Operapoint Zeitschrift für Oper und Konzert - unabhängig - publikumsnah Jahrgang 8, Heft 2, 2008 Einzelpreis Euro 4,80

Festivaldaten in Deutschland und Europa 2008 Premierenkritiken zahlreicher Opernhäuser von Februar bis April 2008 Inhalt

Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom Olaf Zenner ...... S. 4

Universität der Stadt New York: Music, Body and Stage-Konferenz Martin Knust ...... S. 6

Thema Warum machen Menschen Musik? Olaf Zenner ...... S. 8

Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär ...... S. 11

Informationen aus aller Welt ...... S. 13

Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach Olaf Zenner ...... S. 15

Opernaufführungen im Ausland London, Lüttich, New York und Zürich++ ...... S. 16

Opernaufführungen in Deutschland Aachen, Bayreuth, Berlin, Bonn, Bremen, Chemnitz, Dessau, , Dresden, Duisburg, Erfurt, Essen, Gelsenkirchen, Greifswald, Koblenz, Köln, Krefeld, Stuttgart, München ...... S. 23

Neue CDs ...... S. 48

Impressum ...... S. 52

Titelbild: Floria Tosca (Mirtò Papatanasiu) vor dem getöteten Scarpia (Silvio Zanon)

2 Editorial Endlich einmal eine überzeugende Inszenierung einer veristischen Oper! Zum einhundertfünfzigsten Gegburtstag von Giacomo Puccini hat Franco Zeffi relli in der römischen Oper Tosca inszeniert, was wir zum Anlaß nehmen, das vorliegende zweite Heft des Jahrgangs 2008 von Operapoint mit einer Rezension dieser denkwürdigen Aufführung zu eröffnen. Ein eindrucksvolles Szenenbild aus dem zweiten Akt der Oper ziert unser Heft. Eine ganz neue Perspektive in der Opernforschung bringt der Bericht über die Ikonographie der Oper. Dabei wird das aus der 400jährigen Geschichte der Oper überlieferte Bildmaterial musikwissenschaftlich gesichtet. Hier ist eine Verbindung zwischen Kunst- und Musikwissenschaft in die Tat umge- setzt. Häufi g wird über die Verbindung zwischen verschiedenen Kunstrich- tungen referiert, doch selten kommt es zu einem tatsächlichen Austausch wie hier geschehen. Ohnehin ist die Oper eine Verbindung verschiedenster Künste. Wenn man das Singen in den Opern als Allerwichtigstes heraus- stellt, ist das eigentlich eine – mit Verlaub – schmalspurige Auslegung des Kunstwerks Oper oder Musiktheater. Damit Operapoint sich besser lesen läßt, haben wir ab jetzt eine neue Schrift gewählt und hoffen, daß auch Sie als unsere Leser es gut fi nden. Im Thema des Hefts: Warum machen Menschen Musik? werden Überlegun- gen angestellt, über die man sich normalerweise kaum Gedanken macht. Aber die allenthalben monierte Umweltverschmutzung hat noch eine Begleiterin: die die Menschen belastende Musikberieselung in Kaufhäu- sern, Hotelhallen, Aufzügen, Restaurants etc. Dabei kann der Mensch ja weder weghören noch seine Ohren verschließen, wie er das mit den Augen tut, die man nach Belieben schließen und wegdrehen kann. Aber noch etwas anderes ist anzumerken: die auf Tonträgern überall und zu jeder Zeit verfügbare Musik mit hervorragenden Interpreten läßt das ei- gene Musizieren mit Instrument oder Stimme stark in den Hintergrund treten. Daher ist es nach meinem Dafürhalten gut, über die Möglich- keit einer Harmonisierung der zwei Naturen im Menschen, der Gefühle (Triebe) und des Verstandes, mit Hilfe der Musik nachzudenken. Weiterhin fi nden Sie im Heft wieder zahlreiche Rezensionen aus dem Ausland und Deutschland. Wir werden diese kurzgefaßten Rezensionen noch vermehren, um Ihnen damit eine Möglichkeit an die Hand zu ge- ben, sich vor Ihrem Opernbesuch in knapper Form zu orientieren. Einige CD-Besprechungen beschließen das Heft. Im kommenden Heft 3 werden Sie sehr viele weitere CD- und DVD- Informationen fi nden. Gerade Opern-DVDs kommen ja in letzter Zeit in sehr großer Zahl auf den Markt. In der Hoffnung, daß Sie bei der Lektüre des Hefts Vergnügen haben und einiges Neues entdecken, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

3 Tosca von Giacomo Puccini im Teatro dell’ Opera in Rom Dem vor einhundertfünfzig Jahren (1858) geborenen Giacomo Puccini erwies die römische Oper ihre Reverenz und spielte Tosca im Januar und April 2008 in jeweils zwei Serien von acht und fünf Aufführungen. Die Oper erlebte ihre Uraufführung am 14. Januar 1900 im Teatro Costanzi, heute Teatro dell’Opera. Den jetzt 85jähri- ge Franco Zeffirelli kann man wohl zu den bekanntesten Opernregisseuren rechnen. Operapoint besuchte die letzte Aufführung am 27. April 2008, Zeffirelli war anwesend. La Tosca ist sicher die bekannteste aller Puccini-Opern, was wahrscheinlich auch auf den gleichnamigen Film von Brian Large 1992 mit Catharine Malfitano, Plácido Domingo und Ruggiero Raimondi zurückgeführt werden kann.

Als Vorlage seiner Oper nahm Puccini ein seinerzeit Es war der 14. Juni 1800, als die Österreicher unter Ge- berühmtes Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou neral Melas dem französischen Heer unter Napoleon (1831-1908). Dieser französische Theaterdichter war Buonaparte bei Marengo (bei Alessandria, Norditalien) bekannt für seine mit Überraschungscoups gewürzten gegenüberstanden. Am Vormittag siegten zunächst die Schauspiele. Puccini unterwarf seine Oper dem Stil des Österreicher, doch konnte Napoleon am Nachmittag Verismo (vero-wahr), einem gegen Ende des 19. Jh.s das Kriegsglück zu seinen Gunsten wenden. in Mode stehenden Theaterstil. Beispiele dafür waren Vor dem einschneidenden historischen Ereignis die- Cavalleria rusticana (Mascagni) und I Pagliacci-Der Bajaz- ser Schlacht (Italien wurde danach vierzehn Jahre von zo (Leoncavallo). Die Handlung sollte ungeschminkt Frankreich beherrscht) spielt sich das für alle drei Per- dargestellt werden: den triebhaften Mensch in all seiner sonen tödliche Drama ab. Grausamkeit, seinen Schwächen und Fehlern, kurz in seiner Unkontrolliertheit stellte man auf die Bühne. Kurzinhalt Nach seinen Welterfolgen mit Manon Lescaut und La Die ebenso schöne wie berühmte Sängerin Floria Tosca Bohème brauchte Puccini fast zehn Jahre zur Kompo- liebt den Maler Mario Cavaradossi, doch Baron Scarpia, sition dieser Oper. Das war eine lange Zeit, doch das Polizeichef von Rom, will Tosca besitzen. Der Zufall Resultat war grandios, allerdings nicht am Urauffüh- und Toscas grundlose Eifersucht gegenüber ihrem Ma- rungstag in der römischen Oper. rio kommen Scarpia zu Hilfe. Da Cavaradossi Cesare Angelotti Unterschlupf gewährt (dieser war Anhänger Wie immer lagen dem Mißerfolg verschiedene Ursa- Napoleons und aus der Engelsburg entfl ohen), wird chen zugrunde: Die wirtschaftliche Lage war in Itali- er verhaftet und gefoltert, um Angelottis Fluchtort zu en nicht rosig, und man hatte mehrmals Attentate auf verraten. Diese Folterung muß Tosca miterleben. Un- König Umberto I. verübt. Am 14. Januar 1900 hörte ter dem Druck verrät sie Angelottis Versteck. Der Preis man in Rom von einer Bombendrohung in der Oper. ihres Verrats: sie kann mit Cavaradossi Rom verlassen, Da konnte keine rechte Stimmung aufkommen, das Pu- muß sich aber dafür Scarpia hingeben. Doch sie ersticht blikum nicht sonderlich begeistert werden! Tags darauf Scarpia und eilt zur Engelsburg, wo man Cavarados- fanden sich in der Presse unterschiedliche Ansichten. si gefangenhält. Dieser mußte sich, um den äußeren Aber es dauerte nicht lange und die Oper wurde ein Schein zu wahren, einer Scheinerschießung unterwer- überwältigender Erfolg. Die sechzehn nachfolgenden fen. Aber Cavaradossi stirbt im Kugelhagel. In Scarpias Aufführungen in Rom waren sämtlich ausverkauft. Palazzo Farnese entdeckt man den toten Scarpia. Die Was macht diese Oper so anziehend? Die Ingredienzien Gefolgsleute Scarpias eilen zur Engelsburg, aber Tosca für Sardous Tosca waren Sex, Sadismus, Religion und Kunst; sie springt von deren Plattform hinab in den Tod. wurden von der Hand eines Meisterkochs gemischt und mit dem Die Aufführung ganzen Gericht auf dem Tablett eines wichtigen historischen Er- eignisses serviert, so Mosco Carner in seiner lesenswerten Wie gelang Zeffi relli die Umsetzung dieser schon zig- Biographie Puccini. mal auf die Bühne gebrachten Oper? Die Spannung des Stücks ergibt sich daraus, daß Pucci- Hören wir seine Ansicht, die er in einem längeren Inter- ni die alte Regel (nach Aristoteles) angewendet und das view gegenüber Michele Mirabella geäußert hat. Es steht Schicksal dreier Personen an einem einzigen Tag und im Opernprogrammheft, das in vorbildlicher Weise den am gleichen Ort Rom (die Kirche San Andrea della Val- gesamten Operntext mit eingestreuten ansprechenden le, der Palazzo Farnese und die Engelsburg) schildert. Kommentaren zur Musik aufweist. Hier - nicht ganz 4 wortgetreu – einige Äußerungen Zeffi rellis: nis ist zunächst unterhalb der Plattform der Engelsburg. Wir sind im Verismo, alles wird also beschrieben: die Seelenzu- Nach dem ungemein gut vorgetragenen Klagegesang stände der Personen, ihre Akzente beim Singen, ihre Gebärden. Cavaradossis: E lucevan le stelle – und die Sterne glänz- All das fi ndet sich im Operntext und in der Musik. …. ten, der nach frenetischem Applaus wiederholt wird (eine Encore-Wiederholung habe ich seit über zehn Jahren Ich sage es in aller Offenheit: es gibt eine Menge Narren, die sich nicht mehr erlebt!) und nach Cavaradossis und Toscas die Willkür erlauben, zu ändern oder zu vereinfachen, was Puccini Hymne trionfal di nova speme – in Triumph und neu- vorgegeben hat. Die Regisseure sollten gut die Geschichte erzählen, er Hoffnung fährt die Hebebühne die beiden hoch auf und zwar weniger das, was sie in der Tradition fi nden, als was die Plattform: sie werden sich im Himmel wiedersehen, Puccini geschrieben hat. Die Oper unserer Zeit anzupassen kann kann man sich vorstellen. funktionieren, es ergibt aber ein mageres Resultat. Bleibt noch zu erwähnen, daß Franco Zeffi relli bei geöff- Genau danach hat Zeffi relli gehandelt. Beim Öffnen netem Vorhang, also vor dem Bühnenbild und vor allen des Vorhangs blickt man auf den Altar der Kirche San Sängern, gemeinsam mit Gianluigi Gelmetti (der großar- Andrea della Valle, Angelotti kann hinter dem Gitter der tig das Riesenorchester leitet) erscheint, um sich bei Sän- Attavanti-Kapelle links verschwinden, das Malergerüst gern, dem Chor, seinen Mitstreitern und dem Publikum mit dem fast vollendeten Madonnenbild steht gegenüber.

Schlußbild (Tableau) des 1. Akts mit Volk, Ministranten, Würdenträgern (in Altarnähe) und dem Kardinal mit Monstranz Das Tableau (Bild, s. Abb.) zum Schluß des ersten Akts für das jedesmal ausverkaufte Opernhaus zu bedanken, zeigt den hohen Kirchenraum übervoll mit Volk, vielen eine ungemein sympathische Geste, wie mir scheint. Geistlichen und Ministranten in Anwesenheit des Kardi- Ich bin überzeugt: eine veristische Oper sollte man auch nals. Beim Aufrauschen von Orgel und Chor beim Ge- veristisch auf die Bühne bringen. Sollte jemand meinen, sang des Te Deum befi ndet man sich wirklich in einer Kir- ich hätte einem musealen Kostümfest beigewohnt, so sei che. Man riecht den reichlich gespendeten Weihrauch. daran erinnert, daß Fernsehübertragungen vom Balkon Ein recht verstandener Verismo, meine ich! In gleicher des Petersdoms (mit allen Kardinälen im Ornat) mehr Weise auch die beiden folgenden Akte: Scarpias Residenz als eine Milliarde Zuschauer verfolgen, die die ehrwürdi- als bibliothekähnlicher Arbeitsraum in dunklem Holz ge- ge Zeremonie kaum als museal empfi nden. täfelt, zuletzt die Plattform der Engelsburg. O. Zenner Bild: Corrado Maria Falsini Hervorragend alle Sänger, auch die Nebenrollen: Myrtò Giacomo Puccini: Tosca, Libretto: L. Illica und G. Gioco- Papatanasiu als Tosca, Giuseppe Gipali (Cavaradossi), sa. nach dem Theaterstück La Tosca von Victorien Sardou Silvio Zanon (Scarpia) und Francesco Facini (Angelot- Regie/Bühnenbild: Franco Zeffi relli, Kostüme: Anna Biagiotti, Licht: Alessandro Santini Dirigent: Gianluigi Gelmetti, Orches- ti) singen ausgezeichnet. Die Darstellung, bei Zeffi relli ter und Chor des Teatro dell’Opera; Solisten: Myrtò Papatana- genau nach der Musik ausgerichtet, bringen alle Prota- siu (Floria Tosca), Giuseppe Gipali (Mario Cavaradossi), Silvio gonisten zwingend nachvollziehbar – besonders in der Zanon (Baron Scarpia), Francesco Facini (Cesare Angelotti), Begegnung Tosca/Scarpia – zum Ausdruck. Besonders Matteo Ferrara (Mesner), Claudio Barbieri (Spoletta), Anto- nio Taschini (Sciarrone), Massimo Mondelli (Gefängniswärter) gelingt Zeffi relli die letzte Szene: Cavaradossis Gefäng- Besuchte Vorstellung: 27. April 2008 (Premiere: 14. 01.2008) 5 Universität der Stadt New York Music, Body and Stage - Musik, Körper und Bühne Die Ikonographie von Musiktheater und Oper vom 11.-14. März 2008 10. Konferenz des Research Center for Music Iconography (RCMI) und 12. Konferenz des Répertoire International d’Iconographie Musicale (RIdIM)

Die Ikonographie ist ursprünglich eine kunstwissen- ten, von denen im folgenden nur eine kleine Auswahl schaftliche Disziplin gewesen. Sie beschäftigt sich übli- vorgestellt werden kann. cherweise mit dem Sichten und Interpretieren von Bild- Pierluigi Petrobelli (Rom) gab anhand der verschiedenen quellen, die – nicht selten aufgrund ihres hohen Alters Traditionen von Inszenierungen der Opern Giuseppe – viele Informationen enthalten, die sich nur durch die ge- Verdis einen Überblick über die Vielzahl von Fragen, die naue Kenntnis der historischen Hintergründe und durch auftauchen, wenn man schlicht versucht, die Dekoratio- Vergleiche unter den Quellen erkennen lassen. Hervor- nen der Verdi-Zeit zu rekonstruieren, und wie schwierig ragende Beispiele sind etwa die religiösen Gemälde des es ist, Bezüge zwischen Musik und Bühnenbild im all- Mittelalters, bei denen die Farben und vverwendetenerwendeten SSym-ym- gemeinen herzustellen. Richard Leppert (Minneapolis) bboleole mituntermitunter eeineninen gganzanz aanderen,nderen, vverborgenenerborgenen SSinninn hha-a- legte in seiner Interpretation von Werner Herzogs Film bbenen alsals unsuns aaufuf Fitzcarraldo un- ddenen eerstenrsten BBlicklick ter anderem ddeutlicheutlich iist.st. dar, wie hierbei Im Bereich spielerisch mit der Musik- alten Inszenie- forschung hat rungsformen diese Art der der Oper um- Bildinterpre- gegangen wird, tation in den wie die Musik letzten Jahren als eine unkör- stark an Bedeu- perliche Kunst tung gewon- gewissermaßen nen. Wichtige eine Hauptrolle Gründe dafür in einem Film sind zum ei- spielen kann. nen, daß es Das die Tagung eine Fülle von beschließen- Musiker- und de Referat von Musikdarstel- Die Universität in New York mit Triumphbogen (Washington Arch) Tilman Seebass lungen aus den vergangenen Jahrhunderten gibt, zum (Innsbruck) präsentierte eine Vielzahl von Bilddoku- anderen, daß diese Darstellungen – man denke nur an menten zum Musiktheater um 1900, etwa Alfred Rollers die ägyptische oder römische Antike – mitunter das ein- Dekorationen zu ’ Opern oder Arnold zige sind, was von dem Musikleben alter Kulturen noch Schönbergs Bilder und Entwürfe zu seinen Musikstü- erhalten ist. cken, in denen den Farben und ihrem Zusammenhang Auf dem New Yorker Kongreß ging es nun nicht ganz mit der Musik eine enorm wichtige Rolle zukommt. so weit in die Vergangenheit zurück, denn die Oper ist Die Vorträge von Thomas Betzwieser, Anno Mungen ja eine „erst“ 400 Jahre alte Gattung. Aber selbst, wenn (beide Bayreuth) und Martin Knust (Greifswald) setzten man nur ein Jahrhundert in der Geschichte zurück- sich mit der Gestik auf der Opernbühne des späten 18., blickt, lassen sich noch echte Entdeckungen machen, 19. und frühen 20. Jahrhunderts auseinander. Christi- die unsere Sicht auf diese Epoche verändern. Zu die- ne Fischer (Zürich) und Nicole Lallement (Paris) stell- ser viertägigen Konferenz waren Vortragende aus allen ten Bildquellen des 17. und 18. Jahrhunderts und ihre Erdteilen angereist, u.a. aus Brasilien, der Türkei, China Auslegung vor, wovon aus dieser Zeit Kupferstiche und und Neuseeland. Insgesamt 68 Vorträge wurden gehal- Zeichnungen von Architektur, Bühnenbild und Kostüm 6 des damaligen Musiktheaters Zeugnis ablegen. gat zu lesen sind (Emile G.J. Wennekes, Utrecht). Doch nicht nur die Methodik der Auslegung, auch die Unmöglich dürfte es sein, die zahlreichen disparaten Art der Quellen ist ungeheuer vielfältig. So wurden in Themen und Ergebnisse knapp zusammenzufassen. Al- mehreren Vorträgen Karikaturen von Opernsängern, lerdings wurden mehrere grundlegende Dinge bei dieser Inszenierungen und Komponisten als wichtige Quel- Konferenz deutlich: len der zeitgenössischen Publikumsreaktionen wie auch 1. Nicht nur im Bereich der Alten Musik ist eine eingehen- der Aufführungen an sich herausgestellt, etwa von Clair de Auswertung der ikonographischen Quellen sinnvoll und Rowden (Cardiff), Anita S. Breckbill (Lincoln/Nebras- fruchtbar. Das 19. und frühe 20 Jh. ist uns in dieser Hinsicht ka) oder Anna Maria Ioannoni Fiore (Pescara, Italien). oft fremdartiger und ferner als wir gemeinhin annehmen. Neben zweidimensionalen Darstellungen wie Portraits, 2. Längst sind noch nicht alle Quellen, ja noch nicht Medaillons, Postkarten usw. gibt es seit dem 18. Jh. klei- einmal alle Quellentypen erfaßt. Gleichwohl lassen die ne Porzellanfi gürchen von berühmten Sängerinnen, Fan- durch das RIdIM und RCMI bereits erfaßten und kata- Artikel des beginnenden Primadonnenkults, die Berta logisierten Bestände in einer vor wenigen Jahrzehnten Joncus (Oxford) in ihrem Vortrag vorstellte. Außerge- noch nicht geahnten Weise Deutungen und ein neues wöhnlich ist auch eine spezifi sch portugiesische Traditi- Verständnis des Musiktheaters zu und erlauben dem on der Darstellung von Musikern, nämlich in Form von heutigen Forscher sichere Urteile auf diesem Gebiet. Zeichnungen auf Kacheln – das Verfahren stammt, wie man an den blauen Zeichnungen auf weißem Grund so- 3. Die interdisziplinäre Arbeit ist bei all den präsentierten fort erkennt, aus den Niederlanden – mit denen die Gär- Forschungsvorhaben Programm. So fl ießen in der Musik- ten und Räume von Palästen ausgestattet wurden, was Ikonographie Kunst- und Musikwissenschaft zusammen. wiederum auf maghrebinische oder arabische Einfl üsse Doch es gilt nun, den Blick auch mit Hilfe anderer Dis- zurückgehen dürfte. Hierzu gab es zwei Vorträge von ziplinen zu schärfen, z.B. Architekturgeschichte, Akustik, Daniel Tércio sowie Luís Sousa und Luzia Rocha (alle Literatur-, Film- und Theaterwissenschaft, Theologie, aus Lissabon). Soziologie u.v.a. Nicht, daß Welch großen Einfl uß auf es darum gehen würde, den die akustischen und optischen Gegenstand völlig ausufern Möglichkeiten eines Theaters zu lassen, ganz im Gegenteil. die Architektur von Büh- Wie bei der guten Analyse ne und Zuschauerraum hat, eines Musikstückes gilt auch zeigte Dorothea Baumann hier: Jedes Stück verlangt (Zürich) in ihrem äußerst ma- nach einer besonderen, ange- terialreichen Vortrag. messenen Weise des Zugriffs. Eine Methode, die bei dem Schließlich ist noch zu er- einen Stück, z.B. einer Bach- wähnen, daß es nicht nur fuge, zu interessanten Resul- um das Musiktheater im taten führt, muß das nicht bei traditionellen Sinne ging, einer Verdi-Arie tun. sondern auch um – teilwei- se alterwürdige – Traditio- Den Veranstaltern, von de- nen wie Begräbnisriten und nen stellvertretend hier nur religiöse Prozessionen etwa Antonio Balsassare (Wien), in Brasilien und der Slowa- der Vorsitzende der Com- kei, und um das Musical mission mixte des RIdIM, und die Inszenierung von und Zdravko Blazekovic Rockbands auf der Bühne. (New York) vom RCMI Schließlich wurde auch die genannt seien, ist mit Nach- bildliche Selbstinszenierung druck für ihre immensen von Dirigenten, die Mitte Anstrengungen zu danken, des 19. Jahrhunderts ein- eine derart reichhaltige und setzte, unter die Lupe ge- befl ügelnde Konferenz zu Die Karikatur zeigt Jules Massenet (1864-1912) und dessen organisieren, die einen tie- nommen, etwa, wie das zeitge- Geliebte, die Sopranistin Sybill Sanderson (1865-1903). nössische englische Publikum Der Komponist hatte die Titelrolle der Thaïs extra für die fen und globalen Einblick in die Hans Richter wahrnahm (Hol- Sanderson geschrieben, wodurch die Oper 1894 einen enor- Entwicklung und den Forschungs- ly Matthieson, Neuseeland) men Erfolg hatte. Der Karikaturist macht sich lustig über die stand einer jungen wissenschaftli- Vorhersehbarkeit des Erfolges der Oper, da Massenet durchweg oder wie fi lmische Dokumente chen Disziplin erlaubte. auf der Welle der Kritik der damaligen Zeit schwamm. M. Knust von Willem Mengelbergs Diri- 7 Warum machen Menschen Musik?

In Ingolstadt (Bayern) fand vom 26.-29. März 2008 das jährliche Treffen von nicht hauptberuflich tätigen Organisten statt. In diesem Jahr feierte man das 30jährige Bestehen des Treffens. Im Haupt- beruf sind diese Menschen Juristen, Verwaltungsangestellte, Ärzte, Lehrer, Architekten etc. In ihrer Freizeit üben sie sich im Orgelspielen. In Seminaren werden dann unter Aufsicht eines Dozenten (hier Professor Edgar Krapp von der Münchner Musikhochschule) Kompositionen von Bach, Reger usw. erarbeitet. Bei der Festansprache versuchte ich, den Sinn unseres Musizierens herauszustellen und auf die einfach erscheinende Frage, warum wir Orgel spielen, eine Antwort zu finden. Aber letztendlich ging es mir um eine umfassende Überlegung hinsichtlich des Verhältnisses des Men- schen zur Kunst und insbesondere zur Kunstausübung.

