherheit so angelegt, dass sich neue, innovative die aber vorher in keiner Weise finanziell untermauert Ideen herausbilden, und zwar themenoffen. Nicht wir worden war. schreiben vor, was sie zu machen haben, sondern vor Ort (Jörg Tauss [SPD]: Was war sie?) werden sich die Unternehmen gemeinsam mit den For- schungseinrichtungen überlegen: Wo könnten die größ- – Sie war in keiner Weise vorher finanziell untermauert. ten Zukunftsfelder sein? Wo könnten die meisten Ar- 12794 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Ilse Aigner (A) beitsplätze entstehen? Dies setzen wir mit einem lich eintrübt. Das Wachstum hat sich verringert. Die (C) Wettbewerb um, und das zeigt wieder, dass Wettbewerb Steuereinnahmen steigen nicht mehr, und die nach den das Beste ist, was passieren kann. neuesten Steuerschätzungen zu erwartenden zusätzli- chen Milliarden sind im Haushalt 2008 bereits zur Hälfte (Beifall bei der CDU/CSU) verplant. Das heißt, der Spielraum wird enger. Erst dann Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir ziehen werden Sie sich beweisen müssen. Es ist einfach, in fet- hier nach nur einem Jahr Resümee. Viele wären froh ge- ten Zeiten etwas zuzulegen, Frau Schavan. Aber Sie wesen, nach einem Jahr überhaupt ein solches Resümee müssen auch für die Zeiten vorsorgen, in denen es nicht ziehen zu können. so gut läuft. (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ (Beifall bei der FDP) CSU]: So ist es!) Sie haben eben ein verdächtiges Wort gebraucht. Sie Die Ministerin hat es angesprochen: Auch in der Wirt- haben gesagt, dass eine stimmungsmäßige Verbesserung schaft wird mehr Geld für Forschung und Entwicklung festzustellen sei. Insofern stimme ich Ihnen völlig zu: in die Hand genommen. Wie gesagt, die Zahl der Ar- Stimmung wird uns in diesem Fall nicht helfen. beitsplätze steigt. (Jörg Tauss [SPD]: Stimmung ist gut! Doch!) Das Beste, was wir heute tun könnten, wäre, Mut und Zuversicht auszustrahlen, den Menschen, die draußen ar- Sie haben außerdem von einer deutlichen Entwicklung beiten und die etwas im Kopf haben, Mut zuzusprechen, auf dem Arbeitsmarkt gesprochen. Aus den Prognosen sich vielleicht selbstständig zu machen oder sich etwas des Stifterverbandes geht hervor, dass die Zahl der in risikobereiter in einem Unternehmen zu engagieren, da- Forschung und Entwicklung Beschäftigten von 2005 auf mit wir auch zukünftig mehr Arbeitsplätze haben und 2006 um 3 500 Personen gestiegen ist. 2007 sollen es nicht nur alles verwalten. Ich halte das für die richtige 2 000 zusätzliche Arbeitsplätze sein. Sie haben uns aber Richtung, für die wir in den nächsten Jahren – hoffent- 1,5 Millionen zusätzliche wissensbasierte Jobs verspro- lich gibt es noch viele Jahre Exzellenzinitiative – ge- chen. Insofern frage ich mich – Hightech hin oder her –, meinsam arbeiten sollten. wo die Relationen und der Erfolg Ihrer nicht gerade billi- gen Aktionen liegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wir liegen zwar leistungsmäßig seit Jahren auf einem (B) Nächste Rednerin ist nun die Kollegin Ulrike Flach guten Niveau – das gilt übrigens auch für die Jahre, über (D) für die FDP-Fraktion. die Sie eben so geschimpft haben, Herr Röspel –, (Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt (René Röspel [SPD]: Das freut uns!) wollen wir was von Ihrer Reise hören!) aber ich befürchte, dass wir die eigentlichen Schwächen nach wie vor nicht im Griff haben. Es gibt zu wenig Ab- Ulrike Flach (FDP): solventen, zu wenig Wagniskapital, zu wenig Frauen und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zu wenig Patente. All dies hat sich nicht verändert, High- Kollegen! Frau Schavan hat uns wieder einmal in sehr techstrategie hin oder her. beredten Worten die Hightechstrategie dargelegt. Sie ha- ben mit dem Fortschrittsbericht den Preis für Gestaltung Gleichzeitig leisten Sie sich Fehler, Frau Schavan, bei gewonnen und vor allen Dingen den Eindruck vermittelt, denen wir uns fragen: Was hilft denn alle Strategie? In an alles gedacht zu haben. diesen Tagen wird erklärt, dass die Gesundheitskarte kaum noch eine Chance hat, flächendeckend eingesetzt Ich will aber in diesem Zusammenhang auf ein Zitat zu werden. Das ist der erste Fehlschlag, und zwar im- zurückgreifen, das in diesen Wochen immer wieder merhin bei einem Leuchtturm Ihrer Strategie. durch Berlin geistert: Zu viel Weihrauch schwärzt den Heiligen, liebe Frau Schavan. Genau das versuchen Sie Bei der Forschungsprämie bin ich völlig anderer Mei- an dieser Stelle: nung als Sie, Frau Aigner. Wir haben es mit einer reinen Transferprämie zu tun, die bisher, wie das Ministerium (Jörg Tauss [SPD]: Ich werde nicht ge- angibt, ab und zu auch für Forschung verwandt wird. schwärzt! In keiner Weise!) Was ist das für ein Konzept? Sie decken mit Ihrer Strategie und Ihrem Zwischenbe- (Beifall bei der FDP) richt einfach ab, dass sich inzwischen nicht viel verän- dert hat. An dieser Stelle ist deutlich erkennbar, dass die Konzep- tion falsch ist. (Beifall bei der FDP) Was die steuerlichen Erleichterungen angeht, haben Frau Aigner kann noch so sehr betonen, wie viel Geld Sie mit der Unternehmensteuerreform gerade bei den zur Verfügung gestellt worden ist. Frau Bulmahn wäre forschenden Unternehmen für große Probleme gesorgt. hocherfreut gewesen, wenn sie nur einen Bruchteil die- ser zusätzlichen Gelder erhalten hätte. Aber wir leben (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ nun einmal in einer Zeit, in der sich die Konjunktur deut- DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Kanada! Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12795

Ulrike Flach (A) Kanada! – René Röspel [SPD]: Gucken Sie geschaffen. Die Förderung der Schaffung von Arbeits- (C) doch mal in den Bericht zur technologischen plätzen ist aber nur ein Aspekt. Leistungsfähigkeit!) Wichtig ist des Weiteren, dass die Umwelt geschützt Sie können doch jetzt nicht plötzlich erklären, dass Sie und der CO2-Ausstoß reduziert wird. 35 Prozent der Ener- irgendwelche Verbesserungen vornehmen wollen. Das gie werden bei der Beheizung von Gebäuden verbraucht. heißt nichts anderes, als dass sich die Finanzpolitiker Ich sehe das in meinem Wahlkreis besonders deutlich. und die Forschungs- und Bildungspolitiker der Großen Der CO2-Ausstoß muss natürlich auch durch einen ent- Koalition konterkarieren. sprechenden Kraftwerksbau reduziert werden. Wir be- mühen uns mit der Hightechstrategie um eine Reduzie- (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Krista rung des CO -Ausstoßes in diesem Bereich. Die Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 2 deutsche Kraftwerkstechnologie ist hervorragend. Hier Im Endeffekt wird wenig dabei herauskommen. sind wir Weltmeister. Die Ideen haben längst gezündet. Die Wirkungsgrade deutscher Kraftwerke liegen im Lassen Sie mich zum Schluss feststellen, Frau Durchschnitt bei 50 Prozent. Wenn man die KWK-Anla- Schavan: Sie haben selbstverständlich die Probleme er- gen berücksichtigt, dann stellt man fest, dass der Wir- kannt, und Sie haben viel Geld im Topf, aber es ist keine kungsgrad sogar bei über 70 Prozent liegt. Das ist ein relevante Arbeitsmarktverbesserung erkennbar. Die 17 gutes Verkaufsargument in der Welt. Der Export boomt. von Ihnen aufgeführten Bereiche verschwimmen in wol- Was das CO2-freie Kraftwerk angeht, sind wir mit der kigen Prognosen. Ihnen liegen keine verwertbaren Zah- Hightechstrategie auf einem guten Weg. Bundesregie- len für eine Verbesserung der Position Deutschlands im rung und Industrie arbeiten hier zusammen. Rahmen eines internationalen Rankings vor. Das heißt, Sie haben nur einen geringen Teil der Hightechstrategie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der umsetzen können. Da werden wir noch viel tun müssen, CDU/CSU) Frau Schavan. Wir fördern zudem – das ist für uns wichtig – die er- Ich fürchte, dass in deutlich schwierigeren ökonomi- neuerbaren Energien wie die Wind-, die Bio- und die So- schen Zeiten Probleme auftreten. Die Unterstützung der larenergie. Die Bundesregierung unterstützt Projekte in FDP für den Innovationsstandort haben Sie immer. Aber diesem Bereich mit insgesamt 77,5 Millionen Euro. Al- Sie müssen deutlich zulegen, sonst wird das nichts ge- lein im Bereich der Bioenergie werden 10 Millionen ben. Euro investiert. Das schafft Arbeitsplätze. Insgesamt über 175 000 Menschen haben hier einen Arbeitsplatz in (Beifall bei der FDP) (B) qualifizierten Berufen gefunden. Das werden wir in den (D) kommenden Jahren durch unsere Hightechstrategie aus- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: bauen. Nächster Redner ist der Kollege Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion. Mit der Hightechstrategie wird auch die Clusterbil- dung, die strategische Partnerschaft, gefördert. Universi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten täten, Forschungsinstitute und die Wirtschaft arbeiten der CDU/CSU) zusammen. Ich will hierfür vier Beispiele benennen. Ers- tens. Universitäten arbeiten mit kleinen und mittelständi- Dieter Grasedieck (SPD): schen Betrieben in den Bereichen der Filtertechnik und des ökologischen Bauens zusammen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielen Bereichen und bei vielen Zusammen- Zweitens. Die intensive Zusammenarbeit der Energie- arbeiten haben die Ideen schon gezündet; das kann man erzeuger beim CO2-freien Kraftwerk ist entscheidend, festhalten. Aus Visionen Innovationen und Arbeitsplätze vielleicht sogar zukunftsweisend. für die Zukunft schaffen, das ist das Ziel unserer High- techstrategie. Das haben wir in vielen Bereichen, zum (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Beispiel durch die Forschungsprämie, erreicht. Ein Bei- spiel ist die Zusammenarbeit von Fachhochschulen so- Drittens. Durch die gezielte Förderung der Optiktech- wie kleinen und mittelständischen Betrieben beim öko- nologie waren wir in den vergangenen Jahren erfolg- logischen Bauen. Wir bekämpfen damit unter anderem reich. Wir wollen das fortsetzen. Wir sind in diesem Be- die Arbeitslosigkeit. Wir sind hier erfolgreich und wer- reich Weltspitze. den es in den kommenden Jahren auch bleiben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Viertens. Durch die Förderung der Clusterbildung im Informations- und Kommunikationsbereich sind 20 000 Die Stärken des Mittelstandes sollten durch das CO2- Arbeitsplätze in den letzten Jahren entstanden. Frau Gebäudesanierungsprogramm ausgebaut werden. Dabei Sitte, Sie haben bereits darauf hingewiesen, dass allein haben wir den Heizungsbauer, den Elektriker und den in Dresden 11 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich ge- Maurer genauso im Auge wie die Fachhochschule. Fle- schaffen wurden. Hier zünden die Ideen. Das kann man xibilität und Kreativität des Mittelstandes sind hier ent- deutlich sehen. Gleiches gilt für den Bereich der Geistes- scheidend. Dadurch werden ganz sicher Arbeitsplätze wissenschaften. 12796 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dieter Grasedieck (A) Es werden aber nicht nur die Wirtschaft und die Wir haben eine Strategie, die systematisch auf dem auf- (C) Hochschulen bedacht, sondern auch die Schulen. Auch baut, was wir wissen. Schulprojekte werden gefördert. (Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Barth [FDP]: Das hat mit Hightechstrategie nichts zu Wir haben den Bericht zur technologischen Leis- tun!) tungsfähigkeit vorliegen. Die SWOT-Analyse – auf Deutsch gesprochen: die Analyse der Schwächen, Stär- Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Ich habe Schulen be- ken, Chancen und Risiken – haben wir in der Hightech- sucht, die sich mit der Solarenergie und der Windenergie strategie ausgewiesen. Daraus entstehen die Programme, auseinandersetzen. Die Schüler sind sehr begeistert und die gezielt auf die kritischen Stellen ausgerichtet sind. arbeiten sehr engagiert. Dies alles ist integriert über die Felder der Techniken, Sie sehen, die Hightechstrategie schafft Tausende von wobei wohldefinierte Prioritäten und Handlungsstrate- Arbeitsplätzen gien festgelegt sind. Das ist die eine Hälfte. (Uwe Barth [FDP]: Nein, das haben wir nicht Jetzt kann man über die einzelnen Programme spre- gesehen!) chen. Ich finde es prima, dass immer wieder neue Ideen kommen. Forschung lebt von neuen Ideen. und eine neugierige, eine lernende Gesellschaft. Zusam- menfassend kann man sagen: Die Koalition ist auf einem (Ilse Aigner [CDU/CSU]: So ist es!) erfolgreichen Wege. Wir wollen durch die Hightechstra- tegie noch erfolgreicher werden. Die Demenzforschung als Leuchtturm anzuführen, ist wichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass wir bei unserem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) prächtigen und freundschaftlichen Verhältnis zu den Bundesländern gelegentlich über die gesamte klinische Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Forschung sprechen. Die Investitionen der Länder in die klinische Forschung belaufen sich auf über 2,5 Milliar- Ich gebe dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber, CDU/ den Euro im Jahr. Wir haben protokollierte Forschungen CSU-Fraktion, das Wort. in Kliniken von weniger als 10 Prozent. Wenn wir dies (Beifall bei der CDU/CSU) steigern könnten, dann wäre das ein Fortschritt für un- sere Forschungslandschaft, nicht nur für die Statistiken Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): der Länder. Das würde die Wirklichkeit verändern. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (B) Ich finde es gut, dass wir neue Punkte ansprechen. (D) Herren! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute im We- Lieber Herr Röspel, wir können auch historische Debat- sentlichen über die Hightechstrategie, obwohl wir auch ten darüber führen, wer die Umwelttechnik wann so den schönen Antrag zum Forschungsförderprogramm prächtig entwickelt hat. Wir waren schon 1989 mit gro- „IKT 2020“, den der Kollege Krummacher erarbeitet ßem Abstand Weltmarktführer bei der Umwelttechnik. hat, zugrunde legen sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: ruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wir sind ja Er- Ein bisschen waren auch wir beteiligt!) finder!) – Ich freue mich immer, wenn auch die Kollegen von der – Wenn Sie auch in der Opposition waren, so waren wir SPD beteiligt sind. damals wenigstens für Ihre moralische Unterstützung Zur Hightechstrategie – insofern will ich die Debatte dankbar. hier durchaus weiterführen und nicht sprengen – muss (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) ich sagen, liebe Frau Flach: Nach einem Jahr zu sagen, dass ein Forschungsförderprogramm gescheitert sei, ist Es gibt hier zahlreiche technologische Einzelbereiche. ein bisschen verfrüht. Eine Forschung kann immer auch Was mir aber besonders wichtig erscheint – wir müssen Flops erzeugen. Eine Forschung, die keine Flops er- jetzt aufpassen, was noch weiter entwickelt werden kann –, zeugt, führt zu nichts anderem als zur Reproduktion des sind die Querschnittsbereiche. Status quo. Frau Sitte, Sie waren ein wenig skeptisch in Bezug (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auf die öffentliche Nachfrage. England hat ein prächtiges Aber was wir hier haben, Programm aufgelegt, das die öffentliche Nachfrage nach Innovationen stimuliert. Im TA-Bericht, den wir im (Ulrike Flach [FDP]: Ist ein Flop!) April erhalten haben, sind die Bereiche querschnittsartig ist meines Erachtens eine kluge strategische Anlage in dargestellt. Es ist eine faszinierende Idee, an der öffentli- einem extrem komplexen Gebiet. Wir haben zum ersten chen Nachfrage, die 260 Milliarden Euro pro Jahr für In- Mal eine integrierte Strategie, die die Ministerien und novationen umfasst, anzusetzen. Es genügt nicht, dass die Fachbereiche sowie die unterschiedlichen Strategie- sich sechs Ministerien verabreden, verstärkt neue Tech- ansätze umfasst. nologien einzukaufen – das haben sie getan –, was an sich prima ist. Es geht darum, das ganze Volumen der in- (Ulrike Flach [FDP]: Das wäre schön!) novativen Beschaffung zu vergrößern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12797

Dr. Heinz Riesenhuber (A) Die Querschnittsfrage zielt auch auf Normen und ministeriums eine Menge Fortschritte erreicht. Dank der (C) Standards. Mit dem DIN-Institut werden wir eine ge- wichtigen und vielseitigen Anregungen der Sachverstän- meinsame Strategie entwickeln. Außerdem geht es um digen in der Anhörung sind wir jetzt in einer zweiten die Frage, wie man die Normen und Standards in der Na- Runde konstruktiver und zielführender Gespräche, um notechnologie dahin gehend entwickeln kann, dass an einigen Stellen, beispielsweise bei den Business-An- Techniken verantwortbar sind. gels, noch ein bisschen weiterzukommen. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Aber da machen Sie ja nichts!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege! – Ich zitiere aus dem Fortschrittsbericht. Nur am Rande sei bemerkt: Ich formuliere keinen einzigen eigenen Ge- danken, Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Frau Flach, Sie machen mich hier gerade ein bisschen (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE an, GRÜNEN]: Schade eigentlich!) (Heiterkeit) sondern ich verlasse mich auf die Weisheit der Bundes- regierung, was enorm entspannt und intellektuelle Auf- soweit das plenartechnisch möglich ist. Sie haben die wendungen erspart. Verbesserung der Stimmung hier etwas kritisch apostro- phiert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Mehr Selbstbewusstsein, (Uwe Barth [FDP]: Nein, konstatiert! – Zuruf Herr Kollege!) von der FDP) Wir haben hier über wissensbasierte Dienstleistungen – Vielen Dank. Dann sind wir uns einig: Es ist prima, gesprochen und diese Sache damit zum ersten Mal wirk- dass die Stimmung besser geworden ist. lich systematisch behandelt. Entsprechende Ansätze gab es schon vor 15 Jahren; doch damals war die Zeit dafür Luther hat dazu Grundsätzliches gesagt, was ich aus noch nicht reif. Auch wenn 70 Millionen Euro, die bis Respekt vor dem Hohen Hause nicht wiederholen kann. 2009 für das Programm „Innovationen für Dienstleistun- gen“ zur Verfügung stehen, nicht viel Geld sind, besteht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: jedenfalls die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen, das wir Herr Kollege, Sie sind schon zwei Minuten über die uns gesetzt haben, nämlich auf dem Gebiet der wissens- Redezeit. (B) basierten Dienstleistungen für dieselbe Exzellenz zu sor- (D) gen, die im Bereich der Produktion geschaffen worden ist. Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Frau Präsidentin, ich bitte sehr um Nachsicht. – Ich Diese Querschnittsbereiche sind am schwersten zu or- werde Luther nicht zitieren. Luther spricht sich für mehr ganisieren. Das zu schaffen, wird eine wichtige Aufgabe Fröhlichkeit aus. Ich meine die Geschichte von dem sein. Ich bin gespannt, was im Zweiten Fortschrittsbe- traurigen Arsch; Sie erinnern sich. richt stehen wird. Ich finde es prima, wenn man Fort- schrittsberichte sauber schreibt. Ich finde es auch prima, Ich verweise auf das, was entsteht, wenn wir mit dem dass sich die Länder entschlossen haben, gemeinsam mit fröhlichen Unternehmungsgeist in die Zukunft schreiten, der Wissenschafts- und der Wirtschaftsministerkonferenz der diese Regierung und, wie ich hoffe, insbesondere regelmäßig Berichte vorzulegen, aus denen hervorgeht, den Finanzminister auszeichnet. Lassen Sie uns gemein- was sie zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels beitragen. Ich sam mit dem Geist, den Frau Schavan hier gezeigt hat, wäre glücklich, wenn sich die Finanzministerkonferenz an die Sache herangehen! Dann wird sich die Strahlkraft, die gleichen Ziele setzte und an der Erreichung dieser die diese Große Koalition generell entfaltet, in der Ge- Ziele mit der gleichen Leidenschaft, die die Regierung meinschaft der deutschen Wissenschaftler, Forscher und sonst auszeichnet, arbeitete. Unternehmer ausbreiten. Wir haben nur noch zwei Jahre Zeit, bevor wir vielleicht wieder getrennte Wege gehen, (Beifall bei der CDU/CSU) wenn es der Wähler will. Es gilt, die Zeit bis dahin zu Ich freue mich über unseren Finanzminister. Er ist sehr nutzen und Fröhlichkeit, Unternehmungsgeist, Tatkraft innovativ. und Entscheidungsfreudigkeit im Land zu verbreiten. An der Erreichung dieses Ziels sollten wir gemeinsam mit Ich komme auf das Wagniskapital zu sprechen, das Herzlichkeit und Entschlossenheit arbeiten. Sie, liebe Frau Kollegin Hinz, angemahnt haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- neten der SPD) NEN]: Dazu ist immer noch nichts da!)

– Wenn Sie mir noch drei Minuten Redezeit geben, dann Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: erläutere ich Ihnen das im Einzelnen. – Was das Wagnis- Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jörg kapital angeht, sieht die Sache so aus: Wir haben hier Tauss, SPD-Fraktion. – darüber haben wir das letzte Mal diskutiert – gegen- über den ersten Entwürfen der Beamten des Finanz- (Beifall bei der SPD) 12798 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Jörg Tauss (SPD): Die Debatte hat gezeigt, dass wir im Rahmen der (C) In der Tat werden wir die angesprochenen Fragen Hightechstrategie viele wichtige Themen benennen. Die fröhlichen Herzens angehen, auch die steuerlichen Fra- Opposition muss zwar immer ein bisschen mäkeln, aber gen. Natürlich müssen wir überlegen – Geld kann man es hat mich schon gewundert, dass sie jetzt gerade an schließlich nur einmal ausgeben –, welches Projekt wir diesen Feldern herumgemäkelt hat. Es sind in der Tat ein fördern und was wir in anderen Bereichen machen wer- paar mehr – insgesamt 17 – Felder vorgestellt worden, den. Aber, liebe Frau Flach, ich bin dem Kollegen und es ist nicht bei allen so, wie es hier dargestellt Riesenhuber sehr dankbar, dass er mir ein bisschen Re- wurde. dezeit geschenkt hat, indem er darauf verwiesen hat, Ich will beispielsweise den Bereich der Gesundheit dass am 1. Januar 2008 das Wagniskapitalbeteiligungs- nennen. Diesbezüglich wurden einige Punkte angespro- gesetz in Kraft treten wird. Das scheint der FDP entgan- chen. Man kann sagen, dass man im Gesundheitsbereich gen zu sein. nichts machen muss, weil die Pharmaindustrie gut Geld (Ulrike Flach [FDP]: Nein!) verdient. Trotzdem nehmen wir eine Pharmainitiative in Angriff. Ich finde das gut; denn ein Großteil der Phar- Ich würde gerne mit euch darüber diskutieren, wo- maunternehmen in Deutschland sind mittelständische Un- rüber wir mit Frau Hendricks diskutiert haben. Sie hat eine ternehmen, die hervorragende Produkte auf den Markt ganz hervorragende Arbeit im Bundesfinanzministerium bringen. So einfach können wir es uns also nicht machen. geleistet. Man hört, dass es demnächst mit der Kollegin Wir widmen uns jetzt auch den Kompetenzzentren für De- Kressl eine Nachfolgerin geben wird, mit der wir diese menz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist daran zu Fragen ebenfalls ganz vorurteilsfrei diskutieren können. bemängeln? Dafür gibt es doch Bedarf in dieser Gesell- Aber eines ist klar: Geld kann man nur einmal ausgeben. schaft. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der SPD) Die Frage ist nur, ob wir es zielgerichtet ausgeben. Wir sollten an dieser Stelle deutlich machen, dass genau (Lachen bei der FDP) die richtigen Herausforderungen in Angriff genommen werden. – Entschuldigen Sie, das war schon immer unsere Er- Zum Thema Energie. Frau Kollegin Hinz, warum kri- kenntnis. Deshalb haben wir weniger Schulden aufge- tisieren die Grünen zum Beispiel, dass wir den Klima- türmt als ihr in eurer Regierungszeit. schutz – der Kollege Grasedieck hat das im Einzelnen (Beifall bei der SPD) vorgestellt – in den Mittelpunkt unserer Hightechstrate- gie stellen? (B) Es ist völlig klar, dass die Sozialdemokraten schon im- (D) mer besser mit Geld umgehen konnten als die Liberalen. In Bezug auf die innere Sicherheit gibt es in der Tat noch Fragen. Die Bürgerrechte müssen geschützt wer- Aber da war eine Zwischenfrage. den. Wir fragen – Kollegin Aigner hat aufmerksam zu- gehört, weil Herr Beckstein als Innenminister diesbezüg- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: lich manchmal anderer Auffassung war –, was zu mehr Herr Kollege Tauss, würden Sie mich jetzt zu Wort und was zu weniger Freiheit führt. kommen lassen? – Ich möchte Sie fragen, ob Sie diese (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Wenn man sicher Zwischenfrage zulassen? ist, ist man immer freier!)

Jörg Tauss (SPD): Wohin führt es, wenn wir unsere Fingerabdrücke an al- Ich antworte uneingeschränkt mit Ja. len Stellen hinterlegen? Wir hatten gerade eine Konfe- renz, auf der wir das miteinander diskutiert haben. Frank Schäffler (FDP): Ich glaube, zur Hightechstrategie gehört auch die Herr Kollege Tauss, ist Ihnen bekannt, Technikfolgenabschätzung in all diesen Bereichen. (Jörg Tauss [SPD]: Ja, natürlich! – Heiterkeit (Beifall bei der SPD) bei der SPD) Die anderen Punkte will ich nicht alle benennen; die dass sich die beiden Regierungsfraktionen nicht auf ein Themen Nanotechnologie und Mobilität sind angespro- Wagniskapitalbeteiligungsgesetz zum 1. Januar 2008 ge- chen worden. Das sind die Bereiche, in denen wir erfolg- einigt haben, dass das Projekt vielmehr verschoben reich sind. wurde? Frau Kollegin Hinz, was ist dagegen einzuwenden, wenn wir uns in der Luftfahrt um neue Werkstoffe und Jörg Tauss (SPD): Materialien kümmern? Lieber Herr Kollege, dieses Projekt ist, wie Sie wis- (Zuruf von der LINKEN) sen, auf einem hervorragenden Weg. Sie werden erleben, dass wir das Wagniskapitalbeteiligungsgesetz in der – Das waren Sie? Jetzt bitte ich um Entschuldigung; das Form voranbringen, wie Sie es sich möglicherweise habe ich ein bisschen durcheinandergebracht. auch wünschen. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Ich bin nicht an allem schuld!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12799

Jörg Tauss (A) Diese Kritik fand ich nicht fair. Gerade als PDS- Aus diesem Grunde müssen wir mit denen, die in den (C) Nachfolgepartei, die sich links nennt, sollte man wissen, Ländern, egal an welcher Stelle, eine Bildungspolitik be- dass in den USA die gesamte Subventionierung der Luft- treiben, die nichts taugt, stärker diskutieren. Wir müssen und Raumfahrtindustrie aus dem militärischen Bereich vonseiten des Bundes die Impulse geben, die wir nach erfolgt. Die Frage ist, ob wir das wollen. Wir machen es der Föderalismusreform in den Bereichen Wissenschaft, anders. Wir fördern Maschinen und Turbinen, wir för- Hochschulen und Forschung noch geben können. Das dern die leichten Materialien, Verbundwerkstoffe und tun wir, auch mit der Hightechinitiative. Ähnliches. Das halte ich für die intelligentere Lösung. Aber das ist auch etwas, bei dem man staatliche Förde- Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. rung braucht. Von alleine wird das nicht funktionieren; (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dann könnten wir in diesem Bereich aufhören. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Die Initiative „Clean Sky“, bei der es um die Luftver- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: schmutzung durch Luftverkehr geht, ist eine zentrale kli- Ich schließe die Aussprache. mapolitische Herausforderung der nächsten Jahre. Ich Tagesordnungspunkt 6 a. Interfraktionell wird Über- will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. weisung der Vorlage auf Drucksache 16/6900 an die in In anderem Zusammenhang müssen wir natürlich der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- auch über die Hightechinitiative reden. Sie haben den gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Stifterverband angesprochen. Nichts dagegen! Nur, eines Dann ist die Überweisung so beschlossen. muss man den Herren vom Stifterverband einmal sagen: Wenn es richtig ist, dass der Fachkräftemangel die zen- Tagesordnungspunkt 6 b. Beschlussempfehlung des trale Herausforderung in den nächsten Jahren ist, dann Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen- muss man dem doch Rechnung tragen. Ich bin sicher: abschätzung auf Drucksache 16/6923. Das ist die zentrale Herausforderung. Wir haben es ges- Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- tern im Forschungsausschuss anhand des TAB-Berichts schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak- diskutiert. Das größte Risiko für den Standort Deutsch- tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5900 land in den nächsten Jahren sind nicht Lohnnebenkosten mit dem Titel „IKT 2020: gezielte Forschungsförderung und hohe Löhne der unbotmäßigen Beschäftigten – das für zukunftsträchtige Innovationen und Wachstumsfel- haben wir jahrelang gehört –, das größte Risiko ist viel- der im Bereich der Informations- und Kommunika- mehr der Fachkräftemangel. Also müssen wir uns um tionstechnologien“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- (B) diese Frage kümmern. fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die (D) Die Industrie beklagt den Ingenieurmangel. Da frage Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und ich mich: Wo ist die Industrie, die sagt: „Jetzt nehmen CDU/CSU bei Gegenstimmen vom Bündnis 90/Die Grü- wir Mittel für 50 000 Stipendien in die Hand; 25 000 nen, von der Fraktion Die Linke und Enthaltung der FDP jungen Frauen und 25 000 jungen Männern geben wir angenommen. über Stipendien Zuschüsse zum Studium“? Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung (Beifall bei der SPD und der LINKEN) des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5899 mit dem Titel „Innovationsfähig- Man kann nicht immer nur Vorträge darüber halten, was keit stärken durch Bildungs- und Forschungsoffensive“. man tun könnte, tun müsste oder tun sollte. Ich erwarte Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer von der deutschen Industrie jetzt endlich namhafte Bei- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- träge statt Gejammer über Fachkräftemangel; das kann fehlung ist mit Stimmen von SPD, CDU/CSU, bei Ge- man nämlich nicht mehr hören. genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung (Beifall bei der SPD) der Fraktionen Die Linke und der FDP angenommen. Die Länder sind genauso gefordert. Das ist auch so Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 d auf: ein Pünktchen, über das wir einmal diskutieren müssen. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Ich komme aus Baden-Württemberg. Da sagte der Mi- desregierung eingebrachten Entwurfs eines nisterpräsident kürzlich in einer Diskussion zum Thema Jahressteuergesetzes 2008 (JStG 2008) „Lehrerinnen und Lehrer“, zum Thema „Wir müssen alle Talente fördern“: In Bade-Württemberg sind mehr Leh- – Drucksachen 16/6290, 16/6739 – rer net drin. – Auf Deutsch: In Baden-Württemberg will man sich nicht mehr Lehrer leisten. – Diese Herange- Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- hensweise des Exportlandes Nummer eins ist eine glatte nanzausschusses (7. Ausschuss) Katastrophe. Es kann doch nicht sein, dass ein Minister- – Drucksachen 16/6981, 16/7036 – präsident heute ernsthaft sagt: „Mehr Lehrer sind nicht drin“ und in den Schulbetrieb mehr Ehrenamtliche brin- Berichterstattung: gen will. Das sind Dinge, die nicht passen. Das sind Abgeordnete Olav Gutting große Risiken für das Wirtschaftswachstum und den Gabriele Frechen Standort. Dr. Volker Wissing 12800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Berichterstattung: (C) schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Abgeordnete Gabriele Frechen Dr. Barbara Höll – Drucksache 16/6988 – Zu dem Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 liegt Berichterstattung: ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider (Erfurt) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Otto Fricke Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich Dr. Gesine Lötzsch höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Anja Hajduk Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- mentarische Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks. richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) – zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, wei- Bundesminister der Finanzen: terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit der heutigen Lesung des Jahressteuerge- Steuerklasse V abschaffen – Lohnsteuerab- setzes 2008 bringen wir ein Gesetzgebungsprojekt zu zug neu ordnen Ende, das der Umsetzung einer Vielzahl von Einzel- – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE maßnahmen im Steuerrecht dient. Im Vordergrund ste- hen neben fachlich gebotenen Einzelregelungen erneut Entfernungspauschale vollständig anerken- der Bürokratieabbau und die Steuerrechtsvereinfa- nen – Verfassungsmäßigkeit und Steuerge- chung. rechtigkeit herstellen Eine für alle Bürger sichtbare Entlastung ist die Ab- – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine schaffung der Kartonlohnsteuerkarte im Jahr 2010 und Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weite- die damit verbundene Einführung der elektronischen rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Lohnsteuerabzugsmerkmale ab 2011. Von diesem mo- NIS 90/DIE GRÜNEN dernen Verfahren profitieren auch die Arbeitgeber. Ih- nen werden die Lohnsteuerabzugsmerkmale für ihre Steuervereinfachung – Lohnsteuerklassen III, Arbeitnehmer maschinell verwertbar zur Verfügung ge- IV und V abschaffen stellt. Dies entlastet die Unternehmen von Bürokratie- (B) – Drucksachen 16/6396, 16/6374, 16/3023, kosten in Höhe von rund 280 Millionen Euro. (D) 16/6981, 16/7036 – Auch die Kapitalertragsteueranmeldung wird auf ein Berichterstattung: elektronisches Verfahren umgestellt. Die Neuregelung, Abgeordnete Olav Gutting die erstmals für Erträge ab dem Jahr 2009 gilt, entlastet Gabriele Frechen die Unternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von Dr. Volker Wissing knapp 4 Millionen Euro. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Mit dem vorliegenden Text zur Neuregelung des § 42 richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der Abgabenordnung – da geht es um den Missbrauch dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten – wird der Dr. Axel Troost, Oskar Lafontaine, Dr. Gregor Begriff des Missbrauchs gesetzlich klar definiert und die Gysi und der Fraktion DIE LINKE Beweislastverteilung zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen geregelt. Damit wird eine ein- Verbesserung der Statistik zur Lohn- und Ein- deutige Prüfungsreihenfolge zur Feststellung eines Miss- kommensteuer, Umsatzsteuer und Erbschaft- brauchs und somit eine handhabbare Vorschrift geschaf- und Schenkungsteuer fen, die dazu dienen kann, auf eine Vielzahl von – Drucksachen 16/3025, 16/4274 – Einzelvorschriften zu verzichten – wenn auch der Bun- desfinanzhof das in seiner Rechtsprechung so sieht. Berichterstattung: Abgeordnete Dr. h. c. Hans Michelbach (Beifall bei der SPD) Dr. Barbara Höll Hervorzuheben ist ferner die künftige Umsatzsteuer- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- befreiung der Leistungen der Jugendhilfe. Hiermit wird richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu der Weiterentwicklung der Leistungen und des Ange- dem Antrag der Abgeordneten Oskar Lafontaine, botsspektrums der Kinder- und Jugendhilfe in den letz- Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weiterer Ab- ten 20 Jahren Rechnung getragen. Damit stehen auch in geordneter und der Fraktion DIE LINKE diesem Steuerrechtsbereich das Kind und der präventive Schutz vor Gefahren für das Kindeswohl im Mittel- Steuerpflichtige mit mehr als 500 000 Euro Ein- punkt. kommen gleichmäßig und regelmäßig prüfen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Drucksachen 16/3699, 16/5693 – der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12801

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Nicht mehr enthalten im Gesetzespaket ist die Ein- (Beifall bei der SPD) (C) führung des sogenannten optionalen Anteilsverfahrens, also des Steuerklassenwahlverfahrens, für Ehegatten. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Hiermit sollte schon beim Lohnsteuerabzug mit der Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing, Eintragung eines Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte FDP-Fraktion. den tatsächlichen Verhältnissen der Vielzahl von Ar- beitnehmerehegatten besser Rechnung getragen wer- (Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele den. Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen allerdings, [FDP]: Jetzt wird es lebendiger!) in einem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren, ebenfalls mit Wirkung ab 2009, ein geeigneteres An- Dr. Volker Wissing (FDP): teilssystem einzuführen. Die Bundesregierung wird Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! selbstverständlich bei den damit verbundenen Arbeiten Man muss sich doch einmal die Frage stellen: Was bringt konstruktiv mitwirken. Das kann ich meiner Nachfol- dieses Jahressteuergesetz eigentlich den Bürgerinnen gerin schon einmal mit auf den Weg geben. und Bürgern in diesem Land? (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Alles andere (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) hätte uns auch gewundert!) Was haben die Menschen davon? Diese Frage hätten Mit der Abschaffung der zweijährigen Frist bei der auch Sie seitens der Koalitionsfraktionen sich einmal Arbeitnehmerveranlagung zur Einkommensteuer wird stellen müssen; denn Sie haben uns hier einen Gesetzent- ein Vorschlag des Bundesrates aufgegriffen. Der Wegfall wurf vorgelegt, über den sich allenfalls die Verwaltung dieser Frist führt zu einem erheblichen Bürokratieabbau. in Deutschland freuen kann. Mit einer Änderung im Altersteilzeitgesetz wird klar- Sie verändern das Steuerrecht an nahezu 200 Stellen gestellt, dass die Steuerfreiheit der Aufstockungsleistun- und führen ganz erhebliche Erleichterungen für den gen zum Entgelt und zu den Rentenversicherungsbeiträ- Staat ein. Aber die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gen nicht von einer Förderung durch die Bundesagentur haben Sie nicht im Blick; für diese tun Sie wieder einmal für Arbeit abhängt. Damit ist eindeutig, dass die Steuer- nichts. freiheit auch für Altersteilzeit gilt, die nach dem 31. Dezember 2009 vereinbart wird. Damit ist schon (Beifall bei der FDP) jetzt in diesem Bereich Rechtsklarheit geschaffen. Im Gegenteil: Sie tun nicht nur nichts, sondern machen Das vorliegende Gesetzespaket sieht auch die Einbe- es den Menschen in diesem Land sogar noch schwerer. ziehung der Beförderungen von Personen mit Bergbah- (B) Nehmen Sie § 42 der Abgabenordnung. Dies ist ein (D) nen in den ermäßigten Umsatzsteuersatz vor. Meiner echtes Kabinettsstückchen dieser Koalition. Sie unter- Auffassung nach haben wir ordnungspolitisch schon stellen einfach, dass es in Deutschland in zunehmendem überzeugendere Regelungen getroffen. Maße missbräuchliche Steuergestaltungen gibt, obwohl Sie dazu keinerlei Informationen haben. Um es der Ver- (Ilse Aigner [CDU/CSU]: Och!) waltung so leicht wie möglich zu machen, führen Sie Letztlich müssen sich Produkte und Dienstleistungen eine völlig unklare gesetzliche Regelung ein. Sie setzen ohne dauerhafte steuerliche Subventionen am Markt be- die Steuerzahler damit einer erheblichen Rechts- währen. Die Erfahrung zeigt, dass sie dies im Fall der unsicherheit aus. Aber selbst das reicht Ihnen noch nicht. Bergbahnen auch tun, da der Gesetzgeber bereits bei den Zur Freude der Verwaltung und gegen die Interessen der parlamentarischen Beratungen des Umsatzsteuergeset- Menschen drehen Sie auch noch die Beweislast um. zes 1967, also in der Verantwortung des Finanzministers Künftig muss jetzt nicht mehr die Verwaltung beweisen, Dr. Franz Josef Strauß, den Punkt einer umsatzsteuerli- dass Missbrauch vorliegt. chen Begünstigung der Beförderungen mit Bergbahnen, (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das stimmt auch vor dem Hintergrund der Wettbewerbsfrage mit doch gar nicht! Das war der Referentenent- dem Nachbarland Österreich, erörtert und nicht aufge- wurf, Herr Kollege!) griffen hatte. Unsere Bergbahnen fahren also seit Jahr- zehnten mit dem Regelsteuersatz. Ich hätte mir in dieser Nein, die Steuerzahler sollen beweisen, dass sie be- Frage etwas mehr ordnungs- und subventionspolitische stimmte Gestaltungen nicht aus steuerlichen Gründen Stringenz, insbesondere in den Reihen unserer christso- gewählt haben. zialen Freunde, gewünscht. – Da musst du jetzt einmal durch, Eduard. (Beifall bei der FDP) Haben Sie eigentlich einmal darüber nachgedacht, (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Aber im Freistaat was Sie dem Investitionsstandort Deutschland mit einem verkauft die bayrische SPD es als Erfolg!) solchen Gesetz antun? Rechtssicherheit und verlässliche Mit Interesse schaue ich auf die Zusage der Branche, Steuergesetze, Kontinuität im Steuerrecht, das ist ein die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Seilbah- ganz wesentlicher Standortvorteil. Genau diesen Stand- nen im Rahmen der nächsten Tarifanpassung in Form ortvorteil bauen Sie in der Großen Koalition systema- von Fahrpreissenkungen an die Endverbraucher weiter- tisch ab. Ihr Jahressteuergesetz ist eine Zumutung für zugeben. den Investitionsstandort Deutschland. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Zuruf von der FDP: Das stimmt!) 12802 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Volker Wissing (A) Wir haben eben eine Forschungsdebatte geführt. Jetzt 200 Vorschriften in 30 Gesetzen werden geändert. Das (C) beraten wir einen Gesetzentwurf, mit dem Sie den For- Ziel der Vereinfachung wird total verfehlt. Die Erwar- schungsstandort Deutschland weiter schwächen. tungen der Menschen, dass Sie die Fehler Ihrer Unter- nehmensteuerreform korrigieren, waren groß. Auch das (Beifall bei der FDP) ist Ihnen nicht einmal ansatzweise gelungen. Es ist absurd, was Sie uns hier vorlegen. CDU/CSU und SPD haben dafür gesorgt, dass der Sie gefährden damit Arbeitsplätze. Deswegen ist die- Handel künftig Steuern auf seine Mietzahlungen leisten ses Gesetz völlig ungeeignet, das Steueraufkommen zu muss. Das ist ein aktiver Beitrag zur Schwächung des sichern. Künftig werden Investoren bei uns darauf ange- Einzelhandels in den deutschen Innenstädten. wiesen sein, dass ihnen die Verwaltung vorab verbind- lich mitteilt, was in Deutschland erlaubt ist und was (Beifall bei der FDP) nicht. Aber das Schlimme ist: Sie haben vergessen, in Ih- Genau dort sind die Mieten nämlich besonders hoch. rem Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass die Steuerzah- Ihre Absenkung des steuerpflichtigen Teils von 75 auf ler einen Auskunftsanspruch gegenüber der Verwaltung 65 Prozent – das bleibt im Übrigen weit hinter dem zu- haben. rück, was die Union den Wählerinnen und Wählern ver- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) sprochen hat – ist reine Kosmetik und löst nicht einmal ansatzweise das Problem. Diese Politik zeugt von einer Sie machen Steuergesetze für die Verwaltung und ganz erheblichen Arroganz gegenüber den Belangen des Ein- bewusst gegen die Interessen der Bürgerinnen und Bür- zelhandels. ger. CDU/CSU und SPD tragen damit die volle Verant- (Beifall bei der FDP) wortung für leerstehende Läden in den deutschen Innen- städten. Während Ihre Kommunalpolitikerinnen und Nehmen Sie die Pendlerpauschale. Was wurde da al- Kommunalpolitiker vor Ort um jeden Laden, der die In- les versprochen! Die SPD hat große Ankündigungen ge- nenstadt belebt, kämpfen, setzen Sie mit Ihrer Substanz- macht. besteuerung zum Kahlschlag gegen den Einzelhandel in (Zuruf von der CDU/CSU: Wir nicht!) Deutschland an. Es war schon bemerkenswert, wie mutig sich einige aus (Beifall bei der FDP) Ihren Reihen geäußert haben, ohne vorher den Finanz- minister um Erlaubnis zu fragen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die Chance nutzen, (B) mit diesem Jahressteuergesetz Verbesserungen auf den (D) (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das war vor dem Weg zu bringen. Dazu waren Sie nicht ansatzweise in Parteitag!) der Lage. Es ist Ihnen nicht einmal gelungen, etwas für die Eheleute zu tun, um ihnen eine Alternative zur pro- Aber die Quittung haben Sie prompt bekommen. Sie hät- blematischen Steuerklasse V zu bieten. Auch das haben ten dies wissen müssen, bevor Sie die Menschen unnötig Sie nicht geschafft. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass verunsichern. Sie die Erleichterungen und Verbesserungen für die Bür- Die Lage in Deutschland ist klar: Gesetzesänderun- ger verschieben, vertagen und die Belastungen in die gen im Interesse der Steuerzahler lehnt dieser Minister Gesetze schreiben. ab. Basta! Da ist kein Platz für Vorschläge zur Verein- Die einzige Innovation, die dieses Gesetz mit sich fachung des Steuerrechts. Es ist auch kein Platz für bringt, ist die Absenkung des Mehrwertsteuersatzes für Vorschläge zur Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Bergbahnen. Das ist schon ein bemerkenswerter Schritt Arbeitnehmer. Verbesserungen für die Verwaltung ja, Er- für eine Große Koalition. leichterungen für die Bürger nein, genau das ist der Maßstab für die Finanzpolitik dieser Regierung. (Zuruf von der CDU/CSU: Es geht bergauf!) (Beifall bei der FDP) Sie haben es bisher nicht geschafft, einen Vorschlag zur Mit Ihrer Steueridentifikationsnummer greifen Sie Überarbeitung des Mehrwertsteuersystems vorzulegen. weiter massiv in den Datenschutz ein. Sie setzen den Aber Sie haben mit diesem Gesetz wenigstens eines be- finanzpolitischen Überwachungsstaat voll auf die wiesen, nämlich dass Ihr Finanzminister völlig daneben- Schiene. Die Union nickt alles brav ab. Von Gesetz zu liegt, wenn er immer wieder behauptet, eine grundle- Gesetz entfernen Sie sich von Ihrem Wahlprogramm. Sie gende Überarbeitung der vollen und verminderten beschließen diese Zumutung für Unternehmen, Wirt- Mehrwertsteuersätze in Deutschland sei nicht möglich. schaft sowie die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land (Beifall bei der FDP) fleißig mit.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Mit diesem Jahressteuergesetz wird das Steuerrecht Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting, CDU/ weder einfacher noch transparenter. CSU-Fraktion. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12803

(A) Olav Gutting (CDU/CSU): die damit verbundene Kenntniserlangung des Arbeitge- (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! bers vom Einkommen des jeweiligen Ehepartners sind Meine Herren! Das Jahressteuergesetz 2008 enthält eine aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht tragbar Vielzahl sinnvoller Regelungen, um unser Steuerrecht gewesen. auch für die Zukunft fit zu machen. Mit dem Jahressteu- ergesetz 2008 werden wir einen Beitrag zur weiteren (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Absenkung der Bürokratiekosten in diesem Land in NEN]: Das haben wir am Anfang auch schon Höhe von fast 300 Millionen Euro leisten. gesagt! Die Einsicht hat lange gedauert!) Natürlich sind wir vom Idealzustand noch ein ganzes Die Zielrichtung war trotzdem richtig. Wir müssen Stück entfernt. Der effektivste Schutz vor missbräuchli- die Steuerlast der Ehepartner senken, damit auch die chen Steuergestaltungen wäre immer noch ein einfaches Frauen – sie haben in der Regel das geringere Einkom- und damit auch ein gerechtes Steuersystem. men – einer Berufstätigkeit rentabel nachgehen können. Deshalb haben wir uns zusammen mit dem Koalitions- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) partner entschlossen, dass wir auf eine Lösung der Pro- Aber zurück zum Jahressteuergesetz 2008. Die Ein- bleme der Lohnsteuerklasse V hinarbeiten und diese bis führung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale zum 1. Januar 2009 finden werden. Wir werden damit und der damit verbundene Wegfall von circa 40 Millio- eine zusätzliche Alternative zur Lohnsteuerklasse V zur nen Papierlohnsteuerkarten wie auch die Umstellung der Verfügung stellen. Die weiteren Beratungen werden zei- Anmeldung zur Kapitalertragsteuer auf das elektroni- gen, ob dabei auf das Durchschnittssteuersatzverfahren sche Verfahren führt zu einer bürokratischen Entlastung zurückgegriffen wird oder ob wir ein anderes Modell nicht nur beim Bürger, sondern – da haben Sie recht – finden. auch bei der Finanzverwaltung. Das Jahressteuergesetz 2008 trägt insbesondere beim Den Menschen in unserem Land können wir sagen, Wegfall der ursprünglich geplanten massiven Begren- dass die datenschutzrechtlichen Bedenken, die mit der zung des Sonderausgabenabzuges bei der vorwegge- Einführung der elektronischen Lohnsteuerkarte verbun- nommenen Erbfolge die Handschrift der CDU/CSU- den sind, berücksichtigt wurden. Die Bürger haben mit Fraktion. Der Sonderausgabenabzug bei der Übertra- Recht einen Anspruch darauf, dass ihre Daten nur be- gung von GmbH-Anteilen durch den Gesellschafter-Ge- rechtigten Personen zugänglich sind. Dafür haben wir schäftsführer bleibt erhalten. Das ist gerade für unsere gesorgt; dies wird sichergestellt. Mittelständler wichtig, von denen viele ihre Betriebe in Form einer GmbH betreiben. Im Sinne unserer Land- Den Kritikern muss gesagt werden: Es geht hier nicht wirte werden wir dafür sorgen, dass der Wohnteil bei der (B) um die Schaffung des gläsernen Steuerbürgers. Denn die Übergabe des Hofes auch zukünftig einbezogen wird. (D) Finanzverwaltung wird auch zukünftig mit der Einfüh- rung der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Daten erhalten, die sie bisher schon auf den papiere- Uns war in diesem Zusammenhang wichtig, dass der ur- nen Lohnsteuerkarten erhalten hat und die schon bekannt sprünglich vorgesehene Wegfall des Sonderausgaben- sind. abzuges nach fünf Jahren gestrichen wurde. Das bedeu- Insgesamt haben wir den ursprünglichen Regierungs- tet: Altverträge haben unbeschränkt Bestandsschutz. Das entwurf im parlamentarischen Verfahren geradezu einer ist eine ganz wichtige Änderung gegenüber dem ur- Kernsanierung unterzogen. Nach Anhörungen und Bera- sprünglichen Entwurf. tungen haben wir über 40 Änderungen am ursprüngli- Für die Pauschalbesteuerung nach § 37 b des Ein- chen Gesetzentwurf vorgenommen, unter anderem auch kommensteuergesetzes, also für den Fall, dass der Ar- – Herr Kollege Wissing, das hätten Sie eigentlich mer- beitgeber seinem Arbeitnehmer Zuwendungen zukom- ken müssen – beim § 42 AO. men lässt, müssen wir noch eine sinnvolle Lösung Das zeigt vor allem auch, dass dieses Parlament die finden. Es ist kaum verständlich, dass der Arbeitgeber Gesetze macht, beispielsweise bei einer Einladung verdienter Mitarbei- ter ins Stadion zwar den erheblichen Steueranteil pau- (Lachen bei der FDP) schaliert abführen kann, danach aber die Sozialversiche- nicht nur eine Notarfunktion hat und die Entwürfe der rungsbeiträge individuell berechnet und abgeführt Bundesregierung nicht einfach nur abnickt. werden müssen. Wir müssen uns in den nächsten Mona- ten noch einmal zusammensetzen und versuchen, auch (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – in diesen Fällen eine Pauschalierung der Sozialversiche- Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Es ist leider immer rungsbeiträge hinzubekommen. Nur so macht die Pau- so! Das dritte Semikolon darf geändert wer- schalbesteuerung nach § 37 b des Einkommensteuerge- den!) setzes Sinn. Auf eine ursprünglich geplante wichtige Einzelmaß- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nahme mussten wir im Rahmen dieser Beratungen ver- der SPD) zichten. Es stellte sich beim Gesetzgebungsverfahren heraus, dass das Anteilsverfahren schlicht ungeeignet ist. Es bleibt festzuhalten, dass mit dem Jahressteuerge- Besonders die notwendige Mitteilung des jeweils ent- setz 2008 notwendige und richtige Änderungen, Korrek- sprechenden Prozentsatzes auf der Lohnsteuerkarte und turen und Anpassungen vorgenommen wurden. Ich 12804 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Olav Gutting (A) weiß, dass dieses Gesetz viele Einzelpunkte – es sind Nebenbei muss man natürlich bemerken, dass die (C) mehr als 200 – enthält. Ich habe Verständnis für diejeni- Finanzbeamtinnen und -beamten mit Ihrem Gesetz sehr gen, die bei über 200 Änderungen zunächst einmal die viel Arbeit haben werden. Ich hoffe, dass ihnen genug Luft anhalten, vielleicht sogar stöhnen. Zeit eingeräumt wird, sich das alles überhaupt aneignen zu können. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das geht uns ja selber so! Wir haben ja selber kaum mehr Ihre große verpasste Chance besteht darin, dass Sie Luft!) die Möglichkeit, die Entfernungspauschale wieder voll als absetzbare Werbungskosten anzuerkennen, nicht ge- Das geht uns selbst nicht anders. nutzt haben. Wer aber genau hinschaut, kann erkennen, dass das (Beifall bei der LINKEN) Jahressteuergesetz 2008 in wesentlichen Teilen Erleich- terungen und Vereinfachungen mit sich bringt, und zwar Deshalb haben wir Ihnen unseren Antrag zur Wiederein- nicht nur für die Verwaltung, sondern gerade auch für führung vorgelegt. die Steuerbürger in unserem Land. Deswegen ist dieses Gesetz zu begrüßen. Ich möchte zur Verdeutlichung daran erinnern, dass die Regelung der Entfernungspauschale, wie sie bis zum (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 1. Januar dieses Jahres galt, dem objektiven Nettoprinzip neten der SPD – Dr. Volker Wissing [FDP]: der Besteuerung verpflichtet war. Danach sind alle Kos- Wo denn? – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ ten, die eine Steuerzahlerin oder ein Steuerzahler hat, um DIE GRÜNEN]: Die Beispiele muss man aber ihr oder sein Einkommen zu erzielen, vom zu versteu- suchen!) ernden Einkommen abziehbar. Es handelt sich um die real entstandenen Kosten der Berufstätigkeit. Das sind Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: keine privaten Aufwendungen. Dessen ungeachtet defi- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Barbara Höll, niert die Bundesregierung – die Regierungskoalition Fraktion Die Linke. folgt ihr – das einfach neu. Sie werden nicht mehr zu Werbungskosten gezählt, sondern sind jetzt reine Privat- (Beifall bei der LINKEN) angelegenheit. Die Begrenzung der Pendlerpauschale sei damit Subventionsabbau, so die Staatssekretärin im Peti- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): tionsausschuss am 9. Oktober dieses Jahres. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da fragt man sich natürlich: Wenn die Fahrtkosten Herr Gutting, das Jahressteuergesetz 2008 ist nicht mehr jetzt nichts mehr mit der Erwerbstätigkeit zu tun haben (B) und nicht weniger als eine verpasste Chance zur Wider- und keine Werbungskosten mehr sind, wie ist denn das (D) herstellung von sozialer Gerechtigkeit. eigentlich mit Fachbüchern, mit Computern oder mit den (Beifall bei der LINKEN – Eduard Oswald [CDU/ Kinderbetreuungskosten, die wir ja zu den Werbungs- CSU]: Jetzt gehen Sie aber zu weit!) kosten neu hinzuzählen? Werden sie dann vielleicht auch im Rahmen des Subventionsabbaus im nächsten oder – Nein, das ist genau die richtige Einschätzung, Herr übernächsten Jahr gestrichen? Oswald. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Es ist ein dickes Gesetz, 43 Änderungen, viele redak- Tja, alles vor dem Werktor!) tionelle Änderungen und spärliche Versuche zur Verein- fachung und Rechtsangleichung. An einer Stelle wurde Das alles ist möglich. Das ist das grundsätzliche Pro- sogar Lernfähigkeit nachgewiesen, und zwar mit der blem. Rücknahme des Anteilsverfahrens. Herr Gutting, nach Verfassungsmäßig stellt sich zudem noch die Frage Ihren Ausführungen ist ganz klar: Die einzig vernünftige des spezifischen Umganges mit der Entfernungspau- Lösung ist der konsequente Übergang zur Individualbe- schale. Sie haben sie ja nicht vollständig gestrichen, son- steuerung im Einkommensteuerrecht. Das kann man hier dern Sie sagen: Ab dem 21. Kilometer darf man sie wie- festhalten. der geltend machen. Dies ist eine ungerechte Behandlung (Beifall bei der LINKEN) der Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die man einfach nicht begründen kann. Wenn Sie das bis zum 1. Januar 2009 hinbekommen, werden Sie unsere volle Unterstützung haben. (Beifall bei der LINKEN) Dieser Gesetzentwurf zeigt aber auch das offensichtli- Sie begeben sich verfassungsmäßig auch auf sehr, sehr che Nachgeben gegenüber dem Druck der Lobbyver- dünnes Eis, weil durch die Absenkung die Gefahr be- bände, indem die Unternehmensteuerreform 2008, die erst steht, dass niedrige Einkommen, die am Existenzmini- ab dem 1. Januar des nächsten Jahres gilt, schon jetzt wie- mum liegen – das steuerfrei zu stellen ist – besteuert der verändert wird, und zwar wird die Berechnungs- werden. Auch das wird nachzuprüfen sein. grundlage für die Gewerbesteuer verändert. Der Satz für (Beifall bei der LINKEN) die neu aufgenommene Hinzurechnung von Mieten und Pachten wird schon jetzt von 75 auf 65 Prozent herabge- Nicht nur wir Linke, auch Fachleute und Gerichte ha- setzt. Nur nicht die Unternehmensseite zu stark belasten, ben Ihnen in den letzten Wochen ins Stammbuch ge- das ist Ihr Credo. schrieben, dass diese Regelung nicht zu halten sein wird. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12805

Dr. Barbara Höll (A) Die Verfassungsmäßigkeit ist stark anzuzweifeln. Wir Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) sind der Überzeugung, sie ist nicht gegeben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann diesem Gesetz an einer Stelle wirklich etwas Sie verweisen in den Diskussionen nun einfach im- Gutes abgewinnen. Das betrifft die Bergbahnen. Ich mer darauf: Wir warten einmal ab, was das Bundesver- komme nämlich aus Bayern, und daher freue ich mich fassungsgericht sagt. Herr Steinbrück mahnt Stehvermö- darüber. Wir haben diesen Punkt auch mehrere Jahre gen an. Die SPD schob im Oktober noch folgende lang eingefordert; Begründung hinterher: Wir haben das jetzt so geregelt, weil wir die Verödung der Innenstädte beenden wollen. (Beifall bei der CDU/CSU) Da frage ich mich, ob die Gewerbeparks und die Mehr- denn er stärkt unseren Tourismus im Wettbewerb mit zahl der Arbeitsplätze neuerdings in den Innenstädten Österreich. liegen. Das ist doch abstrus. Hier wird das umweltpoliti- sche Argument missbraucht. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein sanfter Tou- rismus!) (Beifall bei der LINKEN) Wenn man sich allerdings die anderen Regelungen Dann fand der SPD-Parteitag statt. Die SPD kam zu anschaut – ich rede jetzt nicht von irgendwelchen redak- der neuen Erkenntnis, dass die Entfernungspauschale so, tionellen Anpassungen, sondern von den Schwerpunkten wie sie jetzt geregelt ist, vielleicht doch nicht gerecht ist dieses Gesetzes –, dann sieht man, dass Sie mit diesem und man etwas nachbessern müsse. Herr Spiller hat das Gesetz versuchen, Ihre sehr stümperhafte Steuer- und betont. Herr Struck hat im Morgenmagazin am Finanzpolitik des letzten Jahres ein Stück zu heilen. Man 30. Oktober dieses Jahres gesagt: Wir überlegen. Herr sieht jedoch auch, dass es Ihnen nicht wirklich gelingt. Steinbrück sagte sofort: Wir brauchen eine kostenneu- trale Regelung, etwas anderes gehe ja überhaupt nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Solche Worte habe ich bei der Unternehmensteuerreform An dieser Stelle frage ich mich, was die Finanzbeam- vermisst. Da verzichten Sie locker auf Einnahmen in ten und Finanzbeamtinnen von den Finanzausschussmit- Höhe von 10 Milliarden Euro. gliedern denken, wenn es, wie es hier zu lesen ist, bei der (Beifall bei der LINKEN) Abgeltungssteuer wieder zu Verschlimmbesserungen kommt. Niemand versteht es. Das Ganze ist sehr kom- Dass Sie sich insgesamt sehr unsicher sind, zeigt jetzt plex. der Umgang mit den Lohnsteuerkarten. Es darf nicht mehr abgesetzt werden. Sie sind sich unsicher. Dann gibt Das Ministerium hat aufgrund dieser hohen Kom- es einen Erlass, der besagt: Wer es will, kann es beim plexität schon jetzt vorsorglich angekündigt, dass es ein (B) Finanzamt auf der Lohnsteuerkarte eintragen lassen. Anwendungsschreiben geben werde. Die Politik, wir in (D) Jetzt haben wir ganz nebenbei heute früh aus der Zeitung diesem Hause, kennt dieses Anwendungsschreiben zwar erfahren können, dass die Koalitionsrunde das am Sonn- nicht, aber es soll den Finanzbeamten diese hochkom- tag doch nicht so gesehen hat. Es soll in dieser Wahlpe- plexe Regelung erklären. Ich halte diesen Weg weder für riode nicht mehr so gehandhabt werden. Herr Huber hat gangbar noch für akzeptabel. Denn es muss im Gesetz darauf hingewiesen, dass es sehr gefährlich sei und man vernünftig geregelt werden und nicht in irgendwelchen diese Regelung zurücknehmen müsse – Sie haben das in Anwendungsschreiben. der Koalitionsrunde so beschlossen –, alldieweil, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie vor dem Bundesverfassungsgericht vielleicht Recht bekommen sollten, all die Menschen, die sich das jetzt Wir haben im Zusammenhang mit der Frage, wie es haben eintragen lassen, dann Geld an die Finanzämter mit der Pendlerpauschale weitergeht, gesehen, dass hier zurückzahlen müssen. Das wäre dann im Wahljahr 2009. von Einzelnen aus der Regierung bzw. aus dem Haus Das geht ja nun gar nicht. Da würden die Leute ja ganz Regelungen vorgetragen worden sind, die beinhalten, kurz vor der Wahl merken, wie sie verschaukelt werden. dass sich die Menschen die Pendlerpauschale nach der alten Regelung eintragen lassen können. Frau Kollegin Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Höll hat gerade darauf hingewiesen, dass Herr Minister Frau Kollegin Höll – – Huber – in Klammern: Bayern – heute klar gesagt hat, Herr Steinbrück solle die Beamten in den Finanzbehör- den anweisen, dass es diese Möglichkeit nicht mehr ge- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): ben solle. Denn man habe Sorge, dass man im Wahl- Diesen Umgang lehnen wir ab. Wir fordern Sie auf, in kampf schlechte Karten hätte, wenn man von den Leuten einer namentlichen Abstimmung heute unserem Antrag Geld zurückfordern würde. Das halte ich gegenüber den zuzustimmen und zu zeigen, dass die Wiedereinführung Leuten für eine Unverschämtheit. Sie verunsichern, an- der Entfernungspauschale der einzig richtige Weg ist. statt zu handeln. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Sie hätten sich bei der Pendlerpauschale um eine Lö- sung bemühen müssen, von der wir sicher sein können, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dass sie verfassungskonform ist, und sie im Rahmen des Nächste Rednerin ist Kollegin Christine Scheel für Jahressteuergesetzes auf den Weg bringen können. Das Bündnis 90/Die Grünen. wäre sauber gewesen, aber Sie schieben es wieder auf 12806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Christine Scheel (A) eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Letz- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) ten Endes wird die Politik dann vom Bundesverfas- Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Frechen, sungsgericht und nicht mehr in diesem Hause gemacht. SPD-Fraktion. Das halte ich nicht für tragbar, und es schädigt unsere Demokratie und unseren Parlamentarismus insgesamt in Deutschland. Gabriele Frechen (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auch dieser Entwurf eines Jahressteuergesetzes erstreckt sich über die gesamte Bandbreite des Steuerrechts. Viele Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsparagrafen, Änderungen sind redaktioneller Art, enthalten Klarstel- den Sie zu regeln versucht haben, habe ich festgestellt, lungen oder Rechtsbereinigungen. Der Gesetzgeber re- dass es ein Stück blanke Kosmetik ist. Wir sehen, dass agiert auf Entscheidungen, die nicht im Sinne des Ge- dieses Hase-und-Igel-Spiel, welches es bei Steuerspar- setzgebers sind, und hebt überflüssige Vorschriften auf. modellen immer gibt, mit diesem Paragrafen mitnichten Trotz des großen Umfangs ist es uns gelungen, dabei beendet wird. Vielmehr werden Sie weiterhin hinterher- drei Grundsätze zu beachten: den Abbau unnötiger Bü- hecheln. Sie lassen die Steuerpflichtigen in dieser Situa- rokratie, die Bekämpfung missbräuchlicher oder uner- tion allein, weil die Rechtssicherheit nicht hergestellt wünschter Steuergestaltung sowie Verlässlichkeit und wird. Sie versuchen dann irgendwie – wie Sie es machen Steuergerechtigkeit. wollen, wissen wir nicht –, die Situation zu lösen. Es wird es aber verkomplizieren, und es löst auch nicht das Zum Abbau unnötiger Bürokratie gehört ohne Zwei- Problem. fel die Einführung der elektronischen Lohnsteuerabzugs- Ich darf daran erinnern, dass wir von grüner Seite merkmale. Im Zeitalter der elektronischen Vernetzung Vorschläge dazu unterbreitet haben, die aufzeigen, wie hat die Papierlohnsteuerkarte ausgedient. Das ist nicht es in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten – in nur eine Erleichterung für die Arbeitgeber, sondern auch diesem Fall positiv – gelöst wurde. Auch bei uns hätte für die Arbeitnehmer und Steuerpflichtigen. Ein man eine Meldepflicht einführen können. Dann hätten wichtiger Schritt ist die Umstellung der Kapitalertrag- wir eine saubere Lösung, die Rechtssicherheit sowohl steueranmeldung auf ein elektronisches Verfahren, die für die Finanzbehörden als auch für die Steuerpflichtigen Datenübermittlung hinsichtlich der Einkommensersatz- und insbesondere die Unternehmen bedeuten würde. leistungen und der Wegfall überflüssiger Daten in den Rentenbezugsmitteilungen. All das hat Herr Dr. Wissing (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Zur modernen Besteuerung von Verheirateten. Die Eine deutliche Vereinfachung stellt auch die Aufhe- (B) (D) Steuerklassen für Ehepaare sind antiquiert; das wissen bung der Haftung von leistenden Unternehmen bei der wir. Deswegen haben Sie versucht, mit dem Anteilsver- Umsatzsteuer dar. Die Vorschrift zur Steuerfreiheit der fahren ein Stück weit zu heilen. Sie haben es zurückge- Aufstockungsbeträge im Rahmen der Altersteilzeit über zogen. Das kann ich nur begrüßen, weil es überhaupt den 31. Dezember 2009 hinaus sorgt bei den Betroffenen keinen Sinn gemacht hat, was Sie sich da überlegt haben. für Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Zur Vereinfa- Nicht nur aus datenschutzrechtlichen Gründen, sondern chung und Vertrauensbildung, was das Verhältnis von auch wegen anderer Punkte war es ein ganz unbefriedi- Steuerbürger und Staat angeht, trägt sicherlich auch bei, gender Zustand. Diesen Vorschlag einfach zurückzuneh- dass Nachweise über Kinderbetreuungskosten und haus- men und stattdessen nichts zu tun, das ist allerdings nicht haltsnahe Dienstleistungen nur noch aufbewahrt, aber tragbar. nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht werden müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich kann Sie nur auffordern: Schaffen Sie die diskri- minierende Steuerklasse V ab, und gehen Sie den Weg Die von der Regierung vorgeschlagene Abschaffung einer Individualbesteuerung mit einem übertragbaren des Lohnsteuerjahresausgleichs durch die Arbeitgeber Betrag beim Existenzminimum! Das ist machbar und haben wir abgelehnt. Diese Regelung träfe Arbeitneh- richtig. Das wäre eine gute Regelung für die Zukunft mer, die in ihrer Steuererklärung keine Werbungskosten und ein großer Schritt zur Modernisierung unseres Steu- und auch sonst nichts abzugsfähig geltend machen kön- errechts nach Gesichtspunkten, nach denen die Welt nen. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müss- heute funktioniert. ten dann auf relativ kleine Beträge verzichten oder eine Steuererklärung machen. Wir sagen: Der Bürokratieauf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wand steht hierzu in keinem angemessenen Verhältnis. Wir würden uns wünschen, dass Sie mehr Mut hätten. Deshalb haben wir diese Regelung zurückgenommen. Was Sie tun, ist leider immer nur Pflasterkleberei auf völlig problematische Dinge, aber keine zukunftsgerich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tete Steuerpolitik; das finden wir sehr schade. Aus die- Zur Steuergerechtigkeit gehört für mich ebenfalls die sem Grunde müssen wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. Bekämpfung von missbräuchlicher, aber auch von uner- Danke schön. wünschter Steuergestaltung. Zu diesem Zweck gab und gibt es § 42 der Abgabenordnung, der in seiner jetzigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Form sicherlich ein eher stumpfes Schwert ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12807

Gabriele Frechen (A) (Dr. Volker Wissing [FDP]: Woraus ziehen Sie nen, sodass sie bis 2019 warten können. Ich denke, da- (C) denn diese Schlüsse?) mit kommen wir unserer sozialpolitischen Verantwor- tung nach. Die Formulierung, die im Gesetzentwurf der Regierung enthalten war, ist in der Sachverständigenanhörung hef- Ein paar Sätze zu den Anträgen, die heute mit beraten tig kritisiert worden. Allerdings ist von den Sachverstän- werden. Die Intention des Antrags der Linken, Einkom- digen nicht das Ziel der Bekämpfung missbräuchlicher mensmillionäre regelmäßig zu prüfen, kann ich nach- Steuergestaltung kritisiert worden, vollziehen, aber nicht ihre Leidenschaft für neue Ge- setze. Gesetze haben wir, wir müssen sie nur anwenden. (Dr. Volker Wissing [FDP]: Von mir auch Die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion zur Eigen- nicht!) heimpauschale ist eben von anderer Seite deutlich ge- sondern, dass wir im Gesetzentwurf den unbestimmten macht worden; dazu brauche ich also nichts mehr zu sa- Rechtsbegriff „ungewöhnlich“ verwendet haben. Jetzt gen. haben wir eine Definition gefunden, die den gerichtsfes- Zum Schluss möchte ich mich bedanken: bei den Kol- ten Begriff „unangemessen“ enthält. Ich denke, dadurch legen meiner Fraktion, die mich bei diesem umfangrei- haben wir § 42 AO zielgerichteter gestalten können. chen Gesetzentwurf unterstützt haben, bei Herrn Gutting Laut Herrn Dr. Wissing ist die Masse der Steuer- und seinen Kollegen von unserem Koalitionspartner, bei pflichtigen von § 42 AO betroffen. Ja, theoretisch sind den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium alle betroffen. Doch in der Praxis wird nur eine winzige und ganz besonders bei Staatssekretärin Frau Anzahl von Steuerpflichtigen in ihrem Steuerleben je- Dr. Hendricks. Sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, da dies mals mit dem Missbrauchstatbestand in Verbindung ge- das letzte Jahressteuergesetz ist, das ich als Berichter- bracht werden. statterin mit Ihnen zusammen verabschieden darf, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich für die letzten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) fünf Jahre bei Ihnen zu bedanken. Die Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führen wir auf die vom Gesetzgeber ursprünglich vorge- der CDU/CSU) sehenen Kernbereiche zurück, nämlich auf Land- und Forstwirtschaft und auf Betriebsvermögen. Die Fünfjah- Sie waren zu jeder Zeit bei allen Problemen eine faire, resfrist lehnen wir aus Vertrauensschutzgründen ab; Herr kollegiale und äußerst kompetente Staatssekretärin und Gutting hat dies schon gesagt. Kollegin. Mir hat die Zusammenarbeit viel Spaß ge- macht. Herzlichen Dank! Wir haben uns im Koalitionsvertrag verpflichtet, die (B) Ehegattenbesteuerung neu zu regeln; das stimmt. Aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) wir wollen nicht wie Sie, liebe Kolleginnen von rechts der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des und links, die Steuerklassen abschaffen und den Ehegat- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten die Wahlmöglichkeiten nehmen, wie sie ihre Steuer- last verteilt haben wollen. Wir wollen den Ehegatten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: eine Option anbieten, die sie nutzen können, wenn sie es Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Otto denn wollen. Mit diesem Gesetzentwurf ist es uns nicht Bernhardt. gelungen, aber wir sind sicher: Zum 1. Januar 2009 wer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den wir das Durchschnittssteuersatzverfahren oder ein besseres Verfahren im Gesetz stehen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer der Rede von Herrn Bernhardt nicht folgen möchte, hat noch sieben (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Minuten die Chance, die Unterhaltungen außerhalb des CDU/CSU) Saales, in der Lobby, fortzusetzen. Ganz wichtig: Mit diesem Gesetzentwurf lösen wir Herr Kollege Bernhardt, Sie haben das Wort. auch die EK-02-Problematik. Wir bieten damit den ehe- mals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen an, das Otto Bernhardt (CDU/CSU): unversteuerte Eigenkapital aus der Zeit des Anrech- nungsverfahrens unabhängig von einer Ausschüttung Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mit 3 Prozent abzugelten. Das bringt nicht nur der Fi- Herren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass das nanzverwaltung, sondern auch den Steuerpflichtigen er- Jahressteuergesetz 2008 einen Beitrag zum Abbau von hebliche Erleichterung. Verschenkt wird hierbei übri- Bürokratiekosten leistet. Mehr als 300 Millionen Euro gens nichts, weil die Beträge ab 2019 ohnehin steuerfrei an Bürokratiekosten werden durch dieses Gesetz abge- hätten ausgeschüttet werden können. baut. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Es gibt Wohnungsgesellschaften, deren Augenmerk der SPD) nicht darauf liegt, Gewinne auszuschütten oder Bestände zu verkaufen, sondern darauf, diese zu halten und preis- Der zweite Punkt. Natürlich gab es jede Menge Chan- werten, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Diesen Un- cen, im Rahmen dieses Gesetzes Geld auszugeben; es ternehmen – kommunalen Unternehmen, kirchlichen wurden uns wirklich genug Wünsche vorgetragen. Aber Unternehmen, Wohnungsgenossenschaften – räumen wir die Große Koalition redet nicht nur von Haushaltssanie- ein Wahlrecht ein, von dem sie Gebrauch machen kön- rung, wir betreiben sie konsequent, wohlwissend, dass 12808 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Otto Bernhardt (A) das nicht immer populär ist. Deshalb stelle ich fest: Die- dern diesen Maßstab, bevor das Gesetz in Kraft ist. Wir (C) ses Gesetz führt nicht zu Mehrausgaben. Wenn wir uns reduzieren den Anteil von 75 Prozent auf 65 Prozent. einmal die Ansprüche anschauen, erkennen wir, dass das Die Kritiker sollen erkennen: Wir sind bereit, die Sorgen ein großer Erfolg ist. der Menschen ernst zu nehmen und kurzfristig die recht- lichen Konsequenzen zu ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Meine Damen und Herren, ich will in aller Kürze ei- nige ganz wenige Punkte dieses Gesetzentwurfes anspre- In der Praxis bedeutet dies, dass in Zukunft Jahres- chen. Der erste Punkt ist die viel diskutierte Neufassung mieten von 150 000 Euro – das ist eine Menge; das sind des § 42 der Abgabenordnung. Ursprünglich gab es im nämlich über 12 000 Euro im Monat – noch voll unter Referentenentwurf in der Tat eine Formulierung – ich die Freigrenze fallen, wenn man keine sonstigen Finan- sage das so deutlich –, mit der wir nicht leben konnten. zierungskosten hat. Wenn jemand Kredite von 500 000 Sie hätte dazu geführt, dass, wenn jemand irgendetwas Euro hat – das ist für die meisten Mittelständler ein tut, wodurch er weniger Steuern zahlen muss, er hätte ziemlich hoher Betrag –, dann kann er aufgrund der Frei- beweisen müssen, dass es auch andere als steuerliche grenze noch Mieten von 8 000 bis 9 000 Euro im Monat Gründe dafür gibt, dass er dies getan hat. Das führte so ertragen, ohne einen Cent zu zahlen. weit, dass der Kollege Brüderle gesagt hat: Wer in Zu- kunft im Dezember heiratet, muss also nachweisen, dass Deshalb sage ich allen Kritikern: Sie müssen erstens es dafür nicht nur steuerliche Gründe gab. berücksichtigen, dass wir einen Freibetrag geschaffen haben. Zweitens müssen Sie berücksichtigen, dass Per- Wir haben jetzt eine Formulierung gefunden, die die sonengesellschaften und Einzelunternehmen – das ist Zustimmung der entsprechenden Verbände gefunden das Typische im Mittelstand – die gezahlte Gewerbe- hat, steuer bekanntlich mit der Einkommensteuer verrechnen können, sodass auch hier keine unangemessenen Belas- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Verwaltung!) tungen entstehen. eine Formulierung, Herr Kollege Thiele, mit der man si- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und cher leben kann. Ich verhehle aber nicht, dass wir im Ge- der SPD) gensatz zu unserem Koalitionspartner keine Änderung gebraucht hätten. Wir hätten, so wie der Präsident des Ich spreche einen letzten Punkt an, meine Damen und Bundesgerichtshofes, auch ohne leben können. Herren. Eine Formulierung im Regierungsentwurf führte zu Befürchtungen bei den Kreditinstituten, insbesondere (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei den Sparkassen und Volksbanken, dass man in Zu- (D) der FDP) kunft, wenn man bei einer Bank gleichzeitig Kredite und Ich sage aber: Mit dieser Formulierung können wir le- ein Sparguthaben hat, nicht in den Genuss der Abgel- ben; deshalb haben wir ihr zugestimmt. tungsteuer von 25 Prozent komme. Wir alle bekamen Briefe aus den Wahlkreisen, in denen stand, wir zwän- Ich nenne einen zweiten Punkt, der zu heftigen Dis- gen jetzt die Leute, zwei Banken zu haben, eine für die kussionen geführt hat. Ich weiß noch nicht, ob wir hier Kredite und eine für das Guthaben. Es ist in der Praxis schon am Ende sind. Im Rahmen der Unternehmensteu- übrigens gar nicht so leicht, dann zwei Banken zu haben; erreform haben wir die Bemessungsgrundlage für die dies nur als kleiner Zwischensatz. Gewerbesteuer verändert. Bisher wurden 50 Prozent der als Betriebsausgabe abzugsfähigen Dauerschuldzinsen der Wir haben jetzt eine Formulierung geschaffen, mit der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer wieder hin- dieses Problem gelöst wird. Unserem Lösungsvorschlag zugerechnet; ab dem 1. Januar 2008 werden es 25 Pro- haben alle Bankenverbände zugestimmt, sodass ich zent aller Zinsen und Zinsanteile bei Leasing, Pachten sage: Entwarnung. Auch hier hat sich gezeigt, dass das usw. sein. Um es ganz klar zu sagen: Mit dieser Verände- Parlament bereit ist, kritische Einwände aufzunehmen. rung wollten wir nicht mehr Einnahmen für die Kommu- Ich stimme den Kollegen zu, die gesagt haben: Das Ver- nen. Deshalb haben wir einen Freibetrag von 100 000 fahren zum Abschluss des Jahressteuergesetzes hat er- Euro geschaffen, sodass es hier wirklich um plus/minus neut gezeigt, dass Gesetze in Deutschland vom Parla- null geht. Es geht nur um eine Absicherung der Grund- ment gemacht werden. – Das wird bei diesem Gesetz lage und um eine gerechtere Grundlage, um das klar zu besonders deutlich. sagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ der SPD) CSU]) Abschließend sage ich auch im Namen des größeren Nun haben wir festgestellt, dass der Finanzanteil von Teils der Koalition 75 Prozent bei Mieten, Pachten usw. etwas über der (Gabriele Frechen [SPD]: Ein bisschen grö- Wirklichkeit liegt. Man erreicht nur dann 75 Prozent, ßer!) wenn man relativ hohe Zinsen und Laufzeiten hat. Ich finde es mutig von der Großen Koalition, dass sie die Staatssekretärin Hendricks ein herzliches Dankeschön Sorgen des Einzelhandels und auch der Gastronomie in für die konstruktive Zusammenarbeit über viele Jahre. den Innenstädten ernst nimmt und gesagt hat: Wir verän- Sie werden uns fehlen, Frau Hendricks. Wir wünschen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12809

Otto Bernhardt (A) Ihnen weiterhin viel Glück bei Ihrer neuen Aufgabe. führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu (C) Herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit! beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgegeben.1) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Noch Tagesordnungspunkt 7 b. Schließlich empfiehlt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussemp- Ich schließe die Aussprache. fehlung auf Drucksache 16/6981 die Ablehnung des Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- desregierung eingebrachten Entwurf eines Jahressteuer- sache 16/3023 mit dem Titel „Steuervereinfachung – gesetzes 2008. Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6981, den Stimmen von SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstim- Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa- men vom Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der chen 16/6290 und 16/6739 in der Ausschussfassung an- Fraktion Die Linke angenommen. zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Tagesordnungspunkt 7 c. Beschlussempfehlung des Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Linke mit dem Titel „Verbesserung der Statistik zur Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- Lohn- und Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Erb- tion angenommen. schaft- und Schenkungsteuer“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4274, Dritte Beratung den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/ und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem 3025 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, wurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen vom Koalition bei Gegenstimmen der Opposition angenom- Bündnis 90/Die Grünen und von der Fraktion Die Linke men. angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- Tagesordnungspunkt 7 d. Beschlussempfehlung des antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6994. Wer Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die (B) (D) stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt Linke mit dem Titel „Steuerpflichtige mit mehr als dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag 500 000 Euro Einkommen gleichmäßig und regelmäßig ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, prüfen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- CDU/CSU bei Enthaltungen der Fraktion Die Linke und empfehlung auf Drucksache 16/5693, den Antrag der Gegenstimmen der FDP abgelehnt. Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/3699 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/6981 fehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und fort. FDP bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Ent- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner haltung vom Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6396 mit dem Titel „Steuerklasse V abschaffen – Lohnsteuerabzug neu ord- Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Dr. Lothar Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion empfehlung ist bei Gegenstimmen der FDP mit den übri- DIE LINKE gen Stimmen des Hauses angenommen. Rentenabschläge für Langzeiterwerbslose ver- Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- hindern fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der – Drucksache 16/6933 – Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6374 mit dem Ti- tel „Entfernungspauschale vollständig anerkennen – Ver- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die fassungsmäßigkeit und Steuergerechtigkeit herstellen“. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Die Fraktion Die Linke verlangt namentliche Abstim- Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ich mung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Gregor Gysi, Abstimmung. Fraktion Die Linke. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (Beifall bei der LINKEN) Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- 1) Ergebnis Seite 12812 B 12810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ich bin zwar kein Konservativer, aber auch wenn man (C) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und konservative Politik betreibt, muss diese zumindest in Herren! Ich wusste, dass dieses Thema weniger interes- sich logisch sein. Hier widersprechen Sie dem, wofür Sie siert als die namentliche Abstimmung. Aber es ist wich- ansonsten vermeintlich eintreten. tig, insbesondere für die älteren Arbeitslosen in Deutsch- Obwohl Sie unseren Antrag schon abgelehnt hatten, land. Es gibt im Augenblick eine gesetzliche Regelung, haben wir ihn noch einmal eingebracht, damit wir in der die sogenannte 58er-Regelung, die den älteren Arbeitslo- öffentlichen Diskussion bleiben, damit sich die Öffent- sen drei Varianten als Wahlmöglichkeiten lässt. Sie kön- lichkeit interessiert. Ich bekomme so viele Briefe von nen darum bitten, nach wie vor vermittelt zu werden, Betroffenen, die nicht mehr wissen, was sie nun machen was sehr schwierig ist, wie Sie wissen. Sie können sollen. Sobald sie eine Arge betreten, werden sie aufge- ALG II bis zum Eintritt in die gesetzliche Rente bezie- fordert, einen Antrag zu stellen. Aber sie wissen nicht, hen. Oder sie können eine gekürzte Rente beantragen, ob sie diesen zurückziehen können, wenn es eine neue die sie vorzeitig bekommen. Diese Rente kann aber bis Regelung gibt. Meine Damen und Herren von der Koali- zu 18 Prozent gesenkt werden. Sie bleibt auch gekürzt, tion, Sie haben keine Zeit. Sie müssen diesen älteren Ar- egal ob die Betreffenden 65, 70 oder 80 Jahre alt sind. beitslosen so schnell wie möglich Sicherheit geben. Ich Das alles ist zweifellos keine geniale Regelung. Wie Sie hoffe, dass es in die richtige Richtung geht. wissen, sind wir gegen das ALG II. Aber darum geht es (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert heute nicht, sondern darum, dass diese Regelung am Winkelmeier [fraktionslos]) 31. Dezember 2007 ausläuft. Danach hat ein arbeitsloser Mann bzw. eine arbeitslose Frau, der bzw. die über Ich bitte Sie zudem, sich nicht neue Quälereien auszu- 58 Jahre alt ist, nur noch die Möglichkeit, eine vorzeitige denken. Sie sollten davon Abstand nehmen, jemanden Verrentung zu beantragen, und zwar mit entsprechenden zum Beispiel zu zwingen, einen ganz miesen 1-Euro-Job Abschlägen bei der Rente, die dauerhaft gelten, egal ob anzunehmen. Das ist bei den über 58-Jährigen gerade man das 70. oder das 80. Lebensjahr erreicht. Ich halte nicht nötig. Belassen Sie es doch zumindest bei Ihrer das für ein Unding und für grundgesetzwidrig, bisherigen Regelung! Das ist doch nicht zu viel verlangt. Wir verlangen noch nicht einmal eine neue Regelung, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sondern nur, dass Sie die Geltungsdauer der bisherigen Winkelmeier [fraktionslos]) Regelung verlängern, damit ältere Arbeitslose weiterhin Wahlmöglichkeiten haben. Ansonsten läuft die Regelung weil wir in eine gesetzliche Situation kommen, in der am 1. Januar 2008 aus. wir ältere Arbeitslose zwingen, dauerhaft eine gekürzte (B) Rente in Anspruch zu nehmen. Wir verlangen ja nicht Ich weiß nicht, ob die von Monitor genannte Zahl (D) viel. Wir wollen nur, dass Sie die bisherige Regelung stimmt. Es werden unterschiedliche Zahlen angeführt. fortsetzen, dass Sie sie nicht auslaufen lassen. Sie sollen Aber ich weiß, dass es jedes Jahr eine neue Gruppe von also nichts Neues schaffen. über 58-Jährigen gibt, die in das Arbeitslosengeld II fal- len und dann die Wahl haben oder eben nicht mehr. 2005 sollte diese Regelung schon einmal auslaufen. Damals wurde beschlossen, die Geltungsdauer dieser Ich bitte Sie um eines, nämlich nicht eine gesetzliche Regelung bis Ende 2007 zu verlängern. Nun stehen wir Regelung zuzulassen, die den älteren Arbeitslosen klipp wieder vor derselben Frage. Ich erkenne durchaus an, und klar sagt: Es gibt nur einen Weg – sonst musst du dass es inzwischen Bewegung gibt. Monitor hat be- eben dürsten und hungern, und wir zahlen keine Miete –, kanntlich darüber berichtet. Danach gibt es 350 000 Be- du musst deine Frühverrentung beantragen und dein Le- ben lang eine gekürzte Rente hinnehmen. troffene. Ich glaube, die SPD will eine Lösung, wenn ich die Meldungen in den Zeitungen richtig verstehe, nicht Noch ein Gesichtspunkt ist dabei wichtig. Die Rente aber die Union; das ist das Problem. Was gestern in der kann so niedrig sein, dass der Betreffende davon nicht Leipziger Volkszeitung stand, nährte die Hoffnung, dass leben kann. Dann bekommt er keine Grundsicherung für Herr Ramsauer etwas Positives gesagt hat. Aber dann er- das Alter, weil man ihm dann wiederum sagt: Du bist klärte dessen Sprecherin, das sei nicht so gemeint gewe- noch gar kein Rentner, sondern erst Frührentner. Des- sen. halb bekommst du die Grundsicherung nicht. – Dann muss er oder sie Sozialhilfe beantragen. Das ist doch Nun muss ich die Frage aufwerfen: Warum wollen Sie eine Zumutung. Sie würden das nicht wollen, ich würde den älteren Arbeitslosen diese Chance nicht geben? Ich das nicht wollen, und deshalb sollten wir das auch den verstehe das einfach nicht. Und das bei Ihrer Philoso- 58-Jährigen und den Älteren nicht zumuten. phie! Sie wollen angeblich mehr Ältere in Arbeit bringen und meinen, man könne viel länger arbeiten und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert brauchte eine Rente erst mit 67 Jahren. Gleichzeitig wol- Winkelmeier [fraktionslos]) len Sie die Betreffenden frühverrenten, und das mit Ab- zügen. Das ist nicht hinnehmbar und ist noch nicht ein- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mal logisch. Ich gebe das Wort dem Kollegen Karl Schiewerling, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12811

(A) Karl Schiewerling (CDU/CSU): gert, die Antragstellung durch das Amt erfolgen kann? (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Würden Sie mir folgen, dass dann, wenn in diesem Fall Tat beschäftigen wir uns jetzt innerhalb von vier Wochen die fehlende Einwilligung des Arbeitslosen durch das zum zweiten Mal hier im Plenum mit dieser Problema- Amt ersetzt wird, ein Zustand des Zwangs eintritt? Je- tik. Dadurch wird sie – das gestehe ich zu – insgesamt denfalls definiert der Große Brockhaus das so. nicht einfacher, aber es verändert sich auch durch diese (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Diskussion im Grunde genommen nichts. Winkelmeier [fraktionslos]) Die Fraktion Die Linke vermittelt mit dem vorliegen- den Antrag, der zum zweiten Mal vorgelegt wird, und Karl Schiewerling (CDU/CSU): dem Begriff „Zwangsverrentung“ den Eindruck, als So steht es in der Tat im Gesetz, weil man, als es ver- ginge es darum, breite Massen der Bevölkerung zwangs- abschiedet wurde, von anderen Voraussetzungen ausge- weise in ein System zu überführen, in das sie gar nicht gangen ist. wollen. Das ist falsch. Richtig ist: Die 58er-Regelung läuft – da gebe ich Ihnen, Herr Dr. Gysi, recht – in der (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ jetzigen Form zum Ende dieses Jahres aus. Das führt DIE GRÜNEN]: Dann müsste es vielleicht dazu, dass Bezieher von Arbeitslosengeld II von den Ar- mal geändert werden!) beitsagenturen bei Erreichen der Altersgrenze und Erfül- len der jeweiligen Voraussetzungen zur Beantragung ei- Das Gesetz will bei diesem Punkt deutlich machen, dass ner Altersrente auch mit Abschlägen aufgefordert zunächst einmal jeder seine eigenen Rentenanwartschaf- werden können. Die Rente ist vorrangig in Anspruch zu ten einzusetzen hat, so wie jemand, der nicht in der ge- nehmen, weil das Arbeitslosengeld II von seiner Syste- setzlichen Rentenversicherung ist, sondern sich ander- matik her nachrangig ist. weitig abgesichert hat, zunächst einmal sein Vermögen einsetzen muss, wenn er Hilfe des Staates in Anspruch Eine Ausnahme gilt in der Tat für die Personen, die nehmen will. Ich sage Ihnen aber, dass wir kein Interesse nun bis zum 31. Dezember dieses Jahres von der 58er- daran haben, dass eine solche Situation eintritt. Selbst Regelung Gebrauch machen. Diese haben die Möglich- dann, wenn das nicht anders zu organisieren ist, müssen keit, bis zum Schluss im bestehenden System zu bleiben. wir bei den Grundprinzipien des SGB II bleiben, weil Wie viele Menschen jedoch nach dem 1. Januar 2008 wir sonst das Gesamtsystem ändern müssten. real von der Aufforderung betroffen sind, Rente zu bean- tragen, ist völlig offen. Die genannten Zahlen sind über- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haupt nicht belegt und beruhen auf Vermutungen. Zu diesen Grundsätzen gehört das Prinzip der Nach- (B) (Zuruf der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk rangigkeit, auf das ich gerade hingewiesen habe. Es gilt (D) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) weiterhin der Grundsatz, dass zunächst jeder Einzelne seinen Beitrag zu leisten hat, bevor er einen Anspruch – Das ist eine Schätzzahl. auf Transferleistungen des Staates hat. Schafft er das aus (Erneuter Zuruf der Abg. Irmingard Schewe- eigener Kraft nicht, hat er Anrecht auf Unterstützung; Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wir nennen das „Subsidiarität“. Es ist ja nicht so, dass wir die Probleme der Menschen, die in einer Situation – Trotzdem geschätzt. – Die Allermeisten werden von sind, wie Sie sie beschrieben haben, nicht sehen können. sich aus die Rente auch mit Abschlägen in Anspruch Sie wissen, dass wir an der Lösung dieser Probleme ar- nehmen; denn sie haben dann durchschnittlich mehr beiten, übrigens auch ohne diese Debatte. Wir werden Geld, als das Arbeitslosengeld II ausmacht. Sie können weiterhin alles unternehmen, um die Menschen so zu 350 Euro hinzuverdienen, ab 65 Jahren sogar unbe- fördern, dass sie nicht in der Grundsicherung bleiben, grenzt. Wie ich schon vor vier Wochen an dieser Stelle sondern aus dem Bezug von Leistungen des Staates oder gesagt habe, bleibt die Bereitschaft zu Korrekturen be- anderen Transferleistungen herauskommen. stehen. Die Grundsätze, auf dem dieses System basiert, müssen klar sein. Diese Grundsätze haben sich in mei- Wir müssen den Aufschwung nutzen, um insbeson- nen Augen in den letzten vier Wochen nicht verändert. dere ältere Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung zu bringen. Über 100 000 Menschen, die älter als 55 Jahre sind, haben in den letzten zwölf Monaten den Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Weg aus der Erwerbslosigkeit gefunden, entweder in Be- Herr Kollege Schneider würde gerne eine Zwischen- schäftigung, in Qualifizierung oder in Rente. Der Sach- frage stellen. verständigenrat hat in seinem Jahresgutachten festge- stellt, dass es keine Anzeichen dafür gibt, dass der Karl Schiewerling (CDU/CSU): Aufschwung zum Erliegen kommt oder dass gar eine Eine lasse ich zu. Rezession bevorsteht. Ich mache darauf aufmerksam, dass bei der Bundesagentur für Arbeit zurzeit 1 Million offene Stellen gemeldet sind. Wenn wir alle Möglichkei- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): ten und alle Systeme unseres Staates nutzen wollen, Vielen Dank, Herr Kollege Schiewerling. Sie sagten dann haben wir die Perspektive, die älteren Menschen in eben, der Arbeitslose werde aufgefordert, einen Antrag diesen Stellen unterzubringen. auf Rente zu stellen. Das ist korrekt. Ist es weiter kor- rekt, dass für den Fall, dass der Arbeitslose dies verwei- (Beifall bei der CDU/CSU) 12812 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Karl Schiewerling (A) Konzentrieren wir uns also darauf, wie wir den Men- stimmte Personengruppen. „Jobperspektive“ ist der (C) schen helfen können! Eine immer wichtigere Rolle auf Name eines Programms, das jetzt aufgelegt wird und dem Arbeitsmarkt spielen nämlich ältere Arbeitnehmer seine Wirkung entfalten soll. Initiative „50 plus“ hilft be- mit ihren Erfahrungen, mit ihren Lebens- und Berufser- reits, Menschen in Arbeit zu bringen. fahrungen. Die Kopplung von Erfahrung und Können Lassen Sie mich zur Klarstellung zusammenfassen: macht die Älteren interessant für die Unternehmen. Das hilft den Menschen nachhaltig. Sie können selber ihren Erstens. Wir arbeiten zusammen mit unserem Koali- Lebensunterhalt bestreiten, was übrigens – losgelöst von tionspartner an einer Lösung des Problems des Über- allen materiellen Fragen – vor allen Dingen eine Frage gangs vom Arbeitslosengeld II in Rente. der Menschenwürde ist. Zweitens. Wir halten genau so klar am Prinzip der (Zuruf von der LINKEN: Ja, das wird den Nachrangigkeit fest. Langzeitarbeitslosen helfen!) Drittens. Wir konzentrieren uns auf die wesentliche Mit mehr Älteren im aktiven Arbeitsprozess entschär- Aufgabenstellung, nämlich ältere Arbeitnehmer ver- fen wir Schritt für Schritt auch die wachsende Gefahr der stärkt im Betrieb und somit in Lohn und Brot unterzu- Altersarmut – ich will hier in keiner Weise kleinreden, bringen, damit sie durch eigener Hände Arbeit ihren Le- dass die damit verbundenen Probleme auf uns zukom- bensunterhalt bestreiten können. Davon haben alle men –, der wir begegnen müssen. Ich möchte in diesem etwas, am meisten die Betroffenen selbst. Zusammenhang an die Aktivitäten und Initiativen erin- Ich danke Ihnen. nern, die der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann in Angriff nimmt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rolf Stöckel [SPD]) Ich habe großes Verständnis für die Menschen, die Angst haben, ihre Ersparnisse für das Alter aufbrauchen Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: zu müssen. Diese Angst nehmen wir ernst. Wir müssen Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 7 und dafür sorgen, dass die Freibeträge für die Altersvorsorge gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern eine angemessene Höhe haben. Auch aus diesen Erträ- ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung gen lassen sich Zeiten des Übergangs von Arbeitslosig- zum Antrag der Fraktion Die Linke „Entfernungspau- keit in die Rente gestalten. schale vollständig anerkennen – Verfassungsmäßigkeit (Beifall bei der CDU/CSU) und Steuergerechtigkeit herstellen“ bekannt: Abgege- bene Stimmen 526. Mit Ja haben gestimmt 435, mit Nein (B) Ich habe gesagt, dass wir daran arbeiten, Menschen haben gestimmt 40, Enthaltungen 51. Die Beschluss- (D) aus dem SGB-II-Bezug herauszuholen. Wir fördern be- empfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Antje Blumenthal Axel E. Fischer (Karlsruhe- Uda Carmen Freia Heller Abgegebene Stimmen: 526; Dr. Maria Böhmer Land) Michael Hennrich davon Jochen Borchert Dr. Maria Flachsbarth Jürgen Herrmann Wolfgang Börnsen Klaus-Peter Flosbach Ernst Hinsken ja: 435 (Bönstrup) Herbert Frankenhauser Robert Hochbaum nein: 40 Erich G. Fritz Klaus Hofbauer enthalten: 51 Klaus Brähmig Dr. Michael Fuchs Franz-Josef Holzenkamp Michael Brand Hans-Joachim Fuchtel Joachim Hörster Ja Helmut Brandt Dr. Peter Gauweiler Anette Hübinger Dr. Ralf Brauksiepe Norbert Geis Hubert Hüppe CDU/CSU Monika Brüning Eberhard Gienger Susanne Jaffke Georg Brunnhuber Ralf Göbel Dr. Peter Jahr Ulrich Adam Cajus Caesar Josef Göppel Dr. Hans-Heinrich Jordan Ilse Aigner Peter Götz Dr. Franz Josef Jung Leo Dautzenberg Peter Albach Dr. Wolfgang Götzer Andreas Jung (Konstanz) Hubert Deittert Dorothee Bär Ute Granold Bartholomäus Kalb Thomas Bareiß Alexander Dobrindt Reinhard Grindel Hans-Werner Kammer Norbert Barthle Thomas Dörflinger Hermann Gröhe Steffen Kampeter Dr. Wolf Bauer Marie-Luise Dött Michael Grosse-Brömer Alois Karl Günter Baumann Maria Eichhorn Markus Grübel Bernhard Kaster Ernst-Reinhard Beck Dr. Stephan Eisel Manfred Grund Siegfried Kauder (Villingen- (Reutlingen) Anke Eymer (Lübeck) Monika Grütters Schwenningen) Veronika Bellmann Ilse Falk Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Volker Kauder Dr. Christoph Bergner Dr. Hans Georg Faust Guttenberg Eckart von Klaeden Otto Bernhardt Enak Ferlemann Olav Gutting Jürgen Klimke Clemens Binninger Ingrid Fischbach Holger Haibach Julia Klöckner Renate Blank Hartwig Fischer (Göttingen) Gerda Hasselfeldt Jens Koeppen Peter Bleser Dirk Fischer (Hamburg) Ursula Heinen Kristina Köhler (Wiesbaden) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12813

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Manfred Kolbe Hartmut Schauerte Dr. Michael Bürsch Anette Kramme (C) Norbert Königshofen Dr. Annette Schavan Christian Carstensen Ernst Kranz Dr. Rolf Koschorrek Dr. Andreas Scheuer Marion Caspers-Merk Nicolette Kressl Hartmut Koschyk Karl Schiewerling Dr. Peter Danckert Dr. Hans-Ulrich Krüger Thomas Kossendey Norbert Schindler Karl Diller Jürgen Kucharczyk Michael Kretschmer Georg Schirmbeck Martin Dörmann Helga Kühn-Mengel Gunther Krichbaum Bernd Schmidbauer Dr. Carl-Christian Dressel Ute Kumpf Dr. Martina Krogmann Christian Schmidt (Fürth) Elvira Drobinski-Weiß Dr. Uwe Küster Johann-Henrich Andreas Schmidt (Mülheim) Garrelt Duin Christine Lambrecht Krummacher Ingo Schmitt (Berlin) Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Dr. Hermann Kues Dr. Andreas Schockenhoff Sebastian Edathy Waltraud Lehn Dr. Karl A. Lamers Dr. Ole Schröder Siegmund Ehrmann Helga Lopez (Heidelberg) Bernhard Schulte-Drüggelte Hans Eichel Gabriele Lösekrug-Möller Andreas G. Lämmel Uwe Schummer Gernot Erler Dirk Manzewski Dr. Norbert Lammert Wilhelm Josef Sebastian Petra Ernstberger Lothar Mark Katharina Landgraf Kurt Segner Karin Evers-Meyer Caren Marks Dr. Max Lehmer Bernd Siebert Annette Faße Katja Mast Paul Lehrieder Thomas Silberhorn Elke Ferner Hilde Mattheis Ingbert Liebing Johannes Singhammer Gabriele Fograscher Markus Meckel Eduard Lintner Jens Spahn Rainer Fornahl Ulrike Merten Dr. Klaus W. Lippold Christian Freiherr von Stetten Gabriele Frechen Dr. Matthias Miersch Patricia Lips Gero Storjohann Peter Friedrich Ursula Mogg Dr. Michael Luther Andreas Storm Sigmar Gabriel Marko Mühlstein Stephan Mayer (Altötting) Max Straubinger Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Wolfgang Meckelburg Thomas Strobl (Heilbronn) Iris Gleicke Michael Müller (Düsseldorf) Michael Stübgen Günter Gloser Gesine Multhaupt (Hamm) Hans Peter Thul Renate Gradistanac Dr. Rolf Mützenich Maria Michalk Dr. Hans-Peter Uhl Angelika Graf (Rosenheim) Andrea Nahles Dr. h. c. Hans Michelbach Arnold Vaatz Dieter Grasedieck Thomas Oppermann Philipp Mißfelder Volkmar Uwe Vogel Monika Griefahn Holger Ortel Dr. Eva Möllring Gerhard Wächter Heinz Paula Marlene Mortler Marco Wanderwitz Gabriele Groneberg Johannes Pflug Dr. Gerd Müller Kai Wegner Achim Großmann Joachim Poß Hildegard Müller Marcus Weinberg Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Peter Weiß (Emmendingen) (B) Carsten Müller Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier (D) (Braunschweig) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Hans-Joachim Hacker Dr. Sascha Raabe Stefan Müller (Erlangen) Ingo Wellenreuther Bettina Hagedorn Mechthild Rawert Bernward Müller (Gera) Karl-Georg Wellmann Klaus Hagemann Steffen Reiche (Cottbus) Michaela Noll Annette Widmann-Mauz Alfred Hartenbach Maik Reichel Dr. Georg Nüßlein Klaus-Peter Willsch Michael Hartmann Dr. Carola Reimann Franz Obermeier Willy Wimmer (Neuss) (Wackernheim) Christel Riemann- Eduard Oswald Wolfgang Zöller Nina Hauer Hanewinckel Henning Otte Willi Zylajew Dr. Reinhold Hemker Walter Riester Rita Pawelski Rolf Hempelmann Sönke Rix Ulrich Petzold SPD Dr. Barbara Hendricks René Röspel Dr. Joachim Pfeiffer Niels Annen Gustav Herzog Dr. Ernst Dieter Rossmann Sibylle Pfeiffer Rainer Arnold Petra Heß Karin Roth (Esslingen) Beatrix Philipp Ernst Bahr (Neuruppin) Gabriele Hiller-Ohm Michael Roth (Heringen) Ronald Pofalla Doris Barnett Stephan Hilsberg Marlene Rupprecht Ruprecht Polenz Dr. Hans-Peter Bartels Petra Hinz (Essen) (Tuchenbach) Daniela Raab Gerd Höfer Anton Schaaf Thomas Rachel Sören Bartol Iris Hoffmann (Wismar) Axel Schäfer (Bochum) Hans Raidel Dirk Becker Frank Hofmann (Volkach) Dr. Hermann Scheer Dr. Peter Ramsauer Uwe Beckmeyer Eike Hovermann Marianne Schieder Peter Rauen Klaus Uwe Benneter Christel Humme Otto Schily Eckhardt Rehberg Dr. Axel Berg Lothar Ibrügger Dr. Frank Schmidt Katherina Reiche (Potsdam) Ute Berg Johannes Jung (Karlsruhe) Ulla Schmidt (Aachen) Klaus Riegert Petra Bierwirth Josip Juratovic Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Heinz Riesenhuber Lothar Binding (Heidelberg) Johannes Kahrs Heinz Schmitt (Landau) Franz Romer Volker Blumentritt Ulrich Kasparick Carsten Schneider (Erfurt) Johannes Röring Kurt Bodewig Dr. h. c. Susanne Kastner Olaf Scholz Kurt J. Rossmanith Gerd Bollmann Ulrich Kelber Ottmar Schreiner Dr. Norbert Röttgen Dr. Gerhard Botz Christian Kleiminger Reinhard Schultz Dr. Christian Ruck Willi Brase Astrid Klug (Everswinkel) Albert Rupprecht (Weiden) Bernhard Brinkmann Dr. Bärbel Kofler Swen Schulz (Spandau) Peter Rzepka (Hildesheim) Walter Kolbow Ewald Schurer Anita Schäfer (Saalstadt) Edelgard Bulmahn Karin Kortmann Frank Schwabe Hermann-Josef Scharf Marco Bülow Rolf Kramer Dr. Angelica Schwall-Düren 12814 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Dr. Martin Schwanholz Dr. Thea Dückert Diana Golze Paul K. Friedhoff (C) Rolf Schwanitz Dr. Uschi Eid Dr. Gregor Gysi Horst Friedrich (Bayreuth) Rita Schwarzelühr-Sutter Hans-Josef Fell Heike Hänsel Dr. Edmund Peter Geisen Wolfgang Spanier Kai Gehring Lutz Heilmann Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Margrit Spielmann Katrin Göring-Eckardt Hans-Kurt Hill Hans-Michael Goldmann Jörg-Otto Spiller Britta Haßelmann Cornelia Hirsch Miriam Gruß Dr. Ditmar Staffelt Bettina Herlitzius Inge Höger Joachim Günther (Plauen) Dr. Barbara Höll Dieter Steinecke Winfried Hermann Dr. Christel Happach-Kasan Priska Hinz (Herborn) Ulla Jelpke Andreas Steppuhn Heinz-Peter Haustein Dr. Anton Hofreiter Dr. Lukrezia Jochimsen Ludwig Stiegler Birgit Homburger Rolf Stöckel Bärbel Höhn Dr. Hakki Keskin Dr. Werner Hoyer Christoph Strässer Thilo Hoppe Jan Korte Michael Kauch Dr. Rainer Tabillion Ute Koczy Oskar Lafontaine Jörg Tauss Renate Künast Michael Leutert Dr. Heinrich L. Kolb Jella Teuchner Markus Kurth Ulla Lötzer Hellmut Königshaus Dr. h. c. Wolfgang Thierse Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Gesine Lötzsch Gudrun Kopp Jörn Thießen Monika Lazar Ulrich Maurer Jürgen Koppelin Rüdiger Veit Anna Lührmann Dorothée Menzner Heinz Lanfermann Simone Violka Nicole Maisch Kornelia Möller Harald Leibrecht Jörg Vogelsänger Jerzy Montag Kersten Naumann Ina Lenke Dr. Marlies Volkmer Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Nešković Sabine Leutheusser- Hedi Wegener Winfried Nachtwei Dr. Norman Paech Schnarrenberger Petra Pau Andreas Weigel Omid Nouripour Horst Meierhofer Elke Reinke Petra Weis Brigitte Pothmer Patrick Meinhardt Paul Schäfer (Köln) Gunter Weißgerber Claudia Roth (Augsburg) Jan Mücke Volker Schneider Gert Weisskirchen Krista Sager (Saarbrücken) Burkhardt Müller-Sönksen (Wiesloch) Christine Scheel Dr. Herbert Schui Dirk Niebel Dr. Rainer Wend Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Petra Sitte Hans-Joachim Otto Lydia Westrich Dr. Gerhard Schick (Frankfurt) Rainder Steenblock Frank Spieth Dr. Margrit Wetzel Detlef Parr Silke Stokar von Neuforn Dr. Kirsten Tackmann Dr. Dieter Wiefelspütz Gisela Piltz Hans-Christian Ströbele Jörn Wunderlich Engelbert Wistuba Jörg Rohde Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin fraktionslos Frank Schäffler Waltraud Wolff Marina Schuster (Wolmirstedt) Wolfgang Wieland Gert Winkelmeier (B) Dr. Hermann Otto Solms (D) Heidi Wright Josef Philip Winkler Dr. Max Stadler Uta Zapf Enthaltung Dr. Rainer Stinner Manfred Zöllmer Nein Carl-Ludwig Thiele FDP BÜNDNIS 90/ DIE LINKE Christoph Waitz DIE GRÜNEN Jens Ackermann Dr. Guido Westerwelle Karin Binder Daniel Bahr (Münster) Dr. Claudia Winterstein Kerstin Andreae Dr. Lothar Bisky Uwe Barth Dr. Volker Wissing Marieluise Beck (Bremen) Eva Bulling-Schröter Rainer Brüderle Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Volker Beck (Köln) Dr. Martina Bunge Angelika Brunkhorst Martin Zeil Cornelia Behm Roland Claus Patrick Döring Birgitt Bender Sevim Dağdelen Jörg van Essen DIE LINKE Grietje Bettin Dr. Diether Dehm Ulrike Flach Alexander Bonde Dr. Dagmar Enkelmann Otto Fricke Katja Kipping

