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Ausland

ÖSTERREICH Schattenkanzler Haider Nach 13 Jahren großer Koalition droht eine Wende in Wien: Jetzt drängt eine Partei an die Macht, deren Vorsitzender das Dritte Reich verharmlost hat – die populistische FPÖ läuft Gefahr, Österreich in die Isolation führen.

Landeshauptmann Haider im Wiener Kanzleramt: „Rote und schwarze Filzläuse, die mit Blausäure bekämpft werden sollten“

wei ungleiche Männer sitzen Schul- meinsam regieren. Ein Spiel mit verteilten Koalitionsgesprächen mit der sozialdemo- ter an Schulter in Wien. Der Blasse, Rollen: Das Uno-, EU- und OSZE-Mitglied kratischen SPÖ. Zlinks, ist Österreichs Außenminister, Österreich bleibe weiter ein offenes Land, Schüssel hat nur noch sein Ziel vor Au- Vorsitzender der OSZE. Der Gebräunte voller „Achtung vor Fremden und Tou- gen. Kanzler. Dafür riskiert der ÖVP-Chef daneben ist ein Landsmann. Er hat von der risten“, sagt der amtierende Außenminis- jetzt die Wende. Er holt das Schmuddel- OSZE bislang nur gehört. Beim letzten ter Schüssel; „ich möchte das unterstrei- kind Haider mit an den Tisch, Zielscheibe Gipfel in Istanbul hätten sich Hillary Clin- chen“, sagt Haider, dessen Freiheitliche von 13 Jahren gemeinsamer Ausgren- ton und Jacques Chirac nach ihm erkun- Partei (FPÖ) mit „Stop der Überfrem- zungspolitik der Großkoalitionäre von der digt. Was es denn mit diesem gefährlichen dung“-Plakaten im Herbst fünf Prozent- Volkspartei und den Sozialdemokraten. Vogel auf sich habe, der Österreich vom punkte an Wählerstimmen zugelegt hat. Darf der Außenminister eines EU-Staats Weg abzubringen gedenke? Er wolle, allerdings, „das politische Sys- Steigbügelhalter sein für einen, der Lob- Zwei ungleiche Männer sitzen in Wien. tem“ der Republik „nachhaltig verän- reden auf Waffen-SS-Veteranen und die Links Wolfgang Schüssel, Österreichs Chef- dern“, fügt Haider hinzu – im Bund mit Beschäftigungspolitik im Dritten Reich ge- diplomat, daneben Jörg Haider, Österreichs ebenjener Österreichischen Volkspartei halten hat? Auch wenn er zusichert, er Rechtsaußen, Chef der zweitstärksten Par- (ÖVP), die das Land seit 1987 mitregiert. selbst bleibe Regierungschef in Kärnten, tei FPÖ und als solcher Mann der Stunde. Schüssel sieht da kein Problem: „Die Zie- ihn ziehe vorläufig nichts nach Wien? Sie lächeln und kumpeln vor Kameras. Sie le sind dieselben geblieben“ für die ÖVP, ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch- sagen, sie könnten sich mehr vorstellen. sagt er, ob jetzt bei den Verhandlungen mit Kallat beschwichtigt rührend und linkisch. Sie würden Österreich künftig gern ge- der FPÖ oder zuvor bei den erfolglosen Sie sagt, „dass Jörg Haider sicher kein Nazi

140 der spiegel 5/2000 zusammen regierend, verlieren im Oktober 1999 die Wahl. Die SPÖ büßt 4,9 Prozent, die ÖVP 1,2 Prozent ein. Beide Parteien haben noch 110 Tage nach der Wahl ge- prüft, ob und wie sie gemeinsam weiter- regieren könnten. Ein „systematisches Wählervertreibungsprogramm“ sei das ge- wesen, sagt Schüssel jetzt, nachdem er zu- vor den bisherigen Bundeskanzler Viktor Klima mit immer neuen Forderungen in die Enge bugsiert hat. Immerhin, der dritte Mann war stets spürbar in Wien – Jörg Haider. „Solange es Schüssel und Khol gibt, gibt es von unse- rer Seite sicherlich keine Bereitschaft“ zu einer Koalition, hat Haider gesagt. Das war vor mehr als einem Jahr. Doch am vorvergangenen Freitag hat es geknallt zwischen ÖVP und SPÖ, und seither tagt Haiders Partei mit den ÖVP-Granden – auch mit Schüssel und Fraktionschef An- dreas Khol. Ende der Woche soll ein Koalitions- papier vorgelegt werden. Bundespräsident Thomas Klestil, der die Parteienverbin- dung billigen müsste, schwankt. Die der- zeit einzige Alternative, die ihm bliebe, wären Neuwahlen. Umfragen zufolge würden sie Jörg Haider dorthin spülen, wohin er immer wollte – auf Platz eins in Österreich. Klestil, Diplomat vom Scheitel bis zur

