<<

Plenarprotokoll 14/96

Deutscher

Stenographischer Bericht

96. Sitzung

Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Inhalt:

Nachruf auf den Abgeordneten SPD ...... 8903 A ...... 8893 A Klaus Wolfgang Müller () BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 8903 C Tagesordnungspunkt 16: Dr. PDS ...... 8904 A a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ludwig Stiegler, Monika Dieter Grasedieck SPD ...... 8905 C Griefhahn, weiteren Abgeordneten und CDU/CSU ...... 8907 B der Fraktion SPD sowie den Abgeordne- ten Klaus Müller, Dr. , wei- Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE teren Abgeordneten und der Fraktion GRÜNEN ...... 8908 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- F.D.P...... 8909 C brachten Entwurfs einesGesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung von Jörg Tauss SPD ...... 8910 B Stiftungen (Drucksachen 14/2340, 14/3010) ...... 8893 C Dr. CDU/CSU ...... 8911 C Dr. Rita Süssmuth CDU/CSU ...... 8912 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frank- SPD ...... 8914 B furt), Rainer Funke, weiteren Abgeordne- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. . . . . 8915 C ten und der Fraktion F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Dr. Barbara Höll PDS (Erklärung nach Stiftungsrechts (StiftRReformG) § 31 GO) ...... 8916 A (Drucksachen 14/336, 14/3010) ...... 8893 D Namentliche Abstimmung ...... 8916 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ergebnis ...... 8917 C Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktion CDU/CSU: Ein modernes Stiftungsrecht für das 21. Tagesordnungspunkt 17: Jahrhundert (Drucksachen 14/2029, 14/3010) ...... 8894 A a) Antrag der Abgeordneten Eduard Lint- ner, Dirk Fischer (), weiterer Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P...... 8894 A Abgeordneter und der Fraktion Dr. Michael Naumann, Staatsminister BK ...... 8894 B CDU/CSU: Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Bahn Dr. Norbert Lammert CDU/CSU ...... 8896 D (Drucksache 14/2691) ...... 8920 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 8898 B b) Antrag der Abgeordneten (Bayreuth), Hans-Michael Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ Goldmann, weiterer Abgeordneter und DIE GRÜNEN ...... 8899 C der Fraktion F.D.P.:Bahnreform Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P...... 8901 D fortsetzen, Schienenverkehr stärken II Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. , Freitag, den 24. März 2000

– vom Staatsbahnmonopol zum eu- Tagesordnungspunkt 20: ropäischen Wettbewerb um den Ei- senbahnkunden a) Antrag der Fraktionen SPD, CDU/ (Drucksache 14/2781) ...... 8920 C CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.: Einsetzung einer Enquete- CDU/CSU ...... 8920 C Kommission „Recht und Ethik der Klaus Hasenfratz SPD ...... 8923 D modernen Medizin“ (Drucksache 14/3011) ...... 8953 B Horst Friedrich (Bayreuth) F.D.P...... 8925 C b) Antrag der Abgeordneten Angela Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ Marquardt, Dr. Ilja Seifert, weiterer Ab- DIE GRÜNEN ...... 8926 C geordneter und der Fraktion PDS:Ein- , Bundesminister BMVBW 8928 B setzung einer Enquete-Kommission Karin Rehbock-Zureich SPD ...... 8929 B „Menschenrechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“ (Drucksache 14/2153) ...... 8953 B Tagesordnungspunkt 18: Dr. SPD ...... 8953 C Antrag der Abgeordneten , , weiterer Abgeordneter Werner Lensing CDU/CSU ...... 8955 B und der Fraktion F.D.P.: Jährliche Vorla- Monika Knoche BÜNDNIS 90/DIE ge einer Generationenbilanz und Auf- GRÜNEN ...... 8957 A nahme der Daten in die Haushaltsstatis- tik des Bundes (Drucksache 14/1758) . . . 8930 C Dr. Edzard Schmidt-Jortzig F.D.P...... 8958 A Dirk Niebel F.D.P...... 8930 D Dr. Ilja Seifert PDS ...... 8958 D Ute Kumpf SPD ...... 8931 D Margot von Renesse SPD ...... 8959 B Dr. CDU/CSU ...... 8934 B Tagesordnungspunkt 21: Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 8936 A a) Antrag der Abgeordneten Christina Dr. Klaus Grehn PDS ...... 8937 D Schenk, , weiterer Abgeord- Birgit Schnieber-Jastram CDU/CSU ...... 8938 D neter und der Fraktion PDS: Unrechts- erklärung der nationalsozialisti- schen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichs- Zusatztagesordnungspunkt 7: strafgesetzbuch sowie Rehabilitie- Zweite und dritte Beratung des von den rung und Entschädigung für die Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE schwulen und lesbischen Opfer des GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines NS-Regimes Gesetzes zum Schutz der Stromer- (Drucksache 14/2619) ...... 8962 B zeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK-Vorschaltgesetz) b) Antrag der Abgeordneten Christina (Drucksachen 14/2765, 14/3007) ...... 8941 A Schenk, Ulla Jelpke, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion PDS: Rehabili- Volker Jung (Düsseldorf) SPD ...... 8941 B tierung und Entschädigung für die Franz Obermeier CDU/CSU ...... 8943 A strafrechtliche Verfolgung einver- nehmlicher gleichgeschlechtlicher Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE sexueller Handlungen zwischen Er- GRÜNEN ...... 8945 A wachsenen in der Bundesrepublik Walter Hirche F.D.P...... 8946 C Deutschland und der Deutschen De- mokratischen Republik Rolf Kutzmutz PDS ...... 8947 C (Drucksache 14/2620) ...... 8962 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD ...... 8948 C in Verbindung mit Namentliche Abstimmungen ...... 8949 D Zusatztagesordnungspunkt 8: Ergebnisse ...... 8950 C Antrag der Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, weiterer Abgeordne- Tagesordnungspunkt 19: ter und der Fraktion SPD sowie der Abge- Erste Beratung des von der Bundesregie- ordneten (Köln), Kerstin rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der zes zur vergleichenden Werbung und zur Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Änderung wettbewerbsrechtlicher Vor- Rehabilitierung der im Nationalsozialis- schriften mus verfolgten Homosexuellen (Drucksache 14/2959) ...... 8953 A (Drucksache 14/2984) ...... 8963 A Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 III

Margot von Renesse SPD ...... 8963 A Anlage 3 Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU ...... 8964 B Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur vergleichen- Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE den Werbung und zur Änderung wettbewerbs- GRÜNEN ...... 8966 B rechtlicher Vorschriften Jörg van Essen F.D.P...... 8967 C (Tagesordnungspunkt 19) Christina Schenk PDS ...... 8968 C Dirk Manzewski SPD ...... 8973 C Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIE Dr. Susanne Tiemann CDU/CSU ...... 8974 B GRÜNEN ...... 8969 B Rainer Funke F.D.P...... 8975 C Nächste Sitzung ...... 8970 C (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 8975 D Anlage 1 Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 8976 C Liste der entschuldigten Abgeordneten ...... 8971 A Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ ...... 8977 A Anlage 2 Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Anträge: Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Werner Labsch, Albrecht Papenroth, Dr. Peter – Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Danckert, Barbara Wittig und Jürgen Wieczorek Bahn (Böhlen) (alle SPD) zur namentlichen Abstim- – Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr mung über den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme- stärken – vom Staatsmonopol zum eu- Kopplung (KWK-Vorschaltgesetz) ropäischen Wettbewerb um den Eisen- bahnkunden (Zusatztagesordnungspunkt 7) ...... 8978 A

(Tagesordnungspunkt 17 a und b) Anlage 5 Dr. Winfried Wolf PDS ...... 8972 B Amtliche Mitteilungen ...... 8978 C

Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8893

(A) (C)

96. Sitzung

Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe keit. Die Sorgen und Wünsche der Bürger waren ihm Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Richtschnur seiner politischen Tätigkeit. (Die Anwesenden erheben sich) Der Deutsche Bundestag wird seinem Mitglied Gert Willner ein ehrendes Gedenken bewahren. Ich spreche Der Deutsche Bundestag trauert um sein Mitgliedseiner Witwe im Namen des Deutschen Bundestages un- Gert Willner, der gestern im Alter von 59 Jahren einem ser tief empfundenes Mitgefühl aus. schweren Leiden erlegen ist. Ich danke Ihnen. Gert Willner wurde am 16. April 1940 in Deutsch- Gabel geboren. Nach einer Verwaltungsausbildung, die Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b auf: er mit dem Grad eines Diplomverwaltungswirts a b- schloss, war er als Referent bei der schleswig- 16 a) Zweite und dritte Beratung des von den holsteinischen Landesregierung tätig, bis er zum haupt- (B) Abgeordneten Ludwig Stiegler, Monika(D) amtlichen Bürgermeister der Stadt Quickborn gewählt Griefhahn, Jörg Tauss, weiteren Abgeordne- wurde. Dieses Amt hatte er 18 Jahre lang inne. Auch in ten und der Fraktion der SPD sowie den Ab- seiner folgenden Aufgabe als Geschäftsführer eines geordneten Klaus Müller, Dr. Antje Vollmer, Verbandes von Wohnungsbauunternehmen und als Ab- Oswald Metzger, weiteren Abgeordneten und geordneter des Deutschen Bundestages hat er sich der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kommunalpolitik verbunden gefühlt. Seine Ämter in der eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Kommunalpolitischen Vereinigung der CDU belegen weiteren steuerlichen Förderung von dies ebenso wie seine Mitgliedschaft in der Enquete- Stiftungen Kommission „Kommunalverfassungsrecht“ des Schles- – Drucksache 14/2340 – wig-Holsteinischen Landtages und in einer Experten- kommission für die Kommunalverfassung für Mecklen- (Erste Beratung 79. Sitzung) burg-Vorpommern. Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gert Willner wurde 1994 in den Deutschen Bundes- Rainer Funke, Dr. , weiteren tag gewählt. Als ordentliches Mitglied gehörte er in der Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. 13. Legislaturperiode dem Ausschuss für Raumordung, eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Wohnungswesen und Städtebau sowie dem Innenaus- Reform des Stiftungsrechts (StiftRRe- schuss an, in der 14. Legislaturperiode dem Ausschuss formG) für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen sowie der En- quete-Kommission „Zukunft des bürgerschaftlichen En- – Drucksache 14/336 – gagements“. (Erste Beratung 31. Sitzung) Alle seine Kollegen, die einen persönlichen Kontakt Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- mit dem Verstorbenen hatten, werden seine menschli- schusses für Kultur und Medien (23. Aus- che, ruhige und gelassene Art in Erinnerung behalten. schuss) Sein vermittelndes Wesen und sein hintergründiger Hu- mor halfen oft, Konflikte zu schlichten oder sie zu ent- – Drucksache 14/3010 – schärfen. In der Interessenvertretung für seinen Wahl- Berichterstattung: kreis und für seine schleswig-holsteinische Heimat zeig- Abgeordnete Jörg Tauss te er ein hohes Maß an Zielstrebigkeit und Beharrlich- Dr. Norbert Lammert 8894 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Präsident Wolfgang Thierse (A) Dr. Antje Vollmer Diese Regierungskoalition hat mit d evmorliegenden (C) Hans-Joach iOmtto (Frankfurt) Gesetzentwurf nach jahrelangem Stillstand auf diesem Dr. Heinrich Fink Feld einen Durchbruch geschafft. Bekanntlich war das nicht unser Stillstand. b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Kultur und Me- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dien (23. Ausschuss) zu dem Antrag der Frak- DIE GRÜNEN) tion der CDU/CSU Ein modernes Stiftungs- Es ist schön, meine Damen und Herren von der Op- recht für das 21. Jahrhundert position, bei dieser Gelegenheit noch einmal die ableh- – Drucksachen 14/2029, 14/3010 – nenden Briefe des Finanzministers Waigel zu lesen. Berichterstattung: (Jörg Tauss [SPD]: O ja!) Abgeordnete Jörg Tauss Dr. Norbert Lammert Es geht hierbei jedoch nicht nur um abstrakte Steuervor- Dr. Antje Vollmer schriften, sondern auch um neue gesellschaftspolitische Hans-Joachim Otto (Frankfurt) Chancen. Ich glaube, dass heute endlich einmal wieder Dr. Heinrich Fink nicht von windigen Spendern mit unbekannten Konten die Rede ist, die mit irgendwelchen Tricks ihr Geld an Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der der Steuer und am Gesetz vorbeischummeln wollen. CDU/CSU vor, von denen wir später einen namentlich abstimmen werden. Außerdem liegen ein Änderungsan- (Jörg Tauss [SPD]: Nach Liechtenstein!) trag der Fraktion der F.D.P. sowie je ein Entschlie- Wer stiftet, will mitgestalten. Dies soll er aber bitte of- ßungsantrag der F.D.P. und der PDS vor. fen tun. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich DIE GRÜNEN) höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Stifter geben nicht nur ihr Geld. Sie stiften auch ihre Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem Zeit und ihre Begeisterung für eine gute Sache. Sie über- dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Hans-Joachim nehmen Verantwortung für dasGemeinwohl . Die Bür- Otto, für eine kurze Ergänzung zum Bericht das Wort. gerinnen und Bürger dieses Landes wollen Investitionen in die Zukunft nicht allein der Wirtschaft und der Politik Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Herr Prä- überlassen. Sie wollen selbst Investoren sein. sident! Meine Damen und Herren! Bei der schriftlichen Stiftungen sind jahrhundertealter Ausdruck von In- (B) (D) Abfassung des Berichtes hat es leider eine kleine Unter- vestitionen in das Gemeinwohl. Sie sind gewissermaßen lassung gegeben, und zwar ist dort nicht erwähnt, dass die Rechtsform des klassischen römischen Begriffes der der Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion auf der Drucksa- Vita activa, die da lautet: tua res agitur. Es geht um dei- che 14/336 durch einen Änderungsantrag der F.D.P.-ne Sache; handele mit. Fraktion ergänzt worden ist, der Ihnen jetzt noch einmal gesondert unter der Drucksache 14/3043 ausgeteilt wird Das gilt nicht allein für die Kultur und für die Kultur- und über den wir heute gesondert abzustimmen haben. politik, für die ich hier spreche, sondern auch für Sozia- les, für Umwelt, Wissenschaft und Sport. Sie alle profi- Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass der Bericht inso- tieren vom Willen der Bürgerinnen und Bürger, sich mit weit eine kleine Unterlassung aufweist – auch Kulturpo- freiwilligen Leistungen an der Entwicklung der Gesell- litiker begehen manchmal kleine Unterlassungen –, da- schaft zu beteiligen. mit darüber nachher korrekt abgestimmt werden kann. Vielen Dank. Die Spendenfreude der Deutschen in Krisen- und Ka- tastrophenfällen ist bekannt, ja legendär. Das ist eben- falls Ausdruck eines ausgeprägten Bewusstseins der Ge- Präsident Wolfgang Thierse: Herzlichen Dank. – sellschaft – oder soll ich bei dieser Gelegenheit einmal Nun erteile ich das Wort dem Staatsminister Michaelsagen: der Bevölkerung oder des Volkes – für die Ver- Naumann. antwortung des Einzelnen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Michael Naumann, Staatsminister beim Bun- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der deskanzler: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU/CSU) Wir debattieren heute abschließend über das Stiftung- Dieses Verantwortungsgefühl gilt es zu stärken. Es steuerrecht und damit über neue Wege, das Wort von gilt, offene Anreize – ich betone: offene Anreize – der Bürgergesellschaft mit neuem Leben zu erfüllen. zu schaffen, damit gute Vorhaben in die bessere Tat Dem Stiftungsteuerrecht soll – das ist unsere Hoffnung umgesetzt werden können. Das will diese Regierung mit und der Plan – die Reform des zivilrechtlichen Teils des der Reform des Stiftungsrechts erreichen. Einen nicht Stiftungsrechts folgen. unbeträchtlichen Teil haben wir erreicht. Wir wollen Aber: Das erste wichtige und damit sicherlich auch potenziellen Stiftern die Steine aus dem Weg räumen, das schwierigste Stück des Weges liegt nun hinter uns. die das geltende Stiftungsrecht, das über Jahrhunderte Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8895

Staatsminister Dr. Michael Naumann (A) gewachsen und dann schließlich se itmehr als einem ebnen, selbstbewusst mehr Eigenverantwortung wahr- (C) Jahrhundert festgegossen ist, in den Weg gelegt hat. zunehmen. Mit dem Stiftungsteuerrecht will der Staat seinen An- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ teil in einem fairen, für alle P artner erfolgreichen Ge- DIE GRÜNEN – Hans-Joachim Otto [Frank- schäft beitragen. Der Staat verzichtet fortan auf Steuer- furt] [F.D.P.]: Eine richtig liberale Botschaft!) einnahmen zugunsten eines etwas höheren Wertes, – Herr Otto, das schöne Erlebnis war ja, dass im Grunde den Stiftungen für das Gemeinwohl schaffen können. genommen alle Kulturpolitiker im Kulturausschuss in Es ist kein Geheimnis, dass es nicht so einfach war, dieser Sache einer Meinung waren. Es ist natürlich auch die Finanzpolitiker auch in unseren eigenen Fraktionen klar, dass Sie mehr gefordert haben, als Sie in den ver- von der Sinnhaftigkeit dieses Projektes zu überzeugen. gangenen 16 Jahren auch nur ansatzweise haben erfüllen Ich stehe auch nicht an, darauf hinzuweisen, dass es in können. Wir alle gemeinsam haben ja den Widerstand letzter Instanz der Bundeskanzler war, der hier seineerfahren. Richtlinienkompetenz wahrgenommen hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Ein guter Natürlich brauchen wir auch den reichen Mäzen. Kanzler!) Deshalb enthält die Gesetzesinitiative auch interessante Wir haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auchAnreize für größere Vermögen. So ist vorgesehen, Sach- eine Forderung aus der Koalitionsvereinbarung einge-zuwendungen aus dem Betriebsvermögen für Stiftun- löst. gen des Privatrechts künftig nicht mehr nach dem Teil- wert, sondern nach dem Buchwert zu bemessen. Ganz Wer stiftet, spart Steuern. Bis zu 40 000 DM sind von wichtig ist die vorgesehene Befreiung der Erben von der der Steuer abzugsfähig, wenn sie einer Stiftung zugute Erbschaftsteuer, wenn sie ererbtes Vermögen an eine kommen. Damit sollen vor allem Besitzer kleinerer und gemeinnützige Stiftung weiterreichen. Angesichts des mittlerer Vermögen die Chance erhalten, sich stärker an erwarteten Erbvermögens in Höhe von über 350 Mil- Stiftungen zu beteiligen. Zugleich wird der Stiftungsge- liarden DM in den nächsten zehn Jahren sollte man mei- danke in die der Gesellschaft gerückt. nen, dass die Idee der Gemeinnützigkeit in Deutschland (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje durch dieses Gesetz massiv, gerade auch materiell, un- Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) terstützt und realisiert wird. Ich bin überzeugt davon, die Gründung und Unter- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des stützung von Bürgerstiftungen wird durch die Reform BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) einen kräftigen Schub erfahren. Die Bereitschaft und – (D) Doch kann der Staat, meine Damen und Herren, die gottlob! – auch das Geld dazu sind da. Auf diesen posi- wirklich großen Vermögen – man kann es nicht oft ge- tiven Effekt haben die Künstlerinnen und Künstler ge- nug betonen – nicht ausschließlich mit steuerrechtlichen wartet. Die Kulturinstitutionen sind immer stärker Vergünstigungen locken. Hierfür ist diePflege der ide- darauf angewiesen. Bürgerstiftungen sind eine der wich- ellen Werte unserer Gesellschaft – ich denke an Trans- tigsten gesellschaftspolitischen Innovationen der letzten parenz und Tugenden wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit und Jahre im Bereich der privaten Kulturförderung. Fast jede sicherlich auch Ehrenhaftigkeit – wesentlich wichtiger. dritte Stiftung in Deutschland ist seit1990 entstanden. Auf diesem Feld ist eine Klimaverbesserung nötig, die Die kleinen, sehr von ambitionierten Persönlichkeiten sich übrigens nicht zuletzt im Umgang von Stiftungsbe- geprägten regional tätigen Stiftungen sichern die kultu- hörden und Finanzämtern mit potenziellen Stiftern, aber relle Vielfalt einer Stadt bzw. einer Region. Sie sind auch in der öffentlichen Würdigung von Stiftern zeigen Ausdruck eines gelebten Subsidiaritätsprinzips. muss. Durch die jetzt möglich gewordene großzügige För- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ derung wollen wir noch mehr Menschen ermutigen und DIE GRÜNEN) anregen, durch Zustiftung von 000, 5 10 000 oder gar 40 000 DM, die von der Steuer abgezogen werden kön- Lassen Sich mich an dieser Stelle ganz kurz auf örtli- nen, praktischen Bürgersinn zu zeigen. che Ereignisse Bezug nehmen: Es kann überhaupt ke in (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje Zweifel daran bestehen, dass der Rücktritt der Senato- Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) rin Thoben – schön, dass Sie jetzt zuhören, meine Her- ren von der Opposition –, Dadurch zeigt der Staat, dass er die Selbstorganisation des Bürgers vorbehaltlos ermöglichen will. Die große (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Vielen Stiftungslandschaft im Deutschland der Jahrhundert- Dank, Herr Oberlehrer! Schauen Sie einmal, wende ist unter dem Ansturm des Totalitarismus zu- wer auf der Regierungsbank sitzt! Kein einzi- sammengebrochen. Sie ist langsam wieder aufgewach- ger Minister hört Ihnen zu! Skandalös!) sen. Jetzt geben wir ihr einen neuen Schub. eine Ihrer b esten Politikerinnen, in einer Situation er- Dies alles soll in einer Zeit ermutigen, in der allzu oft folgt, in der einem Stifter dieser Stadt – wir reden ja von und sehr schnell nach dem Staat als Problemlöser geru- Stiftungen – mitgeteilt wird, dass von seiner Stiftung in fen wird. Wir wollen – quasi als Kontrapunkt – den Weg Höhe von über 300 000 DM lediglich 165 000 DM 8896 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Staatsminister Dr. Michael Naumann (A) gebraucht werden. Solch e in Umgang mit Stiftungen Gestatten Sie mir abschließend, Herr Präsident, ganz (C) muss endlich aufhören. kurz noch einige Worte zu der von mir geplantenBun- deskulturstiftung, die einige in den Ländern mit Furcht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Schrecken zu erfüllen scheint. Warum, ist nicht DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hans-Joachim ganz klar. Sie wäre ja kein Angriff auf die Kulturhoheit Otto [Frankfurt] [F.D.P.]) der Länder. Vielmehr ist es eine Art Feuerwehrtopf für Die beste Stiftungspolitik nützt nichts – hier rede ichkulturelle Projekte von nationalem Gewicht – jedenfalls schon auch von dieser Stadt –, wenn sich die Stiftungen ist die Stiftung so gedacht –, die aus öffentlichen Kassen und die Stifter, die Mäzene und die Kunstfreunde sich ansonsten nicht zu finanzieren wären. Kultur findet einer Verwaltung, einer Behörde und einer Politik ge-selbstverständlich auf regionaler und Landesebene statt. genübersehen, in der auch die schönsten Stiftungen in (Zuruf der [SPD]: Soll auch!) nicht transparenten Haushaltspolitiken und in einer ka- tastrophalen Kulturpolitik zu versickern drohen, Es gibt keine abstrakten Kulturereignisse des Bundes, sondern Kultur, Kulturprojekte, Kulturereignisse sind (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ immer konkret . Die länderübergreifende Finanzierung DIE GRÜNEN) scheint es zu sein, die uns so außerordentliche Schwie- die hier seit Jahrzehnten ganz eindeutig zu dem Resultat rigkeiten macht. geführt hat, das wir heute leider, leider beklagen müs- Meine Damen und Herren, die Ligatur von allem – sen. das hat einmal ein Mann gesagt, der auch mit unserer (Dr. [F.D.P.]: Ja!) Partei viel zu tun hat; er hat da nicht ganz falsch gele- gen – ist Geld. Leider! Auch in der Kulturpolitik, aber Ich persönlich wünschte, Frau Thoben wäre geblieben. nicht nur dort. Trotzdem wollen wir mit der Reform des Das darf ich Ihnen zurufen. Stiftungsrechts – wenn Sie so wollen – eine verspätete (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Antwort auf einen verzweifelten Brief einer berühmten DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Lyrikerin geben. Das war Else Lasker-Schüler, die ei- F.D.P.) nem ihrer Mäzene einmal einen Brief schrieb, der mit den Zeilen endete: In einem zweiten Schritt der Stiftungsrechtsreform, nämlich der Reform des zivilen Stiftungsrechts, sollen Sie fragen mich, was mir fehle. Ich sag‘s Ihnen die Regelungen über Stiftungsgründungen und Aufsicht gerne: und Publizität reformiert werden. Ich freue mich, dass (Monika Griefahn [SPD]: Na, was?) sich in dieser Frage nun auch bei den Bundesländern die (B) Reformbereitschaft durchzusetzen scheint. Eine Bund- Geld, Geld, Geld, Geld, Geld. (D) Länder-Gruppe unter Leitung des federführenden Bun- Ich danke Ihnen. desjustizministeriums wird in Kürze mit der Arbeit be- ginnen. Auch die Kultur wird sich in dieser Arbeits- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Das ist aber trau- gruppe zu Wort melden. Ich denke, wir werden auch rig! – Beifall bei der SPD und dem BÜND- dieses Gesetzeswerk noch in dieser Legislaturperiode NIS 90/DIE GRÜNEN) wenn nicht beschließen, so doch einen entscheidenden Schritt vorwärts bringen können. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des dem Kollegen Norbert Lammert, CDU/CSU-Fraktion. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das ist auch Sache des Bundesrates. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die zweite und dritte Erforderlich ist eine andere Außendarstellung derLesung der eingebrachten Gesetzentwürfe und Anträge Stiftungsbehörden, die schon in der Bezeichnung derzu einem modernen Stiftungsrecht gibt uns Gelegenheit, Organisationseinheit zum Ausdruck kommen sollte.noch einmal zu sortieren, was uns bei diesem wichtigen Statt Stiftungsaufsicht, wie es zum Beispiel hier in Ber- Thema eint und was uns möglicherweise trennt. Uns lin heißt, könnte man auch weniger obrigkeitsfixierteeint, dass wir alle ein neues, modernes, wirklich über- Begriffe wie etwa Stiftungsberatung oder schlicht Stif- zeugendes Stiftungsrecht wollen. Uns trennt aber die tungsamt wählen. Beurteilung der Frage, was denn Bestandteil eines sol- chen Gesetzes sein muss, damit man von einem wirklich (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) modernen, überzeugenden, leistungsfähigen Stiftungs- recht sprechen kann. Ich hoffe darum, dass sich auch in den Köpfen der Mit- Wenn Sie, Herr Staatsminister Naumann, heute Mor- arbeiter ein Wandel vollzieht, nämlich in erster Linie ei- gen sagen, das schwierigste Stück des Weges liege hin- ne Serviceeinheit zu sein und gerade auch im Interesse ter uns, dann kann ich das nur für eine gut gemeinte, im des Staates die Gründung gemeinwohlorientierter Stif- Übrigen aber hoffnungslose Übertreibung halten. tungen mit größtmöglicher Hilfestellung zu fördern und zu begleiten. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8897

Dr. Norbert Lammert (A) Natürlich ist wahr, dass etwas immer me histr als gar resse eines neuen Stiftungsrechts und einer neuen Ermu- (C) nichts. Insofern stehen wir auch nicht dem Bemühen im tigung für Stifter anzuheben, leider an Ihrem Widerstand Wege, das Wenige nun heute auf den Weg zu bringen. scheitert. (Ludwig Stiegler [SPD]: Während Sie gar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nichts gemacht haben! 16 Jahre lang nicht!) ordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Was sagen denn die Länder dazu?) – Herr Kollege Stiegler, ich werde Ihren Zwischenruf mit besonderer Liebe und Sorgfalt aufgreifen, weil das Ich könnte noch eine ganze Serie von Verbesserun- zu den Legendenbildungen gehört, die Sie zur Ver-gen der letzten Jahre aufführen. Wir haben damals für schönerung des Bildes eines im Ganzen doch eher be-Großspender die Möglichkeit des Abzugs von Einzel- scheidenen Gesetzentwurfes ganz offenkundig dringend spenden von mindestens 50 000 DM pro Jahr auf einen benötigen. Zeitraum von insgesamt acht Jahren durchgesetzt. Wir haben die Erbschaftsteuerbefreiung bei Zuwendungen an (Ludwig Stiegler [SPD]: Ja, warum müssen gemeinnützige Körperschaften ins Steuerrecht einge- wir denn etwas machen, wenn ihr schon was führt, die Ausweitung steuerfreier Entschädigungen und gemacht habt!) vieles mehr. Ich will nur noch einmal sagen: Natürlich ist es bes- (Ludwig Stiegler [SPD]: Und woher kam dann ser, etwas zu machen, als gar nichts zu machen. Aber der Reformbedarf?) viel mehr kommt hier leider nicht zustande. Dies bleibt weit hinter den Ankündigungen und Erwartungen zu-Meine Redezeit reicht nicht, Herr Stiegler, um den rück, die Sie mit Ihren eigenen Erklärungen zu Beginn Nachholbedarf zu decken, den Sie mit Ihren ständigen dieser Legislaturperiode ausgelöst haben. Zwischenrufen provozieren. (Zuruf von der SPD: Wir haben ja noch zwei Ich halte nur noch einmal für das Protokoll fest: In Jahrzehnte vor uns!) den vergangenen Jahren ist hinsichtlich der Zahl und der Reichweite der Vorschläge unendlich mehr für die Ver- Hier ist nach einem großen Anlauf ein ganz kleinerbesserungen von Stiftern und Stiftungen geleistet wor- Sprung zustande gekommen. den, als unter dem gigantischen Anspruch eines neuen (Ludwig Stiegler [SPD]: 16 Jahre Null – an- Stiftungsrechts mit dem Gesetzentwurf nun erfolgt, den derthalb Jahre eine ganze Menge!) Sie heute hier verabschieden wollen. Weil Kollege Stiegler so viel Wert darauf legt, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- vergangenen 16 Jahre noch einmal zu beleuchten, will ordneten der F.D.P.) (B) ich ihm diesen Gefallen tun. In der Tat haben wir – ohne Wir begrüßen ausdrücklich, dass über die vorhande-(D) den Anspruch einer Reform des Stiftungsrechts – in ei- nen Möglichkeiten der Absetzung im Steuerrecht hinaus, ner Serie von Änderungen im Steuerrecht, im Vereins- die Sie leider nicht deutlich verbessern wollen, nun für recht vermutlich mehr an konkreten Verbesserungen der kleinere Spenden ein zusätzlicher Abzugsbetrag von Arbeitsfähigkeit und vor allen Dingen auch der steuerli- 40 000 DM im Jahr eröffnet werden soll. Ich muss aber chen Absetzungsmöglichkeit für Spenden und Stiftun-noch einmal mein ausdrückliches Bedauern darüber zum gen in unserer Amtszeit durchgesetzt, als Sie sich dasAusdruck bringen, dass sich selbst im Zusammenhang mit Ihrem Gesetzentwurf zutrauen. mit der ausdrücklich von uns allen gewünschten Förde- Wir haben 1986 im Steuerbereinigungsgesetz erst- rung gemeinnütziger Organisationen und Aktivitäten Ihr mals Rücklagen zur dauerhaften Erhaltung der Leis-altes Misstrauen gegen höhere Einkommen und Vermö- tungskraft zugelassen. Wir haben im Vereinsförde-gen auch an dieser Stelle gegenüber neuen und besseren rungsgesetz dafür gesorgt, dass es zahlreiche Verbesse- Einsicht durchgesetzt, rungen für gemeinnützige Körperschaften gibt, die nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nur, aber auch von den Stifterverbänden gefordert wor- ordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: den sind. Damals haben wir die Überschussgrenze von Die Pleite des Staatshaushalts, die Sie uns hin- 12 000 DM im Dreijahresdurchschnitt für die Zweckbe- terlassen haben, die ist das Problem!) triebsgemeinschaft kultureller Einrichtungen und Veran- staltungen abgeschafft. Wir haben eine neue Freigrenze nach dem Motto: Wir wollen lieber höhere Einnahmen von 60 000 DM Einnahmen im Jahr für die Ertragsbe-zu 40 oder 50 Prozent besteuern, als sie zu 100 Prozent steuerung von wirtschaftlichen Betätigungen eingeführt. der Gemeinschaft für gemeinnützige Aktivitäten zur Wir haben Freigrenzen bei Körperschafts- und Gewer- Verfügung stellen zu lassen. besteuern in echte Freibeträge umgewandelt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben damals den Abzugsatz für Spenden zur Es wäre zu schön gewesen, Herr Staatsminister und Förderung mildtätiger Zwecke von 5 auf 10 Prozent des meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Koaliti- Gesamtbetrages der Einkünfte angehoben und verdop- on, wenn Sie sich hätten entschließen können, die pelt. Wir haben damals also genau die Sätze eingeführt, gut gemeinten und zielführenden Hinweise aus der die schlicht zu bestätigen heute Ihre ganze Kraft reicht, Sachverständigenanhörung zur Grundlage einer Verbes- während unser Vorschlag, diese Sätze jetzt zu verdop- serung Ihres Gesetzentwurfes zu machen. Bei diesen peln und damit kräftig, nachhaltig und sichtbar im Inte- Anhörungen ist von den Experten serienweise darauf 8898 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Norbert Lammert (A) hingewiesen worden, dass man erstens denZusammen- Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Frau Kollegin (C) hang zwischen Steuerrecht und Zivilrecht herstellen Vollmer, erstens erinnere ich mich gut. Zweitens beant- muss und nicht auseinander reißen darf worte ich gerne die Frage nach der Einschätzung der damaligen Meinung: Wir haben sie geändert! (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. – Dr. Elke Leonhard (Beifall bei der CDU/CSU und Lachen bei der [SPD]: Haben wir doch!) SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) und dass zweitens die vorgesehenen Änderungen im Steuerrecht – nur die stehen heute hier zur Debatte Wir– haben in unserem von jedem nachzulesenden An- dringend einen mutigeren, einen überzeugenderen und trag zum Ausdruck gebracht, was nach unserem heuti- deswegen spürbareren Ansatz benötigt hätten. gen Erkenntnisstand geschehen muss, damit wir ein wirklich modernes Stiftungsrecht bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Ich erinnere mich im Übrigen auch an eine besonders Was hat euch denn der Kollege Waigel er- zielführende Bemerkung in der Sachverständigenanhö- laubt? Nichts! – Gegenruf von der CDU/CSU: rung, wo einer der geladenen Experten darauf hin- Herr Stiegler, stellen Sie doch einmal eine Zu- gewiesen hat, er halte „den ursprünglichen Entwurf der satzfrage!) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Beschlussemp- fehlung der CDU/CSU im Wesentlichen für den richti- – Ich empfehle Ihnen, Herr Stiegler, dass Sie das, was gen Weg“. – Es wäre schön gewesen, wenn wir das ge- Sie vorhin aufgrund Ihrer vielen Zwischenrufe wahr- meinsam hätten umsetzen können und wenn sich die scheinlich nicht so schnell aufnehmen konnten, im Pro- Koalition hätte entschließen können, die geradezu lei- tokoll nachlesen. Ich stelle Ihnen die übrigen Änderun- denschaftlichen Appelle aufzunehmen, die in dieser An- gen, die wir durchgesetzt haben und die ich nicht mehr hörung von allen Seiten vorgetragen worden sind, näm- vorgetragen habe, im Rahmen eines gesonderten priva- lich nicht den steuerrechtlichen und den zivilrechtlichen ten Schriftwechsels gerne zur Verfügung. Teil voneinander abzukoppeln. Wir alle wissen, dass die Nur, Herr Kollege Stiegler – darauf möchte ich noch schwierige Operation, viele Beteiligten einschließlich hinweisen –, wenn Ihnen dieses Thema so wichtig istder Länder von der Notwendigkeit einer durchgreifen- und wenn Sie den vorliegenden Gesetzentwurf in seiner den Verbesserung zu überzeugen, nicht dadurch leichter jetzigen Fassung für ein ganz besonders eindrucksvolles wird, dass die steuerrechtlichen Veränderungen, die von Reformwerk dieser Legislaturperiode halten, dann wäre den meisten gewollt werden, vorab beschlossen werden, es schön gewesen, wenn mehr Mitglieder dieser Koaliti- und dass damit ein wesentlicher Hebel aus der Hand ge- on einschließlich einzelner Mitglieder der Bundesregie- geben wird, um einen Gesamtzusammenhang herzustel- (B) rung dieser Debatte die Ehre ihrer leibhaftigen Anwe-len, der den Namen eines modernen Stiftungsrechts(D) senheit hätten zuteil werden lassen. wirklich verdient. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der F.D.P.) Ich möchte nur noch auf einen Aspekt hinweisen, weil wir an der Stelle ein gemeinsames Anliegen haben Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Lammert, und weil es offensichtlich der Regierung und der Koali- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vollmer? tion hilft, wenn die Opposition dabei besonders hart- näckig auf der Umsetzung der gemeinsamen Einsichten besteht. Es ist nicht nur in der vom federführenden Aus- Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Aber gerne. schuss durchgeführten Sachverständigenanhörung – aber auch dort – mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das jetzige Stiftungs- und Gemeinnützigkeitsrecht Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sehr stark auf einer Staatsauffassung beruhe, die aus Herr Kollege Lammert, erinnern Sie sich daran, dass ich dem 19. Jahrhundert stammt, dass wir heute nicht nur in einer Debatte aus der letzten Legislaturperiode genau ein anderes Staatsverständnis, sondern auch eine ganz den Standpunkt, den Sie jetzt vortragen, vertreten habe, andere Vorstellung von einer modernenBürgergesell- nämlich man könne doch schon zivilrechtlich etwas ma- schaft haben und dass es heute glücklicherweise viele chen, wenn man meint, steuerrechtlich noch nichts ma- Bürgerinnen und Bürger gibt, die bereit und in der Lage chen zu können, und dass die damals höchste Autorität sind, mit eigenem kräftigen und vorzeigbaren Engage- der Koalition, nämlich der Bundeskanzler höchstpersön- ment die Aufgaben wahrzunehmen, zu deren Erfüllung, lich, gesagt hat, zivilrechtliche Änderungen seien gar die öffentlichen Hände nur noch begrenzt in der Lage nicht nötig – er hat es vertreten; meine Meinung ist das sind. Es wäre ein Drama, wenn ausgerechnet der Ge- überhaupt nicht – und dem Stiftungsrecht könne man setzgeber diese vorhandene Bereitschaft zur tatkräftigen nur durch das Steuerrecht aufhelfen. Das wolle er im Hilfe nicht nur nicht fördern, sondern sogar weiter be- Rahmen einer großen Steuerreform machen, die er aber grenzen würde, wie das angesichts des gegenwärtigen jetzt noch nicht durchführen könne. Was sagen Sie zu Steuer- und Zivilrechts leider der Fall ist. dieser damaligen Meinung? – Ich glaube, das war da- mals die Meinung der gesamten Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8899

Dr. Norbert Lammert (A) Ich möchte gar nicht die zum Teil verzweifelten Brie- Das hat die geradezu abstruse Wirkung, dass der Staat(C) fe zitieren, die an den Bundeskanzler persönlich zurauf diese Weise weder seine Umsatzsteuer noch Gemäl- Verbesserung der damals absehbaren Gesetzgebungs-de, Skulpturen oder andere Sachwerte bekommt, die für arbeit der Koalition geschrieben worden sind und in de- gemeinnützige Aktivitäten oder Museen hätten zur Ver- nen mit Nachdruck darauf hingewiesen wurde, dass es fügung gestellt werden können. Diesen Unsinn sollten doch nicht ernsthaft der ganze Reformwille dieser Koali- wir schnellstmöglich beseitigen. Das sollten wir gemein- tion sein könne, mit der vergleichsweise läppischensam tun. Möglichkeit, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Jörg Tauss [SPD]: Na, na!) So, wie sich auch nach der für heute vorgesehenen 40 000 DM zusätzlich abzusetzen, Änderung des Steuerrechts unser Stiftungsrecht darstellt, muss man sagen: Es bleibt leider mit einem Fuß im (Monika Griefahn [SPD]: Für viele Leute ist 19. Jahrhundert stecken, mit dem anderen Fuß trauen Sie das eine Menge Geld!) sich nicht so recht ins 21. Jahrhundert. das Stiftungsrecht modernisieren zu wollen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Ludwig Stiegler [SPD]: Für Bimbeskoffer ist das natürlich läppisch!) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kol- Es ist klar, dass die 40 000-DM-Regelung vor allemlegen Klaus Wolfgang Müller, Bündnis 90/Die Grünen, kleinere Stiftungen oder Zustiftungen begünstigt. Wirdas Wort. bekommen damit aber keine substanziellen neuen Initia- tiven, bei denen Millionenkapital entsteht. Das brauchen wir natürlich für viele der großen Vorhaben, zu denen Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE sich die öffentlichen Hände immer weniger in der Lage GRÜNEN): Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen sehen. und Kollegen! Herr Dr. Lammert, um in Ihrem Bild zu bleiben: Ich glaube, die Koalition steht mit beiden Bei- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen fest in der Realität, sowohl in der Stiftungsrealität Wir stehen selbstverständlich den bescheidenen Ver- als auch in der Haushaltsrealität. änderungen nicht im Wege. Aber wir haben mit einer (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Natürlich auch im Reihe von konkreten Änderungsanträgen, die der Kolle- 21. Jahrhundert!) ge Bernhardt und Frau Kollegin Süssmuth nachher im Einzelnen erläutern werden, deutlich gemacht, wie wir Sie wird beides zusammenführen. Dazu möchte ich heu- (B) genauer, besser und überzeugender eine neueStiftungs- te gerne sprechen. (D) kultur in Deutschland herbeiführen wollen. Wir werden Die rot-grüne Koalition fördert das Mäzenatentum. sehr darauf achten, dass die in der Beschlussempfehlung Wer hätte das gedacht? Ich glaube, es gibt viele Men- und im Bericht formulierte gemeinsame Überzeugungschen – vielleicht auch in unseren beiden Parteien, viel- des federführenden Ausschusses festgehalten wird, dass leicht etwas mehr bei unserem Koalitionspartner –, die das heute verabschiedete Gesetz der erste Schritt für ein das so nicht vermutet haben. Die Förderung einer neuen Reformwerk ist. Hier dürfen wir aber nicht stehen blei- Stiftungskultur widerspricht einem obrigkeitsgetreuen ben, sondern dieser Schritt muss aufgegriffen werden, Denken nach dem Motto: Der gute Bürger, die gute und zwar nicht irgendwann, sondern möglichst bald in Bürgerin zahlen ihre Steuern; das muss als gemeinnützi- diesem Jahr, ges Engagement reichen. Der Staat füllt dann die Kultur- (Ludwig Stiegler [SPD]: Und Sie kümmern regale der Nation, und der Bürger steht als Kunde in der sich um Ihre Länder! – Dr. Elke Leonhard Schlange. [SPD]: Nächste Woche!) Mit der Förderung der Stiftungskultur steigen die damit dies in dieser Legislaturperiode, Herr Stiegler,gemeinsame Verantwortung und die aktive Teilnahme noch abgeschlossen werden kann. an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Dies ist ein mo- derner Bürgersinn. Das kommt zwei Grundwerten ent- In diesem Zusammenhang können wir dann auchgegen, bei denen die grüne Seele jubiliert: demPlura- noch das Ärgernis beseitigen, dass bei der Überführung lismus und der Subsidiarität. Dies wäre „Gesellschaft von Sachwerten, insbesondere von Kunstwerken, in Stif- von unten“ mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. tungen oder für gemeinnützige Aktivitäten durch dieGerade die Frage nach den Bedingungen für ein pluralis- Pflicht zur Umsatzsteuerzahlung, tisches und lebendiges Engagement stellt sich immer wieder neu. (Beifall des Abg. Hans-Joachim Otto [Frank- furt] [F.D.P.]) Zwar hat der Gemeinsinn in der Industriegesellschaft insbesondere bei Kunstwerken mit hohem Marktwert,seine bewährten Institutionen gefunden: Parteien, Kir- chen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, um hier eine prohibitive Wirkung für die Bereitschaft zu Stiftun- die großen Säulen der gesellschaftlichen Teilhabe zu gen entsteht. nennen. Aber gerade auf dem Weg in die Kommunikati- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und onsgesellschaft ergeben sich zunehmend neue Beteili- der F.D.P.) gungsformen: ein Netz aus vielen kleinen Initiativen und 8900 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) Bewegungen. Wer einen B lick ins Internet wirft, findet diese Bereiche übernehmen. Es gibt unzählig viele Be- (C) dort bereits einen bunten Strauß an Stiftungen, einen be- reiche wie Kultur, Forschung, Wissenschaft, Ökologie, achtlichen Strauß, der aber noch wesentlich bunter wer- Soziales, Jugend oder Sport, in denen viele Aufgaben, den kann. die momentan vom Staat wahrgenommen werden, ge- nauso gut von Stiftungen übernommen werden können. Rot-Grün präsentiert sich heute als Förderer der Mä- Vielleicht können sie das i n manchen Bereichen sogar zene. Wir lösen damit ein wichtiges Versprechen desbesser. Damit wird die Republik lebendiger, auch wenn Koalitionsvertrages und – das will ich deutlich sagen – die mittelfristigen Steuerausfälle vielleicht schmerzen. des grünen Wahlkampfes an dieser Stelle ein. Aber das ist uns die Sache auf jeden Fall wert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Sind sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie der neue Finanzminister?) Herr Dr. Lammert, ich habe gespürt, wie es Sie ge-– So weit sind wir noch nicht, Herr Otto. schmerzt hat, dass Sie in den letzten 16 Jahren eben nur kleine Trippelschritte gemacht haben. In den vergangenen Monaten haben wir zusammen das Sparpaket verabschiedet, welches nicht nur für die (Jörg Tauss [SPD]: Rückwärts!) Steuerreform, sondern auch dafür eine wichtige Voraus- Sie haben sie uns aufgezählt. Sie will ich gar nicht leug- setzung war, um jetzt an anderer Stelle von staatlicher nen. Aber eine mutige Erweiterung im Rahmen der Erb- Seite großzügig sein zu können. schaftsteuerreform, ein mutiger Schritt in Richtung zu Auch die klimatischen Bedingungen sind wichtig, sie mehr Bürgerstiftungen haben bei Ihnen gefehlt. Einew er den für das „Pflänzchen“ Stiftungskultur in Deutsch- mutige Ausweitung des Stiftungszwecks für weitere re- land eine wichtige Rolle spielen. Unser erster Reform- levante Bereiche haben Sie nicht gewagt. Das kaschie- schritt wird weder als deutliche Klimaänderung oder – ren Sie jetzt mit Anträgen, deren Tenor ist: Eure Ent-nur von Ihnen von der Opposition – als kaum merkbarer würfe reichen nicht weit genug, wir wollen es größer,Temperaturwechsel bewertet. Es wird Sie nicht wun- schneller, lauter – und das am liebsten sofort. dern, dass ich natürlich zu denen zähle, die der ersten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meinung sind, nämlich dass wir mit dieser Reform einen und bei der SPD) durchaus deutlichen Klimaumschwung einleiten werden. Ich kann – auch als Finanzer – gut verstehen, dass Sie Aber zu den klimatischen Bedingungen gehört sicher- gerne mehr steuerrechtliche Vergünstigungen gehabtlich mehr als reine Steuerpolitik. Erstens gehört dazu – hätten. Sie haben sicherlich Recht: Wenn man hier noch ganz wichtig – das gesellschaftliche Verhältnis zum großzügiger herangehen würde, würden wahrscheinlich Mäzenatentum. (B) (D) noch mehr Menschen ihr Vermögen für gemeinnützige (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zwecke zur Verfügung stellen, dann würde vielleicht die sowie bei Abgeordneten der SPD) Stiftungsbereitschaft noch größer sein, als sie jetzt durch das ist, was Rot-Grün ermöglichen wird. Das ist plausi- In der Debatte um diese Reform haben wir ein neues ge- bel, aber ich will Ihnen gerade aus Finanzersicht erklä- sellschaftliches Interesse, ein öffentliches Interesse auch ren, warum dies in der jetzigen Situation gerade nichtvon Medien und von Leuten wahrgenommen, die ange- möglich ist und warum Rot-Grün deshalb den optimalen fragt haben, wann es endlich so weit sei, wann sie end- Wurf macht, der momentan möglich ist. lich selbst eine eigene Stiftung gründen können. Die Medien haben durch die Bank positiv darüber berichtet, Auch die Stiftungspolitiker kommen um die leerendass Rot-Grün diese Initiative ergreift. Wir erleben in Kassen, die Sie, meine Damen und Herren von der Op- der Gesellschaft keine Neiddebatte. position, uns vererbt haben, nicht herum. An dieser Stel- le möchte ich Ihnen, Herr Naumann, gern widerspre- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen, weil Sie zumindest bei den grünen Finanzerinnen und bei der SPD) und Finanzern von Anfang an ein offenes Ohr für diese Es wird niemand in die Ecke gestellt, sondern es gibt ei- Möglichkeiten gefunden haben; das kann ich aus ganzer ne Akzeptanz dafür, dass Menschen ihr Geld für ge- Überzeugung sagen. meinnützige Zwecke verwenden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unterstützend für eine neue Stiftungskultur ist die ge- Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht bei allen Haus- sellschaftliche Debatte über eine neue Zivil- oderBür- hältern!) gergesellschaft. Selbst die „Zeit“ klagt inzwischen nicht – Auch die Kollegen Haushälter haben mitgezogen. mehr über den Rückgang des gesellschaftlichen Enga- gements, sondern hat eine Reformwerkstatt für eine ak- Steuervergünstigungen bedeuten nun einmal zumin- tive Zivilgesellschaft, Inklusion und Demokratie ge- dest kurzfristig Mindereinnahmen. Mir ist klar, dass das gründet. Letzte Woche titelte das Hamburger Wochen- Stiftungswesen langfristig – darum machen wir das –blatt „Freiwillige vor!“ und „Der Gemeinsinn wächst – auch für den Staat fiskalisch eine lohnende Sache ist. trotz Geldfiebers und schwarzer Konten. Ehrlichkeit und Mitmenschlichkeit gehen nicht unter.“ Wenn die Stiftungskultur sich voll entfaltet, wird der Staat in vielen Bereichen sein Engagement zurückneh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men können, weil hier private Initiativen eingreifen und und bei der SPD) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8901

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) Die UNO will das Jahr 2001 zum Jahr der Freiwilli- Parteitagen am kommenden Wochenende und einer er- (C) gen machen. Die Enquete-Kommission zur Zukunft des folgreichen Wahl der neuen schleswig-holsteinischen bürgerschaftlichen Engagements hat gerade ihre Arbeit Ministerpräsidentin wird dieses voraussichtlich meine aufgenommen. Das beschreibt aus unserer Sicht die ge- vorerst letzte Rede in diesem Hause sein. sellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die ein solches (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist aber echt scha- Stiftungsgesetz eingebettet sein muss, ziemlich gut. Auf de!) das Zweite haben Sie, Herr Dr. Lammert, hingewiesen und darin will ich Ihnen ausdrücklich zustimmen. SieI ch werde dann, wenn alles klappt, am kommen- haben Recht: Das ist der erste Schritt, den wir machen den Dienstag in das Amt des schleswig-holsteinischen müssen. Ich will auch an dieser Stelle deutlich sagen,Umweltministers wechseln, in den schönen hohen Nor- dass die Koalition für den zweiten Schritt bereit ist. Man den. muss nur Schritt für Schritt vorgehen und darf die Latte nicht so hoch legen, dass man womöglich von Anfang Ich bin froh zu sagen, dass wir es im Koalitionsver- an darunter durchgehen muss. trag schwarz auf weiß untergebracht haben, dass Schleswig-Holstein im Bundesrat die Reform des Stif- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tungsrechts unterstützen wird. SES 90/ DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist uns wichtig. Darum werden wir auch noch zu sowie bei Abgeordneten der SPD) einer zivilrechtlichen Reform des Stiftungsrechtes kommen. Aus dieser Sicht wird zumindest ein Bundesland Rot- Grün in Berlin unterstützen. Drittens geht es um das Steuerrecht. Hier stimme ich meiner Kollegin Antje Vollmer nachdrücklich zu. Ich Dieses ist der Zeitpunkt, sich für heftige und schöne habe das – gerade als Finanzer – auch selbst erlebt, wie Debatten in diesem Haus zu bedanken, sich gleichzeitig schwierig manchmal die Verhandlungen mit dem Fi-bei den Kolleginnen und Kollegen zu entschuldigen, ge- nanzministerium waren. Manch böse Stimme hat ge-genüber denen ich hart ausgeteilt habe, sich noch einmal unkt, dass die Antworten, die man von dort als Parla-bei denen zu bedanken, die hart zurückgegeben haben. mentarier bekommen hat, noch aus der Zeit von vorGerade für einen jungen Abgeordneten waren die letzten 1998 stammten. anderthalb Jahre sehr schön, sehr nett, sehr lehrreich. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedan- (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ken. Ich wünsche Ihnen noch eine gute Arbeit. NEN]: Das stimmt! Ich erinnere mich!) Vielen Dank. Wir sind aber froh, dass die Spitze des Hauses letztend- (B) lich das Projekt unterstützt hat und dass wir deshalb hier (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (D) gemeinsam vorwärts gehen können. bei der SPD und der PDS sowie der Abg. [CDU/CSU] und des Abg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Otto Bernhardt [CDU/CSU]) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind mit unseren Steuerreformplänen – das ist der Präsident Wolfgang Thierse: Lieber Kollege vierte Baustein, der dazu gehört – wesentliche Schritte Müller, wenn denn dies Ihre letzte Rede als Bundestags- in Richtung Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der abgeordneter gewesen sein sollte, dann wollen wir Ihnen Unternehmen, der Wirtschaft, der Selbstständigen ge-auch alle guten Wünsche für Ihr neues Amt mitgeben. gangen. Allein private Haushalte werden durch Rot- Grün bis zum Jahr 2005 um über 50 Milliarden DM ent- (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Die kommen aber lastet. Die Unternehmen werden um 17 Milliarden DM auch alle wieder zurück!) entlastet. Vielleicht sehen wir uns gelegentlich wieder, wenn Sie Ich will an dieser Stelle deutlich die Hoffnung aus-dann von der Bundesratsbank her ans Rednerpult treten. sprechen, dass sehr viele Leute, wenn sie dann nettoAlles Gute! mehr in der Tasche haben, entscheiden mögen, ein Stück (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- weit diese zusätzlichen Spielräume zu nutzen, dieses SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Geld auch in gesellschaftliches Engagement zu stecken, gemeinnützige Initiativen, Stiftungen zu fördern. Damit erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto, F.D.P.-Fraktion, das Wort. Mit diesem Gesetzentwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen, machen wir den ersten Schritt in Richtung ei- ner längst überfälligen Reform. Das ist ein deutliches Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Herr Prä- Signal. Liebe Vermögende in dieser Republik, es gibtsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege nichts Gutes, außer, man tut es! Müller, auch wir stehen nicht an, Ihnen für das neue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amt alles Gute zu wünschen, aber wir werden auch ei- sowie bei Abgeordneten der SPD) nes tun: Wir werden Ihre hehren Worte von heute an den Taten im neuen Amt messen. Sie werden vielerlei Gele- Gestatten Sie mir zum Schluss noch eine persönliche genheiten haben, die Stiftungsrechtsreform auch von Bemerkung. Vorbehaltlich der Zustimmung von zweiSchleswig-Holstein aus aktiv zu unterstützen. 8902 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) Herr Dr. Naumann, Sie bemühen gern – so auch heu- So genehmigt beispielsweise die Stiftungsaufsicht in (C) te in Ihrer Rede – lateinische Aphorismen. Als Humanist Nordrhein-Westfalen Stiftungen überhaupt erst ab einem möchte ich Ihnen mit einer „altdeutschen“ Spruchweis- Mindestkapital von 100 000 DM und hält eine Kapital- heit entgegnen: Nicht kleckern, sondern klotzen solltausstattung von mindestens 1 Million DM für wün- ihr! schenswert. Ähnliche Regelungen gibt es auch in ande- ren Bundesländern. Mit einer Höchstgrenze von (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- 40 000 DM schaffen Sie im Übrigen auch keinen Anreiz NIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeord- für die wirklichen Spitzenverdiener. Herr Dr. Naumann neten der F.D.P. und der CDU/CSU) hat das in seiner Rede insoweit korrekt zum Ausdruck Diese Weisheit gilt in besonderem Maße für dieStif- gebracht: Wir schaffen Anreize für die Bezieher kleiner tungsrechtsreform, wollen wir doch ein laut vernehm- und mittleren Einkommen. Nur, Herr Dr. Naumann, wo bares Signal in unsere Gesellschaft senden, nämlich:bleibt der Anreiz für die größeren? Ich lese heute in ei- Mehr Bürgersinn, weg von der Vollkaskomentalitätnem Artikel in der „taz“ einen Beitrag von Bundeskanz- durch den Staat. Oder profaner ausgedrückt: Gerade bei ler Schröder, in dem er mitteilt: diesem Reformvorhaben kommt es entscheidend auf Das neue Stiftungsrecht wird denen, die es wollen, seine psychologische Wirkung bei potenziellen Stiftern Möglichkeiten schaffen, hier in größeren Dimensi- an. onen tätig zu werden. Sozialdemokraten haben kei- Aber statt eines Posaunenklanges für die Belebung nen Grund, gegen das Mäzenatentum zu sein. der Stiftungskultur in Deutschland vernehmen wir jetzt (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- nur noch eine dissonante Tröte. Einige Begleitmusiker NIS 90/DIE GRÜNEN]) aus den Reihen von SPD und Grünen intonieren eine völlig andere Melodie, als wir es heute von Herrn– Ja, da klatsche ich auch, Frau Vollmer. Naumann gehört haben. Nicht irgendeiner, sondern im- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- merhin der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Spiller, kritisiert die steuerliche Förderung von Stiftun- GRÜNEN) gen mit den Worten: Nur, was tun Sie denn dafür? Mit 40 000 DM geht es si- Wo kämen wir denn hin, wenn jeder, statt Steuern cherlich nicht. zu zahlen, selbst darüber entscheiden kann, was mit seinem Geld passiert? Meine Damen und Herren, in Ihrem Entwurf gibt es auch schwere Widersprüche. Der bloße Wortlaut Ihres Dieses Zitat lässt wirklich tief blicken. Gesetzentwurfes und die öffentlichen Bekundungen ins- (B) Noch schriller, Herr Kollege Müller, äußern sich Ihre besondere Frau Vollmers vermitteln den Anschein, aber (D) Landtagskollegen in Hessen. Sie sind gerade vor weni- auch nur den Anschein, als könne zusätzlich zu den gen Tagen gegen die von der dortigen Landesregierung 40 000 DM auch der herkömmliche Abzug in Höhe von geplante Stiftungsreform mit der Mär Sturm gelaufen,5 Prozent des Einkommens in Anspruch genommen Stiftungen dienten nur dazu, „um auf Kosten der Allge- werden. meinheit Steuern sparen zu können“. Lieber Herr Kolle- (Jörg Tauss [SPD]: Oder 10!) ge Müller, ich hoffe, Sie werden sich dafür einsetzen, dass Ihre eigenen Landtagskollegen in Hessen ein biss- – Oder 10 Prozent, ja, aber nur scheinbar. Die amtliche chen klüger werden als bisher. Vielleicht sollten sie sich Begründung Ihres eigenen Entwurfes spricht nämlich einmal Ihre heutige Rede durchlesen; das könnte zu ih- eine andere, und zwar völlig eindeutige Sprache: rer Weisheit beitragen. Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) – das ist ein kleiner Fehler; Sie meinen wohl Veranla- gungszeitraum – Meine Damen und Herren, solche Neidkomplexe, wie sie leider – ich füge hinzu: gelegentlich, nicht bei allen – abzugsfähigen Aufwendungen auf 40000 Deutsche hier geweckt werden, sind nicht dazu angetan, einmä- Mark begrenzt. zenatisches Klima in Deutschland zu fördern, ganz im Das ist völlig eindeutig; man kann die beiden Steuerver- Gegenteil. Diese pawlowschen Reflexe haben bei SPD günstigungen nicht nebeneinander in Anspruch nehmen. und Grünen offenbar auch die Halbherzigkeit und In-Man muss sich also entweder für die 40 000 DM oder konsequenz hervorgerufen, die Ihr heutiges Reförmchen die 5 Prozent entscheiden. Liebe Frau Dr. Vollmer, auch kennzeichnet. Ihre süßesten Schalmeienklänge bekommen leider nicht Ich möchte dies am Beispiel Ihres neuenSonderaus- Gesetzeskraft und können auch die künftige Auslegung gabenabzugs verdeutlichen. Mit maximal 40 000 DMdes Gesetzes nicht beeinflussen. Manchmal bedauere ich werden Sie nicht eine einzige neue Stiftung initiierendas sogar. können. Ihr Gesetzentwurf leidet unter einem weiteren Wider- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- spruch: Wenn Sie bei 40 000 DM kappen, dann tun Sie ten der CDU/CSU) praktisch nur etwas für bereits bestehende Stiftungen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8903