Jetzt gebe ich das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich zwungen sind, vorzeitig in Rente zu gehen. Das ändert Kolb, FDP-Fraktion. sich zu Beginn des nächsten Jahres grundlegend. Wer dann einen Antrag auf ALG II stellt, wird darauf verwie- (Beifall bei der FDP) sen werden, zunächst seine gesetzliche Rente zu beantra- gen. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese neue Rechtslage – das will ich im Namen mei- Ende dieses Jahres läuft die sogenannte 58er-Regelung ner Fraktion ganz klar sagen – ist ein Problem, das gelöst aus, die bewirkt, dass ältere arbeitslose Erwerbsfähige, werden muss, denn es führt zu ungewollten Ergebnissen. die nicht mehr arbeitsbereit sind und der Vermittlung Rentenpolitisch benachteiligt diese neue Rechtslage nicht mehr zur Verfügung stehen, bis zum Regelrenten- Frauen, Menschen mit Behinderungen, langjährig Ver- eintrittsalter Transferleistungen bekommen können, zu- sicherte, die ihre Rente mit Abschlägen vorzeitig in An- nächst ALG I, später ALG II. spruch nehmen müssen. Das ursprünglich als Privileg gedachte Recht der Frühverrentung verkehrt sich da- Wichtig ist, dass Personen, soweit sie nach durch in sein Gegenteil. Das Privileg wird für die Betrof- § 65 Abs. 4 SGB II anspruchsberechtigt sind, nicht ge- fenen zur Last. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12815

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Aber auch arbeitsmarktpolitisch treten unerwünschte lich über dem Grundsicherungsniveau liegen, werden in (C) Wirkungen ein, denn für alle auf diesem Wege frühver- einer solchen Situation ihre Rente ohnehin aus freier renteten Menschen gelten nach gegenwärtiger Rechts- Entscheidung heraus beantragen. Für Personen, die ei- lage enge Zuverdienstgrenzen. Sie dürfen zum Beispiel, nen Rentenanspruch unter Grundsicherungsniveau besit- wenn sie über dem Grundsicherungsniveau liegen, ne- zen, wird die Solidargemeinschaft ohnehin auf Dauer ei- ben ihrer Rente nur maximal 350 Euro hinzuverdienen. nen Zuschuss zu ihrem Unterhalt bezahlen müssen. Das führt nach Auffassung unserer Fraktion im Ergebnis dazu, dass die Betroffenen regelrecht aus dem Arbeits- Der entscheidende Punkt – das will ich Ihnen, Herr markt herausgedrängt werden. Eine erneute Beschäfti- Kollege Schiewerling, noch einmal sagen – ist: Als wir gungsaufnahme wird uninteressant, und die Betroffenen als FDP-Fraktion in der Vergangenheit dafür eingetreten können nicht wirklich frei entscheiden, ob und in wel- sind, die 58er-Regelung auslaufen zu lassen, ging es uns chem Umfang sie weiterhin erwerbstätig sein und ver- nicht darum, eine Entlastung des Haushaltes herbeizu- dienen wollen. führen. Vielmehr ging es uns darum, die Menschen, die mit der 58er-Regelung an den Rand der Gesellschaft ge- Das gilt nach der strengen Logik des Gesetzes sogar schoben worden sind, wieder in die Mitte der Gesell- für „Aufstocker“, also Personen, die durch die ausgeübte schaft und des Arbeitsmarktes zu holen. Tätigkeit durchaus beweisen, dass sie arbeiten wollen. (Beifall bei der FDP) Sie müssen dann wohl zumindest eine Teilrente mit den entsprechenden Wirkungen beim Zuverdienst beantra- Das Entscheidende ist nämlich, dass die Betroffenen gen. Das nachzuvollziehen, kann ich jedem Kollegen wieder auf dem Arbeitsmarkt zu sehen sind, Angebote hier nur empfehlen. Das ist wirklich ein rentenpoliti- der Vermittlung erhalten und von den Argen und Op- scher Hochseilakt und im Ergebnis nicht wirklich sinn- tionskommunen im Falle fortgesetzter Arbeitsverweige- voll. rung, also der Ablehnung von Angeboten, auch mit Sanktionen belegt werden können. Am Ende geht es da- (Beifall bei der FDP) rum, wieder Teilhabe am Arbeitsleben zu schaffen. Das Der Antrag der Linken greift diese Problematik auf, wird auf diesem Wege möglich. Dieses übergeordnete enthält aber keinerlei Lösungsvorschlag. So konkret, wie Ziel rechtfertigt aus unserer Sicht die Ausnahme. Sie, Herr Kollege Gysi, es gesagt haben, steht es nicht Damit ist aber auch klar – ich komme zum Schluss –, im Antrag. Sie waren in der Vergangenheit mit der wann der Verzicht auf die Durchsetzung des Nachran- Drucksache 16/5902 schon einmal konkreter. Aber heute gigkeitsgrundsatzes ein Ende findet. Leistungsberech- fordern Sie die Regierung lediglich auf. Das ist aus unse- tigte nach § 41 SGB XII müssen sehr wohl ihre Rente rer Sicht doch ein bisschen dünn und kann aus diesem (B) einsetzen, bevor sie – eventuell ergänzend – steuerfinan- (D) Grunde unsere Zustimmung nicht finden. zierte Sozialleistungen in Anspruch nehmen können. Wir haben eine grundsätzlich andere Vorstellung von In der Kürze der Zeit kann ich hier nur einen Weg an- der Herangehensweise an die Thematik des Übergangs deuten. Ich kann Ihnen sagen: Wir werden dazu bald ei- vom Erwerbsleben in die Rente. Das habe ich hier schon nen eigenen Antrag vorlegen. Es steht aber ohne Zweifel wiederholt vorgestellt. Ein Wahlrecht zum Renteneintritt fest, dass dieses Problem gelöst werden muss. Es darf ab dem 60. Lebensjahr bei Vorliegen der Grundsiche- nicht zu der sich jetzt andeutenden Änderung der rungsfreiheit ermöglicht einen flexiblen Übergang in die Rechtslage ab dem 1. Januar 2008 kommen; das will ich Rente. Der Wegfall der Zuverdienstgrenzen, den wir für meine Fraktion sehr deutlich sagen. wollen, schafft gleichzeitig Anreize, weiter erwerbstätig zu bleiben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Einen Zwang, in Rente zu gehen, gibt es beim FDP- (Beifall bei der FDP) Modell nicht, auch nicht für Arbeitssuchende. Das ist dann schon eine Durchbrechung des Grundsatzes der Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nachrangigkeit. Es stellt sich die Frage, ob eine solche Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Frak- Durchbrechung zu rechtfertigen ist. Ich meine, sie ist es. tion. Denn zum einen findet – wie der Kollege Schiewerling eingeräumt hat – mit § 65 Abs. 4 SGB II bereits heute eine (Beifall bei der SPD) Durchbrechung des in § 2 SGB II formulierten Grundsat- zes statt. Zum anderen würde eine derart unterschiedliche Anton Schaaf (SPD): Behandlung von Leistungsempfängern – einige werden Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- gezwungen, ihre Rente mit Abschlägen einzusetzen, an- ben vor vier Wochen über dieses Thema schon einmal dere nicht – eine willkürliche Differenzierung seitens des ausführlich diskutiert; übrigens ein Stück weit auch Gesetzgebers darstellen. Das ist – darin stimme ich Ihnen, heute Nachmittag, als es um die Chancen älterer Arbeit- Herr Gysi, zu – vermutlich verfassungswidrig. nehmerinnen und Arbeitnehmer und um flexible Über- gänge vom Arbeitsleben in die Rente ging. Ich werde Es sollte auch nicht außer Acht gelassen werden, gleich in meinem Vortrag auf diese schon einmal ge- dass, wenn man alles zusammen betrachtet, eine zusätz- führte Debatte zurückkommen. liche Belastung für die öffentlichen Haushalte oder die Rentenversicherung nicht entsteht. Denn diejenigen Herr Gysi, Sie haben völlig recht. Man kann schlicht- – das hat Herr Schiewerling zu Recht gesagt –, die deut- weg nicht ignorieren, dass definitiv ab dem 1. Januar 12816 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Anton Schaaf (A) 2008 eine ganz bestimmte Gruppe von älteren erwerbs- Ich erinnere nun an die Diskussion, die wir um die (C) losen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Pro- Rente mit 67 geführt haben. Damals haben wir gemein- blem haben wird, das für sie dauerhaft Nachteile bein- sam festgelegt: Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit- haltet. Jetzt kann man natürlich sagen: Wer Abschläge nehmer, die langjährig versichert sind, haben – so war hinnimmt, der geht vorzeitig, und insgesamt hat er die unsere Sicht, als wir das beschlossen haben – ein beson- gleiche Rentenleistung, die nur länger gestreckt ist. – deres Schutzbedürfnis. Denen räumen wir das Privileg Nur kann man nie voraussagen, wie lang diese Renten- ein, nach 45 Jahren ohne Abschläge gehen zu können. – leistung gestreckt ist. In der Tat ist es so, dass Menschen, Wir haben also schon einmal formuliert, dass ältere Ar- die vorzeitig in die Rente gehen müssen, Abschläge hin- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, langjährig Versi- nehmen. cherte unserer besonderen Solidarität bedürfen. Wir haben die Abschlagsregelung im Rentenrecht ei- An dieser Stelle nun kippen wir das oder sind zumin- gentlich als individuelle Möglichkeit vorgesehen, vor- dest in der Gefahr, ab 1. Januar eine Lösung zu haben, zeitig zu gehen, und zwar freiwillig vorzeitig zu gehen. bei der wir diese besondere Solidarität, die wir langjäh- rig Versicherten, solchen, die langjährig in Systeme ein- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ja, genau! gezahlt haben, die langjährig Beitragszahlerinnen und Richtig!) Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung waren, eigentlich zugestehen müssen, nicht zugestehen. Wir haben sie nie als Instrument zur Druckausübung, sondern als Instrument der Freiwilligkeit begriffen. Ich bin nicht der Meinung, Herr Gysi, dass man die 58er-Regelung einfach so weitergelten lassen sollte. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ab 1. Januar ändert sich (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sicher das!) nicht!) Wenn man keine andere Lösung hätte, dann wäre es Hier ergibt sich eine andere Situation; das muss man wahrscheinlich am sinnvollsten, die 58er-Regelung ein- ganz klar konstatieren. Wenn Menschen, die aus dem fach zu verlängern. Wir sollten allerdings versuchen, Arbeitslosengeld-I-Bezug kommen und die rentenrecht- eine andere Lösung zu finden. Die 58er-Regelung ist vor lichen Voraussetzungen erfüllen, einen Antrag auf dem Hintergrund der Nachrangigkeit absolut richtig. Arbeitslosengeld II stellen, dann wird der sofort negativ Aber wir müssen sie, vielleicht auch in Kombination mit beschieden, weil Ansprüche aus anderen Systemen vor- dem richtigen Ansinnen, das Arbeitslosengeld I zu ver- handen sind. Das ist ein Problem. Das SGB II – Fördern längern, zielgenauer gestalten; denn sie ermöglicht zu- und Fordern – sieht nämlich nicht in erster Linie das Hi- mindest im Moment noch durchaus eine Praxis des Vor- (B) nausdrängen aus der Vermittlung, egal wohin, vor, son- (D) ruhestandes, der Frühverrentung. dern im Wesentlichen das Vermitteln in Arbeit. Diese Leistungen können ältere Arbeitnehmerinnen und Ar- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber das kann beitnehmer vor dem Hintergrund der rentenrechtlichen doch nicht das Ziel sein!) Voraussetzungen dann nicht mehr in Anspruch nehmen. Wir wollen diese Praxis nicht. Denn der Wegfall der Vor- Das halte ich für ein ordnungspolitisches Problem. Das ruhestandspraxis hat unter anderem dazu geführt, dass müssen wir lösen. die Quote der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, mer, die jetzt noch in Arbeit sind, deutlich angestiegen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE ist, und das halte ich für richtig. Wir haben es den Unter- GRÜNEN) nehmen nicht mehr so leicht gemacht, sich ihrer sozialen Verantwortung gegenüber älteren Arbeitnehmerinnen Völlig klar ist – darüber ist mit mir nicht zu diskutie- und Arbeitnehmern zu entziehen. ren, übrigens auch nicht mit der SPD-Bundestagsfrak- tion –, dass das Nachrangigkeitsprinzip gelten muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Solidarität ist keine Einbahnstraße, bei der die Allge- Es ist schwieriger geworden, sie aus den Arbeitsprozes- meinheit für etwas aufkommt, obwohl der Einzelne leis- sen herauszudrängen. tungsfähig ist, sondern Solidarität ist immer in zwei Richtungen zu sehen. Man muss aber einmal fragen, ob Wenn wir darüber diskutieren, was wir mit dem be- ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser troffenen Personenkreis machen, gelten zwei Prämissen, Situation nicht tatsächlich einen Anspruch haben auf die sehr zielgerichtet beachtet werden müssen: Die erste eine besondere Solidarität der Gesellschaft und der All- Prämisse ist die Nachrangigkeit, die wir mit Sicherheit gemeinheit, übrigens auch der Steuerzahlerinnen und der nicht aufgeben dürfen. Die zweite Prämisse ist, dass es Steuerzahler. Ich sage: Ja, den haben sie. nicht wieder eine Vorruhestandspraxis geben darf. Wenn wir diese beiden Grundprämissen beachten, muss eine Eine rentenrechtliche Voraussetzung für einen norma- Lösung, möglichst bis zum 31. Dezember dieses Jahres, len Arbeitnehmer ist eine Versicherungsdauer von zu finden sein. 35 Jahren. Vor dem Hintergrund kann ich einen solchen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Arbeitnehmer bitten oder auffordern, unter Umständen auch nachhaltig auffordern – möglicherweise kann man Vorschläge dazu gibt es; sie sind vom Ministerium er- da auch ersatzweise tätig werden –, Rente zu beanspru- arbeitet worden. Ich fordere den Koalitionspartner sehr chen. deutlich auf, sich diese noch einmal ganz genau unter dem Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12817

Anton Schaaf (A) Aspekt anzuschauen, welche Wirkung sie tatsächlich ha- sterben die Menschen nicht mit 65, sondern leben durch- (C) ben. Sind diese Vorschläge zum Beispiel dazu geeignet, schnittlich 15 Jahre länger. Das heißt, bei einer Rente wieder eine Vorruhestands- oder Frühverrentungspraxis von 1 000 Euro erleiden sie in 15 Jahren eine Rentenkür- einzuführen? Ich sage Ihnen: So, wie sie formuliert sind, zung von über 32 000 Euro. Das wollen Sie doch nicht sind sie dazu nicht geeignet. allen Ernstes als etwas Soziales verkaufen, meine Da- men und Herren von der Regierungskoalition! (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die können Sie uns auch mal schicken! Wir würden uns das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch gerne angucken!) Darum bin ich froh, dass bei der zweiten Lesung un- Herr Gysi, in den Vorschlägen gibt es in der Tat die seres damaligen Antrages einige in der Großen Koalition Formulierung, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Ar- doch etwas nachdenklicher wurden. Schön, dass Ihnen beitnehmer, die in eine solche Situation kommen, unmit- die Opposition, unterstützt durch Verdi und den Sozial- telbar in Arbeit vermittelt werden müssen. Ich habe aus- verband Deutschland, nun endlich Beine macht; denn drücklich dafür plädiert – es kann ja durchaus sein, dass das ist bitter nötig. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie man für einen Arbeitnehmer in dieser Situation keine es einem 60-jährigen Beschäftigten geht, der zu Nied- Arbeit hat –, dass es auch eine Arbeitsgelegenheit sein riglöhnen arbeitet und bei Vollzeitarbeit weniger als kann. Denn das schützt ausdrücklich davor, dass man Hartz IV verdient. Wenn der dann die ihm zustehende tatsächlich aufgefordert wird, die Rente zu beantragen. Aufstockung beantragt und ihm gesagt wird, dass er auf- Dann hat der Arbeitnehmer nach wie vor, wie jetzt, die grund des Nachrangigkeitsprinzips seine vorzeitige Wahlmöglichkeit, den angebotenen Job oder die angebo- Rente mit Abschlägen von 18 Prozent beantragen muss, tene Arbeitsgelegenheit – natürlich im Rahmen der Zu- dann bricht doch für diesen Menschen die Welt zusam- mutbarkeitskriterien; da gebe ich Ihnen recht – anzuneh- men. Das können Sie doch wirklich nicht wollen. Aber men oder vorzeitig Rente zu beantragen. Jedenfalls liegt bei der CDU/CSU ist irgendwie Ruhe. dann die Wahlmöglichkeit bei dem Betroffenen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht beim Sachbearbeiter oder beim Fallmanager. Für und bei der LINKEN) die Abschlagsregelung in der Rentenversicherung war immer Grundvoraussetzung: Die Entscheidung liegt bei Dieser Mensch zeigt doch, dass er arbeiten will, sogar dem Betroffenen und bei sonst niemandem. Das muss für einen Hungerlohn. Und den wollen Sie gegen seinen auch jetzt Prämisse sein. Dafür plädieren wir. Willen zwangsverrenten? Ich halte das wirklich für schä- big. Wir sind also der festen Überzeugung, dass wir keine Fortführung der 58er-Regelung brauchen, aber eine Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) gelung, die ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, (D) die arbeitslos geworden sind, davor schützt, zwangs- Unsere einfache Forderung lautet: Jeder Mensch, der weise in Rente geschickt zu werden. das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat und über kei- nen Arbeitsplatz verfügt, aber erwerbstätig sein will und Ich danke für die Aufmerksamkeit. kann, darf nicht gegen seinen Willen verrentet werden. Ist das eigentlich zu viel verlangt? (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin und der LINKEN) Irmingard Schewe-Gerigk, Bündnis 90/Die Grünen. Nun haben Sie, Herr Kollege Schaaf, in der zweiten Lesung unseres Antrages und jetzt gerade wieder eine Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Sensibilität für dieses Thema deutlich gemacht. Sie se- GRÜNEN): hen Handlungsbedarf; das ist gut so. Aber eine Einzel- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fallprüfung, wie sie vorgeschlagen wurde, wird das Pro- Die Grünen waren die erste Fraktion, die auf die Unge- blem nicht lösen. Wenn allein 2008 bis zu 20 000 rechtigkeit der Zwangsverrentung Langzeitarbeitsloser Personen vom Arbeitslosengeld II in eine Rente mit Ab- aufmerksam gemacht hat. Bereits im Mai haben wir die schlägen gehen müssen, dann ist das kein individuelles Bundesregierung aufgefordert, den unhaltbaren Zustand Problem. Auch der Vorschlag, dass Personen, die nur zu beenden, dass zum Beispiel 60-jährige Arbeitslosen- noch sechs Monate vor der Altersrente stehen, von der geld-II-Bezieher ab 2008 gegen ihren Willen – und das Zwangsverrentung verschont bleiben sollen, ist nicht nenne ich zwangsweise – in Rente geschickt werden zielführend. Das ist doch nur ein Trostpflaster. können, und zwar mit einem Abschlag von 18 Prozent. Ihr Signal heißt: Wer nicht mehr gebraucht wird, wird Das werden wir nicht hinnehmen. ausgesteuert. Die Leistungsverpflichtung liegt am Ende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bei den Ländern und den Kommunen. Aber wirklich an- geschmiert sind doch die älteren Arbeitslosen. Zuerst Dazu lautet die generöse Geste des Kollegen werden sie aus dem Betrieb entfernt, später folgt ohne Brauksiepe, damit hätten sie aktuell mehr Geld zur Ver- Vermittlung und Förderung ein Aussteuern aus dem fügung, als wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen. Herr Leistungsbezug der BA. Wenn sie dann bis zum Ren- Brauksiepe, das ist wirklich zynisch; denn diese Aussage tenalter aufstockende Sozialhilfe beantragen müssen und stimmt doch nur bis zum 65. Lebensjahr. Gott sei Dank gespart haben, dann sollen sie ihr Vermögen bis auf 12818 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Irmingard Schewe-Gerigk (A) einen Schonbetrag von 1 600 Euro aufbrauchen. Diese Berichterstattung: (C) Herangehensweise ist geradezu empörend. Ich nenne das Abgeordnete Johannes Kahrs zynisch. Susanne Jaffke Jürgen Koppelin Wir Grüne fordern die Bundesregierung erneut dazu Roland Claus auf: Springen Sie über Ihren Schatten! Verhindern Sie Alexander Bonde die Zwangsverrentung durch gesetzliche Änderungen! Der Vorschlag der Linksfraktion ist – so muss ich sagen – Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die sehr allgemein formuliert. Da waren Sie schon ein bi- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre sschen weiter; das stimmt. Wir selbst haben in unserem keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Antrag konkret gefordert, dass das Nachrangigkeitsprin- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- zip erst dann eintreten darf, wenn es nicht zu Abschlägen verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung. bei der Rente kommt. Wir stimmen aber um der Sache willen dem Antrag der Linken zu, damit die Bundesre- gierung endlich handelt. Wir wollen, dass den erwerbs- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- losen Menschen im Alter nicht auch noch ihre Würde gung: genommen wird. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben Ich danke Ihnen. wir in diesem Parlament über drei Auslandseinsätze der Soldaten der Bundeswehr zu beraten. Man muss sich vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Augen führen, dass alle Auslandseinsätze, die unsere sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Soldaten bewerkstelligen, mit Risiko für Leib und Leben verbunden sind. Dieser Staat verlangt von seinen Solda- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: tinnen und Soldaten – sei es beim Gelöbnis, sei es im Ich schließe die Aussprache. Rahmen der Vereidigung –, dass sie bereit sind, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Die Linke verteidigen. Dazu gehört dann auch der Einsatz des Le- auf Drucksache 16/6933. Die Fraktion Die Linke bens und der Gesundheit. wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung, und Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, zwar federführend an den Ausschuss für Arbeit und So- das ist der entscheidende Grund, dass es dann der Für- ziales und mitberatend an den Rechtsausschuss und den sorgepflicht des Staates entspricht, dass die Soldatinnen Finanzausschuss. Die Abstimmung über den Antrag auf und Soldaten oder die zivilen Mitarbeiter, die eine Be- (B) Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. einträchtigung ihrer Gesundheit erfahren, nicht nur auf (D) Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Über- Versorgung verwiesen werden, sondern auch einen An- weisung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – spruch, ein Recht auf Weiterbeschäftigung erhalten. Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koali- Deshalb finde ich es richtig, dass der Pflicht zur tapfe- tion gegen die Stimmen der Opposition so beschlossen. ren Verteidigung das Recht auf Weiterbeschäftigung im Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Falle der Gesundheitsbeeinträchtigung gegenübersteht. Drucksache 16/6933 nicht ab. Darum bitte ich heute im Interesse der Soldatinnen und Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Soldaten, aber auch im Interesse der zivilen Mitarbeiter, die im Einsatz eine entsprechende Gesundheitsbeein- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- trächtigung erfahren, um Ihre Zustimmung zu diesem gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Gesetzentwurf. zur Regelung der Weiterverwendung nach Ein- (Beifall bei der CDU/CSU) satzunfällen (Einsatz-Weiterverwendungsge- setz – EinsatzWVG) Meine Damen und Herren, gerade die Anschläge, die auf unsere Soldaten in diesem Jahr verübt worden sind, – Drucksachen 16/6564, 16/6650 – haben uns aus meiner Sicht die Notwendigkeit einer der- Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidi- artigen Regelung wieder vor Augen geführt. gungsausschusses (12. Ausschuss) Mit diesem Gesetzentwurf betreten wir dienstrechtli- ches Neuland. – Das ist wahr; darum hat das Ganze auch – Drucksache 16/6896 – etwas gedauert. – Wir haben ein Einsatzversorgungsge- Berichterstattung: setz. Das ist eine, wie ich finde, gute Regelung. Aber Abgeordnete Monika Brüning durch das Eröffnen dieser beruflichen Perspektive trotz Petra Heß der schweren Verletzungen bieten wir den Betroffenen Birgit Homburger auch eine emotionale Unterstützung für ihre wichtige Paul Schäfer (Köln) Aufgabe. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Punkt. Winfried Nachtwei Denn wenn man den Einsatz von Leib und Leben ver- langt, haben wir geradezu die Verpflichtung, ihnen dann – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu geben. gemäß § 96 der Geschäftsordnung Meine Damen und Herren, das Gesetz sieht vor, dass – Drucksache 16/6909 – nach einer Schutzzeit im Anschluss an eine entspre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12819

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) chende Verletzung, wo dann niemand entlassen werden ghanistan, sondern ebenso bei anderen Einsätze der Bun- (C) darf, ein Übernahmeanspruch im Soldatenstatus oder für deswehr im Ausland. zivile Mitarbeiter im Beamtenverhältnis oder gegebe- Im Anschluss an Verletzungen und Tötungen kam es nenfalls im Arbeitsverhältnis besteht. immer wieder zu sozialen Härten, meistens deshalb, weil Diese Umsetzung war bei den geltenden Dienst- und gesetzliche Grundlagen, die den besonderen Umständen Versorgungsrechtsstrukturen – wie ich gerade gesagt von Einsätzen im Ausland Rechnung trugen, fehlten. Be- habe – keine einfache Aufgabe. Deshalb möchte ich reits vor mehr als einem Jahrzehnt wurden die ersten ver- mich bei allen Ressorts herzlich bedanken, die hier krea- sorgungsrechtlichen Regelungen geschaffen. Die Verab- tiv und konstruktiv daran mitgewirkt haben, dass wir schiedung des Einsatzversorgungsgesetzes durch den heute einen derartigen Gesetzentwurf verabschieden Deutschen Bundestag vor drei Jahren war ein Meilenstein. können. Mit diesem Einsatzversorgungsgesetz wurde durch den Deutschen Bundestag zwar eine Regelung geschaffen, Meine Damen und Herren, Ausgangspunkt war natür- aber zunächst nur für diejenigen, die bei einem Einsatz im lich die Regelung für die Streitkräfte, weil der hohe An- Ausland gesundheitlich so sehr geschädigt werden, dass teil der zeitlich befristeten Dienstverhältnisse hier eine ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 Prozent gemin- besondere Rolle spielt. Aber auch ziviles Personal und dert ist und sie ihr Dienstverhältnis verlassen müssen. Mitarbeiter anderer Ressorts – das haben wir in diesem Jahr erlebt – können von derartigen Anschlägen betrof- Obwohl die bereits vom Gesetzgeber durchgeführten fen sein. Deshalb wird auch dieser Personenkreis durch versorgungsrechtlichen Regelungen von 1995 und 2004 dieses Gesetz mit abgesichert. zu einer deutlichen Verbesserung der Situation der im Auslandseinsatz verletzten Personen geführt haben, ist Ich denke, dass diese Regelung, wie ich sie gerade es weiterhin notwendig, Nachteile für diesen Personen- ausgeführt habe, der Fürsorgepflicht unseres Staates ent- kreis abzustellen. Ich denke, es ist gut, dass diesbezüg- spricht. Es sollte unser gemeinsames Anliegen sein, unsere lich in diesem Hause große Einigkeit herrscht. Soldatinnen und Soldaten sowie unsere zivilen Mitarbeiter, die im Auslandseinsatz eine erhebliche Gesundheitsbeein- Der vorliegende Entwurf eines Einsatz-Weiterver- trächtigung erfahren, die dann aber in der Lage sind, wie- wendungsgesetzes ist der noch fehlende Baustein für der einer beruflichen Beschäftigung nachzugehen, nicht eine umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und nur hinsichtlich der Versorgung zu vertrösten, sondern Angestellten des Bundes, der dem erhöhten Risiko von ihnen auch eine berufliche Perspektive und ein Recht auf Auslandseinsätzen Rechnung trägt. Dies ist ein notwen- Weiterbeschäftigung zu geben. Deshalb bitte ich Sie um diger und der Fürsorge für das eingesetzte Personal ge- Zustimmung zu dieser Gesetzesinitiative. schuldeter Schritt. (B) (D) Nach Inkrafttreten des Einsatz-Weiterverwendungs- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der gesetzes haben die während eines Einsatzes im Ausland FDP) Geschädigten ein Recht auf Weiterbeschäftigung; der Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten sowie alle, Herr Minister hat das gerade schon erläutert. Der Staat die in gefährlichen Auslandseinsätzen im Interesse unse- kommt hierdurch seiner Pflicht nach, all diejenigen ad- res Landes tätig sind, haben diese Unterstützung ver- äquat abzusichern, die er in gefährliche Auslandsein- dient. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem sätze entsendet. Dieses Gesetz wird nicht nur dem be- Gesetzentwurf. troffenen Personenkreis mehr soziale Sicherheit geben; dieses Gesetz wird darüber hinaus motivationsfördernd Besten Dank. wirken. Die Soldatinnen und Soldaten sowie die Zivil- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der personen, die im Interesse unseres Landes an gefährli- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- chen Einsätzen im Ausland teilnehmen, wissen nun, dass SES 90/DIE GRÜNEN) sie im Falle einer Verletzung eine ordentliche, besondere Versorgung erhalten, oder, so sie dies vorziehen, eine an- gemessene Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in der Bun- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: deswehr. Ich gebe das Wort der Kollegin Birgit Homburger, Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, FDP-Fraktion. dass der Gesetzentwurf einen Anspruch der Geschädig- ten auf eine für die Weiterbeschäftigung notwendige be- Birgit Homburger (FDP): rufliche Qualifizierung enthält. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf eine Dass Auslandseinsätze mit erheblichen Gefahren für zweifelsfrei notwendige Regelung dar. Die Bundesrepu- Soldatinnen und Soldaten, aber auch für das Zivilperso- blik Deutschland kommt damit ihrer Pflicht im Rahmen nal verbunden sind, haben wir in der Vergangenheit der Fürsorge nach, Personen, die bei Einsätzen im Aus- mehrfach – auch schon in diesem Jahr – erleben müssen. land verletzt werden, optimal abzusichern. Die FDP- Wir erinnern uns: Im Mai kamen drei Soldaten der Bun- Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf uneingeschränkt zu. deswehr in Kunduz ums Leben, wenige Monate später BKA-Beamte in Kabul. Neben den Getöteten gibt es (Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei eine Vielzahl von verletzten Soldatinnen und Soldaten, Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND- Beamten und Angestellten, nicht nur beim Einsatz in Af- NISSES 90/DIE GRÜNEN) 12820 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Aber es geht nicht nur um die Versorgung. Viele Ver- (C) Das Wort hat die Kollegin Petra Heß von der SPD- sehrte wollen neben der finanziellen Entschädigung vor Fraktion. allem eines: Sie wollen weiter am geregelten Erwerbsle- ben teilnehmen. Mit dem Einsatz-Weiterverwendungs- gesetz wird genau diesem Wunsch nach Teilhabe ent- Petra Heß (SPD): sprochen. Den Betroffenen soll nach einem Einsatzunfall Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und alternativ zur Versorgung auch eine berufliche Perspek- Kollegen! Ich möchte noch einmal daran erinnern: Am tive eröffnet werden. Dieses Gesetz ist also eine notwen- 19. Mai dieses Jahres wurde uns allen erneut auf tragi- dige Ergänzung zum Einsatzversorgungsgesetz. Insbe- sche Weise bewusst, dass die Soldaten und Zivilisten bei sondere für alle Nichtberufssoldaten eröffnet es eine Auslandseinsätzen einer erheblichen Gefährdung ausge- berufliche Perspektive nach einem Einsatzunfall. setzt sind: In der nordafghanischen Stadt Kunduz starben bei einem Selbstmordanschlag drei Soldaten der Re- Die Regelung sieht für die betroffenen Soldatinnen serve, zwei wurden schwer und drei weitere Soldaten und Soldaten Folgendes vor: In einer sogenannten leicht verletzt. Schutzzeit soll die erforderliche gesundheitliche Wieder- herstellung erfolgen. Soldatinnen und Soldaten, deren Fest steht: In absehbarer Zukunft wird sich an der Ge- reguläre Dienstzeit noch während der Schutzzeit enden fahrenlage für die Soldatinnen und Soldaten in den Ein- würde, werden in ein Wehrdienstverhältnis besonderer satzgebieten wenig ändern. Fest steht auch: Die Zahl der Art überführt und behalten so ihre Ansprüche gegenüber Auslandseinsätze der Bundeswehr und der Einsätze von dem Dienstherren. Geschädigte erhalten während der Zivilisten im Rahmen des Wiederaufbaus und der Kri- Schutzzeit einen Anspruch auf berufliche Qualifikation. senprävention wird auf absehbare Zeit kaum geringer Damit soll sichergestellt werden, dass die Betroffenen werden. Das verlangt den Soldatinnen und Soldaten der eine qualifizierte Weiterbeschäftigung beim Bund antre- Bundeswehr, aber auch den zivilen Helfern vor Ort im ten oder möglichst dauerhaft wieder am Arbeitsleben Einsatz physisch, vor allem aber psychisch eine Menge teilhaben können. ab. Dennoch erfüllen unsere Soldaten ihre Pflicht auch am Hindukusch vorbildlich und mit gleichbleibender Um dem verfassungsrechtlich geforderten Leistungs- Präzision. prinzip beim Zugang zu öffentlichen Ämtern Rechnung zu tragen, ist eine sechsmonatige Probezeit vorgesehen. Deshalb ist die Bundesrepublik Deutschland als Zum Eintritt in ein Beamtenverhältnis ist der Erwerb der Dienstherr der Soldaten und zivilen Helfer in besonde- jeweiligen Laufbahnbefähigung notwendig. Vergleich- rem Maße verpflichtet, Hinterbliebene wie auch Ver- bare Regelungen sind für das Zivilpersonal des Bundes letzte oder traumatisch Geschädigte optimal abzusi- vorgesehen. Auch das muss man an dieser Stelle noch (B) (D) chern. Wenn wir, das Parlament, Soldaten in Einsätze einmal betonen. auf der ganzen Welt schicken, dann müssen sie die abso- lute Gewissheit haben, dass sie und ihre Angehörigen im Nach Ablauf der Schutzzeit erhält der Geschädigte Unglücksfall bestens abgesichert und versorgt sind. bei einer dauerhaften Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent einen Rechtsanspruch auf (Beifall bei der SPD) Weiterbeschäftigung als Berufssoldat, Beamter auf Le- benszeit oder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis Sonst verbietet es sich, sie überhaupt in den Einsatz zu beim Bund. schicken. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen Ein- Die Liste der im Einsatz getöteten, verwundeten, ver- satzgeschädigte von dem neuen Gesetz vollumfänglich unglückten oder traumatisch geschädigten Soldatinnen erfasst werden, wenn sie ihren Einsatzunfall nach dem und Soldaten und ziviler Mitarbeiter ist lang. Bereits 1. Dezember 2002 erlitten haben und sich noch im 2004 hat daher der Bundestag durch das Einsatzversor- Dienst befinden. Ferner wurden Sonderregelungen für gungsgesetz eine angemessene finanzielle Versorgung eine Wiedereinstellung in den Fällen konzipiert, in de- für die Soldatinnen und Soldaten, die im Einsatz verletzt nen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendi- oder geschädigt wurden, sichergestellt. gung des Dienstverhältnisses erkannt worden ist. Diese Sonderregelungen sind wichtig und dringend notwen- Aber eine Frage bleibt offen: Was passiert mit einem dig, um insbesondere der Problematik der posttraumati- Soldaten, der aufgrund einer Verletzung im Auslandsein- schen Belastungsstörungen gerecht werden zu können. satz in seiner Erwerbsfähigkeit stark eingeschränkt ist? Schließlich soll das neue Gesetz auch die Versorgung Gehört er zur Gruppe der Berufssoldaten, wird er meist noch einmal erheblich verbessern, indem die soge- in den Ruhestand versetzt und erhält sein Ruhegehalt. nannte einmalige Unfallentschädigung künftig schnel- Das ist mitunter noch hinnehmbar. Aber was ist mit den ler gezahlt wird. Soldatinnen und Soldaten auf Zeit oder den freiwillig länger dienenden Grundwehrdienstleistenden oder auch Mit dem Einsatz-Weiterverwendungsgesetz wird eine den zivilen Beschäftigen und den Reservisten? Diese Lücke bei der Absicherung der Soldatinnen und Solda- Soldaten und Mitarbeiter stehen möglicherweise vor ten und der zivilen Helfer auf eine ausgewogene Weise dem beruflichen Aus. Häufig dürften die zu erwartenden geschlossen. Die Betroffenen erhalten nicht nur mehr Rentenleistungen und gegebenenfalls die Beschädigten- Rechtssicherheit, sondern auch eine emotionale Stütze versorgung nicht ausreichen, um einen angemessenen und eine persönliche Anerkennung ihrer Leistung als Lebensunterhalt zu bestreiten. Soldatin oder Soldat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12821

Petra Heß (A) Das größte Plus auf der Habenseite der Bundeswehr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C) sind ja die Menschen in den Streitkräften. Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer von der Frak- tion Die Linke. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Die Soldatinnen und Soldaten haben in den letzten Jah- ren der Transformation viel geleistet. Sie haben die Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Transformation der Bundeswehr geschultert, und – da- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ge- von konnte ich mich selbst überzeugen – sie haben das setz, das wir heute hier verabschieden, ist überfällig. Ich größtenteils mustergültig bewältigt. Auch die Einsätze stimme Ihnen, Herr Minister, und auch den anderen Kol- dieser neuen Einsatz- und Konfliktregulierungsarmee legen, die hier gesprochen haben, ausdrücklich zu: Es ist wurden mit hoher Professionalität und großer Bereit- die logische Ergänzung des Einsatzversorgungsgesetzes schaft von jedem einzelnen Soldaten getragen. Diese aus dem Jahre 2004. Leistungen verdienen nicht nur unsere Bewunderung, sie müssen auch und viel mehr angemessen gewürdigt wer- Ich stimme auch zu, dass es uns nicht nur um finan- den. Hier spielt das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz zielle Entschädigungen gehen darf, sondern wir den eine ganz entscheidende Rolle. Ein Soldat oder eine Sol- Menschen, die im Einsatz zu Schaden gekommen sind datin, die nicht nur finanziell versorgt werden, sondern und aufgrund schwerer Verletzung eine andere Verwen- auch weiterhin aktiv am Berufsleben teilhaben können, dung brauchen, auch eine Weiterbeschäftigungsmöglich- erfahren damit nämlich Anerkennung und Rehabilitie- keit bieten bzw. eine neue berufliche Perspektive eröff- rung. nen müssen. Ich denke, hierüber gibt es im Hause eine große Übereinstimmung. Vielleicht sollten wir auch ein Das Einsatzversorgungsgesetz war richtig und not- klein wenig ein Auge darauf haben, wie dieses Gesetz wendig. Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz ergänzt umgesetzt wird. Es kann ja nicht darum gehen, den Men- dieses nun in vorbildlicher Weise, indem es neben der fi- schen irgendeine Verwendung zukommen zu lassen, son- nanziellen Versorgung die Alternative einer beruflichen dern es sollte darum gehen, sie entsprechend ihren Fä- Perspektive aufzeigt. Wie gesagt, wir zeigen damit den higkeiten und Erfahrungen einzusetzen. betroffenen Soldatinnen und Soldaten, dass wir ihre Leistungen für unser Land anerkennen, ihren Einsatz Ein Staat – ich glaube, das ist unser aller Grundsatz –, würdigen und ihrer Person den gebührenden Respekt der Menschen in gefährliche Auslandseinsätze schickt, zollen. hat eine Fürsorgepflicht, nicht zuletzt für diejenigen, die dabei Schaden nehmen. Ich halte diese Anerkennung für enorm wichtig und (B) notwendig; denn die Soldaten, die bereit sind, notfalls Liebe Kolleginnen und Kollege, um dieses Gesetz (D) unter Einsatz ihres Lebens unser Land zu verteidigen, musste wie auch um das Einsatzversorgungsgesetz aus haben einen Anspruch darauf, dass sich Staat und Ge- dem Jahre 2004 gerungen werden. Dabei stellt man ein sellschaft schützend vor sie stellen. Ihr Dienst ist näm- Grundmuster fest: Die Betroffenen werden aktiv, Interes- lich ein ehrenhafter Dienst, und wir sollten ihnen den senvereinigungen wie der Deutsche Bundeswehr-Verband Rückhalt geben, den sie beim Ausüben ihres Dienstes engagieren sich heftig, der Wehrbeauftragte meldet sich, brauchen und den sie von uns auch zu Recht erwarten die Öffentlichkeit wird nach und nach sensibilisiert, bevor können. Entscheidendes geschieht. Das ist ein Punkt – ohne dass ich jetzt ein Haar in der Suppe finden möchte –, der für Der Schutz von Frieden, Freiheit, Demokratie und mich angesichts der Fälle einen schalen Beigeschmack Menschenwürde sind herausragende Kennzeichen unse- hinterlässt: Warum ist das der normale Gang der Dinge, rer Verfassung, gleichzeitig aber auch die Markenzei- bevor den Betroffenengruppen wirklich geholfen wird? chen der eigenständigen Tradition der Bundeswehr. Sie Und wenn das der Gang der Dinge ist, warum dauert es bieten Orientierung beim täglichen Dienst, aber sind ge- dann so lange? Die Auslandseinsätze der Bundeswehr ha- nauso Maßstab für jeden militärischen Einsatz zur Wah- ben 1992 begonnen. Wir haben jetzt 2007. rung von Frieden und Freiheit. Für diese schützenswer- ten Vorgaben unseres Grundgesetzes stehen unsere Man soll nicht alles über einen Kamm scheren, aber Soldaten ein. Deshalb müssen sie sich auch darauf ver- an der Stelle fühle ich mich schon ein bisschen an die lassen können, dass unsere Gesellschaft hinter ihnen Bundeswehr- und NVA-Soldaten erinnert, die an Radar- steht. geräten eingesetzt, dabei lebensgefährlichen Strahlungen ausgesetzt waren und sehr lange auf Entschädigungen Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz unterstreicht warten mussten. meiner Meinung nach in hervorragender Weise diesen Heute haben wir es mit dem Problem zu tun – die gesellschaftlichen Rückhalt und die Verantwortung, die Kollegin Heß hat es auch schon angesprochen –, dass wir für unsere Soldatinnen und Soldaten haben. Wer in Soldaten nach Auslandseinsätzen an posttraumatischen der Bundeswehr dient, der steht nicht irgendwo im luft- Belastungsstörungen erkranken. Diese müssen zeitgleich leeren Raum, sondern mitten in unserer Gesellschaft. gegen die Krankheit und – so empfinden sie es in vielen Dies wird mit dem neuen Gesetz einmal mehr deutlich. Fällen – gegen bürokratische Ignoranz angehen, wenn Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. sie Unterstützungsleistungen für die notwendige Be- handlung der Krankheit einfordern. Auch hier geht es, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wie wir immer so schön sagen, um schnelle und unbüro- 12822 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Paul Schäfer (Köln) (A) kratische Hilfe. Wir sollten uns als Nächstes mit aller gab es sieben Tote. Damals wurden wir darauf gestoßen, (C) Konsequenz daran machen, dass den Menschen mit wie der sogenannte qualifizierte Dienstunfall definiert posttraumatischen Belastungsstörungen eine ausrei- wurde: Nach dem Motto „Das hätte auch in Deutschland chende Versorgung zuteil wird. passieren können“ wurden die Unfälle nicht als Dienst- unfall anerkannt. So eine absurde Interpretation hat es (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gegeben. Das war für uns der Anstoß, das Einsatzversor- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ gungsgesetz zu erarbeiten, das der Bundestag im DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier Jahre 2004 einstimmig verabschiedet hat. Das war der [fraktionslos]) erste wichtige Schritt, den wir unternommen haben, um Noch einmal, meine Damen und Herren: Es geht da- die Versorgung der in besonderer Auslandsverwendung rum, dass man frühzeitig Überlegungen anstellt, welche verletzten Soldatinnen und Soldaten sowie Beamtinnen möglichen Folgen zum Beispiel Entscheidungen zur und Beamten den gewachsenen Risiken anzupassen. Entsendung deutscher Streitkräfte haben können und wie Heute geht es um den zweiten wichtigen Baustein in man damit umzugehen gedenkt. diesem Zusammenhang. Das Einsatz-Weiterverwen- Für uns Linke lautet indes die oberste Mahnung: Mili- dungsgesetz schafft einen Rechtsanspruch auf Weiterbe- täreinsätze sind immer gefährlich. Deshalb müssen wir schäftigung von Soldatinnen und Soldaten und von Zi- alles daransetzen, sie zu vermeiden, um gar nicht erst in vilbeschäftigten des Bundes, die in einer besonderen die Lage zu kommen, von nachsorgenden Gesetzen Ge- Auslandsverwendung verletzt werden. Das ist ein großer brauch machen zu müssen. Noch brauchen wir aber ein Fortschritt, vor allem für Nichtberufssoldaten und befris- solches Gesetz, und zwar im Interesse der Betroffenen. tet Beschäftigte. In der Schutzzeit sollen die Einsatzge- Ich finde, es ist gut, dass dieses Gesetz, wenn ich das schädigten gegen ihren Willen weder entlassen noch in richtig sehe, von diesem Haus einmütig verabschiedet den Ruhestand versetzt werden können. Um eine Weiter- wird; denn auch die Fraktion Die Linke stimmt diesem beschäftigung beim Bund oder die Eingliederung in das Gesetzentwurf ohne Wenn und Aber zu. Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern, sollen sie in dieser Schutzzeit die entsprechende berufliche Weiter- Danke. qualifikation erhalten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Wie alle anderen Fraktionen begrüßen auch wir die- neten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier sen Gesetzentwurf ausdrücklich. Ich möchte an dieser [fraktionslos]) Stelle ganz besonders denjenigen danken, die großen Druck gemacht haben. In der Tat müssen wir aus Sicht (B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: der Politik insgesamt feststellen, dass dieser Gesetzent- (D) Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei vom wurf vor allem ohne den Druck des Bundeswehr-Ver- Bündnis 90/Die Grünen. bandes nicht so schnell auf den Weg gebracht worden wäre. Dieser Druck war ausgesprochen hilfreich. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wird, ist unsere Arbeit eindeutig noch nicht getan. Ende Oktober dieses Jahres waren 6 837 Soldatinnen Selbstverständlich werden wir die Umsetzung dieses Ge- und Soldaten zur Friedenssicherung im Einsatz, davon setzes so gut wie möglich begleiten. Gleichzeitig werden 3 143 im Rahmen von ISAF, im Wesentlichen in Afgha- wir uns mit dem schwierigen Komplex der posttraumati- nistan, aber auch im Südsudan; bei diesen 37 im Südsu- schen Belastungsstörung von Soldaten und Soldatinnen dan handelte es sich um Militärbeobachter – über sie beschäftigen. Allzu oft – das ist bisher die Erfahrung – werden wir heute Abend noch sprechen –, die zwar un- müssen daran erkrankte Soldaten heutzutage in dieser bewaffnet, nichtsdestotrotz aber in einer sehr riskanten für sie sehr belastenden Situation in einen Rechtsstreit Situation sind. mit ihrem Dienstherrn treten, damit diese Belastungsstö- rung als Wehrdienstbeschädigung anerkannt wird. Die- Wenn es um die Auslandseinsätze der Bundeswehr ses ist so nicht hinnehmbar; da stehen wir genauso in der geht, wird oft übersehen, dass auch Hunderte von Zivil- Verantwortung, eine gute Regelung zu finden. bediensteten des Bundes in Krisenregionen ihren Dienst tun: Bedienstete des Auswärtigen Dienstes, des Bundes- Ich danke Ihnen. nachrichtendienstes, der Bundespolizei und solche, die zu internationalen Organisationen entsandt wurden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wenn die Bundesregierung – im Falle von Soldaten auch bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- das Parlament – Menschen in besonders riskante Situa- geordneten der FDP und der LINKEN) tionen schickt, ist die besondere Verantwortung und Für- sorge der Politik eine Selbstverständlichkeit – eigentlich. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielleicht erinnern sich einige von Ihnen noch an die Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt früheren schlimmen Unfälle, die geschehen sind: So ist hat das Wort Monika Brüning von der CDU/CSU-Frak- im Jahre 1999 ein Oberstabsarzt im Kosovo mit seinem tion. Transportpanzer von einer Brücke gestürzt. Als Ende 2002 in Kabul ein Bundeswehrhubschrauber abstürzte, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12823

(A) Monika Brüning (CDU/CSU): tätigkeit für unser Land zu würdigen. Ich denke, mit dem (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiterverwendungs- Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine neue Erkenntnis, gesetzes sind wir auch im Bereich der Versorgung in der dass sich die Bundeswehr seit den 90er-Jahren in der sicherheitspolitischen Gegenwart angekommen. Transformation befindet. Angesichts geänderter Rah- Ich denke, dass wir die Abstimmung jetzt positiv vor- menbedingungen heißt deutsche Sicherheitspolitik mehr nehmen können. denn je, Verantwortung in Europa und in der Welt zu übernehmen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten in vielfälti- gen Einsatzgebieten unter schwierigsten Rahmenbedin- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gungen hervorragende Arbeit. Hiervon konnte ich mich gerade erst in der vergangenen Woche bei meinem Be- Ich beende die Aussprache. such beim UNIFIL-Einsatzkontingent im Libanon per- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- sönlich überzeugen. Neben unseren Soldatinnen und desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Regelung Soldaten sind aber auch zivile Beschäftigte der Bundes- der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen. Der Vertei- wehr und des Bundes in den Konfliktregionen und Kri- digungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- sengebieten der Welt tätig. Wir wissen, militärische und lung auf Drucksache 16/6896, den Gesetzentwurf der Bun- zivile Auslandsverwendungen in diesen Gebieten sind desregierung auf den Drucksachen 16/6564 und 16/6650 in nicht mit normalen dienstlichen Tätigkeiten gleichzuset- der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, zen. die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Auf die gesteigerten Gefährdungslagen haben wir, der Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- Deutsche Bundestag, wiederholt reagiert. Mit dem Ein- tung einstimmig angenommen. satzversorgungsgesetz wurde im Jahre 2004 eine versor- gungsrechtliche Regelung getroffen, durch die eine an- Dritte Beratung gemessene finanzielle Versorgung nach einem Einsatzunfall im Ausland sichergestellt wird. Für die Be- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- troffenen – häufig noch sehr junge Menschen – reicht stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – der Verweis auf eine finanzielle Versorgung allein aber Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf einstimmig nicht aus. Sie möchten eine alternative berufliche Per- angenommen. spektive haben und nicht dauerhaft aus dem Berufsleben Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 c auf: (B) ausscheiden. Wenn sie diese erhalten, hat das nicht zu- (D) letzt auch eine positive psychologische Wirkung auf die a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Betroffenen und ihre Angehörigen. Andreae, Irmingard Schewe-Gerigk, Christine Scheel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Mit dem vorliegenden Entwurf des Einsatz-Weiter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verwendungsgesetzes wird eine notwendige Ergänzung zum bisherigen Einsatzversorgungsgesetz vorgenom- Für ein transparentes, mittelstandsfreundli- men. Er trägt dem erhöhten Risiko im Auslandseinsatz ches, innovationsoffenes und soziales Vergabe- Rechnung und bildet den fehlenden Baustein für eine recht umfassende Versorgung von Soldaten, Beamten und An- – Drucksache 16/6786 – gestellten des Bundes. Überweisungsvorschlag: Herr Minister, ich möchte Ihnen und Ihrem Ministe- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Rechtsausschuss rium herzlich Dank sagen, dass Sie nun, nach längerer Finanzausschuss Zeit, dieses Gesetz endlich zur Verabschiedung vorge- Ausschuss für Arbeit und Soziales legt haben. Das ganze Haus wird ihm zustimmen, denn Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch die CDU/CSU-Fraktion wird sich hier nicht enthal- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ten oder gar Nein dazu sagen. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ganz besonders wichtig ist auch, dass in diesem Ge- Haushaltsausschuss setz nicht nur der Rechtsanspruch auf Weiterbeschäfti- gung, Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung und b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin eine Schutzzeit für die gesundheitliche Wiederherstel- Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf lung vorgesehen sind, sondern auch die posttraumatische (Frankfurt), weiterer Abgeordneter und der Frak- Belastungsstörung als besonderes Problem Berücksichti- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gung fand. In dem Gesetzentwurf sind Regelungen für Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene eine Wiedereinstellung in den Fällen vorgesehen, in de- durchsetzen nen die gesundheitliche Schädigung erst nach Beendi- gung des Dienstverhältnisses erkannt wird. – Drucksache 16/6791 – Überweisungsvorschlag: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind es den Be- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) troffenen und ihren Angehörigen schuldig, ihre Einsatz- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 12824 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Mit großen Worten treten ja immer wieder Mitglieder (C) Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus, weite- der Bundesregierung auf und verkünden soziale und um- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE weltpolitische Ziele, vor allem im Ausland. Mit ihren wirtschaftlichen Entscheidungen muss sie aber dafür Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische auch selber eintreten. Das gilt für den Bereich der ge- Anliegen und Tariftreue durchsetzen rechten Globalisierung genauso wie für den Kampf ge- – Drucksache 16/6930 – gen die Kinderarbeit. Vielleicht haben Sie die Diskus- Überweisungsvorschlag: sion über das Thema Natursteine aus Indien verfolgt, bei Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) deren Herstellung oft auf Kinderarbeit zurückgegriffen Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und wird. Es muss möglich sein, bei der Vergabe von öffent- Verbraucherschutz lichen Aufträgen – in welcher Größenordnung auch im- Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mer – Kriterien vorzugeben, gemäß denen Unternehmen, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe die entsprechende Zulieferer haben, abgelehnt werden Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dürfen. Entwicklung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Gemäß den EU-Regeln ist die Berücksichtigung so- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten zialer Belange ja zulässig. soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. In Deutschland haben wir aber das Problem, dass Dann ist das so beschlossen. diese nach deutschem Recht als sachfremde Kriterien Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- gelten. Das wollen wir ändern. Wir wollen die Berück- nerin der Kollegin Kerstin Andreae von der Fraktion sichtigung von sozialen Kriterien entsprechend der EU- Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Richtlinie ermöglichen und Rechtssicherheit für die Ver- gabestellen schaffen. Das wollen im Übrigen nicht nur wir, sondern auch der Deutsche Städtetag fordert das Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schon lange. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht uns aber auch um Vereinfachung. Vereinfa- chung heißt, dass vor allem kleine und mittlere Unter- … wir erleben, dass es bei der Vergabe öffentlicher nehmen einen leichteren Zugang zu den Vergabeverfah- Aufträge in zunehmendem Maße eine Wettbe- ren bekommen. Entsprechende Vorschläge liegen vor, werbsverzerrung gibt, die einen umtreiben muss. die Sie angehen können. Dazu gehört das Präqualifizie- (B) (D) Das ist nicht von mir, sondern das hat Kurt Beck auf dem rungsverfahren. Warum ermöglichen wir Unternehmen Hamburger Parteitag der SPD Ende Oktober gesagt. nicht, sich ähnlich wie beim TÜV generell für ein ganzes Auch im Koalitionsvertrag kündigt die Große Koalition Jahr – was dann regelmäßig überprüft werden kann – für an, dass sie das Vergaberecht reformieren bzw. vereinfa- die Teilnahme an einem Vergabeverfahren qualifizieren chen will. Auch steht da zum Beispiel, dass man die Ver- zu können, statt bei jedem Vergabeverfahren aufs Neue gabe öffentlicher Aufträge an den Ausbildungsstand der dazu verpflichtet zu sein? Mit einem solchen Präqualifi- Unternehmen knüpfen soll. zierungsverfahren würden laut einem Gutachten des DIHK die Bürokratiekosten für die Unternehmen um Wir sagen: Wir müssen die Änderung des Vergabe- 30 Prozent gesenkt. rechts angehen; das ist dringend notwendig. Die öffentli- che Hand vergibt jährlich Aufträge mit einem Gegen- Ein weiterer Vorschlag betrifft die Mindestbearbei- wert von mehr als 300 Milliarden Euro. Hinzu kommen tungszeit. Wir müssen für die Erstellung von Angeboten weitere 60 Milliarden Euro für Aufträge, die öffentliche eine Mindestzeitspanne zwischen Bekanntgabe und Ab- Unternehmen ordern. Insgesamt sind das 16 Prozent des gabefrist einführen, um den Unternehmen die Teilnahme Bruttoinlandsprodukts. Das ist eine Größenordnung, bei an den Vergabeverfahren zu ermöglichen. der wir die Marktmacht der öffentlichen Hand nutzen Schließlich brauchen wir einheitliche Schwellenwerte. können, um politische Zielvorgaben umzusetzen und um Es gibt unterschiedliche Schwellenwerte in den einzelnen zum Beispiel auch kleineren und mittelständischen Un- Ländern der EU. Auch an dieser Stelle ist eine Vereinfa- ternehmen zu helfen – darauf werde ich gleich noch ein- chung durch die Einführung einheitlicher Schwellenwerte gehen –, an diesen Vergabeverfahren teilzunehmen. notwendig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen Rechtssicherheit. Heute besteht das Pro- Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie die Debatte ver- blem, dass die gewählten Vertreter in den Gemeinden bei laufen wird. Sie werden darauf hinweisen, dass Sie die der Vergabe zwar bestimmte Kriterien berücksichtigt se- Reform des Vergaberechts in den Koalitionsvertrag auf- hen wollen, die Verwaltung aber nicht darauf eingeht genommen haben. Leider sind schon über zwei Jahre und diese Wünsche mit Verweis auf die Rechtsunsicher- vergangen, ohne dass Sie mit der Umsetzung dieses Vor- heit ablehnt. Die Bundesregierung muss hier Rechtssi- habens begonnen haben. cherheit schaffen. Internationales Recht und internatio- nale Standards dürfen nicht aus rein wirtschaftlichen Transparency International hat der Bundesrepublik Gründen missachtet werden. zum Thema Korruption ein sehr schlechtes Urteil ausge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12825

Kerstin Andreae (A) stellt. Es ist dringend notwendig, dass wir uns auch die- Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeri- (C) ses Themas annehmen. ums hat aus großer Sorge wegen dieser Diskussion ein Sondergutachten erstellt und eingehend gewarnt. Statt Sie brauchen einen Weckruf. Sie verschlafen die Re- für eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des Verga- form des Vergaberechts. Die Folge ist, dass reine Wirt- bewesens sorgen Sie für eine Zersplitterung und eine schaftlichkeitserwägungen soziale Zielsetzungen aushe- drastische Zunahme der Bürokratie. Sie fordern schlicht- beln. Reformieren Sie das Vergaberecht unter der weg jede Vergabestelle auf, sich nach Belieben ein eige- Maßgabe, die EU-Richtlinie umzusetzen, Erleichterun- nes Vergabepaket zusammenzustellen. gen für den Mittelstand zu schaffen und Korruption zu bekämpfen! Dann sind Sie auf dem richtigen Weg. Ver- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: schlafen Sie das nicht weiter! Das Vergaberecht muss re- So etwas nennt man Subsidiarität!) formiert werden. Wie der Wissenschaftliche Beirat in seiner Studie umfas- Vielen Dank. send dargelegt hat, wären die Folgen höhere Kosten, mehr Korruption, mehr Vetternwirtschaft und drama- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tisch mehr Bürokratie. Wir versprechen den Anwendern und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der seit Jahren eine Vereinfachung des Vergabewesens und LINKEN) den Abbau von Bürokratie. Aber Sie wollen in dramati- schem Ausmaß den gegenteiligen Weg beschreiten. Das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ist und bleibt ein Irrweg. Das Wort hat nun der Kollege Albert Rupprecht von Vernünftig hingegen ist, dass wir vergabefremde As- der CDU/CSU-Fraktion. pekte – wie es im Übrigen bisher schon im GWB gere- gelt ist – nur in Ausnahmefällen in das Vergabewesen (Beifall bei der CDU/CSU) aufnehmen. Sie werden aufgenommen, wenn sie stren- gen Kriterien entsprechen. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): Erstens. Wenn das politische Ziel durch eine Rege- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte lung in einem anderen Gesetz besser erreicht werden Herren! Die Anträge der Grünen – das ist meiner Mei- kann, dann hat es im Vergabewesen nichts zu suchen. Es nung nach auch aus Ihrer Rede hervorgegangen, Frau darf zudem keine Doppelgesetzgebung geben. Wir ha- Andreae –, aber auch die Anträge der Linken, die zum ben Tausende Paragrafen in der Umweltgesetzgebung. öffentlichen Vergabewesen in Deutschland vorliegen, Warum müssen wir alle dort aufgeführten ökologischen wollen das Vergabewesen im Kern verändern. Im Zen- Ziele auch noch in das Vergabeverfahren hineinpressen? (B) trum stehen die Abkehr vom Prinzip der wirtschaftlichen (D) Leistungserbringung und eine Hinwendung zu einem Zweitens. Genauso wie es bereits im geltenden Ge- völlig anderen Prinzip, nämlich vergabefremde, allge- setz formuliert ist, müssen in Zukunft die Bundesebene meine politische Ziele einzuführen. und die Landesebene die Kompetenz haben, über die Aufnahme vergabefremder Aspekte zu beschließen. An- Bisher gilt im deutschen Vergabewesen, dass ein Un- derenfalls droht die befürchtete Zersplitterung des Sys- ternehmen, das sich an die Gesetze hält und leistungsfä- tems. Es macht keinen Sinn, dass sich jede Vergabestelle hig ist, den Zuschlag bekommt, wenn es das wirtschaft- ein eigenes Vergabepaket zusammenbastelt. lichste Angebot abgibt. Die Anträge der Grünen und der Linken wollen ein ordnungspolitisches Gegenprinzip Drittens. Der bürokratische Mehraufwand muss ge- aufbauen. Nach Ihrer Vorstellung soll künftig jede verge- ring sein. Dies muss durch eine Standardkostenmessung bende Stelle selbst beliebig weitere Kriterien festlegen. nachgewiesen werden. Das heißt in der Konsequenz: 12 000 Kommunen, 2 000 Viertens. Das originäre Ziel des Vergabewesens, den Städte, 300 Landkreise sowie Autobahndirektionen, Was- günstigen, wirtschaftlichen Einkauf der öffentlichen serwirtschaftsämter, alle Ministerien usw. legen in Zu- Hand zu organisieren, darf dadurch in keiner Weise be- kunft selbst fest, welche zusätzlichen Kriterien für die einträchtigt werden. Vergabe gelten sollen. Wir müssen uns hier noch ein ganzes Stück mehr an- Soweit nicht gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen strengen. Die Einkaufskosten der öffentlichen Hand kön- wird, ist letztendlich alles erlaubt. Fachleute reden da- nen und müssen gesenkt werden. Der Wissenschaftliche von, dass 800 neue Kriterien denkbar sind, die in Zu- Beirat vertritt in seinem Gutachten die Meinung, dass kunft im Vergabewesen eingeführt werden könnten. Das die Einkaufskosten bis zu 10 Prozent gesenkt werden heißt nach Adam Riese: Alle vergebenden Stellen in können, ohne die Leistungen der öffentlichen Hand zu Deutschland zusammen könnten bis zu 12 Millionen verringern. Das spart Steuergelder – und nicht wenige. neue Varianten der öffentlichen Vergabe einführen. Das öffentliche Vergabewesen in Deutschland hat – Frau Frau Andreae, in Ihrem Antrag ist von Vereinfachung Andreae hat es bereits angesprochen – ein Volumen von die Rede. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber das ist, 360 Milliarden Euro. Das sind 17 Prozent des Bruttoin- milde ausgedrückt, lachhaft. landsproduktes. Eine Senkung der Kosten um 10 Prozent würde die öffentliche Hand um 36 Milliarden Euro ent- (Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae lasten. Das ist in der Tat ein politisches Ziel, für dessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) Erreichen es sich zu arbeiten lohnt. Wir schaffen das 12826 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. 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Albert Rupprecht (Weiden) (A) aber nicht mit Vorschlägen, die die Zersplitterung des dern der zeitliche Aufwand in der praktischen Anwen- (C) Vergabewesens und die Erhöhung der Bürokratiekosten dung. zur Folge haben. Wir schaffen es auch nicht mit mehr Genau deshalb haben wir die betroffenen Ministerien Vetternwirtschaft. Wir schaffen es nur mit einem funk- gebeten, einen vollkommen neuen Weg in der Vereinfa- tionierenden Wettbewerb und einer Vereinfachung des chung zu gehen und den zeitlichen Aufwand der Pro- Systems. zesskette mit dem Standardkostenmodell zu untersu- Die Koalitionspartner haben sich im Koalitionsver- chen. Es geht den Anwendern darum, den zeitlichen trag sehr zurückhaltend für die Erweiterung um vergabe- Aufwand der Prozesskette zu verringern. Diese Untersu- fremde Aspekte ausgesprochen. Auf Seite 106 des Ver- chungen wurden im Wirtschaftsministerium und im trages wurde formuliert, dass Unternehmen bevorzugt Bauministerium abgeschlossen; entsprechende Ergeb- werden können, die ausbilden. Das war’s dann aber nisse liegen nun vor. Auf dieser Basis wird derzeit ein auch. Referentenentwurf erstellt und zwischen den Häusern abgestimmt. Ich gehe davon aus, dass dieser in den Die Regierungskoalition hat darüber hinaus im Koali- nächsten Wochen im Kabinett beschlossen und uns dann tionsvertrag andere Schwerpunkte gesetzt als die Oppo- für die parlamentarische Beratung zugeleitet werden sition in ihren Anträgen. Wir haben eine mittelstandsge- wird. rechte Ausgestaltung des Vergabewesens und eine Vereinfachung des Vergaberechts vereinbart. (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Da sind wir aber gespannt!) Zum Ersten die mittelstandsgerechte Ausgestaltung: Der nächste Schritt im deutschen Vergabewesen muss Im Koalitionsvertrag haben wir hierzu formuliert, dass eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung und die Verein- wir eine stärkere Vergabe in Fach- und Teillosen anstre- fachung sein. Die Anträge der Grünen und auch der Lin- ben. Hierzu muss § 97 Abs. 3 GWB geändert werden. ken bringen im Gegenteil eine dramatische Zunahme an Generalunternehmervergaben sollen auf die Fälle redu- Bürokratie und eine Zersplitterung des deutschen Verga- ziert werden, in denen sie nachweislich vorteilhaft sind. bewesens, statt es zu vereinfachen. Das Grundanliegen, Der Bundesrechnungshof hat ermittelt, dass Generalun- uferlos neue Kriterien in das Vergabewesen aufzuneh- ternehmervergaben im Schnitt 15 Prozent teurer sind als men, ist der vollkommen falsche Ansatz. Deswegen sind Fach- und Teillosvergaben. die Anträge abzulehnen. Der Mittelstand beklagt – zu Recht – massiv, dass Ge- Herzlichen Dank. neralunternehmervergaben häufig zu einer temporären Monopolstellung führen. Der Generalunternehmer dik- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) tiert dann den mittelständischen Subunternehmern Preise (D) und Konditionen. Im Ergebnis bedeutet dies für den Mit- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: telstand: verzögerte Zahlungseingänge, schlechte Preise Das Wort hat jetzt der Kollege Martin Zeil von der und kaum die Möglichkeit, Eigenkapital zu bilden. In FDP-Fraktion. der ersten Krise marschieren die Mittelständler massen- (Beifall bei der FDP) haft in die Insolvenz.

(Dr. Rainer Wend [SPD]: Nur wegen der Grü- Martin Zeil (FDP): nen!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem zum Teil zu Recht vorgetragenen Verriss der An- Was wir wollen, ist eine Bezahlung nach Leistung und träge der beiden Antragsteller hat Herr Kollege nicht nach Marktmacht. Deswegen ist in der Tat die Stär- Rupprecht versucht, ein bisschen davon abzulenken, kung der Fach- und Teillosvergabe das Herzstück einer dass Sie von der Regierungskoalition sehr stark mit der notwendigen Vergaberechtsreform. Umsetzung all dessen im Verzug sind, was Sie uns heute (Martin Zeil [FDP]: Dann mal los!) wieder vorgetragen haben. Die Bundesregierung hat vor etwa zehn Monaten auf eine Kleine Anfrage der FDP- Zum Zweiten: Das Vergabewesen muss vereinfacht Fraktion geantwortet, dass sie schnellstmöglich die werden. Bei der Vereinfachungsdebatte gibt es zwei Schwerpunkte auf Vereinfachung, Vereinheitlichung, Grundtypen: Die einen sagen, das Kaskadensystem soll Entbürokratisierung, mehr Transparenz und Wettbewerb abgeschafft werden, alle Verdingungsordnungen und alle legen will. Das sind wirklich noble Ziele, die Sie vorge- Gesetze sollen in ein Vergabegesetz gepackt werden. Ich tragen haben, aber sie wurden bis heute nur angekündigt persönlich glaube nicht, dass dies den Anwendern hilft. und nicht erreicht. Entscheidend ist für die Anwender nicht die Anzahl der (Beifall bei der FDP – Kerstin Andreae Paragrafen, entscheidend ist nicht die Anzahl der Seiten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wird es im Gesetzestext, sondern entscheidend sind der Inhalt bleiben!) und der zeitliche Aufwand bei der Erstellung eines An- gebots. Die Fragen für den Unternehmer sind: Wie viele Dabei ist ein effizientes und praktikables Vergabe- Stunden sitze ich daran, die benötigten Unterlagen zu- recht wichtig, um eine optimale Allokation der staatli- sammenzustellen, wie viel Kilogramm Papier muss ich chen Mittel zu gewährleisten. Was wir im Moment ha- bei der Vergabestelle abgeben? Für die Anwender ist ben, ist ein zersplittertes, kompliziertes Vergaberecht. nicht die Rechtsästhetik die entscheidende Frage, son- Das führt nicht nur zu Fehlern, sondern auch zu Geldver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12827

Martin Zeil (A) schwendung, wie wir aus den Berichten der Rechnungs- den ebenso angestrebt. Es ist ein Trauerspiel und ein Ar- (C) höfe zur Genüge wissen. mutszeugnis für die Bundesregierung, dass hier wieder nicht gehandelt worden ist. Die Unternehmen, die den Die Bundesregierung hatte das Wirtschaftsministe- Aufschwung in den letzten Jahren trotz Ihrer Regie- rium aufgefordert, bis Ende 2006 entsprechende Gesetz- rungsarbeit bewerkstelligt haben, haben einfach mehr gebungsvorschläge vorzulegen. Das sollte im Rahmen Einsatz von Ihrer Seite verdient. Auch durch das Sach- der GWB-Novelle erfolgen. Nun schreiben wir bald verständigengutachten ist Ihnen ins Stammbuch ge- Ende 2007, und es ist bei den Ankündigungen geblieben. schrieben worden: Ihnen fehlt die wirtschaftspolitische Wir haben gesehen, dass die Oppositionsparteien – si- Leitlinie. Das kann man auch bei diesem Thema erken- cherlich mit sehr unterschiedlicher Zielrichtung – das nen. Die Unternehmensteuerreform ist verkorkst. Beim Thema zwar immer wieder auf die Tagesordnung brin- Erbschaftsteuerrecht hat es einen Wortbruch gegeben. Es gen, es Ihnen von der Koalition aber nicht gelingen will, gibt zunehmend protektionistische Tendenzen, statt den uns endlich einmal etwas vorzulegen. So kommt es zu Wettbewerb zu fördern. Die GWB-Novelle ist untaug- solchen Fehlvorstellungen, wie sie im Antrag der Links- lich. Hinzu kommt das Hickhack bei der Beendigung des fraktion enthalten sind. Frau Lötzer, Ihre Fraktion tritt Postmonopols. – Die Anzahl Ihrer marktwirtschafts- dafür ein, dass aktuelle Themen wie Mindestlohn usw. feindlichen Baustellen nimmt kein Ende. bei einer Neuregelung des Vergaberechts berücksichtigt werden. Doch das zu regeln, kann sicherlich nicht Auf- Es wäre dringend notwendig, dass Sie wenigstens im gabe des Vergaberechts sein. Bereich des Vergaberechts – das Thema sollte ver- (Beifall des Abg. Carl-Ludwig Thiele [FDP] – gleichsweise unstrittig sein – endlich einmal von Ihrer Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Doch!) Selbstblockade herunterkommen und hier etwas Ver- nünftiges vorlegen. – Sie hätten die Vorschläge, die wir vor einem Jahr ge- macht haben, einmal zur Kenntnis nehmen sollen. Wir Herzlichen Dank. haben bei der Regierung angefragt, aber bisher, wie ge- (Beifall bei der FDP) sagt, keine Initiative gesehen.

Wir müssen feststellen, dass die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mittelstandsfeindlich handelt. Sie hat einigen unserer Vorschläge zwar zugestimmt, aber sie hat bisher nichts Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz von der vorgelegt. Es ist zum Beispiel dringend notwendig, die SPD-Fraktion. vergaberechtlichen Regelungen auf Bundes- und Lan- desebene endlich zu vereinheitlichen; Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): (B) (D) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Egal was man sich anschaut – ob die Praxis, Vorgänge im eigenen Wahlkreis oder auch kritische Fernsehbei- denn sehr viele Differenzierungen machen Schwierig- träge –: Es fällt auf, dass bei der Vergabe von öffentli- keiten. chen Aufträgen, insbesondere von Bauaufträgen, immer Auch das Thema „Schwellenwerte“ ignoriert die wieder Dinge geschehen, die einem die Haare zu Berge Bundesregierung bereits seit Jahren. Nach Ansicht vieler stehen lassen. Zum Beispiel ist die Situation in Nord- Experten sind die bisherigen Schwellenwerte erheblich rhein-Westfalen so, dass viele öffentliche Bauaufträge zu hoch angesetzt. Auch hier wäre ein bisschen mehr nach wie vor ohne jede Berücksichtigung schon beste- Einsatz in Brüssel dringend notwendig. hender sozialer Kriterien, etwa die Zahlung von Mindest- löhnen am Bau oder die Durchführung von Ausbildungs- Es gab auch einmal Überlegungen der Bundesregie- aktivitäten – diese Frage wurde eben angesprochen –, rung zur Förderung der mittelständischen Wirtschaft im vergeben werden. Vergaberecht durch die effektive Durchsetzung des Grundsatzes der Losvergabe und der Wettbewerbsmög- Die Konsequenz, die die dortige Landesregierung lichkeiten bei der Vergabe von Aufträgen an Unterauf- daraus zieht, ist allerdings ganz merkwürdig: Während tragnehmer. Davon ist bisher aber nichts zu sehen. neun andere Regierungen in ihren Vergaberichtlinien ge- regelt haben, wie man mit der Zahlung von Mindestlohn Für den Bereich der Vergabe öffentlicher Bauaufträge und anderen wichtigen sozialpolitischen Fragestellungen wurde das Präqualifikationsverfahren entwickelt und umgeht, hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfa- eingeführt, das von der Praxis als deutliche Entbürokra- len, wo eine solche Regelung zum ersten Mal eingeführt tisierung wahrgenommen wird. Auf meine damalige wurde, sie auch als erstes wieder abgeschafft, und zwar Frage hat die Bundesregierung geantwortet – das war auf der Grundlage eines Gutachtens, in dem festgestellt vor etwa einem Jahr –: Wir müssen weiter prüfen, ob wir worden ist, dass sich kein Mensch daran hält. Dies ist ein das übertragen können. Jetzt hören Sie einmal auf, zu interessanter Vorgang, der Anlass zum Nachdenken gibt. prüfen, und machen Sie endlich einmal was! Ich glaube aber, man sollte die Flinte nicht ins Korn (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Kerstin werfen, sondern sollte sich überlegen, welche Möglich- Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) keiten es eigentlich von der Beaufsichtigung des öffent- Maßnahmen zur Stärkung der transparenten und dis- lichen Vergabewesens bis hin zu der Frage gibt, was die kriminierungsfreien Vergabe öffentlicher Aufträge wur- Gewerbeaufsicht eigentlich auf dem Bau macht. Es gilt 12828 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) festzuhalten, dass gute Vorschriften natürlich auch einer Es bleibt aber ein umstrittener Bereich. Auch aus (C) gewissen Kontrolle und Nachvollziehbarkeit bedürfen. Sicht der Arbeitswelt muss eine vernünftige Behandlung der Arbeitnehmer zum Beispiel am Bau gewährleistet Das Spannungsfeld zwischen einer preisgünstigen sein. Es ist kein Geheimnis, dass es da noch Klärungsbe- Beschaffung aufgrund eines geordneten Vergabewesens darf und sehr unterschiedliche Vorstellungen gibt. Es auf der einen Seite und der gleichzeitigen Festlegung gibt den verständlichen Ansatz, nach dem eine Aus- von Mindestbedingungen in Sachen Fairness im Ge- schreibung nur der Preisfindung dient; das ist ein klarer, schäftsverkehr zwischen öffentlicher Hand und Unter- ordoliberaler Ansatz. Dann gibt es Ansätze, wonach die nehmen auf der anderen Seite muss von uns vernünftig öffentliche Hand auch eine gewisse Vorbildfunktion aufgelöst werden. wahrzunehmen hat und mindestens das zu erfüllen hat, Natürlich darf das Vergabewesen nicht ein Sammelsu- was sie von anderen auch erwartet, nämlich die Einhal- rium von Wertvorstellungen werden, bei dem die Frage tung von Mindestlöhnen sowie ein Mindestmaß an Aus- der Preisfindung nur noch eine untergeordnete Rolle bildungsaktivitäten. spielt. Insofern hoffe ich, dass wir uns da zeitnah verständi- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen werden. Denn aus den betroffenen Branchen kommt NEN]: Das sagt auch keiner!) die berechtigte Kritik, wie es sein kann, dass der Gesetz- geber mindestens ein Jahr braucht, um eine relativ über- Natürlich dient das Vergabewesen in erster Linie dazu, schaubare Fragestellung zu lösen. Die Hauptprobleme festzustellen, wie das Preis-Leistungs-Verhältnis bei liegen allerdings nicht in den bundesgesetzlichen Rah- konkreten und vernünftigen Vorgaben ist. Aber daneben menvorstellungen. Sie liegen im Wesentlichen in den ist es zur Vermeidung von Dumping-Wettbewerb auch Verdingungsordnungen, die im Rahmen eines Selbstver- wichtig, Mindeststandards wie die Einhaltung von Min- waltungsprozesses entstehen und für die man nur sehr destlöhnen und eine angemessene Ausbildungsquote bei schwer die letzten Details vorgeben kann. den anbietenden Unternehmen zu berücksichtigen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man verstärkt zu Öff- Aber auch dort ist etwas geschehen. Wir haben ver- nungsklauseln in Bezug auf Nebenangebote kommt, wo- einbart – das Wirtschaftsministerium hat es veranlasst –, durch sozusagen eine pfiffigere Lösung gleichwertig ne- dass das Standardkostenmodell sozusagen als Prüfraster ben die angefragte Regellösung gestellt wird. Das sind über typische Vergabevorgänge gelegt wird. Daraus gibt aber Punkte, um die in der Großen Koalition noch gerun- es Ergebnisse, die den Ausschüssen, die die Verdin- gen wird. gungsordnungen erarbeiten und beschließen, in einem Gutachten zugeleitet worden sind. Wir hoffen, dass da- (B) (Zuruf der Abg. Kerstin Andreae [BÜND- durch das Tempo erhöht wird. (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]) In diesen Ausschüssen gibt es sehr unterschiedliche – Liebe Kerstin Andreae, da ich Sie so vor mir sitzen Interessen. Dort geht es nicht nur um die Frage: Ist es ge- sehe, hätte ich fast „rot-grüne Koalition“ gesagt. Aber rechtfertigt, in einer Ausschreibung soziale Fragestellun- ich meine natürlich die rot-schwarze Koalition. gen zu berücksichtigen? Dabei spielen auch sehr unter- In einer Großen Koalition mit einer derartigen Band- schiedliche wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die breite, wie wir sie haben, gibt es ausgesprochen viele Vorstellungen darüber „Was ist kostenrelevant und was Gemeinsamkeiten, aber es gibt natürlich auch Felder, wo nicht? Was ist einfach und was nicht?“ sind dort sehr un- sich die ordnungspolitischen Vorstellungen aneinander terschiedlich. reiben und wo man etwas länger für die Abstimmung Die Bundesregierung hat ihre Schularbeiten gemacht. braucht. Wir haben nach der Koalitionsvereinbarung Sie hat ein Gutachten angefertigt, hat es den Beteiligten sehr schnell alles das, was die EU-Richtlinien vorgeben, zur Verfügung gestellt und wird, wie ich weiß, immer in deutsches Recht umgesetzt, wenn es mit relativ gerin- wieder den Finger in die Wunde legen – wir sollten uns gem Aufwand möglich war. Es ist also nicht so, dass daran beteiligen –, damit die Verdingungsordnungen, die überhaupt nichts geschehen ist. weitgehend einer Selbstverwaltung unterliegen, von den Es gibt einen Gesetzentwurf, in dem aus meiner Sicht zuständigen Ausschüssen so schnell wie möglich verab- Transparenz, Mittelstandsfreundlichkeit, weitere EU- schiedet werden. rechtliche Vorgaben, eine generelle Vereinfachung, aber auch die Anwendung gleicher Begriffe für gleiche Sach- Fast genauso schwierig ist es natürlich mit der Verein- verhalte, damit der Anbieter überhaupt versteht, was der heitlichung von Bundesvergaberecht und Landesverga- Auftraggeber gemeint hat, sowie die effiziente Gestal- berecht. Wo die Musik spielt, wo die Länderverwaltungen tung von Rechtsschutzverfahren weitgehend enthalten und insbesondere die Kommunen berührt sind – 70 Pro- sind. Dies ist auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs zent aller öffentlichen Infrastrukturaufträge werden von geschehen, den es schon gab, der aber wegen der vorge- Kommunen vergeben –, da regelt sich vieles im Wesent- zogenen Bundestagswahl 2005 der Diskontinuität unter- lichen durch Landesrecht. Da hat das Bundesrecht eine lag. Er bildet aber nach wie vor im Wesentlichen die gewisse Leitfunktion, aber die Details werden auf Lan- Grundlage. desebene festgelegt. Wie wir gehört haben, haben die neuen Länder zum Beispiel im Bereich Mindestlohn or- (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dentlich vorgelegt; ein Land macht aber einen Rückzie- NEN]: Guter Gesetzentwurf!) her. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12829

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) Dort zu einer Vereinheitlichung zu kommen, ist au- Rupprecht, kann Geiz nicht das Kriterium für die öffent- (C) ßerordentlich schwierig und bedarf natürlich eines ge- liche Vergabe sein, wie Sie es hier in den Vordergrund wissen Zeitraums für Verhandlungen. Dabei geht es Ihrer Rede gestellt haben. Geiz macht im Gegenteil arm. nicht nur darum, dass wir uns hier verständigen – neuer- Diese leidvolle Erfahrung machen mehr und mehr Be- dings Herr Rupprecht und ich oder auch sonst wer –; das schäftigte gerade bei Aufträgen der öffentlichen Hand, bedarf eines sehr komplizierten Prozesses mit sehr unter- beispielsweise in den Bereichen Behördenpost, Gebäu- schiedlichen Philosophien auch auf Länderebene. dereinigung, Müllabfuhr oder auch Sicherheit. Geiz zer- stört in diesem Sinne Demokratie, weil Tarifautonomie Ich kann nur dahin gehend appellieren, dass wir, was ein Grundbestandteil unserer Demokratie ist. das Tempo angeht, Druck machen und die Ressortab- stimmung im Kabinett zu Ende bringen. Denn eines ist (Beifall bei der LINKEN) völlig richtig: Alle beteiligten Branchen – die Baubran- Durch Arbeit zu Armutslöhnen wird die Würde der che, die Freiberufler und alle, die auf öffentliche Auf- Menschen getroffen. träge angewiesen sind – warten darauf – das ist von allen zu Recht angemahnt worden –, dass das Vergaberecht Geiz zerstört auch die Umwelt und verhindert ökolo- deutlich verschlankt wird, deutlich mittelstandsfreundli- gische Innovationen. Ökologische Kriterien sind not- cher wird. wendig, Kollege Rupprecht; denn beispielsweise nur 0,5 Prozent des Stroms, den die Bundesbehörden bezie- (Martin Zeil [FDP]: So ist es!) hen, sind Ökostrom. Aber viele warten auch darauf, dass die notwendigen so- Geiz bei der öffentlichen Auftragsvergabe verschärft zialen Akzente im Vergaberecht gesetzt werden, wenn es nicht nur in Deutschland, sondern auch international den um die Vermeidung von Lohndumping geht. Druck auf Lohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vie- Vielen Dank. ler Menschen. Davon zeugen die Berichte über Kinder- arbeit in Steinbrüchen Indiens und Chinas sowie über (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hungerlöhne und die Verletzung von Gewerkschafts- DIE GRÜNEN – Martin Zeil [FDP]: Dann legt rechten in den Sweatshops transnationaler Konzerne. doch mal was vor!) Vor diesem Hintergrund ist es beschämend, dass Sie au- ßer Ankündigungen hier noch nichts zustande gebracht Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: haben. Die EU-Richtlinie ermöglicht ausdrücklich öko- Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt logische und soziale Kriterien im Vergaberecht; aber Sie hat das Wort die Kollegin Ulla Lötzer von der Fraktion kommen nicht zu Potte. Die Linke. (B) Gestern hat der rot-rote Berliner Senat eine Novellie- (D) (Beifall bei der LINKEN) rung des Berliner Vergabegesetzes beschlossen. Er wird mit der Ausweitung der Tariftreue auf alle Branchen Ulla Lötzer (DIE LINKE): bundesweiter Vorreiter werden. Ein besonderes Novum: Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich will Erstmals wird auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro bei einmal daran erinnern: Bereits im April 2002 hat der öffentlichen Aufträgen festgeschrieben. Bundestag ein Tariftreuegesetz verabschiedet und die (Beifall bei der LINKEN) Tariftreue im Vergaberecht verankert. Das wurde damals im Bundesrat blockiert. Die Länder haben gesagt: Wir Vereinheitlichen wir doch in diesem Sinne die Vergabe- regeln das in Ländergesetzen. kriterien bundesweit, Kollege Rupprecht und Kollege Zeil! (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben sie nie gemacht!) Es geht nicht um wahllose Kriterien; aber aus unserer Sicht gehören genauso die Förderung der Gleichstellung Jetzt haben wir einen Zersplitterungszustand, Kollege von Frauen, die betriebliche Ausbildung, ökologische Rupprecht, der dringend durch eine bundeseinheitliche Standards und der Schutz von Kernarbeitsnormen dazu, Regelung aufgehoben werden muss. In einigen Ländern ebenso die Mittelstandsfreundlichkeit. Wir meinen aller- gibt es Regelungen, die aber völlig unterschiedlich sind. dings, dass dem am besten mit einem zweistufigen Ver- Das geht bis hin zu den Kommunen. gabeverfahren Rechnung getragen wird. Tatsächlich kommt noch hinzu – der Kollege hat ge- Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wollen faire rade darauf hingewiesen –, dass Ihre Wirtschaftsministe- Arbeit ermöglichen. Ein solches Vergaberecht würde ei- rin in NRW als Erste ein solches Vergaberecht mit der nen Schritt in diese Richtung gehen. Begründung rückgängig gemacht hat, dass man sich nicht daran halten würde. Schaffen wir doch vielleicht Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und auch demnächst das Strafrecht ab! Das wäre folgerichtig, weil Herr Zeil, in der Auseinandersetzung um einen gesetzli- wir nicht alle Diebe fangen; das wäre sozusagen die chen Mindestlohn treten Sie hier immer als die wahren Konsequenz. Hüter der Tarifautonomie auf. (Otto Bernhardt [CDU/CSU]: So ist es! – (Beifall bei der LINKEN) Martin Zeil [FDP]: So ändern sich die Zeiten! – Daher sage ich auch: Geiz ist nicht geil! Bei Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Da können Sie 300 Milliarden Euro Auftragsvolumen im Jahr, Kollege mal sehen, was Sie angerichtet haben!) 12830 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Ulla Lötzer (A) Man empfindet es immer als verkehrte Welt, wenn Sie Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (C) sich zum Fürsprecher der Tarifautonomie machen. Be- Bundesminister der Finanzen: weisen Sie doch einmal, dass Sie tatsächlich hinter die- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- sen Werten stehen! Hier haben Sie die Möglichkeit dazu, gen! Durch das Investmentänderungsgesetz wollen wir indem Sie Tariftreue im Vergaberecht verankern. die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbran- Danke schön. che in Deutschland steigern und die Innovationsfähigkeit fördern, ohne den notwendigen Anlegerschutz zu ver- (Beifall bei der LINKEN) nachlässigen. Wir deregulieren die Fondsbranche: Die Regelungsdichte des Gesetzes wird auf EU-Vorgaben Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: zurückgeführt. Wir entlasten die Branche von Kosten im Ich schließe die Aussprache. Verwaltungsbereich in Höhe von rund 8 Millionen Euro. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Wir modernisieren die offenen Immobilienfonds, um den Drucksachen 16/6786, 16/6791 und 16/6930 an die sie für die Zukunft zu stärken. Die Schwächen der bishe- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- rigen Regulierung von offenen Immobilienfonds werden schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der identifiziert und beseitigt. Im Regierungsentwurf sind zu Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. diesem Zweck zielgenauere Maßnahmen als im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorgesehen, der heute eben- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b falls auf der Tagesordnung steht. auf: Wir fördern Produktinnovationen durch neue Asset- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Klassen wie Infrastruktursondervermögen und sonstige gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Sondervermögen. Infrastruktursondervermögen können in zur Änderung des Investmentgesetzes und zur öffentlich-private Partnerschaftsprojekte, sogenannte ÖPP- Anpassung anderer Vorschriften (Investmentän- Projekte, investieren, in eine Anlageform, die Investment- derungsgesetz) fonds bislang verschlossen war. Privatanleger, die wegen – Drucksachen 16/5576, 16/5848 – der hohen Anlagesummen bisher keinen Zugang zum ÖPP- Markt hatten, können durch Infrastruktursondervermögen Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- an den Entwicklungschancen des ÖPP-Marktes mittelbar schusses (7. Ausschuss) partizipieren. Sonstige Sondervermögen können anders als – Drucksache 16/6874 – herkömmliche Fonds in innovative Finanzprodukte wie zum Beispiel Edelmetalle oder unverbriefte Unternehmens- (B) Berichterstattung: beteiligungen investieren. (D) Abgeordnete Leo Dautzenberg Nina Hauer Wir verbessern den Anlegerschutz und die Corporate Frank Schäffler Governance. Deshalb stärken wir die Unabhängigkeit Dr. Gerhard Schick der Aufsichtsräte von Fondsgesellschaften und die Un- abhängigkeit der Depotbanken. Wir schützen außerdem b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- die Anleger in Fondssparpläne: Die Vorausbelastung des richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu dem Anlegers mit Vertriebskosten ist bei Fondssparplänen so- Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, wohl mit inländischen als auch mit ausländischen Fonds Christine Scheel, Kerstin Andreae, Bärbel Höhn beschränkt. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unsere Maßnahmen dienen der Stärkung des Finanz- Offene Immobilienfonds – Marktstabilität si- standortes Deutschland und dem Anlegerschutz, was chern, Anlegervertrauen stärken auch die Expertenanhörung des Finanzausschusses be- – Drucksachen 16/661, 16/6874 – stätigt hat. Es bestanden allerdings unterschiedliche Standpunkte bezüglich der Frage, wie das Ziel der Berichterstattung: Standortförderung mit dem des Anlegerschutzes in ein Abgeordnete Leo Dautzenberg angemessenes Verhältnis zu setzen ist. Das ist natürlich Nina Hauer bei jeder Finanzmarktgesetzgebung eine Gratwande- Frank Schäffler rung. Deshalb haben intensive Beratungen zwischen den Dr. Gerhard Schick Berichterstattern der Koalitionsfraktionen und den Ver- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt je tretern des Bundesministeriums der Finanzen stattgefun- ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP und der den. Die Koalitionsfraktionen haben schließlich einen Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. sehr guten Gesamtkompromiss gefunden Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So ist das!) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wider- spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. und eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen, die den Entwurf aus dem Bundesministerium der Finanzen wei- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- ter verbessern und eine gelungene Balance zwischen den nerin der Parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Barbara Interessen der Fondsbranche und dem notwendigen An- Hendricks das Wort. legerschutz herstellen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12831

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Dazu gehören insbesondere weitere Geschäftsmög- Es war ja schon bei Ihrer letzten Koalitionsrunde so: Hin- (C) lichkeiten von institutionellen Anlegern in Spezialfonds, terher waren alle froh, dass nichts herausgekommen ist. die Möglichkeit für Immobilienfonds, im Ausland über Bei Ihren Finanzmarktgesetzen ist es genauso: Wenn Sie mehrstöckige Immobiliengesellschaften zu investieren, sich am Ende einigen, werden wir ein Wagniskapitalge- sowie weitere Vereinfachungen bei der Veröffentlichung setz haben, das am Markt vorbeigeht, und ein Risikobe- von Fondsberichten. Als entwicklungspolitisches Signal grenzungsgesetz, das seine Wirkung am Markt erzielen ist die Beteiligung von Kleinanlegern an Mikrofinanz- wird. Investitionen in Deutschland werden verhindert fonds zugelassen worden, die die Vergabe von Mikro- und Arbeitsplätze vernichtet. krediten an Klein- und Kleinstunternehmer in Entwick- lungs- und Schwellenländern refinanziert. So werden in Zum vorliegenden Gesetzentwurf: Sie machen damit Deutschland neue Wege beschritten, damit sich breite Ihrem Namen als Koalition der verpassten Chancen wie- Bevölkerungsschichten gezielt an der weltweiten Ar- der alle Ehre. Eine durchgreifende Liberalisierung gehen mutsbekämpfung beteiligen können. Sie nicht an. Damit wird der Fondsstandort Deutschland im internationalen Vergleich nicht gestärkt und kann sei- Mit diesen Rahmenbedingungen kann sich der Fonds- nen Rückstand insbesondere gegenüber Luxemburg standort Deutschland mit anderen Standorten in Europa nicht aufholen. messen. Der Gesetzgeber hat wie immer eine hervorra- Der Exodus der Investmentbranche aus Deutschland gende Arbeit geleistet. Jetzt ist die Fondsbranche gefor- wird sich fortsetzen. Erst waren es die Publikumsfonds, dert, die neuen Freiheiten und Instrumente im Interesse und bald sind es die Spezialfonds. Gerade das Luxem- von Standort und Anlegern zu nutzen. burger Spezialfondsgesetz zeigt doch ganz aktuell, wie Herzlichen Dank. hilflos der deutsche Gesetzgeber reagiert. Im Jahressteu- ergesetz 2008, das wir heute im Deutschen Bundestag (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) beraten haben, wird wieder einmal eine Spezialvor- schrift aufgenommen, um die Abwanderung großer Ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mögen zu verhindern. Das Wort hat jetzt der Kollege Frank Schäffler von Vor allem im Bereich der alternativen Investments tun der FDP-Fraktion. Sie nichts. Sie verziehen sich lieber auf den Zuschauer- (Beifall bei der FDP) platz und schauen, wie der Finanzplatz Deutschland den Anschluss gegenüber unseren internationalen Wettbe- werbern verliert. Die schlafen nämlich nicht, sondern Frank Schäffler (FDP): setzen sich aktiv für ihren Finanzplatz vor Ort ein. (B) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und (D) Herren! Vor kurzem berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass der Bürgermeister von London eigens nach Produktinnovationen und neue Vertriebswege müs- China gereist war, um einen chinesischen Staatsfonds sen nachdrücklich unterstützt werden. davon zu überzeugen, seine Europazentrale in London zu errichten. So sieht aktive Finanzplatzförderung aus! So hatten Sie von der Union und der SPD es wörtlich in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Sie zeichnen dagegen eine Schimäre an die Wand. Dabei macht China um den deutschen Investitionsstand- (Martin Zeil [FDP]: Papier ist geduldig!) ort einen ganz großen Bogen. und da lagen Sie eigentlich auch richtig. Nehmen Sie das Beispiel Hedgefonds: Wenn wir die (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: So haben wir Bestimmungen etwas praxisgerechter fassen – es geht es auch gemacht!) hier nicht darum, eine umfassende Deregulierung einzu- leiten –, dann gelingt es uns vielleicht, Deutschland als Doch Ihnen ist im vorliegenden Gesetzentwurf die Standort für Hedgefonds voranzubringen. Umsetzung dieser richtigen Erkenntnis nicht gelungen. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Beifall bei der FDP) Es ist doch besser, möglichst viele Fonds dafür zu ge- Tatsächlich haben Sie sich mit Hängen und Würgen zu winnen, sich dem deutschen Investmentrecht und der einem Ihrer letzten kleinen Schritte im Bereich der Fi- deutschen Finanzaufsicht zu unterstellen, nanzmarktgesetzgebung gerettet. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das tun wir auch!) Bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Wagniskapital anstatt sich in Offshoregebieten anzusiedeln. und zur sogenannten Risikobegrenzung gelingt Ihnen das schon nicht mehr. Das ist aber auch nicht schlimm; (Beifall bei der FDP) denn Sie rücken immer weiter nach links, und mit Links kann man keine zukunftsfähige Finanzpolitik in Nur wenn wir selbst ein gewichtiger Standort sind, Deutschland machen. können wir in der internationalen Diskussion erfolgreich auf Transparenz dringen. Nur wenn in Deutschland (Beifall bei der FDP – Leo Dautzenberg selbst Kapitalsammelstellen entstehen, weil wir hier at- [CDU/CSU]: Ist das die Absage an die Koali- traktive Investitionsbedingungen haben, bekommen wir tion ab 2009?) auch Kapital für die deutsche Wirtschaft. 12832 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Frank Schäffler (A) Auch Sie sehen den Bedarf, aber bei Ihnen gehen die alleiniger Maßstab. Herr Kollege Schäffler, liebe Kolle- (C) Gedanken dann in Richtung eines staatlichen Schutz- gen von der FDP, uns ging es bei dem Gesetzentwurf fonds. Damit setzt die Große Koalition den Beschluss nicht um eine Reform der Hedgefondsgesetzgebung, des SPD-Parteitages zum demokratischen Sozialismus sondern um eine Förderung des deutschen Spezial- und um. Publikumsfondsstandortes auf breiter Basis. (Martin Zeil [FDP]: So ist es!) Im Kern verfolgt der heute vorliegende Gesetzent- Sie müssen auch einmal auf den Markt setzen und müs- wurf erstens das Ziel, bestehende Investmentprodukte sen nicht alles durch staatliche Eingriffe regeln! Schüt- konkurrenzfähiger zu machen, zweitens, die Innova- zen Sie die Eigentümer und nicht die bezahlten Vor- tionsfähigkeit des deutschen Fondsstandorts zu stärken, stände! und drittens, überflüssige Regulierungen abzubauen. Dies war bereits mit dem Regierungsentwurf beabsich- (Beifall bei der FDP) tigt. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen Mit Ihrem Gesetzentwurf verfehlen Sie aber auch die wurde allerdings deutlich, dass einige der im Entwurf weiteren Ziele. Sie stärken den Verbraucherschutz nicht, vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu geeignet waren, weil die Transaktionskosten für die Anleger weiter im die oben skizzierten Ziele zu erreichen. Daher hat die Dunkeln bleiben. Die von Ihnen eingefügte Regelung ist Koalition einige Verbesserungen am Regierungsentwurf völlig unzureichend. durchgeführt. Erlauben Sie mir, diese kurz vorzustellen: Mit Ihrem Gesetz schaden Sie aber auch den Invest- Sehen wir uns zunächst das Ziel „Innovationsfähig- mentfonds im Wettbewerb mit Zertifikaten und Versi- keit des Fondsstandortes Deutschland stärken“ an. Dies- cherungen, wenn Sie die Kostenvorausbelastung unver- bezüglich war der Regierungsentwurf eine gute Vorlage. hältnismäßig einschränken. Das wurde in der Anhörung Zwei neue Fondsprodukte werden auf dem deutschen ganz offen debattiert. Sie tun das sehenden Auges. Dass Markt eingeführt: zum einen das Infrastruktursonderver- Sie dadurch Anlegerentscheidungen beeinflussen, neh- mögen und zum anderen das sogenannte sonstige Son- men Sie billigend in Kauf. dervermögen. Das Infrastruktursondervermögen ermög- licht die Erschließung neuer finanzieller Ressourcen für Auch daran sieht man: Bei dieser Koalition ist Still- öffentlich-private Partnerschaften, indem es den Markt stand wirklich noch das Beste, was sie für dieses Land auch für private Anleger öffnet. Besonders begrüßen wir tun kann. die Einführung der sogenannten sonstigen Sondervermö- Vielen Dank. gen. Das ist wichtig, um neu entstehende Finanzinstru- mente schnell und flexibel in den gesetzlichen Rahmen (Beifall bei der FDP) (B) aufnehmen zu können. (D) Ein solches neues Finanzinstrument ist der Mikro- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: finanzpublikumsfonds. Mit unserem Koalitionspartner Das Wort hat jetzt der Kollege Leo Dautzenberg von haben wir vereinbart, die Klasse „sonstige Sonderver- der CDU/CSU-Fraktion. mögen“ für dieses Produkt zu öffnen. Das heißt, dem- (Beifall bei der CDU/CSU) nächst können Mikrofinanzpublikumsfonds in Deutsch- land aufgelegt und vertrieben werden. Das ist nicht nur Leo Dautzenberg (CDU/CSU): ein wichtiges entwicklungspolitisches Signal, sondern Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- auch ein interessantes Angebot an die Fondsproduzenten gen! Wie beispielsweise das Silicon Valley für Hoch- und -anleger in Deutschland. technologie steht, so steht Luxemburg für eine erfolgrei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) che Fondsindustrie. Unser Nachbarland ist unbestritten Europas führendes Investmentfondszentrum. Auf der einen Seite wollen heute viele Menschen aus ethischen Gründen einen Teil ihrer Geldanlage für Mi- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) krofinanzierungen in Entwicklungsländern zur Verfü- Wer den deutschen Fondsstandort stärken will, muss sich gung stellen. Auf der anderen Seite stehen beispiels- daher unweigerlich mit den Entwicklungen in Luxem- weise die KfW als unser Bundesförderinstitut, die burg auseinandersetzen. Kirchenbanken und auch private Investmenthäuser be- reit. Sie warten darauf, sich derartige Produkte endlich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht mehr in Luxemburg genehmigen lassen zu müssen, Das haben wir getan; auch wenn Sie, Herr Kollege sondern sie auch in Deutschland auflegen und anbieten Schäffler, hier das Gegenteil behauptet haben. Anhalts- zu können. punkte dafür sind im Entwurf des Investmentänderungs- Gute neue Produkte allein reichen allerdings nicht gesetzes zu finden. Dieser Gesetzentwurf steht heute zur aus, um den deutschen Fondsstandort zu stärken. Auch Verabschiedung an. bereits bestehende Fondsprodukte müssen regelmäßig Ich betone nochmals: Das ist keine Kopie der Luxem- auf den Prüfstand. Unfreiwillig auf den Prüfstand kam burger Verhältnisse, sondern unsere eigene Antwort auf bereits vor zwei Jahren der deutsche offene Immobilien- die Entwicklungen in der Fondsbranche seit Inkrafttreten fonds, als zunächst bei der Deka Immobilien Investment des Investmentmodernisierungsgesetzes im Januar 2004. GmbH und später auch bei der DB Real Estate einzelne Luxemburg war ein wichtiges Vergleichsland, nicht aber Produkte in Liquiditätsengpässe kamen. Diese Turbulen- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12833

Leo Dautzenberg (A) zen sind mittlerweile überwunden. Die Kapitalanlagege- len. Es geht um den Versuch der Deregulierung. Für das (C) sellschaften haben selbst ein Maßnahmenpaket erarbei- Investmentgesetz bedeutet das konkret: Die Bürokratie tet, mit dem künftig verhindert werden soll, dass soll auf das von der EU vorgeschriebene notwendige Großanleger, institutionelle Anleger den offenen Immo- Maß zurückgeführt werden. Durch den Regierungsent- bilienfonds nur zum Parken von Geld, also als Geld- wurf wurde hier gute Arbeit geleistet. So ist es beispiels- marktfonds, nutzen, wofür diese Fondsprodukte von der weise richtig, dass Kapitalanlagegesellschaften künftig Struktur her nicht geeignet sind. Angesichts der bereits nicht mehr als Kreditinstitute fungieren und daher die fruchtenden Selbstregulierungsmaßnahmen der Branche höheren Anforderungen für Kreditinstitute bezüglich der halte ich es für richtig, dass die Regierung im Entwurf Aufsicht nicht mehr erfüllen müssen. des Investmentänderungsgesetzes nur behutsame ergän- In diesem Zusammenhang ist allerdings auch wichtig, zende Maßnahmen vorgesehen hat, um den offenen Im- dass die Deutsche Bundesbank weiterhin in der Lage mobilienfonds krisenfester zu machen. bleibt, die Finanzmarktstabilität im Bereich der Kapital- Der offene Immobilienfonds soll allerdings nicht nur anlagegesellschaften umfassend zu überwachen. Dafür krisenfest, sondern auch gegenüber ausländischen Im- haben wir im Gesetzentwurf Sorge getragen. mobilieninvestmentvehikeln konkurrenzfähig gemacht Bezüglich der Deregulierung gelingt es uns mit dem werden. Gesetzentwurf vor allem, die Branche von unnötigen (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Richtig!) Informationspflichten zu befreien. Dazu gehört bei- spielsweise der Verzicht auf die bislang vorgeschriebene Deshalb haben wir vereinbart, dass offene Immobilien- Doppelveröffentlichung von Jahres- und Halbjahresbe- fonds künftig nicht nur in einstufige, sondern auch in richten. Künftig müssen die Berichte nur noch im elek- mehrstufige Immobiliengesellschaften investieren dür- tronischen Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Wir fen, wenn die Beteiligung zu 100 Prozent erfolgt. Diese haben dafür im Gleichklang zum Transparenzrichtlinien- Öffnung ist notwendig, weil die Investition in gute aus- umsetzungsgesetz eine Übergangsvorschrift bis zum ländische Immobilien heute oftmals nur noch über mehr- 31. Dezember 2008 eingebaut. Das halte ich für sachge- stufige Konstruktionen möglich ist. recht, so wie wir insbesondere die Printmedien als Infor- In besonderem Wettbewerb mit dem Luxemburger mationsquelle für den normalen Anleger in Zukunft Fondsstandort steht der deutsche Spezialfonds. Die Lu- nicht vernachlässigen dürfen. xemburger haben den Spezialfonds in den letzten Jahren Zusammenfassend darf ich zum heute zur Verabschie- stetig weiterentwickelt. Deshalb war uns klar: Wir müs- dung stehenden Entwurf zur Änderung des Investment- sen hier deutlich nachholen, wenn wir vermeiden wol- gesetzes sagen: Das Gesetz – inspiriert, aber nicht getrie- (B) len, dass Deutschland für Spezialfonds als Produktions- ben durch die Entwicklung in Luxemburg – ist ein guter (D) standort künftig keine Rolle mehr spielt. Beitrag und bildet eine gute Grundlage für die Weiter- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) entwicklung des Finanzstandortes Deutschland, weil es erstens Finanzinnovationen einführt, zweitens beste- Wir haben daher die Liberalisierungsmaßnahmen, die hende Investmentprodukte konkurrenzfähiger macht und bereits im Regierungsentwurf vorhanden waren, um ei- drittens überflüssige Regulierungen abbaut. nige wichtige Punkte ergänzt. Meine Damen und Herren Ich werbe deshalb nachdrücklich um Ihre Zustim- der FDP, ich verstehe daher überhaupt nicht, wie Sie be- mung zu diesem Gesetzentwurf. haupten können, dass aufgrund dieses Gesetzes nun die Spezialfonds aus Deutschland abwandern würden. Ganz Vielen Dank. im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass auf dieser neuen gesetzlichen Grundlage gerade der Spezialfonds (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den Wettbewerb mit Luxemburg nicht zu scheuen neten der SPD) braucht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zur Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Die Rede der Kollegin Dr. Barbara Höll von der Frak- Fondsbranche müssen allerdings nicht nur die Marktbe- tion Die Linke nehmen wir zu Protokoll. Deswegen hat dingungen denen ausländischer Fondsprodukte angegli- jetzt das Wort der Kollege Dr. Gerhard Schick von chen werden. Die Wettbewerbsvoraussetzungen deut- Bündnis 90/Die Grünen. scher Fonds müssen auch mit denen inländischer Konkurrenzprodukte wie beispielsweise der Versiche- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rungen übereinstimmen. In diesem Punkt konnten wir NEN): bezüglich der Kostenvorausbelastung von Fondssparplä- nen und Versicherungen mit unserem Koalitionspartner Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ent- leider keine Einigung erzielen. Für die Union bleibt es wurf eines Gesetzes zur Änderung des Investmentgeset- aber Ziel, alle Vorsorge- und Anlageprodukte in zes hat ganz unterschiedliche Aspekte; das ist jetzt schon Deutschland mit den gleichen Ausgangsvoraussetzungen angeklungen. Es geht um die Reaktion auf die Krise bei auszustatten. Wir werden das Thema daher mittelfristig den offenen Immobilienfonds, die jetzt schon einige Zeit sicher wieder auf die Agenda setzen. zurückliegt. Es geht um die Einführung einer neuen Fondsklasse, der Infrastruktursondervermögen, auch Sehen wir uns nun abschließend das dritte Ziel an, das PPP-Fonds genannt, durch die die Finanzierung von öf- wir mit dem Investmentänderungsgesetz erreichen wol- fentlich-privaten Partnerschaften bei der Infrastrukturfi- 12834 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Gerhard Schick (A) nanzierung ermöglicht werden soll. Schließlich geht es Das andere ist eine Frage, die Sie nicht richtig beant- (C) um die Einführung sonstiger Sondervermögen; Herr worten. Es geht darum, was Sie im Aufsichtsrat der Ka- Dautzenberg hat es gerade schon gesagt. Da ist im Kern pitalanlagegesellschaft zum Thema unabhängiges Mit- die Frage des Mikrofinanzpublikumsfonds geregelt. glied geregelt haben. Darüber hinaus gibt es zwei Ziele, die die Große Ko- Warum haben wir einen Aufsichtsrat? Wir haben ihn, alition mit dem Gesetzentwurf verfolgt. Das eine ist das damit er die Interessen der Anlegerinnen und Anleger Stichwort Deregulierung, und das andere ist ausweislich auch im Rahmen der Anlageentscheidungen durchsetzt. der Regierungsbegründung, Anlegerschutz und Corpo- Nun soll es ein unabhängiges Mitglied geben. Allerdings rate Governance zu stärken. haben Sie die Qualifikation, die ein unabhängiges Mit- glied ausmacht, wieder aus dem Gesetzentwurf heraus- Ich will mich auf diesen letzten Bereich konzentrie- genommen, und damit ist die Position dieser Person, die ren, weil man sonst zu allem nichts sagen würde, wenn in dem Interessenkonflikt zwischen der Kapitalanlagege- man zu jedem ein klein wenig sagen würde. Hier setzt sellschaft einerseits und den Anlegerinnen und Anlegern auch unsere Kritik an: Es gibt keine richtige Abwägung andererseits deren Stimme einnehmen soll, überhaupt zwischen den Anleger- und Anlegerinneninteressen auf nicht geklärt. der einen Seite und den Interessen der Anbieter auf der In dem Bereich sind Sie deutlich zurückgerudert. Da- anderen Seite. mit ist eines ganz klar: Im Hinblick auf die Anlegerinnen Um was geht es? Wir haben es mit offenen Fonds zu und Anlegern haben Sie zwischen dem Referentenent- tun. Anleger geben einer Kapitalanlagegesellschaft ihr wurf und dem Gesetzentwurf in den Rückwärtsgang ge- Geld und wollen, dass mit diesem Geld in ihrem Sinne schaltet und haben damit eine Chance verpasst und das gewirtschaftet wird. Insofern besteht ein Interessenkon- Ziel, das Sie in der Begründung nennen, nämlich den flikt. Denn man kann mit dem Geld, das einem ein ande- Anlegerinnen- und Anlegerschutz deutlich zu stärken, rer anvertraut, auch zu dessen Lasten wirtschaften. Des- verfehlt. wegen haben wir eine Reihe von Regelungen. Wir mei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nen, dass diesbezüglich mehr notwendig gewesen wäre, und es war im ursprünglichen Referentenentwurf auch mehr vorgesehen. Sie sind aber leider im Rückwärtsgang Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: unterwegs gewesen und haben gute Regelungen, die Das Wort hat jetzt die Kollegin Nina Hauer von der schon drin waren, zurückgenommen. SPD-Fraktion.