FOTOS: VIENNAREPORT (li.); AP (re.) VIENNAREPORT FOTOS: Brandsohle, fürchtet den Druck von außen. Anti-Haider-Protest: Signale über Telefon, Ticker und Fax Über Telefon, Ticker und Fax hört er die Signale. Dass Israel gröbere Salven streu- Wer sollte Kanzler werden? Wer soll die Regierung stellen? en würde, war zu erwarten – Premier Ehud Barak, noch gemäßigt, äußert sich besorgt. Viktor Fortsetzung der SPÖ/ÖVP-Koalition Ex-Premier Schimon Peres lässt wissen, eine Regierung mit Haider „und anderen Klima 27% SPÖ Alexander Rassisten“ werde der „Bann“ der zivi- Jörg Van der lisierten Völker treffen. Außenminister 27% Haider FPÖ/ÖVP-Koalition FPÖ Bellen Wolfgang David Levy, der schon das FPÖ-Wahl- Die Grünen mit ÖVP-Kanzler mit FPÖ- Schüssel 23% Kanzler 12% ergebnis im Herbst ein „Nachbeben der ÖVP 16% 15% Nazi-Zeit“ nannte, droht weiter mit diplo- SPÖ-Minderheitsregierung matischen Konsequenzen, etwa dem Ab- 10% 18% zug seines Botschafters. Schon im Oktober waren in israelischen Quelle: Gallup; 500 befragte österreichische Wähler; 24. und 25. Januar 2000 Zeitungen Karikaturen zu sehen, in denen Haider mit Hitler eng umschlungen Walzer in dem Sinne ist“. Egal in welchem Sinn – der einst für die ÖVP kandidierte. Die Re- tanzt. „Auch wenn er eine geschickte Tar- sie liegt damit, ihrer Funktion konform, publik ist aus dem Gleis geraten. Noch gibt nung hat – Haider ist ein Antisemit“, sagt hart am Wind. es keine Regierung. Yoel Sher, Israels Botschafter in Wien bis Denn der hat in ihrer Partei gedreht. „Es Was bisher passiert ist: Sozialdemokra- 1997. Israel befürchtet einen „Domino- ist nicht so, dass in diesem Land nur einer ten und Konservative von der Volkspartei, effekt“ in ganz Europa, Ermutigung für das Monopol auf Fremdenfeindlichkeit seit Kriegsende bestimmend, seit 13 Jahren versprengte Rechte auf dem Kontinent. hat“, sagt der Noch-Außenmi- Ruhe regiert überraschen- nister Schüssel: „Frühere Re- derweise im amerikanischen gierungen“ hätten es auch an Außenministerium. Dort un- Klarheit fehlen lassen. In den terstellt man, Haider und seine letzten fünf Kabinettsriegen, FPÖ würden sich im Falle des die amtierende inklusive, war Falles an ihre Versprechungen Schüssel selbst vertreten. halten – keine Änderung bei Solche Flexibilität ist derzeit Österreichs Umgang mit Min- Trumpf in Österreich. Es wird derheiten und Ausländern. verhandelt, auf Teufel komm Anlässlich eines inoffiziellen

raus. Erst ÖVP mit der SPÖ, REUTERS Treffens vor zwei Wochen mit dann ÖVP mit FPÖ und immer wieder ÖVP gegen den (par- Parteichefs Haider, Schüssel teilosen) Bundespräsidenten, Spiel mit verteilten Rollen 141 Ausland