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) (Abg. Ludwig Stiegler [SPD] meldet sich zu formeifer zu beflügeln – wir unterstützen ja die Regie-(C) einer Zwischenfrage) rung –, fordern wir in einem Entschließungsantrag die Regierung auf, das Versäumte noch im Laufe dieses Jah- Vor diesem Hintergrund ist Ihre Weigerung geradezures nachzuholen. Hierzu wird mein Kollege Funke spä- grotesk, Zustiftungen seitens anderer Stiftungen, so ge- ter noch Wegweisendes sagen. nannte Endowments, steuerlich anzuerkennen. Diese Unterlassung hat schon die Qualität eines kapitalen Ei- Ihr Gesetzentwurf ist in drei Punkten identisch mit gentores. dem unseren. Die Änderungen halten wir natürlich nach wie vor für sinnvoll. Das gilt insbesondere auch für die Jetzt erlaube ich Herrn Stiegler eine Frage, sofern der von uns vorgeschlagene Öffnung bei der Erbschaftsteu- Herr Präsident es zulässt. er. Der zentrale Unterschied zwischen Ihrem und unse- rem Gesetzentwurf liegt darin, dass in unserem nachhal- Präsident Wolfgang Thierse: Ich frage Sie und Sie tige Anreize auch zur Gründung neuer Stiftungen ge- haben es bereits erlaubt. – Bitte, Herr Kollege Stiegler. schaffen werden, während Ihrer in dieser Richtung nichts bewegen wird. Er weckt Erwartungen, die er nicht erfüllen kann; insofern birgt Ihr Reförmchen die Gefahr, Ludwig Stiegler (SPD): Herr Kollege, wir sollten den objektiv weiterhin bestehenden Reformbedarf zu vermeiden, dass von vornherein verkehrte Auslegungen verschleiern. vorgenommen werden. Wenn Sie die Güte haben, sich Art. 3 Nr. 2 anzuschauen, dann erkennen Sie, dass dort (Abg. Klaus Wolfgang Müller [Kiel] [BÜND- steht, dass „darüber hinaus bis zur Höhe von 40 000 NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Deutsche Mark“ gezahlt werden kann. Ich wiederhole: Zwischenfrage) „darüber hinaus“. Wenn Worte noch einen Sinn haben, – Herr Müller, wenn der Herr Präsident das erlaubt, dann heißt das nicht: inklusive. Lasst uns wenigstensdann würde ich Ihre Zwischenfrage gerne entgegenneh- hier verhindern, dass falsche Töne in die Kommentarli- men. Einem künftigen Minister soll man das Wort nicht teratur hineinkommen. verwehren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Präsident Wolfgang Thierse: Bitte schön, Herr Sind wir gemeinsam der Auffassung, dass dieseMüller. 40 000 DM zusätzlich, additiv, und nicht kumulativ ge- zahlt werden? Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, weil Sie jetzt schon wieder (B) (D) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Lieber auf die vermeintlich zu geringen Spielräume eingehen, Herr Stiegler, unserer Meinung nach sollte es in der Tat möchte ich Sie fragen: Sind Sie denn bereit anzuerken- so sein, dass man das kumulativ in Anspruch nehmennen, dass wir im gesamten Bereich des Erbschaftsteuer- kann. Wenn Sie aber bitte die amtliche Begründung Ih- rechts die Stiftungszwecke sehr erweitert haben? Für die res eigenen Entwurfes zur Hand nehmen, dann erkennen Stiftungszwecke gibt es beträchtliche finanzielle Spiel- Sie, dass in der Begründung nach der Darstellung derräume, die man dann in eine Stiftung einbringen kann. beiden steuerlichen Möglichkeiten der Satz folgt: Das ist doch ein erheblicher Schritt. Dabei ist die Höhe der in einer Steuerungsperiode (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- abzugsfähigen Aufwendungen auf 40000 Deutsche SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Mark begrenzt. Ich muss Ihnen zumindest den Vorhalt machen, dass Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Sehen Sie, diese in der Begründung enthaltene Regelung jeden, der Herr Kollege, jetzt kann ich Sie wirklich in Freude und später mit dem Gesetz umzugehen hat, in tiefe Verwir- Harmonie nach Schleswig-Holstein verabschieden. Das rung stürzt. Deswegen wäre es gut gewesen – wir haben ist genau der Punkt, den auch die F.D.P. in ihrem Ge- im Ausschuss lange darüber diskutiert –, wenn Sie die- setzentwurf gefordert hat. Darin sind wir mit Ihnen völ- sen Widerspruch aufgehoben hätten. lig einer Meinung. Der wichtigste Teil Ihrer Reform ist, dass im Erbschaftsteuerrecht eine Öffnung geschaffen Um zum Ende meiner Antwort etwas Versöhnliches wurde. zu sagen: Ich bin mit Ihnen der Meinung, dass diese bei- den Vergünstigungen tatsächlich kumulativ erfolgen Ich wünsche Ihnen eine gute Reise nach Schleswig- sollten. Nur, ich sehe es im Gesetzentwurf so nicht ver- Holstein und uns weiterhin gute Zusammenarbeit bei wirklicht. diesem Gesetzentwurf. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) ten der CDU/CSU) Beispiele aus anderen Ländern beweisen uns: Wer Der größte Fehler Ihres Entwurfes ist es – dazu hat nur halbherzige Trippelschritte macht, der kann keine schon der Kollege Dr. Lammert Richtiges gesagt –, die großherzige Stiftungskultur erreichen. Was wir jetzt eigentliche Reform des Stiftungsrechts, also den kom- brauchen, ist ein mutiger Befreiungsschlag zugunsten pletten zivilrechtlichen Teil, zu vertagen. Um Ihren Re- der Wiederbelebung des Mäzenatentums. Verehrte 8904 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (A) Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ich kündi- wenigen Tagen in diesem Hohen Hause voller Anerken- (C) ge Ihnen an, dass wir Liberalen weiterhin Druck nung in hervorgehoben wurde, wie bürgermeinungsbezo- Richtung auf eine konsequente und umfassende Reform gen die Arbeitsweise der ersten frei gewählten Volks- des Stiftungsrechts machen werden. kammer der DDR gewesen sei. Zur Stärkung des Bürgersinnes gibt es keine Alterna- Angesichts des zur Verabschiedung vorliegenden Ge- tive. Es liegt an Ihnen, ob Sie unsere Angebote zum ge- setzentwurfes geht es uns nicht um filigrane Vorschläge meinsamen Engagement in dieser Sache aufgreifen oder zur Textveränderung. Trotzdem möchte ich in drei nicht. Ich hoffe, wir werden noch in diesem Jahr Gele- Punkten die grundsätzliche Position meiner Fraktion genheit haben, den zweiten Teil Ihrer Reform zu verab- verdeutlichen: schieden. Ich sichere Ihnen zu: Die F.D.P. wird in die- Erstens. Die PDS hat seit Beginn der Debatte über die sem Bereich sehr aktiv bleiben. Wir werden Sie erfor- Reform des Stiftungswesens eingeräumt, dass dieses Po- derlichenfalls auch treiben. Ich verspreche es Ihnen. litikfeld für sie weitgehend Neuland darstellt. Deshalb Nehmen Sie es ernst! haben wir uns – im Unterschied zu vielen anderen Poli- Danke schön. tikfeldern – Zurückhaltung hinsichtlich eigener Vor- schläge zur konkreten Ausgestaltung der Stiftungsland- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- schaft auferlegt. In der öffentlichen Debatte haben wir ten der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: die Vorschläge unterstützt, die wir im Einklang mit un- Wir lassen uns gerne von Ihnen treiben! – Jörg seren grundsätzlichen Positionen sehen. Von diesen Tauss [SPD]: Aber hoffentlich kommen Sie Grundpositionen aus werden wir unsukünftig z zu- beim Treiben dann hinter uns her! – Gegenruf nehmend intensiver an dieser Debatte beteiligen. Der des Abg. Hans-Joachim Otto [Frankfurt] vorliegende Entschließungsantrag der PDS ist dafür ein [F.D.P.]: Keine Sorge, Herr Kollege!) Beweis. Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens einen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit leisten und sich dem Kollegen Heinrich Fink, PDS-Fraktion. damit als ein Bestandteil des Prozesses erweisen, mit dem – entgegen der bisherigen Richtung – eine Umver- Dr. Heinrich Fink (PDS): Sehr verehrter Herr Präsi- teilung des von der Gesellschaft geschaffenen Reich- dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! tums von oben nach unten erfolgt. Während der Debatte zur Reform des Stiftungswesens, Für uns muss eine Reform des Stiftungswesens dazu die in dieser Legislaturperiode mit einem Gesetzentwurf führen, dass über Stiftungen ausschließlich zusätzliche der F.D.P. eingeleitet wurde, hat sich in der betroffenen (B) private Mittel und privates Engagement für gemein-(D) und deshalb sehr interessierten Öffentlichkeit in intensi- wohlorientierte Zwecke mobilisiert werden – und nicht ven Diskussionen die Auffassung herausgebildet, dass etwa umgekehrt, nämlich dass mit diesem erhofften pri- zur Schaffung einer relevanten, in der Bevölkerung ak- vaten Engagement plötzlich die Felder abgedeckt wer- zeptierten Stiftungskultur vor allem neue zivilrechtliche den, die der sich aus der Verantwortung ziehende Staat Rahmenbedingungen erstellt werden müssten. Zu die- zurücklässt. ser Meinungsbildung haben sachkundige Experten aus sehr unterschiedlichen Erfahrungsbereichen beigetragen. (Beifall bei der PDS) Als Beispiel möchte ich die äußerst kompetente Runde beim Maecenata-Institut nennen. Stiftungsengagement würde erst recht missbraucht, wenn damit dem Staat der Weg für diesen Rückzug auch (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Hans- noch gebahnt würde. Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]) Eine Reform des Stiftungswesens muss für uns darum Mit Besorgnis und Enttäuschung muss ich feststellen, schließlich eingebettet sein in eine breite und differen- dass Ergebnisse dieses beachtlichen Prozesses demokra- zierte öffentliche Debatte zur Herausbildung der zwar tischer Meinungsbildung außerhalb des Parlamentesoft beschworenen, aber immer noch sehr verschwom- nicht in das heute zu beschließende Gesetz eingeflossen men erscheinenden Bürgergesellschaft. Denn eine sol- sind. che Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger darf sich (Jörg Tauss [SPD]: Nein! – Hans-Joachim nicht darauf beschränken, den Aktionsradius etablierter Otto [Frankfurt] [F.D:P.]: Da hat er auch Eliten und Mittelschichten zwischen Markt und Staat zu Recht!) vergrößern. Dieses deprimierende Ergebnis war bereits vorauszuse- Wir verstehen unter Bürgergesellschaft auch solche hen, als der Gesetzentwurf in die Öffentlichkeit gelang- Veränderungen von Staat und Markt, durch die denjeni- te. gen ein größerer Spielraum bei der Gestaltung des Le- bens ermöglicht wird, die, durch Massenarbeitslosigkeit, Als einer, der erst seit zehn Jahren an bürgerlich-wachsende soziale Ungleichheit und Armut betroffen, demokratischen Prozessen der Meinungs- und Willens- nicht mehr gleichberechtigte Partner der Bürgergesell- bildung beteiligt ist, möchte ich mein Befremden über schaft sein können. die Nichtberücksichtigung dieser außerparlamentari- schen Forderungen zum Ausdruck bringen, zumal vor (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8905

Dr. Heinrich Fink (A) Zweitens. Für die PDS waren und sind darum die von Es steht wohl außer Zweifel, dass durch verhältnismäßig (C) vielen Seiten geforderten neuen zivilrechtlichen Rah-gerechtfertigte Steuern unverhältnismäßig großer priva- menbedingungen Voraussetzung einer durchgreifenden ter Reichtum im Interesse des Gemeinwohls verfügbar Reform, die zur Entwicklung einer neuen, transparenten gemacht werden könnte. Stiftungskultur führt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich weiß, dass Die wichtigsten Gründe dafür habe ich bei der ersten besonders Menschen, die sich im kulturellen Bereich Lesung vorgetragen: Durch neuezivilrechtliche Rah- engagieren, mit dem vorliegenden Gesetz – trotz seiner menbedingungen müsste sichergestellt werden, dassUnzulänglichkeit – bestimmte Hoffnungen verbinden, Stiftungen ausnahmslos an gemeinnützige Zwecke ge-werde ich dem Gesetz zustimmen. Ich kann es einigen bunden sind, dass eine breite Schicht von am Gemein-meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen jedoch nicht wohl orientierten Interessierten zu Spenden motiviertverdenken, wenn sie aus ihren Arbeits- und Erfahrungs- werden und dass die Öffentlichkeit in die Lage versetzt bereichen heraus das anders sehen. wird, sich einen klaren Einblick darüber zu verschaffen, Vielen Dank. wie und mit welchen Ergebnissen mit Stiftungsmitteln umgegangen wird, die als Steuerertrag den öffentlichen (Beifall bei der PDS) Haushalten nun nicht mehr zur Verfügung stehen.

Mit diesem Gesetz wird keines dieser Erfordernisse Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort gewährleistet. Deshalb wäre es notwendig gewesen, dass dem Kollegen Dieter Grasedieck, SPD-Fraktion. sich die Einbringer des Gesetzentwurfs zumindest in dem einführenden Text wesentlich verbindlicher zu ihrer Absicht bekannt hätten, ein Bundesstiftungsgesetz mit Dieter Grasedieck (SPD): Herr Präsident! Meine zivilrechtlicher Reform unverzüglich auf den Weg zusehr verehrten Damen und Herren! Herr Otto sprach bringen. vorhin von „nicht kleckern, sondern klotzen“. Herr Lammert mahnte den Reformbedarf an. Alle schrien (Beifall bei der PDS) nach Reformen. Aber 16 Jahre lang geschah wenig bis Unser Entschließungsantrag enthält deshalb die Auf- ganz wenig. Nach einem Jahr haben wir schon viel er- forderung an die Bundesregierung, ein solches Gesetzreicht. In den nächsten Jahren können Sie noch mehr bis zum Ende dieses Jahres vorzulegen. erwarten. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Da (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind wir uns ja einig! – Monika Griefahn DIE GRÜNEN) [SPD]: Was ist denn das für eine Koalition?) (B) Sie von der Opposition stellen Anträge über Anträge. (D) Materialien dafür sind hinreichend vorhanden. DazuHeute soll das Stiftungsrecht erweitert werden. 35 Pro- zähle ich auch den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der zent Spitzensteuersatz wird gefordert. Sie gehen genau in dieser Hinsicht sehr umfassend ist. nach dem alten System vor: Sie geben aus; die Bundes- bank bezahlt. Da machen wir nicht mit. Drittens. Hinsichtlich der steuerrechtlichen Seite kommen für uns die weitreichenden steuerlichen Be- (Beifall bei der SPD – Hans-Joachim Otto günstigungen, wie sie von den anderenppositions- O [Frankfurt] [F.D.P.]: Meine Güte!) parteien verlangt werden, nicht in Betracht, erst recht nicht ohne ein entsprechendes neues transparentes Stif- Herr Otto, eines muss ich Ihnen sagen: Lesen Sie tungsrecht. doch bitte Art. 3 des Gesetzentwurfs nach. Dort steht un- ter Abs. 2: Demgegenüber anerkennen die meisten meiner Frak- Zuwendungen ... sind darüber hinaus bis zur Höhe tionskolleginnen und -kollegen die vorgesehenen steuer- lichen Begünstigungen im Gesetzentwurf der Koalition von 40 000 Deutsche Mark abziehbar. mit ihrer Orientierung auf Bürger- und Gemeinschafts- Ein Blick ins Gesetz schafft also Klarheit. Insofern wäre stiftungen als angemessen, wobei – ich wiederhole es – von Vorteil gewesen, wenn Sie es getan hätten. diese Regelung ohne neue zivilrechtliche Rahmenbedin- gungen kaum die Wirksamkeit erlangen kann, die von (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Antje ihr erhofft wird. Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Da- Darüber hinaus empfindet meine Fraktion es als eine rüber haben wir schon diskutiert!) außerordentliche Zumutung, wenn sich die Koalitions- parteien für Stiftungen ausgerechnet mit dem Argument – Es ist wichtig, dass man das wiederholt, weil das, was einsetzen, dass dadurch private Mittel zusätzlich für ge- Sie vorhin gesagt haben, Herr Kollege Otto, falsch war. sellschaftliche Belange aktiviert werden. Aber gleichzei- tig rücken sie ab von der Wiedereinführung der dringend Alle Sozialverbände, alle Sportvereine, alle kirch- nötigen Versteuerung von sehr großen Vermögen undlichen Organisationen sind dafür. Sie unterstützen unse- einer entsprechenden Reform der Erbschaftsteuer. ren Gesetzentwurf. Nur die Opposition findet noch einige Haare in der Suppe und kritisiert an vielen Stel- (Beifall bei der PDS sowie der Abg. Dr. Antje len. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Sie neidisch Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) sind. 8906 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dieter Grasedieck (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie fordern nur 20 Prozent. Das ist ein Unterschied zu (C) DIE GRÜNEN) unserem Vorschlag. Die CDU/CSU hat noch eine Son- derausgabe von 1 Million DM vorgesehen. Meine Damen und Herren, Sie sind nicht davon ausge- gangen, dass wir ein solches Stiftungsrecht schaffen. Sie von der Opposition sehen hauptsächlich die grö- ßeren Stiftungen. Wir brauchen aber große und kleine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stiftungen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Sie sind nicht davon ausgegangen, dass wir die Steuerre- form einbringen. Sie sind nicht davon ausgegangen, dass Wenn man einmal die Ausarbeitungen der Institute wir auch beim Unternehmensteuergesetz so weit voran- betrachtet, stellt man fest, dass man gerade bei den klei- gekommen sind. Die Koalition diskutiert nicht nur, sie nen Gruppierungen Förderungen benötigt. Da ist das löst Probleme und entscheidet auch. Ehrenamt zu Hause, da wird ehrenamtlich gearbeitet, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Meine Damen, meine Herren, Neid ist aber die höchs- während das bei den großen Organisationen weniger der te Form der Anerkennung. Das muss man sehen. Herzli- Fall ist. Wir haben damit in den Parteien zu kämpfen. chen Dank dafür! Wir haben damit in den Kirchen und in den Gewerk- schaften zu kämpfen. Aber gerade in den kleinen Grup- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem pen wird ehrenamtlich gearbeitet, zum Beispiel in Hos- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pizgruppen. Dort werden Menschen bis zum Tode be- Neidisch können Sie natürlich sein, wenn man einmal gleitet. Man kann vor solchen ehrenamtlichen Tätigkei- betrachtet, was wir im Stiftungsrecht umgesetzt haben. ten nur den Hut ziehen. Die Sportvereine begrüßen das, die Sportvereine können (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ neue Stiftungen gründen. Es ist im Sozialbereich mög- DIE GRÜNEN) lich. Auch bei kirchlichen Organisationen ist es denkbar. Das sind wesentliche Vorteile. Die Stifter wollen Ein- Genau das wollen wir unterstützen. Da treffen wir zelschicksale unterstützen und Einzelschicksale fördern. exakt den Nerv der Menschen, das, was die Menschen Alt und Jung wollen an dieser Stelle helfen. Unser Stif- wünschen. Das ist auch das Bedürfnis der Menschen. tungsrecht fördert diese Hilfsbereitschaft durch erwei- Ich bin durch meinen Wahlkreis gefahren und habe mit terte Steuerabschreibung. Gerade die Grundzellen des den Vertretern der Kirchen und mit den Selbsthilfegrup- pen gesprochen. Die Kirchenvertreter sagten mir, das ist (B) Lebens – das ist vorhin auch vom Herrn Minister ange- (D) sprochen worden – in den Kirchengemeinden, ideal, die weil wir eine Sammelstiftung gründen können. Grundzellen in den Selbsthilfegruppen, die Grundzellen Die Sammelstiftung war so noch nicht möglich. Das in den Sozialverbänden müssen unterstützt und gefördert können wir hier schaffen. werden. Das ist durch unser Steuerrecht möglich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wenn man sich einmal die Unterschiede der ver- DIE GRÜNEN) schiedenen Gesetzesvorschläge der CDU/CSU und der Die Selbsthilfegruppen sagen mir, es ist ideal, da wir F.D.P. ansieht, dann muss man feststellen, dass es viele auch eine kleine Stiftung gründen auf bauen können. Gemeinsamkeiten gibt. Die Ziele sind fast identisch, fast hundertprozentig gleich. Der Thesaurierungssatz und die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ansparsumme sind auch identisch. Auch wir sind der DIE GRÜNEN) Meinung, dass das Gesetz zu einer Vereinfachung füh- 40 000 DM und danach kommt das Erbe: Das ist Ziel ren soll. Das wollen wir umsetzen, obwohl das allesunserer Überlegung. problematisch ist, das wissen wir. Interessant ist auch eine Zeitungsmeldung vor kurzem, in der stand, dass die Die Million, das Erbe kommen dazu. Das ist dann na- Amerikaner schon darauf warten, dass unser neues Stif- türlich der zweite Schritt. Die Menschen wollen stiften, tungsrecht umgesetzt wird. Hier sollen Stiftungen fürwollen helfen. Die Menschen wollen aber auch ihr An- amerikanische Hochschulen gegründet werden. Viel-denken bewahren. Das ist ebenfalls Ziel der Stiftung und leicht haben Sie das auch in der Zeitung gelesen. auch das wollen wir unterstützen. An dieser Stelle be- stimmt der Bürger und nicht der Staat. Aber der Staat Wenn man sich einmal fragt, welche wichtigenUn- profitiert trotzdem, weil dann eben viele soziale Aufga- terschiede es eigentlich gibt, so stellen wir fest, dass es ben, ökologische Aufgaben ehrenamtlich geleistet wer- im Prinzip nur einen entscheidenden Unterschied gibt. den. Das betrifft die Zuwendung von 40000 DM, Herr Otto, additiv 5 und 10 Prozent. Das ist ein entscheidender Wenn man einmal die Vorteile unseres Gesetzent- Punkt. wurfs betrachtet, stellt man sich die Frage: Warum stimmt die Opposition, warum stimmen die CDU/CSU (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Hät- und die F.D.P. nicht zu? Ich möchte Ihnen von der Op- ten Sie bei meiner Rede besser zugehört, dann position einen Rat geben: Nicht Neid bringt Erfolge. hätten Sie mehr Unterschiede gefunden!) Kreativität und Innovation bringen Erfolge. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8907

Dieter Grasedieck (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die entscheidenden Unterschiede – auch das hat die De- (C) DIE GRÜNEN) batte bisher gezeigt – liegen einfach darin, dass wir der Auffassung sind, man sollte jetzt einen großen Wurf Sie haben heute eine Chance. In den Geschichtsbüchern wagen und den steuerrechtlichen und den zivilrechtli- wird dann stehen: Auch die Opposition unterstützte die chen Bereich in einem Gesetz regeln, erfolgreiche Regierungsarbeit. Das Stiftungsrecht wurde verabschiedet. (Zuruf von der SPD: Dazu müssen wir Miss- brauch einschränken!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) während Sie sagen – so lautet auch das Gesetz, das wir heute verabschieden –, es geht zunächst nur um den Unsere Gesellschaft wird durchGemeinsinn und s teuerlichen Bereich. durch das Ehrenamt getragen. Das wollen wir fördern. Wir haben dafür vier entscheidende Gründe, die in un- (Jörg Tauss [SPD]: Was heißt hier „nur“?) serem Gesetzentwurf stecken. Ich sage bewusst „nur“ und ich widerspreche auch Herrn Erstens. Die Sammelstiftung ist möglich. Diese Mög- Dr. Naumann, wenn er sagt: „Der schwierigste Teil liegt lichkeiten werden in der kommenden Zeit erweitert. hinter uns.“ Nein, meine Damen und Herren, der schwierigste Teil liegt vor uns; der liegt im zivilrechtli- Zweitens. Die Einzelstiftung mit 40 000 DM plus chen Teil. Das werden die Diskussionen noch zeigen. 5 Prozent beziehungsweise 10 Prozent des Gesamtbei- trages der Einlage wird steuerlich abgeschrieben. Das ist Ich habe einen Zwischenton sehr genau gehört, Herr natürlich eine Förderung. Dr. Naumann. Drittens. Die Ansparsumme wird wesentlich erhöht – Wir sind bisher davon ausgegangen, dass wir noch in darin waren Sie ja mit uns einer Meinung –, dieser von Legislaturperiode den zivilrechtlichen Bereich – 25 Prozent auf 33 1/3 Prozent. hoffentlich gemeinsam – verabschieden können. Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie Viertens. Die Erbschaftsteuer fällt weg. gesagt, wir werden ihn sicher in dieser Legislaturperiode Zusammenfassend können wir feststellen: Wir haben diskutieren; ob es allerdings zu einer Verabschiedung das bessere Gesetz. Blamieren Sie sich doch nicht! Sie kommt, ist offen. müssen zustimmen! (Ludwig Stiegler [SPD]: Naumann würde ihn (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem lieber vorgestern als heute haben! Das liegt an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Ländern!) (B) Lassen Sie uns zunächst noch einmal festhalten: Was (D) Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun ist eigentlich der Inhalt des Gesetzentwurfs, den wir der Kollege Otto Bernhardt von der CDU/CSU-Fraktion. heute verabschieden? Es geht schlicht um drei Punkte: erstens die verbesserte Otto Bernhardt (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Rücklagenbildung – dem stimmen wir zu, das ist in sehr verehrten Damen und Herren! Wir können zunächst Ordnung –, zweitens die Erweiterung des so genannten einmal feststellen – das haben die erste Lesung und auch Buchwertprivilegs, dass man Gegenstände aus dem Be- der bisherige Verlauf dieser Debatte gezeigt –: Es gibt in triebsvermögen ohne Auflösung stiller Reserven in eine diesem Hause Übereinstimmung darüber, dass wir etwas Stiftung übertragen kann – ein wichtiger Punkt –, und tun müssen, damit Stiftungen in Deutschland einen hö- drittens als zentralen Punkt die viel zitierten 40 000 DM, heren Stellenwert bekommen. Im Vergleich zu anderen die jetzt zusätzlich kommen sollen. Ländern, etwa den Vereinigten Staaten und Großbritan- Ich glaube, im Zusammenhang mit diesen 40 000 DM nien, haben wir in dieser Frage eine unterentwickelte Si- und der Art, wie Sie sie jetzt im Gesetz verankern wer- tuation. Selbst bezogen auf unsere eigene Situation kön- den, sollten wir einmal ein Schreiben des Bundes- nen wir feststellen, dass es um die Jahrhundertwende in verbandes Deutscher Stiftungen, des wichtigsten Ver- Deutschland viel mehr Stiftungen als heute gab. Einer bandes in diesem Bereich, vom 11. dieses Monats zur der Gründe dafür ist sicherlich der, dass die rechtlichen Kenntnis nehmen, in dem es heißt: Dieser Vorschlag Rahmenbedingungen unbefriedigend sind. führt zu einer weiteren Komplizierung des geltenden Im Grunde wollen wir alle ein stiftungsfreundlicheres Spendenrechts, gerät in Konflikt mit dem Gleichheits- Klima schaffen. satz und bringt vor allem keine Verbesserung für größe- re Stifter. – Auch das ist hier wiederholt gesagt worden. (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Dann müssen wir es erst einmal machen!) (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Wir brauchen Transparenz der größeren!) Potenzielle Stifter – lassen Sie mich das sehr deutlich sagen – dürfen nicht, wie es immer noch vorkommt, als Aber es kommt ein weiterer Kritikpunkt des Bundes- Bittsteller betrachtet werden. Stifter verdienen unseren verbandes Deutscher Stiftungen. Viele Briefe, die wir Respekt und unsere Anerkennung. bekommen haben, unterstreichen, dass es hier ein Pro- blem gibt, und zwar das Problem des Gleichheitsgrund- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) satzes. Der Verband schreibt: 8908 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Otto Bernhardt (A) Warum sollen die vielen kirchlichen Stiftungen de s Der Kollege Dr. Lammert hat darauf hingewiesen. (C) öffentlichen Rechts, Stiftungs-Vereine und ge- Ich sage deshalb sehr deutlich: Wir sehen uns nicht in meinnützige Stiftungs-GmbHs ... von den neuen der Lage, Ihrem Gesetz unsere Zustimmung zu geben. Begünstigungen ausgeschlossen werden? Wir werden uns der Stimme enthalten. Hiermit werden wir noch unsere Probleme bekommen. Danke schön. (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- GRÜNEN]: Nicht, wenn Sie private Stiftun- ordneten der F.D.P.) gen machen!) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der aus meiner Sicht sehr enttäuschend ist, gerade nach Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort der Diskussion, die wir in der ersten Lesung hatten. Stel- der Kollegin Antje Vollmer, Bündnis 90/Die Grünen. len wir uns einmal die Frage: Welchen Unterschied gibt es eigentlich zwischen dem, was wir in der ersten Le- Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sung beraten haben, und dem, was heute verabschiedet Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werden soll? Sie werden es nicht glauben: lediglichhabe genau fünf Minuten Zeit, um mehr als fünf Jahre ein Punkt, und zwar, dass ab 1. Januar2002 nicht Arbeit an diesem großen Thema zusammenzufassen. 40 000 DM, sondern 20 450 Euro als Sonderausgabe geltend gemacht werden können. Lassen Sie mich kurz zurückblicken. Als wir Grünen damals anfingen, das Thema Stiftung zu behandeln, gab (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Lächerliche Aus- es ein unglaubliches gesellschaftliches Geraune, bei den sage, die Sie machen!) Konservativen eine regelrechte Empörung: Was machen Das ist die einzige Änderung – sie läuft natürlich unter gerade die Grünen mit diesem Thema? Es gab eine Art „Formulierungshilfe“ –, die wir heute zu berücksichti- Erbbaurecht auf das Thema Stiftung. Auch im rot- gen haben. Das heißt, alle Argumente der ersten Lesung, grünen Bereich haben viele gesagt: Was ist das denn für die gesamte parlamentarische Diskussion in vielen Aus- ein Thema? Ein bisschen abgehoben vielleicht. – Ich schüssen, alle Schreiben und Eingaben der Stiftungsver- meine, die fünfjährige Debatte hat sich außerordentlich bände sind unberücksichtigt geblieben. Dies ist ein trau- bewährt. riges Ergebnis, um das ganz klar zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU – Ludwig Stiegler und bei der SPD) [SPD]: Die haben alle kein Geld mitge- Erstes und wichtigstes Thema: Das Bewusstsein für (B) schickt!) die Kraft der Bürgergesellschaft ist ungeheuer ge-(D) Wir haben unsere Wünsche daher in Ände- vier wachsen. Ich möchte einmal den Artikel des Bundes- rungsanträgen zusammengefasst. Dabei geht es imkanzlers von heute positiv aufgreifen und sagen: Ich Wesentlichen um drei Komplexe. Erstens geht es um die glaube, wir brauchen den Begriff der „neuen Mitte“ gar Aufhebung des so genannten Zustiftungsverbots. Wirnicht mehr. Rot-Grün hat längst den Aufbau der Zivil- sind der Meinung – ich habe es in der ersten Lesung ge- und Bürgergesellschaft zum zentralen Thema gemacht. sagt –, Stiftungen sollen die Möglichkeit haben, andere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stiftungen zu unterstützen. Das ist weiterhin nicht mög- und bei der SPD) lich. Der zweite Punkt – natürlich der entscheidende in der Substanz –: Wir sind für eine Verdoppelung von Das bedeutet auch eine Abkehr von der alten Metho- 5 auf 10 bzw. 10 auf 20 Prozent bezogen auf das steuer- de, bei der politische Linke und politische Rechte nach pflichtige Einkommen. Der dritte Punkt: Verbesserung dem Modell der römischen Phalanx immer aufeinander der steuerlichen Möglichkeiten für Großspender. Auch prallten. Ich glaube, wir haben vielmehr begriffen, dass dazu ist viel gesagt worden; dies ist dringend erforder- man an die positive Kraft in der Gesellschaft, an ihre lich. Kreativität glauben und an sie appellieren muss und dass man so den Reformstau, den es in diesem Land gegeben Lassen Sie mich abschließend feststellen: Dieser Ge- hat, von unten auflösen kann. setzentwurf, der wahrscheinlich gleich Gesetz wird, ist mit Sicherheit nicht der große Durchbruch. Sie waren al- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lerdings im Verkaufen schon immer besser als wir. und bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Der zweite – auch nicht ganz unwichtige – Punkt ist Lachen bei der SPD) folgender: Wir haben die Atmosphäre, die es gegenüber Stiftern und Mäzenen gegeben hat, gründlich verändert. Sie haben diese wenigen Punkte in der Öffentlichkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich besser verkauft, als wir all das verkaufen konn- und bei der SPD) ten, was wir in den letzten 16 Jahren gemacht haben. Es gab so etwas w ie Sozialneid; das i st schon gesagt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – worden. Es gab in manchen Debatten auch ein Ludwig Stiegler [SPD]: Danke für das Kom- regelrechtes Mobbing gegenüber solch enLeuten. Sie pliment!) haben jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8909

Dr. Antje Vollmer (A) jetzt Platz. Unser großer Wunsch ist: Es mögen ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) viele werden, die diesen Platz jetzt ausfüllen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fünfter und letzter Gedanke: Der Staat soll sich in und bei der SPD) seinem Verhältnis zu den Stiftern ändern. Wir wollen nicht mehr eine staatliche Aufsicht, aber doch eine Bera- Drittens. Ich meine, wir haben mit diesem Gesetz-tung und eine Ermöglichungskultur. Das heißt, wir ge- entwurf so etwas wie ein Stückchen Resozialisierung der ben es nicht völlig frei. Es wird weiterhin eine staatliche Begriffe „stiften“ und „spenden“ betrieben. Zuständigkeit geben, damit Stifter wissen, dass das, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sie hinsichtlich der Gemeinnützigkeit gewollt haben, und bei der SPD) auch nach ihrem Tode geschieht. Damit geben wir dem Staat auch die Möglichkeit, an diesen Bürgerfreiheiten Wir befreien sie vom machtpolitischen Missbrauch und positiv und unterstützend teilzunehmen. zeigen das Gegenteil davon, nämlich dass Stiften und Spenden der Gemeinnützigkeit und der Gesellschaft gel- In diesem Sinne hoffe ich, dass mit diesem ersten ten. Dann wird es auch honoriert werden. Schritt nun wirklich der Stiftungsfrühling eintritt, den wir alle wünschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Unser Versprechen ist: Das war nur der erste Schritt: Der zivilrechtliche Teil soll und wird folgen. Ich will dazu fünf Grundgedanken sagen. Wir Grünen haben Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun schon in unserem Entwurf von 1997, den ich immerder Kollege Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion. noch recht gut finde, (Zuruf von der SPD: Das ist er auch!) Rainer Funke (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Es ist sehr erfreulich, dass ein breiter gesagt, in welchem Sinne wir das zivilrechtlich machen Konsens darüber besteht, dass die Gründung von Stif- wollen. tungen und die Übertragung von größeren und auch Erstens. Das neue Zivilrecht für Stiftungen muss ein- kleineren Vermögen auf Stiftungen eine große gesell- fach sein. Der Stifter soll sich Gedanken über schaftspolitische den Aufgabe ist. Das gilt umso mehr, als Zweck seiner Stiftung machen und nicht darüber, wie er damit zu rechnen ist, dass in den nächsten Jahren pro es an den komplizierten Bürokratien vorbeischiebenJahr 250 Milliarden DM auf die Erbengeneration über- muss. Der erste Gedanke ist also: einfach. gehen werden. Deswegen ist es wichtig, dass der Ge- (B) (D) danke des Stiftertums gefördert und die Errichtung von (Rainer Funke [F.D.P.]: Das ist richtig!) Stiftungen erleichtert wird. Zweiter Gedanke: Das Zivilrecht muss transparent Die Koalitionsfraktionen haben sich nur auf den sein. Wenn die Gesellschaft schon besondere Privilegien steuerrechtlichen Teil verständigen können. Die schafft, dann muss auch gewährleistet sein, dass die Ge- F.D.P.-Fraktion hat ein ganzheitliches Gesetz vorgelegt, sellschaft in die Bilanzen der Stiftungen hineinschauen das sowohl das Steuerrecht als auch das materielle kann. Recht, also das Zivilrecht, berücksichtigt. Ich bedaure, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass die zuständige Ministerin für das materielle Recht – und bei der SPD – Dr. Elke Leonhard [SPD]: für das Zivilrecht – heute durch Abwesenheit glänzt. Das ist wichtig!) Das ist, wie ich meine, eine Missachtung des Parla- ments. Dritter Gedanke: Das Zivilrecht soll zweckoffen sein (Beifall bei der F.D.P. – Dr. Elke Leonhard und vom Gedanken der Freiheit getragen werden. Das heißt, der Staat soll und darf den Bürgern nicht vor- [SPD]: Sie ist doch da! – Gegenruf des Abg. Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie kommt schreiben, wofür sie Stiftungen machen. Natürlich gerade erst herein! Sie hat noch nicht einmal kommen nur die Stiftungen in den Genuss der Ge- meinnützigkeit, die auch wirklich gemeinnützig sind. ihre Tasche abgelegt!) Wir gehen davon aus, dass freie Bürger sinnvolle Pro-– An den Beratungen hat sie die ganze Zeit nicht teilge- jekte wählen, zumal wenn sie ihren Namen damit ver-nommen. Sie ist gerade erst hereingekommen. Das wis- binden. sen auch Sie ganz genau. Auf der Regierungsbank je- denfalls hat das Justizministerium durch Abwesenheit Vierter Gedanke – das ist sehr wichtig –: Das Zivil- geglänzt. recht muss sicherstellen, dass das Stiftungsrecht miss- brauchsfest ist. Das wird der komplizierteste undIn der Tat ist das Stiftungsrecht reformbedürftig, weil schwierigste Teil sein. Das wird aber auch der Teil sein, es den modernen Anforderungen – das haben Sie, an dem gemessen wird, ob die gesellschaftliche Akzep- Herr Kollege, auch schon gesagt – nicht mehr entspricht. tanz hält. Wir wissen, dass wir dafür sehr gründlicheDas obrigkeitsstaatliche Konzessionssystem ist über- Debatten brauchen. Wir fordern alle – auch diejenigen holt und sollte durch ein System von Normativbe- aus den Stiftungen – auf, uns in diesen Debatten zu un- dingungen ersetzt werden. Der Stifter soll selber ein terstützen. Recht auf Stiftung haben und nicht vom staatlichen 8910 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Rainer Funke (A) Konzessionssystem abhängig sein. Das schließ t nicht rot-grüner Erfolgspolitik stolz sein. Wir sind auch stolz (C) aus, dass die Landesverwaltungen eine staatliche Auf-darauf. Dieses sage ich gleich zu Beginn noch einmal in sicht wahrnehmen. Aber das darf nicht zur Gängelei füh- aller Deutlichkeit. ren; Frau Vollmer hat darauf schon hingewiesen. Es (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ macht überhaupt keinen Sinn, dass zum Beispiel kleine- re Stiftungen bei uns in Hamburg von der Senatskanzlei DIE GRÜNEN) und zusätzlich noch von den Fachbehörden beaufsichtigt Der Kollege Grasedieck hat völlig zu Recht auf die werden. Dieser Wust an Bürokratie muss beseitigt wer- steuerlichen Punkte hingewiesen: Sonderabzug für Stif- den. tungen und die Möglichkeit – Kollege Stiegler hat es ebenfalls erwähnt –, die 40 000 DM je nach Zweck dif- (Beifall bei der F.D.P.) ferenziert noch einmal um 5 oder 10 Prozent aufzusto- Die F.D.P.-Fraktion räumt in ihrem Entwurf dem Stifter cken. eine möglichst große Autonomie für die Durchsetzung Herr Kollege Bernhardt, ich darf jetzt ausdrücklich seines Stifterwillens ein, denn der Stifter stellt sein Geld den Stifterverband zitieren – es ist ja manchmal gut, und sein Vermögen zur Verfügung. wenn man die Unterlagen dabeihat –: Dieser Vorschlag, Während der Diskussion in den letzten fünf Jahren – unser Vorschlag hilft in erster Linie den Stiftungen mit Frau Vollmer hat das erwähnt – wurden vielfältigevielen Stiftern, zum Beispiel Bürgerstiftungen, um es in Überlegungen zum materiellen Stiftungsrecht ange- die Breite zu bringen. stellt. Es wäre daher besser gewesen, wenn die Bundes- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ regierung wie die F.D.P. eine umfassende Regelung des DIE GRÜNEN) Bundesstiftungsrechts vorgelegt hätte. Wir haben noch viele Fragen zu klären. Einige sind von Ihnen erwähnt Genau das, was uns hier bestätigt wird, war unser Ziel. worden. Ich will nur einige Stichworte nennen: Wie be- handle ich Familienstiftungen? Wie soll die Vermögens- Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht. Herr Kolle- ausstattung der Stiftungen generell aussehen? Bedarf es ge Fink, Sie haben die Briefe von Maecenata nicht ge- einer Stiftungsgenehmigung? Ist ein Stiftungsregister zu nau gelesen. Es war eine ausdrückliche Forderung von führen? Wie hat die Satzung der Stiftung auszusehen? Maecenata, im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht das Wie werden die Stiftungsorgane in Zukunft bestellt?zu tun, was wir getan haben, nämlich die Regelung auf Kann die Satzung auch noch nach dem Tode des Stifters alle gemeinnützigen Bereiche auszudehnen. geändert werden? Was muss bundeseinheitlich geregelt Mit dem Buchwertprivileg haben wir eine weitere werden, damit es keinen Flickenteppich im deutschenForderung der Maecenata und der Stiftungsverbände re- Stiftungsrecht gibt? Ich bin sicher, dass wir bei zukünf- alisiert. Ich kann nur sagen: Hier ist es künftig möglich, (B) tigen Beratungen über das materielle Stiftungsrecht auf aus betrieblichen Vermögen einer gemeinnützigen Stif-(D) den Entwurf der F.D.P.-Fraktion zurückkommen wer-tung zu spenden, ohne dies als verdeckte Gewinnent- den, auch wenn Sie ihn heute ablehnen. nahme – das war doch unter Ihrer Regierungszeit so – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. versteuern zu müssen. Das ist der wichtige Reform- schritt – auch von den Stiftungsverbänden gefordert. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Herr Kollege Lammert, in diesem Zusammenhang stimme ich Ihnen zu: Die Umsatzsteuerproblematik, Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort die – wie uns das Finanzministerium sagt – eine europä- dem Kollegen Jörg Tauss von der SPD-Fraktion. ische Problematik ist, müssen wir in den Griff kriegen. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Jetzt Hier wollen wir nochmals eine Aufforderung zur Prü- kommt wieder ein dynamischer Auftritt!) fung an die Bundesregierung richten. Dann können die Stiftungen bis zu einem Drittel ihrer Jörg Tauss (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- Erträge zur Sicherung des Stiftungskapitals zurücklegen. ehrten Damen und Herren! Ich bemühe mich immer um Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt, Kollege Fink, ei- einen dynamischen Auftritt. Sie haben doch heute Mor- ne Forderung von Maecenata. gen Posaunenklang verlangt, Kollege Otto; also liefern Wir fördern im Bereich des Stiftungsgedankens alles, wir den hier noch ein bisschen. Wir haben gehört, dass was die AO vorsieht: Wissenschaft, Forschung, Bildung, die grüne Seele jubiliert. Ich kann allen, die hier heute Erziehung, Kultur, Religion, Völkerverständigung; es gesprochen haben, nur zustimmen: Es ist heute nicht nur gibt die Förderung der Jugend- und der Altenhilfe, des ein schöner Frühlingstag, sondern auch ein schöner Tag Wohlfahrtswesens und die allgemeine Förderung des für das Stiftungswesen in Deutschland. Das wollen wir demokratischen Staatswesens. Letzteres ist nach den einmal festhalten. Skandalen, die Sie in diesem Land abgeliefert haben, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ besonders wichtig, meine sehr verehrten Damen und DIE GRÜNEN) Herren. Wir können – das haben wir bereits nach der ersten Le- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sung im Dezember sagen können – auf dieses Ergebnis DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8911

Jörg Tauss (A) Jetzt geht es darum, diese neuen Chancen zu nutzen. könnte euch ja ausnahmsweise ganz gut anstehen, meine (C) Ein Drittel der Erträge aus Stiftungen fließen schon heu- Damen und Herren. te in die Bereiche Bildung und Forschung. Das freut (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mich als Bildungs- und Forschungspolitiker natürlich DIE GRÜNEN – Siegfried Hornung [CDU/ ganz besonders, und als Kulturpolitiker füge ich hinzu: CSU]: Meinen Sie nicht, dass Eigenlob Ein großer Teil der Erträge geht schon heute an kulturel- stinkt?) le Einrichtungen. Auch das kann nicht hoch genug ge- würdigt werden. Das wollen wir noch ausweiten. – Das ist nicht ein Eigenlob, das stinkt. Wenn man Er- folge hat, soll man darüber auch reden. Gutes tun und (Beifall bei der SPD) darüber reden, das gilt in der Politik genauso wie an an- Wir haben in vielen gemeinnützigen Bereichen gro- deren Stellen. ßen Handlungsbedarf. Allen, die da Sorgen haben, sage ich: Dies kann und darf selbstverständlich nicht dazu führen, dass der Staat gesellschaftliche Aufgaben fallen Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Tauss, ge- lässt, statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jörg Tauss (SPD): Aber bitte schön, lieber Kollege auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer falsch ver-Lammert. standenen Subsidiarität, dass er an falschen Stellen spart und die Verantwortung für Vorsorgeaufgaben auch im Bereich Kultur, Forschung, soziale Aufgaben der Zufäl- Dr. Norbert Lammert(CDU/CSU): Herr Kollege ligkeit des Vorhandenseins privater Sponsoren überlässt. Tauss, darf ich in Ihrer überbordenden Begeisterung für Das kann nicht unser Ziel sein. Hier unterscheiden wir e ine möglichst kraftvolle, in diesem Zusammenhang uns wahrscheinlich ein Stück weit von dem neoliberalen steuerliche Unterstützung von Stiftungen e ntnehmen, Teil der F.D.P., meine Damen und Herren. dass Sie doch noch ernsthaft beabsichtigen, die nicht allgemeinen, sondern konkreten Änderungsanträge zur (Beifall bei der SPD) Verbesserung des Steuerrechts, die wir dem Hohen Hau- Nein, Staat und Gesellschaft können und müssen die se gleich in namentlicher Abstimmung vorlegen, mit Chance fördern, dass privat finanzierte gemeinnützige Zustimmung versehen zu lassen? Stiftungen Ergänzungsfunktionen zu Aufgaben der öf- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – fentlichen Hand auch im Gemeinnützigkeitsrahmen Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Das wahrnehmen. Den von uns gewünschten Stiftungen wollen wir doch hoffen!) (B) kommt diese Funktion ausdrücklich zu. In dem Rahmen, (D) den ich genannt habe, können jetzt wünschenswerte Pro- jekte für das Gemeinwohl auf den Weg gebracht wer- Jörg Tauss (SPD): Lieber Kollege Lammert, in den. Es ist festzustellen, dass der Bedarf in weiten ge-neun Monaten ist Weihnachten; die Zeit, in der man meinnützigen sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen Wünsche äußern kann, naht also. Aber momentan sehen und ökologischen Bereichen stärker wächst als die Mög- wir uns dem Frühling des Stiftungswesens gegenüber. lichkeit des Staates, in all diesen Bereichen das Wün- Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Es gibt schenswerte und Notwendige tatsächlich auch zu finan- noch weitere Punkte, die wir verbessern können. Nur, zieren. Hier erhoffen wir uns von der Verbreiterung des wir sind eben in der Situation – darauf müssen uns die Stiftungsgedankens eine Verbreiterung der Chance, neue Menschen, die im Finanzministerium Verantwortung Projekte finanzieren zu können. tragen, immer wieder aufmerksam machen –, dass wir Kollege Lammert, Sie haben ja heute Morgen einnach 16 Jahren unter Ihrer Regierung einenSchulden- bisschen über Ihre Erfolge reden wollen. Das ist natür- berg vorfinden, der zu meinem großen Bedauern dazu lich nicht ganz einfach, wenn man wenig vorzuweisen führt, dass wir nicht alles das, was in diesem Bereich hat. steuerlich wünschenswert ist, realisieren können. (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- Nicht alles von dem, was Sie uns heute vorlegen, ist NIS 90/DIE GRÜNEN]) im Übrigen sinnlos. Vieles ist ja von den Stiftungsver- bänden vorgeschlagen worden; da brauchten Sie nur ab- Sie haben 16 Jahre lang überwiegend eben doch nur ver- zuschreiben. Ich würde gerne in diesen Punkten vorstel- tröstet. Sie haben die potenziellen Stiftungen und dielig werden, aber leider erlaubt dies die Situation, die Sie Stiftungsverbände bitter enttäuscht. Das, was Sie hieruns hinterlassen haben, noch nicht. Aber seien Sie guten vorgetragen haben, waren für mich nicht die Reform-Mutes: Sobald wir in den Kassen wieder Geld finden – schritte. Es waren nicht Nägel mit Köpfen. Nein, diewir sind ja sehr solide bei dem Vorhaben, die Finanzen sind jetzt eingeschlagen worden. zu konsolidieren –, werden wir mit Ihnen weiter über die Neid ist angesprochen worden. Herr Kollege Verbesserung des Stiftungswesens diskutieren. Ich ver- Grasedieck, ich halte es nicht für eine gute Tugend,spreche Ihnen das an dieser Stelle; wir halten das auch wenn die Opposition neidisch ist. Aber Sie könnten jetzt ein. wenigstens mit uns fröhlich sein und sagen: Ihr habt et- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ was geschafft; wir loben diese Bundesregierung. – Das DIE GRÜNEN) 8912 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Jörg Tauss (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will danke noch negativ gesehen wird ,zerstreut werden. In- (C) mich übrigens noch einmal ausdrücklich bei dem Kolle- sofern macht dies den Weg wirklich frei. gen Jörg-Otto Spiller bedanken. Wie er hier zitiert wor- Der nächste Punkt betrifft dasStiftungsregister. Ich den ist, das war nicht fair. Der Kollege Spiller als der bin da völlig leidenschaftslos. Wir brauchen die Mitwir- Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe im Bereich Finanzen kung der Länder auch in diesem Bereich. Deshalb kann hat alles getan, damit das, was wir anstoßen wollten, tat- ich nur an den Bundesrat appellieren – die Bundesrats- sächlich auf den Weg gebracht wurde. Insofern war die- bank ist heute nicht so furchtbar stark besetzt –: Machen se Kritik nicht gerechtfertigt. Sie mit! Ich bin mal gespannt, Herr Otto, ob Hessen und (Beifall bei der SPD) Rheinland-Pfalz – das sind ja die beiden verbliebenen Länder, in denen Sie noch mitregieren dürfen – dazu ein Der zivilrechtliche Teil ist schon an unterschiedlichen paar Initiativen einbringen. Stellen angesprochen worden. Auch diesbezüglich sind wir in einer sehr guten Diskussion mit der Justizministe- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Ba- rin. Der Finanzminister und die Justizministerin unter- den-Württemberg haben wir auch noch!) stützen uns in diesem Bereich. – Ach, Baden-Württemberg habe ich vergessen. Wie Aber machen wir uns, was diesen Teil angeht, doch heißt euer Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg? nichts vor: Wir sind darauf angewiesen, mit den Ländern (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: zu reden. Das tun wir. Deswegen ist eineArbeitsgrup- Döring heißt der!) pe des Bundes und der Länder zur Reform des Stiftungs- rechts eingesetzt worden. Hochverehrter Kollege Funke, – Ja, ich hatte es vergessen, Entschuldigung! Herr ich habe noch einmal im „Kürschner“ nachgeschaut,Döring wäre ja durchaus in der Lage, etwas zu tun. was Sie in den letzten Jahren getrieben haben. Da steht Herr Kollege Lammert, lesen Sie noch einmal nach, doch allen Ernstes, dass Sie Staatssekretär im Justizmi- was damals zu den Reformen, die Sie wollten, gesagt nisterium waren. Verflixt noch mal, wer hat Sie dennworden ist. Staatssekretär Hauser hat gesagt – das war daran gehindert, in dieser Zeit mit den Ländern all das das Ergebnis der Anhörung damals –: Wir verbessern zu machen, was Sie uns heute so großartig vorgetragen vielleicht die Durchlaufspenden. – Aber noch nicht ein- haben? mal diesen Punkt haben Sie während Ihrer Regierungs- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem zeit in Angriff genommen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!) Ich bin ja völlig verblüfft. Da müssen wir noch einmal in Wir dagegen erledigen das ganz ohne Getöse im Bun- (B) den alten Aktennotizen nachschauen. Es werden ja hof- desrat so nebenbei. (D) fentlich nicht alle Ordner in den Ministerien, die wir übernommen haben, verschwunden sein. Also gucken (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wir doch noch einmal, was Sie in diesem Bereich ge- Aber um versöhnlich zu werden – ich sage es noch macht haben! einmal, Herr Lammert –: In neun Monaten ist schon (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem wieder Weihnachten, die Zeit der Freude bricht an. Sie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können Wünsche äußern. Freuen Sie sich über unseren Erfolg! Zerreden sie ihn nicht! Freuen wir uns heute Kollegin Vollmer hat viele wichtige Punkte ange-über den Frühling im Stiftungsrecht, den wir Ihrem kal- sprochen und darauf hingewiesen, dass wir ein Recht auf ten Winter folgen lassen. Stiftung verankern wollen. Frau Ministerin, ich glaube, damit würden wir niemandem wehtun, aber könnten ein Meine Damen und Herren auf den Zuschauertribü- Signal setzen für diejenigen, die bereit sind, für die Ge- nen, freuen Sie sich mit. Sie haben heute live ein schö- sellschaft etwas zu realisieren. nes Stück Politikgestaltung in Deutschland erlebt. Da- rauf sind wir stolz. Noch einen schönen Tag in Berlin! Sie haben vorhin müde Ihr Haupt geschüttelt, als Frau Vollmer Transparenz eingefordert hat – als ob das et- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ was Schädliches wäre! Nicht alle Stiftungen, insbeson- DIE GRÜNEN – Zurufe von der F.D.P.: He- dere jene, die von der CDU eingerichtet worden sind, lau!) haben sich durch Transparenz ausgezeichnet – das ist schon richtig –, aber Sie brauchen sich in dem Zusam- Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat Kollegin menhang keine Sorgen zu machen: Rita Süssmuth von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es wie- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der solider!) Die Stiftungsverbände fordern ausdrücklich ein Mehr an Transparenz für die Stiftungen, weil, so sagen sie, mehr Dr. Rita Süssmuth(CDU/CSU): Herr Präsident! Transparenz dazu führt, dass der Stiftungsgedanke nicht Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Tauss, ich habe desavouiert wird, und dazu beiträgt, dass die Bedenken den Eindruck, die Posaune hat ein solches Getöse verur- der Beamten in den Behörden dort, wo der Stiftungsge- sacht, dass man überhaupt keine Töne mehr gehört hat. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8913