(B) Konkret: Es gibt eine Gesamtkostenquote, und jeder Nina Hauer (SPD): (D) normale Mensch würde meinen, dass in einer Gesamt- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kostenquote alles, also das Gesamte, abgebildet ist. Tat- Deutschland ist ein starker Standort für Investment- sächlich sind jedoch zwei wesentliche Kostenkompo- fonds. Das sieht man an dem Interesse der institutionel- nenten nicht drin, und dies findet man auch nicht in dem len Anleger, der Banken, der Versicherungen, aber auch vereinfachten Verkaufsprospekt, den man sich vielleicht anderer Investoren, und das sieht man auch an dem zu- noch anschaut. Vielmehr gibt es auf den vielen Seiten nehmenden Interesse von Bürgerinnen und Bürgern, in des Fondsprospekts einen Hinweis, dass dem nicht so ist. Fonds ihre Altersvorsorge aufzubauen oder in Fonds ihr Vermögen zu vermehren. Es ist eine gute Alternative für Wir glauben, da, wo Gesamtkosten drauf steht, müs- all diejenigen, die sich vor großen Risiken schützen wol- sen auch die Gesamtkosten drin sein, oder es muss len, weil es mit Fonds im Gegensatz zu Aktien leichter – wenn man dies nicht für möglich hält – zumindest klar ist, die Risiken auszugleichen. gesagt werden, dass es eben nicht die Gesamtkosten sind. (Frank Schäffler [FDP]: Sie lesen die falschen Statistiken!) Dabei sind zwei Kategorien wichtig: Das eine sind die Transaktionskosten, die beim häufigen Umschlag des Wir als Politiker müssen etwas dafür tun, dass dieser Fondsvermögens zulasten der Anlegerinnen und Anleger Standort auch attraktiv bleibt. Wir befinden uns nicht nur entstehen. Da hätten wir uns gewünscht: Wenn man mit Luxemburg, sondern auch mit anderen Standorten in schon sagt, dass diese nicht ausgewiesen werden können Konkurrenz, und wir wollen mit diesem Gesetzentwurf – ich bezweifle, dass dies nicht möglich ist –, dann muss dazu beitragen, dass wir für institutionelle Anleger, die zumindest die Umschlagsrate ausgewiesen werden nach Deutschland kommen, wettbewerbsfähig sind und – dies tun andere Länder –, damit man, wenn man den bleiben. Das heißt, wir wollen es mit der Regelungs- Eindruck hat, dass die Kosten für den Fonds steigen, dichte nicht übertreiben, sondern das richtige Maß zwi- kontrollieren kann, ob dies an einer erhöhten Umschlag- schen einer sinnvollen Regulierung und der notwendigen häufigkeit gelegen haben kann. Manche Fonds haben Freiheit finden. Wir wollen hinsichtlich der offenen Im- eine höhere Umschlaghäufigkeit; das steht drauf, und mobilienfonds eine klare Regelung, um Ereignisse, wie dann ist es gerechtfertigt. Andere Fonds haben diese sie vor einigen Monaten in der Branche passiert sind, zu nicht, und dann muss der Anleger die Möglichkeit ha- verhindern. Wir möchten die Möglichkeit schaffen, hier ben, dies herauszufinden. neue Produkte zu erfinden und zuzulassen, und wir wol- len für die Anlegerinnen und Anleger Sicherheit und (Frank Schäffler [FDP]: Sehr richtig!) Transparenz schaffen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12835

Nina Hauer (A) Denn nur dann bleibt der Fondsstandort Deutschland deswegen lieber Autos dieser Firma verkauft, sagen: (C) attraktiv, und nur dann kann er das leisten, was wir in Jetzt legt der Gesetzgeber fest, dass die Autos beider Fir- wirtschaftlicher Hinsicht und im Interesse der Bürgerin- men gleich sind, damit Sie beide Autos gleichermaßen nen und Bürger brauchen. verkaufen. Wir haben im Bereich des Anlegerschutzes einiges (Frank Schäffler [FDP]: Das Beispiel hinkt getan. Durch die Pflicht zur Bestellung eines unabhängi- aber!) gen Aufsichtsratsmitglieds soll sichergestellt werden, dass die Anleger einen eigenen Ansprechpartner bzw. Das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, dafür eine eigene Ansprechpartnerin im Aufsichtsrat haben. zu sorgen, dass die Anleger und Anlegerinnen faire Kapitalanlagegesellschaften sollen ihre Transaktions- Preise bekommen und dass die Spielregeln klar sind. kosten so gestalten, dass der Anleger nicht unnötig be- (Frank Schäffler [FDP]: Dass sie das wissen lastet wird. und entscheiden können, ist wichtig!) Ich teile die Auffassung, die Sie, Herr Dr. Schick, zur Wir haben klargestellt, dass die Kostenvorausbelas- Umschlagshäufigkeit und zu den Kosten geäußert haben, tung in dieser Form nicht erlaubt ist und dass die Kosten nicht. Denn ich glaube, dass wir es auf dem Gebiet des nicht auf den Anfangszeitraum der Investition be- Finanzmarkts mit Informationen manchmal übertreiben. schränkt werden dürfen, sondern über die gesamte Lauf- Anleger müssen davor geschützt werden, dass ihnen un- zeit zu verteilen sind. Dadurch schaffen wir Wettbe- nötige Kosten aufgebürdet werden, Kosten, die sie nicht werbsgleichheit. Wir sorgen dafür, dass die Kosten für verstehen und nicht kontrollieren können. Einen Pros- die Anleger nicht zu hoch sind. Selbstverständlich geben pekt mit weiteren Daten zu füllen, die nicht nachvoll- wir der Fondsindustrie die Möglichkeit, den Vermittlern ziehbar sind und Kosten ausweisen, die es eigentlich zu und allen anderen, die ihre Produkte verkaufen, höhere verhindern gilt, das halte ich, ehrlich gesagt, für nicht Provisionen zu zahlen. Gar nichts spricht dagegen. Es ist sinnvoll. aber nicht unsere Aufgabe, in der Fondsbranche für eine (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Kostenentlastung zu sorgen. CDU/CSU) Wenn wir diesen Gesetzentwurf verabschieden, wird Mit Blick auf die professionellen Anleger haben wir es möglich, neue Wege zu beschreiten, zum Beispiel bei festgestellt, dass wir einige Hürden, die wir aufgebaut der Finanzierung öffentlich-privater Partnerschaften. haben, guten Gewissens abbauen können. Zum Beispiel Ferner gibt es das neue Instrument des Mikrofinanz- wird es das unabhängige Aufsichtsratsmitglied in Spezi- fonds, das vor allem für erfahrene Anleger geeignet ist; alfonds nicht geben. Ich denke, es ergibt sich aus der Na- dabei handelt es sich nämlich um ein extrem risikobehaf- (B) (D) tur der Sache, dass Anleger an dieser Stelle nicht privat tetes Produkt. In Zukunft wird es denjenigen, die sich investieren. Wir haben die Spezialfonds von bestimmten mit Mikrofinanzkrediten in der sogenannten Dritten Pflichten befreit, um ihnen mehr Möglichkeiten zu ge- Welt engagieren wollen, möglich sein, dieses Produkt in ben, mit ihrem Vermögen zu wirtschaften. Außerdem ha- Deutschland zu kaufen. ben wir dafür gesorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeit zwischen unterschiedlichen Produkten, zwischen sol- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: chen aus dem Ausland und solchen aus dem Inland, ge- Frau Kollegin Hauer, denken Sie an die Zeit, bitte. währleistet ist. Hier kann ich Ihre Position, Herr Schäffler, nicht Nina Hauer (SPD): nachvollziehen. Wenn die FDP die Wahl hat, entweder Wir haben einen Gesetzentwurf, mit dem wir den Anlegerschutz zu betreiben oder die Interessen der Standort Deutschland als Fondsstandort und als Anleger- Fondsindustrie zu vertreten, dann greifen Sie in eine an- schutzstandort stärken. dere Schublade und sagen: Wir vertreten die Interessen Vielen Dank. der Fondsindustrie. Früher hat es die Kostenvorausbelastung möglich ge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) macht, denjenigen, die Fonds verkaufen, Provisionen zu zahlen. Das hat natürlich den Verkauf der betreffenden Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Fonds, die im Ausland aufgelegt wurden, attraktiver ge- Ich schließe die Aussprache. macht. Aus der Sicht der Vermittler kann ich das verste- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundes- hen. Es ist aber nicht Aufgabe des Gesetzgebers, die regierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- Kostenvorausbelastung dann auch beim Verkauf anderer rung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Fonds zuzulassen, damit hier ebenfalls Provisionen ge- Vorschriften. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Nr. 1 zahlt werden können und damit die Verkäufer inländi- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874, scher Fonds gegenüber Versicherungen und gegenüber den Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen den Verkäufern ausländischer Fonds nicht benachteiligt 16/5576 und 16/5848 – in der Ausschussfassung anzu- werden. nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Das wäre so, als würden Sie einem Autoverkäufer, der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand- der die Autos von zwei verschiedenen Firmen verkauft, zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge- aber von einer Firma höhere Provisionen bekommt und setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der 12836 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C) tionsfraktionen angenommen. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi- derspruch? – Nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Dritte Beratung Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- ner das Wort dem Kollegen Klaus Riegert von der CDU/ stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen angenommen. Klaus Riegert (CDU/CSU): Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schauen ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag wir uns die Vorschläge der FDP einmal an! Der Glücks- der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7008? – Ge- und Wettspielmarkt wird liberalisiert, die Einnahmeseite genprobe! – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag verbessert und gleichzeitig Spielsucht unterbunden und ist bei Zustimmung der Fraktion der FDP mit den Stim- bekämpft, die diffizile rechtliche Problematik und die in- men der übrigen Fraktionen abgelehnt. ternationale Dimension werden generös geregelt – klingt ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. So einfach Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- ist die Welt leider nicht. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7007? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak- der SPD) tionen und der FDP bei Zustimmung von Bündnis 90/ Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke. Wir nehmen das Urteil des Bundesverfassungsgerich- tes wie auch dessen Begründung sehr ernst. Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unter Nr. 2 (Detlef Parr [FDP]: Leider nur einen Teil!) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6874 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Die Vermeidung bzw. Eindämmung der Spielsucht hat Grünen auf Drucksache 16/661 mit dem Titel „Offene für uns einen hohen Wert. Wir wollen Menschen vor per- Immobilienfonds – Marktstabilität sichern, Anlegerver- sönlichen Schicksalsschlägen und dem Ruin durch trauen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- Spielsucht möglichst schützen. lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- (Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜND- tionsfraktionen und der FDP-Fraktion bei Gegenstim- NIS 90/DIE GRÜNEN]) (B) men von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Liberalisierung um jeden Preis ist mit uns nicht zu ma- (D) Fraktion Die Linke angenommen. chen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: (Detlef Parr [FDP]: Wollen wir auch nicht!) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wir messen der Beibehaltung des staatlichen Monopols richts des Sportausschusses (5. Ausschuss) eine hohe Priorität zu – unter Einbeziehung der interna- tionalen Entwicklungen und technischen Möglichkeiten. – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, Das Glücksspiel in ganz Europa expandiert. Der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Glückspielmarkt in Deutschland hat ein jährliches Volu- FDP men von rund 27 bis 30 Milliarden Euro. Das ist immer- hin das dreifache Volumen des deutschen Buchmarktes Recht der Sportwetten neu ordnen und Fi- und fast der Umsatz des Bekleidungsmarktes. nanzierung des Sports sowie anderer Ge- meinwohlbelange sichern Jede Woche setzen Lottospieler rund 159 Millio- nen Euro ein, was einem Pro-Kopf-Umsatz von 1,93 Euro – zu dem Antrag der Abgeordneten Detlef Parr, in der Woche entspricht. Den größten Anteil am Volu- Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, men des deutschen Glücksspielmarktes haben die Spiel- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der banken mit einem Volumen von rund 9 Milliarden Euro; FDP das sind knapp 30 Prozent. Danach folgt der Deutsche Liberalisierung des Sportwettenmarkts in Lotto- und Totoblock mit „6 aus 49“ und Oddset mit ei- Deutschland einleiten und europakonfor- nem Anteil von rund 8,1 Milliarden Euro. Die Sportwet- mes Konzessionsmodell vorlegen ten spielen hier zurzeit eine eher untergeordnete Rolle. – Drucksachen 16/1674, 16/3506, 16/6838 – Meine Damen und Herren, gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es zwei Alternativen: Berichterstattung: Dem Gesetzgeber ist freigestellt, durch eine konsequente Abgeordnete Klaus Riegert Ausgestaltung des Wettmonopols sicherzustellen, dass Dagmar Freitag eine effektive Suchtbekämpfung und eine Begrenzung Detlef Parr der Wettleidenschaft erfolgt, oder er kann durch eine ge- Katrin Kunert setzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerbli- Winfried Hermann cher Veranstaltungen private Wettunternehmen zulassen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12837

Klaus Riegert (A) (Detlef Parr [FDP]: Ja!) hen. Ich halte es aber nicht für zielführend, dass wir hier (C) die Diskussion des Landtages Schleswig-Holstein füh- Die Ministerpräsidenten und damit die Länder bzw., wie ren. Tatsache ist: Dort hat sich die Landesregierung für Kollege Danckert formulieren würde, die Länderparla- den Staatsvertrag entschieden, mente sind zuständig. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und es hat eine erste Lesung stattgefunden. Sie können Alle 16 Landesregierungen haben sich für eine Beibe- davon ausgehen, dass der Staatsvertrag dort entspre- haltung des staatlichen Monopols ausgesprochen. In chend der ersten Lesung auch in der zweiten und dritten 14 Länderparlamenten hat die erste Lesung stattgefun- Lesung bestätigt wird. den. Sie haben auf der Grundlage des Urteils das staatli- che Lotteriemonopol weiterentwickelt, und sie halten Ich fahre fort. aus ordnungsrechtlichen Erwägungen das staatliche Mo- Im EU-Vertrag ist explizit vorgesehen, dass die Mit- nopol für geeignet, die vom Bundesverfassungsgericht gliedstaaten frei sind, die Ziele ihrer Politik auf dem Ge- vorgegebenen ordnungsrechtlichen Ziele zu realisieren. biet der Glücksspiele festzulegen und das angestrebte Die EU-Kommission hat nach Prüfung des Entwurfs Schutzniveau zu bestimmen. Die Beschränkungen müs- des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen das Recht sen nur verhältnismäßig sein und dem Anliegen gerecht Deutschlands nicht infrage gestellt, Glücksspiele auf- werden, die Gelegenheit zum Spiel zu vermeiden. grund des Allgemeininteresses, des Verbraucherschut- Jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Kollege Parr. zes, des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Spiel- sucht zu beschränken. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Aufpassen jetzt!) Ich darf Sie daran erinnern, dass der nordrhein-westfäli- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sche Landtag dem Staatsvertrag am 24. Oktober 2007, Herr Kollege Riegert, erlauben Sie eine Zwischen- also gerade erst, zugestimmt hat – und dies auch mit den frage des Kollegen Parr? Stimmen der FDP. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Genau! – Iris Klaus Riegert (CDU/CSU): Gleicke [SPD]: Hört! Hört! – Detlef Parr Gerne. [FDP]: Dazu sage ich gleich noch etwas!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Dazu habe ich ein interessantes Zitat gefunden. Land- Bitte, Herr Parr. tagskollege Witzel hat die Verfassungs- und Europakon- (B) formität des Staatsvertrages in der Landtagsdebatte her- (D) vorgehoben. Detlef Parr (FDP): Herr Kollege Riegert, ich entnehme einer Pressemit- (Iris Gleicke [SPD]: So?) teilung der CDU-Landtagsfraktion in Schleswig-Hol- Ich kenne Kollegen Witzel nicht, aber möglicherweise stein vom 10. Oktober 2007 – das war also unmittelbar kennt Detlef Parr ihn; denn Witzel ist FDP-Mitglied. vor unserer Debatte –, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU in Schleswig-Holstein folgende Ausführungen ge- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Hört! Hört!) macht hat: Ich zitiere Ralf Witzel: Mit jeder Stellungnahme aus Brüssel wird deutli- Mit dem Entwurf des Staatsvertrages zum Glücks- cher, dass Ministerpräsident Carstensen und die spielwesen sowie dem Ausführungsgesetz in Nord- CDU-Landtagsfraktion mit ihren Zweifeln an die- rhein-Westfalen wird das staatliche Sportwettenmo- sem Staatsvertrag von Beginn an Recht hatten. nopol … entsprechend den aktuellen politischen Weiterhin steht in der Pressemitteilung: und rechtlichen Vorgaben einschließlich der Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Das ohnehin schon unzumutbare rechtliche Chaos Glücksspiel in den Mitgliedstaaten auf eine verfas- im Bereich der Sportwetten werde damit noch zu- sungskonforme Grundlage gestellt. nehmen. Gleiches gelte für die sich bereits jetzt ab- zeichnende Absenkung der aus den Glücksspielen (Detlef Parr [FDP]: Traurig!) erwirtschafteten Fördermittel für Sport und kultu- Wir sind über Parteitagsbeschlüsse nicht immer relle Zwecke. glücklich, wie jüngste Beispiele zeigen, aber hier hat Wie bewerten Sie die Aussagen Ihres Kollegen aus wohl einmal die FDP parteiinternen Klärungsbedarf, lie- Schleswig-Holstein? ber Detlef Parr. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Ich möchte nach- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie her aber auch eine Zwischenfrage haben!) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Klaus Riegert (CDU/CSU): Über eines müssen wir uns allerdings klar sein: Eine Lieber Kollege Parr, ich werde nachher noch auf die Beibehaltung des Monopols unter Beachtung der Vorga- Diskussion im nordrhein-westfälischen Landtag einge- ben des Verfassungsgerichts wird zu einem Rückgang 12838 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Klaus Riegert (A) der staatlichen Einnahmen führen. Damit verbunden ist das Festhalten am Monopol, herausstellt. Dabei wird die (C) eine geringere Ausschüttung an die Destinatäre Kultur, zweite Möglichkeit übersehen, nämlich die Öffnung und Sport und Umwelt. Hier müssen wir, aber insbesondere Liberalisierung des Marktes auf der Grundlage von Kon- die Länder, uns darüber Gedanken machen, wie wir die zessionsmodellen oder dem Herausnehmen von Sport- wirtschaftliche Basis unseres gemeinnützigen Sports er- wetten aus dem Glücksspielstaatsvertrag. halten. Der Sportwettenmarkt in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren gewaltig verändert. Das staatli- Als Reaktion darauf haben die Länder mit Kanonen che Unternehmen Oddset verzeichnet seit Jahren Umsatz- auf Spatzen geschossen und den gesamten Glücksspiel- einbußen, weil private Anbieter aggressiv und teilweise staatsvertrag überarbeitet und neu formuliert. Das alles illegal in den Markt drängen. Das hat auch zu strukturel- geschah völlig ohne Not, da das Bundesverfassungsge- len Änderungen und einem veränderten Wettverhalten richt ein Sportwettenurteil ausgesprochen hat, nicht geführt. mehr und nicht weniger. Der FDP-Antrag verknüpft die Forderung nach ge- Die Konsequenzen sind schon heute ablesbar. Welt setzlich normierter und kontrollierter Zulassung privater Online hat am 18. Oktober folgende Zahlen für Berlin, Anbieter von Sportwetten mit einer Fülle von Bedingun- also nur für einen kleinen Teil der Bundesrepublik, ver- gen, nämlich erstens den nationalen Markt für Sportwet- öffentlicht: im nächsten Jahr 30 Millionen Euro weniger ten auch im Vergleich zum Ausland konkurrenzfähig zu aus dem Glücksspiel- und Lotteriebetrieb für Sportver- machen, zweitens ohne Einschränkung einen Teil der eine, Kunstaktionen und Sozialprojekte, 12 Millionen Einnahmen – was immer das heißen mag – den Destina- Euro weniger Einnahmen aus der Lotteriesteuer, tären zuzuweisen, drittens gleichzeitig die Spielsucht zu 900 000 Euro weniger aus dem Gewinnanteil der Nord- bekämpfen, viertens dem Jugendschutz Rechnung zu westdeutschen Klassenlotterie und 14 Millionen Euro tragen und fünftens Folge- und Begleitkriminalität zu weniger Einnahmen aus der Spielbankabgabe. – Bundes- vermeiden. Das ist eine verheißungsvolle Aufzählung. weit wird mit 1 Milliarde Euro Einnahmeausfällen ge- Die Realisierung dürfte aber kaum möglich sein. rechnet, weil wichtige Werbewege wie Telefonanrufe oder Mailings ab dem 1. Januar 2008 verboten sind, (Dr. Peter Danckert [SPD]: Die FDP schafft wenn dieser Termin überhaupt noch zu halten sein wird. das!) Denn in einigen Bundesländern kriselt es gewaltig, Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und, wie ich weil sich einige Abgeordnete ihrer Verantwortung für glaube, auch für die SPD-Fraktion hat die Neuordnung die eingeleitete Fehlentwicklung durch stures Festhalten des Glücksspiel- und Wettspielmarktes klare Prioritäten: am Staatsmonopol nach und nach bewusst werden, weil Die Spielsucht und Spielleidenschaft müssen wirksam einige Ausführungsgesetze in Brüssel noch notifiziert (B) bekämpft werden, wobei die Prävention Vorrang hat. Die werden müssen – das wird nicht überall gelingen; in (D) Finanzierung des gemeinnützigen Sports muss – notfalls Schleswig-Holstein zum Beispiel sollen auf Antrag der auch auf anderen Wegen – sichergestellt werden. FDP noch Anhörungen stattfinden; Ähnliches gilt für An diesen Grundsätzen sollten die Zielsetzungen ei- Baden-Württemberg und andere Bundesländer – und ner Ordnung des Wett- und Glücksspielmarktes ausge- weil die Entwicklung in den Nachbarländern zusätzli- richtet werden. Das heißt: Staatsvertrag statt Kommerz- ches Nachdenken erzwingt. So kommt in Frankreich Be- modell. Zuständig sind und bleiben die Länder. wegung in die Szene. Präsident Sarkozy kann sich eine kontrollierte Öffnung des Wettmarktes vorstellen. Er Danke schön. will das Staatsmonopol bei Fußballwetten aufheben. Die regierende Partei in Schweden hat entschieden, das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie staatliche Glücksspielmonopol nicht weiter zu unterstüt- des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ zen und die Regelungen von England oder Italien zu DIE GRÜNEN]) übernehmen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Damit nicht genug: Wir alle kennen die eindeutigen Das Wort hat der Kollege Detlef Parr von der FDP- Stellungnahmen der Europäischen Kommission. Diese Fraktion. müssten eigentlich auch in Düsseldorf angekommen sein. Es ist bedauerlich, dass man das unterschiedlich be- (Beifall bei der FDP) wertet, und zwar nicht nur in der FDP, sondern auch in der SPD und der Union. In den Bundesländern gibt es Detlef Parr (FDP): sehr unterschiedliche Positionen von Union und SPD. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine Ich werde später auf die Position der nordrhein-westfäli- Diskussion geführt, die wir heute vorläufig abschließen. schen SPD eingehen. Noch nie ist ein Bundesverfassungsgerichtsurteil derma- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Stimmt alles ßen unterschiedlich und falsch interpretiert worden, so- nicht!) wohl von der Bundesregierung als auch von den Landes- regierungen. Die Bundesregierung hat dieses Urteil sehr Wir alle kennen jedenfalls die europarechtliche Lage. selektiv zur Kenntnis genommen – Kollege Klaus Der Staatsvertrag widerspricht in wesentlichen Teilen Riegert hat sich ebenfalls in diesem Sinne geäußert –, in- Europarecht. Alle kundigen Thebaner wissen: Dieser dem sie von den Alternativen, die das Bundesverfas- Vertrag wird nicht lange überleben. Er ist eine Totgeburt. sungsgericht aufgezeigt hat, nur eine Version, nämlich Das geben auch die Befürworter eines Staatsmonopols Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12839

Detlef Parr (A) zu, allerdings – mutig – nur hinter vorgehaltener Hand. (Klaus Riegert [CDU/CSU]: Herr Präsident, (C) Sie spielen auf Zeit, Zeit, in der Arbeitsplätze verloren darf ich eine Zusatzfrage stellen?) gehen und neue Wettbewerbsstrukturen zerschlagen werden. Das ist mehr als fahrlässig. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Bundeskartellamt ist dabei, die Rote Karte zu zü- Wenn Herr Parr das genehmigt. cken; auch das ist eine Adresse erster Güte. Die Wettbe- werbshüter verweisen auf ein Urteil des EuGH, wonach Detlef Parr (FDP): bei Verstößen nationalen Rechts gegen Gemeinschafts- Gerne. recht den betroffenen Unternehmen das entsprechende Verhalten untersagt werden kann. Geldbußen sind mög- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lich. Teuer für die Bundesländer können auch Schaden- Bitte schön. ersatzansprüche werden. Der Staatsvertrag wird diesbe- zügliche Klagen nach sich ziehen, nicht nur der privaten Anbieter und Spielevermittler. Vielmehr erwägt auch die Klaus Riegert (CDU/CSU): Deutsche Fußball Liga vor dem Hintergrund neuer Würden Sie dem Hohen Hause bestätigen, dass in Rechtsunsicherheiten den Gang zu den Gerichten. Pro- dem Bericht, den Sie gerade hochgehalten haben, steht: minentester Mitstreiter ist Franz Beckenbauer, der heute Der Bayern-Präsident fürchtet eine zunehmende einen runden Tisch gefordert hat, um noch in letzter Mi- Benachteiligung der Bundesliga im europäischen nute Korrekturen vorzunehmen. Vergleich. Dann steht darin: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Parr, erlauben Sie eine Zwischenfrage Beckenbauer schätzt, dass etwa 200 bis 300 Millio- des Kollegen Riegert? nen Euro Werbegelder aus Deutschland abgezogen werden und direkt an die Konkurrenz-Ligen in Eng- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- land, Spanien und Italien gehen, wo private Wettan- NEN]: Ist das abgesprochen?) bieter erlaubt sind. Das steht doch ein bisschen im Widerspruch zu der Aus- Detlef Parr (FDP): sage, dass das allgemein dem Sport zugute kommt. Gerne. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber ich möchte Detlef Parr (FDP): (B) nachher auch eine Zwischenfrage haben!) Das ist die Seite des Profifußballs, die richtig be- (D) schrieben ist. Die Seite des Breitensports, die Seite der Kulturaktivitäten und die Seite anderer Gemeinwohlbe- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: lange habe ich anhand der rückläufigen Zahlen des Lan- Bitte schön, Herr Riegert. des Berlin deutlich gemacht. Sie selber haben auf Oddset hingewiesen. Auch deren Zahlen sinken. Wir in Nord- Klaus Riegert (CDU/CSU): rhein-Westfalen haben zum Beispiel das Problem, dass Lieber Herr Kollege Parr, da ich damit gerechnet wegen sinkender Einnahmen aus den Glücksspielen die habe, dass Sie auf Herrn Beckenbauer verweisen wer- Sportstiftung dort nicht mehr finanziert werden kann und den: Können Sie den Kolleginnen und Kollegen im deshalb durch steuerliche Zuschüsse unterstützt werden Hause erläutern, warum Herr Beckenbauer das Monopol muss. Das ist ein Alarmsignal erster Güte, das auch die- nicht erhalten will? ses Hohe Haus zur Kenntnis nehmen sollte. Ich will nun zu den Ministerpräsidenten kommen. Der Detlef Parr (FDP): gierige Blick der Ministerpräsidenten auf gleichbleibend Herr Kollege Riegert, er will das Monopol nicht er- hohe Einnahmen aus den Zweckerträgen der Lotterie- halten, weil er ein Wettbewerbsfreund ist, steuer geht aus unserer Sicht ins Leere. Verlorene Kun- den des Staatsmonopols werden nicht in den staatlichen (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schoß zurückkehren. Aktuelle Studien weisen nach, dass NEN]: Hat er einen Werbevertrag?) vielmehr der Grau- und der Schwarzmarkt aufblühen wer- den. Der zweite Lösungsweg, den das Bundesverfas- weil er möchte, dass auf dem Sportwettenmarkt – und sungsgericht aufgezeigt hat, ist aus unserer Sicht der ein- nur dort – die freien, privaten Anbieter eine Chance be- zig richtige und die einzige Alternative, die man ergreifen kommen. Damit wäre dem Sport allgemein gedient, sollte, um Rechtssicherheit zu schaffen, Spielsuchtgefah- nicht nur dem Fußball. Sie kennen die Alternativen, die ren angemessen zu begrenzen und sogar zusätzliche Mittel der DFB in einem Papier aufgezeigt hat. Ich mache mei- für die Finanzierung des Sports und anderer Gemeinwohl- nen Mitstreitern im Sportausschuss den Vorwurf, dass belange zu generieren. Konkrete Regulierungsmodelle sie nicht einmal den Versuch gemacht haben, die Alter- liegen vor und warten auf ihre Umsetzung. nativen zum staatlichen Wettmonopol ernsthaft zu prüfen und zu vergleichen, um dann zu vernünftigen Entschei- Deswegen: Hände weg vom Glücksspielvertrag! Be- dungen zu kommen. Das, was die Ministerpräsidenten schränken wir uns auf eine Neuordnung des Sportwet- zurzeit betreiben, ist Harakiripolitik. tenmarktes, wie vom Bundesverfassungsgericht gefor- 12840 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Detlef Parr (A) dert, und stellen wir uns jetzt schon auf ein Scheitern der bei einem Turniersieg gewonnen hätten. Die größten Ge- (C) Länderinitiative und darauf ein, mit einem unverzügli- winne sind laut diesem Bericht mit Live-Wetten erzielt chen Moratorium für den Staatsvertrag und einem Be- worden, also mit Wetten während der Tennisspiele, bei schluss der Ministerpräsidentenkonferenz die Problema- denen man beispielsweise darauf wetten konnte, wer den tik der Sportwetten aus dem Glücksspielrecht der Länder nächsten Satz gewinnt oder ob jemand durch Verletzung herauszunehmen und dem Bund in Form eines Konzes- aufgibt. Dem muss man einen Riegel vorschieben. Was sionsmodells oder einer gewerberechtlichen Lösung zu hier geschehen ist, ist letztendlich auch für mich der übertragen. beste Beweis dafür, dass eine Liberalisierung des Sport- wettenmarktes in Deutschland der falsche Weg ist. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Martin Gerster von der Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es geht nicht SPD-Fraktion. darum, Sportwetten generell zu verbieten. Sportwetten: Ja – aber bitte schön in einem regulierten Markt, weil (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir den Sport vor Betrug schützen müssen. Wir befinden uns hier im Übrigen in Übereinstimmung mit dem orga- Martin Gerster (SPD): nisierten Sport. Erst in der letzten Debatte konnten wir Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich aufzählen, wie viele Sportverbände, Sportvereine, sogar bin, ehrlich gesagt, noch immer erstaunt und schockiert, Sportlerinnen und Sportler sich zu Wort melden und da- mit welch harten Bandagen und mit welcher Beharrlich- rum bitten, dass wir den regulierten Markt erhalten. keit Lobbyisten versuchen, dass der Sportwettenmarkt in (Detlef Parr [FDP]: Welcher Markt, Herr Kol- Deutschland liberalisiert wird. Wir erinnern uns: Ganze lege?) Anzeigenserien wurden in den deutschen Tageszeitun- gen, in den Zeitschriften, ja sogar im Fernsehen und Ra- Herr Parr, Franz Beckenbauer wurde von Ihnen ange- dio geschaltet; wir haben die Plakate in den Straßen ge- sprochen. Auch ich bin dafür, dass die deutschen Vereine sehen; Kongresse und Tagungen wurden und werden mit in der Champions League gut abschneiden und wettbe- dem einen Ziel veranstaltet, den Sportwettenmarkt in werbsfähig sind. Auch mir tut es weh, dass der Deutschland zu liberalisieren. Das zeigt, wie viel Geld VfB Stuttgart so schlecht abgeschnitten hat. Aber in der dahintersteckt, und das zeigt letztendlich auch, wie ge- Abwägung, entweder über private Wetten Millionen für (B) fährlich das Geschäft mit Sportwetten und Glücksspielen die Champions League einzunehmen oder den Schutz (D) insgesamt ist. von Kindern und Jugendlichen vor Spielsucht zu ge- währleisten, ist mir Letzteres bedeutend wichtiger. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Klaus Riegert [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich füge hinzu: Es ist beschämend, dass sich eine Fraktion des Deutschen Bundestages so vor den Karren Das Hauptargument für den regulierten Markt ist von Lobbyisten spannen lässt. eben: Wir müssen diejenigen schützen, die gerne wetten, und zwar vor der Spielsucht, die mit dem Glücksspiel (Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜND- verbunden ist. Das ergibt sich für mich aus Art. 2 des NIS 90/DIE GRÜNEN] – Detlef Parr [FDP]: Grundgesetzes, wonach wir Verantwortung für die Ge- Das Bundeskartellamt, die Europäische Kom- sundheit der Bevölkerung tragen. Spielsucht ist nach- mission!) weislich eine weitverbreitete Krankheit. Mit einer ge- Da werden Veranstaltungen und Tagungen der FDP von setzlichen Regelung für den Glücksspielbereich kommen privaten Wettanbietern unterstützt und bezahlt, wie wir wir der Pflicht nach, unsere Bürger, vor allem unsere es bei der letzten Debatte erfahren haben. Die FDP ist Kinder und Jugendlichen, vor dieser gesundheitlichen sich auch nicht zu schade, hier wieder die Debatte zu Gefahr zu schützen, indem wir klare Regeln setzen. führen, obwohl wir auf einem guten Weg sind und sich (Detlef Parr [FDP]: Reine Heuchelei!) die Bundesländer mitten im Ratifizierungsprozess befin- den. Falsches wird durch Wiedervorlage nicht besser. Übrigens hat im Landtag von Baden-Württemberg gestern die erste Lesung des entsprechenden Gesetzent- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wurfes stattgefunden. Die dortige FDP-Fraktion hat wie Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie wichtig alle anderen Fraktionen signalisiert: Wir werden zustim- dieses Thema ist und wie gut es ist, dass wir uns hier zu- men. – So kräftig sind die Muskeln der FDP in Baden- sammen mit den Ländern auf dem richtigen Weg befin- Württemberg also nicht, wie Sie noch in der letzten De- den. Insider aus dem Tennis behaupten, dass seit Jahren batte angedeutet haben. Wettbetrug in großem Stil betrieben wird. Dabei geht es Herzlichen Dank. nicht nur um einen Spieler, sondern um sehr viele Spiele und sehr viele Spieler und Spielerinnen. Der WDR (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spricht von einem Millionengeschäft, bei dem verdäch- der CDU/CSU und des Abg. Dr. Anton tige Spieler weit mehr Geld eingestrichen haben, als sie Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12841

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rechtlicher Unsicherheit … eines Rechtsstaates nicht (C) Die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch hat jetzt das Wort würdig und für die Betroffenen“ – gemeint ist die Wett- für die Linke. lobby – „schlichtweg unzumutbar ist“. (Beifall bei der LINKEN) Solch einen Satz habe ich noch nie von der FDP ge- hört, wenn es um die zunehmende rechtliche Unsicher- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): heit von Millionen von Beschäftigten geht, die durch Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten prekäre Arbeitsverhältnisse in immer schlimmere Le- Damen und Herren! Das FDP-Präsidium hat im Septem- benslagen gedrängt werden. ber den Bundesrat aufgefordert, eine länderübergreifende (Beifall bei der LINKEN) Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer marktwirtschaftli- chen Neuordnung des Sportwettenrechts einzusetzen. Die Tränen, die Sie für die Wettlobby vergießen, lassen Der Bundesrat ist der Forderung des FDP-Präsidiums of- 99 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land fensichtlich nicht gefolgt. Aber ich kann Sie trösten, kalt, und das zu Recht. liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Der Bun- Wir als Linke sehen im staatlichen Wettmonopol die desrat folgt auch nicht immer den Aufforderungen unse- beste Voraussetzung, um die von Ihnen aufgeschriebe- res Parteivorstandes. nen Kriterien – die wohl allerdings nicht ganz ernst ge- (Detlef Parr [FDP]: Das hätte auch noch ge- meint sind – zu erfüllen. fehlt!) (Detlef Parr [FDP]: Es wäre ja auch ein Wun- So weit sind wir mit dem Linksruck in unserem Land der, wenn das nicht so wäre!) doch noch nicht. Eine Kommerzialisierung macht nur die Wettbüros reich (Beifall bei der LINKEN – Dr. Peter Danckert und treibt die Menschen in die Arme von Zockern, de- [SPD]: Gott sei Dank!) nen das Schicksal der Spielerinnen und Spieler gleich- gültig ist. Der Staatsvertrag wurde von allen Ländern unter- zeichnet. Die FDP, die in drei Bundesländern an der Re- (Detlef Parr [FDP]: Bei Sportwetten? Das gierung beteiligt ist, hat diesem Staatsvertrag in allen müssen Sie mir mal erklären!) drei Ländern zugestimmt. Hier haben Sie also ein Glaub- Ich bin keine Freundin von Glücksspielen, weil ich mehr würdigkeitsproblem, meine Damen und Herren von der Menschen kenne, die durch Glücksspiel unglücklich ge- FDP. Eigentlich müssten Sie Ihren Antrag in Anbetracht worden sind, als Menschen, die dadurch glücklich ge- der Entscheidung Ihrer Parteikollegen in den Ländern (B) worden sind. (D) still und leise zurückziehen. Wir als Linke lehnen den Antrag der FDP ab und ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. hen davon aus, dass die Bundesregierung das Urteil des Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bundesverfassungsgerichts nutzt, um die Wettsucht kon- NEN] – Dr. Peter Danckert [SPD]: Das sequent zu bekämpfen und illegale Wetten weit intensi- stimmt!) ver als bisher zu verfolgen. – Danke schön. Vielen Dank. In Ihrem Antrag fordern Sie, das staatliche Wettmo- nopol zu verscherbeln, weil Ihnen die Wettlobby im Na- (Beifall bei der LINKEN) cken sitzt und das ganz große Geschäft wittert. In Deutschland liegt der Wettspieleinsatz pro Kopf bei Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 33 Dollar, in Großbritannien bei 627 Dollar und in Jetzt hat der Abgeordnete Winfried Hermann für Hongkong sogar bei 1 848 Dollar. Da verstehe ich natür- Bündnis 90/Die Grünen das Wort. lich, dass in den Augen der Lobbyisten die Dollarzei- chen nur so blitzen. In Deutschland kann man einen Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zweistelligen Milliardenbetrag erwirtschaften, wie eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Studie des Kölner Institutes Sport + Markt prognostiziert Kollegen! Lieber Kollege Parr, ein Kompliment will ich hat. Leider steht dem nur noch – so klagen die Wettlob- Ihnen vorab machen: Es ist Ihnen gelungen, dass wir uns byisten – das staatliche Wettmonopol im Wege. Wir sa- hier im Plenum zweimal mit derselben Sache, nur in un- gen: Das ist richtig und gut so. terschiedlichen Varianten der Texte, befassen. Sie haben (Beifall bei der LINKEN) sich selbst nicht ganz ernst genommen, als Sie gesagt ha- ben, wir hätten uns nie ernsthaft damit auseinanderge- Als Wolf im Schafspelz kommt die FDP daher, wenn setzt. Wir hatten hier zwei ernsthafte Debatten, und im sie in ihrem Antrag die Kriterien für die Vergabe von Ausschuss haben wir auch noch einmal ernsthaft disku- Konzessionen streng formuliert, zum Beispiel persönli- tiert und die Argumente abgearbeitet. che Zuverlässigkeit, fachliche Eignung, effektiver Ju- gendschutz usw. (Detlef Parr [FDP]: Ich kenne keine ernsthaf- ten Alternativen!) Bemerkenswert finde ich die Formulierung in einer FDP-Presseerklärung, dass – ich zitiere – „der Zustand Das haben Sie immerhin erreicht. 12842 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Winfried Hermann (A) Aber, Kollege Parr, Folgendes möchte ich Ihnen auch die Zweckabgaben möglichst konstant bleiben? Was ist (C) noch mit auf den Weg geben: Früher hat die FDP für die denn ein klug geregelter Glücksspielmarkt? Handelt es Freiheit der Menschen gekämpft, heute kämpft sie für sich dabei um das Festhalten am Monopol? die Freiheit der Spielwetten. Das ist der qualitative Un- terschied. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Detlef Parr [FDP]: Und das Monopol ist ein Ehrlich gesagt, Herr Kollege Parr, weiß ich nicht, wo- Freiheitsmodell?) raus Sie zitiert haben. Ich vermute, dass Sie irgendeinen Landtagsabgeordneten aus einer Debatte zitiert haben, Man fragt sich allen Ernstes, warum und mit welcher Pe- so wie der Kollege vorher aus Ihrer Fraktion zitiert hat. netranz die FDP gerade bei diesem Thema für die Libe- Wir sollten uns nicht vorhalten, dass es in Fraktionen un- ralisierung kämpft. terschiedliche Meinungen gibt, dass in den Landtagen Sie sagen – das gebe ich Ihnen gern zu –, dass Sie anders diskutiert wurde. nicht eine totale Liberalisierung, sondern eine lizenzierte (Detlef Parr [FDP]: Das muss ich mir doch im- Konzessionsabgabe einführen und den Markt ordnen mer gefallen lassen!) wollen, aber man hat doch, wenn man die Liste der Kri- terien liest, den Eindruck, dass dies nur gemeinnützige Festhalten muss man, was am Schluss herauskommt. Alibi-Kriterien sind. Fakt ist, dass ein Markt geöffnet Am Schluss unserer grünen Debatte kommt heraus: Der werden soll. Kollege Parr, als Mitglied einer Partei der Staatsvertrag ist das richtige Instrument. Aber wir erwar- Marktwirtschaft muss man schon auch einmal darüber ten von den Ländern, dass sie aktiv mehr gegen Spiel- nachdenken, was ein Marktmodell hergibt und wozu es sucht tun. Insofern gebe ich dem Kollegen – wahrschein- taugt. In Bereichen, in denen nicht genügend Produktion lich ist er aus Nordrhein-Westfalen – recht, dass der vorhanden ist und man über den Marktmechanismus und Staatsvertrag allein nicht ausreicht und dass die Landes- die Nachfrage die Produktion stimulieren und damit die regierung in Nordrhein-Westfalen, an der die FDP betei- Versorgung verbessern will, ist der Markt genau das ligt ist, zu wenig gegen Spielsucht tut. Das war wohl der richtige Modell. Aber in einer Situation, in der schon ein Hintergrund der Kritik. Insofern kann ich ihn verstehen. gigantisches Potenzial vorhanden ist und in der man Sorge hat, dass noch mehr Sportwetten angeboten wer- Ich will das Ganze überhaupt nicht kleinreden. Es gab den und Spielsucht erzeugt wird, darf man nicht mit dem auch in unserer Fraktion die Überlegung: Könnte ein Marktmodell argumentieren und darf man auch nicht mit Konzessionsmodell eine Möglichkeit sein? Wir haben einem neuen Konzessionsmodell dafür sorgen, dass noch diskutiert und am Schluss gesagt: Nein, das ist für diesen mehr Spiele und verrückte Wetten stattfinden können. Bereich das falsche Modell. Wir wollen in diesem Be- (B) Da ist allerhöchste Vorsicht angesagt und meines Erach- reich kein Wachstum durch Markt schaffen, wir wollen (D) tens staatliche Verantwortung gefragt. hier eine klare Begrenzung. Wir wollen auch nicht das Argument des Einnahmeausfalls als Vorwand dafür neh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) men, die Schleusen zu öffnen und der Spielsucht, die Ich bin froh, dass nach reichlichen Diskussionen in nach unserer Meinung bekämpft werden muss, sozusa- den Landtagen – die von Ihnen vorgetragene Position hat gen Tür und Tor zu öffnen. natürlich auch in den Landtagen Widerhall gefunden – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und den Landesregierungen alle Bundesländer – auch die, in denen Sie beteiligt sind – schlussendlich gesagt Meine Damen und Herren, ich glaube, in dieser De- haben, dass das ein gefährliches Feld ist und das staatli- batte wird das Richtige gesagt. Es ist ja auch nicht die che Monopol daher gerechtfertigt ist. Aber wir müssen erste Debatte. Aus grüner Sicht ist der Staatsvertrag, so uns an die eigene Nase fassen und zukünftig mehr gegen wie er jetzt zustande gekommen ist, eine gute Sache. Ich Spielsucht tun; wir dürfen nicht nur ein Einnahmeinstru- sage aber deutlich dazu: Der Vertrag ist das eine, die ment schaffen, das lediglich dazu da ist, dem Sport und praktische Anti-Spielsucht-Politik ist das andere. der Kultur Mittel zuzuführen. Ich erwarte von den Lotto-Toto-Gesellschaften, dass sie sich entsprechend verhalten und in ihrer Werbung Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: entsprechend zurückhaltend sind. Ich erwarte übrigens Herr Kollege, der Kollege Parr würde Ihnen gerne auch vom Sport, der jahrzehntelang davon profitiert hat, eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen? dass er dieses Modell und auch diese Politik mitträgt und unterstützt; denn die Einzigen im Sport, die sozusagen Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den anderen Weg gesucht haben und Sie vorgeschickt Der Kollege Parr ist heute sehr nett. – Bitte schön. haben, waren genau die Profiorganisationen – Fußball- liga, Vereine –, die gehofft haben, über die Privatisie- rung neues Geld zu schöpfen. Das sind nicht die armen Detlef Parr (FDP): Breitensportler, sondern die, die sowieso schon viel zu Herr Kollege Hermann, wie beurteilen Sie denn die viel Geld haben und viel zu viel Geld verbraten. Die Äußerung aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollten sich eine zusätzliche Einnahmequelle schaffen. nach der eine konsistente Suchtbekämpfung durch den Wir geben uns dafür nicht her. Die FDP ist dafür offen- Staatsvertrag nicht möglich ist, er abgelehnt wird und bar ein Sprachrohr. – ich zitiere – Rechtssicherheit und ein klug geregelter Glücksspielmarkt die Voraussetzungen dafür sind, dass Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12843

Winfried Hermann (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Glücksspiele, bei Toto und Lotto sowie bei Sport- (C) und bei der LINKEN) wetten, an die öffentliche Hand verteilt. Man ist in NRW auch deshalb so schnell gewesen, weil dieses Land ein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: großes Stück vom Kuchen erhält, nämlich 900 Millio- Jetzt hat der Kollege Dr. Peter Danckert das Wort für nen Euro. Deshalb habe ich großes Verständnis dafür, die SPD-Fraktion. dass sich die FDP und ihr Innenminister Wolf, der für Sport zuständig ist, für diese Regelung ausgesprochen (Beifall bei der SPD) haben. Bayern und Baden-Württemberg, die zusammen mit NRW fast zwei Drittel dieser 4,5 Milliarden Euro er- Dr. Peter Danckert (SPD): halten, sind natürlich auch dafür. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgend- Jetzt nähere ich mich Ihrer Auffassung, Herr Kollege wie – das gestehe ich ganz offen – tut der Kollege Parr Parr. Hier hat sich die Union der Position von Klaus mir leid. Riegert und Dagmar Freitag sowie der AG Sport, des (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Alle ha- Fachausschusses, angeschlossen: Wenn die Länder die cken auf ihm herum!) Initiative ergreifen, dann sollen sie das auch regeln. Das heißt nicht, dass wir sicher sind, dass es zum Erfolg Er versucht, nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- führt; aber die Bundesländer tragen dafür die Verantwor- richts hier eine bestimmte Position deutlich zu machen tung. – für die FDP immer wieder mannhaft –, (Detlef Parr [FDP]: Nur auf der Grundlage (Detlef Parr [FDP]: Da kommen wir uns ja dieses Urteils!) schon näher!) und dann muss er sich von uns auch noch beschimpfen – Ja, ich sage gar nicht, dass wir so weit voneinander lassen. entfernt sind. – Ich glaube, dass die Bundesländer hier eine große Verantwortung zu tragen haben; denn sie ha- (Detlef Parr [FDP]: Das muss ja nicht sein!) ben mit dem neuen Staatsvertrag, der jetzt ratifiziert Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom wird, nicht nur den kleinen Bereich der Sportwetten ge- 28. März 2006 hat in der Tat zwei Wege aufgewiesen: regelt, sondern zugleich – das ist ein wenig untergegan- eine Regelung durch einen Staatsvertrag, für den die gen – die Bereiche Toto und Lotto. 16 Bundesländer zuständig sind, zu treffen oder – das Nun sind die Geschütze schon an allen Ecken und En- war ein Novum in dieser Entscheidung – eine neue Bun- den aufgestellt. Die Rechtsprechung in diesem Bereich (B) deskompetenz zu nutzen, die dann beim Bundeswirt- war schon bisher sehr uneinheitlich. Gerade hat der Hes- (D) schaftsminister angesiedelt ist, und damit eine konzes- sische Verwaltungsgerichtshof zugelassen, dass Bet and sionierte und liberalisierte Regelung zu ermöglichen. Win im Internet Wetten anbietet; der Bayerische Verwal- Das sind die beiden Wege. Die Länder haben sich dafür tungsgerichtshof hat auch so entschieden. Es gibt ganz entschieden, lieber Kollege Parr, das Staatsmonopol zu unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen. Die Lage regeln. Sie haben sich sehr viel Zeit dafür gelassen. Das ist also unübersichtlich. Hinzu kommt die Position der Urteil ist vom 28. März 2006, und noch ist der Staatsver- EU-Kommission, die immer wieder Hinweise gegeben trag nicht ratifiziert; er wird ratifiziert werden. hat. Dieser Fall ist deshalb interessant, sicherlich auch für die Öffentlichkeit, weil er zeigt, wie Politik läuft. Sie Wir befinden uns hier in einer problematischen Situa- setzen sich hier vehement für eine Liberalisierung des tion. Die Länder wollen mit dem Staatsvertrag die Sportwettenmarkts ein, und die FDP in den Bundeslän- Suchtgefahr bekämpfen. Das Glücksspiel, bei dem die dern – das ist hier schon mehrfach angeklungen – macht Suchtgefahr nachweislich am größten ist, nämlich bei genau das Gegenteil: den Einarmigen Banditen – dadurch kommt unheimlich viel Geld in die Kasse –, ist staatlich erlaubt. Das ist ein (Detlef Parr [FDP]: Ich könnte jetzt die SPD in ziemlicher Widerspruch. NRW anführen!) (Detlef Parr [FDP]: So ist es!) In den Ländern, in denen sie Regierungsverantwortung mitträgt, setzt sie sich für das Staatsmonopol ein. Nun wird möglicherweise Folgendes passieren – es ist eine Gefahr, die ich sehe –: Durch eine Entscheidung (Detlef Parr [FDP]: Die SPD in Nordrhein- der EU, des Europäischen Gerichtshofs, könnte dieser Westfalen argumentiert genau umgekehrt! Je- Staatsvertrag sozusagen außer Kraft gesetzt werden. der soll vor seiner eigenen Tür kehren!) Dann befänden wir uns in der unangenehmen Situation Das ist eine schizophrene Situation. – darauf haben Sie noch nicht aufmerksam gemacht –, dass nicht nur das Monopol für Sportwetten einkassiert Lieber Kollege Parr, sie tun mir wirklich leid – ich wird, sondern in gleicher Weise das Monopol von Toto meine das ganz ernst –, weil Sie hier sozusagen als ein- und Lotto. Dann würde das Geld fehlen, das wir drin- samer Rufer für die Bundes-FDP auftreten und in den gend für unseren Sport brauchen. Uns fehlten dann Ländern genau das Gegenteil passiert. Die Position der 500 Millionen Euro für den Breitensport. Länder ist ganz verständlich. Es geht dabei um sehr viel Geld: 4,5 Milliarden Euro pro Jahr werden im Bereich (Detlef Parr [FDP]: Das ist selbstverschuldet!) 12844 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Peter Danckert (A) Insofern hoffe ich, dass die Länder dies gut bedacht ha- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) ben und, wenn das alles den Bach runtergeht, bereit sein ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) werden, die fehlenden Einnahmen aus Toto und Lotto, die der Breitensport dringend braucht, zu ersetzen. Da – Drucksache 16/6983 – bin ich allerdings sehr gespannt auf die Reaktionen. Berichterstattung: (Detlef Parr [FDP]: Sehr richtig!) Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk Wir befinden uns hier in einer schwierigen Lage. Wir – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) haben uns dafür entschieden, dass die Länder, die die gemäß § 96 der Geschäftsordnung Verantwortung tragen wollen, sie auch übernehmen. Wir – Drucksache 16/6989 – haben keinen Gebrauch von der Bundeskompetenz ge- macht. Wir werden sehen, wie sich die Dinge in den Berichterstattung: nächsten Wochen und Monaten entwickeln. Abgeordnete Steffen Kampeter Waltraud Lehn Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dr. Claudia Winterstein Herr Kollege! Dr. Gesine Lötzsch Anja Hajduk Dr. Peter Danckert (SPD): b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Die FDP, die das Ganze in den Ländern hätte verhin- richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales dern können, hat das nicht getan. Das ist die Wahrheit, (11. Ausschuss) Herr Kollege Parr. Insofern sind Sie in einer wenig be- neidenswerten Situation. Ich kann Ihnen aber bestätigen: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich Sie haben das hier immer wieder mannhaft ausgehalten. L. Kolb, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), weiterer Abgeordneter und der Vielen Dank. Fraktion der FDP (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgabenfreie Entgeltumwandlung über der CDU/CSU) 2008 hinaus fortführen und ausbauen

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: – zu dem Antrag der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Ich hätte Ihnen fast bestätigt, dass Sie die Redezeit Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der weit überzogen haben. (B) Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Ich schließe hiermit die Aussprache. Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Sportaus- prüfen, dann entscheiden schusses auf Drucksache 16/6838. Der Ausschuss emp- fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ableh- – Drucksachen 16/6433, 16/6606, 16/6983 – nung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache Berichterstattung: 16/1674 mit dem Titel „Recht der Sportwetten neu ord- Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk nen und Finanzierung des Sports sowie anderer Gemein- wohlbelange sichern“. Wer stimmt für diese Beschluss- ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- empfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen gegen (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten die Stimmen der Fraktion der FDP bei Zustimmung des Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Christian übrigen Hauses. Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Vermittlungsgutscheine der Bundesagentur der FDP auf Drucksache 16/3506 mit dem Titel „Libera- für Arbeit marktgerecht ausgestalten – private lisierung des Sportwettenmarkts in Deutschland einlei- Arbeitsvermittlung stärken ten und europakonformes Konzessionsmodell vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- – Drucksachen 16/1675, 16/6987 – genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung Berichterstattung: ist mit dem gleichen Ergebnis wie vorher angenommen. Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a und b so- Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur För- wie Zusatzpunkt 8 auf: derung der betrieblichen Altersversorgung liegt ein Ent- 13 a) –Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes vor. zur Förderung der betrieblichen Altersversor- gung Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, darüber eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu sehe ich keinen – Drucksache 16/6539 – Widerspruch. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12845

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Dann eröffne ich hiermit die Aussprache und gebe das hätten Sie das Gesetz überhaupt nicht beschließen dür- (C) Wort der Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD- fen. Fraktion. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Eben!) (Beifall bei der SPD) Ansonsten hätten Sie sieben Jahre billigend in Kauf ge- nommen, dass die Förderung der betrieblichen Alters- Gabriele Hiller-Ohm (SPD): vorsorge die gesetzlichen Sozialkassen Geld kostet. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Sachverständigenanhö- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Auf sie mit Ge- rung am Montag hat klar bestätigt: Wir sind bei der För- brüll!) derung der Betriebsrente auf dem richtigen Weg. Warum – so frage ich Sie – haben Sie nicht schon 2001 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine Prüfung der CDU/CSU – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: der Verteilungswirkungen beantragt? Warum, liebe Kol- Mit Umwegen und vielen Anläufen!) leginnen von den Grünen, kommen Sie erst jetzt mit die- ser Forderung in Ihrem Antrag? Beinahe einmütig wurde begrüßt, dass die Große Koali- tion die betriebliche Altersvorsorge durch die unbefris- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, das verstehe tete Sozialabgabenfreiheit bei der Entgeltumwandlung ich auch nicht! – Anton Schaaf [SPD]: So et- weiter fördern und ihren Verbreitungsgrad in Deutsch- was Unnötiges!) land voranbringen will. Beschäftigte können nun auch Es ist Ihr gutes Recht, sich von unserer gemeinsamen nach 2008 einen Teil ihres Bruttoentgelts steuer- und so- Regierungsvergangenheit zu verabschieden. Aber glaub- zialabgabenfrei im Rahmen der betrieblichen Altersvor- würdig sollte man dabei schon bleiben. Glaubwürdig- sorge ansparen. Ohne den vorliegenden Gesetzentwurf keit, liebe Kolleginnen von den Grünen, sehe ich bei Ih- wäre diese attraktive Möglichkeit Ende 2008 ausgelau- nen nicht. Im Gegenteil: Das, was Sie hier vorlegen, ist fen. Ich freue mich, dass auch die FDP ihre Zustimmung eine politische Kehrtwende ersten Ranges. geben will (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir haben ja seit bei Abgeordneten der FDP) Jahren darauf gedrängt!) Wie sieht es aber tatsächlich mit den Verteilungswir- und wir somit im Bundestag eine breite Basis für den kungen durch den Ausfall der Sozialabgaben aus? Zah- Gesetzentwurf haben. len Rentnerinnen und Rentner, die nicht privat oder über (B) (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Obwohl ihren Betrieb vorgesorgt haben, die Zeche? Genau das (D) das verdächtig ist!) behaupten ja die Grünen und die Linksfraktion. In der Anhörung ist sehr deutlich geworden – auch die Bundes- Die Linksfraktion und die Grünen wollen sich aller- regierung hat dies in ihrem Bericht in der letzten Aus- dings verweigern. schusssitzung bestätigt –: Die Ausfälle bei den gesetzli- (Zurufe von der LINKEN: Oh!) chen Sozialkassen sind vertretbar. Dies bestätigt übrigens auch die hauptsächlich betroffene Organisation, Sie kritisieren, dass die Abgabenfreiheit nicht vertret- nämlich die gesetzliche Rentenversicherung. Sie sagt, bare Ausfälle in den gesetzlichen Sozialkassen zur Folge die Beibehaltung der Sozialabgabenfreiheit werde einen habe. Das, was die Opposition jetzt an Argumenten vor- vermutlich nicht übermäßig großen Effekt auf die ge- bringt, sind keineswegs neue Problemstellungen. Schon setzliche Rentenversicherung haben. 2001, als wir gemeinsam mit den Grünen die abgaben- freie Entgeltumwandlung auf den Weg gebracht haben, Wer übrigens genaue Berechnungen fordert, wie die war klar, dass es zu Ausfällen in den gesetzlichen Sozial- Grünen jetzt in ihrem Antrag, kann lange warten; denn versicherungen kommen wird. solche Berechnungen sind überhaupt nicht möglich. Man kann immer nur schätzen und spekulieren, Da drängt sich doch eine Frage geradezu auf: Warum, liebe Kolleginnen von den Grünen – Kollegen sind ja (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ nicht mehr anwesend –, haben Sie die Abgabenfreiheit DIE GRÜNEN]: Im Spekulieren sind Sie sehr überhaupt mit uns beschlossen, groß!) (Anton Schaaf [SPD]: Wissen die gar nicht da niemand weiß, wie sich die Menschen verhalten, mehr!) wenn die Abgabenfreiheit wegfällt und die Entgeltum- wandlung sich entsprechend verteuert. Die Praktiker vor wenn Sie so große Zweifel an ihrer Richtigkeit haben? Ort, also die Betriebsräte, die Gewerkschaften, aber auch Ziehen Sie sich jetzt bitte nicht auf die Befristung des Arbeitgeberverbände und Wissenschaftler, gehen davon Gesetzes bis 2008 zurück; denn das ist total unglaubwür- aus, dass es logischerweise zu Ausweichreaktionen dig. kommen würde. Verträge könnten gekündigt und das Geld in dann attraktivere Anlagemöglichkeiten gesteckt (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie werden. Abgesehen davon, dass bei Wegfall der Bei- bei Abgeordneten der FDP) tragsfreiheit Millionen Verträge mit großem bürokrati- Wären Sie schon 2001 so überzeugt von den von Ihnen schem Aufwand umgeschrieben und Tarifverträge neu heute kritisierten negativen Auswirkungen gewesen, so ausgehandelt werden müssten, ist es also mehr als frag- 12846 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Gabriele Hiller-Ohm (A) lich, ob unter dem Strich wirklich ein dickes Plus für die (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: (C) gesetzlichen Sozialkassen stünde. Ich denke, Sie kennen keine Zahlen!) Wir haben das Für und Wider schon bei Einführung Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine unglaubli- der abgabenfreien Entgeltumwandlung sehr genau abge- che Erfolgsgeschichte, die wir auf jeden Fall fortsetzen. wogen. Für uns steht heute fest: Die Förderung der be- trieblichen Altersvorsorge ist der richtige Weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mit dem heutigen Gesetzentwurf fördern wir nicht der CDU/CSU und des Abg. Dr. Heinrich L. nur die Betriebsrente, wir stärken auch die staatlich ge- Kolb [FDP]) förderte private Altersvorsorge, die Riesterrente. Auch dies ist die konsequente Fortführung erfolgreicher so- Noch ein Wort zu den Kolleginnen und Kollegen von zialdemokratischer Politik. der Linksfraktion: Auch Sie wettern gegen die Abgaben- freiheit. Das ist schon bemerkenswert. Seit 2002 haben sich rund 9,7 Millionen Menschen entschlossen, mithilfe staatlicher Förderung privat vor- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE zusorgen. Mit der heutigen Gesetzesänderung werden LINKE]: Finde ich auch!) wir die 10-Millionen-Grenze locker knacken; denn wir machen die Riesterrente noch attraktiver. Für alle ab Die Gewerkschaften wollen das Gesetz. Sie lehnen es ab 2008 geborenen Kinder erhöhen wir die jährliche Zulage und distanzieren sich dadurch deutlich von den Arbeit- von 185 Euro auf 300 Euro. nehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD) Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir sind Ich fasse zusammen: Die große Koalition gibt den ja nicht die Gewerkschaften!) vielen Millionen Menschen, die in Deutschland betrieb- Dabei lassen Sie doch sonst keine Gelegenheit aus, sich liche Altersvorsorge betreiben, Planungssicherheit. Wir als die einzigen und wahren Verfechter gewerkschaftli- ermuntern Arbeitgeber und Beschäftigte, weiterhin die cher Interessen im Bundestag zu präsentieren. tariflich fixierte Altersvorsorge zu nutzen. Wir stärken die Riesterrente und verlängern darüber hinaus die Rege- Meine Damen und Herren, die Gewerkschaftsvertre- lung zum Vermittlungsgutschein. ter und Betriebsräte haben es in der Anhörung auf den Punkt gebracht: Die abgabenfreie Entgeltumwandlung Wir verabschieden heute ein Maßnahmenpaket, das hilft insbesondere Klein- und Mittelverdienern, Lücken gut ist für die Beschäftigten in Deutschland. Deshalb: (B) in der gesetzlichen Rente zu schließen. Stimmen Sie zu! (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP] – Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Da Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kommen einem die Tränen!) Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für – Die sollten Ihnen bei Ihrem Abstimmungsverhalten die FDP-Fraktion. auch kommen. – Diese Menschen haben nämlich nichts von der Steuerbefreiung; sie zahlen ja keine oder nur in Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): sehr geringem Maße Steuern. Sie profitieren deshalb Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ganz besonders von der Sozialabgabenfreiheit. Das Der vorliegende Gesetzentwurf zur Fortführung der ab- bringt ihnen Pi mal Daumen 20 Prozent. gabenfreien Entgeltumwandlung, zur Erhöhung des Kin- derzuschlages bei der Riesterrente und zur Neuregelung Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak- bei der Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine für tion, um es deutlich zu sagen: Sie stellen sich heute ge- private Arbeitsvermittler entspricht Forderungen, die die gen die Interessen von rund 9 Millionen Arbeitnehme- FDP schon lange vertritt, zeitweilig als einzige Fraktion rinnen und Arbeitnehmern, die tarifvertraglich geregelt in diesem Hause. für das Alter vorsorgen. (Beifall bei der FDP) (Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sa- gen hier die Richtigen!) Frau Hiller-Ohm, als Sie die Grünen für ihr Unterlas- Wir hingegen stehen an der Seite dieser Menschen sen in der Vergangenheit beschimpft haben, kam mir und geben ihnen die Planungssicherheit, die sie für ihre Folgendes in den Sinn: Noch im März dieses Jahres hat Altersvorsorge brauchen. es der zuständige Minister abgelehnt, die abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus zu verlängern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Jetzt haben Sie sich hier hingestellt und so getan, als ob der CDU/CSU) die Verlängerung immer eine klare Sache gewesen wäre. Ich halte fest: Nur die FDP hat die Bedeutung dieses In- Ich will noch einmal darauf hinweisen: Über struments immer erkannt und seit Jahren eine Verlänge- 65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftig- rung über 2008 hinaus gefordert. ten haben in Deutschland inzwischen Anwartschaften auf eine betriebliche Altersvorsorge. (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12847

Dr. Heinrich L. Kolb (A) Allerdings könnte der Gesetzentwurf in einigen Punk- hörung von einigen Sachverständigen als zukunftswei- (C) ten weitergehend sein. Sie haben aber die Möglichkeit, send bezeichnet worden. Die Große Koalition war noch insbesondere was die Vermittlungsgutscheine anbe- nicht so weit. Aber ich sage Ihnen voraus: Früher oder langt, durch Zustimmung zu den vorliegenden FDP-An- später werden auch Sie auf diesen Weg einschwenken. trägen sozusagen in letzter Minute Verbesserungen mit auf den Weg zu bringen. Wir begrüßen die Erhöhung der Riester-Förderung für Kinder. Die Ausgestaltung der Vermittlungsgutscheine Auf die abgabenfreie Entgeltumwandlung will ich hätten wir uns im Sinne eines Wegfalls der Deckelung jetzt nicht näher eingehen. Die Anhörung hat gezeigt, besser vorgestellt, weil wir wissen, dass gerade jetzt, wo dass die Fortführung der Abgabenfreiheit sinnvoll und wir an den Kern verhärteter Arbeitslosigkeit herangehen, notwendig ist, wenn man dieses Instrument auch in Zu- Vermittler sehr viel mehr Aufwand betreiben müssen, kunft haben will. Ich glaube, dass wir diese Form der zu- um neue Arbeitsverhältnisse zu begründen. Da macht es sätzlichen Altersvorsorge brauchen, weil sie in Zukunft keinen Sinn, eine – wenn auch leicht erhöhte – Decke- wesentlich dazu beitragen wird, den Lebensstandard der lung bei den Vermittlungsgutscheinen beizubehalten. Ruheständler zu sichern. Das ist angesichts erkennbarer Hier muss angesichts des jeweiligen individuellen Sach- Versorgungslücken sehr wichtig. verhalts auch eine höhere Dotierung möglich sein. Der Bericht „Situation und Entwicklung der betriebli- Im Ergebnis werden wir dem Gesetzentwurf zustim- chen Altersvorsorge in Privatwirtschaft und öffentli- men, auch wenn er hinter dem Bestmöglichen zurück- chem Dienst 2001 bis 2006“ unterstreicht meine Aus- bleibt. sage. Man muss berücksichtigen, dass ein Auslaufen der Abgabenfreiheit und die damit einhergehende doppelte (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE Beitragspflicht zur Krankenversicherung in der Einzah- GRÜNEN]: Auch wenn er schlecht ist!) lungs- und Auszahlungsphase die Entgeltumwandlung Aber, wie gesagt, durch Zustimmung zu den vorgelegten für die Versicherten völlig unattraktiv machen würde Anträgen der FDP-Bundestagsfraktion können Sie das und vor allen Dingen eine Schlechterstellung gegenüber mangelhafte Paket der Großen Koalition etwas aufwer- privaten Vorsorgemöglichkeiten bedeuten würde. Das ten. war schon immer vollkommen klar. Ich kann nicht ver- stehen – das möchte ich noch einmal sagen –, dass einige Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. in diesem Hause zwischenzeitlich daran gezweifelt ha- ben. (Beifall bei der FDP)

Das Instrument der Abgabenfreiheit kann man nicht Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) einfach durch eine steuerliche Förderung ersetzen, weil (D) Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die gerade Geringverdiener von der Beitragsfreiheit profitie- CDU/CSU-Fraktion. ren, nicht aber von Steuererleichterungen. Deswegen ist dieses Instrument wichtig. (Beifall bei der CDU/CSU) Kritisch wurde angemerkt, dass finanzielle Auswir- kungen der Abgabenfreiheit auf die Rentenversicherung Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): zu verzeichnen wären. Das ist eine Abwägungsentschei- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- dung. Für die Fortführung spricht, dass bei Auslaufen gen! Das System der Alterssicherung in Deutschland der Abgabenfreiheit Ausweichreaktionen zu erwarten wird heute ein gutes Stück zukunftsfester gemacht. Die wären. Wenn zum Beispiel ein Arbeitgeber eine rein ar- Große Koalition löst damit zentrale Zusagen aus ihrem beitgeberfinanzierte Betriebsrente anbieten würde, wür- Regierungsprogramm ein. Sicherheit für das Alter zu den auch keine Sozialabgaben gezahlt werden. Die Auf- schaffen, das ist ein Markenzeichen dieser Großen Ko- hebung der Abgabenfreiheit würde nur zu einer alition, auf das wir stolz sein können. marginalen Anhebung des Rentenwertes führen. Durch Veränderungen des Rentenniveaus wird am Ende nur (Beifall bei der CDU/CSU) derjenige benachteiligt sein, der es jetzt versäumt, eine Das System der Alterssicherung in der Zukunft ruht entsprechende Vorsorge im Wege der Entgeltumwand- auf drei Säulen: lung auf den Weg zu bringen. Alle anderen profitieren. Das gesetzliche Rentenniveau wird zwar niedriger sein. Die erste Säule ist die gesetzliche Rentenversiche- Sie stocken ihre Rente aber auf und gleichen im Wege rung, die wieder sicher finanziert wird. Das ist eine der zusätzlichen Altersvorsorge durch die Entgeltum- wichtige Botschaft an die Rentnerinnen und Rentner in wandlung mehr als aus. unserem Land. Wir werden in diesem Jahr voraussicht- lich wieder eine Rücklage aufbauen, die nach dem Er- Ich habe für die FDP auch im Ausschuss schon deut- gebnis des Schätzerkreises von vergangener Woche zum lich gemacht, dass wir uns wünschen, Gewinnbeteiligun- Jahresende auf 0,72 Monatsausgaben ansteigen wird. gen künftig stärker als bisher für die Altersvorsorge und für Entgeltumwandlungen heranzuziehen, und zwar ge- Die zweite Säule ist die private kapitalgedeckte Al- rade deswegen, weil Gewinnbeteiligungen unregelmäßi- tersvorsorge in Form der Riesterrente, die wir noch at- ges Einkommen sind. Sie sind – anders als das laufende traktiver machen, indem die Förderung des Staates für Einkommen – nicht verplant und bieten echten Spiel- jedes ab Januar 2008 geborene Kind auf 300 Euro jähr- raum für zusätzliche Altersvorsorge. Das ist in der An- lich erhöht wird. 12848 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Die dritte Säule ist die betriebliche Altersvorsorge, die mittlerweile, übrigens mit Ihrer Zustimmung, Frau (C) der wir durch die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit der Schewe-Gerigk, erfolgten Veränderungen bei den Kran- Entgeltumwandlung nochmals deutlichen Auftrieb ge- ken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Rentnerinnen ben. und Rentner hätten in Zukunft zu einer Doppelverbeitra- gung geführt Die Umstellung der Altervorsorge in Deutschland auf ein Drei-Säulen-System erforderte bei vielen zunächst (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ ein Umdenken und viel Überzeugungsarbeit. Aber wir DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Quatsch!) können heute feststellen, dass die Arbeitnehmerinnen und damit die Entgeltumwandlung als eine Form der Al- und Arbeitnehmer in unserem Land verstanden haben, tersvorsorge für die Betreffenden finanziell völlig unin- um was es geht, und dass sie entsprechend handeln. teressant gemacht. Heute kam die Nachricht: Im dritten Quartal 2007 gibt es jetzt über 9,7 Millionen abgeschlossene Riester-Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – träge. Die Tendenz ist weiter steigend, sodass wir dieses Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE Jahr auf jeden Fall noch die 10-Millionen-Marke errei- GRÜNEN]: Das ist bei der gesetzlichen Rente chen werden. auch so!) Für Familien mit Kindern machen wir das Riester- Die Warnungen aus der betrieblichen Praxis dazu sind Sparen noch attraktiver, weil es künftig 300 Euro Förde- eindeutig, und daran ist nichts herumzudeuteln: „Kommt rung pro Kind gibt. Künftig kann eine vierköpfige Fami- jetzt die Doppelverbeitragung, hat diese Entgeltum- lie bei einem Mindestbeitrag von 2 100 Euro insgesamt wandlung keine Perspektive mehr“, erklärte zum Bei- 908 Euro jährlich an staatlicher Förderung erhalten. spiel Herr Scheurer von der BASF. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da haben Sie ja die richtigen Ich finde, eine solche beachtliche staatliche Förderung zur Anhörung eingeladen! BASF!) ist ein Wort. Eigentlich sollte keine Familie in Deutsch- Gleiches hörten wir von Personalchefs anderer großer land darauf verzichten, dieses Geld bei unserem Finanz- Unternehmen. minister abzuholen. Deshalb handeln wir als Große Koalition heute, in- Die betriebliche Altersvorsorge hat in den letzten Jah- dem wir die Sozialabgabenfreiheit der Entgeltumwand- ren ebenfalls einen deutlichen Aufschwung genommen. lung unbefristet beschließen, damit möglichst bald noch Im Jahr 2002 haben nur 38 Prozent der Arbeitnehmerin- mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch- (B) nen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft in Deutsch- land einen zusätzlichen Betriebsrentenanspruch erwer- (D) land in einem System betrieblicher Altersversorgung vor- ben können. gesorgt. 2004 waren es bereits 46 Prozent. Mittlerweile sind es über 50 Prozent. Rechnet man die Zusatzversor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gungssysteme im öffentlichen Dienst hinzu, so haben Mit dem Gesetz zur Förderung der betrieblichen Al- heute über 65 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Ar- tersversorgung, das wir heute beschließen, wird die beitnehmer in Deutschland eine Betriebsrentenanwart- zweite und dritte Säule der Altersvorsorge massiv ge- schaft. Dieser Anstieg beruht zum Großteil auf der Teil- stärkt. Der Staat unterstützt mit zusätzlichen Leistungen nahme an der Bruttoentgeltumwandlung. die Leistungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- Diese Entgeltumwandlung ist gerade für Bezieher mer wie der Betriebe. niedriger Einkommen interessant, wie uns zum Beispiel Vor einigen Monaten hat die OECD diesem neuen die Experten bei der Anhörung am Montag dieser Woche Mix der deutschen Altersvorsorge in einem Gutachten bestätigt haben: „Gerade Bezieher kleinerer und mittle- ein hohes Lob gezollt: rer Einkommen haben aufgrund der Beitragsfreiheit den höheren Nutzen, die höhere Rendite aus der beitrags- Deutschland hat in den vergangenen Jahren im Ver- freien Entgeltumwandlung.“ Dies erklärte zum Beispiel gleich zu den meisten OECD-Ländern umfassende Gert Nachtigal von der BDA. Und Klaus Stiefermann Strukturreformen im Rentensystem beschlossen von der Arbeitsgemeinschaft betrieblicher Altersvor- und so wichtige Fortschritte auf dem Weg zur sorge erklärte, „dass in weiten Teilen auch die Bezieher Nachhaltigkeit des Systems gemacht. niedriger Einkommen erreicht worden seien“. Zusätzlich hat die Gutachterin erklärt, viele andere Län- Die 2002 eingeführte Sozialabgabenfreiheit der Ent- der Europas sollten sich ein Beispiel an dem deutschen geltumwandlung war zunächst sozusagen ein Sonderan- Reformwerk in der Altersversorgung nehmen. Dann gebot zur Steigerung der betrieblichen Altersvorsorge würden auch sie für ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeit- und bis zum Jahr 2008 begrenzt. Aber – Frau Schewe- nehmer ein zukunftsfesteres System schaffen. Gerigk sollte jetzt zuhören, weil sie immer wieder fragt, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) warum wir davon abgehen, dass 2008 Schluss ist – Nun, es gibt diesen schönen Spruch: Lob ist die ver- (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ stärkte Form der Bitte. – Dem kommen wir heute als Ge- DIE GRÜNEN]: Ja, das würde ich gerne wis- setzgeber nach, indem wir zwei weitere gute Entschei- sen!) dungen oben draufsetzen und die zweite und dritte Säule Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12849

Peter Weiß (Emmendingen) (A) unseres Altersversorgungssystems zusätzlich stärken und eine dritte Säule, die betriebliche Vorsorge, geschaf- (C) und unterstützen. fen und erklärt, dies sei alternativlos. Des Weiteren regeln wir in diesem Gesetz die Ver- Nur am Rande sei erwähnt: Vor kurzem hat die Große mittlungsgutscheine neu; es ist schon darauf hingewie- Koalition im Zusammenhang mit einem Antrag zum Al- sen worden, was das bedeutet. Darüber hinaus regeln wir terssicherungsbericht selbst eingeräumt, dass auch unter für eine Übergangszeit erneut das Saisonkurzarbeiter- Ausnutzung dieser Möglichkeiten vielen Menschen Al- geld für die Gerüstbauer. tersarmut droht. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist für je- Die Linke sieht die Privatisierung der Altersrisiken den von uns ein bisschen belämmernd, wie oft uns Bür- als alles andere als alternativlos an. gerinnen und Bürger fragen: Sagen Sie einmal, ist unsere (Beifall bei der LINKEN) Altersversorgung eigentlich wirklich noch sicher? Was die Privatisierung der Altersvorsorge betrifft, wird (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vorsicht! Damit Ihre Begeisterung wahrscheinlich vor allen Dingen von hat sich Blüm schon einmal verkalkuliert!) Versicherungsunternehmen geteilt. Weil Sie die Be- Ich will, insbesondere wenn Herr Dr. Kolb dazwischen- triebsrenten so schnell auf das Gleis bringen wollten, ha- ruft, dazu keine neuen Sprüche erfinden. Aber ich ben Sie eine Anschubfinanzierung beschlossen. Was das möchte zusammenfassend betonen: Unsere gesetzliche betrifft, finde ich jeden Angriff gegen die Grünen völlig Rentenversicherung schreibt wieder Plus und bildet daneben. Denn es ist üblich, so vorzugehen, wenn man Rücklagen. In der zweiten und dritten Säule machen wir will, dass sich etwas schneller entwickelt. Das war ja den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in unserem auch erfolgreich. Land ein wirklich attraktives Angebot an staatlichen Herr Kolb hat darauf hingewiesen, dass Franz Förderungen, und zwar zusätzlich zu dem, was sie aus Müntefering noch im März dieses Jahres erklärt hat: Das ihrem eigenen Geldbeutel erbringen. Daran wird deut- Ziel ist erreicht, und die Förderung kann, wie vorgese- lich, dass wir es damit ernst meinen, die Altersvorsorge hen, zum 31. Dezember 2008 auslaufen. – Was sich zwi- auf sichere Beine zu stellen. schen März und Juni dieses Jahres geändert hat und zur Ich kann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Folge hatte, dass auch der Minister seine Meinung än- unserem Land nur auffordern: Nutzen Sie die Chance, dert, ist sein großes Geheimnis. die Ihnen der Staat mit dem neuen Gesetz zur Förderung (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der betrieblichen Altersversorgung gibt. Dann können Sie sicher sein, dass Sie im Alter etwas auf der Seite ha- NEN]: Die Lobbyisten waren es! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vom Saulus zum (B) ben, von dem sich anständig leben lässt. (D) Paulus!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh! Anständig soll es sein! Das wäre ja schön!) – Möglicherweise. Deswegen bitte ich um Ihre Zustimmung zu unserem Diese Regelung beinhaltet eine Reihe von Risiken, Gesetzentwurf. die auch hier ganz kurz angesprochen worden sind – al- lerdings geht man immer schnell darüber hinweg –: Vielen Dank. Erstens. Es entstehen neue Versorgungslücken. Denn (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der jeder Betriebsrentner zahlt niedrigere Beiträge in die ge- FDP) setzliche Rentenversicherung. Ob dies durch die höheren Betriebsrenten wieder ausgeglichen wird, ist überhaupt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht gewährleistet. Seriöse Berechnungen der Deut- Zu uns spricht jetzt für die Linke der Kollege Volker schen Rentenversicherung Bund besagen: Schneider. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Na ja! Vorsicht! (Beifall bei der LINKEN) Die haben auch ein eigenes Interesse!) Wenn ein Mann über 40 und wenn eine Frau über 30 ein- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): tritt, dann ist das Ganze ein Minusgeschäft. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zweitens. Diese sogenannte Reform hat auf jeden Fall Kurz nach seiner Verabschiedung als Arbeitsminister er- niedrigere Rentenanpassungen zur Folge. Denn durch klärte Walter Riester im Rückblick auf die Rentenreform die Beitragsbefreiung wird die Höhe der sozialversiche- 2001: rungspflichtigen Löhne gemindert. Das wirkt sich übri- Jede Rentnerin und jeder Rentner wird jetzt und in gens selbst auf die Sozialhilfe aus. Ich frage mich, warum Zukunft mehr Rente erhalten als nach altem Recht. die Sozialhilfeempfänger diese Reform mitfinanzieren müssen. Ich glaube, über diesen Satz können weder die heutigen noch die zukünftigen Rentner lachen. Denn das, was hier Drittens. Die Beitragsbefreiung nutzt natürlich nur als Reform bezeichnet wurde, hatte zunächst vor allem denen, die Betriebsrentenverträge abgeschlossen haben. eine Folge: eine Senkung des Sicherungsniveaus in der Die Belastungen tragen aber alle, auch diejenigen, die gesetzlichen Rentenversicherung. Weil das so ist, hat gar keine Betriebsrentenverträge abschließen können, man ergänzend eine zweite Säule, die private Vorsorge, sei es aus gesetzlichen Gründen – hier denke ich an 12850 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Volker Schneider (Saarbrücken) (A) Selbstständige und Arbeitslose –, sei es, weil sie dafür das nachgelesen haben wollen. Wissen Sie, wer eine (C) schlicht kein Geld haben. Kehrtwende gemacht hat? Das ist Arbeitsminister Müntefering, der bis Mitte des Jahres gesagt hat: Natür- Viertens. Die Beitragsbefreiung führt zu Beitragsaus- lich geht das nicht. – Wir haben als Anschubfinanzie- fällen in allen Sozialversicherungszweigen. Ob es sich rung die Entgeltumwandlung sozialabgabenfrei ge- um 2 Milliarden Euro in allen Zweigen der Sozialversi- macht. cherung insgesamt oder um 2 Milliarden Euro allein in der Rentenversicherung handelt, spielt eigentlich keine (Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Wenn das Rolle. Diese Beitragsausfälle müssen ausgeglichen wer- Quatsch war, warum haben Sie das dann ge- den, sei es durch Beitragserhöhungen oder durch Leis- macht?) tungsminderungen. – Da waren Sie noch nicht dabei; das hätten Sie ihm ein- In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das mal sagen sollen! – Als Anschubfinanzierung hat das Bundesarbeitsministerium und das Bundesfinanzminis- funktioniert; deshalb muss das jetzt, da die Betriebsren- terium noch Ende des Jahres 2006 die Auffassung ver- ten angezogen sind, beendet werden. treten, dass nicht nur die Beitragsausfälle in der Sozial- versicherung Probleme aufwerfen, sondern dass die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Beitragsfreiheit innerhalb des Systems der gesetzlichen Frau Kollegin, möchten Sie eine Zwischenfrage des Rentenversicherung zu Verteilungseffekten führt, die auf Kollegen Weiß zulassen? Dauer nicht akzeptabel sind. Das war, ist und bleibt rich- tig. Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. NEN): Sehr gerne; der Herr Weiß hatte ja vorhin eine so (Beifall bei der LINKEN) kurze Redezeit.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er will Ihnen nur helfen, dass Sie mehr sagen können!) Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort. – Ach, ich habe genug Redezeit.

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): NEN): Frau Kollegin Schewe-Gerigk, nach dem, was Sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vorgetragen haben, frage ich Sie: Warum haben die Grü- (B) Ohne eine gesicherte Datenbasis zur Verteilungswir- nen und warum haben Sie persönlich als Bundestagsab- (D) kung, Frau Hiller-Ohm, will die Bundesregierung mit geordnete damals die Sozialabgabenfreiheit der Entgelt- dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, die beitragsfreie umwandlung überhaupt eingeführt, wenn das alles falsch Entgeltumwandlung fortsetzen. Damit wird, das wissen gewesen sein soll? Sie, je nach Inanspruchnahme der Beitragsumwandlung (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das Rentenniveau insgesamt um 2 bis 4 Prozent redu- NEN]: Als Anschubfinanzierung! Das hat sie ziert, so die Wissenschaft. Das wirkt sich nicht nur auf doch gesagt!) die künftigen Rentner und Rentnerinnen aus, sondern auch auf die 20 Millionen heutigen, die sich für Ihren Zweitens. Wenn Sie jetzt wahrscheinlich antworten, Vorschlag bedanken werden. Sie hätten das deswegen mitgemacht, weil das bis 2008 zeitlich befristet war, frage ich Sie: Warum haben Sie Der Gesetzentwurf der Koalition wird als soziale Tat dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz und damit einer verkauft. Aber wo sozial draufsteht, muss nicht sozial Regelung zugestimmt, dass die Rentnerinnen und Rent- drin sein, und das ist es hier auch nicht, wie ich Ihnen ner auf Betriebsrenten volle Krankenkassenbeiträge zu begründen werde. Denn klar ist: Die Benachteiligung zahlen haben? Warum haben Sie zugestimmt, dass sie von Erwerbsgeminderten, von Selbstständigen, von Er- auf Betriebsrenten volle Pflegeversicherungsbeiträge zu werbslosen nimmt zu, und auch das unterdurchschnittli- zahlen haben? Damit hat die Entgeltumwandlung nicht che Rentenniveau von Frauen wird weiter abgesenkt. mehr die Attraktivität, die sie 2002 hatte, als sie einge- Frauen arbeiten häufig in außertariflichen Arbeitsver- führt wurde. hältnissen, verdienen weniger als Männer. Sie können sich die Entgeltumwandlung häufig nicht leisten, weil sie das Geld aktuell brauchen; sie können es nicht für die Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rente zurücklegen. Diese Frauen bekommen eine niedri- NEN): gere Rente, obwohl sie an der Entgeltumwandlung nicht Zu Ihrer ersten Frage. Ich dachte, ich hätte Ihnen partizipieren können. Ich finde, das ist eine ziemliche schon eindeutig gesagt: Das war eine Anschubfinanzie- Katastrophe. rung, um die Betriebsrenten attraktiver zu machen. Das ist geschehen, und deshalb wird es jetzt beendet. Das zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ersten Frage. und bei der LINKEN) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Als ihr die Leute Frau Hiller-Ohm, Sie haben gesagt, die Grünen hätten in die Falle gelockt hattet, habt ihr die Beiträge hier eine Kehrtwende gemacht. Ich frage mich, wo Sie erhöht!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12851

Irmingard Schewe-Gerigk (A) – Das können Sie anders sehen. Aber lassen Sie mich schlossen sind, weil sie entweder nicht teilnehmen dür- (C) jetzt sprechen! fen, nicht teilnehmen können oder nicht teilnehmen wol- len. Auch dieser sachlichen Darlegung ist in der Zur zweiten Frage. Wissen Sie, das mit der Doppel- Anhörung nicht widersprochen worden. verbeitragung ist ein Argument, das ist unglaublich. Bei der normalen gesetzlichen Rente ist es auch so, dass das Komplett ungeklärt ist die Beteiligung von Gering- aus verbeitragtem Geld erfolgt. Für alle anderen Alters- verdienern. Natürlich meinen auch wir, dass es für die vorsorgen, außer wenn Sie privat eine Lebensversiche- teilzeitbeschäftigte Verkäuferin theoretisch vorteilhaft rung abschließen, erfolgt das auch aus verbeitragtem sein könnte, wenn sie an der Entgeltumwandlung teil- Geld. Diejenigen, die das leisten können, sollen das auch nehmen würde. leisten. Sie wissen, es gibt eine ganze Reihe von Klagen (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: dagegen, dass die Betriebsrente der Krankenversiche- Sehr richtig!) rungspflicht unterliegt. All diese Klagen sind niederge- schlagen worden. Die Gerichte haben gesagt: Das ist so Ob sich Menschen in unteren Einkommensgruppen so in Ordnung. verhalten, wissen wir nicht definitiv. Es liegen zwar Zah- len von 2005 vor, die besagen, dass das in diesem Be- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Vielleicht recht- reich weniger angenommen wird, aber wir wissen – das lich nicht angreifbar, aber politisch war das nie können Sie einmal studieren; Sie haben ja auch die in Ordnung, dieses Kurzfristige!) Daimler AG zu der Sachverständigenanhörung eingela- – Jetzt mache wieder ich weiter. den –, dass die Daimler AG in ihrem Bericht geschrie- ben hat: Erwartungsgemäß steigt mit dem Einkommen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die nächsten die Teilnahmequote. – So sieht deren Bilanz aus. Daim- vier Minuten!) ler bestätigt also das, was die Grünen sagen. Die Bundesregierung macht mit ihrem Gesetzentwurf Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen: Niemand Geschenke an Gutverdienende, an Kernbelegschaften. von uns kann diese Frage genau beantworten. Diese Geschenke – das kritisiere ich, Herr Weiß – be- zahlt sie nicht aus der eigenen Tasche, sondern dies geht (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lang sind zulasten der Sozialversicherten: 2,5 Milliarden Euro pro vier Schewe-Gerigk-Minuten?) Jahr aus der Sozialversicherungskasse, in die alle Er- Gerade deshalb plädieren wir an die rentenpolitische werbstätigen einzahlen. Verantwortung aller Fraktionen und fordern Sie auf, un- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das serem Entschließungsantrag, den wir mit dem Bericht (B) war doch früher auch so!) vorgelegt haben, zuzustimmen. (D) Wenn Sie Geschenke machen wollen, dann hätten Sie sie (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Keinesfalls!) aus Steuermitteln zahlen sollen. Das wäre eine andere Dadurch würden wir mehr Klarheit schaffen. Situation gewesen. Wir wollen den Bericht. Deshalb bitte ich Sie zumin- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) dest um Ihre Zustimmung zu diesem Entschließungsan- Solange die Koalition die Verteilungswirkung nicht hin- trag. länglich klärt – Frau Hiller-Ohm, Sie spekulieren da; das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wissen Sie ja nicht –, bleibt für uns der ungute Eindruck, dass hier nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ ver- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fahren wird, die Folgen interessieren Sie nicht. Verant- wortliche Politik sieht für uns anders aus. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Förde- Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Das sieht man an rung der betrieblichen Altersversorgung. Ihrem Verhalten 2001! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Warum habt ihr früher eigentlich zu- Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt un- sammen regiert?) ter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6983, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Sie werben – das habe ich hier schriftlich – um die Drucksache 16/6539 in der Ausschussfassung anzuneh- Gewinner des Aufschwungs und machen neue Ge- men. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf schenke an die Gutverdienenden. Um die Kosten auf- zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt grund des sinkenden Alterseinkommens der Ärmeren dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf sollen sich doch die zukünftigen Generationen von Poli- in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition und tiker und Politikerinnen kümmern. So gehen Sie vor. der FDP gegen die Stimmen von der Linken und Bünd- Auch das finden wir nicht in Ordnung. Erst prüfen und nis 90/Die Grünen angenommen. dann entscheiden, das wäre der richtige Weg. Dritte Beratung Sie wissen auch, dass gar nicht alle Versicherten um- wandeln dürfen. Die Deutsche Rentenversicherung hat und Schlussabstimmung. Ich bitte jetzt diejenigen, die in der Anhörung sehr differenziert dargelegt, welche dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, aufzustehen. – Versichertengruppen von der Entgeltumwandlung ausge- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf 12852 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) ist mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher ange- zur Modernisierung des Rechts der landwirt- (C) nommen. schaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- – Drucksachen 16/6520, 16/6738 – schließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Drucksache 16/7009. Wer stimmt für diesen Entschlie- ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) ßungsantrag? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Ent- schließungsantrag ist bei Zustimmung durch Bündnis 90/ – Drucksache 16/6984 – Die Grünen und Die Linke und Enthaltung der FDP ab- Berichterstattung: gelehnt. Abgeordneter Rolf Stöckel Ich komme jetzt zum Tagesordnungspunkt 13 b. Wir – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung gemäß § 96 der Geschäftsordnung des Ausschusses auf Drucksache 16/6983 fort. – Drucksache 16/7018 – Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be- Berichterstattung: schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- Abgeordnete Steffen Kampeter tion der FDP auf Drucksache 16/6433 mit dem Titel: Waltraud Lehn „Abgabenfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus Dr. Claudia Winterstein fortführen und ausbauen“. Wer stimmt für die Beschluss- Dr. Gesine Lötzsch empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Anja Hajduk Beschlussempfehlung ist bei Ablehnung durch die FDP und Zustimmung des übrigen Hauses angenommen. Un- Zu diesem Gesetzentwurf liegt ein Entschließungsan- ter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des trag der Fraktion der FDP vor. Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Drucksache 16/6606 mit dem Titel „Beitragsfreie Ent- Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist so be- geltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden“. Wer schlossen. stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh- Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort lung bei Zustimmung durch Koalition und FDP, Gegen- dem Kollegen Rolf Stöckel für die SPD-Fraktion. stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Rolf Stöckel (SPD): (B) Wir kommen zur Abstimmung zu Zusatzpunkt 8. Der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Ko- (D) Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf alitionsvertrag haben wir mit der Union vereinbart, die Drucksache 16/6987, den Antrag der Fraktion der FDP Organisationsstrukturen und die Finanzgrundlage der auf Drucksache 16/1675 abzulehnen. Wer stimmt für landwirtschaftlichen Sozialversicherung so weiterzuent- diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- wickeln, dass dieses eigenständige Leistungssystem haltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Ge- auch in Zukunft zu vertretbaren Beiträgen der Versicher- genstimmen der FDP-Fraktion und Zustimmung durch ten und zustimmungsfähigen Bundeszuschüssen erhalten die übrigen Fraktionen angenommen. werden kann. Die Notwendigkeit dieser Organisationsre- form ist einerseits vor dem Hintergrund des Struktur- Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: wandels in der Land- und Forstwirtschaft wie auch im Garten- und Landschaftsbau, aber andererseits auch auf- Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten grund des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich des Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Sabine Umgangs mit den Versichertenbeiträgen und den Steuer- Zimmermann, weiterer Abgeordneter und der mitteln unbestritten. Der Bericht des Bundesrechnungs- Fraktion DIE LINKE hofs vom Juli 2007 macht dies eindrucksvoll deutlich. Stärkung der sozialen und ökologischen Ver- Wir erkennen ausdrücklich an, dass es bereits mit dem antwortung von Unternehmen letzten Gesetz zur Modernisierung der landwirtschaftli- chen Sozialversicherung vom 17. Juli 2001 Fusionen und – Drucksachen 16/3557, 16/5844 – Personalanpassungsmaßnahmen gegeben hat. Dennoch nimmt die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nach Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt von den wie vor jedes Jahr um 3 Prozent ab, und entsprechend Kollegen Philipp Mißfelder, Garrelt Duin, Katja Mast, sinken die Versichertenzahlen. Die im Jahr 2001 erfolgte Heinz-Peter Haustein, Ulla Lötzer und Kerstin Andreae 1) Reduzierung auf neun regionale Träger reicht allein nicht werden zu Protokoll gegeben. aus, um das Ziel einer nachhaltigen zukunftssicheren Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 15 auf: Struktur zu erreichen. Der unserer Meinung nach für alle Beteiligten akzep- – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- table Kompromiss trägt diesem gemeinsamen Ziel Rech- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes nung, nämlich die landwirtschaftliche Sozialversiche- rung langfristig eigenständig zu sichern. Das entspricht 1) Anlage 8 nicht nur den Forderungen der Berufsverbände und des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12853

Rolf Stöckel (A) Deutschen Bauernverbandes, sondern auch denen der In- Forstwirtschaft in den neuen Bundesländern. Liebe Kol- (C) dustriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Diese Not- leginnen und Kollegen der Koalition auch im Finanz- wendigkeit besteht auch unabhängig von der Einbezie- und im Haushaltsausschuss, lassen Sie uns gemeinsam hung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in die dafür sorgen, dass wir in den vor uns liegenden Sit- Reform der gesetzlichen Unfallversicherung. zungswochen noch eine Lösung für diese Gerechtig- keitslücke finden. Unser Ziel war eigentlich, einen einheitlichen Bun- desträger für die Landwirtschaft und den Gartenbau zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schaffen. Das war nicht durchsetzbar. Eine mehrheitliche Ich möchte mich bei allen Beteiligten der Koalition, Unterstützung der Länder zu einem Bundesträger wäre in den Fachausschüssen, der Ministerien, aber auch der selbst bei Beibehaltung der bisherigen Standorte nicht Verbände herzlich für die gute Zusammenarbeit und das erreichbar gewesen. Diese Blockade der Länder ist nur Ergebnis bedanken. Wir haben das Mögliche erreicht. durch ein zustimmungsfreies Gesetz zu umgehen; an- sonsten hätte die Gefahr bestanden, die Organisations- (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wollen Sie frage der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in die- heute nicht abstimmen?) ser Legislaturperiode ungelöst zu lassen. Jetzt liegt der Ball bei den Trägern und den Ländern. Die Träger müssen die Umsetzung des Gesetzentwurfs kon- Der Bund stellt in den Jahren 2008 und 2009 insge- struktiv unterstützen. Die Länder müssen ihre Aufsichts- samt bis zu 800 Millionen Euro für die landwirtschaftli- pflichten wahrnehmen und Verstöße gegebenenfalls che Unfallversicherung bereit. Der Bund kommt seiner sanktionieren. Verantwortung nach. Aber die Auffassung der Länder, dass die Organisation grundsätzlich in Ordnung sei und Die Reform muss greifen. Wer die Umsetzung des man die Kosten dafür – immerhin 120 Millionen Euro Gesetzentwurfs blockiert, der untergräbt die eigenstän- jährlich bei einer Umlage von 840 Millionen Euro – ver- dige landwirtschaftliche Sozialversicherung. kraften könne, wenn nur der Bundeszuschuss erhöht Herzlichen Dank. würde, ist völlig unakzeptabel. Mit dieser Position set- zen die Länder die Eigenständigkeit der landwirtschaftli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen Sozialversicherung aufs Spiel. der CDU/CSU) Wir werden die drei Spitzenverbände der landwirt- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schaftlichen Sozialversicherung zu einer Spitzenorgani- Für die FDP spricht jetzt der Kollege Dr. Edmund sation zusammenfassen. Die Koalition hat sich nach der Peter Geisen. erfolgten Anhörung und der Kritik sowie den Vorschlä- (B) gen aus den Berufs- und Interessenverbänden darauf ver- (Beifall bei der FDP) (D) ständigt, über die bereits im Entwurf vorgesehenen Auf- gabenverlagerungen hinaus eine Reihe von Aufgaben Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): wie die Prävention oder den Forderungseinzug aus Effi- Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und zienz- und Wirtschaftlichkeitsgründen von den Regio- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! nalträgern auf den zukünftigen Spitzenverband zu über- Heute wird ein Gesetzentwurf verabschiedet, der erstens tragen. den Steuerzahler sehr viel Geld kosten wird, bei dem zweitens schon jetzt klar ist, dass in ein paar Jahren die Wir erkennen ausdrücklich an, dass im Bereich des nächste Reform ansteht, und der drittens sein Ziel, die Gartenbaus bereits ein sektoraler Bundesträger mit ei- Landwirte nicht noch stärker zu belasten, nicht erreichen nem einheitlichen Beitragsmaßstab geschaffen wurde. wird. Dieser Beitragsmaßstab erfüllt schon die Vorgaben des neuen Gesetzes. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Erhebliche Mittel bringt der Bund für eine besondere Dieser Gesetzentwurf zur Modernisierung des Rechts Abfindung von Kleinrenten auf. Diese Aktion wird zu der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ist, wie Sie einer erheblichen Reduzierung der Kosten führen. Der schon eben gehört haben, ein fauler Kompromiss, mit Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Sozialversi- dem niemand zufrieden sein kann, weder der Bund noch cherung hängt aber wesentlich von der Inanspruchnahme die Länder noch die Steuerzahler und schon gar nicht die dieser befristeten Abfindungsaktion ab. Daher sind alle Landwirte. Beteiligten der Branche aufgerufen, die Maßnahmen be- Ich stelle fest, dass nur wenige Forderungen des Be- kannt zu machen und intensiv über diese Möglichkeiten rufsstandes und der Opposition in den Gesetzentwurf zu beraten. Eine Verlängerung der Sonderabfindungsak- eingeflossen sind. Selbst im Änderungsantrag von tion wird nicht möglich sein. Das muss allen Beteiligten Schwarz-Rot: Fehlanzeige. Es werden vollmundige Ver- klar sein. sprechen gemacht und wieder gebrochen wie bei der Be- teiligung der landwirtschaftlichen Krankenkassen an den Mit dem so geänderten Gesetzentwurf haben wir sub- Bundesmitteln für versicherungsfremde Leistungen. Ich stanzielle Vorschläge aus den Verbänden und aus den stelle weiter fest, dass der Lastenausgleich nicht zufrie- Reihen der Fachausschüsse durchsetzen können. Ein un- denstellend geregelt ist, besonders was die Gartenbau- gelöstes Problem bleibt allerdings unserer Auffassung Berufsgenossenschaft angeht. nach die fehlende Verlängerung der Stichtagsregelung der Zusatzversorgung für Arbeitnehmer in der Land- und (Beifall bei Abgeordneten der FDP) 12854 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Edmund Peter Geisen (A) Die meisten Änderungsanträge des Bundesrates werden (Beifall bei der FDP) (C) ignoriert. Die Zustimmungspflicht des Bundesrates wird Wie gesagt, diese Reform schreit schon jetzt nach Refor- umgangen. men. Das ist Flickschusterei am Rande der Verfassungs- Ich stelle des Weiteren fest, dass das Personal der re- mäßigkeit. gionalen Träger immer stärker verunsichert wird. Die (Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/ Anpassung des Leistungskatalogs ist lückenhaft. Das ge- CSU: Oh! Oh! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] samte LSV-System bleibt instabil. Es bleiben viele Pro- [SPD]: Starker Tobak!) bleme ungelöst, die geradezu nach der nächsten Reform schreien. Am besten wäre es, wenn Sie das Gesetz sofort ein- stampften. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzent- (Beifall bei der FDP) wurf auf jeden Fall ab. Mehr hat uns die schwarz-rote Agrarsozialpolitik unter Danke schön. dem Obersozialpolitiker nicht gebracht. (Beifall bei der FDP) (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) Es geht doch ganz einfach darum, die landwirtschaft- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: liche Sozialversicherung zukunftsfest zu machen. Das Jetzt spricht Max Straubinger für die CDU/CSU- erreichen Sie angesichts des dramatischen Strukturwan- Fraktion. dels in der Landwirtschaft weder mit einer faktisch gar (Beifall bei der CDU/CSU) nicht zu realisierenden 20-prozentigen Reduzierung der Verwaltungskosten noch mit einer teuren, ineffektiven Abfindungsaktion und erst recht nicht mit einer Minire- Max Straubinger (CDU/CSU): form im Leistungskatalog. Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die soziale Sicherung der Menschen auf dem Land und (Beifall bei der FDP) insbesondere der Landwirte hat bei der Bundesregierung und vor allem bei Bundesminister Horst Seehofer einen Das erreichen Sie nur, wenn Sie wirklich reformieren hohen Stellenwert, der an der Erarbeitung des vorliegen- und konsequent das gesamte System vom Umlage- auf den Gesetzentwurfs wesentlich beteiligt war. Dieses Ge- ein Kapitaldeckungsverfahren umstellen. setz stellt einen großartigen Fortschritt bei der Sicherung (Beifall bei der FDP – Rolf Stöckel [SPD]: Es der Menschen in der Landwirtschaft dar. Es bedeutet, war ja klar, dass es darauf hinausläuft!) dass wir zum eigenständigen System der sozialen Absi- (B) cherung der Bäuerinnen und Bauern stehen. Die Weiter- (D) Die Reformschwäche von Minister Seehofer geht so- entwicklung ist natürlich unter dem Gesichtspunkt des wohl zulasten der Landwirte als auch zulasten des Haus- Strukturwandels in der Landwirtschaft zu sehen. Dem halts und damit aller Steuerzahler. Die Abfindungsaktion wollen und können wir uns nicht verschließen. Wir wer- für Kleinrenten ist unwirksam und reine Geldverschwen- den dem Strukturwandel in den sozialen Sicherungssys- dung. Dafür gibt es Beispiele in der Vergangenheit. In temen der Landwirtschaft Rechnung tragen. den nächsten beiden Jahren werden 800 Millionen Euro plus Eigenmittel der Träger in ein längst nicht mehr fi- Anlass ist sicherlich der Bericht des Bundesrech- nanzierbares System gesteckt. Dann wundern sich alle, nungshofes, in dem die Schaffung effizienterer Struktu- wenn sie 2010 – das wurde bereits zugegeben – erneut ren angemahnt wird. Die effizienteren Strukturen sollen vor leeren Kassen stehen. Die FDP-Fraktion setzt sich die landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsfest stattdessen mit ihrem Vorschlag zur Systemumstellung machen. Die Ziele der Reformen sind klar und eindeutig für einen nachhaltigen, zukunftsfesten Umgang mit definiert. Wir wollen für die Bäuerinnen und Bauern, für Steuermitteln ein. die aktiven Landwirte mindestens Beitragssatzstabilität erreichen; wir wollen sogar erreichen, dass die Beiträge Interessant ist das Thema auch unter verfassungs- zur landwirtschaftlichen Sozialversicherung in Zukunft rechtlichen Gesichtspunkten. Alle vorhergehenden Ge- sinken setze waren zustimmungspflichtig. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme gefordert, seine umfangreichen (Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist der Kern!) Änderungswünsche ausreichend zu berücksichtigen und und damit die Bäuerinnen und Bauern entlastet werden. einzuarbeiten. Anderenfalls sei die Anrufung des Ver- mittlungsausschusses, so der Bundesrat, unausweichlich, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Föderalismusreform I hin oder her. Darauf eingegangen neten der SPD) ist die Koalition kaum. Ich bin überzeugt, dass wir dies mit diesem Gesetz, das Es ist bezeichnend, dass die Landwirte unter wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, errei- Schwarz-Rot immer wieder mit faulen Kompromissen chen. Das tun wir mit verschiedensten Maßnahmen, die leben müssen. auch mit Leistungseinschränkungen einhergehen, aber vom Berufsstand mit erarbeitet worden sind und mitge- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) tragen werden. Deshalb danke ich sehr herzlich dem Be- rufsstand und dem Bauernverband, der schwierige Ent- An diesem vergleichbar kleinen Reformvorhaben zeigt scheidungen in die Organisation hineinträgt. sich die ganze Schwäche der sogenannten Großen Koali- tion. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12855