Vertretern des State Department hat Hai- öffentliche Position anvertraut zu be- ner zu werden. Diesmal entschieden sich der sich erneut abgesetzt von dem, was er kommen“. SPÖ und ÖVP dazu, aus demokratischem neuerdings „die Schatten der Vergangen- Haider, zum Beispiel. Dass der jetzt, mit Respekt oder vegetativer Ermattung, dem heit“ nennt. Hilfe freiheitlicher Strohmänner, nach der freiheitlichen Schachterlteufel ohne abso- Andererseits gibt es kaum einen west- Macht greift, ist traurig, aber wahr. Da al- lute Mehrheit eine Chance zu geben. europäischen Staatschef, der nicht in den lerdings hat Klima „sich überhaupt nichts Parallel dazu hat Haider als Parteichef Chor der Mahner eingefallen wäre. Jospin vorzuwerfen“. Lord Janner of Braunstone, die FPÖ in knapp 14 Jahren Amtszeit von ist besorgt, Chirac telefoniert besorgt mit Vizepräsident des World Jewish Congress, landesweit fast 5 Prozent auf das Oktober- Klestil. Schröder räumt ein – zwischen Tür entzerrt auf der Konferenz das Thema zu Rekordergebnis von 26,9 Prozent gehievt. und Angel auf die Frage festgenagelt, was Klimas Gunsten: „Haider ist kein öster- In der rot-weiß-roten Republik zwischen er von einer Partei halte, „deren Chef sich reichisches Problem, Haider ist ein eu- Neusiedler- und Bodensee, die seit 30 Jah- nicht eindeutig von Adolf Hitler distan- ropäisches Problem.“ ren mit roten Kanzlern und seit 13 Jahren ziert“ –, er sei besorgt. Richtig, und doch zu kurz gegriffen. Je mit einer rot-schwarzen Koalition zu le- Nur die deutschen Christdemokraten schamloser die große Welt mit ihren Glo- ben und zu leiden gelernt hat, wird schon Stoiber und Schäuble sehen die Angele- bal Players, Talkshows und Nachrichten- der Aufstieg einer dritten Kraft als Akt de- schwemmen in letzte Alpen-Winkel ein- mokratischer Emanzipation gedeutet. Das Volk schwankt dringt, desto stärker bedrängt sie die Klei- Vergleichbare frühere Versuche, eine zwischen ängstlichem Schielen nen. Und schmiert damit den Treibriemen Österreich-zuerst-Stimmung zu betonie- eines Populisten wie Haider. ren, endeten allerdings traumatisch. Haider und trotzigem Beharren In der Hofburg spricht Bundespräsident weiß das, sein Aufstieg als junger FPÖ- Klestil vorige Woche sibyllinisch davon, Chef verlief zeitgleich zur Demontage des genheit nicht so eng: Stoiber empfahl be- dass die Österreicher sich „mitten in einer Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Jahre reits nach den Wahlen im Oktober eine Umbruchsphase befinden, in vielerlei Hin- internationaler Isolation folgten der Wahl ÖVP-FPÖ-Koalition, und auch Schäuble sicht“. Ist Haider also die logische Folge? des Ex-Uno-Generalsekretärs zum öster- hätte keine