Wenn ich mir hier erlaube, einige Gedanken zu äußern re – Begreife als Symbol, daß es eines starken Verstandes bedarf, die zur Frage, warum Menschen überhaupt Musik machen, gesunde Wahrheit zu ertragen. (Das Symbol ist der Elefant mit Obelisk). so möchte ich unsere Beschäftigung mit dem ehrwür- Sie fragen sich wohl, was das mit unserer Frage nach der digen Instrument Orgel als unse- Beschäftigung mit Musik zu tun re Teilnahme an der Musik und hat? Nun, es sollte die aufwen- überhaupt an der Kunst im Le- dige Suche nach dem wahren ben des Menschen herausstellen. Beweggrund unterstreichen, der Die hierzu geäußerten Über- einige Menschen wie die hier legungen sind die Frucht der anwesenden Teilnehmer des Auseinandersetzung von dreißig Orgelkurses dazu veranlaßt, viel Jahren. Ich äußere mich hier als Zeit und Anstrengung auf das Amateurorganist und als Arzt. Aneignen der technischen und Als Arzt muß ich aber auch Re- künstlerischen Seite des Orgel- alist sein. Denn ohne eine rea- spielens zu verwenden, und das listische, wirklichkeitsbezogene Ganze ohne Aussicht auf Ehre Haltung kann ich ja als Arzt nicht oder große materielle Güter. überleben. Im Blickwinkel habe Hier also meine Frage: Warum ich die gewandelte kulturelle üben wir uns sozusagen absichts- Auffassung, als Folge der geän- los und ohne konkretes Ziel im derten technischen Bedingungen Orgelspielen – oder allgemein – – denken Sie nur an den Com- warum spielen Nichtberufsmu- puter oder das Internet – sowie siker mit einer so großen Ernst- die mir grundsätzlich geändert haftigkeit ein Instrument? erscheinende Lebensauffassung Es würde hier zu weit führen, in unserem Land. individuelle Antworten auf die- Vielleicht waren Sie schon ein- se Fragen aufzuzählen und sie mal in Rom und standen vor im einzelnen zu analysieren. der schmucklosen Fassade von In den zurückliegenden dreißig Santa Maria sopra Minerva, die Jahren suchte ich in den Kultur- sich ganz in der Nähe des römi- wissenschaften, in der Musik- schen Pantheons befi ndet. Auf Der Elefant von Bernini vor der Kirche Santa Maria wissenschaft, in der allgemeinen dem kleinen Platz vor der Kirche sopra Minerva mit der zitierten Inschrift Geschichte, in soziologischen steht ein seltsames Denkmal: es Abhandlungen und nicht zuletzt zeigt einen Elefanten mit überlangem Rüssel, auf des- in Gesprächen mit den Kursteilnehmern, eine Antwort sen Rücken sich ein Obelisk aus dem 6. Jh. vor Christus auf die oben gestellte Frage zu bekommen. Denn es befi ndet. Das Denkmal geht auf den großen römischen müßte doch irgendeinen wichtigen Grund geben, war- Baumeister Bernini zurück. Folgende Inschrift steht auf um Menschen die Mühe auf sich nehmen, langandau- dem Sockel dieses kleinen Elefanten: ernd auf harten Bänken und in kalten Kirchen Orgel zu Documentum intellige robustae mentis esse solidam sapientiam sustine- üben. Man macht nicht jahrelang etwas, was doch kei- 8 neswegs oberfl ächlich im Sinne eines Hobbys vonstatten den sich damals ereignenden Greueltaten der Massen. geht, ohne daß wichtige menschliche Lebensimpulse da- Der gemeinsame Gedanke, der das Gerüst dieser Brie- hinterstecken. fe letztlich darstellt, ist der Versuch, in einem gegenüber Das eben ist die Suche nach der Wahrheit, die ich oben dem Absolutismus verbesserten Staatsgebilde einen ver- mit dem Beispiel des Bernini-Elefanten versuchte, Ih- nunftgeleiteten, aber auch gemütvollen Menschen zu nen deutlich zu machen. entwickeln und ihn in ein ebenso geordnetes Staatsgebil- de einzubeziehen. Wie gesagt, ich suchte und fand in den üblichen fachspe- zifi schen Kategorien nichts, gar nichts! Ich habe aus der Fülle des Materials die Gedanken von Schiller herausgearbeitet, in der die Beteiligung des Men- Nach der aussichtslosen Suche wurde mir klar, daß die schen an der Kunst eine besondere Stellung einnehmen. Beantwortung dieser einfach anmutenden Frage in der Kein Philosoph oder anderer Schriftsteller nach Schiller hat Philosophie liegen müßte. Wir erinnern uns, Philoso- nach meinem Dafürhalten je wieder so dezidiert und über- phie heißt: Liebe zur Weisheit, d.h. die hingebungsvolle legt den Menschen hinsichtlich der Kultur sowie der Kunst Beschäftigung mit der Weisheit. Demzufolge müßten und seiner Teilhabe daran dargestellt. wir Amateurorganisten uns eigentlich Phil-Organisten nennen, da wir uns ja Schillers Ansicht wurde von tiefer mit dem Orgelspielen hingebungsvoll Kenntnis der Kant’schen Schrift Kri- beschäftigen. tik der Urteilskraft und seiner eigenen Künstlerlaufbahn gespeist. Bei allen Langsam wurde mir klar, daß ich meine Utopien, die in den Briefen anklingen, Suche auf eine Person konzentrieren ist Schiller aber immer dem realen Le- müßte, die sowohl auf dem Terrain der ben verhaftet geblieben, woran sicher Philosophie als auch auf künstlerischem sein Beruf als Arzt eine entscheidende Gebiet sich umgetan hat. So entdeckte Rolle spielte. ich den Dichter Friedrich von Schiller als Philosophen und kam auf dessen phi- Seine Gedanken einer ästhetischen losophisches Hauptwerk mit dem Titel: Erziehung des Menschen haben eine Über die ästhetische Erziehung des Menschen bestürzende Modernität, wie die hier in einer Reihe von Briefen. angeführten Zitate bestätigen werden. Schiller schrieb von 1793-1795 diese Da für die Aufklärung des Verstandes schon vieles geleistet wurde, ist es nun ein siebenundzwanzig Briefe zunächst an F. Schiller (1759-1805) seinen Gönner, den Prinzen Friedrich Gemälde von Ludovike Simanowiz (1794) dringendes Bedürfnis unserer Zeit, auch Christian von Schleswig-Holstein-Son- zur Veredelung der Gefühle beizutragen. derberg-Augustenburg und erweiterte sie später noch (1. Brief vom 13.7.1793) etwas. Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß diese Briefe Wenn man nun seine Worte bezüglich der damaligen 1793, also vor genau 214 Jahren geschrieben wurden. Sa- Kultur liest, meint man, ein gesellschaftlich mutiger Jour- gen Sie aber nicht, was haben uns diese alten Schriften nalist von heute würde zu uns sprechen. Und weiter: denn heute noch zu sagen? Denn Sie sollten sich in Erin- Der versachlichte Arbeitsprozeß hat den Genuß von der Arbeit, nerung rufen, daß der weitaus größte Teil der Musik, die das Mittel vom Zweck, die Anstrengung von der Belohnung ge- wir heute spielen und studieren, aus dieser Zeit stammt. schieden. Der Mensch wird nur noch Bruchstück seiner selbst, wird Ich werde diese inhaltsschweren Briefe natürlich nur im bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft. Inhalt streifen können und daraus einige Ausschnitte zi- Der Geschäftsmann bleibt in dem einförmigen Kreis seines Berufs tieren. Um es vorweg zu sagen, sie handeln im Kern um befangen und zeichnet sich durch pedantische Beschränktheit aus; die Harmonisierung der zwei Kräfte, die in jedem Men- und die Wissenschaft läßt die geistige Arbeit immer abstrakter schen vorhanden sind: den Trieben oder den Gefühlen werden, bis sie in der leeren Substanz der Gelehrten verkümmert. bzw. dem Geist oder dem Verstand. Was schließlich den Staat betrifft, so achtet er eifersüchtig auf Wiederum sollten wir uns vergegenwärtigen, daß wir den Alleinbesitz seiner Diener. Er tritt dem unmündigen Bürger heute, 2008, in einer Zeit des völligen Werteverfalls le- durch Repräsentation aus zweiter Hand entgegen, also durch Ge- ben, daß bedrohliche Angriffe auf unsere Nation vor der setze und Steuern, Bürokratie und Polizei. Er funktionalisiert Tür stehen, daß unser christliches Weltbild, unsere Reli- die Bürger. Wohin er auch schaue, er nehme nur Opfer staatlicher gion also, und damit natürlich auch unser Orgelspiel, vor Bürokratie, dystopischer Arbeitsteilung [an ungewöhnlichen einer säkularen Auseinandersetzung stehen. Stellen vorkommend, z.B. bei menschlichen Organen] Schillers Briefe wurden vier Jahre nach der Französischen und rationaler Produktivität wahr, die verkrüppelten Gewächsen Revolution von 1789 verfaßt, im gleichen Jahr, in dem gleichen. In diesem zerrütteten Gemeinwesen kann weder das In- man grundlos König Ludwig XVI. guillotiniert hatte. dividuum all seine Talente entfalten, noch Staat und Gesellschaft Schiller war tief enttäuscht von dieser Entwicklung und zu einem harmonischen Ganzen gelangen. 9 Im oben Gesagten (6. Brief) äußert sich Schillers Kul- von beidem etwas, vom Verstand und vom Gefühl. turpessimismus. Er spricht von der Entfremdung des Und wörtlich: Menschen von der Natur, von der Arbeitsteilung im All- tag, von der Spezialisierung des einzelnen. All das hat aus Der Weg zu dem Kopf geht nur durch das Herz. Denn, um es der Menschheit – so schreibt Schiller – eine Armee nützlicher endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er Sklaven gemacht. Schiller vergleicht diese menschliche Arbeitsform in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz mit der Mechanik eines kunstreichen Uhrwerks. Mensch, wo er spielt. Ehrlicherweise räumt Schiller allerdings ein, daß die Schiller wußte sehr wohl, daß er hier den Boden der großen technischen Fortschritte nur durch eine solche Wirklichkeit scheinbar verließ und sich in eine Utopie sinnentfremdende Arbeitsteilung bewirkt werden konnten. begab. Seine Erläuterung dazu ist aber einleuchtend: Dann stellt Schiller die Frage, wie die Entfremdung des Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nicht Menschen von der Natur ausgeglichen werden könnte. die Wahrheit erobern. Vom Staat Hilfe zu erwarten würde erfolglos sein, weil Schiller schwebt also nichts Geringeres vor, als die Krise gerade der Staat diese mißlichen Zustände zuwege ge- der 1793 gegenwärtigen Kultur durch Kunst zu über- bracht habe und man schwerlich erwarten könne, daß winden, genauer gesagt, durch Teilhabe der Menschen von ihm Hilfe kommen könnte; denn der Staat müßte an der Kunst. Nach Schillers Ansicht sind im Spieltrieb sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig. Es liegt einzig und allein am einzelnen Menschen, denn Aus dem Gesagten ergibt sich wohl einigermaßen zwin- jeder trägt in sich die Anlage und die Bestimmung ei- gend, daß mit dem Spielen nicht nur das Spielen eines nes idealistischen Menschen. Nun besteht der Mensch Instruments gemeint sein kann. Wäre nur diese Bedeu- aus Trieben und Vernunft. Er ist ein Wilder, wenn seine tung gemeint, hätte dies Schiller deutlich angegeben. Da Triebe – auch Gefühle genannt – über seine Vernunft er die Einschränkung – Spielen auf einem Instrument - herrschen. Das ist die vielbeschriebene Trieb- und Ver- wegläßt und alle Menschen ausdrücklich anspricht, dabei nunftnatur des Menschen. aber die Kunst als die Basis angibt, können wir folgern, Schiller fordert die Versöhnung der gegensätzlichen Kräfte von Gefühl und Verstand, Sinnlich- keit und Vernunft, also Natur und Rationalität. Erst dieser Ausgleich formt den gebildeten Menschen und gibt die Entscheidungsfreiheit wieder in die Hände des Menschen zurück, um z.B. seinen sittlichen Vorstellungen zu folgen. Also folgert Schiller: Der einzige Weg, auf dem sich der Mensch von der Vormundschaft des Staates und der Gesellschaft befreien könnte, ist, sich mit der Kunst zu be- Albert Schweitzer an der Orgel schäftigen. daß er den ganzen Kunstbereich meint, also Malerei, Wie können nun die auseinandergeratenen Kräf- Plastik, Architektur, Poesie und schließlich Musik. te des Menschen zusammengeführt werden? Es war für mich also naheliegend, uns als Orgelspieler Wie kann der Mensch wieder in Harmonie, in Einklang mit dem spielenden Menschen zu identifi zieren. Ich mei- mit sich kommen? ne uns Phil-Organisten oder Amateur-Organisten. Denn Das gelingt nach Schiller nur, wenn die Menschen durch wir spielen ja im wahrsten Sinn des verwendeten Wortes. die Kunst eine ästhetische Erziehung erhalten würden. Ich hoffe, ich habe Ihnen einige für unser aller Selbst- Es ist der Versuch, durch Kunst und ästhetische Erzie- verständnis nützliche Gedanken darlegen können. Es ist hung die getrennten Kräfte der Seele wieder zu vereinen, für mich tröstlich, daß der Künstler-Philosoph Friedrich um so den ganzen Menschen in uns wiederherzustellen. von Schiller vor über eineinhalb Jahrhunderten Über- Als Schlüssel zum Ganzen präsentiert uns Schiller seine legungen anstellte, die auch für uns heutige Menschen Überlegungen zum menschlichen Spieltrieb (15. Brief). eine große seelische Hilfe bedeuten können. Nur durch den Spieltrieb geschieht die Vermittlung zwi- schen Sinnlichkeit und Vernunft; denn der Spieltrieb hat O. Zenner 10 Interview mit dem portugiesischen Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho Operapoint war bei der diesjährigen Tagung der EMA (Europäische Musiktheater-Akademie) vom 27.-30. Januar 2008 anwesend. Dabei ergab sich die Möglichkeit, Herrn Professor Dr. Mário Vieira de Carvalho in seinem Amtssitz im Palácio Nova da Ajuda am 28. Januar 2008 zu interviewen.

? Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich interessiert das in Lissabon, in dem die Oper Xerxes von Händel in ei- Musikleben in Portugal. In Deutschland hat man kaum ner Inszenierung von Herz mit dem Leipziger Ensemble Kenntnisse davon. Zunächst möchte ich Sie fragen, wo gezeigt wurde. Brecht und das Berliner Ensemble waren Sie Musik studiert haben? auch für mich wichtige Begriffe. ! Ich habe zunächst Rechtswissenschaft studiert, übrigens mit ? Wo wird in Lissabon Musik gelehrt? Schlußexamina. Ich studierte privat Musik und wurde Musik- ! An der Staatsuniversität. Dort bin ich Professor für Mu- journalist. Die Rechtswissenschaft habe ich nie ausgeübt. siksoziologie. Ich begann 1986 als Assistent und bin seit

Palácio Nova da Ajuda, Lissabon, Amtssitz des Kulturstaatssekretärs Später war ich sehr interessiert am deutschen Musikthea- 1997 Ordinarius für Musiksoziologie. In den letzten drei ter. Ich knüpfte Kontakte mit Joachim Herz, dem Assis- Jahren mußte ich aber meine Forschungs- und Lehrtätig- tenten von Walter Felsenstein und späteren Intendanten keit unterbrechen, da ich bei der Regierung arbeite. in Dresden. [Felsenstein (1901-1975) war von 1947-75 ? Sie sind Staatssekretär für Kultur? Intendant der Komischen Oper in Berlin.] ! Ja. Die Einladung kam von der Kulturministerin. Wir Dann (1984) schrieb ich eine Dissertation an der Hum- amtierten im März 2005 als Mitglieder der neuen sozia- boldt-Universität in Berlin bei Christian Kaden listischen Regierung. (Denken ist Sterben, Sozialgeschichte des Opernhauses Lissabon, Bärenreiter 1999). ? Der Staatssekretär ist derjenige, der die Arbeit leistet? ? Und warum haben Sie Deutschland gewählt? ! Wir arbeiten in einem Team, ich bin Stellvertreter der Minis- ! Gerade weil mich die Entwicklung des Musiktheaters terin, wenn sie nicht anwesend ist. Ich übernahm nämlich die in Deutschland besonders interessierte, vor allem wegen direkte Verantwortung für Musik-, Theater- und Opernwesen, Felsenstein und Herz. Denn ich kannte Felsensteins An- Film, die Unterstützung der Künste im allgemeinen. satz auf dem Gebiet des Musiktheaters. 1975 gab es ein ? Und Sie sind der Chef der Oper? Gastspiel der Leipziger Oper im Opernhaus São Carlos ! Nein, ich bin der Verantwortliche für die Kulturpolitik, 11 die damit zusammenhängt und im Regierungsprogramm langfristige Verträge machen. Wir fi nden es sehr positiv, entworfen wurde. Die Staatstheater wurden von meiner daß ein Sänger sich ans Opernhaus bindet und damit auch Regierung in öffentliche Unternehmen umgewandelt. Der beim Publikum bekannt wird. Auch wenn ausländische Grund war, ihnen mehr fi nanzielle Autonomie zu geben, Sänger eine Beziehung mit dem Land und seiner Kultur weil die Regeln der Staatsverwaltung bei uns sehr strikt sind beginnen, ist das positiv. und eigentlich keine langfristige Planung erlauben. Jetzt ist ? Nun noch etwas anderes: wie sind die kulturellen Bezie- es so, daß die Staatstheater als öffentliche Unternehmen ei- hung von Ihnen, also vom Staat Portugal, mit dem Staat nen dreijährigen Vertrag mit dem Staat schließen, worin das Brasilien? gesamte Budget und die Ziele festgesetzt werden. ! Unsere beiden Staaten haben enge Beziehungen auf ? Sagen Sie als Kulturstaatssekretär, was und wie die The- allen politischen, sozialen und kulturellen Ebenen. Und ater planen sollen? meine Regierung hat viel geleistet, um diese Entwick- ! Die Theater machen ihre Verträge selbständig und disku- lung noch weiterzuführen. Nicht nur zweiseitig, sondern tieren ihre strategische Entwicklung und Finanzierung mit auch im Rahmen der Gemeinschaft der portugiesisch- dem Kultur- und Finanzministerium. In erster Linie gilt sprechenden Länder (CPLP) bzw. der Organisation der als Ziele: Förderung der portugiesischen Künstler und des ibero-amerikanischen Staaten (OEA) sind unsere beiden portugiesischen Kulturerbes, dann weiter, die Entwicklung Staaten in der Zusammenarbeit engagiert. der Beziehungen im internationalen Netz. Das São Carlos Ich mag Brasilien sehr, auch im Sinne der Möglichkeiten muß sich einem breiteren Publikum öffnen. der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und durch re- ? Sie richten jetzt ein Opernstudio ein? gelmäßigen Austausch mit Kollegen von Sao Paulo und ! Ja, dies steht als Aufgabe im neuen Statut, hinzu kommt ein Rio de Janeiro. Wissen Sie, ich beschäftige mich mit der Erziehungsprogramm für junge Leute. Auch Kinderoper-Pro- Musiksoziologie Theodor W. Adornos sehr detailliert. jekte wollen wir fördern. Übrigens ist das São Carlos das einzige 2003 hae ich in Belo Horizonte an einem Kongreß über Operntheater in Portugal. ? In Porto gibt es nur Sprechtheater? ! Ja, doch wir verlangen vom São Carlos, daß es nicht nur in Lissa- bon, sondern auch durch Gastspie- le wirkt – nämlich in mehreren, gut ausgestatteten städtischen Bühnen, darunter einigen historischen Ge- bäuden, die im Laufe der letzten Jahre renoviert bzw. neu gebaut wurden. Im September 2007 hat das São Carlos in der Stadt Azores mit einer Oper gastiert. Mit Un- terstützung einer Firma ist es auch vorgesehen, daß eine Operninsze- nierung in verschiedenen Theatern direkt (über Satellit) übertragen wird, wie es jetzt bei der Urauffüh- rung von Das Märchen von Emma- nuel Nuñes geschehen ist. Dreitau- Kulturstaatssekretär Mário Vieira de Carvalho send Zuschauer haben dem ersten Adorno teilgenommen. Anwesend waren 80 Forscher aus Teil der Oper beigewohnt (2 Stunden). Für den 2. Teil aller Welt, Deutschland natürlich einbezogen, die meisten (weitere 2 Stunden) blieben nur etwa eintausend. Manche aber aus Brasilien. Ich selbst habe über Adornos Theorie hatten noch nie eine Oper gesehen. der musikalischen Reproduktion gesprochen. Übrigens ? Wie groß ist der Etat für das Teatro São Carlos? habe ich auch 2003 ein kleines internationales Adorno- ! Ungefähr 14 Millionen im Jahr. Hinzu kommen noch Sponso- Kolloquium in meiner Universität organisiert. rengelder, so daß sich der Etat auf etwa 16,5 Millionen erhöht. ? Wieviel Angestellte gibt es am São Carlos, ich meine, Olaf Zenner: Ich danke herzlich für das Interview. den technischen Stab und die Künstler? Prof. Vieira de Carvalho: Es hat mich sehr gefreut, daß ! Das Opernhaus hat ein Sinfonieorchester, einen Berufs- Sie nach Lissabon gekommen sind und daß Sie das chor, technische Angestellte, aber kein festes Ensemble. Opernhaus São Carlos besucht haben – eine gut erhalte- Doch in Zukunft wird das Opernhaus auch mit Sängern ne historische Opernbühne aus dem Jahr 1793. 12 Informationen aus aller Welt Ein großer Bassist wird siebzig Der in Buir bei Köln geborene Bassist Kurt Moll wur- Faust (Gounod) hörte. Solange ich lebe, werde ich die Schönheit de an der Kölner Musikhochschule zum Sänger aus- dieses Tons nicht vergessen. gebildet und bekam seine erste Di Stefano verdiente sein erstes Geld in Kaffeehäusern, Anstellung bei den Wuppertaler Kirchen und Kinos, erhielt dann eine Ausbildung, muß- Bühnen. Sein tiefgrundiger Baß te aber vor dem Abschluß zum Militär, wo er mit sei- führte ihn rasch nach Bayreuth nem Singen so auffi el, daß man ihn freistellte. Nach dem (1967) als zweiter Gralsritter in Krieg schaffte er es sehr rasch, am Teatro alla Scala zu Wagners . 1970 kam er singen. Schnell kamen auch Schallplattenaufnahmen und nach Salzburg, wo er mit der Rol- sein Debüt am 25. Februar 1948 an der Met mit dem le des Sarastro in Mozarts Zauber- Herzog in Rigoletto. Im folgenden Jahrzehnt sang er oft fl öte debütierte. Diese Rolle – sie mit Maria Callas zusammen und war auch ihr Partner bei wurde seine Paraderolle – sang er auch 1972 an der der Aufnahme von Tosca mit Victor de Sabata, einer der Wiener Staatsoper. Es folgten Schallplattenaufnahmen großartigsten Aufnahmen, die wir von dieser Oper ha- 1984 unter Sir Colin Davis und 1990 unter Sir Georg ben. Niemand blieb ungerührt bei dem Verzweifelungs- Solti mit der Mozartpartie. schmerz von Cavaradossis Arie E lucevan le stelle – und In den vielen Jahren seiner großen Karriere glänzte es glänzten die Sterne mit dem beziehungsreichen Schluß: Kurt Moll wohl im gesamten vorhandenen Baß-Reper- e non ho amato mai tanto la vita – und ich liebte so sehr das toire von Seneca in Claudio Monteverdis Poppea bis hin Leben. zu den Rollen bei Verdi (Philipp II.), Wagner (Daland, Cappella Coloniensis Residenz-Orchester in Essen Hunding, Gurnemanz) und Moussorgski (Boris). Fast Dieses Spezialensemble für Alte Musik wurde 1954 für unübertroffen gestaltete er seinen Graf von Lerchenau den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) durch in Richard Strauss’ Rosenkavalier. Nicht weniger über- Eduard Gröninger gegründet. Man war nämlich auf zeugte er als Liedersänger in Schuberts Winterreise und die Idee gekommen, in den den Loewe-Balladen. Handschriften der Barock- Vielleicht ist er bei uns vor allem als Mozartsänger un- und Klassikzeit nicht nur übertroffen. Seiner Darstellung als Haremswächter Os- Musikwerke der damaligen min in Mozarts Entführung aus dem Serail hat kaum ein Zeit zum heutigen Gebrauch anderer Sänger soviel Komik und Charakter gegeben einzurichten, sondern auch wie Kurt Moll. Am 11. April wurde er siebzig Jahre alt. aus den handschriftlichen Angaben aufführungsprak- Giuseppe di Stefano mit 86 Jahren gestorben tischen Anweisungen zu übernehmen, um so dem Am 2. April dieses Jahres verstarb musikalischen Ausdruck der einer der ganz großen Tenöre un- Werke zum Zeitpunkt ihrer serer Zeit in seinem Haus bei Mai- Entstehung so nahe wie möglich zu kommen. Das auf land an den Folgen eines Überfalls, authentischen Instrumenten spielende Ensemble wurde den er 2004 in seinem Haus in Ke- Wegbereiter der Historischen Aufführungspraxis. Zwischen nia erlitten hatte. Von den schwe- den Jahren 1960 und 1970 war die Cappella auf ausge- ren Verletzungen hat er sich nicht dehnten Welttourneen (Carnegie-Hall, New York, Bun- mehr ganz erholen können. ka-Kaikan-Hall, Tokio, Teatro Colón, Buenos Aires). Der Sizilianer di Stefano war nach Man spielte Rossini-Opern, z.B. Tancredi, La Cenerentola, seinem Auftreten in der Rolle Des L’italiana in Algeri. Viele namhafte Dirigenten leiteten die Grieux in Jules Massenets Manon Cappella, wie u.a. William Christie, John Elliot Gardiner, 1947 an der Mailänder Scala auf der Stelle berühmt. Jür- Gabriele Ferro, Reinhard Goebel, René Jacobs, Sigiswald gen Kesting zitiert in seinem Buch Die großen Sänger des Kuijken oder Hans-Martin Linde. Es gibt mehr als fünf- 20. Jh. den langjährigen Leiter der Metropolitan Opera zig Einspielungen auf CD und mehreren hundert Rund- in New York Rudolf Bing in 5000 Abende in der Oper mit funkaufnahmen. folgenden Worten: Es war ein wirkliches Erlebnis, als ich das Der Westdeutsche Rundfunk (WDR), der als Nachfol- Diminuendo seines hohen C bei Salut, demeure chaste et pure in 13 ger des NWDR die Cappella fünfzig Jahre betreut hatte, Colón, Horacio Sanguinetti, hat in diesem Jahr nur Instrumen- kündigte den Vertrag mit dem Ensemble 2004. Nun hat tal- und Chorkonzerte sowie Ballette angekündigt. Die Wieder- die Cappella Coloniensis eine neue Heimstatt in der Phil- eröffnung soll jedenfalls am 25. Mai 2010 stattfi nden. Es wäre harmonie Essen gefunden, wo sie für fünf Spielzeiten das 102. Jahr der Eröffnung des weltbekannten Opernhauses sechs Konzerte pro Saison geben wird. und der 200. Jahrestag der Unabhängigkeit Argentiniens. Der vom WDR so schnöde aufgegebene Klangkörper Dubai, El-Ain-Musik Festival sollte sich vielleicht auch einen neuen Namen geben: In der Ankündi- Cappella Asnidensis? gung: Das wich- Oper in Norwegens Hauptstadt Oslo tigste Konzert des Die Osloer Opernliebhaber können sich freuen: end- Jahres. Nicht von lich ist ihr lange geplantes Opernhaus, fast im Wasser der Qualität her des Oslofjords gelegen, am 12. April mit einer Gala aus – die war bei die- Konzert, Oper und Ballett eröffnet worden. Auch unse- sem Konzert,- re Kanzlerin Angela Merkel hat sich über fünf Stunden das die Qualität einer Plattenauf- Zaki Nussaibah li und der Präsident des nahme erreichte. Richard-Wagner-Verbandes von Abu Dhabi Auch nicht vom Programm her – ein Potpourri aus Vorspielen zahlreiche Wagner Opern hätte jedes Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. Nein, es geht um die Kombination der Wer- ke und des Ortes: Das erste Konzert ausschließlich mit Werken Richard Wagners auf der arabischen Halbinsel, zusammen mit Königinnen und Kronprinzessinnen so- den Vereinigten Arabischen Emiraten! wie einem Kronprinzen an Opernausschnitten und Bal- Stattgefunden hat es im teuersten Konzertsaal des Landes: letten erfreut. Es gibt Stadtbewohner, die freudestrah- dem Konzertsaal im Emirates Palace Hotel (Baukosten: lend verkünden, daß dieses 500 Millionen Euro teure vier Milliarden Dollar). Der Sächsischen Staatskapelle unter Gebäude die größte kulturelle Leistung Norwegens sei, Chefdirigent Fabio Luisi kann man hier eine Botschafter- seit der Errichtung des Doms zu Trondheim. Dieserart Mission der europäischen Musikkultur und einen erfolgrei- äußerte sich Wolfgang Sandner am 14. April 2008 in der chen Werbeauftritt des Landes Sachsen attestieren. FAZ. Nach seinem Urteil soll auch die Akustik des ein- Das El Ain Musik-Festival, gegründet von musikbe- tausendeinhundert Plätze aufweisenden Operntempels geisterten Bewohnern Abu Dhabis, nahm dabei den gut sein. Richard-Wagner-Verband von Abu Dhabi mit ins Boot. Das vom Architekturbüro Snøhetta geplante Bauwerk Beim Konzert zeigten sich in der ersten Reihe Mitglie- soll für alle Menschen gleichermaßen eine Bereicherung der der Regierung, das deutsche diplomatische Corps sein, so die offi zielle Ankündigung. Wollen wir hoffen, und Wirtschaftsvertreter. daß die Programmgestaltung und die künstlerische Ar- O. Hohlbach beit mit der jetzigen Freude Schritt hält. Faszinierende Sängerin Die Sopranistin Danielle De Niese, bei New York lebend Das Teatro Colón erst 2010 wiedereröffnet und 27 Jahre jung, gelang zu internationalem Ruhm, als sie 2005 in Glyndebourne ihr viel umjubeltes Debüt in David Die argentinischen McVicars Inszenierung von Händels Giulio Cesare (Diri- Opernliebhaber müs- gent: William Christie) gab. Diese DVD sollte jeder Opern- sen noch zwei Jahre liebhaber unbedingt besitzen. Wir auf die schon in die- hörten sie in Ariodante (Händel) als sem Jahr angekündig- Ginevra im Théâtre des Champs- te Wiedereröffnung Élysées. Sie war genauso umwer- warten. Das erste fend wie im Giulio Cesare. Durch Opernhaus von 1857 ihre komische und gleichzeitig ist verschwunden. Das jetzige Haus mit einer als über- emotional tiefgreifende Ausstrah- durchschnittlich gerühmten Akustik wäre 2008 einhun- lung als Schauspielerin, gepaart mit dert Jahre alt geworden. Dazu sollte es mit der auch einer außergewöhnlichen Stimme schon zu seiner Eröffnung 1908 gespielten Oper Aida und Musikalität wird ihr eine spek- von G. Verdi brillieren. Doch Geldknappheit – ausge- takuläre Zukunft vorhergesagt; ihr Exklusiv-Vertrag mit löst durch die zur Zeit herrschende enorme Infl ation dem Label Decca Music Group trägt dazu bei. – zwang zum Aufschub. Der neue Direktor der Teatro 14 Zwei Meldungen von Johann Sebastian Bach (1685-1750) Sensationsmeldung der dargeboten. Aufgrund dieses Fundes kann man anneh- Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg men, daß uns doch noch nicht alle Werke Johann Seb. Freude in der Organistenwelt: zwei Musikwissenschaft- Bachs bekannt sind und wir auf weitere Sensationsfun- ler, Dr. Michael Pacholke und Stephan Blaut, haben die de hoffen können. Abschrift einer Choralfantasie für Orgel aufgefunden. Das Eisenacher Bachhaus: Neues Bachportrait Ihr Titel ist: Wo Gott der Herr nicht bei uns hält. Heutzutage unterwirft man alles einer genauen wissen- Die Universitäts- und Landesbibliothek in Halle hatte schaftlichen Analyse. So kürzlich einen Teilnachlaß des Leipziger Thomaskantors gibt es seit dem 21. März Wilhelm Rust (1822-1892) 2008 im Eisenacher Bach- ersteigert. Als man die Ab- hauses eine Sonderaus- schriften von Rust in Au- stellung mit dem Titel: genschein nahm, fi el ein Bach im Spiegel der Medizin. Stück von Bach auf, von Die schottische Gerichts- dem bisher nur fünf Takte medizinerin Dr. Caroline bekannt waren. Wilhelm Wilkinson hat nach Ori- Rust war seit 1855 Her- ginal-Schädelmaßen das ausgeber der ersten Bach- Gesicht Johann Sebastian Gesamtausgabe. Das rekonstruieter Portrait von J.S. Bach Bachs rekonstruiert. Otto Jahn, der die erste wis- Doch niemand kann sicher sein, daß es sich um Bachs au- Erste Seite der Choralfantasie senschaftliche Mozart bio- thentisches Portrait handelt. In der spannenden Geschichte graphie schrieb (diese wurde von Bachs Tod im Jahr 1750 und der Suche nach seinen Ge- später von Hermann Abert neu herausgegeben), hatte Rust beinen bleiben einige Unsicherheiten. Kein Zweifel besteht für die Gesamtausgabe als Mitarbeiter gewonnen. daran, daß Frau Dr. Wilkinson mit großer Genauigkeit den Rusts Arbeiten an der Bachausgabe wurde für ein hal- Bachschen Schädel mit Laser und Computer abgemessen bes Jahrhundert das Muster kritischer musikalischer und danach das Computerbild erstellt hat. Editionen. Er hatte die philologische Methode aus Man wußte, daß Johann Sebastian am 28. Juli 1750 in Jahns klassischer Altertumswissenschaft übernommen. einem Eichensarg beerdigt worden war. Doch die Grab- Otto Jahn war kein Musik-, sondern Altertumswissen- stelle wurde vergessen. Wegen einer Erweiterung der schaftler und hatte zuletzt in Bonn den Lehrstuhl für Johanniskirche wurde 1894, 54 Jahre nach Bachs Tod, Archäologie inne. Rust fertigte die Abschrift der Choral- auf deren Gräberfeld gegraben. Dabei fand der da- fantasie 1877 an. Die beiden Musikwissenschaftler prüf- malige Pastor Transchel zusammen mit dem Leipziger ten genauestens die Herkunft der Quelle, die Rust als Anatomieprofessor Hiss drei Eichensärge. In einem der Vorlage gedient hatte. Danach legte man die Abschrift Eichensärge lag eine Frauenleiche, im zweiten Sarg eine noch weiteren Musikwissenschaftlern vor: Professor Dr. männliche Leiche mit zerquetschtem Schädel, im drit- Hans-Joachim Schulze und Dr. Peter Wollny vom Bach- ten fand man einen Schädel, dessen Untergebiß mit den Archiv Leipzig konnten die Komposition zweifelsfrei als bekannten Bachgemälden übereinstimmte. Daher nahm Werk Johann Sebastian Bachs bestimmen. man an, Johann Sebastians Schädel aufgefunden zu ha- Die Choralfantasie ist für zwei Manuale und Pedal ge- ben. Unter Berücksichtigung der Gesichtsweichteile schrieben und wohl – was man aufgrund besonderer fertigte der Leipziger Bildhauer Carl Seffner daraus das Schreibweisen erkannte - zwischen 1705-1710 von Bach bekannte Bachdenkmal vor der Leipziger Thomaskir- komponiert worden. Bis zur Auffi ndung der Abschrift che. Die Quellenlage ist also nicht ganz so eindeutig, so kannte man von Bach nur die Choralfantasie Christ lag daß man ruhig skeptisch bleiben kann, das echte Abbild in Todesbanden (BWV 718). Die Form einer Choralfan- Johann Sebastians würde uns in der neuen Darstellung tasie hatte Bach bei Dieterich Buxtehude gelernt. Die ansehen. Das neue Bachportrait überzeugt vielleicht aufgefundene Choralfantasie wird erstmals bei den auch nicht jeden. Man vermutet dahinter eher einen Händelfestspielen am 10. Juni 2008 um 18 Uhr in der Ringer als das Gesicht eines der größten musikalischen Marktkirche zu Halle öffentlich von Martin Haselböck Genies. O. Zenner 15 Opernaufführungen im Ausland Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten London, Covent Garden Salome von Richard Strauss, Drama in einem Akt, Libretto: Hedwig Lachmanns zurück. Schließlich wird ihr das Haupt Jochanaans auf Übersetzung des Dramas Salomé (1891) von Oscar Wilde, redigiert von einer Silberschüssel präsentiert. Ganz außer sich küßt sie Richard Strauss. UA: 9. Dezember 1905, Hofoper Dresden ekstatisch den Mund des abgeschlagenen Kopfes. Dar- Regie: David McVicar, Bühnenbild: Es Devlin, Licht: Wolfgang Göbbel, Video: Leo Warner und Mark Grimmer auf läßt Herodes sie umbringen. Dirigent: Philippe Jordan, Orchestra Royal Opera House Aufführung Solisten: Thomas Moser (Herodes), Michaela Schuster (Herodias), Nadja Michael (Salome), Michael Volle (Jochanaan), Joseph Kaiser In drei ineinander übergehenden Räumen, die an eine (Narraboth), Daniela Sindram (Page), Adrian Thompson, Martyn Schlächterei (s. Abb.) erinnern, sieht man ein an den Bei- Hill, Hubert Francis, Ji-Min Park, Jeremy White (Juden), Iain Pater- nen aufgehängtes Schwein mit abgeschlagenem Kopf. son, Julian Tovey (Nazarener), Vuyani Mlinde (ein Kappadozier) Einige Soldaten mit Gewehren bewachen einen in den Besuchte Aufführung: 8. März 2008 (Premiere: 21. Februar 2008) Boden gelassenen Rost, aus dem Jochanaans Verwün- Kurzinhalt schungen schallen. Zwei Frauen, die eine in Unter- Die Oper beginnt mit einem Geburtstagsfest im Königspa- wäsche, die andere völlig nackt, dienten offenbar den last. Herodias Tochter Salome hat die Festgesellschaft ihres Soldaten zur Lustbefriedigung. Sie ziehen sich langsam Stiefvaters Herodes aus Langeweile verlassen und kommt in an. Wie Strauss es vorschreibt, schreitet über eine ge- den Palastkeller zu den Soldaten. Diese bewachen Jochanaan, schwungene Treppe rechts Prinzessin Salome in einem der in einer Zisterne gefangen gehalten wird. Die Stimme von engen Abendkleid herab. Jochanaan hört man aus einem Gitter, das die Bei Salomes Tanz Zisterne verschließt. Er wird dem Zuschau- verwünscht das ehebre- er die Illusion ver- cherische Verhalten von mittelt (wohl Video- Herodias und Herodes, kunststück), daß sie denn Herodes hatte durch sieben Pfor- die Frau seines Bruders ten hindurchtanzt. Philipp geheiratet. Von Die Räume hinter Jochanaans Stimme er- den Pforten sind regt, zwingt Salome die allesamt leer, nur Soldaten, ihr diesen trotz einmal steht darin des strikten königlichen ein ovaler Spiegel. Verbots vorzuführen. Dann fi ndet Salo- Seine ungeschlachte Art, me auf einem Klei- sein wildes Aussehen, derständer ein wei- seine verfi lzten Haare ßes Abendkleid (ist Michael Volle (Jochanaan) li, Joseph Kaiser (Narraboth) mitte, es ein Hochzeits- reizen Salome noch mehr: Nadja Michael (Salome) re sie gerät geradezu in eine kleid?). Sie streift es Obsession. Sie berührt ihn, streift mit den Händen durch seine sich über, dreht ekstatische Pirouetten und tanzt schließ- Haare und will ihn schließlich küssen. Doch Jochanaan weist sie bru- lich Walzer mit Herodes. Am Ende sehen wir wieder tal zurück und wird in sein Erdloch zurückgeworfen. den gefl iesten Keller, worin sich dann das schreckliche Finale mit Jochanaans und ihrem eigenen Tod ereignet. Von der Terrasse herunter kommen ihr Stiefvater, ihre Mutter Herodias und die Festgäste in das Kellergeschoß. Sänger Herodes ist so sehr vernarrt in seine Stieftochter, daß er Nadja Michael (Salome) ist bestürzend wirklichkeitsnah, sie bittet, für ihn zu tanzen. Als sie sich weigert, schwört dabei mitreißend und abstoßend zugleich – wie es ihre er, ihr alle seine Schätze und sogar die Hälfte seines Kö- Rolle erfordert. Ihr Sopran ist lyrisch, schrill und – beim nigsreichs zu geben. Endlich tanzt sie. Danach fordert sie Fordern des Hauptes von Jochanaan – dunkel belegt, den Kopf des Jochanaan. Ihre Mutter ist darüber entzückt. so daß das sechsmal geäußerte Fordern von Jochana- Brüsk weist Salome alle Kleinodien, die Herodes ihr bietet, ans Tod in den verschiedenen Tonarten wohl bei jedem