Dr. Rita Süssmuth (A) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und gen privaten Rechts gewährt und nicht – wie bei anderen (C) der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Wer Oh- Begünstigungen – auch für Zuwendungen an andere ren hat, der höre!) steuerbegünstigte Stiftungen. Ist es wirklich Absicht des Gesetzgebers, dass die der Zahl nach häufiger vorkom- Offenbar ist Getöse notwendig, damit niemand auf die menden nicht rechtsfähigen Stiftungen mit der Unsi- Idee kommt, das zu kritisieren, was zu kritisieren ist. Ich cherheit leben müssen, ob sie als Stiftungen privaten habe den Eindruck, das richtige Denken und WissenRechts anzusehen sind oder nicht? vorzubringen ist immer einfacher, als das Richtige zu entscheiden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [F.D.P.]: Was Es bleibt dabei: Es gibt keinen Neid über die ist mit den kirchlichen Stiftungen?) 40 000 DM. Mehrere Mitglieder meiner Fraktion haben gesagt: Dem stimmen wir zu. Es ist ein Fortschritt. Da- – Die sind ja hier berücksichtigt. Das ist eben schon ge- ran gibt es nichts zu kritisieren. Aber gemessen an den sagt worden. Ansprüchen, die in der Reformdiskussion der letzten Wahlperiode gestellt wurden – das sage ich mit aller Jetzt möchte ich auf den Grundansatz eingehen. Deutlichkeit –, sind wir ganz am Anfang. Wenn wir der Überzeugung sind, Stiftungen erfüllten eine wesentliche Ergänzungs- und Innovationsfunktion – Kollegin Vollmer, es ist richtig: Es gibt einverän- auch im Gesetzentwurf der SPD stehen neue soziale und dertes Stiftungsklima. Aber wir Abgeordnete sollten kulturelle Projekte im Vordergrund –, dann müssen wir uns nicht einbilden, wir hätten es erzeugt. Es gibt mit in den Entscheidungen, die wir treffen, auch das Ziel Deutschland – das möchte ich ganz nachdrücklich sa-erreichen. gen – trotz zunehmender Verstaatlichung, Bürokratisie- rung und der Grenzen der staatlichen Möglichkeiten eine Wenn der Fiskus in erster Linie immer damit argu- Bürgerschaft, an deren Engagement wir uns messen soll- mentiert, was dem Staat entgeht, dann kann ich darauf ten. Die Bürger sind weiter als wir mit unseren Reform- nur entgegnen, dass wir weit mehr gewinnen würden, entscheidungen. wenn wir nicht ständig rechneten, was uns entgeht, son- dern überlegten, was an Mitteln freigesetzt würde, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wir einen größeren Schritt wagen würden. Wir müssen uns mehr und mehr fragen, ob wir diesem Engagement eigentlich gerecht werden und ob wir es (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ausreichend unterstützen. der F.D.P.) Erstens. Wenn wir die unterstützenden Stellungnah- Hier zeigt sich ganz deutlich – ich komme noch ein- (B) men des Stifterverbandes Maecenata zur Kenntnis ge-mal auf das Maecenata-Institut zurück –, dass die Be-(D) nommen haben, dann sollten wir auch die Stimmen aus rechnung, dem Staat entgehe eine Milliarde, durch den anderen Organisationen hören, die uns nachdrück- nichts belegt ist. Es gibt überhaupt keine quantifizieren- lich auffordern: Nur dann, wenn ihr Zivilrechtund den Berechnungen. Steuerrecht konsequent miteinander verbindet, schafft (Beifall der Abg. Dr. Antje Vollmer [BÜND- ihr jene Bürgergesellschaft, für die ihr in euren Gesetz- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Jörg Tauss [SPD]: entwürfen eintretet. Sie können es aber auch nicht widerlegen!) Deswegen muss man wissen: Solange wie im Zivil- recht festgelegt ist – ich weiß, dass hier Bund und Län- Deswegen kann ich nur sagen: Lasst es uns doch end- der höchst unterschiedlicher Meinung sind –, dass der lich wagen, Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkom- Staat der beste Reglementierer ist und dass seine Ein-men und Vermögen gemeinwohlorientiert entscheiden sicht in jedem Falle höher zu bewerten ist als Freiheitzu lassen! Hemmen wir sie nicht ständig! Wir sprachen und Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, so lan- eben von Neid. Ich halte diese Diskussion um die klei- ge wird das bürgerschaftliche Engagement eher blo-neren Bürgerstiftungen und die größeren Vermögen für ckiert als gefördert. Deswegen brauchen wir die Einheit völlig abwegig. Machen wir beides! Wir können dabei von Zivil- und Steuerrecht. nur gewinnen und nicht verlieren. Zweitens. Wenn der jetzt vorliegende Gesetzentwurf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und verabschiedet ist, zweifle ich sehr – das weiß ich aus ei- der F.D.P.) genem Regierungshandeln –, ob in dieser Wahlperiode Nun noch einmal zu der Frage: Was ist an diesem noch ein weiteres Gesetz folgen wird. Es wird nicht weit zivilrechtlichen Teil so wichtig? Ich glaube, dass die über den jetzigen Diskussionsentwurf hinausgehen. Da- Gesetzentwürfe, zum Beispiel jener der Grünen oder mit fördern wir nicht die Aktivitäten, sondern lähmenjener unserer Fraktion, darin übereinstimmen, dass sie sie. einfach, übersichtlich, transparent, bürgerfreundlich und Das Dritte, das für unsere Auseinandersetzung ent-gemeinwohlorientiert sind. Dass es darin Missbrauchs- scheidend ist, ist die Frage: Wie gehen wir mit den ver- tatbestände gibt, weiß jeder und auch, dass wir sie schiedenen Organisationen und Gruppierungen um? Mir so weit reduzieren müssen wie eben möglich. Aber dass ist es im Augenblick wichtig, dass wir es auf den privat- wir vor lauter Angst vor Missbrauchdie Menschen rechtlichen Teil beschränken; denn der zusätzlicheüberhaupt erst gar nicht handeln lassen, ist für jede Spendenabzug wird nur für Zuwendungen an Stiftun- Bürgergesellschaft kontraproduktiv. 8914 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Rita Süssmuth (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Stück weit bewährt auch als Lobby, als Lobby für dieje- (C) der F.D.P.) nigen, die immer gedrängelt haben. Es ist eben gefragt worden, was in Baden-Würt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) temberg passiert. Wenn es überall in den Bundesländern Machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht diesen so viel an Initiativen im Bereich von Vereinen, Stiftun- Ausschuss gegeben hätte – hier möchte ich ausdrücklich gen und gemeinwohlorientierter Arbeit gäbe, dann wä- alle Fraktionen einschließen –, dann wäre diese Reform ren wir in der Bundesrepublik schon weiter und sozial- nicht so in Gang gekommen und dann wären wir nicht kulturell innovativer. Dann würden wir uns nicht ständig an dieser Stelle. Dann würden wir – wie Herr Lammert blockieren. das vorgeschlagen hat – noch zwei Jahre warten müssen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bis auch alle anderen Fragen geklärt sind. Aber genau der F.D.P.) das wollen wir nicht. Wir wollen jetzt schon wenigstens einen Schritt machen und etwas vorantreiben. In diesem Sinne möchte ich noch einmal am Ende sa- gen: Es ist in der Tat ein kleiner und weiterer wichtiger (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schritt, aber es ist nicht die überfällige Stiftungsreform, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) für die wir gearbeitet haben und die die Bürgerschaft Herr Otto, ich möchte noch etwas zu Ihnen sagen: längst erwartet. Wenn Sie das nächste Mal Zitate als altdeutsche Zitate (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Wir gehen peu à darstellen – „nicht kleckern, sondern klotzen“ –, zitieren peu voran!) Sie lieber nicht den Panzergeneral Guderian, der das beim Überfall auf Frankreich gesagt hat, sondern suchen Deswegen ist es meine Hoffnung – ich möchte sieSie sich ein anderes Sprichwort, das in dem Zusammen- nicht aufgeben –, dass wir in dieser Wahlperiode viel- hang besser passt. leicht doch noch das eine tun und das andere nicht las- sen. Nur wenn wir diesen Schritt im Konzept der Steuer- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) reform gehen, wird die neue Sozialstaatlichkeit reform- Wir hoffen, dass es nicht bei den 250 Milliarden DM fähig werden. Bisher sind wir noch sehr auf den altenbleibt, sondern dass auch ein Teil von den Pfaden und haben immer noch davor Angst, dass wir es 5 Billionen DM, die auf Konten irgendwo herumliegen, anders als bisher machen könnten und dass für alles soziale und ökologische Zwecke, für die Förderung schlechter würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Bürger der Künste und für die Kultur mobilisiert wird. Es scha- wissen längst, dass wir neue Wege einschlagen müssen. det aber auch nichts, wenn man nicht nur den Betrag Dem sollten wir folgen. stiftet, der steuerlich absetzbar ist, sondern vielleicht (B) Danke. noch ein bisschen obendrauf packt. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dabei können wir uns vielleicht durch die Debatte be- flügelt sehen und uns ein Beispiel an dem angelsächsi- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- schen Raum nehmen. Dort gibt es Stiftungen, bei denen gin Monika Griefahn, SPD-Fraktion, das Wort. es nicht nur um die steuerliche Absetzbarkeit geht. Ich denke zum Beispiel an Herrn Gates, der mal eben Monika Griefahn (SPD): Herr Präsident! Meine lie- 1 Milliarde Dollar für ein Projekt spendet. Bei uns gibt ben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir habenes – gerade auch in dieser Branche – Leute, die sehr viel heute eine richtig frühlingshaft beschwingte Debatte ge- Geld verdienen und auch ein wenig mehr Geld zur Ver- habt gemäß dem Motto: Wir haben einen Stiftungsfrüh- fügung stellen könnten als nur das, was sie von der Steu- ling. Das ist das Schöne an der Debatte, die wir seit ei- er absetzen können. Das sollte man nicht unterdrücken. nem Jahr führen, dass nicht nur hier im Parlament, son- dern eben auch in der Gesellschaft das Stiftungsrecht (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des bzw. das Stiften wieder diskutiert wird. Das ist das ei- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gentlich Wichtige an der Situation. Ich sehe, dass Stiftungen in diesem Lande auch bis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lang schon sehr engagiert gearbeitet haben. Ich denke Noch etwas Schönes ist für uns heute festzustellen: hier an Firmenstiftungen wie die von Bertelsmann oder Wir beschließen heute das erste Gesetz, das der neueVW, die tatsächlich mitgeholfen haben, Dinge voranzu- Ausschuss für Kultur und Medien in diesem Hohenbringen. Hause betreut und begleitet hat. Ich bin sehr froh da- Aber was fehlt, sind nicht die großen Stiftungen, son- rüber, dass wir das mit einem positiven Ergebnis und ei- dern die kleinen. Es geht um die Leute, die vielleicht ein ner guten Debatte abschließen können. bisschen über den Durst haben, aber sagen: Wenn ich noch einen steuerlichen Anreiz wie diese 40 000 DM (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bekomme, gebe ich das Geld; sonst überlege ich mir, ob Die Reformierung des Stiftungsrechts ist überfällig. ich es auf die hohe Kante lege. Das ist die Grundlage Wir wollen bürgerschaftliches Engagement. Das wird für kleinere Stiftungen, für Bürgerstiftungen, für das, jetzt beflügelt. Der neue Ausschuss hat sich darin einwas sich im sozialen Engagement, in einem kleinen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8915

Monika Griefahn (A) Kulturzentrum, in örtlichen Initiativen niederschlägt. Ich men, denn dann würden durch di eneuen Arbeitsplätze, (C) glaube, das ist das Wesentliche, das wir hier mit auf den die durch diese dann entstehenden Stiftungen tatsächlich Weg bringen: nicht nur die großen, sondern gerade die geschaffen würden, auf der anderen Seite enorme Steu- kleinen Einheiten. ermehreinnahmen kommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Ich wünsche mir auch, dass sich die Unternehmen,Das darf man ja nicht vergessen. 1 Milliarde DM Steu- die zum Beispiel Stiftungen in den USA unterstützen – erausfälle entsprächen 4 Milliarden DM, die tatsächlich ich habe gerade gehört, dass eine große Stiftung eines gestiftet würden, und mit diesem Geld würde ja etwas deutschen Unternehmens 20 Millionen an eine Universi- getan. Dieses, was getan würde, müssen wieder Leute tät in den USA gibt –, auch wieder hier engagieren und tun. hier etwas unterstützen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Präsident Wolfgang Thierse: Kollegin Griefahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Otto? Ich wünsche mir, dass gerade diese Unternehmen, die immer sagen: Wir wollen nicht stets auf den Staat schauen, jetzt erklären: Wir gründen Stiftungen an den Monika Griefahn (SPD): Ja, natürlich. Immer, ger- Sitzen unserer Tochterunternehmen und unterstützenne. dort zum Beispiel das örtliche Goethe-Institut oder die örtliche soziale Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger aus unserem Land. Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): Liebe Frau Kollegin Griefahn, darf ich Sie um Ihre Unterstüt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zung bitten? Das werden wir damit hoffentlich ein Stück voranbrin- Die hessische Landesregierung unter Beteiligung der gen können. F.D.P. hat einen sehr vernünftigen Entwurf für eine Stif- Ich denke, entscheidend ist, was auch Frau Vollmer tungsrechtsreform in den Bundesrat eingebracht. Ihre ausgeführt hat, nämlich dass wir das Klima verändertKollegen in der hessischen SPD bekämpfen diesen Ge- haben, dass Stiften oder Spenden nicht mehr etwas Ne- setzentwurf, obwohl er zu weiten Teilen mit dem über- gatives ist, was man am besten hinter vorgehaltenereinstimmt, was Sie hier fordern. Nehmen Sie bitte zur Hand tut. Deswegen hat das reformierte Stiftungsrecht Kenntnis, dass wir als F.D.P. in Hessen unsere Aufga- eine Doppelwirkung, es hat nämlich eine kulturpoliti-ben erledigt haben. (B) (D) sche und eine gesellschaftspolitische Funktion. Beide, Darf ich Sie darum bitten, dass Sie einmal mit Ihren Staat und Gesellschaft, Menschen, die den Staat bilden, hessischen Kolleginnen und Kollegen reden, damit sie sollen zusammenarbeiten. Der Staat bietet den Rahmen auf die Linie einschwenken, die Sie heute dargestellt ha- und die Menschen engagieren sich selbst. Genau hierfür ben, und nicht diese Neidkomplexe, die in den letzten müssen wir den nächsten Schritt gemeinsam mit denMonaten zutage getreten sind, pflegen? Ländern vorbereiten. Die Frau Justizministerin hat be- reits zu der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingeladen, (Beifall bei der F.D.P.) damit dies vorankommt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Monika Griefahn (SPD): Herr Kollege Otto, ich sag- te Ihnen ja bereits: Die Frau Justizministerin hat zu ei- Das ist der entscheidende Punkt. Es darf nicht immernem Bund-Länder-Gespräch eingeladen. Ich bin sehr nur Misstrauen und das Gefühl geben, wir würden nichts daran interessiert, dass wir dadurch zu gemeinsamen Li- machen. Wir sind vielmehr auf dem Wege, wir arbeiten nien kommen. daran. Sie werden sicherlich davon ausgehen können, dass auch der Kulturausschuss sehr darauf achten wird, Ich sagte, wir werden mit unseren Kollegen in den dass es vorangeht. Wir werden natürlich auch mit unse- Ländern sprechen, damit wir ein gemeinsames Konzept ren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern darüber tatsächlich voranbringen und nicht wieder alles zer- sprechen. reden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Jörg Tauss [SPD]: Hessen hat das abgelehnt in der Innenministerkonferenz!) Ich bitte auch die Damen und Herren der CDU und der F.D.P., in ihren Ländern noch einmal engagiert dafür – Ja, genau. Herr Tauss sagte gerade, Hessen hat dies im zu werben, denn die Länder sind diejenigen, die sich im Bundesrat abgelehnt. Das ist doch ein interessanter Moment am schwersten damit tun, das Stiftungsgesetz Punkt. voranzubringen, weil sie sagen: Vielleicht haben wir Ich denke, wir sollten – weil es im Moment ja so sehr auch noch Steuerausfälle. Da geistern dann astronomi- in ist, amerikanisch zu sein – uns noch einmal auf ein sche Zahlen durch die Gegend – 1 Milliarde DM, Wort von Kennedy besinnen, der gesagt hat: 3 Milliarden DM, 5 Milliarden DM. Ich kann nur sagen: Wie froh wäre ich, wenn diese Steuerausfälle in diesem Frage nicht immer, was das Land für dich tut. Fra- Falle rein durch die Stiftungsrechtsreform zustande kä- ge, was du für das Land tun kannst. 8916 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Monika Griefahn (A) In dem Sinne hoffe ich, dass sich viele beteiligen. Viertens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil er (C) so, wie er vorliegt, einen Meilenstein Ihres politischen Herzlichen Dank. Weges darstellt. Langfristig geht es Ihnen – dies beweist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die eichelsche Sparpolitik – um den Abbau von DIE GRÜNEN) Staatsausgaben für soziale und kulturelle Zwecke. ( V o r s i t z : Vizepräsidentin ) Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- An die Stelle einer von der öffentlichen Hand finanzier- sprache. ten sozialen und kulturellen Grundversorgung sollen Bevor wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf Stifter, Spender und Mäzene treten. Sie selbst verweisen der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Diein Ihrem Gesetzentwurf ausdrücklich auf die Grenzen Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von Stif-der Steuerfinanzierung dieser Aufgaben und stellen sich tungen in der Ausschussfassung auf Drucksachelangfristig auf leere Kassen ein. Man muss feststellen: 14/3010 Nr. 1 kommen, erteile ich der Kollegin Barbara Sie organisieren sich Ihre eigene Handlungsunfähigkeit Höll, PDS-Fraktion, das Wort zur Abgabe einer persön- durch Ihre Steuerpolitik. Ich verweise nur auf die Unter- lichen Erklärung zur Abstimmung. nehmensteuerreform. (Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- GRÜNEN]: Ist das eine Erklärung zur Ab- men und Herren! Ich möchte begründen, warum ich ge- stimmung?) gen den Gesetzentwurf der SPD und der Grünen stimme, Ich stimme dagegen, weil Ihr Gesetzentwurf so, wie obwohl und gerade weil ich mir der Bedeutung und des er zustande kam, eine Art politischen Tauschhandels Wertes von Stiftungen sowie der gemeinnützigen Tätig- darstellt, den man nicht mittragen kann. keit verschiedenster Art überhaupt sehr wohl bewusst bin. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, Ihre Ich meine, Ihr Gesetzentwurf ist in der jetzigen Form Redezeit ist abgelaufen. Im Übrigen weise ich darauf nicht geeignet, den Erfordernissen der Zeit gerecht zuhin, dass Sie im Rahmen einer Erklärung zur Abstim- werden. Ich lehne ihn ab, weil er sich erstens ausschließ- mung keinen Sachbeitrag leisten dürfen. lich auf die steuerlichen Regelungen beschränkt und den Hauptmakel des deutschen Stiftungswesens, dieIn- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem transparenz, nicht beseitigt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Höll [PDS]) (B) Ich stimme dagegen, weil Erfahrungen, wie sie aus (D) dem Musterland des Stiftungsrechts, den USA, vorlie- – Wir sind da an der Grenze. Sie haben das Wort, aber gen, überhaupt nicht genutzt wurden. Es hat sich näm-bitte kommen Sie zum Schluss. lich gezeigt, dass deren Stiftungsrechtsreform von1969 mit den zivilrechtlichen Regelungen die Schwächen Dr. Barbara Höll (PDS): Ich möchte diesen Gedan- ausgelöscht hat, deren Behebung Sie sich heute durch ken abschließen: Sie haben die Vermögensteuer, womit ein bisschen Änderung des Steuerrechts erhoffen. eine leistungsgerechte Besteuerung in der Bundesrepu- Ich stimme zweitens dagegen, weil Sie, wenn Sie sich blik wieder erreicht werden sollte, gegen freiwillige schon auf das Steuerrecht beschränken, dieses auch noch Spenden ausgetauscht. schusselig gemacht haben. Die möglichen steuerlichen (Susanne Kastner [SPD]: Schluss jetzt!) Missbrauchstatbestände wurden nicht ausgeräumt. Ich möchte Sie hier ausdrücklich auf die Abgabenordnung Dies kann ich nicht mittragen. verweisen, nach der eine gemeinnützige Stiftung bis zu Ich bedanke mich. einem Drittel ihres Einkommens steuerfrei zum Unter- halt des Stifters oder seiner Familienangehörigen ver- wenden kann. Das bedeutet eine steuerfreie Alimentie- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Meine Damen und rung. Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über den Ge- setzentwurf der Fraktionen von SPD und Bündnis Drittens lehne ich diesen Gesetzentwurf ab, weil mit 90/Die Grünen zur weiteren steuerlichen Förderung von dem wichtigen Prinzip der steuerlichen Berücksichti- Stiftungen in der Ausschussfassung auf Drucksa- gung gemeinnützigen Engagements gebrochen wird. che 14/3010 Nr. 1. Dazu liegen vier Änderungsanträge Es geht nicht mehr ausschließlich um den Zweck bei der der Fraktion der CDU/CSU vor, über die wir zuerst ab- steuerlichen Ermäßigung, sondern Sie bevorzugen hier stimmen. eindeutig nur ein Engagement im Bereich des Stif- tungswesens. Sie erreichen damit eine Verschiebung auf Änderungsantrag auf Drucksache 14/3014. Die Frak- dem Spendenmarkt. Wie in der Debatte heute betonttion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. wurde, drängt sich in Verbindung mit den Regelungen zur Erbschaftsteuer der Verdacht auf, dass es bei Ihrem Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Gesetzentwurf in einem nicht unerheblichen Maße um vo rgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urn en einen steuerfreien Vermögenstransfer geht. besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8917

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineÄnderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck- (C) Stimme noch nicht abgegeben hat? – Alle haben ihresac he 14/3016. Wer stimm tfür diesen Änderungsan- Stimmkarte abgegeben. Ich schließe die Abstimmung. trag? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstim- Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen mung wird Ihnen später bekannt gegeben. Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 14/3014 unterbreche ich für einige Minuten die Sitzung. Wir setzen die Beratung mit Abstimmungen fort. (Unterbrechung von 11.07 bis 11.11 Uhr) Wir stimmen über weitere Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion ab. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck- sache 14/3013. Wer stimmt für diesen Änderungsan- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Derführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab- Änderungsantrag ist abgelehnt. stimmung über den Ä nderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 14/3014, zum Gesetzentwurf Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion auf Druck- zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen auf sache 14/3015. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – den Drucksachen 14/2340 und 14/3010 Nr. 1 bekannt: Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Auch dieser Ände- Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 214, rungsantrag ist abgelehnt. mit Nein haben gestimmt 321.

Endgültiges Ergebnis Thomas Dörflinger Dr. Harald Kahl Marie-Luise Dött Bartholomäus Kalb Günter Nooke Abgegebene Stimmen: 533 Hansjürgen Doss Dr.-Ing. Dietmar Kansy Franz Obermeier ja: 213 Irmgard Karwatzki Friedhelm Ost nein: 319 Dr. Hans Georg Faust Norbert Otto (Erfurt) ungültig: 1 Albrecht Feibel Ulrich Klinkert Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Dr. Friedbert Pflüger Ja Norbert Königshofen (B) Dr. Gerhard Friedrich Eva-Maria Kors (D) CDU/CSU (Erlangen) Hartmut Koschyk Marlies Pretzlaff Dr. Hans-Peter Friedrich Thomas Kossendey (Hof) Rudolf Kraus Dr. Erich G. Fritz Dr. Martina Krogmann Helmut Rauber Jochen-Konrad Fromme Dr.-Ing. Paul Krüger Peter Rauen Dr. Jürgen Gehb Dr. Hermann Kues Christa Reichard (Dresden) Dr. Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Günter Baumann Georg Girisch () Hans-Peter Repnik Dr. Norbert Lammert Peter Götz Dr. Paul Laufs Dr. Dr. Sabine Bergmann-Pohl Kurt-Dieter Grill Werner Lensing Hannelore Rönsch Otto Bernhardt Peter Letzgus (Wiesbaden) Dr. Joseph- Horst Günther Ursula Lietz Franz Romer (Duisburg) Walter Link (Diepholz) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Carl-Detlev Freiherr von Eduard Lintner Dr. Klaus Rose Dr. Maria Böhmer Hammerstein Dr. Klaus W. Lippold Kurt J. Rossmanith Wolfgang Börnsen (Offenbach) Adolf Roth (Gießen) (Bönstrup) Hansgeorg Hauser Dr. Manfred Lischewski Dr. Christian Ruck Sylvia Bonitz (Rednitzhembach) Wolfgang Lohmann Volker Rühe Klaus-Jürgen Hedrich (Lüdenscheid) Anita Schäfer Dr. Michael Luther Dr. Wolfgang Schäuble Klaus Brähmig Manfred Heise Erich Maaß Hartmut Schauerte Dr. Ralf Brauksiepe Siegfried Helias (Wilhelmshaven) Heinz Schemken Hans Jochen Henke Karl-Heinz Scherhag () Gerhard Scheu Hartmut Büttner Joachim Hörster Dr. Martin Mayer Norbert Schindler (Schönebeck) Klaus Hofbauer (Siegertsbrunn) Christian Schmidt (Fürth) Cajus Caesar Dr. Andreas Schmidt (Mülheim) (Emstek) Klaus Holetschek Birgit Schnieber-Jastram Siegfried Hornung Dr. Gerd Müller Dr. Hubert Hüppe Bernward Müller () Reinhard Freiherr von Albert Deß Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Schorlemer Dr.-Ing. Rainer Jork (Bremen) Diethard Schütze (Berlin) 8918 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Gerhard Schüßler Monika Griefahn Dirk Manzewski (C) Dr. Christian Schwarz- Marita Sehn Achim Großmann Tobias Marhold Schilling Dr. Wolfgang Grotthaus Lothar Mark Heinz Seiffert Carl-Ludwig Thiele Karl-Hermann Haack Ulrike Mascher Jürgen Türk (Extertal) Bernd Siebert Dr. Hans-Joachim Hacker Heide Mattischeck Werner Siemann Klaus Hagemann Nein Manfred Hampel Ulrike Mehl Bärbel Sothmann Christel Hanewinckel Ulrike Merten Margarete Späte SPD Anke Hartnagel Wolfgang Steiger Klaus Hasenfratz Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Nina Hauer Ursula Mogg Dorothea Störr-Ritter Christoph Moosbauer Andreas Storm Ingrid Arndt-Brauer Reinhold Hemker Jutta Müller (Völklingen) Frank Hempel Christian Müller (Zittau) Matthäus Strebl Hermann Bachmaier Rolf Hempelmann Franz Müntefering Dr. Barbara Hendricks Dr. Rita Süssmuth Volker Neumann (Bramsche) Dr. Susanne Tiemann Dr. Hans Peter Bartels Monika Heubaum Dr. Edith Niehuis Edeltraut Töpfer Eckhardt Barthel (Berlin) Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Hans-Peter Uhl (Starnberg) Stephan Hilsberg Günter Oesinghaus Ingrid Becker-Inglau Gerd Höfer Leyla Onur Angelika Volquartz Wolfgang Behrendt Jelena Hoffmann (Chemnitz) Manfred Opel Andrea Voßhoff Dr. Walter Hoffmann Holger Ortel Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Werner Bertl (Darmstadt) Adolf Ostertag Gerald Weiß (Groß-Gerau) Friedhelm Julius Beucher (Wismar) Kurt Palis Annette Widmann-Mauz Frank Hofmann (Volkach) Albrecht Papenroth Heinz Wiese (Ehingen) Ingrid Holzhüter Dr. Willfried Penner Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (Heidelberg) Eike Maria Hovermann Dr. Klaus-Peter Willsch Christel Humme Georg Pfannenstein Klaus Brandner Brunhilde Irber Johannes Pflug Werner Wittlich Anni Brandt-Elsweier Gabriele Iwersen Dr. Eckhart Pick Dagmar Wöhrl Renate Jäger Karin Rehbock-Zureich Aribert Wolf Rainer Brinkmann (Detmold) Jann-Peter Janssen Dr. Carola Reimann Elke Wülfing Wolf-Michael Catenhusen Ilse Janz Margot von Renesse Wolfgang Zeitlmann Dr. Herta Däubler-Gmelin Volker Jung (Düsseldorf) Renate Rennebach (B) Wolfgang Zöller Dr. Johannes Kahrs Bernd Reuter (D) Christel Deichmann Ulrich Kasparick Dr. Edelbert Richter Susanne Kastner Reinhold Robbe F.D.P. Peter Dreßen Hans-Peter Kemper Gudrun Roos Rudolf Dreßler Marianne Klappert René Röspel Hildebrecht Braun Detlef Dzembritzki (Augsburg) Fritz Rudolf Körper Dr. Dr. Peter Eckardt Birgit Roth (Speyer) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Karin Kortmann Marlene Rupprecht Ludwig Eich Thomas Sauer Ulrike Flach Marga Elser Horst Friedrich (Bayreuth) Nicolette Kressl Gudrun Schaich-Walch Peter Enders Volker Kröning Dr. Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Angelika Krüger-Leißner Siegfried Scheffler Petra Ernstberger Horst Kubatschka Dieter Schloten Dr. Annette Faße Klaus Haupt Ernst Küchler Horst Schmidbauer Lothar Fischer (Homburg) Helga Kühn-Mengel (Nürnberg) Dr. Ulrich Heinrich Dr. Uwe Küster (Aachen) Iris Follak Ute Kumpf Silvia Schmidt (Eisleben) Walter Hirche Norbert Formanski Birgit Homburger Konrad Kunick (Meschede) Rainer Fornahl Werner Labsch Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Ulrich Irmer Hans Forster Dr. Klaus Kinkel Regina Schmidt-Zadel Brigitte Lange Heinz Schmitt (Berg) Dr. Heinrich L. Kolb Lilo Friedrich (Mettmann) Gudrun Kopp Christian Lange (Backnang) Harald Friese Detlev von Larcher Dr. Emil Schnell Jürgen Koppelin Anke Fuchs (Köln) Ina Lenke Christine Lehder Karsten Schönfeld Arne Fuhrmann Robert Leidinger Fritz Schösser Sabine Leutheusser- Monika Ganseforth Schnarrenberger Dr. Elke Leonhard Konrad Gilges Dirk Niebel Eckhart Lewering Iris Gleicke Günther Friedrich Nolting Christa Lörcher Gisela Schröter Günter Gloser Hans-Joachim Otto Götz-Peter Lohmann Dr. Mathias Schubert (Frankfurt) Renate Gradistanac (Neubrandenburg) Richard Schuhmann Günter Graf (Friesoythe) Erika Lotz (Delitzsch) Dr. Günter Rexrodt Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Brigitte Schulte Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dieter Grasedieck Winfried Mante (Hameln) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8919

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Reinhard Schultz Dr. Uschi Eid Dr. (C) (Everswinkel) (Wiesloch) Hans-Josef Fell Petra Bläss Volkmar Schultz (Köln) Dr. Ernst Ulrich von (Berlin) Maritta Böttcher Weizsäcker Katrin Dagmar Göring- Eva Bulling-Schröter Dr. R. Werner Schuster Jochen Welt Eckardt Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Rita Grießhaber Dr. Heinrich Fink Hildegard Wester Dr. Bodo Seidenthal Lydia Westrich Antje Hermenau Wolfgang Gehrcke Erika Simm Inge Wettig-Danielmeier Kristin Heyne Dr. Klaus Grehn Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Ulrike Höfken Uwe Hiksch Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Norbert Wieczorek Michaele Hustedt Dr. Barbara Höll Wolgast Jürgen Wieczorek (Böhlen) Monika Knoche Carsten Hübner Wieland Sorge Helmut Wieczorek Dr. Angelika Köster-Loßack Sabine Jünger Wolfgang Spanier (Duisburg) Dr. Evelyn Kenzler Dr. Margrit Spielmann Dieter Wiefelspütz Dr. Reinhard Loske Dr. Heidi Knake-Werner Jörg-Otto Spiller Heino Wiese (Hannover) Oswald Metzger Heidi Lippmann Ludwig Stiegler Brigitte Wimmer Klaus Wolfgang Müller Ursula Lötzer Rolf Stöckel (Karlsruhe) (Kiel) Heidemarie Lüth Rita Streb- Engelbert Wistuba Kerstin Müller (Köln) Dr. Reinhold Strobl Barbara Wittig Angela Marquardt Dr. Peter Struck Dr. Wolfgang Wodarg Christa Nickels Manfred Müller (Berlin) Joachim Stünker Verena Wohlleben Cem Özdemir Kersten Naumann Joachim Tappe Hanna Wolf (München) Christine Scheel Rosel Neuhäuser Jörg Tauss Waltraud Wolff (Zielitz) Irmingard Schewe-Gerigk Jella Teuchner Heidemarie Wright Albert Schmidt (Hitzhofen) Christina Schenk Wolfgang Thierse Werner Schulz (Leipzig) Gustav-Adolf Schur Franz Thönnes Peter Zumkley Christian Simmert Dr. Ilja Seifert Adelheid Tröscher Christian Sterzing Dr. Winfried Wolf Hans-Eberhard Urbaniak BÜNDNIS 90/ DIE GRÜ- Hans-Christian Ströbele Rüdiger Veit NEN Jürgen Trittin Simone Violka Dr. Antje Vollmer Ungültig (Pforzheim) Gila Altmann (Aurich) Dr. Ludger Volmer Hans Georg Wagner (Bremen) Sylvia Voß SPD Hedi Wegener Volker Beck (Köln) Helmut Wilhelm (Amberg) Hans-Günter Bruckmann Dr. Konstanze Wegner Margareta Wolf (Frankfurt) Wolfgang Weiermann Annelie Buntenbach (B) (D) Reinhard Weis (Stendal) Ekin Deligöz PDS Matthias Weisheit Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Monika Balt

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver- sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU ______

Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Dritte Beratung Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in derund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Die Gegen- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Jetzt probe! – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in dürft ihr euch wieder setzen. – Wer dagegen stimmen zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD, Bünd-möchte, den bitte ich, sich zu erheben. – Wer enthält nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen dersich? – Die F.D.P. stimmt dagegen, die CDU/CSU ent- F.D.P. bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenom-hält sich und bei der PDS ist das Stimmenverhältnis hal- men worden. be-halbe, so sage ich einmal. Damit ist der Gesetzent- (Wolfgang Thierse [SPD]: Einige Stimmen wurf angenommen. der PDS dafür!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Richtig. Gleichwohl ist er in zweiter Beratung ange- DIE GRÜNEN) nommen. 8920 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Vizepräsidentin Anke Fuchs (A) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- b) Beratung d es t Aranges der Abgeordneten (C) ßungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael che 14/3021. Wer stimmt für diesen Entschließungs- Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weite- antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P Bei Stimmenthaltung der F.D.P. und Zustimmung der Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr PDS ist dieser Antrag abgelehnt. stärken – vom Staatsbahnmonopol zum europäischen Wettbewerb um den Eisen- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- bahnkunden wurf der Fraktion der F.D.P. zur Reform des Stiftungs- rechts auf Drucksache 14/336. Der Ausschuss für Kultur – Drucksache 14/2781 – und Medien empfiehlt auf Drucksache 14/3010 unter Überweisungsvorschlag: Nr. 2, den Gesetzentwurf abzulehnen . Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Zu diesem Gesetzentwurf liegt auf Druck- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen sache 14/3043 ein Änderungsantrag der Fraktion der Union F.D.P. vor. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Haushaltsausschuss Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände- Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, hier zu blei- rungsantrag ist abgelehnt. ben, weil es ein interessantes Thema ist. Ich lasse jetzt übe den Gesetzentwurf der Fraktion der (Heiterkeit) F.D.P. auf Drucksache 14/336 abstimmen. Ich bitte die- jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö- sich? Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der F.D.P., re keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Enthaltung der CDU/CSU und Ablehnung im Übrigen Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäfts-Wort der Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion. ordnung die weitere Beratung.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur Eduard Lintner (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Prä- und Medien auf Drucksache 14/3010 Nr. 3 zu dem An- sidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der trag der CDU/CSU „Ein modernes Stiftungsrecht für das CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit dem Titel „Bahnre- 21. Jahrhundert“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag form 2 – Neuer Schwung für die Bahn“ schafft genau auf Drucksache 14/2029 abzulehnen. Wer stimmt fürzum richtigen Zeitpunkt die Gelegenheit, dieses brisante (B) diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Thema im Deutschen Bundestag zu erörtern. (D) Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Damit kehrt die Diskussion wieder dorthin zurück, Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- wo dieser wichtige Teil der Verkehrspolitik eigentlich ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa- hingehört, nämlich ins Parlament. Es ist ja zurzeit üb- che 14/3022. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- lich, dass Verkehrspolitik vorwiegend in Form von In- trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der terviews in Tageszeitungen und seit neuestem auch in Entschließungsantrag ist abgelehnt. Form von Demonstrationen auf der Straße gemacht wird. Das hat die ohnehin vorhandene Verwirrung über Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b den weiteren Weg der Bundesregierung und der Deut- auf: schen Bahn AG in der Verkehrspolitik noch vergrößert. Im Grunde genommen können uns die Regierungsfrak- 17.a ) Beratung des Antrags der Abgeor dntioneneten heute dafür dankbar sein, dass sie die Gelegenheit Eduard Lintner, Dirk Fischer (Hamburg),erhalten, diese Widersprüchlichkeiten nunmehr zu besei- Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordne- tigen. ter und der Fraktion der CDU/CSU Zunächst müssen die Zielsetzung und der Zeitplan Bahnreform 2 – Neuer Schwung für dieder Bahnreform von 1993 angesprochen werden. Das Bahn Ziel ist ja, die so genannte Börsenfähigkeit der Bahn – Drucksache 14/2691 – herzustellen, und zwar bis zum Jahre 2003. Daran hat Überweisungsvorschlag: sich nichts geändert. Es war und ist zugegebenermaßen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) natürlich ein sehr ehrgeiziges Vorhaben; denn aus der Finanzausschuss früheren Behördenbahn soll ein sich selbstständig am Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Markt behauptendes Unternehmen, die DB AG, geschaf- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit fen werden. Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Der Vorstandsvorsitzender der Bahn, Herr Mehdorn, Ausschuss für Tourismus hat dabei in einem Interview in der „FAZ“ das Jahr Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 2000 als das Schlüsseljahr für die Entwicklung der Haushaltsausschuss Bahn bezeichnet. Zusammen mit seinen täglichen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8921

Eduard Lintner (A) Alarmmeldungen über Verluste, zu vie l Personal und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (C) sonstige diverse Missstände drängt sich aber jetzt der Eindruck auf, dass er Ziel und Zeitplan der Bahnreform Zusätzlich – auch das ist eine Erfindung von Ihnen – soll die Bahn plötzlich für die Dienste des BGS, wofür gegenwärtig für dramatisch gefährdet sieht. Ein Schei- er gesetzlich zuständig ist, blechen, nämlich 250 Mil- tern des gesamten Reformwerkes aber würde für die Bahn ein wahres Desaster mit völlig ungewissem Aus- lionen DM im Jahr. Allein dieser Betrag bringt die Bahn heuer schon in rote Zahlen. Meine Damen und Herren, gang bedeuten. Sie können sich also nicht mit dem billigen Hinweis auf Dann droht ja nicht nur der Rückfall in die alte Un- die Vergangenheit aus den Widersprüchlichkeiten Ihrer rentabilität – dem Bund würde damit ein Subventions- Verkehrspolitik befreien. loch in Milliardenhöhe drohen –, sondern auch die we- (Beifall bei der CDU/CSU) nigen positiven Ansätze, zum Beispiel der Zugewinn an Fahrgästen im Personenverkehr, wären dann ernsthaft Es gibt auch noch Weiteres: Die Bundesregierung hat gefährdet. Das könnte selbstverständlich niemand ver- es beispielsweise nicht geschafft, den von der EU vor- antworten. Deshalb sollte die Bundesregierung ent-gegebenen ungehinderten Zugang zurNutzung des schlossen darangehen, Herr Minister, die notwendigen Netzes durch Dritte gegenüber den anderen EU- Korrekturen in ihrer Verkehrspolitik zur Sicherung der Partnern, vor allem Frankreich, durchzusetzen. In Zukunft der Bahn jetzt endlich vorzunehmen. Deutschland ist dieser freie Zugang zur Nutzung des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Netzes bereits Wirklichkeit. Die Bundesregierung hat sich offenbar sogar damit einverstanden erklärt, dass ordneten der F.D.P.) Netzbenutzern nur wie in den anderen EU-Ländern, in Das heißt zunächst einmal, dass die Bahn vom Staat, denen es staatliche Bahngesellschaften gibt – offenbar von der Politik Rahmenbedingungen erhalten muss, die gewollt –, die so genannten Grenzkosten in Rechnung sie überhaupt erst in die Lage versetzen, diesen schwie- gestellt werden dürfen. rigen Wandel zum marktwirtschaftlich geführten Unter- nehmen erfolgreich zu gestalten. Das verlangt in erster (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Linie natürlich eine faire, eine konkurrenzfähige Aus- DIE GRÜNEN]: Das ist gut!) gangslage für die DB, und zwar nicht nur in Europa,Aber dann entsteht sofort, Herr Schmidt, für die Bahn sondern auch in Deutschland, im nationalen Rahmen. die lebenswichtige Frage, wer die Differenz zwischen Es ist zum Beispiel – Herr Mehdorn hat es mehrfach diesen Grenzkosten und den tatsächlich anfallenden angesprochen – bei dersteuerlichen Belastung keine Kosten zahlen soll. Diese Frage hat die Bundesregierung Wettbewerbsgleicheit vorhanden. Als einzige Bahn in bis heute nicht beantwortet. Es geht dabei nicht um Pea- nuts, sondern es geht um Beträge in einer Größenord- (B) Europa zahlt die Deutsche Bundesbahn beispielsweise (D) den vollen Mehrwertsteuersatz, Frau Kollegin. nung von bis zu 6 Milliarden DM im Jahr. Das heißt, wenn sich die Bundesregierung in der Konsequenz ver- (Angelika Mertens [SPD]: Seit anderthalb Jah- weigert, steht im Grunde genommen die Existenzfähig- ren?) keit der Bahn auf dem Spiel. Das führt zu einem konkreten Wettbewerbsnachteil von Dass die Bahn ihrerseits das eine oder andere tut, das 700 Millionen DM pro Jahr. potenzielle Kunden eher verprellt als anzieht, kommt (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ noch hinzu. Ein schlimmes Beispiel dafür, finde ich, ist DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie uns das der Güterverkehr auf der Schiene. Die Bahn verliert hinterlassen? Warum haben Sie das nicht ge- ständig an Boden. Auch die Prognosen für die nächste ändert?) Zeit lassen keine Wende erwarten. Der Straßengüterver- kehr, meine Damen und Herren, wird in diesem Jahr um – Sie wissen ja gar nicht, was wir getan hätten, wenn wir etwa 10 Prozent wachsen, der Güterverkehr auf der noch an der Regierung wären. Beruhigen Sie sich wie- Schiene nur um 4 Prozent, wenn überhaupt. der. Fragt man bei den Betroffenen nach, warum es zum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Beispiel im kombinierten Ladungsverkehr nicht vor- Ein paar Hausaufgaben müssen wir Ihnen auch nochwärts geht, dann hört man immer wieder: Die Bahn ist hinterlassen, denn sonst wäre es völlig überflüssig, dass zu langsam, sie ist zu teuer und sie ist zu schadensanfäl- es Sie gibt. lig. Verspätungen von vielen Stunden seien üblich und die Trassenpreise seien willkürlich gestaltet. So kostet (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ beispielsweise der Bahnkilometer für die Konzern- DIE GRÜNEN]: Das ist so lächerlich wie nur schwester DB-Cargo nur 4,80 DM, aber für Drittnutzer was!) zwischen 10 und 12 DM. Das ist kein fairer, kein ein- Es kommt die Mineralölsteuerbelastung hinzu, die ei- wandfreier Marktzugang. nen Nachteil von etwa 400 Millionen DM bedeutet. Wir (Beifall bei der CDU/CSU) haben aber auch ein originäres Kind Ihrer Zeit, nämlich die Belastung des Schienenpersonennahverkehrs mit Dabei wäre es gerade beim Güterverkehr wün- dem halben Ökosteuersatz, was auch keine besondereschenswert, wenn der Schiene künftig ein größerer Begünstigung dieses wichtigen Verkehrsweges darstellt. Anteil zukommen würde, weil damit nämlich etwas 8922 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Eduard Lintner (A) Wirksames gegen den drohenden Verkehrskollaps auf ist ihnen gegenüber zu vernünftiger Fürsorge verpflich- (C) unseren Straßen getan werden könnte. tet. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Ich habe viel Verständnis für die Personalvertretun- gen der Eisenbahner, die sich jetzt öffentlich gegen die Allerdings, meine Damen und Herren, habe ich den Gefahr betriebsbedingter Kündigungen zur Wehr setzen. Eindruck, dass die Regierungsfraktionen in diesem Zu- Das ist übrigens eine Form von Kündigung, die zu unse- sammenhang dazu neigen, vor allem die Grünen, dierer Zeit eigentlich nie in Erwägung gezogen werden Möglichkeiten der Verlagerung des Verkehrs von dermusste. Straße auf die Schiene aus ideologischen Gründen unre- alistisch groß einzuschätzen. Denn von dem Glauben, Das wirksamste Mittel gegen den Abbau von Ar- dass es gelingen könnte, vom heute in Deutschland ins- beitsplätzen sind Investitionen in die Bahn, zum Beispiel gesamt stattfindenden Güterverkehr der Schiene einen ins Netz, aber auch ins rollende Material; im Güterver- wesentlich größeren Anteil zu sichern als bisher, sollte kehr – das will ich nur kurz andeuten – mutet der techni- man sich verabschieden. Es wäre schon ein Erfolg, wenn sche Standard ja teilweise vorsintflutlich an. es gelingen würde, der Eisenbahn von dem beim Güter- Wenn aber die Bundesregierung heute mit dem Ar- verkehr prognostizierten Zuwachs einen wachsendengument, die künftigen Generationen nicht belasten zu Anteil zu sichern. Dazu müssen aber wiederum nochwollen, bei den Investitionen auf dem Verkehrssektor viele Engpässe beseitigt werden, erst noch neue, schnel- spart, so belastet sie in Wirklichkeit die nachfolgenden le Verbindungen geschaffen werden. Generationen. Sie halst ihnen nämlich auch Altlasten Wenn jetzt die Bundesregierung darangeht, mit der aus den unterbliebenen Investitionen der Vergangenheit scheinheiligen Begründung, sparen sei notwendig, die auf. Hier wird also das Sparen von heute zur Hypothek für eine Verbesserung des Schienenverkehrs erforderli- von morgen. Ob die Bahn diese Hypothek tragen kann, chen Investitionsmittel um sage und schreibe 3,5 Mil- daran habe ich meine großen Zweifel. liarden DM zu kürzen, und wichtige Teilprojekte über- Es gibt vieles zu tun, meine Damen und Herren, wenn haupt fallen lässt, dann sind die Perspektiven für dieman die Situation der Bahn verbessern will. Herr Bahn aus dieser Sicht alles andere als rosig. Mehdorn liegt beispielsweise richtig, wenn er darangeht, den bestehenden Tarifwirrwarr abzuschaffen. Es muss (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sicher auch darüber geredet werden, ob weiterhin leere Und es muss auch noch den letzten Rest an Vertrauen in Züge durch die Gegend fahren sollen oder ob dafür nicht die Verlässlichkeit der Verkehrsplanung der Bundesre- kostengünstigere und auch umweltschonendere Ver- gierung kosten, wenn sie nach Jahren mit aufwendigster kehrsmittel zur Verfügung stehen. Aber das war ja bei und teuerster Planung vorbereitete Investitionen plötz- den Grünen bisher ein Tabuthema. Jetzt kündigt sich of- (B) lich einfach fallen lässt. So geschehen mit der Transra- fenbar ein radikaler Wandel an; denn kein anderer als(D) pidstrecke von Hamburg nach Berlin, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Herr Schmidt, hat sich zu dieser Problemlage in einem Inter- (Widerspruch bei der SPD – Albert Schmidt view mit der „Süddeutschen Zeitung“ am 13. März wie [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: folgt geäußert: Zum Schutz der Bahn haben wir das ge- macht!) Es nutzt doch nichts, mit der Neubaustrecke von Nürnberg nach Erfurt, wobei – so hat er gesagt – letztere sogar eine transeuropäische Magistrale ist, also wenn ich Züge anbiete, mit denen niemand fährt. eigentlich der nationalen Entscheidungskompetenz längst entzogen sein müsste. Man stelle sich vor, bereits (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Hunderte von Millionen DM sind für diese Planungen DIE GRÜNEN]: So ist das!) und für die Vorbereitung dieser Projekte aufgewendetUnd weiter: worden. Alles für die Katz, sagt die Bundesregierung Nur ein gut besetzter Zug ist ökologisch wertvoll jetzt, wenn sie diese Projekte nicht mehr weiterverfolgen und nicht der Zug, der fährt, weil er fährt. will. (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Andererseits will sie aber die DB beispielsweise die DIE GRÜNEN]: Das ist nichts Neues, Herr milliardenschweren Kostensteigerungen bei der Neu- Lintner!) baustrecke Köln–Frankfurt und beim Bahnknoten Ber- lin-Mitte allein tragen lassen, wenn ich die Äußerungen Herr Schmidt, ich gratuliere zu diesem Gesinnungs- richtig verstanden habe. Auch das ist ein Risiko, das die wandel, nur die Crux liegt darin, dass viele Ihrer Frakti- Zahlungsunfähigkeit der Bahn provozieren kann. onskollegen draußen vor Ort eben ganz anders reden, als Sie sich als Mitglied des Aufsichtsrates der Bahn mitt- Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrsminis- lerweile zu äußern pflegen. ter kann sich nicht einfach aus der Verantwortung steh- (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: In wel- len. Er wusste um die Risiken d er Kostenschätzungen cher Funktion hat er denn das Interview gege- und der Bund ist Eigentümer der Bahn; er ist also nicht ben? – Albert Schmidt [Hitzhofne] [BÜND- irgendjemand, er ist d eshalb auch den Mitarbeitern der NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein politi- Bahn gegenüber k ein unbeteiligter Zuschauer, sondern sches Streitgespräch!) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8923

Eduard Lintner (A) Es ist s icher richtig, das rollende Material zügig zu wagen sollen wieder nach Bad Kissingen fahren, ein(C) modernisieren und dabei neue Techniken, zum Beispiel Taktverkehr mit neuen Zuggarnituren wurde offenbar die Neigetechnik, zu nutzen. Auch die Entrümpelungversprochen, während zur gleichen Zeit der Vorstands- des Regelwerks der Eisenbahn- Bau- und Betriebsord- vorsitzende Mehdorn rigorose Einsparungen gerade nung könnte hilfreich sein. beim Interregio-Netz und auf Nebenstrecken ankündigt. Deshalb ist der Vorstand der Bahn aufzufordern, dass er (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] sich klar zu seinen Absichten hinsichtlich der einzelnen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Strecken äußert. Dabei muss er allerdings die nach wie Hier hat die Bundesregierung Einsicht signalisiert. Sie vor bestehende Verantwortung gegenüber der betroffe- will uns bis zum Herbst dazu Vorschläge machen. nen Bevölkerung beachten. Im Mittelpunkt der Anstrengungen der Eisenbahn Auch der Bundesverkehrsminister muss sich davor müssen aber die Kunden stehen. Ihre Zufriedenheit, ihre hüten, die öffentliche Ankündigung seines Wunschvor- Sicherheit bei der Nutzung der Bahn sind unverzichtbare standsvorsitzenden populistisch für im „Einzelfall nicht Voraussetzungen für den Erfolg des Unternehmens und maßgeblich“ zu erklären. Es könnte nämlich sein, Herr seiner Mitarbeiter. Beklagenswert ist in dem Zusam-Minister, dass Sie dann – wie gelegentlich schon ge- menhang beispielsweise der Zustand vieler Bahnhöfe, schehen – zurückrudern müssen, weil Sie der Bahn für vor allem auf dem flachen Land. Das können auch die die Konsequenzen Ihrer Haltung gegenüber der Bahn neuen Tempel an Modernität in einigen Großstädtenkeine Hilfe anbieten können. Es kann natürlich nicht nicht verdecken. sein, dass Sie die Bahn daran hindern, das Notwendige zu tun, aber den Ausfall, der damit verbunden ist, nicht (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und das ersetzen. ist erst seit anderthalb Jahren spürbar? – Angelika Mertens [SPD]: Das ist doch die Mein Fazit: Auf die Verkehrspolitik kommen arbeits- Höhe!) reiche Zeiten zu. Es wird viel Mühe bereiten, Klarheit in die Verkehrspolitik der Regierung zu bringen – Dass Sie sich jetzt schon über Selbstverständlichkeiten aufregen, wundert mich doch etwas. (Angelika Mertens [SPD]: Na, na, na!) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wenn und der Bahn eine gesicherte Zukunft zu geben. Wir Sie es einmal mit Selbstkritik versuchen wür- werden uns – das darf ich heute für die CDU/CSU an- den, Herr Lintner!) kündigen – regelmäßig und intensiv mit den damit zu- Sie können doch nicht im Ernst widersprechen, wenn ich sammenhängenden Fragen und Problemen beschäftigen. sage, dass sich Bahnhöfe möglichst gut präsentierenDie heutige Debatte ist nach unserem Verständnis nur (B) müssen, denn sie sollen ja eigentlich eine Einladung da- ein erster und – das hoffen wir sehr – in einzelnen Punk- (D) zu sein, Bahn zu fahren. ten nicht vergeblicher Schritt dazu. (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. Des Weiteren stehen bei vielen Nebenstrecken Sanie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rungsinvestitionen von erheblicher Höhe an. Hier wer- den jetzt Versäumnisse der Bahn aufgedeckt, die nicht einfach den Ländern und den Gemeinden aufgedrückt Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt werden können. So wird das nicht laufen. Der bayeri-der Kollege Klaus Hasenfratz, SPD-Fraktion. sche Wirtschaftsminister Otto Wiesheu hat dazu schon deutlich seine Meinung gesagt. Wenn es daher dem- nächst auf solchen Nebenstrecken zu technisch beding- Klaus Hasenfratz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- ten Stilllegungen kommt, dann sind die Bundesregierung dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! und die Bahn und nicht die Länder und Kommunen oder Liebe Kollegen! Ich hatte gehofft, dass wir die heutige sonst wer dafür verantwortlich. Die Führung der Bahn Debatte dazu nutzen könnten, die Konfliktverschärfung sollte sich nicht täuschen: Der Kunde, der sich erst ins zwischen GdED und Bahn etwas zu mildern. Aber, Herr Auto setzen muss, um zur Hauptstrecke zu gelangen,Lintner, mit den von Ihnen hier vorgetragenen Vorwür- verzichtet womöglich ganz auf die Bahn. fen gegen die Bundesregierung hinsichtlich Versäumnis- sen und anderen Dingen, die die Bundesregierung zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- verantworten habe, haben Sie natürlich die Chance ver- wie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] passt, die Schärfe etwas herauszunehmen. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Sie werden auch nicht glaubwürdiger, wenn Sie unter Im Übrigen möchte ich anmahnen, dass die Führung Krokodilstränen beklagen, dass zu wenig Mittel zur Ver- der Bahn in diesem Zusammenhang dafür sorgen muss, fügung stehen. Wir haben, wenn ich es richtig in Erinne- dass nicht mit verschiedenen Zungen gesprochen wird. rung habe, in den letzten Wochen im Ausschuss sechs In meinem Wahlkreis ist es nämlich passiert, dass voroder acht Stunden lang über das Investitionsprogramm kurzem der Stadt Bad Kissingen die großzügigsten Zu- und das Anti-Stau-Programm debattiert. sagen hinsichtlich des künftigen Verkehrs auf den dorti- gen Schienenverbindungen gegeben worden sind. Neue (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Interregio-Verbindungen sind zugesagt worden, Kurs- Investitionskürzungsprogramm!) 8924 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Klaus Hasenfratz (A) Sie scheinen aus den Augen verloren zu haben, dass in (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert (C) diesen beiden Programmen auch Schienenprojekte ent- Schmidt [Hitzhonfe] [BÜNDNIS 90/DIE halten sind. GRÜNEN] – DirkFischer [Hambur g] [CDU/CSU]: Sie verschlechtern die Rahmen- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Aber bedingungen, Herr Kollege!) gekürzt! Zusammengestrichen!) In der gleichen Debatte hat Herr Wissmann erklärt, Ich habe in diesen Debatten – man kann das in dem dass im Bundesverkehrswegeplan erstmals mehrInves- Protokoll nachlesen – von Ihnen kaum das Wort „Bahn“ titionen in die Schienenwege vorgesehen seien als in gehört. Frau Blank hat beklagt, dass die Bundes-jeden anderen Verkehrsweg. Der Ansatz, den Sie in Ih- regierung im Straßenbau 4,7 Milliarden DM gestrichen rem Antrag auf 10 Milliarden DM beziffern, war der hat. richtige Weg. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Was?) 5 Milliarden DM!) – So steht es in Ihrem Antrag: Investitionsmittel in Höhe – Sie werden auch noch erwähnt, Herr Fischer. von 10 Milliarden DM sind notwendig. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das wird auch (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Und erwartet!) Sie streichen über 3 Milliarden DM heraus!) Eine Woche später hat Herr Fischer dieses in wunder- samer Weise auf 5 Milliarden DM beziffert. Der Kollege – Vielleicht haben Sie Alzheimer, Herr Fischer, aber ich Friedrich hat gefordert, die Vignetten-Einnahmen intrage es Ihnen nach. Höhe von 870 Millionen DM sofort für den Fernstra- ßenbau einzusetzen. Im ersten Jahr der Bahnreform, 1994, haben Sie 7,7 Milliarden DM eingestellt. (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: 780 Millionen DM!) (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie müssen die Darlehen dazurechnen!) Gleichzeitig beklagen Sie, dass die Bundesregierung zu wenig Mittel für die Schienenwege bereitstellt. Wie Sie 1995 waren es 9,2 Milliarden DM. A la bonne heure, Sie das alles finanzieren wollen, ist mir rätselhaft. haben aufgestockt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht DIE GRÜNEN) verschleiern!) (B) (D) Anscheinend, Kolleginnen und Kollegen, verfügen Sie Dann aber geht es los: 1996 waren es 7,2 Milliarden über größere Innovationen bei der Geldbeschaffung. DM, 1997 nur 6,7 Milliarden DM. (Angelika Mertens [SPD]: Das ist richtig! Das (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es ist haben sie ja bewiesen! – Albert Schmidt falsch, was Sie sagen! Sie müssen die Darle- [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hen noch dazurechnen!) Herr Kohl geht sammeln!) Wir wollen diesen Weg nicht beschreiten. 1998 haben Sie es geschafft, den selbst gewählten An- satz von 10 Milliarden DM auf 5,7 Milliarden DM zu- Wenn Sie heute beklagen, die jetzige Bundesregie-rückzuführen. rung habe die Probleme bei der Deutschen Bahn verur- sacht, dann scheinen Sie an Gedächtnisschwund zu lei- den. Ich will einmal den Kollegen Fischer aus der gro- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat- ßen Debatte zur Bahnreform 1993 zitieren: ten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer? Dynamik, Tatkraft, Sachverstand aus Wirtschaft und Industrie sowie unternehmerisches Geschick Klaus Hasenfratz (SPD): Nein. müssen sicherstellen, dass der zweite Schritt der Bahnreform, nämlich die innere Reform, jetzt in ei- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Weil nem mehrjährigen Prozess zu einem erfolgreichen Sie den Rosstäuschertrick machen, deshalb!) Unternehmensprodukt auf dem europäischen Ver- kehrsmarkt führt. Vizepräsidentin Anke Fuchs: „Rosstäuschertrick“ Das ist gut. Deshalb weiß ich auch nicht, warumist zwar für Hamburg noch akzeptabel, aber nicht für Herr Lintner in der Einführungsrede kritisiert den hat, Deutschen Bundestag. dass wir diesen Prozess jetzt gemeinsam bestreiten wol- len. (Beifall bei der SPD) Der Kollege Fischer hat von der „inneren Reform“ gesprochen. Diese aber ist von der Bahn zu leisten und Klaus Hasenfratz (SPD): Von Herrn Fischer bin ich nicht von einer Bundesregierung. nichts anderes gewohnt. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8925