gravierenden Einwände gegen Es herrscht Fin-de-siècle-Stimmung in reichischen Staatsoberhaupt. das Rechtsbündnis – „ein bestürzender Österreich, mit vier Wochen Verspätung. Auch damals litten die Aufgeklärten in Vorgang“, wie SPD-Generalsekretär Franz Das Volk schwankt zwischen ängstli- Österreich, doch damals gab es auch schon Müntefering findet. chem Schielen über die Grenzen und trot- das kollektive Zusammenrücken jener, die Die Österreicher, ein Acht-Millionen- zigem Beharren. Die Staatssekretärin im sich nicht gern von außen vorschreiben las- Volk – fast allein gegen den Rest der Welt? Außenamt und künftige Kandidatin für das sen, wie sie mit ihrer Vergangenheit um- Die unheimliche Parallele von Auschwitz- Ministerium, Benita Ferrero-Waldner, trifft zugehen haben. Der Wehrmachts-Leutnant Gedenktag und dem gleichzeitigen Macht- den Nerv vieler Landsleute, wenn sie orts- Waldheim, dessen Angaben über seine Rol- zugriff von Haiders Partei hat ein Reiz- ferne Belehrungen als Einmischung in in- le im Zweiten Weltkrieg ungenau waren, Reaktion-Schema ausgelöst – Österreich: nerösterreichische Angelegenheiten zu- witterte eine „Verleumdungskampagne ge- gestern braun, heute braun, das darf nicht rückweist. wisser jüdischer Kreise“ und bediente so sein. Das an eine Schmierenkomödie gren- Jörg Haider ist schließlich kein Putschist. das österreichische Angstraster von der zende Gerangel um eine regierungsfähige Er wurde in Kärnten erstmals 1989 zum Fremdbestimmung. Mehrheit ist schlagartig in ein düsteres Landeshauptmann gewählt. Nach seinem Waldheim steht noch heute in den USA Licht geraten. Rücktritt wegen des Loblieds auf die „or- wegen seiner Nazi-Vergangenheit auf der Während in Wien die Koalitionäre in spe dentliche Beschäftigungspolitik“ im Drit- „watch-list“ – und hat Einreiseverbot. Be- von ÖVP und FPÖ sich ruck, zuck auf eine ten Reich hat er es im März 1999 ein zwei- vor Papst Johannes Paul II. ihn als erstes Verschärfung des Strafrechts für Kinder- tes Mal geschafft, Landesvater der Kärnt- Staatsoberhaupt empfing, gab sich wenigs- schänder verständigen und sich anderntags mit Puten- schnitzeln stärken, ehe es um die Haushaltssanie- rung geht, ist 1250 Kilome- ter nördlich, beim Holo- caust-Gipfel in Stockholm, Beklommenheit mit Hän- den zu greifen. Rund 700 Delegierte des internationalen Holo- caust-Forums sitzen im würdigen Stockholmer Folkets Hus. Österreichs Noch-Kanzler Klima, von einzelnen KZ-Überleben- den auf die Wange ge- küsst, sagt, der Holocaust sei eines der „schlimmsten und ungeheuerlichsten Verbrechen“ der Mensch- heit. Klima sieht erschöpft und gedemütigt aus, als er zur Beherzigung daheim sagt: Jeder, der den Holo-