16 Zuschauer ein Frösteln hervorruft. David McVicar ver- Außerordentlich gekonnt gestalten die fünf Juden ihr steht es ungemein eindrucksvoll, diese verwöhnte und Gezänk, ob Jochanaan Gott gesehen habe oder nicht. schließlich übergeschnappte junge Frau ihrer Rolle ge- Dieses kompositorische Meisterstück, an Kakophonie mäß zu führen. Mit wachsender Spannung verfolgt man mit den übereinander getürmten verschiedenen Tonar- ihre perverse Erotik, die schließlich in den nekrophilen ten (Bitonalität) für die damalige Zeit (1905) ungeheu- Küssen des abgeschlagenen Kopfes kulminiert. Eine er neu, wird auch hier auf der Bühne meisterhaft dar- kolossale schauspielerische und sängerische Leistung! gestellt. Alle anderen Sänger, voran natürlich Thomas Michael Volle (Jochanaan) stellt den vitalen Propheten mit Moser (Herodes) und Michaela Schuster (Herodias), den verfi lzten langen Haupthaaren, dessen Gesicht und sind auf gleichem sängerischen Niveau wie die beiden Kutte nur so vor Schmutz starren, vollendet dar. Die ruhi- Hauptdarsteller. gen Prophetien über den Erretter der Welt, die als einzige Das Riesenorchester begleitet allermeist gut, ohne sich – wie es Musik in geordneten Harmonien unser Ohr treffen, bringt leider oft geschieht – allzuviel vordergründig aufzuspielen. er mit seinem grundigen Bariton ungemein überzeugend Fazit heraus. Salomes unmißverständliche Annäherungen und seine brutale Zurückweisung gestaltet er so plastisch, daß Eine umwerfende, nervenaufreizende, gleichzeitig anzie- man keines seiner Worte zu verstehen braucht, um den- hende und abstoßende Aufführung, so wie Strauss sich noch alle Aktionen sofort richtig zu deuten. Doch Volle auch einmal schriftlich dazu geäußert hat. Salomes Tanz prononciert dennoch so deutlich – im Gegensatz zu Nadja mit dem Durchschreiten der sieben Pforten ist eine in Michael – daß der spannungsgeladene Handlungsablauf der heutigen Regie- und Bühnengestaltung ganz unge- eine fast unerträgliche Intensität erreicht. öhnliche geistige Leistung. O. Zenner Bild: Clive Barda

London, Covent Garden Carmen von Georges Bizet, Opéra comique in vier Akten, Text: Henri Meil- singt ihre Philosophie der Liebe als Ode an die Freiheit: hac und Ludovic Halévy nach einer Novelle von Prosper Mérimée; L‘amour est un oiseau rebelle. Gleichwohl fi ndet sie Interesse Uraufführung: 3. März 1875, Paris; Regie: Francesca Zambello, Designs: Tanya McCallin, Choreographie: Arthur Pita, Licht: Paule an Don José, einem Unteroffi zier der Wachsoldaten, der Constable, Dirigent: Daniel Oren, Orchester und Chor des Royal gedankenverloren und desinteressiert ihr Spiel beobach- Opera House, Chorleitung: Renato Belsadonna tet. Es gelingt ihr jedoch, seine Gefühle zu erwecken und Solisten: Nancy Fabiola Herrera (Carmen), Marcelo Álvarez Don José behält die von ihr zugeworfene Rose. (Don José), Kyle Ketelsen (Escamillo), Susan Gritton (Micaë- la), Alan Ewing (Zuniga), Jacques Imbrailo (Moralès), Elena Ein Tumult entsteht in der Fabrik und Wachsoldaten Xanthoudakis (Frasquita) Monika-Evelin Liiv (Mercédès) u.a. unter Don José versuchen, Ordnung zu schaffen. Car- Besuchte Aufführung: 28.3.2008 (Premiere: 8.12.2006, Wiederaufnahme 25.3.2008) Kurzinhalt Ein Platz im Sevilla des 19. Jahrhunderts: Gelangweilt amüsieren sich Wach- soldaten über die lokale Bevölkerung. Nach der feierlichen Wachablösung ist der Pausenfl irt mit den Mädchen der gegenüber- liegenden Tabakfabrik die Hauptattraktion der Soldaten. Carmen, eine Zigeunerin, die auch dort arbeitet, ist die Begehrtes- te unter ihnen. Doch sie gibt sich kühl und unnahbar: sie be-

Nancy Fabiola Herrera, als Carmen in der Mitte der Tanzenden 17 men wird für schuldig befunden, einen Messerkampf reichlich vielen Banderilleros und Picadores sowie einer entfacht zu haben. Stolz und widerspenstig lehnt sie ab, waschechten Madonna entschädigte jedoch letzten En- den Vorfall zu kommentieren. Sie bleibt unter der Obhut des für vieles. Don Josés, um ins Gefängnis abgeführt zu werden. Al- Eine illustre Schar von Solisten bot hohen musikalischen lein mit ihm gesteht sie ihm ihre Liebe. Don José erlaubt Genuß auf breiter Basis. Allen voran der Argentinier ihr die Flucht und wird nun selbst gefangen gesetzt. Marcelo Álvarez, der sich selbst und der Rolle des Don Nach seiner Freilassung wartet Carmen auf Don José José mit seinem vollen klaren Tenor wahrhaft gerecht in der Kneipe von Lillas Pastia, einem Treffpunkt der wurde, und Susan Gritton, die als Micaëla mit ihrem Schmuggler, zu denen auch Carmen gehört. Während wunderschönen klaren Sopran überraschte. Insbeson- sie wartet, erscheint der erfolgreiche Stierkämpfer Esca- dere im Duett mit Álvarez (José) Parle-moi de ma mère! millo und läßt sich feiern. Er fl irtet auch mit Carmen, klangen die beiden fast unwirklich. Auch Kyle Ketelsen doch sie widersteht ihm, nicht zuletzt aus Dankbarkeit (Escamillo) überzeugte stimmlich und mit durchaus spa- gegenüber Don José. Als dieser endlich in der Schenke nischer Matadorarroganz. Nancy Fabiola Herrera sang erscheint, ist es schon spät. Das Wiedersehen der Lie- eine durchaus akzeptable, jedoch schauspielerisch und benden wird vom Zapfenstreich überrascht, und ein gesanglich wenig überraschende Carmen. Streit entsteht, als Don José zur Kaserne zurückkehren Daniel Oren dirigierte das gewohnt präzise Orchester will. Als nun auch noch der Carmen nachstellende Leut- des Royal Opera House so schnell, daß man sich fragte, nant Zuniga, Don Josés Vorgesetzter, erscheint, wird ob er nach der Aufführung vielleicht noch ein Flugzeug Don José handgreifl ich. Es gibt nun keinen Weg zurück, erreichen mußte. Die Chöre brillierten in ihrer hohen er schließt sich den Schmugglern an. Qualität. Insgesamt ein schöner Abend, insbesondere Im Schmugglerlager wird Carmen Don Josés zuneh- musikalisch. mend überdrüssig, spürt jedoch das herbeinahende D. Zenner Unglück und auch das Befragen der Karten prophezeit Bild: Catherine Ashmore ihren baldigen Tod. Escamillo, der Carmen ins Lager gefolgt ist, wird vom wachhabenden Don José entdeckt und eifersüchtig in einen Messerkampf verwickelt. Car- Lüttich (Liège), Opéra Royal de Wallonie men und die Schmuggler trennen die beiden und Car- Maria Stuarda men folgt einer Einladung Escamillos zum Stierkampf von Gaëtano Donizetti, lyrische Tragödie in zwei Akten nach Sevilla. Trotz Escamillos Triumph in Sevilla bleibt Libretto: Giuseppe Bardari, Vorlage: Maria Stuart von Friedrich von Carmen allein vor der Stierkampfarena. Don José war Schiller, UA: 30. Dezember 1835, Mailand, Teatro alla Scala ihr heimlich nach Sevilla gefolgt und erreicht sie noch Regie/Kostüme: Francesco Esposito, Bühnenbild: Italo Grassi, vor der Arena. Stolz und standhaft widersteht Carmen Licht: Daniele Naldi; Dirigent: Luciano Acocella, Orchester und Chor der Opéra de Wallonie seinen Annäherungen. Darüber gerät José so in Wut, Solisten: Patrizia Ciofì (Maria Stuarda, Königin von Schottland), Mari- daß er sie ersticht. anna Pizzolato (Elisabeth, Königin von England), Diana Axentil (Anna Aufführung Kennedy), Danilo Formaggia (Roberto, Graf von Leicester), Frederico Sacchi (Graf Giorgio Talbot ), Mario Cassi (Lord Guglielmo Cecil) Francesca Zambellos Inszenierung ist ein Traum in Besuchte Aufführung: 30. April 2008 (Premiere) Orange; manchmal funktioniert er und manchmal Lüttich liegt etwa 100 km von Köln entfernt und ist eine nicht. Eine Bühne aus runden, orangenen Einzelteilen, Stadt in der wirtschaftlich aufstrebenden belgischen Pro- die konkav zur Zigarrettenfabrik und konvex zur Stier- vinz Wallonie. Es hat ein mäßig subventioniertes Opern- kampfarena ausgerichtet sind. Ein wunderschöner erster haus. Seit Jahren gibt es ausgezeichnete Opern wie z.B. Akt mit Zitronenbaum, freilaufenden Hühnern und viel Le Roi d’Ys von E. Lalo oder Die heimliche Ehe von D. sonstigem Detail wurde kontrastiert von einer enttäu- Cimarosa in der laufenden Saison und in der nächsten schenden Lillas Pastia Kneipe: die Schenkenatmosphäre Spielzeit – unter neun Premieren – Paride ed Elena von der Schmuggler zeigte einen zu nüchternen Kontrast der Ch. W. Gluck (7.10.08) oder Fra Diavolo (24.4.09) von schlichten Holztische vor orangefarbenem Hintergrund. D.F.E. Auber. Was aber noch mehr ins Gewicht fällt ist Da half auch keine noch so ansprechende Beleuchtung. die Sängerauswahl bei übrigens ausgezeichneten Insze- Die Wechselhaftigkeit der Inszenierung spiegelte sich nierungen. Unter der Sängerschar hat die Intendanz der auch in der Choreographie (Artur Pita) wieder. Der per- Oper für die Belcanto-Oper Maria Stuarda wohl die bes- fekt abgestimmte parallele Wachwechsel von Soldaten ten ausgewählt: Patricia Ciofì und Marianna Pizzolato. und Kindern im ersten Akt war ästhetisch und passend. Kurzinhalt Hingegen wirkt die Eröffnungsszene des zweiten Ak- Die berühmte Fehde zwischen der katholischen Königin tes hilfl os und das Zigeunerchanson Les tringles des sis- von Schottland und der protestantischen englischen Kö- tres tintaient gestampft und plump. Der vierte Akt mit nigin hat Schiller in seinem Drama nacherzählt, das dem dem festlichen Einzug Escamillos und Blütenregen, mit Librettist in der Übersetzung von Andrea Maffei vorlag. 18 Durch einen Aufstand in Schottland mußte Maria Stuart Maß, das Honoré de Balzac in seiner Novelle Massimilla fl üchten. Sie begab sich in die Obhut von Königin Eli- Doni in unnachahmlicher Weise folgendermaßen andeu- sabeth, die sie aber auf Schloß Fotheringhay gefangen tet: Die Koloratur [im Belcanto] ist die höchste Ausdrucksform setzte. der Kunst, sie ist die Arabeske, die das schönste Gemach in der Dies ist der Hintergrund der Oper, die im Todesjahr der ganzen Wohnung ziert: ein wenig darunter, und wir haben nichts, schottischen Königin 1587 spielt. Beide Königinnen sind ein wenig mehr und alles ist verwirrt. in Graf Roberto Leicester verliebt, der Maria bevorzugt. Patrizia Ciofì als Maria Stuarda muß ja mit ihren Arien Ziemlich bald steht für Elisabeth fest, daß sie ihre Kusi- fast den gesamten dritten Akt gestalten. Das erfordert ne aus dem Weg räumen muß, da Maria auch Anspruch ungemein viel Ausdauer, kluge Atemtechnik, abgewo- auf den englischen Thron hat. Die Zuneigung Robertos genen Stimmeinsatz. Und sie muß die abenteuerlichsten zu Maria beschleunigt ihren Entschluß zum Tod ihrer Koloraturen gestalten, mal mit einem Fortissimo, mal mit Widersacherin durch das Beil. einem Pianissimo oder der Messa di voce, dem Schwell- Diese handlungsarme Oper, deren Reichtum auf der ton, in der Tiefe wie in der Höhe. Mühelos schaffte sie die Spiegelung der Charaktere und seelischen Verfassun- hohen, über dem Chor liegenden Töne. Sie traf die Töne gen der beiden Protagonistinnen beruht, hat Donizetti auch weit auseinander liegender Intervalle messerscharf. mit überreichem Belcanto ausgestattet. Die Musik spielt Nie war ihre Stimme – etwa in der Höhenlage – schnei- hier womöglich noch eine größere Rolle als in seinen dend, stets war sie lyrisch und ungemein angenehm zu sonstigen Opern. Donizetti hat es gewagt, zwei Sopran- hören. Nie verlor ihre Stimme die Spannung. Alles war stimmen die musikalisch ungemein ausgewogen. Bei Marianna Piz- Hauptlast zolato (Eli- der Oper an- sabeth), die zuvertrauen. eigentlich Doch die eine hohe großange- Mezzosop- legten Arien ranistin ist, und Duette konnte man geben erst Ähnliches die wirkliche beobach- psycholo- ten. Sie war gische Be- besonders findlichkeit in den Du- der beiden etten über- Königinnen zeugend. wieder. Der Danilo For- Erfolg hängt maggia (Ro- nur von der berto Lei- cester) sang Stimmqua- Elisabeth (Marianna Pizzolato) li, bedroht Maria Stuarda (Patrizia Cofì) re lität der Sängerinnen in seine Partie den Rollen von Maria und Elisabeth ab. deutlich prononciert und hatte einen bewundernswer- ten Registerwechsel, d.h. unmerklich wechselte er von Aufführung der Brust- in die Kopfstimme. Dies gelang dem Lütticher Team über alle Maßen! Beson- Die Nebenrollen waren genauso gut besetzt. Hier gefi el ders sind die Personenführung und die prächtigen Kos- mir besonders Diana Axentil als Anna Kennedy mit ih- tüme der damaligen Zeit durch den Regisseur Francesco rem lyrischen Mezzo und ihrer deutlichen Aussprache. Esposito (für Regie und Kostüme verantwortlich) her- vorzuheben: Die Sängerinnen und Sänger bewegten sich Die Aufführung ist eine Übernahme aus Bergamo und so lebendig, daß man die Handlung, auch ohne die Wor- Rom aus dem Jahre 2006. In Rom sah ich die Auffüh- te im einzelnen zu verstehen, mitverfolgen kann. Neu- rung mit der großartigen Sängerin Daniella Devia, die erdings werden die Übertitel auch in Deutsch angezeigt, damals am 25. März 2006 frenetisch gefeiert wurde was wir sicher als Erleichterung wahrnehmen. (s. Operapoint 2006, Heft 2). Hier in Lüttich sind die Opernbesucher zurückhaltender. Aber das disziplinierte Ein solches Stimmenpaar mit Patrizia Ciofì (Maria Stu- Publikum gab allen Sängern, natürlich besonders Ciofì und arda) und Marianna Pizzolato (Elisabeth), ergänzt durch Pizzolato, zum Schluß lang anhaltende Klatschsalven. Danilo Formaggia (Roberto Leicester), der durchaus ebenbürtig sang, fi ndet man wahrlich nicht alle Tage! O. Zenner Die beiden exquisiten Sängerinnen fanden das rechte Bild: Jack Croisier 19 New York, Metropolitan Opera lich Auftritte aus dem Bühnenboden heraus, was spätes- tens im zweiten Akt regelrecht ermüdete. von , Oper in drei Akten, Text vom Komponisten; Die gesamte große Liebesszene im zweiten Akt fand vor UA: 1865 München; Regie: Dieter Dorn, Bühnenbild/Kostüm: Jür- einem stark weiß-grünlich beleuchteten Hintergrund gen Rose, Licht: Max Keller; Dirigent: James Levine; Solisten: John Mac Master (Tristan), Deborah Voigt (Isolde), Michelle DeYoung statt, der von dem Liebespaar lediglich die Umrisse er- (Brangäne), Eike Wim Schulte (Kurwenal), Matti Salminen (Marke), kennen ließ, ohne jegliche Bewegung auf der Bühne, Stephen Gaertner (Melot), Matthew Plenk (Stimme eines jungen und dürfte damit zu den einfallslosesten Inszenierungen Seemanns), Mark Schowalter (Hirt), James Courtney (Steuermann). dieser entscheidenden und immerhin mehr als vierzig Besuchte Vorstellung: 10. März 2008 (Premiere) Minuten dauernden Szene zählen. Einzelne Effekte Kurzinhalt wirkten unfreiwillig komisch und wurden vom Publikum Tristan, der tapferste Held Cornwalls, und Isolde, Prin- dementsprechend auch mit lautem Gelächter quittiert, zessin von Irland, sind füreinander in Liebe entfl ammt. etwa, wenn nach dem Genuß des Liebestrankes die bis Da sie Repräsentanten verfeindeter Länder sind, sind sie dahin in ein kaltes, weißes Licht gehüllte Bühne plötzlich allerdings außerstande, sich ihre Liebe einzugestehen. tiefrot erstrahlte, wenn Isolde während ihrer Erzählung Als Brangäne, die Zofe Isol- im ersten Akt plötzlich mit einer des, ihnen einen Liebestrank kleinen Tristan-Puppe in einem verabreicht, können sie es je- Miniaturboot hantierte, um das doch nicht länger voreinander Erzählte zu illustrieren, und im verheimlichen. dritten Akt Tristans Schloß Ka- Ihre Liebe – Isolde ist Tristans reol – ebenfalls im Spielzeug- Lehnsherrn Marke zur Ehe format und mit kleinen Pferden versprochen – läßt sich jedoch und Rittern dekoriert – aus dem nicht verwirklichen, und so Bühnenboden emporsteigt. beschließen beide, den Tod zu Mit Ausnahme von Matti Sal- wählen, um ihrer unmöglichen minen (Marke), dessen gewal- Situation zu entfl iehen. Tris- tige Bühnenpräsenz auch an tan stürzt sich in das Schwert diesem Abend das Publikum Melots, als beide im Morgen- förmlich hinriß, und der Bay- grauen von Marke und seinem reuth-erprobten Michelle De Hofstaat ertappt werden, und Young (Brangäne) scheiterten wird schwer verletzt. An seiner alle Darsteller an der vom Regis- Wunde siechend erwartet er seur vorgegebenen ausgespro- verzweifelt die Ankunft Isol- chen pathetischen und schwer- des, um den ersehnten Tod fälligen Personenführung. fi nden zu können. Als sie bei Darüber hinaus zeigten sich bei ihm eintrifft, stirbt er. Isolde Deborah Voigt, die an diesem schickt sich in ihrem Schluß- Abend ihr Debüt als Isolde gab, gesang an der Leiche Tristans und John Mac Master (Tristan) an, ihm zu folgen. Der Vorhang fällt. Deborah Voigt (Isolde), li und Michelle DeYoung (Brangäne), re in ihren langen Monologen im ersten und Aufführung dritten Akt teilweise gravierende Mängel in James Levines Vorliebe für breite Tempi ist allgemein der Beherrschung des deutschen Textes. bekannt, doch hält sich mit Ausnahme des dritten Aktes Insbesondere Tristans berüchtigter Fiebermonolog im seine Interpretation in den Grenzen des allgemein Übli- dritten Akt mißlang gründlich, wofür Mac Master vom chen. Die Sänger – John Mac Master sprang an diesem Publikum unbarmherzig ausgebuht wurde. Das war in- Abend für den erkrankten Ben Heppner ein – bieten sofern bedauerlich, als er sich an diesem Abend deutlich ohne Ausnahme musikalisch ein sehr hohes Niveau, unter Wert verkaufte. Seine Gesangstechnik und Nuan- selbst die Nebenrollen waren mit Kräften besetzt, über cierungsfähigkeit, die – für einen Heldentenor völlig un- die sich jedes deutsche Theater freuen würde – vor allem gewöhnlich – sich durchaus mit der eines dramatischen der Kurwenal Eike Wim Schultes ist hier zu nennen –, und Baritons messen kann, kam hier aufgrund seiner textli- dennoch sprang der Funke an diesem Abend nicht über. chen Unsicherheit kaum mehr zur Geltung. Außerdem Das lag zum einen sicherlich an der ausgesprochen bie- erlaubt ihm seine enorme Korpulenz leider nur wenige deren, teilweise sogar naiven Regie. Das Bühnenbild, Bewegungen auf der Bühne. Eine Mischung aus Heiter- von zwei perspektivisch zulaufenden Wänden begrenzt keit und Furcht machte sich breit, als er am Beginn des und stets monochrom beleuchtet, gestattet ausschließ- dritten Aktes auf seinem Krankenbett liegend, das of- fensichtlich nicht für ihn konstruiert war, aufgrund des 20 leichten Gefälles der Bühne immer weiter unaufhaltsam in Richtung Orchestergraben rutschte. Fazit Bis auf wenige Momente herrscht in dieser Inszenie- rung gepfl egte Langeweile vor, auch wenn sich die Regie insgesamt recht eng an die Wagnerschen Regievorgaben hält und die musikalische Leistung von Orchester und Sängern wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Zwar ist man bei dieser Produktion vor unliebsamen Überra- schungen von seiten der Regie sicher, zugleich fehlt es aber der altertümlich anmutenden Personenführung so- wie der Ausstattung und Beleuchtung der Szene an Kon- sequenz, so daß kein überzeugendes Ganzes entsteht. Daher ist diese Produktion nur begrenzt zu empfehlen. Die derzeit in Bremen laufende Tristan-Inszenierung ist, obwohl sie in jeder Hinsicht mit ungleich begrenzteren Mitteln auskommen muß und mit einer ähnlich minima- listischen Personenführung arbeitet, der New Yorker in nahezu allen Punkten vorzuziehen. M. Knust Bild: Ken Howard New York, Metropolitan Opera Peter Grimes von Benjamin Britten (1913-1976), Oper in einem Prolog und drei Patricia Racette (Ellen Orford) und Erikson Akten, Text von Montagu Slater nach einem Gedicht von George Aufführung Crabbe; UA: 1945 London; Regie: John Doyle, Bühnenbild: Scott Pask, Kostüme: Ann Hould Ward, Licht: Peter Mumford Diese rezensierte Aufführung wurde weltweit in Kinos Dirigent: Donald Runnicles, Chor der Metropolitan Opera, Einstudie- in über fünfzehn Ländern live übertragen, was sich, um rung: Donald Palumbo; Solisten: Anthony Dean Griffey (Peter Gri- mes), Patricia Racette (Ellen Orford), Dean Peterson (Hobson), John es vorwegzunehmen, als wahrhafter Glücksgriff erwies. Del Carlo (Swallow), Felicity Palmer (Mrs. Sedley), Jill Grove (Aun- Musikalisch und szenisch bekam das Publikum an die- tie), Greg Fedderly (Bob Boles), Anthony Michaels-Moore (Captain sem Nachmittag Leistungen auf allerhöchstem Niveau Balstrode), Bernard Fitch (Rev. Horace Adams), Leah Partridge u.a. geboten, wofür es sich mit stehenden Ovationen bei Besuchte Vorstellung: 15. März 2008 (Premiere 28. Februar 2008) dem Sänger der Titelpartie und lauten Bravorufen für Kurzinhalt Dirigent und Orchester vor dem zweiten und dritten Akt Das kleine Fischerdorf Borough zu Beginn des 19. Jahr- bedankte, und das völlig zurecht. Donald Runnicles ver- hunderts. Der Fischer Peter Grimes ist angeklagt, den mochte es, wirklich jeden Klang der Britten’schen Par- Tod seines Lehrlings verschuldet zu haben, was ihm je- titur an diesem Abend zum Ereignis werden zu lassen. doch nicht nachzuweisen ist. Die Stimmung im Dorf Es dürfte wohl kaum möglich sein, diese Musik noch wird ihm gegenüber feindseliger, lediglich die Schulmeis- präziser – die gestochen scharfe Phrasierung in Holz- terin Ellen Orford und Captain Balstrode halten noch und Blechbläsern, wie sie für amerikanische Orchester zu ihm. Doch Grimes hat andere Pläne: Seine genaue bezeichnend ist, kam hier voll zur Geltung –, klanglich Kenntnis des Meeres, die ihm stets erfolgreiche Fisch- ausgewogener – auch in den extrem lauten und leisen züge erlaubt, will er ausnutzen, um genug Geld für eine Passagen – und dabei so packend und atmosphärisch sichere Existenz auf dem Lande zu verdienen und Ellen dicht aufzuführen. Dem Zuhörer wurde die Wucht von zu heiraten. Als er einen neuen Lehrling bekommt, führt See und Sturm praktisch physisch erfahrbar, man glaub- er ihn gleich mit größter Strenge in sein Handwerk ein. te förmlich, das Salz in der Luft zu schmecken. Zwar versucht ihn Ellen daran zu hindern, zuviel von Die Sänger boten allesamt hervorragende Leistungen dem Jungen zu verlangen, doch Grimes verliert darüber und klangschöne Stimmen – lediglich Patricia Racette die Fassung und schlägt sie ins Gesicht. Seinen Lehrling (Ellen Orford) bildete aufgrund ihres unangenehm star- scheucht er so unbedacht hinaus, daß dieser die Klip- ken Tremolos eine Ausnahme – und erwiesen sich da- pen hinunterstürzt. Doch nur wenige Tage gelingt ihm rüber hinaus als äußerst versierte Darsteller. Natürlich seine Geheimhaltung vom Tod des Lehrjungen, dann gebührt neben Felicity Palmer (Mrs. Sedley) dem Sänger kommt der rasende Mob wiederum zu seiner Hütte. der Titelpartie, Anthony Dean Griffey, hier das höchste Grimes fl üchtet aufs Meer, setzt die Segel und versenkt Lob, denn seine enorme Bandbreite in der Tongebung, sein Boot in einem aufkommenden Sturm. vom beinahe schon sprechenden Ton bis hin zum lyri- 21 schen, an Peter Pears – für den diese Partie komponiert in eine Bar einlädt. Empört reagiert die Ehefrau, sie wurde – erinnernden, leicht verschleierten Schmelz, schickt ihm ein Telegramm nach Wien und droht ihm paart sich mit einer großen darstellerischen Begabung, die sofortige Scheidung an. Das Telegramm erreicht die dem Publikum diese düstere Figur in ihrer ganzen ihn in einer fröhlichen Skatrunde. Ein Mitspieler, der Widersprüchlichkeit nahebringt. Kapellmeister Stroh, klärt die Verwechslung auf, ihm Bühnenbild, Regie und Kostüme sind halb naturalistisch gilt der Brief, und nicht dem Hofkapellmeister Storch. und greifen sehr geschickt die von der Oper geschilder- Storch schickt den Kapellmeister Stroh sofort zu seiner te, bedrückende dörfl iche Enge auf: Die Handlung spielt Frau Christine. Da klärt sich alles auf. Letztendlich folgt auf engstem Raum, am vorderen Rand der Bühne, der die Versöhnung der Eheleute. „Das nennt man doch durch eine gewaltige Schuppenwand, die sich über die wahrhaftig eine glückliche Ehe.“ volle Höhe und Breite der Bühne erstreckt und keinen Im ersten Aufzug hilft Christine ihrem Mann beim Packen Himmel darüber erkennen läßt, abgegrenzt wird. Die Per- und geht ihm mit ihren ständigen Stimmungswechseln auf sonenführung und Choreographie ist sehr intelligent und die Nerven. Als er endlich abgereist ist, rodelt sie und fährt ökonomisch, nichts, was die musikalische Dramaturgie in einen Skifahrer über den Haufen, der sich als Baron Lum- irgendeiner Form stören würde. Das Publikum blieb, was mer vorstellt. Christine bittet den jungen Mann, sie zu be- für New Yorker Verhältnisse völlig ungewöhnlich ist, bis suchen. Es entsteht ein freundschaftliches Verhältnis. Als zum letzten Ton und sogar noch darüber hinaus auf sei- er sie um tausend Mark anfl eht, ist sofort die Freundschaft nen Plätzen und feierte die Ausführenden. beendet. Dann kommt der bewusste Brief. Fazit Aufführung Man kann der Met nur zu dieser Produktion gratulieren. Strauss bedient sich eines wortgetreuen Parlando-Stiles. Die schon beinahe hypnotische Wirkung von Runnicles’ Erst am Schluß gibt es im Duett Christine/Robert ein Dirigat wird durch die unaufdringliche, kultivierte Regie arioses Aufblühen. Bis dahin beschränkte sich das me- Doyles verstärkt und ergänzt. Ein Muß für jeden New- lodische Element auf die breit angelegten sinfonischen York-Besucher! M. Knust Zwischenspiele. Altmeister Peter Schneider leitete das Bild: Ken Howard Opernorchester umsichtig und sehr transparent. Das Zürich, Opernhaus Sängerensemble präsentierte sich auf gutem bis sehr gutem Niveau. als Hofkapellmeister Storch Intermezzo stach hervor mit seiner sonoren Baritonstimme. Auch von Richard Strauss (1864-1949), Bürgerliche Komödie in zwei Roberto Saccà (Baron Lummer), den wir von der Köl- Aufzügen, Text von Richard Strauss, UA: 4. November 1924 im ner Oper kennen, überzeugte mit seiner hellen, wand- Schauspielhaus Dresden; Regie: Jens-Daniel Herzog, Bühnenbild/ Kostüme: Mathis Neidhardt, Licht: Jürgen Hoffmann, Dramaturgie: lungsfähigen Tenorstimme. (Christine) Stefan Rissi; Dirigent: Peter Schneider, Orchester der Oper Zürich; sang mit ein wenig scharfer Stimme. Solisten: Christiane Kohl (Christine), Florian Voigt (Franzl, ihr Sohn, stumme Rolle), Rod Gilfry (Hofkapellmeister Robert Storch), Mar- Die Übertitelung erfolgte in deutscher Sprache. Das war tina Welschenbach (Anna, ihr Hausmädchen), Roberto Saccà (Ba- sehr angenehm, weil man die Handlung besser verfolgen ron Lummer), Ruben konnte und Drole (Notar), Liuba den trockenen Chuchrova (Notars- Witz des Textes gattin), Volker Vogel (Kapellmeister Stroh), verstand. Die Krešimir Strašanac Inszenierung (Kommerzienrat), Mor- von Jens-Daniel gan Moody (Justizrat), Herzog war Pavel Daniluk (Kam- mersänger), Felicitas wohltuend am Heyerick (Marie), Be- Werk orientiert. suchte Aufführung: 13. Die Drehbüh- März 2008 (Premiere 9. ne blieb leer bis März 2008) auf wenige Re- Kurzinhalt quisiten, so war Eine Verwechs- viel Platz für lung wird fein aus- die vergnüglich gesponnen. Die Christine (Christiane Kohl) und Baron Lummer (Roberto Saccà) beim Rodelunfall schauspielern- Ehefrau Christine des den Sänger und Sänge- Hofkapellmeisters fi ndet in der Post ihres Mannes einen rinnen sowie für die muntere Statisterie. Das Publikum Brief, in dem eine gewisse Mieze Mayer ihren „lieben dankte mit lang anhaltendem Beifall. Schatz“ um zwei Opernkarten bittet und ihn nachher P. Sinkwitz Bild: Suzanne Schwiertz 22 Opernaufführungen in Deutschland Rezensionen in alphabetischer Ordnung nach Städten