Max Straubinger (A) Wir werden mit dem Herauskauf von Kleinrenten vor Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): (C) allen Dingen erreichen, dass zukünftig die Verwaltungs- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! aufgaben in der landwirtschaftlichen Berufsgenossen- Liebe Gäste! Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, für schaft weniger werden und damit die Verwaltungskosten ein Sozialversicherungssystem in der Landwirtschaft zu geringer werden. An dieser Stelle gilt unser Dank unse- sorgen, das erstens im Ernstfall wirklich hilft bzw. dazu rem Bundesminister Horst Seehofer; denn es ist nicht beiträgt, Ernstfälle möglichst wirksam zu vermeiden, einfach, bei schwierigsten finanziellen Gegebenheiten zweitens auf einem bezahlbaren, solidarischen und ge- Mittel für unsere Bäuerinnen und Bauern aufzubringen. rechten Beitragssystem basiert und drittens effizient und In dieser Bundesregierung gab es stetig Zuschüsse für aufgabengerecht verwaltet wird. Diese Aufgaben wer- die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in einem den aus unserer Sicht durch den Gesetzentwurf nicht er- Umfang von 200 Millionen Euro. Zusätzlich werden für füllt. diese Herauskaufaktion zweimal 200 Millionen Euro be- reitgestellt, und zwar in den Jahren 2008 und 2009. Ich Auch nach der Expertenanhörung gibt es viele Kritik- bin überzeugt, dass dies ein Beitrag zu zukünftiger Bei- punkte. Allein der Bundesrat hat 37 Einwände vorgetra- tragssatzstabilität sein wird. gen. Wir teilen nicht alle. Aber natürlich wäre es sinn- voll gewesen, vor einer erneuten Reform die Wirkung (Beifall bei der CDU/CSU) der Reform von 2001 neutral zu evaluieren. Obwohl das in Ihrem Koalitionsvertrag steht, ist es nicht erfolgt. Herr Kollege Geisen, Sie bemängeln, dass keine Ka- pitaldeckung eingeführt wird. Sie bleiben aber die Ant- Ein Ziel der Organisationsreform der landwirtschaftli- wort auf eine Frage schuldig. chen Sozialversicherung ist die Anpassung an den Struk- turwandel in der Landwirtschaft. Die Rechnung scheint (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!) einfach: Weniger Betriebe brauchen weniger Verwal- – Doch. – Wenn nur die Altrenten abgelöst würden, wä- tung. Das mit einem zusätzlichen Spitzenverband errei- ren Finanzmittel in Höhe von fast 3 Milliarden Euro not- chen zu wollen, ist geradezu absurd. Das ist auch das Er- wendig. Wie wollen Sie das finanzieren? Sie haben in gebnis der Anhörung vor zwei Wochen. keiner Weise einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Der geplante Lastenausgleich zwischen den Unfall- Nur nach der Kapitaldeckung zu rufen, aber keine Vor- versicherungsträgern wird die Akzeptanz des Systems schläge zur Finanzierung zu unterbreiten, ist unredlich. zudem nicht deutlich verschlechtern. Für den Gartenbau Deshalb ist meines Erachtens unser Vorschlag dazu ge- und die landwirtschaftlichen Betriebe im Norden und im eignet, die Zukunftsfähigkeit zu erreichen. Osten werden die Beiträge steigen, obwohl nachweislich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gerade hier das betriebliche Unfallrisiko deutlich gerin- (B) (D) neten der SPD) ger ist als in anderen Bereichen und in anderen Regio- nen. Ein weiterer Punkt ist, dass Leistungen im Bereich der Haushaltshilfen eingeschränkt werden. Ich glaube, Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Linke will das ist vertretbar. Bei den Altenteilern und bei den Un- ein Solidarsystem, aber ein gerechtes. Wir brauchen da- ternehmern erfolgt eine weitere Einschränkung, nämlich her ein risikoorientiertes Beitragssystem statt die Beibe- dass zukünftig erst bei einer Minderung der Erwerbsfä- haltung der ungerechten Berechnung der Beiträge nach higkeit von 30 Prozent eine Rente fällig wird – das wird der bewirtschafteten Fläche. weitere Einsparungen für das System bedeuten –, eine (Beifall bei der LINKEN) Einschränkung wohlgemerkt nur für die Unternehmer, nicht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Es wäre auch deutlich demokratischer, wenn die Selbst- der Landwirtschaft. Die Verlängerung der Wartezeit auf verwaltung die Chance hätte, ein entsprechendes Soli- 36 Wochen für die Geltendmachung eines Anspruchs darsystem selbst vorzuschlagen. wird ebenfalls zu einer Beitragsentlastung führen. Auch die Leistungseinschränkungen in der Unfallver- All diese Einschränkungen sind dazu geeignet, so sicherung – sie sind benannt worden – werden die finan- glaube ich, dass ein leistungsfähiges System erhalten ziellen Probleme des Systems überhaupt nicht lösen. bleibt, auf das sich die Bäuerinnen und Bauern in der Wie gerechtfertigt ist eigentlich ein zwangsbeitragsfi- Vergangenheit verlassen konnten und auf das sie sich vor nanziertes Versicherungssystem, wenn ständig steigen- allen Dingen in der Zukunft verlassen können. Deshalb den Beiträgen immer weniger Leistungen gegenüberste- bitten wir um Zustimmung. hen? Wir sind überzeugt: Wer bezahlbare Beiträge will, der muss sich zur Beibehaltung der Unterstützung aus Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Bundesmitteln bekennen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) neten der SPD) Heftig umstritten sind auch die Angebote zur Kapita- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: lisierung von Kleinrenten; das ist bereits gesagt worden. Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Dr. Kirsten Wer als Berechnungsgrundlage das vergangene Jahrtau- Tackmann für die Linke. send nutzt, muss sich nicht wundern, wenn das unattrak- tive Angebot nicht angenommen wird. Auch da werden (Beifall bei der LINKEN) keine Einspareffekte erzielt. 12856 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Kirsten Tackmann (A) Als weiteres Ziel der Organisationsreform wird die Da sind zum einen die zusätzlichen Einschränkungen (C) Verwaltungsreduzierung genannt. Das kann sinnvoll im Leistungskatalog. Hierbei handelt es sich um Sozial- sein. Ein System zu entwickeln, das noch näher an den abbau, der durch die versprochenen Beitragssenkungen Interessen der Versicherten orientiert ist, wäre durchaus keineswegs aufgewogen wird. Das lehnen wir Grüne vernünftig. Aber auch hier bedeutet Organisationsreform strikt ab. Ich bezweifle außerdem stark, dass ein land- zuallererst Personalabbau. Aus Altersgründen werden wirtschaftlicher Unternehmer eine um ein knappes Drit- bis 2020 15 Prozent der circa 6 500 Beschäftigten aus- tel geminderte Erwerbsfähigkeit ohne Weiteres weg- scheiden. Für die verbleibenden Kolleginnen und Kolle- steckt, vor allem dass er sie ohne Erwerbseinbußen gen fordert die Linke, die Personalvertretungen frühzei- kompensieren kann. Schließlich geht es auf den Höfen tig und vor allen Dingen wirksam in alle Überlegungen Gott sei Dank im Wesentlichen noch nicht um Büroar- zu neuen Organisationskonzepten einzubeziehen. beit, sondern vor allen Dingen um körperlichen Einsatz. (Beifall bei der LINKEN) Auch die Streichung der Unfallversicherungsleistun- Um es zusammenzufassen: Keines der angeblichen gen für Altenteiler lehnen wir ab; denn derzeit ist der Ziele des Gesetzentwurfs wird erreicht. Die in Aussicht Standard der Heilbehandlung und der Rehabilitation in gestellten Kosteneinsparungen zugunsten des Haushalts der landwirtschaftlichen Unfallversicherung höher als in des Ministeriums sind absolut unrealistisch. Die Bei- der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; in Letz- träge vieler Betriebe werden nicht sinken, sondern stei- tere würden sie aber geschoben werden. Das würde be- gen. Mit dem Spitzenverband wird keine Verwaltungsre- deuten, dass verunglückte Altenteiler künftig schlechter duzierung gelingen. Die Organisationsreform wird behandelt werden als beispielsweise ihre Söhne und wieder einmal vor allen Dingen Personalabbau bedeu- Töchter. ten. Das Versicherungssystem wird durch dieses Gesetz (Peter Bleser [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht zukunftsfester. nicht! Genau falsch!) Es ist schon jetzt abzusehen, dass es zwischen dem Außerdem wissen Sie, Herr Bleser, und die anderen Kol- Spitzenverband und den neun Versicherungsträgern ein legen ganz genau, dass die Altersrente der Landwirte endloses Gerangel um die Kompetenzen geben wird. nicht auskömmlich ist, dass sie vielmehr nur eine Grund- Daher wäre es doch sicher sinnvoll gewesen, vor Ein- rente ist. In diesem Zusammenhang ergeben Unfallren- bringung dieses Gesetzentwurfs zu prüfen, wie sinnvoll ten für verunfallte Altenteiler durchaus Sinn. die Verteilung der Aufgaben zwischen Spitzenverband und Trägern wirklich ist. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Die bleiben auch so!) Unter dem Strich bleibt unsere Kritik. Die Linke wird (B) (D) dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Gleichzeitig Wenn ein Altenteiler zukünftig keine Leistungen der wage ich – da kann ich mich der FDP nur anschließen – Unfallversicherung mehr bekommt, dann wird er auch kaum noch im Familienbetrieb aushelfen. Dies aber (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist sehr be- würde sowohl den Traditionen der bäuerlichen Familien- denklich!) betriebe widersprechen als auch der Landwirtschaft ins- einmal eine Voraussage: In wenigen Jahren werden wir gesamt schaden. Nun lässt das Gesetz aber, wie wir alle uns tatsächlich mit der Reform der Reform beschäftigen. wissen, ein Schlupfloch; denn wenn Altenteiler einen Das kann eigentlich nicht unsere Aufgabe sein. Arbeitsvertrag abschließen, bleiben sie unfallversichert. Voraussichtlich werden also die meisten Betriebe für Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ihre Altenteiler solche Verträge abschließen. Aber damit (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. wird die beitragssenkende Wirkung dieser Gesetzesän- Hans-Michael Goldmann [FDP]) derung letztendlich sehr begrenzt sein. Beachtlich ist le- diglich der Beitrag zum Bürokratieaufbau. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein besonders Jetzt hat die Kollegin Cornelia Behm das Wort für starkes Stück – Herr Geisen hat es schon erwähnt –, dass Bündnis 90/Die Grünen. die Große Koalition bei den Beratungen zum Gesetz die Anliegen des Gartenbaus fast völlig ignoriert hat Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Völlig Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und falsch!) Kollegen! Man konnte in den letzten zwei Jahren des Öf- teren den Eindruck gewinnen, dass im Agrarministerium – „fast“ habe ich gesagt –, obwohl Agrarminister der Deutsche Bauernverband die Politik macht. Ich muss Seehofer der Branche entsprechende Zusagen gemacht sagen: In viel stärkerem Maße gilt das für die Agrarpoli- hatte. Offensichtlich war der starke Arm des Deutschen tik der Union hier im Bundestag. Ein deutlicher Beleg Bauernverbandes doch stärker als der des Ministers, der dafür ist das LSV-Modernisierungsgesetz; denn die offenbar zu viel Zeit und Kraft im bayerischen Partei- Union hat genau die Forderungen in das Gesetz hinein- wahlkampf verschlissen hat. Es bleibt also dabei, dass verhandelt, die vorher im Forderungskatalog des Deut- der Gartenbau in den Lastenausgleich zwischen den re- schen Bauernverbandes standen. Angesichts der Kürze gionalen Trägern der LUV einbezogen wird, obwohl er meiner Redezeit will ich mich im Wesentlichen auf die- bereits als Bundesträger organisiert ist. Ich meine, dass ses Thema beschränken. diejenigen, die ihre Hausaufgaben schon gemacht haben, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12857

Cornelia Behm (A) jetzt nochmals zu Solidaritätsleistungen gezwungen wer- (Gustav Herzog [SPD]: Jetzt sind wir aber ge- (C) den. Das ist nicht angemessen. spannt, Herr Geisen: Wo nehmen Sie die Mil- liarden her?) Ein weiterer Mangel des Gesetzentwurfes ist die un- zureichende Gewährung und Berücksichtigung von Per- sonalvertretungsrechten. Diesbezüglich hätte dringend Dr. Edmund Peter Geisen (FDP): nachgebessert werden müssen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Frau Kolle- gin Wolff, sind Sie erstens mit mir einer Meinung, dass Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur einige die Altlasten ein gesamtgesellschaftliches Problem sind, wenige, aber aus meiner Sicht gewichtige Gründe, deret- ja oder nein? Das müssen wir zuerst klären. wegen wir dieses Gesetz ablehnen. Zweitens. Sind Sie der Meinung, dass die Zukunftssi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherung im Umlageverfahren bei der immer kleiner wer- und bei der FDP) denden Solidargemeinschaft der jungen aktiven Land- wirte überhaupt möglich ist? Wenn wir das geklärt haben, dann, denke ich, können wir uns über das andere Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: unterhalten. Jetzt kommt die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion an die Reihe. Mir ist klar, dass man natürlich nicht mit den Altlas- ten in eine Umstellung von dem heutigen System auf ein (Beifall bei der SPD) kapitalgedecktes System hineingehen kann. Das wurde immer falsch diskutiert. Das ist so nie vorgeschlagen Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): worden. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Vielen Dank. Kollegen! Es ist schon viel gesagt worden. Ich möchte (Ulrich Kelber [SPD]: Wo nehmen Sie die zuerst auf meine Vorredner eingehen. Herr Geisen, Sie Milliarden her?) haben gesagt, die FDP-Fraktion sehe nicht, dass diese Reform greifen werde. Ich sage Ihnen: Diese Reform wird greifen! Ich fordere seit 1991 einen Bundesträger. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Woran ist es gescheitert? An den Bundesländern! Heute Lieber Herr Kollege Geisen, die Altlasten wollen Sie haben wir einen starken Spitzenverband, der Gesetzent- da natürlich nicht einbeziehen. Sollen das die Steuerzah- wurf liegt auf dem Tisch, und der Bund hat die Möglich- ler noch einmal zahlen? Das kann ja wohl nicht wahr keit, zu kontrollieren und einzugreifen. Zentrale Aufga- sein, beim allerbesten Willen nicht! (B) (D) ben liegen beim Spitzenverband. Das ist gut, und diese (Beifall bei der SPD – Dr. Edmund Peter Reform wird greifen. Geisen [FDP]: Dann machen wir das bei der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Ruhrkohle auch nicht mehr, Herr Kelber!) Kollegin Tackmann hat davon gesprochen, dass der Aber Sie kommen wieder mit Ihren alten Kamellen Spitzenverband absurd ist. Ich habe erklärt, welche Auf- vom kapitalgedeckten Verfahren. gaben auf den Spitzenverband verlagert werden. Der (Detlef Parr [FDP]: Hat das der Deutsche Bau- Bund, die Ministerien haben die Möglichkeit, hier zuzu- ernverband gefordert?) greifen. Wir müssen sehen, dass auch eine Streckung der Umlagekosten in Betracht kommt. Ich nenne hier den Wenn die Damen und Herren, die oben auf der Zuschau- Träger Mittel- und Ostdeutschland, MOD. Der Träger ertribüne sitzen, wüssten, wie lange wir darüber disku- für den Gartenbau und der Träger MOD sind von der tiert haben und dass jeder Fachmann und jeder Wissen- Umlage natürlich am meisten betroffen. schaftler gesagt hat, das könne überhaupt nicht funktionieren! Wir haben immer nur auf Ihre Antwort Liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir, wenn gewartet, Herr Geisen. Woher hätten Sie denn das Geld wir 2,14 Milliarden Euro in dieses Sondersystem Land- für das kapitalgedeckte Verfahren genommen? Das war wirtschaftliche Sozialversicherung stecken, nicht erwar- nicht klar. ten, dass eine Umlage, in vier Jahren von 14 auf 27 Millionen Euro steigend, aus dem System heraus auf- gebracht werden kann? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin Wolff, möglicherweise möchte Herr (Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!) Geisen Ihnen jetzt die Antwort in einer Frage verpackt Ich denke, so viel Solidarität kann man erwarten. geben. Möchten Sie das zulassen? (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Man kann den Steuerzahlern auch erklären, dass hier im Aber gern. System umgeschichtet wird. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ei- Bitte schön. nen Satz sagen. Mein Herz hing natürlich besonders an 12858 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (A) der Stelle, wo wir für die Arbeitnehmerinnen und Ar- mich, dass Sie da in Richtung FDP geguckt ha- (C) beitnehmer Sicherungen einziehen konnten. Das ist uns ben!) auch gelungen. Wir haben davon auszugehen, dass in der Liebe Kollegin Behm, zum Stichwort Sozialabbau: Zukunft 20 Prozent der Verwaltungskosten gespart wer- Wir haben nach Lösungen gesucht, und wir haben sie ge- den. funden. (Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [FDP] – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: NEN]: Aber schlechte!) Das werden wir sehen!) Unter Ihrer grünen Ministerin wurden die Bundesmittel Dabei muss Aus- und Fortbildung natürlich ausgenom- gekürzt, aber keine weiteren Lösungen gefunden. men werden. Auch das haben wir geschafft. Wir wollen nicht, dass Lehrstellen gestrichen werden. Wir haben es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- geschafft, dass im Gesetz steht: Zentrale Aufgaben vom neten der SPD – Hans-Michael Goldmann Spitzenverband können dezentral bei den Trägern erle- [FDP]: Papperlapapp!) digt werden. Die Vorgabe aus unserem Koalitionsvertrag war, eine (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wofür gibt angemessene Beitragsbelastung und innerlandwirt- es denn dann den Spitzenverband?) schaftliche Solidarität zu erreichen. Es ist deutlich ge- worden, dass das Verhältnis von Beitragszahlern zu Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind, Leistungsempfängern in eine massive Schieflage geraten wenn wir den Arbeitsplatzabbau nach dem geltenden Fu- ist, dass wir also Handlungsbedarf hatten. sionstarifvertrag sozialverträglich gestalten. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich unserem Bun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) desminister Seehofer für die Unterstützung. Die Kolleginnen und Kollegen können uns an der (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Macht doch Stelle ein kleines bisschen dankbar sein. eine Wallfahrt für ihn!) Das Kernstück der ganzen Aktion ist die Abfindung Ich danke dafür, dass neben den aktiven Betrieben auch der Kleinstrenten. Mein Appell an die Länder und an die Bundesminister Seehofer Verantwortung trägt. Der Bund Leute, die die Beratung machen, lautet: Sobald dieses unterstützt seit 1963 die aktiven Betriebe; Bundesminis- Gesetz beschlossen ist, muss an dieser Stelle Hand ange- ter Seehofer unterstützt sie in diesem Jahr mit 200 Mil- legt werden! Die Abfindungsaktion muss sofort in Kraft lionen Euro. (B) gesetzt werden, damit wir schnellstmöglich von den (D) Kosten herunterkommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir geben der LSV mit diesem Gesetz die Möglich- Das ist nicht selbstverständlich. keit, vernünftige Strukturen zu schaffen. Jetzt liegt es bei (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sind das den Trägern und den Aufsichtsbehörden, diese Zeit zu keine Steuermittel, oder was?) nutzen. Denn eines kann ich Ihnen sagen: Ich kann mir nach neun Jahren Arbeit mit diesem Thema nicht vor- Ich möchte an dieser Stelle auch ausdrücklich den stellen, dass es für die landwirtschaftliche Sozialversi- Vertreter des BMAS, Herrn Staatssekretär Tiemann, lo- cherung noch einmal eine solche Möglichkeit geben ben. Ich danke außerdem den Arbeitsgruppen Arbeit und wird. Soziales und meiner eigenen Arbeitsgruppe. Zudem danke ich , die heute abwesend ist; sie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – ist sprachlos, aber nur vorübergehend, weil sie krank ist. Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Nein, ich auch nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie trägt den gefundenen Kompromiss ausdrücklich mit. Zum Abschluss der Debatte spricht die Kollegin Ich werbe wie viele Kolleginnen und Kollegen vor Marlene Mortler für die CDU/CSU-Fraktion. mir ausdrücklich für die Abfindungsaktion. Ich denke, es (Beifall bei der CDU/CSU) ist ein finanzieller Kraftakt, wenn der Bund zusätzlich zweimal 200 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um den Altrentenbestand zu verringern. Marlene Mortler (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich finde es schon bemerkenswert, wenn ein Berufs- Kollegen! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich verband wie der Bauernverband viel mehr Leistungsein- das Recht der Opposition, Quatsch zu reden; schränkungen fordert, als wir heute beschließen. Wir ha- ben es schon mehrfach gehört: In Zukunft hat man nur (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) dann einen Anspruch auf Unfallrente, wenn eine Minde- aber man kann auch maßlos übertreiben. rung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 30 Prozent vorliegt; die Wartezeit bei neuen Unfallrenten wird auf (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin 26 Wochen verlängert. Besonders wichtig ist mir, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es freut – Kollegin Wolff hat es betont – aus drei Spitzenverbän- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12859

Marlene Mortler (A) den einer wird. Der neue Spitzenverband wird in Zu- Es liegen Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un- (C) kunft alle Aufgaben übernehmen und sie besser und bil- serer Geschäftsordnung von den Kolleginnen und Kolle- liger erledigen. gen Dr. Peter Jahr, Klaus Brähmig, Katharina Landgraf, Volkmar Uwe Vogel und Maria Michalk vor.1) Ich finde es richtig, dass das tägliche operative Ge- schäft in der Verantwortung der regionalen Träger bleibt. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in Ich finde es auch richtig, dass alle Träger bis 2010 ihren seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6984, Beitragsmaßstab risikoorientiert umstellen müssen und den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den dass die Verwaltungskosten bis 2014 um 20 Prozent ge- Drucksachen 16/6520 und 16/6738 in der Ausschussfas- genüber dem Basisjahr 2004 gesenkt werden müssen. sung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Ge- setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, Ein Wort zum Lastenausgleich: Unsere Anschlussre- um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – gelung spiegelt den bisherigen 79er-Schlüssel wider. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Wenn der Bund zusätzliches Geld in die Hand nimmt, Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- dann ist es mehr als gerecht und fair, dass 3,2 Prozent tion angenommen. des gesamten Umlagevolumens zu den Trägern in struk- turschwächeren Gegenden fließen. Wir kommen zur (Beifall bei der CDU/CSU) dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wer hier auf Freiwilligkeit gesetzt hat, der glaubt als Er- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. wachsener noch an den Weihnachtsmann. (Bundesminister Horst Seehofer erhebt sich – Bei aller Freude über den gefundenen Kompromiss – Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) – Ich glaube, dass das eine nicht erlaubte Äußerung der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bundesregierung war. Aber möglicherweise hat das eher Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom- damit zu tun, dass man sich, auch wenn man auf der Re- men, trotz aller Freude. gierungsbank sitzt, ein bisschen fit halten muss. – Ge- genstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzent- Marlene Mortler (CDU/CSU): wurf mit dem gleichen Stimmenergebnis wie vorher – ich komme zum Schluss; ich bin auf der Zielgera- angenommen. den, Frau Präsidentin – gibt es einen Wermutstropfen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent- (D) (B) Wir wissen, dass die landwirtschaftliche Krankenver- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Druck- sicherung wie alle gesetzlichen Krankenversicherungen sache 16/7010. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen er- trag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist der hält, unter anderem für die beitragsfreie Mitversicherung Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die FDP von Kindern. Nun sollen diese Bundesmittel ausgerech- und Gegenstimmen im übrigen Haus abgelehnt. net für die Berufsgruppe mit dem größten Kindersegen Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf: ab 2009 wegfallen. Beratung des Antrags der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Alexander Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Frau Kollegin, jetzt wäre das Ziel überschritten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geschlechtersensible und effiziente Haushalts- Marlene Mortler (CDU/CSU): politik einführen Die Bundesregierung hat ein Herz für Kinder. Sie hat ihr Herz für Kinder neu entdeckt. Das muss für alle Kin- – Drucksache 16/6792 – der gelten, auch für Kinder von Bauern. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) In diesem Sinne appelliere ich am Schluss an unsere Finanzausschuss zuständige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Haushaltsausschuss werbe darum, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. Hier ist es verabredet, eine halbe Stunde zu debattie- ren. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle- Herzlichen Dank. ginnen Ingrid Fischbach, Christel Humme, Ina Lenke, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Gesine Lötzsch und Irmingard Schewe-Gerigk.2) neten der SPD) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6792 an die in der Tagesordnung aufge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: führten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie ein- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der verstanden? – Dann ist so beschlossen. Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen 1) Anlagen 2 bis 4 Sozialversicherung. 2) Anlage 9 12860 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 17 a und b UNMIS wird weiter an Bedeutung gewinnen, auch (C) auf: mit Blick auf die für 2009 geplanten Wahlen und das für 2011 vorgesehene Referendum, welches über den Status a) Beratung des Antrags der Bundesregierung des Südsudan entscheiden soll. Auch aus diesem Grund Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit- hat der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober das Mandat kräfte an der Friedensmission der Vereinten der Mission erneut um weitere sechs Monate verlängert. Nationen im Sudan (UNMIS) auf Grundlage Vor diesem Hintergrund ist auch die Verlängerung der der Resolution 1590 (2005) des Sicherheitsrats Bundeswehrbeteiligung ein sinnvoller und notwendiger der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 Beitrag zum internationalen Engagement im Sudan. und weiterer Mandatsverlängerungen durch Natürlich steht die Entwicklung im Südsudan in ei- den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nem Zusammenhang mit der humanitären Katastrophe in – Drucksache 16/6940 – Darfur. Aber hier gibt es eine gute Entwicklung. Die Überweisungsvorschlag: Vereinten Nationen und die Afrikanische Union haben Auswärtiger Ausschuss (f) nach langer Vorarbeit beschlossen, eine gemeinsam ge- Rechtsausschuss führte Friedensmission in Darfur, UNAMID, einzurich- Verteidigungsausschuss ten. UNAMID soll die Umsetzung des DPA, des Darfur- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Friedensabkommens, vom vergangenen Jahr unterstüt- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zen. Zudem soll die Mission die Zivilbevölkerung vor Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO bewaffneten Angriffen schützen und die humanitäre Hilfe gewährleisten. b) Beratung des Antrags der Bundesregierung Die Vorbereitungen für UNAMID sind im vollen Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte Gange. Spätestens zum 31. Dezember soll sie die Aufga- an der AU/UN Hybrid Operation in Darfur ben der bisherigen Mission der Afrikanischen Union, (UNAMID) auf Grundlage der Resolution AMIS, in Darfur übernehmen, die diese Aufgabe leider 1769 (2007) des Sicherheitsrats der Vereinten bisher nicht leisten konnte. Nationen vom 31. Juli 2007 Wir sind der Meinung, dass Deutschland auch hierzu – Drucksache 16/6941 – – wie zu AMIS – einen Beitrag leisten sollte. Nach dem Überweisungsvorschlag: Antrag der Bundesregierung sollen bis zu 250 Soldatin- Auswärtiger Ausschuss (f) nen und Soldaten bei UNAMID eingesetzt werden. Sie Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss werden vor allen Dingen in unterstützenden Bereichen (B) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe tätig werden, so beim Lufttransport und bei anderen lo- (D) Ausschuss für wirtschaftliche gistischen Aufgaben. Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Damit schließen wir an unser bisheriges Engagement für die AMIS-Mission an, für die bisher bis zu 200 Sol- Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – daten zur Verfügung gestellt worden sind. Das Bundes- Damit sind Sie einverstanden. tagsmandat für AMIS endet am 15. Dezember und soll Dann eröffne ich jetzt die Aussprache und gebe das nicht verlängert werden. Das neue UNAMID-Mandat Wort Staatsminister Gernot Erler für die Bundesregie- soll dieses mit Inkrafttreten am 15. November quasi ab- rung. lösen. Noch ein Wort zum Verfahren, liebe Kolleginnen und Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Kollegen: UNAMID und UNMIS gehören politisch und Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! operativ zusammen. Daher wollen wir in Zukunft eine Das internationale Engagement im Sudan befindet sich Synchronisierung der beiden Bundestagsmandate errei- in einer entscheidenden Phase. Im Südsudan steckt das chen. Aus diesem Grund wird die konstitutive Zustim- Friedensabkommen derzeit in einer ernsthaften Krise. mung des Bundestages jeweils bis zum 15. August 2008 Die südsudanesische Regierung hat seit Oktober ihre beantragt, das heißt, bis zwei Wochen nach Auslaufen Teilnahme an der Einheitsregierung in Khartoum ausge- des aktuellen UNAMID-Mandats des Sicherheitsrates setzt. Beide Seiten werfen sich vor, wichtige Elemente und bis dreieinhalb Monate nach Auslaufen des aktuel- des Abkommens nicht umzusetzen. len UNMIS-Sicherheitsmandates. Wir sehen dies mit Besorgnis; denn das Friedensab- Wir gehen dabei davon aus, dass der UN-Sicherheits- kommen CPA ist und bleibt die Grundlage für den politi- rat beide Mandate verlängert, sodass die völkerrechtli- schen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des ge- che Grundlage stets gegeben sein wird. Sollte der Si- samten Landes. cherheitsrat das UNMIS-Mandat in der Zwischenzeit inhaltlich relevant ändern, werden wir den Bundestag Der Friedensmission UNMIS kommt daher weiterhin selbstverständlich erneut befassen. die zentrale Rolle zur Stabilisierung zu. Seit 2005 unter- stützt UNMIS die Umsetzung des Friedensabkommens. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Schutzmandate Deutsche Soldaten leisten als Militärbeobachter und sind unverzichtbar wichtig. Aber entscheidend ist der Stabsoffiziere hier einen wichtigen und anerkannten Bei- politische Prozess. Hier gibt es ebenfalls Grund zur trag. Hoffnung. Nach langer Zeit ist der Darfur-Friedenspro- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12861

Staatsminister Gernot Erler (A) zess wieder angelaufen. Ende Oktober hat es erste Ver- gestattet sind, dass dieser Auftrag auch erfüllt werden (C) handlungen in Libyen gegeben. Leider haben daran kann. wichtige Rebellengruppen nicht teilgenommen. Sie sind teilweise zu Gesprächen erst bereit, wenn es zu einer Jetzt kommen wir zu dem entscheidenden Punkt, Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur kommt. Wir nämlich zu dem Antrag selbst. Kernaufgabe ist es – das müssen uns also auf einen längeren Prozess einstellen. hat Herr Erler erwähnt –, neben den laufenden Friedens- Oberstes Ziel ist aber ein baldiger Waffenstillstand. verhandlungen – ich zitiere – Die Bundesregierung will den Friedensprozess auch die umgehende und wirksame Umsetzung des Dar- finanziell unterstützen. Das Auswärtige Amt hat bereits fur-Friedensabkommens vom 5. Mai 2006 … zu 350 000 Euro für sogenannte Quick-Impact-Projekte zu- unterstützen. gesagt, die die Verhandlungen flankieren sollen. Denn Genau das ist aber die Krux; denn dieses Friedensab- gerade jetzt ist es wichtig, dass die Bevölkerung in Dar- kommen wurde nur von einer Rebellentruppe und der fur einen praktischen Fortschritt, eine Art Friedensdivi- Regierung unterzeichnet. Das ist kein breiter Kompro- dende, sieht. miss, kein Friedensabkommen, wie wir es bräuchten. Es gibt also diese Verhandlungschance. Ich bitte Sie: Nach wie vor fehlt – Herr Erler, Sie haben darauf hinge- Lassen Sie uns diese Verhandlungschance gemeinsam wiesen – eine politische Lösung, eine politische Per- nutzen und sie durch die Verabschiedung der Fortset- spektive. Eines steht fest: Ohne die politische Einigung zung des UNAMID- bzw. UNMIS-Mandates absichern! wird es keine dauerhafte Sicherheit geben. (Beifall bei der SPD) Auf der politischen Gesprächsebene wird die Situa- tion immer unüberschaubarer. Mittlerweile gibt es In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu den 26 Rebellengruppen, und jede fühlt sich als legitimierter Anträgen der Bundesregierung. Ansprechpartner der AU und der Vereinten Nationen. Daher wurde die Konferenz in Libyen – Sie haben da- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. rauf hingewiesen – von Absagen überschattet. Ich appel- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der liere an die Bundesregierung, den politischen Prozess FDP) nicht aus den Augen zu verlieren und sich auf diesem Gebiet zu engagieren. Die deutsche G-8-Präsidentschaft ist noch nicht vorbei. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin (Beifall bei der FDP) Marina Schuster. (B) Ich habe allerdings noch offene Fragen. Im Mandats- (D) (Beifall bei der FDP) antrag heißt es, dass bis zu 250 deutsche Soldaten in der Region Darfur eingesetzt werden sollen. Ich erinnere da- Marina Schuster (FDP): ran, dass die Region Darfur so groß wie Frankreich ist. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich möchte schon wissen, wo genau und wie die Solda- Kollegen! Ich bin heute mehrmals gefragt worden, ob ten eingesetzt werden sollen. Das Gleiche gilt für die ich meine Rede nicht zu Protokoll geben möchte. Ich bin deutschen Polizeibeamten. Welche Aufgaben werden sie sehr froh, dass die Debatte stattfindet; denn ich finde, ausüben, und wo genau werden sie eingesetzt? wir würden unserer Verantwortung gegenüber unseren Ein weiterer kritischer Punkt – Sie haben ihn zu Be- Soldaten nicht gerecht, wenn wir die Reden zu diesem ginn Ihrer Rede erwähnt – ist der Nord-Süd-Friedensver- Tagesordnungspunkt komplett zu Protokoll geben wür- trag. Als die SPLM angekündigt hat, die Regierung in den. Khartoum zu verlassen, hatte ich die große Sorge, dass (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ der ganze Friedensprozess kippt. Das zeigt, wie gefähr- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lich die Situation ist. Jetzt findet zwar eine umfassende CDU/CSU) Kabinettsumbildung statt; es ist aber immer noch nicht klar, ob die Regierung die Arbeit auch aufnehmen wird. Nun zum Mandat. Herr Erler hat es erwähnt: Die lang erwartete UNAMID-Hybrid-Mission ist jetzt endlich da. Nach wie vor hat dieser Nord-Süd-Friedensvertrag Sie ist das, was nach langem Ringen auf internationaler neuralgische Punkte. 2008 soll die Volkszählung stattfin- Ebene durchsetzbar war. Das ist das robuste Mandat, an den. Das bedarf einer Vorbereitung. Wie sieht es dann das sich alle Hoffnungen knüpfen, die Hoffnungen von mit der Region Abyei aus? Wird sie zum Norden oder uns Parlamentariern, aber auch die Hoffnungen der Zi- zum Süden gerechnet? Wie wird gezählt, und wer ist bei vilbevölkerung im Sudan. den Wahlen 2009 wahlberechtigt? 2011 steht das Refe- rendum an. Dann entscheidet sich, ob sich der Südsudan Nachdem die AU-Truppen schlecht ausgestattet auf abspaltet. Wenn der Süden bis dahin keine positiven verlorenem Posten in der Wüste standen, sind die Erwar- Auswirkungen der Friedensdividende spürt, dann ist tungen an die Vereinten Nationen und diese Mission na- eine Abspaltung sehr wahrscheinlich. Wir müssen über- türlich sehr hoch. Ich möchte gleich zu Beginn meiner legen, was das für die Region bedeuten würde. Dabei Rede warnen: An dem Erfolg dieser Mission müssen müssen wir auch die Interessen der Nachbarstaaten im sich die Vereinten Nationen messen lassen. Deswegen Blick haben: Äthiopien, Eritrea, Tschad, aber auch müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Truppen so aus- Ägypten. Den regionalen Ansatz dürfen wir nicht aus 12862 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Marina Schuster (A) den Augen verlieren. Diesbezüglich appelliere ich noch Kollegin Schuster, bezogen auf das, was Sie gerade (C) einmal an die Bundesregierung. angesprochen haben, will ich auf Folgendes hinweisen: Wir hatten bisher ein Mandat AMIS mit 200 Soldaten. (Beifall bei der FDP) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich komme zum Schluss. Diese Mission ist der Hoff- NEN]: Waren die 200 Soldaten zum Einsatz nungsstrang. Es muss aber klar gesagt werden, dass wir gekommen, Herr Minister?) die Komplexität und Herausforderung dieses Einsatzes nicht unterschätzen dürfen. Alle Kollegen, die vor Ort Wir bitten jetzt um ein Mandat mit bis zu 250 Soldaten, waren – ich sehe hier einige –, wissen, wie schwierig wobei wir die Vorstellung haben, dass wir in etwa diese geografischen und logistischen Herausforderungen 50 Soldaten in die Stäbe geben, die dort Verbindungs-, sind. Es gibt kaum befestigte Straßen; alles muss über Beratungs- und Unterstützungsaufgaben wahrzunehmen den Lufttransport erfolgen. Insofern ist eine kritische haben, und dass wir bis zu 200 Soldaten in der Lufttrans- Frage, wer dann die Hubschrauber stellen wird. portunterstützung einsetzen. Denn das ist ein wichtiger Punkt, um letztlich das, was Sie angesprochen haben, zu Ich erwarte die Antworten der Bundesregierung, und gewährleisten. unsere Soldaten erwarten sie ebenfalls. Sie wissen, dass der Gesamtumfang von UNAMID (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rund 26 000 Soldaten betragen soll, wobei man hier dif- der CDU/CSU) ferenzieren muss. 26 000 heißt im Klartext: rund 19 500 Soldaten und 6 500 Polizisten. Das ist in etwa die Ge- samtkonzeption, wie sie jetzt von den Vereinten Natio- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nen beschlossen worden ist. Ich denke, es ist wichtig, Das Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidi- dass wir unseren unterstützenden Beitrag leisten, um gung, Franz Josef Jung. endlich in dieser leidgeprüften Region, in Darfur, Stabi- lität und friedliche Entwicklung zu erreichen. Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem gung: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Wir bitten Sie deshalb um Ihre Zustimmung zur Ver- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beteili- längerung des Mandats UNMIS bezogen auf den Südsu- gung der Bundeswehr an der Friedensmission der Ver- dan – dessen Aufgaben habe ich hier gerade vorgetragen – einten Nationen im Sudan, UNMIS, mit Militärbeobach- und um Zustimmung zu der Beteiligung der Bundeswehr tern und Personal in Stäben und im Hauptquartier ist ein (B) an der gemeinsam von den Vereinten Nationen und der (D) wichtiger Bestandteil der Gesamtanstrengungen der Afrikanischen Union geführten Mission UNAMID in Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung im Südsu- Darfur. dan. Afrika ist der Nachbarkontinent von Europa. Wir ha- Wir bitten um die Fortsetzung des Mandats mit bis zu ben, denke ich, ein Interesse daran, auch mit Blick auf 75 Soldaten. Wir haben dort derzeit 38 Soldaten im Ein- die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, dass es satz. Ich hatte vorige Woche zusammen mit Kollegen in eine stabile und friedliche Entwicklung auf dem afrika- Akaba Gelegenheit, mit einigen dieser Soldaten zu spre- nischen Kontinent gibt. Gerade Darfur ist ein typisches chen. Ich kann nur noch einmal unterstreichen, was Kol- Beispiel. Dort werden Menschenrechte mit Füßen getre- lege Erler hier gerade zum Ausdruck gebracht hat: Die ten und täglich Gräueltaten verübt. Es ist richtig, dass die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens gestaltet Europäische Union und konkret auch wir hier unsere sich zurzeit zunehmend schwierig. Die Soldaten haben Unterstützung leisten. Deshalb bitten wir Sie um Ihre Sorgen im Hinblick auf die Entwicklung geäußert, auch Unterstützung für dieses neue Mandat mit einer Ober- und insbesondere bezogen auf die Grenzsituation und grenze von bis zu 250 Soldaten. die Situation der Ölfelder. Dennoch, glaube ich, ist der Aufbau von Verwaltungsstrukturen im Südsudan not- Besten Dank. wendig. Zahlreiche Flüchtlinge sind in ihre Heimat zu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rückgekehrt. Die Rückverlegung von Truppen beider neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- Seiten hat ein Stück weit Fortschritte gemacht. SES 90/DIE GRÜNEN) Unabhängig davon bitten wir um Zustimmung zu einem neuen Mandat, für die Unterstützung von Vizepräsidentin Petra Pau: UNAMID. Sie wissen, dass AMIS ihren Auftrag inso- Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege fern nicht erfüllen konnte, weil die Kräfte nicht ausreich- Wolfgang Gehrcke das Wort. ten, um Sicherung, Stabilität und eine friedliche Ent- wicklung zu gewährleisten und die Gräueltaten, die dort (Beifall bei der LINKEN) teilweise täglich passieren, zu unterbinden. Deshalb un- terstützen wir das neue Mandat der Vereinten Nationen, Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): UNAMID. Der Sicherheitsrat hat es für zunächst zwölf Frau Präsidentin, schönen Dank. – Liebe Kolleginnen Monate beschlossen, um eine wirksame Umsetzung des und Kollegen! Ich finde, die regelmäßigen Debatten Darfur-Friedensabkommens zu gewährleisten. über Mandate und Mandatsverlängerungen zwingen uns Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12863

Wolfgang Gehrcke (A) dazu, jedes Mal wieder den eigenen Standpunkt zu über- penstationierung im Tschad, die mit der Situation in Dar- (C) prüfen. Das gilt sowohl für die Kolleginnen und Kolle- fur im Zusammenhang steht. Es handelt sich hier um gen, die zustimmen, als auch für die Kolleginnen und Truppen der Europäischen Union. Wenn man genauer Kollegen, die ablehnen. Man ist gezwungen, jedes Mal hinschaut, so stellt man fest, dass es hauptsächlich fran- die eigenen Argumente noch einmal auf den Prüfstand zösische Truppen sind; es sind nur wenig andere dabei. zu stellen. Ob es besonders klug ist, dass die ehemalige Kolonial- macht den Hauptteil der Truppen stellt, wage ich zu be- (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Aber zweifeln. Sie kommen nie zum Lernerfolg!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Es gibt Entscheidungen, die zumindest in einzelnen GRÜNEN]: Wollen Sie vorschlagen, dass wir Fraktionen unumstritten sind; dazu gehört bei uns die das machen, Herr Kollege?) Entscheidung zu Afghanistan. Und es gibt Entscheidun- gen, die umstrittener und differenzierter zu betrachten – Ich halte es für falsch. – Natürlich steht auch das Pro- sind; dazu gehört zweifelsohne die Entscheidung zum blem im Hintergrund, dass sich die Kämpfe wiederum Sudan. um Naturressourcen wie Öl und Gas im Sudan drehen. (Uta Zapf [SPD]: Ich staune!) Wenn man all dies gegeneinander abwägt, gibt es in der Tat Argumente, die für die Stationierung sprechen. Ich möchte unseren Abwägungsprozess ein Stück weit Aber es gibt tatsächlich auch Argumente, die dagegen transparent machen und erläutern, warum wir zu wel- sprechen, weil der Beweis, dass mit einer Militäraktion chen Entscheidungen kommen. Meine Fraktion wird Stabilität einziehen wird, nicht erbracht ist. Es wurde nicht zustimmen. Ein Teil meiner Fraktion wird sich der hier zumindest einmal von den Kolleginnen und Kolle- Stimme enthalten, und ein anderer Teil wird dagegen gen, die von Militäraktionen als dem letzten Mittel ge- stimmen. Warum das so ist, möchte ich Ihnen nahebrin- sprochen haben, die Meinung vertreten: Wenn es nur ei- gen. Vielleicht wägen auch Sie ein Stück weit mit ab. nen Hauch fraglich bleibt, ob ein Einsatz von Militär Ich glaube, es ist völlig klar, dass kein Mensch über sinnvoll ist, dann muss man sich entscheiden, nicht zu- die ungeheure Anzahl von Menschen, die im Sudan er- zustimmen. Das ist die Verantwortung, die man trägt. mordet worden ist – ich benutze bewusst die Formulie- Man trägt allerdings auch dann eine Verantwortung, der rung „ermordet worden ist“ – hinwegsehen kann. Keiner man gerecht werden muss, wenn man Nein sagt, was, kann darüber hinwegsehen, was an Vertreibungen und wie ich glaube, hier die richtige und angemessene Ent- Gewalt im Sudan ausgelöst worden ist. Keiner kann da- scheidung ist. rüber hinwegsehen, welche unsichere, instabile Situation (B) Eine letzte Bemerkung: Herr Verteidigungsminister, (D) es in den Flüchtlingslagern gibt. All dies sind Faktoren, ich hoffe, dass wir nicht binnen kurzer Zeit erneut über die ernsthaft in Rechnung gestellt werden müssen. eine Aufstockung der Truppen werden diskutieren müs- Ich glaube auch, dass man die Destabilisierung, die sen. Wenn das ganze Schlamassel im Sudan so abläuft, vom Sudan auf ihn selbst und auf seine Nachbarländer wie ich es befürchte, spricht allerdings sehr viel dafür. ausgeht, ernsthaft in Rechnung stellen muss. Ich stelle Herzlichen Dank. natürlich auch immer in Rechnung – das ist mir selbst und meiner Fraktion nämlich wichtig –, ob ein klares (Beifall bei der LINKEN) Mandat der Vereinten Nationen vorliegt oder nicht. Das ist zwar hier der Fall, muss aber nicht heißen, dass jedes Vizepräsidentin Petra Pau: Mandat der Vereinten Nationen dann auch politisch von Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- den einzeln handelnden politischen Kräften geteilt wer- lege Jürgen Trittin das Wort. den muss. Man kann auch zur Auffassung gelangen, dass man eine andere Position einnimmt; aber man muss es in Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Rechnung stellen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be- Ferner muss in Rechnung gestellt werden – diesbe- grüßen ausdrücklich, dass der Sicherheitsrat der Verein- züglich teile ich den Optimismus vom Kollegen Erler ten Nationen die Hybridmission in Darfur beschlossen nicht; ich wäre froh, wenn Sie recht hätten und ich un- hat. recht hätte –, dass wir es im Sudan mit enorm großen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN neuen Gefahren zu tun bekommen werden. Die Lostren- sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] nungstendenzen nicht nur im Süden des Sudans sind [CDU/CSU]) stärker geworden. Solche Lostrennungstendenzen gibt es auch in Darfur; das ist bekannt. Die Rebellengruppen Ich sage zunächst einmal mit Nachdruck: Ich finde es – falls man diesen Begriff überhaupt verwenden kann – richtig, dass diese Mission mit Kapitel VII der UN- haben sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geei- Charta begründet wird. Somit haben die dort eingesetz- nigt. Die Regierung im Sudan hat keine vernünftigen ten Soldaten das Recht und den Auftrag, Menschen in Lehren aus all dem gezogen. Die Handlungsweise der Not vor Mord und Vertreibung zu schützen. sudanesischen Regierung ist und bleibt kritikwürdig. Das sage ich nicht, weil ich diese Entwicklung für gut Dazu kommt – das ist zwar nicht Gegenstand des halte. Wir haben aber doch erlebt, was ein zahlenmäßig Mandats, aber man hat es mit einzubeziehen – die Trup- ungenügend ausgestattetes Mandat, die nicht ausrei- 12864 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Jürgen Trittin (A) chende Kompetenz der AU-Truppe und ihre absolut lä- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (C) cherliche Ausstattung bewirkt haben. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) (Marina Schuster [FDP]: Allerdings!) Ich habe mir einmal Folgendes angesehen: Bei der Ab- Dadurch wurden der Konflikt und das Morden nicht be- stimmung im Jahr 2006 haben 31 Ihrer 56 Abgeordneten endet. Im Gegenteil, dadurch wurden diejenigen, die dagegen gestimmt, 7 haben sich enthalten, 18 haben es schlichten wollten, zum Objekt der Empörung und letzt- vorgezogen, gar nicht erst zu erscheinen. lich auch zum Objekt militärischer Angriffe gemacht. (Zurufe von der SPD: Na! – Was?) Das darf nie wieder passieren. Deswegen ist es richtig, dass das Mandat für UNAMID in dieser Weise erteilt – Sie waren nicht da. – 2007 haben wieder die üblichen worden ist. 31 – ich weiß, Sie gehören nicht dazu – mit Nein ge- stimmt. Diesmal haben sich 15 enthalten, und 10 haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefehlt. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Ich finde es auch richtig, dass sich Deutschland daran Herren von der Linkspartei, ich glaube, Sie sollten sich beteiligt. Herr Jung, wenn es nicht schon so spät wäre, einen Ruck geben! hätte ich Ihnen die Frage gestellt: Wie oft sind eigentlich (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das die AMIS-Leute in letzter Zeit zum Einsatz gekommen? müssen ausgerechnet Sie sagen!) Ich würde mir wünschen, dass diese 250 Menschen, die die nötigen Kapazitäten und Fähigkeiten haben, in Dar- Die Verweigerung der aktiven Beteiligung an solchen fur tatsächlich zum Schutz der Menschen, die von Ver- Friedenseinsätzen, die Blauhelmeinsätze waren, ist eine treibung, Vergewaltigung und Mord bedroht sind, einge- höchst arrogante. setzt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf den Südsu- Sie läuft nämlich im Ergebnis darauf hinaus, dass die dan, mit dem ich eine Erinnerung aus meiner Zeit als reichen Nationen zwar für solche Einsätze zahlen, aber Minister in Niedersachsen verbinde: Damals mussten die armen Länder den Kopf hinhalten sollen. wir Entwicklungsprojekte im Süden des Landes been- den; Herr Fischer weiß das. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Imperialismus!) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ich finde, das ist eine arrogante Position. Ich finde, die- (B) Ja!) (D) jenigen, die im Namen der internationalen Staatenge- 30 Jahre lang gab es dort Krieg. Durch das Abkommen meinschaft dafür sorgen, dass dieser Krieg im Südsudan von Naviasha hat man es jetzt geschafft, für Frieden zu nicht wieder ausbricht, verdienen unsere Anerkennung sorgen. Es handelt sich dabei allerdings um einen insta- und unsere gemeinsame Unterstützung – auch und ge- bilen Frieden, einen Frieden mit Risiken und mit Proble- rade wenn man sich als links bezeichnet. men. Jetzt richten die Konfliktparteien gemeinsam die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bitte an die Vereinten Nationen: Wir wollen, dass der und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der 30-jährige Krieg nicht wieder ausbricht, aber wir trauen CDU/CSU und der FDP) uns gegenseitig nicht. Deshalb möchten wir, dass ihr das überwacht. Schickt uns Militärbeobachter, damit wir uns an unsere Vereinbarung halten. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Rede der Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin Ich sage Ihnen: Was gibt es für Menschen, die Frieden nehmen wir zu Protokoll.1) sichern und Krieg verhindern wollen, Richtigeres, als Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die sich daran aktiv zu beteiligen? Es ist einfach Unsinn – ich Unionsfraktion. sage das bewusst mit Zurückhaltung, lieber Wolfgang Gehrcke; Sie wissen, dass ich Sie aufgrund Ihrer diffe- renzierenden Betrachtungsweise schätze und ernst Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): nehme –, den Einsatz unbewaffneter Militärbeobachter, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die mit Zustimmung der Konfliktparteien verhindern Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt den beiden sollen, dass der Krieg wieder ausbricht, mit imperialisti- UN-Mandaten UNMIS, Resolution 1590, und UNAMID, schen Kriegen um Rohöl gleichzusetzen. Resolution 1769, uneingeschränkt zu und unterstützt die Bundesregierung in ihrem Bemühen, Frieden in Darfur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu schaffen. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Darfur ist die Geschichte verbrannter Dörfer, mas- SPD und der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE senhafter Vergewaltigungen und Verstümmelungen, LINKE]: Habe ich das gesagt?) ethnischer Säuberung. Darfur ist auch die Ge- schichte hilflosen Zuschauens, kraftloser UN-Reso- Lieber Wolfgang Gehrcke, ich finde, hier hätten Sie Mut haben sollen; denn so, wie es jetzt läuft, geht es mit Ih- nen nicht weiter. 1) Anlage 10 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12865

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) lutionen, von Waffenlieferungen durch andere Län- Auffassung, dass nach weiteren 30 Tagen die finanziel- (C) der und chaotischen „Friedensberatungen“. Die len und die materiellen Dinge geklärt sind. All dies ist Fakten über Darfur sind bekannt; aber dennoch bisher nicht geschehen. Ich sage Ihnen: Wenn wir ein wurde der Völkermord nicht zur Weltnachricht. weiteres halbes Jahr debattieren – sei es auch auf UN- Das Fehlen „echter Bilder“ mag dabei eine Rolle Ebene –, dann hat die Weltgemeinschaft wieder einmal gespielt haben. Die Regierung in Khartoum verhin- bei einem Krisenherd versagt. dert regelmäßig den Zugang in das Gebiet für Jour- nalisten und immer häufiger auch für Hilfsorgani- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP sationen. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So stand es vorgestern in der niederländischen Zeitung Vizepräsidentin Petra Pau: Trouw. Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, ich bin nicht ganz so opti- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf mistisch wie Herr Staatsminister Erler, wenn ich daran den Drucksachen 16/6940 und 16/6941 an die in der Ta- denke, dass die Friedensverhandlungen bereits nach ei- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. nem Tag auf Dezember verschoben worden sind, weil Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann die Rebellenorganisationen sich nicht einig sind. Das Sterben geht also weiter und das Leiden auch. Ich bin sind die Überweisungen so beschlossen. auch nicht optimistisch, dass es nur annähernd ein Ein- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: lenken der Zentralregierung in Khartoum geben könnte. Denn wer sich die aktuelle UN-Resolution ansieht – ich Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst stimme mit den Kollegen überein, dass es richtig ist, Burgbacher, Sibylle Laurischk, Horst Friedrich dass es eine Resolution gemäß Kapitel VII ist –, der sieht (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Frak- auch, dass in einem Absatz steht, dass die UN verlangen, tion der FDP dass alle Bombenangriffe eingestellt werden und dass Integrierte Planung für Schiene und Straße im die für derartige Angriffe verwendeten Luftfahrzeuge Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Süd- nicht mit Symbolen der Vereinten Nationen gekenn- baden zeichnet werden. Das ist eindeutig eine Verurteilung der Regierung; denn die Rebellen verfügen nicht über Flug- – Drucksache 16/6638 – zeuge. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Es geht weiter damit, dass die Regierung Baschir ges- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie tern den UN-Koordinator für die humanitäre Hilfe, Ausschuss für Tourismus (B) Herrn Ibrahim Wael al-Hadsch, ausgewiesen hat, weil er Haushaltsausschuss (D) berichtet hatte, dass die Zentralregierung 1 000 Flücht- linge mit Waffengewalt aus dem Lager Nyala verlegt hat – Wir nehmen die Reden des Kollegen Peter Weiß (Em- entgegen allen Vereinbarungen. Die Regierung hat sich mendingen) für die Unionsfraktion, der Kollegin Rita in den letzten Monaten zudem geweigert, die Haftbe- Schwarzelühr-Sutter für die SPD, des Kollegen Ernst fehle des Internationalen Strafgerichtshofes gegen zwei Burgbacher für die FDP, der Kollegin Dorothée Menzner Kriegsverbrecher im Sudan anzuerkennen, und war nicht für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Kerstin bereit, die Auslieferung vorzunehmen. Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- tokoll.1) Ich persönlich sage: Auch ich bin enttäuscht, dass gestern nach einem Empfang für Herrn Baschir Herr Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Mbeki, der Staatspräsident von Südafrika, ausschließlich Drucksache 16/6638 an die in der Tagesordnung aufge- die Rebellen aufgefordert hat, die Gewalt einzustellen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Diese Aufforderung muss sich nach meiner Überzeu- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung gung auch an die Regierung richten. so beschlossen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SES 90/DIE GRÜNEN) SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es wird von 200 000 Toten gesprochen. Es sind weit mehr, sagen uns die Hilfsorganisationen. Jeden Tag ster- Bei der 62. Generalversammlung der Verein- ben in jedem der Lager weiter Kinder, insbesondere un- ten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- ter Fünfjährige. Ich hoffe – man kann wirklich nur noch schaffung der Todesstrafe setzen Hoffnungen damit verbinden –, dass diese wirklich aus- – Drucksache 16/6942 – gezeichnete Resolution, die jetzt auch von den Chinesen, die immer noch Waffen liefern, mit unterstützt worden Beschlussfassung ist, umgesetzt werden kann. Ich habe allerdings gewisse Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Zweifel, weil es bei der Truppenstellerkonferenz sehr Florian Toncar, Michael Link (Heilbronn), Jens hakt und bereits erhebliche Verzögerungen gegeben hat. Innerhalb von 30 Tagen nach der Verabschiedung der Ackermann und weiterer Abgeordneter vor. Resolution am 30. Juli 2007 sollte berichtet werden, wie diese Truppenstellerkonferenz vorangeht. Man war der 1) Anlage 11 12866 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Auch hier nehmen wir die Reden zu Protokoll. Das federführend im Ausschuss für Familie, Senioren, (C) betrifft die Rede der Kollegin Erika Steinbach für die Frauen und Jugend beraten werden soll. Sind Sie damit CDU/CSU-Fraktion, die Rede der Kollegin Professor einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist diese Über- Dr. Herta Däubler-Gmelin für die SPD-Fraktion, die weisung ebenfalls beschlossen. Rede des Kollegen Florian Toncar für die FDP-Fraktion, die Rede des Kollegen Michael Leutert für die Fraktion Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: Die Linke und die Rede des Kollegen Volker Beck a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (Köln) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.1) desregierung eingebrachten Entwurfs eines Außerdem liegt eine Reihe von Erklärungen nach Gesetzes zur Finanzierung der Beendi- § 31 unserer Geschäftsordnung von Mitgliedern der gung des subventionierten Steinkohlen- FDP-Fraktion vor, welche ebenfalls zu Protokoll genom- bergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinan- men werden.2) zierungsgesetz) Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag – Drucksache 16/6566 – der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6942 tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten mit dem Titel: „Bei der 62. Generalversammlung der Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzierung Vereinten Nationen ein Zeichen für die weltweite Ab- der Beendigung des subventionierten Stein- schaffung der Todesstrafe setzen“. Hierzu liegt ein Än- kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkoh- derungsantrag der Abgeordneten Florian Toncar, lefinanzierungsgesetz) Michael Link (Heilbronn), Jens Ackermann und weiterer Abgeordneter vor, über den wir zuerst abstimmen. – Drucksache 16/6384 – Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- sache 16/7044? – Die Gegenprobe! – Gibt es Enthaltun- schusses für Wirtschaft und Technologie gen? – Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. (9. Ausschuss) Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der CDU/ – Drucksache 16/6972 – CSU, der SPD, der FDP und des Bündnisses 90/Die Berichterstattung: Grünen auf Drucksache 16/6942? – Wer stimmt dage- Abgeordnete Kerstin Andreae gen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieser Antrag ein- stimmig angenommen. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: (B) – Drucksache 16/6973 – (D) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Katja Kipping, Dr. Barbara Berichterstattung: Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abgeordnete Kurt J. Rossmanith DIE LINKE Volker Kröning Ulrike Flach Finanzierung von Frauenhäusern bundesweit Roland Claus sicherstellen und losgelöst vom SGB II regeln Anna Lührmann – Drucksache 16/6928 – b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Überweisungsvorschlag: richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) nologie (9. Ausschuss) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) – zu dem Antrag der Abgeordneten Paul K. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für Friedhoff, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Wir neh- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der men allerdings wiederum die Reden der Kolleginnen FDP und Kollegen zu Protokoll. Dies betrifft die Rede der Ausstieg aus der Steinkohle zügig und zu- Kollegin Maria Michalk von der CDU/CSU-Fraktion, kunftsgerichtet gestalten – RAG-Börsen- die Rede der Kollegin Renate Gradistanac von der SPD- gang an marktwirtschaftlichen Grundsät- Fraktion, die Rede der Kollegin Ina Lenke von der FDP- zen ausrichten Fraktion, die Rede der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke und den Beitrag der Kollegin – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Irmingard Schewe-Gerigk aus der Fraktion Bündnis 90/ Hans-Kurt Hill, Dr. Barbara Höll, Dr. Gesine Die Grünen.3) Lötzsch und der Fraktion DIE LINKE Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Ruhrkohle AG in eine Stiftung öffentlichen Drucksache 16/6928 an die in der Tagesordnung aufge- Rechts überführen – Börsengang verhin- führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Vorlage dern – Drucksachen 16/5422, 16/6392, 16/6972 – 1) Anlage 15 2) Anlage 5 Berichterstattung: 3) Anlage 13 Abgeordnete Kerstin Andreae Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12867

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Zu dem Entwurf eines Steinkohlefinanzierungsgeset- weiterhin das Argument der Versorgungssicherheit vor- (C) zes der Bundesregierung sowie zu dem der Fraktionen geschoben, um Arbeitsplätze zu erhalten. der CDU/CSU und SPD liegt je ein Entschließungsan- Allerdings waren dies teure Arbeitsplätze für den trag der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/ Steuerzahler: Schon 1990 wurde jeder Arbeitsplatz im Die Grünen vor. Bergbau mit 76 000 DM subventioniert; heute sind es Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war auch etwa 76 000 Euro. Wir müssen also viel mehr an Sub- hier eine halbe Stunde vorgesehen. Nun nehmen wir die ventionen bezahlen, als die Kumpels verdienen. Insge- Beiträge der Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer von der samt sind bis heute rund 130 Milliarden Euro aus Steuer- CDU/CSU-Fraktion und Rolf Hempelmann von der mitteln in die Steinkohle geflossen. Jetzt kommen noch SPD-Fraktion zu Protokoll.1) die bereits angesprochenen 38 Milliarden Euro hinzu. Das Wort erhält der Kollege für die (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) FDP-Fraktion. Hinzu kommen aber auch noch Dauerschäden an der Na- (Beifall bei der FDP) tur und an Gebäuden in den Bergbauregionen. Den Kumpeln und den Steuerzahlern ist das Märchen Paul K. Friedhoff (FDP): von der Versorgungssicherheit immer wieder erzählt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! worden. Damit wurde der Strukturwandel hin zu moder- Zu dieser vorgerückten Stunde kommen wir nun zu ei- neren Technologien an der Ruhr nicht gefördert, sondern nem Thema, das wahrlich einen besseren Debattenplatz behindert. Das Geld, das in dunkle Schächte floss, fehlte verdient hätte; denn wir entscheiden heute – wir disku- an anderer Stelle. Das einst starke Bundesland NRW fiel tieren nicht mehr, sondern entscheiden tatsächlich – über in die Mittelmäßigkeit zurück. die Abwicklung von 800 Jahren deutscher Industriege- Die Folgen bekämpft die heutige Düsseldorfer Koali- schichte in Form der Beendigung des subventionierten tion aus CDU und FDP. Diese ist es auch, die den Aus- deutschen Steinkohlebergbaus sowie, wie Sie alle wis- stieg, den wir heute beschließen wollen, erzwungen hat. sen, über Subventionen in Höhe von 38 Milliarden Euro. Das darüber nicht mehr zu reden sein muss, sondern dass (Beifall bei der FDP) sämtliche Redebeiträge zu Protokoll gegeben werden Das Märchen von der Versorgungssicherheit wird sollen, enttäuscht mich ein wenig. Ich kann mich nicht heute nicht mehr aufrechterhalten. Darüber freuen wir daran erinnern, dass solche wichtigen Themen, bei de- uns. Dieses Märchen hat sich 25 Jahre lang gehalten; nen es um so viel Geld geht, in der Vergangenheit so be- Gott sei Dank ist es jetzt vorbei. Wenn nun ein neues handelt worden sind, wie dies jetzt der Fall ist. (B) Märchen von der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der (D) (Beifall bei der FDP) deutschen Steinkohle aufkommt und es tatsächlich wahr werden sollte, haben wir Liberalen selbstverständlich Wir erinnern uns: Der industrielle Aufstieg Deutsch- nichts dagegen. Wir haben nichts gegen einen unsubven- lands im 19. Jahrhundert war untrennbar mit dem deut- tionierten Bergbau, weder 2012 noch später. Aber wir schen Steinkohlenbergbau verbunden. Nach dem Krieg, glauben nicht daran; denn wir sind Realisten. als alles in Schutt und Asche lag, war es die deutsche Steinkohle, die den Wiederaufbau in Deutschland erst Erstens fordern wir deshalb: Der Bergbau sollte be- ermöglichte. Dies war der Stoff, auf dem Deutschland reits 2012 auslaufen, damit nicht noch weitere 12 Mil- aufbauen konnte. liarden Euro an Steuergeldern sinnlos ausgegeben wer- den. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Beifall bei der FDP) Es gilt auch heute noch, den Kumpeln aus der damaligen Zeit dafür zu danken. Denn in diesen letzten sechs Jahren mit durchschnittlich noch 5 000 Bergleuten würden jährlich Kosten in Höhe (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten von 400 000 Euro pro Beschäftigten anfallen. Das kann der SPD) man sich kaum vorstellen. Mit der Internationalisierung des Handels und dem (Zuruf von der FDP: Ungeheuerlich!) immer preisgünstigeren Transport von Gütern über die Aus der Sicht des Steuerzahlers ist es eben nicht sozial Weltmeere erwuchs der deutschen Steinkohle eine Kon- verträglich, sondern unerträglich, wenn dieses Geld kurrenz, die sie wettbewerbsunfähig machte. Das führte nicht in öffentliche Infrastruktur investiert wird. Dass seit den 60er-Jahren in Deutschland zu ihrer Subventio- dadurch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden könnten nierung, zunächst mit der Begründung, die Energiever- als die, die im Bergbau noch erhalten werden, dürfte je- sorgung in Deutschland sei sonst nicht gesichert. Doch dem klar sein, der sich ein wenig mit diesem Thema be- ein Blick auf die weltweiten Lagerstätten, in denen schäftigt. Steinkohle wesentlich preiswerter abgebaut werden kann, zeigt schnell, dass wir in Deutschland nur über Zweitens fordern wir, den Subventionsmodus von etwa 3 Prozent der Weltkohlevorräte verfügen und dass dem Kostenerstattungsprinzip auf ein Prämienmodell diese hier nur sehr teuer abbaubar sind. Dennoch wurde pro Tonne umzustellen, um Anreize für höhere Effizienz zu geben und damit Subventionen einzusparen. 1) Anlage 14 (Beifall bei der FDP) 12868 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Paul K. Friedhoff (A) Drittens soll das Vermögen der THS in Form ihres Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die (C) Wohnungsbestandes, den letztlich auch der Steuerzahler Grünen angenommen. finanziert hat – das ist ebenfalls ein wichtiges Thema, dem sich möglicherweise auch der Rechnungshof einmal Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- zuwenden sollte –, nach unserer Meinung nicht in eine schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- Gewerkschaftskasse fließen, sondern dem Steuerzahler antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7012? – zurückgegeben werden. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP abgelehnt. (Beifall bei der FDP) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Die FDP-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bun- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf desregierung zustimmen, Drucksache 16/7011. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal- (Rolf Hempelmann [SPD]: Das war der beste tungen? – Dann ist der Entschließungsantrag gegen die Satz!) Stimmen der Antragsteller mit den Stimmen der Koali- weil wir damit unsere langjährige Forderung nach einem tionsfraktionen, der Fraktion Die Linke bei Enthaltung Ende des Subventionsbergbaus erfüllt sehen. Wir gehen der Fraktion der FDP abgelehnt. aber davon aus, dass das Ende des Subventionsbergbaus Wir setzten die Abstimmung zu der Beschlussemp- nicht erst 2018 kommen wird, Herr Hempelmann; denn fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie an dieses Datum glauben wirklich nur die Märchener- auf Drucksache 16/6972 fort. Der Ausschuss empfiehlt zähler von damals. unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab- Ich danke Ihnen. lehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksa- che 16/5422 mit dem Titel „Ausstieg aus der Steinkohle (Beifall bei der FDP – Hartwig Fischer [Göt- zügig und zukunftsgerichtet gestalten – RAG-Börsen- tingen] [CDU/CSU]: Ohne die Steinkohle hät- gang an marktwirtschaftlichen Grundsätzen ausrichten“. ten Sie schon seit drei Minuten keinen Strom Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer mehr!) stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Vizepräsidentin Petra Pau: Wir sind noch immer bei Tagesordnungspunkt 21 b. Wir nehmen die Reden des Kollegen Dr. Joachim Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh- Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion und des Kollegen nung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- Rolf Hempelmann für die SPD-Fraktion, der Kollegin sache 16/6392 mit dem Titel „Ruhrkohle AG in eine (B) Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke und der Kollegin Stiftung öffentlichen Rechts überführen – Börsengang (D) Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- verhindern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- nen zu Protokoll.1) Außerdem liegt eine Erklärung nach lung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – § 31 unserer Geschäftsordnung des Kollegen Dr. Axel Damit ist die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen Berg vor, die ebenfalls zu Protokoll genommen wird.2) der Antragsteller angenommen. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Damit kommen wir zur Abstimmung über die von der Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole Bundesregierung sowie von den Fraktionen der CDU/ Maisch, Sylvia Kotting-Uhl, Winfried Hermann, CSU und der SPD eingebrachten Entwürfe eines Stein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- kohlefinanzierungsgesetzes. Der Ausschuss für Wirt- NIS 90/DIE GRÜNEN schaft und Technologie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6972, Umweltqualitätsnormen im Bereich Wasser- die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 16/6566 und politik – Forderungen des Europäischen Par- 16/6384 zusammenzuführen und unverändert anzuneh- laments aufgreifen und ausweiten men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der – Drucksache 16/6636 – Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- Überweisungsvorschlag: chen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Dann ist der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak- Verbraucherschutz tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dritte Beratung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wir nehmen die Reden des Kollegen Ulrich Petzold Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – für die Unionsfraktion, der Kollegin Petra Bierwirth für Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge- die SPD-Fraktion, des Kollegen Horst Meierhofer für setzentwurf ist damit mit den Stimmen der Koalitions- die FDP-Fraktion, der Kollegin Eva Bulling-Schröter für fraktionen und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der die Fraktion Die Linke und der Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.3)

1) Anlage 14 2) Anlage 6 3) Anlage 15 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12869

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- (C) Drucksache 16/6636 an die in der Tagesordnung aufge- entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- tion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Fraktion der Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion so beschlossen. angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- 16/7013. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- zur Aufhebung der Heimkehrerstiftung und schließungsantrag ist damit gegen die Stimmen der An- zur Finanzierung der Stiftung für ehemalige tragsteller und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei politische Häftlinge (Heimkehrerstiftungsauf- Enthaltung der FDP-Fraktion mit den Stimmen der Uni- hebungsgesetz – HKStAufhG) onsfraktion und der SPD-Fraktion abgelehnt. – Drucksache 16/5845 – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schusses (4. Ausschuss) richts des Ausschusses für die Angelegenheiten – Drucksache 16/6956 – der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Rainder Steenblock, Berichterstattung: Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abge- Abgeordnete Günter Baumann ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Maik Reichel GRÜNEN Dr. Max Stadler Jan Korte Die Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik Wolfgang Wieland der Europäischen Union weiterentwickeln – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) – Drucksachen 16/5425, 16/6977 – gemäß § 96 der Geschäftsordnung Berichterstattung: – Drucksache 16/6990 – Abgeordnete Dr. Stephan Eisel Axel Schäfer (Bochum) Berichterstattung: Markus Löning Abgeordnete Bettina Hagedorn (B) Dr. Diether Dehm (D) Dr. Michael Luther Rainder Steenblock Otto Fricke Roland Claus Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Alexander Bonde Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Wir nehmen die Reden der Kollegen Klaus Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Brähmig und Jochen-Konrad Fromme für die Unions- Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. fraktion, des Kollegen Maik Reichel für die SPD-Frak- tion, des Kollegen Dr. Max Stadler für die FDP-Frak- Axel Schäfer (Bochum) (SPD): tion, des Kollegen Wolfgang Wieland für die Fraktion Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bündnis 90/Die Grünen und meine Rede zu Protokoll.1) Wenn man am 8. November eine Debatte über die Zu- Wir kommen damit zur Abstimmung über den von kunft Europas, insbesondere was die Erweiterungs- und der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Nachbarschaftspolitik anbelangt, führt, dann ist es rich- Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes. Der Innenaus- tig und notwendig, sich daran zu erinnern, dass sich mor- schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf gen vor genau 18 Jahren die friedliche Revolution in Drucksache 16/6956, den Gesetzentwurf der Bundesre- Deutschland mit dem Fall der Mauer durchzusetzen be- gierung auf Drucksache 16/5845 in der Ausschussfas- gann. Damit endete zugleich das 20. Jahrhundert, das sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- mit dem Ersten Weltkrieg begann und mit dem Mauer- entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um fall seinen Abschluss fand, ein Jahrhundert, das zur ei- das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es nen Hälfte durch Kriege und Diktaturen und zur anderen Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Hälfte durch das gänzlich Neue, nämlich durch die Euro- Beratung bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenom- päische Gemeinschaft und den europäischen Integra- men. tionsprozess, geprägt war. Dieses Neue stellte ein Ge- genbild zum Krieg dar und stand für ein friedliches Dritte Beratung Zusammenleben. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Die Kinder der friedlichen Revolution, also diejeni- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – gen, die vor 18 Jahren geboren wurden, sind volljährig. Der Transformationsprozess steckt jedoch noch in den 1) Anlage 16 Kinderschuhen. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns im- 12870 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Axel Schäfer (Bochum) (A) mer wieder dessen vergewissern – deshalb ist es gut, Ich sage zu Kroatien ganz bewusst: Der Erweite- (C) dass wir heute hier diese Diskussion führen –, wohin wir rungsprozess, den wir im 21. Jahrhundert begonnen ha- in Europa in Zukunft wollen. Wir müssen die Geschichte ben – Stichwort „zehn plus zwei plus eins“; „zehn“ be- kritisch aufarbeiten und die Probleme konkret benennen, zieht sich auf die Beitritte, die 2004 stattgefunden haben; die wir jetzt anpacken müssen. danach sind zwei weitere Länder, Bulgarien und Rumä- nien, beigetreten; ein weiteres Land, Kroatien, soll fol- Ich sage ganz offen, ohne Schwarzmalerei und ohne gen –, muss noch in diesem Jahrzehnt abgeschlossen Pessimismus: Das Jahr 2008 wird, was die Erweiterung werden. Ich glaube, das ist eine besondere Verpflichtung und Zusammenarbeit in Europa anbelangt, ein Entschei- für uns. dungsjahr sein. Die Frage wird sein, ob es gelingt, in Eu- ropa voranzukommen, oder ob Europa in einigen Berei- (Beifall bei der SPD) chen scheitern wird. Im nächsten Jahr müssen 27 Staaten Natürlich dürfen wir jetzt nicht diejenigen Länder fähig sein, etwa 45 parlamentarische Verfahren zur Rati- ausgrenzen, von denen wir heute seriöserweise nicht sa- fizierung des Reformvertrages, den die große Mehrheit gen können, welche Beitrittsperspektive sie haben. Das dieses Hauses will und den sie ein Stück mitentwickelt heißt speziell für Südosteuropa, unser wichtigstes Pro- hat, durchzuführen. jekt: Wir müssen alles tun, wir müssen alle zur Verfü- Wir brauchen in Südosteuropa – manche sprechen gung stehenden Ressourcen, Mittel und sämtliche Man- vom Westbalkan – Fortschritte, keine Rückschritte, die und Womanpower einsetzen, damit die Lage dort stabil möglicherweise wieder kriegerische Auseinandersetzun- bleibt und die Entwicklung voranschreitet. gen nach sich ziehen. Wir brauchen auch in den Ländern, Ich erwarte, auch von der Kommission, dass man sich die der Europäischen Union beitreten wollen – Türkei und sehr wohl darauf einstellt, ein Stückchen mehr zu tun, Kroatien; ich denke auch an eine Perspektive für Maze- um zu zeigen, dass die Arbeit gelingt und dass es keinen donien –, erkennbare Wandlungen. Seien wir ehrlich: Es Rückschritt gibt. Meine stille Hoffnung ist – ich möchte entwickelt sich nicht alles zum Besseren, und es geht sie gern laut äußern –, dass die Kommission ihrer Ver- nicht alles voran, sondern man fühlt sich manchmal wie antwortung auf andere Art und Weise gerecht wird. Es im Paternoster. Gott sei Dank ändert sich etwas in diesen reicht nicht, 27 Kommissarinnen und Kommissare zu Ländern, wenn sie eine europäische Perspektive haben; haben, die für 27 verschiedene Ressorts zuständig sind. aber leider entwickeln sie sich manchmal zur selben Zeit Es wäre gut, wenn einer oder zwei von ihnen ständig in ein Stück zurück. Das heißt, scheinbar überwundene Südosteuropa sind. Der Erfolg dieses Beitrittsprozesses Probleme treten wieder auf. ist für das Gelingen der Europäischen Gemeinschaft auf Deshalb haben gerade wir Deutsche in Europa im mittlere Sicht nämlich das Wichtigste. Daher müssen wir (B) kommenden Jahr eine ganz besondere Verantwortung. dort sowohl mit Personen als auch mit Mitteln und vie- (D) len Projekten in ganz anderer Weise präsent sein, als es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bisher der Fall ist, um den Menschen zu zeigen: Der der CDU/CSU) Weg nach Europa bedeutet Fortschritt und ist nicht mit neuen Schlaglöchern gepflastert. Wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen wollen, dann ist es wichtig, dass wir die Fundamente Europas Der Bereich Nachbarschaftspolitik ist natürlich etwas nicht infrage stellen. Das erste Fundament, was die Bei- schwieriger. Es ist gut, dass wir über das Positionspapier tritte anbelangt, ist: Jedes europäische Land kann bean- der Grünen diskutieren. Es ist klar: Die Staaten im Vor- tragen, der EU beizutreten, wenn es die Werte der Euro- deren Orient oder in Nordafrika haben nach unserem päischen Union teilt und für ihre Durchsetzung eintritt. Verständnis keine europäische Beitrittsperspektive, weil Das ist die Grundlage. Deshalb möchte ich den Kolle- sie keine europäischen Staaten sind. ginnen und Kollegen der FDP meine Reverenz erweisen und an den Altmeister Genscher erinnern. Als es in den (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: So 90er-Jahren bei der Behandlung dieser Fragen sehr hef- ist es!) tig wurde – schon damals hat man darüber diskutiert, Wir müssen die Formen der Zusammenarbeit mit diesen wer der Europäischen Gemeinschaft noch beitreten Staaten – die Projekte, die wir entwickeln, und die Ver- könnte und sollte –, hat Genscher gesagt: Lasst uns in einbarungen, die wir treffen – so gestalten, dass sie für Europa bei dem Prinzip bleiben, dass wir bestimmte Fra- diese Länder attraktiv sind, eine Innovation darstellen gen nicht stellen, wenn wir wissen, dass wir sie nicht be- und nicht nur „business as usual“ sind. antworten können. Was die andere Seite, die europäischen Beitrittsaspi- Ich denke, es wäre falsch, eine Finalitätsdebatte, also ranten, angeht, ist es vielleicht noch ein wenig wichtiger, eine Debatte über die Frage, welches europäische Land über Prioritäten zu sprechen. Es wird darauf ankommen, eigentlich nicht dazu gehören sollte, zu führen. Das zu dass wir helfen, die dort manchmal ganz schwierigen bedenken, ist eine ganz wichtige Voraussetzung. Das Ausprägungen alter Strukturen in Richtung Demokratie heißt in puncto Verhandlungen mit der Türkei und mit zu überwinden. Wir haben dabei vier Punkte im Auge, Kroatien: Wir müssen diese Verhandlungen mit dem Ziel die ich hier noch einmal deutlich machen möchte: führen, dass sie erfolgreich sind, und nicht mit der Maß- gabe, dass nur irgendetwas dabei herauskommt. Wir brauchen in diesen Bereichen Vereinbarungen über eine wirtschaftliche Entwicklung. Wir brauchen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Regelungen, insbesondere was Energie anbelangt. Wir Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12871

Axel Schäfer (Bochum) (A) müssen natürlich die Mobilität von Menschen fördern. handlungsfähig als Vorraussetzung für ihre Erweiterung (C) Wir müssen versuchen, Nachhaltigkeit im Umweltbe- bleiben. reich zu unterstützen. Das sind die wesentlichen Ele- mente dieser Strategie. Wie wir wissen, haben wir uns Die zweite Schwäche bezieht sich auf die Erweite- mit dem neuen Reformvertrag, den wir ratifizieren wol- rungspolitik an sich. Diesbezüglich müssen wir überle- len, dazu verpflichtet, die Nachbarschaftspolitik zu einer gen, ob wir noch die richtige Grundhaltung verfolgen. wichtigen europäischen Aufgabe zu machen. Wir haben eine Situation, in der die Europäische Union den Aspiranten eine To-do-Liste vorlegt, die abgearbei- Die Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/ tet werden muss, um Mitglied der Europäischen Union Die Grünen haben hier dankenswerterweise einen sehr zu werden. Dadurch geraten wir leicht in eine Situation, umfangreichen Antrag vorgelegt. in der Reformen in den entsprechenden Ländern nicht (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ um ihrer selbst willen durchgeführt werden, sondern nur DIE GRÜNEN]: Nicht umfangreich, sondern wegen der Anforderungen der Europäischen Union. So gut! – Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- entstehen keine nachhaltigen Reformen. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) An diesem Antrag werden wir uns in Zukunft, lieber Da kann man einmal die Beispiele Ungarn, Tschechi- Jürgen Trittin, sicherlich abarbeiten, auch in Diskussio- sche Republik und Polen heranziehen. Die Menschen nen. Es ist völlig klar: Zum Schluss werden wir eine Ent- dort haben die Demokratie um ihrer selbst willen einge- scheidung treffen. Auch ich als Sprecher der Arbeits- führt und nicht deswegen, weil sie eine To-do-Liste be- gruppe „Angelegenheiten der Europäischen Union“ der kamen. Daraus hat sich dann der Beitrittsanspruch erge- sozialdemokratischen Fraktion werde daran mitarbeiten, ben. dass in diesem Parlament eine tragfähige und breite Grundlage zustande kommt. Dem Antrag heute zuzu- In dieser Woche hat uns die Europäische Kommission stimmen, halte ich aufgrund der gegenwärtigen Situation Fortschrittsberichte vorgelegt, in denen über alle Länder nicht für richtig. Aber es ist wichtig, dass wir die Dis- mit viel Skepsis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und kussion heute wie vereinbart führen. Nachhaltigkeit der Reformen berichtet wird. Wenn wir diese Fortschrittsberichte ernst nehmen, dann müssen Vielen Dank. wir Wert darauf legen, dass Reformen nicht nur durchge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten führt werden, weil die Europäische Union dies als Bei- der CDU/CSU) trittsvoraussetzung fordert, sondern weil die Reformen in den Ländern selbst von der Bevölkerung nachhaltig (B) Vizepräsidentin Petra Pau: getragen werden. Ich sage das insbesondere mit Blick (D) Wir nehmen die Rede des Kollegen Michael Link für auf die Türkei. die FDP-Fraktion zu Protokoll1). Das Wort hat der Kol- (Beifall bei der CDU/CSU) lege Dr. Stephan Eisel für die Unionsfraktion. Der dritte Punkt, der uns in der Europapolitik be- (Beifall bei der CDU/CSU) schäftigt und im Antrag der Grünen nicht schlüssig be- handelt wird, betrifft die europäische Nachbarschaftspo- Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): litik. Im EU-Vertrag steht ganz klar, dass jeder Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! europäische Staat das Recht hat, einen Antrag auf Mit- Meine Damen und Herren! Wir debattieren über die eu- gliedschaft zu stellen. Wir kommen nicht darum herum, ropäische Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik auf- die Frage zu beantworten, was denn ein europäischer grund eines Antrages der Grünen. In diesem Antrag der Staat ist. Es gehört auch die geografische Komponente Grünen sind viele bedenkenswerte Überlegungen enthal- dazu. Aber wir haben auch die Verpflichtung, dass mit ten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, denjenigen, die nicht in eine Beitrittssituation kommen er hat drei entscheidende Schwächen. Diese entschei- werden, eine gute Nachbarschaftspolitik betrieben wird. denden Schwächen beschreiben zugleich die Herausfor- derungen an die europäische Politik. Aber das ist eine zweiseitige Angelegenheit. Auch das will ich an einem Beispiel deutlich machen: an dem Erstens. Wir befinden uns in einer Phase, in der die besonderen Verhältnis zu Russland. Ich sage in aller Vertiefung und die Konsolidierung in der Europäischen Deutlichkeit, dass das, was in diesem Bereich vonseiten Union Vorrang vor der Erweiterung haben. Russlands zurzeit passiert, keine gute Nachbarschaftspo- (Beifall bei der CDU/CSU) litik ist. Die Umsetzung des europäischen Reformvertrages – nicht (Beifall bei der CDU/CSU) nur die Ratifizierung – hat jetzt Priorität. Denn wenn die Ich nenne nur die Stichworte „Rindfleisch und Polen“ Europäische Union intern nicht handlungsfähig ist und sowie „Lufthansa und Überflugrechte“. Ich habe aber bleibt, kann sie die anstehenden Probleme nicht lösen. auch keinerlei Verständnis für das Verhalten des rhein- Im Übrigen bleibt sie dann auch nicht attraktiv für die land-pfälzischen Ministerpräsidenten, der eine gemein- Nachbarn. Die Europäische Union muss stark und intern same Reaktion der Europäischen Union auf das Verhal- ten Russlands in Bezug auf die Überflugrechte zunichte 1) Anlage 17 gemacht hat. Ich habe dafür kein Verständnis. 12872 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Dr. Stephan Eisel (A) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Jürgen entscheidend, wem dieses Wachstum zugute kommt. So (C) Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ist etwa der Anstieg des deutschen Exportwachstums im Zuge der Erweiterung zwar eine erfreuliche Tatsache. – Herr Kollege Trittin, ganz ruhig bleiben! Aber wenn bei den deutschen Arbeitnehmern hiervon (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nur wenig ankommt und sich die Lebenshaltungskosten NEN]: Ich stimme Ihnen zu!) in den neuen Mitgliedstaaten drastisch erhöhen, ist es of- fenkundig, dass nur der Reichtum weniger Betroffener – Wenn Sie mir zustimmen, ist das eine erfreuliche An- gesteigert wird. gelegenheit. Zwar wird in diesem Antrag im Teil zur Nachbar- (Zuruf von der CDU/CSU: Das weiß man nie schaftspolitik das Ziel benannt, die Armut zu verringern so genau!) und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands zu schaf- Ihre Zustimmung wird im Protokoll aufgenommen. fen. Die Frage, mit welchen Maßnahmen und mit wel- chen Mitteln dieses Ziel zu erreichen sei, bleibt aber un- Ich will noch ein drittes Beispiel nennen. Wenn Russ- beantwortet. Europäische Nachbarschaftspolitik darf land jetzt einseitig die Importzölle auf finnisches Roh- nicht darauf begrenzt sein, lediglich Hürden für die wirt- holz in völlig unangemessener Weise erhöht, ist auch das schaftliche Zusammenarbeit aus dem Weg zu räumen, keine gute Nachbarschaftspolitik. damit Großkonzerne möglichst große Profite erlangen. Unser europapolitischer Kurs muss klar sein: Vertie- Die Linke stellt sowohl in den EU-Staaten als auch in fung als Voraussetzung und vor Erweiterung, Erweite- den Nachbarstaaten der EU die soziale Komponente in rung aufgrund selbsttragender Reformen und Nachbar- den Mittelpunkt ihrer Europapolitik. Nicht die Interessen schaftspolitik auch als eine Anforderung an die der Großkonzerne müssen im Zentrum europäischer Nachbarn im Verhalten gegenüber uns in der Europäi- Nachbarschaftspolitik stehen, sondern die Bekämpfung schen Union. der Armut und die Schaffung von Wohlstand für mög- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. lichst breite Teile der Bevölkerung. (Beifall bei der CDU/CSU) Die Linke fordert eine gleichberechtigte europäische Nachbarschaftspolitik, bei der unsere Nachbarstaaten Vizepräsidentin Petra Pau: nicht bevormundet werden sollen, sondern miteinander Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege reden dürfen. Dr. Keskin das Wort. Ich danke Ihnen. (B) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (D)

Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol- Herren! Jedes Mitglied des Deutschen Bundestages wird lege Jürgen Trittin das Wort. wohl den Antragstellern zustimmen, wenn sie die Erwei- terungspolitik der Europäischen Union als eine Erfolgs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geschichte bezeichnen, die die historische Teilung Euro- pas aufgehoben hat. Alle Erweiterungsrunden der EU Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haben in der Tat maßgeblich mit zu den friedlichsten Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- Jahrzehnten in der Geschichte des Kontinents beigetra- ben einen Antrag vorgelegt, mit dem wir die Bundesre- gen. Der Fraktion Die Linke ist aber genauso wichtig, gierung aufgefordert haben, das Konzept einer europäi- dass bei der Erweiterung der EU auch die soziale Di- schen Nachbarschaftspolitik weiterzuentwickeln, eine mension berücksichtigt wird. EU-Zentralasien-Politik auszuformulieren und sich mit Nachdruck um das Partnerschafts- und Kooperationsab- Ich kann mich durchaus mit einigen der im Antrag kommen mit Russland zu kümmern. aufgeführten konkreten Forderungen an die künftige Er- weiterungs- und Nachbarschaftspolitik der EU identifi- Als ich die Rede des Kollegen Schäfer hörte, konnte zieren. Die Fraktion Die Linke unterstützt die Förderung ich nicht verstehen, warum die SPD-Fraktion heute un- regionaler Kooperationen und einen generellen Verzicht seren Antrag ablehnen möchte. Das meiste, was Sie, auf die Festlegung von Beitrittsdaten. Auch wir unter- Herr Schäfer, gesagt haben, steht in unserem Antrag. stützen mit Nachdruck, wie die Antragsteller, die Wie- (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ dervereinigung Zyperns unter der Schirmherrschaft der DIE GRÜNEN]: Nebelwerferreden!) UNO. Ich habe es aber verstanden, als ich Herrn Eisel gehört Jedoch müssen auch einige kritische Anmerkungen habe. Ich finde, es ist eine interessante Kontroverse, die gestattet sein. So wird die Osterweiterung von den An- sich hier innerhalb der Großen Koalition auftut. Weil Sie tragstellern schlichtweg idealisiert: Sie habe zur Trans- sich nicht einig sind, müssen Sie sich jetzt darauf ver- formation der Staaten Süd-, Mittel- und Osteuropas in ständigen, unseren Antrag abzulehnen. stabile Demokratien und funktionierende Marktwirt- schaften beigetragen. In diesem Zusammenhang wird In Bezug auf Russland habe ich mir natürlich die von mehr Wachstum gesprochen. Hierbei ist aber ganz Frage gestellt, warum ein Bundesverkehrsminister Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12873

Jürgen Trittin (A) gleich klein beigeben musste, nur weil ein Ministerpräsi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (C) dent anruft. Das war falsch. Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist aber Quatsch!) Wichtiger ist mir aber, dass hier ein Gegensatz zwi- schen Vertiefung und Erweiterung hergestellt wird. Das Deshalb finde ich Ihren Ansatz so gefährlich. Mit Ihrer war schon vor zehn Jahren falsch; das ist immer noch Haltung verabschieden Sie sich von dem Koalitionsver- falsch. trag, der vorsah, der Türkei eine Beitrittsperspektive zu geben, ohne zu wissen, wo das endet. Aber es gibt diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beitrittsperspektive, weil sie als ein Schritt gilt, die Tür- kei zu demokratisieren und Europa ein Stück friedlicher Ich möchte Ihnen erläutern, warum das falsch ist. Es und demokratischer zu machen. wird hier so getan, als ob es Gegensätze gäbe. Dabei be- finden wir uns in der Situation, dass wir gleichzeitig bei- Wer heute sagt, es solle keine Erweiterung, sondern des – Vertiefung und Erweiterung – vorantreiben müs- nur eine Vertiefung geben, wird die Europäische Union sen. Die Europäische Union hat beides getan. des Kerns ihrer Grundidee berauben. Deswegen ist es falsch, wenn Sie heute unseren Antrag ablehnen. Sicherlich war es richtig – Herr Eisel, auch Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das gesagt –, dass die polnische Gesellschaft darauf ge- drängt hat, Bestandteil der westlichen Gemeinschaft, der NATO und der Europäischen Union, zu werden, dass sie Vizepräsidentin Petra Pau: für Demokratie gestritten hat. Für die Unionsfraktion hat der Kollege Thomas Silberhorn das Wort. (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Um eine Dik- (Beifall bei der CDU/CSU) tatur loszuwerden!) Glauben Sie aber im Ernst, dass die polnische Gesell- Thomas Silberhorn (CDU/CSU): schaft ohne die Beitrittsperspektive etwa die Grundre- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geln des europäischen Umweltrechts übernommen Niemand in der Großen Koalition diskutiert über das hätte? Nein, das hätte sie nicht getan. Die polnische Ge- Thema der Vertiefung und der Erweiterung der Europäi- sellschaft wollte Bestandteil der Europäischen Union schen Union, indem er dies als einen Gegensatz ansieht. sein, weil diese Union eine Gemeinschaft von Demokra- Nur, nach der Debatte, die wir in den letzten Jahren über ten ist. Dies hat sie dazu gebracht, den Weg der Vertie- den Verfassungsvertrag und jetzt über den Vertrag von fung im eigenen Land zu gehen. Lissabon geführt haben, wird man einsehen müssen, (B) dass die Erweiterung wohl kaum ein Weg zu mehr Ver- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tiefung sein kann, dass aber umgekehrt die Vertiefung der europäischen Integration ein Weg dazu ist, in der Eu- Jetzt kann man immer nach der Endlichkeit des Pro- ropäischen Union wieder erweiterungsfähig zu werden. zesses fragen. Ich glaube, wenn man Vertiefung und Er- weiterung getrennt voneinander diskutiert, dann beraubt (Beifall bei der CDU/CSU) man die Europäische Union ihrer Kernidee. Die Kern- Deswegen handelt es sich bei dem Thema der Vertiefung idee der Europäischen Union war, auf diesem Kontinent und der Erweiterung nicht um einen Gegensatz, sondern Krieg unmöglich zu machen. Diese Friedensidee macht schlicht um eine Frage der Prioritätensetzung. den Kern der Europäischen Union aus. Jetzt geht es darum, dass wir den Vertrag von Lissa- (Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Eine Frei- bon, der demnächst unterzeichnet werden soll und ratifi- heitsidee!) ziert werden muss, tatsächlich mit Leben erfüllen, dass die Europäische Union die neuen Kompetenzen, die ihr Wenn Sie sagen, dieser Gründungsimpetus sei über- darin übertragen werden, kraftvoll wahrnimmt, dass wir flüssig geworden, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie aber gleichzeitig dem Subsidiaritätsprinzip zum Durch- doch einmal nach Georgien. Schauen Sie, was dort, di- bruch verhelfen, das in diesem Vertragstext verschärft rekt vor unserer Haustür, gerade passiert. Aus einem re- wird und das in die Kontrolle der nationalen Parlamente gionalen Konflikt, einem Konflikt regionaler Minderhei- gelegt wird. Wir müssen doch sehen, dass wir in einer ten, mit einem unbequemen Nachbarn, der sich in dieser Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten eine wach- Frage außerordentlich falsch verhält, entstehen plötzlich sende Heterogenität und eine zunehmende Betonung na- Massenproteste gegen eine Bewegung, die über Massen- tionaler und regionaler Interessen zu verzeichnen haben. proteste an die Macht gekommen ist; die Machthaber Deswegen tut es jetzt not, dass wir mit dem Vertrag von wissen sich nicht besser zu helfen, als zu diktatorischen Lissabon die Balance zwischen der Europäischen Union Mitteln zu greifen und den Ausnahmezustand auszuru- und den Mitgliedstaaten neu austarieren. Das ist eine Vo- fen. raussetzung dafür, dass die Europäische Union wieder erweiterungsfähig wird. Deswegen brauchen wir jetzt Wenn Sie von der Union diese Logik fortsetzen und eine Phase der Konsolidierung. sagen, dass solche Gesellschaften keine grundsätzliche Beitrittsperspektive erhalten sollen, dann geben Sie die Was die Beitrittskandidaten bzw. die Staaten angeht, Idee der friedensstiftenden Funktion der Europäischen die Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union Union auf. abschließen wollen, sind uns diese Woche die Fort- 12874 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Thomas Silberhorn (A) schritts- und Monitoringberichte vorgelegt worden – mit seren Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten herstel- (C) ernüchternden Ergebnissen. Der Stand der Reformen len, damit wir darauf langfristig aufbauen können. bleibt in nahezu allen Staaten weit hinter den Erwartun- gen zurück. Die Reformen sind zu langsam, zu ober- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. flächlich und zu wenig substanziiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen muss man hier schon einfordern, dass diese Staaten auch den politischen Willen aufbringen, Vizepräsidentin Petra Pau: aus eigener Kraft zu reformieren, eigene Anstrengungen Ich schließe die Aussprache. zu unternehmen. Es ist nicht ausreichend, dass die Kom- mission mit Vorleistungen reagiert. Die vielen Vorleis- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- tungen, die schon erbracht worden sind, haben ganz of- schusses für die Angelegenheiten der Europäischen fenkundig nicht die gewünschten Anreize gesetzt, Union zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- sondern ganz im Gegenteil vielleicht sogar dazu beige- nen mit dem Titel „Die Erweiterungs- und Nachbar- tragen, dass die Reformanstrengungen auf breiter Front schaftspolitik der Europäischen Union weiterentwik- erlahmt sind. Deswegen trägt die Kommission eine ge- keln“. wisse Mitverantwortung dafür, dass es in diesen Staaten Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- zu Stagnation gekommen ist. Es genügt eben nicht, nur lung auf Drucksache 16/6977, den Antrag der Fraktion Defizite festzustellen und dann keine Konsequenzen da- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5425 abzu- raus zu ziehen. lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Dann ist Wir müssen, so meine ich, weniger Nachsicht üben die Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Frak- und mehr darauf dringen, dass unsere Nachbarstaaten tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. ihre Hausaufgaben erledigen. Dass wir nicht weiter poli- tische Rabatte gewähren, ist eine Forderung, um unsere Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Glaubwürdigkeit in der Erweiterungspolitik zu erhalten; denn die Rabatte, die in der Vergangenheit gewährt wor- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- den sind – ich will die entsprechenden Staaten nicht nen- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz nen –, beschäftigen uns bis heute. Das zeigt uns, dass die und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) Glaubwürdigkeit der Verhandlungsstrategie der Kom- – zu der Verordnung der Bundesregierung mission im Rahmen der Erweiterungspolitik zu wün- schen übrig lässt. Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- (B) packungsverordnung (D) Lassen Sie mich zur Nachbarschaftspolitik nur sagen: Ich unterstütze das Anliegen, das in dem Antrag der – zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Grünen zum Ausdruck kommt, dass wir stärker zwi- Meierhofer, Michael Kauch, Angelika schen Staaten im Süden und im Osten der Europäischen Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Union differenzieren müssen, aber nicht im Sinne eines Fraktion der FDP Antagonismus zwischen südlichen Anrainern und östli- Verpackungsverordnung sachgerecht novel- chen Anrainern, sondern deswegen, weil wir den spezifi- lieren – Weichen stellen für eine moderne schen Interessen der jeweiligen Staaten besser gerecht Abfall- und Verpackungswirtschaft in werden müssen. Dabei müssen wir darauf achten, dass Deutschland wir die Staaten im Süden der Europäischen Union, die keine Beitrittsperspektive haben, noch enger an uns bin- – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia den. Der Barcelona-Prozess ist bei weitem nicht so weit Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, gediehen, wie wir uns das wünschen würden. Ich halte weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- allerdings auch die Idee einer Mittelmeerunion für nicht NIS 90/DIE GRÜNEN gerade überzeugend. Das ist eine Duplizierung des Bar- Weg vom Öl im Kunststoffbereich – Chance celona-Prozesses mit Vorschlägen für die Schaffung vie- der Novelle der Verpackungsverordnung ler neuer Einrichtungen, deren Sinn sich nicht auf den nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis- ersten Blick erschließt. läufe schließen Ich glaube, wir sollten im Gegenteil darauf achten, – Drucksachen 16/6400, 16/6487 Nr. 2.2, dass wir den Barcelona-Prozess wiederbeleben. Das ist 16/6598, 16/3140, 16/6982 – eine Aufgabe der ganzen Europäischen Union. Berichterstattung: (Beifall bei der CDU/CSU) Abgeordnete Michael Brand Gerd Bollmann Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen: Horst Meierhofer Wenn ich von einer Phase der Konsolidierung spreche, Eva Bulling-Schröter dann bedeutet das nicht, dass wir in der Europäischen Sylvia Kotting-Uhl Union in der Frage der Nachbarschafts- und Erweite- rungspolitik nichts tun sollten. Das bedeutet vielmehr, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die dass wir konsolidieren und ein stabiles Fundament in un- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12875

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (C) beschlossen. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats- sekretär Michael Müller. Im Übrigen ist die Verpackungsverordnung schon deshalb wichtig, weil nach allen Umfragen das Umwelt- Michael Müller, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- bewusstsein in Deutschland sehr stark mit dem System nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: der Eigenbeteiligung in der Abfallwirtschaft zusammen- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manche hängt. hier im Raum erinnern sich noch daran, wie wir Ende Ein Großteil des Umweltbewusstseins in unserem der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre die Idee der Land ergibt sich aus der unmittelbaren Beteiligung, bei- Kreislaufwirtschaft entwickelt haben. Diese Idee von da- spielsweise beim getrennten Sammeln von Abfällen. mals hat aus meiner Sicht heute eine noch größere Ak- Deshalb darf dieser Weg nicht aufgegeben werden. Das tualität. Denn wir werden in den nächsten Jahrzehnten ist ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, das ganz ohne Zweifel immer deutlicher spüren, dass der in- Umweltbewusstsein in der Bevölkerung und das Be- telligente und effiziente Umgang mit Energierohstoffen wusstsein für die persönliche Verantwortung für die Um- und -materialien die Schlüsselfrage für wirtschaftlichen welt zu stärken. Erfolg sein wird. Insofern waren wir mit der damaligen Idee bereits Vorreiter. Ich will aber nicht verhehlen, dass Weil das so ist, müssen wir alles tun, um die Tritt- wir schon damals die eine oder andere Idee hätten wei- brettfahrerei zu beenden; darum geht es heute. Natürlich terentwickeln können. Wir werden sie nun aber in der können wir uns Weiterentwicklungen der Verpackungs- Zukunft weiterentwickeln. verordnung vorstellen. Ohne Zweifel haben viele von uns gute Ideen. Heute geht es aber primär darum, die Die Idee der Verpackungsverordnung war ein wichti- Trittbrettfahrer, die sich nicht an den Kosten beteiligen ger Einstieg in die Kreislaufwirtschaft. Heute sind wir und dadurch für Wettbewerbsverzerrungen sorgen, in die dabei, sie zu einer ressourcenschonenden Materialwirt- Pflicht zu nehmen. Trittbrettfahrerei können wir nicht schaft weiterzuentwickeln. – Übrigens sehe ich darin ei- akzeptieren; denn sie gefährdet letztlich die Erfassungs- nen der wichtigen Märkte der Zukunft. Sie ist auch eine systeme. wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit unse- rer Wirtschaft. Deshalb kann man diesen Weg nur wei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tergehen. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deshalb muss eine Novelle her. Die vorliegende No- (B) (D) Auf diesem Fundament wird sich in der Zukunft die velle beinhaltet drei wichtige Punkte: erstens die Ver- nationale Umweltpolitik immer stärker aufbauen. Wir pflichtung, Verpackungen, die bei privaten Haushalten sind dabei – wie Sie wissen – ein Vorbild, ein Pionier für anfallen, bei dualen Systemen zu lizenzieren, zweitens andere Länder. Wir haben in der Europäischen Union die Vollständigkeitserklärung, um die notwendige Trans- und bei anderen Staaten mit unserer Rechtsetzung bis parenz zu schaffen und den Vollzug zu erleichtern, und heute wichtige Weichen gestellt. Jetzt geht es darum, auf drittens die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der einen Seite natürlich Schwachstellen zu suchen, aber den Kommunen und den dualen Systemen, um dadurch auf der anderen Seite vor allem an diesem Weg festzu- auch den Wettbewerb zu verbessern. Dies sind aus mei- halten und ihn weiterzuentwickeln. ner Sicht wichtige Punkte, wenn es darum geht, das Sys- tem zu stabilisieren. Jeder, der es weiterentwickeln will, Der Kern ist und bleibt: Wir wollen den Einsatz von kann das nur dann tun, wenn wir es heute stabilisieren. Materialien vom wirtschaftlichen Wachstum entkoppeln Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie, die Verordnung zu und, soweit es geht, die Verwertungskaskaden steigern. akzeptieren. Das ist ein richtiger Ansatz, den wir in der Bundesrepu- blik führend gemacht haben und den wir jetzt verstärken Ich kann jetzt nicht sehr viel zu dem FDP-Antrag sa- müssen. gen, obwohl Sie eine Reihe von Einwendungen gegen dieses System vorgebracht haben. Ich möchte aber eine Mit der Verpackungsverordnung ist es uns gelungen, Anmerkung machen: Wenn Sie hinsichtlich der Produkt- den Einsatz von Verpackungsmaterial von der wirt- verantwortung Regelungen wünschen, die über das hi- schaftlichen Entwicklung zu entkoppeln. Wir haben da- nausgehen, was wir jetzt haben, entwickeln Sie diese Re- mit bei Verpackungsabfällen in der Bundesrepublik eine gelungen! Wir werden sie vorurteilsfrei prüfen. In ande- wichtige Vorreiterrolle eingenommen. Das funktioniert ren Punkten sind wir zwar anderer Auffassung, dies aber aber nur, wenn die stoffliche Verwertung immer hoch- halte auch ich für einen wichtigen Punkt. Wo immer es wertiger wird und die Materialkreisläufe dadurch ge- möglich ist, die Produktverantwortung zu erweitern, ma- schlossen werden. chen wir das gerne. Sie müssen aber schon konkrete Vor- Die Voraussetzung ist hierfür eine flächendeckende schläge machen. Das, was bisher vorliegt, ist leider zu haushaltsnahe Erfassung von Verkaufsverpackungen. allgemein. Wir haben in der Bundesrepublik in diesem Bereich eine Vielen Dank. Menge geschafft – das darf man nicht vergessen –, weil die Bürger bei diesem System mitmachen. Dafür müssen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir auch einmal danken. der CDU/CSU) 12876 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Wenn man das weiß, ist es absurd, die Leute – ich muss (C) Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Horst es leider so deutlich sagen – für dumm zu verkaufen. Meierhofer. Das finde ich nicht fair und nicht anständig. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Es gibt aber auch Hoffnung, zum Beispiel im Wirt- Horst Meierhofer (FDP): schaftsministerium. Der Staatssekretär Dr. Pfaffenbach hat dazu gesagt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, es freut mich, dass Sie in unserem Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Rege- Antrag auch etwas Positives gesehen haben und gesagt lungen der Verpackungsverordnung grundlegend haben, diese Sache wäre es wert, sie weiterzuverfolgen. überdacht werden müssen. (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP – Marina Schuster [FDP]: DIE GRÜNEN]: So hat er es nicht gesagt!) Sehr richtig!) Wenn nach 16 Jahren immer noch Unsicherheiten – Das hat er ganz am Ende gesagt. So habe ich es jeden- bestehen, welche Verpackungen welcher Tonne zu- falls verstanden, auch wenn die Rede nicht sehr inhalts- zuordnen sind, stimmt etwas im System nicht. schwanger war. Dann sagt er: Es geht darum, dass mit der Novelle zur Verpa- ckungsverordnung, die jetzt vorliegt, eben nicht versucht Letztlich sollte die Entsorgung grundsätzlich dem wird, den Wettbewerb zu garantieren; sie wird den Wett- Wettbewerb überlassen bleiben. bewerb zwischen den verschiedenen Systemen, den Das ist übrigens genau das Gegenteil dessen, was Sie mit Selbstentsorgern auf der einen Seite und den dualen Sys- der Trennung zwischen neuen Systemen und Selbstent- temen auf der anderen Seite, vielmehr kaputt machen. sorgern schaffen. Sie wird nicht zu besseren ökologischen Ergebnissen und vor allem nicht zu besseren ökonomischen Ergeb- Neue Sortier- und Verwertungstechniken werfen zu- nissen führen. dem die Frage auf, ob es nicht einfacher und billiger geht. Die Antwort lautet: Ja, es kann einfacher und billi- (Beifall bei der FDP) ger gehen. Aber das genaue Gegenteil geschieht. Da Sie diesen Punkt angesprochen haben, hätte es (Beifall bei der FDP) mich gefreut, wenn Herr Gabriel anwesend gewesen (B) Das ist, glaube ich, nicht nur ein Schritt, um den jetzi- (D) wäre. Man kann den Leuten nicht ihre lieb gewonnene gen Status quo und die haushaltsnahe Erfassung, für die Mülltrennung wegnehmen, weil sie der Beweis dafür ist, wir alle sind, zu retten. Man zementiert vielmehr einen dass die Leute gelernt haben, wie man sich ökologisch Zustand, der nicht so leicht umzukehren ist. Man hat richtig verhält. Wenn man die Menschen wie ferngesteu- eben nicht die Möglichkeit, in einer bereits von allen er- erte oder dressierte kleine Püppchen behandelt, zeigt warteten sechsten Novelle der Verpackungsverordnung man, dass man die Bevölkerung nicht so ernst nimmt, – wie gut dieses System ist, zeigt sich, wenn man es je- wie es der Fall sein müsste. des oder jedes zweite Jahr novellieren muss – das zu er- (Beifall bei der FDP) reichen, was man will. Das Gegenteil geschieht. Es ist nämlich nicht so, dass jeder, der seinen Müll Auch Wirtschaftsminister Glos will den Grünen trennt, damit automatisch einen Beitrag zum Umwelt- Punkt abschaffen. Das steht beispielsweise im Capital. schutz leistet. Das ist in den einzelnen Regionen Man fragt sich schon, wofür die Große Koalition und die Deutschlands ganz unterschiedlich. In Neukölln kann Bundesregierung stehen. Diese Geschichte hat man be- ich mit Mülltrennung nicht das bewirken, was ich im reits vor zwei Wochen erlebt. Bayerischen Wald bewirken kann. Wir wissen, dass es (Ulrich Kelber [SPD]: Er vergisst immer, was regionale Unterschiede gibt, weil die Menschen nicht im Kabinett beschlossen wurde!) überall gleich gut trennen. Wenn in den Restmülltonnen fast genauso viele Wertstoffe landen wie Restmüll in den – Vielleicht hat er einfach nur an der Stelle das Gehirn Wertstofftonnen, erreicht man gar nichts. Dann gaukelt eingeschaltet und festgestellt, dass seine Ideen besser man den Leuten nur vor, sie täten etwas für den Umwelt- sind. schutz. Ob das realistisch ist oder nicht, ist dann egal. (Beifall bei der FDP) Herr Gabriel hat das schön umschrieben: Tempolimit ist wie Mülltrennung; nach dem Motto: Auch beim Tempo- Es ist leider schade – da gebe ich Ihnen recht, Herr Kol- limit kann jeder Bürger zeigen, dass er ganz individuell lege Kelber –, dass der Wirtschaftsminister so spät re- etwas zu tun vermag. Man muss aber fair bleiben: Die agiert hat. Er ist, glaube ich, erst dann zum Zug gekom- Bedeutung für den Klimaschutz ist begrenzt. – Im Um- men, als er festgestellt hat, dass die Bäcker und ihre Bä- kehrschluss heißt das, dass auch der Effekt der Mülltren- ckertüten ein Problem darstellen. Da ist er vielleicht auf- nung begrenzt ist. grund seines Hintergrunds als Müllermeister auf die Idee gekommen, dass er hier unter Umständen etwas von sei- (Beifall bei der FDP) nem Geschäft verlieren könnte. Vielleicht ist er deswe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12877