caust nicht klar benen- STAATSBIBLIOTHEK BAYER. ne, sei „ungeeignet, eine Ankunft Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz im März 1938: „Wer einmal schon für Adolf war…

142 der spiegel 5/2000 REUTERS … wählt Adolf auch in diesem Jahr“: Kundgebung Haiders in Wien NIEDERÖSTERREICH 22,5% tens Hollywoods Muskelprotz Arnold Den Grundstein zu Haiders Vormarsch OBERÖSTERREICHOBERÖSTERREICH WIEN Schwarzenegger die Ehre – in Waldheims seiner 13 Jahre wäh- 26,8% 24,8% Retiro am Attersee. renden Herrschaft hat Ergebnisse der FPÖ 1999 bei Als Haider Anfang der Neunziger im Si- der österreichische Ju- den Wahlen zum Nationalrat nach Bundesländern BURGENLAND mon-Wiesenthal-Zentrum von Los Angeles de Kreisky denn auch STEIERMARK 21,0% zwischen Idi Amin und anderen Massen- mit einer beherzten 29,2% TIROL SALZBURG mördern sein eigenes Konterfei entdeckte, Geste über historische VORARLBERG 29,4% beriet auch er sich mit Schwarzenegger. Gräben hinweg gelegt. 28,0% über 35% 30,2% Der kennt, seit er für das Zentrum spendet, Er, der vor den Nazis KÄRNTEN 30 bis 35% 25 bis 30% um das Gerede über die NS-Mitgliedschaft floh, hat 1970 dem 38,6% unter 25% seines Vaters im Zaum zu halten, dort FPÖ-Chef Friedrich „einen Rabbi“ und war behilflich. Peter, ehemals Ober- Doch die Geschichte vom österreichi- sturmführer in der 1. SS-Infanterie-Brigade, zialisten der Kanzlerpartei wandten sich schen Trotz ist nicht nur eine Geschichte die Hand gereicht. Er hat Peter zur Tole- der ÖVP zu. Erst jetzt, fast 14 Jahre später, der Ewiggestrigen. Jene, die schon die rierung einer SPÖ-Minderheitsregierung ist das Bündnis zerbrochen.An Anfang und Waldheim-Zeit ungerührt im nationalen überredet und so den Freiheitlichen die Ende der großen Koalition in Österreich Gesinnungsbunker überstanden und die höheren Weihen gegeben, die sie damals, steht Krawall – steht Jörg Haider. jetzt wieder für Mut zum eigenständigen, als nazinah gebrandmarkt, dringend Haider ist kein Nazi. Haiders Vater al- rechten Weg plädieren, konnten immer benötigten. lerdings gehörte zu den ersten illegalen auch mit dem ausgestreckten Finger nach Bruno Kreisky ist Friedrich Peters NSDAP-Mitgliedern Österreichs und hat links zeigen. Weißwäscher, ist Haiders schon 1934 den Putsch von deutschem Bo- Schon der sozialistische Präsident- politischer Ziehvater. Er kannte schon den den aus betrieben, vier Jahre vor dem „An- schaftskandidat Adolf Schärf war 1957 mit Schulbub Jörg, hat ihn später gefördert und schluss“ Österreichs, den Hitler mit der der freudig unters Volk gestreuten Parole ist vom erwachsenen Haider als Ballast ab- Einfahrt auf dem Wiener Heldenplatz ze- in den Wahlkampf gezogen: „Wer einmal geworfen worden, wie viele andere. lebrierte. Später war er Gaujugendwalter schon für Adolf war, wählt Adolf auch in Haider hat probeweise ein paar Nazi- von Oberdonau, und nach dem Krieg büß- diesem Jahr.“ Es hat ihm nicht geschadet. Lieder gesungen, bevor er als Student li- te er dafür, auf der falschen Seite gestan- Er ist Staatsoberhaupt geworden und acht berale Thesen vertrat. Im Alter von 36 Jah- den zu haben. Jahre lang geblieben. ren hat er erfolgreich gegen den liberaleren Die Schmach des Vaters ist der Schlüssel Auch der sozialistische Rekordkanzler FPÖ-Parteiobmann Norbert Steger ge- zu Haiders Verhalten. Die Familie lässt ihn Bruno Kreisky kannte keine Berührungs- putscht. Bei Haiders Bestallung sollen nicht los. In den aktuellen Koalitionsge- ängste: „Wenn endlich Gras über eine Sa- „Sieg Heil“-Rufe ausgestoßen und Hitler- sprächen verhandelt seine Schwester Ur- che gewachsen ist, kommt so ein Kamel Gedenkmützen verteilt worden sein. sula Haubner über Soziales. daher und frisst es wieder weg“, pflegte er Die Freiheitlichen wurden daraufhin Fest steht: Weder hat Haider junior zu sagen, wenn einer sich anschickte, an die umgehend aus der kleinen Koalition mit den Holocaust geleugnet noch Juden ge- braune Vergangenheit zu rühren. Franz Vranitzkys SPÖ verstoßen. Die So- schmäht oder östlichen Lebensraum ge-

