Ausland ÖSTERREICH Schattenkanzler Haider Nach 13 Jahren großer Koalition droht eine Wende in Wien: Jetzt drängt eine Partei an die Macht, deren Vorsitzender das Dritte Reich verharmlost hat – die populistische FPÖ läuft Gefahr, Österreich in die Isolation führen. Landeshauptmann Haider im Wiener Kanzleramt: „Rote und schwarze Filzläuse, die mit Blausäure bekämpft werden sollten“ wei ungleiche Männer sitzen Schul- meinsam regieren. Ein Spiel mit verteilten Koalitionsgesprächen mit der sozialdemo- ter an Schulter in Wien. Der Blasse, Rollen: Das Uno-, EU- und OSZE-Mitglied kratischen SPÖ. Zlinks, ist Österreichs Außenminister, Österreich bleibe weiter ein offenes Land, Schüssel hat nur noch sein Ziel vor Au- Vorsitzender der OSZE. Der Gebräunte voller „Achtung vor Fremden und Tou- gen. Kanzler. Dafür riskiert der ÖVP-Chef daneben ist ein Landsmann. Er hat von der risten“, sagt der amtierende Außenminis- jetzt die Wende. Er holt das Schmuddel- OSZE bislang nur gehört. Beim letzten ter Schüssel; „ich möchte das unterstrei- kind Haider mit an den Tisch, Zielscheibe Gipfel in Istanbul hätten sich Hillary Clin- chen“, sagt Haider, dessen Freiheitliche von 13 Jahren gemeinsamer Ausgren- ton und Jacques Chirac nach ihm erkun- Partei (FPÖ) mit „Stop der Überfrem- zungspolitik der Großkoalitionäre von der digt. Was es denn mit diesem gefährlichen dung“-Plakaten im Herbst fünf Prozent- Volkspartei und den Sozialdemokraten. Vogel auf sich habe, der Österreich vom punkte an Wählerstimmen zugelegt hat. Darf der Außenminister eines EU-Staats Weg abzubringen gedenke? Er wolle, allerdings, „das politische Sys- Steigbügelhalter sein für einen, der Lob- Zwei ungleiche Männer sitzen in Wien. tem“ der Republik „nachhaltig verän- reden auf Waffen-SS-Veteranen und die Links Wolfgang Schüssel, Österreichs Chef- dern“, fügt Haider hinzu – im Bund mit Beschäftigungspolitik im Dritten Reich ge- diplomat, daneben Jörg Haider, Österreichs ebenjener Österreichischen Volkspartei halten hat? Auch wenn er zusichert, er Rechtsaußen, Chef der zweitstärksten Par- (ÖVP), die das Land seit 1987 mitregiert. selbst bleibe Regierungschef in Kärnten, tei FPÖ und als solcher Mann der Stunde. Schüssel sieht da kein Problem: „Die Zie- ihn ziehe vorläufig nichts nach Wien? Sie lächeln und kumpeln vor Kameras. Sie le sind dieselben geblieben“ für die ÖVP, ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch- sagen, sie könnten sich mehr vorstellen. sagt er, ob jetzt bei den Verhandlungen mit Kallat beschwichtigt rührend und linkisch. Sie würden Österreich künftig gern ge- der FPÖ oder zuvor bei den erfolglosen Sie sagt, „dass Jörg Haider sicher kein Nazi 140 der spiegel 5/2000 zusammen regierend, verlieren im Oktober 1999 die Wahl. Die SPÖ büßt 4,9 Prozent, die ÖVP 1,2 Prozent ein. Beide Parteien haben noch 110 Tage nach der Wahl ge- prüft, ob und wie sie gemeinsam weiter- regieren könnten. Ein „systematisches Wählervertreibungsprogramm“ sei das ge- wesen, sagt Schüssel jetzt, nachdem er zu- vor den bisherigen Bundeskanzler Viktor Klima mit immer neuen Forderungen in die Enge bugsiert hat. Immerhin, der dritte Mann war stets spürbar in Wien – Jörg Haider. „Solange es Schüssel und Khol gibt, gibt es von unse- rer Seite sicherlich