Horst Meierhofer (A) gen darauf gekommen; zumindest ist er auf die richtige Ich will jetzt nicht nur auf die lustige Art und Weise (C) Idee gekommen. auf die erwähnten Plastikenten abstellen; denn dies ist ein ernstes Thema, weil es einen Teil unseres täglichen (Ulrich Kelber [SPD]: Wie hoch ist denn die Lebens betrifft. Belastung durch die Bäckertüten?) – Sie ist relativ gering. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Ulrich Kelber [SPD]: Sagen Sie die Zahl!) Die Verpackungsverordnung ist deshalb von so weitrei- chender Bedeutung, weil jedes Kind von Schokolade bis – Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. Spielzeug zunächst die Verpackung sieht und weil jede (Ulrich Kelber [SPD]: Nein!) Familie und jeder Single beim täglichen Einkauf mit Verpackungen zu tun hat, die später einer ordentlichen Ich zeige Ihnen, dass genau das das Zeichen dafür ist, Verwertung zugeführt werden sollen und müssen. dass das System krank ist. Man muss eine unendliche Zahl von Ausnahmetatbeständen schaffen, um vernünf- Wir als CDU/CSU stehen zu der haushaltsnahen tige Ideen umzusetzen. Mit Sahne beschmierte Papiertü- Sammlung. Das tun wir aus guten Gründen. Erstens. Das ten sollten nicht in den gelben Sack oder ins Altpapier System ist ökologisch, weil es Ressourcen schont. Zwei- geworfen werden. Das macht keinen Sinn, weder ökolo- tens. Es ist ökonomisch, vor allem dann, wenn Wettbe- gisch noch ökonomisch. Aber jeder verlangt, ein grünes werb seine faire Chance hat. Drittens. Das System ist Pünktchen darauf zu machen. Dann fühlen sich die bürgerfreundlich, wenn es in enger Abstimmung mit den Leute gut. Kommunen den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher gerecht wird. Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob ich ein Plastikentchen oder eine Shampooflasche, die aus dem Die CDU/CSU hatte bereits im Dezember 2005 darauf gleichen Material hergestellt ist, in den gelben Sack hi- gedrängt, die Stabilisierung der haushaltsnahen Samm- neinwerfe. Doch auf der Shampooflasche ist der Grüne lung anzugehen. Nachdem Kollege Müller für die Bun- Punkt, auf dem Pürzel des Plastikentchens vielleicht desregierung dies im Ausschuss sehr befürwortet hatte, nicht. Deswegen darf es auch nicht in den Sack. Wenn gab es von seinem Kollegen Staatssekretär Machnig zu- die Leute es trotzdem machen, dann sagt man, es sei ein nächst widersprechende Verlautbarungen. Wir in der intelligenter Fehlwurf. Union waren jedenfalls überrascht und erfreut, dass der Novellierungsprozess schlussendlich begonnen wurde. (Heiterkeit bei der FDP – Zuruf von der CDU/ Wir wissen auch um den Anteil der Umweltministerkon- CSU: Das arme Entchen!) ferenz und der Länder, die hier wertvolle Hinweise gege- (B) Wer an der Stelle noch glaubt, dass es sich um ein ben haben. (D) vernünftiges Konzept handelt, der sollte sich bitte den Etwas bedauerlich hat sich die praktische Umsetzung Antrag der FDP durchlesen. Ich empfehle Ihnen allen, des Novellierungsverfahrens in puncto Offenheit und ihn anzunehmen. Der Antrag der Grünen, Frau Maisch, Transparenz dargestellt. Sofern wir uns noch einmal mit hat einige gute Ansätze. Er führt nur leider nicht zum dieser oder einer nächsten Novelle befassen sollten, Ziel, da es an vielen Orten momentan noch keine grüne wäre eine bessere Information des Parlaments sicher an- Tonne gibt. Dort, wo es keine grüne Tonne gibt, wird das gemessen. Auch das muss in dieser Beratung angespro- Problem mit dem Biokunststoff leider auch nicht gelöst. chen werden. Ich kann Sie nur bitten, zur Vernunft zu kommen und ge- gen Ihren eigenen Vorschlag zu stimmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Danke. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem Entsor- gung und Verwertung von Verpackungen heute sowohl (Beifall bei der FDP) im privaten Bereich der Haushalte als auch im gewerbli- chen Bereich, zum Beispiel in Gaststätten, Krankenhäu- Vizepräsidentin Petra Pau: sern und Kasernen, auf dem sehr grundlegenden Prinzip Das Wort hat der Kollege Michael Brand für die der individuellen Produktverantwortung – Herr Staatsse- Unionsfraktion. kretär Müller, Sie haben es angesprochen – beruhen, hat (Beifall bei der CDU/CSU) dieser Entwurf dieses Prinzip im Bereich der Verpa- ckungsentsorgung gestrichen und an seine Stelle eine Pflicht zur Beteiligung an dualen Systemen gesetzt. Michael Brand (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Neben dieser faktischen Zwangsmitgliedschaft in ei- Kollegen! Zunächst einmal möchte ich feststellen: Dass nem der dualen Systeme hat der Entwurf eine weitere wir zu so später Stunde über ein Thema sprechen, das Zwangsmitgliedschaft eingeführt, nämlich an der Stelle, Millionen von Familien in privaten Haushalten und Hun- an der nun alle dualen Systeme gemeinsam die Aus- derttausende von Betrieben und alle Kommunen in schreibungen koordinieren sollen. Dass uns als Union Deutschland betrifft, das zeigt zum einen, dass der Deut- das Streichen der Produktverantwortung durch den Um- sche Bundestag ein wirkliches Arbeitsparlament ist. weltminister umweltpolitisch schwerfällt, nachdem die Zum anderen zeigt es die weitreichenden Folgen einer Vorgänger gerade dieses Prinzip hochgehalten haben, ist Verordnung, die immer wieder die Gemüter erregt und sicher auch für den Koalitionspartner nachvollziehbar. zu Diskussionen führt. Die Auffassung, dass Zwangsmitgliedschaften nicht den 12878 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Michael Brand (A) allerbesten Lösungsansatz darstellen, teilen wir sicher werfen kann, die nicht wir hier im Parlament (C) mit der SPD und den anderen Fraktionen des Hohen entscheiden werden: Dies werden im Streitfalle die Ge- Hauses. richte zu entscheiden haben, und deshalb legen wir als CDU/CSU Wert auf die Feststellung, dass Bundesminis- Dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen, gilt: ter Gabriel auch in diesem Punkt so klar für diese No- Nachdem Bundesminister Gabriel nur in einem solchen velle einsteht und die Verantwortung dafür übernimmt, Systemwechsel die Stabilisierung der haushaltsnahen dass die haushaltsnahe Sammlung nicht zusammen- Sammlung umsetzen will, folgen die Koalitionsfraktio- bricht, weil die rechtlichen Risiken kontrollierbar seien. nen dem verantwortlichen Minister. Alle in dieser Koali- tion und viele darüber hinaus teilen den Grundsatz, dass Obwohl nun noch weitere Themen wie der Einbruch wir eine ökologisch verantwortungsvolle und ökono- der Mehrwegquote, die umstrittene Praxis der Handelsli- misch vernünftige Verpackungsentsorgung dauerhaft ga- zenzierung, die umstrittene Verrechnung von Pfandmen- rantieren wollen. gen, die Umdeklarierung von Transportverpackungen, (Beifall des Abg. Marco Bülow [SPD]) die Missbräuche bei diätetischen Getränken außen vor geblieben sind, so ist der Ansatz der Sicherung der haus- Nachdem zur Anhörung des Bundestages am haltsnahen Sammlung bei allen strittigen Details im An- 10. Oktober schriftlich und mündlich ernsthafte Beden- satz sehr zu begrüßen. ken am Entwurf geäußert wurden, haben wir uns in der CDU/CSU zunächst noch einmal zu einer Absetzung der Allen Beteiligten war klar, dass die Reparatur der auf- Novelle von der Tagesordnung durchgerungen; Herr gerissenen Löcher auf dem ökologischen Weg der haus- Kollege Meierhofer hat das eben in seinem Beitrag ange- haltsnahen Sammlung mit dieser Novelle noch nicht sprochen. Es ging uns in den Gesprächen mit dem Koali- vollständig erledigt werden konnte. Dennoch sollte ver- tionspartner darum, sicherzustellen, die Novelle so sucht werden, die bestehenden Löcher auf diesem Ent- rechtssicher zu halten, dass uns – und mehr noch den sorgungsweg zu reparieren. Sofern wir keine weiteren Bürgerinnen und Bürgern – nicht aufgrund rechtlicher Schlaglöcher aufgerissen haben, werden wir mit dieser Risiken die haushaltsnahe Sammlung sozusagen um die Novelle einen großen Teil unserer Ziele erreichen. Ohren fliegt. Die Union ist die Erfinderin der haushaltsnahen Nachdem uns die SPD gemeinsam mit den Beamten Sammlung. Unser damaliger Umweltminister Töpfer von Minister Gabriel nochmals deutlich gemacht hat, und seine Nachfolgerin, die heutige Bundeskanzlerin dass sie auch in Kenntnis der geäußerten Bedenken , haben diesen erfolgreichen Weg einge- keine Veranlassung für eine Änderung der Novelle sieht, schlagen. Nun wollen wir die getrennte Sammlung in stimmen wir als CDU/CSU dieser Novelle heute zu. den Haushalten fortsetzen. Wir werden auch weiterhin (B) alle Schritte, die zur Sicherung dieses guten Weges not- (D) Nun wird diese Novelle in den kommenden Wochen wendig sind, unterstützen. nochmals auf Herz und Nieren geprüft werden, wenn die ebenfalls mit großem Sachverstand ausgestatteten Län- Ich danke Ihnen sehr herzlich für die Aufmerksam- der mit dem Entwurf befasst sein werden. Vom Ergebnis keit. dieser Beratungen wird auch abhängen, ob diese Novelle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das Schicksal der Vorgänger erleben wird, nämlich an- neten der SPD) ders aus dem Bundesrat herauszukommen, als sie hi- neingegangen waren. Insofern bleibt auch abzuwarten, ob die optimistische Annahme aus dem Hause Gabriel Vizepräsidentin Petra Pau: zutreffen wird, dass es keine nennenswerten Änderungs- Die Rede der Kollegin Eva Bulling-Schröter nehmen anträge zu diesem Entwurf geben werde. Ich will dazu- wir zu Protokoll.1) sagen, dass wir diesbezüglich ganz unterschiedliche Si- gnale hören. Das Wort hat die Kollegin Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Vor dem Hintergrund der sicherlich fortlaufenden Diskussionen in den Ländern will ich für die CDU/CSU- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fraktion gerne nochmals festhalten: Wir alle hier wollen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kollegen! unseriöse Verrechnungen und den Missbrauch der dua- Nach dieser enthusiastischen Rede des Kollegen Brand len Systeme beenden. Auch das ist unter anderem ein hat man als Rednerin der Opposition fast das Gefühl, gar Grund für diese Novelle: Wir alle hier wollen, dass für nicht mehr viel sagen zu müssen; denn Kritik wurde Leistungen gezahlt wird. Deshalb sind wir für die wei- schon aus Ihren eigenen Reihen geäußert. testmögliche Eindämmung von Trittbrettfahrern. Das BMU hat dazu den Weg eines völligen System- Trotzdem will ich noch einige Worte zur Novelle der wechsels gewählt, und das ist als federführendes Ressort Verpackungsverordnung sagen. Anfang der 90er-Jahre sein gutes Recht. Bei einem solch einschneidenden Sys- – anders als Staatssekretär Müller erinnere ich mich temwechsel mit einer Marktauswirkung von Hunderten nicht mehr so genau daran – hat sich Deutschland als von Millionen Euro muss allerdings sehr sorgfältig da- Pionier auf den Weg von der Wegwerf- in die Kreislauf- rauf geachtet werden, dass die daraus zwangsläufig ent- wirtschaft gemacht. Jetzt, 15 Jahre später, ist es höchste stehende faktische Beendigung der bisher erstrangig vor- gesehenen Selbstentsorgung rechtliche Probleme auf- 1) Anlage 18 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12879

Nicole Maisch (A) Zeit, dieses System einer Revision zu unterziehen, da es Wir haben in unserem Antrag umfangreiche Vor- (C) sich in seiner heutigen Form überlebt hat. schläge gemacht, wie wir in eine echte Kreislaufwirt- schaft einsteigen könnten; ich empfehle Ihnen unseren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Antrag als Lektüre. Die Biokunststoffe sind ein erster sowie des Abg. Michael Kauch [FDP]) Schritt hin zu einer sinnvollen Kreislaufwirtschaft. Ich Eine ökologische Lenkungswirkung der Lizenzge- glaube, dass die Novelle der Verpackungsverordnung all bühren ist längst nicht mehr feststellbar. Im Gegenteil, das nicht leisten kann. Wir müssen weg vom grünen wenn man aufmerksam einkaufen geht, kann man beob- Punkt und vom gelben Sack und hin zu einer echten achten, dass die Verpackungen wieder aufwendiger ge- Rohstoff- bzw. Wertstoffabgabe, die die Firmen belohnt, staltet werden und dass Produktverantwortung nicht als die ökologisch sinnvoll wirtschaften und so wenige Res- Ressourcenschonung beim Produkt- und Verpackungs- sourcen wie möglich einsetzen. design verstanden wird, sondern dass das duale System Ich danke Ihnen. im Moment lediglich die Entrichtung einer Entsorgungs- gebühr bedeutet. Das ist nicht unsere Vorstellung von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ökologischer Produktverantwortung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Gerd Den Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich noch Bollmann das Wort. immer nicht genau, was in die gelbe Tonne und in den gelben Sack gehört. Als Beispiel nenne ich eine Kunst- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten stoffflasche, die aus demselben Material wie eine Schüs- der CDU/CSU) sel besteht: Das eine ist eine Verpackung, das andere nicht, das eine trägt den grünen Punkt, das andere nicht. Gerd Bollmann (SPD): Mit gesundem Menschenverstand ist das nicht nachzu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr vollziehen. Meierhofer, bevor ich es vergesse: Die besagte Bäcker- tüte für sechs Brötchen verursacht Kosten von (Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP]) 0,036 Cent, also pro Brötchen 0,006 Cent. Auch wieder Die Lösung, die mit der Verpackungsverordnung gefun- etwas dazugelernt! den wurde – sie besteht darin, das den Kommunen auf- (Ulrich Kelber [SPD]: Die Zahlen kannte der zubürden –, ist nicht nur nicht praktikabel, sondern auch Meierhofer nicht!) noch ungerecht. (B) Verpackungsnovelle, die fünfte, und es wird sicher (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht die letzte Novelle sein; denn – das sollte gesagt sowie bei Abgeordneten der FDP) werden – es handelt sich bei der fünften Novelle auch Die Kommunen haben dafür kein Geld und werden das um eine Reparaturnovelle, durch die Fehlentwicklungen deshalb nicht in der Form, in der Sie es sich wünschen, und Gefahren gebannt werden. Ziel ist, die getrennte praktizieren. Haushaltssammlung zu sichern und eine bessere Kon- trolle und Durchführbarkeit zu erreichen. Wir wollen Angesichts der ökologischen und ökonomischen aber auch Zeit gewinnen für eine gründliche und vorur- Schwierigkeiten bedauern wir, dass die Bundesregierung teilsfreie Prüfung der Regelungen und möglicher grund- die Verpackungsverordnung nicht grundlegend zu einer sätzlicher Änderungen. Wertstoffabgabe weiterentwickelt, sondern versucht hat, ein System zu reparieren, das in seiner derzeitigen Form Ich bin überzeugt, dass diese Novelle die genannten nicht zu reparieren ist. Die Fünfte Verordnung zur Ände- Anforderungen im Grundsatz erfüllt. rung der Verpackungsverordnung verhindert den Wett- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bewerb um ökologische Innovationen, bringt keinen der CDU/CSU) ökologischen Fortschritt und wird den Anforderungen der Zukunft, vor allem bei der Rohstoffsicherung, nicht Das Hauptziel, die getrennte haushaltsnahe Erfassung gerecht. und Sammlung zu sichern, wird erreicht. Ich weiß, es gibt Stimmen, die die getrennte Haushaltssammlung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) grundsätzlich infrage stellen. In vielen Medienberichten Sie verspielen die Chance, dass Deutschland bei der Ent- wird der Eindruck erweckt, dass eine mechanische Tren- wicklung einer nachhaltigen Ressourcenpolitik eine Vor- nung längst möglich und billiger sei. Diese Darstellun- reiterrolle einnimmt. Das ist enttäuschend. gen sind jedoch in ihrer Gesamtaussage falsch. Natürlich kann Abfall maschinell getrennt werden, und für den Zum Antrag der FDP. Ich glaube, mit diesem Antrag Abfall aus dem gelben Sack geschieht dies ja auch. können wir für mehr Wettbewerb sorgen, allerdings nur für mehr Wettbewerb um niedrigere Entsorgungskosten. Aber wenn Abfall in einer einzigen Tonne gesammelt Das ist aber nur die halbe Miete. Wir brauchen auch ei- wird, Verpackungen gemeinsam mit gebrauchten Win- nen Wettbewerb um die ökologisch beste Lösung, also deln, Essensresten und anderen feuchten Abfällen, dann um die Lösung, die die Ressourcen am meisten schont. funktioniert die mechanische Trennung in heutigen An- lagen nicht mehr. Wir haben noch in der letzten Wahlpe- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) riode, im Dezember 2004, eine Anhörung zu diesem 12880 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Gerd Bollmann (A) Thema gehabt. Alle Experten, die oben auf dem Podium Gerd Bollmann (SPD): (C) waren, haben – bis auf eine Ausnahme, nämlich die Deshalb vielleicht noch eines: Wir haben Zeit, Ände- Firma, die den entsprechenden Versuch in Nordrhein- rungen gründlich zu prüfen. Zu diesem Zweck wird das Westfalen gemacht hat – bestätigt, dass diese Verfahren Umweltministerium ein Planspiel durchführen. Ich bin noch nicht so weit sind; dass die Restfeuchte einfach zu dafür, alle weiter gehenden und jetzt umstrittenen Punkte stark ist, um eine mechanische Trennung durchzuführen. dann in Ruhe zu erörtern. (Michael Brand [CDU/CSU]: Gut, dass das Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ausgesprochen wird!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es wäre ein erheblicher Rückschritt, das Vorhandene der CDU/CSU) abzuschaffen, während eine Alternative erst mühsam aufgebaut werden muss. Eine solche Vorgehensweise lehnen wir ab. Im Gegenteil, die Kreislaufwirtschaft Vizepräsidentin Petra Pau: muss gestärkt werden. Mit dieser interessanten Information schließe ich die Aussprache. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Dabei haben wir schon viel erreicht. Ich will nur erwäh- nen, dass die getrennte Erfassung von Altglas und Altpa- Wir nehmen sechs Erklärungen nach § 31 unserer Ge- pier flächendeckend funktioniert. Durch die stoffliche schäftsordnung zu Protokoll1) und kommen zur Be- Verwertung von Metallen, Glas, Papier und aus Erdöl schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- hergestellten Kunststoffen lässt sich erheblich mehr schutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 16/6982. Energie einsparen als durch die Verbrennung. Dies ist auch die Meinung des BUND, und wir teilen diese Mei- Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- nung. Die getrennte Erfassung ist und bleibt ein wichti- schlussempfehlung auf Drucksache 16/6982, der Verord- ger Beitrag zum Klimaschutz und zum effizienten Um- nung der Bundesregierung auf Drucksache 16/6400 zur gang mit Ressourcen. Änderung der Verpackungsverordnung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Mit der jetzt vorgelegten Novelle stabilisieren wir das stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Die Be- vorhandene System und bekommen die Zeit, weiter ge- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- hende Änderungen gründlich zu prüfen. Auch wir So- fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak- (B) zialdemokraten haben weiter gehende Vorstellungen im tionen angenommen. (D) Bereich der Abfallwirtschaft. Die Entsorgung und Samm- lung des privaten Hausmülls gehört für uns zur Daseins- Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt vorsorge. Wir sind für eine Stärkung der kommunalen der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Abfallwirtschaft und gegen weitere Privatisierungen. der FDP auf Drucksache 16/6598 mit dem Titel: „Verpa- ckungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Josef stellen für eine moderne Abfall- und Verpackungswirt- Göppel [CDU/CSU]) schaft in Deutschland“. Wer stimmt für diese Beschluss- Eine Ausschreibung der Sammlung für gebrauchte Ver- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal- kaufsverpackungen durch die Kommunen würden wir tungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung begrüßen. Ebenfalls ist eine Zuständigkeit der Städte angenommen. und Kreise für die Sammlung überlegenswert. Aller- Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 sei- dings – dies betone ich – darf dies im Gegensatz zu den ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags Vorstellungen, die andere geäußert haben, nicht zulasten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- der Kommunen gehen. Die Herstellerverantwortung che 16/3140 mit dem Titel: „Weg vom Öl im Kunst- muss erhalten bleiben. Eine Abwälzung der Sammlungs- stoffbereich – Chance der Novelle der Verpackungsver- kosten auf die Bürger über Gebühren lehnen wir ab. Die ordnung nutzen und mit Biokunststoffen echte Kreis- Position der Kommunen und damit der Bürger wird be- läufe schließen“. Wer stimmt für diese reits mit der jetzigen Novelle verbessert. Es ist begrü- Beschlussempfehlung? – Die Gegenprobe! – Enthaltun- ßenswert, dass die Abstimmungserklärungen klarer ge- gen? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenom- regelt werden und die Stellung von Sicherheitsleistungen men. ausgeweitet wird. Die Kommunen werden vor der Ver- gabe angehört; ebenso werden die kommunalen Spitzen- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 d auf: verbände angehört. – Ich sehe, dass meine Zeit hier prak- tisch abgelaufen ist. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vizepräsidentin Petra Pau: Zweiten Gesetzes zur Änderung des Regio- nalisierungsgesetzes Die Redezeit.

(Heiterkeit) 1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12881

Vizepräsidentin Petra Pau (A) – Drucksache 16/6310 – Berichterstattung: (C) Abgeordneter Georg Brunnhuber Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- lung (15. Ausschuss) schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung – Drucksache 16/6975 – – Drucksache 16/5772 - Berichterstattung: Berichterstattung: Abgeordneter Patrick Döring Abgeordnete Bartholomäus Kalb Dr. Frank Schmidt – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Dr. Claudia Winterstein schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Roland Claus – Drucksache 16/6991 – Anna Lührmann Berichterstattung: Wir nehmen die Reden des Kollegen Klaus Hofbauer Abgeordnete Bartholomäus Kalb für die Unionsfraktion, des Kollegen Sören Bartol für Dr. Frank Schmidt die SPD-Fraktion, des Kollegen Patrick Döring für die Dr. Claudia Winterstein FDP-Fraktion, der Kollegin Heidrun Bluhm für die Roland Claus Fraktion Die Linke, des Kollegen Dr. Anton Hofreiter Anna Lührmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und des Parla- mentarischen Staatssekretärs Achim Großmann zu Pro- b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- tokoll.1) neten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Peter Hettlich, weiteren Abgeordneten und der Tagesordnungspunkt 27 a. Wir kommen zur Abstim- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten brachten Entwurfs eines Gesetzes zur effiziente- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Re- ren Finanzierung des öffentlichen Nahver- gionalisierungsgesetzes. Der Ausschuss für Verkehr, Bau kehrs (Regionalisierungsreformgesetz) und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf Drucksache 16/6975, den Gesetzentwurf der – Drucksache 16/1435 – Bundesregierung auf Drucksache 16/6310 anzunehmen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal- Ausschuss) tungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- (B) tung angenommen. (D) – Drucksache 16/2807 – Dritte Beratung Berichterstattung: Abgeordnete Enak Ferlemann und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, der Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Hettlich, Dr. Anton Hofreiter und der Fraktion Fraktion Die Linke angenommen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tagesordnungspunkt 27 b. Wir kommen nun zur Ab- Verwendung der Regionalisierungsmittel of- stimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd- fenlegen nis 90/Die Grünen zur effizienteren Finanzierung des öf- – Drucksachen 16/652, 16/2807 – fentlichen Nahverkehrs. Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- Berichterstattung: schlussempfehlung auf Drucksache 16/2807, den Ge- Abgeordnete Enak Ferlemann setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf d) – Zweite und dritte Beratung des von den Abge- Drucksache 16/1435 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, ordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Dorothee Menzner, weiteren Abgeordneten Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthal- und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten tungen? – Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist in Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des zweiter Beratung abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Eisenbahnkreuzungsgesetzes Geschäftsordnung die weitere Beratung. – Drucksache 16/4858 – Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 27 c: Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- und Stadtentwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bünd- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verwendung der Re- lung (15. Ausschuss)

– Drucksache 16/5771 – 1) Anlage 19 12882 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) gionalisierungsmittel offenlegen“. Der Ausschuss emp- Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Dr. Wilhelm (C) fiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Priesmeier von der SPD-Fraktion, des Kollegen Hans- Drucksache 16/2807, den Antrag der Fraktion Bünd- Michael Goldmann von der FDP-Fraktion, der Kollegin nis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/652 abzulehnen. Dr. Kirsten Tackmann von der Fraktion Die Linke, der Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- Kollegin Cornelia Behm von der Fraktion Bündnis 90/ genprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Die Grünen und der Parlamentarischen Staatssekretärin Fall. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ursula Heinen zu Protokoll1) und kommen damit zur Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stim- Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- men der drei Oppositionsfraktionen angenommen. brachten Gesetzentwurf zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständigkeitsbereich des Bundes- Tagesordnungspunkt 27 d: Abstimmung über den Ge- ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- setzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des cherschutz. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft Eisenbahnkreuzungsgesetzes. Der Ausschuss für Ver- und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussemp- kehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner fehlung auf Drucksache 16/6957, den Gesetzentwurf der Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5771, den Ge- Bundesregierung auf Drucksache 16/6737 anzunehmen. setzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksache Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen 16/4858 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Gibt setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – es Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge- ter Beratung angenommen. setzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Antragsteller abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Dritte Beratung Geschäftsordnung die weitere Beratung. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a und 29 b auf: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der Ge- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- setzentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, zur Änderung der gesetzlichen Berichtspflich- der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die ten im Zuständigkeitsbereich des Bundesmi- Grünen angenommen. nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29 b: Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, – Drucksache 16/6737 – Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel (D) (B) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- „Neuordnung des Berichtswesens“. Der Ausschuss emp- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- cherschutz (10. Ausschuss) sache 16/6492, den Antrag der Fraktionen der CDU/ – Drucksache 16/6957 – CSU und SPD auf Drucksache 16/5421 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Ge- Berichterstattung: genprobe! – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Abgeordnete Dr. Max Lehmer Fall. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Edmund Peter Geisen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf: Dr. Kirsten Tackmann Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Cornelia Behm gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- und anderer Vorschriften des Sozialen Ent- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu schädigungsrechts dem Antrag der Abgeordneten Peter Bleser, – Drucksache 16/6541 – Ursula Heinen, Uda Carmen Freia Heller, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- sowie der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) Volker Blumentritt, Dr. Gerhard Botz, weiterer – Drucksache 16/6985 – Abgeordneter und der Fraktion der SPD Berichterstattung: Neuordnung des Berichtswesens Abgeordneter Jörg Rohde – Drucksachen 16/5421, 16/6492 – Wir nehmen die Beiträge des Kollegen Max Straubinger von der Unionsfraktion, des Kollegen Anton Berichterstattung: Schaaf von der SPD-Fraktion, des Kollegen Jörg Rohde Abgeordnete Marlene Mortler von der FDP-Fraktion, des Kollegen Volker Schneider Dr. Wilhelm Priesmeier von der Fraktion Die Linke und des Kollegen Markus Hans-Michael Goldmann Dr. Kirsten Tackmann Cornelia Behm 1) Anlage 20 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12883

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Pro- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (C) tokoll1) und kommen zur Abstimmung über den von der DIE GRÜNEN Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än- derung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Kennzeichnung gentechnikfreier Fütterung bei Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts. tierischen Produkten ermöglichen Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in – Drucksache 16/6944 – seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6985, Überweisungsvorschlag: den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) sache 16/6541 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike ist damit in zweiter Beratung angenommen. Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Dritte Beratung DIE GRÜNEN und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Schutz von Mensch, Umwelt und gentechnik- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Die freier Produktion im Gentechnikrecht bewah- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist ren damit mit den Stimmen der Unionsfraktion, der SPD- Fraktion und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Frak- – Drucksache 16/6943 – tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Überweisungsvorschlag: angenommen. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (f) Ich rufe die Tagesordnungspunkt 32 a und 32 b sowie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie die Zusatzpunkte 9 und 10 auf: Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 32 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschuss für Bildung, Forschung und gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Technikfolgenabschätzung Änderung des Gentechnikgesetzes Wir nehmen den Beitrag des Kollegen Dr. Max – Drucksache 16/6814 – Lehmer für die Unionsfraktion, der Kollegin Eva Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion, der Kollegin Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Dr. Christel Happach-Kasan für die FDP-Fraktion, der (B) Verbraucherschutz (f) Kollegin Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Die (D) Ausschuss für Gesundheit Linke und der Kollegin Ulrike Höfken für die Fraktion Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bündnis 90/Die Grünen zu Protokoll.2) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- den Drucksachen 16/6814, 16/6557, 16/6944 und 16/6943 gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Änderung des EG-Gentechnik-Durchführungs- vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – gesetzes Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. – Drucksache 16/6557 – Überweisungsvorschlag: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Verbraucherschutz (f) Ausschuss für Gesundheit Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit destages auf morgen, Freitag, den 9. November 2007, Ausschuss für Bildung, Forschung und 9 Uhr, ein. Technikfolgenabschätzung Die Sitzung ist geschlossen. ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, weiterer (Schluss: 22.47 Uhr)

1) Anlage 21 2) Anlage 22

Berichtigung 122. Sitzung, Seite 12537 (D), letzter Absatz, der zweite Satz ist wie folgt zu lesen: „Deswegen machen wir eine GWB-Novelle, die genau das verhindern soll, dass diese Marktmacht jetzt benutzt wird, um Preise hochzutreiben.“

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12885

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Akgün, Lale SPD 08.11.2007 Winkelmeier-Becker, CDU/CSU 08.11.2007 Elisabeth Amann, Gregor SPD 08.11.2007 Wolf (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 08.11.2007 Andres, Gerd SPD 08.11.2007 Margareta DIE GRÜNEN

Beckmeyer, Uwe SPD 08.11.2007 Anlage 2 Bismarck, Carl-Eduard CDU/CSU 08.11.2007 von Erklärung nach § 31 GO

Connemann, Gitta CDU/CSU 08.11.2007 des Abgeordneten Klaus Brähmig (CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- Dreibus, Werner DIE LINKE 08.11.2007 zes zur Modernisierung des Rechts der land- wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) Ernst, Klaus DIE LINKE 08.11.2007 (Tagesordnungspunkt 15) Dem von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 08.11.2007 wurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der DIE GRÜNEN landwirtschaftlichen Sozialversicherung werde ich zu- stimmen. Irber, Brunhilde SPD 08.11.2007 (B) Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um (D) Knoche, Monika DIE LINKE 08.11.2007 das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ 08.11.2007 der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die DIE GRÜNEN Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ 08.11.2007 in der LSV unvermindert anhält, und die Zahl der akti- DIE GRÜNEN ven Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt jedes Jahr ab. Des Weiteren wurden die Ziele der Kunert, Katrin DIE LINKE 08.11.2007 Organisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht, die LSV arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. Mit der Dr. Lauterbach, Karl SPD 08.11.2007 Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu vertretbaren Müntefering, Franz SPD 08.11.2007 Beiträgen zu sichern. Nitzsche, Henry fraktionslos 08.11.2007 Die Einführung und Ausgestaltung des Lastenaus- gleichs ist ein Kernelement dieser Reform. Auch wenn Reichenbach, Gerold SPD 08.11.2007 es auf den ersten Blick so scheint, dass die nord- und ost- deutschen landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 08.11.2007 am stärksten davon betroffen sind, müssen dennoch alle DIE GRÜNEN Beteiligten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den Lastenausgleich, von dem mittelfris- Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 08.11.2007 tig alle profitieren werden, innergemeinschaftliche Soli- darität im Berufsstand üben. Strothmann, Lena CDU/CSU 08.11.2007 Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen, Thönnes, Franz SPD 08.11.2007 die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss Wicklein, Andrea SPD 08.11.2007 als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher – Wieczorek-Zeul, SPD 08.11.2007 nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte Heidemarie am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alle 12886 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche- Jahr abnimmt. Des Weiteren wurden die Ziele der Orga- (C) rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss nisationsreform des Jahres 2001 nicht erreicht; die LSV müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be- arbeitet nicht wirksam und wirtschaftlich. rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/ Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu- gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich vertretbaren Beiträgen, zu sichern. Die Einführung und ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei- dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft- durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be- weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er- Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar- Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am stand üben. Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer Protokollnotiz noch einmal herausgestellt. Ferner wurde in einer Reihe von Modellrechnungen, die von Verbänden und Trägern erstellt wurden und die Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner Gegenstand einer Anhörung waren, der Bundeszuschuss Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der als Einnahmeposten in das Lastenausgleichsverfahren vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 eingebracht. Das hätte zur Folge, dass – anders als bisher – bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen nicht nur rund 400 000 zuschussberechtigte Landwirte schrittweise erhöht wird. am Bundeszuschuss partizipieren würden, sondern alle Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner Beitragszahler der landwirtschaftlichen Unfallversiche- Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch rung. Der ohnehin ab 2010 abgesenkte Bundeszuschuss die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter- müsste also auf eine sehr viel größer werdende Zahl Be- nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse- rechtigter verteilt werden. Für die Arbeitsgruppe Ernäh- nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz der CDU/ Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche- CSU- und SPD-Bundestagsfraktion steht fest, dass zu- rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem nächst der im Gesetz festgeschriebene Lastenausgleich ohne den Bundeszuschuss umgesetzt werden muss. Erst (B) zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des (D) Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer- im Anschluss daran kommt es wie bisher zu einer Bei- den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages tragssenkung für die zuschussberechtigten Landwirte mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion durch die Gewährung des Bundeszuschusses, der auch für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen weiterhin auf Basis der beitragsbelastbaren Ertragswerte müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der errechnet werden soll und aus dem Beitragsbescheid er- Reform der LSV abhängt. sichtlich sein muss. Diesen Sachverhalt haben beide Ar- beitsgruppen in der Schlussberatung des Ausschusses Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am Anlage 3 Mittwoch, dem 7. November 2007, im Rahmen einer Protokollnotiz noch einmal herausgestellt. Erklärung nach § 31 GO Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner der Abgeordneten Dr. Peter Jahr, Katharina Regionen kommt, wurde ein Kompromiss gefunden, der Landgraf und Volkmar Uwe Vogel (alle CDU/ vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlagevolumen Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der land- schrittweise erhöht wird. wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) (Tagesordnungspunkt 15) Aufgrund dieses Kompromisses kann ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zustimmen, da dadurch Am Donnerstag, den 8. November, werde ich dem die Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unter- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines nehmer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemesse- Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- nes Niveau reduziert werden und die zukunftssichere schaftlichen Sozialversicherung zustimmen. Ausgestaltung der landwirtschaftlichen Sozialversiche- Es sind dringende Anpassungen vorzunehmen, um rungen mit stabilen Beiträgen erreicht wird. Vor allem das System der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zeigt der Kompromiss aber auch, dass die Solidarität des zu gestalten. Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen Berufsstandes noch funktioniert. Selbstverständlich wer- der Bund die LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die den sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Versicherten über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der mit den Auswirkungen der befristeten Abfindungsaktion Bundesrechnungshof stellt fest, dass der Strukturwandel für Kleinrenten im Jahre 2010 noch einmal beschäftigen in der LSV unvermindert anhält und die Zahl der aktiven müssen, da von ihrer Inanspruchnahme der Erfolg der Versicherten und der landwirtschaftlichen Betriebe jedes Reform der LSV abhängt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12887

(A) Anlage 4 sammlung der Vereinten Nationen ein Zeichen (C) für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe Erklärung nach § 31 GO setzen (Tagesordnungspunkt 19) der Abgeordneten Maria Michalk (CDU/CSU) Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Das zes zur Modernisierung des Rechts der land- Eintreten für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe wirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG) ist ein wichtiger Bestandteil deutscher und europäischer (Tagesordnungspunkt 15) Politik. Am Donnerstag, dem 8. November, werde ich dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ich unterstütze ausdrücklich den Inhalt des Antrags Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirt- „Bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Natio- schaftlichen Sozialversicherung zustimmen. Es sind nen ein Zeichen für die weltweite Abschaffung der dringende Anpassungen vorzunehmen, um das System Todesstrafe setzen“. Die Forderung Nr. 9 ist allerdings der agrarsozialen Sicherungen zukunftsfest zu gestalten. missverständlich und daher kontraproduktiv. Der aus- Trotz der 3,65 Milliarden Euro, mit denen der Bund die drückliche Verweis auf Polen als einziges direkt anzu- LSV im Jahre 2006 unterstützte, klagen die Versicherten sprechendes Land erweckt den Anschein, als ob Polen über eine zu hohe Beitragsbelastung. Der Bundesrech- die Ablehnung der Todesstrafe als Fundament der nungshof stellt fest, dass der Strukturwandel in der LSV europäischen Werteordnung anzweifle. Dies ist nicht der unvermindert anhält. Die Zahl der aktiven Versicherten Fall. und der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt jedes Jahr Zwar ist richtig, dass die alte polnische Regierung ab. Des Weiteren wurden die Ziele der Organisationsre- eine Einigung auf europäischer Ebene für einen „Euro- form des Jahres 2001 nicht erreicht. Die LSV arbeitet päischen Tag gegen die Todesstrafe“ verhinderte. Dieses nicht wirksam und wirtschaftlich. Verhalten war ausgesprochen kritikwürdig, da so die Ge- Mit der Reform wurde ein tragfähiger Kompromiss legenheit für ein klares europäisches Signal gegen die gefunden, der es ermöglicht, die Zukunft der LSV zu Todesstrafe ungenutzt verstrich. vertretbaren Beiträgen zu sichern. Die Einführung und Jedoch hat in Polen mittlerweile eine neue Regie- Ausgestaltung des Lastenausgleichs ist ein Kernelement rung ihr Amt angetreten, die bereits jetzt erkennen dieser Reform. Auch wenn es auf den ersten Blick so lässt, dass sich ein solches Vorgehen nicht wiederholen scheint, dass die nord- und ostdeutschen landwirtschaft- wird. Aus heutiger Sicht ist daher keine weitere geson- lichen Berufsgenossenschaften am stärksten davon be- (B) derte Einflussnahme auf Polen notwendig. Eine ent- (D) troffen sind, müssen dennoch alle Beteiligten in der sprechende Initiative gegenüber der neu gewählten pol- Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau über den nischen Regierung ist daher nicht angezeigt. Sie könnte Lastenausgleich, von dem mittelfristig alle profitieren deren erklärte Bemühungen im Hinblick auf eine Ver- werden, innergemeinschaftliche Solidarität im Berufs- besserung der Beziehungen erschweren. stand üben. Damit es nicht zu übermäßigen Belastungen einzelner Regionen kommt, wurde ein Kompromiss ge- funden, der vorsieht, dass ein Übergangszeitraum für die Jahre 2010 bis 2014 festgelegt wird, in dem das Umlage- Anlage 6 volumen schrittweise erhöht wird. Dadurch werden die Erklärung nach § 31 GO Belastungen der Berufsgenossenschaften und Unterneh- mer in Nord- und Ostdeutschland auf ein angemessenes des Abgeordneten Dr. Axel Berg (SPD) zur Niveau reduziert. Aufgrund dieses Kompromisses kann Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes ich trotz meiner Bedenken diesem Gesetzentwurf zu- zur Finanzierung der Beendigung des subven- stimmen. tionierten Steinkohlebergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohlefinanzierungsgesetz) (Tagesordnungs- punkt 21 a) Anlage 5 Die Abstimmung über den zwischen den Regierungen Erklärung nach § 31 GO der Länder Nordrhein-Westfalen und Saarland und der Bundesregierung sowie der IG Chemie und der Ruhr- der Abgeordneten Florian Toncar, Jens kohle AG gefundenen Kompromiss, der in Form des so- Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian genannten Steinkohlefinanzierungsgesetzes in den Deut- Ahrendt, Uwe Barth, Ernst Burgbacher, Rainer schen Bundestages eingebracht worden ist, bringt mich Brüderle, Patrick Döring, Jörg van Essen, in ein Dilemma. Miriam Gruß, Michael Kauch, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Grundsätzlich ist die Beendigung der Subventionie- Löning, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Dirk rung des Steinkohlebergbaus zu begrüßen. Ich werde den Niebel, Detlef Parr, Jörg Rohde, Frank Gesetzentwurf mit beschließen und die beiden Anträge Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele der Oppositionsparteien ablehnen, bin aber persönlich und Christoph Waitz (alle FDP) zur Abstim- der Ansicht, dass nur der technisch schnellstmögliche mung über den Antrag: Bei der 62. Generalver- Ausstieg sinnvoll ist, denn jede Förderung weiterer 12888 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Tonnen Kohle ist sowohl ökonomisch als auch ökolo- Valley beispielsweise, das immer herangezogen wird für (C) gisch nicht zu verantworten. die Clusteridee, ist endogen entstanden und gerade nicht künstlich durch eine Clusterstrategie erzeugt worden. Die beim Abbau der Steinkohle entstehenden CO2- Ein Unternehmen, das selbst zu einem Weltmarktführer Emissionen ergeben beinahe ein Viertel der von der In- wird, ist eine gute Anlage für eine Region. Aber einfach dustrie und dem Stromerzeugungssektor in der zweiten zu sagen, wir stellen ein großes Unternehmen her und Handelsperiode des Emissionshandels (2008 bis 2012) dann geht es der Region besser, ist volkswirtschaftlich zu erbringenden Reduktionsmengen. Beim Abbau von nicht durch Argumente gedeckt. Deshalb hätte es sich Steinkohle im Tagebau fallen deutlich weniger Emissio- angeboten zu sagen, man verfolgt ernsthaft auch die nen an. Damit würde eine absolute Reduktion im globa- Überlegungen des Einzelverkaufs der werthaltigen Be- len Maßstab bei einem frühzeitigen Ausstieg möglich standteile, um den Anfangserlös so gut als möglich zu sein. Bedenkt man, dass mit demselben Finanzierungs- maximieren. Deshalb hat die Frage nach der Sozialisie- aufwand zur Erschließung einer Tonne heimischer Stein- rung der Kosten bei gleichzeitiger Privatisierung der Ge- kohle drei Tonnen Irnportkohle gekauft werden können, winne ihre Berechtigung, solange nicht durch den An- erschließt sich auch die ökonomische Sinnhaftigkeit des fangserlös versucht wird, alles an Geld herauszuholen, Abbaus von heimischer Steinkohle nicht. was man hätte rausholen können. Die im Gesetzentwurf festgeschriebene Vollkostende- Zusätzlich kommen hierzu die Schäden, die durch den ckung der heimisch geförderten Steinkohle entspricht fortgesetzten Bergbau angerichtet werden. Es ist keines- nicht mehr einer modernen Förderung. Es sollte – wenn wegs so, dass die Förderung der Arbeitnehmer, gleichbe- man die Maßgabe nimmt, dass das Ende des Bergbaus in deutend sein muss mit einer Förderung der Produktion Deutschland 2018 wirklich stattfindet – über ein von Steinkohle. Beide Arten von Förderungen haben „Benchmarksystem“ diskutiert werden, das sich an den nichts miteinander zu tun. Wenn man die heimische durchschnittlichen Förderkosten in diesem Sektor orien- Steinkohleförderung bis 2012 einstellen würde, könnte tiert. Damit wäre gewährleistet, dass die Bergbaube- man rein rechnerisch Klimagase einsparen in einer Höhe triebe mit den höchsten Förderkosten als erste geschlos- von ungefähr 7,5 Millionen Tonnen CO . Das ist ein er- sen werden. Dem Bund entstünden dadurch deutlich 2 heblicher Teil dessen, wozu wir uns im Kioto-Protokoll weniger Förderkosten. an volkswirtschaftlichen Einsparungen verpflichtet ha- Nach der dem Gesetzentwurf vorausgegangenen ben, selbst wenn man von Immobilienschäden und ande- KPMG-Studie sind die vollständigen Ewigkeitskosten ren Schäden absieht, die der fortgesetzte subventionierte überhaupt nicht berechnet, die für eine solche Entschei- Steinkohlebergbau anrichtet. Allein beim Punkt Klima dung zu berücksichtigen sind. Das geht auch gar nicht, könnte man schon einiges gewinnen, wenn man einfach weil sie ihren Namen zu Recht tragen. Beispielsweise die beiden Dinge Förderung und Forderung trennen (B) das Flöz unter dem Rhein, in das Wasser einbricht, das würde. Es ist eine politische Entscheidung, die noch (D) permanent herausgepumpt werden muss. Hört man auf existierenden Unternehmen in eine privatrechtliche mit Pumpen, fällt der Rhein herunter mit der Folge, dass Struktur zu überführen und diese aus ihrer unternehmeri- halb Nordrhein-Westfalen unter Wasser liegt. Man muss schen Verantwortung zu entlassen. pumpen, solange der Rhein fließt – also ewig. Von über 2 000 ehemaligen Bergwerken weiß man nicht mal Der Bergbau hat in den beiden Bundesländern Nord- mehr, wo genau sie sind und welche Bergschäden von rhein-Westfalen und Saarland eine lange Tradition; dies ihnen noch ausgehen werden. Die durch den Börsengang darf bei einem Ausstieg nicht vergessen werden. Den be- des weißen Bereichs der früheren RAG in Form der Evo- troffenen Regionen eine zukunftsorientierte, zeitnahe nik AG erzielten Erlöse werden in der RAG-Stiftung und nachhaltige Perspektive zu eröffnen, ist Aufgabe der nicht ausreichen, um diese Kosten zu tragen. Damit ist Politik. Vor allem die im Bergbau tätigen Menschen sol- die Konstruktion nicht nachhaltig, denn sie bedeutet nur len eine in die Zukunft orientierte Perspektive erhalten. den einmaligen Aufbau eines Kapitalstocks, der zudem Eine Überführung in innovative und nachhaltige Be- kaum in der notwendigen Weise wachsen kann. Es reicht schäftigung sollte eigentlich Grundbestreben des Aus- schon rein rechnerisch nicht aus, die werthaltigen stiegsbeschlusses sein. Bestandteile der ehemaligen RAG und den Bergbau ge- Selbst wenn man der Annahme folgt, dass nicht alle geneinander so aufzurechnen, dass im Endeffekt eine durch betriebsbedingte Kündigungen arbeitslos werden- positive Zahl herauskommt. Damit ist der residuale Be- den Beschäftigten wieder in den Arbeitsmarkt zu inte- zahler, der für die Zahlungen im Endeffekt geradestehen grieren wären, blieben den öffentlichen Kassen ca. muss, wenn die Summen nicht ausreichen, natürlich der 1 Million Euro pro Arbeitnehmer, die für Ausgleichs- Steuerzahler. Das Unternehmen Evonik wird so mit die- maßnahmen verwendet werden könnten, wenn wir uns ser einmaligen Zahlung aus der unternehmerischen Ver- schneller aus dem Steinkohlebergbau zurückzögen. Dies antwortung entlassen. würde sich aus den wegfallenden Subventionen ergeben. Als allererste Prämisse hätte nicht das Herstellen ei- Hier mangelte es an dem Willen der Politik, einen sol- nes Konzerns im Ruhrgebiet angestrebt werden müssen. chen Schritt konsequent zu gehen. Es bliebe genügend, Es gibt überhaupt keine wirtschaftliche Erkenntnis, die um den Arbeitnehmern im Bergbau eine Perspektive zu darauf hindeutet, dass es ein werthaltiger Weg für eine schaffen – insbesondere auch beim Reparaturbergbau – Region sein soll, einen starken Spieler künstlich zu er- und gleichzeitig noch Geld freizusetzen für die Förde- zeugen. Die starken Unternehmen, die wirklich von rung erneuerbarer Energien, insbesondere für die For- Weltruf in unserer und vielen anderen Volkswirtschaften schung in erneuerbaren Energien oder in Bildung und sind, haben das selbst auf die Beine gestellt. Das Silicon Forschung allgemein und in Wissenstransfer. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12889

(A) Nach Aussage der Bundesregierung (Bundestags- teilweise an den Entsorgungskosten ihrer Verkaufsver- (C) drucksache 16/4393) werden von der bisherigen RAG packungen beteiligt haben. derzeit noch 1 500 Personen im sogenannten „Schwar- zen Bereich“ ausgebildet. Hier sollte der notwendige Die Anhörung am 10. Oktober 2007 hat allerdings ge- Wissenstransfer an kommende Generationen zur Ein- zeigt, dass dem sogenannten Trennungsmodell nur mit schätzung und Bewirtschaftung der alten Bergwerke als Bedenken zugestimmt werden kann. Die vorgesehene Maß für die Anzahl der bereitzustellenden Ausbildungs- „Zwangsmitgliedschaft“ in einem der dualen Systeme plätze angelegt werden. Der Rest der in der Branche täti- für Hersteller und Vertreiber von Verkaufsverpackungen, gen oder zurzeit in Ausbildung befindlichen Arbeitneh- die beim privaten Endverbraucher anfallen, widerspricht mer sollte in zukunftsträchtige Industrien im Bereich dem Grundsatz der individuellen Produktverantwortung Effizienz- oder Erneuerbare-Energien-Technologien und stellt insofern einen Systembruch dar, der rechtlich überführt werden. und ordnungspolitisch bedenklich ist. Es ist auch zu be- fürchten, dass der Anschluss- und Benutzungszwang zu Die von den Kompromissparteien geäußerten Ab- einer Oligopolbildung dualer Systeme mit entsprechen- sichtserklärungen, gemeinsam an einem zukunftsfähigen den Kostensteigerungen für die Verbraucher führt. Strukturwandel zu arbeiten, ist in meinen Augen zu we- nig. Schließlich wissen wir seit vierzig Jahren, dass der Wir bitten deshalb die Bundesregierung, die sektora- deutsche Steinkohleabbau weder umweltfreundlich noch len und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der wirtschaftlich ist. Hier sollten konkrete Zahlen die Ab- Novelle sorgfältig zu beobachten und bei sich abzeich- sichten unterstreichen. So könnten die Politik und die nenden Fehlentwicklungen eine grundsätzliche Neuaus- beteiligten Unternehmen den Sorgen der Betroffenen, richtung der Verpackungsentsorgung vorzuschlagen. die bei einem Strukturwandel entstehen, mit einer positi- ven zukunftsfähigen Perspektive begegnen. Die Region Ruhrgebiet ist deswegen so weit hinten- Anlage 8 dran, weil sie den Umschwung nicht rechtzeitig ge- schafft hat und der Strukturwandel so lange dauert. Das Zu Protokoll gegebene Reden nicht trotz, sondern wegen der Bemühungen, das Ende lange hinauszuzögern. Es handelt sich bei der Steinkoh- zur Beratung der Großen Anfrage: Stärkung leförderung rein technisch um nichts anderes als um eine der sozialen und ökologischen Verantwortung Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Wir wissen sehr gut aus von Unternehmen (Tagesordnungspunkt 14) vielfältigen empirischen Untersuchungen in verschie- densten Bereichen, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnah- Philipp Mißfelder (CDU/CSU): Diese Debatte bietet (B) men schon mittelfristig schlecht sind. Hier setzt bei- eine gute Gelegenheit, einmal grundsätzlich über die (D) spielsweise auch die Agenda 2010 an. Sie sind schlecht Aufgabe und das Selbstverständnis von Unternehmern in für die Beteiligten, weil sie selbst vom Markt ferngehal- unserer Wirtschaftsordnung zu sprechen. Denn da – das ten werden. Sie sind schlecht für die jeweilige Region, merkt man der Linken in ihrer Großen Anfrage deutlich weil sie sich dem Strukturwandel nicht schnell genug stellen, sie sind schlecht für die Volkswirtschaft, weil sie an – bestehen zwischen Ihnen und den übrigen Fraktio- bezahlt werden müssen. nen dieses Hauses doch gewaltige Unterschiede in der Auffassung. Das verwundert nicht: Wer unsere Wirt- Die beste Strategie, um eine langfristige sozialver- schaftsordnung im Grunde ablehnt, wessen Programm es trägliche Entwicklung zu erreichen, ist, Investitionen in ist, Unternehmen zu enteignen, und wer wie Ihr Partei- neue rentable Arbeitsplätze zu generieren und zu unter- vorsitzender Bisky auf Ihrem Vereinigungsparteitag die stützen. Das sind Investitionen in Bildung und in Infra- Systemfrage gestellt hat, der hat ein grundlegend fal- struktur, die dann entsprechend auch zusätzliche Be- sches Bild von der Verantwortung des Unternehmers in schäftigungsmöglichkeiten nach sich ziehen. der freien Marktwirtschaft. Halten wir fest: Die zentrale Funktion des Unterneh- Anlage 7 mers in der Marktwirtschaft ist es, unter Wettbewerbsbe- dingungen Gewinne zu erwirtschaften. Genau diese Erklärung nach § 31 GO Hauptaufgabe ist die zentrale Voraussetzung dafür, dass sichere Arbeitsplätze entstehen und Wohlstand geschaf- der Abgeordneten Alexander Dobrindt, Rita fen wird. Und um sichere Arbeitsplätze zu schaffen, müs- Pawelski, Andreas G. Lämmel, Eckhardt sen Unternehmen schon sehr genau darauf schauen, dass Rehberg, Dr. Georg Nüßlein und Hartmut sie nicht durch Umweltverschmutzung, Bilanzfälschung, Koschyk (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu der Verord- die Ausbeutung ihrer Mitarbeiter, durch Kinderarbeit nung der Bundesregierung: Fünfte Verordnung oder Ähnliches ihr eigenes Geschäftsmodell gefährden. zur Änderung der Verpackungsverordnung Das ist Teil eines verantwortungsvollen Unternehmer- (Tagesordnungspunkt 26) tums, denn die Verbraucher reagieren heute sehr sensibel auf negative Schlagzeilen aus Unternehmen: Ich nenne Wir unterstützen das Ziel der Novelle, die „Trittbrett- als jüngstes Beispiel nur den amerikanischen Beklei- fahrerei“ einzudämmen, dass heißt, durch die Vollstän- dungshersteller GAP, dessen Zulieferer Kinder in Indien digkeitserklärung werden künftig auch die Unternehmen beschäftigte und der daraufhin zehntausende Kleidungs- eingebunden, die sich bisher überhaupt nicht oder nur stücke mit der Begründung vom Markt genommen hat, 12890 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) man wolle nicht riskieren, Produkte aus Kinderarbeit zu Umwelt- und Energiespartechnologien in diesen Län- (C) verkaufen. dern verbreitet. Es zeigt sich also, dass Imageprobleme gerade bei Man könnte diese Aufzählung fortsetzen, aber es Markenherstellern gravierende unternehmerische Folgen zeigt sich schon hier: Als lokale Partner engagieren sich haben. Einmal wird das Vertrauen der Marke beschädigt, die Unternehmen in den allermeisten Fällen für die Ge- aber auch Investoren wenden sich ab, was die Entwick- sellschaft am Investitionsstandort. Da sie sowohl zu lung einer Firma noch viel mehr beeinträchtigen kann. Hause als auch im Gastland unter der Beobachtung einer Gewinnabsicht und gesellschaftliche sowie ökologische kritischen Öffentlichkeit stehen, können sie sich gar Verantwortung von Unternehmen sind somit keine Wi- keine Fehler erlauben. Das ist die Realität. dersprüche. Es zeigt sich sogar, dass sich Unternehmen, die ihr gesellschaftliches Umfeld im Blick haben, meis- Nichtsdestoweniger gibt es noch Entwicklungen, die tens besser als ihre Wettbewerber entwickeln. ein zwischenstaatliches Eingreifen erfordern. Und hier hat die deutsche Ratspräsidentschaft und der G-8-Vorsitz Der Fall GAP – andere Beispiele möchte ich hier gar unter unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel wichtige nicht anführen – hat gezeigt, dass sich die soziale und Signale gesetzt: Auf dem G-8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni ökologische Verantwortung von Unternehmen am besten dieses Jahres in Heiligendamm wurde beschlossen, das im einem marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen stär- Thema Corporate Social Responsibility (CSR), also gute ken lässt. Und dabei haben selbstverständlich Nichtregie- Unternehmensführung, zu einem Zukunftsthema gerade rungsorganisationen, aber besonders die eigenen Mitar- in Schwellen- und Entwicklungsländern zu machen. beiter und deren Interessenvertreter eine ganz besondere Deshalb möchte ich an dieser Stelle festhalten: Das Be- Aufgabe der Kontrolle und Aufsicht. Es ist zumindest wusstsein, dass ökonomischer Erfolg und die soziale und wirksamer, als ständig nach neuen gesetzlichen Regelun- ökologisch verträgliche Gestaltung der Globalisierung gen zu rufen: Es zeigt sich bei sozialen und ökologischen eng zusammengehören, wächst sowohl bei den jeweili- Fragen, dass die Selbstreinigungskräfte des Marktes auch gen nationalen Regierungen als auch bei den internatio- hier am besten funktionieren. nal tätigen Konzernen. Das hat die Bundesregierung in Ich will das anhand einiger Beispiele, die aus der Ant- ihrer Antwort auf die Anfrage auch klar festgestellt. wort der Bundesregierung stammen, erläutern. Denn es Ich möchte noch auf einen innenpolitischen Aspekt zeigt sich immer stärker, welche Vorteile die Globalisie- dieser Anfrage eingehen, den ich in der aktuellen Lage rung gerade auch für Entwicklungs- und Schwellenlän- für besonders erwähnenswert halte. Es geht um Entlas- der bringt. Auch Sie von den Linken sollten endlich die sungen, Firmenschließungen und Firmenverlagerungen (B) Vorteile der Globalisierung anerkennen und nicht die bü- (D) ins Ausland sowie um die damit verbundene hohe Ar- rokratische und ineffiziente Planwirtschaft ohne privates beitslosigkeit in der Vergangenheit. Indem Ihre Anfrage Unternehmertum als Abschluss und Glanzstück aller schon vor etwa einem Jahr geschrieben wurde, geht sie ökonomischen Entwicklung sehen. Denn wenn es feh- noch von ganz anderen Erfahrungen und Erwartungen lendes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Men- schen und der Natur gegeben hat, dann in den Planwirt- aus, als wir sie heute bei uns in Deutschland vorfinden. schaften des Ostblockes. Dort herrschten unmenschliche Ich unterstelle das jetzt einmal: Diese Große Anfrage ist Arbeitsbedingungen, und dort wurde ohne Rücksicht auf wahrscheinlich noch unter dem starken Eindruck der ver- die natürlichen Ressourcen alles in Grund und Boden ge- gangenen rot-grünen Bundesregierung geschrieben wor- wirtschaftet. Die Folgen sehen wir heute noch. Sie ler- den: Mit 5 Millionen Arbeitslosen, einer bisher nicht nen einfach nichts dazu! gekannten Staatsverschuldung, Abwanderung hochquali- fizierter Wissenschaftler und Zukunftsangst weiter Teile Ich will Ihnen das einfach hier zur Kenntnis geben: der Bevölkerung. Seit die Union die Bundesregierung Der weltweite Wohlstand steigt gegenwärtig, und es sind führt, hat sich inzwischen viel getan. Die Arbeitslosigkeit zu einem großen Teil multinationale Unternehmen, die sinkt, wir haben einen ausgeglichenen Haushalt vor Au- daran einen Anteil haben: Multinationale Unternehmen gen, die Beschäftigungsquote befindet sich auf einem bringen Kapital in Entwicklungsländer, das dort drin- historischen Höchststand. Das ist erfreulich und das Er- gend gebraucht wird. Die gesamten Investitionen nur der gebnis richtiger Politik. Vor allem ist es aber nicht das Er- deutschen Unternehmen in Entwicklungsländern lagen gebnis staatlicher Regulierung. Wie Politik auf dem Ver- 2005 bei über 32 Milliarden Euro. Multinationale Unter- ordnungsweg soziale Verantwortung diktieren soll, das nehmen schaffen Arbeitsplätze: Deutsche Unternehmen bleibt das Geheimnis der Linken. Aber wahrscheinlich beschäftigten 2005 in Entwicklungsländern rund wollen Sie immer noch den „Neuen Menschen“ schaffen. 640 000 Arbeitnehmer. Deren Lohn liegt dabei auch Dass Ihnen dabei jedes Mittel recht ist, hat das Spitzel- noch häufig über dem landesüblichen Niveau, was in der und Unterdrückungssystem im real existierenden Sozia- Wertschöpfungskette wiederum Einkommen für weite lismus gezeigt. Millionen von Menschen schafft. Multinationale Unter- nehmen fördern die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitar- Wir stellen uns den Herausforderungen der Globali- beiter und tragen damit zur allgemeinen Verbesserung sierung und sind davon überzeugt, dass gerade der Pri- des Ausbildungsstandes vor Ort bei. Und multinationale vatsektor und die Wirtschaft in partnerschaftlicher Zu- Unternehmen ermöglichen ihren Gastländern Zugang zu sammenarbeit dazu beitragen werden, eine nachhaltige dringend benötigtem Know-how. Damit werden auch und gerechte Weltwirtschaft zu verwirklichen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12891

(A) Garrelt Duin (SPD): Die Forderung der Linken nach Wichtiger als die blinde Forderung nach mehr Geset- (C) einer CSR-Pflicht für Unternehmen steht konträr zu dem zen ist das praktische Zusammenwirken der Akteure vor Bestreben der Bundesregierung, die Bürokratie in Ort. Diese brauchen unsere Unterstützung, aber keine Deutschland abzubauen. Damit würde ein Bürokra- neue Bürokratie! tiemonster geschaffen werden, das die gelebte Politik in unserem Land lähmen würde. Katja Mast (SPD): Als Landeskind Baden-Württem- Wir brauchen keine CSR-Knebelverträge für die Un- bergs weiß ich: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. ternehmen. Das gesellschaftliche Potenzial von CSR Bei uns im Ländle kommt hinzu: Aber joh nit drüber muss allgemein mehr Anerkennung erfahren und ausge- schwätze! baut werden, und das auf freiwilliger Basis. Denn für ein Trotzdem engagieren sich Unternehmen über das nor- Unternehmen gibt es kein besseres Aushängeschild, als male Maß hinaus. Vor Ort kennt man die auch, zum Bei- soziale Verantwortung zu übernehmen, ihr Engagement spiel bei mir zu Hause: Der Bäcker Wiskandt ermöglicht für gesellschaftspolitische Verantwortung zu stärken und eine Lesebibliothek in Huchenfeld, die Metallschlauch- regen Austausch zu pflegen. firma Witzenmann fördert die Kletterhalle, der Schmuck- Genau das passiert. Gerade die vielen kleineren und etuihersteller Wild gründet eine Kulturstiftung mit mittelständischen Unternehmen leben die gesellschaftli- 5 Millionen Euro Startkapital, die Nieferner Elektro- che Verantwortung vor Ort. Der Mittelstand hinkt hier firma Pretema fördert Schüler im Enzkreis, die es aber leider in seiner Kommunikation gelebter gesell- schwerer haben als andere. Das Technikunternehmen schaftlicher Unternehmensverantwortung den Groß- Seuffer in Calw setzt sich für die musische Jugendbil- unternehmen hinterher. dung im Verein Obenauf ein. Erst gestern hat es einem Gymnasium im Nordschwarzwald Musikinstrumente zur Das Engagement der mittelständischen Unternehmen Verfügung gestellt. wird allzu oft von den Negativschlagzeilen der Großun- Ob die Firmen wissen, dass ihr gesellschaftliches ternehmen überschattet. Es geschieht viel Gutes im „stil- Engagement neudeutsch „Corporate Social Responsibi- len Kämmerlein“; denn gerade im Mittelstand nehmen lity“, CSR, heißt und Kofi Annan den Global Compact viele Unternehmer ihre gesellschaftliche Verantwortung gegründet hat, glaube ich eher nicht. Aber das ist hier mit viel Herz wahr. Das CSR-Engagement des Mittel- auch egal. Wichtig ist: Sie machen mehr als andere, und stands beginnt hier bei den Mitarbeitern. Dabei geht es das gilt es zu fördern und transparent zu machen – auch um Punkte wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vonseiten der Politik. oder Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, dem soge- (B) nannten Altersmix der Belegschaften in den Unterneh- Aber gerade für uns Parlamentarier ist doch klar: Das (D) men. soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung müssen wir in einer Doppelstrategie gestalten. Ich be- Als Beispiel möchte ich an dieser Stelle den Famili- tone Doppelstrategie – mit einem Pflicht- und einem enservice Weser-Ems nennen: Seit 1997 setzt sich dieser Kürteil: Pflicht ist unser Engagement in internationalen Verein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Organisationen, wie den Vereinten Nationen und der Eu- In Kooperation mit dem Mittelstand vor Ort werden hier ropäischen Union. Dort begegnen wir der Globalisierung Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die Beschäftigten mit demokratischen Strukturen und setzen ökologische vermittelt. Der Familienservice hatte damals eine Vorrei- und soziale Mindeststandards, beispielsweise bei der terrolle inne und hat gezeigt, dass gerade von einer EU-Dienstleistungsrichtlinie, der ILO-Kernarbeitsnorm strukturschwachen Region wie Ostfriesland Innovatio- oder dem Seearbeitsübereinkommen. Wir setzen damit nen ausgehen können. Mittlerweile haben sich bewusst ein demokratisches Gegengewicht zum freien 95 Unternehmen und öffentliche Verwaltungen diesem Spiel der Kräfte. Damit demokratisieren wir täglich ein Projekt angeschlossen. Ein weiteres Beispiel: das Volks- Stück mehr die Globalisierung, wenngleich wir wissen: wagenwerk in Emden. Auch hier wird den Mitarbeiterin- Es dauert noch lange, bis überall die gleichen Sozialstan- nen und Mitarbeitern Tagesbetreuung für ihre Kinder an- dards gelten. Oder glaubt irgendjemand hier an ein bal- geboten. Oder das Emder Unternehmen „Anker diges Elterngeld auf Madagaskar? Schifffahrt“. Dort werden seit Jahren sehr gute Erfahrun- gen mit der Einstellung älterer Arbeitnehmer gemacht. Hier ein gutes Beispiel für sozialdemokratisches Ar- Das Unternehmen hat gerade wieder fünf Arbeitnehmer beiten in übernationalen Gremien: Walter Riester hat für über 50 eingestellt. Das macht immerhin 10 Prozent der die parlamentarische Versammlung des Europarates die gesamten Belegschaft aus. Diese Beispiele, die wahr- Weiterentwicklung der Sozialcharta vorangetrieben, scheinlich stellvertretend für viele mittelständische Un- Franz Müntefering hat dafür gesorgt, dass die deutsche ternehmen bundesweit stehen, machen eines deutlich: Regierung diese am Ende der EU-Ratspräsidentschaft Staat, Bürger und Unternehmen sind Partner, die zusam- unterzeichnete. Wir als Parlament können nun bald dafür mengehören und die gemeinsam handeln sollten. sorgen, dass sie ratifiziert wird. Dann haben wir wieder ein Stück mehr an internationaler Verbindlichkeit herge- Soziale Verantwortung von Unternehmen heißt stellt, übrigens – alle Parteien haben diese europäische Engagement nach Innen wie nach Außen und darf nicht Sozialcharta unterstützt – auch ihre Vertreter. zu einem reinen Imageträger verkommen. Soziale Ver- antwortung ist für diese mittelständischen Betriebe kein Ich sagte: Wir brauchen eine Doppelstrategie, um das Marketinggag. Hier wird CSR in die Praxis umgesetzt. soziale und ökologische Gesicht der Globalisierung zu 12892 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) gestalten: Die Kür ist neben bundesweiten Gesetzen, in der Regel das billigere Gerät, ohne zu fragen wo und (C) Richtlinien in der EU und Abkommen in den Vereinten wie es hergestellt wurde. Natürlich hat das Grenzen, Nationen Freiwilligkeit. Zum Glück gab es schon immer zeigt aber: Globalisierung ist Realität. Wir können sie Unternehmen, die mehr tun als gesetzlich vorgeschrie- nicht stoppen, es sei denn, sie wollen wieder Mauer und ben ist. Denn nur dadurch sind doch auch unsere sozia- Stacheldraht um unser Land ziehen. Und wie bei jeder len Errungenschaften durchsetzbar gewesen. Ich weiß Sache gibt es auch hier zwei Seiten: Da entwickelt nicht, wie lange wir heute arbeiten müssten, hätte es Deutschland den Transrapid und rein zufällig kommt ein Robert Bosch nicht gegeben, der schon 1906 den acht- ähnliches Fahrzeug in China auf den Markt. Bei mir im stündigen Arbeitstag eingeführt hat. Erzgebirge im Raum Seiffen, Deutschneudorf, werden Räuchermännchen, Nussknacker, Pyramiden und Wir Sozialdemokraten finden es gut, wenn ein Unter- Schwibbögen mit viel Herz und künstlerischem Ge- nehmen wie Faber-Castell darauf besteht, in China im schick produziert. Ein halbes Jahr später kommen diese Werk eine Arbeitnehmervertretung zu wählen, obwohl es dort keine gesetzliche Grundlage dafür gibt. Das ist Artikel baugleich aus China auf den deutschen Markt, ein Leuchtturm, den wir nach vorne stellen müssen. nicht in gleicher Qualität, aber um 80 Prozent billiger. Denn nur so verändern wir die Realität. Und genau das Bitter! Doch ich bin sicher, dass sich selbst in diesem ist das Ziel des Corporate-Social-Responsibility-Forums schwierigen Umfeld Original gegen Plagiat durchsetzten von Franz Müntefering, das im nächsten Jahr startet. wird. Spannend ist doch: Was verstehen wir hier in Die andere Seite sind Chancen und Möglichkeiten, Deutschland unter gesellschaftlich verantwortlichem die ein internationaler Markt bietet. Denken wir an die Verhalten von Unternehmen? Was ist gut? Wo sind die Automobilindustrie: Nur weil Zulieferer aus Tschechien Lücken beim Handeln? Sind nun die Produkte bei uns Teile an VW liefern, kann Volkswagen noch mit der alle so produziert, dass sie den internationalen Ab- Konkurrenz aus Japan und Korea mithalten. Deutsche kommen entsprechen? So weit sind wir leider noch nicht Unternehmen müssen also Teile der Produktion ins Aus- – aber wir arbeiten dran – mit unserer Doppelstrategie: land verlagern, um insgesamt wettbewerbsfähig zu blei- Pflicht und Kür. ben. Dies schafft und erhält Arbeitsplätze. Um aber bei diesen Herausforderungen mithalten zu können, muss es Gesetze erlassen, das können wir gut als Politik, ver- auch große international arbeitende Konzerne geben. walten auch. Aber Politik als gestaltender Moderator, Die fallen nicht vom Himmel. Sie entwickeln sich nach um global und lokal Dinge zu verändern, Freiwilligkeit und nach, wie sich auch die Globalisierung entwickelt. zu fördern und Transparenz herzustellen, das ist das qua- Es ist auch eine gewisse Größe notwendig, um im inter- litativ Neue an der CSR-Strategie. Diese Herausforde- nationalen Wettbewerb bestehen zu können. Ein Global (B) (D) rung nehmen wir von der ältesten Partei Deutschlands, Player, wie diese Unternehmen genannt werden, hat der SPD, gerne an. Wir wollen gestalten. auch eine sehr lokale Wirkung. Er ist im Wirtschaftspro- zess integriert. Viele Mittelständler und Handwerker Heinz-Peter Haustein (FDP): „Nicht die Tatsachen profitieren als Subunternehmer und/oder Partner von den machen das Leben schwer, sondern unsere Bewertung Aufträgen der Konzerne, auch von ausländischen Kon- der Tatsachen.“ – Dieser Ausspruch des griechischen zernen, die in Deutschland arbeiten. Es ist also ein Ge- Philosophen Epiktet brachte mich unwillkürlich gedank- ben und Nehmen zwischen Konzernen und kleinen Be- lich an die große Anfrage der Linken heran: „Stärkung trieben. Und deshalb ist es unfair, den Konzernen soziale der sozialen und ökologischen Verantwortung der Unter- und ökologische Kälte vorzuwerfen. nehmen.“ Als ich dann mal näher reingeschaut habe, ist mir klar geworden: Es geht hier um eine pauschale Ver- Vor diesem Hintergrund muss es unsere Aufgabe als urteilung der Konzerne und letztlich auch des Mittel- Parlament sein, den Boden dafür zu bereiten, dass sich stands. Mit Ihrer Geißelung der Unternehmen als verant- noch mehr große Konzerne in unserem Land ansiedeln, wortungslose Heuschrecken helfen Sie niemandem. Im mehr Unternehmen gründen. Der Dünger dafür sind zum Gegenteil: Sie täuschen die Menschen über die Wirk- Beispiel ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuer- lichkeit hinweg. Sie vergessen immer wieder, dass system, Senkung der Lohnnebenkosten, ein beweglicher Globalisierung nichts ist, was uns irgendjemand gegen Arbeitsmarkt und weniger Bürokratie. Das funktioniert, unseren Willen aufnötigt. Die Globalisierung, das Zu- wenn man es will. Doch leider redet die Regierung nur sammenwachsen und der Wettbewerb der weltweiten darüber, anstatt endlich mal zu handeln. Volkswirtschaften, hat schon vor Jahrhunderten begon- nen und wird auch künftig weiter voranschreiten. Als Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Antwort der Bundes- spanische Seefahrer Südamerika erschlossen, war es bil- regierung auf die Große Anfrage der Linken zur sozialen liger, Erze von dort nach Europa zu bringen als sie selbst und ökologischen Unternehmensverantwortung ist ein zu fördern. Dies brachte den Erzbergbau zum Erliegen. Schlag ins Gesicht all derer, die sich für wirksame sozi- Die Eisenbahn machte die Menschen mobil, verfestigte ale und ökologische Regeln gegen den globalen Share- die Globalisierung. holder-Value-Kapitalismus einsetzen. Zwar formuliert Sie werden die Globalisierung auch nicht aufhalten, die Regierung Bekenntnisse zur sozialen Verantwortung aus einem einfachen Grund: Die Menschen sehen die und auch zur Regelungspflicht des Gesetzgebers. Doch Vorteile der Globalisierung, sie nutzen die sich bieten- bei jeder einzelnen Maßnahme beharrt sie auf der Frei- den Möglichkeiten größerer Mobilität. Man kauft eben willigkeit der Unternehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12893

(A) Gerade für die Kolleginnen und Kollegen der SPD, ist hat das alles nichts zu tun. Mit Weiterentwicklung des (C) dies ein politisches Armutszeugnis. In ihrem neuen Pro- Sozialstaats und seiner Anpassung an die Globalisierung gramm heißt es: Damit der Markt seine positive Wir- erst rechts nicht. Sie machen die Menschen hilflos und kung entfalten kann, bedarf es Regeln, eines sanktionsfä- die Politik unmündig. Sie setzen die Menschen der Er- higen Staates, wirkungsvoller Gesetze und einer fairen pressung durch transnationale Konzerne aus. Sie machen Preisbildung. – Davon findet man in Antwort der Regie- sogar Regierungen demgegenüber machtlos. Stattdessen rung nichts. Im Gegenteil: Nehmen Sie zum Beispiel brauchen wir Reformen, die Konzerne und Finanz- OECD-Leitlinien für Unternehmen: Sie werden in der marktakteure wieder in soziale und ökologische Verant- Antwort immer wieder als wichtiges Instrument ge- wortung einbinden. nannt. Mit den Stimmen der SPD hatte sich die Enquete- Kommission „Globalisierung“ für Rechtsverbindlichkeit Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bessere Verfahren zur Überprüfung ausgesprochen. Der Staat ist in der Lage, die soziale und ökologische Die Regierung beharrt wieder auf der Freiwilligkeit. Verantwortung von Unternehmen zu stärken. Er muss Hier wie bei vielen ihrer Antworten auf Forderungen dies allerdings, damit dies zielgerichtet geschieht, im von Gremien der Vereinten Nationen, Gewerkschaften Rahmen ordnungspolitischer Grundsätze und durch das und Nichtregierungsorgansationen gilt: Solange Sie am Setzen von Anreizen machen. Mythos freiwilliger Unternehmensverantwortung fest- Eine Volkswirtschaft ohne soziale und ökologische halten, ist Ihr Gerede von „gerechter Globalisierung“ Verantwortung beraubt sich ihrer eigenen Grundlagen. nicht mehr wert als die vielen bunten Broschüren trans- Viele Unternehmen haben das erkannt und setzen mit der nationaler Konzerne zu ihrer sozialen und ideologischen Corporate Social Responsibility, CSR, diese Verantwor- Verantwortung. tung in konkrete Unternehmensziele um. Der Global Geradezu armselig sind Ihre Antworten auf die mit Compact, zu dem sich international 3 100 Unternehmen dem globalen Kapitalismus gewachsene Machtstellung verpflichtet haben, definiert zehn solcher Ziele: von der der transnationalen Konzerne: Ob Telekom, Allianz, Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Opel oder Deutsche Bank – stellvertretend für viele ha- nehmer bis hin zu ökologischen Zielen, zum Verbot der ben sie sich in den letzten Jahren vor allem mit Massen- Kinderarbeit, zur Absage an Korruption und zur Beseiti- entlassungen oder Ausgliederungen einen Namen ge- gung von Diskriminierung bei Anstellung und Beschäfti- macht. Mit der Androhung von Produktionsverlagerung gung. oder konzerninterner Konkurrenz um die Produktion Bündnis 90/Die Grünen wollen die soziale und ökolo- neuer Modelle – erzwingen Konzerne einen Unterbie- gische Verantwortung der Unternehmen fördern. Zu ei- tungswettlauf um die schlechtesten sozialen und auch (B) ner solchen Förderung gehört auch die Vernetzung und (D) ökologischen Standards. Trotzdem sieht Herr Betreuung der entsprechenden Projekte. Wir haben heute Müntefering, keinen Bedarf an gesetzlichen Schritten. bereits über unseren Antrag zum Vergaberecht debattiert, Da heißt es: „Der Arbeitgeber kann grundsätzlich frei den wir Grünen in den Bundestag eingebracht haben. entscheiden, ob und wie er das Unternehmen umgestaltet Dieser enthält einerseits eine Entbürokratisierung der oder Betriebsteile oder das Unternehmen insgesamt ver- Vorgaben zu den Vergabeverfahren. Andererseits schafft äußert oder schließt.“ Angesichts der Realität von Zehn- er entsprechend dem von der EU vorgegebenen Rahmen tausenden von Beschäftigten ist das blanker Zynismus. die Möglichkeit für die verschiedenen staatlichen Ebe- Wir fordern sie auf, hier die Mitbestimmungsrechte nen, bei der Vergabe selbst Ziele im Sinne der CSR zu von Gewerkschaften und Betriebsräten gegenüber Mas- definieren. senentlassungen, bei Ausgliederungen und Verkäufen zu Im Ergebnis können Städte, Gemeinden und der Bund erweitern. Grotesk und lächerlich wirken dann Ihre Ant- dadurch die Nachfrage für solche Unternehmen stärken, worten zur Rolle der Finanzmarktakteure, der Heuschre- die CSR umsetzen. Hiermit begegnen wir auch der Ge- cken und anderer. fahr, dass Unternehmen durch die mit CSR verbundenen Mit ihrem Einfluss hat sich die Shareholder-Value- Kosten und Standards Vergabenachteile entstehen. Eine Orientierung, also die alleinige Orientierung an hohen solche Reform des Vergaberechtes ist nicht zu unter- Renditewerten in den Unternehmen durchgesetzt. Men- schätzen. Die Marktmacht der öffentlichen Hand ist schenrechte, soziale und ökologische Interessen, aber groß: Die Aufträge der öffentlichen Verwaltung und öf- auch langfristige Investitionen in die Zukunft des Unter- fentlicher Unternehmen an die private Wirtschaft ma- nehmens geraten mehr und mehr ins Abseits. Unterneh- chen in Deutschland rund 17 Prozent des Bruttoinlands- men selbst sind zum Handelsobjekt geworden, aus deren produkts aus, etwa 360 Milliarden Euro pro Jahr. An- und Verkauf Profit gezogen wird. Sie streiten zwar Politik muss aber auch Regeln setzen, wo eine Selbst- gewisse Probleme nicht völlig ab, wollen diese aber vom kontrolle nachweislich nicht weiterführt. Zur Bekämp- Markt selbst über „verantwortungsvolle Investments“ fung von Korruption schlagen wir die Einführung eines sowie durch freundliche Dialogrunden lösen lassen. Er- Korruptionsregisters vor. Unternehmen, die sich der zählen Sie das alles den Telekom-Beschäftigten, die fünf Korruption schuldig gemacht haben, sollen so keine öf- Wochen gegen Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung fentlichen Aufträge mehr erhalten. Und: Die Zahl der und Ausgliederung streiken mussten. Aufsichtsratsmandate muss auf fünf pro Person be- Wahrlich stumpfe Waffen, die Sie den Menschen an- grenzt, der Übergang vom Vorstand in den Aufsichtsrat bieten. Mit fairer Arbeit und ökologischer Erneuerung desselben Unternehmens untersagt werden. 12894 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) CSR wächst aus der Eigeninitiative der Unternehmen. die Verteilung. Auf der anderen Seite steht immer noch (C) Es wäre falsch, bis ins Detail Unternehmensziele vorge- die Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt. Wir dürfen ben zu wollen und Eigendynamik zu verhindern. Dem zukünftige Generationen nicht mit Schuldenbergen be- Staat kommt hier neben der Ordnungsfunktion gegen lasten. Gender Budgeting kann dabei als Analyse- und Korruption und der Schaffung von Anreizen durch die Controllinginstrument helfen, Prioritätensetzungen zu Vergabe eine aktive Ermutigungsfunktion zu, zum Bei- erarbeiten und ihre Umsetzung zu kontrollieren, aber es spiel durch die Förderung entsprechender Initiativen. darf allerdings auch nicht überbewertet werden. Auch auf europäischer Ebene sind die Veränderungen in unserer Gesellschaft vielfältig: Demografischer Wan- Anlage 9 del, Mobilität, Migration – hier sind Reaktionen und Zu Protokoll gegebene Reden zum Teil massives Gegensteuern gefragt. Die Auswir- kungen dieser Themenfelder beeinflussen auch die Rol- zur Beratung des Antrags: Geschlechtersensible lenverteilung zwischen Frauen und Männern in der Fa- und effiziente Haushaltspolitik einführen milie und im Beruf sowie die Sozialsysteme. Auch soll (Tagesordnungspunkt 16) unser Handeln Wirkung zeigen. Mehr denn je sind deshalb Wirkungsanalysen und Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Wir debattieren Steuerungsinstrumente gefragt, um ohne Bürokratie oder heute über einen Antrag zum geschlechtergerechten Ma- zumindest ohne ein Mehr an Bürokratie mit effizientem nagement öffentlicher Finanzen, der von Ihnen, verehrte Mitteleinsatz den Bedürfnissen von Frauen und von Kolleginnen und Kollegen der Grünen-Fraktion, impli- Männern in diesen Veränderungsprozessen nachhaltig ziert, dass die Bundesregierung sich auf dieses Thema und zielgerichtet Rechnung zu tragen. Eine zielgenauere nicht einlassen würde. Diesem Vorwurf trete ich ent- Verwendung von Mitteln kann auch ein Weg sein, ver- schieden entgegen. nünftige und durchsetzbare Sparvorschläge zu entwi- Das Bundesfamilienministerium hat im Auftrag der ckeln und umzusetzen. letzten Bundesregierung eine Machbarkeitsstudie in Bei der Verteilung von Geldern sollten wir darauf Auftrag gegeben, um Möglichkeiten der Einführung von achten, dass Frauen und Männer Gewinn und Nutzen Gender Budgeting – oder besser: geschlechtergerechtem von der Verwendung von Haushaltsmitteln haben. Ein Management öffentlicher Finanzen – zu identifizieren. gutes Beispiel hierfür sind das neue Elterngeld, bei dem Diese liegt dem Bundesministerium vor und wird zurzeit neben den regulären zwölf Monaten auch zwei weitere geprüft. Das wissen Sie, verehrte Kolleginnen und Kol- Partnermonate eingeführt wurden, oder auch die Diskus- (B) legen der Grünen, sehr wohl. sion zum Ausbau der Kinderbetreuung von unter Drei- (D) Das Prinzip der Gleichstellung von Frauen und Män- jährigen, die zugleich eine Diskussion um den Einsatz nern als durchgängiges Leitprinzip des öffentlichen Han- von öffentlichen Mitteln zur Schaffung von mehr Wahl- delns bedeutet, die unterschiedlichen Interessen von freiheit und damit für mehr Chancengerechtigkeit für Frauen und Männern von vornherein zu berücksichtigen, Frauen und Männer ist. um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern In Deutschland hat man sich 2002 dazu entschlos- effektiv umsetzen zu können. sen, den Haushalt gleichstellungsorientiert zu planen. Dazu gehört natürlich auch die geschlechterdifferen- Für die Durchführung der gleichstellungspolitischen, zierte Analyse der öffentlichen Haushalte. Gemeint ist geschlechterdifferenzierten Abschätzung der Gesetzes- ein Bündel von Instrumenten, mit denen der Haushalt folgen – § 2 in Verbindung mit § 44 GGO – hat das auf seine Wirkungen für die Gleichstellung zwischen Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und den Geschlechtern hin überprüft werden kann. Dem Jugend in Ergänzung der geschäftsordnungsrechtlichen Haushalt kommt der Umsetzung der Gleichstellung von Vorgaben eine Arbeitshilfe erstellt. Danach ist in einer Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip des ersten Verfahrensstufe eine gleichstellungspolitische öffentlichen Handelns besondere Bedeutung zu: Er muss Relevanzprüfung vorzunehmen. Sofern diese zu dem die unterschiedlichen Effekte auf Männer und Frauen in Ergebnis führt, dass Gleichstellungsrelevanz vorliegt, ihren unterschiedlichen Lebenslagen und mit ihren viel- folgt eine vertiefte Hauptprüfung; ergibt die Vorprü- fältigen Erwartungen und Bedürfnissen in den Blick fung hingegen, dass keine Gleichstellungsrelevanz ge- nehmen. Dazu gehören natürlich auch die unterschied- geben ist, folgt keine weitere Untersuchung. Letzteres lichen Effekte auf die verschiedenen Generationen im konnte zum Beispiel für den Haushalt 2007 bejaht wer- Sinne von Genarationenbilanzen. den, sodass eine weitere Prüfung entfallen konnte. Mit der Verteilung der Ressourcen im Haushaltsplan Neben der praktischen Umsetzung, die also schon werden Aufgabenstellungen definiert und Prioritäten ge- jetzt erfolgt, liegt dem Bundesministerium für Familie, setzt, und somit das Ziel Gleichstellung im Bereich der Senioren, Frauen und Jugend, wie bereits erwähnt, die Finanz- und Haushaltspolitik. Machbarkeitsstudie mittlerweile vor und wird gegenwär- tig geprüft. Es ist geplant, ihre Ergebnisse und weitere Wir stehen vor großen Herausforderungen: Gerade in Konsequenzen im Ressortkreis zu diskutieren. Dabei Zeiten, in denen das wirtschaftliche Wachstum zunimmt, wird auch die Frage ihrer Veröffentlichung entschieden die Prognosen für Deutschland günstig sind und der werden. Dass sowohl die Ergebnisse als auch eine mög- Staat wieder mehr Geld einnimmt, reden wir sofort über liche Veröffentlichung erst von der Bundesregierung or- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12895

(A) dentlich und ressortübergreifend geprüft werden, bevor Passgenauigkeit, Angemessenheit, Nutzenorientierung – (C) sie zur öffentlichen Disposition stehen, wird meines Er- das sind Kriterien, die bei der Implementierung von achtens gerade der hohen Wertigkeit dieses sensiblen Gender Budgeting vor allem zu beachten sind. Auch Themas gerecht. müssen die Aspekte des geschlechtergerechten Manage- ments öffentlicher Haushalte in die bestehenden Abläufe Gender Budgeting betrifft alle an der Haushaltsauf- integriert werden, die in Politik und Verwaltung bekannt stellung Beteiligten. Daher muss der Nutzen für mög- sind. Die Dokumentation zur Tagung soll demnächst lichst viele klar erkennbar sein. Es darf kein bürokrati- veröffentlicht werden, dann können wir einzelne Punkte sches Monstrum geschaffen werden. Aufgeblähte gerne diskutieren. komplizierte Verfahren wären das Ende von Gender Budgeting, bevor es überhaupt begonnen hat. Viele der Forderungen aus Ihrem Antrag sind jedoch Die Bundesregierung fördert seit einigen Jahren das durch das Handeln der Bundesregierung obsolet, und be- Gender-Kompetenz-Zentrum an der Humboldt-Univer- vor jetzt die Bundesregierung im Schnellschuss zu ei- sität in Berlin, weil sich gezeigt hat, dass externe Unter- nem bestimmten Handeln verpflichtet wird, sollten wir stützung bei der Gewinnung von Gender-Kompetenz diese Dokumentation mit den Schlussfolgerungen ab- sinnvoll und erforderlich ist. Die Website des Zentrums warten. ist nach Sachgebieten und Handlungsfeldern unterteilt. Damit bieten sich gezielt Möglichkeiten, für bestimmte Christel Humme (SPD): Haushaltsentscheidungen Themen- und/oder Arbeitsbereiche zumindest Grundin- sind immer auch ein Ausdruck von Machtverhältnissen. formationen zu erhalten. Das war die Feststellung einer österreichischen Profes- Die Bundesregierung hat außerdem auf ihrer Website sorin im Rahmen einer Konferenz der FES. Das sehe ich ein Wissensnetz eingerichtet und bietet dort ihre Arbeits- auch so. Deshalb ist für uns Frauen interessant: Wohin hilfen, zum Beispiel die zur Rechtsetzung. Mit dem fließt das Geld im Bundeshaushalt? Wer profitiert da- „Fahrplan der Europäischen Kommission für die Gleich- von? Wird damit die Gleichstellung von Männern und stellung von Frauen und Männern 2006–2010“ wurde Frauen gefördert? Oder werden Rollen zugewiesen oder das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen ver- gar strukturell verfestigt? Auf europäischer Ebene sind ankert, das Expertisen bereitstellen, den Wissensstand diese Fragestellungen schon seit Jahren ein wichtiges erhöhen und das Thema Gleichstellung stärker ins öf- Thema. fentliche Blickfeld rücken soll. Es geht um die zentrale Frage: Wie können ge- Wie die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen in ih- schlechtersensible Haushalte entwickelt und umgesetzt rem Antrag außerdem anerkannt haben, hat die Bundes- (B) werden? Das ist ein Thema, das unter der Überschrift (D) regierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft mit „Gender-Budgeting“ diskutiert wird. einer Fachkonferenz mit dem Titel „Die Verteilung machts – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit durch Es gibt auch schon erste Schritte, die die Umsetzung geschlechtersensible Haushalte“ dieses Thema ausge- einleiten sollen. So haben sich die Finanzminister der leuchtet. EU-Länder bereits im Herbst 2001 auf ein gemeinsames Vorgehen verständig, bis zum Jahr 2015 Gender-Budge- Auch andere europäische Länder haben eine gleich- ting europaweit umzusetzen. In der Bundesrepublik stellungsorientierte Haushaltsplanung eingeführt. Welt- steckt dieses Thema auf Bundesebene allerdings immer weit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Budgeting- noch in den Kinderschuhen und kommt erst langsam ins Initiativen. Trotzdem steckt das geschlechtergerechte Bewusstsein. Daran muss sich etwas ändern; die heutige Management öffentlicher Finanzen noch in den Kinder- Debatte kann dazu einen Beitrag leisten. schuhen, aus denen es zum Beispiel mit Hilfe der Fach- tagung herauswachsen soll. Die rot-grüne Bundesregierung unter der zuständigen Mit Fachteilnehmern aus unterschiedlichen Ländern Ministerin Renate Schmidt hat im April 2005 eine wurden die Konzepte und Erfolge dieser Länder als Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, wie ein ge- Best-Practice-Beispiele vorgestellt und diskutiert. Die schlechtergerechter Haushalt auf Bundesebene realisiert Mitgliedstaaten der EU und die europäische Ebene kön- werden könnte. Jetzt – nach zwei Jahren – liegen die Er- nen sich beim Thema Gleichstellungspolitik den Ball ge- gebnisse der Studie endlich vor und sind auf der Home- genseitig zuspielen. Gleichstellungsorientiertes Manage- page des Familienministeriums zu lesen. Die meiner An- ment öffentlicher Finanzen müssen auf allen Ebenen sicht nach hervorragenden umfangreichen Analysen und öffentlicher Haushalte erprobt und seine Chancen und Vorschläge, die dort gemacht werden, dürfen natürlich Grenzen genau sondiert werden. Dabei sind auf Ebene nicht in der Schublade verschwinden, sondern müssen der Kommunen andere Möglichkeiten gegeben als auf genutzt werden. der Ebene der nationalen Haushalte oder bei der Aufstel- Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft hat lung und beim Controlling der Haushalte der Europäi- Frau Ministerin von der Leyen dankenswerterweise eine schen Union. europäische Fachkonferenz zu dem Thema „Die Vertei- Eine erste und sehr wichtige Schlussfolgerung der lung macht's – Gleichstellung und soziale Gerechtigkeit Diskussionen auf der Tagung war jedoch auch, dass Ge- durch geschlechtersensible Haushalte“ organisiert und schwindigkeit nicht das Hauptkriterium bei den Umset- sich so dem Thema genähert. Das Fazit der Veranstal- zungsvorschlägen sein darf. Verbindlichkeit, Seriosität, tung ist dokumentiert und lautet: 12896 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Geschlechterorientierte Haushalte sind Abbild und Die Tatsache, dass sich die Ministerien bereits mit (C) Voraussetzung erfolgreicher, gleichstellungsorien- Gender-Mainstreaming auseinandergesetzt und Instru- tierter Politik. Sie dokumentieren, dass Reformen mente zum Beispiel der Gesetzesfolgenabschätzung ent- Diskriminierungen abbauen wollen und wo dies wickelt haben, zeigt, dass wir nicht bei null anfangen noch nicht gelingt. Ein soziales Europa stellt sich müssen, wenn wir Gender-Budgeting einführen wollen. der Aufgabe, den gesellschaftlichen Wandel mit Gerade wenn es um Gleichstellung geht, wird oft das seinen Folgen für Frauen, für Frauen und Männer, Argument angeführt, das Ganze sei zu bürokratisch. Das für das Verhältnis der Geschlechter und für die lassen wir nicht gelten. Denn wir wissen, es geht: Vorrei- Gleichberechtigung aufzunehmen und zu gestalten. ter auf diesem Gebiet war Australien. Dort wurde 1984 Das ist aus unserer Sicht nur zu unterstreichen. damit begonnen, durch ein Women’s-Budget herauszu- finden, wie sich Haushalt und Regierungshandeln kon- Mittlerweile müsste es sich eigentlich von selbst ver- kret auf Frauen und Mädchen auswirken. stehen, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern Glücklicherweise hat sich inzwischen auch in Europa als durchgängiges Prinzip auf allen Entscheidungsebe- viel getan. Österreich ist mit gutem Beispiel vorange- nen beachtet wird. Ein Prinzip, das unter dem Begriff gangen. Dort beschäftigt sich derzeit beispielsweise eine „Gender-Mainstreaming“ bekannt geworden ist. Arbeitsgruppe mit der Einführung eines Gender-Budge- Wir haben dafür viele eindeutige Rechtsgrundlagen, ting-Prüfverfahrens im Finanzministerium. In Schweden wurde bereits vor fünf Jahren mit der Umsetzung eines von denen ich die drei wichtigsten in diesem Zusammen- gleichstellungsorientierten Haushalts begonnen. In hang nenne: Seit 1994 verpflichtet sich der Staat in Art. 3 Großbritannien engagiert sich seit 1989 die Women’s Abs. 2 GG für die Durchsetzung der tatsächlichen Budget Group. Frankreich, Belgien und die nordischen Gleichstellung zu sorgen. 1999 hat die damalige Bun- Staaten haben Schritte zum Gender-Budgeting eingelei- desregierung auf europäischer Ebene den Amsterdamer tet. In der Schweiz wird in einem ersten Schritt die unbe- Vertrag ratifiziert und sich verpflichtet, das Gender- zahlte Arbeit, die nicht nur dort überwiegend von Frauen Mainstreaming-Prinzip einzuführen. Das hat dazu ge- geleistet wird, in die volkswirtschaftliche Gesamtrech- führt, dass es seit September 2000 eine Gemeinsame Ge- nung mit einbezogen. schäftsordnung, GGO, der Bundesministerien gibt, in der sich die Ministerien verpflichten, alle Maßnahmen Berlin hat als erstes und bisher einziges Bundesland daraufhin zu prüfen, wie sie unter dem Aspekt der För- das Prinzip des geschlechtersensiblen Haushalts mit dem derung der Gleichstellung auf Männer und Frauen Doppelhaushalt 2006/07 konsequent umgesetzt. Kom- wirken. Eine geschlechtergerechte Sprache gehört im munen wie München haben sich ebenfalls dieser Heraus- (B) Übrigen dazu. Dieses vereinbarte Prinzip des Gender- forderung gestellt. (D) Mainstreaming hat mittlerweile zu vielen Erfolgen ge- Wir sollten all diese Erfahrungen nutzen und uns auch führt. auf Bundesebene schrittweise auf den Weg machen. Geschlechtersensible Haushalte, das heißt „Gender- Bundesfinanzminister Peer Steinbrück brachte es bei der eingangs erwähnten Konferenz der FES treffend auf den Budgeting“ ist nichts anderes als die konsequente An- Punkt: wendung des Gender-Mainstreaming im Haushaltspro- zess. Es sollen geschlechterbezogene Informationen für Wir brauchen ein sehr viel stärkeres Bewusstsein den Haushalt auf allen Ebenen konkret nutzbar gemacht für Gleichstellungsbelange in allen Fachpolitiken, werden. Damit können alle haushaltsrelevanten Maß- im Gegensatz zu einer alleinigen Zuständigkeit des nahmen daraufhin untersucht werden, wie konsequent Ressorts für Frauen- oder Gleichstellungspolitik. sie tatsächlich zur Gleichstellung von Frauen und Män- Dem ist im noch bestehenden Jahr der Chancen- nern beitragen. Es soll damit auch die Frage nach den gleichheit nichts hinzuzufügen. gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen beantwor- tet werden. Das heißt auch: Wie sieht die gesellschaft- liche Verteilung von Geld und Zeit, von bezahlter und Ina Lenke (FDP): In Deutschland bezahlen Steuer- unbezahlter Arbeit aus? Mit diesem Verfahren erreichen bürger und -bürgerinnen und Unternehmen im Jahr wir eine sehr hohe Transparenz. 540 Milliarden Euro, aufgeteilt auf Bund, Länder und Kommunen. Das Geld wird ausgegeben. Wir alle kennen So leicht die Formulierung des Ziels eines geschlech- die vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen, die der tergerechten Haushalts ist, umso schwieriger scheint Staat hat. Aber werden sie auch für die größte Gruppe eine konkrete und schnelle Umsetzung. Deshalb kann der Gesellschaft – die Frauen – und deren besondere die Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie nicht gleich Aufgaben in der Gesellschaft, wie zum Beispiel Kinder- der unmittelbare Startschuss für die konkrete Umsetzung erziehung und -betreuung und Strukturen für die Verein- sein. barkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit gerecht verteilt? Auf der kommunalen Ebene höre ich mehr von Um was es aber gehen muss, ist die Einleitung eines den hohen Kosten für Kinderbetreuung, nie aber vom Denk-, aber auch Umsetzungsprozesses. Dabei sind die politischen Auftrag des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG, in dem aktuellen Ergebnisse der europäischen Fachkonferenz allen staatlichen Ebenen die Aufgabe zukommt, die tat- des Ministeriums genauso hilfreich wie die umfangrei- sächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von che Machbarkeitsstudie. Frauen und Männern zu fördern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12897

(A) Die Grünen hatten in ihrer Regierungszeit von 1998 nen Verbesserungsvorschlag einbringen, damit der An- (C) bis 2005 mit der SPD eine gute Möglichkeit, geschlech- trag noch etwas konkreter und anschaulicher wird. Sie tersensible Haushaltspolitik einzuführen. Warum hat das schreiben in Ihrem Antrag, dass gute Beispiele anderer nicht geklappt? Länder einbezogen werden sollen. Da sollten wir nicht den gleichen Umweg machen wie in der Bildungspolitik. Interessant ist die Aussage in dem Antrag der Grünen, dass die EU eine Entschließung „Gender Budgeting“ Sie erinnern sich, dass Heerscharen von Bildungspoli- verabschiedet hat, die in den Ländern auf lokaler, regio- tiker nach Finnland fuhren, um das dortige Schulsystem naler und nationaler Ebene umgesetzt werden soll. Die kennenzulernen. Dabei hätte man sich bloß die POS Aussage, dass auf EU-Ebene lediglich „die Möglichkei- – die Polytechnische Oberschule – aus DDR-Zeiten et- ten geprüft werden sollen, auch Gender Budgeting ein- was unvoreingenommener anschauen müssen. So hätte zuführen“, ist doch sehr vage. Deshalb fehlt in Ihrem man Reisekosten gespart und wäre zu ähnlichen Ergeb- Antrag die Forderung an die EU-Kommission, erst ein- nissen gekommen. Bauer Korl, ein Mecklenburger Ka- mal selbst für bessere gendergerechte Verhältnisse zu barettist, hat die Abkürzung POS als „Pisa ohne Schwie- sorgen und nicht einfach einen Beschluss für die Mit- rigkeiten“ übersetzt. Da hat er den Nagel auf den Kopf gliedsländer zu verabschieden. getroffen! Die politischen Forderungen der Grünen sind in dem Wenn Herr Steinbrück wissen will, wie ein geschlech- Antrag sehr weich formuliert. Was mich bei Ihnen wun- tergerechter Haushalt funktioniert, muss er nur eine dert! Da soll eine Studie öffentlich diskutiert werden, da Fahrkarte nach Berlin-Lichtenberg lösen. In meinem sollen konkrete Schritte geprüft werden, da soll sicher- Wahlkreis können die Bürgerinnen und Bürger direkt gestellt werden, dass ein Austausch der Ressorts ermög- über die Verwendung ihrer Steuergelder entscheiden. Im licht wird. Wo bleiben die konkreten Vorschläge von Ih- Rahmen des Bürgerhaushaltes ist Gender Budgeting be- nen? Die vermisse ich in Ihrem Antrag. reits integriert. Meine Zustimmung haben Sie bei Ihrer Kritik, dass Was heißt das konkret? Die Haushaltsanalyse hat zum eine Machbarkeitsstudie zur Umsetzung von Gender Beispiel ergeben, dass Mädchen und Frauen die Sportan- Budgeting in Auftrag gegeben wurde, die jetzt von der lagen des Bezirkes unterdurchschnittlich nutzen. Durch Bundesregierung immer noch unter Verschluss gehalten gezielte Investitionen und gezielte Vergabe von Sport- wird. stätten gibt es jetzt viel mehr aktive Sportlerinnen in Lichtenberg. Das ist für mich geschlechtersensible Haus- Beim Verteidigungshaushalt ist die Frage nach Gen- haltspolitik. der Budgeting für manche nicht nachvollziehbar. Wenn (B) ich dazu ein Beispiel nenne, wird es klarer: Seit 2001 ha- Mir ist klar, dass Herr Steinbrück die Erfahrungen der (D) ben Frauen das Recht, bei der Bundeswehr Dienst zu Lichtenberger Bürgermeisterin, Christina Emmrich, tun. Damit einher geht natürlich auch die Vereinbarkeit nicht eins zu eins umsetzen kann, doch die Budgetanaly- von Dienst und Familie. sen zeigen, dass es eine Benachteiligung von Frauen bei der Verwendung von Steuergeldern gibt. Der geschlech- Ende 2006 wurde das Soldatinnen- und Soldaten- terblinde Haushalt verstärkt regelmäßig bestehende Un- Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet und zusätzlich gleichheiten. Das haben Politikerinnen und Politiker in noch durch den Generalinspekteur der Bundeswehr mit über 40 Ländern erkannt, bloß die Bundesregierung hat einer „Teilkonzeption Vereinbarkeit von Familie und sich auf diese Entwicklung noch nicht eingestellt. Die Dienst in den Streitkräften“ unterfüttert. Wie heißt es in Bundesregierung ist untätig, obwohl sich die EU-Fi- der Teilkonzeption? „Sofern die rechtlichen, finanziellen nanzminister verpflichtet haben, bis 2015 Gender Bud- und materiellen Rahmenbedingungen gegeben sind, sol- geting in allen EU-Ländern umzusetzen. len (…)“. Im Budget des Verteidigungshaushaltes spie- gelt sich dies nicht wider. Warum ist diese Koalition immer so schwerfällig und unwillig, wenn es um mehr Gerechtigkeit bei der Vertei- Als frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfrak- lung von Steuergeldern geht? Auf eine kleine Anfrage tion der FDP bin ich für eine geschlechtersensible und der Linken zu dem Thema antwortete die Bundesregie- effektive Haushaltspolitik und die Umsetzung von der rung, dass das Haushaltsgesetz 2007 keine Gleichstel- Theorie in die Praxis. Dabei muss Balance gehalten wer- lungsrelevanz habe. Das ist doch borniert und hinter- den zwischen dem Anspruch und der Umsetzung einer wäldlerisch. gendergerechten Haushaltsführung und der Frage nach dem bürokratischen Aufwand, den Kosten und der Wir- Ich hoffe, dass die Frauen in der SPD- und in der kung der Maßnahme. CDU-Fraktion sich des Themas Geschlechtergerechtig- keit im Bundeshaushalt annehmen. Im Haushaltsaus- Österreich hat zum Beispiel dieses Prinzip eingeführt, schuss ist von 15 Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion um seinen Staatshaushalt auf seine Wirkung für Gleich- nur eine Frau in dem Ausschuss. Die SPD hat immerhin stellung zwischen den Geschlechtern zu überprüfen. fünf Frauen. Es wird Zeit, dass mehr Frauen sich mit der Weltweit existieren bereits in 50 Ländern Gender-Bud- Verteilung der Steuergelder beschäftigen. Ich würde geting-Initiativen. Das sollte auch bei uns möglich sein. mich freuen, wenn die Ministerinnen dem Finanzminis- ter vormachen, wie aus einem geschlechtsblinden Haus- Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Die Linke unter- halt ein geschlechtergerechter Haushalt werden kann. stützt den Antrag der Grünen. Ich möchte auch gleich ei- Die Unterstützung der Linken haben Sie. 12898 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Die der Studie vorangestellten „Anmerkungen der (C) GRÜNEN): Geschlechtersensible Haushaltspolitik – Bundesregierung“ sind nicht sonderlich motivierend. Da vielleicht fragen Sie sich, was das denn sein könnte? heißt es, es bedürfe „noch der Klärung grundsätzlicher Nun, es ist der Versuch, den Begriff „Gender Budgeting“ Fragen“. Die Vorschläge seien „zum Teil mit erhebli- ins Deutsche zu übertragen. chem bürokratischem Aufwand verbunden“. Vielleicht verstehe ich hier etwas falsch, aber ein engagierter Auf- Wir hören ja des Öfteren von den Schwierigkeiten mit bruch klingt anders. den Anglizismen – allerdings nur, wenn es um Gleich- stellung geht; die Hedgefonds und das Benchmarking Dabei müssen Sie aktiv werden. Die EU verlangt das sind davon unbehelligt. Gender Budgeting ist wiederum, von ihren Mitgliedstaaten, und viele Länder haben be- einfach gesagt, Gender Mainstreaming auf den Haushalt reits konkrete Maßnahmen entwickelt. Während der angewandt. Gender Mainstreaming muss ich in diesem deutschen EU-Ratspräsidentschaft gab es als einziges Kreis wohl nicht erklären; das kennt ja inzwischen selbst gleichstellungspolitisches Projekt eine Konferenz zu Gender Budgeting. Ergebnis: eineinhalb Seiten unver- Bundestagspräsident Dr. Lammert. bindlichster „Schlussfolgerungen“. Wo wir gerade beim Der Haushalt legt die politischen Prioritäten fest und Thema Finanzen sind: Ein verantwortungsvoller Um- ist damit auch ein wichtiger Ansatzpunkt für Geschlech- gang mit Steuergeldern sieht anders aus. tergerechtigkeit. Es muss analysiert werden, wohin die Wir fordern Sie auf, die Ergebnisse der Studie öffent- Mittel fließen, wem sie zugute kommen und ob das von lich zu diskutieren. Suchen Sie den Austausch mit ande- uns politisch so gewollt ist. Wahrscheinlich werden wir ren EU-Ländern! Unterziehen Sie ausgewählte Ausga- dann Prioritäten verändern und Mittel anders verteilen. ben- und Einnahmenarten der Ressorts einer Gender- Ich glaube nämlich nicht, dass der Bundeshaushalt ge- Budgeting-Analyse! Beginnen Sie! Die Einführung von schlechtsneutral ist. Gender Budgeting wird ein längerfristiger Prozess sein. Fangen wir damit an! Gender Budgeting kann mehr Gerechtigkeit schaffen und mehr Zielgenauigkeit. Wir werden mit den gleichen Eine Studie zu verbergen, eine große Konferenz fast Mitteln effizienter und transparenter arbeiten können. klandestin abzuhalten und sich ansonsten mit dem Bloß- Darin liegt für mich der Charme von Gender Budgeting. keine-Bürokratie-Mantra der Debatte zu entziehen, ist kein sinnvoller Politikstil. Unterstützen Sie ein Instru- Wir haben ja nun endlich die Machbarkeitsstudie in ment, das zu mehr Zielgenauigkeit, mehr Transparenz den Händen. Noch unter Rot-Grün in Auftrag gegeben, und mehr Gerechtigkeit führen wird! verbrachte sie viele Monate in Schubladen, ehe sich die (B) Ministerin dazu durchringen konnte, sie ans Licht der (D) Öffentlichkeit zu lassen. Aber sie scheint lichtscheu ge- Anlage 10 blieben zu sein, veröffentlicht nur im Internet, allerdings nur auffindbar, wenn man genau weiß, wo sie liegt – Zu Protokoll gegebene Rede keine Pressemitteilung, kein Begleittext, nichts. Beim zur Beratung der Anträge: Finanzministerium: keine Spur. Schade, als Herr Steinbrück Ministerpräsident war, hat NRW die Auf- – Fortsetzung der Beteiligung deutscher nahme von Gender Budgeting ins Haushaltsgesetz be- Streitkräfte an der Friedensmission der Ver- einten Nationen im Sudan (UNMIS) auf schlossen; da hätten wir uns ein wenig mehr Einsatz ge- Grundlage der Resolution 1590 (2005) des wünscht. Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlän- versuchen offensichtlich, die Studie so schnell und un- gerungen durch den Sicherheitsrat der Ver- auffällig wie möglich wieder in die Schublade zurückzu- einten Nationen legen. Dabei finden sich auf den 234 Seiten interessante – Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- Vorschläge. Am leichtesten lassen sich personenbezo- kräfte an der AU/UN Hybrid Operation in gene Förderungen analysieren: Fördert das Auswärtige Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Reso- Amt Schulen in Regionen, in denen Koedukation nicht lution 1769 (2007) des Sicherheitsrats der erwünscht ist, müssen neben Jungenschulen auch Mäd- Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 chenschulen finanziert werden. Wenn Sie mich fragen, müssten oft sogar mehr Mädchenschulen gefördert wer- (Tagesordnungspunkt 17 a und b) den. Darüber könnten wir dann diskutieren. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir beraten Die Forschungsgruppe macht auf eine wesentliche heute Abend über die Fortsetzung der Beteiligung deut- Voraussetzung für Gender Budgeting aufmerksam: die scher Soldaten an der Friedensmission der Vereinten Na- Akzeptanz. Einige Häuser haben sich der Zusammen- tionen im Sudan – UNMIS –, an der auch deutsche arbeit sogar komplett verweigert, wie das Verteidigungs- Streitkräfte seit mehr als zwei Jahren beteiligt sind und ministerium, und da wäre es nötig. Es nützt doch nichts, über die – neue – Beteiligung von deutschen Soldaten an wenn zwar Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und einer zweiten Mission, dieses Mal einer Mission aus Dienst in den Streitkräften geschrieben werden, aber Vereinten Nationen und Afrikanischer Union in Darfur, dann keinerlei Mittel eingestellt werden. UNAMID. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12899