Aachen, Stadttheater Maddalena erliegt dem Charme des Herzogs und überre- Rigoletto det ihren Bruder, diesen zu verschonen und statt dessen von Giuseppe Verdi, Oper in drei Akten, Libretto: Francesco Maria den nächsten Besucher der Gaststätte zu ermorden und Piave; UA: 11. März 1851, Venedig Regie: Ewa Teilmans, Bühnenbild: Elisabeth Pedross als Opfer auszugeben. Gilda hat die Unterhaltung ange- Dirigent: Daniel Jakobi, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor hört und spielt den nächsten Besucher der Gaststätte. Ri- Jean François Borras (Herzog von Mantua), Igor Morosow (Rigolet- goletto muß mit Erschrecken feststellen, daß der Sack, to), Michaela Maria Mayer (Gilda), Woong-jo Choi (Graf von Mon- der ihm von Sparafucile übergeben wurde, nicht den terone), Johannes Piorek (Graf von Ceprano), Martin Berner (Ma- toten Herzog, sondern seine sterbende Tochter enthält. rullo), Andreas Joost (Matteo Borsa), Pawel Lawreszuk (Sparafucile), Iva Danova (Maddalena), Anne Lafeber (Giovanna). Damit hat sich der Fluch Monterones erfüllt. Besuchte Aufführung: 16.02.2008 Aufführung Kurzinhalt Die ständig wechselnden Schauplätze wurden durch Rigoletto, Hofnarr des Herzogs von Mantua, verhöhnt eine bemalte Leinwandkonstruktion aufgegriffen, die auf einem Fest den Grafen Monterone, weil dieser sei- sich drehen ließ. Zu Beginn zeigte diese das Innere einer ne Tochter Gilda geschändet hatte. Monterone verfl ucht Palasthalle in Olivtönen, später die Palastmauern in gelb ihn. Rigoletto kehrt zu seiner Tochter Gilda nach Hause und violett. Auch Kostüme und Lichteffekte blieben in zurück. Sie ist sein ganzer Lebensinhalt. Daher versteckt dem Farbenspektrum. Die Hofdamen trugen violette er sie vor dem Hof. .Er weiß jedoch nicht, daß Gilda Ballkleider, die Herren hatten schwarze Fracks an und schon längst das Objekt der Begierde des Herzogs ist. In hielten Gehstöcke. seiner Abwesenheit sucht der Herzog Gilda, um sie zu Zwei Welten wur- verführen, wird aber den hier kunstvoll kurz vor dem Ziel von in Szene gesetzt: Rigolettos Rückkehr die an Spaß orien- unterbrochen. Kurz tierte Hofgesell- darauf rächt sich die schaft auf der einen Hofgesellschaft an Ri- und die bürgerliche goletto, indem sie Gil- Beschränktheit auf da entführt. der anderen Sei- Der Herzog erfährt te. Die Höfl inge von den Entführern, wurden schauspie- daß Gilda sich durch lerisch vor allem einen glücklichen Zu- durch Andreas fall im Palast befi n- Joost (Matteo Bor- det und verführt sie. sa) und Martin Währenddessen for- Der Graf von Monterone (Woong-jo Choi, rechts) stört die heitere Festgesellschaft des Her- Berner (Marullo) dert Rigoletto von den zogs (Yikun Chung, links) und wird von Rigoletto (Igor Morosow, Mitte) verhöhnt. vertreten. Beide Höfl ingen die Heraus- stellten ihre Rolle gabe seiner Tochter, doch die Höfl inge weiden sich an durch ihre sexistischen Anspielungen sehr überzeugend Rigolettos Schmerz. Gilda erscheint. Voller Scham er- dar. Hier ist auch Jean François Borras (Herzog von zählt sie ihrem Vater die Wahrheit über ihre heimliche Mantua) zu erwähnen, der mit seinem strahlenden Tenor Liebe. Obwohl sie der Herzog betrogen hat, will sie ihm der Rolle sehr viel Aristokratisches verlieh, von seinem verzeihen. Doch Rigoletto will nur noch Rache nehmen äußeren Erscheinungsbild einmal abgesehen, das weni- an dem Mann, der seine Tochter entehrt hat. Er heuert ger zu einem jugendlichen Frauenhelden paßte. den Berufsmörder Sparafucile an, den Herzog zu ermor- Die bürgerliche Welt, vertreten von Igor Morosow (Ri- den. Vorher will er Gilda aber beweisen, daß ihr Geliebter goletto) und Michaela Maria Mayer (Gilda), spielte den in Wahrheit ein treuloser Herzensbrecher ist. Er zwingt Gegenpart. Morosows kräftige Baritonstimme verlieh sie anzusehen, wie der Herzog in einem Gasthof mit dem vom Haß und Schmerz zerfressenen Narren viel Maddalena, der Schwester Sparafuciles fl irtet. Aber auch Nachdruck, doch als liebevoller Vater war die Stimme 23 weich und sanft. Mayer (Rollendebüt als Gilda) war trifft wenig später auf Euridice. Er ergreift ihre Hand dafür wie geschaffen; denn ihr lyrischer Sopran paßte und fordert sie auf, ihm schweigend zu folgen. Dabei gut zu der mädchenhaften Unschuld Gildas. Mit ihrem schaut er sie nicht an. Euridice ist verwirrt und deutet Aussehen (gelockte, blonde, lange Haare, schlanke Fi- sein distanziertes Verhalten als Gleichgültigkeit ihr ge- gur) entsprach sie dem Bild einer Frau mit den Zügen genüber. Als sie ihn immer intensiver anfl eht, sieht er sie eines Engels voll und ganz. Woon-Jo Choi (Montero- an. Gleich darauf stirbt Euridice. Aus Verzweifl ung will ne) brachte durch seinen kurzen, aber eindrucksvollen Orfeo ebenfalls sterben. Aber auch hier hat Amor Mit- Auftritt den Saal mit seinem schmetternden Baßbariton leid mit ihm und verhindert dies. Er erweckt Euridice zum Erbeben. wieder zum Leben und schickt das Paar zurück auf die Nicht zuletzt sollte hier die Leistung des Orchesters er- Erde. In freudiger Stimmung wird der Triumph des Lie- wähnt werden, das von Daniel Jakobi dirigiert wurde. besgottes gefeiert. Die Stimmungswechsel in Verdis Musik – von Erhei- Vorbemerkung terung am Anfang bis Erschütterung ganz zum Schluß Bei dieser Oper handelt es sich um ein besonderes – wurden gut umgesetzt. Werk im Schaffen Glucks. Sie stellt den Versuch einer Das ausverkaufte Haus war tief beeindruckt. Am Ende er- Synthese von Opera seria und der französischen Tragédie hob sich das Publikum sogar von den Sitzen, wobei Michae- lyrique dar. Daher hat Gluck die Oper sowohl in italie- la Maria Meyer hier den stürmischsten Applaus einheimste. nischer, als auch in französischer Sprache geschrieben. Fazit Damit bricht Gluck mit der Operntradition des frühen 18. Jahrhunderts, indem er deren Künstlichkeit bzgl. der Die Aachener Inszenierung ist eine sehr originalgetreue ausgedehnten Koloraturarien ablehnt. Statt dessen be- Umsetzung der Oper Verdis. Man fühlte sich miteinbe- sticht diese Opernform durch Einfachheit und gerad- zogen in das Geschehen, das dank der brillanten Beset- linige Handlung. Leider lieferte das Programmheft des zung und der großartigen musikalischen Leistung allen Opernhauses wenig Informationen über diese Beson- Ansprüchen gerecht wurde. M. Joannidis derheiten der Gluckschen Oper. Bild: Ludwig Koerfer Aufführung Die Inszenierung rückte die Musik ganz in den Vorder- Aachen, Theater grund. Dies geschah vor allem durch eine sehr schlichte Orfeo ed Euridice – Opheus und Euridice Optik von Bühnenbild und Kostümen. von Christoph Willibald Gluck, Oper in drei Akten, in italienischer Im ersten Akt blieb die Bühne, abgesehen von einer Sprache, Libretto: Ranieri de Calzabigi, UA: 5. Oktober 1762, Wien Treppe und einem Messer als Requisite, leer. Auf eine Regie: Martin Philipp, Bühnenbild: Detlev Beaujean schwarze Wand (als Ersatz für einen roten Vorhang) Dirigent: Volker Hiemeyer, Sinfonieorchester Aachen, Opernchor, Solisten: Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice), Soo- wurde ein Film projiziert. Er zeigte die beiden Haupt- Jin Park (Amor); Besuchte Aufführung: 13.4.2008 (Premiere) darsteller glücklich als Paar vereint. Im zweiten Akt hob sich die schwarze Wand und enthüllte eine erhöhte Kon- Kurzinhalt struktion, die die Höllenatmosphäre sehr beeindruckend Während Orfeo den Tod seiner Gattin Euridice betrau- vermittelte. Kleine Figuren, die auf eine Walze gesteckt ert, erscheint Gott Amor. Er bietet ihm an, in die Unter- waren und sich um ihre eigene Achse drehten, stellten welt zu reisen, um Euridice zurück ins Leben zu holen. die Furien dar. Die Szene im Elysium wurde aufgegrif- Einzige Bedingung sei, daß Orfeo Euridice auf keinen fen durch eine Waldat- Fall ansehen dürfe, mosphäre in Grüntö- anderenfalls würde er nen. Dies blieben die sie erneut für immer einzigen bunten Ef- verlieren. Orfeo hat fekte in dem Stück, bei Zweifel: Wie wird Eu- dem sonst die Farbe ridice wohl auf sein Schwarz vorherrsch- Verhalten reagieren? te. Auch die Kostü- Vor den Toren der me waren unauffällig Unterwelt versperren schwarz, allein Euridice Furien ihm die Pfor- trug ein weißes Kleid. ten. Doch durch sei- nen Gesang sind die Stimmlich überzeugte Furien so ergriffen, Annika van Dyk (Or- daß sie ihn passieren feo) durch ihren war- lassen. Orfeo durch- men Mezzosopran, quert die Tore und Das Bild zeigt Annika van Dyk (Orfeo), Zoe Nicolaidou (Euridice, liegend) der gut zu ihrer Rolle 24 paßte. Auch schauspielerisch konnte sie Orfeos Ver- fangener der Skythen, soll zusammen mit seinem Freund zweifl ung durch eine sehr überzeugende Mimik Aus- Pylades als Menschenopfer getötet werden. Durch Ein- druck verleihen. Sehr auffallend war auch Soo-Jin Park greifen der Diana wird dies verhindert und alle drei kön- (Amor), deren klarer und schmetternder Sopran eine nen zusammen in ihre Heimat fahren. Bereicherung für das Stück war. Aufführung Die Rolle des Amors spielte sie ebenfalls sehr überzeu- Claus J. Frankl, erfahrener Operetten- und Musicaldar- gend, wobei sie die intriganten Züge des Gottes in den steller und Regisseur, sah sich in seiner Interpretation Vordergrund rückte. Sie trug ständig zwei Puppen mit des Gluckschen Stoffes mit einer großen Schwierigkeit sich, die Orfeo und Euridice verkörpern sollten. Durch konfrontiert: Geldmangel. Sein Bühnenbild, zusammen- diese manipulierte sie die beiden, wo sie nur konnte, wie gestückelte Kostüme aus allen Erdteilen und Epochen, bei einem Voodo-Zauber. Damit zeigte sich deutlich, wer minderten den Eindruck, den das Werk Glucks verdient. in dem Stück die Fäden in der Hand hielt. Auch ihr Aus- Dazu kamen noch ein paar überfl üssige Regiegags, wie sehen (schwarzes Lederkleid und kurze schwarze Zöpfe) die Nachwuchsregelung der Diana-Priesterinnen. unterstrich den verspielten Charakter ihrer Rolle. Die Priesterinnen trugen auch keine griechischen Ge- Zoe Nicolaidou (Euridice) war ein weiterer Höhepunkt wänder, sondern glichen Samurai-Nonnen aus einem des Abends. Durch ihren kräftigen, metallischen So- schlechten Film. Ebenso Thoas, der mal an Krücken pran konnte sie vor allem den Schmerz und die Ängste gehen mußte, dann aber auch ohne Gehhilfen ganz be- Euridikes sehr gut umsetzen. Besonders hervorzuheben quem laufen konnte, trug Asiatisches, so daß zusammen ist auch die Leistung des Chores, der sehr gut mit dem mit dem Kostüm Iphigenies, ein weißes Fin-de-siecle- Orchester unter Volker Hiemeyer zusammen agierte. Kleid mit einem Zwanziger-Jahre-Mantel, der Eindruck Das Ende des Stückes war etwas irritierend, da es dem entstehen konnte, man sei in einer schlechten Land-des- glücklichen Ende der Vorlage nur teilweise entsprach. Lächelns-Show gelandet. Die Statisterie brachte schon Auch hier war Soo-Jin Park als Amor wieder sehr domi- mal durch ihre Gesichtsbemalung einen ersten Eindruck auf nant. Sie versetzte dem Liebespaar einen Stoß, das sich die kommende Fußball-Europameisterschaft in Österreich. daraufhin wie ein Uhrwerk in Bewegung setzte und im Nun denn, für eine gute Inszenierung wird halt etwas Kreis drehte. Somit wurde die Abhängigkeit von Amors Geld benötigt. Die einzelnen Figuren waren zwar durch Wohlwollen doch ein wenig auf die Spitze getrieben. Frankl glaubwürdig in Szene gesetzt, überzeugten aber am Ende doch nur durch ihre sängerische Leistung. Fazit Überragend Johanna Winkel als Iphigenie. Ihre ange- Eine sehr schlichte Umsetzung des Stückes, die sich auf nehm timbrierte Stimme überzeugte in allen Lagen. Bo- das Musikalische konzentriert. Optisch nicht unbedingt hyeon Mun als Pylades, sehr deutlich zu verstehen, er- spektakulär, dafür aber fürs Hören um so mehr. strahlte in der hervorragenden Akustik des Markgräfl ichen M. Joannidis Opernhauses. Christoph Schröter (Orest) wurde nach der Bild: Carl Brunn Pause deutlich besser. Der eigentliche Star an diesem Abend aber war die Jun- Bayreuth, Markgräfl iches Opernhaus ge Internationale Orchesterakademie unter Ulrich Meier. Das Orchester beglückte mit einem Glanz, den man in Iphigenie auf Tauris größeren Häusern so oft vermißt. Meier gelingt es im- von Christoph Willibald Gluck (1714-1787) Tragédie lyrique in vier- mer, das Orchester den stimmlichen Bedürfnissen auf Akten, Libretto: Nicolas-François Guillard; UA: 18. Mai 1779, Palais Royal, Paris; Deutsche Fassung: Ch. W. Gluck der Bühne anzupassen. Auch ist die Musikalität des Cho- und Johann Baptist von Alxinger (1723-81); UA (deutsch): 1781, Burgtheater Wien Regie: Claus J. Frankl, Kostümbild: Ruth Krottentaler Dirigent: Christoph Ulrich Meier, Opernorches- ter der Jungen Internationalen Orchesterakade- mie, Sonderchor der Bayreuther Festspiele Solisten: Johanna Winkel (Iphigenie), Christoph Schröter (Orest), Bohyeon Mun (Pylades), Jae Won Yang (Thomas), Nicala Becht (Diana). Besuchte Vorstellung: 30.03.2008 (Premiere 29. März 2008) Kurzinhalt Iphigenie fi ndet nach Jahren des Dienstes im Tempel der Diana ihren Bruder Orest wieder. Dieser, ein Ge- Iphigenie und Orest im Vordergrund, dahinter der Damenchor 25 res, jeweils sechs Damen- und Herrenstimmen, besonders Ensemble wird man eine kühne, unkonventionelle, viel- hervorzuheben. Stets bemüht, der Szene Ausdruck zu ver- leicht sogar rebellische Lesart des Textes erwarten. Und leihen, sind sie dennoch immer in der Musik präsent. die bekam man geboten. Der Eindruck, den die diesjährige Opernproduktion des Um es gleich vorwegzunehmen: Wer mit den Operninsze- Bayreuther Opernfestivals hinterließ, ließe sich durch eine nierungen etwa eines Christoph Schlingensief, ihrer oft bessere Ausstattung steigern. Hier wären Sponsoren ge- sehr lockeren, assoziativen und multimedialen Bild- fordert, aber auch eine bessere Vermarktung der Opern- gebung prinzipiell nicht zu Recht kommt, für den war aufführung könnte dazu beitragen, daß Bayreuth neben der Abend schon gelaufen, bevor der erste Ton gespielt seinem Sommerevent auch im Frühling aus seinem kultu- war. In dem Stück sieht kein Schauplatz auch nur an- rellen Dornröschenschlaf erweckt würde. Dem Intendan- nähernd so aus, wie man ihn sich nach den Vorgaben ten Ulrich Schubert und seinem Team ist jedenfalls des Librettos vorstellen würde. Die Darsteller bewegen zu dieser Produktion zu gratulieren und der Iphigenie sich viel und oft aufgeregt, praktisch immer sind mehr auf Tauris wäre eine längere Laufzeit zu wünschen. Personen auf der Bühne, als gerade singen, um stumme A.M. Hauer Bild: Opernhaus Bayreuth Aktionen auszuführen, der Umgang mit der Musik ist stellenweise sehr frei, es kommt zu Unterbrechungen Berlin, Komische Oper mit kurzen gesprochenen Monologen (z.B. wird Heiner Teseo - Theseus Müllers Gedicht Verkommenes Ufer im 4. Akt rezitiert), von Georg Friedrich Händel, Oper in fünf Akten, Text von Niccolò Laiendarsteller wirken mit (eine arabische Familie), die Francesco Haym nach dem Libretto von Philippe Quinault zur Tragédie en musique Thésée von Jean-Baptiste Lully; UA: 1713 London Darsteller werden mit Kübeln begossen, dekorieren sich Deutsche Textfassung: Bettina Bartz/Werner Hintze; Inszenierung: Be- gegenseitig mit Schlagsahne usw. nedikt von Peter. Bühnenbild: Natascha von Steiger, Kostüme: Katrin Der komplette erste und der Beginn des vierten Aktes Wittig, Licht: Frank Evin; Dirigent: Alessandro de Marchi, Orchester der Komischen Oper; Solisten: Elisabeth Starzinger (Theseus), Marina Re- spielen vor dem eisernen Vorhang, der Rest der Hand- beka (Agilea), Stella Doufexis (Medea), Hagen Matzeit (Ägeus), Karolina lung auf der vollkommen mit Schlamm bedeckten Andersson (Clizia), David DQ Lee (Arkane) Opernbühne. Allein aus diesen wenigen Beispielen wird Besuchte Vorstellung: 10. Februar 2008 (Premiere) ersichtlich, was für eine Strategie mit dieser Inszenie- Kurzinhalt rung verfolgt wird. Wer allerdings mit dieser zum Teil Medea, die Zauberin aus Kolchis, liebt den athenischen anarchisch anmutenden Ästhetik keine Schwierigkeiten Kriegshelden Theseus, der wiederum Agilea liebt. Nach hat, auf den wartete ein überaus amüsanter und darü- mehreren erfolglosen Versuchen, die beiden zu trennen, berhinaus musikalisch bravourös gemeisterter Abend. beschließt Medea, Agilea zu töten und macht sich Kö- Da es viel zuviel zu sehen und – wenn man erst einmal nig Ägeus zum Komplizen. Als der sich jedoch daran das Programmheft zur Hand nimmt – zu deuten gibt, macht, Theseus zu vergiften, erkennt er ihn an seinem um alles zu erwähnen, läßt sich der Gesamteindruck der Schwert als seinen vermißten Sohn. Medea, die nun die Inszenierung in etwa so zusammenfassen: ganze Welt vernichten will, wird durch das Eingreifen Man wird Benedikt von Peters Arbeit wegen der Frei- einer göttlichen Macht daran gehindert. heit seiner Deutung sicherlich einiges vorwerfen kön- Aufführung Es handelt sich bei dieser Inszenierung um das Berli- ner Debüt des 1977 gebore- nen Regisseurs Benedikt von Peter. Wie auch die anderen Kräfte seines Teams stehen die meisten seiner Sänger am Beginn ih- rer Karrieren. Von einem solch jungen Stella Doufexis (Medea), vorne knieend 26 nen, aber nicht, sie sei langweilig, humorlos, ignoriere Bonn, Oper das musikalische Geschehen und sei nicht sachkundig. L´Italiana in Algeri Das Timing der Aktionen ist – dank der hervorragen- von Gioachino Rossini, Dramma giocoso per musica, zwei Akte; Lib- den Darsteller – brillant, so daß während der dreiein- retto: Angelo Anelli; UA: 25. Mai 1813, Teatro San Benedetto, Venedig. halbstündigen Oper keinerlei Leerlauf aufkommt. Das Regie: Andrea Schwalbach, Bühne: Anne Neuser, Kostüme: Stephan Libretto mit seinen mitunter wenig überzeugenden Ent- von Wedel; Dirigent: Wolfgang Lischke, Herrenchor, Einstudierung: wicklungen wird sowohl in seiner Absurdität als auch Sibylle Wagner, Choreographie: Ulrike Schumann seinen ethischen Momenten ernst genommen. Solisten: Martin Tzonev (Mustafa), Anna Virovlansky (Elvira), Anja- ra I. Bartz (Zulma), Algis Lunskis (Haly), Jónas Gudmunđsson (Lin- Händels Stoff bietet eine Fülle verwickelter Liebesbezie- doro), Susanne Blattert (Isabella), Haris Andrianos (Taddeo) hungen und besitzt zugleich eine politische Dimension, Besuchte Aufführung: 2. März 2008 (Premiere) da die Oper, wie es für das 17. und frühe 18. Jahrhundert Kurzinhalt typisch ist, im Milieu der Helden, Könige und Halbgöt- Algier um 1810 Mustafa, der Bey von Algier, ist seiner ter spielt, . Dies kommt in der Inszenierung ebenso zum Frau Elvira überdrüssig. Sein Vertrauter Haly soll ihm eine Ausdruck wie der Umstand, daß die Handlung vor dem temperamentvolle Italienerin zuführen und Elvira mit sei- Hintergrund eines Krieges zu sehen ist, eines Krieges, nem italienischen Sklaven Lindoro verheiraten. Isabella der die Protagonisten zeichnet. macht sich mit ihrem Gefährten Taddeo auf die Suche nach Musik und Sänger ihrem Geliebten Lindoro und strandet mit dem Schiff vor Das Orchester der Komischen Oper brachte, in histo- der Küste Algeriens. Haly nützt die Gelegenheit und führt rischer Aufstellung und mit historischen Instrumen- Isabella seinem Herrn, der sofort von ihr hingerissen ist. Um ten angereichert, unter der Leitung von Alessandro de Isabella für sich einzunehmen, ernennt Mustafa ihren „On- Marchi einen kräftig-dunklen, dabei ungemein genau kel“ Taddeo zum „Kaimakan“. Mustafa, Taddeo und Lin- artikulierten und akzentuierten Klang hervor. Das Zu- doro beobachten Isabella heimlich bei der Toilette. Sie will sammenwirken mit den Sängern in ihren Koloraturari- sich für ihren Liebsten schön machenl. Jeder der drei bildet en, die, wie in den einschlägigen Ensembles seit ein paar sich ein, er sei gemeint. Isabella verspricht Mustafa, ihn zu Jahren üblich, in einem sehr schnellen Tempo genom- lieben, wenn er sich zum „Pappataci“, einem Mampfenden men wurden, war in seiner Präzision und Schweigenden, machen lasse. Die Zeremonie nutzen wirklich atemberaubend. Alle Solis- ten wurden völlig zu Recht mit Bra- vorufen für ihre Leistungen bedacht. Sämtliche Sängerinnen und die bei- den Counter-Tenöre verfügen über eine hochspezialisierte Technik, die ihnen gestattet, exakt phrasierte, schnelle Läufe und Figurationen ebenso souverän zu singen wie auch einen forcierten, raumfüllenden Ton zu erzeugen. Die Nuancierungsmöglichkeiten al- ler Sänger, etwa von Stelle Doufexis als Medea, stehen auf höchstem Ni- veau. Von der Regie wurde bisweilen in ihre Partien eingegriffen, indem Susanne Blattert (Isabella); Haris Andrianos (Taddeo) einige kurze Rezitativphrasen gespro- chen oder nur halb gesungen und in den Arien einzelne Isabella, Lindoro und die übrigen Sklaven zur Flucht. Zu spät Töne verlängert oder Glissandi eingefügt wurden; doch erkennt Mustafa den Schwindel und fügt sich in sein Schicksal. betrifft dies nur einen sehr kleinen Teil der Partitur. Alle Aufführung Chöre und Bühnenmusiken kamen, zum Teil elektro- Die Regisseurin hat den im osmanischen Algier angesie- nisch verfremdet, vom Band. delten Stoff in die Gegenwart verlegt. Während der Ou- Fazit vertüre klebt Isabella im grauen Kostüm, strenger Frisur und Brille, zurecht gemacht wie eine Oberlehrerin, Such- Musikalisch ist diese Inszenierung ein Traum. Sie ist jedoch plakate mit dem Konterfei Lindoros an eine Mauer. Ihr wirklich nur etwas für Leute, die offen für Überraschungen Geliebter gleicht einem Buchhalter, als er mit Mustafa sind, oder für Freunde des modernen, experimentierfreu- in einer Art Kaffeehaus, eher eine Teestube mit Fisch- gen Theaters. In jedem Falle sehr kurzweilig. M. Knust theke und Pepsi-Kühlschrank, lose angebunden sitzt. Den Bild: Monika Rittershaus 27 Mokka nimmt man aus Teegläsern zu sich. Mustafa als Ma- Bonn, Opernhaus cho zu erkennen, ist nicht eben originell gestaltet: Zum wei- Margarethe – Faust ßen Nadelstreifenanzug trägt er ein lila Hemd, sowie dicke von Charles Gounod (1818-1893), Oper in 5 Akten, überarbeitete Goldketten. Die Begegnung der Kulturen fi ndet also nur Fassung 1869: Libretto: Jules Barbier und Michel Carré nach Johann im Klischee statt: Auch dann, wenn ein fl iegender Teppich Wolfgang von Goethe. UA: 19. März 1859, Paris, Théâtre Lyrique vorbeisaust, ein Kamel um die Ecke blickt und die von Regie: Vera Nemirova, Bühnenbild/Kostüme: Ulrike Kunze einem dickbäuchigen Eunuchen unterstützte Bauchtanz- Dirigent: Wolfgang Lischke, Beethoven Orchester Bonn, Chor: Ein- gruppe orientalischen Reiz bringen. Aus der delikat erdach- studierung: Sibylle Wagner; Solisten: Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Tzonev (Mephisto), Aris Argiris (Va- ten Komödie werden gut getimte Klamauknummern, die lentin), Kamen Todorov (Wagner), Susanne Blattert (Siebel). Anjara man mögen muß – oder auch nicht. I. Bartz (Marthe Schwertlein), Mit ihrem Sportboot krachen Taddeo und Isabella durch Besuchte Aufführung: 13. April 2008 (Premiere). die Requisite. Zu Lachen gibt es also reichlich. Die schau- Kurzinhalt spielerische und choreographische Darbietung der Statiste- Faust, im vorgerückten Alter, ist im Ringen nach Er- rie und des Herrenchors sind glänzend. kenntnis müde geworden. Er greift nach dem Giftbecher. Die Haremsdamen tragen zunächst Burka, später von der In Unmut über die von draußen in seine Studierstube Italienerin quasi „infi ziert“, ebenfalls graue Kostüme, die dringenden religiösen Gesänge ruft er den Satan herbei, Herren westliche Anzüge. Lindoro, der gerne seine Rechen- der als Edelmann erscheint. Der Pakt um Jugend, Kraft maschine umklammert, wirkt kalkulierbar. Alle Sklaven und Hoffnung gegen die Seele des Wissenschaftlers und Herren, das macht die schauspielerisch und sängerisch wird beschlossen. Durch einen Trank verjüngt, begehrt herausragende Susanne Blattert (Isabella) klar, verfallen ihr, er das Mädchen auf dem ihm gezeigten Bild: Margare- der durch das „Schicksal gestärkten“ Primadonna. Wenn the. Ihr Bruder Valentin verläßt als Soldat die Stadt. Die sie sich zur gemeinsamen Kaffeestunde bis auf den Un- Studenten Siebel und Wagner versprechen, auf Grete terrock auskleidet, sind nicht nur die drei Herren, sondern zu achten. Mephisto mischt die heitere Gesellschaft mit auch der ganze Harem wie paralysiert und auch der Kühl- düsteren Prophezeiungen auf, es kommt zum Gerangel. schrank dampft. Elvira hält den Emanzipationsschriften Faust lernt Margarethe kennen. Mephisto verschafft ihrer Zofe das kitschige Hochzeitsbild entgegen, denn für Schmuck. Die geschwätzige Nachbarin redet Grete zu, sie und Mustafa bleibt nach wie vor alles beim Alten. Das ihn zu behalten. Mephisto organisiert ein erstes Treffen. Orchester kann bis auf Details gut mithalten. Die Sänger, allen voran Susanne Blattert, können mit warmen leichtem Belcanto einnehmen, wie der im leichten Parlandostil singende Martin Tzonev (Mustafa) und der überzeugende Haris Andrianos (Taddeo), dessen Komik brillant ist. Eine gewisse Enttäuschung war Jonas Gudmundsson (Lindoro), der trotz seines schönen Tenors besonders in seiner ersten Arie die Höhen forcierte, was der Leichtig- keit von Rossinis Musik gar nicht gut stand. Anna Virovlansky verkörperte mit hellem Sopran die Partie der Elvira, Algis Lunskis (Zulma) und Anjara I. Bartz (Haly) und machten aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das Beste. Julia Kamenik (Margarethe), Arturo Martin (Faust), Martin Fazit Tzonev (Mephisto), Anjara I. Bartz (Marthe), von li nach re Das Orchester spielte, wenn auch gelegentlich etwas do- Margarethe wird von Faust verlassen; sie erwartet ein minant (z.B. Finale 1. Akt), musikalisch, sieht man von der Kind von ihm. Der zurückgekehrte Valentin stellt den nicht gerade repräsentativen Solofl öte in der Ouvertüre Verführer im Kampf und wird von ihm tödlich verwun- einmal ab. Der Wechsel zwischen Rezitativen und Ari- det. Mephisto führt Faust auf einen Berg, den Brocken en gelang bruchlos. Schauspielerisch war die Aufführung im Harz, wo während der Walpurgisnacht sinnliche Ge- rundum gelungen. Die Sänger sind bis auf den Lindoro- nüsse aller Art auf ihn warten. Faust hat die Vision der darsteller, dessen Stimme die weiche Leichtigkeit fürs Bel- leidenden Margarethe und fl ieht mit Mephisto zu der als cantofach vermissen ließ, hörenswert. Eine insgesamt auf Kindesmörderin verurteilten Grete ins Gefängnis. Dem Komik setzende Version mit umgangssprachlich übersetz- Drängen Mephistos zu folgen, kann sie, die tugendhaft ten Obertiteln (etwa: Jetzt heißt es cool bleiben), die nicht auf Reine, nicht nachgeben. Mephistos Ausruf: „gerichtet“ Raffi nesse, sondern auf kraftvolle Bilder à la Slapstick setzt. schallt das himmlische „gerettet“ entgegen und Grete F. Zink schwebt gen Himmel. Bild: Thilo Beu 28 Aufführung der eigentlich als zweite Besetzung vorgesehene Arturo In Bonn hat man sich für die französische Version mit Martin (Faust). Noch scheint er der großen Partie nicht deutschen Übertiteln entschieden, was die musikalische gewachsen zu sein. Martin Tzonev gab als Darsteller Einheit verdichtet. Die Regiearbeit der Bulgarin Vera einen satanischen Mephisto, stimmlich hätte man sich Nemirova, einer Schülerin Peter Konwitzschnys, läßt ein einen profunderen Charakterbaß vorstellen können. einigermaßen deprimiertes Publikum zurück. Bedau- Aris Argiris überzeugte als Valentin gänzlich, Susanne ernswert, wenn einer Regisseurin zu der delikaten Musik Blattert füllte die Rolle Siebels voll aus, wie Kamen To- von Charles Gounod mitunter platte, um nicht zu sagen, dorov und Anjara I. Bartz die von Wagner und Marthe hausbackene Bilder einfallen. Schwertlein. Der Chor hatte große, gelungene Szenen. Das erste Bild läßt noch hoffen: Faust im hohen Raum Das Beethovenorchester bietet nach einer etwas erdig eines Turms mit Wandtafeln, die mit mathematischen tönenden Ouvertüre hörbares Bemühen um einen leich- Formeln übersät sind. Er ist ein junger Mann, der sich ten, romantischen Tonfall, aus dem sich in erster Linie nicht verjüngt, sondern zum Spiegelbild Mephistos ver- fein artikulierte Holzbläserstellen herauskristallisierten. wandelt wird. Die Rolle von Mephisto wird dominant, F. Zink Bild: Tilo Beu er ist nicht nur treibende, sondern auch aktiv handelnde Kraft in der Verführungsszene. Margarethe heißt in Bonn Bremen, Theater am Goetheplatz letztlich Faust, was diese Betonung erklärt. Dennoch bleibt bei Gounod, im Gegensatz zu Goethe, Margare- La Cenerentola – Das Aschenputtel the die Hauptperson. von Gioachino Rossini (1792-1868), Dramma giocoso in 2 Akten, Der Auftritt Mephistos, in hochfahrendem, rotem Le- Libretto: Jacopo Ferretti nach dem Märchen Cendrillon ou La petite pantoufl e de verre (1697) von Charles Perrault dersessel sitzend, zeigt Wirkung. Über den neuerdings Dirigent: Markus Poschner, die Bremer Philharmoniker, Chor des in Regiearbeiten unvermeidlichen Laptop sieht Faust Theater Bremen, Einstudierung Tarmo Vaask Margarethes Bild. Regie: Michael Hampe, Bühnenbild: Christian Köpper/Andreas Horn- burg, Ausstattung: Monika Gora, Kostüme: Paul Zimmermann; Die andere Seite des „Studierzimmers“ ist das weiße Fo- Solisten: Tamara Klivadenko (Angelina), Benjamin Bruns (Don Ramiro), Jan yer einer Pfl egestation für Senioren, in dem Margarethe Friedrich Eggers (Dandini), Seth Keeton (Alidoro), Damon Nestor Ploumis als Pfl egerin arbeitet und die Banalisierung des als ro- (Don Magnifi co), Nadine Lehner (Clorinda), Barbara Buffy (Tisbe) mantische Oper gedachten Stoffes beginnt. Das Vestibül Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere) bleibt Kulisse bis zum vorletzten Bild, wird Schauplatz Kurzinhalt des Bacchusfestes, eine Art Weinfest mit Menschen in Angelina (Aschenputtel) gibt dem als Bettler verkleide- Lederhosen und Schürzenkleidchen plattesten Kolorits. ten Philosophen Alidoro zu essen und zu trinken. Sie Faust intoniert seine Arie Sei gegrüßet reines Heim ins Fo- ist selbstlos, ganz im Unterschied zu ihren Halbschwes- yer hinein, was einen merkwürdigen Beigeschmack be- tern Clorinda und Tisbe. Alidoro hilft ihr, aufs Fest im kommt. Margarethe mit Putzeimer und Lappen im drit- Schloß des Prinzen Ramiro zu kommen, was ihr Vater ten Akt hängt mit Gounods zauberhafter Musik ihrem Don Magnifi co verboten hatte. Geliebten nach. Wer möchte das so sehen? Dort wollte sie Don Ramiro wiedersehen. Denn Prinz Das eindringlichste Bild ist die Gebetsszene, in der Mar- Ramiro, verkleidet als sein Diener Dandini, hatte sich garethe um Gottes Gnade fl eht und die Gläubigen sich zuvor auf Brautschau zur Wohnung von Don Magnifi co gegen Mephisto, der seine eigene, satanische Messe zu begeben, wo er sich in die unscheinbare Angelina ver- zelebrieren scheint, stellen. Valentins Rückkehr aus dem liebt hatte. Don Magnifi co will aber seine Töchter reich Krieg wird zu einer Miniaturparade realsozialistischer verheiraten, weil er fi nanziell am Ende ist. Prägung. Kinder mit Spielzeuggewehren, selbst der Nel- Alidoro führt Angelina mit verschleiertem Gesicht aufs kenstrauß fehlt nicht. Fest ins Schloß. Angelina gibt zu erkennen, daß sie den Das Bacchanal der Walpurgisnacht in wilder Gebirgs- Kammerdiener liebt, woraufhin der Prinz seine Verklei- landschaft ist als aus Eimern saufende Feierrunde mit dung fallenläßt. blinkenden Teufelshörnchen und Papphütchen zu se- Einige Zeit später arrangiert Alidoro vor Don Magnifi - hen. Margarethe wirft im Hintergrund der Party das tote cos Haus einen Kutschunfall. Beim Betreten des Hauses Kind in eine für kühle Getränke bereit gestellte Gefrier- erkennt Prinz Ramiro Angelina am Armreif, den sie zu- truhe. Fausts Frage Wo sind wir? stellt man sich als Zu- vor als Geschenk von Ramiro beim Schloßfest erhalten schauer selbst. hatte. Magnifi co und seine beiden Töchter müssen mit Die Sänger ansehen, wie Don Ramiro Angelina zur Frau nimmt. Julia Kamenik (Margarethe) war allen voran eine wün- Der Triumph der Güte wird deutlich am Ende der Oper schenswerte Besetzung, die auch schauspielerisch eini- erkennbar: Angelina vergibt großzügig ihren Schwestern ges zu bieten hatte. Über eine schöne Stimme verfügt und ihrem Vater Don Magnifi co. 29 Vor dem Thron Benjamin Bruns (Prinz Ramiro), in der Mitte Tamara Klivadenko (Angelina) und die Festgesellschaft Aufführung einfache Melodien singt, zur bravourösen Königin, die Diese Produktion eröffnete in Bremen den Zyklus von Koloraturen perlen lassen kann, eindrucksvoll deutlich. Rossini-Inszenierungen. Seth Keeton (Alidoro), der die Fäden der Geschichte in der Hand hält, blieb gemäß seiner Rolle etwas im Hinter- Michael Hampe brachte in seiner Inszenierung mit alt- grund, symbolisch trug er einen „Wendemantel“: außen hergebrachten Techniken die Illusion des barocken The- grau und innen voller Sterne. aters auf die Szene zurück: drehbare Bühne, sich he- bende und senkende Prospekte, künstliche Pferde und Jan Friedrich Eggers (Dandini) vertrat genußvoll seinen eine Kutsche, dabei vorbeiziehender Hintergrund, um Herrn und stand ihm in nichts nach. Sein Baß klang so- das Fahren zu imitieren, sich auf der Bühne umkleiden- gar manchmal wohltönender als der an lauten Stellen et- de Sänger: Durchschaubarkeit und Magie in einem. Die was gepreßte Tenor des Benjamin Bruns (Don Ramiro). Kostüme, detailgenau rekonstruiert, gaben in ihrer bun- Damon Nestor Ploumis (Don Magnifi co) war sowohl ten Ausführung das I-Tüpfelchen. schauspielerisch als auch stimmlich ein Meister der Ko- Die Bremer Philharmoniker spielten wohltuend präzise mik, ob es um seine träumerischen Schwärmereien für und musizierten in hervorragendem Einklang mit den eine fi nanziell unabhängige Zukunft ging, um seine Sängern. Die Rezitative am Hammerklavier verwirklich- kratzfüßige Unterordnung gegenüber dem Prinzen oder te Karen Schulze-Koops präzise. Der Herrenchor war um seine verschwörerische Absprache mit den Töchtern. musikalisch exzellent vorbereitet und bot einen schau- Nadine Lehner (Clorinda) und Barbara Buffy (Tisbe) spielerisch gekonnten Spiegel für die Handlung. spielten die zänkischen, schnatternden, neidischen und von Selbstdarstellungszwang zerfressenen Marionetten- Die Solisten standen mit ihrer sängerischen Leistung wesen einfach umwerfend gut. Es ist wirklich schwierig, alle auf ähnlich hohem Niveau. Ihre Koloraturen kamen häßlich zu singen! gekonnt und artikulatorisch sehr verständlich in atem- beraubender Geschwindigkeit daher. Nur über höchste Nach dreistündiger Aufführungszeit dann das Lieto fi ne Konzentration konnte es möglich sein, das Zusammen- (das glückliche Ende) mit einer der virtuosesten Ensemb- singen in den Ensembles mit dieser Präzision zu errei- leszenen Rossinis – der angestrebte Triumph des Guten: chen, eines der entscheidenden Elemente, welches die den Bösen wurde vergeben, die Guten sonnen sich. Of- Virtuosität dieser Oper ausmachte. fensichtlich war das Publikum zufrieden: stehende Ova- tionen sprachen dafür. Ausnahmsweise wurde auch die Tamara Klivadenko gestaltete die zwar zurückgewie- Regie in den Applaus einbezogen. Man hatte eine Oper sene, aber nicht widerstandslose Stieftochter Angelina gesehen, in der sich schauspielerische und sängerische nachvollziehbar. Durch ihren weiten Stimmumfang Leistung der Darsteller aufs Beste ergänzten. wurde die Verwandlung von schlichter Dienstmagd, die C. Jakubowski Bild: Jörg Landsberg 30 Chemnitz, Theater Aufführung Il Templario – Der Templer Ralf Nürnberger gestaltet die „moderne“ Uraufführung sehr werkgetreu. Seine Regie und Personenführung lie- von Otto Nicolai (1810-1849), Melodramma in drei Akten ßen nichts zu wünschen übrig. Ein gut durchdachtes, Libretto: Girolamo Maria Marini nach Ivanhoe von Walter Scott, UA: 19. September 1840, Triest wenngleich auch unspektakuläres Bühnenbild und die Regie/Bühnenbild: Ralf Nürnberger, Kostüme: Claudia Rühle einfachen, aber schön anzusehenden Kostüme trugen Dirigent: Frank Beermann, Robert-Schumann-Philharmonie, dazu bei, den Handlungsverlauf zu verstehen, auch wenn Opernchor, Einstudierung: Mary Adelyn Kauffman man nicht am Übertitel klebt. Solisten: Kouta Räsänen (Cedrico der Sachse), Stanley Jackson (Vil fredo d’Ivanhoe), Judith Kuhn (Rovena), Andreas Kindschuh (Luca Nürnberger standen ein ausgezeichnetes Sängerensemb- di Beaumoir), Hans Christoph Begemann (Briano di Bois-Guilbert), le, ein hervorragender Chor und die aufs Beste gestimm- Andre Rimer (Isacco di York), Tiina Penttinen (Rebecca) te Robert-Schumann-Philharmonie zur Verfügung. Al- Besuchte Aufführung: 7. März 2008 (Premiere) lein, die Tatsache der Wiederentdeckung des fast schon Kurzinhalt vergessen Werkes sollte Ehre genug sein. Vilfredo schließt sich gegen den Willen seines Vaters Wirklich außergewöhnlich an diesem Abend war die mu- Cedrico dem Normannenkönig Richard Löwenherz an sikalische Leitung Frank Beermanns! Allen voran Stanley und nimmt mit ihm am Dritten Kreuzzug teil. Im Heiligen Jackson (Vilfredo) als Gast, der in dieser mörderischen Land wird er verletzt und von der Jüdin Rebecca gesund Partie zu seiner alten tenoralen Strahlkraft zurückgefun- gepfl egt. Sie verliebt sich in ihn und folgt ihm heimlich den hat, unterstützt von Tiina Penttinen (Rebecca), die nach England. hier in dieser Rolle, zwischen Mezzo und Sopran gelegen, Vilfredo tritt beim Turnier in Ashby inkognito auf und ihre ganze Kunst darstellen konnte. Judith Kuhn als Ro- besiegt den als unbesiegbar geltenden Normannen Briano. vena: ach hätte Nicolai diese Rolle doch etwas ausführli- Danach läßt er sich durch Rovena, die er schon seit langem cher gestaltet, der Abend wäre noch schöner geworden. liebt, den Siegeskranz Andre Riemers Isacco (für eine Oper ungewöhnlich: ein überreichen. Rebecca Tenor in einer Va- und Isacco fi nden bei terrolle) überzeugte Cedrico und Rovena auf der ganzen Linie, Schutz vor ihren Ver- und Hans Christoph folgern. Der unerwar- Begemanns Bria- tet aufgetauchte Briano no, ein in sich Zer- läßt Rebecca, in die er rissener, zwischen seit seiner Zeit in Palästi- unglücklicher Liebe na verliebt ist, entführen und Pfl ichterfüllung und verschleppt sie in die Schwankender, sang Komturei der Templer. sich trotz unklarer Briano reißt sie aus ih- Position im Stück in die Herzen der ren Träumen an Vilf- Tiina Penttinen (Rebecca) und Hans Christoph Begemann (Briano) in der Templerkomturei redo und bietet ihr ein Opernbesucher. Leben fernab der Tempelritter an. Er warnt vor der An- Gratulation auch an Michael Wittmann, der diese Oper kunft des Großmeisters, denn das würde beider Tod be- dem Vergessen entrissen hat, und an die Leitung der deuten. Rebecca bleibt standhaft und weist Briano auf eine Chemnitzer Oper, die das Wagnis einging, ein völlig un- zweifache Sünde hin: das Zusammenleben mit einer Jüdin bekanntes Stück auf den Spielplan zu stellen. Möge Il und seinen Treuebruch gegenüber dem Templerorden. Templario eine lange Laufzeit beschieden, und möge er Eine Zeremonie der Templer stört Isacco und fordert die auf vielen weiteren Bühnen zu sehen sein, denn Otto Herausgabe seiner entführten Tochter. Doch der Groß- Nicolais Musik entspricht genau dem Standard der Zeit meister bezichtigt Rebecca der Hexerei und verurteilt sie um 1840. Es ist eine typisch italienische Oper. zum Scheiterhaufen. Briano verweigert jede Aussage, rät Ein Besuch dieser Aufführung lohnt sich trotz – oder Rebecca aber zu einem Gottesurteil, da er so für sie eintre- vielleicht – auch wegen der etwas auf Sparfl amme ge- ten könne. Die Templer bestimmen ihn aber zum Kämpfer kochten Ausstattung. Aber leider genießt ein Opernhaus für die Sache der Templer. wie Chemnitz nicht die Zuwendungen von Sponsoren Als Vilfredos Vater erfährt, daß Rovena ihn liebt, gibt er wie größere Häuser, die einen besseren (wenngleich nicht nach und verzeiht seinem Sohn. Vilfredo tritt als Kämpfer immer gerechtfertigten Ruf) haben. Für mich war die für Rebecca auf und erschlägt Briano. Rebecca ist frei und Premiere auf alle Fälle eines der außergewöhnlichsten erklärt, daß sie Vilfredo liebe, und lieber sterben würde, als Musikereignisse dieses Jahres. auf ihn zu verzichten. Entseelt sinkt sie zu Boden. A. M. Hauer Bild: Dieter Wuschanski 31 Dessau, Anhaltisches Staatstheater Felsensteins Regieansatz ist eher traditionell, aber kei- neswegs altbacken. Er erzählt die Geschichte des reinen Parsifal Tores so, wie der Bayreuther Meister sie auch geschrie- Musik und Libretto von Richard Wagner, Bühnenweihfestspiel ben hat. Eine in ihren eigenen Gesetzen verhaftete Män- Uraufführung: 26.07.1882, Bayreuth, Festspielhaus Regie: Johannes Felsenstein, Bühnenbild/Kostüme: Stefan Rieckhoff; nergesellschaft schafft es nicht, neue Wege zu gehen. Dirigent: Golo Berg, Anhaltische Philharmonie Dessau, Opernchor, Erst der Einfl uß von draußen ermöglicht eine Erneue- Choreinstudierung: Helmut Sonne, Kinderchor (Leitung: Dorisla- rung und Fortbestand. Dies alles gelingt ihm ohne mo- va Kuntscheva); Solisten: Ulf Paulsen (Amfortas), Rainer Büsching dische Symbolik, ohne „trendige“ Umdeutungen, ohne (Titurel), Manfred Hemm (Gurnemanz), Richard Decker (Parsifal), Nico Wouterse (Klingsor), Iordanka Derilova (Kundry), Mark Bow- Kostümmorgie und Komparserieschlachten. Er führt man-Hester (Erster Gralsritter), Christian Most (Zweiter Gralsrit- keine Regietricks vor, sondern zeigt solides Handwerk, ter), Cornelia Marschall, Sabine Noack, Noerbert Leppin, Alexander das man heute doch so oft schmerzlich vermißt. Dubnov (Knappen), Cornelia Marschall, Anette Fritsch, Sabine No- ack, Jule Rosalie Vortisch, Kristina Baran, Anne Weinkauf (Zauber- Solisten und Orchester mädchen), Sabine Noack (Stimme aus der Höhe) Golo Berg läßt seine Anhaltische Philharmonie leicht- Besuchte Aufführung: 26. April 2008 (Premiere) läufi g und transparent durch Wagners Partitur fl ießen. Kurzinhalt Die sonst so sperrige Musik des Parsifal erreicht bei ihm Amfortas leidet unter einer nicht heilenden Verletzung, eine Dynamik, die die über fünf Stunden dauernde Auf- die durch einen magischen führung im Fluge vergehen läßt. Speer hervorgerufen worden Doch achtet Berg immer darauf, war. Diese Wunde kann nur daß seine Sänger niemals unter durch den Speer geschlossen dem Orchester leiden müssen. werden, der sie auch schlug. Durch kluge Tempi und Dy- Alle Versuche seiner Ritter namikwahl wird niemand zum Klingsor diesen Speer zu ent- Forcieren gezwungen. Das En- reißen, schlugen fehl. Erst dem semble ist insgesamt deutlich bes- unschuldigen Jüngling Parsifal ser, als man es von einem Haus gelingt es, die Zaubermacht dieser Größe erwarten würde, ja Klingsors zu brechen. Zum über eine Einspielung dieses Par- Lohne ernennt man ihn zum sifals würde man sich sicherlich neuen König. freuen. Aufführung Die Sänger, die ohne direkten Augenkontakt zum Dirigenten Zum wiederholten Male gelang agieren müssen, sind alle auf es Johannes Felsenstein und überdurchschnittlichem Niveau. seinem Bühnen- und Kostüm- Angefangen von dem grandi- bildner Stefan Rieckhoff mit osen Chor, über die Knappen, einfachen Mitteln, große Oper die Blumenmädchen, die sowohl zu machen. Felsenstein setzt stimmlich als auch optisch durch- das Orchester auf die Bühne. aus anrührend sind, bis hin zu den Rieckhoff baut eine Hebe- großen Partien. und Drehbühne auf dem Or- Gurnemanz, Kundry, und Parsifal, von li nach re chestergraben auf. Einziges Richard Decker (Parsifal) gibt den Versatzstück scheint ein Stück Treibholz zu sein, das es tumben Helden stets tonsicher, aber in sich hat. Durch absolut lautlose Technik wird wenn auch mit einigen leicht unschönen Registerwechseln. aus diesem Stück Holz ein primitiv geschnitztes, der ein- Rainer Büsching singt seinen Titurel aus dem Bühnenhin- fachen Volkskunst verpfl ichtetes Kruzifi x. Rieckhoffs tergrund ganz ohne Verstärkung deutlich und ohne Tadel. Kostüme sind stilisierte Zeitzeugnisse. So trägt Kundry Manfred Hemm (Gurnemanz) ist ein verzweifelter Ritter, zu Beginn ein römisches Kleid, die Ritter mit Metalltei- der scheinbar mühelos durch diese Riesenpartie geht. Nico len verstärkte Mäntel, der Gralszeremonienmeister ein Wouterse (Klingsor) singt seine tiefe Partie ohne jeden an die evangelische Kirche erinnerndes Gewand, wäh- Schönglanz, genau wie sie seiner Rolle entspricht. Ulf Paul- rend Klingsors Anzug eindeutig katholische Elemente sen (Amfortas) verbietet ebenfalls seiner Stimme jegliche trägt. Parsifal selbst ist in Krachledernes gewandet, Am- Lieblichkeit. Seine sonst doch immer so wohltuende Stim- fortas, an Seele und Leib leidend, ist am ganzen Körper me läßt er diesmal trocken, gebrochen und leidend ertönen. bandagiert. Die Kostüme wandeln sich im dritten Akt zu Einzige Dame in dieser Männerriege ist Iordanka Derilova. zeitgenössischer Kleidung um. Die Ritter in Anzügen, Sie ist die Königin des Abends. Ihre Kundry, stets aufs Ge- Kundry im Lederkostüm, Parsifal in Jeans und Hemd. naueste textverständlich, sicher in der Intonation, perfekt im Klang, wandelt sich von einer Furie zur mitfühlenden 32 Frau. Ihre Stimme changiert in allen Registern und allen Fa- menspiel mit dem Orchester. Auf der Bühne zeigt sich eine cetten, so wie es diese schwierige Rolle erfordert. Von der Konstruktion aus achtzehn großen fensterartigen Ausspa- körperlich Erschöpften, über die Verführerin im zweiten rungen, die jeweils in drei Etagen mit je drei Aussparungen Akt, bis hin zur leidenden, zur sprachlichen Äußerung un- einen in der Mitte gelegenen, großen, runden Bühnentun- fähig, gewandelten Frau zeigt sie wieder mal, welch großar- nel einfassen. Darin schwelgen Tom Rakewell (Jeff Martin) tige Sängerin und Darstellerin sie ist. und Ann Trulove (Lydia Skourides) in ihrem Liebesglück. Fazit Die Inszenierung durch Roland Schwab macht aus Ein Meisterwerk des