Klaus Hasenfratz (A) (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Er breitem Konsens festgelegt wurden, dürfen nicht durch (C) weiß schon, warum er das nicht will: Dam it fadenscheinige Polemik oder überzogene Anträge ge- der Rosstäuschertrick nicht enttarnt wird!) fährdet werden. Bei einem Scheitern dieser Bahnreform wird es keine Gewinner geben. Das sollten wir uns alle Wie Sie es geschafft haben, dass die Bahn wirtschaft- merken. lich nicht prosperiert, haben Sie bei der Strecke Ham- burg–Berlin deutlich gemacht. Da haben Sie sich an dem Schönen Dank. Prestigeobjekt Transrapid festgebissen. Sie haben diese Strecke strategisch-planerisch so heruntergefahren, dass (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Bahn dort wirklich keine Erträge erwirtschaften kon- DIE GRÜNEN) nte. Das wissen wir. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Sie Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich möchte dem wissen, dass das falsch ist!) Kollegen Fischer sagen, dass ich den Begriff „Rosstäu- schertrick“ nicht für parlamentarisch halte. Das können Sie der damaligen Opposition nicht in die Schuhe schieben. Dafür waren Sie verantwortlich. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Der wird auch (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert durch Wiederholungen nicht besser!) Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen bei gegenseitigen Beschuldigungen ein we- nig aufpassen, zumal er es wiederholt hat. Nun ist das In allen Debatten haben Sie gesagt – ich zitiere bei- aber erledigt. spielhaft wieder Herrn Wissmann – : (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Da hat Wir alle wissen…, dass eine Verlagerung auf die es hier Schlimmeres gegeben!) Schiene im Nahverkehr, Güterverkehr und im Per- sonenfernverkehr dringend geboten ist. Jetzt hat das Wort der Kollege Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion. Was haben Sie gemacht? – Fehlanzeige! Und wenn wir in den Ausschusssitzungen über Verkehrspolitik und Infrastrukturpolitik diskutieren, fordern Sie immer nur Horst Friedrich (Bayreuth) (F.D.P.): Frau Präsiden- eines: mehr Geld für die Straße. Das ist der Widerspruch tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! in Ihrer Politik. Sie müssen doch langsam merken, dass Die Debatten zur Bahnreform, auch die heutige, wie sie Ihre Glaubwürdigkeit immer weiter unter die Räderbis jetzt geführt wurde, zeigen, dass das eigentliche kommt. Problem hier im Hause noch nicht abschließend disku- (B) tiert worden ist. Es geht um die Fragen: Was für eine(D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Bahn wollen wir tatsächlich? Was haben wir mit den BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Walter bisherigen Schritten der Bahnreform erreicht? Wohin Hirche [F.D.P.]: Wir brauchen auch mehr soll die Bahnreform tatsächlich führen? Bisher höre ich Geld für die Straße!) nur davon, dass Auswirkungen auskuriert werden sollen. Diese Koalition setzt auf eine zukunftsweisende und Das ist aber nicht die Lösung des eigentlichen Problems. nachvollziehbare Verkehrspolitik. Verkehrsminister Ich habe den Eindruck, dass trotz der Bahnreform ei- Klimmt hat es in beispielloser Weise mit sachpolitischer nige immer noch glauben, es hätte sich bei der Bahn nur Arbeit geschafft, dass die Verkehrsinfrastruktur das im Türschild geändert, indem aus der Deutschen Bun- Rahmen eines Anti-Stau-Programms erstmals streng desbahn die Deutsche Bahn AG wurde, aber ansonsten engpassorientiert ausgebaut wird. Hierfür steht ein zu- eben nichts. Das gilt für das Hineinreden in unternehme- sätzliches Volumen in Höhe von 7,4 Milliarden DM in- rische Entscheidungen der Bahn genauso wie umgekehrt klusive 2,8 Milliarden DM für die Schiene zur Verfü-für das Agieren der Bahn. Sie redet vonMarktwirt- gung. Das verdient angesichts der maroden Kassen, die schaft nur dort, wo es ihr nützt, aber da, wo es ihr scha- Sie von der CDU/CSU und F.D.P. uns hinterlassen ha- det, will sie nichts davon wissen. Sie macht zum Bei- ben, noch mehr Anerkennung. spiel alles, um Wettbewerb zu verhindern. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kolleginnen und Kollegen, dass die Bahn vor sehrDas ist die entscheidende Frage und das eigentlich unge- wichtigen Entscheidungen steht, brauche ich hier nicht löste Problem. zu wiederholen. Ich hoffe aber darauf, bin mir sogar si- Es nützt dann auch nicht, darauf hinzuweisen, wie der cher, dass die Tarifpartner in Verantwortung für das ge- samte Unternehmen und die Beschäftigten heute Nach- Kollege Lintner, dass die Bahn steuerlich benachteiligt werde. Dieses Problem hätten wir, wenn wir es politisch mittag einen Kompromiss zustande bringen. Ich wün- gewollt hätten, auch lösen können. Genauso scheinheilig sche mir, dass dieser Kompromiss Arbeit sichern wird und nicht gegen Arbeitsplätze gerichtet sein wird. ist es, wenn uns das Rot-Grün zum Vorwurf macht. Wenn Sie schon wissen, dass das so ist, dann kann man Am Ende möchte ich noch einmal an alle appellieren: die Bahn doch nicht noch zusätzlich mit Ökosteuer und Die Ziele dieser Bahnreform, die von uns gemeinsam in den Kosten für den Bundesgrenzschutz belasten. 8926 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) in die Zukunft geebnet. Alles andere ist der Schritt zu- (C) rück zur Staatsbahn. Und das bedeutet das Ende der Fi- Man sollte sich schon überlegen, mit welchem Maßstab nanzierungsmöglichkeiten der Bahn durch uns. Das man sich gegenseitig misst und wohin das alles laufen muss man sich überlegen. soll. Ich wäre dankbar, wenn sich der Verkehrsausschuss Das wird auch nicht dadurch besser, dass der Ver-bei den anschließenden Beratungen auf eine gemeinsa- kehrsminister immer ein entschiedenes „Sowohl – alsme Anhörung zu dieser Thematik einigen könnte. auch“ in Bezug auf die Bahn vertritt, und zwar öffent- lich. Er sagt, Mehdorn habe den Auftrag – immerhin der (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] dritte Vorstandsvorsitzende seit In-Kraft-Treten der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Bahnreform –, die Bahn börsenfähig zu machen. Das Ich hoffe auf Unterstützung von allen Seiten und bedan- würde ja bedeuten, dass der Zusatz „AG“ tatsächlich im ke mich für Ihre Aufmerksamkeit. wahrsten Sinne des Wortes verstanden wird und der Bund als Alleineigentümer der Aktiengesellschaft, wann (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch immer, einmal ausscheidet. Herr Klimmt kann sich auch vorstellen, dass das Konsequenzen für das Personal hat, sagt aber gleichzeitig: Betriebsbedingte Kündigun- Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt gen darf es nicht geben. der Kollege Albert Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen. Er verschweigt dabei, dass er die Frage offen lässt, was denn mit der Differenz gegenüber den Mehdorn’- Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE schen Planungen von schätzungsweise 1 Milliarde DM – GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und wohlgemerkt: jährlich – passieren soll. Will er die Herrn Kollegen! Gestatten Sie mir, bevor ich zum Thema spre- Mehdorn dann zusätzlich zur Verfügung stellen? Oder che, eine kleine persönliche Anmerkung. Ich habe heute soll sich das dort von ihm schon prognostizierte Defizit Vormittag mit Bestürzung und mit tiefer Betroffenheit weiter aufbauen? Herr Mehdorn sagt sehr berechtigt und erfahren, dass unser Kollege Gert Willner, der jahrelang aus meiner Sicht nachvollziehbar: Wenn sich bei dermit uns im Ausschuss zusammengearbeitet hat, leider an Bahn nichts ändert, haben wir bis 2003 imBetriebser- den Folgen seiner schweren Erkrankung verstorben ist. gebnis eine neue Verschuldensdimension von 13 Mil-Für meine Fraktion, aber auch für mich ganz persönlich liarden DM, wohlgemerkt: neue Schulden in Höhe von möchte ich sagen: Wir verlieren mit ihm nicht nur einen 20 Milliarden DM nach der Bahnreform. Das würde das sehr kompetenten, sehr fairen, auch im Umgangston sehr Ende des Eigenkapitalanteils in der AG und konsequen- feinen Kollegen, sondern auch einen sehr liebenswürdi- terweise den Gang zum Konkursrichter bedeuten. gen Menschen. Das möchte ich in dieser Runde gesagt (B) haben. Ich möchte allen Angehörigen unsere große An-(D) Da bleibt Herr Klimmt die Antwort allerdings schul- teilnahme aussprechen. dig. Er hofft mittlerweile auf die Vernunft der Tarifpart- ner. Auf die hoffe auch ich. Wenn man aber das Wohl (Beifall) des Unternehmens als Ganzes im Auge haben will, muss Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Deutsche Bahn man wenigstens einmal nachdenken und Ursachenfor-AG befindet sich im Moment in einer kritischen Situati- schung betreiben dürfen, was tatsächlich Grundlage der on. Die Kosten auf den Großbaustellen explodieren. Jah- Situation ist. relang – das ist die Folge schlechter Verträge von frü- (Beifall bei der F.D.P.) her – wurden Investitionen in dasNahverkehrsnetz versäumt und verschleppt. Die Folgen sind zu besichti- Nun komme ich zu dem für uns eigentlich entschei- gen. denden Faktor, nämlich: Was macht die Bahn tatsäch- lich mit dem Wettbewerb auf der Schiene? – Das von (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Der uns als Liberale schon bei der ersten Bahnreform vorge- Bund hat gut gearbeitet, die Bahn hat schlecht schlagene Herauslösen der Netz AG aus dem Verbund gearbeitet! – Horst Friedrich [Bayreuth] der Bahn ist auch unter Mithilfe der Sozialdemokraten [F.D.P.]: Die Verträge hat die Bahn unter- über den Bundesrat verhindert worden. Offiziell haben schrieben!) wir den diskriminierungsfreien Zugang Dritter zum Bezüglich der Produktivität des Unternehmens hat Schienenweg. Es wird auch immer das Märchen erzählt, es zwar erhebliche Fortschritte gegeben, auch und - es gebe schließlich schon 130 Wettbewerbsunterneh-de mit Beteiligung und unter großen Anstrengungen der men. Dass die tatsächlich sage und schreibe Belegschaft nur und des Betriebsrates. Sie hat aber immer 3 Prozent des kompletten Schienenverkehrs bewältigen, noch nicht das überlebensnotwendige Niveau erreicht. wird stets klammheimlich vergessen. Nur: Ob ich mitSchließlich werden die Zuwendungen der Bundesregie- 100 Prozent oder mit 97 Prozent Monopolist bin, ist re- rung für die Altlastenbewältigung der Reichsbahn, die lativ unbedeutend. von vornherein degressiv angelegt waren, im Laufe der Wenn die Bahn tatsächlich in den Wettbewerb muss – nächsten Jahre über kurz oder lang gegen Null zurück- das wird sie demnächst über eine EU-Richtlinie müs-gefahren werden. sen –, macht es Sinn, die Netz AG aus dem Verbund der Dies alles rechtfertigt durchaus, die Zukunft der Bahn Bahn AG herauszulösen. Das ist Inhalt unseres Antrags. offensiv zum Thema zu machen, sei es von der Unter- Wir sind der Meinung: Nur so ist für die Bahn der Weg nehmensführung, sei es von der Politik. Nur: Die ganze Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8927

Albert Schmidt (Hitzhofen) (A) Debatte um die Bahn konzentriert sich mir zu stark auf bei der Bestellung von Zügen umgesetz tworden ist – (C) die Kostensenkungen; von Umsatzsteigerungen – aufdies wird ja bekanntlich nicht von Berlin oder Frankfurt Deutsch gesagt: wie wir mehr Geschäft ins Unterneh-aus getan, sondern das haben die Länder oder die men bringen können – ist dagegen kaum die Rede. Zweckverbände zu verantworten –, kann selbstverständ- lich weiter gedacht und auf die Nebenbahnen und Ne- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- benstrecken in den peripheren Netzen ausgedehnt wer- SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der den. Hier gibt es sehr wohl Effizienzpotenziale und Sy- CDU/CSU – Eduard Oswald [CDU/CSU]: nergieeffekte. Das ist nicht Theorie oder Ideologie, son- Das gefällt mir gut!) dern gründet sich auf Erfahrung. Ich möchte noch etwas zum StichwortBörsengang (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das darf nur sagen: Der Börsengang des Unternehmens ist kein nicht zur Kostenverlagerung auf die Kommu- Selbstzweck. Das Ziel der Bahnreform war in erster Li- ne führen!) nie, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Das soll so bleiben. Nur, dazu brauchen wir ein gesundes, ein sa- – Das ist der Knackpunkt, Herr Kollege; keine Sorge, niertes und kapitalmarktfähiges Unternehmen. Aber das darauf komme ich gleich. ist die Reihenfolge der Zielsetzung: Den verkehrspoliti- Diese Erfahrung haben wir überall dort gemacht, wo schen Zielen haben sich die wirtschaftspolitischen das einmal ausprobiert worden ist, zum Beispiel bei der Schritte unterzuordnen. Usedomer Bäderbahn, einer hundertprozentigen DB- Immer dann, wenn von Visionen oder Zukunftskon- Tochter, die vor Ort wie ein mittelständisches Unter- zepten die Rede ist, hat das für meinen Geschmack zu nehmen agiert und dabei sehr erfolgreich ist. sehr den Charakter einer metropolenfixierten Konzepti- (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Ja, jetzt!) on. Dabei wird übersehen, dass 90 Prozent des Fahr- gastaufkommens auf den Nahverkehr entfallen. Das ist Das gilt aber auch für zahlreiche kommunale Bahnen, das wirtschaftliche und verkehrliche Standbein des Un- die Dürener Kreisbahn, die Albtalbahn, aber auch für ternehmens. Dort wird 60 Prozent des Umsatzes ge-Privatbahnen wie die Württembergische Eisenbahn- macht. Das ist auch der Bereich, in dem täglich Millio- gesellschaft, die Schönbuchbahn usw. nen von Menschen unterwegs sind. Deswegen müssen wir die Aufmerksamkeit viel stärker auf diesen Bereich Es gibt also durchaus zukunftsweisende Ideen. Nur, richten. die Kernfrage ist – da sind wir beim entscheidenden Punkt, Herr Kollege Oswald –: Wie schaut es mit der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzierung der Strecken aus, die sanierungsbedürftig und bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] sind? Oder andersherum ausgedrückt: Es kann doch (B) [CDU/CSU]: Aber der Bund gibt dochniemand im Ernst glauben, dass man den Kommunen(D) 13 Milliarden im Jahr dafür!) oder den Ländern den Schrott vor die Füße kippen kann und die dann dafür zahlen. Das wird nicht gehen. Ich möchte noch eines für meine Fraktion sagen – denn dieses Thema ist in den letzten Wochen im Zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sammenhang mit den Regionalisierungsplänen für Ne- und bei der SPD) bennetze durch die Landschaft gegeistert –: Der Nah- verkehr kann und darf nicht zum Steinbruch undifferen- Ich sage Ihnen: Die Sicherung der Finanzierung eines zierter Einsparungen gemacht werden. Der Nahverkehr solchen Konzeptes ist die zentrale Bedingung für den ist nicht nur ein Standbein, er ist in vielen Bereichen,Erfolg. Das kann nur so gehen, dass wir gemeinsam da- vor allem auch in den ländlichen Regionen, das Rück-für sorgen, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch in grat für die Mobilität. Eine Schrumpfbahn – eine Bahn den Bundesländern muss man genau mitdenken –, dass mit einem weit gehenden Rückzug aus der Fläche die – 20 Prozent, die das Bundesschienenwegeausbauge- kommt für Bündnis 90/Die Grünen nicht infrage. setz als den Anteil festschreibt, der in Nahverkehrs- projekte fließen soll, auch tatsächlich in diesem Bereich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ankommen. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir sind allerdings der Meinung, dass mit innovati- sowie bei Abgeordneten der SPD) ven Konzepten durchaus auch in der Fläche ein attrakti- Das ist bisher nicht annähernd der Fall gewesen, weil ves und wirtschaftliches Zugangebot gesichert und aus- dieses Geld bisher nur als zinsloses Darlehen gewährt gebaut werden kann. Dazu möchte ich Ihnen gerne eini- wurde, mit dem Ergebnis, dass die Bahn das Darlehen ge Anregungen geben: Der Ansatz, der sich unter der nicht in Anspruch genommen hat, weil sie sagt: Auf ei- Überschrift „Regent“ verbirgt, nämlich dieRegionali- ner Strecke, in deren Verlauf eine Brücke Kosten mit ei- sierung von Teilnetzen, von Nebenstrecken – sozusagen nem Kostenaufwand von vielleicht 12 Millionen DM mittelständische Produktionsstrukturen im Unternehmen saniert werden muss, fahren wir angesichts der paar Zü- zu schaffen –, weist nach unserer Einschätzung durchaus ge täglich das Geld doch nie mehr ein. in die richtige Richtung. Denn selbstverständlich kann das Nahverkehrsangebot – bis hin zur Bewirtschaftung Deshalb schlage ich vor, dass diese Investitionen von Strecken – dezentral, mittelständisch und bürgernah künftig wie bei den Bedarfsplanprojekten und wie auch viel exakter, viel effizienter und viel kostengünstigerbei den Fernprojekten in Form von Baukostenzu- gestaltet werden. Der Regionalisierungsgedanke, der ja schüssen gewährt werden. Dann gibt es eine völlig 8928 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Albert Schmidt (Hitzhofen) (A) andere Finanzierungslage: Die Strecken werden nich t hat bisher – das ist unsere Bilanz – Licht und Schatten (C) mehr totgerechnet, sondern wirklich angepackt. Darinmit sich gebracht. Das Ziel muss es sein – das wird es muss doch unser gemeinsames Interesse bestehen. auch – bleiben –, bis zum Jahre 2003 dieWirtschaftlich- Jetzt können Sie, Herr Oswald, auch klatschen. Sie woll- keit der Bahn herzustellen. Ich möchte deutlich sagen: ten doch die Finanzierungsfrage beantwortet haben. Der Begriff „Börsenfähigkeit“, der immer wieder ange- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN führt wird, bedeutet nicht, dass der Börsengang auch tat- und bei der SPD) sächlich erfolgt. Mit diesem Begriff soll nur unser Inte- resse daran dokumentiert werden, dass die Bahn auf ei- Es gibt eine Reihe weiterer Bedingungen, die ich jetzt genen Füßen stehen kann und in der Lage ist, aus eige- im Einzelnen nicht ansprechen kann. Ich möchte nur ner Kraft positive wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. noch einen Gedanken ausführen: Die Bahn braucht in der jetzigen schwierigen Phasepolitischen Flanken- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schutz. Nach meiner Meinung ist es scheinheilig, wenn DIE GRÜNEN) ausgerechnet diejenigen, die 16 Jahre Zeit dazu gehabt Das Engagement des Bundes, diesen Weg zu flan- hätten, die steuerliche Gleichstellung der Deutschen Bahn mit anderen europäischen Eisenbahnen fordern.kieren, ist ungebrochen. Ich möchte daran erinnern, dass wir allein im Rahmen des diesjährigen Haushalts Sie haben ja in der Sache Recht. Aber warum um Him- 14 Milliarden DM an das Eisenbahnvermögen überwei- mels willen haben Sie das, was Sie jetzt von uns verlan- gen, in all den Jahren Ihrer Regierung nicht getan? sen, damit Strukturschwächen und Strukturfehler der Vergangenheit ausgeglichen werden können. Für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regionalisierung werden jedes Jahr 13 Milliarden DM und bei der SPD) überwiesen, mit steigender Tendenz. Aber das sind nicht die einzigen Bahnprobleme, an deren Lösung wir uns fi- Der realistische Zeitpunkt, um solche Forderungen zu nanziell beteiligen. Wir sind auch im investiven Bereich erheben, ist dann gekommen, wenn im Verkehrsbereich bemüht, der Bahn zu helfen, genauso wie in vielen ande- zusätzliche Staatseinnahmen in Milliardenhöhe generiert ren Bereichen. werden, nämlich durch die LKW-Maut, die Schwerver- kehrsabgabe, ab 2003. Erst ab diesem Zeitpunkt kann (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nach meiner Meinung ernsthaft über eine steuerliche BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Entlastung der Deutschen Bahn AG im Sinne einer Insofern können wir zu Recht sagen, dass wir die Inte- Gleichstellung mit allen anderen europäischen Bahnen ressen der Bahn als ein Teil unserer Verkehrsinfrastruk- bezüglich Mehrwertsteuer und bezüglich Mineralölsteu- er geredet und entschieden werden. Das ist unser Vor- tur und gleichzeitig auch die Interessen der dort beschäf- tigten Menschen sehr wohl im Auge behalten. (B) schlag. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dennoch dürfen die Interessen nicht so definiert werden, dass wir vonseiten des Bundes praktisch jede auftretende Vizepräsidentin Anke Fuchs: Der Kollege Dr. Schwierigkeit bewältigen müssen. Auch diejenigen, die Winfried Wolf von der PDS-Fraktion hat seine Rede zu bei der Deutschen Bahn Verantwortung haben, müssen Protokoll gegeben.*) Sind Sie damit einverstanden? – unbequeme Probleme lösen. Deswegen werden die jet- Das ist der Fall. zigen Verhandlungen schwierig sein. Ich erteile jetzt das Wort dem VerkehrsministerIch möchte auf einen Punkt eingehen, der vorhin kri- Reinhard Klimmt. tisch angemerkt worden ist. Die Bahn hat bis dato den schwierigen Prozess des Abbaus von Personal vollzo- Reinhard Klimmt, Bundesminister für Verkehr,gen. Da ist sehr viel gemacht worden. Aber es ist nach Bau- und Wohnungswesen: Frau Präsidentin! Meinedem Prinzip gemacht worden, nicht mit betriebsbeding- Damen und Herren! Heute finden Verhandlungen zwi- ten Kündigungen zu arbeiten. Ich sage noch einmal mei- schen dem Bahnvorstand und den Gewerkschaften statt ne Meinung zu diesem Punkt: Dabei soll es bleiben. Es über die Weiterentwicklung der inneren Strukturen muss ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich sein. der Bahn, über Arbeitsorganisation und auch über die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sensible Frage der Entlohnung. Dass die Tarifpartner DIE GRÜNEN) darüber entscheiden, ist richtig. Wir haben diese Ver- antwortlichkeiten bewusst so geregelt, damit die Zeiten Wir sind uns darüber einig, was die Bahn braucht. Sie der Behördenbahn vorbei sind, in denen immer von oben braucht wirtschaftliche Strukturen, die es uns ermögli- Leitlinien vorgegeben wurden, mit denen gleichzeitigchen, dass wir uns irgendwann nicht mehr nur über Per- auch finanzielle Verpflichtungen verbunden waren. sonalabbau unterhalten, sondern endlich einmal wieder Die Bahnreform, die eine wirtschaftliche Zuordnung darüber reden, wie es zum Beispiel bei den Informati- gebracht hat, haben alle in diesem Hause gewollt. Sie onstechnologien der Fall ist, dass wir wiederPersonal ______brauchen. Das ist das eigentliche Ziel unserer Arbeit. Hier können und müssen wir Fortschritte erwarten. *) Anlage 2 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8929

Bundesminister Reinhard Klimmt (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Das ist (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Unsinn!) In den Anträgen sind dazu viele wichtige und hilfreiche Die Anträge, die Sie hier eingebracht haben, wären sehr Argumente genannt worden. Um das genannte Ziel zu viel hilfreicher gewesen, erreichen, brauchen wir auch deneuropäischen Be- reich. Die Bahn muss über Grenzen hinweg operieren (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Sie ha- ben sie nicht gelesen!) können. Hier muss noch vieles geschehen. Wir arbeiten daran. wenn Sie in den vergangenen Jahren, als Sie in der Re- Auch sind wir der Meinung, dass dieInfrastruktur gierung Verantwortung hatten, Teile davon angegangen wären. Dann hätten wir die heutige Situation weder bei verbessert werden muss, nicht nur für den Fernverkehr, der Bahn noch in unseren Haushalten. sondern auch für den Nahverkehrsbereich. Dies werden wir ungeachtet knapper Kassen im Rahmen unserer (Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] Möglichkeiten mit großem Engagement begleiten. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Selbstverständlich braucht die Bahn auchorganisa- Warum haben Sie es denn versäumt, auf europäischer torische Flexibilität. Es ist wichtig, dass wir, wenn es Ebene Harmonisierung und Liberalisierung in Über- um die Region geht, auch das Argument Mittelstand –einstimmung zu bringen? Der Bundesregierung ist es Herr Albert Schmidt hat es schon ausführlicher erläu-Gott sei Dank gelungen, mit Frankreich erste Ansätze im tert – mit in die konzeptionellen Überlegungen einbau- Bereich des Güterverkehrs in Gang zu setzen, sodass en. Auf diese Weise ist es meines Erachtens möglich,hier die Öffnung der Märkte in Zukunft stattfinden kann. dem Ziel der Wirtschaftlichkeit und einer umfassenden Hier gibt es also ein Versäumnis, das Sie zu vertreten Infrastruktur für die Bahn wieder ein Stück näher zuhaben. kommen. Sie beklagen die Rahmenbedingungen der Politik. Auch die Partner, die jetzt miteinander am Tisch sit- Wer hat denn in den vergangenen 16 Jahren diese Rah- zen, müssen wissen, dass die Bahn ein sensibler Orga- menbedingungen als Grundlage der Situation, die wir nismus ist. Sie ist kein kraftstrotzendes Aggregat, aufheute haben, geschaffen? Sie tragen dafür seit der Bahn- dem man sich nach Belieben hin- und herbewegen könn- reform 1993 die Verantwortung. te. Deswegen muss bei den Verhandlungen vonseiten des Vorstandes, aber auch vonseiten der Gewerkschaften (Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wenn Kompromissfähigkeit gezeigt werden. Diese Kompro- ich mich recht erinnere, war die Bahnreform missfähigkeit war mit ein Grund dafür, dass es im Rah- voll zustimmungspflichtig!) (B) men der Bahnreform vorangegangen ist. Sie wird uns Unbestreitbar ist sicherlich, dass auch die Bahn ihre(D) auch jetzt helfen weiterzukommen. Hausaufgaben machen muss. Wir benötigen attraktive Ich möchte Sie, meine Damen und Herren von derAngebote vor allen Dingen für die Fläche. Als Aktien- Opposition, bitten, dass Sie zumindest zu dem Grund- gesellschaft muss die Bahn wirtschaftlich operieren und willen, voranzukommen, dadurch beitragen, dass Siegleichzeitig weiterhin ihr Zugpferd, die Fläche, bedie- ehrlich anerkennen, was wir von Ihnen an Problemennen. haben übernehmen müssen. Herr Friedrich hat es dan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des kenswerterweise schon gesagt; auch er saß mit im Boot. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn Sie begreifen, dass wir jetzt die Fehler auszuba- den haben, die Sie mitverursacht haben, und gleichzeitig Die Bahn hat in den vergangenen Jahren darunter ge- bereit sind, selbst mit anzupacken und mitzuhelfen, dann litten, dass mitGroßprojekten begonnen worden bin ich sicher, dass die heutige Woche wie auch die wei- ist, deren Finanzierung in keiner Weise wirtschaftlich teren Wochen und Monate, die uns zur Lösung der Pro- durchgerechnet war. bleme bleiben, unser Vorhaben zu einem positiven Ende (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ führen werden. DIE GRÜNEN]: Genau so war es!) Vielen Dank. Die Bahn leidet heute somit auch unter dem Milliarden- defizit, das zum Beispiel durch Großprojekte im Raum (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Köln und im Verkehrsknotenpunkt Berlin entstanden ist. DIE GRÜNEN) Ich erinnere nur an die Luftnummer Transrapid, den Sie während Ihrer Regierungszeit immer als wirtschaftlich Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat die Kolle- bezeichnet haben. gin Karin Rehbock-Zureich, SPD-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: Wer hat denn Köln–Rhein/Main un- Karin Rehbock-Zureich (SPD): Frau Präsidentin! terschrieben, war das der Bund oder war das Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir haben heute die Bahn?) eine wichtige Diskussion auf der Tagesordnung. Sie ha- ben dazu Anträge eingebracht nach dem Motto: Was in- Es bringt uns jedoch nicht weiter – ich bedaure den teressiert mich heute mein Handeln von gestern? gegenwärtigen Stand der Diskussion –, wenn wir in aller 8930 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Karin Rehbock-Zureich (A) Aufgeregtheit gegeneinander reden. Deshalb sollten wir Vizepräsidentin Anke Fuch: s Ich schließe die (C) versuchen, die Rahmenbedingungen für die Bahn ge- Aussprache. meinsam zu schaffen, und die Bahn konstruktiv beglei- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf ten. Bahnchef Mehdorn hat damit begonnen – Gott sei den Drucksachen 14/2691 und 14/2781 an die in der Ta- Dank, kann man nur sagen – eine ehrliche Bilanz vorzu- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vesocrhglagen. legen, die auch die Defizite ausweist. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Sofern es um die Belange der Beschäftigten geht, wird die Bahnreform nur dann eine positive Entwick- Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf: lung nehmen, wenn neue Konzeptionen und Entwick- Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk lungen gemeinsam mit den Gewerkschaften angedacht Niebel, Ernst Burgbacher, Hildebrecht Braun werden. Sie wird nur dann positiv und sinnvoll sein, (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak- wenn wir gemeinsam mit den Ländern ein Konzept für tion der F.D.P. den Regionalverkehr, für denVerkehr in der Fläche entwickeln. Denn eines ist uns allen – über die Partei- Jährliche Vorlage einer Generationenbilanz grenzen hinweg – klar: Die Strukturen der Bahn müssen und Aufnahme der Daten in die Haushalts- verändert werden. Ich möchte Sie auffordern, diese Re- statistik des Bundes form gemeinsam mit der Bahn und mit uns in der Regie- – Drucksache 14/1758 – rungsverantwortung positiv zu begleiten. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Ich begrüße es, dass Herr Mehdorn immer deutlich Finanzausschuss gemacht hat, dass es ihm wichtig ist, den Verkehr in der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Fläche zu erhalten, dafür zu sorgen, dass Regionalver- Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder kehr nicht ausgedünnt wird. Gleichzeitig will er die Haushaltsausschuss Wirtschaftlichkeit der Bahn steigern. Diese Quadratur Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für des Kreises muss von uns begleitet werden. diese Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Hinsichtlich der Rahmenbedingungen möchte ichIch höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- noch einmal darauf hinweisen, dass wir als Regierungs- sen. koalition zum Beispiel im Engpassbeseitigungspro- Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen gramm damit begonnen haben, die Bahn mit Mitteln in Dirk Niebel, F.D.P.-Fraktion, das Wort. einer Größenordnung von zusätzlich 2,8 Milliarden DM zu unterstützen. Sie haben nie ein Programm in dieser (B) Dirk Niebel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr (D) Größenordnung zusätzlich zu den im Haushalt verbuch- verehrten Damen und Herren! Generationengerechtig- ten Mitteln aufgelegt. Wir sind hier auf dem richtigenkeit setzt Fairness bei der Belastung jeder einzelnen Ge- Weg. neration voraus. Nach Angaben des Statistischen Bun- (Beifall bei der SPD) desamtes schrumpft unsere Bevölkerung und wird deut- lich älter. Wenn heute noch 22 Prozent der Bevölkerung Wir haben ferner ein Investitionsprogramm aufge- über 60 Jahre alt sind, so werden es im Jahr 2040 bereits legt, in dem die westlichen Bundesländer die Mittel für 37 Prozent sein. Sind heute noch 21 Prozent der Bevöl- die Bahn bei 55 Prozent festgeschrieben haben. Auchkerung unter 20 Jahre alt, werden es im 2040 Jahr dies ist eine Hilfe für die Bahn auf dem Weg zu sicheren 15 Prozent sein. Bis 2030 wird sich die Zahl der Rentner Finanzen. Wenn auch Sie die Bahn begleiten wollen,von jetzt 13,7 Millionen auf 17,6 Millionen erhöhen, sollten Sie daran denken, dass Sie nur mit uns gemein- während auf der anderen Seite die Zahl der Erwerbs- sam etwas zustande bringen werden. Wir haben 1993 die personen von jetzt 33 Millionen auf 29 Millionen zu- Bahnreform gemeinsam – Regierung, pposition O und rückgehen wird. Gewerkschaften – auf den Weg gebracht. Wer ein wirk- Die Generationenbilanz, die wir Ihnen heute hier vor- liches Interesse an der Weiterentwicklung der Bahn hat schlagen, soll die Toleranz zwischen den Generatio- und nicht nur Showanträge stellt, wird auch in Zukunft nen verbessern und die Möglichkeit schaffen, der Politik konstruktiv hieran mitarbeiten. Dazu kann ich Sie nureine Entscheidungsgrundlage für zukünftige, wegwei- auffordern. sende Schritte in der Sozial- und Finanzpolitik zu geben. Herrn Friedrich möchte ich noch sagen, dass wir eine Die älteren Menschen in diesem Land haben den Zerschlagung der Bahn, wie Ihr Antrag sie festschreibt, Wohlstand und die soziale Sicherung, die wir hier ha- nie angedacht haben. ben, erarbeitet. Sie haben aber der jüngeren Generation auch eine Hypothek in Form von Staatsverschuldung, Vielen Dank. unverbrieften Schulden oder auch ökologischen Folge- schäden der politischen Entscheidungen der Vergangen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ heit mit auf den Weg gegeben. DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [F.D.P.]: So ein Blödsinn! Selbst der Wissen- Die Bundesbank hat festgestellt, dass jeder noch nicht schaftliche Beirat beim Verkehrsminister hat geborene Jahrgang nach 1996 mit 149 Prozent höheren das vorgeschlagen!) Zahlungen an den Staa bt elastet werden wird als die Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8931

Dirk Niebel (A) 1996 Geborenen. E in männlicher D eutscher, der 1996 (Beifall bei der F.D.P.) (C) geboren ist, wird im Verlauf seines Lebens mit einer Auch hat in derselben Debatte Interesse Nettobelastung von 400 000 DM rechnen können. Das an dieser Generationenbilanz bekundet. ist der Gegenwert einer Doppelhaushälfte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Auf der einen Seite werden in einer Generationenbi- lanz die Leistungen der älteren Generation zum Beispiel Insgesamt wurden 1996 in Deutschland 47 902 Jun- für Infrastruktur, Bildung und Ausbildung aufgeführt. gen geboren. Sie werden mit der Summe von Auf der anderen Seite wird dagegengerechnet, welche 19 Milliarden 160 Millionen und 800 Tausend Mark Belastungen kommende Generationen zu erwarten ha- mehr belastet, als sie selber aus den staatlichen Kassen ben. Ich sprach sie schon an: Verschuldung der öffentli- beziehen werden. Davon könnte man eine mittlere chen Hand, Verschuldung der sozialen Sicherungssys- Kleinstadt bauen. teme, ökologische und soziale Folgelasten, die wir heute Wir brauchen eine Kursänderung in der Finanz-vielleicht noch gar nicht kennen. und Sozialpolitik und müssen wegkommen von der Ge- fälligkeitspolitik mit dem kurzfristigen Ziel, nur Wähle- Die Ergebnisse einer Generationenbilanz müssen in rinnen und Wähler bei einer bevorstehenden Wahl zudie Haushaltsgesetzgebung des Bundes eingeführt wer- befriedigen. Wir müssen die Konsequenzen unserer poli- den; denn nur so hat man den direkten Vergleich mit den tischen Entscheidungen für nachfolgende Generationen Haushaltszahlen des Bundes und nur so kann man er- wesentlich mehr im Blick haben, als das in der Vergan- kennen, ob die Ergebnisse dieser Bilanz in konkretes po- genheit der Fall gewesen ist. litisches Handeln umgesetzt worden sind. Diese Umset- zung muss unter anderemMesslatte für die Effizienz (Beifall bei der F.D.P.) und den Erfolg der Politik einer Bundesregierung sein. Sie muss sich vorhalten lassen, wenn sie Entscheidun- Im Privatleben kann man eineüberschuldete Erb- gen trifft, die kommende Generationen stärker belasten, schaft ausschlagen. Kommenden Generationen ist es dass sie dies bewusst getan hat, und kann sich nicht da- nicht möglich, dies zu tun. Sie müssen mit der Staats- mit herausreden, dass sie keine konkreten Datenmateria- verschuldung, sie müssen mit den umlagefinanzier- lien zur Verfügung hatte. Die Generationenbilanz ist ein ten Sicherungssystemen, sie müssen mit der ökologi- Indikator für die Zahlungsverpflichtungen, aber auch für schen Belastung und vielem anderen – auch mit viel- die Handlungsfähigkeit eines Staates, und sie soll die leicht noch gar nicht absehbaren Problemen – in Zukunft Fairness für alle Generationen als zentrales Anliegen leben. deutscher Politik untermauern. Bereits in der 13. Wahlperiode dieses Bundestages hat der Generalsekretär der F.D.P., Guido Westerwelle, Walter Riester hat in der Debatte vom 30. September (B) in der Koalitionsrunde versucht, die Einführung einer1999 hier in diesem Hause gesagt: (D) Generationenbilanz durchzusetzen. Das ist damals am Zunächst komme ich zu der ... Forderung ..., eine Einspruch der CDU/CSU gescheitert. Generationenbilanz vorzulegen. Diese Grundlinie In der Sitzung des Deutschen Bundestages am halte ich für spannend und wichtig. ... Gleichwohl 30. September 1999 sagte Kollegin Birgit Schnieber- will ich diese Überlegung aufnehmen. Ich wäre Jastram – ich zitiere –: sehr daran interessiert, wenn wir an dieser Frage einer Generationenbilanz arbeiten könnten. Legen Sie diesem Hause regelmäßig eine Generati- onenbilanz vor! Lieber Herr Staatssekretär, teilen Sie Herrn Riester bitte mit, dass wir schon heute damit anfangen können. Mithilfe dieser Generationenbilanz können Sie die Belastung der heutigen Generation und der nach- Vielen Dank. folgenden Generationen miteinander vergleichen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) An dem Ergebnis der Generationenbilanz müssen Sie sich messen lassen. Daran wird erkennbar, ob Sie einen Kurs steuern, der zu mehr Gerechtigkeit Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat die Kollegin zwischen den Generationen führt. Ute Kumpf, SPD-Fraktion, das Wort. Frau Schnieber-Jastram, ich freue mich, dass die Union mittlerweile zu dem Schluss gekommen ist, dass die Ute Kumpf (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Generationenbilanz ein hilfreiches Entscheidungsmit- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dirk tel für die Politik ist. Niebel, mir kommen schier die Tränen. Sie hatten 16 Jahre lang Zeit – nicht Sie selbst, aber Ihre Frak- (Beifall bei der F.D.P.) tion –, sich in diesem Hohen Hause um Nachhaltigkeit Ich finde es allerdings sehr schade, dass Sie sie in einen zu kümmern. Dass auch wir die Politik der Nachhaltig- umfassenderen Antrag zur Rentenpolitik eingebettet ha- keit und der Generationengerechtigkeit als wichtiges ben, der aller Voraussicht nach in diesem Hause keine Ziel unserer politischen Konzepte ansehen, müsste sich Mehrheit finden wird. Aus diesem Grunde beantragt die bei Ihnen herumgesprochen haben. Zur Nachhaltigkeit F.D.P.-Bundestagsfraktion die eigenständige Einführung in der Sozialpolitik gehört, dass wir die finanziellen Las- einer Generationenbilanz, weil diese hier durchausten nicht auf unsere Kinder abladen. Sie haben Kinder; mehrheitsfähig sein müsste. ich habe auch ein Kind. 8932 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Ute Kumpf (A) Bilanzieren und Haushalten is t nie verkehrt – da s Ich muss schon sagen, Herr Niebel – Herr Kolb ist (C) wissen Sie als Baden-Württemberger –, wenn man den jetzt leider nicht da –: Ich finde Ihre Kehrtwendung und Blick für die Realität und die Bodenhaftung nicht verlie- Ihre neu entdeckte Liebe zur Berichterstattung sehr ver- ren will. Sie hatten aber, wie gesagt, 16 Jahre lang Zeit wunderlich. Wir haben in diesem Hause vor einigen und die Erblasten haben Sie und Ihre Fraktion uns hin- Wochen einen Antrag eingebracht, eine nationale Be- terlassen. richterstattung zum Thema von Armut und Reichtum vorzunehmen. Herr Kolb von Ihrer Fraktion hat sich (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Neue damals vehement dagegen ausgesprochen, einen Ar- Schallplatte! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] muts- und Reichtumsbericht, der schon längst überfällig [SPD]: Das muss immer mal wieder gesagt ist und Grundlagen für ein politisches Handeln bieten werden, sonst vergessen Sie es!) soll, vorzulegen. – Frau Schnieber-Jastram, am 30. September haben Sie (Erika Lotz [SPD]: Hört! Hört!) den Schlüsselsatz gesagt: Ich frage mich nur: Haben Sie mehr eine Vorliebe für Sozial gerecht ist nur das, was auch zwischen den Science-Fiction als für grundanständige, solide Hinter- Generationen gerecht ist. grundberichte, die politisches Handeln möglich machen? Diesen Satz haben Sie wohl in den 16 Jahren zuvor nie (Beifall bei der SPD) im Kopf gehabt. Was ist unter dem Instrument der Generationenbi- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ekin lanz – das hört sich erst einmal ganz toll an; es wird in Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) einigen Ländern bereits angewandt – zu verstehen? Was Ich finde es schön, das die F.D.P. lernfähig ist undwird denn eigentlich bilanziert? Mit Hilfe der Generati- jetzt auch die Nachhaltigkeit entdeckt und diese mit ei- onenbilanz soll die Nachhaltigkeit der öffentlichen nem Antrag zur Generationenbilanz umsetzen will. Herr Haushalte untersucht werden. Es wird versucht, die Niebel, Sie haben eben schon darauf hingewiesen, dass hypothetischen Einnahmen und Ausgaben ganzer Gene- wir am 30. September 1999 bereits darüber debattiertrationen auszurechnen und denen zukünftiger Generati- haben. Nun haben Sie mit zeitlicher Verzögerung Ihren onen gegenüberzustellen – so weit der Ansatz. Unter Antrag eingebracht. Das kann einmal passieren; Haupt- diesen Voraussetzungen werden über einen Zeitraum sache, Sie sind lernfähig. von – ich betone das – etwa 200 Jahren Generationen- konten gebildet, die über den Zustand der öffentlichen Vonseiten der SPD hat Herr Kollege Kurt Bodewig, Haushalte heute und in Zukunft Aufschluss geben sol- der jetzt in neuer Funktion auf der Regierungsbanklen. sitzt – herzliche Gratulation –, (B) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das kann man!) (D) (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren von der F.D.P.: Kommen damals schon seine Kritik an dieser Bilanz geäußert.Sie herunter vom Raumschiff Orion auf den Boden der Walter Riester, der sich gegenüber den Fraktionen von Realität! Sie fordern mit Ihrem Antrag nämlich ein Da- F.D.P. und CDU/CSU stets sehr kooperativ, umgänglich tenmaterial für 200 Jahre Zukunft – ein gigantischer An- und freundlich verhält – manchmal denke ich sogar, zu spruch. Dies ist gerade von Ihrer Seite verwunderlich, da freundlich –, Sie noch nicht einmal in der Lage waren, zum Beispiel den Mangel an qualifizierten Kräften im IT-Bereich – er (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Jetzt kom- war offensichtlich – zu erkennen und entsprechende po- men uns aber die Tränen!) litische, handwerklich saubere Konzepte vorzulegen. hat in dieser Debatte ausgeführt, dass er die Aufstellung (Beifall bei der SPD) einer Generationenbilanz für „spannend und wichtig“ halte. Er hat aber hinzugefügt – auch das können Sie im Ich halte es für sehr ehrenvoll, dass Sie der SPD und der Protokoll nachlesen –, dass Beispiele im Ausland, etwa Regierung hellseherische Fähigkeiten zutrauen. So viele in den USA, gezeigt hätten, dass Generationenbilanzen Kugeln können wir aber gar nicht bestellen, um diese durchaus ihre Fallstricke und Tücken in der Aufstellung hellseherischen Fähigkeiten für 200 Jahre Prognose un- und Anwendung haben. ter Beweis zu stellen. Bevor es nun zu einer allgemeinen Rentendebatte Sie berufen sich in Ihrem Antrag auf eineUntersu- kommt, möche ich konkret zu Ihrem heutigen Antragchung der Bundesbank vom November 1997. Hätten sprechen. Sie fordern mit Ihrem Antrag eine Generatio- Sie diese Untersuchung vor der Erstellung des Antrags nenbilanz, die zunächst einmal jährlich vorzulegen ist. vollständig und ein bisschen genauer gelesen, wären Sie Mittels dieser Generationenbilanz sollen alle wichti-in Ihrem Optimismus hinsichtlich dieser Genera- gen steuer- und sozialpolitischen Reformvorhaben auf tionenbilanz zurückhaltender. Die Bundesbank nennt in ihre Nachhaltigkeit überprüft werden. Darüber hinausihrer Untersuchung einige Schwachpunkte des Kon- soll die Generationenbilanz in die offizielle Haushalts- zepts, die dessen Aussagekraft erheblich einschränken. statistik aufgenommen werden. So weit Ihre Forderun- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist besser als gar gen. keine Aussage!) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8933

Ute Kumpf (A) Der Hauptkritikpunkt liegt auf der Hand: Wir haben Teil des Haushalts veröffentlicht. Die Amerikaner sind(C) heute schon Schwierigkeiten, den Rentenbeitrag und das zu dem Schluss gekommen, dass Generationenbilanzen Rentenniveau für einen Zeitraum von 30 Jahren halb-nicht der Weisheit letzter Schluss sind. So wurde wegs zuverlässig zu prognostizieren. PrognostischeKotlikoff, einer der Väter dieser Methode, als er 1994 Aussagen über einen Zeitraum von 200 Jahren sind mit für die Clinton-Administration Generationenbilanzen einer um ein Vielfaches größeren Unsicherheit behaftet. erstellen sollte, von offizieller Seite aufgefordert, als Wer versucht, mit solchen Zahlen Politik zu machen,Annahme hinsichtlich der Fiskalpolitik zu unterstellen, handelt schlicht unseriös. dass der Absolutwert der staatlichen Ausgaben ab dem Jahr 2000 konstant sei. (Beifall der Abg. Erika Lotz [SPD]) Was hätte das bedeutet? Im Zeitverlauf hätte das Werfen Sie nur einmal einen Blick zurück. Welche ge- ein relatives Verschwinden der Staatstätigkeit bedeutet. sellschaftlichen Umwälzungen der letzten 200 Jahre hät- Diese Annahme kann man zwar machen – vorstellbar ist ten Sie zuverlässig prognostizieren können? Ich sagesie –; aber sie ist, realistisch betrachtet, wenig plausibel. nur: Nostradamus lässt grüßen! Sie hätte die Zukunftsbilanzen vor allem positiver wir- Nun im Einzelnen zu den Schwachpunkten des Kon- ken lassen. Kotlikoff widersetzte sich diesem Ansinnen zepts: mit dem Ergebnis, dass seit 1996 Generationenbilanzen nicht mehr Teil des US-Haushalts sind. Erstens. Bei den Generationenbilanzen geht es nicht um ein realistisches Abbild der Zukunft; vielmehr wer- Was kann man nun zusammenfassend dazu sagen, den stark vereinfachende Annahmen zugrunde gelegt, was ist das Fazit? Aus wissenschaftlicher Sicht heißt insbesondere hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichendas, dass es sich bei Generationenbilanzen nicht um ein Wachstums und der Beschäftigung. Prognose-, sondern um ein Gedankenexperiment han- delt, das ausdrücklich nicht auf Realitätsnähe angelegt Zweitens. Bei der Generationenbilanz wird unter-ist. Gedanken kann man zwar machen; aber ob man sie stellt, dass der Staat seine Einnahmen- und Ausgaben-zum Teil des Haushaltes machen sollte, daran habe ich struktur nicht ändert. Es werden somit solche Maßnah- Zweifel. Die Vielzahl methodischer Vorgehensweisen men nicht berücksichtigt, die bereits beschlossen sind, und Zuordnungen bei der Erstellung von Generationen- aber erst in der Zukunft wirken bzw. automatisch durch- bilanzen – das habe ich bereits ausgeführt – öffnet zu- geführt werden. dem Manipulationen Tür und Tor. Drittens. Unsicherheiten undunvorhergesehene Schwerwiegender als alle methodischen Probleme Entwicklungen können von Generationenbilanzen nicht sind jedoch die politischen Bedenken. Die Ergebnisse erfasst werden. Bestes Beispiel: Die deutsche Einheitvon Generationenbilanzen würden in der Öffentlichkeit (B) mit ihren finanziellen Folgewirkungen wäre bei derfür bare Münze genommen. Mögliche Fehlschätzun-(D) prognostizierten zukünftigen Finanzentwicklung unbe- gen – dieses Konzept impliziert solche Fehlschätzun- rücksichtigt geblieben. gen – hätten einen großen Vertrauensverlust der Bevöl- Viertens. Die Generationenbilanz arbeitet mit unvoll- kerung in die Politik zur Folge. Ich denke, das ist ein un- ständigen Datenbasen. In der Regel liegen nur vergan- taugliches Mittel zur Bekämpfung von Politikverdros- genheitsbezogene Stichproben vor, die durch Schätzun- senheit. gen ergänzt werden. Es heißt, dass bei den bisher be- Für die politische Planung sind möglichst konkrete obachteten methodischen Vorgehensweisen und Zuord- Prognosen erforderlich. Das müssten auch Sie als Ar- nungen bei der Erstellung von Generationenbilanzen beitsmarktpolitiker wissen und daraus sollten Sie Manipulationen Tür und Tor geöffnet sind. Schlussfolgerungen ziehen. Aber eines muss, so denke Noch ein Blick über den Zaun unserer Landesgrenzen ich, erkennbar sein: der Zeitpunkt, zu dem finanzielle hinweg nach Europa und darüber hinaus: Schaut manBelastungen, insbesondere als Folge der demographi- sich bei den OECD-Staaten um, dann bestätigt sich die schen Entwicklung, auf zukünftige Generationen zu- These, dass die Aussagekraft von Generationenbilan- kommen. zen begrenzt ist. In den meisten Staaten werden Genera- tionenbilanzen nämlich nicht von oder im Namen der Eine Generationenbilanz, wie sie bisher praktiziert Regierung, sondern, wenn überhaupt, auf Initiative von wird, leistet dies schlichtweg nicht. Ihre Ergebnisse sind Forschungsinstituten veröffentlicht und vorgelegt. lediglich qualitativ verwertbar. Die Grundidee – ich glaube, darin besteht Einigkeit – ist richtig: Wir dürfen Eine Ausnahme bilden die Niederlande und Norwe- es nicht zulassen, heute auf Kosten zukünftiger Genera- gen. In den Niederlanden werden Generationenbilanzen tionen zu leben. vom staatlichen Zentralen Planungsbüro veröffentlicht. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber ihr macht das Norwegen fügt seine Generationenbilanz dem Haushalt doch!) bei. In diesen beiden Ländern sind die Generationenbi- lanzen deswegen so ausgeglichen, weil die dort vorhan- Mit anderen Worten: Wer die Substanz einer Volkswirt- denen Rohstoffreserven – Stichwort: Öl – einbezogenschaft verkleinert, schmälert gleichzeitig deren zukünf- werden. tige Erträge. In den USA, der Heimat der Generationenbilanz, Wir wollen im Interesse der heutigen jungen Genera- werden seit 1996 Generationenbilanzen nicht mehr als tionen die Substanz erhalten. Daher kann es nicht falsch 8934 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Ute Kumpf (A) sein, Messinstrumente zu entwickeln, die den Wohlstand daran, dass junge Menschen in d en Parlamenten nach(C) zukünftiger Generationen prognostizieren. Aber Genera- wie vor unterrepräsentiert sind. Diesbezüglich haben tionenbilanzen sind nicht seriös und MessinstrumenteCDU und CSU in der Vergangenheit deutliche Fort- sind kein Ersatz für Politik. schritte gemacht. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie sollten sich da noch (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!) einmal informieren!) Die Regierungsfraktionen haben mittlerweile etwas – Herr Niebel, ich habe mich informiert, vielleicht mehr nachgezogen, sodass ich die Hoffnung habe, dass sich als Sie. dies in der Zukunft – anders als in den letzten anderthalb (Beifall bei der SPD) Jahren – auch günstig auf Ihre Politik im Interesse der jungen Menschen auswirkt. Ziel der SPD ist, in Zukunft Nachhaltigkeit die unseres Renten- und Finanzsystems sicherzustellen. Natürlich hatte die Politik gerade in den letzten Heute arbeiten wir daran und wir werden auch noch10 Jahren sehr wichtige, nicht unbedingt jugendspezifi- morgen daran arbeiten. Entscheidend für zukünftige Ge- sche Aufgaben gerade im Zusammenhang mit derWie- nerationen ist, dass sie gute Startbedingungen haben. Zu dervereinigung Deutschlands zu lösen. Im Zuge dieser nennen sind in diesem Zusammenhang die Teilhabe an Wiedervereinigung sind natürlich – das darf man nicht den sozialen Sicherungssystemen zu akzeptablen Bei-vergessen – gerade in den neuen Ländern erhebliche tragssätzen, finanzielle Spielräume zum Aufbau einerVermögenswerte neu geschaffen worden. All das, was zusätzlichen Altersvorsorge durch Steuerentlastung und nach 40 Jahren real existierendem Sozialismus wieder steuerlich geförderte Vermögensbildung sowie vor allem aufgebaut worden ist, hat eben nicht nur Schulden ge- Jobs und eine zukunftssichere Ausbildung. bracht, sondern auch zu einem deutlichen Zuwachs des Volksvermögens geführt. Es gehört zu jeder seriösen Bi- Genau dies tun wir. Diesen Weg beschreiten wir. Wir lanz, natürlich auch zur Generationenbilanz, dass beides halten die Beitragssätze für die Rente auf einem kon-berücksichtigt wird. stanten Niveau. Wir haben die Arbeitnehmer und die Arbeitnehmerinnen steuerlich entlastet – dies werden Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund der wir in den nächsten Schritten der Steuerreform fortset- von den Regierungsvertretern so gebetsmühlenartig zen – und wir steuern bei der Vermögensbildung in der wiederholten Behauptung – wir haben sie auch hier ge- Altersvorsorge um. hört –, dass am Ende von 16 Jahren CDU/CSU-geführter Bundesregierung ein hoher Schuldenstand zu verzeich- Die größte Sorge der zukünftigen Generationen, die nen sei. Sie in Ihrem Antrag indirekt ansprechen wollen, ist je- (B) doch, von welchem Geld sie heute leben. Dazu brauchen (Erika Lotz [SPD]: Was wahr ist, ist wahr!) (D) sie ausreichend Arbeitsplätze und Qualifikationen, und Diese Behauptung ist zumindest irreführend angesichts die ermöglichen wir ihnen. der großen Herausforderungen, die wir bei der Bewälti- Danke schön. gung von 40 Jahren Sozialismus zu schultern hatten, und auch angesichts dessen, was in diesem Bereich erreicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ worden ist. DIE GRÜNEN) Lassen Sie mich als jemand, der aus dem Ruhrgebiet kommt, folgende Bemerkung machen: Ich bin sicherlich Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort für die niemand, der der Meinung ist, man sollte im Bereich der CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Steinkohle Ralf mit einem radikalen Schnitt die Kumpel ein- Brauksiepe. fach auf die Straße setzen. Ich habe aber noch sehr gut in Erinnerung, wie Sie die Menschen auf die Straße ge- Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! hetzt und auf die Barrikaden gebracht haben, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mir das Thema (Erika Lotz [SPD]: Sie sind wegen Ihrer Poli- wichtig ist, will ich mit einer nicht parteipolitischen tik auf die Straße gegangen!) Bemerkung anfangen. Ich denke, die berechtigten Interessen der jungen Generation verdienen in der zu- als es darum ging, eine Anschlussregelung für den Koh- künftigen politischen Auseinandersetzung insgesamt ei- lepfennig zu finden. Das heißt: Als es umSubventionen ne stärkere Beachtung, als es in der Vergangenheit der in diesem Bereich ging, haben Sie dagegen protestiert, Fall war. dass wir Ausgabenkürzungen vornehmen wollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – wie bei Abgeordneten der SPD und des Widerspruch bei der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie haben doch jede einzelne Maßnahme torpediert. Ich sage grundsätzlich im Hinblick auf alle Parteien: Wenn wir uns in den 16 Jahren nach Ihnen gerichtet hät- Alle Parteien haben sich in der Vergangenheit mehr oder ten, wären die Schulden, nicht der Vermögensstand heu- weniger schwer getan, im politischen Tagesgeschäft die te erheblich höher. Wenn wir Ihnen gefolgt wären, eher langfristig ausgerichteten Interessen junger Men-müssten wir jetzt über einen ganz anderen Schul- schen zu berücksichtigen. Das liegt sicher nicht zuletzt denstand reden. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8935