der spiegel 5/2000 143 AP VIENNAREPORT WECO Selbstdarsteller Haider: Er gibt den Revoluzzer, den Bürgerschreck, den braun gebrannten Bergfex fordert. Allerdings beherrscht er die ein- Kinderreichen Fortkommen durch Gebär- nes sie umgibt. Deswegen braucht es Leu- schlägige Klaviatur virtuos und gibt sie prämie, den Beschäftigten Schutz des te, die den Berg stellvertretend für alle an- auch zum Besten. Der ÖVP-Mann Georg Arbeitsplatzes und den Paneuropäern die deren besteigen“. Wurmitzer beteuert, mit eigenen Ohren EU-Erweiterung. Haiders Stärke ist die Schwäche der an- 1989 gehört zu haben, wie Haider her- Geht das alles? Natürlich nicht. Aber deren: die Angst der kleinen Leute vor der gezogen sei über „rote und schwarze Haider hat schon immer heute das und Macht der großen Konzerne, vor dem Zu- Filzläuse, die mit Blausäure bekämpft wer- morgen jenes behauptet. Will einer noch strom fremder Arbeitskräfte. Und die den sollten“. wissen, dass er die Nation 1988 als „ideo- Angst der regierenden Parteien vor dem Wurmitzer war es auch, der als Erster logische Missgeburt“ bezeichnet hat und Verlust ihrer Macht. reagierte, als Haider im Kärntner Landtag sich heute gleichwohl als ihr Anführer auf- Zu Grunde liegt der österreichischen Eli- die Beschäftigungspolitik der Nazis pries. baut? Dass er es war, der das Volksbegeh- tenstarre das schweigende Übereinkom- Am Arbeitseifer des wortgewaltigen FPÖ- ren gegen den Euro ins Leben rief und heu- men von Christkonservativen und Sozialis- Chefs lässt er kein gutes Haar: Da sei „ein te nur noch Chancen sieht? ten, dass sich die dreißiger Jahre nicht wie- Zirkuspferd vor den Pflug gespannt“ wor- Haider ist unbarmherzig modern. Er derholen dürfen. Damals war ein Teil der den. Den altgedienten ÖVP-Mann hat das setzt darauf, dass das Gedächtnis der Vi- jungen, aus dem gewaltigen Österreich-Un- nicht gehindert, kräftig mitzuziehen – seit deoclip-Gesellschaft schrumpft und die garn geschaffenen Nation frühzeitig zum dem Frühjahr ist Wurmitzer Kärntner Mi- Sehnsucht nach Metaphern des Behaup- Austrofaschismus konvertiert, ein anderer nister unter Haider. tungswillens im selben Maße steigt. Des- endete im Widerstand, im Exil oder im KZ. Haider versteht sich als Volkstribun, als halb gibt er den Revoluzzer, den Bürger- Also setzten sich nach dem Krieg die Lautsprecher der Sprachlosen, Unzufrie- schreck, auch den braun gebrannten, un- politischen Lager der wiederhergestellten denen, Zukurzgekommenen. Er verspricht erschrockenen Bergfex: Die Österreicher Republik zusammen und schmiedeten die dem redlichen Österreicher – also nach seien sich fremd geworden, schreibt der eiserne Klammer des Proporzstaats, der Selbsteinschätzung beinahe allen – beina- Autor Armin Thurnher, „weil nicht mehr unkündbaren Sozialpartnerschaft. Konsens he alles: den Reichen weniger Steuern, den Natur, sondern nur noch Selbstgeschaffe- war Gründungsmythos der Zweiten Repu-