(A) Herr Staatsminister Erler hat vorgetragen, wie es zu Wir hoffen, dass UNAMID zum Ziel führen kann, (C) diesen Missionen gekommen ist; er hat die mit der und halten die Beteiligung deutscher Soldaten insbeson- UN-Charta und den Beschlüssen des UN-Sicherheits- dere beim Lufttransport im Einsatzgebiet von UNAMID, rates übereinstimmende völkerrechtliche Grundlage dar- aber auch für Beratungs- und Hilfsaufgaben für sinnvoll. gelegt und auch begründet, warum beide Missionen poli- Zugleich allerdings unterstreichen wir, was auch die tisch notwendig und sinnvoll sind. Wir teilen diese Bundesregierung mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, Auffassung und unterstützen beide Anträge auch ange- dass nämlich der Schwerpunkt des Engagements der sichts der schwerwiegenden Risiken für Leben und Ge- Weltöffentlichkeit für die gequälten Menschen in Darfur sundheit der beteiligten Soldaten, die dem Deutschen in der Ermöglichung und Unterstützung tragfähiger poli- Bundestag bei der Entscheidung über solche Missionen tischer Lösungen liegen muss. immer vor Augen stehen müssen. Die Lage im Sudan ist – wir hören und sehen das täg- lich in den Nachrichten – außerordentlich problematisch. Anlage 11 Die politischen Spannungen zwischen dem Norden und Zu Protokoll gegebene Reden dem Süden drohen wieder in offene gewaltsame Ausein- andersetzungen zurückzufallen. Die Gewalt und Über- zur Beratung des Antrags: Integrierte Planung fälle, Unrecht, schwerste Menschenrechtsverletzungen für Schiene und Straße im Rheingraben – und Vertreibungen in Darfur wie auch die häufig Gesamtverkehrskonzept Südbaden (Tagesord- schreckliche Lage der vielen Flüchtlinge und IDPs im nungspunkt 18) Darfur und jenseits der Grenzen im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik verlangen die Aufmerk- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Die Bahn- samkeit und auch die Hilfe der Weltöffentlichkeit. Bei strecke durch den Oberrheingraben von Mannheim bis meinem Besuch in Lagern für Darfur-Flüchtlinge, aber Basel ist Teil einer der bedeutendsten und am stärksten auch IDPs im Tschad an der Grenze zu Darfur vor eini- genutzten Nord-Süd-Verbindungen im europäischen gen Wochen haben das Elend und auch die begründeten Eisenbahnverkehr. Schon heute ist diese Strecke mit Ängste der Menschen dort mit ihren schrecklichen 130 Prozent Auslastung überbelastet. Und für die Zu- Schicksalen einen bleibenden Eindruck bei mir hinter- kunft wird ein weiterer deutlich ansteigender Bedarf für lassen. Ihnen muss geholfen werden. Das versuchen die diese Schienenstrecke prognostiziert. So soll bis zum Vereinten Nationen auf ganz unterschiedlichen Wegen: Jahr 2025 der Verkehr gegenüber heute um rund 50 Pro- durch Hilfen für die Flüchtlinge, durch Appelle und die zent zunehmen. Dies betrifft vor allem die Güterver- Unterstützung von Verhandlungen unter Einbeziehung kehre. (B) erfahrener Sonderberichterstatter und durch die Ein- (D) schaltung des Internationalen Strafgerichtshofs. Es muss Diese bedeutende Eisenbahnstrecke muss und soll da- darum gehen, auf dem Verhandlungsweg Lösungen für her von heute zwei auf künftig vier Gleise ausgebaut die komplexen Problemen zu finden, die den Menschen werden. Teilweise ist dieser Ausbau bereits erfolgt. Für in der Region das friedliche Miteinanderleben ermögli- den Streckenabschnitt von Offenburg bis Basel sind die chen. Dazu ist auch der Beitrag der Länder erforderlich, Planrechtsverfahren eingeleitet. In einem Abschnitt be- die – wie etwa die Volksrepublik China, aber auch an- steht bereits Baurecht und kürzlich wurde für den in die- dere Staaten – wirtschaftliche Interessen in der Region sem Abschnitt liegenden Katzenbergtunnel erfolgreich verfolgen. der Tunneldurchstich gefeiert. Zwischen Offenburg und Karlsruhe ist der Rastatter Tunnel bestandskräftig plan- UNMIS versucht seit mehreren Jahren nicht ohne Er- festgestellt und sollte möglichst bald realisiert werden. folg, dazu beizutragen, das Abgleiten des trotz Friedens- abkommens weiter bestehenden Konflikts zwischen der Ab der deutsch-schweizerischen Grenze Richtung Zentralregierung in Khartoum und dem Südsudan in er- Süden betreibt die Schweiz mit der Neuen Eisenbahn- neute gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern. Alpentransversale ihrerseits ein großes Schienenver- Das ist auch weiterhin erforderlich. Die deutsche Beteili- kehrsbauprojekt, zu dem vor allem zwei neue Eisen- gung an UNMIS hat sich in den vergangenen Jahren als bahntunnel unter dem Lötschberg und unter dem notwendig und nützlich erwiesen. Herr Staatsminister Gotthard gehören. Im Vertrag von Lugano haben die Erler hat uns das Ausmaß und die Kosten der jetzt zu Bundesrepublik Deutschland und die Schweizer Eidge- verlängernden Beteiligung vor Augen geführt. Die müs- nossenschaft sich zu einem gemeinsam abgestimmten sen wir tragen. Schienenausbau verpflichtet. Die zweite Mission in Verantwortung von UN und Im dichtbesiedelten Oberrheingraben stellt der Aus- AU, die sogenannte Hybridmission UNAMID auf der bau von bislang zwei auf vier Bahngleise eine große He- Grundlage der Resolution 1769/2007 des UN-Sicher- rausforderung für eine umwelt- und anwohnergerechte heitsrates, braucht die Beteiligung der deutschen Solda- Planung dar. Die Städte und Gemeinden entlang der ten in dem dargelegten Umfang ebenfalls, um dabei zu Rheintalbahn fordern ebenso wie die betroffenen Bürge- helfen, wenigstens das an Zurückdrängung von Gewalt rinnen und Bürger, dass beim Bahnausbau auf ihre städ- und damit an Vorbereitung politischer Verhandlungen tebaulichen Belange, auf den Schutz der Menschen vor über die komplexen Konflikte in Darfur und darüber hi- Lärm und anderen Beeinträchtigungen in besonderer naus in der Region sicherzustellen, was mit militärischen Weise Rücksicht genommen wird. Dieses Anliegen ist Möglichkeiten erreicht werden kann. voll und ganz zu unterstützen. 12900 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Nun hat die FDP zu einigen Anliegen der Region am sie ihre Vorstellungen und Anregungen in diese Arbeits- (C) Oberrhein einen Antrag im Deutschen Bundestag vorge- gruppe einbringt und nicht nur Anträge im Bundestag legt. Erlauben Sie mir den Hinweis: Dieser FDP-Antrag, stellt. Es wäre schön, wenn seitens der FDP dazu auch der sich an die Bundesregierung wendet, kommt etwas etwas zu hören oder zu lesen wäre. Die Bewährungs- spät. Denn wir befinden uns in allen im Antrag erwähn- probe, ob man eine Sache wirklich ernst nimmt, muss ten Streckenabschnitten in bereits eingeleiteten Plan- man zuerst dort bestehen, wo man regiert. rechtsverfahren, in die politisch zurzeit gar nicht einge- griffen werden darf. Vielmehr geht es jetzt darum, dass Viertens. Die von den Städten und Gemeinden sowie die Trassenalternativen und Änderungswünsche in den den Bürgerinitiativen vorgeschlagenen Trassenalternati- Verfahren sachgerecht bearbeitet werden. Und dazu gibt ven werden auch zu Mehrkosten beim Aus- und Neubau es konkrete Ansatzpunkte und Initiativen, die leider im der Rheintalstrecke führen. Leider sagt die FDP dazu in FDP-Antrag überhaupt nicht erwähnt werden: ihrem Antrag gar nichts. Und damit ist dieser Antrag ei- gentlich nichts wert, denn die politische Nagelprobe ist Erstens. Auf meine Initiative hin haben im August nicht beim Abfassen lyrisch schöner Anträge zu beste- dieses Jahres das für die Infrastruktur zuständige Vor- hen, sondern beim Haushalt. Die Koalitionsfraktionen standsmitglied der DB AG, Stefan Garber, und der Vor- von CDU/CSU und SPD wissen, dass wir mehr Finanz- stand der DB-Netz, Oliver Kraft, die Region am Ober- mittel für den Ausbau der Schieneninfrastruktur benöti- rhein besucht und mit Abgeordneten des Landes und des gen. Dass wir es auch ernst meinen, zeigt unser Antrag Bundes, Vertretern der Landesregierung von Baden- bei den derzeit laufenden Beratungen über den Bundes- Württemberg, dem Regierungspräsidium von Freiburg haushalt 2008, die Schienenausbaumittel allein für das und den Bürgermeistern die Forderungen und Anregun- kommende Jahr deutlich zu erhöhen. gen zur Bahnplanung besprochen. Zuvor fand zum glei- chen Thema ein Gespräch mit den Bürgerinitiativen in Zusammenfassend zeigen diese Aktivitäten, dass Berlin statt. Ergebnis ist: Die Bahn prüft jetzt im Detail auch ohne Bundestagsanträge gute Fortschritte erzielt die Vorschläge für einen Güterzugtunnel in Offenburg, wurden, um den Belangen der Städte und Gemeinden im für eine autobahnparallele Führung einer Güterzugtrasse Planungsprozess besser gerecht zu werden. Ich finde, im Bereich zwischen Offenburg und Freiburg und die so dass wir Abgeordneten aus der Region am Oberrhein ge- genannte Bürgertrasse im Markgräflerland. Es ist ein meinsam mit den Städten, Gemeinden und Bürgerinitia- großer Erfolg, dass nicht nur eine Abschichtung der tiven an einem Strang ziehen sollten. Wir sollten uns Planvarianten erfolgt, sondern endlich zu den von den nicht mit ständig neuen Presseerklärungen oder Ankün- Städten und Gemeinden vorgeschlagenen Alternativen digungen gegenseitig die Show stehlen wollen. Gemes- konkrete Untersuchungen und Planungen durchgeführt sen werden wir an dem, was wir konkret in unserer je- (B) werden. weiligen Verantwortung tun und dann auch tatsächlich (D) erreichen. Die Region am Oberrhein ist eine der schöns- Zweitens. Für den Lärm- und Erschütterungsschutz ten Gegenden Deutschlands mit lebens- und liebenswer- und ebenso für die Beurteilung von Trassenvarianten ist ten Städten und Gemeinden. Wir wollen, dass das so von größter Bedeutung, welche Zugzahlen den Planun- auch in Zukunft bleibt. Dafür arbeiten wir. gen zugrunde gelegt werden. Es ist der Initiative ver- schiedener Abgeordneter und des Regierungspräsidenten von Freiburg zu verdanken, dass jetzt die Zugzahlen für Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Lärm stresst. das Jahr 2025 erhoben werden. Dieses Gutachten wird Lärm kann krank machen. Ruhezonen sind rar. Über demnächst vorgelegt. Ab dann wird die Bahn nicht mehr 80 Prozent der Bevölkerung Deutschlands fühlen sich wie bisher die Zugzahlen für das Jahr 2015, sondern die durch Lärm belästigt. Die Belastung durch Verkehrslärm voraussichtlich höheren Zahlen für 2025 den Planungen wird stärker als in der Vergangenheit als gravierende zugrunde legen müssen. Das ist ein wichtiger Erfolg, um Einschränkung der Lebensqualität empfunden. In unse- Veränderungen bei den Planungen bewirken zu können. rer hektischen und lauten Welt wird Lärm zunehmend Der Landesregierung von Baden-Württemberg ist zu als störend und als Beeinträchtigung der Kommunika- danken, dass sie die Finanzierung dieses Gutachtens tion, der Konzentration und der Erholung wahrgenom- übernommen hat. men. Trotz einer positiven Einstellung zur Mobilität sind die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit, Ver- Drittens. Die Landesregierung von Baden-Württem- kehrslärm hinzunehmen. berg hat die Einsetzung einer Projektarbeitsgruppe unter dem Vorsitz des für die Verkehrspolitik zuständigen In- Verkehrslärm ist zu einer zentralen Akzeptanzfrage nenministers Heribert Rech beschlossen, die die Forde- für die Verkehrsentwicklung aller Verkehrsträger gewor- rungen und Anregungen der Städte und Gemeinden so- den. Bei jeder geplanten Infrastrukturmaßnahme gibt es wie der Bürgerinitiativen zusammenstellen soll und ein dieses Dilemma: Auf der einen Seite wollen wir die Ver- Spitzengespräch von Ministerpräsident Günter Oettinger kehrsinfrastruktur ausbauen, um dem Zuwachs an Ver- mit Herrn Mehdorn und Herrn Tiefensee vorbereiten kehr gerecht zu werden und wie im Rheingraben mehr soll. Ich freue mich, dass die Landesregierung und vor Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Das macht allem der Ministerpräsident des Landes Baden-Württem- auch ökologisch und ökonomisch Sinn. Zum anderen berg sich mit einer eigenen Arbeitsgruppe für die Be- müssen die Belastungen der Anwohner möglichst gering lange der Städte und Gemeinden an der Rheintalbahn gehalten werden. Ein wichtiges Ziel unserer Verkehrs- engagiert. Da die FDP an der Landesregierung von Ba- politik ist es, mehr Transport auf die Schiene zu bringen. den-Württemberg beteiligt ist, gehe ich davon aus, dass Das gilt sowohl für Personen als auch für Güter. Aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12901

(A) mit jedem Wagen und jedem zusätzlichen Container, der gemein sehr hoch. Wir werden die betroffenen Anwoh- (C) mit dem Zug transportiert wird, steigt der Lärm an der ner auch weiterhin unterstützen. Schiene. Die Forderung der Bürgerinitiativen und der Anwohner nach ausreichendem Lärmschutz ist gut nach- Die von der FDP in ihrem Antrag vorgeschlagenen vollziehbar. Deshalb wollen wir mehr Lärmschutz an Alternativen, wie die Parallelführung entlang der Auto- Verkehrswegen und besonders an der Schiene! bahn, würden dazu führen, dass die Planungsverfahren neu aufgerollt werden müssten. Das würde einen völli- Wir wollen auch eine Verbesserung der Trasse entlang gen Planungsstopp der laufenden Verfahren bedeuten. der Neu- und Ausbaustrecke Karlsruhe–Basel. Die Tras- Haben Sie sich diese Konsequenzen Ihrer Forderungen sierung der Neubaustrecke ist durch die raumordnerische eigentlich bewusst gemacht? Die Verzögerungen, die da- Entscheidung des Landes im Grunde vorgegeben. Das durch entstehen würden, sind verkehrspolitisch nicht zu Vorhaben hat die gesamten vorgelagerten Verfahren wie vernachlässigen. Sie brächten die Bundesrepublik auch die Raumordnung durchlaufen. Von den zuständi- Deutschland in die Situation, dass sie ihren vertraglichen gen Landesbehörden sind in diesem Verfahren autobahn- Verpflichtungen gegen über der Schweiz, nämlich ge- parallele Varianten verworfen worden. Der Bund hat mäß dem Vertrag von Lugano den NEAT-Zulauf zu ge- keine Möglichkeit, in die laufenden Planfeststellungs- währleisten, nicht nachkäme. verfahren einzugreifen. Eine politische Entscheidung für Der Antrag, den die FDP-Fraktion in den Deutschen oder gegen eine bestimmte Lösung ist im laufenden Ver- Bundestag eingebracht hat, trägt den hochtrabenden fahren nicht möglich. Die Prüfung einer Maßnahme wird Titel „Integrierte Planung für Schiene und Straße im durch das Eisenbahnbundesamt durchgeführt. Innerhalb Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Südbaden“. Un- der Planfeststellung müssen immer Varianten untersucht ter einem Gesamtverkehrskonzept stelle ich mir einen werden. Es stehen derzeit zwei Gutachten aus. Die Lan- integrierten Ansatz vor, der alle Verkehrsträger ein- desregierung von Baden-Württemberg hat eine neue schließt und miteinander verknüpft. Der Inhalt des FDP- Verkehrsprognose in Auftrag gegeben. Neue Ergebnisse Antrages auf anderthalb Seiten verdient noch nicht ein- können Anhaltspunkte für vertiefende Untersuchungen mal den Namen „Konzeptchen“, geschweige denn die sein. Wir warten die Ergebnisse ab. Titulierung „Gesamtverkehrskonzept Südbaden“. Wir haben dafür gesorgt, dass alle neuen relevanten Die FDP fordert den Bund in ihrem Antrag auf, in ein Daten in die laufenden Planfeststellungsverfahren einge- laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen. Hät- hen werden. Das bedeutet: Wenn bei dem Prognosehori- ten die Antragsschreiber ein Einführungsseminar zum zont 2025 höhere Zugzahlen zu erwarten sind, müssen Thema „Wie plant der Bund Schienenwegen?“ besucht, diese Zahlen Grundlage für die Variantenuntersuchun- wüssten sie, dass der Bund keine Möglichkeit hat, in ein (B) gen sein. Kommt das Eisenbahnbundesamt bei dieser laufendes Planfeststellungsverfahren einzugreifen. (D) Prüfung zu dem Schluss, dass eine bestimmte Investition notwendig ist, um das Projektziel zu erreichen, und dass Dass die von der FDP vorgeschlagenen Alternativen sie dazu noch wirtschaftlich ist, so finanziert der Bund Mehrkosten voraussichtlich in Höhe von über 1 Milli- diese Investitionen. arde Euro bedeuten, soll auch nicht unerwähnt bleiben. Ich begrüße es sehr, dass der Bundesverkehrsminister So viel zu der Qualität des FDP-Antrages. zugesagt hat, eine gleichrangige Wir schreiben keine kläglichen Anträge wie die FDP, und gleichtiefe Untersuchung der Varianten in Offen- sondern setzen uns aktiv für Verkehrslärmschutz ein. Die burg, nämlich die A-3-Trasse und den Tunnel, zu ge- Belastung durch Verkehrslärm nehmen wir sehr ernst. So währleisten. Ich begrüße auch, dass die DB Netz AG haben wir zum Beispiel die Mittel für das Lärmsanie- sich bereit erklärt hat, Alternativplanungen vertieft zu rungsprogramm an bestehenden Schienenwegen von untersuchen, um damit für die laufenden Planfeststel- 50 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro angehoben lungsverfahren eine solide Entscheidungsgrundlage zu und legen im Haushalt für 2008 nochmals zu. Das ist schaffen. eine Mittel-Erhöhung um 100 Prozent und ein deutliches Die Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen Zeichen. Im Bundeshaushalt 2008 fördern wir erstmals können sich unmittelbar an den Anhörungen in Rahmen lärmmindernde Maßnahmen zur Umrüstung von Schie- der Planfeststellungsverfahren beteiligen. Diese Einwen- nengüterfahrzeugen. Wir wollen einen schnelleren Ein- dungen müssen im laufenden Planfeststellungsverfahren bau von leiseren Kunststoff-Bremsen erreichen. Die he- abgearbeitet werden. Ich sage es noch einmal: Wir wol- rausragende Lärmquelle ist das Rollgeräusch, das im len eine Verbesserung der Trassenführung. Rad-Schiene-Kontakt bei Güterwagen entsteht. Im Ge- gensatz zu den herkömmlichen Grauguss-Bremssohlen Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen werden die Radlaufflächen der Güterwagen von Ver- der Sozialdemokratischen Bundestagsfraktion pflegen bundstoff-Bremssohlen nicht aufgeraut, so dass ein er- wir den Dialog mit den Bürgerinitiativen und den betrof- heblich ruhigerer Radlauf erzielt wird. Die vollständige fenen Anwohnern vor Ort. Wir haben in vielen Gesprä- Umrüstung aller Güterfahrzeuge wird einige Zeit in An- chen mit dem Bundesverkehrsministerium, mit dem Ei- spruch nehmen, aber die Lärmminderung, die wir damit senbahnbundesamt und mit der Deutschen Bahn AG die erreichen werden, ist enorm. Dies wird die Anwohner an Problematik entlang der Rheintalbahn von Karlsruhe Schienenstrecken in ganz Deutschland erheblich von nach Basel deutlich gemacht und die besondere Situation Lärm entlasten. Darüber hinaus muss eine europäische geschildert. Die Sensibilisierung zu dem Thema ist all- Lösung angestrebt werden, damit auch die ausländischen 12902 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Güterwagen auf unserem Schienennetz diesen Anforde- Ausdrücklich will ich den in der IG Bohr vereinten (C) rungen gerecht werden. Bürgerinitiativen für ihre Arbeit und ihren Einsatz dan- ken. Ihnen geht es nicht darum, einfach etwas zu verhin- Der Aus- und Neubau der Schienenstrecke von Karls- dern, sondern sie legen konstruktive Vorschläge vor. ruhe nach Basel ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt für Dies verdient unseren großen Respekt. Baden-Württemberg. Ziel der Baumaßnahme ist die Ka- pazitätserhöhung und Qualitätsverbesserung dieser Beim Ausbau der Rheintalbahn handelt es sich nicht Hauptabfuhrstrecke. Sie ist Teil einer ersten durchgehen- nur um ein Jahrhundertbauwerk, diese Trasse wird noch den Nord-Süd-Verbindung im Hochleistungsnetz der viel länger Bestand haben. Umso wichtiger ist es, die be- Deutschen Bahn AG und zugleich ein wichtiges Binde- rechtigten Sorgen der Menschen in der Region ernst zu glied für den weiterführenden Verkehr in die Schweiz nehmen und eine für Mensch und Natur zukunftsfähige sowie zur Schnellbahn Paris-Ostfrankreich-Südwest- Lösung zu finden. Das viergleisige Trassenteilstück Of- deutschland. Die Maßnahme steht in engem Zusammen- fenburg–Basel ist Teil einer Hauptverkehrsader Europas, die Rotterdam mit Genua, die Nordsee mit dem Mittel- hang mit der Inbetriebnahme des Lötschberg-Basis- meer verbindet. Es handelt sich also keineswegs um ein tunnels und des Gotthard-Basistunnels in der Schweiz. rein südbadisches, sondern um ein deutsches, ja europäi- Beide Strecken, Basel–Mailand via Bern und sches Problem. Der Verkehrskorridor im Rheingraben ist Basel–Mailand via Chiasso, müssen wir ertüchtigen, um Bestandteil des transeuropäischen Verkehrsnetzes. Da- der zu erwartenden Steigerung des Güterverkehrs zu be- her ist der Bundestag hier in der Pflicht. Die Trasse, so gegnen. wie sie derzeit geplant ist, wird für die Menschen in der Die kapazitätsmäßige und qualitative Verbesserung Rheinebene unzumutbare Lärmbelästigungen mit sich der Strecke wird durch den Bau einer zweigleisigen bringen, sie wird auch die wertvollen Kulturlandschaften Neubaustrecke mit einer Höchstgeschwindigkeit von bis am Oberrhein in ihrem Wert deutlich mindern. Um zu ei- zu 250 Stundenkilometer weitgehend parallel zu der be- nem menschen- und umweltverträglichen Bahnausbau stehenden Strecke erreicht. Eine Ausnahme bildet hier zu kommen, muss die vorgesehene Trassenführung ge- die Strecke Karlsruhe–Rastatt und die Güterumfahrung ändert werden. Freiburg. Der viergleisige Ausbau stellt für die Rheintal- Wir anerkennen – nach dem ökologisch und ökono- bahn eine wesentliche Änderung nach § 1 der 16. Bun- misch richtigen Grundsatz: Personen und Güter von der des-Immissionsschutzverordnung dar. Damit haben die Straße auf die Schiene! – ausdrücklich die Notwendig- Anwohner einen Rechtsanspruch auf Schallschutzmaß- keit der Optimierung der Strecke Karlsruhe–Basel als nahmen für alle vier Gleise. Teil der europäischen Nord-Süd-Magistrale und damit auch die Notwendigkeit des dritten und vierten Gleises (B) (D) Einige Probleme halte ich bei der Autobahnvariante zwischen Offenburg und Weil. Wir wollen die Verträge für ungeklärt. So ist zum Beispiel der Flächenbedarf des mit der Schweiz erfüllen. Deshalb sind jetzt rasche Ent- Trassenverlaufs noch größer als bereits 1992 angenom- scheidungen vonnöten. men. Die Umfahrung von Autobahnauffahrten und Rast- plätzen ist genauso schwierig wie die Kreuzung zum Die Menschen in Südbaden erwarten zu Recht, dass Beispiel von Baggerseen, die ein wichtiges Naherho- ihren Bedürfnissen nach Lärmschutz und nach einer lungsgebiet für die Region darstellen. landschaftsverträglichen Verkehrsplanung Rechnung ge- tragen wird. Eine Beeinträchtigung der Anwohner durch Ich warne davor, großzügig andere Trassenverläufe Lärm, Flächenverbrauch und gegebenenfalls auch Ein- vorzuschlagen und damit die Belastungssituation nur zu griffe in das Eigentumsrecht werden unvermeidbar sein. verlagern. Unser Ziel ist ein umweltgerechter und scho- Die Akzeptanz dieser Eingriffe kann jedoch in entschei- nender Ausbau der Rheintalbahn sowie ein möglichst dender Weise erhöht werden, wenn auf die Bedürfnisse hoher Schutz der Anwohner vor Lärm. Populistische des Umwelt- und Lärmschutzes mit integrierten Lö- Anträge der Opposition helfen in der Sache nicht weiter. sungsansätzen bei der Verkehrswegeplanung und insbe- sondere der Trassenführung geantwortet wird.

Ernst Burgbacher (FDP): Nachdem auf verschiede- Um eine Zerschneidung der Stadt Offenburg zu ver- nen Veranstaltungen, insbesondere auf der Großkundge- hindern, ist die Unterfahrung in einem Tunnel erforder- bung in Freiburg am 7. Oktober, auch von Vertretern von lich. Für den Rheingraben südlich von Offenburg bis zur CDU und SPD Unterstützung für die Forderungen der Einmündung in die Westumfahrung Freiburgs ist die Bürgerinitiativen zugesichert wurde, ist es jetzt an der Verlagerung der Neubautrasse an die Bundesautobahn 5, Zeit, auch im Parlament Farbe zu bekennen. Zu Recht also eine Bündelung von Schiene und Straße, die beste hat die IG Bohr, die Interessengemeinschaft Bahnprotest Lösung. Durch die Bündelung der Linienführung von an Ober- und Hochrhein, eindringlich den Primat der Po- Straße und Schiene werden die Auswirkungen auf litik angemahnt. Die Politik muss ihre Verantwortung Mensch und Umwelt am wirkungsvollsten reduziert. Im wahrnehmen; daher legt die FDP-Bundestagsfraktion Westen Freiburgs bis zum Nordportal des Mengener Tunnels muss eine Trassenabsenkung angestrebt werden. heute den Antrag „Integrierte Planung für Schiene und Vom Südportal des Mengener Tunnels bis südlich von Straße im Rheingraben – Gesamtverkehrskonzept Süd- Buggingen ist eine teilgedeckelte Tieflage notwendig. baden“ vor. Wenn die Mehrheit des Hauses diesem Kon- zept zustimmt, wird die Umsetzung der Forderungen Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich mit allem deutlich erleichtert werden. Nachdruck für eine menschen- und umweltgerechte Pla- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12903

(A) nung der neuen Trasse ein, aber auch für die generelle Trotzdem sollte nicht verhehlt werden, dass all das, (C) Lärmreduktion im gesamten Schienennetz nach dem ak- was von den Initiativen gefordert wird, die Baukosten tuellen Stand der Bahntechnik. Die FDP fordert alle von heute schon 4,6 Milliarden Euro um weitere Fraktionen, insbesondere aber die Regierungsfraktionen, 720 Millionen Euro nach oben treibt. Zwar können wir auf, der Bundesregierung einen Prüfauftrag, in Abstim- das Geld auf mehrere Jahre verteilen. Doch woher neh- mung mit der Landesregierung Baden-Württemberg, der men? Die Koalition und Bündnis 90/Die Grünen fordern Deutschen Bahn AG und dem Eisenbahnbundesamt, für mehr Geld für Lärmschutz, CDU/CSU und SPD 50 Mil- die genannten Maßnahmen zu erteilen. Außerdem for- lionen Euro, die Grünen das Doppelte. Ich denke, es dern wir zeitnah einen Bericht über den Planungsstand werden sich Töpfe finden, um auch die lärmmindernde und die Vorstellungen der Bundesregierung zur Realisie- Alternativplanung im Rheingraben zu finanzieren, auch rung einer landschaftsgerechten Trassenführung und ei- wenn schon für einige Abschnitte das Planfeststellungs- nes größtmöglichen Lärmschutzes für die Anwohner- verfahren läuft. schaft. Auf der erwähnten Veranstaltung in der Landesvertre- Ich hoffe sehr, dass Union und SPD nicht nur bei tung sagte es Staatssekretär Kasparick deutlich: Im Ab- Großkundgebungen mit den betroffenen Anwohnern schöne Reden halten, sondern hier im Parlament ihren wägeverfahren der Bürgereinsprüche ist es durchaus Worten auch die entsprechenden Taten folgen lassen und möglich, die vorgeschlagenen Änderungen in die Plan- dem Antrag der FDP-Bundestagsfraktion zustimmen feststellung zu nehmen. Diese Vorschläge der Initiativen werden. vor Ort haben die Freien Demokraten in ihrem Antrag aufgenommen. Für diese Politik, sich im Sinne der be- troffenen Bürger einzusetzen, möchte ich Sie loben, Dorothée Menzner (DIE LINKE): Wir kommen liebe Kolleginnen und Kollegen vom liberalen Bahn- nicht daran vorbei und auch die Linke wiederholt es in- steig. Da ist die Linke mit Ihnen ausnahmsweise mal ei- zwischen gebetsmühlenartig: Der Güterverkehr wird ner Meinung, und daher tragen wir Ihren Antrag mit. sich in den nächsten Jahren verdoppeln! Und wie die FDP in ihrem Antrag schreibt: Das Mengenwachstum des Güterverkehrs übertrifft alle Erwartungen. Der Wa- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): renfluss nimmt zu. Konsumenten – sofern sie Arbeit ha- Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP zum ben und sich die Produkte leisten können – freuen sich Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel. über Elektronik, Haushaltswaren und Spielzeug und Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güterverkehr über das, was da in unzähligen Containern zu uns he- auf der Schiene wird ein europäisches Großprojekt in rüberschwappt. Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich zu die- (B) (D) Es landet in den Seehäfen an und muss im Land ver- sem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staatsver- teilt werden, vorzugsweise auf der Schiene, die wieder trag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegenüber im Wachstumstrend liegt. Deshalb sagt es auch die Linke im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötschberg- immer wieder: Wir müssen unsere Schienen für diese und Gotthardtunnel sicherzustellen. Dieser Ausbau ist Transportmengen fit machen. Dazu gehört es, die Schie- dringend erforderlich – aus verkehrspolitischen Gründen nenwege auszubauen. Dies ist auch im badischen Ober- wie aus Gründen des Klima- und Umweltschutzes. Kann rheingraben bei der Strecke Karlsruhe–Offenburg–Weil der geplante Güterverkehr nicht auf der Schiene stattfin- am Rhein–Basel geplant. Sie ist die wichtigste Verbin- den, dann wird er über die Straße rollen. Damit würden dung von der Nordsee in die Schweiz und nach Italien. die Menschen, die Umwelt und die Landschaft viel stär- Sie soll künftig von zwei Gleisen auf vier erweitert wer- ker belastet. Bündnis 90/Die Grünen haben ein zentrales den. Doch mehr Züge bedeuten auch mehr Lärm. Davon Anliegen: Wir wollen möglichst schnell möglichst viel betroffen sind wiederum die Anrainer solcher Strecken Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern. wie der Oberrhein-Linie. Dazu brauchen wir den Kapazitätsausbau im Rheingra- ben dringend. Der Ausbau der Rheintalbahn wird auch Die alte Strecke windet sich mitten durch Ortschaften zu einer deutlichen Entlastung der Anwohner an der Alt- und Städte. Und mit dem Bau der weiteren Gleise ver- strecke führen. Diese Entlastung begrüßen wir sehr, da schärft sich das Problem. Viele Bürgerinitiativen wenden sie Tausenden von Anwohnern zugutekommt. Zurzeit sich nun gegen die offiziellen Ausbaupläne. Sie fordern wird gerade in der Region Freiburg mit dem Lärmsanie- – zu Recht – eine Alternativplanung, bei der weniger rungsprogramm des Bundes die Situation an einzelnen, Menschen betroffen wären. Die in der „IG Bahn-Protest am Ober- und Hochrhein“ vereinten Initiativen haben besonders belasteten Punkten der Altstrecke entschärft. ihre Vorschläge erst kürzlich in der baden-württembergi- Das ist im Sinne des Lärmschutzes sehr zu begrüßen. schen Landesvertretung vorgestellt. Diese sind kurz zu- Letztlich ist das aber nur ein Tropfen auf den heißen sammengefasst: eine Tunnellösung für Offenburg, die Stein, weil es sich hier um freiwillige „Reparaturmaß- Bündelung von Schiene und Autobahn auf einer Alterna- nahmen“ ohne gesetzlichen Anspruch handelt. tivtrasse und Trassenabsenkungen in Freiburg und bei Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen Mengen. Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf Diese Vorschläge beinhalten vor allem die Auswir- Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können kungen von Verkehrslärm auf so wenig Menschen wie wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge- möglich. ring wie möglich zu gestalten? 12904 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz (C) ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver- bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz- meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen meisten Menschen am härtesten und am direktesten be- Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be- troffen sind. deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys- tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein Was wird aus den großen Versprechungen, die die Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den wahrgenommen wird. Im Juni wurde dieses Umrüstpro- letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete gramm hier im Bundestag beschlossen. Da sind wir alle der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem dafür. Für diesen sehr sinnvollen Weg haben wir uns er- Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr folgreich eingesetzt. Für die tatsächliche und europa- Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie- weite Umsetzung bis zur Inbetriebnahme des 3. und ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert 4. Gleises der Rheintalbahn – u. a. durch die Einführung beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro. lärmabhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen. Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP- Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Streckenab- Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal- schnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu- übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein- gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi- graben. Da die in Absatz 2 an die Bundesregierung ge- tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der richteten Forderungen in der Gesamttendenz richtig Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von sind, werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf- schließen uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen Forderungen generell an, auch wenn wir manche Details gefordert hat. anders sehen.

Nun noch eine Bewertung im Detail: Zu Forderung Anlage 12 eins: Die bisherige Planung zu Offenburg kann so nicht bleiben, da die bereits hohe Belastung der Offenburger Zu Protokoll gegebene Reden Innenstadt sich noch drastisch verschärft. Offenburg ist zur Beratung des Antrags: Bei der 62. General- ohne Zweifel der problematischste Punkt der gesamten versammlung der Vereinten Nationen ein Zei- (B) Neubaustrecke mit den meisten direkt betroffenen An- (D) chen für die weltweite Abschaffung der Todes- wohnern. Wir fordern eine detaillierte Prüfung einer strafe setzen (Tagesordnungspunkt 19) Tunnel-Lösung für Offenburg unter Berücksichtigung des Lärm- und Erschütterungsschutzes sowie des inner- städtischen Flächenverbrauchs. Zu Forderung zwei: Eine Erika Steinbach (CDU/CSU): Abscheu ist das vor- Bündelung der Linienführung von Offenburg bis Frei- herrschende Gefühl, das die Menschen gegenüber den burg von Neubaustrecke und A 5 halten wir Grünen für schwersten Verbrechen empfinden. die sinnvollste Variante der Trassenführung. Diese muss im Planfeststellungsverfahren gleichrangig mit anderen Carl Großmann, die Bestie vom Schlesischen Bahn- Varianten im Hinblick auf Landschaftsverbrauch, Lärm- hof – dem heutigen Berliner Ostbahnhof –, hat mindes- schutz und Betriebssicherheit geprüft werden. Zu Forde- tens drei Frauen ermordet, die geschätzte Zahl seiner rung drei: Die zusammen mit anderen baulichen Maß- Opfer liegt zwischen 20 und 100 Frauen. Niemand weiß, nahmen vorgeschlagene teilweise Trassenabsenkung im ob dieser Mann, Besitzer eines Wurststandes, seine Op- Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft werden. Dieses fer zu Wurst und Dosenfleisch verarbeitet hat. für eine deutliche Lärmreduzierung vorgeschlagene Hans Erwin Hagedorn, Sexualtäter und mehrfacher Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbesserung der Kindesmörder, wurde 1972 durch unerwarteten Nah- bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnahmenpaket, schuss in der Strafvollzugseinrichtung Leipzig hinge- das in einer von den betroffenen Kommunen finanzier- richtet. ten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde, verdient eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungsverfahren. Die Opfer von Friedrich Haarmann wurden nach ei- Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit nem mehrjährigen Kampf der Eltern der von ihm getöte- Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des ten Kinder in Hannover in einem Ehrengrab bestattet. Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge- Haarmann wurde 1925 in Hannover enthauptet. Der eine prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die- oder andere unter Ihnen wird den Film mit Götz George sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht kennen: Der Totmacher. mehr erhoben. Das begrüßen wir. Die Emotionen in der Bevölkerung und bei den Hin- Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach- terbliebenen sind eindeutig. Wer so kaltblütig quält und hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil tötet, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Solche und ähn- das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen liche Einträge finden sich auch heute in den Diskus- Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder sionsforen des Internets. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12905

(A) Wer aber vermag hier eine Grenze zwischen dem die Illusion eines gerechten und starken Staates unseren (C) Schrei nach Gerechtigkeit, Vergeltung oder Rache zu starken Rechtsstaat über Bord werfen. ziehen? Darf der Staat selbst töten, um die Emotionen der Bevölkerung zu befriedigen? Wer kontrolliert diese Das Bekenntnis zu den Menschenrechten ist der wichtigste Grundpfeiler unserer Verfassung. Dieses Be- Emotionen? Darf der Staat die Gesellschaft durch Elimi- kenntnis kann und darf nicht an den deutschen Grenzen nierung vor solchen Menschen schützen? Die Todes- enden, sondern bildet einen wichtigen Aspekt unserer strafe als gerechte Vergeltung für geschehenes Leid ge- Außenpolitik. Der Einsatz für die Menschenrechte kennt treu dem biblischen Motto: „Aug um Aug, Zahn um keine Ländergrenzen. Zahn“? Auf den ersten Blick mag dies einleuchten. Doch der Rechtsstaat beweist seine moralische Überlegenheit Der Einsatz für Menschenrechte kann übrigens auch ja gerade dadurch, dass er sich nicht auf das Niveau der nicht durch gekappte Telefonleitungen und abgeschaltete Täter hinablässt. Unrecht darf nicht mit Unrecht vergol- Computerserver aufgehalten werden. ten werden. Alles andere würde die moralische Instanz des Staates untergraben. Die Todesstrafe kann auch kein legitimes Selbstver- teidigungsmittel des Staates sein: Sie erlaubt es dem Allein das Argument des Justizirrtums wiegt so Staat, Personen zu töten, die, da bereits inhaftiert, keinen schwer, dass viele Staaten der Welt von der Todesstrafe Schaden mehr anrichten können. Abstand genommen haben. Wer kann wiedergutmachen, Die von der Todesstrafe erhoffte abschreckende Wir- dass ein Unschuldiger getötet wurde? Was, wenn sich kung gegen schwere Kriminalität ist statistisch kaum später herausstellt, dass die Taten ganz anders abliefen, nachweisbar. Die Hoffnung auf eine abschreckende Wir- als dies die Richter und vielleicht auch die Angeklagten kung verkennt die Umstände, unter denen die meisten selbst glaubten? Was, wenn der Angeklagte aufgrund ei- Verbrechen begangen werden. Es handelt sich ja gerade nes erpressten Geständnisses verurteilt wurde? Man nicht um Täter, die rational denken, sondern um Men- stelle sich vor, ein Angeklagter gesteht, weil eine Struk- schen, die hochemotional handeln. Sie kalkulieren die tur organisierter Kriminalität eine geliebte Person in ihre Folgen eines Misslingens ihrer Tat oft nicht ein. Man- Hände bekommen hat? Einmal beschlossen und voll- chen ist ihr persönliches Schicksal sogar gleichgültig. streckt, kann eine Todesstrafe nicht mehr aufgehoben Auf solche Menschen hat die Todesstrafe keine abschre- werden. Dieses Argument sollte jedem noch so emotio- ckende Wirkung. Wäre dies anders, müsste die Krimina- nalen Betrachter einsichtig sein. Niemand unter den litätsrate in Ländern mit Todesstrafe eigentlich niedriger Menschen ist vor Irrtum gefeit. sein als in Ländern ohne Todesstrafe. Es gibt hingegen Studien, die sogar davon ausgehen, dass die Todesstrafe Justizirrtum – meines Erachtens das überzeugendste eher zu einer Verrohung der Gesellschaft und damit zu (B) Argument gegen die Todesstrafe: Selbst in Rechtsstaaten (D) einer erhöhten Gewaltbereitschaft führt. kommt das vor. Seit 1973 sind allein in den USA 124 Menschen in 25 Staaten aus dem Todestrakt entlas- All diese Argumente gegen die Todesstrafe treffen sen worden, nachdem ihre Unschuld nachträglich festge- auch auf Länder zu, in denen rechtstaatliche Verfahren stellt wurde. Diese Zahl lässt mich erschaudern. Wie grundsätzlich garantiert sind. Die Bundesrepublik viele hatten nicht das Glück, dass ihre Unschuld noch Deutschland hat bereits 1949 als erster Flächenstaat auf vor der Exekution festgestellt wurde? dem europäischen Festland die Todesstrafe vollkommen abgeschafft. Die Todesstrafe ist eine Verletzung des Grundrechts auf Leben, das systematisch stärkste Argument gegen Es ist leicht, den Zeigefinger zu erheben, wenn der ei- die Todesstrafe. Menschenrechte sind unteilbar. Men- gene Staat bereits mit gutem Beispiel vorangegangen ist. schenrechte sind nicht aberkennbar, auch nicht für Doch rechtsstaatliche Verfahren sind längst nicht überall übelste Täter. Davon losgelöst ist die Tötung aus Not- auf der Welt gegeben. In Ländern ohne rechtsstaatliche wehr und Nothilfe. Dabei ist zu beachten, dass eine Verfahren kommt noch die Gefahr hinzu, dass die Todes- Staatsnothilfe, also eine Nothilfe zugunsten der Interes- strafe aus politischen Motiven vollstreckt wird. Es sind sen der Allgemeinheit, grundsätzlich unzulässig ist. keine Einzelschicksale, über die wir hier reden: Der Täter – so die Lesart von Befürwortern der To- Die Zahlen über die weltweite Verhängung und Voll- desstrafe – müsse zum Tode verurteilt werden, um wei- streckung der Todesstrafe sind erschreckend. Im Jahr 2006 wurden nach offiziellen Angaben mehr als tere Verbrechen derselben Person ein für alle Male aus- 3 800 Menschen zum Tode verurteilt; über 1 500 Men- zuschließen, das Todesrisiko von den möglichen schen wurden hingerichtet. Die tatsächlichen Zahlen zukünftigen Opfern an den Täter zurückzuschieben. Das dürften noch viel höher liegen, vor allem in China. Ziel, die Allgemeinheit vor gefährlichen Schwerstkrimi- nellen zu schützen, teile ich ausdrücklich. Dennoch ver- Offiziell kam es in der Volksrepublik China im letzten fügt der Staat auch ohne die Todesstrafe grundsätzlich Jahr zu 1 010 Hinrichtungen. Angaben von Nichtregie- über Mittel und Wege, die Bürgerinnen und Bürger unse- rungsorganisationen zufolge ist jedoch anzunehmen, res Landes vor gefährlichen Verbrechern zu schützen. Er dass die Zahl von 8 000 Exekutionen näher an der Reali- muss sie aber auch anwenden. Auch die zunehmenden tät ist. Damit wäre China Schauplatz von etwa zwei Drit- Fälle von Ausbrüchen aus Haftanstalten tragen leider tel aller Hinrichtungen weltweit. In China können nicht dazu bei, das Vertrauen der Bevölkerung in unse- 68 Straftaten, darunter auch völlig gewaltfreie Delikte ren Justizapparat zu stärken. Aber wir dürfen nicht für wie Betrug, Steuerhinterziehung und Bestechung zu 12906 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) einem Todesurteil führen. Selbst für das Erlegen eines Vor ein paar Tagen wurde in New York eine Resolu- (C) Pandabären kann die Todesstrafe verhängt werden. tion zur Ächtung der Todesstrafe in die UN-Generalver- sammlung eingebracht. Die Chancen stehen gut, noch im Dabei ist China kein Einzelfall. Auch in einer Reihe Laufe des Novembers ein zustimmendes Votum zu errei- anderer Staaten werden Menschen für gewaltfreie De- chen. Mich freut, dass die Europäische Union in dieser likte hingerichtet: So wurde erst im Juli dieses Jahres ein Frage geschlossen zusammensteht. Mann im Iran wegen Ehebruchs gesteinigt. Die Steini- gung der Frau wurde in letzter Minute auf unbestimmte Ich hoffe, dass die Resolution auch bei der abschlie- Zeit vertagt, nachdem der Fall international Aufsehen er- ßenden Beratung eine überzeugende Mehrheit finden regte. Im September wurden in Vietnam drei Männer wird. wegen Drogenhandels zum Tode verurteilt. Einen Monat vorher wurden fünf Pakistani und ein Nigerianer in Saudi-Arabien wegen desselben Delikts exekutiert. Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Wir Sozialdemo- kraten begrüßen sehr, dass der Deutsche Bundestag Aber nicht nur die Anwendung der Todesstrafe an heute anhand des interfraktionellen Antrags von Union sich, sondern auch die angewandten Exekutionsmetho- und SPD, von FDP und Bündnis 90 über die Notwendig- den erfüllen einen mit Empörung und Abscheu. Ent- keit und die Möglichkeit zur weltweiten Ächtung der To- hauptungen wie in Saudi-Arabien, Steinigungen wie im desstrafe diskutiert. Iran, Erhängungen oder Erschießungskommandos – all dies sind Methoden, die nur als barbarisch bezeichnet Wir begrüßen den gemeinsamen Antrag, der die Ini- werden können. tiative der Europäischen Union unterstützt, bei der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen durch Auch die vermeintlich humaneren Exekutionsmetho- die Verabschiedung eines Moratoriums ein Zeichen für den Giftspritze und elektrischer Stuhl sind grausame die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu setzen, Mittel zu einem nicht minder grausamen Zweck. Eine und wir unterstreichen die elf konkreten Forderungen Vielzahl von erschütternden Beispielen hat in der Ver- zur Bekräftigung der Politik der Bundesregierung gegen gangenheit gezeigt, dass auch hier die zum Tode Verur- die Todesstrafe, die in dem Antrag enthalten sind. teilten erheblich leiden: So rang der in den USA exeku- tierte Häftling Angel Diaz im letzten Jahr ganze Es ist gut, dass der Deutsche Bundestag diesen Antrag 34 Minuten mit dem Tod und verzog bis kurz vor seinem mit einer so breiten Mehrheit seiner Mitglieder einbringt Ende das Gesicht vor Schmerzen. und heute auch gleich beschließen will; das zeigt, dass hier im Deutschen Bundestag unbestritten die Überzeu- Dass dieser Fall in den USA inzwischen auch den gung besteht, dass es weder eine moralisch-ethische, (B) Obersten Gerichtshof erreicht hat, ist erfreulich. Es noch eine pragmatische Rechtfertigung für die Todes- (D) stimmt mich vorsichtig hoffnungsvoll, dass es in den strafe gibt. Vereinigten Staaten zu einer breiteren Debatte über die Todesstrafe kommt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verei- In der Tat ist das Gegenteil der Fall: Weder vom mo- nigten Staaten, die sonst eine Vielzahl von Werten mit ralisch-ethischen Standpunkt her, noch von der Ver- uns teilen, einlenken und die Todesstrafe abschaffen. pflichtung jedes zivilisierten Staates zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger vor Kriminalität und Terroris- Nicht weniger bedrückend als die Exekutionsmetho- mus, das zu tun, was nötig und von der Verfassung ge- den sind die Missstände in Bezug auf den Kreis der zum deckt ist, die ja die Bindung an Menschenwürde, Men- Tode Verurteilten. Immer wieder kommt es zur Verurtei- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit sicherstellt, kann lung und Exekution von Minderjährigen, zuletzt im eine Rechtfertigung der Todesstrafe hergeleitet werden. April im Iran. Überhaupt hält der Iran in dieser Frage ei- Es gibt nicht das selbstverständliche Recht eines Staates, nen traurigen Rekord. In keinem anderen Land der Welt Gewalt und Kriminalität zu Strafzwecken mit der Tö- wurden so viele Menschen hingerichtet, die zur Tatzeit tung eines Verurteilten zu beantworten. Auch der häufig nicht volljährig waren, wie im Iran. Insgesamt sitzen im- zitierte „Wille des Volkes“, der zumeist nur fehlende mer noch 71 zur Tatzeit minderjährige Straftäter in den oder bewusst vorenthaltene Informationen über Straf- Todestrakten iranischer Gefängnisse. Darüber hinaus zwecke und Beitrag und Möglichkeiten eines rationalen sind zwölf der Todeskandidaten sogar minderjährig zu Strafverfahrens und Strafvollzuges zu Schutz und Siche- Tode verurteilt worden. Die Gefahr ist groß, dass sie rung der Bevölkerung widerspiegelt, ändert daran nichts. noch vor ihrem 18. Lebensjahr hingerichtet werden. Genauso verabscheuungswürdig ist die Hinrichtung Das deutsche Grundgesetz schließt die Todesstrafe von geistig kranken Menschen. Amnesty International ausdrücklich aus. Grundgedanke und Begründung dieses berichtet von fünf Staaten, in denen es zur Hinrichtung Verbotes gelten jedoch über die Grenzen der Bundesre- von geistig Kranken gekommen ist: Kirgisistan, Usbe- publik Deutschland hinaus. Die gesamte Europäische kistan, USA, Japan und Iran. Union, aber auch die meisten Mitgliedstaaten des Euro- parates haben die Todesstrafe bereits abgeschafft; andere Ich möchte nicht missverstanden werden: Die Todes- Staaten, wie etwa Usbekistan, planen, dies mit Beginn strafe ist auch dann nicht human, wenn all die eben auf- des Jahres 2008 zu tun. Das sind ermutigende Zeichen, gelisteten Missstände behoben wären. Dennoch verdeut- die mit dazu beitragen können, die Initiative der Europäi- lichen sie, dass es eine Reihe von Staaten gibt, die sich schen Union in der 62. Generalversammlung zu der not- nicht einmal an die Mindeststandards halten. wendigen Mehrheit zu verhelfen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12907

(A) Die Todesstrafe hilft aber auch nicht bei der Siche- werden. Ferner ist die Todesstrafe schon allein deshalb (C) rung und dem Schutz der Bevölkerung vor Schwerstkri- verabscheuenswürdig, weil sie dem Verurteilten wegen minalität, wie häufig fälschlich behauptet wird: Ab- seiner Gewissheit um den immer näher rückenden Tod schreckung und damit ein Beitrag zur Verhütung von psychische und seelische Grausamkeit zufügt. Kriminalität kann vielmehr durch die Gewissheit einer hohen Aufklärungsquote und einer zuverlässigen profes- Es gibt keinen logisch nachvollziehbaren Grund, der sionellen Strafverfolgung unter Einbeziehung des Straf- die Todesstrafe rechtfertigen könnte. Vielmehr ist sie das vollzugs erreicht werden. Das zeigt die Entwicklung der Instrument einer irrationalen Rechtspflege. Daher lehnt Schwerst- und Gewaltkriminalität in den neuen Mit- die FDP die Todesstrafe seit jeher strikt ab. gliedstaaten des Europarats; neuere Untersuchungen von In diesem Sinne begrüße ich den Antrag sehr, den wir Gesellschaften mit im Übrigen vergleichbaren Verhält- heute beraten, und hoffe, dass er seine Wirkung auf die nissen zeigen sogar, dass ein negativer Zusammenhang Verhandlungen in der 62. VN-Generalversammlung ent- zwischen der Existenz, der Verhängung, Verurteilung falten wird. Eine in den Vereinten Nationen verabschie- und Vollstreckung der Todesstrafe und einem hohem Pe- dete Resolution wird hoffentlich die öffentliche Mei- gel an Gewaltkriminalität bestehen könnte. nung in den Staaten, die die Todesstrafe noch anwenden, dahin gehend beeinflussen, von der Todesstrafe Abstand Ganz sicher aber ist, dass die Ekel erregenden Propa- zu nehmen. Weltweit ist bereits eine deutliche Tendenz ganda-Bilder von der öffentlichen Zelebrierung von Hin- zur Aussetzung oder vollständigen Abschaffung der To- richtungen, die in letzter Zeit insbesondere aus dem Iran, desstrafe zu beobachten. Es wäre wünschenswert, wenn aber auch aus anderen Ländern bekannt werden – mit ei- eine erfolgreiche VN-Resolution dieser Entwicklung ei- nem rationalen Strafsystem wenig zu tun haben. Sie sind nen neuen kräftigen Impuls verleihen könnte. vielmehr Zeichen der Gewaltbereitschaft der Machtha- ber, die sich negativ auf die gesamte Gesellschaft aus- Ich möchte jedoch auch meine Enttäuschung über ei- wirken muss; sie sind Ausdruck von Machtwillen durch nige Kollegen, vor allem in der CDU/CSU-Fraktion Einschüchterung und sollen zur Absicherung der Macht- nicht verbergen, die selbst bei einem so wichtigen An- haber den falschen Eindruck verfestigen, die Todesstrafe trag nicht der Versuchung widerstehen konnten, ihre könne zu mehr Sicherheit und Schutz für die Bevölke- ganz persönliche politische Agenda zu propagieren, die rung führen. mit der eigentlichen Kernfrage der weltweiten Abschaf- fung der Todesstrafe nichts zu tun hat. Offenbar waren Die begrüßenswerte Initiative der Europäischen Sie, Frau Steinbach, nicht bereit, darauf zu verzichten, Union bei der 62. Generalversammlung der Vereinten einen Seitenhieb gegen Polen in den Antrag einzufügen, Nationen hat schon bis heute die Unterstützung von vie- der in der Sache überholt ist und zudem das Verhältnis (B) len anderen Staaten erhalten, bis gestern beläuft sich ihre zur neuen polnischen Regierung von Anfang an zu be- (D) Zahl auf insgesamt 78. Damit rückt die Mehrheit der lasten droht. Ich meine den gesonderten Verweis auf Mitgliedstaaten der Generalversammlung der Vereinten Polen in Forderung Nr. 9. Dieser erweckt fälschlicher- Nationen in sichtbare Nähe. Sie zu erreichen ist das Ziel. weise den Eindruck, als ob Polen die Abschaffung der Deshalb fordert der Deutsche Bundestag nicht nur die Todesstrafe als Fundament der europäischen Werteord- Bundesregierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu nung anzweifle und deshalb einer herausgehobenen tun, um die Mehrheit der Mitglieder der Generalver- deutschen Belehrung bedürfe. Dem ist nicht so. sammlung für diese Initiative zu erhalten. Vielmehr wer- den alle Mitglieder des Deutschen Bundestages die Ver- Einerseits stimmt es, dass die abgewählte polnische pflichtung übernehmen, in Gesprächen mit Kolleginnen Regierung Kaczynski eine Einigung auf europäischer und Kollegen anderer Parlamente auf diese Initiative Ebene für einen „Europäischen Tag gegen die Todes- hinzuweisen und sie inhaltlich zu unterstützen. strafe“ verhinderte. Dieses – auf eine abstruse Argumen- tation gestellte – Verhalten war sehr kritikwürdig, da es eine Chance für ein klares Signal Europas gegen die To- Florian Toncar (FDP): Wir beraten heute einen in- desstrafe vergab. Wir alle haben dazu deutliche Worte terfraktionellen Antrag, der ein sichtbares Zeichen für gefunden; unser heutiger Antrag nimmt im Einleitungs- die weltweite Abschaffung der Todesstrafe setzen soll. teil nochmals darauf Bezug. Ich freue mich, dass wir uns auf ein interfraktionelles Vorgehen einigen konnten und so ein Signal der Ge- Andererseits hat mittlerweile eine neue Regierung die schlossenheit des Deutschen Bundestags zur Erreichung Amtsgeschäfte in Warschau übernommen, die wir nicht dieses wichtigen Ziels senden. für die Fehler ihrer Vorgänger verantwortlich machen sollten. Der neue polnische Regierungschef Donald Tusk Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche hat bereits einen anderen Politikstil angekündigt, der die Bestrafung, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Die Fol- Fehler der Vorgängerregierung nicht wiederholen wird. gen von möglichen Justizirrtümern, gegen die kein Jus- tizsystem gefeit ist, lassen einen erschaudern. Laut Am- Zudem hat Tusk erklärt, dass er an einer Verbesserung nesty International wurden allein in den Vereinigten der Beziehungen zu Deutschland sehr interessiert ist. Da- Staaten von Amerika seit dem Jahr 1900 über 450 Perso- her sind Belehrungen von deutscher Seite an Polen – zu- nen zum Tode verurteilt, bei denen später festgestellt mal obsolete – nicht nur unnötig, sondern sogar kontra- wurde, dass sie unschuldig waren oder ihre Verurteilung produktiv. Nebenbei bemerkt: Ich kann nicht verstehen, auf schweren Verfahrensfehlern beruhte. Bei einigen dass die Union ihre eigene Schwesterpartei PO, mit der Personen konnte ihre Unschuld nur posthum ermittelt sie gemeinsam in der EVP-Fraktion im EP sitzt, über 12908 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) europäische Grundrechte belehren will. Aus diesem Ich möchte schließen mit dem Wunsch, dass die deut- (C) Grund werden einige Kollegen und ich heute einen ge- schen Diplomaten um Botschafter Thomas Matussek zu- meinsamen Änderungsantrag zu dem vorliegenden inter- sammen mit ihren europäischen Kollegen in den Ver- fraktionellen Antrag einbringen, der die Streichung handlungen in der VN-Generalversammlung erfolgreich dieses gesonderten Verweises auf Polen fordert, um au- sein mögen und diese Resolution zur weltweiten Ab- ßenpolitischen Schaden abzuwenden. schaffung mit einer breiten Mehrheit der Staaten auf den Weg bringen. Auch wenn es bedauerlich ist, dass bei einer so wich- tigen Frage wie der Todesstrafe ein sachfremdes Thema mit transportiert wurde, kann dies nicht den Blick dafür Michael Leutert (DIE LINKE): Zu Anfang möchte verstellen, dass hier insgesamt ein sehr guter interfrak- ich gleich klarstellen, dass meine Fraktion diesem An- tioneller Antrag vorliegt. Neben der Unterstützung für trag zustimmen wird. Bedauerlich ist allerdings, dass eine Resolution in der VN-Generalversammlung für die meine Fraktion mal wieder – wie so oft leider – außen weltweite Abschaffung der Todesstrafe greift er wichtige vor gelassen wurde. Man kann und sollte ja im Parla- Aspekte deutscher und europäischer Außenpolitik im ment über vieles streiten. Meinungen über das, was gut Umgang mit einigen der Staaten auf, die für einen Groß- und richtig ist, können auseinandergehen. Das ist konsti- teil der Hinrichtungen weltweit verantwortlich sind. tuierend für Demokratie und davon lebt eine Demokra- tie. Aber bei einem so fundamentalen Thema wie der To- Da allein China etwa die Hälfte aller Hinrichtungen desstrafe gibt es in diesem hohen Hause keinen Grund weltweit durchführt, ist besonders Forderung Nr. 5, die für Streit. Meine Fraktion und auch ich als Obmann für Todesstrafe im Rahmen des EU-China-Menschenrechts- Menschenrechte nehmen dazu eine klare politische Hal- dialogs sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaats- tung ein. Das ist Ihnen allen sehr wohl bekannt. Dass be- dialog zu problematisieren, von besonderer Bedeutung. züglich einer gemeinsamen parlamentarischen Initiative Obwohl die offizielle Zahl der Hinrichtungen in China noch nicht einmal angefragt wurde, empfinde ich als im vergangen Jahr bei 1 010 lag, gehen Menschenrechts- eine politische, vor allem aber auch persönliche Enttäu- organisationen von einer hohen Dunkelziffer aus. Offen- schung. bar auch aus diesem Grund hat China im Herbst letzten Jahres verfügt, dass alle Todesurteile einer höchstrichter- Kommen wir zum Antrag selbst. Die Ziffern 5 bis 7 lichen Prüfung unterzogen werden müssen. Auch wenn zeigen deutlich, dass die Bundesregierung selbst in die- dies natürlich nicht ausreichen kann, so ist es wenigstens ser Frage gegenüber den Adressaten differenziert, ob- nicht mehr möglich, dass entlegene Provinzgerichte un- wohl, da es wie hier um das Leben Einzelner geht, eine kontrolliert Todesurteile vollstrecken lassen. Differenzierung politisch und menschlich völlig verfehlt (B) ist. Ich zitiere aus ihrem Antrag: (D) Im Iran ist in den letzten Monaten eine deutliche Zu- nahme von Hinrichtungen zu vermelden. Dabei ist be- 5. beim Menschenrechtsdialog der EU mit China sonders bizarr, dass eine hohe Zahl an Straftätern betrof- sowie beim deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdia- fen ist, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Auch log weiterhin die Todesstrafe zu problematisieren; hier muss die EU in einen Menschenrechtsdialog eintre- 6. sich für eine Wiederbelebung des EU-Menschen- ten, um die Regierung in Teheran von einer Abschaffung rechtsdialogs mit Iran einzusetzen, die Todesstrafe der Todesstrafe zu überzeugen. zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu ma- chen und dabei insbesondere auf die Einhaltung der In den USA gab es jüngst zahlreiche Fälle über tech- Mindestnormen zu drängen; 7. die guten transatlan- nische Pannen bei Hinrichtungen, die den Opfern zusätz- tischen Beziehungen zu nutzen, um bilateral sowie liche, unsägliche Qualen bereiteten. Es bleibt zu hoffen, im Rahmen der EU auf die Abschaffung der Todes- dass diese Berichte über die tatsächliche Grausamkeit strafe in sämtlichen Bundesstaaten der USA hinzu- auch vermeintlich humaner, technisierter Hinrichtungs- wirken; methoden wie der Giftspritze ein Umdenken in der US- Öffentlichkeit bewirken. Hier setzt die Forderung Nr. 7 Im Grundsatz alles richtige Sätze. Deshalb ja auch des Antrags an, um auf die Abschaffung der Todesstrafe unsere Zustimmung zum Antrag in seiner Gesamtheit. in sämtlichen Bundesstaaten der USA einzuwirken. Die länderspezifischen Abstufungen – also: gegenüber China die Todesstrafe problematisieren, gegenüber Insgesamt liegt mit diesem Antrag ein sehr breites dem Iran zu einem ständigen Tagesordnungspunkt zu Spektrum an vorgeschlagenen Maßnahmen vor, die sehr machen und gegenüber den USA auf eine Abschaffung gute Ansatzpunkte für die deutsche und europäische Au- hinzuwirken – sind unserer Ansicht nach aber verfehlt, ßenpolitik bei ihrem Anliegen der weltweiten Abschaf- und zwar zum einen politisch, weil es den Staaten fung der Todesstrafe bieten. Ich freue mich, dass der zeigt, dass einige – selbst bei der Abschaffung der To- Deutsche Bundestag sich über die Parteigrenzen hinweg desstrafe – immer noch gleicher sind als andere. zu einem geschlossenen Vorgehen in diese Richtung zu- Menschlich erscheinen uns diese sprachlichen Diffe- sammengefunden hat. renzierungen verfehlt und vor allem auch pietätlos. Wenn Menschen die Todesstrafe droht, dann sollten wir Daher ist es für meine Fraktion und mich selbstver- uns für diese Menschen in jeweils gleicher Form – und ständlich, im Interesse des übergeordneten Ziels der damit eben auch in der Wortwahl – einsetzen, unabhän- weltweiten Abschaffung der Todesstrafe diesen Antrag gig von ihrer Staatsangehörigkeit. Wie soll sich denn zu unterstützen. ein in Amerika zum Tode Verurteilter fühlen, wenn die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12909

(A) Bundesregierung gegenüber China und dem Iran we- dieses siebzehnjährige Mädchen. Sie wohnte in un- (C) sentlich stärkere Formulierungen wählt als gegenüber serer Straße, und als Kinder hatten wir miteinander den USA. gespielt. Wie gesagt, wir werden dem Antrag zustimmen, Ein Mullah las ihr das Urteil vor: „Im Namen möchten die Bundesregierung und die Fraktionen aber Allahs, des Barmherzigen, wirst du zum Tode ver- auf Art. 3 des Grundgesetzes hinweisen, welcher eine urteilt durch Steinigung.“ Das Mädchen weinte, solche Ungleichbehandlung verbietet. Sollten meine Be- aber es wirkte wie benommen. Sie wurde in ein denken bei Ihnen doch ein gewisses Unwohlsein hervor- Loch gestellt, das man in die Erde gegraben hatte. gerufen haben, dann bieten wir als Fraktion natürlich an, Dann schaufelte man dieses Loch bis zur Brusthöhe die Abstimmung zu verschieben und mitzuhelfen eine des Mädchens zu. Auf den Tribünen johlte der treffendere Formulierung zu finden. Mob. Dann flogen die ersten Steine, die gezielt ne- ben dem Mädchen auf den Boden fielen. Jedes Mal, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wenn der Oberkörper des Mädchens zuckte, um ei- Albert Camus hat einmal gesagt, dass man, um das nem Stein auszuweichen, begann das Johlen der rechte Verhältnis herzustellen, die Todesstrafe gegen ei- jungen Männer von neuem. Es war wie bei einem nen Verbrecher verhängen müsste, der sein Opfer zu- Fußballspiel, wenn ein ganzes Stadion „Tor“ nächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf schreit. Dann trafen die ersten Steine. Das ganze schreckliche Weise ermorden würde und es von diesem Spektakel zog sich hin, bis das Mädchen endlich tot Moment an monatelang in seiner Gewalt gefangen war. hielte. Ein solches Ungeheuer würde man im privaten Mit einem barmherzigen Gott, ob im Islam oder Bereich nicht finden. Christentum, haben solche Schauspiele und die Todes- Und doch sitzen in den USA und in anderen Ländern strafe insgesamt nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der zum Tode Verurteilte nicht selten jahrelang in den To- Iran und Saudi-Arabien unterschieden sich in dieser Hin- deszellen, in der Ungewissheit, wann das Todesurteil sicht leider so gut wie gar nicht. Umso verwunderlicher vollstreckt wird. Ich rate übrigens an dieser Stelle beson- ist es, dass bisher nicht zu vernehmen war, dass die Bun- ders bei den Linken zur Aufmerksamkeit, damit es nicht deskanzlerin oder der Außenminister anlässlich des ge- wieder heißt, die USA würden im Deutschen Bundestag rade stattfindenden Besuchs des saudischen Königs nicht für ihre Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Ein Abdullah die katastrophale Menschenrechtslage in Staat, der die gesamte Gesellschaft repräsentiert und die Saudi-Arabien angesprochen haben. Wir erwarten hier Aufgabe hat, die Gesellschaft zu schützen, darf sich von der Bundesregierung klare Worte und hoffen, dass das Thema auch in Gesprächen mit dem Iran nicht hinter (B) nicht selbst auf eine Stufe mit einem Mörder stellen. (D) anderen Fragen zurücksteht. Gleichwohl erscheinen einem aber die USA in diesem Punkt als Hort der Menschlichkeit, wenn man sich ein- Die Einbringung der Resolution zur Abschaffung der mal die Vollstreckung der Todesstrafe in Ländern wie Todesstrafe in die 62. Generalversammlung ist ein wich- dem Iran, Saudi-Arabien und China anschaut. Dort wird tiges Signal, und wir hoffen, das möglichst viele der die Todesstrafe oft auch bei minderschweren Delikten 192 Mitgliedstaaten der Resolution zustimmen. Gleich- verhängt und macht auch vor behinderten Menschen und wohl ist ein Moratorium noch keine Abschaffung der To- Minderjährigen nicht halt. Sie wird nicht selten öffent- desstrafe. Die Bundesregierung muss auf allen Ebenen lich als blutiges Schauspiel zelebriert. nachdrücklich in Gesprächen mit den betroffenen Ländern darauf hinwirken, dass es nicht nur zu einem Moratorium Die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen bei der Vollstreckung der Todesstrafe kommt, sondern gegen Minderjährige verstoßen gegen die im Internatio- diese unwiederbringlich abgeschafft gehört. nalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte fest- gelegten Mindeststandards und gegen Bestimmungen Als einziges Mitglied des Europarats hat Russland des Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Der- das 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschen- zeit warten alleine im Iran über 70 zur Tatzeit Minder- rechtskonvention noch nicht ratifiziert. Die Bundesre- jährige auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. In gierung muss sich hierfür in ihren Gesprächen mit der Saudi-Arabien soll in einem aktuellen Fall ein zur Tat- russischen Regierung einsetzen; denn für die Todesstrafe zeit erst 13-Jähriger hingerichtet werden, wegen angebli- gibt es in Europa keinen Platz. chem sexuellen Missbrauchs. In einer Veröffentlichung der Gesellschaft für be- Anlage 13 drohte Völker ist ein Augenzeugenbericht der Steini- gung einer Minderjährigen zu lesen: Zu Protokoll gegebene Reden Eines Tages musste ich mit meiner Schulklasse ins zur Beratung des Antrags: Finanzierung von Stadion kommen. Es sollte eine Steinigung vollzo- Frauenhäusern bundesweit sicherstellen und gen werden, bei der wir zuschauen mussten. Wir sa- losgelöst vom SGB II regeln (Tagesordnungs- ßen auf den Tribünen und warteten. Sandwichver- punkt 20) käufer gingen durch die Reihen und boten ihre Waren an. Dann endlich wurde ein Mädchen ins Maria Michalk (CDU/CSU): Gewalt gegen Frauen Stadion geführt. Ich erschrak, denn ich erkannte ist kein Problem am Rande unserer Gesellschaft. Leider! 12910 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Sie findet mitten unter uns statt. Wir haben gemeinsam ratung und Unterstützung erbracht werden, auch wenn (C) die Aufgabe, Gewalt in jeglicher Form zu verhindern. die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht nach dem SGB XII, sondern nach dem SGB II erbracht wird. Die Sozialhilfe- Unbestritten ist, dass Gewalt, die in unterschiedlichen gewährung in Form von Beratungs- und Unterstützungs- Erscheinungsformen ausgeübt wird, die Betroffenen in leistungen dient damit also auch dem Ziel der Beendi- ihrer Entfaltung und Lebensgestaltung einschränkt. Sie gung der Gewaltsituation sowie der Gewährung von beeinflusst extrem negativ vor allem auch die Kinder. Schutz und Zuflucht. Damit sehen Sie, dass unsere Re- Deshalb ist der Schutz vor Gewalt ein gesamtgesell- gelungen so differenziert sind, dass auf die jeweilige Si- schaftliches Anliegen. tuation reagiert werden kann. Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Bundesregie- Das Komplizierte in dieser von Gewalt und Leid ge- rung, die ihren zweiten Aktionsplan zur Bekämpfung prägten Situation der Frau ist allerdings in der Tat, das von Gewalt gegen Frauen als abgestimmtes Handlungs- Spannungsfeld zwischen Schutz im räumlichen Bereich konzept vorgelegt hat. und aktiver Lebensgestaltung mit dem Ziel der künftigen In diesem Kontext sehen wir auch die Frauenhäuser. dauerhaften Selbstständigkeit zu gestalten. So empfiehlt Sie sind seit mehr als 30 Jahren unverzichtbarer Be- die Rechtsinfo des Frauenhaus-Koordinierungs e. V. standteil der Unterstützungsangebote für Gewaltopfer. zum Beispiel den § 27 Abs. 2 BSHG als Rechtsgrund- Nach wie vor ist es notwendig, in Form von bundeswei- lage für einen über die Hilfe zum Lebensunterhalt hi- ter Vernetzung, durch Medieninformationen und mehr nausgehenden, zu deckenden Bedarf auf Beratung und Informationsmaterial für Angehörige und Bekannte der Unterstützung heranzuziehen. betroffenen Frauen die Arbeit der Frauenhäuser zu stär- ken. Das bedeutet aber nicht, dass wir gesetzliche Rege- Maßstab ist bei der Leistungsgewährung allgemein lungen, die systematisch die finanzielle und soziale Ab- immer, dass der Einsatz von öffentlichen Mitteln ge- sicherung der Grundbedürfnisse der Menschen rechtfertigt ist. Bei der Flucht in ein Frauenhaus ist das garantieren, instrumentalisieren und quasi im Schlepptau unbestritten. Das bekräftigt zum Beispiel die Durchfüh- die Finanzierung der Frauenhäuser in die Bundeszustän- rungsverordnung zum § 72 BSHG, wonach gewaltge- digkeit überführen. Das ist ja letztlich der Kern und das prägte Lebensumstände als besondere Lebensumstände Ziel des Antrages der Fraktion Die Linke, den wir hier im Sinne des § 72 Abs. l BSHG benannt sind. diskutieren. Die Behauptung der Linken, dass die Einführung der Richtig ist, dass eine Frau, die dem Grunde nach nach Grundsicherung ursächlich für zunehmende Gewalt ist, dem SGB II leistungsberechtigt ist, also ein Alter zwi- kann so nicht stehen bleiben. Ja, Arbeitslosigkeit und (B) schen 15 und 65 Jahren hat, erwerbsfähig und hilfebe- Geldsorgen sind sehr belastend. Aber von häuslicher Ge- (D) dürftig ist und ihren Aufenthalt in Deutschland hat, ma- walt und Zuflucht im Frauenhaus sind leider auch terielle Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt nach den Frauen betroffen, die keine finanziellen Sorgen haben. §§ 27 bis 40 des SGB XII erhält. Gezahlt werden zum Die Missachtung der Menschenwürde ist ein viel zu breit Beispiel auch Grundsicherungsleistungen bei Erwerbs- gefächertes Erscheinungsbild, als dass es auf ein be- minderung. Nach dem SGB II haben diese Vorrang. stimmtes Klientel beschränkt werden kann. Im §16 Abs. 2 des SGB II ist vorgesehen, dass psy- Die Gesamtfinanzierung der Frauenhäuser zu regeln chosoziale Betreuungsleistungen erbracht werden kön- ist dezidiert Aufgabe der Länder. So ist zu erklären, dass nen, wenn diese für die Eingliederung in das Erwerbsle- die Finanzierung in den Ländern unterschiedlich ge- ben erforderlich sind. Auch im Frauenhaus ist das handhabt wird. Einige finanzieren sich über Tagessätze, Endziel der Betreuungsleistungen die spätere vollstän- andere über Zuschüsse von Kommunen und/oder Län- dige Selbstständigkeit durch ein selbst erarbeitetes Ein- dern. kommen. Dazu gehört sehr wohl die Überwindung der gewaltgeprägten Lebenssituation. Dass zufluchtsuchende Frauen von Frauenhäusern mitunter abgewiesen werden, weil sie nicht in der Lage Ob von dieser Eingliederungsleistung im Ermessen sind, die Tagessätze zu finanzieren, ist hier und da vor- abgewichen wird, entscheidet sich im konkreten Fall. gekommen und bedauerlich. Aber bei gemeinsamen Lö- Das ist auch sinnvoll. Auch wenn alle Bewohnerinnen sungsbestrebungen vor Ort gibt es auch für solche Kon- eines Frauenhauses die Gewalterfahrung eint, ist ihre stellationen einen Ausweg. Zum Beispiel arbeitet ein konkrete Lebenssituation jeweils sehr unterschiedlich. Frauenhaus in meinem Wahlkreis mit Tagessätzen von Deshalb ist die individuelle Betrachtung durch nichts zu 6 bzw. 7 Euro. Für Frauen mit Leistungsbezug nach ersetzen. Allerdings sind wir uns einig, dass gerade hier SGB II werden vom Träger für Grundsicherung die Kos- keine bürokratischen Hürden aufgebaut werden dürfen. ten für Tagessätze vollständig übernommen. Da gibt es Ich mahne diesbezüglich auch eine jeweils zeitnahe Ent- gar keine Probleme. Trotzdem ist die Einrichtung chro- scheidung an. nisch in finanziellen Nöten und muss auf die Spendenbe- reitschaft der Bevölkerung bauen. Erinnern möchte ich des Weiteren daran, dass der Be- zug von Leistungen materieller und nichtmaterieller Art Uns nützt keine zentrale Regelung und diese wollen nach dem SGB XII nicht auf einen konkreten Personen- wir auch nicht. Wir setzen auf die Grundsicherung für kreis beschränkt ist. Wie in SGB II wird auch hier von den Lebensunterhalt und das mitmenschliche Miteinan- Leistungsberechtigten gesprochen. Deshalb können Be- der. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12911

(A) Renate Gradistanac (SPD): Frauenhäuser sind hat die Kostenerstattung für die Zeit des Aufenthalts im (C) Schutzhäuser für Frauen und ihre Kinder. Sie schützen Frauenhaus zu übernehmen. So wird eine einseitige Kos- Frauen, die Gewalt erfahren haben und Frauen, die vor tenbelastung derjenigen kommunalen Träger, die ein einer Gewaltandrohung Schutz suchen. Ich selbst habe Frauenhaus unterhalten, nach dem SGB II vermieden. vor 15 Jahren ein Frauenhaus im Schwarzwald gegrün- Damit haben wir das für die Frauen unzumutbare Hin det und war Vorsitzende. Der Bedarf an Frauenhausplät- und Her zwischen den betroffenen kommunalen Trägern zen ist trotz des Platzverweises nach dem Gewaltschutz- beendet. gesetz unvermindert hoch. Sie sind eine zentrale und notwendige Anlaufstelle für von Gewalt betroffenen Nach dem ersten Aktionsplan zur Bekämpfung von Frauen und ihre Kinder. Solange es Gewalt gegen Gewalt gegen Frauen stehen wir vor der Umsetzung des Frauen gibt, werden wir unsere Frauenhäuser brauchen. zweiten Aktionsplans, der am 12. Oktober in den Bun- destag eingebracht wurde. Ich bin froh, dass bei der Eva- In Deutschland gibt es etwa 400 Frauenhäuser, in de- luation der Umsetzung des SGB II auch die Gruppe der nen jährlich mehr als 40 000 Frauen Schutz suchen. von Gewalt betroffenen Frauen Berücksichtigung finden 5 722 Frauen und Kinder haben im Jahr 2003 in den wird. Das Forschungsprojekt soll auch Handlungsemp- 41 Frauenhäusern in Baden-Württemberg um Schutz fehlungen zur Beseitigung möglicher Defizite geben. nachgesucht. Nicht nur in Baden-Württemberg sind die Frauenhäuser in unterschiedlicher Trägerschaft organi- Mit den beiden Aktionsplänen zur Bekämpfung von siert und nicht nur in Baden-Württemberg ist ihre Finan- Gewalt gegen Frauen, dem Gewaltschutzgesetz und dem zierung landesweit sehr uneinheitlich. So sind auch die Gesetz gegen Stalking hat der Bund in den letzten Jahren Tagessätze unterschiedlich hoch. In der Entstehungsge- viel für die Opfer von häuslicher Gewalt getan. Der schichte und dem Selbstverständnis der Frauenhäuser Bund entlastet die Länder und Kommunen durch die Zu- liegt ein Grund für die uneinheitliche Finanzierungs- sammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. struktur. Uneinheitlich ist die Finanzierung bundesweit Die Länder müssen diese Entlastung nicht nur an die aber vor allem deshalb, weil die Verantwortung für die Kommunen weitergeben, sondern gemeinsam müssen Finanzierung bei den Ländern und Kommunen liegt. Die sie diese Entlastung unter anderem auch zur Sicherung Länder und Kommunen sind gefordert, die Frauenhäuser und Unterstützung der Frauenhäuser einsetzen. finanziell sicherzustellen, anstatt sie durch Kürzungen zu beeinträchtigen. Ina Lenke (FDP): Gewalt gegen Frauen in Deutsch- Nicht nur in Baden-Württemberg werden die Landes- land ist leider immer noch ein drückendes Problem. Jede zuschüsse für Frauenhäuser seit Jahren kontinuierlich vierte Frau hat mindestens einmal im Leben körperliche gekürzt. Zudem ist in den Ländern leider auch ein zu- (B) Gewalt durch ihren Partner erlebt, und Familie ist nicht (D) nehmender Ausstieg aus der institutionellen Förderung immer ein Hort der Geborgenheit. der Frauenhäuser und ein Umstieg auf eine pauschalierte Finanzierung nach Tagessätzen feststellbar. Dies hat gra- Die Bundesregierung hat im September dieses Jahres vierende Auswirkungen auf die Frauenhäuser. Die Kos- „einen Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt ge- ten für Beratung, Unterkunft und Sachkosten werden da- gen Frauen“ verabschiedet, der ein Bündel von Maßnah- durch von der Belegung der Plätze abhängig. Es gibt men vorsieht. Die Bedeutung von Frauenhäusern mit ih- keine Planungssicherheit mehr und es gibt darum kaum ren vielfältigen Hilfsangeboten kommt darin leider nicht mehr Mittel für die präventive und nachsorgende Arbeit. vor. Ich bin der Meinung, dass die Frauenhausfinanzierung für die Länder und Kommunen zur Pflichtaufgabe wer- Auch der Antrag der Regierungsfraktionen vom Sep- den muss. Alle unsere Frauenhäuser brauchen eine Fi- tember dieses Jahres mit dem Titel „Häusliche Gewalt nanzierungsstruktur, die ihnen Planungssicherheit gibt. gegen Frauen konsequent weiter bekämpfen“ hilft da In den Bundesländern sind diese Defizite hinreichend nicht weiter. Zwar wird positiv vermerkt, dass gerade für bekannt. Im Übrigen sind die Länder und Kommunen von Gewalt betroffene Migrantinnen Frauenhäuser von auch für die Beratungsstellen für Frauen zuständig, die besonderer Bedeutung sind, dieses Hilfsangebot würde leider zunehmend abgebaut werden. Für eine bundesein- diese Frauen besser erreichen als andere Hilfsangebote. heitliche Regelung käme ein abgestimmtes Vorgehen der Dann folgt lediglich die Aussage. „Nach wie vor sind die Länder auf der Grundlage einer Vereinbarung in Be- Zufluchtsstätten der Frauenhäuser notwendig“ und dass tracht. Auch wenn alternativ eine bundesgesetzliche Re- der Deutsche Bundestag die klarstellenden Regelung zur gelung initiiert würde, bedürfte diese der Zustimmung Kostenerstattung zwischen den örtlichen Trägern im der Bundesländer. Bisher haben sich die Länder aber Freibetragsregelungsgesetz begrüßt, wonach die bishe- überwiegend gegen eine bundeseinheitliche Regelung rige Wohnortkommune der Kommune am Ort des Frau- ausgesprochen. Dagegen waren in der Vergangenheit im enhauses stets die betreffenden Kosten für die Dauer des Übrigen auch der Teil der Frauenhäuser, die dadurch Aufenthalts der Frau zu erstatten hat. eine Verschlechterung ihrer Finanzierungsstruktur er- Gut ist aber, dass aus dem Bundeshaushalt ein bun- wartet haben. desweites Vernetzungssystem mitfinanziert wird. Die Ich bin froh, dass die Unklarheiten der Kostenerstat- Frauenhauskoordinierungsstelle leistet einen erheblichen tung für Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II im Jahr Beitrag zur Qualitätssicherung und zur qualitativen Wei- 2005 im Sinne der Frauenhäuser geregelt wurden. Der terentwicklung der professionellen Arbeit der Frauen- kommunale Träger am Herkunftsort eines Gewaltopfers häuser. 12912 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Für die Bundesregierung sind die Bundesländer und wird vielfach über eine schleichende Mittelkürzung und (C) die Kommunen zuständig, wie zum Beispiel in Sachsen- eine wachsende Einmischung in die inhaltliche Arbeit Anhalt, wo die Frauenhäuser pauschal nach den vorge- der Frauenhäuser berichtet. haltenen Plätzen einen Zuschuss erhalten. Diese Mei- Als Teil des Sozialsektors werden die Frauenhäuser nung teile ich. Deshalb ist die Forderung der Linken, schrittweise nach den Glaubenssätzen neoliberaler Wirt- Frauenhäuser zu einer öffentlichen Pflichtaufgabe des schaftspolitik umgestaltet. Das heißt: Bundes zu machen, nach der Föderalismusreform nicht zustimmungsfähig. – von einem bedarfsorientierten Zuschuss wird umge- stellt auf die Bezahlung erbrachter Leistungen. Aller- Die weitere Aussage in dem Antrag, „dass Frauen in dings nach künstlich reduzierter Nachfrage einer Notlage aus Kostengründen nicht in eine Frauen- haus gehen können“ ist nicht real. Auch die Aussage, – die Ermittlung des realen Bedarfs an Frauenhausplät- dass sogar „Frauen, die jünger als 25 Jahre alt sind, zu zen wird ersetzt durch die Ermittlung von „Kundin- ihren Eltern zurückgeschickt werden“, als allgemeingül- nen“ mit abrechenbarem Leistungsanspruch tige Aussage in einen Antrag an den Deutschen Bundes- – Qualitätsmanagements mit standardisierten Vorgaben tag aufzunehmen, ist nicht richtig. Ich habe mich einge- werden eingeführt, die allerdings mehr auf Kostenre- hend erkundigt. Es hat keine gravierenden Probleme duzierung als an konkreten Notwendigkeiten orien- gegeben. Die Frauen sind durchweg ALG-II-Empfänge- tiert sind rinnen oder aber verfügten über eigenes Einkommen. – die Frauenhäuser werden in einen Wettbewerb um Klar ist: Die Frauenhäuser nehmen jede Hilfesu- immer weniger Zuwendungsgelder gedrängt, den im- chende auf und klären im Rahmen der sozialpädagogi- mer mehr verlieren. schen Arbeit die weitere Finanzierung. Eine Abweisung einer Schutzsuchenden aus Kostengründen hat es zum Das Ergebnis der Entwicklung in Thüringen: 10 von Beispiel in Sachsen-Anhalt nicht gegeben. Auch meine 25 Frauenhäusern wurden in den vergangenen 3, 4 Jah- Nachfrage in Niedersachsen führte zu denselben Ergeb- ren geschlossen. Glaubt jemand wirklich, dass der Zu- nissen. Weitere Diskussionen werden wir im Familien- fluchtsbedarf in diesem Maß zurückgegangen wäre? ausschuss führen und sicher auch einen Sachstandsbe- richt des Ministeriums über die Ergebnisse der Aber neben diesen finanziellen Schwierigkeiten gibt Arbeitsgruppe „Frauenhaus“ und deren Empfehlungen es eine Reihe weiterer struktureller Probleme durch das erhalten. SGB II: – durch die oft lange Zeit zwischen Beantragung und Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Gewalt gegen ALG-II-Bescheid besteht eine akute Gefahr der Ver- armung, von fehlerhaften Bescheiden einmal ganz (B) Frauen ist kein gesellschaftliches Randproblem, sondern (D) findet inmitten der Gesellschaft statt. Dabei geht es nicht abgesehen nur um körperliche Misshandlungen, Vergewaltigung – Kurzaufenthalte, zum Beispiel über das Wochen- oder sexualisierte Gewalt. Teil des Alltags von Frauen ende, werden nicht finanziert und Mädchen sind Belästigung, Missachtung, Beleidi- gung, Nachstellungen usw. – es gibt keine einmaligen Beihilfen mehr wie noch nach Bundessozialhilfegesetz Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 wurden unbe- stritten Fortschritte erzielt. Es versagt aber, wenn nicht – es fehlt eine bedarfsorientierte, spezifische Förde- für jede von Gewalt betroffene Frau zur Not die Tür ei- rung von Gewalt betroffener Frauen; „Fordern und nes Frauenhauses offen steht, und zwar unabhängig von Fördern“ hat gerade im Kontext Frauenhaus einen ihrer sozialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufent- besonders faden Beigeschmack haltsstatus. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist jedoch – es fehlen individuell ausgestaltete, auf die besondere durch das SGB II in weite Ferne gerückt. Der Zugang ist Situation von Gewalt betroffener Frauen eingehende nur dort abgesichert, wo die Kosten für den Aufenthalt Eingliederungsvereinbarungen zur Integration in den in eine pauschale Förderung der Frauenhäuser einbezo- Arbeitsmarkt gen sind. Wo das nicht der Fall ist, türmen sich unterdes- sen die Probleme. – es fehlen kontinuierliche, speziell geschulte An- sprechpartner/innen bei den Grundsicherungsämtern Ganzen Gruppen betroffener Frauen wird der Zugang erschwert. Dazu gehören alle Frauen, die keinen An- – es fehlen Sonderregelungen für Gewaltopfer im Un- spruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, aber die terhalts-, Umgangs- und Sorgerecht. Kosten des Frauenhausaufenthalts auch nicht selbst Die erschwerten Bedingungen auf der Seite der übernehmen können: also Frauen ohne oder mit zu ge- Frauen stehen der Tatsache gegenüber, dass durch das ringem Einkommen, Auszubildende, Studentinnen und Gewaltschutzgesetz die Arbeitsbelastung der Frauen- Asylbewerberinnen. hausmitarbeiterinnen deutlich gestiegen ist: es werden Wer also nicht selbst zahlen kann, muss in der unmit- mehr Beratungen für Migrantinnen und deren spezielle telbaren Fluchtsituation erst mal ins Grundsicherungs- Situation notwendig; es ist mehr Unterstützung notwen- amt und einen ALG-II-Antrag stellen! Das bedeutet zu- dig bei Antragstellungen und Behördengängen; es ist ein sätzlichen psychischen Druck und erhöht die großer Fortschritt, dass die Interventionsketten unter Zugangshürden. Das Aufnahmeverfahren wird zudem Einbeziehung von Polizei, Gerichten, Jugendamt ausge- weiter bürokratisiert. Die für flüchtende Frauen so wich- baut wurden; aber auch das bedeutet Mehrarbeit für die tige Anonymität kann kaum bewahrt werden. Außerdem Frauenhausmitarbeiterinnen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12913

(A) Die Arbeit der Mitarbeiterinnen wird also einerseits nicht einmal eine Erwähnung wert ist, dass die Frauen- (C) aufgestockt und andererseits weiter bürokratisiert. häuser sich derzeit wachsende Sorgen um ihre Finanzie- Gleichzeitig wird sie inhaltlich komplexer. Hinzu rung machen. Natürlich liegt die Finanzierung in den kommt eine Vielzahl von Finanzanträgen, die erarbeitet Händen der Länder. Aber ignorieren können wir es auf und schließlich auch wieder abgerechnet werden müs- Bundesebene nicht, wenn die Hilfestandards der Frauen- sen, damit das Frauenhaus überhaupt Bestand hat. Im häuser und Beratungsstellen absinken. Durchschnitt müssen 50 Prozent des Etats über Mittel- einwerbung finanziert werden. Deshalb begrüße ich, dass die Linke diesen Antrag eingebracht hat. Ich bin allerdings skeptisch, was die Letztlich geht es in unserem Antrag um die 30 Jahre Aussage betrifft, die Finanzierungsprobleme würden alle alte Forderung der Frauenhausbewegung nach einer in- nur vom neuen SGB II herrühren. So schwarz-weiß sind stitutionellen und bundesweiten Förderung der Frauen- die Dinge wieder einmal nicht, liebe Fraktion Die Linke. häuser. Nach Auffassung der Linken muss bundesweit Die Länder versuchen seit Jahren, an der Finanzierung gesichert werden, dass: alle von Gewalt betroffenen sowohl der Frauenhäuser als auch der Beratungsstellen Frauen eine Zuflucht finden, unabhängig von ihrer so- zu sparen, bis nichts mehr übrig bleibt. zialen Situation, ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltssta- tus; die Zufluchtstätten verlässlich und unabhängig von Übrigens: Auch Sie sind dabei nicht unbeteiligt: In Tages- und Pflegesätzen finanziert sind, die Arbeit der Berlin haben Sie vor gar nicht langer Zeit das Geld für Frauenhausmitarbeiterinnen tatsächlich ihren Schwer- neun Plätze in einem Frauenhaus gestrichen. Erzählen punkt auf dem Gebiet der psycho-sozialen Betreuung der Sie mir nicht, dass das die PDS war und Sie damit nicht betroffenen Frauen hat. verantwortlich sind. Die Ernsthaftigkeit aller Bemühungen um das Thema Aber ich gebe zu, auch das SGB II hat neue Proble- Gewalt gegen Frauen werden daran gemessen werden, matiken geschaffen. Viele haben wir – die Frauenpoliti- ob diese drängenden Probleme gelöst werden. Dabei ist kerinnen der rot-grünen Koalition – sofort in Angriff ge- die Einbeziehung der Mitarbeiterinnen der bundesweit nommen. Zum Beispiel über Handlungsempfehlungen vernetzten Frauenhäuser unerlässlich, um eine erfolgrei- der BA. Damit sind aber nicht alle Probleme gelöst. Das che Lösung zu suchen – den politischen Willen dazu vo- für mich Schlimmste ist, dass mit der in vielen Ländern rausgesetzt. eingeführten kostendeckenden Tagessatzfinanzierung in Verbindung mit der Vermögensprüfung bei Arbeitslosen- Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE geld-II-Empfängerinnen die Verantwortung für die GRÜNEN): Es ist schon seltsam: Zu nachtschlafender Finanzierung eines Frauenhausaufenthalts auf die Zeit setzt die Linke einen wichtigen frauenpolitischen Frauen selbst verlagert wird. Wenn sie genügend Erspar- (B) (D) Antrag auf und wundert sich dann, wenn alle anderen nisse haben, müssen sie persönlich für die Kosten auf- Fraktionen die Reden zu Protokoll geben wollen. Wenn kommen. Damit werden die Opfer selbst für die Folgen Ihnen das Thema wichtig ist, sehr geehrte Damen und der erlebten Gewalt verantwortlich gemacht. Herren von der Linken, warum legen sie es dann nicht in eine vernünftige Zeit? Ich glaube: Weil der Großteil der Ich sehe allerdings Probleme bei der bundeseinheitli- älteren Herren in Ihrer Fraktion das Thema eben für irre- chen Lösung – der Föderalismus macht uns da einen levant hält. Strich durch die Rechnung. Vor ein paar Stunden erst ha- ben wir über Gender Budgeting diskutiert. Das hier ist So ist das heute mit der Gewalt gegen Frauen: Ober- ein gelebtes Beispiel. Wenn wir die Entwicklungen in flächlich gibt es einen breiten Konsens für die Notwen- Ländern und Kommunen nicht aufhalten, ist die finan- digkeit, diese Gewalt zu bekämpfen und ausreichend zielle Verteilung zukünftig: Die Männer begehen die Schutzeinrichtungen zur Verfügung zu stellen. häuslichen Gewalttaten, und die Frauen kommen für die Wie auch heute hier. Wenn es aber um die Frage geht: wirtschaftlichen Kosten auf – persönlich und mit ihrem „Wer soll das bezahlen?“, wird das Problem auf den Vermögen. Das kann es nicht sein, was wir wollen. Prioritätenlisten ziemlich schnell nach hinten durchge- reicht. Wir Grünen waren es, die die Bekämpfung häuslicher Anlage 14 Gewalt von Frauen in die Politik getragen und dafür ge- Zu Protokoll gegebene Reden sorgt haben, dass sie nicht länger nur ein Problem der Opfer ist. Gewalt durch den Partner ist eine der ernsthaf- zur Beratung: testen Bedrohungen für Leib und Leben von Frauen – jede vierte Frau erlebt sie mindestens einmal in ihrem – Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung Leben. Aufgrund einer solchen Bedrohung müssen wir der Beendigung des subventionierten Stein- schon von einem Problem der inneren Sicherheit spre- kohlenbergbaus zum Jahr 2018 (Steinkohle- chen. Es ist niemand anderer als der Staat selbst, der sich finanzierungsgesetz) für den Schutz der Frauen ausdrücklich verantwortlich – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem zeichnen muss. Antrag: Ausstieg aus der Steinkohle zügig Bedauerlich finde ich es deshalb, wenn es der Bun- und zukunftsgerichtet gestalten – RAG-Bör- desregierung in ihrem kürzlich vorgestellten zweiten sengang an marktwirtschaftlichen Grund- Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sätzen ausrichten 12914 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Beim Stichwort Versorgungssicherheit möchte ich (C) Antrag: Ruhrkohle AG in eine Stiftung Folgendes klarstellen. Einen Sockelbergbau, der die öffentlichen Rechts überführen – Börsen- Subventionspolitik ohne Rücksicht auf die Wettbewerbs- gang verhindern fähigkeit festschreibt, darf und wird es nicht geben. Eine Grundfördermenge heimischer Steinkohle ist nach jetzi- (Tagesordnungspunkt 21 a und b) ger Lage im Vergleich zum Weltmarktpreisniveau für Kraftwerkskohle ohne Subventionen nicht darstellbar. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Die Koalition Der gewünschte Sockel von 6 bis 8 Millionen Tonnen bringt heute ein bedeutendes Element einer klugen und Förderung jährlich würde den Steuerzahler 1,5 Milliar- zukunftsorientierten Wirtschafts- und Energiepolitik auf den Euro kosten, wobei der Beitrag der deutschen Kohle den Weg. Dieses ist umstritten, aber aus meiner Sicht am PEV auf 2 Prozent – von derzeit 5 Prozent – sinken dringend notwendig. Die Anhörung am 22. Oktober hat würde. Diese 6 bis 8 Millionen Tonnen lassen sich ohne dies nochmals deutlich gemacht, doch hat sie auch ge- weiteres auf dem weltweiten Kohlemarkt mit einem Vo- zeigt, dass ein Ausstieg aus der Steinkohlesubventionie- lumen von 790 Millionen Tonnen beschaffen. Die deut- rung bereits 2012 möglich ist. Den betriebsbedingten sche Bergbaumaschinenindustrie und deren Zulieferer Kündigungen stünden 12 Milliarden Euro eingesparter sind nicht auf einen Sockelbergbau angewiesen. Die Haushaltsmittel gegenüber, die zur Förderung neuer und Bergbaumaschinenindustrie hat ihre Referenzen schon innovativer Arbeitsplätze genutzt werden könnten, eine heute überwiegend durch Aktivitäten im Ausland und Tatsache, über die wir ja in rund vier Jahren im Bundes- braucht keinen Sockelbergbau, um ihre Zukunft abzusi- tag nochmals beraten werden. chern. Das Steinkohlefinanzierungsgesetz ist ordnungspoli- Der Weg für die Umstrukturierung des ehemaligen tisch eine wichtige Grundsatzentscheidung. Damit wird RAG-Konzerns ist nun endlich frei geworden. Den Spar- der größte Subventionsabbau in der Geschichte der Bun- ten des weißen Bereichs wurde in seinem neuen Outfit desrepublik auf den Weg gebracht. Gleichzeitig ist es ge- als Evonik die nötige Perspektive für die weitere Ent- lungen, einen sozialverträglichen Rahmen zu vereinba- wicklung gegeben. Der Börsengang ist hierzu ein wichti- ren. Die Große Koalition hat mit diesem historischen ger Schritt. Damit erhält der Konzern Zugang zum Kapi- Beschluss einmal mehr ihre Handlungsfähigkeit bewie- talmarkt. Gleichzeitig werden über die Stiftung die sen. Die betroffenen Bergbauregionen haben jetzt den Mittel für die Finanzierung der Ewigkeitslasten des Startschuss für einen zukunftsgerichteten Strukturwan- Bergbaus wie Dauerbergschäden und Wasserhaltung del, für den nun auch neue Mittel frei werden. Es ist aufgebracht und durch die Revierländer abgesichert. weise und eine demokratische Selbstverständlichkeit, (B) Fazit: Deutschland blickt auf 800 Jahre Geschichte (D) dass der Deutsche Bundestag zum festgeschriebenen und Tradition im Steinkohlebergbau zurück. Doch seit Zeitpunkt 2012 überprüft, ob die heutigen energiewirt- 50 Jahren ist der Betrieb nicht mehr kostendeckend, ob- schaftlichen Rahmenbedingungen weiterhin Bestand ha- wohl in dieser Zeit rund 125 Milliarden Euro an staatli- ben. In den letzten 50 Jahren hat die Subventionspolitik cher Unterstützung geflossen sind. Auch wenn ein Aus- im Steinkohlebereich den Steuerzahler rund 125 Milliar- stieg 2012 möglich wäre, kommt es auf weitere sechs den Euro gekostet. Statt weiter Jahr für Jahr mehr als Jahre am Ende auch nicht mehr an. Wichtig ist, dass wir 2 Milliarden Euro in Erhaltungssubventionen zu stecken, einen Konsens mit allen Beteiligten – Beschäftigten, Un- setzen wir ein strategisches Signal für die Zukunft. Dies ternehmen und der Politik – erreicht haben und auch ein ist eine Entscheidung für den Standort Deutschland. Sie klares Ziel festgelegt haben. Deutschland steigt aus ei- zeigt, dass wir in der Lage sind, moderne und zukunfts- nem subventionierten Steinkohlebergbau aus. Mit der gerichtete Strukturen in unserem Land zu schaffen. Mir heutigen abschließenden Lesung ist der Weg endlich frei ist es wichtig hervorzuheben, dass wir die Entscheidung und wir billigen allen Beteiligten die notwendige Flexi- über die Zukunft der deutschen Steinkohle in einem brei- bilität bei der betriebswirtschaftlichen Umsetzung zu. ten Konsens mit allen Beteiligten – einschließlich der Glück auf! Gewerkschaft – getroffen haben. Die subventionierte Förderung der Steinkohle in Deutschland wird bis spä- testens 2018 sozialverträglich beendet. Rolf Hempelmann (SPD): Der heute anstehenden Verabschiedung des Steinkohlefinanzierungsgesetzes Falsch ist – das möchte ich in dieser Runde nochmals beweist diese Koalition auf einem schwierigen Feld ihre betonen – dass der Steinkohlebergbau politisch nicht Handlungsfähigkeit. Wir haben hier im Bundestag den mehr gewollt ist, wie es vonseiten der Gewerkschaften vorliegenden Gesetzentwurf zügig, konzentriert und vor bei der Anhörung verkündet wurde. Wir, die Union, ha- allem ergebnisorientiert beraten und damit die Weichen ben nichts Grundsätzliches gegen Steinkohlebergbau. dafür gestellt, dass der anspruchsvolle Zeitplan eingehal- Wir sind nur dagegen, einen Industriebereich durch ten und auch der Bundesrat noch in diesem Jahr befasst staatliche Subventionen am Leben zu halten, vor allem werden kann. Trotz des engen Termingerüsts haben wir dann, wenn die Förderung nicht dazu beiträgt, dass er in- uns die Zeit für eine gründliche Beratung unter anderem ternational konkurrenzfähig wird. Wenn in Deutschland in einer Öffentlichen Anhörung genommen. Ich denke, ein Unternehmen wieder wettbewerbsfähig Kohle aus dass die Diskussion mit den Sachverständigen sehr deut- der Erde holt, dann soll es das gerne machen. Diesem lich gemacht hat, dass wir mit dem Steinkohlefinanzie- wirtschaftlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit rungsgesetz einen vernünftigen Weg beschreiten. Einen werde ich mich nicht verschließen. Weg, der einen geregelten Anpassungsprozess für die im Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12915