Dr. Ralf Brauksiepe (A) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schiedlichen Ergebnissen. Ich will aber doch festhalten, (C) dass die Unterschiede in den Ergebnissen nicht in der Die heutige junge Generation will denGeneratio- groben Richtung liegen, sondern in bestimmten Tenden- nenvertrag nicht aufkündigen. Ich denke, auch diesezen. Die grobe Richtung ist eigentlich klar. Es stellt sich Feststellung ist wichtig. Es geht uns um ein ganz-bei diesen Studien immer wieder heraus, dass zukünftige heitliches Konzept – wie es schon in verschiedenenGenerationen in Deutschland mit bereits eingegangenen Ländern erfolgreich durchgeführt worden ist –, bei dem Verpflichtungen sehr hoch belastet sind. Vor diesem eben die zeitliche Entwicklung fiskalischer Lasten er-Hintergrund ist es notwendig, die Weichen für die Zu- mittelt wird und die Auswirkungen neuer finanz- undkunft so zu stellen, dass aus den schon jetzt sehr hohen sozialpolitischer Entscheidungen transparent gemachtBelastungen nicht unerträglich hohe Belastungen mit der werden sollen. Das ist der Grundansatz, um den es geht. Folge werden, dass der Generationenvertrag von der Diesen Ansatz hat die F.D.P. in ihrem Antrag, wie ich jungen Generation insgesamt in Frage gestellt wird. denke, zu Recht verfolgt. Es ist der Ansatz, den die Ich glaube, in der Vergangenheit hat die Politik zu CDU/CSU-Fraktion schon im letzen Jahr in einem An- häufig danach getrachtet, neue Einnahmemöglichkeiten trag formuliert hat und an dem wir als junge Gruppe in zur Finanzierung sozialer Sicherungssysteme zu finden, unserer Fraktion in Form einer Anhörung und anderer und weniger darüber nachgedacht, durch immanente Re- Initiativen mitgearbeitet haben. formen diese Systeme zukunftsfähig zu machen. Ich denke im Übrigen, das Erstgeburtsrecht ist gar (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht so wichtig, Herr Kollege Niebel. Wir beide waren ja nicht dabei. Ich will in diesem Zusammenhang zum ThemaRente eines sagen: Sie rühmen sich, dass Sie die Beitragssätze (Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber wir machen es in der Rentenversicherung gesenkt hätten. Sie wissen je- wenigstens!) doch genauso gut wie jeder andere in diesem Hause, Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine gewisse Reser- dass das nichts anderes ist als Augenwischerei, denn Sie viertheit bei unserer Fraktion einfach damit zu tun hat, haben in die eine Tasche hineingesteckt, was Sie aus der dass Sie am Rande angesprochen haben, mit denumla- anderen Tasche, mit Ihrer so genanntenÖkosteuer he- gefinanzierten sozialen Sicherungssystemen könne es rausgenommen haben. nicht so weitergehen. Da bestand vielleicht bei unserer Fraktion einfach der Verdacht, Sie wollten dieses Ana- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- lyseinstrument dazu nutzen, etwas über Bord zu werfen, wie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) an dem wir im Grundsatz festhalten. Ich könnte mir vor- Das ist das, was Sie gemacht haben, wodurch Sie vorü- stellen, dass das eine Rolle gespielt hat. (B) bergehend eine Beitragssatzsenkung erreicht haben. Es(D) (Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Niebel ist ein reiner Verschiebebahnhof. Es ist aber nicht nur [F.D.P.]: Da müssten Sie sich unsere Be- das: Wenn Sie behaupten – das tun Sie ja –, dass wir ei- schlusslage anschauen! Dann wüssten Sie es!) ne bestimmte Umweltbelastung brauchen, um über die Einnahmen aus der Ökosteuer die Rentenversicherung Es ist wichtig, dass wir die Generationensolidaritätfinanzieren zu können, dann sagen Sie damit umgekehrt: gerade vor dem Hintergrund der demographischen Ent- Wir brauchen diese Umweltbelastung weiterhin, weil wicklung neu definieren, um zu neuen Antworten imnur dann die Renten sicher sind. Damit versündigen Sie Sinne einer Stärkung der Generationensolidarität zu sich an dem Gedanken der ökologischen Zukunftssiche- kommen. Das ist im Übrigen auch die Position fast aller rung. Jugendverbände in diesem Bereich. Die Jugendverbände wollen keinen Kampf zwischen den Generationen. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wollen diese Solidarität unter veränderten Rahmenbe-Das ist ein wichtiger Gedanke, der auch zur Generatio- dingungen neu definieren. Da kann die Generationenbi- nensolidarität gehört. Den diskreditieren Sie, wenn Sie lanz wichtige Anhaltspunkte geben. sagen: Wir sind auf dieses finanzielle Volumen ange- (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) wiesen, um auf diese Weise die Renten zu finanzieren. So stellen wir uns eine Generationenbilanz und die poli- Natürlich – um auf die Kollegin von der SPD einzu- tischen Schlüsse daraus nicht vor. gehen – haben solche Bilanzen begrenzte Aussagekraft, wie übrigens jede staatliche Haushaltsrechnung, wie je- Lassen Sie mich auf eines abschließend hinweisen, des fiskalische Konzept. Das ist kein spezielles Problem weil ich glaube, dass darüber auch Konsens besteht. Ei- von Generationenbilanzen. ne Generationenbilanz ist natürlich kein Politik-Ersatz. Aus der Generationenbilanz sind keine konkreten politi- Die Probleme traditioneller Konzepte liegen auf der schen Maßnahmen abzuleiten. Deswegen wundert es Hand. Der staatliche Finanzierungssaldo sagt nichts über mich, dass Sie die Bilanz als solche schon scheuen. Sie die Umverteilung zwischen Jung und Alt und nichtsist kein Politik-Ersatz, aber sie schafft Transparenz für über die für die Zukunft eingegangenen Verpflichtun-die Folgen bestimmter politischer Maßnahmen, diffe- gen, also über die so genannte unsichtbare Staatsschuld, renziert nach einzelnen Generationen. Diese Transpa- aus. Das ist darin nicht enthalten. renz wollen wir, und wir wollen Maßnahmen, die den Es gibt unterschiedliche Studien. Wie so häufigInteressen der unterschiedlichen Generationen gerecht kommen die unterschiedlichen Studien auch zu unter-werden. Je eher wir dazu kommen, desto besser ist es für 8936 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Ralf Brauksiepe (A) alle Generationen und gerade auch für das Miteinander bestimmten Faktoren von B elastungen a uc hüber Jahr- (C) von Jung und Alt. zehnte hinweg kontinuierlich fortsetzen. Für das Jahr 1996 – also das Basisjahr, das Sie vorschlagen – heißt Vielen Dank. das, dass sich bestimmte Konjunkturflauten, bestimmte (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Maßnahmen auch in diesem Sinne fortsetzen. Gerade das Jahr 1996 war solch ein Jahr, in dem eine Konjunk- turflaute stattgefunden hat. Gerade das Jahr 1996 war Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun ein Jahr, in dem sich die Belastungen der deutschen die Kollegin Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen. Einheit massiv niedergeschlagen haben. In der Fortent- wicklung über 10, 20, 30 Jahre hätten wir dann also ir- gendwann einmal ein Horrorszenario, auf dem wir dann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Ekin Deligöz unsere Politik aufbauen sollten. Präsidentin! Liebe Schriftführer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich selber bin Schriftführerin und finde es Im Gegensatz dazu, wenn wir zum Beispiel das Jahr 2 ganz nett, wenn man auch einmal wahrgenommen wird. von Rot-Grün als Grundlage nähmen, also das Jahr 2000, (Vereinzelt Zustimmung) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir alle wissen – darin sind wir uns sicherlich ei- Lachen bei der F.D.P.) nig –: Es ist ungerecht, wenn wir auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Das gilt in der Haushaltspolitik, in hätten wir dann doch wirklich um einiges rosigere Wer- der Finanzpolitik und in der Ökologie genauso wie inte. Das wäre doch eine Sache! der Ökonomie. Gerade wir Grüne haben dieses Anliegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der nachhaltigen Entwicklung und der Generationen- und bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: Im gerechtigkeit über zwei Jahrzehnte hinweg eingebracht, Jahre 2 seit Schröder!) immer wieder verteidigt und sind damit durch alle Insti- tutionen marschiert. Unser Motto war: Wir haben die Bei vielen Faktoren, die für die zukünftige Entwick- Erde von unseren Kindern nur geborgt. Das war unser lung entscheidend sind, sind wir in der Tat auf manche Leitprinzip, unser Leitspruch, dessentwegen wir jahre- Formen von Spekulationen angewiesen. Zum Beispiel lang verhöhnt wurden, den wir über die Jahre hinwegin der Gesetzesfolgenabschätzung müssen wir dann, aber immer wieder verteidigt haben. wenn wir Regeln aufstellen, natürlich gewissermaßen auch hantieren. Wir können nicht alles genau voraussa- Nun setzen wir gerade dieses Denken an diesemgen. Aber gerade in der Haushaltsstatistik taugen Speku- Punkt in praktisches Regierungshandeln um. lationen doch nichts. Kaffeesatzlesen können wir nicht, (B) (D) Die Idee einer Generationenbilanz, wie Sie sie hier Hellsehen können wir auch nicht, auch mit der Kugel – vorgebracht haben, ist in diesem Sinne eigentlich alles da haben Sie sich mit Ihrem Zwischenruf geirrt, Herr andere als neu. Es ist ein sehr richtiger Ansatz, ein wich- Kollege – können wir nicht hellsehen. Deshalb können tiger und unterstützenswerter Ansatz – das gebe ichwir all das gerade in der Haushaltsstatistik nur begrenzt zu –; allerdings bringt uns das Ganze nur dann etwas,einsetzen. wenn wir es in einem Gesamtkonzept verbunden sehen Nun gibt es in der Tat Länder, die schon eine Art Ge- können und als ein Gesamtkonzept betrachten können. n erationenbilanz haben – zum Beispiel Norwegen. Aber Aber davon sind Sie in der F.D.P. mit Ihrem Vorschlag auch dort müssen wir unsere Augen aufhalten und dür- leider etwas entfernt. fen uns nicht an Mogelpackungen orientieren. Gerade (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Norwegen führt seine gigantischen Einnahmen aus und bei der SPD) Nordseeöl und aus Nordseegas in seine Generationenbi- lanz ein. Da wissen wir aber auch, dass die Einnahmen Sie berufen sich auf dieGenerationenbilanz der Bun- aus diesen Bereichen vielleicht noch 15 Jahre, vielleicht desbank. Ich denke, Sie hätten sich die Schwachstellen, auch noch 20 Jahre reichen werden. Aber das, was da- die von der Bundesbank selber angeführt werden, ge-nach in der Fortschreibung passiert, ist offen. Ich denke, nauer anschauen sollen. Hätten Sie das getan, hätten Sie das kann für uns kein Orientierungspunkt sein, weil die- diesen Vorschlag so nicht eingebracht. Gerade die Bun- se Bilanz doch sehr unkorrekt wäre. desbank legt nämlich Wert auf die Feststellung, dass die Was ist aber, wenn wir solche Maßnahmen haben – Umsetzungskonzepte, die wir derzeit haben, in der Ge- Sie sprechen das ja so schön an –, die gerade dieZu- nerationenbilanz auch massive Nachteile mit sich brin- kunftschancen der kommenden Generationen unter- gen. Das ist zum einen, dass sie manipulierbar ist, dass stützen und fortschreiben? Das ist zum Beispiel der Be- sie in ihrer Aussagekraft etwas begrenzt ist und das ist reich Ausstieg aus der Atomenergie, Einstieg in alterna- zum anderen das Hauptproblem dieses Ansatzes, dass tive Energien, wodurch ja auch dieZukunftstechnolo- wir gegenwärtige Entwicklungen einfach linear fort- gien gefördert werden, wodurch auch in diesem gesam- schreiben. ten Bereich der Wirtschaft etwas zusammengebaut wird Was heißt das? Das heißt Folgendes: Wenn wir zum und wodurch auch für unsere Generation ein Stück weit Beispiel ein Basisjahr nehmen – Sie schlagen ja das Ba- Zukunft und auch ein Stück weit Lebensqualität ökono- sisjahr 1996 vor – und das über Jahrzehnte hinweg fort- misch und ökologisch verbessert werden. Gerade das setzen, dann bedeutet das, dass wir die Einmaligkeit von müssen wir doch mit hineinnehmen, aber das sind die Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8937

Ekin Deligöz (A) Folgen von politischen Entscheidungen, die man doch Es wird Zeit, dass Sie in der Wirklichkeit ankommen.(C) so weit überhaupt nicht vorhersehen kann. Gerade Sie, Herr Kollege Niebel, sollten die Statistiken ganz gut lesen können, denn Sie kommen ja aus der Daran sehen Sie auch, dass wir diesem Vorschlag im Branche. Großen und Ganzen sehr offen gegenüberstehen. Des- halb unterstützen wir auch gerade in diesem Bereich die Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ihr Antrag, Forschung und die Fortentwicklung. Deshalb wollen wir Herr Kollege Niebel, der der F.D.P.-Fraktion, ist sicher- auch, dass das Ganze so umgesetzt werden kann, dass es lich sehr gut gemeint. Aber sein Ansatz ist in gewisser realistisch und pragmatisch ist. Aber das, was wir brau- Form abgekupfert. chen, sind nicht einfach irgendwelche Sonntagsreden, (Dirk Niebel [F.D.P.]: Wie stimmen Sie denn sondern es sind vernetzte Konzepte, ganzheitliche Kon- jetzt ab?) zepte in der Wirtschafts-, in der Sozial-, in der Umwelt- politik, in der Ökonomie wie in der Ökologie. Genau das Er ist inhaltlich so nicht umsetzbar, weil er nicht realis- brauchen wir und genau das bietet uns Ihr Modell der- tisch und schlichtweg schlecht ist. Deshalb ist meine zeit nicht. Beurteilung: ein schlichtes Blendwerk und in diesem Sinne ein echter Niebel. Einen Punkt möchte ich noch erwähnen. Die Politik ist sehr an ein lineares Denken gewöhnt. Gerade Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sollten wissen, dass man in der Wirtschaft sehr oft Spiel- und bei der SPD) theorien benutzt und auch als Entscheidungsgrundlage nimmt. Das lernen wir in der BWL und das haben auch Sie sicherlich in Ihren Ausbildungen gelernt. Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich möchte alle Kol- leginnen und Kollegen, die jenseits der Statistik an die- (Zuruf von der CDU/CSU: Wie war denn Ihr sem Thema interessiert sind, auf die umfangreichen Be- Schein?) richte und Erfahrungen der Enquete-Kommission „De- mographischer Wandel“ des Deutschen Bundestages Ich empfehle Ihnen, einmal einen Kurs in Kybernetik oder systemischem Denken zu machen oder Ökopoly zu hinweisen. Darin steht eine ganze Menge von dem, was hier heute diskutiert wird. spielen. Das gibt es inzwischen sogar in der Computer- version. Dann würden Sie feststellen, dass Ihre Propa- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die Ar- ganda gegen die Ökosteuer schlichtweg unsinnig ist. beit dieser Enquete-Kommission geht weiter!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Klaus Grehn. und bei der SPD) (B) Kurz gefasst: Die Methode, die Sie derzeit vorschla- Dr. Klaus Grehn(PDS): Frau Präsidentin! Liebe(D) gen, ist eigentlich recht banal. Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Kollege Niebel, das (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist ein doppelter Wegweisende in Ihrem Antrag habe ich nicht erkennen Rittberger! Die Grünen sind dafür und deswe- können. gen lehnen sie ab!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das wundert mich nicht!) Aber dass wir ein Problem mit dem Generationenvertrag haben, wissen wir. Gerade dieser Frage stellen wir uns. Ich meine, der vorliegende Antrag ist eher ein taubes Pflänzchen im Garten der parlamentarischen Initiativen (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das ist Ihrer Fraktion. Die Anwesenheit Ihrer Fraktion scheint leider nicht zu erkennen!) dafür schon ein Symptom zu sein. Wir debattieren darüber in der Haushaltspolitik, in der (Beifall bei der PDS – Dirk Niebel [F.D.P.]: Finanzpolitik und in der Rentenpolitik. Aber wir holen Dafür hat Ihr Redner vorhin zu Protokoll ge- in der Tat nicht das Blaue vom Himmel herunter und geben!) machen den Leuten keine Versprechungen, die wir nicht halten können. Die Forderung nach einer Generationenbilanz zur Guillotine für sozialpolitische Reformvorhaben zu ma- Zum letzten Punkt. Die Grundannahme in Ihrem An- chen, Kollege Niebel, ist absurd. Im zweiten Absatz der trag – auch das muss ich hier festhalten – stimmt nicht. Begründung des Antrages wird dann auch die Katze aus Sie sagen zum Beispiel zu Beginn Ihres Antrages: Die dem Sack gelassen: Es geht um die Kürzung der Alters- Arbeitslosigkeit steigt. Mit Verlaub, Herr Niebel: Die sicherung und die Abschaffung des Umlageverfahrens. Arbeitslosigkeit sinkt. Das haben uns die Statistiken ge- zeigt. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Quatsch! Sie haben es ja überhaupt nicht gelesen!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Ja, Ihre Statistiken!) Der angeblich viel zu teure Wohlfahrtsstaat belastet Sie wird unter dieser Regierung auch immer weiter sin- die F.D.P.-Kinder und -Enkel allzu sehr. ken. Die Fraktion der PDS wird allen Versuchen ent- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Erwerbslosenzahl schieden entgegentreten, den Staat aus seinerVeran- nimmt ab! Deshal bsinken die Arbeitslosen- wortung für die Wohlfahrt aller Bürgerinnen und zahlen!) Bürger zu entlassen. 8938 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Klaus Grehn (A) (Beifall bei der PDS) Natürlich muss man die Belastung des einzelnen Ar- (C) beitnehmers durch Steuern und Sozialabgaben in ver- Es ist dies sogar seine vorrangigste Aufgabe. Wenn es tretbaren Grenzen halten. Das gilt für heute genauso, denn ein Generationsproblem gibt, dann besteht es darin, wie es für die künftigen Generationen gilt. Ich habe im dass als Folge des Rückzuges von Unternehmen aus ih- Übrigen Vertrauen in meine Enkel, dass sie sich eine rer Verantwortung einerseits für die Jugend immer we- Regierung wählen, die das besser und gerechter regeln niger Ausbildungs- und Arbeitsplätze zur Verfügung ge- wird, als es in der Vergangenheit geschehen ist. stellt werden und andererseits immer mehr und immer jüngere ältere Arbeitnehmer aus dem Arbeitsprozess Die Kollegen von der F.D.P. haben sich Sorgen um ausgesondert werden. die finanzielle Belastung der noch nicht Geborenen ge- macht. Sie hätten sich besser Gedanken darüber ge- Zu Recht werden von diesem Hause gegensteuernde macht, wie es heute den Eltern, insbesondere den Müt- Entscheidungen erwartet. Es ist moralisch zutiefst ver- tern, dieser Kinder geht. Vernachlässigt man diese Über- werflich, dem Bürger immer dann mit mehr angeblicher legungen, dann werden die Kinder nämlich gar nicht erst Eigeninitiative und weniger Staat zu kommen, wenn es geboren oder sie wachsen ohne soziale Sicherheit sowie schlichtweg um seine berechtigten Ansprüche geht. ohne Bildung und Ausbildung auf und sind die Arbeits- Wenn der Staat wegen einer falschen Finanz- und Steu- losen von morgen. erpolitik, einer kinderfeindlichen Familienpolitik, einer Umverteilung von unten nach oben und Steuergeschen- Dafür zu sorgen, dass all das nicht zutrifft, darin be- ken an die falsche Adresse immer weniger Geld zur Er- steht die Aufgabe dieses Parlaments. Wir können unend- füllung seiner Fürsorgepflicht hat, so lässt sich das nicht lich viel dafür tun, den kommenden Generationen eine mit der altersmäßigen Zusammensetzung der Bevölke- intakte und gerechte Welt zu überlassen. Die Abschaf- rung übertünchen. fung oder Reduzierung von Fürsorge und Wohlfahrt ge- Die PDS hat ausreichend viele Vorschläge unterbrei- hört nicht dazu, das Schüren von Missgunst und Neid, tet, wie das Defizit in den Kassen ausgeglichen werden das Herbeireden von Konflikten zwischen Kindern, El- kann. Wir sind gerne bereit, dazu Seminare durchzufüh- tern und Großeltern genauso wenig. ren, um Ihnen die Gedanken nahe zu bringen. (Beifall bei der PDS – Wilhelm Schmidt (Dirk Niebel [F.D.P.]: Haben Sie auch einmal [Salzgitter] [SPD]: So, wie Sie das gerade ge- mit Ihren jüngeren Kollegen geredet?) macht haben! – Dirk Niebel [F.D.P.]: Genau das! Eine ziemlich rückwärts gewandte Rede, Wir werden uns niemals mit dem Gedanken anfreun- mindestens zehn Jahre rückwärts gewandt! – den, die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie älter Willhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: In der werden, oder das Altsein den Jüngeren als Last zu sug- Sache sind wir uns einig, Herr Niebel!) (B) gerieren. (D)

(Wihelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer will Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat das Wort denn das?) die Kollegin Birgit Schnieber-Jastram, CDU/CSU- In der Tat, Kollegin Kumpf, Nostradamus und dieFraktion. Schatten der Zukunft scheinen die Kollegen von der SPD dazu zu bringen, für das Heute und die heute Le- benden das Falsche zu fordern. Es wird Zeit, dass wir Birgit Schnieber-Jastram (CDU/CSU): Frau Präsi- aufhören, uns selbst und unseren Kindern einen Genera- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich ei- tionenkonflikt einzureden, wenn wir Unzulänglichkeiten nes aus dieser Debatte mitnehmen darf, dann ist es, liebe und Fehlleistungen der Regierenden meinen. Jungen Frau Kumpf, dass Sie heute den ersten Rückzug ange- Menschen einzureden, dass ihre Arbeitslosigkeit, daskündigt haben; Ausbleiben von Förderung, ihre Perspektivlosigkeit und (Ute Kumpf [SPD]: Was? Leider nein!) gesellschaftliche Missachtung damit zusammenhängen, dass ihre Eltern und Großeltern zu alt werden und zudenn ich kann mich gut an die Aussagen des Ministers viel Geld für sich verbrauchen, ist eine moralische Untat erinnern, die er vor kurzem in der Debatte zur Generati- und eine Lüge. onenbilanz gemacht hat. Dort hat er sich sehr positiv ge- äußert. Sie haben eben gesagt, er sei manchmal zu nett (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das fin- zu uns. den wir auch!) Wenn man schon fiskalische Vergleiche anstellt, Kol- (Ute Kumpf [SPD]: Er hat eben Sitte und An- lege Niebel, dann muss man festhalten: Es ist nicht so, stand!) dass die Seniorinnen und Senioren nur Nehmende des- Zunächst einmal stimmt das nicht, aber wenn es in sen sind, was die arbeitenden Jüngeren an Sozialabga- der Frage so gewesen sein sollte, dann bereiten Sie, wie ben abführen. Zumindest als konsumfreudige Nachfra- gesagt, jetzt den Rückzug vor. ger schaffen und erhalten sie Arbeitsplätze. DasUmla- geverfahren und der Generationenvertrag waren auch Frau Deligöz, ein bisschen habe ich schon den Ein- schon in Kraft, als die Älteren noch berufstätig waren. druck, dass die Grünen eingenordet wurden, dass sie Sie haben sich die Alterssicherung verdient; sie ist zu-wieder einmal vom Thema der Nachhaltigkeit, das sie tiefst moralisch und gerecht. lange Zeit sehr positiv besetzt haben, abgekommen sind. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8939

Birgit Schnieber-Jastram (A) Sie sind regierungstreu. Si esagen jetzt auch hier: Wir (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Politik der (C) sind zwar im Prinzip offen, aber noch lieber nicht, und Kurzatmigkeit! – Erika Lotz [SPD]: Sie erzäh- wir müssen alles noch lange überlegen. len Märchen!) (Zuruf der Abg. Ute Kumpf [SPD]) Ich will Ihnen das gerne auch anhand von einigen Bei- spielen beweisen. Das Thema der Generationenbilanz ist, glaube ich, viel zu wichtig, Frau Kumpf, als dass wir uns darüber Erstes Beispiel. Mit der von Ihnen beschlossenen streiten sollten. Die Zahlen sind noch einmal sehr deut- Rente nach Kassenlage vermengen Sie die problemati- lich geworden; die Studie der Deutschen Bundesbank ist sche Situation der Rentenversicherung mit der aktuellen erwähnt worden. Es gibt eine umfangreiche Forschung. Haushaltslage. Alle Zahlen machen eines deutlich: Wir müssen die Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lastung für die nachfolgende Generation drastisch ab- bauen und langfristig eine ausgeglichene Generationen- Es wird gespart, ohne eine echte Strukturreform in der bilanz erreichen. Rentenversicherung in Angriff zu nehmen. Das ist keine Politik der Nachhaltigkeit. Herr Dr. Grehn, das hat mit dem, was Sie hier gesagt haben, wirklich überhaupt nichts zu tun. Vielmehr glau- (Erika Lotz [SPD]: Jetzt machen Sie hier be ich, dass dieses Handeln in Verantwortung vor allen NRW-Wahlkampf!) Generationen notwendig ist. Wir dürfen die finanziellen Lasten nicht länger auf die Kinder abschieben. Lassen Erinnern Sie sich doch noch einmal: Wir haben Sie bei Sie uns in diesem Bereich schnell und klar handeln! der Verabschiedung des Haushaltssanierungsgesetzes im letzten Jahr gewarnt und gesagt: Die Rente nach Kassen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lage ist willkürlich und unberechenbar. Aber Sie haben schon damals nicht auf uns hören wollen. Heute ernten Deswegen haben wir damals unseren Antrag einge- Sie die Früchte Ihrer eigenen falschen und unsozialen bracht. Wir freuen uns darüber, Herr Niebel, dass die Politik. F.D.P. jetzt einen Vorschlag eingebracht hat; denn da- durch haben wir einmal mehr Anlass, uns im zuständi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – gen Ausschuss wirklich zu überlegen: Wie gehen wir Zuruf der Abg. Erika Lotz [SPD]) mit diesem Thema um? Wie führen wir es einer Lösung zu? Wie können wir dafür sorgen, dass wir auf diesem Was stellt sich denn jetzt heraus? Die Rentner be- Gebiet weiterkommen und uns mit dem Thema nicht nur kommen in diesem Jahr noch nicht einmal einen Aus- verbal auseinander setzen? gleich für die Inflationsrate. (B) Eines muss doch wirklich ganz klar sein: Das Ziel der (Dirk Niebel [F.D.P.]: Skandal! – Erika Lotz (D) Generationengerechtigkeit und das Ziel der Nachhal- [SPD]: Sie wiederholen hier eine Lüge!) tigkeit in der Alterssicherung können nur im Konsens Die Rentenanpassung zum 1. Juli 2000 wird deutlich ge- aller Parteien erreicht werden. ringer ausfallen als der Anstieg der Verbraucherpreise in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diesem Jahr. Die Rentner bekommen eine Rentenerhö- hung, die 1 Prozent niedriger liegt, als ihnen zugesagt Das ist übrigens auch der Grund gewesen, warum wirwar. Das macht, da beißt die Maus keinen Faden ab, cir- damals auf die Regierung zugegangen sind ca und 240 DM Verlust im Jahr pro Rentner aus. Das ist ein Verhandlungen über einen Rentenkonsens angebotenherber Verlust. haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Erika Lotz [SPD]: Ihr habt ihn gebrochen!) Erika Lotz [SPD]: Ungeheuerlich, was Sie Ich sage es noch einmal ganz deutlich: CDU und CSU hier von sich geben! – Weiterer Zuruf von der wollen einen Kompromiss mit der Regierung in der SPD: Lügen werden durch Wiederholung Rentenfrage. Mit diesem Ziel sind wir in die Rentenge- nicht wahrer! – Lügen haben kurze Beine!) spräche gegangen. Dazu stehen wir nach wie vor. Aller- Was stellt sich weiter heraus? Das den Rentnern auf- dings akzeptieren wir, Frau Lotz, nur einen soliden Ren- erlegte Sparopfer bringt noch nicht einmal die erwarte- tenkompromiss, der die Alterssicherung langfristig ga- ten Einsparungen im Haushalt der Rentenversicherung. rantiert und gleichzeitig den Beitragssatz in vernünftigen Grenzen hält. Nur so ist Gerechtigkeit zwischen den Ge- (Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf pur!) nerationen herzustellen und nur so kann eine Akzeptanz VdK-Präsident Hirrlinger sagt dazu: Riester habe Be- der gesetzlichen Rentenversicherung durch die jüngere rechnungen in die Welt gesetzt, die vorne und hinten Generation, die uns am Herzen liegen muss, erreichtnicht stimmen. – Sogar Kollegen aus Ihren eigenen Rei- werden. hen schimpfen. Und der DGB – wahrlich eine nicht uns, sondern eher Ihnen nahe stehende Vereinigung – bringt (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. es auf den Punkt: Erika Lotz [SPD]) Es wäre gescheiter gewesen, diesen willkürlichen Ich muss Ihnen leider sagen: Sie betreiben bisher kei- Eingriff zu unterlassen – zumal er unnötig war. ne Politik der Nachhaltigkeit und der Generationenge- rechtigkeit. Recht hat der DGB an dieser Stelle. 8940 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Birgit Schnieber-Jastram (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das ist noch ein Beispiel dafür, dass Ihre Politik nicht (C) auf Nachhaltigkeit angelegt ist. Sie rühmen sich immer Damit aber nicht genug: Längst ist klar, dass Sie Ihr damit, den Beitragssatz in der Rentenversicherung abge- Versprechen nicht halten können, im Jahre 2002 zursenkt zu haben. nettolohnbezogenen Rente zurückzukehren. Jetzt suchen Sie nach neuen Wegen und wollen die Rentner (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- belasten, indem Sie die Nettolöhne neu definieren, im NEN]: Haben wir auch! Sie haben ihn ja jahre- Übrigen ohne die junge Generation zu entlasten. lang erhöht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Die Absenkung des Beitragssatzes war aber nicht des- Widerspruch bei der SPD – Dr. Thea Dückert wegen möglich, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verschuldung mit ungedeckten Schecks vor!) NEN]: Sie haben das mit der Mehrwertsteuer Sie werden nicht darum herumkommen, bezüglich der auf den Weg gebracht!) Rente die Frage zu beantworten, wie Sie mit derdemo- weil Sie eine grundlegende Strukturreform auf den Weg graphischen Entwicklung umgehen wollen, gebracht haben; sie war nur möglich, weil Sie Einnah- (Zuruf von der SPD: Der Wahlkampf ist vor- men aus der Ökosteuer in den Bundeshaushalt gepumpt bei!) haben. damit der Sozialstaat auch für unsere Kinder langfristig (Peter Dreßen [SPD]: Wir haben Ordnung ge- bezahlbar bleibt. macht! Wir haben Ihr Chaos beseitigt!) Ich möchte ein zweites Beispiel nennen – ich halte es Dabei übersteigt der Bundeszuschuss schon jetzt für sehr wichtig, das zu sagen –: Die im Bündnis für Ar- (Erika Lotz [SPD]: Hören Sie auf mit Ihrem beit wiederbelebte „Rente mit 60“ ist ebenfalls ein An- Quatsch!) schlag auf die Generationengerechtigkeit. Die Auswei- tung der Möglichkeiten eines vorzeitigen Rentenbeginns die Höhe der versicherungsfremden Leistungen in der ist das völlig falsche Signal, weil hierdurch der Genera- Rentenversicherung. tionenkonflikt verschärft wird. Junge Arbeitnehmer müssen in einen Fonds einzahlen, obwohl sie selber da- (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von nie profitieren können. Das Geld wird für zweifel- NEN]: Sie haben die Mehrwertsteuer benutzt, hafte Frühverrentungsprogramme Frau Schnieber! Was ist mit der Mehrwert- steuer?) (Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf pur!) (B) Damit auch diese Zahlen klar sind, will ich ein Wort(D) anstatt zur langfristigen Sicherung von Rentenansprü-zu den Belastungen der Rentner aufgrund derÖkosteu- chen der jüngeren Generation genutzt. er sagen. Das sind nach soliden Berechnungen im Jahr 2000 389 DM, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Erika Lotz [SPD]: Wahlkampf, Wahlkampf!) Die Signale sind verheerend: Bei den Arbeitgebern entsteht der Eindruck, der über 50-Jährige stehe bereits im Jahr 2001 479 DM, im Jahr 2002 569 DM und im kurz davor, ein sozialpolitischer „Entsorgungsfall“ zuJahr 2003 659 DM zusätzliche Belastung für den norma- werden. So schaden Sie mit der Förderung der Frühver- len Rentner. rentung sowohl den jüngeren wie auch den älteren Ar- beitnehmern. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Echte soziale Gerechtigkeit!) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das sage ich, damit hier ganz klar wird, dass das nicht NEN]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) an den Rentnern vorbeigeht. Weiterbildung mit 50 ist wichtiger als Rente mit 60. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU) NEN]: 0,03 Prozent Preissteigerung für Rent- nerhaushalte! – Gegenruf der Abg. Erika Lotz In diesem Zusammenhang kann man nur begrüßen, [SPD]: 0,02 Prozent für Rentner!) dass die Tarifparteien der Chemieindustrie in ihrer jetzt getroffenen Vereinbarung auf die Einführung der „Rente Lassen Sie uns gemeinsam vernünftig darüber nach- mit 60“ verzichtet haben denken, wie wir mit dem Thema der Generationenbilan- zen umgehen, damit wir ein klares Kriterium dafür ha- (Zuruf von der SPD: Was soll der Schwach- ben, vor welchem Horizont wir uns bewegen, welche sinn?) Spielräume wir in der Sozialpolitik haben. und stattdessen ein sinnvolles Altersteilzeitmodell favo- (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto risiert haben. Solms) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verdrängen Sie das nicht! Sie werden es sehr bereuen, NEN]: Daran waren Sie beteiligt, oder was?) wenn Sie an dieser Stelle sagen: „Das wollen wir nicht“, Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8941

Birgit Schnieber-Jastram (A) (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) (C) NEN]: Sie sollten einmal zu den Renten spre- chen und nicht zu diesem Thema! – Erika Lotz Wenn ihre Wirtschaftlichkeit wegen des dramati- schen Preisverfalls auf dem Strommarkt gegenwärtig in- [SPD]: Wie heißt der Tagesordnungspunkt? frage steht, so ist dies das Ergebnis eines ungezügelten Worüber reden wir heute?) Wettbewerbs und mangelnder Vorsorge bei der Gesetz- weil Sie am Ende immer Rechenschaft über Ihre eigenen gebung, ein für unsere Energiepolitik inakzeptabler Zu- Versprechungen ablegen müssen, die Sie in allen Wahl- stand, dem abgeholfen werden muss. kämpfen und auch hier und heute immer wieder ge- macht haben. Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wurde nicht zuletzt von der alten Bundesregierung, aber auch von (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Uwe Küster den Landesregierungen über Jahrzehnte hinweg mit [SPD]: Das wird nicht besser dadurch! – Wei- staatlichen Milliardenprogrammen gefördert. Dass die terer Zuruf von der SPD: So ein Wahlkampf!) älteren KWK-Anlagen in der öffentlichen Versorgung die am wenigsten wirtschaftlichen sind und vorwiegend Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich mit heimischer Steinkohle befeuert werden, ist auch kein schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überwei- Zufall, denn ihre Förderung hat etwas mit der Kohlevor- sung der Vorlage auf Drucksache 14/1758 an die in der rangpolitik der alten Bundesregierung zu tun, die wir als Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Opposition allerdings auch nachdrücklich unterstützt Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann haben. ist die Überweisung so beschlossen. (Beifall bei der SPD) Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 7 auf: Wir wollen diese Anlagen, die in der gegenwärtigen Niedrigpreisphase ineffizient geworden sind, nicht län- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- ger an den Netzen halten, als es aus ökologischen und nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- ökonomischen Grünen unbedingt erforderlich ist. Wir gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz bekennen uns zu dem Strukturwandel, der durch den der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopp- Wettbewerb vorangetrieben wird. Deshalb legen wir un- lung (KWK-Vorschaltgesetz) ser Überbrückungsprogramm auch degressiv an und – Drucksache 14/2765 – begrenzen es zeitlich. (Erste Beratung 91. Sitzung) Aber die Betreiber müssen wenigstens die Chance er- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- halten, diese Anlagen, die von einem Tag auf den ande- ren unwirtschaftlich geworden sind, unter vernünftigen (B) ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- (D) schuss) Rahmenbedingungen zu modernisieren, effizienter zu gestalten oder auch zu ersetzen. Es macht ökologisch – Drucksache 14/3007 – überhaupt keinen Sinn, KWK-Anlagen, die in geschütz- Berichterstattung: ten Märkten für einen relativ genau abschätzbaren Wär- Abgeordneter Volker Jung (Düsseldorf) mebedarf und Stromabsatz konzipiert wurden, stillzule- gen, den Strom aus billigeren Quellen zu beziehen und Es liegen vier Änderungsanträge der Fraktion der zur Bereitstellung des Wärmebedarfs in unseren Nah- PDS vor. Über den Gesetzentwurf und einen Ände- und Fernwärmesystemen neue Heizkraftwerke zu bauen, rungsantrag der Fraktion der PDS werden wir nachher in die den Energieverbrauch erhöhen und unsere - CO namentlicher Abstimmung entscheiden. 2 Bilanz verschlechtern. Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Es macht auch ökonomisch überhaupt keinen Sinn, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich hö- den Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung in einem re keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Jahrzehnt verdoppeln zu wollen – wie es die Euro- päische Union zum Ziel erhoben hat, was von der alten Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Bundesregierung unterstützt wurde und auch von unse- Kollege Volker Jung von der SPD-Fraktion das Wort. rer Bundesregierung erst kürzlich wiede r bekräftigt worden ist –, wenn man jetzt erst einmal einen großen Teil dieser Anlagen vom Netz gehen lässt, insbesondere Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! angesichts der Tatsache, dass sich ein Teil der Anlagen Meine Damen und Herren! Der heute zur Beschlussfas- nach der gegenwärtigen Marktbereinigungsphase bei sung vorliegende Gesetzentwurf enthält ein Überbrü-wieder ansteigenden Strompreisen, wovon jeder Fach- ckungsprogramm für besonders gefährdete Kraft-mann ausgeht, am Ende durchaus rechnen würde. Wärme-Kopplungsanlagen, dem alsbald ein Gesetz zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung folgen soll. Das ganze Ausmaß des Dilemmas wurde deutlich, als Denn die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme der Wettbewerb mit Kampfpreisen auf Grenzkostenba- ist eine ökologisch wertvolle und wirtschaftliche ver-sis, teilweise sogar mit Dumpingpreisen auf dem nünftige Energieerzeugungsart, die in der Vergangenheit Strommarkt begann. Wenn man die Ausführungen in deshalb auch massiv politisch gefördert worden ist. unserer Anhörung und auch die Ergebnisse der Studien, 8942 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Volker Jung (Düsseldorf) (A) die inzwischen vorliegen, ordentlich analysiert, dann Wir wollen di e Förderung auf Unternehmen be(C)- stellt man fest, dass fast alle zu dem Ergebnis kommen, schränken, die mehr als 25 Prozent der installierten Leis- dass die Preisnachlässe für Haushaltskunden bei rundtung durch Kraft-Wärme-Kopplung erzielen und mehr 10 Prozent, für Gewerbekunden bei 30 Prozent und inals 10 Prozent KWK-Strom auskoppeln. Es wird an- der Industrie bei mehr als 40 Prozent liegen. genommen, dass unterhalb dieser Grenze der unter- nehmerische Spielraum ausreicht, um KWK-Anlagen Das hat fatale Folgen: Diese Preisnachlässe habend u rch betriebswirtschaftliche Maßnahmen am Netz zu die indexierten Einspeisevergütungen fürerneuerbare halten. Energien unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze gedrückt. Die Banken haben inzwischen die Kredite verweigert, Wir wollen eine Einspeisevergütung von anfänglich Anlagenbestellungen wurden storniert und die Anla-9 Pfennig pro Kilowattstunde festlegen, wobei 3 Pfennig genhersteller drohten in Existenznot zu geraten. Das ha- auf die vorgelagerte Netzebene umgelegt werden ben wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz korri-können. Die Vergütung sinkt jährlich um einen hal- giert. ben Pfennig. Diese Vergütungssätze werden zu ei- nem geringfügigen Anstieg der Strompreise um rund (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 0,25 Pfennig führen. Bei den derzeitigen Preiseinbrü- DIE GRÜNEN) chen ist das eine durchaus vertretbare Größenordnung. Die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in der allgemei- Das jetzt vorliegende Gesetz wird uns eine Atempau- nen Versorgung, die anlagenspezifisch mit Stromgeste- se verschaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. hungskosten von 8 bis 15 Pfennig pro KilowattstundeWenn wir uns daranmachen, noch in diesem Jahr eine arbeiten, müssen heute mit durchschnittlichen Stromlie- Anschlussregelung zu entwickeln, dann werden wir bei ferpreisen konkurrieren, die von mehr als 14 Pfennigeiner Reihe von Ansatzpunkten sicherlich umdenken auf 6 Pfennig je Kilowattstunde und weniger gefallenmüssen. Der Marktdruck soll nach unserer Auffassung sind. Sie sind allesamt in ihrer Existenz bedroht. Dieerhalten bleiben, um alle Potenziale zur Effizienzstei- industrielle Kraft-Wärme-Kopplung, die wegen ihres gerung auszuschöpfen. Darum kommt nur eine wettbe- hohen und kontinuierlichen Prozesswärmeabsatzeswerbskonforme Lösung infrage. Nach meiner Überzeu- betriebswirtschaftlich sehr viel rentabler arbeitet,gung erfüllt eine Quotenregelung mit einem Zerti- aber mit Industriestrompreisen von 4 bis 5 Pfennig kon- fikathandel diese Anforderung am besten. kurrieren muss, ist inzwischen ebenfalls in diesen Sog geraten. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, wenn es nach mir gegan- gen wäre, dann hätten wir die industrielle Kraft-Wärme- Wir wollen alle Anlagen in das Fördersystem einbe- (B) Kopplung in unser Überbrückungsprogramm einbezo-ziehen, also auch die industrielle Kraft-Wärme(D) - gen, allerdings mit deutlich niedrigeren Fördersätzen.Koppl ung, weil hier die größten Wachstumspotenziale Denn eine formale Gleichbehandlung der industriellen im Wärmemarkt liegen. Das ist ein klares Signal an die Kraft-Wärme-Kopplung würde bei den beschriebenen Industrie, in ihre Kostenkalkulation auch diesen Zu- betriebswirtschaftlichen Vorteilen zu einer faktischenkunftsmarkt einzubeziehen. Wir werden vom derzeitigen Ungleichbehandlung der Kraft-Wärme-Kopplung in der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung ausgehen und die allgemeinen Versorgung führen. Aber leider haben wir Quote regelmäßig anheben, um unser Ziel zu erreichen, uns da nicht durchsetzen können. Dies muss einer An-ihren Anteil in einem Jahrzehnt zu verdoppeln. schlussregelung vorbehalten bleiben. Wir wollen auch ein nach Europa geöffnetes System Es ist uns lediglich gelungen, den Teil der industriel- schaffen, allerdings auf strikter Gegenseitigkeit. Ländern len Kraft-Wärme-Kopplung, der Strom für die allgemei- wie Dänemark und Holland, die die Kraft-Wärme- ne Versorgung von Letztverbrauchern liefert, in unserKoppl ung fördern und in denen diese Technik bereits Überbrückungsprogramm einzubeziehen. Das ist wichtig einen hohen Marktanteil erreicht hat, sollte unser Markt genug, denke ich: Das wird in Ostdeutschland mehrere offen stehen und umgekehrt, den anderen Ländern nicht. Tausend Arbeitsplätze retten, die heute akut bedrohtDas ist europarechtlich möglich und würde auch die eu- sind. ropäische Integration fördern. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Kraft-Wärme-Kopplung leistet mit 27 Mil- DIE GRÜNEN) lionen Tonnen bereits heute einen wesentlichen Beitrag Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine Be- zur Einsparung von CO2-Emissionen. Mit dem be- merkung zu den Eckpunkten unseres Gesetzentwurfesabsichtigten Ausbau bis 2010 können weitere Einspa- machen. Wir wollen alle Kraft-Wärme-Kopplungsan- rungen in Höhe von 23 Millionen Tonnen kostengünstig lagen der allgemeinen Versorgung auf der Basis vonrealisiert werden. Alle anderen Möglichkeiten, die CO2- Braun- und Steinkohle, Gas, Öl und Abfall einbezie-Emissionen im Energiesektor zu senken – die natürlich hen – Kernenergie gehört ausdrücklich nicht dazu –, die auch weiter verfolgt werden müssen –, halten einem am 1. Januar 2000 am Netz waren. Es werden auch die- Kostenvergleich mit der Kraft-Wärme-Kopplung nicht jenigen Anlagen in dieFörderung einbezogen, die be- stand. reits bestellt, aber noch nicht geliefert worden sind. Das Es bleibt insbesondere mit Blick auf den europäi- hat sich als notwendig erwiesen, um Ersatzinvestitionen schen Binnenmarkt nach meiner Auffassung nur der in moderne Anlagen nicht zu gefährden. Weg eines gemeinsamen Marktes für erneuerbare Ener- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8943

Volker Jung (Düsseldorf) (A) gien und Kraft-Wärme-Kopplung, der sich in ganz Eu- Aus dieser Sicht ist esunerklärbar, au s welchen (C) ropa an den anerkannten Zielen der Preisgünstigkeit, der Gründen fast alle kommunalen KKWs gestützt werden, Versorgungssicherheit und des Umweltschutzes orien- die „stranded investments“ der Industrie aber weitge- tiert. Zum Aufbau eines solchen Marktes können undhend ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung der in- müssen wir unseren Beitrag leisten. dustriellen Kraft-Wärme-Kopplung ist reine Willkür. Das nenne ich Klientelpolitik. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Walter Hirche (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ [F.D.P.]: Interessengeleitete Politik!) DIE GRÜNEN) Wenn schon in dirigistischer Weise eingegriffen wer- den muss – in der CDU/CSU-Fraktion bekennen wir uns Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als dazu, dass wir hier eingreifen und helfen –, nächster Redner hat das Wort der Kollege Franz Obermeier von der CDU/CSU-Fraktion. (Volker Jung [Düsseldorf] [SPD] Das ist schon einmal sehr wichtig!)

Franz Obermeier (CDU/CSU): Herr Präsident! Kol- dann im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes für alle leginnen und Kollegen! Neben den erneuerbaren Ener- „stranded investments“ und dies zeitlich befristet und ef- gien ist die Kraft-Wärme-Kopplung grundsätzlich eine fizienzorientiert. geeignete Technologie, die Effizienz der Energieum- Ebenso willkürlich sind Ihre Stichtagsregelungen wandlung zu erhöhen und dadurch umweltrelevantenach § 2 Abs. 1 des Gesetzes. Das Gesetz muss meines Emissionen zu vermeiden. Dies gilt allerdings nicht pau- Erachtens zulassen, dass Ausgliederungen von „stranded schal für alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Nicht investments“ aus Konzernunternehmen für die Vergü- jede ist per se ökologisch. Häufig sind ökologische und tung unschädlich sind. Ihre Regelung hat zur Folge, dass ökonomische Vorteile der Kraft-Wärme-Kopplung eng notwendige Strukturbereinigungen auf dem liberalisier- miteinander verbunden, quasi miteinander verkoppelt. ten Strommarkt aufgeschoben werden. Betroffen sind Ökonomisch sinnvolle Anlagen sind auch ökologischdavon wichtige Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, unter sinnvolle Anlagen. anderem hier in Berlin. Vor diesem Hintergrund ist es schon interessant, was Die Kosten für diese erneute Subvention von die Regierungskoalition im Gesetzentwurf festgehalten Energietechniken werden dank rot-grüner Umvertei- hat. Sie fördert überwiegend kommunale Anlagen, un- lungsmethode wieder einmal direkt beimVerbraucher geachtet der Umweltgesichtspunkte und der Energieeffi- landen. Man muss schon sagen: Über das Erneuerbare- (B) zienz, mit anfangs 9 Pfennig je Kilowattstunde. HierEnergien-Gesetz werden bis zu 4, vielleicht sogar 5 Mil- (D) setzt unsere Kritik an. Mit dem Gesetz schützen Sieliarden DM auf den Verbraucher umgelegt. Jetzt kommt auch die ökologisch ungünstigen Anlagen und suggerie- die Kaft-Wärme-Kopplungsregelung mit wahrschein- ren, dass alle Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen klima- lich noch 1 Milliarde DM hinzu. Was später durch und umweltfreundlich Strom erzeugen. Für uns in derNachfolgeregelungen kommt, muss man abwarten. CDU/CSU-Fraktion geht es beim Schutz der Kraft-Dies geschieht, obwohl die Ökosteuer schon eine Wärme-Kopplungsanlagen darum, den energie- undsteigende Belastung für die Bürger bringt. Diese fragen umweltpolitischen Vorteil zu erhalten. Deswegen ist ei- sich nach dem Ziel der Bundesregierung bei dieser Poli- ne unterschiedliche Behandlung, abhängig von den Ei- tik. gentumsverhältnissen, mit nichts zu rechtfertigen. Für mich stellt sich das Ziel der Bundesregierung so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dar, dass der Verbrauch von Energie so teuer gemacht ordneten der F.D.P.) werden muss, dass jeder einzelne Bürger seinen Ver- Die Koalitionsfraktionen erkennen zwar, dass die in- brauch von Benzin, Strom, Diesel, Gas und Heizöl aus dustrielle Kraft-Wärme-Kopplung notleidend ist, aber ökonomischen Gründen zurücknehmen muss. vom Gesetz werden diese Anlagen weitgehend nicht er- (Peter Dreßen [SPD]: Sagen Sie einmal, wie fasst, obwohl zurzeit monatlich rund 200 Megawatt sie entlastet werden!) Leistung vom Netz gehen und die Anlagen eingemottet werden. Ihre Ignoranz in dieser Sache richtet einen er- Das ist das Moderne an der Politik der Schröder- heblichen Schaden bei den Betrieben bis hin zu Firmen- Regierung. Die Familien, die Rentner, die Jugendlichen zusammenbrüchen und Arbeitsplatzverlusten an. und die Betriebe – das betrifft die Arbeitsplätze – wer- den sich dafür bedanken, In dem Gesetzentwurf unterscheiden Sie zwischen guten und schlechten Anlagen. Man muss wissen, dass (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – es in Deutschland 900Stadtwerke gibt. Mehr als die Peter Dreßen [SPD]: Die Ökosteuer geben wir Hälfte davon bezieht ihren Strom von einem fremden voll zurück! Das wissen Sie scheinbar noch Versorger. Das heißt, sie profitieren von der Liberalisie- nicht!) rung. Nur 60 Stadtwerke in Deutschland erzeugen Strom Sie verstehen nicht, warum notwendige Hilfen für not- aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Von diesen ist leidende Energieerzeugungsanlagen nicht aus denÖko- wiederum nur ein Teil im Wettbewerb ökonomisch steuereinnahmen finanziert werden. problematisch. 8944 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Franz Obermeier (A) (Peter Dreßen [SPD]: Sie wollen nicht erken- um den Ausstieg aus der Kernenergie vertritt Rot-Grün(C) nen, dass wir es wieder zurückgeben!) die Auffassung, dass die Grundlast der Kernkraftwerke bei deren Ausfall von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen Nein, Sie satteln noch einmal drauf und erzählen den kompensiert werden kann. In den Heizkraftwerken mit Bürgerinnen und Bürgern in Sonntagsreden nach dem Stromproduktion reduziert der steigende Wärmebedarf Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“, dass sie seitim Winter die Stromerzeugung ganz erheblich. Genau Amtsantritt der rot-grünen Regierung mehr Geld im Por- zu dieser Jahreszeit haben wir aber auch den höchsten temonnaie hätten, und meinen auch noch, dass die Leute Stromverbrauch. dies glauben . Dies betriff t insbesondere Familien mit mehreren Kindern, für die zwingend Fahrt- undIn der Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU- Energiekosten entstehen. Ihnen sagen Sie: Fahr doch bit- Fraktion schreibt die Bundesregierung, dass sie es für te ein Dreiliterauto; dann sparst du. – Ich nenne das Be- abwegig hält, dass die erneuerbaren Energien im nächs- vormundung des Bürgers über den Geldbeutel durch die ten Jahrzehnt für die Elektrizitätsversorgung in der Regierung Schröder. Grundlast verfügbar sind. Das heißt im Prinzip, dass die Grundlast eines jeden abgeschalteten Kernkraftwerks (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) durch mit fossilen Brennstoffen befeuerte Kraftwerke Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, auf die ersetzt werden muss. Unser Klimaschutzziel – minus Rede des Bundesumweltministers in der gestrigen De- 25 Prozent CO2-Emissionen und Spurengase – wird so batte einzugehen. nicht erreicht werden. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das rentiert sich nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Nein! – Dr. Uwe – Es rentiert sich nicht, aber es ist doch interessant. Küster [SPD]: Das war aber eine kraftvolle Der Bundesumweltminister führte aus, dass inBay- Drohung!) ern Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von Kernkraft- werksbetreibern mit Gewinnen aus den abgeschriebenen Die in § 3 Abs. 2 aufgenommene Ausschlussregelung nach mindestens 25 Prozent Leistung KWK und 10 Pro- Kernkraftanlagen zu hohen Preisen aufgekauft und still- zent Stromerzeugung ist willkürlich, diskriminierend gelegt werden. Ich fordere den Herrn Bundesumwelt- minister auf, diese Aussage so zu präzisieren, dass sie und mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Haben Sie dafür eine vernünftige Begründung? Warum haben auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden kann. Sie nicht die Grenzwerte 20 Prozent und 8 Prozent oder Bayern ist das Land, das mit zielführender Politik der 30 Prozent und 15 Prozent gewählt? (B) Staatsregierung im Umwelt-, Natur- und Klimaschutz (D) beste Erfolge erzielt hat. Meine Damen und Herren, Kriterien von Ökologie und Ökonomie bleiben völlig außer Acht. Durch den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Änderungsantrag wird es auch nicht klarer. Im Übrigen: Zuruf von der SPD: Das ist aber neu! – Wenn man ihn so deuten würde, dass mehr Anlagen Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!) einbezogen werden, erkenne ich einen Widerspruch zu § 3 Abs. 1, der davon wieder abweicht. In meiner Gemeinde steht ein Kraft-Wärme-gekoppeltes Steinkohlekraftwerk, das die Große Kreisstadt Freising Die CDU/CSU-Fraktion bietet mit dem vorliegenden und den Flughafen München versorgt. In meinem Wahl- Entschließungsantrag eine Alternative, die an der erfor- kreis entsteht gerade ein Kraft-Wärme-gekoppeltesderlichen Effizienz der Anlagen orientiert ist, nicht am Biomasse-Heizkraftwerk mit guten Kennziffern. WirEigentümer, und die wettbewerbsneutrale Haushaltslö- wollen aus Verantwortung gegenüber unseren Kin-sungen vorsieht. Vor wenigen Tagen haben wir dieses dern, das Mögliche verwirklichen – und das, obwohlGesetz im Ausschuss diskutiert. Es war uns nicht mög- das Land Bayern für sich das Klimaschutzziel einerlich, die Inhalte insbesondere des Änderungsantrages de- 25-prozentigen Minderung der CO2-Emissionen erreicht tailliert zu beraten. Aber das ist ja kein Wunder, denn hat. das vorliegende Gesetz knüpft nahtlos an die Qualität der Gesetzesarbeit der Regierung Schröder an. Es ist ge- (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: So ist es!) nauso schlecht wie vieles andere, was wir vorgelegt be- Vor wenigen Tagen habe ich einen Vertrag über den kommen: unklar im Detail, geringe Ökorelevanz, dafür Bau eines neuen Kraftwerks mit einer Leistung vonKlientelbegünstigung, ein Fehlschuss zulasten der Ver- 40 Megawatt Strom – einschließlich Wärme und Brenn- braucher. stoffe – gesehen. Der Nutzungsgrad beträgt 85 bis Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ist 90 Prozent. Sie sehen: Es tut sich etwas und das ist gut zielgerichtet, orientiert sich an der erforderlichen Effi- so. Deswegen interessiere ich mich für die vom Bundes- zienz der Anlagen und nicht am Eigentümer und ist umweltminister dargelegten Umstände des Kaufs derhaushaltsfinanziert. Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und dessen Folgen. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Bravo!) Nach der gestrigen Debatte über das energiepolitische Konzept der Bundesregierung darf ich den Koalitions- Das ist verantwortbare Energie-, Sozial- und Umweltpo- fraktionen noch einen Zahn ziehen: In der Diskussionlitik. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8945

Franz Obermeier (A) Dem Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen können Energien, um den Einstieg ins Solarzeitalter voranzu-(C) wir nicht zustimmen. bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Der dritte Baustein ist die Kraft-Wärme-Kopplung. nächste Rednerin hat Kollegin Michaele Hustedt vonGenauer gesagt: Wenn wir schon auf absehbare Zeit fos- Bündnis 90/Die Grünen das Wort. sile Energieträger einsetzen werden, dann müssen wir sie so effizient wie irgend möglich nutzen. Es dürfen nicht weiter 60 Prozent des Energiegehalts ungenutzt in Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die Atmosphäre entlassen werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Obermeier, ich wollte nicht mit der Debatte von gestern anfangen, aber da Sie daran angeknüpft haben, tue ich es Der dritte Baustein ist also die effiziente Nutzung von doch. Ich habe einmal reflektiert, wie die Debatte ges- Kohle, Öl und Gas. tern war. Ich muss sagen: Ich habe im Rückblick keinen einzigen Redner von Ihnen in Erinnerung, der über et- Zurzeit werden Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen still- was anderes als über Atomkraft geredet hätte. gelegt. Die Ursache dafür ist nicht, dass diese Anlagen unwirtschaftlich wären. Vergleicht man eine neue, mo- (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist falsch!) derne KWK-Anlage mit einer ebenso neuen und moder- nen anderen Anlage – erneuerbare Energien nehme ich Ihre Gedanken kreisen nur um diesen einen Punkt. jetzt einmal aus –, dann stellt sich heraus, dass die Kraft- (Walter Hirche [F.D.P.]: Haben Sie nicht zu- Wärme-Kopplungsanlage durchaus wirtschaftlich ist. gehört, als ich über Wasserkraft geredet ha- Heute konkurrieren allerdings alte, abgeschriebene An- be?) lagen, die hoch subventioniert waren – zum Beispiel die Atomkraftwerke, die in diesem Land über Jahrzehnte Ihre Gedanken sind so eingeengt von diesen ideologi-hoch subventioniert wurden –, mit Dumpingpreisen un- schen Scheuklappen, dass Sie alle anderen großen Fra- ter Erzeugungskosten gegen die Kraft-Wärme-Kopp- gen überhaupt völlig aus dem Blick verlieren. lungsanlagen auf dem Markt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dies wirkt sich dadurch besonders heftig aus, dass die und bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: Alle Akteure auf dem Markt unterschiedliche strategische In- atomisiert!) teressen haben. Die einen kämpfen um ihre strategische (B) Position auf dem Markt und sind bereit, dafür (D) ihre Keiner hat über das Problem geredet, wie wir die er- Kriegskassen aus Monopolzeiten ein Stück weit abzu- neuerbaren Energien weiterentwickeln. Keiner hat da-schmelzen. Die anderen, die Industrieunternehmen und rüber geredet, wie wir die Effizienz bei der Nutzung der auch die Stadtwerke, haben keine Kriegskassen; zumin- fossilen Energieträger weiterentwickeln können. Dazu, dest befinden sie sich nicht in der strategischen Situati- was Ihre Konzepte sind, habe ich hier jetzt auch nochon, sich am Markt unbedingt behaupten zu müssen. nichts gehört. Deswegen gehen diese Anlagen vom Netz. Keiner hat über Energieeinsparung geredet, keiner hat Wir haben nun eine Soforthilfe auf den Weg ge- zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs überhaupt ei- bracht. Sie ist eine Übergangslösung, bis wir über ein nen interessanten Gedanken vorgebracht. dauerhaftes Instrument zum Ausbau der Kraft-Wärme- Kopplung verfügen werden. An dieser Stelle muss ich Sie werfen uns vor, wir hätten kein Energiekonzept. Ihnen, Herr Obermeier, sagen, dass mir Ihre Krokodils- Ich sage Ihnen: Schritt für Schritt, ganz pragmatisch und tränen fürchterlich Leid tun. Ist es nicht sehr doppelzün- solide bauen wir das neue Haus der Energiepolitik von gig, auf der einen Seite zu fordern, wir sollten die indus- unten nach oben langsam auf. triellen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in die Sofort- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hilfe aufnehmen, und auf der anderen Seite zu beklagen, und bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Sie dass dies die Bürger belaste? Es geht nur das eine oder und solide!) das andere. Wir haben die Soforthilfe auch deswegen begrenzt, weil wir die Belastung für die Bürger auf Die Leitlinie dabei ist, Umweltschutz und Wettbewerb 0,2 oder 0,3 Pfennig begrenzen wollten. Die Aufnahme miteinander zu versöhnen. der industriellen Anlage hätte mindestens eine Verdopp- Wir haben die Verbändevereinbarung weiterentwi-lung bedeutet. ckelt, sodass jetzt ein Netzzugang wesentlich fairer als (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie brauchen das bisher, unter Ihrer Regierung, zu erreichen ist. Das ist doch nicht über die Umlage zu finanzieren! Weiterentwicklung des Wettbewerbs, Frau Homburger. Das ist doch der Grundfehler!) Wir haben die erneuerbaren Energien sehr frühzeitig durch Förderprogramme protegiert und haben jetzt mit Man kann also nicht die Aufnahme der Industrieanlagen dem Gesetz über die erneuerbaren Energien das weltweit fordern und gleichzeitig wegen der höheren Kosten ambitionierteste Instrumentarium, um die erneuerbaren Krokodilstränen weinen. 8946 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Michaele Hustedt (A) Wir mussten bei der Soforthilfe eine Grenze ziehen Liberalisierung bekommt; denn Sie haben damals, als (C) und haben das in doppelter Weise getan: Es gibt einen die Liberalisierung eingeführt wurde, unsere Bedenken, Unterschied zwischen der öffentlichen und der indus- dass gerade diese Technologie unter die Räder zu kom- triellen Wärmeversorgung. Die industrielle ist etwas men droht, beiseite gewischt. wirtschaftlicher, weil die Wärme das ganze Jahr über Jetzt stehen wir in der Praxis vor genau dieser Situa- kontinuierlich abgenommen wird. Hingegen ist die tion und jetzt sind auch Sie aufgefordert, Antworten zu Wärmeversorgung im öffentlichen Bereich wirtschaft- entwickeln. Wenn Sie es nicht tun: Wir werden welche lich problematischer, weil im Sommer weniger Wärme entwickeln. Wir befinden uns in der Erarbeitung eines als im Winter gebraucht wird. Deswegen haben wir hier dauerhaften Modells, um die Kraft-Wärme-Kopplung in eine Grenzziehung vorgenommen. den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln. (Walter Hirche [F.D.P.]: Die unwirtschaftli- Danke. chen Anlagen werden ausgebaut, die wirt- schaftlichen kaputtgemacht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Die zweite Grenzziehung bezieht sich darauf, dass wir nur diejenigen in die Soforthilfe aufnehmen, die nicht ein oder zwei Anlagen haben, sondern die 25 Pro- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das zent und mehr des Stromes durch Kraft-Wärme-Kopp- Wort hat jetzt der Kollege Walter Hirche von der lung erzeugen, die also besonders betroffen sind. Natür- F.D.P.-Fraktion. lich ist eine solche Grenzziehung willkürlich. Aber ihr liegt eine einleuchtende Logik zugrunde. Walter Hirche (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- Dies alles bedeutet, dass wir sehr zügig über das dau- men und Herren! Die F.D.P. unterstützt Kraft-Wärme- erhafte Instrument für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung als einen sinnvollen Beitrag zu mehr Energie- Kopplung reden müssen, bei dem selbstverständlich die effizienz, zu Energieeinsparungen und auch zur Vermei- industrielle Kraft-Wärme-Kopplung ebenfalls eine zen- dung von CO2-Emissionen; deswegen haben wir in der trale Rolle spielen wird, vor allem deswegen, weil dort Vergangenheit die Fernwärmeausbauprogramme unter- de große Ausbaupotenziale sind. stützt. Die Öffentlichkeit weiß vielleicht gar nicht, dass in diesem Hause eine beispielhafte KWK-Anlage vor- Bei diesem Thema habe ich übrigens schon wiederhanden ist, die mit Pflanzenöl betrieben wird. die Opposition vermisst. Gestern fand im Rahmen des „Energiedialogs“ eine große Anhörung über die Po- (Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]) tenziale in diesem Bereich und das mögliche Instrumen- Das heißt, der Bundestag hat mit Zustimmung al- (B) tarium statt. Alle gesellschaftlichen Gruppen, von (D) ler Fraktionen diese Art von Energiegewinnung einge- Stromkonzernen über Stadtwerke bis zu Umweltverbän- setzt. den, waren dort vertreten, auch die Regierungsfraktio- nen. Dennoch werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen; dafür nenne ich vier Gründe: Erstens. Der Gesetzent- (Walter Hirche [F.D.P.]: Wir haben gestern wurf verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Es wer- Plenarsitzung gehabt!) den nur Anlagen der allgemeinen Versorgung und Wer wieder einmal fehlte und sich nicht an diesem ge- kommunale Eigentümer gefördert, sonst nichts. Indus- sellschaftlich organisierten Diskussionsprozess beteilig- trielle Anlagen werden ausgeschlossen, sofern sie nicht te, waren die CDU/CSU und die F.D.P. der allgemeinen Versorgung dienen. Aber dort gibt es die gleichen Übergangsprobleme. Fazit: Der Staat sorgt (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie haben ein seltsa- nur für sich selbst. mes Parlamentsverständnis!) Zweitens. Rot-Grün pfeift mit diesem Gesetzentwurf – Hören Sie doch auf! Die Veranstaltung fand auf am den Klimaschutz. Wenn es nämlich um Klimaschutz Nachmittag statt. Zu der Zeit waren auch nicht alle von ginge, dann müssten alle KWK-Anlagen gefördert wer- Ihnen hier im Plenum. den, weil industrielle Anlagen denselben Beitrag wie kommunale Anlagen leisten. Ich finde es richtig: Wir nehmen die Anregungen der EU auf, eine Diskussion über einenZertifikatshandel (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- auch in Deutschland durchzuführen und dieses Vorha- ten der CDU/CSU) ben in die Praxis umzusetzen. Wir können einen Beitrag dazu leisten, dass die Diskussion über einen Zertifikats- Sie müssten wegen ihrer höheren Effizienz zuerst geför- handel in der EU vorankommt. dert werden, Herr Jung. Ihr Hinweis darauf, wir würden nicht helfen, weil sie effizienter seien, hat mich zu Trä- Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie, wie gesagt, hier nen gerührt. Das ist so, als müsste man einem Sonder- nicht Krokodilstränen über die industrielle Kraft-schüler für den gleichen Job mehr Geld zahlen, weil er Wärme-Kopplung vergießen, sondern auch einmal Kon- schlechtere Voraussetzungen als ein Akademiker hat. zepte auf den Tisch legen, wie fossile Energieträger effi- Knüpfen Sie doch an der Effizienz an und fördern Sie zient ausgenutzt werden und wie erreicht werden kann, dort, wo wir wirklich etwas für den Klimaschutz tun dass diese neue Technologie keinen Fadenriss durch die können! Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8947