146 der spiegel 5/2000 Ausland blik, nach dem Trauma vom Untergang neuerdings ministrabel und womöglich so- der Ersten. gar tauglich für das Amt des Vizekanzlers, Die Konkordanzdemokratie diente als sind in der Truppe des Schattenkanzlers stabiles Bollwerk gegen Anfeindungen Haider Thomas Prinzhorn und Susanne der restlichen Welt, gegen Globalisierung, Riess-Passer. Zweidrittelgesellschaft und fortschreiten- Prinzhorn, 56, ist Papierfabrikant mit ei- de Erosion der Volksparteien. Die Partei- ner Milliarde Mark Jahresumsatz und von buchwirtschaft zählt landesweit zu den flo- Haider in keiner Hinsicht abhängig. Er war rierendsten Geschäftszweigen. Fast jeder schon in der ÖVP, dann für die FPÖ im zehnte Österreicher, Neugeborene einge- Nationalrat und hat vor 14 Monaten die rechnet, ist noch heute Mitglied der SPÖ. Flucht ergriffen, unter anderem, weil er in Doch der Strukturwandel erreichte auch Haiders Umfeld Leute „mit miserabelsten Österreich, verschonte die Parteien nicht. Manieren“ entdeckt zu haben glaubte. Bauernsterben schadete auf ÖVP-Seite, Kurz vor den Herbst-Wahlen wurde er der Niedergang der Großindustrie und reaktiviert, und seither gilt er als Haiders die von bürokratischer Schikane entnerv- ten Kleingewerbetreibenden schufen Lü- Nirgends saß der Deckel so fest cken im roten Lager. Linear zum wach- und so lange auf dem senden Zorn der Verlierer auf jene, „die sich’s richten“ – Beamte, Kammerfunk- Kochtopf wie in Österreich tionäre, Parteibonzen –, wuchs die Stim- menzahl für Haiders FPÖ. Linear sank die dickstes Pfund. Der als knallharter Ge- Zahl verbaler Ausfälle, mit denen der Par- schäftsmann gerühmte Harvard-Absolvent teichef glaubte, auch noch das rechts- Prinzhorn, privat ein passionierter Jäger extreme oder NS-nostalgische Lager ein- von Blauschafböcken im Himalaja-Massiv binden zu müssen. (und Vater von sieben Kindern, denen fünf Den Verfall politischer Glaubwürdigkeit, Mütter zuzuordnen sind), strebt in einer Durchstechereien und Irreführung der ÖVP-FPÖ-Koalition das Amt des Finanz- Wähler gibt es auch anderswo. Aber wohl ministers an. nirgends saß der Deckel so fest und so lan- Die künftigen Amtskollegen, Deutsch- ge auf dem Kochtopf wie in Österreich – lands Sparkommissar Eichel inklusive, hät- die große Koalition hielt sich im Sattel, ten dann einen Kollegen zu gewärtigen, nicht zuletzt unter beständigem Verweis der von sich sagt, er stehe „keiner Partei auf die drohende Alternative Haider. nahe, sondern einer Bewegung, die das Zwar hat Haider nie mitregiert, aber ge- Land verändern will“. Er hat weiter be- rade deshalb hat er das Gesetz des Han- hauptet, in Österreich würden gratis Hor- delns diktiert und ist zum ernsthaften Ri- mone an Ausländer verteilt, um deren Fort- valen gewachsen. Unliebsame Widersacher pflanzungsrate zu steigern. um den Führungsanspruch in der FPÖ be- -Passer, Haiders streng fri- seitigte er. Wie der Vorgänger im Partei- sierte Stellvertreterin in der Partei, war bis vorsitz, Norbert Steger, mussten später dato vor allem bekannt als Organisatorin auch die liberalen Norbert Gugerbauer des Volksbegehrens gegen den Euro. Nun und Heide Schmidt von Bord. könnte sie, wenn Klestil und Haider wol- Das Personal, das nun für die potenziel- len, Vizekanzlerin werden. Mit den ihr le Regierungspartei FPÖ im Nationalrat hierarchisch unterstellten Exponenten der sitzt, genügt zu ungefähr gleichen Teilen so genannten Buberlpartei – Haiders loya- den Prädikaten folkloristisch, Furcht erre- ler, männlicher Nachwuchsreserve – ver- gend und seriös. Ernst zu nehmen, weil bindet sie eines: Sie ist jünger und telege- ner als die meisten Ver- treter der „Altpartei- en“. Und sie bildet kürzere, verständliche- re Sätze. Mit Sprüchen sind die Probleme Öster- reichs allerdings nicht zu lösen. Der Staat hat 243 Milliarden Mark Schulden. Wenn nicht in nächster Zukunft eine Regierung gebil- det und ein Etat verab- schiedet wird, ist die Republik Mitte des Jahres zahlungsunfä- hig. Gleichzeitig ist Österreich, pro Kopf

WECO gerechnet, das siebt- Beschmiertes FPÖ-Wahlplakat: Allen alles versprochen reichste Land der Erde,

der spiegel 5/2000 147 Ausland U. SCHREIBER / GAMMA STUDIO X U. AP F. KURZ / GAMMA STUDIO X F. Ex-Präsident Waldheim Präsident Klestil, Kanzler Klima „Gewisse jüdische Kreise“ Verfall der Glaubwürdigkeit