Theaters Dessau, das man sich nicht Strawinskys letztem Werk seiner neoklassizistischen entgehen lassen sollte. Eine Regie, die ohne Firlefanz da- Phase ein Theaterstück, das den Publikumsraum mit herkommt, dafür aber die handwerklichen Grundlagen einschließt. So agieren die Akteure teilweise von ver- des Theaters berücksichtigt, eine musikalische Leistung, schiedenen Publikumslogen aus und der Chor kommt die man sich besser nicht wünschen könnte. seitens der Publikumseingänge auf die Bühne. Obwohl die Bühnenkonstruktion erst sehr spät wechselt, ver- A. M. Hauer Bild: Claudia Heysel schafft sie durch stetig neue Licht- und Farbenspiele, die harmonisch dem Konzept und dem Klang angepaßt sind, neue Eindrücke. Die sinnbildliche Zerrissenheit Dortmund Theater von Ann Trulove, ob sie ihrem Tom nach London nach- The Rake‘s Progress reisen soll oder nicht, stellt Roland Schwab durch fünf von Igor Strawinsky, Oper in drei Akten Dichtung: Wystan Hugh identisch aussehende Anns dar, die auf der Bühne an Auden und Chester Kallman, UA: Venedig, 11. September 1951. Ann Trulove hin- und herzerren. Regie: Roland Schwab, Bühnenbild: Piero Vinciguerra, Kostüme: Renée Sänger Listerdal, Dramaturgie: Verena Harzer Dirigent: Jac van Steen, Dortmunder Philharmoniker, Opernchor Thea- Zu der gut gemachten Inszenierung gesellen sich sehr ter Dortmund, Choreinstudierung: Granville Walker gute Gesangsstimmen. Ohne Zweifel ist die Tenorstim- Solisten: Jeff Martin (Tom Rakewell), Simon Neal (Nick Shadow), Lydia me von Jeff Martin (Tom Rakewell) zuerst zu nennen. Skourides (Ann Trulove), Vidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel (Mutter Goose), Hannes Brock (Türkenbab), Tansel Akzeybek (Sellem, Er sang den größten Teil in dieser Oper und meisterte der Auktionator), Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) dies wirklich vortreffl ich. Seine Stimme ist klar, kräftig Besuchte Vorstellung: 30. März 2008 (Premiere) und von gleichbleibender Brillanz. Ebenso beeindru- Kurzinhalt ckend ist auch sein schauspielerisches Agieren – ein wahrer Genuß für Auge und Ohr. Der Bariton Simon Strawinsky verarbeitete hier die Geschichte, die bereits Neal (Nick Shadow) stellt mit seiner Gesangsleistung 1735 in einer Kupferstichserie des englischen Malers einen würdigen Gegenpart zu Jeff Martin dar. Er über- William Hogarth in England erschien. zeugt durch eine kräf- Der Lebemann Tom tige, voluminöse Stim- Rakewell sieht nicht me. Hannes Brock ein, warum er sich in (Türkenbab) hat sich das Leben einpassen trotz einer schweren soll, das sein zukünf- Indisposition bereit tiger Schwiegervater erklärt, die Tenorpar- für ihn entworfen hat. tie des Türkenbab zu Angespornt wird er singen, um die Premi- von Nick Shadow, der ere nicht zu gefährden ihn durch eine angeb- und macht dies mit liche Erbschaft nach Bravour. Die Sopra- London lockt. Dort Simon Neal (Nick Shadow), re unten und Jeff Martin (Tom Rake- nistin Lydia Skourides well), re unten stehend, sowie Chormitglieder als Schattenbilder bringt er ihn als dämoni- (Ann Trulove) überzeugt scher Gefährte auf Abwege. Alles endet schließlich in als Sängerin ebenso wie als Akteurin. Ihre gemeinsamen Elend und Verderben und Rakewell verläßt seine Ver- Arien mit Jeff Martin sind ein harmonisches Klanger- lobte Ann Trulove. Als zu guter Letzt nur noch ein teuf- lebnis. Gidar Gunnarsson (Trulove), Ji Young Michel lisches Kartenspiel seine Seele retten kann, bewahrt die (Mutter Goose), Tansel Akzeybek (Auktionator) und selbstlose Liebe von Ann Trulove Tom Rakewell davor, Georg Kirketerp (Wärter des Irrenhauses) glänzten als seine Seele zu verlieren. Doch Nick Shadow bringt Ra- Sänger wie als Akteure. kewell zum Wahnsinn. Der Opernchor beeindruckte mit den Vokaleinlagen Aufführung und sorgte gemeinsam mit der Statisterie für ein ausge- Der Vorhang öffnet sich in einem perfekten Zusam- wogenes, buntes Gesamtbild. Das Orchester unter der Leitung von Jac van Steen spielte rhythmisch wie melo- 33 disch perfekt und beeindruckte mit fein abgestimmtem durchschaut, bestellt schleunigst einen Notar, um seine Zusammenspiel zwischen Bühnenakteuren und Orches- Hochzeitspläne unter Dach und Fach zu bringen. Als tereinsätzen. Der Einsatz eines Cembalos ist für dieses Meister der Situation rettet Figaro die beiden Lieben- Werk Strawinskys natürlich ein Muß und wird hier von den, und der Notar vermählt Rosina mit Almaviva. Bar- Alexandra Goloubitskaia sehr gut bewerkstelligt. tolo geht leer aus. Fazit Aufführung Insgesamt eine sehr gelungene Inszenierung mit ausge- Die Übernahme aus dem Züricher Opernhaus war auch zeichneten Solisten und einem auf allen Ebenen hervor- in Dresden ein voller Erfolg. Luigi Peregos Bühnenbild, ragenden Orchester. Eine Opernvorstellung, die sehr zu seine wunderschönen Kostüme und die bezaubernden empfehlen ist und Genuß für Augen und Ohren bietet. Requisiten unterstützten aufs genialste Grischa Asaga- B. Wandschneider roffs Regie. Dieser transponierte Beaumarchais rebelli- Bild: sches Rokokostück in die erste Hälfte des letzten Jahr- hunderts, ohne sich dabei auf eine Ära festzulegen. Seine Inszenierung spielt irgendwo zwischen den zwanziger Dresden, Semperoper und fünfziger Jahren. Die Ausstattung ist geprägt durch Il Barbiere di Siviglia stilisierte Spanienversatzstücke. Perego baute vier Büh- nenbilder auf die Drehbühne des Hauses. Vier verschie- von Gioacchino Rossini, Libretto: Cesare Sterbini nach der Komö- dene Fächer, durch ein paar Möbel und Versatzstücke die von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais; UA: 20. Februar 1816, Teatro Argentina, Rom; Regie: Grischa Asagaroff, Bühnen- umgewandelt zu einer Straße in Sevilla, einem Musik- bild/Kostüme: Luigi Perego; Dirigent: Riccardo Frizza, Sächsische zimmer, einem Mädchenzimmer und einem Labor. Sei- Staatskapelle Dresden, Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden, ne Kostüme sind einfach, aber ergänzen den Charakter Einstudierung: Christof Bauer der Rollen, einzig die beiden Kostüme Rosinas sprengen Solisten Kenneth Tarver (Graf Almaviva), Michael Eder (Dr. Barto- lo), Vesselina Kasarova (Rosina), Fabio Maria Capitanucci (Figaro), den Rahmen: andalusische Folklore aufgepeppt zu ele- Roberto Scanduiuzzi (Basilio), Christoph Pohl (Ein Offi zier), Peter ganten Designerstücken. Küchler (Ambrosio), Andrea Ihle (Berta) Sänger, Chor und Orchester Besuchte Aufführung: 12. April 2008 (Premiere) Wo soll man mit dem Lob anfangen? Am einfachsten Kurzinhalt mit dem Orchester. Nach einer sensationell dirigierten Graf Almaviva liebt die schöne Bürgerliche Rosina, aber Ouvertüre ergoß er möchte nicht sich der Klang wegen seines der wunderbar Adeltitels geliebt geleiteten und werden, sondern aufs beste ge- nur wegen sei- launten Staats- ner Person. So kapelle in das bringt er ihr ei- Halbrund der nes Nachts unter Semperoper. Im- ihrem Fenster mer in der rich- ein Ständchen tigen Lautstärke, als Student Lin- stets im richtigen doro. Der Fun- Tempo gaben ke springt über Maestro Frizza und Rosina liebt und seine Man- den armen Lin- nen einmal wie- doro. Rosinas der den Beweis Vormund Dr. für den guten Bartolo hat aber Figaro (Fabio Maria Capitanucci) hält Rosina (Vesselina Kasarova) den Schminkspiegel Ruf dieses Or- andere Pläne mit chesters. Der Chor ihr: Er möchte sie selbst heiraten. So bewacht er sie wie der Sächsischen Staatsoper brilliert in der Gestaltung ein Zerberus. Aber mit List und Tücke gelingt es Al- einer Gesangstruppe im ersten Akt ebenso wie als gut maviva in den verschiedensten Verkleidungen Zutritt gedrillte Militärtruppe. zum Hause Bartolo zu erlangen, mal als angetrunkener Auf der Bühne brillierte ein Ensemble höchster Güte. Offi zier, mal als klerikaler Gesangslehrer. Immer dabei Angefangen von den kleineren Partien, Christoph Pohl ist sein Freund Figaro, der ihm auch einen Schlüssel zur (Offi zier) und Andrea Ihles (Berta) bis hin zu Fabio Balkontür verschafft, damit die beiden Rosina entfüh- Maria Capitanucci (Figaro) waren alle Sänger aufs Beste ren können. Bartolo, der Figaros und Almavivas Pläne 34 gestimmt. Michael Eders Bartolo war ebenso angenehm vor. Doch Adina versucht ihn aus der Reserve zu lo- wie Roberto Scanduzzis Basilio. Kenneth Tarvers sanf- cken, indem sie vorgibt, Belcore noch am selben Tag ter, lyrischer Tenor gewann nach kurzer Zeit an Klang zu heiraten. Um das Geld für eine weitere Flasche des und Ausdruck, im gleichen Maß wie sein Lampenfi eber Liebestranks zu bekommen, verdingt sich Nemorino als schwand. Fabio Maria Capitanuccis kraftvoller Bariton Soldat bei Belcore. Bevor es Nemorino eigentlich selbst gab der Rolle des Figaro Wärme und Tiefe. Seine hals- erfährt, wissen bereits die Dorfbewohner, daß er Erbe brecherische Auftrittsarie meisterte er ebenso elegant eines großen Vermögens geworden war. Also machen wie den Rest des Abends. Und Vesselina Kasarova? sich alle schönen Mädchen des Dorfs an ihn heran. Aber Ihre Rosina war einfach stupend. Mit dem ersten Ton der naive Nemorino glaubt, dies sei allein dem Liebes- gewann sie die Ohren und Herzen des fast vollbesetz- trank zuzuschreiben. Er gebärdet sich als umschwärm- ten Hauses. Ihre geläufi ge Gurgel scheint speziell für ter Mann souverän gegenüber Adina, was diese, die ihn diesen wunderbaren Rossiniklang geformt zu sein. Für noch liebt, völlig verunsichert. Als sie dann noch erfährt, ihre Koloraturen müßte man neue Wörter ersinnen, so daß er sich, um den Liebestrank zu bekommen, als Sol- unbeschreiblich schön war der Klang. dat verpfl ichtet hat, kauft sie ihn frei, gesteht ihm ihre Die Premiere schloß mit einem nicht enden wollenden Liebe und beide werden unter Anteilnahme des ganzen Applaus in einem Haus, das sich in letzter Zeit doch Dorfes ein glückliches Paar. mehr durch gewöhnungsbedürftige Inszenierungen aus- Aufführung zeichnete. Durch diese Koproduktion mit dem Züricher Die Duisburger Inszenierung versetzte das Geschehen Opernhaus dürften sich die Gemüter wieder etwas be- nach der Opernvorlage in ein Bergdorf. ruhigen lassen. A. M. Hauer Bild: Matthias Creutziger Dementsprechend wurde das Bühnenbild gestaltet: eine Miniaturlandschaft mit Bergkulisse im hinteren Teil der Duisburg, Stadttheater Bühne, eine Almhütte im vorderen Teil. Die riesengro- L’elisir d’amore ße Nachbildung eines nackten Frauenoberkörpers mit gigantischen blanken Brüsten ragte aus den Bergen he- von Gaetano Donizetti, Melodrama in zwei Akten, Libretto von Fe- raus. Das sollte wohl die Liebesgöttin sein, die Vorstel- lice Romani; UA: 12. Mai 1832, Mailand lung allerdings war grotesk. Regie: Andràs Fricsay/Kali Son; Bühnenbild: Tina Kitzing Dirigent: Pierre-Dominique Ponnelle, Duisburger Philharmoniker, Die Kostüme wurden passend zum Bühnenbild sehr Chor: Christoph Kurig; Solisten: Andrej Dunaev (Nemorino), Netta farbenfroh gewählt: die Damen trugen bonbonfarbene Or (Adina), Dimitri Vargin (Belcore), Bruno Balmelli (Dulcamara), Dirndl mit bunten lockigen Perücken, die Herren erd- Iryna Vakula (Gianetta) Besuchte Aufführung: 9. Februar 2008 (Premiere) farbene Almtracht. Hervorzuheben ist besonders die gesamte musikalische Kurzinhalt Leistung des Abends unter der Leitung Pierre-Domi- Im Zentrum der Handlung steht der schüchterne Land- nique Ponnelles. Donizettis Musik mit ihrem lebendigen mann Nemorino, der in die schöne Pächterin Adina ver- und leichten Charakter wurde überzeugend dargestellt. liebt ist. Diese treibt mit seiner Liebe aber nur ein Spiel Ebenso beeindruckend war Andrej Dunaev (Nemori- und zieht ihm zunächst den Sergeant Belcore vor, der no). Die unbeholfene Schüchternheit Nemorinos spiel- mit seinen Soldaten in ihr Dorf einmarschiert ist. Gleich te er mit sehr entsprechender Gestik und Mimik. Sein macht Belcore Adina einen Heiratsantrag. Um Adina klarer und leicht metallischer Tenor paßte gut zur Rolle nicht zu verlieren, greift Nemorino auf die Hilfe des und war der Höhepunkt des Abends. Spätestens nach geschwätzigen Doktor Una furtiva lagrima - eine Dulcamara zurück. Die- fl üchtige Träne, für die ser war ins Dorf gekom- er stürmischen Applaus men und verkauft unter und Bravorufe kassierte, anderem einen Liebes- stand Dunaev als Publi- trank (eigentlich nur eine kumsliebling fest. Flasche Bordeaux). Dul- Der Chor, der ja im camara gaukelt ihm vor, Stück sehr präsent ist, daß der Trank erst nach harmonierte zwar nicht einem Tag zu wirken be- optisch, dafür aber ge- ginnen würde. Nemorino sanglich durch sein greift zu und trinkt sofort klangliches Volumen. den Liebestrank. Durch Netta Or (Adina) konn- den Alkohol übermütig te nach dem ersten Akt gemacht, spielt er Adi- wegen Krankheit nicht na den Gleichgültigen Netta Or (Adina) und Dimitri Vargin (Belcore) 35 mehr weiter singen. Im zweiten Akt spielte sie die Rolle. zu sein. Max läßt Lilian zu sich bringen, die überrascht ist, Elena Brilova sang für sie aus der Kulisse. Ihr lyrischer einem Prinzen gegenüber zu stehen und glaubt, getäuscht Sopran war aber im Vergleich zu Ors schon im ersten worden zu sein. Vergeblich versucht Max, sie von seiner Akt angeschlagener Stimme eine musikalische Bereiche- Liebe zu überzeugen. Während das Volk Freiheit für die rung für das Stück. Bruno Balmelli (Dulcamara) setz- Gefangene fordert, dankt Max, um sich aus der Affäre zu te seine Baritonstimme sehr lautmalerisch mit Grölen, ziehen, ab; Lilian schlägt dagegen vor, die Revolution zu Jauchzen etc. ein. Dimitri Vargin (Belcore) wurde seiner unterstützen. Als der Aufstand losbricht, will die Regentin Rolle des arroganten Belcore gerecht, obwohl er den auf- Widerstand leisten, aber im Angesicht der entschlossenen maschierenden Sergeant ein wenig überzeichnet spielte Gegnerschaft von Max gibt sie auf und geht ins Exil. Das und sang. Überhaupt unterstrichen die beiden Regisseure Volk ruft Max zum König aus und erwartet von ihm eine die komischen Aspekte der Oper. Dabei waren eindeu- Verfassung. Wütend über Lilians vermeintliche Abreise tige Gesten nicht selten: ein kleiner Po-Klatscher hier, verweigert er die Unterschrift und zerbricht die Feder. Da ein unverschämtes Grabschen dort; immer mit einem erscheint Lilian und reicht ihm eine Rose, damit er mit de- leichten Augenzwinkern, so wie man es von der Opera ren Stiel anstelle der zerbrochenen Feder das Dokument buffa gewohnt ist. Das Publikum lachte und applaudierte unterschreibe. Max tut es und bittet sogleich das Volk dar- mit großer Anteilnahme. um, das Mädchen Lilian aus dem Volk heiraten zu dürfen. Fazit Zur Operette Alles in allem eine sehr bunte, schrille und komische Die bedeutendsten italienischen Opernkomponisten der Umsetzung der Oper Donizettis, die musikalisch kaum Wende zum 20. Jh. schreiben unter dem Eindruck der Er- einen Wunsch offen läßt und szenisch einen kurzwei- folge der Wiener Operetten auch Werke dieses Genres. Die ligen Abend garantiert. Allein wegen Andrej Dunaev Rosenkönigin ist die interessanteste und erfolgreichste der lohnt es, die Aufführung zu besuchen. sieben Operetten Leoncavallos, die außerhalb Italiens noch M. Joannidis auf ihre Entdeckung warten. Bild: Eduard Straub Aufführung Man muß der Stadt Erfurt gratulieren: zu ihrem Opern- Erfurt, Oper haus, dessen hervorragendem Orchester, seinen guten Die Rosenkönigin - La Reginetta delle Rose Solisten und zu seiner Leitung. Darunter gebührt einen besonderen Dank dem Intendanten Guy Montavon und von Ruggero Leoncavallo, Operette in drei Akten; Libretto von Gio- dem Dramaturgen Arne Langer für die Ausgrabung der vacchino Forzano; UA: Rom u. Neapel 1912; Deutsche Übersetzung: Leoncavallo-Operette. Peter Brenner (Deutsche Erstaufführung); Regie: Peter Brenner; Bühnenbild/Kostü- In der gelungenen Dekoration me: Hank Irwin Kittel; Dirigent: Joji Hatto- von Hank Irwin Kittel brachte ri, Philharmonisches Orchester und Chor, Peter Brenner ein sehr skurriles Choreinstudierung: Andreas Ketelhut, England und ein verschrobenes Choreographie: Rudolf Hanisch; Solisten: Besetzung: Marisca Mulder (Lilian), Susan- Königreich irgendwo in Europa ne Roth (Anita), Carola Gruber (Mikalis), auf die Bühne. Leoncavallo erfüllt Erik Fenton (Max), Mate Solyom-Nagy alle Operettenklischees. (Don Pedro), Dieter Hönig (Gin) u.v.a. Besuchte Aufführung: 1. März 2008 (Premiere) Carola Gruber (Mikalis) war und ist stimmlich immer ein Garant in Kurzinhalt Erfurt. Das ernste Paar – Marisca Bei einem Fest in einem Londoner Mulder (Lilian) und Erik Fenton Park trifft das Blumenmädchen Li- (Max) – waren beide in glänzen- lian ihren Geliebten Max ohne zu der Verfassung. Das heitere Paar wissen, daß er ein Prinz aus dem – Susanne Rath (Anita) und Mate fernen Portowa ist und sich auf Bil- Solyom-Nagy (Don Pedro) – er- dungsreise in London aufhält. Sie freuen durch ihr bezauberndes verabreden, sich in Portowa wieder Duett und durch angenehme Be- zu sehen. Im königlichen Palast weglichkeit. Überhaupt Beweg- von Portowa fordert die Regen- lichkeit: Selten zuvor habe ich ei- tin die Hochzeit des Prinzen Max nen so agilen Chor erlebt wie den mit Prinzessin Anita. Da trifft die in Erfurt. Natürlich wäre es schön, Nachricht ein, daß die gerade an- wenn das Haus ein eigenes Bal- gekommene Lilian unter dem Ver- Marisca Mulder (Lilian) lett hätte; denn ganz kann es auch dacht inhaftiert wurde, Nihilistin und Erik Fenton (Max) als Traumpaar der bewegungsfreundlichste Chor 36 nicht ersetzen. Dennoch: die Tanznummern des Chors, bedingt. Herausgekommen ist denn auch über weite Stre- und da sei besonders die “Altherrenriege“ im zweiten cken nicht mehr als eine Verballhornung des Werkes. Der Akt erwähnt, sind schön choreographiert und exakt ge- Effekt, der sich z.B. durch die Jagd auf leicht bekleidete tanzt. Ein großes Lob an den Chor und seinen Leiter Damen mit Hirschgeweihen und Häschenohren (erster Andreas Ketelhut. Akt) erzielen läßt, verpufft rasch. Tiefere Einblicke in das Erwähnenswert ist auch das Sprachtraining, welches das Werk lassen sich so kaum erreichen. internationale Ensemble absolviert hat. Die gesprochenen Neuenfels scheint zudem selbst unschlüssig zu sein, von Passagen kamen deutlich herüber und die Verständlichkeit welcher Seite er sich dem Tannhäuser eigentlich nähern des Gesangs verlangte nicht nach einer Übertitelung. will. Zu der erwähnten Ironisierung kommt eine Gleich- setzung des Titelhelden mit dem Komponisten. Dieses Fazit Konzept hätte aufgehen können, denn im Tannhäuser Alles in allem muß diese Produktion unter Peter Bren- geht es letztendlich um einen Menschen, der im Leben ners Regie, gekoppelt mit einer geschickten Überset- und in der Kunst zu Extremen neigt und bis zu seinem zung und einer liebevollen Verlegung in die 80er Jah- Tod nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen. Unbestrit- re des alten Jahrhunderts und unter der musikalischen ten ist auch, daß Wagners Figuren oft autobiographische Leitung von Joji Hattori hoch gelobt werden. Sie macht Züge haben. Der „Wagner-Tannhäuser“ wirkt jedoch neugierig auf weitere unbekannte Operetten, und man inmitten des boulevardesken Geschehens deplaziert, sollte sich wünschen, daß mehr Theater den Mut auf- ebenso wie die Anspielungen auf die Entstehungszeit brächten, jenseits von Lustigen Witwen, Czardasfürstin- der Oper. Und wenn sich während des Sängerwettstreits nen, Zarewitschen und Fledermäusen Ausschau nach gar Wagners Mäzen Ludwig II. persönlich mit einem Entdeckenswertem zu suchen. Der Schlußapplaus sollte älteren Wagner im Schlepptau herbemüht, ist das nicht Anreiz genug sein. A. M. Hauer mehr als purer Slapstick. Allenfalls aufdringlich wirkt der Bild: Lutz Edelhoff Versuch, bei Ouvertüre und Orchester-Zwischenspielen durch vor den Vorhang projizierte Texte den direkten Kontakt zum Publikum zu suchen, etwa beim Vorspiel Essen, Aalto-Theater zum dritten Akt: Es versöhnt, dass wir es bis jetzt miteinander Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg ausgehalten haben. Einen Teil des dritten Aktes siedeln Neuenfels und von der Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Ak- Thannen in einer Irrenanstalt an: offensichtlich um zu zeigen, ten; UA: 19. Oktober 1845, Dresden, Hoftheater daß „Wagner-Tannhäuser“ nur bei denen, die den Schritt aus Regie: Hans Neuenfels, Bühne und Kostüme: Reinhard von der Thannen, Licht: Jürgen Nase; Dirigent: Stefan Soltesz, Essener Philharmoniker, Opern- der Gesellschaft mit letzter Konsequenz getan haben, Liebe und Extrachor des Aalto-Theaters, Einstudierung: Alexander Eberle und Anerkennung fi ndet. Hier gelingen dem Regisseur so- Solisten: Scott MacAllister (Tannhäuser), Danielle Halbwachs (Elisa- gar einige stille, berührende Momente. Leider fügen sie sich beth), Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach), Elena Zhidkova kaum in das Ganze ein und lösen sich außerdem angesichts (Venus), Marcel Rosca (Landgraf Hermann), Thomas Piffka (Wal- ther von der Vogelweide), Almas Svilpa (Biterolf), Rainer Maria Röhr neuer überfl üssiger Gags – Auftritt eines Roboters mit dem (Heinrich der Schreiber), Michael Haag (Reinmar von Zweter), Chris- Stab des Papstes – rasch in Wohlgefallen auf. tina Clark (Hirt), Mitglieder des Aalto Kinderchors (Edelknaben) Besuchte Vorstellung: 29. März 2008 (Premiere) Kurzinhalt Siehe Tannhäuser bei Oper Köln Inszenierung Der Essener Tannhäuser ist Hans Neuenfels’ zweite Wagner-Regiearbeit nach den Meistersingern 1994 in Stutt- gart. Sein schon im Vorfeld angekündigtes Vorhaben, die Wagner-Rezeption von Kli- schees und Pompösem be- freien zu wollen, ist durchaus lobenswert. Der Ansatz, nach komischen oder ironisieren- den Elementen bei Wagner zu suchen, funktioniert im Tannhäuser jedoch nur sehr Scott Mac Allister (Tannhäuser) und Statisten 37 Sänger und Orchester Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier Scott MacAllister (Tannhäuser) verfügt über eine hell L´incoronazione di Poppea – Die Krönung der Poppea timbrierte, erfreulich schlanke Stimme, die mit ausrei- von Claudio Monteverdi, Dramma in musica, Prolog und drei Akte chend Metall und Durchschlagskraft ausgestattet ist, um Dichtung: Giovanni Francesco Busenello, UA: Venedig 1642. alle Facetten der gefürchteten Partie souverän bewälti- Regie: Bettina Lell (nach einer Inszenierung von Andreas Baesler), gen zu können. Lobenswert auch die Sorgfalt, mit der Bühnenbild: Eckhard-Felix Wegenast, Kostüme: Susanne Hubrich, er sich der Artikulation des Textes widmete – trotz eines Dramaturgie: Johann Casimir Eule; Dirigent: Samuel Bächli, Neue unüberhörbar amerikanischen Akzentes. Philharmonie Westfalen; Solisten: Wolf-Rüdiger Klimm (Amor), Claudia Braun (Poppea), Anke Sieloff (Nero), Noriko Ogawa-Yatake Danielle Halbwachs (Elisabeth) runder, in allen Lagen (Ottavia), Matthias Lucht (Ottone), Christian Helmer (Seneca), Leah sauberer und ausgeglichener Sopran war ein Vergnügen. Gordon (Drusilla), William Saetre (Arnalta) u.a. Da konnte Elena Zhidkova als Venus nicht ganz mithal- Eine Koproduktion mit dem Staatstheater Braunschweig Besuchte Vorstellung: 9. 