(A) Bergbau Beschäftigten garantiert und zugleich neue in- wird für das Unternehmen das Tor für einen Börsen- (C) dustrielle Wachstumsperspektiven eröffnet. gang aufgestoßen und damit der für die weitere Un- ternehmensentwicklung wichtige Zugang zum Kapi- Ich möchte diese Einschätzung anhand von vier talmarkt ermöglicht. Ganz wichtig war, dass dabei Punkten begründen: die Weichen so gestellt worden sind, dass ein inte- 1. Fragen wir uns doch zunächst einmal ganz grund- grierter Börsengang möglich wird und eine Zerschla- sätzlich, was denn die Alternative zu der jetzt gefun- gung des Unternehmens, die möglicherweise nur die denen Regelung gewesen wäre. Ein schlichtes Wei- Vorstufe etwaiger Marktbereinigungsprozesse gewe- ter-so? Mit Sicherheit nicht. Angesichts einer NRW- sen wäre, vom Tisch ist. Es mag sein, dass bei einer Koalitionsvereinbarung mit einem Ausstiegsdatum Einzelverwertung der Unternehmensteile Chemie, 2010 hätte ein Nichthandeln unweigerlich dazu füh- Energie und Immobilien ein etwas höherer Verwer- ren müssen, dass die frühere RAG – jetzt Evonik In- tungserlös zu erzielen wäre. Aber auch an diesem dustries – für den Bergbaubereich finanziell in die Punkt haben alle, die in der Anhörung gewesen sind, Bresche hätte springen müssen. Man muss kein Pro- dazulernen können. Denn diesen leicht höheren er- phet sein, um zu erkennen, dass dies sehr rasch zu ei- warteten Erlösen – nach begründeten Schätzungen nem Selbstverzehr des Unternehmens, zur Vernich- stehen 5,9 Milliarden Euro im Falle einer Einzelver- tung des Wertes des weißen Bereichs geführt hätte. wertung 5,1 Milliarden Euro bei einer Konglomerats- Allerdings ohne dass damit die Alt- und Ewigkeits- betrachtung entgegen – stehen gewichtige regional- lasten des Bergbaus gedeckt gewesen wären. Diese und industriepolitische Erwägungen entgegen. Der Lasten wären der öffentlichen Hand überlassen wor- integrierte Börsengang erhöht gegenüber anderen den – eine Scheinlösung, die bei rationaler Betrach- Modellen die Überlebensgarantie des Unternehmens, tung kaum als sinnvoll erscheinen dürfte. schafft am ehesten die Voraussetzungen für eine er- folgreiche und dauerhafte Etablierung am Markt. 2. Schon im Rahmen der Koalitionsverhandlungen zwi- Und genau deshalb liegt eine Politik, die Rahmenbe- schen CDU/CSU und SPD – und ich erinnere mich dingungen für einen Börsengang des Gesamtkon- sehr genau daran – haben wir gemeinsam festgelegt, zerns schafft, im fundamentalen Interesse der knapp den weiteren Anpassungsprozess im subventionier- 50 000 Beschäftigten des neuen Unternehmens – ein ten deutschen Steinkohlenbergbau sozialverträglich Zusammenhang, der übrigens im vorliegenden An- auszugestalten. Dieser Vorgabe kommen wir mit dem trag der Linken vollständig verkannt wird. vorliegenden Gesetz nach. Wir sehen vor, den sub- ventionierten Steinkohlenbergbau im Jahr 2018 zu 4. Nicht zuletzt stellen wir auf der Grundlage des Mo- beenden und behalten uns gleichzeitig vor, diese Ent- dells integrierter Börsengang sicher, dass der zu er- (B) scheidung 2012 auf der Grundlage der dann aktuel- zielende Kapitalisierungserlös zur Absicherung der (D) len energiewirtschaftlichen Erkenntnisse – das Ewigkeitslasten des Bergbaus ausreicht. Die Finan- schließt übrigens Preisaspekte ebenso ein wie den zierung der Ewigkeitslasten, also der Kosten in erster Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit – noch ein- Linie für die Grubenwasserhaltung, den Bereich der mal zu überprüfen. Beide Daten – 2012 und 2018 – Dauerbergschäden, und die Grundwasserreinigung sind mit Bedacht gewählt. Das Jahr 2012, weil zu wird im Rahmen eines Erblastenvertrags zwischen diesem Zeitpunkt noch eine echte Korrekturmöglich- der RAG-Stiftung und den Ländern NRW und Saar- keit existiert und der Zugang zu den Lagerstätten tat- land geregelt. Die notwendigen Mittel werden aus sächlich noch offen steht. Und auch das Datum 2018 dem durch den Börsengang des weißen Konzernbe- ist keinesfalls zufällig gewählt. Es gibt ja auch hier reichs gespeisten Stiftungsvermögen bestritten. In im Hause einige, die meinen, ein weitaus früherer diesem Zusammenhang hat die Anhörung keine An- Ausstieg, zum Beispiel schon 2012, wäre auch mög- haltspunkte dafür ergeben, dass dieses Ziel auf der lich gewesen. Gutachten haben in diesem Punkt sehr Grundlage der vorgesehenen Regelung verfehlt klar gezeigt, dass diese Einschätzung neben der Re- würde. Nach dem Urteil der Experten ist also eine alität liegt. Wer den Kurs der Sozialverträglichkeit mit zusätzlichen Belastungen verbundene Gewähr- nicht verlassen und betriebsbedingte Kündigungen leistungshaftung der Kohleländer und mittelbar des vermeiden will, für den erübrigen sich alle Spekula- Bundes nicht zu befürchten. Auch dies ist ein wichti- tionen mit mehr oder weniger willkürlich gegriffenen ges Ergebnis der Anhörung. Jahreszahlen. Wir stehen deshalb zu der im Februar Alles in allem liegt damit ein mehr als brauchbarer zwischen dem Bund, den Kohleländern, der IGBCE Entwurf vor, mit dem es gelungen ist, die verschiedenen und der RAG getroffenen Rahmenvereinbarung, ge- industrie-, sozial- und finanzpolitischen Zielsetzungen rade weil sie den Bergleuten und ihren Familien die miteinander zu verbinden. Wir sollten ihn deshalb heute Planungssicherheit bis 2018 gibt, die sie auch ver- mit großer Mehrheit verabschieden. dient haben. 3. Wir schaffen aber mit dem Steinkohlefinanzierungs- Ulla Lötzer (DIE LINKE): Die Folgen des heutigen gesetz nicht nur die Grundlage für eine verantwortli- Beschlusses für das Steinkohlefinanzierungsgesetz sind che Ausgestaltung des weiteren Auslaufprozesses im klar absehbar: Arbeitsplätze werden abgebaut, Ausbil- Bergbau. Wir eröffnen zugleich eine Chance für in- dungsplätze werden vernichtet, die Steuerzahlerinnen dustrielles Wachstum und Beschäftigung in unserem und Steuerzahler werden mit Kosten in noch unabsehba- Land. Durch die Auflösung des Haftungsverbundes rer Höhe belastet, nur einige wenige private Investoren 12916 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) werden satte Gewinne einfahren. Das ist Ihre Politik, Auch aus der Kritik des Bundesrechnungshofes, dass (C) meine Damen und Herren von der Koalition, eine Politik Bund und Länder zu wenig Einfluss auf die Stiftung ha- für den Profit Weniger zulasten der Allgemeinheit. ben, werden nach wie vor keine Konsequenzen gezogen. Es bleibt dabei, Staatsferne für die Gewinne und bei den Der Evonik-Chef und frühere Wirtschaftsminister Entscheidungen, bei der Haftung aber ist die Allgemein- Müller erklärte dazu in der Anhörung des Wirtschafts- heit dran. ausschusses lapidar: Wenn Unternehmen abgebaut wür- den, gingen eben auch die damit verbundenen Wohlfahr- Und wir fordern Sie auf, eine tragfähige Strukturpoli- ten flöten. Evonik jedenfalls sehe keine Veranlassung, tik für die Bergbauregionen zu entwickeln. Trotz einge- einen Ausgleich zum Beispiel für den Ausbildungsplatz- sparter 8 Milliarden bei den Subventionen bis 2018 sol- abbau bei der Deutschen Steinkohle AG zu schaffen. len im Ruhrgebiet nicht nur die Zechen dicht gemacht werden, sondern auch keine Ersatzarbeitsplätze geschaf- Durch den Börsengang der RAG werden so Unter- fen werden. Hier gäbe es große Chancen und Potenziale, nehmen geschaffen, die keine Sozialverpflichtung mehr aber nur wenn man sie nutzt und fördert. Deshalb brau- kennen. Die Folge ist, dass im Ruhrgebiet 2 400 Ausbil- chen wir ein Strukturprogramm, das die vorhandenen dungsplätze und unzählige Arbeitsplätze auf dem Spiel Kompetenzen in den Bergbauregionen, zum Beispiel im stehen. Hier wird die Zukunft vieler junger Leute ver- Maschinenbau nutzt. Wir brauchen eine gezielte Ansied- spielt, in einer Zeit in der es so wichtig wäre, gerade den lungsstrategie für Energieeffizienztechniken und den jungen Menschen eine tragfähige Perspektive zu bieten. Anlagenbau im Bereich erneuerbarer Energie. Nieder- Auch die Landesregierung und die Bundesregierung sachsen hat längst die Zeichen erkannt und profitiert stehlen sich aus der Verantwortung, mit dem Konzern inzwischen enorm vom Windanlagenbau. Die Bergbau- Verhandlungen zu führen, die diese Ausbildungsplätze regionen müssen nun versuchen, da Anschluss zu be- sichern. kommen. Solange, bis ausreichend Ersatzarbeitsplätze geschaffen worden sind, dafür die Gelder zu nutzen, die Als Begründung für den Börsengang wird immer wie- durch die Reduzierung der Steinkohlesubventionen frei der herangezogen, dass der Konzern Evonik damit einer werden. tollen Zukunft zugehe und damit auch Nordrhein-West- falen. Doch dies wurde in der Anhörung widerlegt. Auf die Frage, ob sich diese glänzenden Aussichten in Ar- Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beitsplätzen für das Ruhrgebiet niederschlage, konnte Nun hat es auch die Bundesregierung endlich verstanden, Steinkohle hat in Deutschland keine Perspektive. Mit Herr Müller nichts Positives vermelden. Ersatzarbeits- rund 21 Millionen Tonnen deckt deutsche Steinkohle plätze seien nicht absehbar, außer einigen Hundert im heute gerade noch vier Prozent des gesamten Primärener- (B) Chemiepark Marl. (D) gieverbrauchs in der Bundesrepublik. Selbst Frau Nicht zuletzt daran zeigt sich, dass es falsch ist, zu- Thoben, immerhin CDU Mitglied und Ministerin für gunsten des Börsengangs auf eine öffentlich-rechtliche Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nord- Stiftung zu verzichten. In der Anhörung des Wirtschafts- rhein-Westfalen hat in ihrer Stellungnahme zur Anhörung ausschusses wurde deutlich, dass in der Debatte war, am 22. Oktober festgestellt: Der heimische Steinkohlen- eine öffentlich-rechtliche Stiftung, wie wir sie fordern, bergbau hat bei realistischer Betrachtung wirtschaftlich einzurichten. Aber die Beteiligten haben dies letztlich keine Zukunft. Wegen der niedrigen internationalen Ge- abgelehnt mit der Begründung, dass die Aufrechterhal- stehungskosten ist die Förderung deutscher Kohle schon tung eines staatlicher Einfluss auf die RAG den Preis lange nicht mehr wettbewerbsfähig, es ist nicht absehbar, von Evonik an der Börse geschmälert hätte. Eine kurz- dass die Schwelle der Wirtschaftlichkeit auch nur im An- sichtige Sichtweise von Politikern, die vor lauter Euros satz erreicht werden könnte. Anstatt eine Tonne deutscher vor Augen, die vielleicht kurzfristig in die Kasse kom- Kohle zu fördern, können mit demselben Geld rund drei men, die Gesamtkosten, die letztlich von allen zu tragen Tonnen Importkohle erworben werden. sein werden, beiseite schieben. Es hat leider sehr lange gedauert, bis diese Einsicht gekommen ist und unsere Bürgerinnen und Bürger hat Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren von das sehr viele Steuergelder gekostet. Nach Berechnun- der Regierungskoalition, ist es jedoch, wenn Sie schon gen des Forums für Wirtschafts- und Finanzpolitik wa- diesen falschen Weg einschlagen, wenigstens die negati- ren das in den Jahren 1958 bis 2002 rund 128 Milliarden ven Folgen abzumildern. Deshalb fordern wir Sie auf, Euro. Es gibt kaum andere Subventionsarten in Deutsch- sich wenigstens jetzt gemeinsam mit dem Land Nord- land, die über einen so langen Zeitraum auf einem derart rhein-Westfalen für ein Konzept für eine Verbundausbil- hohen Niveau aufrechterhalten wurden. Noch heute füh- dung einzusetzen. Alle bergbaufremden Betriebe in den ren die Steinkohlensubventionen mit Abstand die Liste Bergbauregionen, die bisher von den hoch qualifizierten der 20 größten Finanzhilfen an, die regelmäßig im Sub- Fachkräften der DSK profitiert haben müssen jetzt in die ventionsbericht der Bundesregierung veröffentlicht wer- Pflicht genommen werden. Dies gilt auch für Evonik den. und die RAG-Stiftung. Als Partner für die Verbundaus- bildung sind auch die Gewerkschaften, Handwerkskam- Bis 2018 soll der unwirtschaftliche deutsche Stein- mern, regionale Industrie- und Handelskammern, die kohlenbergbau mit weiteren 38 Milliarden Euro aus Agentur für Arbeit und die Kommunen aktiv zu beteili- Bundesmitteln unterstützt werden. Das ist nichts anderes gen. als hoch subventionierte Klimazerstörung und Geldver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12917

(A) schwendung. Diese Gelder fehlen für mehr Zukunfts- den. Es sollte noch einmal sehr genau geprüft werden, ob (C) energien, Klimaschutz und so auch für neue verlässliche es nicht mehr Sinn macht, Degussa, STEAG und RAG- Arbeitsplätze der Beschäftigten im Kohlenbergbau. Ein Immobilien einzeln zu veräußern und sie nicht, wie ge- konsequentes Programm für Erneuerbare Energien ge- plant, im Paket an die Börse zu bringen. rade in den Kohleregionen böte die Möglichkeit auch für diese letzten Beschäftigten verlässliche und zukunftssi- Da passt es ja auch ins Bild, dass der Bundesrech- chere Arbeitsplätze zu schaffen. Wir von Bündnis 90/ nungshof für die Steinkohlestiftung keine Prüfbefugnis Die Grünen fordern daher einen Ausstieg bereits 2012 erhalten soll. Hier schaffen Sie einmal mehr Intranspa- und haben hierzu einen Entschließungsantrag einge- renz statt Klarheit. Der Deutsche Bundestag sollte alle bracht, über den heute ebenfalls abgestimmt wird. diese Fragen noch einmal sehr genau untersuchen. Aber noch nicht einmal zu dem Ziel des Ausstiegs Wir sprechen hier heute über einen Antrag der FDP 2018 steht die Bundesregierung verbindlich. Im Entwurf zum Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und des Steinkohlefinanzierungsgesetz steht eine erneute Be- Basel. Mit dem Bau des 3. und 4. Gleises für den Güter- gutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbeschlusses verkehr auf der Schiene wird ein europäisches Großpro- im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land Nordrhein- jekt in Angriff genommen. Die Bundesrepublik hat sich Westfalen in den Verhandlungen die Kohlensubventio- zu diesem Kapazitätsausbau verpflichtet. Mit dem Staats- nen bereits 2014 beenden. Die Bundesregierung kannte vertrag von Lugano 1996 stehen wir der Schweiz gegen- die Begutachtung und Überprüfung des Ausstiegsbe- über im Wort, den Ausbau der Zulaufstrecke zum Lötsch- schlusses im Jahr 2012. Dabei wollte sogar das Land berg- und Gotthardtunnel sicherzustellen. Nordrhein-Westfalen in den Verhandlungen die Kohlen- Dieser Ausbau ist dringend erforderlich – aus ver- subventionen bereits 2014 beenden. Die Bundesregie- kehrspolitischen Gründen wie aus Gründen des Klima- rung konnte die Verlängerung der Kohlenförderung aber und Umweltschutzes. Kann der geplante Güterverkehr nur durchsetzen, indem sie den Anteil des Landes Nord- nicht auf der Schiene stattfinden, dann wird er über die rhein-Westfalen an den Subventionen von 2015 bis 2018 Straße rollen. Damit würden die Menschen, die Umwelt übernimmt. Ohne Not hat der Bund zusätzliche Belas- und die Landschaft viel stärker belastet. Bündnis 90/ tungen übernommen, weil sich die SPD erneut als Die Grünen haben ein zentrales Anliegen: Wir wollen Schutzmacht der Kohle profilieren will. Es ist illusorisch möglichst schnell möglichst viel Güterverkehr von der zu glauben, dass sich der Wettbewerbsnachteil heimi- Straße auf die Schiene verlagern. Dazu brauchen wir den scher Kohle in den nächsten Jahrzehnten aufheben wird. Kapazitätsausbau im Rheingraben dringend. Der Ausbau Die geologischen Nachteile Deutschlands bleiben ein der Rheintalbahn wird auch zu einer deutlichen Entlas- dauerhaftes Handicap. tung der Anwohner an der Altstrecke führen. Diese Ent- (B) lastung begrüßen wir sehr, da sie Tausenden von An- (D) Das können auch unsere Kohlebarone nicht ignorie- wohnern zugute kommt. Zurzeit wird gerade in der ren, vorneweg Herr Müller von EVONIK und Herr Region Freiburg mit dem Lärmsanierungsprogramm des Tönjes von der Deutschen Steinkohle AG die uns in der Bundes die Situation an einzelnen, besonders belasteten Anhörung allen Ernstes glaubhaft machen wollten, deut- Punkten der Altstrecke entschärft. Das ist im Sinne des sche Steinkohle hätte eine Zukunft. Selbst die Kollegin- Lärmschutzes sehr zu begrüßen. Letztlich ist das aber nen und Kollegen der Regierungsfraktionen machen im nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil es sich hier Wirtschaftsausschuss keinen Hehl mehr daraus, dass der um freiwillige „Reparaturmaßnahmen“ ohne gesetzli- Zug der Deutschen Steinkohle endgültig abgelaufen ist. chen Anspruch handelt. Es macht ökologisch und ökonomisch überhaupt kei- Auch mit dem vergleichsweise umweltfreundlichen nen Sinn, die Subventionen bis 2018 weiterlaufen zu las- Transportmittel Bahn kommen große Belastungen auf sen. Nach einem Gutachten von KPMG zur Bewertung Mensch und Umwelt im Rheingraben zu. Was können der Stillsetzungskosten und der Ewigkeitslasten liegen wir realistischerweise tun, um diese Belastungen so ge- die Kosten der Stilllegung für 2012, 2014, 2016 und ring wie möglich zu gestalten? 2018 in gleicher Höhe nämlich bei knapp 14 Milliarden Euro. In keinem der Fälle wird es zu betriebsbedingten Der beste und auch günstigste Weg beim Lärmschutz Kündigungen kommen. ist die Vermeidung der Entstehung von Lärm. Die Ver- meidung der Lärmentstehung durch neue leisere Wagen Selbst der geplante Börsengang von EVONIK birgt und durch Umrüsten des Altmaterials ist der effizienteste erhebliche Risiken für die öffentliche Hand. Die neu ge- und günstigste Weg, die Güterzüge leiser zu machen. Ein schaffene Steinkohlenstiftung trägt zwar die Ewigkeits- europaweites Umrüstprogramm nach dem heutigen kosten und für den Fall, dass das Vermögen nicht aus- Stand der Technik würde eine Halbierung des Lärms be- reicht, treten die Kohlenländer in Haftung. Der Bund hat deuten. Für relativ wenig Geld lässt sich das Bremssys- sich aber auch hier wieder ohne Not bereit erklärt, tem jedes alten Waggons umrüsten. So entsteht ein 30 Prozent der Kostenrisiken zu übernehmen. Es ist gut, Lärm, der vom menschlichen Ohr nur noch halb so laut dass entsprechend unserer Forderungen keine dauerhafte wahrgenommen wird. Sperrminorität der Steinkohlenstiftung an den Unterneh- men des weißen Bereichs festgeschrieben wurde. We- Im Juni wurde dieses Umrüstprogramm hier im Bun- sentlich ist, dass die Risiken für die öffentliche Hand re- destag beschlossen. Da sind wir alle dafür. Für diesen duziert werden und die Unternehmen des weißen sehr sinnvollen Weg haben wir uns erfolgreich einge- Bereichs strukturpolitisch sinnvoll weiterentwickelt wer- setzt. Für die tatsächliche und europaweite Umsetzung 12918 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) bis zur Inbetriebnahme des 3. und 4. Gleises der Rhein- letzten Jahren gemacht haben? Regionale Abgeordnete (C) talbahn – unter anderem durch die Einführung lärm- der CDU und der SPD aus dem Bundestag und aus dem abhängiger Trassenpreise – werden wir kämpfen. Stuttgarter Landtag haben vor Ort immer viel mehr Lärmschutz versprochen als er gesetzlich vorgeschrie- Nun zu den vier Forderungen zu einzelnen Strecken- ben ist. Das Land Baden-Württemberg verschleudert abschnitten im Antrag der FDP. Diese vier Forderungen beim Projekt Stuttgart 21 ohne Not eine Milliarde Euro. übernimmt die FDP von den Bürgerinitiativen im Rhein- Wir sind sehr gespannt, wie viel Geld die CDU/FDP- graben. Da die in Abs. II an die Bundesregierung gerich- Landesregierung für das Projekt Ausbau der Rheintal- teten Forderungen in der Gesamttendenz richtig sind, bahn zur Verfügung stellen wird. Und wir sind sehr neu- werden wir dem FDP-Antrag zustimmen. Wir schließen gierig, was aus den forschen Worten der SPD-Opposi- uns einer sorgfältigen Prüfung der einzelnen Forderun- tion im Ländle in Berlin wird. Dort ist man mit an der gen generell an, auch wenn wir manche Details anders Regierung, dort will man dann häufig nichts mehr von sehen. dem wissen, was man – wie zum Beispiel die Abschaf- Nun noch eine Bewertung im Detail: fung des Schienenbonus – vor Ort bei den Betroffenen gefordert hat. Zu Forderung eins: Die bisherige Planung zu Offen- burg kann so nicht bleiben, da die bereits hohe Belastung der Offenburger Innenstadt sich noch drastisch ver- Anlage 15 schärft. Offenburg ist ohne Zweifel der problematischste Punkt der gesamten Neubaustrecke mit den meisten di- Zu Protokoll gegebene Reden rekt betroffenen Anwohnern. Wir fordern eine detail- zur Beratung des Antrages: Umweltqualitäts- lierte Prüfung einer Tunnel-Lösung für Offenburg unter normen im Bereich Wasserpolitik – Forderun- Berücksichtigung des Lärm- und Erschütterungsschutzes gen des Europäischen Parlaments aufgreifen sowie des innerstädtischen Flächenverbrauchs. und ausweiten (Tagesordnungspunkt 22) Zu Forderung zwei: Eine Bündelung der Linienfüh- rung von Offenburg bis Freiburg von Neubaustrecke und Ulrich Petzold (CDU/CSU): Von alters her und wohl A 5 halten wir Grünen für die sinnvollste Variante der in jeder Kultur gilt das Vergiften eines Brunnens als ein Trassenführung. Diese muss im Planfeststellungsverfah- außerordentlich schweres Verbrechen. In der Zeit der In- ren gleichrangig mit anderen Varianten im Hinblick auf dustrialisierung ist das diesbezügliche Unrechtsbewusst- Landschaftsverbrauch, Lärmschutz und Betriebssicher- sein leider zurückgegangen. Doch Brunnenvergifter im heit geprüft werden. ursprünglichen Sinn – gibt es die noch? (B) (D) Zu Forderung drei: Die zusammen mit anderen bauli- Der Verbrauch von Wasser in beliebiger Menge und chen Maßnahmen vorgeschlagene teilweise Trassenab- in höchster Qualität ist in den Industrieländern eine senkung im Freiburger Streckenabschnitt soll geprüft Selbstverständlichkeit, und nur wenige machen sich Ge- werden Dieses für eine deutliche Lärmreduzierung vor- danken um ihr Handeln, wenn es gilt, ihre Wünsche mit geschlagene Maßnahmenbündel stellt eine klare Verbes- ihrem Handeln in Übereinstimmung zu bringen. Dass serung der bisherigen Bahnplanungen dar. Das Maßnah- das persönliche Verhalten bei der Entsorgung von Abfäl- menpaket, das in einer von den betroffenen Kommunen len oder Abwasser, ihr Wirtschaften oder sonstiges Ver- finanzierten Ingenieursstudie im Detail erarbeitet wurde, halten in der Natur direkten Einfluss auf das Wasser hat, verdient eine sorgfältige Prüfung im Planfeststellungs- das sie wie selbstverständlich aus der Wasserleitung verfahren. konsumieren und entnehmen, ist vielen Menschen leider Zu Forderung vier: Auch eine Trassenabsenkung mit gar nicht richtig bewusst. Nein, es stellt sich heute nie- Teildeckelung des Streckenabschnitts vom Südportal des mand mehr hin und verschmutzt oder vergiftet wissent- Mengener Tunnels bis südlich von Buggingen soll ge- lich und zielgerichtet Trinkwasserbrunnen. Die Vergif- prüft werden. Die ursprüngliche Maximalforderung, die- tung erfolgt viel subtiler und nicht am Brunnen selbst. sen Streckenabschnitt ganz zu untertunneln, wird nicht Der Landwirt, der Felder überdüngt, der Unternehmer, mehr erhoben. Das begrüßen wir. der bei wassergefährdenden Prozessen nicht auf eine ordnungsgemäße Sperrschicht achtet, die achtlos wegge- Unser abschließendes Fazit: Wir begrüßen das Nach- worfene Farbbüchse oder Batterie oder das in die Toi- hintenziehen des Prognosehorizonts aufs Jahr 2025, weil lette gespülte Medikament – das sind die modernen das ein realistischerer Zeitpunkt für den tatsächlichen Brunnenvergifter. Meist Unachtsamkeit, oft aber auch Güterverkehr auf der Strecke ist. Sollten von Land oder übersteigertes Gewinnstreben oder pure Bequemlichkeit Bund zusätzliche Mittel für den baulichen Lärmschutz gefährden das Wasser, das wir als Grundwasser in unse- bereitgestellt werden, – also Gelder, die über die gesetz- ren Brunnen wiederfinden. Auf der anderen Seite schaf- lichen Verpflichtungen hinaus fließen – so sollte dieses fen modernste Messmethoden die Voraussetzung, Stoff- Geld an den kritischsten Punkten eingesetzt werden. Der konzentrationen zu messen, die noch vor wenigen Jahren kritischste Punkt ist für uns Offenburg, weil dort die um Potenzen unter den messbaren Konzentrationen la- meisten Menschen am härtesten und am direktesten be- gen. troffen sind. Letztendlich war es die Sorge um unsere natürlichen Was wird aus den großen Versprechungen, die die Lebensgrundlagen, die das Europäische Parlament im Abgeordneten der Großen Koalition in der Region in den Mai 2007 bewogen hat, dafür zu stimmen, dass 28 wei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12919

(A) tere Stoffe in die Liste der prioritären Stoffe der Euro- Die Forderung, PCB und Dioxine in die Liste der (C) päischen Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden prioritären Stoffe aufzunehmen, ist zwar aufgrund deren sollen. Umweltverbände hatten ihre Wünsche und Er- hoher Schadwirkungen verständlich. Es muss jedoch kenntnisse zu der Gefährlichkeit von Stoffen an die EU- festgestellt werden, dass diese Stoffe zurzeit kein Ge- Abgeordneten herangetragen. Daraus war dann die Liste wässerproblem darstellen. Nur in einigen alten Transfor- von 28 Stoffen entstanden, die die 33 bisherigen prioritä- matoren ist noch PCB enthalten, und es darf in Deutsch- ren Stoffe ergänzen sollten. Doch genau das war nicht land schon längst nicht mehr neu eingesetzt werden. der Weg, der in der Europäischen Union verabredet war. Somit ist PCB ein Auslaufproblem. Bei Dioxinen muss man wissen, dass dieses bei Verrottungsvorgängen natür- Wie in dem vorliegenden Antrag richtig vermerkt ist, lich entsteht und somit immer auch eine Hintergrundbe- müssen die bestehenden Auflagen und Vorgaben der lastung vorhanden ist. Dass trotzdem die Einhaltung von EU-Wasserrahmenrichtlinie ergänzt und überarbeitet Schadstoffgrenzwerten auch bei Dioxinen kein Problem werden. Dazu hat die Europäische Union eine Arbeits- darstellt, sollte bei den überbordenden Forderungen auch gruppe gebildet, die sich intensiv und wissenschaftlich wieder etwas Vernunft einziehen lassen. exakt mit Stoffen beschäftigt, deren Gefährlichkeit in- frage steht. Die Dosis macht das Gift – diese Weisheit Die gleiche Vernunft und auch Augenmaß fordern wir des Paracelsus gilt auch bei den Umweltgiften. Es ist ex- bei den im Antrag als „neuartige Problemstoffe“ benann- akt zu arbeiten, und gut gemeint ersetzt auch in diesem ten Substanzen ein. Es handelt sich hierbei um pharma- Fall keine fachliche Arbeit. zeutisch aktive Wirkstoffe, die von Organismen natür- lich oder nach Einnahme von Präparaten verändert oder Deshalb ist die Entscheidung der EU-Umweltminister unverändert wieder ausgeschieden werden. So neuartig, vom 28. Juni dieses Jahres, die vom EU-Parlament vor- wie der Antrag den Eindruck erwecken will, sind uns geschlagenen 28 Stoffe nicht kurzfristig in die Liste der Auswirkungen von Arzneimittelrückständen und hormo- gefährlichen Substanzen aufzunehmen, so nicht zu kriti- nell wirksamen Stoffen nicht. Zahlreiche Kongresse, sieren. Auch wenn die fachlich exakte Arbeit mit allen Kolloquien und Untersuchungen haben sich mit dem notwendigen Diskussionen und Abstimmungen etwas Problem befasst. Im April dieses Jahres hat sich auch länger dauert als von Umweltverbänden gewünscht, ist wieder der Sachverständigenrat für Umweltfragen zum sie doch übereilten Entscheidungen vorzuziehen. Die da- Thema Arzneimittelrückstände geäußert und festgestellt, ran im Antrag geübte Kritik ist daher fachlich und sach- „dass viele der eingesetzten Wirkstoffe nur in geringen lich nicht begründet. Konzentrationen in die Umwelt gelangen und meist sehr kurzlebig sind“. Von 3 000 eingesetzten Wirkstoffen Bedenklich sind hingegen Beschlüsse, die im Antrag sind circa 80 in Kläranlagen zu finden. Dort erfolgt ein als „Aufweichung der Prioritäre-Stoffe-Richtlinie“ be- weitgehender Abbau, bevor das gereinigte Abwasser in (B) zeichnet werden. So ist es auch unserer Meinung nach (D) die Vorfluter entlassen wird. Die im Grundwasser aufge- falsch, dass man sich nicht auf EU-einheitliche Emis- fundenen Spuren von Arzneimittelrückständen liegen sionsregelungen geeinigt hat. Schon allein mögliche meist um mehrere Zehnerpotenzen unterhalb von Kon- Wettbewerbsverzerrungen hätten damit eingedämmt zentrationen, die für eine lebenslange Aufnahme beim werden können, geschweige denn, dass in vielen Fällen Menschen toxikologisch ableitbar gesundheitlich duld- nur so ein guter chemischer Zustand von Oberflächenge- bar sind. Wir wissen jedoch, dass die pharmazeutisch ak- wässern hergestellt werden kann. Deswegen sind wir si- tiven Wirkstoffe, aber auch solche Substanzen wie das cher, dass vonseiten der Bundesregierung alles Erdenkli- 17α-Ethinyl-Estradiol, welches Sie in Ihrem Antrag an- che getan wird, die europäischen Partner vom Wert von sprechen, auf diverse Organismen unterschiedliche Ef- Emissionsgrenzwerten zu überzeugen. Eines eigenen fekte haben können. Hier können schon bei geringsten Antrages, um die Bundesregierung zum Handeln zu ver- Konzentrationen Wirkungen auftreten, wie sie uns si- anlassen, hätte es, wie Sie selbst wissen, dazu nicht be- cherlich allen von der Auswirkung minimaler Spuren durft. humaner weiblicher Hormone auf Krallenfrösche be- Anders sehen wir das bei der Möglichkeit, die die kannt sind. EU-Mitgliedstaaten in Zukunft haben, bei Schadstoffbe- Daher ist es richtig, dass im Gesetz über den Verkehr stimmungen in Gewässern flexibler vorzugehen. Wir mit Arzneimitteln 2006 eine Umweltverträglichkeitsbe- sind es in Deutschland gewöhnt, Schadstoffkonzentratio- wertung eingeführt bzw. erweitert wurde. Auch die Euro- nen im Wasser direkt zu messen. Insbesondere Großbri- päische Arzneimittelagentur hat mit der am 1. Dezember tannien, aber auch Frankreich bevorzugen Biota-Mes- 2006 in Kraft getretenen „Guideline on the environmental sungen. Dazu werden die Schadstoffkonzentrationen in risk assessment of medicinal products for human use“ Gewässerorganismen oder auch Sedimenten gemessen. diesbezüglich das richtige Signal bereits gesetzt. Dass wir Unserer Auffassung nach kommt es indes nicht darauf gerade auch hier Augenmaß einfordern, geschieht allein an, wie Schadstoffkonzentrationen gemessen werden, vor dem Hintergrund einer hohen Verunsicherung der sondern es muss eine Vergleichbarkeit der Messergeb- Menschen. Wenn im Jahr 2005 bei Google 531 000 meist nisse erreicht werden. Nach Aussage der Fachleute ist besorgten Einträgen zu Arzneimittelrückständen gerade auch nach der Flexibilisierung die geforderte Vergleich- einmal 34 wissenschaftliche Beiträge gegenüberstehen, barkeit in jedem Fall gegeben. Im Gegenteil darf sogar dann kann man nur vor Panikmache warnen. angenommen werden, dass die vorgeschriebenen Kon- zentrationsgrenzen bei den Messungen in Biota und Se- Insgesamt ist festzustellen: Wir haben zum Beispiel dimenten strenger ausfallen. gerade auch mit REACH einen sehr guten Ansatz, 12920 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Schadstoffemissionen in den Griff zu bekommen. Es möchte ich hier insbesondere die Chemikalienpolitik, (C) wäre wichtig, zwischen den prioritären Stoffen der Was- einschließlich REACH, anführen. serrahmenrichtlinie und solchen Eingruppierungen wie der von REACH eine Abstimmung zu entwickeln. Un- Der Richtlinienvorschlag stellt einen wesentlichen terschiede in der Bewertung könnten die Glaubwürdig- Beitrag zur Verminderung der Gewässerbelastung durch keit unserer Chemikalien- und Umweltpolitik schädigen. Festlegung von gemeinschaftlichen Umweltqualitätsnor- Das sollte, ja, das darf uns nicht passieren. Deswegen men für prioritäre Stoffe dar. Er leistet auch einen we- sind auch Schnellschüsse auf dem Gebiet sehr problema- sentlichen Beitrag zur Umsetzung der Ziele der OSPAR- tisch. Die fundierte, fachlich gute Arbeit der Bundesre- Konvention. gierung im Bereich des Wasserschutzes sollte deshalb Der Richtlinienvorschlag ist in der EU intensiv bera- von uns unterstützt und nicht kritisiert werden. ten worden. Deutschland konnte während seiner EU- Ich gebe zu, dass ich mich in einem Punkt sehr über Präsidentschaft die politische Einigung im Rat erreichen. Das ist eine gute Ausgangslage für einen gemeinsamen den Antrag geärgert habe. Wenn es darin heißt: „Der Standpunkt von Rat und Europäischem Parlament zur Bundestag fordert die Bundesregierung auf, dafür Sorge harmonisierten Sicherung des Gewässerschutzes in Eu- zu tragen, dass die Wasserrahmenrichtlinie nicht aufge- ropa. Der erreichte Kompromiss ist gekennzeichnet von weicht wird“, oder „dafür Sorge zu tragen, dass neue großer Flexibilität der Anwendung der Umweltqualitäts- prioritäre Stoffe von der EU aufgenommen werden“, so normen und geringem Verwaltungsaufwand. Um die zeugt diese Formulierung von keinem großen Demokra- Effizienz der Umsetzung in den Mitgliedstaaten weiter tieverständnis. Dafür Sorge zu tragen, heißt: „hat durch- zu verbessern, hat die Kommission eine Erklärung abge- zusetzen“. Der Antrag fordert die Bundesregierung apo- geben, in der sie sich verpflichtet, so rasch wie möglich diktisch auf, ihre Ziele in der EU durchzusetzen. Auch nach Inkrafttreten der Richtlinie Leitlinien für ihre Um- wenn es das Richtige in der Sache ist: Eine Zwangsbe- setzung festzulegen. glückung ist immer falsch. Zu einer Zwangsbeglückung aufzurufen oder sie, wie in dem Antrag, einzufordern, ist Die von der Präsidentschaft zur Frage der Emissions- nicht unsere Sache. Die Nachhaltigkeit gerade im Um- minderungsmaßnahmen vorgeschlagene Überprüfungs- weltschutz ist umso größer, je mehr auch der Partner klausel sehe ich positiv. Auf der Grundlage der Berichte vom richtigen Handeln überzeugt ist. Dieses Handeln der Mitgliedstaaten wird die Notwendigkeit zusätzlicher zwangsweise von anderen Staaten streng und intolerant spezifischer Emissionsbegrenzungen geprüft. einzufordern, ist etwas, was wir nicht unterstützen kön- nen. Ich habe eingangs etwas über Brunnenvergiften ge- Die gemeinschaftsweiten festgelegten Umweltquali- tätsnormen für prioritäre Stoffe tragen dazu bei, die (B) sagt. Im übertragenen Sinn kann man dieses auf Ihre (D) apodiktische Formulierung anwenden. menschliche Gesundheit und die Umwelt zu schützen. Die Mitgliedstaaten sind gefordert, Maßnahmen zu ent- Wir werden uns daher im Ausschuss sehr kritisch mit wickeln und umzusetzen, die geeignet sind, die Gewäs- dem Antrag auseinandersetzen. ser von gefährlichen Stoffen so weit wie möglich frei zu halten und gleichzeitig die Einhaltung des in der Richtli- nie vorgegebenen zeitlichen Rahmens zu gewährleisten. Petra Bierwirth (SPD): Wir beraten heute den An- Bis spätestens 2025 wird sich die Kommission Gewiss- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. In diesem An- heit darüber verschafft haben, ob die erfassten Emissio- trag wird die Bundesregierung gebeten, die Forderungen nen und Einleitungen die festgelegten Reduzierungsziele des Europäischen Parlamentes zur Richtlinie über Um- bzw. Beendigung der Einleitung prioritärer gefährlicher weltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik zu Stoffe, entsprechend den Regelungen der Wasserrah- übernehmen. Mit dem vorliegenden Richtlinienvor- menrichtlinie, nach 20 Jahren erreicht worden sind. schlag sollen die Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie Damit soll das wichtige Ziel für den europäischen Ge- in EU-Recht umgesetzt werden. Des Weiteren schlägt wässerschutz erreicht werden, die Gewässer von gefähr- die Kommission Qualitätsnormen für die Konzentration lichen Stoffen so weit wie möglich frei zu halten. Ent- der prioritären Stoffe in Oberflächenwasser, Sedimenten sprechend dem Ratsvorschlag muss die Kommission auf und Biota vor. der Grundlage der erstellten Berichte für die Bestands- aufnahmen auch eine Überprüfung durchführen, ob zu- Gemäß dem sechsten Umweltaktionsprogramm gehö- sätzliche gemeinschaftsweite Maßnahmen, wie etwa ren Maßnahmen zur Begrenzung prioritärer Stoffe zu Emissionsbegrenzungen, notwendig sind und gegebe- den vorrangigen Aktionsbereichen. Der vorliegende Vor- nenfalls entsprechende Vorschläge unterbreiten. schlag dient dem Schutz und der Verbesserung der Qua- lität der Umwelt. Dies geschieht in Übereinstimmung Natürlich kann man mehr fordern, wie es das Europäi- mit dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. sche Parlament auch getan hat, und natürlich ist es legi- Gleichzeitig wird mit dem Vorschlag die Harmonisie- tim, diese Forderungen in einen Oppositionsantrag rung der Wirtschaftsbedingungen auf dem Binnenmarkt aufzunehmen. Man muss aber sehen, dass der jetzt vor- sichergestellt. Das war unbedingt erforderlich, da die liegende Richtlinien-Vorschlag einen Kompromiss dar- bislang geltenden Umweltqualitätsnormen sehr unter- stellt, der von allen Mitgliedstaaten getragen wird. Der schiedlich sind. Ferner tragen der Vorschlag und die bei- vorliegende Antrag von Bündnis 90/Die Grünen folgt ei- gefügten Mitteilungen zur Kohärenz mit anderen ge- ner Argumentation, die für mich nicht vollständig nach- meinschaftlichen Rechtsvorschriften bei. Als Beispiel vollziehbar ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12921

(A) Der Beschluss des Rates zum Richtlinienvorschlag folgt gemäß Wasserrahmenrichtlinie zum einem nach (C) entspricht in den wesentlichen Punkten auch der Haltung wissenschaftlichen Kriterien, zum anderen nach der Be- der Bundesregierung und der Länder. Er berücksichtigt deutung und dem Vorkommen der Stoffe in den Gewäs- auch Forderungen des Europäischen Parlaments. Der sern der Gemeinschaft. Die zusätzlichen 28 neuen Stoffe Richtlinienvorschlag weicht nicht, wie im Antrag be- sind Bestandteil der Prüfung bei der Aktualisierung der hauptet wird, die bestehenden Verpflichtungen der Was- Liste. serrahmenrichtlinie auf. Darüber hinaus fordern Sie die Erarbeitung einer na- Die Forderung der Bundesregierung zum Beispiel tionalen Strategie zur Emissionsbegrenzung bis 2008. nach gemeinschaftsweiten Maßnahmen für Emissions- begrenzungen nach den besten verfügbaren Techniken, Hier muss ich Ihnen ins Buch schreiben, liebe Kolle- wie auch im Antrag der Opposition gefordert, konnten ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, dass nicht vollständig durchgesetzt werden. Diese fanden eine nationale Strategie zur Emissionsbegrenzung und aber durch eine strenge Überprüfungsklausel weitgehend Vermeidung prioritärer bzw. prioritäre gefährliche Stoffe Berücksichtigung. Insofern werden auch die weiterge- bis spätestens 2008 nicht erforderlich ist. In Deutschland henden Forderungen des Europäischen Parlaments nach sind mit der Abwasserverordnung nach § 7 a des Was- Emissionsanforderungen auf der Grundlage der besten serhaushaltsgesetzes strenge Emissionsforderungen an verfügbaren Techniken im weiteren Abstimmungsver- das Einleiten in Gewässer festgelegt. Weitergehende ein- fahren unterstützt. In Deutschland gilt die Abwasserver- schränkende Maßnahmen, wie Anwendungsbeschrän- ordnung, die die Anforderungen an die Rückhaltung be- kungen oder Stoffverbote, sind nur gemeinschaftlich stimmter prioritärer Stoffe als beste verfügbare Technik zielführend. festlegt. Fazit: Die Wasserrahmenrichtlinie stellt uns vor eine Ich möchte noch auf einige Punkte des Antrages ein- große Herausforderung. Zur Koordination der Bewirt- gehen. In ihrem Antrag sagen Sie: „EU-weite Qualifizie- schaftungsmaßnahmen sind nicht nur Abstimmungen rungsziele für Sedimente und Biota sind nicht verpflich- mit den Nachbarstaaten, sondern auch der Bundesländer tend, und das Monitoring ist ebenfalls zu unverbindlich untereinander erforderlich. Um die festgeschriebenen und großzügig geregelt.“ Ziele der Richtlinie in dem gesetzten Zeitrahmen reali- Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass die Forde- sieren zu können, müssen die erforderlichen finanziel- rung einiger Mitgliedstaaten nach unverbindlichen Refe- len, personellen und organisatorischen Entscheidungen renzwerten für die Umweltqualitätsnormen verhindert verantwortungsvoll und zügig getroffen werden. Um die werden konnte. Der Kompromiss sieht zwar beim Ge- erforderlichen Arbeiten in Angriff zu nehmen, müssen (B) wässer-Monitoring die flexible Möglichkeit vor, statt der diese auf einer sicheren Grundlage gestellt werden. Das (D) gesetzlich verbindlichen Wasser-Umweltqualitätsnor- bedeutet, dass die rechtlichen und fachlichen Vorgaben men auch Biota und Sediment-Umweltqualitätsnormen zur Umsetzung der Richtlinie zeitgerecht vorliegen müs- zu verwenden. Allerdings müssen diese vom Schutzni- sen. veau gleichwertig sein und die angewandten Methoden bei der Kommission notifiziert werden. Durch eine enge und gute Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, die schon bei den Beratungen der Sie wollen die Bundesregierung auffordern „dafür Richtlinie und bei der Vorbereitung der Umsetzungsar- Sorge zu tragen, dass die vom Europäischen Parlament beiten sehr hilfreich gewesen ist, kann eine zeitlich und vorgeschlagenen 28 weiteren prioritären Stoffe in die inhaltlich ordnungsgemäße Umsetzung der Wasserrah- Tochterrichtlinie der Wasserrahmenrichtlinie aufgenom- menrichtlinie gelingen. men werden“. Der Europäische Rat und das Europäische Parlament haben sich bei der Verabschiedung der Was- serrahmenrichtlinie und der Liste der prioritären Stoffe Horst Meierhofer (FDP): Wasser ist unverzichtbare im Jahre 2000/2001 auf eine Verfahrensweise bei der Lebensgrundlage. Die Sicherung der Wasserqualität ist Stoffauswahl geeinigt. Die Wasserrahmenrichtlinie sieht deshalb von immenser Bedeutung. Hinzu kommt: Ge- in Art. 16 die Erarbeitung einer Liste von prioritären und wässerverschmutzungen machen nicht an irgendwelchen prioritären gefährlichen Stoffen vor. Hierzu wird in Ländergrenzen halt. Umso wichtiger ist es, dass Europa Art. 16(2) ein transparentes, auf wissenschaftlichen an einem Strang zieht. Dem Ziel der Europäischen Was- Grundlagen beruhendes Auswahlverfahren verankert. serpolitik, einen guten ökologischen und chemischen Dieses Verfahren wurde auch bei der Verabschiedung Zustandes der Gewässer zu erreichen, kann die FDP- der ersten Liste der 33 prioritären Stoffe im Jahre 2001 Fraktion deshalb nur zustimmen. angewandt. Daneben sieht Art. 16(4) der Wasserrahmen- In diesem Kontext hat die Europäische Kommission richtlinie einen regelmäßigen vierjährigen Überprü- einen Richtlinienentwurf vorgelegt, der darauf abzielt, fungs- und Aktualisierungszyklus für die Liste der prio- das Umweltschutzniveau europäischer Gewässer zu ver- ritären Stoffe vor. einheitlichen. Dazu sollen europaweit Höchstwerte für Für die derzeitige laufende Überprüfung gemäß der Pestizide, Schwermetalle und andere chemische Stoffe Wasserrahmenrichtlinie ist eine Arbeitsgruppe von der festgelegt werden, die eine spezielle Gefährdung für Kommission eingesetzt, mit deren Hilfe ein Vorschlag Tiere und Pflanzen in Gewässern sowie für die mensch- für die Aktualisierung der Stoffliste bis Ende 2008 vor- liche Gesundheit bedeuten. Besonders gefährliche Stoffe gelegt werden soll. Die Auswahl zusätzlicher Stoffe er- sollen langfristig sogar ganz verboten werden. 12922 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Doch sobald es um Details geht, scheiden sich in in Deutschland wieder einmal einen Wettbewerbsnach- (C) Brüssel die Geister: Während der Rat unter der teil im Vergleich zum Rest Europas. deutschen Präsidentschaft die von der Kommission vorgeschlagenen Umweltqualitätsnormen einstimmig Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke un- bestätigte, hat das EP in seiner ersten Lesung mit terstützt den Antrag der Grünen. Er beschreibt zutreffend 672 Stimmen für substanzielle Änderungen gestimmt. den Rückschritt in der europäischen Wasserpolitik be- Ginge es nach unseren Europäischen Kollegen, so soll- züglich des Schutzes der Gewässer vor Schadstoffen. ten vor allem die Wasserqualitätsstandards für 28 wei- tere Stoffe verschärft werden. Ob in Brüssel angesichts Es ist an sich schon ein Skandal, dass die Umweltqua- der doch sehr unterschiedlichen Positionen zwischen Rat litätsrichtlinie für den Wasserbereich erst drei Jahre nach und Parlament in zweiter Lesung eine Einigung möglich Ablauf der in Art. 16 der Wasserrahmenrichtlinie festge- ist, oder ob das Ganze in einen Vermittlungsausschuss legten Frist vorgelegt wurde. Das Hauptproblem der geht, bleibt abzuwarten. politischen Einigung dazu ist jedoch, dass das Ganze weiterhin nur auf Qualitätsnormen aufgebaut ist, die Der Antrag, den wir heute beraten, will die Forderun- Oberflächengewässer haben sollen. Für die prioritären gen des Europäischen Parlaments aufgreifen und aus- Stoffe sind dort die zulässigen Höchstkonzentrationen in weiten. Lassen Sie mich dazu folgende Bemerkungen Gewässern definiert. Ein Immissionsansatz also. Grenz- machen. werte für Einleitungen im klassischen Emissionsansatz Erstens. Allen Unstimmigkeiten zum Trotz darf man soll es demnach – zumindest EU-weit – nicht geben. Der nicht vergessen: Auch der Kommissionsvorschlag führt kombinierte Ansatz im Art. 16 der Wasserrahmenrichtli- zu mehr Gewässerschutz als der Status quo. Das gilt nie wurde damit versenkt. In der Folge dürfte eine Firma nach Aussage der Bundesregierung auch für Deutsch- an einem großen Fluss mehr Schadstoffe in das Gewäs- land. Auch bei uns gibt es derzeit noch einige wenige ser lassen als eine Firma an einem kleinen Fluss, jeden- Stoffe, die die vorgegebenen Qualitätsziele noch deut- falls sofern nationale Gesetzgebungen nichts anderes lich überschreiten. festgelegen. Angesichts der immer noch unakzeptabel hohen Belastung beispielsweise von Nordsee und Ostsee Zweitens. Aus unserer Sicht ist die Art und Weise, ist dies vollkommen unverständlich. wie das Europäischen Parlament weitere Stoffe als prio- ritär bzw. prioritär gefährlich einstuft, äußerst fragwür- Gegenwärtig sind zwar noch einige Stoffe und Stoff- dig, und das sowohl rechtlich als auch in der Sache. gruppen EU-weit über die noch geltende „Gefährliche- Schließlich ergibt sich aus den Erwägungsgründen der Stoffe-Richtlinie“ mit Emissionsgrenzen belegt. Doch Richtlinie, dass die Festlegung der Liste der prioritären dieses Gesetz wird bekanntlich ersatzlos aufgehoben. (B) Stoffe nach einem festgelegten Verfahren zu erfolgen Danach werden wir nur noch für große Anlagen EU-weit (D) hat. Genau dieses ist jedoch im Rahmen der Entschei- gültige Emissionsgrenzen haben, und zwar über die dung des Europäischen Parlaments augenscheinlich IVU-Richtlinie. Sämtliche kleinen Anlagen bleiben ab nicht berücksichtigt worden. diesem Zeitpunkt auf Ebene der EU ungeregelt. Drittens. Auch die FDP hält die Renationalisierung Ob und wie die einzelnen Mitgliedstaaten diese Lü- bereits EU-weit festgelegter Emissionsgrenzwerte nicht cke durch eigene Gesetzgebung schließen, ist ungewiss. für zielführend. Wir bedauern, dass die Bundesregierung Letztlich läuft dies auf eine Renationalisierung der ur- sich hier im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft sprünglichen Gemeinschaftsmaßnahmen hinaus, ähn- nicht weiter durchsetzen konnte. Geht es nach der Kom- lich wie bei der Meeresstrategierichtlinie. Doch gerade mission, so sollen nur immissionsseitige Umweltquali- für Deutschland mit seinen vielfach fortschrittlichen tätsnormen europaweit festgelegt werden. Emissionen Emissionsstandards könnte es problematisch werden, interessieren Brüssel scheinbar nicht. Dies ist aus unse- wenn andere Länder ihrem Firmen erlauben sollten, rer Sicht sowohl ökologisch als auch ökonomisch nicht fortan niedrigeren Standards zu folgen. akzeptabel. Wirksamer Gewässerschutz fängt beim Ver- Die Bundesregierung war darum nicht ohne Grund ursacher an. Hinzu kommt: Würde sich die Richtlinie der Auffassung, dass Umweltqualitätsziele für Oberflä- ausschließlich mit Umweltqualitätsnormen begnügen, chengewässer mit Emissionsstandards für die Anlagen hätten Mitgliedstaaten ohne entsprechende Emissions- verknüpft werden müssen. Natürlich hat Deutschland regelungen einen Wettbewerbsvorteil. diese Forderung in erster Linie aus Wettbewerbsgründen erhoben. Aber damit wird sie ja nicht falsch. Es ist auch Auch bin ich der Meinung, europaweit einheitliche die Forderung von Umweltverbänden. Emissionsgrenzwerte wären allemal besser als die von EP und den Grünen vorgeschlagenen nationalen Pläne Die Linke ist ebenfalls der Meinung, dass ein vorsor- zur Emissionsbegrenzung. gender Umweltschutz keinesfalls auf Emissionsstan- dards nach dem Stand der Technik verzichten kann. Nur Zum Schluss möchte ich noch sagen: Ich warne da- so ist Distanz- und Summationsschäden vorzubeugen. vor, die Bundesregierung schon jetzt zu verpflichten, die Umweltqualitätsziele können dies nur ergänzen, nicht Forderungen des Europaparlaments zu übernehmen, aber ersetzen. ohne Rücksicht darauf, was auf europäischer Ebene be- schlossen wird. Denn sollten sich die Parlamentarier in In der Substanz fehlt neben dem eben beschriebenen Brüssel nicht mit ihren Maximalforderungen durchset- Problemen auch ein sachgerechter Umgang mit den prio- zen – das halte ich für ziemlich realistisch –, haben wir ritären Stoffen. Von den 33 Stoffen und Stoffgruppen des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12923

(A) 2001 verabschiedeten Anhangs X der WRR sind nun- Ein guter Wasserzustand wird so weder in Deutsch- (C) mehr lediglich 13 Stoffe und Stoffgruppen als prioritär land noch im Rest Europas erreicht. Wieder einmal gefährlich eingestuft. Ihre Einleitung, Emission oder ihr bleibt ein Ratsentwurf im Umweltbereich deutlich hinter Verlust soll wegen ihrer besonderen Schädlichkeit been- den Forderungen des Parlaments und der Kommission det bzw. schrittweise eingestellt werden. zurück, und die Bundesregierung sieht untätig zu. Als prioritär oder prioritär gefährlich gelten jedoch Wenn, wie es die Wasserrahmenrichtlinie vorsieht, viel zu wenige Stoffe. Die entsprechenden Listen bei den der „gute chemische Wasserzustand“ der Binnengewäs- Meeresschutzabkommen OSPAR oder HELCOM sind ser und des Grundwassers bis zum Jahre 2015 tatsäch- bedeutend länger. Selbst das UBA sprach einmal von lich realisiert werden soll und auch die Meere ab 2020 rund 10 000 problematischen Stoffen. Das Parlament weitgehend giftfrei sein sollen, dann muss das zentrale hatte in der ersten Lesung die Anzahl der Stoffe der Ziel der Wasserrahmenrichtlinie und der OSPAR- und Liste X wenigstens verdoppelt. Der Rat hat davon je- Helsinkikonvention in allen Verursacherbereichen kon- doch nichts in die politische Einigung übernommen. sequent umgesetzt werden: Die Gewässerverschmutzung durch Stoffe mit hohem Umweltrisiko muss kontinuier- Es ist aber nicht nur diese Blockade, es ist auch der lich verringert werden, und dafür muss sich die Bundes- Einzelstoffansatz an sich, welcher der enormen Zahl pro- regierung im weiteren Gesetzgebungsverfahren in Brüs- blematischer Stoffe nicht gerecht wird. Er müsste drin- sel einsetzen. gend ergänzt werden durch Höchstgrenzen für Summen- parameter, vergleichbar mit den Regelungen in der Aber Deutschland muss noch mehr tun. Die Bundes- Grundwasserrichtlinie. regierung sollte in der Wasserpolitik mit gutem Beispiel vorangehen und die notwendigen Vorgaben zur Bekämp- Aber offenbar hatte die Wirtschaft an solchen Rege- fung der Wasserverschmutzung in das Wasserwirt- lungen kein Interesse, und sie hat sich wieder einmal schaftskapitel des geplanten Umweltgesetzbuches auf- durchgesetzt. nehmen. Wiederholte Anfragen unserer Fraktion haben gezeigt, dass die Anforderungen der Wasserrahmenricht- Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir linie von den Ländern nur unbefriedigend erfüllt werden. haben in Deutschland im internationalen Vergleich zwar Hier sollte die Bundesregierung endlich selbst aktiv wer- einen hohen Standard bei der Gewässerqualität, dennoch den und ihre Gesetzgebungskompetenz nutzen, statt un- besteht auch bei uns Handlungsbedarf. Unsere Gewässer tätig die Hände in den Schoß zu legen. Darüber hinaus sind mit Schwermetallen, Pestiziden und Arzneimittel- brauchen wir dringend eine sektorübergreifende natio- rückständen belastet. Allein 5 000 Tonnen Schwerme- nale Strategie zur Emissionsbegrenzung und -Vermei- talle landen jährlich in unserem Wasser. Jede fünfte (B) dung von gefährlichen Stoffen. Insbesondere in der (D) Grundwasserprobe enthält Pestizide. Außerdem tauchen Landwirtschaft und im Verkehr ist hier unter den Minis- in unseren Gewässern immer wieder neue gefährliche tern Tiefensee und Seehofer so gut wie gar nichts pas- Stoffe auf, seien es Hormone oder Arzneimittelrück- siert. Statt die Warnungen von Opposition und Umwelt- stände, die sich nicht oder nur schwer herausfiltern las- verbänden zu ignorieren, sollte die Bundesregierung sen. Die beobachteten Auswirkungen auf die Tierwelt in endlich hier in Deutschland Verantwortung für die Um- den belasteten Flüssen geben Anlass zur Sorge um die setzung internationaler Umweltqualitätsnormen über- Gesundheit der Menschen. Diese Fakten sind alarmie- nehmen und ihren Einfluss in Brüssel geltend machen, rend und zudem nur die Spitze des Eisberges, denn wir um ein Absenken von Standards zu unterbinden. haben nach wie vor zu wenig Daten und Informationen über die mehr als 1 Millionen Stoffe und Stoffmischun- Wir brauchen deutschland- und europaweit eine nach- gen, die direkt oder über Umwege in unser Wasser ge- haltige Wasserpolitik, die sich an den Kriterien eines langen. Hier wäre rascher, vorsorgender Schutz für vorbeugenden Umwelt- und Gesundheitsschutzes orien- Mensch und Umwelt angebracht. tiert. Sauberes Trinkwasser ist ein Menschenrecht, das unter allen Umständen geschützt werden muss. Lippen- Umso bedauerlicher ist es daher, dass die EU-Um- bekenntnisse auf internationalen Konferenzen sind nicht weltminister die Empfehlungen des Europäischen Parla- genug! mentes zur Verbesserung der Umweltqualitätsnormen in der Wasserpolitik nicht aufgegriffen haben und sich stattdessen sogar auf eine Aufweichung der Wasserrah- Anlage 16 menrichtlinie geeinigt haben. Das Parlament hatte unter anderem gefordert, dass 28 weitere schädliche Stoffe in Zu Protokoll gegebene Reden die bereits bestehende Liste prioritär gefährlicher Stoffe der Wasserrahmenrichtlinie aufgenommen werden. zur Beratung des Entwurfs eines Gestzes zur Diese besonders gefährlichen Stoffe müssen bis 2015 Aufhebung der Heimkehrerstiftung und zur komplett aus unseren Gewässern verschwinden, und das Finanzierung der Stiftung für ehemalige politi- mit gutem Grund, denn viele von ihnen haben erhebliche sche Häftlinge (Heimkehrerstiftungsaufhe- negative Wirkung auf Mensch und Umwelt. Statt den bungsgesetz – HKStAufhG) (Tagesordnungs- sinnvollen Vorschlägen des Europaparlamentes zu fol- punkt 25) gen und weitere Umweltgifte auf die Liste zu setzen, wurden für die bestehende Liste sogar zusätzliche Aus- Klaus Brähmig (CDU/CSU): „Politik bedeutet ein nahmeregelungen geschaffen. starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern mit 12924 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Leidenschaft und Augenmaß.“ Dieses Zitat von Max Koalitionsfraktion richten. Wir haben heute durch diesen (C) Weber passt sehr gut zu der heutigen Verabschiedung des Kompromiss eine gute Lösung erreicht. Lassen Sie uns Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetzes, HKStAufhG. nun auch beherzt die Arbeitsgruppe Kriegsfolgenberei- Denn ich erinnere mich noch genau, als im Sommer nigung in Angriff nehmen. Der Wähler hat der Großen 2000 in meinem Büro der erste Entwurf für ein Heim- Koalition einen klaren Regierungsauftrag gegeben. Wir kehrerentschädigungsgesetz erarbeitet wurde. Bis zum sollten diesen Wählerauftrag nutzen, um noch offene Tag der Gesetzesverabschiedung sind nunmehr also sie- Probleme aus vergangener Zeit abzuarbeiten und eine ben Jahre verstrichen. gute Zukunft für unser Land zu gewinnen. Durch das beharrliche Verhandeln der Union erhal- ten etwa 12 200 ehemalige deutsche Kriegsgefangene Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Mit dem und circa 3 000 Zivilverschleppte aus Ostdeutschland heute zu beschließenden Gesetzentwurf über ein Heim- eine symbolische Anerkennung für ihr damals erlitte- kehrerstiftungsaufhebungsgesetz verbindet sich eine nes Schicksal. Die Opfergruppe der zivildeportierten gute Perspektive für all die Kriegsheimkehrer im Bei- Frauen aus dem Gebiet jenseits von Oder und Neiße trittsgebiet, die bis heute keinerlei Entschädigung erhal- bekommt eine einmalige Zahlung von 3 000 Euro. ten haben. Es ist das gute Signal, dass unsere Gesell- Ferner wird den ehemaligen ostdeutschen Kriegsgefan- schaft sie nicht vergessen hat und auch ihr Schicksal genen eine Entschädigung, gestaffelt nach der Dauer würdigt. So wird mit dem vorliegenden Gesetz zwar die des Gewahrsams, in Höhe von 500 Euro, 1 000 Euro Heimkehrerstiftung aufgelöst, das ist aber nur eine orga- und 1 500 Euro gewährt. nisatorische Änderung. Inhaltlich ist mit dem heute zu verabschiedenden Gesetz ein neuer Akzent gesetzt. Das Gesetz sorgt mehr als 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges dafür, dass die ostdeutschen Für geschätzt 12 000 Heimkehrer, die nicht nur Ge- Kriegsheimkehrer und Zivilverschleppten ihren west- fangenschaft erdulden mussten, sondern über deren deutschen Leidensgefährten gleichgestellt werden. Die Schicksal in der SBZ und späteren DDR einfach hinweg- beiden genannten Opfergruppen erhalten eine späte, gegangen wurde, ist eine gute Lösung gefunden worden. wenn auch symbolische Entschädigung für das ihnen wi- Wir haben eine gesellschaftliche Anerkennung in das derfahrene Unrecht. Gesetz geschrieben. Das ist ein Akt historischer und ge- sellschaftlicher Gerechtigkeit, ein Beitrag zum Zusam- Als Vorsitzender des Parlamentarischen Beirates des menwachsen unseres Vaterlandes, ein Beitrag zur inne- Verbandes der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Ver- ren Einheit Deutschlands. Über acht Jahre haben wir von misstenangehörigen Deutschlands e.V., VdH, bedanke ich CDU und CSU uns dafür eingesetzt, dass den Kriegs- mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen heimkehrern im Osten das zuteil werden kann, was im (B) dieses Gremiums für die Zusammenarbeit. Westen ganz selbstverständlich war: eine Würdigung ih- (D) Mit dem vorliegenden Gesetz wurden die wichtigsten res Schicksals. Daher freue ich mich, dass unser Koali- politischen Ziele des VdH noch Realität. Trotz der all- tionspartner von der SPD sich, wenn auch spät, hat über- mählichen Auflösung des Bundesverbandes sind viele zeugen lassen. Landesverbände des VdH sehr aktiv. Aus dem direkten Es ist auch gut, dass es mit den Änderungsanträgen Kontakt mit dem Präsidenten des VdH-Bundesverban- ferner gelungen ist, eine dauerhafte Auszahlung der des, Herrn Günter Berndt, kann ich Ihnen versichern, Rentenleistungen für den Berechtigtenkreis bis zum Le- dass alle Landesverbände diese abschließende Gesetzge- bensende sicherzustellen. Alles andere wäre auch wür- bung begrüßen. delos gewesen. Somit verbindet sich mit der Auflösung Einige werden nun bemängeln, dass durch die jetzige der Heimkehrerstiftung für alle Betroffenen eine gute Einigung die Entschädigung für viele Betroffen zu spät Perspektive. kommt. Da kann ich nur sagen: Ja, die Anerkennung Im Übrigen – das sei in Richtung der Linksfraktion kommt spät und für viele auch zu spät. Aber auch hier gesagt – verbindet sich mit der von uns seit Jahren gefor- wurde mir aus der Verbandsspitze signalisiert, dass viele derten und nun gefundenen Lösung auch eine gute Per- Familien zu schätzen wissen, dass die großen demokrati- spektive für die Mitarbeiter der Heimkehrerstiftung. Für schen Parteien Deutschlands noch zu einer einvernehm- die Umsetzung dieses Beschlusses bedarf es qualifizier- lichen Lösung gefunden haben. Diese Lösung steht da- ten Personals. Daher bin ich sicher, dass sich für die Be- mit in der Tradition des Parlamentarischen Beirates des schäftigten der Heimkehrerstiftung eine adäquate Wei- VdH. In den letzten 55 Jahren seines Bestehens wurde terbeschäftigung finden wird. dort über Fraktionsgrenzen hinweg eine Politik gestaltet, die eine besondere Verantwortung für die Menschen aus Mit der gefundenen Einigung für die Heimkehrer Ost der Kriegsgeneration anerkannt hat. konnte ein weiteres Kapitel im Kriegsfolgenrecht einer guten, sozialverträglichen Lösung zugeführt werden. Al- Mit dem heutigen Gesetz senden wir das Zeichen: Es lerdings sind auch mit dieser gefundenen Lösung noch gab keine ehemaligen Krieggefangenen und Zivildepor- nicht alle Fragen beantwortet, es sind Schicksale auch tierten erster und zweiter Klasse. Eine weitere Gerech- weiterhin bis heute unberücksichtigt und unbeachtet ge- tigkeitslücke zwischen Ost und West wird mit diesem blieben. Daher ist es unbedingt notwendig, dass wir so- Gesetz geschlossen. wohl bei der Aufarbeitung der Kriegsfolgen als auch bei Abschließend möchte ich noch eine Bitte an meine der Aufarbeitung des SED-Unrechts das bisher Geleis- Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen tete überprüfen, um festzustellen, wo noch lösungsbe- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12925

(A) dürftige Fragen bestehen, wo noch Schicksale bis heute Daher freue ich mich, dass sich unser Koalitionspart- (C) offen sind. In beiden historischen Bereichen, beim SED- ner von der SPD nun doch, nach langem Zögern, dazu Unrecht und beim Kriegsfolgenrecht, sollten wir uns bereitgefunden hat, die bisherigen Gesetze im Bereich dieser Mühe unterziehen, um mit einer Schlussgesetzge- des Kriegsfolgenrechts und zur Aufarbeitung des SED- bung unserer historischen Verantwortung in Bezug auf Unrechts zu analysieren, um festzustellen, in welchen die Opfer gerecht zu werden. Bereichen noch offene und lösungsbedürftige Fragen be- stehen. Daher werbe ich nochmals für Schlussgesetzge- Sechs Jahrzehnte nach Kriegsende sind auch im Be- bungen in beiden Bereichen. Das wäre ein großer Bei- reich des Kriegsfolgenrechts, so meinen wir von CDU trag zu historischer Verantwortung und Gerechtigkeit. und CSU, noch nicht alle Fragen gelöst, Menschen- schicksale oftmals ohne Würdigung geblieben. In der Bundesrepublik Deutschland und auch in den ehemali- Maik Reichel (SPD): Wir beraten heute abschließend gen deutschen Gebieten leben heute noch viele Men- den Gesetzentwurf zur Aufhebung der Heimkehrerstif- schen, die als Zivilisten, häufig im jugendlichen Alter, tung und zur Finanzierung der Stiftung für politische verschleppt und zu Zwangsarbeit herangezogen worden Häftlinge einschließlich eines Änderungsantrages der sind. Viele von ihnen mussten unter härtesten, men- Koalitionsfraktionen. Wir behandeln damit auch ein Ka- schenunwürdigen Bedingungen, vor allem im Bergbau, pitel deutscher und europäischer Geschichte. Die Grund- Zwangsarbeit verrichten. Besonders bei den Frauen gin- lagen für die Heimkehrerstiftung liegen im 1954 be- gen damit nicht selten körperliche Übergriffe einher. schlossenen Gesetz über die Entschädigung ehemaliger Viele Menschen verloren im Zusammenhang mit Kriegsgefangener. Zwangsarbeit ihr Leben. Diejenigen, die überlebt haben, Dieses heute zu beschließende Gesetz sieht vor, die leiden auch heute häufig noch unter den Spätfolgen. Heimkehrerstiftung, eine bundesunmittelbare Stiftung Im Jahr 2001 hat der Deutsche Bundestag für die aus- des öffentlichen Rechts, zum 31. Dezember 2007 aufzu- ländischen Opfer von Zwangsarbeit die Stiftung „Erin- heben. Damit ist aber die Aufgabe immer noch nicht be- nerung, Verantwortung und Zukunft“ beschlossen, die in endet. Die Zuständigkeit für die Leistungsgewährung wird auf das Bundesverwaltungsamt übertragen. Wir re- diesem Jahr ihre Auszahlungen abgeschlossen hat. Dies geln mit diesem Gesetz, dass die einmaligen Unterstüt- war gut und richtig. Es wäre aber auch richtig, für die zungsleistungen nach § 3 Abs. 1 HKStAufhG mit Ablauf deutschen zivilen Opfer von Zwangsarbeit, von denen ja des Jahres 2009 enden. Das Antragsende wird auf den heute im Wesentlichen nur noch die zum damaligen Tag der Gesetzesverkündung geschoben. Dagegen ge- Zeitpunkt jüngsten Opfer leben, eine humanitäre Geste währen wir weiterhin nach § 3 Abs. 2 und 3 HKStAufhG zur Würdigung ihres schweren Schicksals bereitstellen die Rentenzusatzleistung ohne Befristung. Ich möchte (B) zu können. Denn das, was viele Menschen als Zwangs- (D) mich an dieser Stelle bei meinem Berichterstatterkolle- arbeiter erdulden mussten, lässt sich eben nicht unter den gen Dieter Baumann und bei Herrn Parlamentarischen Begriff eines allgemeinen Kriegsfolgenschicksals fas- Staatssekretär Dr. Christoph Bergner für die konstrukti- sen. Das gerne angeführte Gegenargument, 60 Jahre da- ven Gespräche bedanken, und dafür, dass sie diese von nach sei es für eine solche Geste zu spät, verfängt nicht. der SPD-Fraktion gewünschte Weiterzahlung der Ren- Für die ausländischen Opfer von Zwangsarbeit, die wäh- tenzusatzleistungen mittragen. Damit wollen wir weiter- rend des Krieges nach Deutschland Verschleppten, hin zu unserer Verantwortung stehen, denen Hilfe zu- haben wir auch erst sehr spät eine Lösung gefunden. kommen zu lassen, die durch einen der schrecklichsten Zeitablauf kann kein Argument dafür sein, bisher Ver- Kriege in der Menschheitsgeschichte in Haft gekommen säumtes nicht nachzuholen. Das gilt nicht nur für die zi- sind und dort Not und Leid erfahren und in ihrer weite- vilen, deutschen Opfer von Zwangsarbeit. Das gilt auch ren persönlichen Entwicklung Entbehrungen erlitten ha- für die sogenannten „Wolfskinder“: keine große Gruppe, ben. aber eine besonders schwer geschädigte. Die histori- schen Ereignisse, die sich damit verbinden, sind herzzer- Mehr als 300 Millionen Euro wurden durch die Heim- reißend. Allein die Beschäftigung und ehrliche Ausein- kehrerstiftung an Betroffene ausgezahlt. Noch heute er- andersetzung mit diesem Kapitel liefert einen wichtigen halten etwa 11 500 Personen Rentenzusatzleistungen. Beitrag zu einem verantwortlichen Umgang mit unserer Weitere Anträge liegen für Rentenzusatzleistungen und Geschichte. die einmalige Unterstützung noch vor. Daran sehen wir, dass die Aufgabe der Stiftung noch nicht ganz beendet Mit dem Inkrafttreten des 3. SED-Unrechtsbereini- ist. Das Bundesverwaltungsamt wird aber die Weiterfüh- gungsgesetzes in diesem Sommer wurde die Opferpen- rung dieser Aufgaben in der jetzigen bzw. in der heute zu sion für politische Häftlinge der SBZ/DDR geschaffen. beschließenden Gesetzeslage weiterhin gut ausführen. Das war ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung des SED-Unrechts. Aber auch hier sind noch Fragen offen. Im Weiteren regeln wir die Finanzierung der Unter- Beispielhaft nenne ich hier die Zwangsausgesiedelten stützungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz. Jetzt aus dem Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze stehen in den Jahren 2007 bis 2009 jeweils 2,18 Millio- und das Schicksal verfolgter Schüler, deren berufliche nen Euro zur Verfügung, jährlich circa l,4 Millionen Benachteiligung nicht durch das Berufliche Rehabilitie- Euro mehr als ursprünglich vorgesehen. Diese zusätz- rungsgesetz erfasst worden ist. Ein Außerachtlassen die- lichen Mittel sollen vor allem Zivilinternierten und -de- ser Schicksale wäre ein schlimmes historisches Ver- portierten jenseits von Oder und Neiße zur Verfügung säumnis. stehen. Empfänger sind außerdem ehemalige politische 12926 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Häftlinge aus dem kommunistischen Machtbereich so- Kriegerwitwen mit Ablauf des Jahres 2009 verbunden (C) wie deren hinterbliebene Ehegatten, Kinder und Eltern, sein wird. Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- um deren Notlage zu lindem. Die Aufstockung der Mit- nen sieht vor, bewilligte Rentenzusatzleistungen bis zum tel liegt aber auch darin begründet, dass die nunmehrige Versterben des Begünstigten weiter zu gewähren. Eine Hauptaufgabe der Stiftung für ehemalige politische solche ersatzlose Streichung der Leistungen wäre im Häftlinge nicht mehr in den Ausführungen des Häft- Hinblick auf die Rechtsstaatsgarantie und das Sozial- lingshilfegesetzes liegt, sondern in der Ausführung des staatsprinzip sowie das Recht auf Eigentum zumindest strafrechtlichen Rehabilitationsgesetzes. Darauf reagie- bedenklich gewesen. Möglicherweise hätten sich auch ren wir. Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger ergeben. Auf jeden Fall wären hiermit Härten für die Betroffenen ver- Neu eingeführt wird im Art. 3 eine einmalige Ent- bunden gewesen, die so vermieden werden. Es erscheint schädigung an die Heimkehrer aus dem Beitrittsgebiet, mir wirklich nicht zumutbar, Menschen, die vielleicht der einstigen Sowjetischen Besatzungszone und der spä- schon in ihrem achten oder neunten Lebensjahrzehnt ste- teren Deutschen Demokratischen Republik. Das sie bis hen, auf die Möglichkeit zu verweisen, Sozialhilfe in 1989/90 keine Entschädigung nach den Richtlinien der Anspruch zu nehmen. Die Mehrbelastungen für den Häftlingshilfestiftung erhalten konnten, sollen sie zum Bundeshaushalt, die sich aus der Weitergewährung der Ausgleich für den erlittenen Gewahrsam eine einmalige Rentenzusatzleistungen über das Jahr 2009 hinaus erge- Entschädigung erhalten. Die Höhe der einmaligen Ent- ben, halten sich zudem in vertretbaren Grenzen. Das schädigung für jeden Berechtigten beträgt nach § 4 Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, wird hierdurch Abs. 1 des Gesetzes über die einmalige Entschädigung, nicht gefährdet. gestaffelt nach der Dauer des Gewahrsams: für die Ent- lassungsjahrgänge 1947 und 1948 500 Euro, für die Ent- Ebenfalls zu begrüßen ist die Unterstützung der Zi- lassungsjahrgänge 1949 und 1950 1 000 Euro und für vilinternierten und -deportierten aus den ehemaligen die Entlassungsjahrgänge ab 1951 1 500 Euro. Der An- deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße, wie spruch bleibt bei Sozialleistungen, deren Gewährung sie ebenfalls Gegenstand des Änderungsantrags der Ko- von anderen Einkünften abhängig ist, unberücksichtigt. alitionsfraktionen ist. Damit wird nunmehr endlich ein Auch mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst und Weltkrieges bleiben die Folgen immer noch erkennbar. eine bislang „vergessene“ Opfergruppe in den Kreis der Dessen sind wir uns auch mit diesem Gesetz bewusst. Anspruchsberechtigten einbezogen. Die FDP-Bundes- tagsfraktion hat sich hierfür stets eingesetzt, zuletzt im Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei den Zusammenhang mit der Beratung des 3. SED-Unrechts- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heimkehrerstif- bereinigungsgesetzes. Ob die hierfür vorgesehenen Mit- tung für ihre Arbeit, die ein Teil der Aufarbeitung der (B) tel ausreichen werden, bleibt abzuwarten. Die FDP-Bun- (D) deutschen Geschichte ist, bedanken und ihnen in ihren destagsfraktion wird dies sehr genau im Auge behalten. neuen Verwendungen, die durch das Bundesinnenminis- terium angekündigt wurde und durch meine Fraktion Der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen sieht nachdrücklich unterstützt wird, alles Gute wünschen. darüber hinaus eine Einmalleistung für Kriegsgefangene und Geltungskriegsgefangene vor, die nach ihrer Gefan- Dr. Max Stadler (FDP): Mit dem Gesetzentwurf genschaft in die Sowjetische Besatzungszone, SBZ, bzw. greift die Bundesregierung eine nunmehr zehn Jahre alte Deutsche Demokratische Republik, DDR, heimkehrten. Prüfmitteilung des Bundesrechnungshofs auf. Dieser Die FDP-Bundestagsfraktion sieht hierin ein überfälliges war seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Symbol der Anerkennung und eine Geste der Wiedergut- Zweck der Heimkehrerstiftung, die wirtschaftliche und machung gegenüber ostdeutschen Heimkehrern. Zu kri- soziale Förderung ehemaliger Kriegsgefangener, „im tisieren ist allerdings, dass Mittel hierfür erst im Haus- Wesentlichen erledigt“ habe. Deshalb sei eine Aufhe- haltsjahr 2009 zur Verfügung gestellt werden sollen. bung der Stiftung zu erwägen. Diese Kritik mag man als kleinlich abtun. Für uns ist sie das nicht. Im Hinblick auf das weit fortgeschrittene Alter Die FDP-Bundestagsfraktion hält diese Auffassung der noch lebenden ehemaligen Kriegsgefangenen hätte grundsätzlich für zutreffend. Die noch vorhandenen Auf- man sich hier eine großzügigere Lösung gewünscht. gaben rechtfertigen in der Tat keine eigenständige Stif- tung mehr. Es ist daher richtig, die Aufgaben auf das Unsere weitere Kritik gilt dem Ablauf des Gesetzge- Bundesverwaltungsamt zu übertragen. Die FDP-Bun- bungsverfahrens. Der eigentliche Beratungs- und Ab- destagsfraktion übersieht nicht, dass hiermit ein Wegfall stimmungsgegenstand ergibt sich nicht aus dem Gesetz- der Vertretung der Opferverbände bei der Mittelvergabe entwurf der Bundesregierung vom 27. Juni 2007, verbunden ist. Sie vertraut aber auf die Richtigkeit der sondern aus dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktio- Einschätzung der Bundesregierung, dass aus demografi- nen vom 1. November 2007. Offensichtlich haben CDU/ schen Gründen die Repräsentation der Betroffenen in CSU und SPD so lange gebraucht, um sich auf eine halb- den Stiftungsgremien praktisch kaum mehr zu verwirkli- wegs vertretbare Lösung zu verständigen. Wofür die chen sei. Koalition vier Monate braucht, soll die Opposition dann in vier Tagen nachvollziehen. Ordnungsgemäße Gesetz- Zu begrüßen ist, dass mit der Aufhebung der Stiftung gebung sieht anders aus. nunmehr nicht, wie von der Bundesregierung ursprüng- lich beabsichtigt, die ersatzlose Streichung der Renten- Noch schlechter als den Oppositionsfraktionen ergeht zusatzleistungen für bedürftige Kriegsheimkehrer und es den Beschäftigten der Heimkehrerstiftung. Diese wer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12927

(A) den bis zum heutigen Tage darüber im Unklaren gelas- sen Ansprüchen nicht genügt hat. Er sah die Abwicklung (C) sen, wo sie ab dem 1. Januar 2008 ihren Dienst versehen der Stiftung und die Einstellung der Leistungen zum Jah- dürfen. Im Gesetzentwurf heißt es lapidar: „Das Stif- resende 2009 vor. Damit hätten die ehemaligen Kriegs- tungspersonal soll vom Bund übernommen werden.“ gefangenen und ihre Hinterbliebenen nicht mehr auf die Was dies genau heißt, konnte die Bundesregierung auch finanzielle Unterstützung durch die Stiftung zählen kön- auf meine Nachfrage hin nicht mitteilen. In ihrer Ant- nen. Häufig finanziell sehr schlecht gestellten Menschen wort auf eine schriftliche Frage vom 23. Oktober 2007 wäre eine in absoluten Zahlen zwar nicht besonders heißt es sogar, die „Absichtserklärung einer Personal- hohe, für sie aber individuell sehr wichtige Unterstüt- übernahme entbinde die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- zung verloren gegangen. Neben dieser finanziellen Ein- ter der Heimkehrerstiftung nicht davon, sich bereits jetzt buße hätten sicher nicht wenige Betroffene auch den und auch in Zukunft zusätzlich selbst aktiv um eine Eindruck gehabt, dass ihnen eine Anerkennung nicht nur berufliche Tätigkeit innerhalb und außerhalb des öffent- nicht gewährt, sondern ausdrücklich wieder entzogen lichen Dienstes zu bemühen“. Eine Informations- wird. veranstaltung über die künftigen Beschäftigungsmög- lichkeiten werde voraussichtlich im Dezember 2007 Warum die Große Koalition zwei Anläufe gebraucht durchgeführt werden. So sollte man mit Beschäftigten hat, um diese offensichtlichen Probleme zu erkennen, nicht umgehen. Ein Dienstherr, der sich so verhält, wird bleibt ihr Geheimnis. Es bleibt auch ihr Geheimnis, wa- seiner Fürsorgepflicht nicht gerecht und setzt die Moti- rum sie zum Bürokratieabbau und zur Haushaltskonsoli- vation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leichtfer- dierung ausgerechnet auf die Heimkehrerstiftung verfal- tig aufs Spiel. Die FDP-Bundestagsfraktion kritisiert len ist. Der Bund hat der Stiftung für die Gewährung von dies nachdrücklich und fordert die Bundesregierung auf, Leistungen zuletzt jährlich circa 2 Millionen Euro für nunmehr endlich Klarheit zu schaffen und das Verspre- einmalige Zahlungen zur Unterstützung in Notfällen und chen, das Personal zu übernehmen, unverzüglich einzu- weitere circa 4 Millionen Euro für Rentenzusatzleistun- lösen. gen zur Verfügung gestellt. Rechnet man noch die circa Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die FDP-Bun- 1 Million Euro für Verwaltungskosten hinzu, ergibt sich destagsfraktion dem Gesetzentwurf unter diesen Um- ein jährlicher Aufwand von 7 Millionen Euro. Das ist ständen nicht zustimmen kann, sondern sich der Stimme nicht wenig Geld, und der Anteil der Verwaltungskosten enthalten wird. ist sicher zu hoch. Setzt man diese 7 Millionen Euro mit dem Gesamthaushalt des Bundes in Relation, handelt es sich um einen Anteil von weniger als 0,03 Promille. Petra Pau (DIE LINKE): Erstens. Wir entscheiden Dann stellt sich schon die Frage, ob dies die richtige heute über das „Heimkehrerstiftungsaufhebungsgesetz“. (B) Stelle zum Sparen ist, zumal es sich bei den Empfängern (D) Ich merke erneut an: Kein zweiter Berufstand vermag ja zumeist um sehr alte Menschen handelt, die ihre Ren- solche Wortungetüme zu schöpfen wie die Gesetzes- tenzusatzleistungen nur noch für wenige Jahre erhalten schreiber im Bundestag. Deshalb für Normalbürger: Es werden. In ihrer Rechnung im Änderungsantrag gehen gibt seit 1969 eine Bundesstiftung, die sich um Kriegs- die Koalitionsfraktionen auch davon aus, dass bis 2015 heimkehrer kümmert. Sie hat nunmehr ihren Sinn erfüllt. für die Rentenzusatzleistungen nur noch Kosten von Deshalb kann und soll sie ihre Arbeit Ende 2007 einstel- circa 13 Millionen Euro anfallen werden, pro Jahr also len. Das muss der Bundestag beschließen und zwar per durchschnittlich gerade einmal 1,6 Millionen Euro. Des- Gesetz. Die Linke stimmt dem zu. halb war es der falsche Ansatz, gerade hier den Rotstift Zweitens. Bleibt die Frage: Was wird mit den Mitar- anzusetzen und die Stiftung und die Zahlungen schon bis beiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung? Bisher hat die 2010 abwickeln zu wollen. Da dieser Mangel aber nun Bundesregierung stets geantwortet, das könne sie erst korrigiert ist, werden Bündnis 90/Die Grünen dem Ge- entscheiden, wenn die Schließung der Stiftung beschlos- setzentwurf der Bundesregierung zustimmen. sen sei. Das wird in wenigen Minuten geschehen. Und deshalb hat die Linke einen weiteren Antrag gestellt. Wir Vier wichtige Punkte seien noch kurz angesprochen: wollen, dass der Bundestag die Bundesregierung auffor- Zum einen ist es gut, dass mit dem Heimkehrerentschä- dert, das Stiftungspersonal im Raum Bonn und Umge- digungsgesetz eine gut handhabbare Regelung für die bung in Bundesbehörden zu übernehmen. Denn es reicht Menschen gefunden wurde, die bisher nicht von den nicht, dem Stiftungspersonal zu danken. Man muss ihm Leistungen der Heimkehrerstiftung profitieren konnten. auch eine Zukunft eröffnen. Zweitens freut es mich, dass auch für die Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz erhöhte Finanzzuweisun- gen vorgesehen sind. Es ist drittens zu begrüßen, dass Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Stiftung als solche schon vor dem Ende ihrer Auf- Die heute beschlossene Reform der Heimkehrerstiftung gabe aufgelöst wird und ihre Aufgaben dem Bundesver- ist eine gute Entscheidung; denn diese Reform findet den waltungsamt übertragen werden; denn es ist ja absehbar, Mittelweg zwischen der Fortsetzung einer wichtigen dass der Verwaltungsaufwand spürbar zurückgehen und und richtigen Arbeit und dem schrittweisen Abbau ei- ner in dieser Form mittelfristig nicht mehr benötigten in den nächsten Jahren immer weiter abnehmen wird. Behörde. Die Übertragung der Aufgaben erlaubt es, das Personal der Stiftung zunächst mit der gleichen Aufgabe unter Es muss aber auch gesagt werden, dass der ursprüng- dem Dach des Bundesverwaltungsamtes zu betrauen, um lich von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf die- dann nach und nach neue Aufgaben zu finden. 12928 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Das bringt mich zum letzten, aber nicht unwichtigsten und wirtschaftliche Kooperation wird begleitet durch (C) Punkt. In ihrem Gesetzentwurf erklärt die Bundesregie- eine dritte Dimension, die menschliche Dimension. Bila- rung ihre Absicht, die Angestellten der Stiftung weiter terale und regionale Austauschprogramme im wissen- zu beschäftigen. Das ist auch nur recht und billig. Diese schaftlichen und kulturellen Bereich sowie die Förde- Menschen haben ihre Aufgabe über Jahre gewissenhaft rung des Kontaktes zwischen den Bürgern der Union erfüllt, und es sollte ihnen nun nicht zum Nachteil gerei- und der Nachbarstaaten bzw. -regionen sollen die gegen- chen, dass sie bei einer Stiftung mit nur einer Aufgabe seitigen Kenntnisse bereichern und so das Verständnis und nicht bei einer Behörde mit einem breiteren Spek- und die Toleranz gegenüber anderen Kulturen stärken. trum an Zuständigkeiten gearbeitet haben. Aber natür- Dies ist besonders wichtig im Zusammenhang der ge- lich gilt auch für sie, dass sie sich nach dem absehbaren waltsamen Konflikte in den Nachbarregionen, deren Lö- Wegfall ihres jetzigen Arbeitsfeldes neuen Aufgaben in sung ein wichtiges Anliegen der Union ist. der Bundesverwaltung zuwenden. Ihnen diese Möglich- keit nicht zu geben, hieße, ihre bisherige Leistung nicht Mir ist bewusst, dass viele unter Ihnen die Logik einer anzuerkennen. Politik infrage stellen, die für sich beansprucht, Länder und Regionen mit so unterschiedlichen geschichtlichen Erfahrungen, Gesellschaften und Traditionen in einem gemeinsamen Ansatz zu verbinden. Auch wurde die Be- Anlage 17 deutung der Nachbarschaftspolitik im Hinblick auf eine Zu Protokoll gegebene Rede Beitrittsperspektive schon oft diskutiert. Aber diese Ein- lasse verkennen einen wichtigen Punkt: Die Zusammen- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des führung der vormals isolierten Politiken gegenüber den Berichts: Die Erweiterungs- und Nachbar- Staaten der südlichen und östlichen Nachbarregion in ei- schaftspolitik der Europäischen Union weiter nem kohärenten und integrativen Konzept ist eine essen- entwickeln (Tagesordnungspunkt 24) zielle Voraussetzung für die Lösung der Herausforderun- gen, denen wir heute gegenüberstehen. Michael Link (Heilbronn) (FDP): Als Folge der letz- ten Erweiterungsrunde 2004/2007 grenzt die Europäi- Herausforderungen wie die Bekämpfung von organi- sche Union heute an mehr Nachbarn und Großräume als sierter Kriminalität in den Bereichen Geldwäsche, Men- schen- und Drogenhandel, die Eindämmung der kata- je zuvor in ihrer Geschichte. Wir reden hier heute insbe- sondere über unsere Nachbarn im Süden und im Osten strophalen Folgen illegaler Migration und schließlich der EU. Beide Gruppen verfügen zum heutigen Zeit- auch der Kampf gegen die Bedrohung durch fundamen- talistische Terrororganisationen – mögen sie religiös punkt über keine EU-Beitrittsperspektive, lediglich die (B) Nachbarn im Osten haben die sehr vage Perspektive ge- oder politisch motiviert sein – können nur durch eine (D) mäß Art. 49 EU-Vertrag, wonach die Union allen euro- verstärkte regionale Kooperation und den konsistenten päischen Staaten offen steht, die die Aufnahmekriterien Einsatz von Mitteln und Ressourcen der EU wie der Mit- erfüllen. Doch ob Beitrittsperspektive oder nicht: Diese gliedstaaten bewältigt werden. Die ENP bietet eben die Nachbarn existieren, und die EU braucht eine überzeu- Möglichkeit für eine gemeinschaftliche Politik, die so- gende Strategie für den Umgang mit ihren Nachbarn. wohl die Interessen der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten Deshalb brauchen wir die Europäische Nachbarschafts- vertritt, aber Antwort auf die politischen, ökonomischen politik, ENP. und gesellschaftlichen Herausforderungen gibt. Die ENP wurde 2003 von der Europäischen Kommis- Deshalb ist es unerlässlich, daß die ENP ein eigen- sion ins Leben gerufen, um sowohl der Union wie auch ständiger Politikansatz bleibt, der konzeptionell unab- ihren unmittelbaren Nachbarstaaten die Möglichkeit für hängig von der Erweiterungspolitik wie auch der klassi- den Ausbau ihrer politischen, ökonomischen wie auch schen Entwicklungspolitik der Union ist. Die kulturellen Beziehungen zu bieten. Nachbarschaftspolitik ist weder ein Ersatz für die Erwei- terung, eine Art Abstellgleis für unerwünschte oder ge- Ihr ausdrückliches Ziel ist es, in einem vereinigten scheiterte Mitgliedskandidaten, noch darf sie als Vor- Europa die Entstehung neuer Trennlinien zu verhindern stufe zur Aufnahme in die nächste Erweiterungsrunde und einen gemeinsamen Raum des Wohlstands, des Frie- verstanden werden. dens und der Stabilität zu schaffen. Die Nachbarschafts- politik ist ein klarer Ausdruck des politischen Willens Auch wenn eine Mitgliedschaft für alle heutigen Part- der Union, auf der Grundlage gemeinsamer Werte die ner der ENP kurz- und mittelfristig ausgeschlossen ist, Partnerstaaten wesentlich auf ihrem Weg zu nachhalti- so bleibt die Differenzierung der Partnerstaaten in gen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen „Nachbarn Europas“ in Bezug auf die südliche Dimen- Reformen zu stärken und zu unterstützen. sion und „Europäische Nachbarn“ in Bezug auf die östli- che Dimension, wie Sie im Kommissionspapier von Diese Reformpartnerschaft gründet wesentlich auf ei- 2003 vorgenommen wurde, aus unserer Sicht bedeut- nen verstärkten politischen Dialog zwischen den Part- sam. Die Mitgliedsperspektive darf jedoch nicht als Au- nern, technische und finanzielle Aufbauhilfen im Rah- tomatismus begriffen werden. Im Gegenteil, sie ist ab- men des Europäischen Nachbarschafts- und hängig von den Reformfortschritten des jeweiligen Partnerschaftsinstrumentes, ENPI, und eine verstärkte Landes und dem glaubwürdigen politischen Willen, die bilaterale wie regionale Kooperation in den Bereichen wirtschaftlichen und politischen Kriterien des Gipfels Handel, Energie, Sicherheit und Umwelt. Die politische von Kopenhagen zu verwirklichen. Will sie auch in Zu- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12929

(A) kunft erfolgreich sein, muss das Prinzip der Differenzie- nun alle Inverkehrbringer von Verpackungen an der (C) rung ein wichtiges Element der ENP bleiben. Hier gilt Finanzierung der Sammlung und Verwertung ihrer Ver- das Prinzip des Tüchtigen, Reformfortschritte sollen mit packungen beteiligen. Die Trittbrettfahrerei über das einem deutlichen Mehr an europäischem Engagement Schlupfloch der sogenannten Selbstentsorger ist dann belohnt, Reformverzögerungen und Verletzungen der hoffentlich Geschichte. Zu begrüßen ist auch die Strei- essenziellen Prinzipien der Partnerschaft soll mit geeig- chung der Ausnahme von der Pfandpflicht für Verpa- neten Maßnahmen begegnet werden. Die ENP muss da- ckungen diätetischer Getränke. Sie wurde vielfach mit her mit Blick auf die Partnerstaaten differenzieren. Diese fantasievoller Namensgebung missbraucht. Hier hört das Differenzierung ist auch bedeutend im Hinblick auf die Lob aber auch auf, denn die Novelle hat zwei gravie- Bedürfnisse und Möglichkeiten der Partnerstaaten. Ins- rende Schwächen: besondere wir als Europäische Union, eine politische Zum einen dürfen stoffgleiche Nichtverpackungen Union, die aus der Vielfalt 27 unterschiedlicher Staaten auch mit dieser Novelle nicht in den gelben Sack. Aber zusammengesetzt ist, darf die Verschiedenheit unserer Kunststoffgieskannen oder Quietscheentchen wären ENP-Partner nicht ignorieren. vielleicht besser zu recyceln als verklebte Yoghurt- Die ENP muss eine bilaterale Kooperationspartner- becher. Darum tritt die Linke dafür ein, die Produktver- schaft ermöglichen, die den beiderseitigen Anforderun- antwortung der Verpackungsverordnung auf stoffglei- gen und Bedürfnissen gerecht wird. Nichtsdestotrotz che Nichtverpackungen auszudehnen. Umweltminister muss es eine Differenzierung innerhalb eines kohärenten Gabriel hat eine solche Erweiterung ja angekündigt. Wir Politikkonzeptes sein. Nicht nur die Annäherung des je- fragen uns, warum sie nicht Bestandteil der neuen Ver- weiligen Partnerstaates an die Union, sondern auch die ordnung ist. Förderung der regionalen Zusammenarbeit, ja wo mög- Zum anderen hat die Novelle für das gegenwärtig lich der regionalen Integration innerhalb der Partnerregi- größte Problem – zumindest aus umweltpolitischer Sicht – onen, ist ein wichtiges Ziel der ENP. Aus diesem Grund überhaupt keine Lösung: Trotz des Pflichtpfandes für plädieren wir für einen stärkeren Ausbau der regionalen Einwegflaschen und -dosen sinkt die Mehrwegquote un- Komponenten der Europäischen Nachbarschaftspolitik, aufhörlich. Nur noch 31 Prozent der alkoholfreien Ge- vor allem bezüglich der beiden regionalen Großräume tränke werden in wiederbefüllbaren Verpackungen ver- Schwarzmeerregion und Mittelmeeranrainer, Stich- kauft. In den 90er-Jahren waren es über 70 Prozent. Wir wort „Schwarzmeersynergie“ und der sogenannte Bar- denken, dass eine zusätzliche Einwegabgabe die Händler celona-Prozess. In diesem Sinne sieht die FDP übrigens vom ökologischen Vorteil der Mehrwegverpackungen in der von Präsident Sarkozy angemahnten neuen Mit- überzeugen könnte. telmeerpartnerschaft durchaus positive und konstruk- (B) tive Zeichen. Die Kooperation innerhalb wie auch Noch ein Wort zu Wirtschaftsminister Michael Glos, (D) zwischen diesen beiden Sparten einer regional ausdif- der ja das Duale System mittelfristig abschaffen will und ferenzierten und maßgeschneiderten ENP ist nach Mei- dafür alternativ eine gemeinsame Entsorgung aller nung der FDP essenziell für die Fortentwicklung und Haushaltsabfälle einführen möchte. Die Anhörung des den Erfolg der ENP. Umweltausschusses hat noch einmal klar gemacht, dass die haushaltsnahe Trennung der Abfallfraktionen gegen- wärtig noch die beste und preiswerteste Art ist, um zu Anlage 18 qualitativ hochwertigen Abfallfraktionen zu kommen. Und nur Sekundärrohstoffe in solch hohen Qualitäten Zu Protokoll gegebene Rede lassen sich auch in der Industrie sinnvoll einsetzen. Zwar zur Beratung der Beschlussempfehlung und des gibt es inzwischen auch Technik, die Gemischtabfall Berichts: trennen kann. Diese ist aber noch nicht ausgereift und teuer. Großtechnisch für die gesamte Siedlungsabfall- – zu der Verordnung der Bundesregierung: wirtschaft ist sie noch nicht einsetzbar. Sie rechnet sich Fünfte Verordnung zur Änderung der Ver- wohl nur, wenn ein Großteil der wertvollen Sekundär- packungsverordnung rohstoffe in Verbrennungsöfen landet. Genau dies ist ja das Ziel von Minister Glos. Das lehnen wir natürlich ab. – zu dem Antrag: Verpackungsverordnung sachgerecht novellieren – Weichen stellen Aus Sicht des Ressourcen- und Klimaschutzes muss für eine moderne Abfall- und Verpackungs- an erster Stelle ohnehin die Abfallvermeidung treten. wirtschaft in Deutschland Aus diesem Blickwinkel birgt die Gemischttonne die Gefahr, dass sich die Gesellschaft vorgaukelt, Abfall sei – zu dem Antrag: Weg vom Öl im Kunststoff- kein Problem mehr. bereich – Chance der Novelle der Verpa- ckungsverordnung nutzen und mit Bio- Die FDP wiederum will mit dem in ihrem Antrag vor- kunststoffen echte Kreisläufe schließen geschlagenen Zertifikatesystem mehr Markt und Flexibi- lität. Grundsätzlich könnte ein Zertifikatesystem viel- (Tagesordnungspunkt 26) leicht tatsächlich zu besseren Verwertungsqualitäten und weniger Bürokratie beitragen. Schließlich würde der Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Linke be- Staat die Zertifikate direkt für eine nachgewiesene Ver- grüßt, dass die Novelle der Verpackungsverordnung wertung an die Recycling- und Verwertungsbetriebe aus- mehr Gerechtigkeit schafften will. Künftig müssen sich geben. Das könnte die zunehmende Intransparenz beim 12930 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Verwertungsnachweis über die Kaskade von Verpflichte- sind, haben sie über die Jahre eindrucksvoll bewiesen. (C) ten über Beauftragte hin zu Sub- und Sub-Sub-Unterneh- Die Passagierzahlen haben sich deutlich erhöht, die Kos- men an dieser Stelle beenden. Dies wäre der Charme ei- ten konnten durch zunehmenden Wettbewerb gesenkt ner solchen Lösung. Allerdings will die FDP ja gar kein werden. Wir können stolz auf das sein, was sich im öf- hochwertiges Recycling. Denn auch für die simple Ver- fentlichen Nahverkehr getan hat. brennung soll es ja die wunderschönen Verwertungszer- Um diese Erfolgsgeschichte auch weiterhin fortsetzen tifikate geben. Das ist dann auch der Grund für unsere zu können, steht es außer Frage, dass der Bund den Ablehnung des Antrags, denn wir stehen für den Gedan- ÖPNV und damit die Ausübung der Verantwortung der ken einer Kreislaufwirtschaft. Länder für den SPNV mit einem hinreichenden Finanz- beitrag auf hohem Niveau fördern muss. Diesem Um- stand trägt das heute zur Beratung und Verabschiedung Anlage 19 stehende Gesetz Rechnung. Zugleich kommt die Große Zu Protokoll gegebene Reden Koalition damit ihrer im Koalitionsvertrag festgeschrie- benen Verantwortung nach und hält Kurs auf ihr großes zur Beratung: Ziel. – Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände- Die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfs rung des Regionalisierungsgesetzes schaffen eine Grundlage dafür, dass die Länder finan- – Entwurf eines Gesetzes zur effizienteren ziell nun gut aufgestellt und ausreichend in der Lage Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs sind, den ÖPNV bzw. SPNV angemessen zu bestellen. (Regionalisierungsreformgesetz) Für 2006 und 2007 bleibt es bei den nach dem Haus- – Beschlussempfehlung und Bericht: Verwen- haltsbegleitgesetz vorgesehenen Regionalisierungsmit- dung der Regionalisierungsmittel offenlegen teln. Für die Jahre 2008 bis 2010 wird den Ländern für die Absenkung der Regionalisierungsmittel eine Kom- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des pensation von insgesamt 500 Millionen Euro auf gesetz- Eisenbahnkreuzungsgesetzes licher Grundlage gegeben, die sie zur Aufrechterhaltung (Tagesordnungspunkt 27 a bis d) der Bestellung von schienengebundenen Nahverkehren einsetzen können. Um den Ländern auch in Zukunft In- vestitionen in den Regionalverkehr zu ermöglichen, wird Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Die Konsolidierung ab 2009 eine Dynamisierungslinie für die Regionalisie- der öffentlichen Haushalte ist ein wesentliches Ziel in rungsmittel vereinbart. dieser Legislaturperiode. Zu diesem Ziel steht die Große (B) (D) Koalition. Im Jahr 2008 erhalten die Länder Regionalisierungs- mittel in Höhe von 6 675,0 Millionen Euro aus dem Mi- Auf die Regionalisierungsmittel haben sich im Zu- neralölsteueraufkommen des Bundes. Ab dem Jahr 2009 sammenhang mit dem Ziel der Haushaltskonsolidierung steigt dieser Betrag jährlich um 1,5 Prozent. Bis zum Auswirkungen ergeben. Wir sind jetzt bemüht, die nöti- Jahr 2014 erreicht er eine Höhe von 7 298,7 Millionen gen Angleichungen vorzunehmen. Euro. Es ist erfreulich, dass es gelungen ist, die ur- Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung sprünglich im Koalitionsvertrag vorgesehene Einspa- der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen rungssumme von 3,1 Milliarden auf 1,8 Milliarden Euro Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvor- zu reduzieren. sorge. Die Daseinsvorsorge und damit der Personennah- Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe verkehr gehören zu den Grundbedürfnissen der Men- der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab schen, auf die sie einen grundgesetzlich verankerten dem Jahr 2015 vorgesehen. Anspruch haben. Diesem Anspruch müssen wir als Ge- setzgeber gerecht werden. Die Länder sollen jährlich die Verwendung der Mittel jeweils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa- ÖPNV und SPNV sind die tragenden Säulen des öf- rent darstellen. Wir brauchen diese vollständige Transpa- fentlichen Verkehrssystems. Sie sichern gleiche Lebens- renz, denn nur so lässt sich ein hoher und effizienter Mit- verhältnisse von Stadt und ländlichem Raum und leisten teleinsatz politisch legitimieren. einen ebenso wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Kli- maschutz. Ohne einen effizienten ÖPNV bzw. SPNV Als Vertreter des ländlichen Raumes hat mich die lassen sich die verkehrs- und umweltpolitischen Heraus- Thematik Regionalisierungsmittel in besonderem Maße forderungen der heutigen Zeit nicht bewältigen. beschäftigt. Das erzielte Ergebnis halte ich für einen gu- ten Kompromiss zwischen Bund und Ländern, sowohl Das Regionalisierungsgesetz hat die Aufgaben für aus verkehrspolitischer als auch aus haushaltspolitischer den öffentlichen Personennahverkehr bzw. Schienenper- Sicht. Ich glaube auch, dass hier eine Lösung mit Per- sonennahverkehr auf die Bundesländer übertragen. Da- spektive für die Zukunft aufgebaut werden kann. Die durch müssen die Länder einer großen Verantwortung Länder erhalten Planungssicherheit und genügend Spiel- nachkommen, die nicht einfach zu schultern ist und viele raum, um mit den zusätzlichen Einnahmen aus der Herausforderungen mit sich bringt. Mehrwertsteuer bei der Förderung des öffentlichen Ver- Dass die Länder dieser Verantwortung verkehrs-, kehrs eigene Prioritäten zu setzen. Für den Bund leistet wirtschafts- und umweltpolitisch durchaus gewachsen das Ergebnis zugleich einen notwendigen Beitrag, das Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12931