keine Bereitschaft“ zu einer Koalition, hat Haider gesagt. Das war vor mehr als einem Jahr. Doch am vorvergangenen Freitag hat es geknallt zwischen ÖVP und SPÖ, und seither tagt Haiders Partei mit den ÖVP-Granden – auch mit Schüssel und Fraktionschef An- dreas Khol. Ende der Woche soll ein Koalitions- papier vorgelegt werden. Bundespräsident Thomas Klestil, der die Parteienverbin- dung billigen müsste, schwankt. Die der- zeit einzige Alternative, die ihm bliebe, wären Neuwahlen. Umfragen zufolge würden sie Jörg Haider dorthin spülen, wohin er immer wollte – auf Platz eins in Österreich. Klestil, Diplomat vom Scheitel bis zur FOTOS: VIENNAREPORT (li.); AP (re.) VIENNAREPORT FOTOS: Brandsohle, fürchtet den Druck von außen. Anti-Haider-Protest: Signale über Telefon, Ticker und Fax Über Telefon, Ticker und Fax hört er die Signale. Dass Israel gröbere Salven streu- Wer sollte Kanzler werden? Wer soll die Regierung stellen? en würde, war zu erwarten – Premier Ehud Barak, noch gemäßigt, äußert sich besorgt. Viktor Fortsetzung der SPÖ/ÖVP-Koalition Ex-Premier Schimon Peres lässt wissen, eine Regierung mit Haider „und anderen Klima 27% SPÖ Alexander Rassisten“ werde der „Bann“ der zivi- Jörg Van der lisierten Völker treffen. Außenminister 27% Haider FPÖ/ÖVP-Koalition FPÖ Bellen Wolfgang David Levy, der schon das FPÖ-Wahl- Die Grünen mit ÖVP-Kanzler mit FPÖ- Schüssel 23% Kanzler 12% ergebnis im Herbst ein „Nachbeben der ÖVP 16% 15% Nazi-Zeit“ nannte, droht weiter mit diplo- SPÖ-Minderheitsregierung matischen Konsequenzen, etwa dem Ab- 10% 18% zug seines Botschafters. Schon im Oktober waren in israelischen Quelle: Gallup; 500 befragte österreichische Wähler; 24. und 25. Januar 2000 Zeitungen Karikaturen zu sehen, in denen Haider mit Hitler eng umschlungen Walzer in dem Sinne ist“. Egal in welchem Sinn – der einst für die ÖVP kandidierte. Die Re- tanzt. „Auch wenn er eine geschickte Tar- sie liegt damit, ihrer Funktion konform, publik ist aus dem Gleis geraten. Noch gibt nung hat – Haider ist ein Antisemit“, sagt hart am Wind. es keine Regierung. Yoel Sher, Israels Botschafter in Wien bis Denn der hat in ihrer Partei gedreht. „Es Was bisher passiert ist: Sozialdemokra- 1997. Israel befürchtet einen „Domino- ist nicht so, dass in diesem Land nur einer ten und Konservative von der Volkspartei, effekt“ in ganz Europa, Ermutigung für das Monopol auf Fremdenfeindlichkeit seit Kriegsende bestimmend, seit 13 Jahren versprengte Rechte auf dem Kontinent. hat“, sagt der Noch-Außenmi- Ruhe regiert überraschen- nister Schüssel: „Frühere Re- derweise im amerikanischen gierungen“ hätten es auch an Außenministerium. Dort un- Klarheit fehlen lassen. In den terstellt man, Haider und seine letzten fünf Kabinettsriegen, FPÖ würden sich im Falle des die amtierende inklusive, war Falles an ihre Versprechungen Schüssel selbst vertreten. halten – keine Änderung bei Solche Flexibilität ist derzeit Österreichs Umgang mit Min- Trumpf in Österreich. Es wird derheiten und Ausländern. verhandelt, auf Teufel komm Anlässlich eines inoffiziellen raus. Erst ÖVP mit der SPÖ, REUTERS Treffens vor zwei Wochen mit dann ÖVP mit FPÖ und immer wieder ÖVP gegen den (par- Parteichefs Haider, Schüssel teilosen) Bundespräsidenten, Spiel