3.2008 (Premiere ten. Zwar gebietet sie über einwandfreie Spitzentöne, in mittlerer und tiefer Lage erwies sich ihre Stimme jedoch Kurzinhalt als steif und unfl exibel. Auch die Textverständlichkeit Die Götter Fortuna (Schicksal), Amor (Liebe) und Virtu ließ bei ihr erheblich zu wünschen übrig. (Tugend) streiten sich, wer von ihnen die Geschicke der Heiko Trinsinger konnte für den Wolfram von Eschen- Menschen lenkt. Amor will beweisen: allein die Liebe. bach mit einem edlen, kräftigen und geschmeidigen Kaiser Nero liebt Poppea, die Gattin des Praetors Ot- Bariton aufwarten. Insgesamt fi el sein Vortrag etwas tone. Er will Poppea zur neuen Kaiserin ernennen und eindimensional aus, was auf eine gerade überstandene sich daher von Kaiserin Ottavia trennen. Als Seneca die Indisposition zurückzuführen sein mag. Unter den üb- Machenschaften Neros kritisiert, wird er zum Selbst- rigen Sängern hinterließen naturgemäß Marcel Rosca mord gezwungen. Ottone und dessen Freundin Dru- (Landgraf Herrmann) und Thomas Piffka (Walther von silla versuchen auf Ottavias Rat, Poppea zu ermorden. der Vogelweide) den stärksten Eindruck. Durch Eingreifen Amors mißlingt der Mordanschlag Schauspielerisch blieben alle Solisten blaß, wenn man von und die Täter werden gefaßt. Ottone bezichtigt die Kai- einigen Ausbrüchen an Spielfreude unter den Minnesän- serin Ottavia der Mittäterschaft. Beide werden daraufhin gern (Rainer Maria Röhr als Heinrich der Schreiber und aus Rom verbannt und Nero erhebt seine Geliebte Pop- Michael Haag als Reinmar) absieht. Das liegt in erster Linie pea zur rechtmäßigen Kaiserin. an Neuenfels’ Personenregie. Er steckt viel Energie in die Aufführung Choreographie seines „Bewegungschores“. Die Solisten überläßt er dabei weitgehend sich selbst. Ein besonderes Augenmerk dieser Inszenierung ist auf die Darstellung der Klassengegensätze im Stück gelegt: Star des Abends waren nach Scott MacAllister ganz ohne die Adligen, die nur mit ihren Gefühlen beschäftigt sind, Zweifel die Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz. singen italienisch, das niedere Volk der Soldaten, Am- Schon die Ouvertüre gestaltete Soltesz einfallsreich und dy- men und Angestellten kann nur Deutsch, wohingegen namisch fein abgestuft. Seine Tempi sind zügig und fl üssig, der abgehobene Philosoph Seneca öfters auch in lateini- ohne zu hetzen. Es wäre reine Beckmesserei anzumerken, scher Sprache doziert. daß man sich im Forte mitunter noch etwas mehr Schlank- heit und Transparenz gewünscht hätte. Als bestens dis- Anke Sieloff meistert gesanglich und in den Bewegun- poniert erwies sich auch der Chor, sogar unter „erschwerten“ Bedin- gungen (Aufstellung im Zuschauer- raum beim Einzug der Gäste). Fazit Musikalisch kann sich der Essener Tannhäuser mehr als hören lassen. Und ein „Skandal“ ist Neuenfels’ Inszenierung ganz sicher nicht. Es bleiben aber berechtigte Zweifel, ob er die moderne Wagner-Rezeption mit seiner Deutung einen Schritt nach vorn gebracht hat – und ob das Publikum von dieser Inszenie- rung mehr in Erinnerung behält als ein paar Albernheiten. E. M. Ernst Bild: Matthias Jung William Saetre (Arnalta), Claudia Braun (Poppea), Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) 38 gen ihre Rolle als Nero sehr gut. Ein echtes Mitfühlen Greifswald, Theater Vorpommern während der Liebeszenen zwischen Nero und Poppea Fidelio konnte aber nicht aufkommen, obwohl Claudia Braun (Poppea) gesanglich wie auch durch ihr attraktives, ver- von Ludwig van Beethoven, Oper in 2 Aufzügen, Text: Joseph Sonnleithner, Stephan von Breuning und Georg Friedrich Treitschke nach der Oper Léo- führerisches Äußeres, grandios ist. Das Schlußduett der nore ou l’amour conjugal von Pierre Gaveaux und Jean Nicolas Bouilly beiden, in welchem das auf Erden wie im Himmel wider- UA: (3. Fassung): 1814 Wien hallende Glück von Poppea und Nero besungen wird, ist Regie: Anton Nekovar, Bühnenbild/Kostüme: Sabine Lindner; Diri- ein musikalischer Höhepunkt. Das geht einem wirklich gent: Mathias Husmann, Philharmonisches Orchester Vorpommern, Singakademie Stralsund und Opernchor des Theaters Vorpommern, unter die Haut! Noriko Ogawa-Yatake (Ottavia) bringt Einstudierung: Thomas Riefl e, Günther Wolf gesanglich eine durchgängig gute Leistung und ist ihrer Solisten: Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan), Benno Rolle angemessen stimmlich unauffällig. William Saetre Remling (Don Pizarro), Bernhard Leube (Rocco), Eva Resch (Marzelline), (Arnalta) überzeugt durch eine kecke Stimme und das Noriyuki Sawabu (Jaquino), Bryan Rothfuss (Don Fernando), Bernd Roth teilweise witzig vorgetragene Parlando. Leah Gordon (Erster Gefangener), Volker-Johannes Richter (Zweiter Gefangener) Besuchte Vorstellung: 5. April 2008 (Premiere) (Drusilla), Daniel Wagner (1. Soldat/Schüler), Jan Cie- sielski (2. Soldat/Schüler) und Artur Grywatzik (Schüler) Kurzinhalt machen aus ihren Nebenrollen stimmlich und agierend das Marzelline, Tochter des Gefängniswärters Rocco, liebt Beste. Christian Helmer (Seneca) entspricht mit seiner vo- den Gehilfen Fidelio, der sich durch Fleiß und Geschick luminösen Baßstimme den zur Zeit Monteverdis typischen auszeichnet. Tatsächlich handelt es sich bei ihm jedoch Stimmencharakter eines würdigen, weisen Philosophen. um eine verkleidete Frau, Leonore, die sich in das Ge- Der Counter-Tenor Matthias Lucht (Ottone) entspricht fängnis eingeschlichen hat, um Kontakt zu ihrem Gatten mit weicher, chromatisch schmiegsamer Melodik in sei- Florestan, einem politischen Gefangenen, der seit Jahren nen Gesangspassagen der Rolle eines zaudernden Ottone im tiefsten Verließ sitzt, zu bekommen. Als eine königli- grandios. Wolf-Rüdiger Klimm (Amor) erinnert in seinem che Inspektion des Gefängnisses angekündigt wird, ent- auffällig kitschigen Silberpaillettenanzug mit Ballonrock, schließt sich der Gouverneur Don Pizarro, der Florestan Flügeln und Plateaustiefeln eher an das Bühnenoutfi t der widerrechtlich festhalten läßt, Florestan zu töten, um 1970er Jahre und überschattet damit seine gesangliche Leis- seinen gefährlichsten Widersacher aus dem Weg zu räu- tung. Insgesamt sind fl ippige Kostüme, Kleidung aus den men. Dank des Vertrauens des Gefängniswärters Roc- 1950er Jahren bis zurück zu barock anmutender Kostümie- co darf Leonore zu ihrem Gatten herabsteigen, gerade rung, bunt nebeneinander gruppiert. im rechten Moment, um ihm das Leben zu retten. Don Fernando, der Abgesandte des Königs, trifft in diesem Das Orchester unter der Leitung von Samuel Bächli ver- Moment ein, nimmt Pizarro gefangen, verspricht eine dient das größte Lob. Von Monteverdis L´incoronanzione Aufarbeitung von dessen tyrannischer Herrschaft und di Poppea ist nämlich nur Singstimme und Baßlinie über- entläßt Florestan in die Freiheit. liefert. Erst durch die Instrumentation von Samuel Bächli und Kai Tietje ist sie für die Aufführung außerordentlich Aufführung eindrucksvoll hergerichtet worden. Die für Greifswalder Verhältnisse aufwendig ausgestatte- Die Gratwanderung zwischen der Aufführungspraxis te Inszenierung des Intendanten Anton Nekovar ist, das Alter Musik und heutiger Musizierpraxis ist grandios muß man vorab sagen, als sehr gelungen zu bezeichnen. gelungen. Kai Tietje und Samuel Bächli zaubern mit ih- Sie macht den Genrewechsel, der im Text des ersten Akts rer Kammermusikgruppe von 22 Musikern ein perfek- angelegt ist, durch einen originellen Einfall deutlich: Wenn tes Zusammenspiel zwischen historischen Klangquellen der Vorhand sich öffnet, bietet sich ein Bild wie in einer wie Blockfl öten, Laute, Truhenorgel und authentischen Inszenierung des 19. Jahrhunderts: Bemalte Leinwände Streichinstrumenten einerseits und Klarinetten, Kla- zeigen das Gefängnisgebäude im Hintergrund, davor sin- vier, Akkordeon und Vibraphon von heute andererseits. gen die Solisten im historischen Kostüm. Das berühmte Hinzu kommen noch Oboen, Fagotte und Posaune. kanonische Quartett Mir ist so wunderbar wurde durch die Ein gewagtes Unternehmen, das manchmal sehr ein Lichtregie und eine musikalisch fein abgestimmte Vortrags- anti-monteverdisches, aber durchaus wohlklingendes Er- weise aller Beteiligten sehr deutlich und durchhörbar. gebnis hervorruft. Allemal kooperieren die Musiker gut Dann, während des Terzetts Gut, Söhnchen, gut ändert sich miteinander. Sie verstehen es, Rhythmik, Harmonik und das Bild vollständig. Von der Decke werden eine Vielzahl Melodik meisterhaft darzubieten. von Uniformen herabgelassen, aus denen sich die drei Fazit Solisten schwarze Jacken mit der Aufschrift „Security“ heraussuchen. Die Leinwände werden hochgezogen, Die Aufführung wirkt insgesamt sehr solide. Ein großer und wir befi nden uns für den Rest des Abends im 21. Applaus am Schluß der Premierevorstellung blieb aus. Die Jahrhundert, genauer: in einem Gefängnis des 21. Jahr- Umsetzung des Stücks in der gebotenen Form ist sicherlich hunderts: Steril und klinisch geht es hier zu, kahle Wän- eine Geschmacksfrage. B. Wandschneider de, kaltes Neonlicht. Bild: Majer-Finkes und Rudolf Finkes 39 Ein Gefangenenchor in orangefarbenen Unifor- men singt von einer Ein- heit mit Maschinengeweh- ren. Diese Einheit besteht aus jungen Männern im Outfi t privater Wachdiens- te, woran wir uns in den letzten Jahrzehnten ge- wöhnt haben. Der Bezug auf das Foltergefängnis von Guantánamo ist sofort deutlich – und die zeitlose Aktualität von Beethovens Oper wird ein weiteres Mal eindrucksvoll belegt. Poli- tische Gefangene, für die kein Recht gilt, gehören – wie vor 200 Jahren – zu Anna Ryan (Leonore / Fidelio), Michael Renier (Florestan) Fazit unserer Realität. Musikalisch wird eine – für ein kleines Theater – ordent- Hier regiert ein eleganter und eiskalter Don Pizarro, liche Leistung geboten, vom Orchester sogar eine sehr überzeugend dargestellt von Benno Remling, einem der gute, dazu eine Inszenierung mit Tiefgang und weit über besten Akteure des Opernensembles. Florestan wird in dem Durchschnitt vergleichbarer Häuser. Kleine Bühne, einem unterirdischen Hochsicherheitstrakt verwahrt, sei- großer Wurf! ne Verzweifl ung wirkt bedrückend realistisch. Die lange Schlußszene mit großem Chor, die wegen ihres utopi- M. Knust schen Gehalts schwer umzusetzen ist, gelang szenisch Bild: Theater Vorpommern und vor allem musikalisch. Das Philharmonische Orchester Vorpommern brachte Koblenz, Theater der Stadt Beethovens Musik souverän und mit Verve zum Erklin- Lucia di Lammermoor gen, und das in der sehr trockenen, keinen Fehler ka- von Gaetano Donizetti, Dramma tragico in 3 Akten; Libretto: Sal- schierenden Akustik des Greifswalder Theaters. Das vor vatore Cammarano, nach dem Roman The Bride of Lammermoor gut einem Jahrzehnt durch Fusion entstandene Orches- (1819) von Sir Walter Scott; UA: 26. 9. 1835, Teatro San Carlo, Neapel ter hat seit dem Engagement Mathias Husmanns eine Regie und Bühnenbild: Hans Hoffer, Kostüme: Gera Graf erfreuliche Entwicklung genommen. Dirigent: Anton Marik, Staatsorchester Rheinische Philharmonie Solisten: Estelle Kruger (Lucia), Guillermo Dominguez (Edgardo), Was die musikalische Leistung der Solisten angeht, darf Alexander Polakovs (Enrico), Michael Burt (Raimondo), Monica man natürlich nicht das Niveau eines Großstadttheaters Mascus (Alisa), Max An (Arturo), Ji-Soo Kim (Normanno) erwarten. Zwar verfügen Anna Ryan (Fidelio) und Mi- Besuchte Aufführung: 29. Februar 2008 (Premiere) chael Renier (Florestan) über sehr kräftige, klangvolle Kurzinhalt Stimmen, doch wirkte vor allem Reniers Einsatz seiner Die schottischen Familien Ravenswood und Lammer- Mittel unausgeglichen, beinahe so, als würde er zu sehr moor sind verfeindet. Doch Lucia di Lammermoor hat an die Verhältnisse eines großen Hauses gewöhnt sein. sich in Edgardo, den letzten Erben von Ravenswood, Mitunter war das Orchester bei seinen Fortissimo-Ein- verliebt. Sie trifft sich heimlich mit dem Geliebten am sätzen nicht mehr zu hören, und seine Aussprache des Brunnen, wo sie sich gegenseitige Treue schwören. Deutschen ist leider noch nicht sehr deutlich. Dafür aber meisterte er die gefürchtete Schlußstretta seines Lucias Bruder Lord Enrico aber will sie mit dem rei- Monologs Zur Freiheit, zur Freiheit vollauf. Anna Ryan ver- chen Lord Arturo Bucklaw verheiraten, um die Fami- fügt wie er über eine sehr solide Technik, die sie mit Sicher- lie aus ihrer verschuldeten Lage zu retten. Inzwischen heit auch im hochdramatischen Fach mit Erfolg einsetzen schreibt Edgardo, der sich als Botschafter in Frankreich kann. Am schwächsten war die sängerische Leistung von befi ndet, Briefe. Einen davon fälscht ihr Bruder. Darin Bryan Rothfuss (Don Fernando). Darstellerisch gingen die gesteht Edgardo Lucia, daß er eine andere lieben würde. Solisten und Choristen ganz in der ihnen von der Regie So unterschreibt Lucia schließlich den Ehevertrag mit gestellten Aufgabe auf. Szenen- und ein langer Schlußbei- Arturo. Während der Hochzeitsfeier taucht Edgardo fall ließen keinen Zweifel daran, daß diese Produktion vom plötzlich auf und fragt sie, ob es stimme, daß sie einen Publikum mehr als dankbar angenommen wird. anderen lieben würde. Als Lucia das bejaht, gibt er ihr 40 den Ring zurück. Noch in der Nacht fordert Enrico durch ein eierförmiges, leicht schräg liegendes Loch in Edgardo zum Duell. Die feiernde Hochzeitsgesellschaft einer schwarzen Wand zu sehen – auch eine Möglichkeit, wird geschockt durch die Mitteilung, Lucia habe ihren den Brunnen darzustellen, vor dem sie stehen. Alisa zieht frisch Vermählten getötet. Diese erscheint mit blutver- ihr zuvor ihre Jacke an – allerdings mit der Öffnung nach schmiertem Kleid im Saal. Sie ist dem Wahnsinn ver- hinten. Dies erinnert unweigerlich an eine Zwangsjacke. fallen. Zu spät erkennt Enrico, was er seiner Schwester Und so ziehen sich die Assoziationen an Lucias Wahn- angetan hat. sinn durch das gesamte Stück. Vor allem gegen Ende er- Heimkehrende Hochzeitsgäste berichten Edgardo, der weckt der Bühnenbildner die Vision einer Irrenanstalt: im Morgengrauen auf Lord Enrico zum Duell wartet, Raimondo wird als Greis im Rollstuhl umher geschoben, Lucia sei wahnsinnig geworden. Kurz darauf verkünden das Ensemble trägt weiße Kittel, Lucia zieht ihre Perücke die Glocken ihren Tod. Edgardo beschwört seine Liebe aus, unter der ein kurzgeschorener Haarschopf erscheint, zu Lucia und nimmt sich das Leben. Edgardo schlitzt sich am Ende die Pulsadern auf. Für Lucias Wahnsinn läßt sich Hoffer ein eindringliches Aufführung Bild einfallen: Als sie während der Feier den Saal betritt, Die Liebe zwischen Lucia und Edgardo ist von Anfang trägt sie ein leuchtend rotes Kleid und eine rote Perücke an zum Verder- und schleift den ben verurteilt. Es toten Körper Ar- ist die tragische turos hinter sich Geschichte einer her. Sie zieht das unterdrückten Kleid aus, un- Frau, die von ter dem sie ein allen zu deren weißes, blutver- Vorteil ausge- schmiertes Nacht- nutzt wird. Nach gewand trägt. Auffassung des Dann stimmt sie, Regisseurs Hans auf dem Leich- Hoffer will Enri- nam sitzend, die co Lucia des Ruh- Wahnsinnsarie mes und Geldes an. wegen verheira- Estelle Kruger ten und Edgardo (Lucia) liefert sie als Trophäe eine meisterliche besitzen. Sie ver- Estelle Kruger (Lucia) sitzt auf dem Leichnam ihres Gatten, im Hintergrund die zerfallene Maske. Hauptfi gur ab. leugnet ihre große Die gebürtige Liebe und damit ihr eigenes Ich. Und schließlich fl üchtet Südafrikanerin besticht durch eine gute Dynamik. Vor sie sich in den Wahnsinn. Es ist das erste Mal, daß Lucia allem ihre Koloraturen in der Wahnsinnsarie sind ein Ge- sein kann, was sie will: frei. nuß und begeistern das Publikum. Ihr Zusammenklang Die Wahnsinnsarie im dritten Akt ist der Höhepunkt der mit der Flöte ist perfekt. Auch Guillermo Dominguez Oper, und daraufhin hat Hans Hoffer (auch Bühnen- (Edgardo) erfreut mit einer sehr angenehmen Stimme. bildner) seine Inszenierung auch ausgelegt: Die Bühne Sein Spiel, vor allem in der letzten Szene, ist überaus ist spartanisch eingerichtet. Im Mittelpunkt steht eine überzeugend. Man kauft ihm zweifellos den feurigen überdimensionale weiße Maske, die das Gesicht und den Liebhaber ab. Alexander Polakovs (Enrico) singt einen Verstand der Lucia darstellt. Zu Beginn der Oper fl üch- zornigen, rachsüchtigen Enrico. Vor allem zu Beginn ist tet sie sich immer wieder darauf wie auf eine schützen- seine Stimme etwas zu schrill. Michael Burt (Raimondo) de Insel. Bei der Hochzeitsfeier schließlich ist die Maske singt als satter, ansonsten recht unauffälliger Baß. Auch in einzelne Teile zerfallen – genau wie Lucias Verstand das restliche Ensemble fügt sich gut ein. Dirigent Anton Marik dem Wahnsinn verfallen ist. gelingt es gut, die verschiedenen Stimmungen der Musik aus Schon während der Ouvertüre deutet Hoffer das Schick- dem Orchester herauszulocken. Die Streicher überzeugen, die sal der Lucia an: Ein Fadenkreuz wird auf die Bühne Bläser sind an manchen Stellen ein wenig unsauber. projiziert, und dahinter erkennt man eine Figur, die wie Fazit durch eine Wärmebildkamera betrachtet, langsam hin Eine durchaus gelungene, aussagekräftige Inszenierung und her durch den Raum schwebt. Dazu erklingen die mit einer überzeugenden Lucia und einem ansonsten zu- unheilvollen Töne des Orchesters. frieden stellenden Ensemble und Orchester. Und noch einen dramaturgischen Kniff wendet Hoffer J. Korst an: Als Edgardo und Lucia sich nachts treffen, sind sie Bild: PIELmedia 41 Köln, Oper Die Kostüme sind schlüssig aus dem jeweils darge- Rotter stellten Zeitabschnitt deutscher Geschichte gewählt, Charlestontänzer sind dadurch genauso legitimiert wie von Torsten Rasch, Oper in zwei Akten, Text: Katharina Thalbach NS-Uniformen und FDJler. und Christoph Schwandt nach Thomas Brasch; Regie: Katharina Thalbach, Bühnenbild: Momme Röhrbein; Dirigent: Hermann Bäu- Katharina Thalbachs Regie orientiert sich nah an den mer, Gürzenich-Orchester Köln, Opernchor Köln Konventionen des Schauspiels, was für eine Oper, die Solisten: Hans-Georg Priese (Rotter), Albert Bonnema (Lackner), Regi- sich politischen Themen widmet, mehr als angebracht na Richter (Elisabeth), Ulrich Hielscher (Fleischer), Shannon Chad Foley (Hauptmann), Johannes Beck (Vorsitzender), Alexander Fedin (Kunde/ ist, um den Handlungsstrang klar, direkt und ohne un- Polizist/Maschke), Stefan Kohnke (Rotmaler), Hauke Möller (Grabow/1. nötige Ausschmückungen darzustellen. Daneben fri- Arbeiter), David Pichlmaier (Tetzner/2. Arbeiter), Jong Min Lim (Kutz/3. schen innovative Elemente, die durchaus durch den Arbeiter), Julia Giebel (Fräulein Berthold), Machiko Obata (Radio) Text begründet sind, wie Samba tanzende Schweine, das Besuchte Aufführung: 23. Februar 2008 (Uraufführung) Gezeigte auf. Kurzinhalt Komposition Du bist der Gleiche geblieben, der du immer warst. Diese Er- Torsten Rasch beweist mit seiner ersten Oper einen ori- kenntnis am Ende des Stücks liest sich wie ein Fazit aus ginellen Geist. Er weiß mit der menschlichen Stimme den letzten zwei Stunden Operngeschehen, aber auch aus umzugehen und traditionelle Opernelemente sinnvoll einem gesamten Menschenleben. Karl Rotter, ein Kind einzusetzen. Während im größten Teil der Oper der der Weimarer Republik, durchläuft verschiedene Statio- syllabische Stil überwiegt, dienen z.B. Melismen der nen des Zeitgeschehens des 20. Jahrhunderts in Deutsch- Textausdeutung, ein Wort besonders zu betonen, so ge- land: Erst ist er Metzgerlehrling, dann im SS-Hemd und schehen beim Erwähnen des Führers, bei dem durch eine schließlich Baustellenleiter in der noch jungen DDR. aberwitzige Koloratur die Verbundenheit und Bewun- Daneben bestimmen ihn eine gescheiterte Ehe mit Eli- derung Rotters für diese Person ausgedrückt wird. sabeth, eine Haßliebe zu seinem Gegenspieler Lackner und die über Jahre hinweg quälende Frage, ob das Kind, Das Instrumentarium ist besonders in den tiefen Lagen das Elisabeth nicht bekommen hat, von ihm oder doch von Lackner war. Rotter will immer weitermachen, auch, wenn um ihn herum alles schon mit neuen Dingen beschäf- tigt ist. Er läßt sich benutzen, ohne es zu mer- ken, wird er läs- tig, schickt man ihn in den Ruhe- stand. Selbst im Angesicht des Albert Bonnema (Lackner) und Arbeiter (Opernchor) Todes will er wie- der von neuem anfangen. Er ist der Gleiche geblieben, und im Schlagwerk erweitert. Die dadurch entstehen- auch wenn sich um ihn alles verändert hat. den klanglichen Möglichkeiten stimulieren sehr genau das Gefühl (die Affekte): So dient ein Glissando in den Inszenierung Streichern dazu, Rotters Zurückstreichen der Haare, um Ein ständiges Kommen und Gehen beherrscht das Ge- dem Führer zu ähneln, zu untermalen, Hammerschläge schehen. Da liegt es nahe, die Haupthandlungsstätte auf der Baustelle werden lautmalerisch im Schlagwerk eines Bahnhofs als Bühnenbild dominieren zu lassen. dargestellt. Nahezu symbolhaft ist der Einsatz der Celes- Geschickt lassen sich die Stahlkonstruktionen, die an ta [Tasteninstrument, bei dem Metallstäbe angeschlagen Stützen einer Bahnhofsüberdachung erinnern, im zwei- werden], die immer dann erklingt, wenn die Alten Kinder ten Akt zu einer Baustelle neu herrichten, zumal auch im Chor auftreten, vergleichbar mit dem kommentieren- hier das Motiv der Eisenbahn in Gestalt einer Werksbahn den Chor des antiken griechischen Dramas. Aber auch erneut auftritt. 