Walter Hirche (A) Drittens. Es fehlen jegliche Qualitätskriterien für die -lung verzichten Sie zugleich auf den Vorrang von Kli-(C) Förderung, zum Beispiel Mindestnutzungsgrade. Es feh- mapolitik. len Vorschriften über eine Kontrolle der Brennstoffaus- Meine Damen und Herren, die F.D.P. muss diesen nutzungsgrade. Gesetzentwurf leider ablehnen. Ich fordere Sie auf: Er- Viertens. Es ist wieder einmal eine Umlage vorgese- greifen Sie wieder Maßnahmen, die insgesamt das Eti- hen. Zwar profitieren im Grundsatz nur kommunale An- kett „Klimaschutz“ verdienen und die nicht nur auf die lagen – unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes –, Bedienung von Klientelinteressen ausgerichtet sind. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Bei Umlagen sind Vielen Dank. die immer groß!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) aber die Kosten werden fürsorglich auf alle Stromkun- den abgewälzt und belasten damit die Arbeitsplätze. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Der Kommunale Interessen werden geschützt, während die nächste Redner ist der Kollege Rolf Kutzmutz von der Kosten auf die Betriebe überwälzt werden. PDS-Fraktion. Richtig wäre – davor drücken Sie sich, Frau Hustedt, – demgegenüber ein Sofortprogramm fürRolf Kutzmutz (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle- schwierige Einzelfälle mit zeitlich befristeter Förderung ginnen und Kollegen! Ich kann mir vorstellen, dass sich aus dem Bundeshaushalt. Umweltmindeststandardsheute Abend, falls der vorliegende Gesetzentwurf verab- müssten zugrunde gelegt werden. Falsch ist doch derschiedet wird, der eine oder andere Verbandsfunktionär von Ihnen betriebene Eigentümerlobbyismus, nach dem nach der Devise „Wenn einem so viel Gutes widerfährt“ Motto: Es bedient sich, wer an der Macht ist. – Eine fa- ein Gläschen genehmigt. Es sei ihnen gegönnt, aller- belhafte Moral, die Sie da an den Tag legen! dings nur einigen. Insofern bedauere ich, liebe Kollegin- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- nen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, wie Sie ten der CDU/CSU) in den beiden vergangenen Wochen mit diesem wirt- schafts- und umweltpolitisch wichtigen Thema umge- Vielleicht ist es zu früh, zu gratulieren, Frau Kolle- gangen sind. gin, weil die dritte Lesung noch aussteht. Aber schon jetzt – Herr Kollege Jung hat das klar gemacht – ist Mit Ihren vorgestern im Wirtschaftsausschuss durch- deutlich: Dieser Gesetzentwurf von Rot-Grün dient aus- gesetzten Änderungen des eigenen Gesetzentwurfes ha- schließlich den Interessen der Organisationen des Ver- ben Sie nicht nur die Anhörung von Montag letzter Wo- bandes kommunaler Unternehmen. In der Praxis, Herr che ignoriert. Nein, Sie haben ihn auch noch ver- (B) Kollege, wird dieses Gesetz schnell den Namen „Jung- schlimmbessert, zumindest dann, wenn man die Chan-(D) Brunnen-Gesetz“ erhalten, weil dort die Mittel sprudeln, cen auf den Erhalt und den Ausbau der Kraft-Wärme- die Herr Jung hier freigemacht hat. Der Gesetzentwurf Koppl ung als ressourcen- und damit umweltschonende ist eine krasse Form derSelbstbedienung für den kom- Technologie und nicht nur die Interessen einiger ausge- munalen Bereich mit Hilfe des Deutschen Bundestages wählter Betreiber bestimmter Anlagen tatsächlich im zulasten der Stromzahler. Auge behalten will. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Wer auf der gegenwärtig stattfindenden Hannover- ten der CDU/CSU) Messe mit Betreibern und Produzenten solcher Anlagen, vor allem solcher im Megawattbereich, gesprochen hat, Wer mehr erneuerbare Energien und mehr Energieef- der kann nachvollziehen, dass diese aufgrund des heute fizienz will, der wird auch KWK fördern. Wir wartenzu beschließenden Gesetzes die Erfüllung ihrer Hoff- mit Spannung auf den von Ihnen angekündigten Gesetz- nungen und letztlich auch den Erhalt von Arbeitsplätzen entwurf. Eines kann ich Ihnen sagen: Eine Quotenrege- in fahrlässiger Weise gefährdet sehen. lung einschließlich einer Zertifikatslösung nur für KWKs ist ein völlig falscher Weg. Wenn Sie das wirk- Herr Kollege Jung, ich hätte mir deshalb gewünscht, dass es nach Ihnen gegangen wäre. Leider haben Sie und lich wollten, dann müssten Sie alle regenerativen Ener- auch Frau Hustedt nicht die Frage beantwortet, nach gien in den Wettbewerb einbeziehen bzw. ihm ausset- zen. wem es denn gegangen ist. Denn dies war schließlich ein Gesetzentwurf der beiden Koalitionsfraktionen. Eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Beantwortung dieser Frage wäre schon wichtig. Denn wer den vorliegenden Gesetzentwurf heute unverändert Dann erhielten Sie den notwendigen Innovationsdruck, in der Ausschussfassung beschließt, der muss sich spä- den wir auch im Interesse der erneuerbaren Energientestens im Sommer nach Vorlage des nächsten Klima- brauchen. Dazu bekennen wir Liberale uns. schutzberichtes fragen lassen, wie er in den nächsten Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein Beitrag zur fünf Jahren das selbst gesteckte Ziel, den Kohlendioxid- Klimapolitik, sondern eine plumpe Bedienung kommu- ausstoß im Vergleich zu 1990 um ein Viertel zu reduzie- naler Interessen. Verbal und virtuell sind Sie für dieren, erreichen will. Energieeinsparung und den Klimaschutz; aber der Ge- Auch wir von der PDS plädieren angesichts des von setzentwurf selbst straft Sie Lügen. Mit dem Verzichtder schwarz-gelben Regierung übergangslos geöffneten auf Unterstützung der industriellen Kraft-Wärme-Kopp- Strommarktes dafür, Stadtwerken mit Heizkraftwerken 8948 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Rolf Kutzmutz (A) und damit auch deren Beschäftigten schnelle Hilfen zu Die PDS wird sich trotz der Kritik, die ich geäußert (C) gewähren. habe, diesem Gesetzesprojekt nicht verweigern, denn das Gesetz ist immer noch besser als eine lang hinausge- (Beifall bei der PDS) schobene, nicht voraussehbare Lösung des Problems. Es Denn wir waren es, die dieses Thema im Rahmen einer kann aber nur gelingen, wenn zumindest die wichtigste Aktuellen Stunde im September vergangenen Jahres und unserer vorgeschlagenen Änderungen berücksichtigt mit einem am 16. Februar dieses Jahres eingebrachtenwird. Über sie werden wir namentlich abstimmen. Gesetzentwurf hier im Plenum zur Diskussion gestellt Damit die umwelt- und wirtschaftspolitische Dimen- haben. sion dieser Technologie nicht im jetzigen kurzatmigen Aber wir haben ebenfalls von vornherein gesagt, dass Aktivismus untergeht, bleibt auch unser Gesetzentwurf die Rettung solcher in den letzten Jahrzehnten politisch auf dem Tisch des Hauses. Sie werden sich also, liebe von Bund, Ländern und Kommunen vorgegebenen In- Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, der vestitionen schnellstens in einGesamtkonzept einge- Herausforderung KWK in diesem Jahr erneut stellen bettet werden muss. Der Bestand rein industriell betrie- müssen. bener KWK und die damit verbundenen Arbeitsplätze (Beifall bei der PDS) sind vom Preisdumping der großen Stromversorger zu- mindest ebenso bedroht wie kommunale Anlagen. Diese KWK erzeugen bisher nicht nur das Gros des einschlä- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letz- gigen Stromes; durch den kontinuierlicheren Wärmebe- tem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt gebe ich das darf in diesem Bereich ist der Klimaschutzeffekt derWort dem Kollegen Michael Müller von der SPD- Technologie sogar noch größer. Fraktion. Ich mache aber schon jetzt darauf aufmerksam, Die Koalition hat n icht nu rall dies ignoriert. Viel- dass wir im Anschluss daran zwei namentliche Abstim- mehr hat sie mit ihren letzten Änderungen auch noch die mungen durchführen werden. – Herr Müller, bitte schön. Aussicht auf eine vernünftige Perspektive verschlech- tert. Die neue Überschrift nimmt dem Gesetz den Cha- Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! rakter von etwas Vorläufigem. Denn welchen GrundMeine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Ge- sollte es sonst geben, aus dem Wort „Vorschaltgesetz“ setzentwurf macht die rot-grüne Koalition einen weite- das Wort „Gesetz“ zu machen? Das scheint allerdings ren und wichtigen Schritt, um die Stagnation in der beabsichtigt. Schließlich können kommunale Versorger Energiepolitik zu überwinden und um die Fehler der mit dieser Regelung über Jahre gut leben, wodurch sich Vergangenheit zu beseitigen. Vor allem deshalb ist es der außerparlamentarische und wohl auch der parla-ein wichtiges Gesetz. (B) mentarische Druck – ich denke dabei an die Interes- (D) senvertreter des VKU in diesem Hause – auf eine zügige (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ längerfristige Förderung von KWK-Strom zur DIE GRÜNEN) Ressourcenschonung absehbar vermindern würde. Denn jetzt soll nicht nur jeglicher Strom, also nicht nur der Herr Hirche, Sie müssen sehen, dass man dieses Ge- echte KWK-Strom aus öffentlichen Altanlagen, einensetz nicht isoliert stehen lassen darf. Sie müssen bitte Aufschlag erhalten, sondern sogar Strom aus jenenunsere Ankündigungen ernst nehmen. Wir machen hier Heizkraftwerken, deren – ich zitiere – „wesentlichenein Gesetz zur Nothilfe. Es wird in kürzester Zeit um Anlagenteile“ – was auch immer das bedeuten soll ein – Gesetz zum Ausbau des Kraft-Wärme-Kopp- spätestens Silvester vergangenen Jahres bestellt worden lungsbereichs ergänzt, wobei wir hier natürlich einen sind. Schwerpunkt auf die industrielle Kraft-Wärme-Kopp- lung, auf die Nahversorgung und auf die WHKWs legen Nicht nur am Rande möchte ich dazu erwähnen, dass werden. Das sind die Hauptbereiche, in denen wir erheb- die Urheber damit die ganze Regelung sehr angreifbar lichen Spielraum haben, um im Sinne des Klimaschutzes machen und damit eigentlich das Gegenteil unseres ge- zu wesentlich besseren Leistungen zu kommen, als das meinsamen Zieles erreichen könnten. Hatte schon derheute der Fall ist. Ich glaube, dass man hier keinen Wi- bisherige Entwurf wenig mit Klimaschutz, sondern ei-derspruch aufbauen sollte, sondern dass man dies in ei- gentlich nur mit Vertrauensschutz zu tun, so wird nunnem engen Zusammenhang mit der Modernisierung der auch noch ohne Not dieses Argument, die Verhinderung Energieversorgung im Interesse ihrer ökologischen Ver- von „stranded investments“, ad absurdum geführt. Denn träglichkeit sehen muss. wer noch vor drei Monaten – eineinhalb Jahre nach Ausbruch des gnadenlosen Verdrängungskampfes gegen (Beifall bei der SPD – Gunnar Uldall [CDU/ Kraft-Wärme-Kopplung – solche Anlagen bestellte, der CSU]: Energieverteuerungsgesetz!) ist vielleicht – oder sogar ganz sicher – ein Umwelt-– Das ist ein unglaublicher Widerspruch bei Ihnen. freund, aber ganz gewiss kein guter Kaufmann. So wie Auf der einen Seite begrüßen Sie, dass wir etwas für es gestrickt ist, kann das Gesetz aber vor Gericht nurdie Kraft-Wärme-Kopplung tun. Auf der anderen Bestand haben, wenn es tatsächlich Letztere auchSeite sagen Sie, es dürfe nichts kosten. Diese beiden schützt. Die ganze Stichtagsregelung muss deshalb ver- Auffassungen passen nicht zusammen. Wenn man will, schwinden. Sonst ist absehbar weder der Umwelt noch dass mehr für die Kraft-Wärme-Kopplung und für den den Stadtwerken geholfen. Klimaschutz getan wird, dann muss man auch die Kon- (Beifall bei der PDS) sequenzen tragen. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8949

Michael Müller (Düsseldorf) (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das hat natürlich preisrelevante Folgen. Man kann nicht Dies ist der erste gewaltige Schritt. Wir sichern und stel- sagen: Wir tun etwas, aber es darf nichts kosten. Daslen jetzt gleichzeitig die Weichen für eine Erneuerung. geht nicht. In diesem Punkt sind Sie sehr unglaub- würdig. Das ist nicht in Ordnung. Ich sagen Ihnen: Wir halten den Ansatz über ein marktgängiges Bonussystem, das in die Richtung von (Walter Hirche [F.D.P.]: Wie bei der Zertifikatslösungen geht, für einen sinnvollen Ansatz. Steinkohle aus dem Haushalt!) Auf dieser Basis kann man ein zukunftsträchtiges, wett- bewerbsorientiertes Modell durchsetzen, das Ökonomie Herr Hirche, ich möchte darauf hinweisen, dass wir in und Ökologie miteinander verbindet und deshalb nach- der Vergangenheit, als wir in der Opposition waren, in haltig und zukunftsverträglich ist. der Energiepolitik glücklicherweise sehr viel mehr Kon- sens und Gemeinsamkeit hatten. Es wäre manchmal Meine Damen und Herren, mit unserem Gesetz halten schön, wenn Sie die Energiepolitik nicht zu einemwir Wort. Es kann nicht sein, dass beispielsweise kom- Schlaginstrument machen würden. Wir sollten uns viel- munale Stadtwerke, die in der Vergangenheit im Interes- mehr gemeinsam unserer Verantwortung insgesamt, also se des Allgemeinwohls, im Interesse des Umweltschut- auch der Verantwortung für die nationale Ressourcensi- zes in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen investiert haben, cherheit, bewusst sein. jetzt von uns im Stich gelassen werden. Das geht nicht. Das machen wir nicht. Wir stehen im Interesse des All- Wir haben erstens heute aus zwei Gründen eine sehr gemeinwohls zu unserem Wort. schwierige Situation für die Kraft-Wärme-Kopplung. Zum einen bestehen große Überkapazitäten und zum an- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deren wird bei bestehenden Kraft-Wärme-Kopplungs- DIE GRÜNEN) anlagen mit Preisen, die an und zum Teil unter den Wir sagen auch: Es muss hier natürlich viel moderni- Grenzkosten liegen, operiert. Wir stehen zweitens vor der Situation, dass daher auch neue Anlagen im Augen- siert werden. Deshalb haben wir es degressiv und befris- tet angelegt bzw. deshalb führen wir es in ein allgemei- blick kaum eine Chance haben. Wir sehen drittens die nes Gesetz zur Förderung und Stützung der Kraft-Wär- Gefahr, dass auch langfristig der wichtige Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung wegbricht, wenn wir nicht die me-Koppl ung über. Dies ist in diesem Zusammenhang ein richtiger Ansatz, meine Damen und Herren. Siche- Rahmenbedingungen insgesamt verbessern. rung und Ausbau, so müssen Sie es verstehen. Wir können dasKlimaschutzziel nicht erreichen, wenn wir nicht insgesamt die Bedingungen für dieIn diesem Sinne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. (B) Kraft-Wärme-Kopplung verbessern. Dies ist in dreierlei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) Hinsicht wichtig: Erstens. Kraft-Wärme-Kopplung ist DIE GRÜNEN) ein Beitrag zur Sicherung der Produktions- und Energie- standorte in der Bundesrepublik. Zweitens. Sie ist ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich wichtiger Beitrag zur Sicherung von Beschäftigung. Es schließe die Aussprache. ist alarmierend, wie viel Beschäftigung in den letzten Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- Jahren in diesem Bereich weggebrochen ist. Auch da-kannt, dass von einigen Kollegen eine Erklärung gemäß raus ergibt sich ein Handlungsbedarf. Drittens. Wir müs- § 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung vorliegt, sen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für mehr Kli- die wir zu Protokoll nehmen. Dies sind die Kollegen maschutz unbedingt ausbauen. Wir können, wenn wir es Herr Werner Labsch, Herr Albrecht Papenroth, Herr hochrechnen, durch eine Verdopplung des Anteils der Dr. Peter Danckert, Frau Barbara Wittig und Herr Kraft-Wärme-Kopplung, insbesondere im Nahwärmebe- Jürgen Wieczorek.*) reich, im industriellen Bereich und bei den Blockheiz- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz- kraftwerken, die Reduktion von 2 CO um weitere 25 Millionen erhöhen. Dies ist unverzichtbar, um dasentwurf der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Klimaschutzziel in der Bundesrepublik zu erreichen. In- Grünen zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft- sofern sagen wir, wir machen eine Politik zugunsten der Wärme-Kopplung in der Ausschussfassung auf Druck- Kraft-Wärme-Kopplung aus Beschäftigungsgründen, zur sache 14/3007. Dazu liegen vier Änderungsanträge vor, Sicherung der Erzeugung in der Bundesrepublik und un- über die wir zuerst abstimmen. ter Klimagesichtspunkten. Dies ist ein dreifaches Ziel, das wir in einem Ansatz miteinander verbinden können. Wir stimmen über den Änderungsantrag der PDS auf Das ist richtige Politik. Drucksache 14/3017 ab. Die Fraktion der PDS verlangt Sie alle sagen, dass Sie für Kraft-Wärme-Kopplung eine namentliche Abstimmung. Ich weise gleich darauf- sind. Dann müssen wir auch die Konsequenzen ziehen. hin, dass wir im Anschluss an die namentliche Abstim- Wir machen einen doppelten Schritt. Denn es machtmung abwarten müssen, wie das Ergebnis ist, bevor wir keinen Sinn, in Zukunft die Kraft-Wärme-Kopplung zur Schlussabstimmung kommen können. Ich bitte die auszubauen, aber heute die Kraft-Wärme-Kopplungsan- Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen lagen kaputt gehen zu lassen. Das passt nicht zusammen. ______Das geht einfach nicht. *) Anlage 4 8950 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das che 14/3020. Wer stimmt für den Änderungstarnag? – (C) scheint der Fall zu sein. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit dem gleichen Stimmenverhält- Ich eröffne die Abstimmung. nis abgelehnt. Haben alle Mitglieder ihre Stimmkarte abgegeben? – Das ist der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus-Abstimmung unterbreche ich jetzt die Sitzung für weni- zählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmungge Minuten. Ich bitte aber, hier zu bleiben, weil wir an- wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir setzen die Bera- schließend eine weitere namentliche Abstimmung abzu- tungen fort, aber ich weise darauf hin, dass wir noch ei- halten haben. ne namentliche Abstimmung haben werden, und zwar im Rahmen der Schlussabstimmung. (Unterbrechung: 13.59 bis 14.01 Uhr) Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- che 14/3018. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die un- PDS auf Drucksache 14/3018? – Wer stimmt dagegen? – terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist der Ände- Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift- rungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen dermung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Rolf PDS abgelehnt worden. Kutzmutz und der Fraktion der PDS zur zweiten Bera- Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- tung des von den Fraktionen der SPD und des Bündnis- che 14/3019. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – ses 90/Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Geset- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit istzes zum Schutz der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme- der Änderungsantrag bei gleichem StimmenverhältnisKoppl ung, Drucksachen 14/2765, 14/3007 und 14/3017, abgelehnt. bekannt: Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben ge- stimmt 26, mit Nein 453. Der Änderungsantrag ist damit Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis Christina Schenk Wolf-Michael Angelika Graf Gustav-Adolf Schur Catenhusen (Rosenheim) Dr. Ilja Seifert Dr. Herta Däubler- Achim Großmann Abgegebene Stimmen: 476 (B) Gmelin Wolfgang Grotthaus (D) ja: 26 Dr. Peter Danckert Karl-Hermann Haack Nein Christel Deichmann (Extertal) nein: 446 Karl Diller Hans-Joachim Hacker SPD ungültig: 4 Peter Dreßen Klaus Hagemann Brigitte Adler Rudolf Dreßler Manfred Hampel Gerd Andres Detlef Dzembritzki Christel Hanewinckel Ja Ingrid Arndt-Brauer Dr. Peter Eckardt Klaus Hasenfratz Rainer Arnold Sebastian Edathy Nina Hauer PDS Hermann Bachmaier Ludwig Eich Hubertus Heil Marga Elser Reinhold Hemker Dr. Dietmar Bartsch Ernst Bahr Peter Enders Frank Hempel Petra Bläss Doris Barnett Gernot Erler Rolf Hempelmann Maritta Böttcher Dr. Hans Peter Petra Ernstberger Gustav Herzog Eva Bulling-Schröter Bartels Annette Faße Monika Heubaum Roland Claus Eckhardt Barthel Lothar Fischer Reinhold Hiller Dr. Heinrich Fink (Berlin) (Homburg) (Lübeck) Dr. Ruth Fuchs Klaus Barthel Gabriele Fograscher Stephan Hilsberg Wolfgang Gehrcke (Starnberg) Iris Follak Gerd Höfer Dr. Klaus Grehn Ingrid Becker-Inglau Norbert Formanski Jelena Hoffmann Uwe Hiksch Wolfgang Behrendt Rainer Fornahl (Chemnitz) Carsten Hübner Dr. Axel Berg Hans Forster Walter Hoffmann Sabine Jünger Hans-Werner Bertl Dagmar Freitag (Darmstadt) Dr. Evelyn Kenzler Friedhelm Julius Lilo Friedrich Iris Hoffmann Dr. Heidi Knake-Werner Beucher (Mettmann) (Wismar) Rolf Kutzmutz Petra Bierwirth Harald Friese Frank Hofmann Heidi Lippmann Rudolf Bindig Anke Fuchs (Volkach) Ursula Lötzer Lothar Binding (Köln) Ingrid Holzhüter Heidemarie Lüth (Heidelberg) Arne Fuhrmann Eike Maria Hovermann Dr. Christa Luft Kurt Bodewig Monika Ganseforth Christel Humme Angela Marquardt Klaus Brandner Günter Gloser Brunhilde Irber Manfred Müller (Berlin) Anni Brandt-Elsweier Renate Gradistanac Gabriele Iwersen Kersten Naumann Rainer Brinkmann Günter Graf (Friesoythe) Renate Jäger Christine Ostrowski (Detmold) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8951

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ilse Janz Dr. Martin Pfaff Franz Thönnes Thomas Dörflinger (C) Volker Jung Georg Pfannenstein Adelheid Tröscher Hansjürgen Doss (Düsseldorf) Johannes Pflug Hans-Eberhard Urbaniak Marie-Luise Dött Johannes Kahrs Dr. Eckhart Pick Rüdiger Veit Ilse Falk Ulrich Kasparick Karin Rehbock-Zureich Simone Violka Dr. Hans Georg Faust Susanne Kastner Dr. Carola Reimann Ute Vogt (Pforzheim) Albrecht Feibel Hans-Peter Kemper Margot von Renesse Hans Georg Wagner Dirk Fischer (Hamburg) Klaus Kirschner Renate Rennebach Hedi Wegener Herbert Frankenhauser Marianne Klappert Bernd Reuter Dr. Konstanze Wegner Dr. Gerhard Friedrich Fritz Rudolf Körper Dr. Edelbert Richter Wolfgang Weiermann (Erlangen) Walter Kolbow Reinhold Robbe Reinhard Weis (Stendal) Dr. Hans-Peter Friedrich Karin Kortmann René Röspel Matthias Weisheit (Hof) Anette Kramme Gudrun Roos Gert Weisskirchen Erich G. Fritz Nicolette Kressl Dr. Ernst Dieter (Wiesloch) Jochen-Konrad Fromme Volker Kröning Rossmann Dr. Ernst Ulrich von Dr. Jürgen Gehb Angelika Krüger- Birgit Roth (Speyer) Weizsäcker Norbert Geis Leißner Marlene Rupprecht Jochen Welt Georg Girisch Horst Kubatschka Thomas Sauer Dr. Rainer Wend Peter Götz Ernst Küchler Gudrun Schaich-Walch Hildegard Wester Kurt-Dieter Grill Helga Kühn-Mengel Lydia Westrich Manfred Grund Dr. Uwe Küster Dr. Hermann Scheer Inge Wettig-Danielmeier Carl-Detlev Freiherr von Ute Kumpf Siegfried Scheffler Dr. Margrit Wetzel Hammerstein Konrad Kunick Dieter Schloten Dr. Norbert Wieczorek Klaus-Jürgen Hedrich Werner Labsch Horst Schmidbauer Jürgen Wieczorek Helmut Heiderich Christine Lambrecht (Nürnberg) (Böhlen) Manfred Heise Brigitte Lange Silvia Schmidt Helmut Wieczorek Siegfried Helias Christian Lange (Eisleben) (Duisburg) Hans Jochen Henke (Backnang) Dagmar Schmidt Dieter Wiefelspütz Peter Hintze Detlev von Larcher (Meschede) Heino Wiese (Hannover) Joachim Hörster Robert Leidinger Wilhelm Schmidt Brigitte Wimmer Klaus Hofbauer Dr. Elke Leonhard (Salzgitter) (Karlsruhe) Martin Hohmann Eckhart Lewering Regina Schmidt-Zadel Engelbert Wistuba Klaus Holetschek Christa Lörcher Carsten Schneider Barbara Wittig Siegfried Hornung Götz-Peter Lohmann Dr. Emil Schnell Dr. Wolfgang Wodarg Hubert Hüppe (Neubrandenburg) Karsten Schönfeld Verena Wohlleben Georg Janovsky Erika Lotz Fritz Schösser Hanna Wolf (München) Dr.-Ing. Rainer Jork (B) Dr. Christine Lucyga Olaf Scholz Waltraud Wolff (Zielitz) Dr. Harald Kahl (D) Winfried Mante Ottmar Schreiner Heidemarie Wright Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dirk Manzewski Dr. Mathias Schubert Uta Zapf Volker Kauder Tobias Marhold Richard Schuhmann Peter Zumkley Eckart von Klaeden Lothar Mark (Delitzsch) Ulrich Klinkert Ulrike Mascher Brigitte Schulte CDU/CSU Norbert Königshofen Heide Mattischeck (Hameln) Dr. Helmut Kohl Markus Meckel Volkmar Schultz (Köln) Ulrich Adam Eva-Maria Kors Ulrike Mehl Ewald Schurer Ilse Aigner Hartmut Koschyk Ulrike Merten Dr. R. Werner Schuster Peter Altmaier Thomas Kossendey Angelika Mertens Dr. Angelica Schwall- Norbert Barthle Rudolf Kraus Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Düren Dr. Wolf Bauer Dr. Martina Krogmann Ursula Mogg Rolf Schwanitz Günter Baumann Dr.-Ing. Paul Krüger Christoph Moosbauer Bodo Seidenthal Brigitte Baumeister Dr. Hermann Kues Michael Müller Erika Simm Dr. Sabine Bergmann- Dr. Karl A. Lamers (Düsseldorf) Dr. Sigrid Skarpelis- Pohl (Heidelberg) Jutta Müller Sperk Otto Bernhardt Dr. Norbert Lammert (Völklingen) Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Maria Böhmer Dr. Paul Laufs Christian Müller (Zittau) Wolgast Wolfgang Börnsen Werner Lensing Franz Müntefering Wieland Sorge (Bönstrup) Peter Letzgus Andrea Nahles Wolfgang Spanier Sylvia Bonitz Ursula Lietz Volker Neumann Dr. Margrit Spielmann Jochen Borchert Walter Link (Bramsche) Jörg-Otto Spiller Wolfgang Bosbach (Diepholz) Dr. Edith Niehuis Ludwig Stiegler Klaus Brähmig Eduard Lintner Dietmar Nietan Rolf Stöckel Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Manfred Lischewski Günter Oesinghaus Rita Streb-Hesse Paul Breuer Wolfgang Lohmann Leyla Onur Reinhold Strobl Georg Brunnhuber (Lüdenscheid) Manfred Opel Dr. Peter Struck Hartmut Büttner Dr. Michael Luther Holger Ortel Joachim Stünker (Schönebeck) Erich Maaß Adolf Ostertag Joachim Tappe Cajus Caesar (Wilhelmshaven) Kurt Palis Jörg Tauss Leo Dautzenberg Dr. Martin Mayer Albrecht Papenroth Jella Teuchner Albert Deß (Siegertsbrunn) Dr. Willfried Penner Wolfgang Thierse Renate Diemers Wolfgang Meckelburg 8952 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dr. Michael Meister Birgit Schnieber-Jastram Volker Beck (Köln) F.D.P. (C) Dr. Andreas Angelika Beer Hans Michelbach Schockenhoff Annelie Buntenbach Jörg van Essen Bernward Müller Reinhard Freiherr von Ekin Deligöz Rainer Funke (Jena) Schorlemer Dr. Thea Dückert Dr. Wolfgang Gerhardt Elmar Müller Heinz Seiffert Franziska Eichstädt- Dr. Karlheinz (Kirchheim) Bernd Siebert Bohlig Guttmacher Bernd Neumann Werner Siemann Hans-Josef Fell Ulrich Heinrich (Bremen) Johannes Singhammer Andrea Fischer Walter Hirche Claudia Nolte Bärbel Sothmann (Berlin) Birgit Homburger Günter Nooke Margarete Späte Katrin Dagmar Göring- Ulrich Irmer Franz Obermeier Wolfgang Steiger Eckardt Gudrun Kopp Friedhelm Ost Dorothea Störr-Ritter Rita Grießhaber Jürgen Koppelin Eduard Oswald Andreas Storm Winfried Hermann Ina Lenke Norbert Otto Max Straubinger Antje Hermenau Sabine Leutheusser- (Erfurt) Matthäus Strebl Kristin Heyne Schnarrenberger Anton Pfeifer Thomas Strobl Ulrike Höfken Dirk Niebel Dr. Friedbert Pflüger Dr. Susanne Tiemann Michaele Hustedt Günther Friedrich Beatrix Philipp Edeltraut Töpfer Monika Knoche Nolting Ronald Pofalla Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Angelika Köster- Cornelia Pieper Marlies Pretzlaff Gunnar Uldall Loßack Dr. Günter Rexrodt Thomas Rachel Angelika Volquartz Steffi Lemke Dr. Edzard Schmidt- Dr. Peter Ramsauer Andrea Voßhoff Dr. Reinhard Loske Jortzig Helmut Rauber Peter Weiß Oswald Metzger Gerhard Schüßler Hans-Peter Repnik (Emmendingen) Klaus Wolfgang Müller Marita Sehn Klaus Riegert Gerald Weiß (Groß- (Kiel) Dr. Hermann Otto Solms Dr. Heinz Riesenhuber Gerau) Christa Nickels Carl-Ludwig Thiele Hannelore Rönsch Annette Widmann-Mauz Christine Scheel Dr. Guido Westerwelle (Wiesbaden) Heinz Wiese Irmingard Schewe- Franz Romer (Ehingen) Gerigk Ungültig Heinrich-Wilhelm Hans-Otto Wilhelm Albert Schmidt Ronsöhr (Mainz) (Hitzhofen) SPD Kurt J. Rossmanith Matthias Wissmann Werner Schulz Dr. Christian Ruck Werner Wittlich (Leipzig) Hans-Günter Bruckmann Anita Schäfer Dagmar Wöhrl Christian Simmert Dieter Grasedieck Dr. Wolfgang Schäuble Aribert Wolf Christian Sterzing Heinz Schmitt (B) Hartmut Schauerte Wolfgang Zöller Hans-Christian Ströbele (D) Heinz Schemken Jürgen Trittin BÜNDNIS 90/DIE Gerhard Scheu BÜNDNIS 90/DIE Dr. Antje Vollmer GRÜNEN Christian Schmidt GRÜNEN Dr. Ludger Volmer (Fürth) Sylvia Voß Kerstin Müller (Köln) Gila Altmann (Aurich) Andreas Schmidt Margareta Wolf Marieluise Beck (Mülheim) (Frankfurt) (Bremen)

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver- sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete

Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU ______

Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf in dernen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzu- Ausschussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt nehmen. – Sind die Urnen besetzt? – Dann eröffne ich dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetz-die Abstimmung. entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali- Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarte tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von abgegeben? – Haben jetzt alle Mitglieder des Hauses ih- CDU/CSU und F.D.P. angenommen. re Stimmkarte abgegeben? – Ich schließe den Wahlgang Dritte Beratung und bitte auszuzählen. – Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.*) und Schlussabstimmung. Die Fraktion der SPD verlangt ______namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerin- *) Seite 8960 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8953

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Ab- Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Herr Präsident! Liebe (C) stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Kolleginnen und Kollegen! Als vor gut 13 Jahren die der CDU/CSU auf Drucksache 14/3008. Wer stimmt für Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gen- diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – technologie“ des 10. Deutschen Bundestages ihren Ab- Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag schlussbericht vorlegte, hat man die Geschwindigkeit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen dieder Entwicklung noch nicht abschätzen können. Seither Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der hat sich die medizinische Genetik, die so genannte rote PDS-Fraktion abgelehnt. Gentechnik, mit einer ungeheuren Geschwindigkeit entwickelt. Noch in diesem Jahr wollen die imProjekt Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 19 auf: HUGO kooperierenden 16 internationalen Sequenzie- rungszentren eine Arbeitsversion des menschlichen Ge- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- noms fertig gestellt haben, die mit einer Fehlerrate von gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verglei- nur 1 Promille 90 Prozent der menschlichen Gene erfas- chenden Werbung und zur Änderung wettbe- sen soll. werbsrechtlicher Vorschriften Das Industrieunternehmen Celera Genomics hat auf – Drucksache 14/2959 – diesem Gebiet seine Claims durch Patente sichern lassen Überweisungsvorschlag: und lässt mehr als 200 automatische Sequenziermaschi- Rechtsausschuss (f) nen Gendaten von einem Supercomputer analysieren. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Von Anfang September bis Mitte Oktober vorigen Jah- Interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträ- res hatte dieses Unternehmen bereits 6 500 Patente auf ge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu ge- vermeintlich interessante DNA-Regionen des menschli- ben.*) Sind Sie damit einverstanden? – chen Genoms beantragt. Als Clinton und Blair vor gut einer Woche den freien (Zuruf von SPD: Sehr!) Zugang zu allen Gendaten des Menschen forderten, gab Das ist der Fall. es heftige Kurseinbrüche bei Biotech-Aktien, die sich erst wieder erholten, als der britische Konzern PPL The- Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf rapeutics fünf geklonte Ferkel vorstellte und verkündete, Drucksache 14/2959 an die in der Tagesordnung aufge- dass es bald möglich sein werde, menschliche Ersatzor- führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein- gane in Schweinen heranwachsen zu lassen und diese verstanden? – Auch das ist der Fall. Dann ist die Über- durch Klonen in ausreichender Zahl auf den Markt zu weisung so beschlossen. bringen. (B) (D) Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 20 a und 20 b Die Bemühungen, menschliche Ersatzteile durch Ge- auf: webs- und Organzüchtung aus embryonalen Stammzel- len herzustellen, führt zu einer Wachstumseuphorie und 20 a) Beratung des Antrags F draekrtionen SPD, treibt seltsame Blüten. So schützte das Europäische Pa- CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENtentamt – wir haben hier darüber debattiert – ein Verfah- und F.D.P. ren zur Zucht gentechnisch veränderter menschlicher Embryonen. Das war ein klarer Verstoß gegen geltendes Einsetzung einer Enquete-KommissionRecht. Grundsätzlich wird das Heranzüchten und Paten- „Recht und Ethik der modernen Medizin“ tieren von biologischem Material, wie es in der europä- – Drucksache 14/3011 – ischen Patentrichtlinie heißt, in aller Welt, so auch in Deutschland, als legitimes Vorgehen akzeptiert. Die b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenFormulierung „biologisches Material“ erinnert an den Angela Marquardt, Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth schrecklichen Ausdruck „Menschenmaterial“ aus Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Kriegszeiten. Damals wie heute wird dem Gegenstand on der PDS solcher Begrifflichkeit ein Selbstzweck aberkannt. Aus Einsetzung einer Enquete-KommissionLeben wird biologisches Material, wird bloße Ware. „Menschenrechte, Ethik und Politik für ei- ne Medizin der Zukunft“ Professor Joseph Coates aus Washington hat auf einer Tagung des dänischen Ethikrates in Kopenhagen kürz- – Drucksache 14/2153 – lich eine Abschätzung der künftigen Entwicklung der so genannten roten Gentechnik in den Vereinigten Staaten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die vorgestellt. Ich möchte hier einiges aus diesem Szenario Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörevorstellen: keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Er prognostiziert, dass das Interesse wohlhabender Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Einkommensschichten an genetischer Diagnostik und Wort der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD- Therapie zunehmen wird und dass deren Kosten bis zum Fraktion. Jahre 2025 deutlich sinken werden. Der Einstieg in den Markt werde über die Vermeidung genetisch vererb- ______barer Krankheiten erfolgen. Aus diesem Grunde wür- *) Anlage 3 den i mmer mehr Eltern Techniken d er künstlichen 8954 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Wolfgang Wodarg (A) Befruchtung akzeptieren, um Kinder mit Behinderun- den und dass die Geschwindigkeit dieser Entwicklung (C) gen oder genetisch bedingten Erkrankungen vor der Im- oft vom irrationalen Treiben an den Börsen gesteuert plantation des befruchteten Eies auszusortieren. In eini- wird. gen Staaten dieser Welt werde die dabei gewonnene Er- fahrung genutzt werden, um so genannte Enhancement- Techniken zur Anwendung zu bringen. Wenn es mög- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bitte, lich sei, musikalische, intelligente oder körperlich opti- allmählich zum Schluss zu kommen. mierte Menschen zu selektieren, würden, so schätzt Coa- tes, einzelne Staaten diese Technologie auch nutzen. Dr. Wolfgang Wodarg (SPD): Wir haben verabre- Unweigerlich werde das zu einem internationalen Druck det, dass ich diese Rede zu Ende halten kann, wenn ich in Richtung Optimierung führen. das darf. Coates spricht symbolisch von drei Olympiaden, die (Margot von Renesse [SPD]: Ich rede weni- es dann geben müsste, einer normalen, einer für Behin- ger!) derte und einer für Enhanced People. Dopingtechniken könnten dadurch jedenfalls überflüssig werden. Ich frage mich: Ist das dies, was die Menschen wol- len? Wissen sie, wissen wir als ihre Vertreter, was da In den Vereinigten Staaten, die den Eltern bei der Er- wirklich abläuft? Wenn da etwas aus der Bahn gerät, zeugung und Gestaltung ihres Nachwuchses nicht hi-können wir es rechtzeitig beeinflussen? neinreden wollen, käme es, so vermutet Coates, erst in zehn Jahren zu einer gesetzlichen Einschränkung dieser Alles ist doch viel zu kompliziert, heißt es, man kann Technologien. Dort werden diese Technologien alsosowieso nichts mehr machen, zurzeit läuft es doch pri- kräftig, den Marktgesetzen folgend, wachsen. In Ameri- ma – so sind die gängigen Verdrängungsmechanismen. ka rechnet man mit etwa 6 Millionen Elternpaaren, die Ich bin froh, dass sich die Fraktionen des Deutschen hier als Nachfrager auftreten könnten. Um die Akzep-Bundestages durchgerungen haben, sich diesem Thema tanz für Eingriffe in die Keimbahn zu verbessern, wird zu stellen. man zuerst erlauben, das Gen für Typ-I-Diabetes im menschlichen Genom auszuschalten. Da gibt es das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE größte Einverständnis. GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Coates prognostizierte, dass bereits in etwa 20 Jahren Ich weiß, dass unser Tun von der Pharmaindustrie und in vielen Staaten dieser Welt eine humangenetische Be- von den Life-Science-Unternehmen intensiv beachtet ratung und Untersuchung zukünftiger Eltern zur Pflicht wird und dass es nicht an Versuchen und Beeinflussun- gemacht werden würde. gen mangeln wird. Wir haben jedoch auch gegenüber (B) diesem wichtigen Wirtschaftszweig die Aufgabe – kurz- (D) Im Jahr 2030 wird etwa jeder dritte amerikanischefristigen Kapitalinteressen zum Trotz –, für eine nach- Erwachsene Informationen über große Teile seines Ge- haltige Entwicklung zu sorgen. noms zur Verfügung haben. Bei Kindern werden es über 80 Prozent sein. Mit einer politischen Anti-GenWir- sind in Deutschland stolz darauf, dass unsere Au- Bewegung rechnet man in den USA erst Mitte der 30er- tomobilindustrie die umweltfreundlichsten Autos ent- Jahre. Dabei wird auf Erfahrungen mit anderen Risiko- wickelt und weltweit vermarktet. Hermann Scheer hat technologien zurückgegriffen, wie zum Beispiel dergestern in einer sehr beeindruckenden Rede deutlich Kernenergie. gemacht, dass auch im Energiewirtschaftsbereich nur derjenige eine Zukunft haben kann, der nachhaltig plant Die Bundesärztekammer präsentierte vor einigenund auch in die soziale und ökologischen Verträglichkeit Wochen den Entwurf einer Richtlinie, welche dieSelek- seiner Produkte investiert. tion minderwertiger Embryonen im Rahmen der künstlichen Befruchtung erlaubt. Begrenzt einstweilen Gleiches gilt uneingeschränkt auch für den Bereich auf einige wenige Fälle bestimmter Erbkrankheitender Biotechnologie. Es wäre falsch und wir wären falsch zeichnet sich hier bereits eine Entwicklung ab, die das beraten, wenn wir hier plötzlich mit Mindeststandards Schutzniveau unseres Embryonenschutzgesetzes auf- zufrieden wären. Unsere Nachbarn – das weiß ich aus weicht. der Parlamentarischen Versammlung des Europarates – erwarten von Deutschland auch im Bereich der Biotech- Noch etwas: Vor wenigen Tagen hörten wir, dass die nologie anspruchsvolle Entwicklungen. Anspruchsvolle britische Regierung per Gesetz Versicherungsunterneh- Entwicklungen im Bereich der Life-Sciences können men gestatten will, die Höhe derVersicherungsprämie aber nur dann nachhaltig genannt werden, wenn die ethi- dem genetischen Risiko der Versicherten anzupassen. Es schen Grundwerte, wenn das Menschenbild und die ist überall dasselbe Phänomen: Wir sind fasziniert von Menschenrechte durch diese Entwicklung, durch die den technischen Möglichkeiten und merken gar nicht,Produkte und die Verfahren, die hier entstehen, nicht ge- dass wir nach und nach die Grundlage des menschlichen fährdet werden. Miteinanders verändern, (Beifall der Abg. Gudrun Roos [SPD]) Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber hat diese Ziele bei seinen Regelungen bisher hochgehalten und dass Werte und Tabus, die bisher unser Zusammenleben sollte davon nicht abgehen. Wir wollen ihm durch die geregelt haben, in den Labors außer Kraft gesetzt wer- Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8955

Dr. Wolfgang Wodarg (A) Medizin“ ein dafür unentbehrliches Instrument zur Ver- Gesetzestexte werden gleichsam über Nacht hinfällig, (C) fügung stellen. Die Einsetzung der Enquete-Kom-wie dies beispielsweise der nach dem Klonen des Scha- mission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ imfes Dolly im Jahre 1998 erstellte Bericht der Bundesre- Deutschen Bundestag ist unverzichtbar. Sie kann abergierung zum Handlungsbedarf beimEmbryonen- nur dann ihre Funktion als Instrument der ethischenschutzgesetz zeigt. Nicht zuletzt die jüngste unverant- Rückkopplung wahrnehmen, wenn sie in ihrer Zusam- wortliche Fehlentscheidung des Europäisches Patentam- mensetzung und in ihrer Arbeitsweise nicht durch mäch- tes zur Vergabe einesPatents auf Genmanipulation tige Forschungs- und Wirtschaftsinteressen, die bis inam menschlichen Erbgut zeigt in dramatischer Weise die das Parlament hineinreichen, entwertet wird. dringende Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion der zugrunde liegenden ethischen Fragen. Wer die Enquete-Kommission aus innerster Überzeu- gung für überflüssig hält und dieses innerhalb und au- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ßerhalb des Parlaments laut und deutlich kundtut, mit ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- dem will ich mich trefflich streiten. Schlimm wäre es, NEN und der F.D.P.) wenn die Sitzungen der Enquete-Kommission zu Alibi- oder Feigenblattveranstaltungen werden, wie das Bei- Zunehmende Forderungen aus der Wissenschaft nach spiel vieler Ethik-Kommissionen in Amerika zeigt. einer Nivellierung der strengen deutschen Standards tun ihr Übriges, den Druck auf die Legislative zu erhöhen. Die Enquete-Kommission soll nicht Marketingin-Deshalb brauchen wir den öffentlichen Diskurs jetzt und strument für Fachleute sein, die ohnehin schon meinen, nicht erst dann, wenn die rasanten Entwicklungen die alles zu wissen. In ihr soll gerungen werden, und zwar Reaktionsfähigkeit des Staates bereits überfordern. Hier öffentlich, damit später kein Parlamentarier sagen kann, wird die Enquete-Kommission einen entscheidenden er habe nicht gewusst, was in diesen, die Grundrechteund unverwechselbaren Beitrag zu leisten haben. der Menschen dieses Landes direkt betreffenden Fragen im Deutschen Bundestag entschieden wurde. Wie weit unser Zeitgeist bereits von den klassischen Werten einer traditionellen, der Menschenwürde ver- (Beifall im ganzen Hause) pflichteten Ethik entfernt ist, zeigt die Absichtserklärung des schottischen Dolly-Vaters Wilmut, zukünftig – man höre! – embryonale Stammzellen zu, wie es absolut ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als harmlosend heißt, „therapeutischen Zwecken“ zu klo- nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Werner nen. Er wird zitiert mit: Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. Die meisten Menschen denken bei Embryonen an sehr kleine Menschen. Tatsächlich ist ein menschli- (CDU/CSU): Herr Präsident! Mei- (B) Werner Lensing cher Embryo nach sechs oder sieben Tagen nur ein (D) ne sehr verehrten Kolleginnen! Meine Kollegen! Der kleiner Zellball ohne Persönlichkeit. Deutsche Bundestag trifft heute mit der Einsetzung einer Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Ich halte diese Behauptung für ungeheuerlich, degradiert Medizin“ eine ausgesprochen bedeutsame Entscheidung; man doch damit bewusst den Embryo zu einem denn diese Thematik ist von außerordentlicher Tragwei- materiellen Etwas und damit zu einem seelenlosen te, ergeben sich doch in der biomedizinischen Forschung Konglomerat von Zellen, das zu Untersuchungszwecken umwälzende Erkenntnisse in einem wahrhaft atembe-durchaus zerstückelt, gentechnisch manipuliert und je raubenden, ja manchmal sogar in einem wirklich be-nach Forschungsprogramm sogar vollkommen ungeniert ängstigenden Tempo. zu fremdbestimmten Zwecken verwandt werden darf. Entstehen und Werden des menschlichen Lebens sind „Träume und Albträume des modernen Lebens“, endgültig ihrer Geheimnisse entkleidet. Sie werden im- stellt der Mainzer Moraltheologe Johannes Reiter fest, mer häufiger ins medizinische Labor verlagert. Die voll- „stehen sich in kaum einem anderen Bereich so schroff ständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms mit gegenüber wie gerade in der Medizin“. Angesichts sol- all seinen Segens-, aber auch Horrorversionen ist nurcher schrankenlosen Eigengesetzlichkeit der biomedizi- noch eine Frage der Zeit. Biomedizinische Forschung – nischen Entwicklung mangelt es nicht an verzagten das beweist die alltägliche Erfahrung – ist längst nicht Stimmen. Daher hört man schon heute wiederholt, die mehr an nationale Grenzen gebunden. Vielmehr verbrei- Ohnmacht des Staates sei gegenüber den explosiven tet sich wissenschaftliches Know-how mit außerge-Vorgängen von Biotechnologie und Biomedizin längst wöhnlicher Geschwindigkeit weltweit und gewinnt da- offensichtlich. mit zugleich ein erhebliches – wir haben es schon ge- hört – ökonomisches Potenzial. Deswegen ist es so wichtig, dass wir in dieser Situati- on unsere Enquete-Kommission einsetzen, will diese Können über diese bestürzende Entwicklung über-doch den betroffenen gesellschaftlichen Gruppen, Insti- haupt keine Zweifel bestehen, so klaffen auf nationaler tutionen und Verbänden sowie den Kirchen ein will- wie internationaler Ebene die Ansichten über die An-kommenes öffentliches Forum bieten, sich angemessen wendung und mehr noch über die ethischen Grenzenund deutlich in den öffentlichen Entscheidungsprozess dieser Anwendung genauso weit auseinander wie dieeinzubringen. Beurteilung ihrer politischen und rechtlichen Konse- quenzen. Bedauerlicherweise kann von einem breiten Zudem – dessen bin ich mir sehr sicher – werden ethischen Konsens leider nirgends mehr die Rede sein. die angestrebten sachorientierten Ergebnisse einen 8956 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Werner Lensing (A) erheblichen Beitrag zur fundierten Bewertung einzelner Wahrung der menschlichen Würde unsere ganz beson- (C) Technologien, zugleich aber auch zur Vermeidung vor- dere Verantwortung. schneller und womöglich in kürzester Zeit überholter Zweitens. Auf der einen Seite verpflichtet uns zwar Reaktionen des Gesetzgebers leisten. Schließlich sollten der christliche Schöpfungsauftrag, die Forschung, die wir uns nicht grundlos neuen und viel versprechenden Medizin und die Technik überall dort zu nutzen und zu Therapiemöglichkeiten der Biomedizin durch eine zu fördern, wo sie dem Leben dienen. Aber auf der anderen rigide Gesetzgebung verschließen. Seite gebietet unser christliches Verständnis vom Men- Andererseits gilt auch dies: Eine ethische und soziale schen mit der gleichen Deutlichkeit, überall dort absolu- Bewertung neuer Handlungsperspektiven darf nicht al- te Schranken zu setzen, wo es das GebotUn- der lein durch die betroffenen Wissenschaftler erfolgen. verfügbarkeit des Lebens erfordert. (Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) (Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU]) Ob Embryonenforschung oder Gentechnologie, ob For- Der Mensch wird sich spätestens dort selbst zur Bedro- schung an nicht einwilligungsfähigen Personen oderhung, wo die von ihm geschaffene Technik nicht mehr Abtreibung, ob Präimplantationsdiagnostik oder Xeno- dem Leben, seiner Unantastbarkeit und seiner Entfaltung transplantation – bei grundlegenden Fragestellungen,dient. welche die Würde des Menschen betreffen, brauchen Drittens. Entsprechend dem Zeugnis der Bibel ist der wir den öffentlichen gesellschaftlichen Dialog. Mensch geschaffen nach Gottes Bild. Daher hat mensch- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem liches Leben von Beginn an, also ab der Verschmelzung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) von Ei und Samenzelle, den höchsten Anspruch auf Schutz und Achtung seiner Würde, und dies unabhängig Dass es einen deutlichen Klärungsbedarf gibt, dafür von einem späteren Erfolg oder Misserfolg, unabhängig gibt es genügend Beispiele. Ich nenne nur einige weni- von einer Behinderung oder Krankheit, unabhängig von ge. seiner weiteren Lebensperspektive und vor allem unab- Zur Pränataldiagnostik: Pränatale Medizin hat – das hängig vom wertenden Urteil des Forschers, des Arztes, wissen wir –, ich betone: zu Recht – einen hohen undder Eltern oder gar eines Versicherungsvertreters. positiven Stellenwert. Durch das Erkennen einer sich (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem ungestört entwickelnden Schwangerschaft wird zahllo- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. sen Frauen die Angst vor einem kranken Kind genom- sowie bei Abgeordneten der PDS) men. Das ist gut so. Viertens. Alle Versuche, den Menschen physiolo- (B) Andererseits erhöht die Pränataldiagnostik zugleich gisch oder genetisch auf bestimmte Zwecke hin zu „op-(D) in außerordentlicher Weise den Druck auf die Schwan- timieren“ – ein fürchterlicher Begriff –, verstoßen gegen geren. So soll nicht übersehen werden, dass die Präna- die menschliche Würde. Solche Versuche wären auch taldiagnostik bei Unsicherheiten oder möglichen leich- unmoralisch, weil menschlichesLeben nicht Produkt, ten Behinderungen des Fötus immer häufiger zu einersondern unmittelbare Schöpfung Gottes ist und damit tödlichen Indikation führt, gemäß dem Motto: Ohne ge- der Machbarkeit entzogen wird. netisches Gütesiegel keine Austragung! Diese vier Kriterien sind die unverrückbaren Positio- (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!) nen, unter denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ihre Arbeit in der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der Zur somatischen Gendiagnostik: Auch hier liegen modernen Medizin“ aufnehmen wird. Die Freigabe ge- uns nicht nur Ergebnisse, sondern auch Fragen vor. So netischer Erbsubstanz zur Manipulation oder gar die Zu- stellt sich beispielsweise die Frage: Ist eine Röntgen- lassung der Tötung von menschlichem Leben hätte au- schwester, bei der eine genetisch bedingte Veranlagung ßerordentlich fatale und unverantwortbare Wirkungen zu Krebs diagnostiziert wird, verpflichtet, dies ihrem auf unser gesellschaftliches Zusammenleben. Arbeitgeber zu sagen? Wie soll dieser reagieren, wenn es ihm mitgeteilt wird? Deshalb gilt – ich wiederhole es –: Die unbedingte Lebensgarantie und die stärkste Kontrolle haben beim Wie sollen wir das Schicksal einer jungen ameri-Schutz behinderten oder ungeborenen Lebens absolute kanischen Frau bewerten, die sich bei einer Eliteuniver- Priorität. sität bewarb und alle Eingangsprüfungen bestand, aber anschließend aufgrund eines Gentests, der eine Disposi- Schließlich ist es keineswegs konsequent, auf der ei- tion bezüglich einer bestimmten schweren Erkrankung nen Seite – zu Recht – mit erbitterter Härte gegen Klon- ergab, ausgeschlossen wurde, mit der menschenverach- experimente, gegen Präimplantationsdiagnostik, gegen tenden Begründung, der Kostenaufwand stehe in keinem Keimbahnmanipulation oder gegen die Erzeugung em- Verhältnis zum Nutzen? bryonaler Stammzellen vorzugehen, auf der anderen Sei- te jedoch zugleich mit gleichgültiger Miene hinzuneh- Ich bin der Auffassung, dass wir uns auf vier Punkte men, wenn beispielsweise ungeborene Kinder im achten besonders konzentrieren sollten: Monat Gefahr laufen, schon wegen einer Hasenscharte Erstens. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse undabgetrieben zu werden. Möglichkeiten der modernen Medizin erfordern zur (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8957