mit verteilten Rollen 141 Ausland Vertretern des State Department hat Hai- öffentliche Position anvertraut zu be- ner zu werden. Diesmal entschieden sich der sich erneut abgesetzt von dem, was er kommen“. SPÖ und ÖVP dazu, aus demokratischem neuerdings „die Schatten der Vergangen- Haider, zum Beispiel. Dass der jetzt, mit Respekt oder vegetativer Ermattung, dem heit“ nennt. Hilfe freiheitlicher Strohmänner, nach der freiheitlichen Schachterlteufel ohne abso- Andererseits gibt es kaum einen west- Macht greift, ist traurig, aber wahr. Da al- lute Mehrheit eine Chance zu geben. europäischen Staatschef, der nicht in den lerdings hat Klima „sich überhaupt nichts Parallel dazu hat Haider als Parteichef Chor der Mahner eingefallen wäre. Jospin vorzuwerfen“. Lord Janner of Braunstone, die FPÖ in knapp 14 Jahren Amtszeit von ist besorgt, Chirac telefoniert besorgt mit Vizepräsident des World Jewish Congress, landesweit fast 5 Prozent auf das Oktober- Klestil. Schröder räumt ein – zwischen Tür entzerrt auf der Konferenz das Thema zu Rekordergebnis von 26,9 Prozent gehievt. und Angel auf die Frage festgenagelt, was Klimas Gunsten: „Haider ist kein öster- In der rot-weiß-roten Republik zwischen er von einer Partei halte, „deren Chef sich reichisches Problem, Haider ist ein eu- Neusiedler- und Bodensee, die seit 30 Jah- nicht eindeutig von Adolf Hitler distan- ropäisches Problem.“ ren mit roten Kanzlern und seit 13 Jahren ziert“ –, er sei besorgt. Richtig, und doch zu kurz gegriffen. Je mit einer rot-schwarzen Koalition zu le- Nur die deutschen Christdemokraten schamloser die große Welt mit ihren Glo- ben und zu leiden gelernt hat, wird schon Stoiber und Schäuble sehen die Angele- bal Players, Talkshows und Nachrichten- der Aufstieg einer dritten Kraft als Akt de- schwemmen in letzte Alpen-Winkel ein- mokratischer Emanzipation gedeutet. Das Volk schwankt dringt, desto stärker bedrängt sie die Klei- Vergleichbare frühere Versuche, eine zwischen ängstlichem Schielen nen. Und schmiert damit den Treibriemen Österreich-zuerst-Stimmung zu betonie- eines Populisten wie Haider. ren, endeten allerdings traumatisch. Haider und trotzigem Beharren In der Hofburg spricht Bundespräsident weiß das, sein Aufstieg als junger FPÖ- Klestil vorige Woche sibyllinisch davon, Chef verlief zeitgleich zur Demontage des genheit nicht so eng: Stoiber empfahl be- dass die Österreicher sich „mitten in einer Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Jahre reits nach den Wahlen im Oktober eine Umbruchsphase befinden, in vielerlei Hin- internationaler Isolation folgten der Wahl ÖVP-FPÖ-Koalition, und auch Schäuble sicht“. Ist Haider also die logische Folge? des Ex-Uno-Generalsekretärs zum öster- hätte keine gravierenden Einwände gegen Es herrscht Fin-de-siècle-Stimmung in reichischen Staatsoberhaupt. das Rechtsbündnis – „ein bestürzender Österreich, mit vier Wochen Verspätung. Auch damals litten die Aufgeklärten in Vorgang“, wie SPD-Generalsekretär Franz Das Volk schwankt zwischen ängstli- Österreich, doch damals gab es auch schon Müntefering findet. chem Schielen über die Grenzen und trot- das kollektive Zusammenrücken jener, die Die
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages7 Page
-
File Size-