(A) Ziel der Haushaltskonsolidierung weiter verfolgen zu Im Gegenzug fordern wir von ihnen mehr Transparenz (C) können. Dies war so beabsichtigt. Den Bundesländern bei der Mittelverwendung. gebührt großer Dank, dass sie bereit waren, dies mitzu- tragen. Ich sage ganz klar: Die einmalige Information der Länder über die Mittelverwendung reicht uns nicht aus. Den mit dem Regionalisierungsgesetz eingeschlage- Mehr Transparenz ist im Interesse von Bund und Län- nen erfolgreichen Weg wollen wir mit dem vorliegenden dern, denn sie hilft uns, den Verdacht zu widerlegen, Gesetz weiter gehen. Der Bund ist bereit, finanziell wei- dass nicht alle Mittel zielgerichtet eingesetzt werden. terhin einen hohen Beitrag zu leisten. Die Länder müs- Mehr Transparenz erleichtert es uns in Zukunft, andere sen im Gegenzug für eine effiziente und transparente fiskalpolitische Begehrlichkeiten abzuwehren. Mittelverwendung sorgen und in ihren Haushalten Prio- Wir wollen mehr Transparenz, lassen aber den Län- ritäten für den ÖPNV setzen. Sie haben dafür ausrei- dern die Möglichkeit, die Kriterien selbst festzulegen. So chend Spielraum. wie die Grünen es in ihrem Antrag vorschlagen, geht es Unser Ziel ist die Sicherstellung einer bedarfsgerech- nicht. Eine jährliche Rechtsverordnung über die Krite- ten, zielgenauen und effizienten Finanzierung des öffent- rien führt zu Endlosdiskussionen. Ihr Antrag schießt lichen Nahverkehrs. Mit dem vorliegenden Gesetz tra- über das Ziel hinaus: Eine engere Zweckbindung, mehr gen wir als Bund weiterhin zur Gewährleistung eines Kontrolle und Sanktionen sind auf den ersten Blick sinn- attraktiven Nahverkehrsangebots bei. volle Instrumente, um den effizienten Mitteleinsatz zu gewährleisten. Sie berücksichtigen aber nicht die finanz- verfassungsrechtlichen Grundlagen: Grundgesetzartikel Sören Bartol (SPD): Der Regionalverkehr ist unbe- 106 a begründet eine Zahlungspflicht des Bundes. Die stritten das Zugpferd des öffentlichen Personenverkehrs. Länder aber sind für die bestimmungsgemäße Verwen- Seine Bedeutung für die Erschließung der Fläche und als dung der Mittel verantwortlich. Wenn wir mehr Transpa- Zubringer zu den Städten und Ballungszentren ist in den renz wollen, dann geht das nur mit ihnen. letzten zehn Jahren deutlich gewachsen. Seit 1994 ist das Gesamtangebot über 25 Prozent gestiegen, die Zahl der Ich halte nichts davon, den Revisionszeitpunkt – wie beförderten Personen von 1,5 auf über 2 Milliarden. Der es der Bundesrat will – auf 2019 zu verschieben. Die von Schienenpersonennahverkehr hat zudem seinen Modal- der Bundesregierung vorgesehenen sieben Jahre bis zur Split-Anteil um 10 Prozent von 3,3 auf 3,7 Prozent aus- Überprüfung geben einerseits genügend Planungssicher- bauen können. heit auch für Investitionen, andererseits die Möglichkeit, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Die sollten wir Wenn man weiß, wie schwierig auch nur kleine Be- uns nicht nehmen lassen. (B) wegungen des Modal Split zu erkämpfen sind, zeigen (D) diese Zahlen, dass das Regionalisierungsgesetz ein Er- Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage folgsmodell ist. Der Bund hat eine über die Jahre solide dafür, den Regionalverkehr in den nächsten Jahren weiter finanzielle Basis geschaffen. Sie ist die Grundlage für zu stärken. Wenn die Länder argumentieren, dass ange- die verbesserte Angebotsqualität im SPNV. In den gut sichts steigender Trassenentgelte 1,5 Prozent Aufwuchs zehn Jahren seit Inkrafttreten des Regionalisierungsge- im Jahr zu wenig sind, dann ist das nur die halbe Wahr- setzes haben die Länder über 77 Milliarden Euro für den heit, denn die Trassenentgelte machen nur 40 Prozent der Regionalverkehr erhalten. Allein in den drei Jahren bis Bestellentgelte aus. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass 2010 werden es weitere 21 Milliarden Euro sein. die Länder reichlich Potenzial haben, die Regionalisie- rungsmittel noch zielgerichteter und effizienter einzuset- Heute wollen wir ein Gesetz beschließen, das diese zen. Inzwischen werden 20 Prozent der bestellten Leitun- Finanzierungsbasis auch für die Zukunft sichert. Es ist gen im Wettbewerb vergeben, in einzelnen Ländern wie die Umsetzung der Zusagen, die die Bundesregierung NRW sogar 50 Prozent. Zwar dominiert immer noch deut- den Ländern bei der Verabschiedung des Haushaltsbe- lich die DB AG, aber auch sie muss mehr Effizienz und gleitgesetzes 2006 gegeben hat. Qualität bringen. Unser ist Ziel eine bedarfsgerechte, aber auch zielgenaue und effiziente Finanzierung des SPNV. Rückblickend möchte ich noch einmal betonen: Wir Der Bund ist weiterhin bereit, einen hohen Finanzbeitrag Verkehrspolitiker waren über die Kürzungen bei den zu leisten. Die Länder müssen im Gegenzug für eine effi- Regionalisierungsmitteln nicht glücklich. Wir waren ziente und transparente Verwendung der Mittel sorgen. froh, dass es uns gelungen ist, im Laufe des parlamen- Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung für den Gesetzent- tarischen Verfahrens deutliche Verbesserungen zu er- wurf der Bundesregierung. zielen: Die ursprünglich zur Haushaltskonsolidierung geforderte Summe von rund 3,1 Milliarden konnte auf 2,3 Milliarden Euro reduziert werden. Mit dem vorlie- Patrick Döring (FDP): Zuerst einmal möchte ich an genden Gesetzentwurf erhalten die Länder nun die zu- dieser Stelle – zum wiederholten Male – mein Bedauern sätzlich vereinbarte Kompensation. darüber ausdrücken, dass die Koalitionsfraktionen wich- tigste politische Themen im Parlament mit Vorliebe bei Erstens. Die Kürzungen werden um eine halbe Mil- Nacht und Nebel verhandeln. Man tut dem Parlament liarde verringert. Zweitens. Die Regionalisierungsmittel und der Demokratie einen Tort an, wenn politische und werden ab 2008 wieder dynamisiert. Sie wachsen jähr- gesellschaftliche Fragen nicht mehr lebendig ausdisku- lich um 1,5 Prozent. Die Länder bekommen damit eine tiert, sondern nur noch als nächtliche Papierschlacht aus- solide Planungsgrundlage für die nächsten sieben Jahre. gefochten werden. Im vorliegenden Fall verstehe ich es 12932 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) noch viel weniger, weil die Kolleginnen und Kollegen erhöhen die Effizienz. Ohne Veränderung der in weiten (C) der Regierungsfraktionen noch nicht einmal wirklich et- Teilen immer noch bestehenden Monopolstrukturen wird was richtig falsch gemacht haben. Im Gegensatz zu frü- die DB die sicheren Einkünfte aus dem SPNV weiterhin heren Debatten kann ich ihnen daher nicht einmal vor- nutzen, um die Expansion in anderen Geschäftsfeldern werfen, dass sie wie in so vielen anderen Fällen bloß voranzutreiben. Das nützt vielleicht der DB, aber nicht schnell irgendeine Gesetzesschimäre nach Beginn der dem Nahverkehr. Nicht ohne Grund hat die DB Regio Sperrstunde um die Ecke bringen wollten. bisher kaum eine Ausschreibung gewonnen. Umso mehr verrät dieses Verhalten aber in meinen Es kann also noch einiges verbessert werden. Das soll Augen über die fehlende Wertschätzung in ihren Reihen uns aber nicht vergessen lassen, dass die Geschichte des für dieses Hohe Haus. Wir bringen hier und heute, ver- Regionalisierungsgesetzes, seitdem es 1994 von der da- teilt auf sieben Jahre, 48,881 Milliarden Euro unter die maligen schwarz-gelben Mehrheit durch- und umgesetzt Leute – oder besser gesagt: unter die Länder. Lauschen wurde, in weiten Teilen eine große Erfolgsgeschichte ge- Sie noch einmal dem Klang meiner Worte: Achtund- wesen ist. Die Anbindung vieler Regionen konnte nach- vierzigmilliardenundachthunderteinundachtzigmillionen haltig verbessert werden. Service, Takt und Komfort Euro! Nach der plötzlichen und unerwarteten Kürzung wurden erheblich gesteigert. Durch die Regionalisierung im letzten Jahr stocken Sie die Mittel in den nächsten wurden verkrustete Strukturen aufgebrochen und der Jahren um 1,5 Prozent per anno auf. Die Länder haben Wettbewerb überhaupt ermöglicht. Strecken, die von der sich hier durchgesetzt, auch weil Bundesminister Tiefen- Deutschen Bahn de facto schon lange aufgegeben wor- see die vorherigen Vereinbarungen mit den Ländern für den waren, sind heute wieder zu Verkehrswegen für den Haushalt 2006 und 2007 gebrochen hat. Die Regio- ganze Regionen geworden. Man sehe sich dazu nur zum nalisierungsmittel steigen von 6,675 Milliar-den im Beispiel die Geschichte der Nord-West-Bahn an. Noch kommenden Jahr auf 7,3 Milliarden Euro im Jahr 2014. vor einigen Jahren verkehrten auf diesen Trassen täglich Ich finde, über solche Summen hätte man auch zu einer höchstens drei oder vier Züge. An Sonn- oder Feiertagen sonnigeren Zeit reden dürfen und an sich auch reden bekam man von der Bahnauskunft auch schon einmal zu müssen. Es geht hier schließlich nicht um irgendwelche hören, man solle sich doch einen anderen Tag für die Peanuts, zumindest sofern Sie sich nicht die Einstellung Anreise aussuchen. Heute hingegen verkehren die Bah- des Herrn Kopper, seligen Angedenkens, zu eigen ge- nen im Stundentakt, die Bahnhöfe und Waggons sind in macht haben sollten. einem ansprechenden Zustand, und die Züge sind voll. Es wäre daher in meinen Augen durchaus angebracht, Jede einzelne dieser Entwicklungen hätte mancher in an dieser Stelle einmal darüber zu diskutieren, ob und diesem Haus – vor allem vermutlich in den Reihen der wie diese Mittel effizient eingesetzt werden. Es ist mehrheitlich hier anwesenden Marktskeptiker – wohl für (B) (D) schließlich ein offenes Geheimnis, dass nicht jedes Land unmöglich gehalten. diese Gelder so einsetzt, wie es der Wunsch des Bundes Gerade diese bisherige Erfolgsgeschichte lehrt uns wäre. Immerhin haben Sie deshalb bereits eine kleine aber, wie wichtig der Wettbewerb für eine Verbesserung Klausel in das Gesetz geschrieben, dass die Länder über der Nahverkehrssituation ist. Es gilt auch hier: Konkur- die Mittelverwendung Bericht erstatten sollen. Ob dies renz belebt das Geschäft. Das sieht man übrigens auch den gewünschten Effekt erbringt, bleibt abzuwarten. bei der Deutschen Bahn. Denn – um an dieser Stelle dem Leider haben die Bundesregierung und Minister Eindruck vorzubeugen, ich hielte dieses Unternehmen Tiefensee, wie auch schon bei den Verhandlungen zur von vornherein für die institutionalisierte Ineffizienz – ÖPNV-Richtlinie auf europäischer Ebene, aber wieder auch die DB verhält sich nur rational. Wo man von dem einmal die Gelegenheit verstreichen lassen, für mehr Konzern keine Anstrengungen verlangt, um einen Auf- Wettbewerb im Nahverkehr zu sorgen. Aufträge aus Re- trag zu erhalten, da wird er auch keine unternehmen. In gionalisierungsmitteln werden auch in Zukunft nicht ei- anderen Geschäftsfeldern hat die DB sich hingegen nem Ausschreibungszwang unterworfen. Die meisten durchaus als flexibel und wettbewerbsfähig präsentiert. Länder werden also weitermachen wie bisher. Das heißt: Dieses Verhalten ist keineswegs Bösartigkeit der DB. Es Die weit überwiegende Zahl der Aufträge wird per In- ist vollkommen ökonomisch und vernünftig, nicht mehr house-Vergabe an die DB Regio AG gehen. Die Konkur- zu tun, als von einem verlangt wird. Irrational und un- renz erhält gar nicht erst Gelegenheit, bessere und billi- vernünftig handelt nur die Politik, wenn sie keine Aus- gere Angebote vorzulegen. Damit vergibt sich die Poli- schreibungen vornimmt und dadurch alle Unternehmen tik ein wichtiges Instrument, um mehr Wettbewerb und zu Höchstleistungen anspornt. damit auch mehr Service und Angebot zu schaffen. Da- Von daher bleibt mir an dieser Stelle abschließend nur bei sieht man zum Beispiel in Niedersachsen und Schles- zu sagen: Gerne unterstützt die FDP-Fraktion das von wig-Holstein, die in den letzten Jahren verstärkt ausge- der Regierung vorgelegte Regionalisierungsgesetz. Für schrieben haben, wie positiv sich dies auf die die Zukunft sehe ich allerdings weiterhin Verbesserungs- Angebotssituation im SPNV auswirkt. Stattdessen wer- bedarf. Aus den bisherigen Erfolgen sollten wir lernen den die Regionalisierungsmittel auch in Zukunft in erster und diese Lehren auch im politischen Handeln beherzi- Linie zu einer Daueralimentation für die Deutsche Bahn. gen. Offenbar haben die fortlaufenden Preiserhöhungen durch die DB im Nahverkehr bei der Mehrheit noch im- mer keinen Lerneffekt ausgelöst: Wir brauchen mehr Heidrun Bluhm (DIE LINKE): Mit dem Haushalts- Wettbewerb! Nur so können wir die Preise senken und begleitgesetz zum Haushaltsplan 2007 hatte die Bundesre- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12933

(A) gierung die Gelder für Bahn und Bus drastisch gekappt – Ein Beispiel: Die Gemeinde Dornbock im Landkreis (C) so sehr, dass die Schmerzgrenze durchbrochen worden Köthen in Sachsen-Anhalt hat 2004 auf Grundlage des war. Die Linke hatte daraufhin die enormen Auswirkun- Eisenbahnkreuzungsgesetzes für Maßnahmen der In- gen dieser Kappung öffentlich gemacht. Aufgrund des standsetzung und Modernisierung einer auf ihrem Terri- entstandenen öffentlichen Drucks erklärte sich die Bun- torium gelegenen Bahnanlage eine Rechnung von knapp desregierung wenn auch spät bereit, die Kürzung der 250 000 Euro erhalten. Der Investitionshaushalt jedoch Gelder mindern zu wollen. umfasste nur ganze 80 000 Euro in diesem Jahr. Damit war die Gemeinde zahlungsunfähig. Dies ist kein Einzel- Was nun dabei herauskam, ist eine Reduzierung der fall. Dieses Schicksal widerfuhr der Gemeinde übrigens Kürzung um immerhin knapp 500 Millionen Euro. Das nach 1994 und damaligen langwierigen juristischen Aus- begrüßen wir. Zu kritisieren bleibt jedoch, dass der einandersetzungen zum zweiten Mal; das ist schon ein 500-Millionen-Euro-Nachschlag bis 2011 gestreckt Skandal an sich. Es besteht Handlungsbedarf, und die wird. Die Rückkehr zur jährlichen Steigerung um meisten Kommunen sind schon seit Jahren mit der Über- 1,5 Prozent sowie die zuletzt eingearbeitete Änderung in nahme eines Drittels der Kosten, wie es das Eisenbahn- § 6 Abs. 2, die Geldverwendung nach gemeinsamen Kri- kreuzungsgesetz aktuell vorsieht, finanziell absolut terien der Länder darzustellen, ist ebenfalls zu begrüßen. überfordert. Leider ist es nicht gelungen, wie von uns in den Aus- Verkehrspolitisch bedeuten marode Kreuzungsanla- schussberatungen beantragt, die jährliche Dynamisie- gen im Bahnstraßennetz das Ziel, mehr Verkehr von der rung an steigende Verkehrsleistungen im Verhältnis zu Straße auf die Schiene zu holen, da bei fehlender In- vorangegangenen Jahren zu binden. Dies hätte nach standhaltung und Modernisierung sogar Streckenstillle- Auffassung meiner Fraktion stärkere Anreize für attrak- gungen drohen. Das kann auch vor dem Hintergrund tive Tarifangebote geschaffen. Und es schwebt das Da- der momentan sehr intensiv geführten Klimaschutzde- moklesschwert der Bahnprivatisierung nach wie vor batte und der Diskussion um die Reduzierung des CO2- über diesem Gesetz. Steigt privates Kapital bei der Deut- Ausstoßes nicht unser Anspruch sein. Mit dem Antrag schen Bahn AG ein, dann bietet dieses Gesetz den Län- meiner Fraktion Die Linke werden durch Änderung des dern nach wie vor zu wenig Geld. Deshalb kann es von § 13, Abs. 1 die Kostenübernahme für kommunale Brü- der Fraktion Die Linke nur eine Enthaltung geben. ckenbauwerke, welche Bahnanlagen betreffen, neu ge- regelt und die Gemeinden entlastet. Förderung von Schienenverkehrsleistungen macht nur Sinn, wenn die entsprechende Schieneninfrastruk- Wir sind der festen Überzeugung, dass die Gemein- tur vorhanden ist. Die Fraktion Die Linke ergreift mit den von der Mischfinanzierung befreit werden und zu- (B) ihrem Gesetzentwurf zur Änderung des Eisenbahnkreu- gleich verantwortungsvoll mit der Infrastruktur umge- (D) zungsgesetzes zur Einführung eines Verursacherprin- gangen wird, und zwar nach dem Verursacherprinzip. zips eine wichtige, weil notwendige Initiative. Die bun- deseigene Deutsche Bahn AG muss sich vermehrt den Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vorwurf gefallen lassen, durch fehlende Instandset- Am 16. Juni 2006 hat der Bundesrat die Kürzung der Re- zungsmaßnahmen den schienengebundenen Nahver- gionalisierungsmittel beschlossen. Der Bundesfinanz- kehr und damit ein wichtiges Element der öffentlichen minister hat den Ländern damals zugesagt, die Kürzung Daseinsvorsorge zu gefährden. Zugleich sind viele der Regionalisierungsmittel im Zeitraum 2006 bis 2009 Kommunen mit der Finanzierung von Baumaßnahmen in einer Größenordnung von 500 Millionen Euro zu ver- nach Eisenbahnkreuzungsgesetz gnadenlos überfordert. mindern. Mehr als ein Jahr später wird diese Zusage mit Die Kosten von solchen Baumaßnahmen sowie die Er- dem vorliegenden Gesetzentwurf für ein zweites Gesetz höhung von Sicherheitsstandards an Bahnübergängen zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes eingelöst. und die Auflassung von Bahnübergängen können durch Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz Die teilweise Rücknahme der Kürzung der Regionali- sierungsmittel lehnen wir zwar nicht ab; die Kürzung ha- (GVFG) bezuschusst werden. Jedoch ist auch hier ein ben wir aber abgelehnt und halten sie auch heute noch für oft das Gemeindebudget übersteigender Anteil zu leis- falsch. Die vorausgesagten Streichungen im Schienen- ten, und dringend benötigte Investitionen in den kom- personennahverkehr als Folge der Kürzung der Regiona- munalen öffentlichen Personennahverkehr und im Stra- lisierungsmittel sind in vielen Bundesländern eingetre- ßenbau werden geschmälert. ten. Nur ein Bundesland hat die Kürzung zu 100 Prozent Mehr als die Hälfte aller Landkreise in der Bundesre- durch Landesmittel kompensiert. publik hat mittlerweile unausgeglichene Haushalte. Als Nach dem bisherigen § 7 RegG war für den Bund einziger Ausweg blieb vielen Städten und Gemeinden nicht überprüfbar, ob die Mittel zweckentsprechend ver- nur, ihre Investitionen drastisch zurückzuführen. Anga- wendet wurden. Die im Gesetzentwurf der Bundesregie- ben der KfW besagen, dass 1999 durch die Kommunen rung in § 6 Abs. 2 enthaltene Berichtspflicht der Länder Investitionen in Höhe von 19 Milliarden Euro, im Jahre gegenüber dem Bund über die Verwendung der Regiona- 2004 aber nur noch in Höhe von 15 Milliarden Euro aus- lisierungsmittel ist zu begrüßen; sie greift aber viel zu gelöst worden sind. Das ist in fünf Jahren ein Fünftel kurz, weil sie nicht näher beschreibt, was einheitliche weniger. Diese traurigen Zahlen zeigen: Eine verantwor- Kriterien sind. Damit ist nicht sichergestellt, dass die tungsvolle kommunale Selbstverwaltung ist zusehends jährliche Mittelverwendung transparent dargestellt wer- nicht mehr möglich. den kann. 12934 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) So wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, wird bei dem Achim Großmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) Bericht nicht mehr herauskommen als beim GVFG-Be- desminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Der richt. Aus unserer Sicht sollten zumindest einige Krite- vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än- rien bzw. Ausgabenarten angegeben werden, damit der derung des Regionalisierungsgesetzes wurde in den Aus- Bericht wenigstens etwas aussagen kann. Man sollte aus schussberatungen durchaus kontrovers diskutiert. Ich dem Bericht schon entnehmen können, in welcher Höhe möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, um noch einmal Zuschüsse für Bestellungen von Zugleistungen im das Ziel dieser Gesetzesänderung zu verdeutlichen: SPNV, für Bestellungen von Verkehrsleistungen im ÖPNV außerhalb des SPNV, sonstige Zuwendungen an Es ist ein dringendes Anliegen der Bundesregierung, Aufgabenträger und Verkehrsbünde im SPNV/ÖPNV, die Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs Zuschüsse für Investitionen in Fahrzeuge des SPNV, Zu- (ÖPNV) weiter zu verbessern und ein bedarfsgerechtes schüsse für Investitionen in Fahrzeuge des ÖPNV außer- Angebot im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auch halb des SPNV, Zuschüsse für Investitionen in bauliche in der Fläche sicherzustellen. Anlagen des ÖPNV und des SPNV und Zuschüsse für Den Ländern stehen nach dieser Gesetzesänderung sonstige Projekte geflossen sind. auch künftig ausreichend Mittel für die Bestellung von Was auf jeden Fall versäumt wurde, ist die Präzisie- Nahverkehrsleistungen und für qualitative Verbesserun- rung der Zweckbindung. Regionalisierungsmittel kön- gen des ÖPNV zur Verfügung. nen nach wie vor für Aufgaben verwendet werden, die Im Rückblick ist festzustellen, dass der Nahverkehr vor dem Regionalisierungsgesetz die Länder aus eigenen vor 1994 ein ungeliebtes und hochdefizitäres Aufgaben- Mitteln bestritten haben. Genannt seien hier beispiels- gebiet der Bahn war. Ziel der Bahnstrukturreform 1994 weise Ausgleichsleistungen bei der Schüler- und war es daher auch, eine zukunftsfähige Grundlage für Schwerbehindertenbeförderung. Das war sicher nicht In- den SPNV zu schaffen. tention des Gesetzgebers. Intention des Gesetzgebers war, Fahrgastzuwächse beim öffentlichen Personannah- Im Zusammenhang mit den gesetzlichen Änderungen verkehr zu erzielen, und nicht, die Länder durch das Re- zur Bahnreform wurde das Grundgesetz um einen neuen gionalisierungsgesetz finanziell zu entlasten. Art. 106 a ergänzt. Den Ländern steht damit für den ÖPNV aus dem Steueraufkommen des Bundes ein Be- Es kann auch nicht sein, dass der Verkehrsminister trag zu. Einzelheiten werden im Regionalisierungsge- den Ländern Fehlverwendung der Regionalisierungsmit- setz, RegG, geregelt, welches ebenfalls im Rahmen der tel vorwirft, was er in der Debatte der letztjährigen Kür- Bahnreform verabschiedet wurde und am 1. Januar 1996 zung getan hat, es aber dann unterlässt, Fehlverwen- in Kraft trat. dungsmöglichkeiten im Gesetz auszuschließen. (B) Dies bedeutete eine vollständige Neuordnung des (D) Der Gesetzentwurf enthält auch keinen Anreiz, dass Ordnungsrahmens: der SPNV wurde zur Landesaufgabe; die Länder die Regionalisierungsmittel effizient ausge- die verschiedenen Zuständigkeiten wurden zusammen- ben. Für die Verteilung der Mittel spielt es keine Rolle, geführt; die bisher vom Bund für den SPNV aufgewen- ob ein Bundesland Fahrgastzuwächse erreicht hat oder deten Mittel wurden auf die Länder übertragen; Länder nicht. Das Geld wird einfach überwiesen. und Aufgabenträger wurden an der Finanzierung betei- Wenn man über ein Jahr für ein Änderungsgesetz ligt und der Verkehr wurde für den Wettbewerb geöffnet. braucht, hätte man also schon etwas mehr hineinschrei- All dies brachte seit Inkrafttreten des Regionalisie- ben können als eine Teilrücknahme einer falschen Kür- rungsgesetzes zum 1. Januar 1996 eine neue Dynamik in zung und eine unzureichende Berichtspflicht. Vorschläge die jahrzehntelange statische Eisenbahnlandschaft. Über unsererseits liegen in Gesetzes- und Antragsform vor. das Regionalisierungsgesetz werden den Ländern umfas- Beim Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ei- sende Finanzmittel aus dem Steueraufkommen des Bun- senbahnkreuzungsgesetzes der Linken wurde ein frühe- des zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur rer Antrag der Linken in Gesetzesform gegossen. Im Ge- Finanzierung der Verkehrsleistungen im SPNV, aber gensatz zum Antrag enthält der Gesetzentwurf immerhin auch investiv zur Verbesserung des ÖPNV einsetzen einen Finanzierungsvorschlag. Trotzdem ist einiges un- können. verständlich: Dennoch ist die Schaffung eines attraktiven ÖPNV Der Gesetzentwurf stellt alle Straßenbaulastträger und nicht unabhängig von anderen politisch vereinbarten nicht nur die Kommunen frei. Die Linke problematisiert Zielen, wie etwa der Haushaltskonsolidierung zu sehen. aber nur die Kommunen. So wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 29. Juni 2006 der in der Koalitionsvereinbarung veran- Warum soll die DB AG die Hälfte des bisherigen An- kerte Auftrag einer Kürzung der Mittel des Bundes für teils des Straßenbaulastträgers bezahlen? Bisher bezahlt den Nahverkehr umgesetzt. sie ein Drittel, nach dem Gesetzentwurf die Hälfte. Mit der jetzt anstehenden Änderung des Regionali- Die NE-Bahnen bezahlen nichts mehr. Damit werden sierungsgesetzes werden die zwischen dem Bund und sie besser behandelt als die DB. den Ländern im Rahmen der Verabschiedung des Haus- Der Bund soll nun auch für Bahnübergänge von haltsbegleitgesetzes (HBeglG) 2006 am 16. Juni 2006 NE-Bahnen bezahlen, bei denen er bisher – außer im vereinbarten Eckpunkte umgesetzt. Die mit dem Haus- Falle der Straßenbaulastträgerschaft – nichts bezahlt. haltsbegleitgesetz 2006 vorgenommenen Kürzungen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12935

(A) der Regionalisierungsmittel (im Zeitraum 2006 bis 2009 bereitstellung effektiver zu gestalten. Der Agrarbericht (C) ergab sich daraus eine Minderung der Regionalisie- inklusive seines forstwirtschaftlichen Teils und der Tier- rungsmittel für die Länder von insgesamt rund 2,3 Mil- schutzbericht werden in Zukunft nur noch alle vier Jahre liarden Euro) sollen so teilweise kompensiert werden. vorgelegt werden. Die Belastung wird dadurch um rund 500 Millionen Ich teile die Kritik des nationalen Normenkontrollaus- Euro vermindert und es wird eine Dynamisierungslinie schusses: Der bisherige Aufwand zur Berichterstellung für die Regionalisierungsmittel eingeführt. steht in keinem angemessenen Verhältnis zum Informa- Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung tionsgehalt. Vielfach sind bereits vor der Veröffentlichung setzt diese Vorgaben um: Die Länder werden im Jahr des Agrarberichtes oder des Tierschutzberichtes aktuellere 2008 Regionalisierungsmittel in Höhe von 6 675,0 Mil- Daten und entsprechende Bewertungen dieser Daten aus lionen Euro aus dem Mineralölsteueraufkommen des anderen Quellen verfügbar. Diese Kritik gilt im Übrigen Bundes erhalten. Ab dem Jahr 2009 wird dieser Betrag auch für Berichte in anderen Politikfeldern. dynamisiert und steigt jährlich um 1,5 vom Hundert. Die Das vorliegende Gesetz macht auch Sinn angesichts jährlichen Beträge werden im Sinne einer verlässlichen der enormen Weiterentwicklung der technischen Mög- Planungsgrundlage bis 2014 festgelegt. lichkeiten zur Informationsaufbereitung und -bereitstel- Im Jahr 2014 ist eine erneute Überprüfung der Höhe lung. Innerhalb der letzten Jahre sind in allen Bereichen der Mittel und der Finanzierungsquelle mit Wirkung ab des täglichen Lebens durch das Internet neue und umfas- dem Jahr 2015 vorgesehen. Darüber hinaus sollen die sende Informationsmöglichkeiten geschaffen worden. Länder dem Bund jährlich die Verwendung der Mittel je- Diese Entwicklung hat sich auch im Verantwortungsbe- weils nach gemeinsam vereinbarten Kriterien transpa- reich des BMELV vollzogen. Als Ergebnis kann heute rent darstellen. jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger auf ein breites und aktuelles Informationsangebot und die dazu- Mit diesen Neuregelungen wird die Finanzierungs- gehörigen Daten zu allen wichtigen Themenbereichen grundlage für den öffentlichen Personennahverkehr auch der Agrar- und Verbraucherpolitik zugreifen. Dieses An- weiterhin gesichert. Gleichzeitig wird in geeigneter gebot beschränkt sich dabei nicht nur auf originäre In- Form und unter Beachtung der verfassungsrechtlichen halte aus dem Kernbereich der Agrar-, Verbraucher- und Vorgaben des Artikels 106 a Grundgesetz Transparenz Tierschutzpolitik. Es wird ergänzt durch eine Vielzahl über die Verwendung der Mittel hergestellt. Die Bundes- zusätzlicher Informationen wie zum Beispiel der ZMP, regierung will mit dieser Gesetzesänderung die Voraus- des Bundesinstituts für Risikobewertung oder auch des setzungen dafür schaffen, dass die Erfolgsgeschichte der Friedrich-Loeffler-lnstituts, um nur einige Beispiele zu Regionalisierung weitergeht. nennen. So werden schon heute die gesetzlichen Infor- (B) (D) mationspflichten des Bundesministeriums durch viele weitere Informationsquellen ergänzt und vervollständigt. Anlage 20 Aktuelle Markt- und Strukturdaten, die für die For- Zu Protokoll gegebene Reden schung und Wissenschaft relevant sind, sind jederzeit und zur Beratung: überall abrufbar. Darüber hinaus informiert das Bundes- ministerium die Abgeordneten des Deutschen Bundesta- – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der ges durch aktuelle Berichte sowie durch schriftliche und gesetzlichen Berichtspflichten im Zuständig- mündliche Antworten auf parlamentarische Anfragen. So- keitsbereich des Bundesministeriums für mit haben die bisherigen Routineberichte in Papierform Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- weitgehend ihren ursprünglichen Zweck verloren, und die cherschutz Verlängerung der Veröffentlichungsintervalle ist somit ge- – Beschlussempfehlung und des Bericht: Neu- rechtfertigt. ordnung des Berichtswesens Selbstverständlich wird es nicht, wie die Opposition (Tagesordnungspunkt 29 a und b) behauptet, unweigerlich zu einer Abwertung der genann- ten Politikbereiche kommen. Die Änderungen im Be- richtswesen des BMELV werden auch nicht dazu führen, Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): „Totgesagte leben wie die Kollegin Behm im Ausschuss behauptet hat, länger.“ Dieser Spruch gilt im übertragenen Sinne auch dass wir ab sofort nur noch alle vier Jahre über Agrar-, für das Landwirtschaftsgesetz von 1955. Mit vereinten Forst- oder Tierschutzpolitik sprechen werden. Ich bin Kräften der Koalition und durch den entschiedenen sicher, dass wir als Parlamentarier in Zukunft auf der Widerstand der SPD-Fraktion mit entsprechender Unter- Grundlage eigener Anträge ausreichend Gelegenheit fin- stützung der CDU-Kollegen ist es uns gelungen, Minis- den werden, zur aktuellen Agrar- und Tierschutzpolitik ter Seehofer davon zu überzeugen, das Landwirtschafts- zu debattieren. gesetz nicht abzuschaffen. Wir machen in der heutigen Plenardebatte zunächst einen wichtigen Schritt in Der vorliegende Gesetzentwurf kann nur im Zusam- Richtung Entbürokratisierung des Berichtswesens des menhang mit dem heute zu beschließenden Entschlie- BMELV. Auf der Basis des Entschließungsantrags aus ßungsantrag der Koalition gesehen werden. Er bestimmt dem Sommer dieses Jahres werden wir mit der jetzigen den Rahmen der zukünftigen Berichterstattung und ent- Regelung unnütze Bürokratiekosten vermeiden und hält zwei wichtige Prüfaufträge an die Bundesregierung, gleichzeitig die Möglichkeit schaffen, die Informations- die in einem zweiten Schritt konsequent umgesetzt 12936 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) werden müssen. Es gilt, die Agrarpolitik grundsätzlich Landwirtschaftsgesetzbuches werden. Diese kann auch (C) neu auszurichten. Sie muss zum integralen Bestandteil die Arbeit eines neu einzurichtenden Rates für die ländli- einer nachhaltigen Politik für den ländlichen Raum wer- chen Räume entscheidend erleichtern. Die deutschen den. Die Entwicklung des Landwirtschaftsgesetzes zu Landwirte stellen sich den Herausforderungen einer glo- einem modernen Landwirtschaftsgesetzbuch kann dafür balisierten Welt. Dafür müssen wir die politischen Rah- wesentliche Voraussetzungen schaffen. menbedingungen schaffen. Ich bitte Sie, daher dem vor- liegenden Gesetzentwurf und dem Entschließungsantrag Jeder von uns weiß, dass sich die Agrarpolitik mit ih- zuzustimmen. rem Anspruch als eigenständiges Politikfeld in unserer Gesellschaft ständig neu legitimieren muss. Die natio- nale wie auch die internationale Agrarpolitik stehen da- Hans-Michael Goldmann (FDP): Natürlich begrüßt bei vor tiefgreifenden Herausforderungen. die FDP grundsätzlich alle Maßnahmen der Bundes- regierung, die dazu führen, Bürokratie abzubauen. Doch Ich nenne nur drei Beispiele, um zu verdeutlichen, Minister Seehofer neigt dazu, das Kind mit dem Bade was uns erwartet: erstens die Zunahme der Weltbevöl- auszuschütten. Auch die Änderungen beim Fleischge- kerung um drei Milliarden Menschen bis zum Jahr setz wurden uns verkauft als Beitrag zum Bürokratie- 2050, für die es gilt, die Versorgung mit hochwertigen abbau. Deshalb ist es notwendig, solche Argumente kri- Lebensmitteln sicherzustellen; zweitens der Beitrag, tisch zu hinterfragen. den die Landwirtschaft und somit auch die Agrarpolitik in Hinblick auf die Herausforderungen des weltweiten Unbestreitbar würde es die Verwaltung entlasten, Klimawandels leisten muss; drittens wird sich der wenn sie die vier Berichte, die in die Verantwortung des Strukturwandel in den landwirtschaftlichen Betrieben BMELV fallen, nur noch alle vier Jahre anstatt jedes Jahr unvermindert fortsetzen, sodass wir spätestens für das vorzulegen hätte. Und in der Tat, die jährlichen Berichte Jahr 2020 nur noch von 100 000 Vollerwerbsbetrieben waren nicht zweckdienlich. Doch wir befürchten, dass ausgehen müssen. diese Initiative leider wiederum der Geringschätzung des Ministers für den Agrarbereich geschuldet ist. Den letz- Angesichts dieser Herausforderungen darf sich ten Agrarbericht hat Herr Seehofer ja nicht einmal mehr Agrarpolitik heute nicht mehr als Klientelpolitik verste- selber auf der Bundespressekonferenz vorgestellt. hen. Für Sozialdemokraten steht der Mensch im Vorder- grund der Politik. Daraus leitet sich auch die Zielbestim- Der geplante Zeitraum von vier Jahren für das Be- mung für eine sozialdemokratische Agrarpolitik ab, die richtswesen im Bereich des BMELV ist zu lang bemes- zukünftig integraler Bestandteil einer Politik für die Ent- sen. Bei dieser Zeitspanne fehlt die Aktualität von Ent- wicklung ländlicher Räume und die dort lebenden und wicklungen. Im ersten Jahr einer Legislaturperiode einer (B) arbeitenden Menschen sein wird. Agrarpolitik muss neu neuen Regierung würde man im Wesentlichen auf Zah- (D) gedacht und definiert werden. Das heißt, dass wir die len der Vorgängerregierung zurückgreifen, und im letz- Agrarpolitik als Querschnittspolitik denken müssen, die ten Jahr haben wir Wahlkampfzahlen. viel stärker mit der Beschäftigungspolitik, der Infra- Gerade beim Agrarbericht geht es darum, Tendenzen strukturpolitik aber auch der Umweltpolitik verzahnt zu erkennen, um politische Weichenstellungen vorneh- wird. Im Hinblick auf den multifunktionalen Charakter men zu können. Da hilft dann auch nicht der Verweis ländlicher Räume wird die Landwirtschaft dann das aufs Internet, denn die Zahlen und Informationen müs- starke Rückgrat im ländlichen Raum bilden. Es heißt sen doch in einen gewichteten sachlichen Zusammen- Abschiednehmen vom allseits so geliebten Förder- und hang gebracht werden. Nehmen wir zum Beispiel die Subventionsmodellen wie zum Beispiel der Flächenprä- Entwicklung der Milch- und Getreidepreise. Diese Ent- mie. Niemand in dieser Gesellschaft hat ein ererbtes An- wicklung hat vor sechs bis neun Monaten in dieser Form recht auf dauerhafte Zahlungen aus dem Steuersack. Es niemand vorhersehen können. Wir könnten uns nun im gilt, die Rahmenbedingungen für die Agrarpolitik so zu nächsten Jahr beim nächsten Agrarbericht parlamenta- gestalten, dass die Bewertung und Honorierung der Leis- risch mit diesen Entwicklungen beschäftigen und Konse- tungen einer wettbewerbsorientierten Landwirtschaft im quenzen ableiten. Der Agrarbericht gibt uns einen Auf- Vordergrund stehen. Nur so lässt sich Agrarpolitik auch trag für eine parlamentarische Auseinandersetzung. langfristig legitimieren. Daher hat der im Entschlie- ßungsantrag formulierte Prüfauftrag an das BMELV für Es gilt, einen Mittelweg zwischen dem Wunsch und mich besondere Bedeutung. Für die Weiterentwicklung der Notwendigkeit nach mehr Effizienz und unserem In- des Landwirtschaftsgesetzes zum Landwirtschaftsge- formationsbedürfnis zu finden. Die FDP hielte deshalb setzbuch habe ich den politischen Rahmen bereits skiz- einen Zweijahresrhythmus für angemessen. Auch die ziert. Konkret bedeutet dies, dass wir die Vorgaben so Verbraucherzentrale schlägt für den Bericht zum Ver- gestalten, dass die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze braucherschutz einen Zeitintervall von zwei Jahren vor. im ländlichen Raum ausgebaut, die soziale Absicherung der in der Landwirtschaft Tätigen angemessen berück- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Seit 1956 er- sichtigt, die Innovations- und Wettbewerbskraft der scheint jährlich der Agrarbericht der Bundesregierung Landwirtschaft gefördert und die hohen Qualitäts-, Pro- zur Lage der Landwirtschaft, zur nationalen und interna- dukt- sowie Tierschutzstandards weiterentwickelt wer- tionalen Agrarpolitik und zu deren Finanzierung. Die den. Ich wünsche mir, dass auch die Grundsätze der gu- Landwirtschaft ist seit jeher ein Wirtschaftssektor mit ten fachlichen Praxis und das die Landwirtschaft engster politischer Verflechtung. Agrarpolitische Ent- betreffende Fachrecht zum Bestandteil eines neuen scheidungen in Deutschland und Europa prägen wie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12937

(A) kaum ein anderer Faktor das Bild und das Geschehen in wichtigsten Funktionen der politischen Berichterstat- (C) der Landwirtschaft. Der jährliche Agrarbericht bietet da- tung. bei die besondere Möglichkeit, nicht nur die Gesamtbe- wertung des Wirtschaftssektors Land- und Agrarwirt- Im Antrag der Koalition wird auf die Datenverfügbar- schaft in die Betrachtung zu nehmen, sondern auch die keit aus dem Berichtswesen der Testbetriebe im Internet getroffenen agrarpolitischen Entscheidungen auf natio- hingewiesen. Für eine reine Expertendiskussion wäre naler und europäischer Ebene zu bewerten. Sie können das vielleicht ausreichend. Aber genau diese Reduktion quasi Rechenschaftsbericht und Frühwarnsystem in ei- der Debatte kann nicht unser parlamentarischer Wille nem sein. sein. Für die Linke ist der öffentliche Bezug gerade bei der agrarpolitischen Debatte wichtig. Die vor uns liegen- Gerade die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, den Entscheidungen zur Weiterentwicklung der europäi- welchen Einfluss die Agrarpolitik auf die wirtschaftliche schen Förderpolitik, zum Umgang mit der Agrogentech- Lage der landwirtschaftlichen Betriebe haben kann. Als nik, zu Vermeidungs- und Anpassungsstrategien auf den Beispiel sei die Einführung der Förderung der energeti- heute schon spürbaren Klimawandel, zur Entwicklung schen Biomassenutzung genannt. Damit sind völlig neue auf den Weltmärkten usw. bedürfen der regelmäßigen Einkommensmöglichkeiten für landwirtschaftliche Be- Bewertung. triebe entstanden. Die politische Entscheidung für Straf- steuer und Zwangsbeimischung bei Biokraftstoffen hat Allerdings sind wir auch der Auffassung, dass die Be- dagegen diese Quelle gleich wieder zum Rinnsal ge- richte inhaltlich qualifiziert werden müssen. Zum Bei- macht. Das zeigt, dass politische Entscheidungen oft spiel fehlen aus Sicht der Linken Indikatoren für die Be- sehr viel schneller wirken als eine Legislaturperiode wertung der sozialen Situation und zur Gleichstellung. dauert. Hinzu kommt eine deutliche Dynamisierung der Ebenfalls sehr sensibel ist in der öffentlichen deutschen Veränderungsprozesse infolge neoliberaler Globalisie- und auch europäischen Diskussion der Tierschutzbe- rung der Märkte. richt. Die millionenfache Haltung, Züchtung und Nut- zung von Tieren in der Landwirtschaft, in der Forschung Die Koalition schafft mit dem Gesetzentwurf zur Ver- oder in der privaten Hobbyhaltung setzt die Politik in be- längerung der Berichtszeiträume die Möglichkeit einer sondere Verantwortung. Der alle zwei Jahre erschei- zeitnahen Bewertung und Diskussion der Agrarpolitik nende Tierschutzbericht hat bislang effizient dazu beige- schlichtweg ab. Die Linke hält angesichts der hohen Dy- tragen, das Thema Tierschutz im Blick zu behalten und namik der Entwicklung ein Zweijahresintervall für die die Diskussion um ihn zu befördern. Hier gilt im Grunde Bewertung agrarpolitischer Entscheidungen für eine dasselbe wie zur Agrarberichterstattung: Dem öffentli- Mindestforderung und lehnt daher den Antrag ab. Es che Interesse an der Thematik ist mit einer Verlängerung gibt viele Gründe, Agrar-, Waldzustands-, Tierschutz- (B) der Abstände der Berichterstattung nicht gedient. (D) und Verbraucherschutzbericht weiter regelmäßig in den Fokus öffentlichen Interesses zu stellen. Manche mögen Das wirkliche Ziel des Gesetzentwurfs liegt auf der denken, dass die Landwirtschaft an Bedeutung verliert. Hand. Wo keine Berichte sind, da ist kein Anlass zu poli- Der Agrarbericht selber bringt ja auch Zahlen, die das tischen Diskussionen. Aber genau das hält Die Linke für nahelegen mögen. So beträgt der Anteil der Landwirt- den falschen Weg. Wir brauchen gerade auch für die schaft am Bruttoinlandsprodukt gerade einmal 1 Pro- Landwirtschaft mehr Debatte in einer größeren gesell- zent, die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ist schaftlichen Breite. Dazu werden keine Rohdaten im In- rückläufig und die Zahl der in der Landwirtschaft Be- ternet gebraucht, sondern die Positionierung der Regie- schäftigten, und Selbstständigen sinkt kontinuierlich. rung zur Situation, das mindestens alle zwei Jahre und Nur: Eine Reduktion unserer Sicht auf diese volkswirt- nicht einmal pro Legislatur. schaftlichen Kriterien ist falsch. Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Die Erzeugung von Nahrungsmitteln gehört zur De- Grüne lehnen die Verlängerung der Berichtsintervalle für ckung der Grundbedürfnisse des Menschen und bleibt den Agrar- und Tierschutzbericht sowie für den Waldzu- damit wesentlich. Die Entwicklung in jüngerer Zeit standsbericht auf alle vier Jahre mit aller Entschieden- bringt gerade diese Diskussion wieder in eine neue Ak- heit ab. Mindestens alle zwei Jahre sollte getrennt über tualität: Durch Klimawandel, die dynamische Entwick- die Agrarpolitik, über die Tierschutzpolilik, über die lung der sogenannten Schwellenländer, die steigende Verbraucherschutzpolitik und über den Waldzustand be- Weltbevölkerung und neue Aufgaben für die Landwirt- richtet werden, um der politischen Bedeutung dieser schaft wie zum Beispiel die Erzeugung von Bioenergie Themen gerecht zu werden. wird die Agrarerzeugung im nationalen, europäischen und internationalen Kontext sogar wieder wichtiger. Die Der Hauptgrund für unsere Ablehnung ist, dass die Anzahl potenzieller Krisenfaktoren hat sich deutlich er- Verlängerung auf einen vierjährlichen Zyklus diese Poli- höht. Dabei sind heute nicht nur die Bedingungen der tikbereiche deutlich schwächen wird. Denn die Berichte hiesigen Landwirtschaft von Bedeutung, sondern der und die Diskussionen darüber im Bundestag lenken re- weltweite Kontext. Zudem werden weltweit die sozialen gelmäßig die Aufmerksamkeit von Politik, Presse und und ökologischen Folgen der beschleunigten neolibera- Öffentlichkeit auf diese Politikfelder. Agrar-, Tierschutz- len Globalisierung immer deutlicher sichtbar. Mit dem und Vcrbraucherpolitischer Bericht bieten Politikern und Agrarbericht und den weiteren Ressortberichten werden der Branche den Anlass, sich regelmäßig mit den Grund- die Auswirkungen dieser Prozesse in den Fokus öffentli- satzfragen der Agrar-, der Tierschutz- und der Verbrau- chen Interesses gerückt. Dieses ist und bleibt eine der cherpolitik auseinanderzusetzen, statt immer nur ein- 12938 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) zelne Spezialfragen zu bearbeiten. Speziell der ganz, oder wird sie, und wenn wie, in den Agrarbericht (C) Agrarbericht bietet die Möglichkeit, der Gesellschaft die aufgenommen? Ihre Beschlussvorlagen geben dazu im Vergleich zu ihrem Anteil am BIP große Bedeutung keine klare Auskunft. von Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft für gesunde Ernährung und den Erhalt der Kulturlandschaft darzule- Ich erinnere daran, dass sich auch Parlamentarier der gen. Union im Rahmen der Haushaltsberatungen darüber be- klagten, dass der Bundestag zwar jedes Jahr über Durch die fehlenden jährlichen Berichte werden aber 600 Millionen Euro für die GAK bereitstellt, dass der zukünftig nicht nur diese Grundsatzdebatten deutlich Bundestag aber in keiner Weise an den Entscheidungen seltener stattfinden. Zukünftig werden auch einfach zu- über die konkrete Mittelverwendung beteiligt wird. Wol- gängliche Daten- und Wissensgrundlagen nicht mehr so len Sie jetzt nicht einmal mehr wissen, was mit dem einfach zur Verfügung stehen, und zwar nicht nur für uns Geld gemacht wurde? Abgeordnete, sondern auch für die Fachöffentlichkeit. Herr Schirmbeck, Ihre Fraktion will plötzlich dafür Die Koalition nennt als Hauptgrund für diese Ein- sorgen, dass dem Bundestag nicht einmal mehr jährlich griffe den Abbau von Bürokratie. Dieser Abbau hält sich über die Mittelverwendung und über die Veränderungen aber in Grenzen, wenn man bedenkt, dass die statisti- bei den Fördergrundsätzen berichtet wird, und das, ob- schen Daten nach wie vor im unveränderten Rhythmus wohl der PLANAK jedes Jahr über Änderungen der För- erhoben werden müssen. Es wird also vor allem Auf- dergrundsätze entscheidet. Sieht so die Stärkung parla- wand bei der Zusammenstellung, Formulierung und der mentarischer Beteiligungsrechte aus? Abstimmung der Fakten eingespart. Rechtfertigt dieser etwas geringe Aufwand tatsächlich diesen Bedeutungs- Der Koalitionsantrag zur Neuordnung des Berichts- verlust für die Agrar- und Tierschutzpolitik? Nein, das wesens im Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Ver- tut er nicht. braucherschutz ist ein einziger Murks. Er wird durch seine gesetzliche Umsetzung nicht besser. Deswegen Deswegen muss man annehmen, dass der mit der Ver- lehnen wir Ihren Antrag und Ihr Gesetz ab. längerung des Berichtszyklus verbundene Bedeutungs- verlust für die Ticrschutzpolilik und für die Verbraucher- politik von der Großen Koalition billigend in Kauf Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- genommen wird. Warum die Agrarpolitiker der Union minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- dies auch für die Agrarpolitik akzeptieren, bleibt mir al- schutz: Vereinfachung und Bürokratieabbau sind erklärte lerdings verborgen; denn die so nötige Imageverbesse- Ziele der Bundesregierung. Das Bundesministerium für rung der Landwirtschaft erreicht man dadurch ganz si- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz setzt (B) cher nicht. die entsprechende Vereinbarung des Koalitionsvertrages (D) mit dem „Aktionsplan zur Verringerung bürokratischer Besonders drastisch wird der Bedeutungsverlust für Hemmnisse“ konsequent um. den Waldzustandsbericht sein: Mit seinem Wegfall wird auch die Aufmerksamkeit für die Waldschäden in der Zuerst geht es uns dabei um Erleichterungen für Öffentlichkeit entfallen. Das ist ganz eindeutig; denn Landwirte und Unternehmen. Zusätzlich überprüfen wir derzeit findet der Wald ohnehin nur einmal jährlich in Routinevorgänge in der Verwaltung. Dabei hinterfragen den Medien statt, nämlich dann, wenn der Waldzu- wir sowohl die Notwendigkeit als auch die Art und standsbericht vorgelegt wird. Weise des Vollzugs unseres Verwaltungshandelns. Die Beseitigung der öffentlichen Aufmerksamkeit für Ein wichtiger Punkt unseres Aktionsplans ist die die Waldschäden ist aber offensichtlich die wesentliche Straffung und die Konzentration unseres Berichtswe- Motivation für den Wegfall der jährlichen Waldzustands- sens. Wir wollen die starre Routine jährlich wiederkeh- berichte. Politisch erwünscht sind im Rahmen der Charta render Berichte aufbrechen. Hier wird bisher viel Auf- für Holz nur noch gute Nachrichten aus dem Wald. wand betrieben – unabhängig davon, ob es überhaupt Schlechte Nachrichten soll die Gesellschaft nicht mehr Neues zu berichten gibt. hören. Denn es wird in der Forst- und Holzbranche viel- Aus diesem Grund hat die Bundesregierung den Ent- fach befürchtet, dass schlechte Nachrichten über kranke wurf eines Gesetzes zur Änderung der Berichtspflichten Wälder die Zustimmung der Gesellschaft zur sinnvollen im Zuständigkeitsbereich des BMELV vorgelegt. verstärkten Holznutzung untergraben. Deswegen soll der jährliche Waldzustandsbericht weg. Dass sich die große Wir verfolgen damit zwei Ziele: Routineberichte soll Koalition so eindeutig dieser Lobby beugt, ist beschä- es künftig seltener geben. Dafür werden sie stärker län- mend. gerfristige Entwicklungen und Perspektiven aufgreifen. Die notwendigen Informationen wollen wir dagegen ak- Gravierend ist auch, dass nach dem Willen der Koali- tueller, schneller und sachbezogener zur Verfügung stel- tionsfraktionen nicht mehr jährlich über die künftige Ge- len. staltung der GAK berichtet werden soll, sondern dass dieser Bericht laut Koalitionsantrag im vierjährlichen Ein praktisches Beispiel: Der Agrarbericht 2007 do- Agrarbericht aufgehen soll. Allerdings ist dem Gesetz- kumentiert die Lage der Landwirtschaft im vorletzten entwurf der Koalition zu entnehmen, dass sich am Zu- Wirtschaftsjahr 2005/2006 und Maßnahmen der Agrar- schnitt des Agrarberichtes nichts ändern wird. Entfällt politik für das Jahr 2006. Nach Abstimmung zwischen dann die Berichterstattung über die GAK zukünftig den beteiligten Bundesministerien wurde er am 31. Ja- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12939

(A) nuar 2007 beschlossen. Ende Oktober 2007 beriet In den Sitzungen der Ausschüsse des Bundestages (C) schließlich der federführende Ausschuss darüber. sowie durch parlamentarische Anfragen machen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, darüber hinaus Ich glaube, dass dieses Verfahren 1955 – das ist das umfassend von Ihrem Auskunftsrecht gegenüber der Jahr, in dem erstmals ein entsprechender Bericht dem Bundesregierung Gebrauch. Deutschen Bundestag zugeleitet wurde – angemessen war. Den heutigen Anforderungen einer modernen Infor- Die Basis jeder Berichterstattung sind die Erhebun- mationsgesellschaft wird diese Art und Weise der Be- gen und deren Ergebnisse. Diese bleiben von unserem richterstattung nicht gerecht. Vorhaben unberührt: Im Agrarbereich werden Daten auch künftig jährlich erhoben und veröffentlicht, und Die kurzen Berichtsintervalle waren damals sinnvoll, zwar unmittelbar nach der Erhebung. denn es standen vergleichsweise wenige andere Informa- tionsquellen zur Verfügung. Mit Blick auf die inzwi- Mit der Neuordnung des Berichtswesens können wir schen für alle und jederzeit zugänglichen Informationen einen Teil des Personals – übrigens nicht nur im Land- wird hier jedoch eine Arbeit geleistet, deren Nutzen für wirtschaftsministerium – von jährlich wiederkehrenden die Interessenten immer geringer geworden ist. Routineaufgaben befreien und künftig effektiver einset- zen. Die Verwendung älterer – teilweise veralteter – Daten In seiner Stellungnahme hat uns der nationale Nor- mindert die Aktualität der Berichte, schwächt das Inte- menkontrollrat seine Auffassung übermittelt, dass der resse der Öffentlichkeit und verkleinert die Basis für derzeitige Aufwand für die Erstellung der Berichte in Entscheidungen aufgrund der Berichte. Das heißt: Kurze keinem angemessenen Verhältnis zum daraus resultie- Berichtsintervalle führen nicht automatisch zu besserer renden Informationsgehalt steht. Er begrüßt daher die Information. Verlängerung der Berichtszeiträume. Mehr noch: Er Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, den Agrarbe- empfiehlt auch anderen Bundesressorts die Überprüfung richt und den Tierschutzbericht im Vierjahresturnus ab- ihres Berichtswesens unter diesem Gesichtspunkt. zugeben. Wir wissen uns dabei im Einklang mit der Auch der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Mehrheit des Bundestages. Mit dem heute ebenfalls ab- Ansatz begrüßt, mit der Neuordnung des Berichtswesens zustimmenden Entschließungsantrag erhalten wir den den Verwaltungsaufwand zu verringern und in den Rou- Auftrag, auch die anderen Routineberichte unseres Hau- tineberichten künftig politisch bedeutsame Zusammen- ses thematisch zu ordnen und künftig einmal in der Le- hänge und Entwicklungen zu betrachten. gislaturperiode herauszugeben. Zusammengefasst lässt sich sagen: Das Gesetz dient (B) Künftig wird das BMELV vier Themenberichte vorle- dem Bürokratieabbau, ohne dass die Transparenz dabei (D) gen. Erstens. Der bisherige Agrarbericht wird sich neben verlorengeht. Daher bitte ich Sie um Ihre Zustimmung. der Lage der Landwirtschaft und der Fischerei verstärkt den ländlichen Räumen widmen und hierzu auch die Mittelverwendung der Gemeinschaftsaufgabe „Agrar- Anlage 21 struktur und Küstenschutz“ wiedergeben. Zweitens. Für den Schwerpunkt „Wald und Forst“ ist ein Gesamtbe- Zu Protokoll gegebene Reden richt vorgesehen, in dem auch Informationen zum Wald- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur zustand ihren angemessenen Platz finden werden. Drit- Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und tens wird es einen Tierschutzbericht und viertens einen anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi- verbraucherpolitischen Bericht geben. gungsrechts (Tagesordnungspunkt 31) Im Übrigen verweise ich darauf, dass es bisher für ei- nen regelmäßig erscheinenden verbraucherpolitischen Max Straubinger (CDU/CSU): Wir behandeln hier Bericht keine Grundlage gab und diese Lücke jetzt ge- und heute in zweiter und dritter Lesung den Entwurf schlossen wird. eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsge- setzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädi- In Ergänzung zu den periodischen Berichten wird das gungsrechts der Bundesregierung. BMELV in zeitgemäßer Form aktuell und sachbezogen Kernpunkte des Gesetzentwurfs sind: die Schaffung informieren, ohne dass Jahrzehnte alte Routinen dabei einer materiellen Ermächtigungsgrundlage zum Erlass im Weg stehen. Wir werden verstärkt das Internet nut- einer Rechtsverordnung in § 30 des Bundesversorgungs- zen, daneben auch Pressemitteilungen und Broschüren. gesetzes, auf deren Grundlage die „Anhaltspunkte für Mit diesem Wandel in der Form der Berichterstattung die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi- können wir schneller auf aktuelle Entwicklungen reagie- gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“, ren. Sensible Politikfelder mit hoher öffentlicher Wahr- kurz AHP genannt, zukünftig ohne verfassungsrechtli- nehmung sollen besonders berücksichtigt werden. Hier che Bedenken erlassen werden können; der Ausdruck denke ich zum Beispiel an den Tierschutz oder auch den „Minderung der Erwerbsfähigkeit“, MdE, wird durch die Waldzustandsbericht. Bezeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, er- setzt, der aus sich heraus das Kausalitätserfordernis zwi- Für uns gilt der Grundsatz: Wenn es etwas zu berich- schen der Schädigung und dem zu entschädigenden Ge- ten gibt, werden wir dies umgehend tun. sundheitsschaden deutlich macht; Änderung im Bereich 12940 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) der Kriegsopferfürsorge, die überwiegend bereits Ein- Die vom Bundesrat in seinem Beschluss vom 21. Sep- (C) gang in die Praxis gefunden hat; Änderung im Bereich tember 2007 geforderte Streichung von Art. 1 Nr. 48 der Heil- und Krankenbehandlung; Umsetzung der not- Buchstabe b Doppelbuchstabe cc – „Wird Versorgung wendigen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen abweichend von § 7 Abs. 2 erbracht, werden mit Zustim- Entschädigungsrecht und in Gesetzen, die auf das So- mung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ziale Entschädigungsrecht unmittelbar Bezug nehmen. ausländische Rentenleistungen aus derselben Ursache angerechnet“ – wurde Rechnung getragen. Hier wurden Bei den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertä- vom Bundesrat dazu verfassungsrechtliche und rechts- tigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem systematische Bedenken angeführt. Schwerbehindertenrecht, AHP, handelt es sich nach der Rechtsprechung um antizipierte Sachverständigengut- Insgesamt erfüllt dieser Gesetzentwurf die gesteckten achten, die im Einzelfall nicht widerlegbar sind. Den- Ziele bezüglich der Umsetzung der notwendigen Kor- noch existierte bisher keine gesetzliche Ermächtigungs- rekturen und Anpassungen sowohl im Bundesversor- grundlage sowohl für die AHP selbst als auch für die gungsgesetz als auch im Sozialen Entschädigungsgesetz Organisation, das Verfahren und die Zusammensetzung und in Gesetzen, die auf das Soziale Entschädigungs- recht unmittelbar Bezug nehmen. Insofern stimmt die des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim BMAS, Fraktion CDU/CSU dem Entwurf eines Gesetzes zur das dieses Regelwerk erarbeitet und ständig überprüft. Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Dies rügte mehrmals auch die höchstrichterliche Recht- Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts der sprechung. Mit der Änderung des Bundesversorgungsge- Bundesregierung zu. setzes kommt die Bundesregierung dieser Forderung nun endlich nach. Anton Schaaf (SPD): Wir beraten heute abschlie- Beim zweiten Kernschwerpunkt ist die Änderung in- ßend über zahlreiche Änderungen des Bundesversor- sofern nötig, da der Begriff „Minderung der Erwerbsfä- gungsgesetzes und anderer Vorschriften. Mit den vorgese- higkeit“, MdE, der im Sozialen Entschädigungsrecht zur henen Regelungen wird das Soziale Entschädigungsrecht Feststellung des schädigungsbedingten Gesundheits- konsequent weiterentwickelt. So organisieren wir den schadens verwendet wird, irreführend ist und dort, wie nötigen sozialen Ausgleich, um Menschen zu befähigen, auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies ist eine un- wo er ebenfalls verwendet wird, von den Betroffenen serer grundlegenden Aufgaben. Dieser Aufgabe stellen oftmals falsch verstanden wird. wir uns mit dem zur Beratung stehenden Gesetzentwurf. Dieser Ausdruck würde nämlich aus sich heraus und Im Wesentlichen schaffen wir eine demokratisch legi- (B) ohne nähere Erläuterung auch nichtursächliche Gesund- timierte Grundlage für die medizinische Begutachtung (D) heitsschäden mit umfassen, die nach Sinn und Zweck im Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts und des des Sozialen Entschädigungsrechts nicht entschädigt Schwerbehindertenrechts. Zugleich führen wir den Be- werden können. Aus diesem Grunde ist die neue Be- griff „Grad der Schädigungsfolgen“ ein. Damit erfolgt zeichnung „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, insbe- eine Präzisierung des Bundesversorgungsgesetzes. Da- sondere für die Betroffenen besser gewählt und damit rüber hinaus enthält der Gesetzentwurf eine Reihe weite- rer notwendig gewordener Gesetzesänderungen, die von verständlicher. eher redaktioneller Natur sind. Auch die Änderung im Bereich der Kriegsopferfür- Das Gesetz verankert rechtlich die Vorlage der sorge wird der schon jetzt gängigen Praxis angeglichen. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im So- Beispielsweise werden die Vorschriften zum Einsatz von zialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehin- Einkommen und Vermögen Beschädigter, die für ihr dertenrecht, AHP. Bundesverfassungsgericht und Bun- volljähriges Kind Hilfe zur Pflege oder Eingliederungs- dessozialgericht haben mehrfach die Schaffung solch hilfe erhalten, an die Vorschrift zur Heranziehung Unter- einer materiellen Rechtsgrundlage gefordert. Bisher haltspflichtiger angeglichen. fehlt diese für die sogenannten Anhaltspunkte als auch für das Verfahren zu deren Erarbeitung. Auch die Zu- Beim vorletzten Kernpunkt der Änderung im Bereich sammensetzung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats der Heil- und Krankenbehandlung ergab sich Ände- beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, des rungsbedarf durch die bis zum Jahre 2004 erlassenen Re- Expertengremiums, das dieses Regelwerk erarbeitet und formgesetze zur gesetzlichen Krankenversicherung und ständig überprüft, ist bislang nicht gesetzlich geregelt. die Änderungen in Gesetzen, die in das Bundesversor- Das wird nun durch die Änderung des Bundesversor- gungsgesetz einstrahlen und bis zum Jahre 2005 vorge- gungsgesetzes und den Verweis im Schwerbehinderten- nommen wurden. Zu nennen ist hier insbesondere die recht, im SGB IX, erreicht. Berücksichtigung von Hospizleistungen. Auf dieser Basis wird das Bundesministerium für Ar- Vor allem erfüllt dieser Gesetzentwurf die Aufgabe beit und Soziales dann kurzfristig den Entwurf einer der Umsetzung der notwendigen Korrekturen und An- Rechtsverordnung erarbeiten, auf deren Grundlage die passungen im Sozialen Entschädigungsrecht und in Ge- Anhaltspunkte laufend nach medizinisch-wissenschaftli- setzen, die auf das Soziale Entschädigungsrecht unmit- chen Kriterien zu überprüfen und zu aktualisieren sind. telbar Bezug nehmen. Hier wird nun höchstrichterliche Diese Aufgabe wird der neu gegründete Medizinische Rechtsprechnung in gesetzliche Vorschriften umgesetzt. Sachverständigenbeirat übernehmen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12941

(A) Für die Betroffenen wird sich also zunächst nichts än- erreicht. So werden zum Beispiel Brillengläser und Kon- (C) dern. Inhaltliche Änderungen wird es nur mit neuen wis- taktlinsen für Geschädigte ersetzt, wenn diese gerade senschaftlichen Erkenntnissen in der Medizin geben. schädigungsbedingt eine Sehhilfe benötigen. Dies folgt Daneben sorgen wir mit dem vorliegenden Gesetzent- aus dem Entschädigungsgedanken und rechtfertigt eine wurf für eine begriffliche Klarstellung im Bereich der Abweichung vom Recht der gesetzlichen Krankenversi- Sozialen Entschädigung. Der bisher verwendete Begriff cherung. „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ führt in der Praxis Auch wird klargestellt, dass für Entschädigungsleis- immer wieder zu Missverständnissen. tungen ambulante Rehabilitationsmaßnahmen möglich Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, oder sein sollen, auch wenn dies im SGB V nicht mehr vorge- Kriegsopfer, die sich heute im Rentenalter befinden, sind sehen ist. kaum über ihre Erwerbsfähigkeit zu beurteilen, da sie Die FDP begrüßt ferner schon aufgrund ihres Alters noch nicht oder nicht mehr erwerbsfähig sind. – die Klarstellung, dass bei Behandlung Beschädigter auch die Reisekosten getragen werden. Dies ent- Darum führen wir den Begriff „Grad der Schädi- spricht der gegenwärtigen Verwaltungspraxis, gungsfolgen“ ein. Damit haben wir für den Bereich des Sozialen Entschädigungsrechts eine deutlich zutreffen- – die Sicherstellung, dass Kriegsopferfürsorgeberech- dere Bezeichnung als bisher. Der Begriff „Grad der tigte, die ihr Einkommen zur Bedarfsdeckung einzu- Schädigungsfolgen“ soll aber vor allem verdeutlichen, setzen haben, in Hinblick auf die Einkommensgrenze dass ein Gesundheitsschaden direkt aus einer Schädi- nicht schlechter dastehen als Leistungsberechtigte nach SGB XII (§ 85, 5. bis 9. Kapitel SGB XII), gung herrühren muss, um in diesem Rahmen Entschädi- gungsansprüche zu begründen. Es geht uns also allein – dass sichergestellt wird, dass die Regelungen über um eine begriffliche Klarstellung. Substanziell ändert den zusätzlichen Barbetrag auch für Empfänger von sich an der bisherigen Bewertung gesundheitlicher Schä- Entschädigungsleistungen gelten, digungsfolgen nichts. Darüber hinaus werden einige – dass die Vorschriften zur Waisenrente im Entschädi- Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts an den gungsrecht hinsichtlich der Gewährung über das veränderten Sprachgebrauch angepasst. Außerdem ha- 18. Lebensjahr hinaus, was die Anrechnung von Ein- ben sich aufgrund von Änderungen in anderen Gesetzen kommen und Vermögen betrifft, an das Recht der einige redaktionelle Änderungen ergeben. Unfall- und Rentenversicherung angeglichen wer- Des Weiteren werden Rechtsfortentwicklungen durch den. höchstrichterliche Rechtsprechung, die bereits in der Weiterhin wird im Bundesversorgungsgesetz der Be- (B) Praxis umgesetzt werden, nun auch in die Vorschriften griff „Grad der Erwerbsminderung“ durch den Begriff (D) des Sozialen Entschädigungsrechts eingefügt. Dies be- „Grad der Schädigungsfolgen“ ersetzt. Die FDP begrüßt, trifft vor allem die Kriegsopferfürsorge. dass dadurch die Schädigung als Ursache für den Erhalt von Entschädigungsleistungen deutlicher als bisher ge- Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme den Ge- macht wird. setzentwurf grundsätzlich begrüßt. Allerdings hat er an einer Stelle verfassungsrechtliche und rechtssystemati- Daneben enthält der Gesetzentwurf eine wesentliche sche Einwendungen erhoben. Dabei geht es um die An- organisatorische Veränderung: Die vom Bundesministe- rechnung ausländischer Rentenleistungen. Die Bundes- rium für Arbeit und Soziales, BMAS, herausgegebenen regierung hat in ihrer Gegenäußerung zugesagt, die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Einwendungen des Bundesrates zu überprüfen. Bisher sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe- konnte allerdings kein Einvernehmen erzielt werden. hindertenrecht“, AHP, werden auf eine gesetzliche Die Bedenken des Bundesrates konnten nicht vollständig Grundlage gestellt. Bisher gibt es für den Erlass der ausgeräumt werden. AHP keine gesetzliche Grundlage; dies läuft im Rahmen des Erlasses von Verwaltungsvorschriften durch das Darum haben wir die betreffende Vorschrift aus dem BMAS ab. Künftig regelt das Bundesversorgungsgesetz, vorliegenden Gesetzesvorhaben herausgenommen. Wir wer an der Erstellung der AHP beteiligt wird und in wel- können nun davon ausgehen, dass eine Anrufung des chem Verfahren die Vorschriften erstellt werden. Vermittlungsausschusses und damit eine Verzögerung der unstrittigen Teile nicht mehr notwendig ist. Außer- Ferner begrüßt die FDP, dass in der Kriegsopferfür- dem wurden im Ausschuss einige redaktionelle Korrek- sorge die Vorschriften über die Beteiligung von Beiräten turen im Bereich des SGB IX vorgenommen. gestrichen werden. Die Mitwirkung der Beiräte in grundsätzlichen Fragen der Kriegsopferfürsorge hat heute keine wesentliche Bedeutung mehr, da das BMAS Jörg Rohde (FDP): Der heute zur Abstimmung ste- hende Gesetzentwurf enthält zahlreiche Vorschläge zu hier in Zusammenarbeit mit den Integrationsämtern und Verbesserungen und Klarstellungen im Bundesversor- Hauptfürsorgestellen „Empfehlungen zur Kriegsopfer- gungsgesetz und im Sozialen Entschädigungsrecht. Die fürsorge“ herausgegeben hat. Eine Beteiligung der Bei- FDP-Bundestagsfraktion begrüßt diese notwendigen räte beim Erlass von Richtlinien findet nicht mehr statt. Korrekturen und unterstützt deshalb den Gesetzentwurf. Für Entscheidungen in Widerspruchsverfahren treten die Beiräte bereits heute nur noch selten zusammen, und Mit dem Gesetzentwurf wird eine Vielzahl leistungs- dies ist laut BMAS zeitlich und organisatorisch sehr auf- rechtlicher Klarstellungen im Bundesversorgungsgesetz wendig. 12942 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Die im Ausschuss beratenen Änderungsanträge der der Heil- und Krankenbehandlung kommt, können wir (C) Koalitionsfraktionen haben darüber hinaus allerdings er- nicht mittragen. Auch die Streichung der Beteiligung neut gezeigt, dass die Sozialgesetzgebung mittlerweile von Beiräten in der Kriegsopferfürsorge vermögen wir so kompliziert geworden ist, dass selbst das Bundesmi- nicht nachzuvollziehen. Die Beteiligung von einschlägi- nisterium für Arbeit und Soziales erst mit Jahren Verspä- gen Verbänden ist ein Stück praktizierte Demokratie, tung bemerkt, dass lange zurückliegende Änderungen in welche bewahrt und eher ausgebaut werden sollte. den Sozialgesetzbüchern noch immer keinen Eingang in die daran anknüpfende Sozialgesetzgebung gefunden ha- Auf diesem Hintergrund kann meine Fraktion ihrem ben. Exemplarisch sei hier nur die bereits 2006 erfolgte Entwurf nicht zustimmen, und wir werden uns enthalten. Klarstellung des Merkzeichens „B“ genannt, die im Bundesversorgungsgesetz noch nicht übernommen war Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der und jetzt, mit über einem Jahr Verspätung, nachgeholt Gesetzentwurf der Bundesregierung ist im Großen und werden muss. Die FDP ermahnt daher die Bundesregie- Ganzen vernünftig, da er viele gesetzliche Klarstellun- rung, weiter an der Vereinfachung und Entflechtung der gen schafft. Durch eine Verordnungsermächtigung wird Sozialgesetzgebung zu arbeiten. Dem heute vorliegen- eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die „An- den Gesetzentwurf stimmt die FDP aber zu. haltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbe- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Das hindertenrecht“, AHP, geschafft. Dies fordert die höchst- Bundesversorgungsrecht regelt die Versorgung bei Ge- richterliche Rechtsprechung seit langem. Die Bundes- sundheitsschäden, für deren Folgen die staatliche Ge- regierung plant des Weiteren, den neuen Rechtsbegriff meinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder „Grad der Schädigungsfolgen“, GdS, einzuführen. Dies aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen soll den bisher geltenden Begriff „Minderung der Er- Grundsätzen einzustehen hat. Kernstück der sozialen werbsfähigkeit“, MdE, ablösen. Die MdE beschreibt den Entschädigung ist die Kriegsopferversorgung als eines Grad der Funktionsbeeinträchtigung in Prozent. Mit dem der größten Probleme, die von der Bundesrepublik Begriff „Grad der Schädigungsfolgen“ soll künftig im Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu be- Sozialen Entschädigungsrecht deutlich gemacht werden, wältigen waren. Nach dem letzten Sozialbudget-Bericht dass das Bundesversorgungsgesetz, BVG, „keinen umfas- der Bundesregierung beliefen sich die Ausgaben für so- senden Ersatz aller Gesundheitsschäden anstrebt und zu- ziale Entschädigung auf cirka 3,9 Milliarden Euro – der dem auch nicht nur auf das Erwerbsleben beschränkt ist“. Großteil Einkommensleistungen/Renten, 2,4 Milliarden Er soll künftig die Auswirkungen von Funktionsbeein- Euro sowie 1 Milliarde Sachleistungen. trächtigungen in allen Lebensbereichen abdecken und nicht nur die Einschränkungen im Erwerbsleben. Darüber (B) (D) Das vorliegende Änderungsgesetz beinhaltet folgende hinaus setzen wir mit dem Gesetzentwurf die notwendi- Schwerpunkte: gen Korrekturen und Anpassungen im Sozialen Entschä- digungsrecht und in Gesetzen, die auf das Soziale Ent- Erstens. Das Ausmaß einer auszugleichenden Schädi- schädigungsrecht Bezug nehmen, um. gung wird nach den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ ermittelt. Diese Anhaltspunkte sind Ich möchte Ihnen nun aber kurz erklären, warum die in konkreten Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu be- Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen dem Ge- achten. Von verschiedenen Gerichten ist die fehlende de- setzentwurf trotz seiner vielen Verbesserungen nicht zu- mokratische Legitimation dieser Anhaltspunkte kritisiert stimmen kann: Die Bundesregierung versäumt es zum worden, da ihnen eine gesetzliche Rechtsgrundlage wiederholten Male, eine grundsätzliche und einheitliche fehlte. Der Gesetzentwurf führt nunmehr in das Bundes- Diskussion über die Feststellung einer Behinderung vor- versorgungsgesetz eine Ermächtigungsgrundlage für zunehmen. Der Behinderungsbegriff muss konsequent eine Rechtsverordnung ein, um eine Rechtsgrundlage zu nach der „Internationalen Klassifikation von Funk- schaffen. Eine inhaltliche Änderung erfolgt nicht. Die tionseinschränkungen und Behinderungen“, ICF, be- Linke hat hiergegen keine Vorbehalte. stimmt werden. Diese unterscheidet Schädigungen, Ak- Zweitens. Der Begriff „Minderung der Erwerbsfähig- tivitätseinschränkungen und Partizipationsverluste, die keit“ wird in dem Zusammenhang des Versorgungs- im Wechselverhältnis von Funktionsverlusten und Kon- rechts als irreführend interpretiert, da er die Vorausset- textfaktoren entstehen. Der Behinderungsbegriff der ICF zungen für den Leistungsbezug nicht erkennbar macht. ist allgemeiner und umfassender als der Begriff gemäß Er wird daher systematisch ersetzt durch den Begriff § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX. Wird der allgemeine „Grad der Schädigungsfolgen“. Mit der begrifflichen Behinderungsbegriff der ICF verwandt, sollte daher auch Neufassung sind nach der Begründung keine materiellen besser von einer „Beeinträchtigung der funktionalen Ge- Veränderungen verbunden, insofern kann Die Linke sundheit“ gesprochen werden. Diese Definition folgt auch hier zustimmen. dem Geist der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen. In einer Übersetzung Drittens. Hinzu kommen einige weitere Änderungen vom 16. Februar 2007 ist der Personenkreis von „Men- im Bereich der Kriegsopferfürsorge sowie im Bereich schen mit Behinderungen“ in Art. 1 der Konvention wie der Heil und Krankenbehandlung. Dass es dabei auch zu folgt definiert: „Der Begriff ,Menschen mit Behinderun- einigen – wenn auch kleineren – Verschlechterungen für gen‘ umfasst Menschen mit langfristigen körperlichen, die Betroffenen im Rahmen der stationären Eingliede- seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen, die sie rungshilfe hinsichtlich der Pflegezulage und im Bereich im Zusammenwirken mit verschiedenen Barrieren daran Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12943

(A) hindern können, gleichberechtigt mit anderen uneinge- Das deutsche Gentechnikrecht ist so auszugestalten, (C) schränkt und wirksam an der Gesellschaft teilzuneh- dass Forschung und Anwendung der Gentechnik in men.“ Deutschland befördert werden. Der Schutz von Mensch und Umwelt bleibt, entsprechend dem Vorsorgegrund- Infolge unterschiedlicher Behinderungsbegriffe in satz, oberstes Ziel des Gentechnikrechts. Die Wahlfrei- den verschiedenen Büchern des Sozialgesetzbuches heit der Landwirte sowie der Verbraucher und die kommt es darüber hinaus zu enormen Schnittstellenpro- blemen. So knüpft der Behinderungsbegriff des III. Bu- Koexistenz der unterschiedlichen Bewirtschaftungsfor- ches Sozialgesetzbuch zwar grundsätzlich an die Defini- men bleiben gewährleistet. Diese sind die unumstritte- tion des IX. Buches Sozialgesetzbuch an, nimmt aber nen Ziele bei der Gestaltung der rechtsverbindlichen Be- zusätzlich Bezug auf die Teilhabefähigkeit am Arbeitsle- dingungen für Forschung und Anwendung der Grünen ben und zieht ausdrücklich den Personenkreis der Men- Gentechnik. schen mit sogenannten Lernbehinderungen ein. Zwar Das Dritte Gesetz zur Änderung des Gentechnikge- wird in den Büchern II, V und VI des Sozialgesetzbu- setzes wurde am 17. März 2006 erlassen und damit die ches ein Behinderungsbegriff verwandt, dieser wird aber ordnungsgemäße Umsetzung der Freisetzungsrichtlinie weder nach Art noch nach Schwere der Behinderung nä- 2001/18/EG vorgenommen. In der Zwischenzeit wurden her konkretisiert. Ähnliche Schwierigkeiten finden wir zahlreiche Expertengespräche und Anhörungen aller be- in den Büchern VIII, XI und XII Sozialgesetzbuch vor. teiligten Interessensgruppen durchgeführt, mit dem Ziel, Zurzeit sind noch keine einheitlichen erprobten In- den einzelnen Interessenlagen gerecht zu werden. Auf strumente zur Einschätzung und Bewertung einer indivi- dieser Grundlage wurde das Eckpunktepapier durch das duellen Situation entsprechend der ICF vorhanden. Im Bundeskabinett verabschiedet, auf dessen Basis die wei- Rahmen der Beschäftigung mit den „Anhaltspunkten für tere Novellierung des Gentechnikgesetzes vorbereitet die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädi- wurde. Der vor uns liegende Gesetzentwurf ist ein politi- gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ scher Kompromiss. hätte parallel mit dem Prozess der Umsetzung der UN- Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinde- Lassen Sie mich kurz die vier – aus meiner Sicht – rungen ebensolche Instrumente diskutiert und entwickelt zentralen Punkte bei der anstehenden Novellierung des werden müssen. Es müssen ferner, ähnlich wie beim Gentechnikrechts ansprechen: Pflegebedürftigkeitsbegriff, endlich finanzielle Ressour- cen zur Verfügung gestellt werden, um auch einen Be- Erstens. Die Kennzeichnung. Die umfassende Kenn- hinderungsbegriff entsprechend der ICF zu entwickeln. zeichnung ist die Grundlage für Transparenz und damit die Voraussetzung einer vollen Wahlfreiheit. Die jetzt (B) Da all die von mir genannten Punkte in dem vorlie- vorgesehene Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ wird (D) genden Gesetzentwurf nicht einmal andiskutiert werden, meines Erachtens diesen bisher gesetzten Zielen einer können meine Fraktion und ich dem Gesamtpaket – trotz vollständigen und alle Produktionsstufen umfassenden überwiegend zu begrüßender Veränderungen – nicht zu- Kennzeichnung keinesfalls gerecht. Die volle Wahlfrei- stimmen. Unser Votum lautet: Enthaltung. heit für den Verbraucher wäre damit nicht gewährleistet. Ich plädiere für eine prozessorientierte Kennzeichnung, bei der der Einsatz jedweder gentechnisch veränderter Anlage 22 Organismen, also auch von Mikroorganismen, Enzymen Zu Protokoll gegebene Rede oder Tierarzneimitteln, bei der Herstellung von Lebens- mitteln Berücksichtigung findet. zur Beratung: Zweitens. Anbauabstände. In dem aktuell gültigen – Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- Gentechnikrecht sind Anbauabstände nicht festgelegt. rung des Gentechnikgesetzes Anbauabstände bilden jedoch einen wichtigen Baustein – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Ände- für den praktischen Anbau gentechnisch veränderter rung des EG-Gentechnik-Durchführungs- Pflanzen und damit auch für ein geregeltes Nebeneinan- gesetzes der verschiedener Anbausysteme – der Koexistenz. Ausreichende Abstände dienen dazu, Haftungsfälle – Antrag: Kennzeichnung gentechnikfreier möglichst auszuschließen. Allerdings stellen die vorlie- Fütterung bei tierischen Produkten ermögli- genden Abstände von 150 Meter bzw. 300 Meter rein chen politische Werte dar. Sie basieren leider nicht auf wis- – Antrag: Schutz von Mensch, Umwelt und senschaftlichen Erkenntnissen. Dagegen haben Wissen- gentechnikfreier Produktion im Gentechnik- schaft und Forschung durch Ihre Versuche einen Anbau- recht bewahren abstand von 50 Meter wiederholt als absolut ausreichend belegt. (Tagesordnungspunkt 32 a und b und Zusatz- tagesordnungspunkte 9 und 10) Ein solches Vorgehen sollte keinesfalls für künftige Festlegungen von Abstandwerten zur Regel werden. Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Problem und Ziel des Vielmehr sind neue Erkenntnisse aus den vielen laufen- Entwurfes der Bundesregierung eines Vierten Gesetzes den und geplanten Versuchen als Grundlage zu verwen- zur Änderung des Gentechnikgesetzes lauten wie folgt: den. 12944 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Sehr zu begrüßen ist die im Entwurf vorgesehene meidung von Ertrags- und Qualitätsverlusten, um die (C) Möglichkeit für Landwirte, untereinander Absprachen Wichtigsten zu nennen. zur Reduzierung der Abstände zu treffen. Dies ist eine praktikable Möglichkeit, Haftungsfälle von vornherein Die großen globalen Herausforderungen, gesunde und ausreichende Ernährung sowie sichere Rohstoff- und auszuschließen und das Nebeneinander einvernehmlich Energieversorgung durch Pflanzenanbau, machen es zu regeln. dringend erforderlich, die Leistungsfähigkeit der land- Drittens. Standortregister. Wichtig ist: Wir stehen zur wirtschaftlichen Kulturpflanzen in dieser Richtung zu Transparenz des GVO-Anbaus. Gesetzlich erlaubter und steigern. In diesem Zusammenhang kann die Grüne nach den Regeln der guten fachlichen Praxis erfolgter Gentechnik die bisher praktizierten Züchtungsmethoden Anbau ist legitim und muss nicht verborgen werden. An- erfolgreich ergänzen. dererseits gewinnt die Frage nach dem Schutz geneh- migter Anbau- und Versuchsflächen aufgrund der erheb- Elvira Drobinski-Weiß (SPD): An die 30 000 Mails lichen Zunahme von Feldzerstörungen eine immer sind innerhalb von nur drei Tagen beim Bundestag ein- größere Bedeutung. gegangen, in denen Bürgerinnen und Bürger sich da- rüber beschweren, dass diese Debatte zum Gentechnik- Die sich leider häufenden Feldzerstörungen verursa- gesetz zu nachtschlafender Zeit stattfindet. Das zeigt chen erhebliche Kosten für Unternehmen und For- uns, wie interessiert die Menschen die Entwicklung des schungsinstitute und vernichten wissenschaftliche Er- Gentechnikrechts verfolgen, und sollte uns gemahnen, kenntnisse. Sie sind deshalb scharf zu verurteilen. sensibel mit dem Thema umzugehen und für Vertrauen Freilandversuche sind unverzichtbar und dienen der zu sorgen, indem wir für rechtliche Rahmenbedingungen wichtigen Erkenntnisfindung über die ökologischen eintreten, die durchgehend dem Vorsorgeprinzip gerecht Auswirkungen des GVO-Anbaus. Praktikable Maßnah- werden. Ein gentechnisch veränderter Organismus ist ein men zur Vermeidung solcher Zerstörungen sind unum- Organismus, dessen genetisches Material in einer Weise gänglich und umgehend zu entwickeln. verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedin- gungen durch Kreuzen oder durch natürliche Rekombi- Viertens. Haftung. Der Entwurf des Vierten Gesetzes nation nicht vorkommt. So lautet die in § 3 unter Punkt 3 zur Änderung des Gentechnikgesetzes sieht keine Ände- im Gentechnikgesetz vorgenommene Begriffsbestim- rung der Haftungsregelungen vor. Das ist das Ergebnis mung für einen GVO. eines von Bundesminister Seehofer durchgeführten Fachgesprächs mit Experten aus Wissenschaft, Recht- Diese Definition verdeutlicht die Problematik, die sprechung und den Bundesministerien. sich aus dem Einsatz der Gentechnik im offenen System, auf dem Acker ergibt: Diese Organismen kommen in der (B) (D) Das Haftungsrecht darf nicht dazu führen, dass Land- Natur nicht vor; einmal freigelassen können sie sich dort wirte von einem Anbau zugelassener und als sicher be- aber verbreiten und sind nicht rückholbar. Das kann werteter gv-Pflanzen abgeschreckt werden. Wichtig ist Auswirkungen haben auf die Umwelt, auf bewirtschaf- in diesem Zusammenhang die Definition des Scha- tete und auf unbewirtschaftete Flächen. Deshalb müssen densereignisses. Ein solches liegt erst dann vor, wenn für den Einsatz der Gentechnik auf dem Feld ganz an- durch Auskreuzung einer gv-Pflanze gentechnisch-ver- dere Bedingungen gelten als für Arbeiten mit GVO im änderte Pflanzenanteile oberhalb des Schwellenwertes geschlossenen System, unter Laborbedingungen. So von 0,9 liegen und damit ein Vermarktungsverlust auf- stellt ein Gentechnikgesetz, welches einerseits den An- tritt. Aus diesem Grunde kommt dem Schwellenwert bau von GVO-Pflanzen ermöglichen und andererseits eine erhebliche Bedeutung zu. Aus Gründen der Rechts- Mensch, Umwelt und gentechnikfreie Wirtschaft vor den sicherheit ist dieser vom Gesetzgeber vorzugeben und Auswirkungen des GVO-Anbaus schützen soll, ein we- darf nicht von Dritten – zum Beispiel potenziellen Ab- nig den Versuch der Quadratur des Kreises dar. nehmern – bestimmt werden. In diesem Zusammenhang In meiner bisher noch kurzen Laufbahn im Deutschen sei darauf hingewiesen, dass der Anbau von gv-Pflan- Bundestag ist es bereits das zweite Mal, dass ich am Rin- zen, bei Einhaltung der guten fachlichen Praxis, nicht zu gen um ein neues Gentechnikgesetz beteiligt bin. Die einem unkalkulierbaren Risiko werden darf. Probleme, die es dabei zu lösen gilt und die Fragen, die sich stellen, sind die gleichen geblieben wie beim ersten Schluss. Alle neuen Regelungen zur Gentechnologie Mal. Die Antworten, die wir mit dem noch geltenden müssen dem Ziel dienen, Forschung und Anwendung er- Gesetz darauf gefunden haben, waren sehr pragmatisch. folgversprechender zugelassener und risikogeprüfter Nach meiner Überzeugung werden sie sich am Ende gentechnisch veränderter Pflanzen zu ermöglichen. Wie nicht groß unterscheiden können von denen, die wir bei jeder anderen neuen Technologie müssen auch bei diesmal finden. Allerdings haben wir die Chance, bereits der Grünen Gentechnik nach erfolgter konsequenter Ri- gewonnenen Erfahrungen einfließen lassen und sich ab- sikoabklärung die Chancen und Potenziale genutzt wer- zeichnende Entwicklungen aufnehmen zu können. den können. Bei der anstehenden neuen Generation von gentechnisch veränderten Pflanzen geht es um wichtige Der Entwurf des Gentechnikgesetzes, der heute ein- neue Pflanzeneigenschaften: verbesserte Nährstoffge- gebracht wird, ist aus unserer Sicht eine gute Beratungs- halte, höhere Energiedichte zur Energiepflanzennutzung, grundlage. Mit der Beibehaltung der Haftungsregelung bessere Eignung für schwierige Standorte und Wider- und des flurstückgenauen öffentlichen Standortregisters standsfähigkeit gegen klimatischen Stress sowie größere bleiben in ganz zentralen Punkten die Interessen des Resistenz gegen Schädlinge und Krankheiten zur Ver- gentechnikfreien Anbaus und der Verbraucherinnen und Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12945

(A) Verbraucher gesichert: Die Verursacher müssen im Scha- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Die schwarz- (C) densfall weiterhin Ausgleich leisten, und Bürgerinnen rote Koalition hat entschieden, die Einbringung ihrer und Bürger können sich weiterhin im Internet darüber Novelle des Gentechnikgesetzes als letzten Tagesord- informieren, wo gentechnisch veränderte Pflanzen ange- nungspunkt am gestrigen Donnerstag, also am Freitag- baut werden. Ich bin sehr froh, dass wir uns mit unserem morgen um 4.15 Uhr vorzusehen. Damit soll sicherge- Koalitionspartner darauf geeinigt haben, denn das ist un- stellt werden, dass niemand die Debatte im Fernsehen bürokratisch, transparent und schafft Vertrauen. verfolgen kann. Wie viel Angst hat diese Regierung, dass sie ein Gesetzeswerk, an dem sie angeblich über Wir werden nun in den Ausschussberatungen und zu- zwei Jahre gearbeitet hat, zu nachtschlafender Zeit im sammen mit den Sachverständigen in einer öffentlichen Bundestag vorstellt? Und ihre Befürchtungen sind be- Anhörung am 26. November noch einige offene Fragen gründet. Das Gesetzeswerk schadet Deutschland, scha- zu diskutieren haben, die sich für uns zum Beispiel im det den Menschen in diesem Land, und deswegen sollte Zusammenhang mit der in § 16 b des Gesetzentwurfs es nie das Licht der Welt erblicken. neu geschaffenen Möglichkeit der nachbarschaftlichen Vereinbarungen ergeben. Hier könnte die Gefahr beste- In Umfragen äußert sich eine Mehrheit der Menschen hen, dass dem Nachbarn, der auf die Einhaltung des ablehnend zu den Produkten der Grünen Gentechnik. Mindestabstands zwischen seinem Feld und dem GVO- Das kann angesichts von Medienkampagnen der Gegner Anbau verzichtet, nicht alle Folgen bewusst sind, die nicht verwundern. Wir wissen von umfangreichen Un- sich daraus für ihn ergeben, zum Beispiel die Kenn- tersuchungen, dass die Ablehnung oder Befürwortung zeichnung seiner Produkte, die einzuhaltenden Vorsorge- eines Produkts nicht unbedingt einen Niederschlag auch maßnahmen usw. Daraus könnten Schäden, Konflikte im Kaufverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher und Rechtsstreitigkeiten entstehen. So etwas kann nicht findet. Deshalb fürchten die Gegner der Gentechnik den Gerichten überlassen werden, und wir sollten prü- nichts mehr, als dass Verbraucherinnen und Verbraucher fen, wie dies von Anfang an klar geregelt werden kann. die Chance erhalten, sich an der Ladentheke selbst zu entscheiden. Wir werden noch einige andere Fragen diskutieren müssen, aber dafür wird es noch reichlich Gelegenheit Verantwortliche Politiker haben die Pflicht, ihr Han- geben. deln nicht an der Stimmung des Augenblicks auszurich- ten, sondern an übergeordneten Erfordernissen: Siche- Ein Punkt, der nicht direkt das Gentechnikgesetz be- rung der Lebensgrundlagen, Erhalt und Schaffung neuer trifft, der aber im Zusammenhang mit dem Gentechnik- Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat dies mit der Ini- gesetz vereinbart worden ist, ist die Kennzeichnung tie- tiierung ihrer Hightechstrategie richtig erkannt. Doch sie (B) rischer Produkte. Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns ist zu schwach, trotz Großer Koalition, die zielführenden (D) mit Minister Seehofer und dem Koalitionspartner darauf Gesetzesinitiativen auf den Weg zu bringen. Dazu gehört geeinigt haben, hier eine Regelung zu finden, die es Ver- ein innovationsfreundliches Gentechnikgesetz, das er- braucherinnen und Verbrauchern möglich machen soll, möglicht, dass im Interesse von Verbraucherinnen und bei Milch, Eiern, Fleisch und daraus gefertigten Produk- Verbrauchern, im Interesse der Landwirte die in Europa ten zu erkennen, ob diese von gentechnikfrei gefütterten zugelassenen transgenen Pflanzensorten ohne Schikane Tieren stammen. und Furcht vor Zerstörung durch Demonstrationstouris- ten angebaut werden können. Die bestehende Innova- Das wird ein enormer Fortschritt sein; denn hier klafft tionsführerschaft deutscher Forschungsinstitute und Un- bislang eine Lücke: Nach den EU-Kennzeichnungsrege- ternehmen braucht Rahmenbedingungen, die die zügige lungen müssen gentechnisch veränderte Futtermittel Entwicklung marktfähiger Produkte ermöglichen. zwar gekennzeichnet werden, aber diese Information findet sich nicht auf dem Endprodukt. Deshalb wissen Die FDP hat bereits im Januar einen Entwurf zur No- die Konsumenten bisher nicht, ob zum Beispiel die vellierung des Gentechnikgesetztes vorgelegt – Drucksa- che 16/4143. Unser Entwurf berücksichtigt ausgewogen Milch von mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüt- die unterschiedlichen Positionen und ermöglicht Rechts- terten Kühen stammt oder nicht. Mit der Kennzeichnung sicherheit für alle Marktbeteiligten. Der Gesetzentwurf werden sie endlich auch bei konventionellen Erzeugnis- der Bundesregierung erreicht nichts von allem. sen auswählen können; sie werden die Möglichkeit be- kommen, bewusst zu entscheiden, ob sie mit ihrem Kauf Es ist absurd, nach 20 Jahren Risikoforschung, nach den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen unterstüt- elf Jahren Anbau von GVO auf inzwischen über zen wollen. Gerade der Anbau von gentechnisch verän- 100 Millionen Hektar Fläche über hypothetische Risiken derten Pflanzen, von Organismen, die es in der Natur zu philosophieren, statt die Chancen dieser Züchtungs- nicht gibt, die sich dort aber unkontrolliert verbreiten methode entschlossen zu nutzen. Schädlingsresistente können, ist ein sensibles Thema. Deshalb müssen Ver- Sorten, der Goldene Reis, haben lange bewiesen, dass braucherinnen und Verbraucher Wahlfreiheit haben; die sie ein erhebliches Potenzial besitzen, die Landwirt- Produkte dürfen ihnen nicht länger aufgezwungen wer- schaft naturnäher zu gestalten, die Gesundheit der ärms- den. Nur so lassen sich Vertrauen und Akzeptanz gewin- ten Menschen zu fördern. Es sind die satten Europäer, nen. Ein Vorschlag für eine Kennzeichnungsregelung die mit ihren Kassandrarufen verhindern, dass Armut muss nun zügig vorgelegt werden, denn sie ist wichtiger und Hunger in der Welt entschlossen bekämpft werden. Mosaikstein einer Einigung über gesetzliche Regelungen All diejenigen, die sich in den vergangenen Jahren als im Gentechnikbereich. Kassandra betätigt haben und Horrorszenarien an die 12946 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Wand schrieben, sind aufgefordert, zur Realität zurück- nehin über Nacht eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (C) zukehren, ihre Position zu korrigieren und die Bevölke- bilden können, die die Felder gemeinsam bewirtschaftet. rung wissensbasiert zu informieren. Die Berichterstattung in den führenden Printmedien Im jetzigen Novellierungsentwurf der Bundesregie- zeigen die enormen Chancen der Züchtungsmethode rung kritisiert die FDP insbesondere folgende Punkte: Grüne Gentechnik auf. Der Nobelpreisträger Norman Der Schwellenwert der Kennzeichnung muss als Haf- Borlaug hat ein überzeugendes Plädoyer für die Anwen- tungsschwellenwert festgeschrieben werden. Nur so dung der Grünen Gentechnik zur Bekämpfung des Welt- kann die geforderte Rechtssicherheit für alle Beteiligten hungers veröffentlicht. Die FDP hat dazu in ihrem An- – auch die Ökobauern – geschaffen werden. Die Vorstel- trag auf Drucksache 16/6714 konkrete Vorschläge lung, dass Landwirte, die GVO anbauen, mit dem Gesetz unterbreitet und diese mit einer Vielzahl von Beispielen gezwungen werden könnten, für die Einhaltung privat- unterlegt. Europa – und insbesondere Deutschland – rechtlicher Verträge anderer zu haften, mit denen der von sollte endlich seine rückwärtsgewandten Träumereien der EU vorgegebene Schwellenwert von 0,9 Prozent beenden. Nicht die Wünsche satter Europäer sollten ausgehebelt werden soll, ist rechtsstaatlich nicht haltbar. Maßstab der Bewertung der Grünen Gentechnik sein, sondern die Erfordernisse der Bekämpfung von Hunger Die Bevölkerung hat ein Recht auf umfassende Infor- und Armut in den ärmsten Ländern der Erde. mationen über die Züchtungsmethode Grüne Gentech- nik. Als Liberale fühlen wir uns dem mündigen Bürger Von Horst Seehofer ist keine zukunftsorientierte Poli- verpflichtet, der eigenverantwortlich entscheiden möchte tik zu erwarten. Ob Milchquote, Gammelfleisch oder und dafür wissenschaftlich fundierte Sachinformationen eben Gentechnik: Er duckt sich weg. Die Atmosphäre braucht. Wir fühlen uns in gleicher Weise dem Schutz um die Anwendung der Grünen Gentechnik ist in des Eigentums verpflichtet. Deswegen erfüllen uns die Deutschland vergiftet – und maßgeblich dazu beigetra- zahlreichen Zerstörungen von Feldern, die mit gentech- gen haben die vorherige und auch die jetzige Bundesre- nisch veränderten Pflanzen bestellt sind, mit Sorge. Die gierung. Anstatt mit gutem Beispiel voranzugehen und Vorgänge zeigen, dass das öffentliche Standortregister sichere Innovationen in Deutschland zu begrüßen, wer- von Demonstrationstouristen als Einladung zur Zerstö- den scheinbar gefühlte Risiken vermittelt. rung von Feldern empfunden wird. Dies muss unterbun- Die Quittung für die populistische Politik des Herrn den werden. Volle Transparenz kann nur gewährleistet Seehofer wird der Union schneller präsentiert werden, werden, wenn diese nicht missbraucht wird, um Felder als es CDU und CSU heute bewusst und lieb ist. Denn zu zerstören. Es ist schlichte Geldverschwendung, wenn sobald gentechnisch veränderte Futtermittel aus Übersee Forschungsinstitute und Unternehmen die knappen For- nicht mehr nach Europa importiert werden, ist die Vered- (B) schungsmittel für die Überwachung ihrer Versuche aus- lungswirtschaft in Deutschland massiv bedroht. Das gilt (D) geben müssen. Der öffentliche Teil des Standortregisters ganz besonders für die Schweineproduktion, die auf Soja darf somit nur auf die Gemarkung genau Auskunft ge- als Eiweißquelle nicht verzichten kann. Die Fortführung ben. Mit der flurstücksgenauen Ausweisung der GVO- der Anti-Gentechnikpolitik à la Künast durch die vorlie- Flächen leistet der Staat Feldzerstörungen Vorschub. gende Gentechniknovelle ist eine „Kampfansage“ an die Die Abstandsregelungen dienen der Organisation der deutsche Schweine- und Geflügelhaltung. Diese dro- Koexistenz. Dadurch wird gewährleistet, dass kein zu- hende Vernichtung von Arbeitsplätzen und Wertschöp- fälliger Polleneintrag auf Felder von Landwirten ge- fung vor allem im ländlichen Raum ohne erkennbaren langt, die auf den Anbau von GVO verzichten wollen. Nutzen für die Verbraucher wird die FDP massiv be- Die Festlegung der Abstände für Mais missachtet die Er- kämpfen. gebnisse der eigenen Ressortforschung. Unterschiedli- Jetzt ist die Führungskraft der Bundeskanzlerin gefor- che Abstände für konventionelle Landwirtschaft und dert, die nicht weiter nach dem Grundsatz „Da mische Ökolandbau sind nicht erforderlich, denn es gilt immer ich mich nicht ein“ verfahren darf, sondern die im Koali- derselbe Schwellenwert von 0,9 Prozent. tionsvertrag festgelegte Förderung von Forschung und Wir unterstützen die Regelung, dass auf benachbarten Anbau in Deutschland umsetzen muss. Mit Minister Feldern, auf denen GVO angebaut werden, kein Abstand Seehofer ist die CDU/CSU-Fraktion völlig von der zu erforderlich ist. Private Absprachen zwischen Landwir- gemeinsamen Oppositionszeiten getragenen innova- ten sind üblich und sinnvoll und erleichtern die Organisa- tionsfreundlichen Gentechnikpolitik abgerückt. tion der Koexistenz. Es ist nicht verständlich, warum es erforderlich sein soll, das Auskreuzen von GVO-Mais Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Heute ist kein auf einem Feld, auf dem ebenfalls GVO-Mais angebaut guter Tag für die gentechnikfreie Landwirtschaft und wird, zu verhindern. Eine solche Forderung müssen Imkerei in Deutschland. Es wäre aber noch schlimmer Landwirte, die in den Regionen mit starkem Maiszüns- gekommen, wenn sich die CDU/CSU durchgesetzt hätte. lerbefall Mais anbauen, als Schikane empfinden. Da- Zum Beispiel wäre dann das öffentlich zugängliche rüber hinaus gibt es auch Nutzungen der Ernte, die keine Standortregister einfach abgeschafft worden. Auf diesem Kennzeichnung erfordern: Das ist bei der Verwendung Teilerfolg sollten Sie sich aber nicht ausruhen, liebe Kol- als Tierfutter oder Rohstoff für die Biogasanlage auf dem leginnen und Kollegen der SPD. Im Ausschuss sollten eigenen Hof der Fall. In diesen Fällen sind eventuell Ein- wir ernsthaft darüber diskutieren, wie die Risiken des kreuzungen unerheblich, es entsteht kein finanzieller Abenteuers Agrogentechnik weiter deutlich reduziert Nachteil. Hinzu kommt, dass benachbarte Landwirte oh- werden können. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007 12947

(A) Die vorliegenden Änderungsvorschläge zum Gen- radezu! Diese Ausnahmeregelung muss ersatzlos gestri- (C) technikgesetz und der damit verbundene Entwurf der chen werden. Sie ist auch für Außenstehende nicht nach- Gentechnik-Pflanzenerzeugungsverordnung werden die vollziehbar ist. Die kontrollierenden Behörden können gentechnikfreie Landwirtschaft und Imkerei, ob konven- die Einhaltung dieser gesetzlichen Regelung gar nicht tionell oder ökologisch arbeitend, langfristig nicht si- wirksam überprüfen. Damit werden die Landesbehörden chern. Aber genau das steht in § 1: die Sicherung der wieder mal im Regen stehen gelassen! Für Die Linke ist Koexistenz zwischen gentechnisch veränderten und un- die Einhaltung der Sicherheitsabstände ohne Ausnahmen veränderten Pflanzen. Was aber tun, wenn die Verschlep- eine Mindestforderung. pungsrisiken kaum zu kontrollieren sind? Mit welchen Maßnahmen können dann die gentechnikfreie Landwirt- Kommen wir zu Punkt drei, der Frage der Haftung. schaft, die Imkerei und die Verbraucherinnen und Ver- Wer haftet für kontaminierte Felder und Ernten, für indi- braucher geschützt werden? Der französische Präsident rekte Schäden zum Beispiel durch Mehrkosten zur gen- Sarkozy hat darauf eine Antwort: Er hat ein Moratorium technikfreien Lebensmittelproduktion? Die Linke hat des Anbaus von gentechnisch verändertem Mais ver- eine Kleine Anfrage zu den volkswirtschaftlichen Kos- hängt. Ihr konservativer Kollege hat gute Gründe dafür, ten dieser Risikotechnologie vorgelegt, auf deren Beant- Frau Merkel! wortung viele Interessierte warten. Doch zurück auf den Bauernhof. Wie läuft die Haftung Aber kommen wir zum Gesetzesentwurf. Ich werde von Betrieb zu Betrieb? Die Regelung zur gesamtschuld- mich auf drei Aspekte konzentrieren: Erstens die Er- nerischen Haftung bleibt entgegen der katastrophalen leichterungen der Forschung; zweitens die Transparenz Vorschläge des Eckpunktepapiers aus dem Hause Seehofer und drittens die Haftungsfragen. Erstens: Die Regierung vom Februar 2007 im Gesetzentwurf bestehen. Proble- will die Forschung erleichtern. Dafür werden Vorsorge- matisch ist auch bei dieser Regelung die Frage der Beein- maßnahmen schlichtweg abgeschafft und Sicherheitsbe- trächtigung. Nach Auffassung der Bundesregierung ist denken beiseite geschoben. Die Worte „Wahlfreiheit“ die 0,9 Prozent Grenze als gesetzlicher Schwellenwert und „Koexistenz“ aus dem Koalitionsvertrag werden da- maßgebend. Diese 0,9 Prozent beziehen sich aber nach mit zur Farce. In § 2 ermächtigen Sie die Bundesregie- der EU-Verordnung 1829/2003 auf die Kennzeichnung, rung, bestimmte Genpflanzen von der Kontrolle und der wenn es um technisch unvermeidbare oder zufällige Ver- nachträglichen Anordnungen zu befreien. Ich frage Sie unreinigungen geht. Was aber ist technisch unvermeidbar warum? Ist der Preis nicht zu hoch für diese Verfahrens- oder zufällig? Ist ab jetzt jede Verschleppung zufällig beschleunigung im Namen der Forschungsfreiheit? Die oder technisch unvermeidbar, wenn der gesetzlich vorge- Linke sieht keine sinnvolle Begründung dafür, dieses er- schriebene Sicherheitsabstand von 150 Metern eingehal- kennbare Risiko einzugehen. Wir lehnen daher einen so ten wird? Werden damit die 0,9 Prozent zu einem kalku- (B) riskanten Freifahrschein für den Forschungsstandort (D) lierten und letztlich akzeptierten Risiko, also ohne Deutschland kategorisch ab. Haftungsanspruch? Aber es gibt noch mehr Forschungsförderung dieser Für Die Linke steht fest: Wer gentechnisch veränderte Art. Nach § 14 Abs. 4 soll das sogenannte vereinfachte Pflanzen anbaut, muss für jede nachweisbare Verschlep- Verfahren, das bereits jetzt aufgeweicht war, weiter er- pung haften, auch unter 0,9 Prozent! Ein Haftungsan- leichtert werden. Es soll Standard statt Ausnahme wer- spruch muss sich also an der Nachweisgrenze orientie- den. Das heißt im Klartext: Im Gegensatz zur bisherigen ren! Gleiches muss für den Nachweis im Honig gelten. Regelung muss der Antragsteller eine Freisetzung nur Die Agrogentechnikindustrie muss für alle gesamtgesell- für den ersten Standort beantragen, jedoch nicht für wei- schaftlichen Mehrkosten durch Anbau oder Freisetzung tere Freisetzungen – diese sollen nur noch nachgemeldet transgener Pflanzen aufkommen. Wieso sollten die Steu- werden, selbst wenn es andere Standorte betrifft. erzahler für eine Risikotechnologie bezahlen, die nie- Da aber bedeutet: keine Anhörung mehr, keine stand- mand will und keiner braucht? ortbezogene Prüfung, keine Transparenz. Diese undemo- Der Linken geht es um den Schutz der Interessen der kratische Regelung ist inakzeptabel. Gerade bei dieser gentechnikfreien Landwirtschaft, der Imkerei und der Risikotechnologie brauchen wir mehr Transparenz statt Verbraucherinnen und Verbraucher. weniger. Alles andere ist industriehörige monopolisti- sche Politik und als vertrauensbildende Maßnahme nicht geeignet. Mit Verbraucher- und Umweltschutz hat das Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fünf alles nichts zu tun. Deshalb lehnt Die Linke diese Rege- Uhr morgens in Deutschland: Für diese Zeit ist die No- lung ab. velle zum Gentechnikgesetz als letzter Punkt auf die Ta- gesordnung des Bundestages gesetzt worden. Bei allem Zweitens, die Transparenz: Hier sind die privaten Ab- Verständnis für volle Tagesordnungen, aber hier handelt sprachen ein Problem. Künftig sollen die Sicherheitsab- es sich um ein für Verbraucherinnen und Verbraucher so- stände der guten fachlichen Praxis durch Absprachen wie für die gesamte gentechnikfreie Produktionsweise von Gartenzaun zu Gartenzaun unterlaufen werden. Das durchaus bedeutendes Gesetz. Das sollte wirklich nicht soll dann zwar noch aufgeschrieben werden, aber: wer zu nachtschlafender Zeit, sondern im Lichte der Öffent- bitte erfährt dann noch wie von den Absprachen? Das lichkeit diskutiert werden. Die Bundesregierung und die wird im Gesetzentwurf nicht mal erwähnt. Transparenz Regierungskoalitionen möchten am liebsten in einer par- ist offensichtlich nicht gewollt. Diese Regelung ist nicht lamentarischen Geisterstunde das Agrogentechnikge- nur ein Kontaminationsrisiko, sondern garantiert sie ge- setz diskutieren, denn Minister Seehofer hat mit seinem 12948 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 8. November 2007

(A) Entwurf das bisherige Gentechnikrecht ausgehölt und Zu Recht läuft eine breite Front aus Verbraucher-, (C) seine Schutzwirkungen stark geschwächt. Ich kann mich Umwelt-, Wirtschafts- und Agrarverbänden sowie kirch- des Eindrucks nicht erwehren, dass die große Koalition lichen Gruppen Sturm gegen diese genhofersche Verun- dieses heftig kritisierte Gesetz am liebsten auch ganz reinigungs-Novelle zum Gentechnikrecht. Letzte Woche ohne Debatte beschließen würde. Nicht mit uns! zeigte Stern Marken-Profile in einer repräsentativen Stu- die, dass das Bewusstsein der Verbraucher für qualitativ In zahlreichen öffentlichen Auftritten mit Landwirten, hochwertige Produkte deutlich steigt. Die „Geiz-ist- bei Lebensmittelverarbeitern und bei Verbraucher- und geil“-Mentalität bei Lebensmittelprodukten ist Schnee Ernährungsveranstaltungen heuchelt Minister Seehofer von gestern. Unabhängig von allen bisher nur wenig er- nicht nur Verständnis für deren Anliegen, sondern äu- forschten gesundheitlichen Risiken hätte eine Ausbrei- ßerte selbst große Bedenken gegenüber der Agrogen- tung der Agrogentechnik vor allem weitreichende wirt- technik. Mit seinem Gentechnikgesetz hat er sich selbst schaftliche Folgen. Allein 150 000 Arbeitsplätze in der Lügen gestraft. Mehr als 80 Prozent der Verbraucherin- stark wachsenden Biobranche sind akut durch die Geset- nen und Verbraucher lehnen die Gentechik in Lebens- zesnovelle betroffen. Auch im Bereich des konventionel- mitteln ab. Mehr als 27 000 Landwirte haben in privaten len Lebensmitteleinzelhandels wächst eine immer grö- Selbstverpflichtungserklärungen im gesamten Bundes- ßere Ablehnung gegenüber dieser Risikotechnologie. gebiet auf einer landwirtschaftlichen Fläche von mehr Deutsche Wirtschaftsunternehmen wie etwa Hipp oder als 980 000 Hektar gentechnikfreie Regionen eingerich- die großen Handelsketten wie Edeka und Rewe haben tet, um eine nachhaltige und gentechnikfreie Landbe- sich klar gegen die Agrogentechnik ausgesprochen. wirtschaftung zu garantieren. Dies setzt die schwarz-rote Bündnis 90/Die Grünen lehnen die vorgelegte No- Bundesregierung mit der vorgelegten Gesetzesnovelle velle zum Gentechnikgesetz aus den bereits beschriebe- einfach aufs Spiel. nen Kriterien kategorisch ab. Wir fordern die Bundesre- An einem Beispiel möchte ich Ihnen dies näher erläu- gierung auf, statt einer Verschlechterung des geltenden tern: Das Vorsorgeprinzip beim Umgang mit gentech- Gentechnikrechts endlich eine Monitoringverordnung nisch veränderten Organismen ist die Basis des gelten- sowie Maßnahmen vorzulegen, mit denen die EU-Kenn- den Gentechnikgesetzes. Weil gentechnisch veränderte zeichnungslücke bei Produkten von Tieren, die mit gen- Organismen – einmal in die Natur entlassen – nicht mehr technisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, rückholbar sind, muss das Ziel der Regelungen sein, dass auf nationaler Ebene geschlossen wird, damit Verbrau- Verunreinigungen konsequent vermieden werden müs- cherinnen und Verbraucher zukünftig eine echte Wahl- sen. Diesem Ziel wird weder der Gesetzentwurf noch die freiheit haben und zum Beispiel Milchprodukte wählen Verordnung zur guten fachlichen Praxis, die derzeit im können von Kühen, die gentechnikfreie Futtermittel er- (B) Bundesrat beraten wird, gerecht. Stattdessen leisten halten haben. Auch fordern wir bei der Verordnung zur (D) Bundesregierung und Koalitionsfraktionen der schlei- guten fachlichen Praxis, die längst überfällig ist, tatsäch- chenden Verunreinigung der Landwirtschaft und Um- lich wirksame Abstandsregeln. welt Vorschub, in dem sie das Gentechnikgesetz so ver- Als letzten Punkt möchte ich Minister Seehofer auf- schlechtern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auch fordern, beim EU-Zulassungsprozedere für gentechnisch dann angebaut werden dürfen, wenn diese die gentech- veränderte Organismen den Kampf gegen Neuzulassun- nikfreie Landwirtschaft gefährden. Und sie wollen Pri- gen von Gentechpflanzen, wie ihn der derzeitige EU- vatabsprachen zulassen, mit denen rechtliche Vorsorge- Umweltminister Dimas führt, voll zu unterstützen. Auch vorschriften unterwandert werden können, sodass Umweltminister Gabriel lehnte letzte Woche die beiden Kontrollen und Schutz vor Verunreinigungen unmöglich gentechnisch veränderten Maissorten Bt11 und 1507 werden. zum Anbau ab.

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