Werner Lensing (A) Eine von christlichen Grundsätzen geprägte k onse- tend hinzufügen? Wie können wir diesen Prozess gestal- (C) quente Haltung gebietet es daher, im Rahmen unsererten? Arbeit in der Enquete-Kommission, für den Schutz der Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diesen Menschenwürde in allen Bereichen mit Verantwor- enormen Herausforderungen nur gerecht werden, wenn tungsgefühl und Überzeugungskraft zu streiten. wir mit aller Emphase und Sachlichkeit die Arbeit der Ich danke Ihnen. Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages betreiben. Was im Dienste der Menschheit geforscht und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- angewendet wird, muss sich auf das verfassungsrecht- wie bei Abgeordneten der SPD und des lich geschützte, ganzheitliche Menschenbild und die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Menschenwürde beziehen. An niemand anderen können diese Norm- und Regelsetzungen delegiert werden. Das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das muss das Parlament tun. Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nis 90/Die Grünen. sowie bei Abgeordneten der SPD, der PDS und des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Monika Knoche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): [F.D.P.]) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Her- Um auf eine aktuelle Frage einzugehen: Nach dem ren und Damen! Noch keine Kultur und noch keine Ge- bestehenden Embryonenschutzgesetz ist es egal, ob die sellschaft vor uns stand davor, dass durch die Anwen-Zellentwicklung in das Stadium der Toti- oder Pluripo- dung einer Technik der Begriff vom Menschen selbsttenz fortgeschritten ist. Der Embryo ist zu keinem ande- von seiner Auflösung bedroht ist. ren Zweck entstanden als zu dem, von einer Frau gebo- Im Zuge der Akzeptanzförderung der Biomedizinren zu werden. Hier bleibt kein Interpretationsspielraum werden für den Beginn und das Ende des Lebens neue offen, auch wenn Gen-Ingenieure das hoffen. Definitionen von Personalität in die Welt geworfen. (Beifall im ganzen Hause) Vielleicht glaubt man tatsächlich, damit der Ethik Ge- nüge zu tun, aber es wird im Kern jenseits der Men- Die entleibte Fruchtbarkeit der Frau hat die größten schenrechtsdogmatik zweckrational argumentiert. Man Begehrlichkeiten auf die Nutzbarmachung menschlichen stellt das Menschenrecht, das Projekt der Moderne, einer Lebens geweckt. Ob Präimplantation oder Pränataldia- postmodernen Beliebigkeit anheim. gnostik, sie alle betreffen die Frau, ihre Selbstbestim- mung und die soziale und gesellschaftliche Dimension Was ist der Mensch? Ab wann und bis wann ist ervon Mutterschaft in einer Weise, wie das noch mit (B) Subjekt? Die Unterscheidung zwischen Mensch undkeiner Technik je geschehen ist. Die Entschlüsselung(D) Person ist eine definitorische Aufspaltung des Untrenn- der genetischen Beschaffenheit generiert die Entschei- baren. Um welche unermessliche Dimension dung von über Krankheitswertigkeit und Lebenswert. Aus- Fremdbestimmung des Menschen würde es sich einmal tragungsort von Selektion ist der Körper der Frau. Ich handeln, wenn wir zuließen, dass die Keimbahn gen-möchte nicht, dass wir diese Perspektive vergessen. technischer Manipulation unterworfen, der Mensch als Individuum und als Gattungsart seiner Einzigartigkeit Wir haben die Aufgabe, die Komplexität des Themas beraubt würde? transparent und allgemein verständlich zu machen, denn wir wollen den Austausch mit der Bevölkerung. Das Das sind Fragen grundsätzlicher Art. Wir sind immuss die Enquete-Kommissionleisten. Gerade heute werteprogressiven Sinn aufgefordert, in der Traditionsoll nicht vergessen werden: Es ist dem nachhaltigen der Menschenrechtskultur Tabus zu halten. Tabu undEngagement einer informierten und aufgeklärten Öffent- Aufklärung gehören zusammen. Der menschliche Em- lichkeit sowie der Presse entscheidend mitzuverdanken, bryo in seiner frühen Phase der Entwicklung ist bereits dass die Enquete-Kommission letztlich doch eingesetzt Objekt kommerzieller Verwendung in Form von paten- wird. Sie, die Kirchen, die Natur- und Geisteswissen- tierbarem biologischen Material geworden. Er ist Aus- schaften, die Behindertenverbände, gehören unverzicht- gangsmaterie zur Herstellung und Herausbildung vonbar zu den dialogführenden Parteien dazu. Diese haben Menschenteilen für die Verwendung in der medizini-ihre aufgeklärte Position nicht zuletzt in ihrer Kritik an schen Therapie: nicht in Deutschland, aber anderswo. der europäischen Bioethik-Konvention formuliert, die diesen unverzichtbaren Schutzstandard eben gerade So taucht die Frage auf: Sind nationale, kulturelle, nicht hinreichend garantieren kann. Wir müssen sehr ethische Grenzen, grund- und verfassungsrechtliche Ga- ernsthaft daran arbeiten, dass es nicht über die suprana- rantien in einer globalisierten Welt noch zu halten, in tionale Ebene zu einer Nivellierung unserer Standards der durch die Verbindung von Informations- und Gen- kommt. technologie diese Forschung an allen Orten der Welt nach Anwendung drängt? Nicht nur auf welchem Ver- Die deutsche Enquete-Kommission hat unbedingt ei- ständnis vom Menschen sind unsere Werte, unsere wert- ne europäische Wirkung. Wenn jetzt beispielsweise in vollen Tabus gebaut, sondern auch wie können wir sie England der DNA-Chip für die private Krankenversi- über den nationalen Wertekonsens hinaus normgebend cherung Verwendung findet, zeigt das: Die Entschlüsse- dem europäischen Grundrechtscharta-Konvent befruch- lung des menschlichen Genoms darf niemals mit einem 8958 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Monika Knoche (A) individuellen Krankheitsrisiko in V erbindung gebracht (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (C) werden. ten der SPD) (Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS]) Ich glaube jedenfalls, dass das demokratische Mandat im Grunde und erst recht wohl in diesem Bereich we- Das Krankheitsrisiko zu individualisieren bedeutetniger dazu berechtigt, allgemeinen Meinungen, Ängsten die Autonomie zu pervertieren. Was Selbstbestimmung oder eben Entscheidungsverweigerungen nachzugeben, genannt wird, ist Diskriminierung, ist das Gegenteil von als vielmehr dazu verpflichtet, sich in noch so schwieri- Freiheit und Gleichheit. So wie der Zivilität eine zu-gen Situationen persönlich zu bekennen, miteinander um kunftsfähige Weiterentwicklung des solidarischen Sozi- ein möglichst gutes Urteil und eine möglichst gemein- alstaats zugrunde zu legen ist, so darf Leitbild der gene- verträgliche Lösung zu ringen, die Verantwortung zu tisch und molekular ausgerichteten Biomedizin nicht die akzeptieren und dann eben auch Entscheidungen zu tref- genetische Verbesserung des Menschen sein. Wenn das fen. sicher ist, bewegen wir uns auf festem Grund. Meine Damen und Herren, freilich weiß man zusätz- Ich danke Ihnen. lich – das hat mich jedenfalls die Erfahrung aus der letz- (Beifall im ganzen Hause) ten Legislaturperiode mit dem Gesetz über die Organ- transplantation gelehrt –, als wie unangenehm die Befas- sung mit solch existenziellen Themen von vielen emp- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als funden wird. Möglicherweise – ich will das nur ganz nächster Redner hat der Kollege Professor Schmidt-zart andeuten – beruht darauf im Übrigen auch, dass der Jortzig von der F.D.P.-Fraktion das Wort. jetzige Tagesordnungspunkt so ganz am Ende der Wo- chenagenda versteckt wurde. Nur als ein Beispiel für ei- Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (F.D.P.): Herr Präsi- nen Tagesordnungspunkt, der deutlich vorangestellt dent! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen!wurde, sei etwa der tourismuspolitische Bericht der Meine Herren! Die F.D.P. begrüßt die Einsetzung derBundesregierung erwähnt. Ich hoffe sehr, dass das mit Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen den Ergebnissen der Enquete-Kommission nicht so ge- Medizin“ nachdrücklich. Wir glauben, dass es dringend hen wird. geboten ist, dass sich auch und gerade das Parlament mit (Beifall im ganzen Hause) diesen Fragen und den Problemen auf diesem Gebiet umfassend beschäftigt. Wir sind uns – gottlob – nochFür die Arbeit ist es ja vielleicht gar nicht so schlecht, gar nicht ganz einig darüber, was alles dazu gehört.wenn wir etwas ruhiger beginnen. Manche Aspekte haben wir schon gehört. Herr Kollege Also: Lassen wir uns von Schwierigkeiten nicht be- (B) Lensing und Herr Kollege Wodarg, Sie haben daraufeindrucken, sondern gehen wir die große Aufgabe guten (D) hingewiesen. Mutes an. Die Liberalen jedenfalls wollen sich hier be- Ich möchte nur einen zusätzlichen Bereich anspre-herzt einbringen. chen, der auch in diesem Problemfeld anzusiedeln ist. Vielen Dank. Dies ist der große Fragenkomplex um Sterbehilfe, Sterbebegleitung und/oder die Palliativmedizin. Wir (Beifall im ganzen Hause) wissen, dass die wissenschaftliche Forschung täglich weiter greift. Hier ergeben sich allenthalben Fragen so- wohl bezüglich segensreicher Therapiemöglichkeiten als Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das auch umgekehrt bezüglich Horrorvorstellungen. Darauf Wort hat jetzt Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS- ist schon hingewiesen worden. Man denke nur daran,Fraktion. dass die berühmt-berüchtigte Dolly-Methode auch bei Menschen anwendbar ist. Dr. Ilja Seifert (PDS): Herr Präsident! Meine Damen Es gibt also eine Fülle von Problemen, die alle einer und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! In gar nicht Erörterung und eben auch der rechtlichen Regulierung allzu ferner Zukunft soll es durch einen kleinen geneti- bedürfen, weil man nie ausschließen kann, dass sich hier schen Eingriff möglich sein, Krankheiten zu heilen, vor Experimentierer bar eigener ethischer Beschränkungen denen wir alle Angst haben. Ist das nicht ein hehres Ziel, tummeln und Dinge treiben, die mit unserem Men-eine ethisch hoch stehende Aufgabe? Leider kann man schenbild, unserer Verpflichtung vor der Verfassung und mit denselben Methoden auch andere Dinge tun, mit vor allem der Verantwortung vor den nachfolgendendenselben Techniken, mit denselben Instrumenten und Generationen ebenso wie vor unserer spezifischen Ver- auch von denselben Menschen ausgeführt: Man kann gangenheit nicht vereinbar sind. umweltresistente Menschen herstellen. Wollen wir das? Hier zu gemeinsamen Grundregeln zu kommen istMan kann dem Schönheitswahn, der uns durch die Wer- bestimmt schwierig, aber davor zu kapitulieren und sich bung aufgezwungen wird, dadurch Nahrung geben, dass schnell in das Argument mit der Unabstimmbarkeit zu man sagt: Wir machen euch so schön, wie ihr sein wollt! flüchten wäre meines Erachtens unvertretbar. Und: Ihr bleibt ewig jung. Das ist alles möglich. Vielmehr gilt es, dass das Parlament sich auf seine Füh- Ist es aber nicht in Wirklichkeit so, dass das eigent- rungsaufgabe und seine Funktion als Anstoßgeber fürlich Menschliche darin besteht, dass wir alle voller Feh- öffentliche und tief gehende Diskussionen besinnt. ler sind, das ses die Menschen gerade ausmacht, das s Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8959

Dr. Ilja Seifert (A) wir nicht perfekt sind, dass uns auch einmal etwas weh- gehört haben, versuchen, Sie an e inem, wie man sagt, (C) tut? Schlüsselerlebnis teilhaben zu lassen, das ich vor etwa 17 Jahren hatte. Wir setzen heute eineBioethik-Enquete-Kommis- sion ein, und ich bin froh darüber. Endlich hat der Druck Damals hatte ich mich zum ersten Mal mit der seiner- vieler Behindertenorganisationen, vieler Wohlfahrtsver- zeit auch für mich unerhörtenReproduktionsmedizin bände, vieler Selbsthilfegruppen und auch der Druckzu befassen. Die medizinisch unterstützte Fortpflanzung von Einzelpersönlichkeiten dazu geführt, dass hier imschien mir eine Entschleierung von Tabus – des Ge- Bundestag diese Kommission eingesetzt wird. Nicht zu- heimnisvollen, des Dunklen und des Liebevollen, auch fällig auch ein bisschen, weil die PDS schon im Novem- des Menschenwürdigen – zu sein, abgesehen davon, ber vergangenen Jahres einen entsprechenden Antragdass meine familienrechtlichen Vorstellungen völlig eingebracht hat. Wir wollen heute, auch wenn alle, die durcheinander kamen. Als ich mich damit beschäftigte, bisher geredet haben, sich sehr positiv äußerten, nicht so war für mich der zwingende Gedanke: Das ist alles tun, als ob es nicht so gewesen wäre, dass in den großen furchtbar, ab damit ins Strafgesetzbuch. Mir war klar, Fraktionen erheblicher Widerstand gegen die Einsetzung dass angesichts der Vielzahl dieser Techniken, die mög- einer solchen Kommission bestand. Und das ist bedauer- lich werden würden, Menschenwürde in einem ganz lich. wichtigen Stadium von Menschsein, nämlich bei der Entstehung des Menschen, erheblich in Gefahr geriet. Ich will nicht verhehlen, dass ich es nach wie vorMenschenwürde ist ja immer in Grenzsituationen ge- auch bedauere, dass ideologische Verbohrtheit bei Ih-fragt: beim Entstehen und Beenden von Leben, bei nen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von derKrankheit und Behinderung. Wir brauchen die Men- CDU/CSU, verhindert hat, dass wir einen gemeinsamen schenwürde eines 35-jährigen Olympioniken in der Re- Antrag einbringen konnten. gel nicht zu schützen. Aber da, wo die Menschenwürde (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten in Gefahr ist, tritt auch ihr Ernstfall ein. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Damals rief ich meine Schwester an, die Radiothera- GRÜNEN) peutin und urologische Onkologin in Oslo und eine sehr In der Sache sind wir doch gar nicht auseinander. Daher fromme Frau ist, die morgens Bibellesungen macht. Ich hatte ich eigentlich gedacht, dass wir, nachdem wir infragte sie, ob sie von diesen Möglichkeiten wisse und der Behindertenpolitik schon einmal gemeinsame An-was sie davon halte. Sie antwortete: Was willst du, da- träge einbringen konnten, das auch bei so wichtigenmit arbeite ich. Auf meine erstaunte Nachfrage erläuter- Dingen tun könnten. Das Zeichen nach außen wäre ge- te sie mir, ein großer Teil ihrer Patienten seien junge wesen, dass der Bundestag um die Wichtigkeit der Auf- Hodenkrebspatienten. Müsse man ihnen sagen, dass sie Krebs haben, sei es schon schwierig genug. Müsse man (B) gabe weiß und mit parteipolitischem Hickhack aufhört, (D) der hier wirklich nicht angebracht ist. ihnen darüber hinaus sagen, dass sie Hodenkrebs haben, dann – das war für meine Schwester nachvollziehbar; Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die übrigens im Gegensatz zu vielen Gynäkologen in Bezug Frage, ob wir wirklich alles tun wollen, was wir tunauf Frauen mit gynäkologischen Krebsen – sei das für können. Ich glaube es nicht. Die Enquete-Kommission sie ein Einbruch in ihr Selbstverständnis. Da die Thera- wird die schwierige Aufgabe haben, all das zu bespre- pie sehr langwierig und belastend war, konnte sie ihre chen. Diejenigen, die warnen und sagen, die Risiken sei- Patienten nur heilen, wenn sie nicht in Depressionen en so groß, dass wir sie nicht alle eingehen sollten, er-verfielen. Sie brauchte daher diese Techniken, um den scheinen als Fortschrittsverhinderer. Aber bitte schön, jungen Männer sagen zu können, sie könnten mit Si- meine Damen und Herren, welch ein Fortschritt ist es, cherheit leibliche Kinder haben, wenn sie es wollten. So wenn am Ende das, was Sie, die Sie religiös geprägtkonnte sie sie heilen. Inzwischen ist der Hodenkrebs sind, Schöpfung nennen, nicht mehr existiert? weitgehend heilbar. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Ich habe im An- schluss daran über etwas nachgedacht, was ein mensch- (Beifall im ganzen Hause) liches Grundgesetz ist: die Ambivalenz all dessen, was wir tun. Als am Ende des finsteren, des nicht wissen- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als letz- schaftlichen Mittelalters Wissenschaft auf der Bildfläche ter Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von Renesse erschien, sprach man von „aude sapere“: „Wage es, et- von der SPD-Fraktion das Wort. – Bedauerlicherweise was zu wissen.“ Dies war ein Aufbruch und zugleich ei- bleiben Ihnen nur noch drei Minuten Redezeit, Frau von ne Verurteilung. Renesse. Beim nächsten Tagesordnungspunkt sind Sie Die tragische Dialektik menschlichen Tuns wird uns allerdings als erste Rednerin vorgesehen. beschäftigen. Hoffentlich schlagen wir Brücken zu den verschiedenen Ebenen, in denen leider noch unterschied- Margot von Renesse (SPD): Das ist dann die Kom- liche Ethiken existieren. Die Scientific Society denkt pensation. manchmal anders als die Betroffenen. Hoffentlich schla- gen wir Brücken zwischen den Nationen und zwischen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da mirden verschiedenen Perzeptionsschichten. Es ist nicht al- wenig Zeit bleibt, möchte ich nach den vielen sehr be- les des Teufels, was Menschen tun, aber alles kann des herzigenswerten grundsätzlichen Reden, die wir eben Teufels sein! 8960 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Margot von Renesse (A) Danke. zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Menschen- (C) rechte, Ethik und Politik für eine Medizin der Zukunft“ (Beifall im ganzen Hause) auf Drucksache 14/2153. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich Antrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei schließe die Aussprache. Enthaltung von CDU/CSU und F.D.P. gegen die Stim- men der PDS abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, Einsetzung einer Enquete-Kommission auf Drucksa-will ich das von den Schriftführern und Schriftführe- che 14/3011. Wer stimmt für diesen Antrag? – Werrinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag istmung über den „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der damit einstimmig angenommen. Die Enquete-Kommis- Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK- sion „Recht und Ethik der modernen Medizin“ ist damit Vorschaltgesetz)“ der Fraktionen SPD und Bündnis eingesetzt. 90/Die Grünen, Drucksache 14/2765, bekannt geben. Abgegebene Stimmen 479. Mit Ja haben gestimmt 308, Wir kommen zur Abstimmung der Fraktion der PDS mit Nein haben gestimmt 171, Enthaltungen keine.

Endgültiges Ergebnis Wolf-Michael Hubertus Heil Brigitte Lange Catenhusen Reinhold Hemker Christian Lange Dr. Herta Däubler- Frank Hempel (Backnang) Abgegebene Stimmen: 476 Gmelin Rolf Hempelmann Detlev von Larcher davon Dr. Peter Danckert Gustav Herzog Robert Leidinger Christel Deichmann Monika Heubaum Dr. Elke Leonhard ja: 302 Karl Diller Reinhold Hiller Eckhart Lewering Peter Dreßen (Lübeck) Christa Lörcher nein: 171 Rudolf Dreßler Stephan Hilsberg Götz-Peter Lohmann ungültig: 3 Detlef Dzembritzki Gerd Höfer (Neubrandenburg) Dr. Peter Eckardt Jelena Hoffmann Erika Lotz Sebastian Edathy (Chemnitz) Dr. Christine Lucyga Ja Ludwig Eich Walter Hoffmann Winfried Mante Marga Elser (Darmstadt) Dirk Manzewski (B) SPD Peter Enders Iris Hoffmann (Wismar) Tobias Marhold (D) Gernot Erler Frank Hofmann Lothar Mark Brigitte Adler Petra Ernstberger (Volkach) Ulrike Mascher Gerd Andres Annette Faße Ingrid Holzhüter Heide Mattischeck Ingrid Arndt-Brauer Lothar Fischer Eike Maria Hovermann Markus Meckel Rainer Arnold (Homburg) Christel Humme Ulrike Mehl Hermann Bachmaier Gabriele Fograscher Brunhilde Irber Ulrike Merten Ernst Bahr Iris Follak Gabriele Iwersen Angelika Mertens Doris Barnett Norbert Formanski Renate Jäger Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Dr. Hans Peter Rainer Fornahl Ilse Janz Ursula Mogg Bartels Hans Forster Volker Jung Christoph Moosbauer Eckhardt Barthel Dagmar Freitag (Düsseldorf) Michael Müller (Berlin) Lilo Friedrich Johannes Kahrs (Düsseldorf) Klaus Barthel (Mettmann) Ulrich Kasparick Jutta Müller (Starnberg) Harald Friese Susanne Kastner (Völklingen) Ingrid Becker-Inglau Anke Fuchs (Köln) Hans-Peter Kemper Christian Müller (Zittau) Wolfgang Behrendt Arne Fuhrmann Klaus Kirschner Franz Müntefering Dr. Axel Berg Monika Ganseforth Marianne Klappert Andrea Nahles Hans-Werner Bertl Günter Gloser Fritz Rudolf Körper Volker Neumann Friedhelm Julius Renate Gradistanac Walter Kolbow (Bramsche) Beucher Günter Graf (Friesoythe) Karin Kortmann Dr. Edith Niehuis Petra Bierwirth Angelika Graf Anette Kramme Dietmar Nietan Rudolf Bindig (Rosenheim) Nicolette Kressl Günter Oesinghaus Lothar Binding Achim Großmann Volker Kröning Leyla Onur (Heidelberg) Wolfgang Grotthaus Angelika Krüger- Manfred Opel Kurt Bodewig Karl-Hermann Haack Leißner Holger Ortel Klaus Brandner (Extertal) Horst Kubatschka Adolf Ostertag Anni Brandt-Elsweier Hans-Joachim Hacker Ernst Küchler Kurt Palis Rainer Brinkmann Klaus Hagemann Helga Kühn-Mengel Albrecht Papenroth (Detmold) Manfred Hampel Dr. Uwe Küster Dr. Willfried Penner Hans-Günter Christel Hanewinckel Konrad Kunick Dr. Martin Pfaff Bruckmann Klaus Hasenfratz Werner Labsch Georg Pfannenstein Dr. Michael Bürsch Nina Hauer Christine Lambrecht Johannes Pflug Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8961

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dr. Eckhart Pick Adelheid Tröscher Klaus Wolfgang Müller Klaus Brähmig (C) Karin Rehbock-Zureich Hans-Eberhard Urbaniak (Kiel) Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Carola Reimann Rüdiger Veit Christa Nickels Paul Breuer Margot von Renesse Simone Violka Christine Scheel Georg Brunnhuber Renate Rennebach Ute Vogt (Pforzheim) Irmingard Schewe- Hartmut Büttner Bernd Reuter Hans Georg Wagner Gerigk (Schönebeck) Dr. Edelbert Richter Hedi Wegener Albert Schmidt Cajus Caesar Reinhold Robbe Dr. Konstanze Wegner (Hitzhofen) Leo Dautzenberg René Röspel Wolfgang Weiermann Werner Schulz (Leipzig) Albert Deß Gudrun Roos Reinhard Weis (Stendal) Christian Simmert Renate Diemers Dr. Ernst Dieter Matthias Weisheit Christian Sterzing Thomas Dörflinger Rossmann Gert Weisskirchen Hans-Christian Ströbele Marie-Luise Dött Birgit Roth (Speyer) (Wiesloch) Jürgen Trittin Hansjürgen Doss Marlene Rupprecht Dr. Ernst Ulrich von Dr. Antje Vollmer Ilse Falk Thomas Sauer Weizsäcker Dr. Ludger Volmer Dr. Hans Georg Faust Gudrun Schaich-Walch Jochen Welt Sylvia Voß Albrecht Feibel Rudolf Scharping Dr. Rainer Wend Helmut Wilhelm Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Hermann Scheer Hildegard Wester (Amberg) Herbert Frankenhauser Siegfried Scheffler Lydia Westrich Margareta Wolf Dr. Gerhard Friedrich Dieter Schloten Inge Wettig-Danielmeier (Frankfurt) (Erlangen) Horst Schmidbauer Dr. Margrit Wetzel Dr. Hans-Peter Friedrich (Nürnberg) Dr. Norbert Wieczorek PDS (Hof) Silvia Schmidt Jürgen Wieczorek Erich G. Fritz (Eisleben) (Böhlen) Dr. Dietmar Bartsch Jochen-Konrad Fromme Dagmar Schmidt Helmut Wieczorek Petra Bläss Dr. Jürgen Gehb (Meschede) (Duisburg) Maritta Böttcher Norbert Geis Wilhelm Schmidt Dieter Wiefelspütz Eva Bulling-Schröter Georg Girisch (Salzgitter) Heino Wiese (Hannover) Roland Claus Peter Götz Regina Schmidt-Zadel Brigitte Wimmer Dr. Heinrich Fink Kurt-Dieter Grill Heinz Schmitt (Berg) (Karlsruhe) Wolfgang Gehrcke Manfred Grund Carsten Schneider Engelbert Wistuba Dr. Klaus Grehn Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Emil Schnell Barbara Wittig Uwe Hiksch Helmut Heiderich Karsten Schönfeld Dr. Wolfgang Wodarg Carsten Hübner Manfred Heise Fritz Schösser Verena Wohlleben Sabine Jünger Siegfried Helias Olaf Scholz Hanna Wolf (München) Dr. Evelyn Kenzler Hans Jochen Henke Ottmar Schreiner Waltraud Wolff (Zielitz) Dr. Heidi Knake-Werner Peter Hintze (B) Gisela Schröter Heidemarie Wright Rolf Kutzmutz Joachim Hörster (D) Dr. Mathias Schubert Uta Zapf Heidi Lippmann Klaus Hofbauer Richard Schuhmann Peter Zumkley Ursula Lötzer Martin Hohmann (Delitzsch) Heidemarie Lüth Klaus Holetschek Brigitte Schulte BÜNDNIS 90 / DIE GRÜ- Dr. Christa Luft Siegfried Hornung (Hameln) NEN Angela Marquardt Hubert Hüppe Volkmar Schultz (Köln) Manfred Müller (Berlin) Georg Janovsky Ewald Schurer Gila Altmann (Aurich) Kersten Naumann Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. R. Werner Schuster Marieluise Beck Christine Ostrowski Dr. Harald Kahl Dr. Angelica Schwall- (Bremen) Christina Schenk Dr.-Ing. Dietmar Kansy Düren Angelika Beer Gustav-Adolf Schur Volker Kauder Rolf Schwanitz Annelie Buntenbach Dr. Ilja Seifert Eckart von Klaeden Bodo Seidenthal Ekin Deligöz Ulrich Klinkert Dr. Thea Dückert Erika Simm Nein Norbert Königshofen Dr. Sigrid Skarpelis- Franziska Eichstädt- Dr. Helmut Kohl Bohlig Sperk CDU/CSU Eva-Maria Kors Dr. Cornelie Sonntag- Hans-Josef Fell Hartmut Koschyk Wolgast Andrea Fischer Ulrich Adam Thomas Kossendey Wieland Sorge (Berlin) Ilse Aigner Rudolf Kraus Wolfgang Spanier Katrin Dagmar Göring- Peter Altmaier Dr. Martina Krogmann Dr. Margrit Spielmann Eckardt Norbert Barthle Dr.-Ing. Paul Krüger Jörg-Otto Spiller Rita Grießhaber Dr. Wolf Bauer Dr. Hermann Kues Ludwig Stiegler Winfried Hermann Günter Baumann Dr. Karl A. Lamers Rolf Stöckel Antje Hermenau Brigitte Baumeister (Heidelberg) Rita Streb-Hesse Kristin Heyne Dr. Sabine Bergmann- Dr. Norbert Lammert Reinhold Strobl Ulrike Höfken Pohl Dr. Paul Laufs Dr. Peter Struck Michaele Hustedt Otto Bernhardt Werner Lensing Joachim Stünker Monika Knoche Dr. Maria Böhmer Peter Letzgus Joachim Tappe Dr. Angelika Köster- Wolfgang Börnsen Ursula Lietz Jörg Tauss Loßack (Bönstrup) Walter Link Jella Teuchner Steffi Lemke Sylvia Bonitz (Diepholz) Wolfgang Thierse Dr. Reinhard Loske Jochen Borchert Eduard Lintner Franz Thönnes Oswald Metzger Wolfgang Bosbach Dr. Manfred Lischewski 8962 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wolfgang Lohmann Franz Romer Angelika Volquartz Cornelia Pieper (C) (Lüdenscheid) Heinrich-Wilhelm Andrea Voßhoff Dr. Günter Rexrodt Dr. Michael Luther Ronsöhr Peter Weiß Dr. Edzard Schmidt- Erich Maaß Kurt J. Rossmanith (Emmendingen) Jortzig (Wilhelmshaven) Dr. Christian Ruck Gerald Weiß (Groß- Gerhard Schüßler Dr. Martin Mayer Anita Schäfer Gerau) Marita Sehn (Siegertsbrunn) Dr. Wolfgang Schäuble Annette Widmann-Mauz Dr. Hermann Otto Solms Wolfgang Meckelburg Hartmut Schauerte Heinz Wiese Carl-Ludwig Thiele Dr. Michael Meister Heinz Schemken (Ehingen) Dr. Guido Westerwelle Friedrich Merz Gerhard Scheu Hans-Otto Wilhelm Hans Michelbach Christian Schmidt (Mainz) Bernward Müller (Jena) (Fürth) Matthias Wissmann Ungültig Elmar Müller Andreas Schmidt Werner Wittlich (Kirchheim) (Mülheim) Dagmar Wöhrl CDU/CSU Bernd Neumann Birgit Schnieber-Jastram Aribert Wolf Dieter Grasedieck (Bremen) Dr. Andreas Wolfgang Zöller Claudia Nolte Schockenhoff BÜNDNIS 90/ DIE F.D.P. Günter Nooke Reinhard Freiherr von GRÜNEN Franz Obermeier Schorlemer Jörg van Essen Volker Beck (Köln) Friedhelm Ost Heinz Seiffert Rainer Funke Kerstin Müller (Köln) Eduard Oswald Bernd Siebert Dr. Wolfgang Gerhardt Norbert Otto (Erfurt) Werner Siemann Dr. Karlheinz Anton Pfeifer Johannes Singhammer Guttmacher Dr. Friedbert Pflüger Bärbel Sothmann Ulrich Heinrich Beatrix Philipp Margarete Späte Walter Hirche

Ronald Pofalla Wolfgang Steiger Birgit Homburger Marlies Pretzlaff Dorothea Störr-Ritter Ulrich Irmer Thomas Rachel Andreas Storm Gudrun Kopp Dr. Peter Ramsauer Max Straubinger Jürgen Koppelin Helmut Rauber Matthäus Strebl Ina Lenke Hans-Peter Repnik Thomas Strobl Sabine Leutheusser- Klaus Riegert Dr. Susanne Tiemann Schnarrenberger Dr. Heinz Riesenhuber Edeltraut Töpfer Dirk Niebel Hannelore Rönsch Dr. Hans-Peter Uhl Günther Friedrich (Wiesbaden) Gunnar Uldall Nolting (B) (D) Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Ver- sammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete Behrendt, Wolfgang, Bühler (Bruchsal), Klaus, Neumann (Gotha), Gerhard, Siebert, Bernd, CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU ______

Der Gesetzentwurf ist angenommen. b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b so- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der wie den Zusatzpunkt 8 auf: PDS 21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rehabilitierung und Entschädigung für die Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, strafrechtliche Verfolgung einvernehmli- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der cher gleichgeschlechtlicher sexueller Hand- PDS lungen zwischen Erwachsenen in der Bun- Unrechtserklärung der nationalsozialisti- desrepublik Deutschland und der Deut- schen §§ 175 und 175 a Nr. 4 Reichsstraf- schen Demokratischen Republik gesetzbuch sowie Rehabilitierung und Ent- – Drucksache 14/2620 – schädigung für die schwulen und lesbi- Überweisungsvorschlag: schen Opfer des NS-Regimes Rechtsausschuss (f) – Drucksache 14/2619 – Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Rechtsausschuss (f) Haushaltsausschuss Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, Haushaltsausschuss Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8963

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. P eterdas manchmal in solchen E ntscheidungen hie ß– Ele- (C) Struck und der Fraktion der SPD sowie der mente des Abschaums und der Volkszerstörung und Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kerstin -vernichtung geprägt. Ähnliche Probleme – Herr Beck Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Frak- erinnert sich auch daran – hatten wir auch bei den tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Deserteuren. Die Spezifität des nationalsozialistischen Rehabilitierung der im Nationalsozialismus Unrechts erschien hier unklar. Zum Glück ist das ausge- verfolgten Homosexuellen standen. – Drucksache 14/2984 – Damals bestand für mich, für uns alle die Frage: Wie- Überweisungsvorschlag: so trifft das eigentlich immer noch nicht für dieOpfer Rechtsausschuss (f) von Verurteilungen nach § 175 RStGB zu? Diese sind Innenausschuss in der Weimarer Republik und in der Nazizeit eben nicht Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe nur verurteilt worden. – So schlimm diese Urteile auch Haushaltsausschuss waren. Es war ja keine leichte Sache, nach § 175 RStGB verurteilt zu werden. – Diese Verurteilungen hatten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die nichts mehr mit juristischer Praxis zu tun. Es handelte Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei diesich nur noch um Tötung, Vernichtung, Beseitigung und PDS fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi- Ausmerzung und führte bis hin zu den KZs. derspruch. Dann ist so beschlossen. Diese Auseinandersetzung haben wir jetzt Gott sei Als erster Rednerin gebe ich der Kollegin Margot von Dank hinter uns. Mit der neuen Regierung ist klar – auch Renesse das Wort. der vorliegende Antrag macht dies deutlich; uns war dies eigentlich von Anfang an klar –, dass wir spätestens Margot von Renesse (SPD): Herr Präsident! Meine dann, wenn wir die Gesamtheit der die homosexuellen Damen und Herren! Als wir in der letzten Legislaturpe- Paare betreffenden Rechtsbestimmungen ändern wollen, riode über das NS-Aufhebungsgesetz sprachen – Herr eine endgültige Bereinigung auch dieses Kapitels her- Beck, Sie erinnern sich –, waren wir uns darüber einig, beiführen müssen. dass die Homosexuellen – die Menschen mit dem „rosa Nach wie vor stellt sich die Frage der Vorgehenswei- Winkel“, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes einzu- se. Ist das mit dem alten Gesetz erreichbar oder bedürfen beziehen sind: Sie konnten, sowohl was Rehabilitierung wir eines neuen? Falls es eines neuen Gesetzes bedarf, als auch was Entschädigung angeht, nicht anders behan- werden wir es einbringen. Daran gibt es überhaupt kei- delt werden als alle, die einem speziellen NS-Unrechtnen Zweifel. In diesem Zusammenhang bestehen inzwi- zum Opfer gefallen waren – gleichgültig, ob sie noch schen Gott sei Dank keine Fragen mehr. Ich nehme an, (B) lebten oder durch die Täter von damals vernichtet wor- (D) auch die andere Seite dieses Hauses sieht dies angesichts den sind. Es war uns zu diesem Zeitpunkt völlig klar,der übrigen von mir angesprochenen Sachzusammen- dass ihre Ehre wiederhergestellt werden muss. hänge so. Seinerzeit gab es gerade auch über diesen Punkt Streit. Ich will an einen anderen Sachzusammenhang er- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ja!) innern, der sozusagen den Vorwand dafür lieferte, dass – Na wunderbar. Dann gibt es in dieser Frage wahr- es überhaupt dazu kommen konnte. Wir waren uns inscheinlich Einheitlichkeit in diesem Hause. der letzten Legislaturperiode zum Glück einig, dass je- denfalls diejenigen, die durch die Erbgesundheitsgerich- Ein Extraproblem ist die Frage: Was machen wir mit te der NS-Zeit so etwas Schreckliches wie Zwangssteri- den Verurteilungen nach § 175 StGBnach 1945? lisierung haben erdulden müssen, vom Gesetz erfasstDenn es hat sie auch nach 1945 gegeben. Erst die Große werden mussten. Koalition hat damit 1969 unter Führung des damaligen Das war lange Zeit nicht klar. Denn die Frage, ob es Justizministers Dr. ein Ende ge- sich um speziellesNS-Unrecht handelte, war streitig, macht. Bis 1969 galt in der alten Bundesrepublik der und zwar deshalb, weil es das – gerade bei Zwangssteri- § 175 StGB fort. Erst in der vergangenen Legislaturperi- lisationen ist das ein erschreckender Tatbestand – inner- ode haben wir die letzten Unterschiede in der Straf- halb Deutschlands und auch außerhalb Deutschlands vor rechtsbehandlung homosexueller und heterosexueller der nationalsozialistischen Zeit und auch noch danach Handlungen endgültig bereinigt. Es hat schrecklich lan- gegeben hat. Es wird gefragt, wieso das ein speziellesge gedauert. NS-Unrecht sei. Das hat es doch immer gegeben, wenn Was machen wir also mit den nach § 175 StGB Ver- auch während der nationalsozialistischen Zeit in beson- urteilten? Inzwischen wissen wir – Straßburger Urteile ders schlimmer Weise. machen dies deutlich –: Bei all diesen Verurteilungen In der letzten Legislaturperiode war Gott sei Dank al- handelt es sich um Verstöße gegen die Menschenrechts- len klar, dass das, was die Nazis aus einem furchtbaren konvention des Europarates. Wie gehen wir damit um? Irrtum heraus, der schon vor und noch nach der natio-Ein uraltes strafrechtliches Problem, mit dem wir uns nalsozialistischen Zeit obwaltete, gemacht hatten, nurauseinander setzen müssen, ist, dass Unrechtsurteile, noch begrenzt mit einem furchtbaren Irrtum zu tun hatte. auch wenn sie falsch sind bzw. auf falschem Recht Das Vorgehen der Nazis war vielmehr von Vernich-beruhen, nicht schon deswegen automatisch aufhebbar tungswillen, Verfolgung sowie Beseitigung der – wiesind. 8964 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Margot von Renesse (A) Das ist anders – ich komme noch einmal auf einen diesem Gesetz beschäftige, findet sich der Zwischenru f (C) bereits von mir angesprochenen Punkt zurück – bei den wiederum des Abgeordneten Beck: „Das ist inzwischen Vorgehensweisen in der Zeit zwischen 1933 und 1945. ein Running Gag!“ Ein weiterer Zuruf vom Bündnis 90/ Weil alle diese Urteile keine Urteile waren, die einenDie Grünen lautete: „Denen fällt nichts mehr ein!“ Ich Tatbestand umsetzten, und zwar so deutlich, dass nicht möchte die heutige Debatte nicht mit der Beck‘schen einmal mehr juristisch argumentiert wurde, sondern nur Geringschätzung führen, noch der Vernichtungswille zum Ausdruck kam, deswe- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Er ist immer so!) gen kann man sie genauso generell aufheben, wie man das auch im Hinblick auf die Waldheim-Urteile getanwenngleich ich feststellen muss, dass auch dieses Gesetz hat, wohl wissend, dass es sich um Menschen handelte, nicht zum ersten Mal den Deutschen Bundestag beschäf- die auch in einem Rechtsstaat der Verurteilung hättentigt. zugeführt werden müssen. Aber weil dies Urteile waren, die nicht einmal mehr die Qualität eines Urteils hatten, Ich bin zum ersten Mal Redner zu diesem Gesetz. Ich deswegen haben wir uns entschlossen, die Waldheim-weiß, dass man sich sehr schnell der Gefahr und dem Urteile alle aufzuheben. Das haben wir auch bei den De- Vorwurf aussetzt, ein Ewiggestriger zu sein, wenn man sertionsurteilen getan. diese Anträge, die auf dem Tisch liegen, nicht sofort un- kritisch und unreflektiert in vollem Umfang bejaht. Da- Meines Erachtens – das sage ich hier ganz persön-mit Sie der Debatte ganz entspannt folgen können, kann lich – kann man das bei den Urteilen gegen Homosexu- ich Ihnen für mich – ich denke, auch für meine ganze elle aus der Zeit von 1933 bis 1945 ohne Weiteres auch Fraktion – klipp und klar sagen: Ich begrüße die Aufhe- tun. Ich persönlich sage sogar: Man muss es tun. bung von §175 und § 175 a Nr. 4. Bedauerlicherweise (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE kam die Aufhebung vielleicht viel zu spät. Ich verurteile GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) aufs Schärfste die Rechtsanwendungspraxis der Gerichte bezüglich der NS-Zeit. Wir werden uns damit auseinander zu setzen haben. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen; deswegen gibt Dennoch gebieten die Vorlagen, dass man sich mit es noch kein eindeutiges Ergebnis, eines, das für alleihnen differenziert auseinander setzt, wobei ich eine ob- feststeht. Mein Ergebnis habe ich bereits genannt. jektive Betrachtung unter Ausblendung der Urheber- schaft zweier Anträge vornehmen möchte. Es ist aber Ich denke, dass man auch denjenigen, die nach 1945 schon befremdlich, dass ausgerechnet die PDS als Nach- verurteilt worden sind, zumindest in einem Punkt ent-folgepartei der SED diese Anträge stellt, die ebenfalls in gegen kommen muss: Man muss ihnen ihreEhre wie- einem Unrechtsstaat vor Terror, Mord, Bespitzelung, dergeben. Es würde nichts verschlagen, wenn sich die Denunziation und Rechtsbeugung keinen Halt gemacht Bevölkerung, vertreten durch dieses Parlament, bei all hat. (B) denen entschuldigt, die im Namen dieses Staates zu lei- (D) den hatten, obwohl sie niemandem Unrecht getan haben. (Zurufe von der PDS: Oh! – Christina Schenk Das ist mein Wunsch. Ich hoffe, dass die Bundesregie- [PDS]: Sie müssen sich einmal informie- rung entsprechend handelt. ren!) Danke sehr. Soweit der Antrag darauf zielt, dass der Bundestag feststellen möge, dass die Verschärfung der Vorschriften (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE oder die Vorschriften selber typisch nationalsozialisti- GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) sches Unrecht seien, muss ich Ihnen unter Ausblendung der Urheberschaft sagen – ich will jetzt keine Rechts- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als exegese vornehmen, aber die Dogmatik gebietet es nun nächstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen einmal das zu sagen –, dass der Bundestag dafür der fal- Dr. Jürgen Gehb von der CDU/CSU-Fraktion. sche Adressat ist. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Herr Präsident! Mei- Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1957 ne Damen und Herren! In der Debatte über den Entwurf in der amtlichen Entscheidungssammlung Band 6 auf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Bundes- Seite 389 ff. festgestellt, dass die Vorschriften der wehr vor Verunglimpfung hat der Abgeordnete Beck §§ 175 ff. kein typisch nationalsozialistisches Unrecht am 30. September letzten Jahres seinen Redebeitrag mit sind. Nun könnte man über den Inhalt trefflich streiten. den Worten begonnen: „Die Wiedervorlagemappe der Das will ich aber gar nicht tun. Möglicherweise würde Union scheint wirklich unerschöpflich zu sein.“ Weiter man heute unter den gegebenen Lebensverläufen und sagte er, dass es die Union mit ihrem Antrag gar nicht so Anschauungen auch anders urteilen. Aber diese Ent- ernst zu nehmen scheine; denn sie präsentiere ihn nach scheidung, die auf eine Verfassungsbeschwerde eines 1996 zum zweiten Mal. vom Landgericht Hamburg verurteilten Homosexuellen erging, entfaltet nun einmal Bindungskraft. § 31 des (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Bundesverfassungsgerichtsgesetzes legt fest: PDS: Leider nicht!) In dem Redebeitrag des Abgeordneten Stünker in der Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

gleichen Debatte, den e rmit der Feststellung begonnen binden die Verfassungsorgane des Bundes und der hat, dass sich der B undestag nicht zum ersten Mal mit Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8965

Dr. Jürgen Gehb (A) Daran kommt man nicht vorbei. Es mag e in formalis- Es spricht in der Tat eine fast unwiderlegbare Vermu- (C) tisch anmutender Einwand sein. Aber jedenfalls steht er tung dafür, dass alle Urteile Nichturteile oder ein Aliud diesem Petitum der PDS entgegen. zu Urteilen sind, dass aber in der Zeit vor 1935 und nach 1945 die Urteile Bestand haben. Diejenigen, die vor Um eine andere Geschichtsklitterung gar nicht auf-oder nach dieser Zeit verurteilt worden sind, könnten na- kommen zu lassen, möchte ich einen ganz kleinenhisto- türlich sagen: Wäre ich nur in dieser Zeit verurteilt wor- rischen Exkurs machen. Die §§ 175 und 175 a Nr. den,4 so würde an mir kein Stigma haften. des Reichsstrafgesetzbuches sind nicht das Gewächs der Nationalsozialisten. Es kam ihnen sehr zupass, wie die Es ist eine fast tragische Situation, dass man mit der Verschärfung und die unmenschlichen Anwendung spä- Abschaffung des einen Unrechts sozusagen einen neuen ter gezeigt haben. Aber die Geschichte der strafrechtli- Ungleichtatbestand schafft, indem man die einen rehabi- chen Würdigung gleichgeschlechtlicher Beziehungenlitiert, und zwar pauschal über die Generalklausel des geht zurück auf das Alte Testament, das dritte Buch§ 1 , und die anderen hängen l ässt .Insofern könnte ich Moses, ging fort über die Constitutio Criminalis Caroli- mich mit dem Prüfantrag der SPD anfreunden, obwohl na im 16. Jahrhundert und wurde schließlich im gemei- ich nicht weiß, wie viele Erkenntnisse man noch gewin- nen deutschen Recht 1871 in das Reichsstrafgesetzbuch nen will, wenn man das an anderer Stelle diskutiert. übernommen. Vielleicht gibt es empirische Erfahrungen, ob es einen Fall gibt, bei dem jemand, der zwischen 1935 und 1945 (Margot von Renesse [SPD]: Das ist nicht das verurteilt worden ist, auf Antrag nicht rehabilitiert wur- Grundgesetz!) de. Das kann ich mir nicht vorstellen. Daher halte ich Das ist in der Tat nicht das Problem. Die Probleme die Aufnahme der §§ 175 und 175a Nr. 4 des Reichs- fokussieren sich, soweit es um die Aufhebung geht, auf strafgesetzbuches in diesen Kanon für obsolet. Ich finde, die Zeit zwischen 1935 und 1945, wie meine Vorredne- dass die Fälle in dem Gesetz, das in der letzten Legisla- rin schon gesagt hat. turperiode beschlossen worden ist, abschließend geregelt worden sind. Frau Renesse, Sie haben Ihre Regierung im Übrigen Deswegen komme ich nun zu den übrigen Anträgen, zu Unrecht als Urheber genannt. Dies geschah noch un- die eher abstrakt formuliert worden sind. In dem Antrag ter der Regierung von CDU/CSU und F.D.P. der SPD wird jede Form der Gewaltanfeindung und (Margot von Renesse [SPD]: 1969 war es -diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt. Heinemann!) Meine Damen und Herren von der SPD, dieser Antrag hat einen geradezu trivialen Charakter, weil ich nicht nur Das möchte ich der Richtigkeit halber sagen, ohne po- Gewaltdiskriminierung und -anfeindung von Schwulen lemisch zu werden. Da wir Juristen aber einen hohen (B) und Lesben verurteile, sondern auch gegenüber allen(D) Anspruch haben, gebietet es die Richtigkeit. anderen Personengruppen, und übrigens auch gegenüber In dem Gesetz über die Aufhebung nationalsozialisti- den Mitgliedern der österreichischen Bundesregierung scher Unrechtsurteile gibt es in § 1 eine Generalklausel, und dem Überwachungspersonal von Castor-Transporte wonach Urteile aufzuheben und die Verfahren einzustel- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Richtig!) len sind, wenn sie die Grundsätze der Menschlichkeit verletzen, wenn sie religiöser oder rassistischer Naturauch gegenüber Soldaten, Polizisten und jeder Art von sind. Dann gibt es eine Spezialklausel, nämlich § Menschen- 2 und Personengruppen, ohne Ansehen, ob sie Nr. 3, und dazu einen Kanon in der Anlage. Es ist da-heterosexuell oder homosexuell sind. rüber ein Streit entstanden, ob die §§ 175 und 175 a (Zuruf von der PDS: Gehören wir auch da- Nr. 4 des Reichsstrafgesetzbuches mit in den Kanon von zu? – Gegenruf des Abg. Dr. Peter Ramsauer § 2 Nr. 3 aufgenommen werden sollen, mit der Konse- [CDU/CSU]: Keine Aufregung bei der PDS! quenz, dass alle in der Zeit zwischen 1935 und 1945 ge- Ex-Kommunisten!) fällten Urteile automatisch dem Verfall anheim gegeben werden und die Verfahren eingestellt werden. Soweit Sie eine Entschuldigung durch den Deut- schen Bundestag begehren, so möchte ich darauf hin- (Zuruf von der PDS: So kann man es auch weisen, dass ich am Anfang gesagt habe, dass ich mit formulieren!) Bedauern festgestellt habe, dass die Aufhebung der Es gibt einen ähnlichen – od er sogar gleich lauten-§§ 175 und 175 a Nr. 4 zunächst 1969 und dann endgül- den – Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg, der tig 1994 vielleicht zu spät gekommen ist. Aber wenn wir zurzeit im Rechtsausschuss des Bundesrates behandelt uns für alles, was der Gesetzgeber bei retrospektiver Be- wird. Dort wird über genau diese Frage gestritten. Be- trachtungsweise als Unrecht erkennt und aufhebt, zeichnenderweise war es ein Vertreter des Bundesjus-gleichzeitig immer wieder bedauern und entschuldigen tizministeriums, der die Schwierigkeit aufgezeigt hat,wollen, wenn man eine Pauschalaufhebung und keine Einzelan- (Zurufe von der SPD) tragstellung und Einzelrehabilitierung macht, wenn alle in den Jahren 1935 bis 1945 erfolgten Urteile aufgeho- dann erinnert mich das ein bisschen – ich muss es sagen, ben werden, ohne Ansehen dessen, ob eine Tatbe-meine Damen und Herren an Koketterie. standswidrigkeit vorgelegen hat oder ob sie im justiz- förmlichen Verfahren ergangen sind. (Stephan Hilsberg [SPD]: Ich bitte Sie!) 8966 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Dr. Jürgen Gehb (A) Die Aufhebung des Gesetzes und die Streichung sind (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (C) doch sicherlich nicht unter ausdrücklicher Zurückstel- bei der SPD und der PDS) lung des Bedauerns oder der Entschuldigung geschehen. Als Gesetzgeber müssen wir endlich die Kraft haben, Deswegen muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich könnte da- uns bei den homosexuellen Bürgern ausdrücklich für mit leben, wenn sich der Deutsche Bundestag nicht wie- diese Verfolgung zu entschuldigen. Ein solchesSchuld- der einmal ausdrücklich dafür entschuldigt; denn es gibt bekenntnis des Gesetzgebers ist wirklich eine histori- auch viele andere Verurteilungen, die auf Strafnormen sche Zäsur. Es ist ein längst überfälliges Signal an die fußen, die im Laufe von Strafrechtsreformen weggefal- Schwulen und Lesben, aber auch an die Gesellschaft len sind. insgesamt. Ich nenne zum Beispiel denKuppelparagraphen. Der Antrag befasst sich auch mit der noch ausstehen- Ich bin 1952 geboren. Als pubertierenderüngling, J so den vollen gesetzlichen Rehabilitierung der Opfer des glaube ich, noch vor der Strafrechtsreform 1969 wurde § 175 in der NS-Zeit. Bündnis 90/Die Grünen und SPD ich von der Mutter meiner damaligen Freundin vor sind 1998 noch mit dem Anliegen gescheitert, § 175 in 22 Uhr nach Hause geschickt worden, weil es hieß: Ich das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Un- will mich doch nicht noch wegen Kuppelei anzeigen las- rechtsurteile aufzunehmen. Deshalb ist es selbstver- sen. ständlich, dass man unter neuen Mehrheitsverhältnissen Meine Damen und Herren, das ist im Recht eben so. versucht, nun dieses Anliegen durchzusetzen. Insofern stehen zwei Prinzipien sozusagen unversöhn- Herr Gehb, ich darf Sie einmal daran erinnern: Was lich im Raum: das Prinzip der formellen Gerechtigkeit war der Hintergrund des Gesetzes zur Aufhebung natio- oder Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit. nalsozialistischer Unrechtsurteile? Anlass dafür, dass Ich habe dafür auch keinen genialen Vorschlag und weiß Frau Lore Peschel-Gutzeit als Berliner Justizsenatorin kein Rezept dafür. Ich weiß nur, dass beiden Prinzipien diese Diskussion hier in Berlin im Abgeordnetenhaus Rechnung getragen werden muss, und glaube deshalb, angestoßen hat, war, dass die Schüler einer Berliner dass das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Schule, die nach Niemöller benannt war, gesagt haben: Unrechtsurteile in der letzten Legislaturperiode einen Wir wollen, dass das Strafrechtsurteil gegen diesen Wi- würdigen Schlusspunkt darstellt. derstandskämpfer aus der Zeit des Nationalsozialismus Vielen Dank. aufgehoben wird. Wir brauchten zwei Jahre, bis wir he- rausgefunden haben, dass dieses Urteil bereits aufgeho- (Beifall bei der CDU/CSU) ben war. Dann haben wir gesagt: Eine solche Debatte ist doch unwürdig. Es ist unwürdig, dass wir nicht wissen, Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion ob das Urteil gilt oder nicht. Deshalb haben wir damals (B) Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Volker Becktrotz der Feststellung, dass das Urteil aufgehoben war,(D) das Wort. ein Gesetz gefordert, das die alte Koalition schließlich mitgetragen hat.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieselbe Situation wie bei Niemöller haben wir doch Herr Gehb, Ihre Rede hat, so glaube ich, deutlich ge-jetzt bei den homosexuellen Opfern. Durch die General- macht, wie wichtig es ist, dass wir diese Debatte nochklausel besteht die Möglichkeit, dass manche Urteile einmal hier im Hohen Haus führen. aufgehoben sind, manche auch nicht. Das Justizministe- rium hat in der letzten Wahlperiode gesagt, zumindest Wir widmen uns heute einem besonders dunklen Ka- seien es nicht alle. Keiner weiß, was gilt. Wollen Sie pitel der deutschen Rechtsgeschichte. 1935 wurde der denn 80-jährige Männer zur Staatsanwaltschaft schi- § 175 in Tatbestandsfassung und Strafmaß massiv ver- cken, damit diejenigen, die sie als Institution über Jahre schärft. Waren zuvor nur bestimmte Sexualpraktikenauch in der Bundesrepublik verfolgt haben, ihnen sagen, strafbar, wurde nun die totale Kriminalisierung vonob ihr Urteil gilt oder nicht? Das ist doch ein unwürdi- Homosexualität verordnet. Tausende schwule Männer ges Verfahren; das können wir diesen Menschen nicht wurden in Konzentrationslager verschleppt, in denen sie zumuten. einen rosa Winkel tragen mussten. Nur die wenigsten überlebten den Terror der Lager. 50 000 Männer wurden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von der NS-Justiz wegen – wie es damals hieß – wider- bei der SPD und der PDS) natürlicher Unzucht verurteilt. Von bundesdeutschen Deshalb sollten wir hier Rechtsklarheit schaffen. Das Gerichten wurden bis 1969 nochmals 50 000 Verurtei- Gleiche gilt übrigens für die Wehrmachtsdeserteure. Die lungen nach § 175 des Strafgesetzbuches ausgesprochen. Rechtsgrundlagen der Verurteilung gehören in die Anla- Dieser Paragraph hat auch in der Bundesrepublik Exis- gen des § 2. Das sind wir diesen Opfern wirklich schul- tenzen vernichtet. Die drohende Strafverfolgung hat das dig. Leben ganzer Generationen von Homosexuellen über- schattet. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Ein zentrales Anliegen unseres Antrages ist es daher, dass sich der Deutsche Bundestag ausdrücklich von die- Eine solche pauschale Aufhebung wäre auch keine ser unseligen Rechtstradition distanziert. Sonderbehandlung, sondern würde lediglich Homo- Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8967