„eine Erfolgsgeschichte“ in jeder Hinsicht, ren. Die Erweiterung der Gemeinschaft, sagt Kanzler Klima. auch die zuvor fällige Reform der EU- Nur will sie plötzlich keiner mehr hören. Institutionen sind nach Vertragslage ein- Hat sich mit ÖVP und FPÖ endlich gefun- stimmig zu beschließen. den, was sich gesucht hat? Nur ein einziges Überdies könnte Österreich auch aus Mal seit 1945 gab es in Österreich eine rech- dem Stabilitätsverband der Euro-Staaten nerische Mehrheit links der Mitte. Das war Ex-Kanzler Kreisky (1983) ausscheren, ohne die dann fälligen Geld- unter Bruno Kreisky. Doch der hat – Welt- Beherzte Geste über historische Gräben bußen zu entrichten. Das Vertragswerk für bürger, im Ausland geschätzter Staatsmann die Währungsunion sieht keine Sanktionen und Freund des kleinen Mannes in einem drittstärksten Partei zum Kanzler zu pro- für diesen Fall vor. Und: In gut fünf Dut- – das rechte Milieu zu binden verstanden movieren. zend weiteren Feldern Brüsseler Politik ist wie kein anderer SPÖ-Chef nach ihm. Schüssel aber sieht sich, quasi über derzeit noch Einstimmigkeit im Ministerrat In der populären „Neuen Kronenzei- Nacht, um Jahre gereift – vom Juniorpart- Pflicht – in der Steuer- wie in der Regio- tung“, wo der Wiener Volksmund in ur- ner der SPÖ zum Seniorchef einer Koali- nalpolitik, die über die Milliarden für die eigenster Form Resonanzboden findet, tion mit der FPÖ. Was bleibt Klestil ande- Strukturhilfe gebietet. klingt der Wählerwille inzwischen so: „Ich res übrig, als ihn gewähren zu lassen? Und, Doch Haider gilt in Brüssel als wankel- frage mich überhaupt, warum wir eine Re- riskiert er wirklich Österreichs Reputation mütiger Maulheld, seit er im Wahlkampf gierung brauchen“, schreibt dort ein na- mit einem Regierungschef von Haiders die Angst vor der EU-Erweiterung und menloser Leser. „Es ist seit drei Monaten Gnaden? einer Überfremdung Österreichs geschürt, auch so ganz gut gegangen. Die Züge fah- Der deutsche Bundeskanzler wünscht danach aber als Vertreter Kärntens im EU- ren, die Busse fahren, die Ärzte schneiden sich, die Europäische Union solle dem Ausschuss der Regionen die Erweiterung Bäuche auf, die Polizisten verfolgen Ver- ÖVP-Chef klarmachen, dass Österreich ei- begrüßt hat. Der amtierende Vizekanzler brecher. Und alles funktioniert.“ nen Preis für eine Koalition mit Haider zu und potenzielle Kanzler Schüssel hinge- Bundespräsident Klestil steht vor keiner zahlen haben werde, „und der Preis muss gen genoss bislang Vertrauen in der EU- leichten Wahl. Er hat nie ein Hehl gemacht wirklich einer sein“, so Schröders außen- Zentrale. aus seiner Ablehnung gegen Haider und politischer Berater Michael Steiner. „Weiß Sollten ihm die Dinge aus der Hand glei- eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. Er Schüssel eigentlich, was er da anrichtet?“ ten, bliebe der EU-Kommission ein letz- hat auch, aus eher persönlichen Gründen, Ja, weiß er das? Theoretisch könnte ein tes Züchtigungsinstrument. Sie kann bei wenig Eifer gezeigt, Wolfgang Schüssel von Haiders Gnaden und Daumenschrau- „schwerwiegender und anhaltender Ver- vom Wahlverlierer und Chef der nur noch ben abhängiges Österreich die EU blockie- letzung“ der Grundsätze von Freiheit, De- mokratie, Menschenrechten und Rechts- staatlichkeit in einem einzelnen Mitglied- Wahlergebnisse und Regierungen in Österreich seit 1970 staat gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags dar- um nachsuchen, die Vertreter des betref- Sozialdemokratische Partei Österreichs SPÖ Wahl zum NATIONALRAT fenden Staats von Entscheidungen im 48,4% 50 Ministerrat auszuschließen. Vergangene Woche, als die beiden Braut- 44,7% 40 Österreichische Volkspartei ÖVP werber Schüssel und Haider sich in Wien 33,2% vor der Presse präsentierten, versicherte 26,9% 30 Schüssel, Österreichs Ja zur EU-Erweite- Jörg Haider wird 26,9% rung werde auch künftig Geltung haben. Parteivorsitzender 20 Daneben saß Haider, ehemaliger Initia- tor des Volksbegehrens gegen den Euro und bis vor wenigen Wochen flammen- Die Freiheitlichen FPÖ Die Grünen 10 5,45% 7,4 % der Gegner weiterer Beitritte zur Ge- 3,3% meinschaft, und hielt das blaue EU-Fähn- 0 chen mit den gelben Sternen zwischen den 1970 71 75 79 8386 90 94 95 99 Fingern. REGIERUNG Er drehte es, nicht gerade im Wind, son- dern im Scheinwerferlicht der Kameras. In Bruno Kreisky Viktor Klima KANZLER seinen Händen sah sogar die Flagge des 1970 – 1983 1983 – 1986 1986 – 1997 ab 1997 Vereinten Europa aus wie ein Spiel- SPÖ zeug. Walter Mayr

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