Volker Beck (Köln) (A) sexuelle in Sachen Rehabilitierung mit den anderen Op- und Restitutionsrecht für diese juristischen Personen ei- (C) fern der NS-Justiz gleichstellen. ne politische Lösung zu schaffen. Herr Kollege, Sie haben dasBundesverfassungsge- Unweit von hier, dort, wo die „schwangere Auster“ richtsurteil von 1957 angesprochen. Sie haben es falsch steht, stand vor einigen Jahrzehnten das Institut für Se- zitiert. Damals hat Karlsruhe gesagt, § 175 – in diesem xualwissenschaft von Magnus Hirschfeld. Dort war der Punkt haben Sie sich geirrt – sei nicht insoweit national- Sitz des Wissenschaftlichen Humanitären Komitees. sozialistisches Unrecht, dass ihm in einem Rechtsstaat Dieses wurde 1933 von der SA und der NSDAP ge- jede Wirkung versagt bleiben müsste. Sie haben behaup- stürmt. tet, Karlsruhe habe festgestellt, das sei kein nationalso- Die Bücher wurden auf dem Platz der Bücherverbren- zialistisches Unrecht. Das hat Karlsruhe nicht gesagt. nung verbrannt. Das Institut wurde nach 1945 nicht wie- Karlsruhe konnte sich zu dieser Frage damals auch nur der zurückgegeben, sondern das Eigentum ging an das wenig qualifiziert äußern, denn die erste wissen- Land Berlin über und wurde damals dem Stiftungszweck schaftliche Publikation über nationalsozialistische Ho- der Stiftung, die dort bestand, entzogen. Wir brauchen mosexuellenverfolgung ist 20 Jahre jünger als dieses Ur- hier eine politische Lösung. Wir müssen darüber reden, teil. wie wir auch dieses Unrecht wieder gutmachen. Die Deshalb kann man es den Karlsruher Richtern nicht Gruppe der Homosexuellen können wir für dieses Un- wirklich zum Vorwurf machen, dass sie sich in zweirecht entschädigen und dafür sollten wir einen Anlauf Punkten geirrt haben: ob es grundgesetzkonform ist und unternehmen. ob es mit der europäischen Menschenrechtskonvention Vielen Dank. übereinstimmt. Sie haben damals auch gesagt, es stimme mit der europäischen Menschenrechtskonvention über- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein. Inzwischen gibt es vier Urteile des Europäischen und bei der SPD) Gerichtshofs für Menschenrechte, die vergleichbare Rechtslagen in anderen Ländern als menschenrechtswid- rig und als Konventionsverstoß geahndet und die Auf- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort für die hebung dieser Vorschriften herbeigeführt haben. F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Jörg van Essen. Lassen Sie uns daher das Karlsruher Urteil liegen las- sen! Lassen Sie uns Recht nach moralischen Kriterien Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine schaffen! Lassen Sie uns gemeinsam den Opfern die Eh- Damen und Herren! Da ich heute im Vergleich zu den re zurückgeben und uns als Bundestag für unsere histo- anderen die kürzeste Redezeit habe, habe ich nur die rischen Verfehlungen als Institution entschuldigen! Ich Gelegenheit, einige wenige Gedanken anzusprechen. (B) (D) glaube, es ist eine Größe der Demokratie, Fehler zu er- Dass wir über dieses Thema aufgrund verschiedener kennen. Die Demokratie erlaubt eine Fehlerkorrektur im Anträge schon oft diskutieren mussten, kann man nur demokratischen Prozess. Diese Freiheit sollten wir uns außerordentlich begrüßen. Es gibt viele Opfergruppen, nehmen. die zu Recht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses Eine weitere Frage wird im Antrag angesprochen,stehen. Aber es gibt auch Opfergruppen, bei denen das nämlich die der Entschädigung. Homosexuelle NS-Op- nicht der Fall ist. Ich denke, dass die Opfergruppe, die fer wurden nicht als Verfolgte im Sinne des Bundesent- heute Gegenstand der Debatte ist, zu denen gehört, die schädigungsgesetzes anerkannt. Sie wurden auf minder- häufig vergessen werden. Man merkt es bei Inschriften rangige Gesetze und Härtefonds verwiesen. Eine Ent-von Denkmalen und bei vielen anderen Gelegenheiten. schädigung im eigentlichen Sinne hat es für diese Grup- Deshalb begrüße ich es, dass wir uns heute wieder ein- pe nicht gegeben. Nur sehr wenige Menschen aus dieser mal mit dieser Frage beschäftigen müssen. Gruppe haben überlebt und leben noch heute. Deshalb Für uns ist klar, dass der § 175 RStGB des Reichs- ist es wichtig, dass wir im Einzelfall helfen können. Im tagsgesetzbuches und die Verschärfung, die durch d en Koalitionsvertrag haben wir eine Tür dafür, nämlich die Nationalsozialismus durchgesetzt worden ist, zu typi- zweite Bundesstiftung Entschädigung für NS-Unrecht, schem NS-Unrecht gehören. Ich hatte im Rahmen mei- über die wir in den nächsten Jahren noch diskutierenner beruflichen Tätigkeit Gelegenheit, Urteile aus der müssen und mit der wir auch dieser Gruppe helfen müs- NS-Zeit zu lesen. Das, was Sie vorhin angesprochen ha- sen. ben, Frau von Renesse, lugte aus jedem einzelnen Wort Aber eine weitere Frage ist noch offen. Unverzüglich hervor, nämlich der pureVernichtungswille , der pure nach ihrem Machtantritt zerschlugen die Nationalsozia- Wille, sich mit einer Person überhaupt nicht zu beschäf- listen die homosexuelleBürgerrechtsbewegung der tigen Weimarer Republik. Vereine wurden aufgelöst, Zeit- (Margot von Renesse [SPD]: Schon gar nicht schriften verboten. Die Selbstorganisation homosexuel- mit der Tat!) ler Männer und Frauen wurde damit so nachhaltig ge- troffen, dass in vielen Bereichen der damalige Stand – Ja –. Es war der pure Vernichtungswille, der dazu jahrzehntelang nicht wieder erreicht werden konnte.führte, dass Urteile verhängt wurden, die außerhalb jeder Hier wird intensiv zu beraten sein, ob es Möglichkeiten Vernunft und außerhalb jeder Akzeptanz sind. Deshalb gibt, bezüglich des Ausbleibens einer Entschädigungbegrüße ich es, dass wir darüber nachdenken, wie wir und Restitution nach dem damaligen Entschädigungs-m i t diesem Unrecht umgehen. 8968 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Jörg van Essen (A) Wir haben vor ein paar Jahren das Aufhebungsgesetz Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzte Rednerin in (C) verabschiedet. Damals ist darüber diskutiert worden,dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk, PDS- inwieweit das ausreichend ist. Wir als F.D.P. hätten uns Fraktion. durchaus mehr vorstellen können. Eines allerdings hat mich überrascht: Beide Vertreter der Koalition haben angedeutet, dass sie in Richtung einergenerellen Auf- Christina Schenk (PDS): Frau Präsidentin! Meine hebung gehen. Wenn das Ihre Auffassung ist, wundert Damen und Herren! Die Debatte über den Umgang mit es mich aber, dass Sie hier nicht einen entsprechenden Opfern des § 175 sowohl zu nationalsozialistischer Zeit Antrag, sondern lediglich einen Prüfantrag eingebracht als auch in der Nachkriegszeit ist von der PDS auf die haben. Ich denke, das wäre konsequent gewesen. Tagesordnung des Bundestages gesetzt worden. Der Grund ist folgender: Der Bundestag hat 1998 beschlos- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] sen, typisch nationalsozialistische Urteile als Unrecht sowie bei der PDS) anzuerkennen und per Gesetz aufzuheben. Mit diesem Gesetz sollte ein Schlussstrich unter das Justizunrecht Ich glaube, man sollte hier nicht große Ankündigun- aus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen werden. gen machen, wenn die Antragslage dann weit dahinter zurückbleibt. Aber ich will das nicht zum StreitpunktDas ist – so muss man leider konstatieren – nicht gelun- gen. Die konservative Mehrheit des Bundestages – ge- machen, weil ich denke, dass es uns allen nicht nützt, nauer gesagt: die CDU/CSU-Fraktion – hat verhindert, wenn wir das tun. Ich glaube sogar, dass es sehr wichtig ist, hier zu einer breiten politischen Übereinstimmung zu dass auch die Urteile nach dem berüchtigten Schwulen- Paragraphen 175 und 175a Nr. 4 des Reichsstrafgesetz- kommen. Deshalb will ich für meine Fraktion signalisie- buches, zu einen Bestandteil der Liste im Gesetz zur ren, dass wir zu diesen Gesprächen bereit sind. Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile wur- Ich persönlich neige sehr stark zu einer generellenden. Aufhebung, nämlich weil das, was Sie vorhin angespro- In der Praxis muten wir es bis heute den betroffenen chen haben, Herr Gehb, zutreffen wird: Wir werden kein Urteil finden, das rechtsstaatlichen Maßstäben ent-Opfern zu, in Einzelfallverfahren bei der Staatsanwalt- schaft überprüfen zu lassen, ob ihnen in ihrem speziellen spricht. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird so gering Fall nationalsozialistisches Unrecht angetan wurde. Ich sein, dass sich nach meiner Auffassung eine generelle Aufhebung geradezu aufdrängt. halte das für unzumutbar und freue mich darüber, dass offensichtlich auf mehreren Seiten die Bereitschaft be- Aber auch das Problem, wie wir mit derZeit nach steht, hier etwas zu ändern. Die Pflicht zur Einzelfall- 1945 umgehen, wird nicht ganz leicht zu lösen sein. Es prüfung unterstellt ja, dass es Verurteilungen nach die- gibt in diesem Zusammenhang Urteile, die die Lebens- sen Paragraphen gab, die nicht unter Verstoß gegen ele- (B) perspektive von vielen Menschen zerstört haben. Diese mentare Gedanken der Gerechtigkeit und unter Verlet-(D) Konsequenz ist nicht deswegen eingetreten, weil sie ir- zung der Menschenwürde erfolgten. Damit wird auch gendetwas getan haben, worüber man diskutieren kann, geleugnet, dass die in §175 und § 175a Nr. 4 sanktio- sondern sie ist deswegen eingetreten, weil Menschennierte strafrechtliche Verfolgung Homosexueller ein Teil sich geliebt haben. Ich denke, dass wir gut beraten sind, der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie auch hier einen Weg zu finden, wobei ich gestehenwar. muss, dass ich ähnliche Fragen wie Herr Gehb habe, und Die PDS fordert in ihrem Antrag, dass die entspre- zwar vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir auch in anderen Bereichen in den 50er-Jahren Moralvorstel- chenden Urteile, auf die ich verwiesen habe, als typisch nationalsozialistische Unrechtsurteile anerkannt und ge- lungen, aber auch Urteile hatten, bei denen wir heute die nerell aufgehoben werden. Hände über dem Kopf zusammenschlagen. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem (Beifall bei der PDS) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich meine, das ist das Mindeste, was die Bundesregie- rung tun muss, wenn sie will, dass ihre Aussage, sie Sie haben den Kuppeleiparagraphen und viele andere Urteile genannt. Es sind für kleinste Vergehen hohewolle der Diskriminierung von Homosexuellen ein Ende bereiten, noch ernst genommen werden soll. Die Ehre Freiheitsstrafen verhängt worden, die dann auch verbüßt der Opfer muss endlich wieder hergestellt werden und werden mussten. Aber bei all den Verurteilungen gibt es einen Unterschied: Die Verurteilungen nach 175 § des die Betroffenen sind zu entschädigen. Das geschieht spät; für die meisten Opfer ist es schon zu spät. Strafgesetzubuches wirkten sich sehr viel intensiver auf Berufschancen, auf Lebenschancen und viele andere Es ist durchaus zu begrüßen, dass SPD und Bünd- Dinge aus, sodass von daher sicherlich eine unterschied- nis 90/Die Grünen vorgestern zur heutigen Debatte noch liche Behandlung geboten ist. Ich bin froh, dass wirschnell einen Antrag zur Rehabilitierung der im Natio- wieder darüber diskutieren, einen neuen Anlauf unter-nalsozialismus verfolgten Homosexuellen vorgelegt ha- nehmen und neue Chancen bekommen. Ich glaube, die ben. Leider bleibt der jetzige Antrag weit hinter den Sache ist es wert. Forderungen der Grünen aus der letzten Legislaturperio- de zurück. Vielen Dank. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist allerdings (Beifall im ganzen Hause) richtig!) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8969

Christina Schenk (A) Damals wurde noch eine umfassende rechtliche und mo- titum, das Sie j a dankenswerterweise bis ins Detail aus (C) ralische Rehabilitierung sowie eine finanzielle Entschä- unserer Vorlage von 1995 übernommen haben, aufge- digung der Opfer gefordert. Jetzt wird lediglich verlangt, nommen wurde und wir diese Fragen mit der Bundesre- der Bundestag möge sein Bedauern aussprechen. Ichgierung im Ausschuss auf der Grundlage dieses Antra- meine, das reicht nicht aus. ges diskutieren wollen? (Beifall bei der PDS und der F.D.P. – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christina Schenk (PDS): Herr Beck, ich nehme zur Im Antrag steht noch viel mehr! Lesen Sie ihn Kenntnis, dass ein Bericht – Sie haben es vorgelesen – einmal!) gefordert wird und dazu aufgefordert wird, gegebenen- Es kommt noch schlimmer: Die Bundesregierungfalls Vorschläge zu entwickeln. Herr Beck, Sie waren in wird gebeten zu prüfen, ob die jetzige Praxis der Einzel- der letzten Legislaturperiode schon sehr viel weiter. fallprüfung ausreichend ist. Nachdem sie schon andert- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist richtig, ja!) halb Jahre regiert, ist das peinlich. Das hätte man längst tun können. Sie werfen uns vor, dass wir aus Ihrem Antrag aus der damaligen Zeit abgeschrieben haben. Das ist im Übrigen (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sonst tun sie auch nicht wahr. Wahrscheinlich kennen Sie Ihren eigenen nichts! Insofern ist das kein Wunder!) Antrag nicht mehr. Also, es bleibt bei der skandalösen De facto wird mit dem Antrag von SPD und Bündnis 90/ Situation, dass Sie lediglich einen Bericht einfordern, Die Grünen indirekt die jetzige Praxis der Einzelfallprü- statt hier endlich Taten sprechen zu lassen. Es ist wirk- fung legitimiert. Sie fallen damit den Opfern und ihren lich schwach – gerade für die Bündnisgrünen –, das hier Angehörigen in den Rücken. Das muss man so klar sa- auch noch verteidigen zu wollen. gen. (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Jürgen (Dr. Ilja Seifert [PDS]: Sehr bedauerlich!) Koppelin [F.D.P.]) Enttäuschend ist auch, dass sich in Ihrem Antrag kei- Herr Gehb, vielleicht wird es für Sie jetzt besonders ne Forderung nachkollektiven Entschädigungsleis- interessant. Ich möchte – möglicherweise ist das hier tungen mehr findet. Die Homosexuellen-Verfolgung der nicht allen klar – noch Folgendes sagen. Die DDR ist Nazis – das haben Sie ja auch gesagt – richtete sich nicht bereits 1950 zur Weimarer Fassung des § 175 zurück- nur gegen einzelne Personen, zerstört bzw. zerschlagen gekehrt, der wurde auch nur noch bis 1958 angewandt wurde die gesamte sozio-kulturelle Infrastruktur vonwurde. Er stand zwar bis zur Strafrechtsreform 1968 Lesben und Schwulen in der damaligen Zeit. Die PDS- noch im Strafgesetzbuch der DDR, aber angewandt wurde er nur bis 1958. Die Verfolgungsintensität und (B) Fraktion fordert deshalb die Einrichtung einer öffentlich (D) finanzierten Stiftung als eine Form der kollektiven Wie- auch die Zahl der Verurteilungen waren außerordentlich dergutmachung an den Lesben und Schwulen. gering. Es handete sich um einige Hundert Fälle. Die strafrechtliche Verfolgung – Sie wissen das – von In der Bundesrepublik hingegen wurden Schwule Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung warnach der nationalsozialistischen Fassung des 175 § bis nach 1945 nicht zu Ende. 1969 strafrechtlich verfolgt. Das war ein eklatanter Ver- stoß gegen das Menschenrecht auf Selbstbestimmung. Das unterscheidet diesen Fall auch von anderen Fällen, Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegindie Sie Herr Gehb, hier angeführt und, von denen Sie Schenk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen gesagt haben, dass sich natürlich die Auffassung zu be- Beck? stimmten Strafrechtsparagraphen ändern kann und man nicht in jedem Fall eine Entschuldigung des Bundesta- Christina Schenk (PDS): Aber bitte. ges verlangen kann. Aber hier handelt es sich von An- fang an um die Verletzung von Menschenrechten. Das war schon damals Unrecht. Deswegen ist es eine andere Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Situation. Frau Kollegin, bevor hier falsche Dinge über die An- tragslage in Umlauf geraten, frage ich Sie: Sind Sie be- Die Zahl der Verurteilten überstieg sogar noch die reit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Punkt IV Ziffer 2 in der NS-Zeit. Es handelt sich um 50 000 bis 60 000 die Frage der kollektiven Schädigung, also die Vernich- Fälle. Das muss man sich einmal vorstellen! Hier geht es tung der Einrichtungen der homosexuellen Bürger-nach unserer Auffassung darum, die Strafen aus dem rechtsbewegung angesprochen, ein Bericht der Bundes- Strafregister zu tilgen und die Betroffenen zu entschä- regierung zu dem Umfang dieser Vorgänge eingefordert digen, so wie es der zweite Antrag der PDS hier vor- und die Bundesregierung ersucht wird, sieht. „gegebenenfalls Vorschläge zu entwickeln, wie Lü- (Beifall bei Abgeordneten der PDS) cken bei der Entschädigung, Rückerstattung und Wiedergutmachung – das muss hier klar sein – ist beim Rentenschadensausgleich für homosexuelle nicht zum Nulltarif zu haben. Es reicht nicht aus, wenn NS-Opfer geschlossen werden können“, der Bundestag lediglich sein Bedauern ausdrückt, wie es also auch die juristischen Personen in diesem Zusam-eben der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen menhang mit eingeschlossen werden, dass damit Ihr Pe- fordert. 8970 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

Christina Schenk (A) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf(C) Den Opfern der Homosexuellenverfolgung in der Nazi- Drucksache 14/2984 (neu) zur federführenden Beratung und auch in der Nachkriegszeit gerecht zu werden, heißt, an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den In- sie rechtlich und moralisch zu rehabilitieren und ange- nenausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, messen zu entschädigen. Erst dann kann ein Schluss-Frauen und Jugend, den Ausschuss für Menschenrechte strich unter das leidvolle Kapitel der Homosexuellenver- und humanitäre Hilfe und den Haushaltsausschuss zu folgung in Deutschland gezogen werden. überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Über- Danke. weisung so beschlossen. (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Jürgen Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss Koppelin [F.D.P.]) unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- destages auf Mittwoch, den 5. April 2000, 13 Uhr ein. sprache. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, die bis Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf zum Schluss ausgeharrt haben, ein erholsames – wenn Drucksachen 14/2619 und 14/2620 an die in auch der sicherlich arbeitsreiches – Wochenende. Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Die Sitzung ist geschlossen. sind die Überweisungen so beschlossen. (Schluss: 15.34 Uhr) Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8971

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 Gröhe, Hermann CDU/CSU 24.03.2000 DIE GRÜNEN Günther (Duisburg), CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 24.03.2000 Horst Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Gysi, Gregor PDS 24.03.2000 Bohl, Friedrich CDU/CSU 24.03.2000 Haschke (Großhennersdorf ),CDU/CSU 24.03.2000 Gottfried Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 24.03.2000 Heinen, Ursula CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Brecht, Eberhard SPD 24.03.2000 Hinsken, Ernst CDU/CSU 24.03.2000 Brinkmann (Detmold), SPD 24.03.2000 Rainer Dr. Hornhues, CDU/CSU 24.03.2000 Karl-Heinz Brudlewsky, Monika CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 24.03.2000 Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 24.03.2000*** Klaus Ibrügger, Lothar SPD 24.03.2000 Bulmahn, Edelgard SPD 24.03.2000 Imhof, Barbara SPD 24.03.2000 Burchardt, Ursula SPD 24.03.2000 Janssen, Jann-Peter SPD 24.03.2000 Jelpke, Ulla PDS 24.03.2000 Bury, Hans Martin SPD 24.03.2000 (B) (D) Dr. Jens, Uwe SPD 24.03.2000 Büttner (Ingolstadt), SPD 24.03.2000 Hans Kaspereit, Sabine SPD 24.03.2000 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 24.03.2000 Laumann, Karl-Josef CDU/CSU 24.03.2000 Peter H. Lehn, Waltraud SPD 24.03.2000 Caspers-Merk, Marion SPD 24.03.2000 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 24.03.2000 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 24.03.2000 Maaß (Herne), Dieter SPD 24.03.2000 Dzewas, Dieter SPD 24.03.2000 Michels, Meinolf CDU/CSU 24.03.2000 Eichhorn, Maria CDU/CSU 24.03.2000 Mosdorf, Siegmar SPD 24.03.2000 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 24.03.2000 Ohl, Eckhard SPD 24.03.2000 Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 Joseph DIE GRÜNEN Parr, Detlef F.D.P. 24.03.2000 Frick, Gisela F.D.P. 24.03.2000 Dr. Pick, Eckhart SPD 24.03.2000 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 24.03.2000 Polenz, Ruprecht CDU/CSU 24.03.2000 Poß, Joachim SPD 24.03.2000 Friedrich (Altenburg), SPD 24.03.2000 Peter Probst, Simone BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 DIE GRÜNEN Gebhardt, Fred PDS 24.03.2000 Raidel, Hans CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Göhner, Reinhard CDU/CSU 24.03.2000 Reiche, Katherina CDU/CSU 24.03.2000 Goldmann, F.D.P. 24.03.2000 Hans-Michael Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 24.03.2000 Göllner, Uwe SPD 24.03.2000 Roth (Heringen), Michael SPD 24.03.2000 8972 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

(A) Dr. Rüttgers, Jürgen CDU/CSU 24.03.2000 Dr. Winfried Wolf (PDS): Es hat immer einen gewis- (C) sen Reiz, wenn ehemalige Regierungsparteien sich vom Dr. Schäfer, Hansjörg SPD 24.03.2000 harten Oppositions-Gestühl zu Dingen äußern, für die sie Scheelen, Bernd SPD 24.03.2000 zuvor selbst Verantwortung trugen. Meist wird es dann of- fener und ehrlicher. So verhält es sich auch bei den bei- Schild, Horst SPD 24.03.2000 den vorliegenden Anträgen von CDU/CSU und FDP zur Bahnprivatisierung. Schily, Otto SPD 24.03.2000 Da stellt beispielsweise der CDU/CSU-Antrag frank Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 24.03.2000 und frei fest: „Der Anteil der Bahn am modal split aller DIE GRÜNEN Verkehrsträger hat weiter abgenommen.“ Konstatiert Schlee, Dietmar CDU/CSU 24.03.2000 wird für den Güterverkehr, dass das Potential für 2010 statt mit 90 Millionen nach neusten Studien nur noch mit Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 24.03.2000 40 Millionen Tonnen angenommen wird. Schmidt (Aachen), Ulla SPD 24.03.2000 Das ist wahrlich eine harte Bilanz. Die Güterverkehrs- leistung wird bei weniger als der Hälfte dessen liegen, was Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 24.03.2000 die CDU/CSU als Partei, die 16 Jahre lang die Verkehrs- Hans Peter minister stellte, vorhergesehen hatte. Eine solche „Plan- untererfüllung“ hätte selbst in einem SED-Staat als kata- von Schmude, Michael CDU/CSU 24.03.2000 strophal gegolten. Dabei lautete das Geschwätz von ge- Schröder, Gerhard SPD 24.03.2000 stern des Verkehrsminister Wissmann: Man liege voll im Plan. Das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel von Regierung Dr. Schuchardt, Erika CDU/CSU 24.03.2000 und Opposition gibt Gelegenheit zu christlicher Einkehr, Schwalbe, Clemens CDU/CSU 24.03.2000 Reue und Erkenntnis. Der CDU/CSU-Antrag konstatiert weiter, es gebe un- Siebert, Bernd CDU/CSU 24.03.2000 ** stimmige Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten der Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 24.03.2000 Bahn und listet dabei jährliche Belastungen „der DB AG aus Mineralölsteuer und Mehrwertsteuer“ von 2,3 Milli- Dr. Stadler, Max F.D.P. 24.03.2000 arden DM auf, die die anderen EU-Bahnen nicht belaste- ten. Hinzu seien „Öko-Steuer und die Gebühr für die Leis- Dr. Staffelt, Ditmar SPD 24.03.2000 tungen des Bundesgrenzschutzes in Höhe von zusammen (B) Dr. Thalheim, Gerald SPD 24.03.2000 weiteren 650 Millionen DM jährlich“ gekommen. Das(D) macht summa summarum 3,5 Milliarden DM, um die Vaatz, Arnold CDU/CSU 24.03.2000 nach Ansicht der CDU/CSU die Bahn zu entlasten wäre, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen. Das ist die Hälf- Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 24.03.2000 te dessen, was die Bahn jährlich an Investitionshilfen vom Wieczorek-Zeul, SPD 24.03.2000Bund erhält! Heidemarie Zu fragen wäre: Warum sah sich diese Partei nicht in Wiesehügel, Klaus SPD 24.03.2000 der Lage, in ihrer langen Regierungszeit diese Wettbe- werbsverzerrungen aufzuheben? Es gab genügend Anträ- Wimmer (Karlsruhe), SPD 24.03.2000 ge unter anderem der Grünen, beispielsweise die Belas- Brigitte tung der Bahn mit der Mineralölsteuer zu beseitigen und damit „Waffengleichheit“ zum Beispiel mit dem Flug- Dr. Zöpel, Christoph SPD 24.03.2000 verkehr herzustellen. Warum stimmte die CDU/CSU im letzten Jahr nicht für den Antrag der PDS, die Bahn von **) für die Teilnahme an Sitzungen der Palarmentarischen Versamm- lung des Europarates der „zusätzlichen Belastung“ der Ökosteuer ganz zu be- ***)für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union freien? Dass all das viel Wind ist, mit dem Stimmungs- mache betrieben und Stimmen bei den Bahnbeschäftigten gewonnen werden sollen, zeigt dann die grundlegende Anlage 2 Zielsetzung. Der CDU/CSU-Antrag geht davon aus, dass trotz die- zu Protokoll gegebene Rede ser für die Bahn katastrophalen Verkehrsbilanz und trotz zur Beratung der Anträge: der weiter bestehenden enormen Wettbewerbsverzerrun- gen zu „erwarten“ sei, „dass die Börsenfähigkeit des Un- – Bahnreform 2 – Neuer Schwung für die Bahn ternehmens entsprechend den zeitlichen Vorstellungen – Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stär- bei der Verabschiedung der Bahnreform circa 10 Jahre ken nach der Umwandlung der DB in ein Unternehmen er- reicht wird“. – vom Staatsmonopol zum europäischen Wett- Einmal abgesehen von der sprachlichen Groteske, bewerb um den Eisenbahnkunden die Bahn erst ab 1994, mit Bildung der DB AG als „ein (Tagesordnungspunkt 17 a und b) Unternehmen“ zu erkennen, bleibt festzustellen: Als Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8973

(A) Regierungspartei hat die CDU/CSU niemals erklärt, die Anlage 3 (C) Bahn müsse 2004 an die Börse. Immer wurde betont, die- se sei generell eine „Möglichkeit“ und der Zeitpunkt dafür Zu Protokoll gegebene Reden stehe ohnehin nicht fest. zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes Umgekehrt war es die PDS als einzige Partei, die ge- zur vergleichenden Werbung und zur Änderung gen die Bahnprivatisierung stimmte und die damit erklär- wettbewerbsrechtlicher Vorschriften (Tagesord- te, es gehe nicht um eine Reform, es gehe vielmehr um ei- nungspunkt 19) ne Zerschlagung, wobei das entscheidende Mittel dafür der Börsengang sei. Wir argumentieren: Weil die Bahn auf dem Verkehrsmarkt der schwächste Verkehrsträger sei, Dirk Manzewski (SPD): Am heutigen Tag debattie- weil die Rahmenbedingungen ihr eine extrem schlechte ren wir hier im Deutschen Bundestag über den Gesetzes- Ausgangsposition zuwiesen, weil die Wettbewerbsbedin- entwurf der Regierungskoalition zur vergleichenden Wer- gungen grundsätzlich und im Detail zuungunsten der bung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vor- Bahn gestaltet seien, würde ein Börsengang nur heißen, schriften. Ziel des Gesetzentwurfs ist in erster Linie die dass der Niedergang des Schienenverkehrs sich be-Umsetzung der entsprechenden Richtlinie des Europäi- schleunigen würde. Damals wussten wir noch nicht, dass schen Parlaments zur Änderung der Richtlinie über irre- die Bilanz sieben Jahre nach der Umwandlung von Bun- führende Werbung zwecks Einbeziehung der verglei- desbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG eine chenden Werbung. derart verheerende sein würde, wie es nun auch allgemein Mit dieser Richtlinie ist ein wichtiger Bestandteil des eingestanden wird. Wettbewerbsrechts im Bereich des Binnenmarktes har- Der FDP-Antrag hält sich dann mit Kleinigkeiten erst monisiert worden. Bislang war vergleichende Werbung im gar nicht auf. Obgleich ihr verkehrspolitischer Sprecher deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt. Die Recht- Friedrich die Details von der katastrophalen Lage der sprechung beurteilte die verschiedenen Formen verglei- Bahn kennt, vertritt er hier einen knallharten Liberalisie- chender Werbung und hielt sie grundsätzlich für unzu- rungs-Antrag: Der Konzernverbund der Bahn ist auf- lässig. Vergleichende Werbung war danach nur zulösen und bis zum Ende des Jahres 2003 „vollständig unter bestimmten, einschränkenden Bedingungen aus- zu privatisieren“. nahmsweise zulässig. Die vorgeschlagene Ergänzung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb wird zu einer Die FDP meint auch zu wissen: „Die mit der Struktur- Liberalisierung des Wettbewerbsrechts und zu mehr reform geplanten Ziele wurden zu einem großen Teil er- Rechtsklarheit und Rechtssicherheit führen. Vergleichen- reicht.“ Dass es damals hieß, es müsse mehr Verkehr auf de Werbung wird künftig grundsätzlich zulässig sein. In die Schiene, interessiert da wenig. Es bleibt die brutale In- (B) einem umfassenden Kriterienkatalog wird entsprechend (D) teressiertheit am Stoff: dem Börsengang. der Systematik des UWG in einem Verbotstatbestand je- Die besondere Forderung des FDP-Antrags, „die Netz doch deutlich klargestellt, wann vergleichende Werbung AG sofort aus dem Konzernverbund der DB AG heraus- als sittenwidrig und damit unzulässig in diesem Zusam- zulösen“, ist dann unter diesem Aspekt zu sehen. Nach- menhang anzusehen ist. So darf ein Werbetreibender Kun- dem die Bahnhöfe über die Station und Service AG und den nicht durch einen Werbevergleich irreführen. Werbung nachdem alle verwertbaren Immobilien über die neue – darf auch nicht zu einer Verwechselung der verglichenen sechste – AG Immobilien ausgegliedert und auf dem Weg Produkte führen oder den Mitbewerber und die von ihm zur Börse sind, soll das Netz – vorläufig zumindest – vertriebenen Produkte herabsetzen oder verunglimpfen. doch beim Bund bleiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Umsetzungsver- Schließlich erkennt auch die FDP, dass es eine Weile pflichtung der europäischen Richtlinie haben wir zu dem noch einigen Schienenverkehr geben werde. Und dafür Anlass genommen, im Gesetz gegen den unlauteren Wett- braucht man auch ein Netz. Wenn die Züge dann teure We- bewerb Änderungen und Klarstellungen vorzunehmen. gelagerergebühren bei einer privatisierten AG Station und Diese sind auf die Ergebnisse der „Arbeitsgruppe zur Service bezahlen müssen, wird die Funktion der Verge- Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ zurückzuführen. sellschaftung von Verlusten und der Privatisierung von Diese ist Anfang 1995 vom Bundesministerium der Justiz Gewinnen schließlich auf diesem Weg strukturell ge- eingesetzt worden, um den Reformbedarf in Bezug auf das währleistet. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb umfassend zu prüfen. Die Regierungsparteien werden die beiden Anträge voraussichtlich ablehnen. Allerdings hat auch dies etwas Im Einzelnen sind folgende Vorschläge aufgegriffen mit dem Bäumchen-wechsle-dich-Spiel von Regierung worden: Von § 6 c UWG sollen künftig auch die in der Pra- und Opposition zu tun: In der Regierung können SPD und xis häufigen Gewinnspiele erfasst werden, bei denen die Bündnisgrüne nicht offen sagen, dass sie den größten Teil Teilnehmer die erwarteten „besonderen Vorteile“ nicht der Börsen-Ziele in den Anträgen teilen. Was sie allerdings vom Veranstalter selbst, sondern von Dritten, insbeson- können, ist, dies umzusetzen in eine verkehrspolitische dere weiteren Mitspielern, erhalten. Praxis, die genau in diese Richtung läuft. Auch soll die Reichweite der Regelung in § 7 Abs. 1 Es bleibt zu hoffen, dass der Widerstand, der sich der- UWG, wonach Sonderveranstaltungen außerhalb des re- zeit bei der Bahn und den Gewerkschaften gegenüber den gelmäßigen Geschäftsverkehrs zur Beschleunigung des Weiterungen dieser Bahnprivatisierungspolitik regt, die- Warenabsatzes nicht den Eindruck besonderer Kaufvor- ser zerstörerischen Tendenz Einhalt gebietet. teile erwecken dürfen, klargestellt werden. 8974 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

(A) Zudem sollen zur Bekämpfung von Missbräuchen des § 1 UWG die materiellen Bestimmungen der Richtli- (C) bei Räumungsverkäufen die Überwachungsmöglichkeiten nie anwenden wolle. Ein wirklicher Umbruch des Wett- der Industrie- und Handelskammern und der Handwerks- bewerbsrechts hat sich damit aufgrund der Richtlinie ab- kammern verbessert werden. gezeichnet. Umso mehr muss es das Anliegen sein, eine Umsetzung der Richtlinie behutsam vorzunehmen und Des Weiteren soll präzisiert werden, dass nur Be- dabei nicht über das Ziel hinauszuschießen. Auch aus die- klagte im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ver- sem Grunde ist dem Gesetzentwurf insofern zuzustimmen, klagt werden können, die weder einen inländischenals er manche Vorschriften nicht für umsetzungsbedürftig Wohnsitz noch eine inländische gewerbliche Niederlas- ansieht, weil entweder das deutsche Recht den Richtlini- sung haben. enbestimmungen bereits Rechnung trägt oder das eu- Die Liberalisierung der vergleichenden Werbung er- ropäische Recht an anderer Stelle schon entsprechende fordert im Übrigen eine entsprechende Ergänzung bei Regelungen vorgibt. § 11 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiet des Dem nationalen Gesetzgeber verbleibt bei der Umset- Heilwesens. zung zwar die Wahl der Form und Mittel; die Form des Soweit die Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wett- Umsetzungsaktes hängt aber auch von den Vorgaben der bewerbsrechts außerdem empfohlen hat, der Zustellung Richtlinie ab. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind eines Antrags auf einstweilige Verfügung oder einer einst- bei der Umsetzung von Richtlinien strengere Anforde- weiligen Verfügung eine verjährungsunterbrechende Wir- rungen an Klarheit und Transparenz zu stellen, wenn de- kung zuzuerkennen, ist hiervon zunächst abgesehen wor- taillierte Regelungen in nationales Recht transformiert den. Da die „Kommission zur Überarbeitung des Schuld- werden sollen. Die Richtlinie enthält zum Teil sehr de- rechts“ auch dieses Problem gesehen hat und taillierte in Vorgaben. Die Tendenz, Richtlinien mit der Be- absehbarer Zeit mit der Umsetzung ihrer Ergebnisse zu stimmtheit von Verordnungen zu verabschieden, hat in der rechnen ist, soll dieser Vorschlag erst im Rahmen der letzten Zeit bedauerlicherweise erheblich zugenommen. Schuldrechtsreform aufgegriffen werden. Dabei erscheint es immer fraglicher, ob dem einzelnen Mitgliedstaat tatsächlich noch die Wahl der Form und ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AGV und ver- eignetsten Methode überlassen bleibt. Umso wichtiger ist schiedene Wirtschaftsverbände sind frühzeitig in das Ge- es, dass das umsetzende Gesetz in ganz besonderer Wei- setzesvorhaben eingebunden worden. Der Gesetzentwurf se klar und eindeutig gestaltet sein muss, um den Willen ist dabei grundsätzlich positiv aufgenommen worden. Ich des nationalen Gesetzgebers eindeutig zum Ausdruck zu gehe daher von einer breiten Zustimmung aus und hoffe, bringen. Im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssi- dass auch Sie den Gesetzentwurf konstruktiv begleiten cherheit müssen die Werbenden wissen, welche Rechte werden. (B) und Pflichten von ihnen konkret zu beachten sind. (D) Obwohl in der Richtlinie der Katalog der Kriterien, un- Dr. Susanne Tiemann (CDU/CSU): Mit dem Gesetz ter denen eine vergleichende Werbung zulässig sein soll, zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbe- sehr detailliert ist, sollte geprüft werden, inwieweit Aus- werbsrechtlicher Vorschriften wird eine notwendige Ent- legungsspielräume verbleiben. Sie müssen bei der Um- scheidung eingeleitet: Die vom Europäischen Parlament setzung soweit wie möglich genutzt werden. Dabei wird und vom Rat am 6. Oktober 1997 verabschiedete Richtli- zu berücksichtigen sein, dass die einzelnen Kriterien so- nie 97/55/EG ist bis zum 23. April 2000 in nationales wohl hinreichende als auch notwendige Bedingungen für Recht umzusetzen. Sie erklärt vergleichende Werbung die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung sind. Dabei grundsätzlich für zulässig, allerdings unter bestimmten ist immer davon auszugehen, dass die Richtlinie die Re- Voraussetzungen. Hierzu ist eine Ergänzung des Gesetzes gelung vergleichender Werbung und ihrer entsprechenden über den unlauteren Wettbewerb erforderlich. Es ist be- Einschränkungen für erforderlich für das reibungslose dauerlich, dass die Umsetzung erst jetzt erfolgt, da diese Funktionieren des Binnenmarktes hält. Terminplanung den Gesetzgeber wieder einmal unter er- heblichen Zeitdruck setzt. In § 2 soll nun bestimmt werden, wann vergleichende Werbung gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG Weitere Änderungen des UWG tragen den Empfeh- verstößt. Dies ist außerordentlich sensibel, weil gerade die lungen der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbe-vergleichende Werbung, also „Werbung, die unmittelbar werbs“ Rechnung, die 1995, also während unserer Re- oder mittelbar einen Mitbewerber oder die von einem gierungszeit, in vorausschauender Weise eingesetzt wor- Mitbewerber angebotenen Waren oder Dienstleistungen den ist. Sie hat ihren Abschlussbericht 1996 vorgelegt. erkennbar macht“, in besonderem Maße geeignet ist, bei Insgesamt ist die Umsetzung der Richtlinie nach der exzessiver Wahrnehmung zu Irreführungen des Markt- Rechtsprechung des EuGH auch erforderlich. Die Zuläs- teilnehmers bzw. zu ungerechtfertigten Vorteilen auf dem sigkeit der vergleichenden Werbung ist im deutschen Markt zu führen. Bei der Umsetzung ist deshalb große Recht bisher nicht ausdrücklich geregelt. Vergleichende Vorsicht angebracht und die Sorgfalt, tatsächlich auch al- le irreführenden Angaben zu erfassen. Werbung ist von der Rechtsprechung immer als grundsätzlich unzulässig, weil wettbewerbswidrig, ange- Dabei muss immer wieder in Erinnerung gerufen wer- sehen worden. Bereits nach Verabschiedung der Richtli- den: Mit dem Wettbewerbsrecht ist sorgfältig umzuge- nie hat der Bundesgerichtshof aber in verschiedenenhen. Es bildet eine wesentliche Basis für das Funktio- Rechtsstreitigkeiten im Jahre 1998 erklärt, dass er von sei- nieren unserer sozialen Marktwirtschaft. Verfügen wir ner bisherigen Rechtsprechung abweiche und im Rahmen nicht über ein ausgewogenes Wettbewerbsrecht, hat dies Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8975

(A) tief greifende Folgen für unsere Wirtschaftsordnung, für Jedenfalls wäre es höchste Zeit, hier praktikable und (C) die Balance zwischen Freiheit und Bindung des Markt- wirkungsvolle wettbewerbsrechtliche Instrumente zu handelns. schaffen, um gerade im Zeitalter der großen Fusionen den mittelständischen Unternehmen Chancengleichheit im Dieses Erfordernis sorgfältigen Handelns gilt gerade Wettbewerb zu ermöglichen. Angesichts der Eile, mit der auch für die weiteren Regelungen unseres Wettbe- dieses Gesetz verabschiedet werden muss, wird keine Zeit werbsrechts. Es ist an sich folgerichtig, die vorgeschla- bleiben für eine sorgfältige Ausarbeitung derartiger In- genen Änderungen und Präzisierungen entsprechend strumente. Dies ist außerordentlich zu bedauern. Wir wer- den Vorschlägen der „Arbeitsgruppe zur Überprüfung den aber alles tun, damit in einem erneuten Gesetzge- des Wettbewerbsrechts“ in das vorliegende Gesetz mit bungsvorhaben dem berechtigten Anliegen der mittel- einzubeziehen. Denn die Arbeitsgruppe hat in ihrem Be- ständischen Wirtschaft Rechnung getragen wird. Ein richt vom 17. Dezember 1996 eine eigenständige No- modernes Wettbewerbsrecht kann darauf nicht verzichten. vellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbe- werb abgelehnt, aber eine Korrektur einzelner Bestim- Dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen wir nicht von mungen empfohlen. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe vornherein ablehnend gegenüber, wohl aber in konstruk- sind durchaus sinnvoll und tragen dazu bei, Unklarhei- tiver Skepsis. ten zu beseitigen. Sie beziehen sich auf Regelungen zu Sonderveranstaltungen, Räumungsverkäufen und die Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzentwurf der Bun- Beibehaltung des Verbots der vergleichenden Werbung desregierung zur vergleichenden Werbung ist im Hinblick bei Heilmitteln. So werden z. B. von § 6 c UWG in Zu- auf die Umsetzung der europäischen Richtlinie weitest- kunft auch solche Gewinnspiele erfasst, bei denen die gehend unproblematisch. Hier hat der Gesetzgeber kaum Teilnehmer die erwarteten „besonderen Vorteile“ nicht Möglichkeiten, von der europäischen Richtlinie abzu- vom Veranstalter selbst, sondern von Dritten erhalten. weichen. Die vergleichende Werbung wird in Zukunft zu- Zu begrüßen ist, dass die im Referentenentwurf vorge- zulassen sein und entspricht ja auch der inzwischen geän- sehene Regelung, dass auch Zweigniederlassungenderten Rechtsauffassung des BGHs. Insoweit sagen wir Räumungsverkäufe durchführen dürfen, gestrichenauch eine zügige Beratung im Rechtsausschuss zu, zumal wurde. der Entwurf des Gesetzes reichlich spät dem Deutschen Im laufenden Gesetzgebungsverfahren bleibt aller- Bundestag zugewiesen worden ist, da bereits am 23. April dings zu überprüfen, ob die Ergänzung des Gesetzent- die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein muss. wurfs um die Aufnahme einer dem alten § 6 d UWG ent- Diskussionswürdig erscheinen uns jedoch die zusätz- sprechenden Norm geeignet ist, vielfach aufgetretene und lichen wettbewerbsrechtlichen Änderungen im UWG, da kritisierte Missstände zu beseitigen. dort insbesondere zu den §§ 7 und 8. Ob durch die Neu- (B) (D) Im Einzelhandel fand in den letzten Jahren ein uner- fassung des § 7 UWG hinsichtlich der Sonderveranstal- bittlicher Preiskampf statt, der zur Vernichtung vieler mit- tungen tatsächlich mehr Rechtsklarheit entsteht, muss in telständischer Existenzen führte. Dieser Prozess ist volks- der Praxis besprochen werden. Hier kann man zumindest wirtschaftlich schädlich. Der Mittelstand ist nicht nur erhebliche Zweifel haben. Dasselbe gilt für den § 8 UWG, Rückgrat der Volkswirtschaft, sondern auch Basis eines also den Räumungsverkauf. funktionierenden Wettbewerbs in der sozialen Markt- Es besteht hier die Gefahr, dass auf der einen Seite mehr wirtschaft. Am Ende eines derartige Preiskrieges stünde Bürokratie, auf der anderen Seite missbräuchliche Räu- nur erneute Monopolisierung. Ziel sollte es vielmehr sein, mungsverkäufe nicht verhindert werden. Um es klar zu sa- die Anzahl der Anbieter auf einem hohen Niveau zu hal- gen: Auch wir wollen zum Schutz des mittelständischen, ten, damit eine stetige Konkurrenz der Anbieter unterei- seriösen Einzelhandels missbräuchliche Räumungsver- nander für einen dauerhaften Wettbewerb sorgt. Dies käufe verhindern. könnte dadurch erreicht werden, dass den konkurrieren- den Wettbewerbern ein Instrument in die Hand gegeben Ob dies durch mehr Bürokratie und mehr Einsichtnah- wird, welches ihnen ermöglicht, gegen so genanntemen in Geschäftsunterlagen geschaffen wird, wage ich zu „Lockvogelangebote“ mit Unterlassungsansprüchen vor- bezweifeln. Dass die Berufsvertretungen in Zukunft sogar zugehen. Der Handel würde so mit marktwirtschaftlichen Einsichtnahme in eine zusammenfassende Auskunft über Mitteln Einkaufsvorteilen und möglichen ungerechtfer- die zur Verfügung stehenden Unterlagen erhalten, ist tigten Konditionsspreizungen der Industrie im Interesse schon ein sehr weit gehender Eingriff in das Geschäfts- des Nachteilsausgleichs für kleinere und mittlere Unter- geheimnis der Kaufleute. Das gilt umso mehr, wenn man nehmen die Spitze nehmen können. die einzelnen Berufsvertretungen kennt. Hierzu müssten wir uns im Rechtsausschuss ausführlich besprechen. Die alte Regelung des § 6 d UWG hatte zwar keinen Be- stand vor der Rechtsprechung, weil der damalige Wortlaut Es wäre wohl besser gewesen, die europäische Richt- zwischen Kunde und Wiederverkäufer differenzierte, wo- linie zur vergleichenden Werbung zügig in nationales bei gegenüber dem Wiederverkäufer allerdings nur ein Recht umzusetzen und den Gesetzentwurf zur Änderung völliger Ausschluss, nicht aber eine mengenmäßige Be- wettbewerbsrechtlicher Vorschriften gründlich und mit schränkung der Warenabgabe, für einen Unterlassungs- den Fraktionen ausführlich zu beraten. anspruch ausreichte. Bei den Überlegungen, ob eine ver- gleichbare Neuregelung abermals in das UWG aufge- Werner Schulz (Leipzig) (Bündnis 90/Die Grü- nommen wird, sollte dies keinen Hinderungsgrundnen): Durch das vorliegende Gesetz wird die verglei- darstellen. chende Werbung in der Europäischen Union harmonisiert. 8976 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

(A) Die vergleichende Werbung ist künftig auch in Deutsch- begrenzte Bereiche von der Angleichung erfasst. Im Übri- (C) land möglich. Dadurch dürfen Produkte aufgrund objekti- gen handelt es sich zumeist um eine Angleichung durch ver und beweisbarer Kriterien, beispielsweise über den Richtlinien, die zudem oft nur Mindestanforderungen ent- Preis, in der Werbung miteinander verglichen werden. halten. Da sich die nationalen Wettbewerbsrechtsordnun- Nicht gestattet ist es auch, in Zukunft, den Mitbewerber gen in ihren Systemen, ihrer Zielrichtung und vor allem oder sein Produkt herabzusetzen oder zu verunglimpfen. in ihrem Schutzumfang zum Teil beträchtlich voneinan- Grundlage ist die Richtlinie des Europäischen Parlaments der unterscheiden, Deutschland aber über ein relativ ho- und des Rates vom 6. Oktober 1997. hes Schutzniveau beim unlauteren Wettbewerb verfügt, Das Gesetz schafft darüber hinaus Klarheit bei der kommt der Frage nach der Zukunft des deutschen UWG Auslegung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften und ver- und einer weiteren europäischen Harmonisierung auf ho- bessert die Kontrolle bei Räumungsverkäufen. So können hem Niveau eine erhebliche Bedeutung zu. Die Bundes- in Zukunft die häufigen Irreführungen von Verbrauchern regierung wird sich bei der Europäischen Kommission bei Räumungsverkäufen effektiver bekämpft und der mit- dafür einsetzen müssen, dass es zu keiner Absenkung des telständische Einzelhandel besser geschützt werden. Die Schutzniveaus sowohl aus wettbewerbs- als auch ver- Industrie- und Handelskammern sollen künftig vom Ver- braucherpolitischer Sicht kommt! Ich bin der Auffassung, anstalter des Räumungsverkaufs die Einsicht in Ge-dass der Erhalt des hohen Schutzniveaus von Verbrau- schäftspapiere und den Nachweis der Einkaufspreise ver- chern und Mitbewerbern durch das deutsche UWG hohe langen können. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Priorität haben sollte. tatsächlich ein Räumungsverkauf vorliegt und der Händ- ler dies nicht nur zu Werbezwecken vortäuscht. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Grundsätzlich begrüßt die Nach unserer Auffassung sollten wir dabei nicht stehen PDS, dass es der Bundesregierung wieder einmal zu ge- bleiben. Denkbar wäre eine Aufhebung des Rabattgeset- lingen scheint, eine EU-Richtlinie pünktlich umzusetzen. zes sowie eine deutliche Lockerung der Zugabeverord- Jedenfalls an uns wird die Termintreue nicht scheitern. nung, um den Wettbewerb von veralteten Beschränkungen Den Dank an das federführende Bundesjustizministe- zu befreien und den Verbrauchern günstigere Angebote rium möchte ich dennoch mit der Frage verbinden, wa- nicht länger vorzuenthalten. Das Rabattgesetz regeltrum in diesem – relativ unkomplizierten – Fall trotzdem zulässige Preisnachlässe bei Waren des täglichen Bedarfs so lange gebraucht wurde: Die Richtlinie ist schließlich für den Endverbraucher. Nach der Rechtsprechung ist der fast eineinhalb Jahre, die einschlägigen Vorschläge der Kreis der betroffenen Waren weit zu ziehen. Lediglich deutschen „Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbe- langlebige und seltene Luxusgüter sind von der Regelung werbsrechts“ sind gar schon drei Jahre alt! Ganz zu ausgenommen. schweigen von Art. 2 des Gesetzentwurfes, der Teile ei- (B) (D) Das Gesetz schränkt einen Teilbereich des Preiswett- ner acht Jahre alten EU-Richtlinie endlich in deutsches bewerbs im Einzelhandel ein: Die situationsbedingte Recht umsetzt. So gesehen war der nun wieder einmal ent- oder auf eine bestimmten Kunden oder Kundenkreis ab- standene Zeitdruck auf Bundestag und Bundesrat durch- zielende Reduzierung des angekündigten Preises. Damit aus vermeidbar. hat Deutschland eine der strengsten Regelungen in Euro- Zu den Regelungen im Einzelnen: Wir begrüßen die pa und auf der Welt gegen Rabatte. Überspitzt ausge- Neuregelungen ganz überwiegend. Das gilt insbesondere drückt: Nur das dreiprozentige Skonto ist erlaubt. Alle für die Klarstellungen zur Bewerbung von Arzneimitteln weiteren Rabatte sind verboten. Die Verbraucher sind bis- per Art. 2; zum Gerichtsstand bei ausländischen Beklag- her die größten Verlierer der bestehenden Regelung. Den ten – Art. 1, Nr. 7 –; zum Charakter tatsächlich unlauterer Preiswettbewerb zu unterdrücken, geht zulasten der Ver- Sonderverkaufsveranstaltungen – Art. 1, Nr. 5 – sowie zur braucher und der wettbewerbsaktiven, auch kleinen und Einbeziehung der Schneeballsysteme in strafbaren unlau- mittleren Einzelhändler. Zurzeit gerät das Rabattgesetz teren Wettbewerb, Art. 1, Nr. 4. durch die in Kürze zu verabschiedende EG-Richtlinie un- ter Druck: Nach Artikel 3 des Entwurfs der Richtlinie Bei der ebenfalls unterstützenswerten Präzisierung des müssten europäische Unternehmen, die via Internet auf Rechts der Räumungsverkäufe ist uns besonders wichtig, dem deutschen Markt anbieten, in Zukunft nur noch das dass die noch im Referentenentwurf enthaltene Einbezie- Recht ihres Herkunftslandes anwenden; was für den deut- hung von Filialisten wieder vom Tisch ist und auch nicht schen Unternehmer einen enormen Nachteil darstellen wieder auf diesen kommt. Das wäre ein weiteres Einfalls- würde, da hier bekanntlich Rabatte praktisch verboten tor zur Liquidierung des klein- und mittelständischen Ein- sind. Die Bundesregierung sollte die Gelegenheit aktiv zelhandels gewesen, die mit uns nicht zu machen ist. nutzen und die nationale Gesetzgebung kontinuierlich zu- Handelsketten ist bei Aufgabe einer Filiale schließlich gunsten der Verbraucher an die liberaleren Regelungen der problemlos zuzumuten, noch nicht abgesetzte Ware auf anderen EU-Staaten anzupassen. andere Niederlassungen zu verteilen, statt über Laden-auf- Mit Sorge verfolge ich dagegen die Folgen, die sich aus Laden-zu-Spiele mittels permanenter „Räumungsware“- der E-Commerce-Richtlinie auf das Gesetz gegen den Angebote Konkurrenten vom Markt zu „räumen“. Unlauteren Wettbewerb (UWG) ergeben. Das Recht des Die Neuregelung zur vergleichenden Werbung ist unlauteren Wettbewerbs in der EU ist durch eine kaum ausdrücklich zu begrüßen. Die Möglichkeit, in der Wer- noch überschaubare Zahl sekundärrechtlicher Harmoni- bung sachliche Vergleiche zwischen Waren und Dienst- sierungsmaßnahmen geprägt. Trotz dieser Vielzahl ge- leistungen vornehmen zu können, ist ganz im Sinne der meinschaftsrechtlicher Rechtsakte sind aber bislang nur Verbraucher. Allerdings wird es in der Praxis darauf Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000 8977

(A) ankommen, aggressive oder gar irreführende Werbung zu Besonderheiten ihres neuen Produkts oder ihrer Dienst- (C) unterbinden. Die ausgewogenen Regelungsvorschläge leistung gegenüber herkömmlichen und bekannten Pro- stimmen uns dabei optimistisch. Sie dürften zur Rechts- dukten oder Dienstleistungen hervorzuheben. sicherheit durch Rechtsklarheit beitragen. An einem Mit diesem Gesetz wollen wir jetzt verlässliche Rah- Punkt sehen wir allerdings noch Beratungsbedarf in den Ausschüssen: Der letzte Satz des § 2 Abs. 3 sollte ersatz- menbedingungen für moderne, zeitgemäße Werbeformen los gestrichen werden. schaffen. Wir versprechen uns von der Regelung eine po- sitiven Effekt: „Mehr Wettbewerb durch mehr transpa- Sonderangebote nach dem Motto „Solange der kleine rente Werbung.“ Vorrat reicht“ sind insbesondere in den am härtesten um- Welche Vorschläge enthält der Gesetzentwurf? Art. 1 kämpften Branchen wie Möbel, Computer oder Heim- schlägt zunächst eine Ergänzung des Gesetzes gegen den elektronik eine beliebte unlautere Wettbewerbsmethode. unlauteren Wettbewerb, UWG, vor, nach der vergleichen- Da reicht dann der „Vorrat“ für ganze fünf oder zehn Kun- de Werbung künftig grundsätzlich zulässig sein soll. den. Aber das Unternehmen hat erreicht, dass das Wo- chenende oder gar die Woche über das Geschäft voller Im Interesse der sachgerechten Information des Ver- Menschen ist, von denen etliche dann doch mit Einkäu- brauchers und der Fairness im Wettbewerb müssen aber fen, aber teureren als den angekündigten, nach Hause ge- folgende Bedingungen eingehalten werden: hen. Solches unlautere Geschäftsgebaren sollte nicht noch Erstens. Der Werbevergleich muss sachlich sein, darf ausdrücklich legalisiert werden. Wer so genannte nicht irreführen oder Verwechslungen der Produkte her- Schnäppchen bewirbt, der soll diese Angebote außerhalb vorrufen. Täuschende Werbeaussagen sollen damit unter- der gesetzlichen Schlussverkäufe auch für eine bestimm- bleiben. te Zeitspanne – und wenn es für einen Tag ist – garantie- ren müssen. Zweitens. Es dürfen nur wesentliche, typische und nachprüfbare Eigenschaften von Waren und Dienstleis- tungen oder – und das ist besonders wichtig – der Preis ge- Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der genübergestellt werden. Auch in Zukunft bleiben nicht Justiz: Die Bundesregierung verfolgt mit dem Gesetzent- überprüfbare Aussagen zum Geschmack oder Geruch, wurf zwei Ziele: erstens die Umsetzung der Richtlinie wie etwa: „Unser Produkt Aschmeckt besser als das Pro- 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dukt B von XY“ unzulässig, da solche Bewertungen zur vergleichenden Werbung, zweitens kleinere Korrek- höchst subjektiv vom Konsumentengeschmack abhän- turen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die auf gen. Empfehlungen einer im Bundesministerium der Justiz ge- bildeten Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Wettbe- Drittens. Der Mitbewerber und die von ihm vertriebe- (B) werbsrechts aus dem Jahr 1997 zurückgehen. nen Produkte dürfen nicht herabgesetzt oder verunglimpft (D) werden. Polemik und Rufschädigung auf Kosten des Mit- Schwerpunkt des von der Bundesregierung beschlos- bewerbers sind bei vergleichender Werbung nämlich nicht senen Gesetzentwurfs ist die Umsetzung der Richtlinie des erwünscht. Europäischen Parlaments und des Rates zur vergleichen- den Werbung. Diese Richtlinie harmonisiert die rechtli- Werden diese Kriterien nicht eingehalten, ist der Wer- chen Rahmenbedingungen der vergleichenden Werbung bevergleich sittenwidrig und damit unzulässig. im Binnenmarkt und führt in Deutschland zur Liberali- Art. 2 des Entwurfs enthält außerdem eine Ergänzung sierung der bestehenden Vorschriften. Vergleichendedes § 11 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete Werbung soll der Information der Verbraucher dienen und des Heilwesens, HWG. Dies ist wegen der besonderen transparente Marktbedingungen schaffen. Vorgaben in der Humanarzneimittelrichtlinie für die sen- Bisher galt im deutschen Recht – von eng umrissenen, sible Werbung mit Arzneimitteln notwendig geworden. von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen abge- Den Gesetzentwurf haben wir außerdem zum Anlass sehen – ein grundsätzliches Verbot vergleichender Wer- genommen, einige Empfehlungen zur Klarstellung und bung wegen Sittenwidrigkeit im Sinne von § 1 UWG. Das Verbesserung der Rechtslage aufzugreifen, die die Ar- bislang bestehende Regel-Ausnahme-Verhältnis hat sich beitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz zur nach der Verabschiedung der Richtlinie 1997 umgekehrt: Überprüfung des Wettbewerbsrechts aus Vertretern der Mittlerweile gehen auch der Bundesgerichtshof und die beteiligten Kreise, der Gerichte und der Wissenschaft ge- Instanzgerichte von der grundsätzlichen Zulässigkeit aus macht hat: Vor allem Missbräuche im Bereich der Räu- und wenden die Kriterien der Richtlinie im Vorgriff auf die mungsverkäufe sollten künftig mittels verbesserter Kon- Umsetzung bereits an. Die Richtlinie muss dennoch aus trolle durch die Industrie- und Handelskammern Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit umge- bekämpft werden. Dazu wird der Anspruch auf Einsicht setzt werden, denn bereits vor der Umsetzung der Richt- in Geschäftspapiere und auf Nachweis der Einkaufsprei- linie hat sich die Werbepraxis diese neue Form zu Eigen se erweitert. gemacht. Nicht mehr im Regierungsentwurf weiterverfolgt wird Sie kennen den Einsatz von Werbevergleichen vor- hingegen der noch im Referentenentwurf enthaltene Vor- zugsweise durch Anbieter von Telekommunikations-schlag, Räumungsverkäufe auch für einzelne Filialen zu- Dienstleistungen: Call-by-Call-Anbieter, Internetanbie- zulassen. Die Bundesregierung legt nämlich großen Wert ter und Autovermieter, zum Beispiel Avis, Sixt, Hertz, Eu- darauf, dass die kleinen und mittleren Unternehmen im ropcar. Werbevergleiche helfen gerade Newcomern, die Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Daher haben 8878 Deutscher Bundestag - 14. Wahlperiode - 96. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. März 2000

(A) uns die Argumente der kleinen und mittelständischen schreibungskosten bereits gegeben. Darüber hinaus be- (C) Unternehmen des Einzelhandels überzeugt, dass die Ge- nachteiligt der § 2 (2) die VEAG im Grund- und Mittel- fahr des Missbrauchs und Verdrängungswettbewerbs bei lastbereich. einer derartigen Liberalisierung zu groß wäre. Es besteht nach Ansicht der Unterzeichner Nachbesse- Die Bundesregierung setzt – auch im Hinblick auf die rungsbedarf. Umsetzungsfrist für die Richtlinie bis 23. April 2000 – auf eine zügige Prüfung und Beratung in den Ausschüssen. Anlage 5

Anlage 4 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung

Erklärung nach § 31 GO Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die EU-Vorlagen bzw. Unter- der Abgeordneten Werner Labsch, Albrecht richtungen durch das Europäische Parlament zur Kennt- Papenroth, Dr. Peter Danckert, Barbara Wittig nis genommen und von einer Beratung abgesehen hat. und Jürgen Wieczorek (Böhlen) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entwurf Haushaltsausschuss eines Gesetzes zum Schutz der Stromerzeugung Drucksache 14/2009 Nr. 2.1 aus Kraft-Wärme-Kopplung (KW-Vorschalt- Drucksache 14/2414 Nr. 2.2 gesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 7) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Drucksache 14/2609 Nr. 1.2 Bundestages geben wir zum „Kraft-Wärme-Kopplungs- Drucksache 14/2609 Nr. 1.3 gesetz“ folgende Erklärung ab: Drucksache 14/2609 Nr. 1.4 Drucksache 14/2609 Nr. 1.5 Diesem Gesetz haben die Unterzeichner dieser Er- Drucksache 14/2609 Nr. 1.7 Drucksache 14/2609 Nr. 1.12 klärung ihre Zustimmung aus folgenden Gründen gege- Drucksache 14/2609 Nr. 1.13 ben: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1. Dem Anliegen der ressourcenschonenden, umwelt- und Drucksache 14/2747 Nr. 2.19 klimafreundlichen Energieerzeugung wird mit der Förde- Drucksache 14/2747 Nr. 2.25 rung der Kraft-Wärme-Kopplung Rechnung getragen. Drucksache 14/2747 Nr. 2.37 Drucksache 14/2747 Nr. 2.38 2. Den Stadtwerken wird eine notwendige Anpassungs- Drucksache 14/2817 Nr. 2.7 (B) Drucksache 14/2817 Nr. 2.8 (D) hilfe am Strommarkt gewährt. Drucksache 14/2817 Nr. 2.31

Die Unterzeichner sehen für das Gesetz jedoch auch Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ablehnungsgründe: Entwicklung 1. Die Vergütung erscheint überhöht. Drucksache 14/272 Nr. 1.87 Drucksache 14/1276 Nr. 2.1 Drucksache 14/1617 Nr. 2.1 2. Eine Belastung für den unter Druck geratenen ostdeut- Drucksache 14/1617 Nr. 2.53 schen Stromerzeuger VEAG ist durch die hohen Ab- Drucksache 14/2104 Nr. 2.22

Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 , Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44 ISSN 0720-7980