42 Köln, Oper wenn Kinder agieren oder ein Kinderlied angestimmt wird, erklingt das Schlagwerk der Celesta wie eine Spiel- Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg uhr aus der Ferne. Musik und Text von Richard Wagner, Romantische Oper in drei Aufzügen. UA: 19. Oktober 1845, Hoftheater Dresden Insgesamt ist die Komposition freitonal, es treten jedoch Regie: Jasmin Solfaghari, Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann, auch kurze lyrische Passagen auf, die ein tonales Zen- Kostüme: Mechthild Seipel; Dirigent: Markus Stenz, Gürzenich-Or- trum aufweisen. Diese Stellen sind gezielt gesetzt und chester und Chor der Oper, Einstudierung: Andrew Olivant dienen der Textverdeutlichung, z.B. während der Depor- Solisten: Andreas Hörl (Hermann, Landgraf), Torsten Kerl (Tann- tation von Juden. Durch diese kurzen tonalen Momente häuser), Miljenko Turk (Wolfram von Eschenbach), Martin Homrich (Walter von der Vogelweide), Andrés F. Orozco Martinez (Heinrich erscheint der Aufbruch ins Freitonale noch krasser und der Schreiber), Daniel Henriks (Biterolf), Wilfried Staber (Reinmar der Zuschauer verliert sich nicht im bloßen Zuhören, von Zweter), Camilla Nylund (Elisabeth), Dalia Schaechter (Venus), sondern wird immer wieder zum genauen Hinhören Susanne Nieblung (ein junger Hirt) u.a. aufgefordert. Besonders imponierend ist das Orchester- Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere) zwischenspiel vor der fünften Szene des ersten Aktes. Kurzinhalt Hier wird das Kriegstreiben lautmalerisch ausgedeutet. Beim Erwachen aus tiefem Schlaf weiß Tannhäuser Dazu fi ndet auf der Bühne eine groteske Engführung nicht, wie lange er schon bei Venus weilt. Doch er sehnt von Schlacht, Tänzerinnen, spielenden Kindern und sich zurück nach der Menschenwelt. Schließlich fi ndet Schneegestöber statt, was den beklemmenden Charakter er sich in einem schönen Tal wieder. Der Landgraf und der Musik unterstützt. die Ritter, von der Jagd zurückkommend, fi nden ihn Sänger und begrüßen ihn freudig. Als Wolfram ihm von der auf Die Besetzungswahl ist weitestgehend überzeugend. ihn wartenden Elisabeth berichtet, geht Tannhäuser mit Leider gelingt es nicht allen Sängern, insbesondere in ihnen auf die nahe gelegene Wartburg. Hier trifft Tann- den Nebenrollen, über das in Extremlagen spielende häuser auf Elisabeth. Orchester hinweg in den Zuschauerraum vorzudringen. Die Vorschrift beim Sängerwettstreit ist, das Wesen der Beeindruckend ist die Leistung von Hans-Georg Prie- Liebe durch die Lieder zu beschreiben. Die Minnesänger se in der Rolle des Karl Rotter. Nahezu in jeder Szene Wolfram, Walther und Biterolf tragen ihren abstrakten, muß er stimmlich und schauspielerisch präsent sein. Da moralisierenden Liebesbegriff vor. Tannhäuser antwor- er vor drei Jahren vom Baritonfach ins schwere Tenor- tet, jedes Mal immer hitziger, auf die einzelnen Sänger fach wechselte, beherrscht er auch die verhältnismäßig und setzt dagegen seine Ansicht von irdischer, sinnlicher tiefen Passagen einwandfrei. Regina Richter (Elisabeth) Liebe, die er beglückt erlebt hat. Sein Preislied auf Ve- brilliert mit ihrem klaren Mezzosopran und weiß ihn nus ist der Höhepunkt. sowohl verführerisch, als auch energisch und verbittert Darüber sind die Minnesänger so aufgebracht, daß sie einzusetzen. Einzig die Wahl, die Figur Lackners, dessen ihn mit dem Tod bedrohen. Doch Elisabeth, obwohl Partie überwiegend im Parlandostil geschrieben ist, mit bis ins Herz durch Tannhäusers Aufenthalt bei Venus dem aus den Niederlanden stammenden Albert Bonne- getroffen, stellt sich zwischen die Kontrahenten. Tann- ma zu besetzen, bleibt bisweilen fragwürdig. Gerade in häuser wird ausgestoßen und zur Bußfahrt nach Rom einem Stück, in dem beinahe jedes Wort von politischer gezwungen. In der Zwischenzeit betet Elisabeth für Relevanz ist, sollte besonderer Wert darauf gelegt wer- Tannhäusers Seelenheil. Im Herbst kehrt er ohne die den, daß, trotz der mitlaufenden Übertitel, das Gesun- Pilger allein zurück. Er ist zutiefst enttäuscht, denn der gene durchweg verständlich ist. Papst konnte ihn von seinen Sünden nicht lossprechen. Das Gürzenich-Orchester Köln erweist sich unter der So will er in den Venusberg zurückkehren, doch Wolf- Leitung von Hermann Bäumer als überaus fähig, den ram erinnert ihn an die sterbende Elisabeth. Tannhäuser Ansprüchen einer durchdachten Komposition gerecht besinnt sich und stirbt in den Armen Wolframs als Er- zu werden. Der Chor der Oper Köln kann insbesondere löster. in den sphärisch anmutenden Passagen durch einen äu- Aufführung ßerst homogenen Klang überzeugen. Die Vorstellung der Teheranerin Jasmin Solfaghari zur Fazit Darstellung einer Romantischen Oper nachzuvollzie- Man muß schon eine gewisse Neigung zu Neuer Musik hen, verlangt Ungewöhnliches: Wir sehen eine Einheits- haben, um von Rotter begeistert zu werden. Doch auch bühne, die am ehesten einer Sparkassenhalle gleicht, dann wird einem die Aufführung nicht gefallen, wenn beleuchtet mit Neonröhren, möbliert mit einer schwarz- man nur in die Oper geht, um (frei nach Brecht) roman- ledernen, rechteckigen Sitzcouch und vielen Stühlen, tisch zu glotzen. Was einen erwartet, ist durchaus schwere begrenzt von Glaswänden. Zuvor diente – mit riesigen Kost, die zu probieren es sich allerdings sehr lohnt. blutroten Bettlaken auf der Sitzcouch – diese Halle dem Ch. Lauter Liebesnest Venus/Tannhäuser. Nach seiner Flucht fi ndet Bild: Klaus Lefebvre 43 sich Tannhäuser, nach der Spiel- anweisung Wag- ners … plötzlich in einem schönen Tal, mit blauem Himmel und heite- rer Sonnenbeleuch- tung. Diese von Wag- ner gewollte Pastorale, betont durch den auf- tretenden Hir- ten, ist bei Frau Solfaghari ein Sparkassenvesti- bül. Durch den hinteren Teil des Vestibüls zieht Pilger mit T-Shirt und rotem Kreuz bei ihrer Rückkehr aus Rom eine Pilgergrup- was muß Jasmin Solfaghari im Kopf gehabt haben, das pe, unschwer an roten Kreuzen auf den weißen T-Shirts sie uns damit kundtun wollte. Vielleicht hat sie tatsäch- erkennbar. Elisabeth tritt auf im Männerhemd mit nack- lich an eine Hirtenlandschaft (Pastorale) gedacht? ten Beinen. Daß sie sich in diesem Aufzug auf den zu- rückkehrenden Tannhäuser freut, kann man verstehen, Camilla Nylund (Elisabeth) war eine Augen- und Oh- denn sie ist wohl am frühen Morgen noch nicht ange- renweide: ihre Intonationssicherheit ist bewunderns- zogen. Daß sie aber in gleicher Montur Tannhäuser und wert, nur ihre Aussprache ist grauenvoll: ich verstand den Landgraf begrüßt, ist weniger zu begreifen. fast nichts! Sollte man nicht doch auch bei deutschen Opern einen Übertitel mitlaufen lassen? Die schnelle Bei der Rückkehr von seinem Rom-Büßergang fi ndet Einstudierung der Gesangsrollen erlaubt zeitlich meist Tannhäuser die Halle zertrümmert vor: sämtliche Fens- nicht, durch die Vokalisierung noch die Konsonanten terscheiben sind zerbrochen, die Neonröhren liegen verständlich zu singen. Dalia Schaechter (Venus) sang auf der Erde, selbst die „Lustcouch“ ist umgestürzt. und bewegte sich venusgerecht. Bei Wagner ist es lediglich Herbst, ohne daß die Halle verwüstet ist. Mit rotem Vorhang erscheint Frau Venus Der Chor war gut trainiert, aber oft sehr laut. Lauter wieder, doch Tannhäuser beachtet sie nicht und stirbt in allerdings war das Orchester unter Stenz’ Stabführung. Gedanken an seine keusche Elisabeth. Auch eine massive Wagnerpartitur kann man zurück- nehmen. Die Sänger haben es allemal schwer. Sänger Fazit Andreas Hörls (Landgraf Hermann) tiefer Baß hallte wohltönend durch die Sparkassenlobby. Er war für den Warum meinen eigentlich viele Regisseure, durch ro- erkrankten Reinhard Dorn eingesprungen und gestalte- bustes Modernisieren eine Oper verständlicher oder te seinen Part glänzend. Von Torsten Kerl (Tannhäuser) sogar attraktiver zu machen? Bei dieser Inszenierung kann man das leider nicht behaupten: von Anfang an geschieht es ohne irgendwelchen Gewinn an Klarheit preßte er seinen Tenor durch Höhen und Tiefen, daß oder Spannungserhöhung. Im Gegenteil, es sind so vie- man manchmal Angst hatte, wann die Stimme kippen le unverständliche Einzelheiten, daß man sich langweilt würde. Eine wahre Freude war Miljenko Turk als Wolf- oder sich ärgert oder alles beim Gesang vergißt und die ram. Er sang einigermaßen verständlich und seine Bari- Augen schließt. Ist das der Sinn einer Modernisierung, tonstimme durchmaß alle Fährnisse souverän. Auch an gegen die ja grundsätzlich nichts einzuwenden ist? allen anderen Minnesängern – Martin Homrich (Walter), Einstimmiges Buhen begrüßte dann auch das Regieteam. Orozco Martinez (Heinrich), Daniel Henriks (Biterolf) Später kam auch Applaus auf, wohl für die Sänger, die sich sowie Wilfried Staber (Reinmar) – war sängerisch nichts dem Team hinzugesellten. Das wiederum quittierte Frau auszusetzen. Beeindruckend setzte Susanne Niebling (ein Solfaghari mit deutlichem Lachen. Vom Sängerischen ist junger Hirt) ihren hohen Sopran ein. Allein ihr Kostüm, die Aufführung zwiespältig aufzufassen: neben hervorra- mit weißen Kniestrümpfen und klobigen schwarzen Schu- genden Stimmen die Stimme des Titelhelden, der einem hen, widersprach der Sparkassenhallenumgebung. Irgend eigentlich den Abend verleidet. O. Zenner Bild: Klaus Lefebvre 44 Krefeld, Stadttheater nis um Hans’ Herkunft: Er ist der erstgeborene Sohn des Großgrundbesitzers Tobias Micha. Dieser war vor Die verkaufte Braut Jahren in die Fremde gezogen. Im „Brautkaufvertrag“ von Bedřich Smetana, Komische Oper in drei Akten, Libretto: Karel stand nur, daß sie den Sohn des Tobias Micha heiraten Sabina, Deutsch von Kurt Honolka; dürfe, welchen, war nicht festgelegt. So konnte Marie UA: 30. Mai 1866, Interimstheater in Prag sich ihren Bräutigam frei wählen. Als Versöhnungsgeste Regie: François de Carpentries, Bühne: E. Mayer, Kostü- me: Karine van Hercke; Dirigent: Kenneth Duryea, Niederrheini- mit seinem Sohn willigt Tobias Micha in die Verbindung sche Sinfoniker, Chor der Vereinigten Bühnen Krefeld/Mönchen- ein und Hans und Marie können mit dem ganzen Dorf die gladbach; Solisten: Christoph Erpenbeck (Kruschina), Uta Christina letztendlich glückliche Verlobung der verkauften Braut feiern. Georg (Ludmilla), Janet Bartolova (Marie), Matthias Wippich (Tobias Micha), Margriet Schlössels (Hata), Markus Heinrich (Wenzel), Hans- Inszenierung Jürgen Schöpfl in (Hans), Hayk Dèinyan (Kezal), Manfred Feldmann Die Handlung ist ins bäuerliche Milieu der 1960er Jahre (Zirkusdirektor Springer), Jeannette Wernecke (Esmeralda, Tänze- rin), Jeong-Han Lee (Muss). verlegt, was sich insbesondere in der Wahl der Kostüme Besuchte Aufführung: 15. März 2008 (Premiere) widerspiegelt. Viele kleine liebevoll eingesetzte Details peppen das Geschehen vor der Kulisse von Kirchweih- Kurzinhalt fest und Wirtshaus auf: Die Zirkustruppe bietet die neu- Marie, die Tochter eines verarmten Bauernpaares, liebt artige Tupperware feil, das Anwesen Tobias Michas sieht den Knecht Hans, der aus der Fremde zugewandert ist. dem Schloß Neuschwanstein zum Verwechseln ähnlich. Sie geloben einander ewige Treue. Maries Eltern hinge- Das Bühnenbild ist auf das Wesentliche reduziert, was gen erwarten von Marie, daß sie sich auf dem Kirchweih- durchaus von Vorteil ist, da der Zuschauer nicht durch fest mit Wenzel, Sohn des Großgrundbesitzers Tobias üppige Ausstattung vom Handlungsstrang abgelenkt Micha, verlobt. Gemeinsam mit dem Heiratsvermittler wird. Hervorgehoben seien zudem die über das im Li- Kezal setzen sie einen Ehevertrag auf. Jedoch Marie ist bretto vorgesehene Maß hinausgehenden erheiternden nicht bereit, sich dem Willen ihrer Eltern zu beugen. artistischen Darbietungen zu Beginn des dritten Aktes. Sie liebe einen Sänger anderen und habe sich mit Die Liebe zum ihm bereits Detail fi ndet verlobt. sich auch in der Spielfreu- Im Wirtshaus de von En- begegnet Ma- semble und rie ihrem ver- Chor wieder. meintlichen Die verkaufte Bräutigam Braut ist kei- Wenzel. Sie ne Oper, in erzählt dem der die Sän- leichtgläubi- ger virtuoses gen Tölpel, Können unter ohne sich ihm Beweis stel- zu erkennen len müssen, zu geben, daß vielmehr ist seine Braut Janet Bartolova (Marie), Hay Dèinyan (Kezal), Uta Christi- ausdrucks- Marie ihn ver- na Georg (Ludmilla) und Christoph Erpenbeck (Kruschina) volles Spielen gefordert. giften wolle. Sie nimmt ihm das Allen Sängern voran Versprechen ab, ihretwegen auf Marie zu verzichten. ist Hans-Jürgen Schöpfl in zu nennen, der sowohl mit Gleichzeitig will Kezal Hans seine Braut abkaufen. Zum agiler Stimme als auch mit leidenschaftlichem Spiel den Entsetzen des Dorfes verkauft er seine Braut für drei- verliebten und gleichzeitig verschmitzten Hans darstellt hundert Gulden. und damit zeigt, daß er die ihm in der letzten Spielzeit Bei einem Besuch im Zirkus verliebt sich Wenzel in die verliehene Auszeichnung der Kritikerumfrage NRW als Tänzerin Esmeralda. Da der Darsteller des Bären be- bester Sänger nicht nur für ernste Rollen verdient hat, trunken ist, übernimmt der naive Wenzel dessen Rolle. sondern auch in Buffopartien glänzen kann. An seiner Den Verkauf der Braut glaubt Marie erst, als sie den Seite scheint Janet Bartolova mit der Spontaneität ihres Kaufvertrag sieht. Nun willigt sie doch in die Heirat Partners manchmal etwas überfordert, doch mit Humor mit Wenzel ein. Unerwartet treffen Tobias Micha und fängt sie sich schnell und kann gerade Maries Verzweif- seine Frau im Dorf ein. Sie lüften endlich das Geheim- lung glaubwürdig darstellen. Daneben agiert Hayk Dèi- nyan (Kezal) überzeugend, allerdings hat er damit zu 45 kämpfen, gegen das Orchester anzusingen. entscheidet sich für Unter den Nebenrollen sind Christoph Erpenbeck den gemeinsamen (Kruschina) und Markus Heinrich (Wenzel) besonders Tod mit ihrem ver- hervorzuheben, die mit offensichtlicher Begeisterung meintlichen Vater. die Eigenarten ihrer Charaktere betonen. Das Ensemb- Im Augenblick ih- lebild wird durch souveräne Leistungen von Uta Christi- res Todes enthüllt na Georg (Ludmilla), Matthias Wippich (Tobias Micha) Éléazar Rachels und Margriet Schlössels (Hata) in Spiel und Gesang ab- wahre Identität: gerundet. Sie ist de Brognis verloren geglaubte Wie schon so oft erweist sich der Chor der Vereinigten Tochter. Während Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach, Éléazar triumphie- der für seine Qualität auch über die Stadtgrenzen hinaus rend in den Tod bekannt ist, als absolut treffsicher in Ausdruck und Ge- geht, bricht Brogni staltung und scheut sich auch nicht, die Tanzeinlagen im zusammen. böhmisch-mährischen Stil burlesk darzubieten, statt sie Aufführung einem Ballettensemble zu überlassen. Tatiana Pechnikova (Rachel) Die Uraufführung Die Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von und Chor der Staatsoper Stuttgart am 23. Februar 1835 Kenneth Duryea waren stets bemüht, Smetanas Vor- gilt neben Meyerbeers Robert der Teufel und Hugenotten als stellung von folkloristischem Klang gerecht zu werden. Geburtsstunde der Grand Opéra. In dieser Inszenierung Dies gelang am ehesten bei der Begleitung der Sänger. steht das Beziehungsgefl echt zwischen den Juden Éléa- Fazit zar und Rachel sowie Kardinal de Brogni auf der einen Sieht man über das streckenweise farblose Orchester- Seite und zwischen Rachel, Eudoxie und Leopold (klassi- spiel hinweg, so erwartet einen ein amüsanter Opern- sche Dreiecksbeziehung) auf der anderen Seite. abend, der vor allem durch Spiel-, Tanz- und Detailfreu- Dem Team Wieler/Morabito gelingt über weite Strecken de von Ensemble und Chor besticht. eine glaubwürdige Darstellung durch die klare Zeichnung Ch. Lauter Bild: Mattias Stutte der Charaktere und ihrer inneren Gefühle. Gut gelungen ist die Darstellung des inneren Kampfes Éléazars: Er Stuttgart, Staatsoper rächt sich am Ende an de Brogni, indem er Rachel und La Juive - Die Jüdin sich erschießt. Also keine Verbrennung, wie Halévy es von Jacques Fromental Halévy (1799-1862), Grand Opera in 5 Akten, vorgesehen hat. Text: Eugène Scribe; UA: 23. Februar 1835, Paris Der Wutanfall Rachels, als sie das doppelte Spiel Léo- Regie: Jossi Wieler/Sergio Morabito, Bühnenbild: Bert Neumann, Kos- polds durchschaut, zeichnet das Regieteam außeror- tüme: Nina von Mechow, Dirigent: Sébastien Rouland, Staatsorchester Stuttgart, Solisten: Catriona Smith (La Princesse Eudoxie), Tatiana Pech- dentlich gekonnt. Es ist ein Musterbeispiel von Perso- nikova (Rachel), Chris Meritt (Éléazar), Liang Li (Le Cardinal de Brog- nenregie, ebenso wie die Darstellung Léopolds als feiger ni), Ferdinand von Bothmer (Léopold), Karl-Friedrich Dürr (Ruggiero), Lüstling ohne Charakter und ohne Fähigkeit, konsequent Christoph Soler (Albert), Sebastian Bollacher (Ausrufer) zu bleiben (ihm unterläuft sogar der Fehler, während des Besuchte Vorstellung: 16. März 2008 (Premiere) jüdischen Passahfestes das Kreuz zu schlagen!). Als Rachel Kurzinhalt ihn vor Eudoxie zur Rede stellen will, bricht er zusammen. Vorgeschichte in Rom: Der jüdische Goldschmied Etwas an den Haaren herbeigezogen ist die Darstellung Éléazar hat die Tochter des Magistrats Brogni aus den eines Historienspiels: der mehrmalige Übergriff einer Flammen gerettet. Zuvor hatte er durch de Brogni seine ganzen Stadt auf andersartige Mitbürger, nur weil sie Söhne im Feuer verloren. Er zieht das Mädchen ohne de sonntags arbeiten, ist kaum glaubhaft und führt die Ziele Brognis Wissen als seine eigene Tochter Rachel im jüdi- dieser Oper ins Abseits. schen Glauben auf. Brogni, zum Kardinal aufgestiegen, Nicht ganz so viel Glanz verbreitet die Sängerriege. Fer- eröffnet 1414 das Konzil in Konstanz. dinand von Bothmer belegt eindrucksvoll, was passiert, Rachel hat sich in einen Mann verliebt, der vorgibt, Jude zu wenn man die mörderische Partie des Léopold unter- sein, aber eigentlich Reichsfürst Léopold ist. Da Léopold schätzt: Er verfügt zwar über eine sehr schöne Mittel- mit Eudoxie verheiratet ist, verurteilt Kardinal de Brogni lage, jedoch die Höhen erreicht er nur mit Gewalt. Da- das Liebespaar zum Tode, ebenso Éléazar, da dieser die gegen kann Chris Meritt in der „leichteren“ Partie des Ruhe der Konzilseröffnung störte. Rachel läßt sich durch Éléazar glänzen: Ein Charaktertenor mit viel Volumen die fl ehentliche Bitte von Eudoxie zur Zurücknahme ih- und Überzeugungskraft auch im dramatischen Bereich. rer Anschuldigung gegen Léopold überreden und erwirkt Ebenso stürmisch gefeiert wurden zu Recht Tatiana damit seine Begnadigung. Sie selbst könnte sich durch Pechnikova als Rachel und Catriona Smith als Prinzessin Konvertierung zum christlichen Glauben retten, aber sie 46 Eudoxie. Liang Li führt die Rolle des Kardinals auf eine Aufführung Nebenrolle zurück. Für die Münchner Erstaufführung der selten gespielten Ein weiterer Glanzpunkt des Abends ist das Orchester des Oper holte Intendant Peters erstmals mehrere Gastsolis- Hauses unter der Leitung von Sébastien Rouland, dem es ge- ten ans Gärtnerplatztheater, was sich ebenso als Glücks- lingt, mit viel französischem Esprit die Klangvielfalt der Mu- griff herausstellt wie die Aufführung in italienischer Ori- sik Halévys den heutigen Hörgewohnheiten anzupassen. ginalsprache. Das Regieteam um den Verdi-erfahrenen Fazit Thomas Wünsch siedelt die Handlung in den kaputten Stahlträgern eines Wolkenkratzers im Jahr 2056 an. Die- Ein großartiger Abend mit gemischten Leistungen. Aber ser Wolkenkratzer stellt, zusammen mit einigen Frag- es sind solche Abende, denen es gelingt, die Grand Opé- menten der Freiheitsstatue, das Einheitsbühnenbild dar. ra auf die Bühnen unserer Tage zurückzubringen. Die Ruine auf der Bühne ist gleichzeitig Sinnbild für den Oliver Hohlbach Bild: Martin Sigmund zerrütteten Zustand der Gesellschaft in Verdis Oper – eine Idee, die sich nicht unbedingt aufdrängt, den Kern München, Staatstheater am Gärtnerplatz der Oper jedoch stimmig darzustellen vermag. I masnadieri - Die Räuber Wünsch gelingen so mit einfachen Mitteln viele starke von Giuseppe Verdi, Oper in 4 Akten, Libretto: Andrea Maffei Bilder. Gekonnt auch die Personenführung: selbst in den nach Die Räuber von Friedrich Schiller großen Massenszenen kommt es durch die geschickte, aber UA: 22. Juli 1847, Her Majesty’s Theatre, Haymarket, London Regie: Thomas Wünsch, Bühnenbild/Kostüme: Heiko Mönnich, dennoch nie übertriebene Choreographie nicht zu einem Licht: Wieland Müller-Haslinger; Dirigent: Henrik Nánási, Orches- oratorienhaften Stehtheater, wie es bei Verdi-Aufführungen ter, Chor, Extrachor des Staatstheaters, Choreinstudierung: Hans- allzu oft zu beobachten ist. Henrik Nánási und das Gärt- Joachim Willrich; Solisten: Guido Jentjens (Massimiliano), Zurab nerplatzorchester lieferten dazu dramatischen, energiegela- Zurabaishvili (Carlo), Mikael Babajanyan (Francesco), Elaine Ortiz denen, wenngleich bisweilen sehr lauten Verdi-Sound aus Arandes (Amalia), Adrian Xhema (Arminio) u.a. Besuchte Aufführung: 15.3.2008 (Premiere) dem Graben. Kurzinhalt Von den Sängern erbrachte Mikael Babajanyan das stim- migste Rollenportrait. Mit kernigem Carlo, Sohn des Grafen Massimilia- Bariton und großartigen darstelleri- no Moor, ist des Lebens in der Räu- schen Fähigkeiten war er ein idealer berbande, der er sich angeschlossen Francesco. Überzeugend auch der hat, überdrüssig. Er will an den Hof noble Baß des Bayreuth-erfahrenen des Vaters und zu seiner Geliebten Guido Jentjens und der Carlo von Amalia zurück. Als er einen Brief er- Zurab Zurabaishvili, dessen Timbre hält, in dem ihn sein Vater verstößt, ungemein an Neil Shicoff erinnert. verwirft er diesen Gedanken und Einziger Wermutstropfen bei Zu- läßt sich zum Anführer der Räuber rabaishvili waren einige Intonati- ernennen. In Wahrheit stammt der onsprobleme, vor allem im großen Brief jedoch von seinem machtgie- Duett mit Amalia. Ensemblemit- rigen Bruder Francesco, der sich an glied Elaine Ortiz Arandes hat ei- seinem bevorzugten Bruder rächen nen schweren Stand gegen die her- will. Seinem Vater und Amalia er- vorragenden Gäste und stößt in der zählt Francesco, daß Carlo gefallen Partie der Amalia mit fl ackernder sei, woraufhin der alte Graf Mas- Stimme an ihre Grenzen. Ihr Ge- similiano tot zusammenbricht. Als staltungswille und die scheinbar un- Amalia an dessen Grab betet, ge- endliche Klangfarbenpalette ließen steht ihr Francescos Diener Armi- den Abend trotzdem auch für sie zu nio, daß sowohl der Graf, als auch einem Erfolg werden. Die Neben- ihr Geliebter Carlo am Leben seien. rollen waren sehr gut aus dem En- Sie weist den werbenden Francesco semble besetzt. Großer Beifall für Elaine Ortiz Arandes (Amalia) zurück und fl ieht. Im Wald trifft sie alle Beteiligten! zufällig auf Carlo. Als dieser erfährt, was geschehen ist, will er sich an seinem Bruder rächen, Fazit verschweigt das aber Amalia. Seine Räuberbande soll Es muß nicht immer die große Staatsoper in München nach Francesco suchen. Doch dieser kann ihnen ent- sein! Wie der Abend am Gärtnerplatztheater zeigt, gibt kommen. Statt Francesco schleppen sie Amalia herbei. es auch an kleineren Häusern große Oper! Um ihr ein Leben in Schande zu ersparen, ersticht Carlo seine Geliebte. Danach verläßt er die Räuber, um sich zu stellen. Ch. Lang Bild: Staatsoper am Gärtnerplatz, München 47 Neue CDs The Art of Christa Ludwig Herbert von Karajan – the legend

The beautiful voice Aufnahmen of Christa Ludwig, mit den mit Werken von Brahms, Mahler, Berliner Schumann, Schubert, Philharmonikern Strauss, Wagner

Label: Label: EMI Classics EMI Classics

Der Sängerin Christa Ludwig ist ein Sampler mit fünf Runde Geburtstage sind ein beliebter Anlaß, den Ver- CDs gewidmet, vier davon spiegeln das breite Reper- kauf von CDs anzukurbeln. Zwar handelt es sich dabei toire der großen Liedsängerin. Schubert, Schumann und naturgemäß meist nur um eine Neuaufl age vorhande- Brahms bilden den Schwerpunkt, daneben sind Hugo ner Aufnahmen, aber genau darin liegt auch ein eigener Wolf, Gustav Mahler, Richard Strauss, Richard Wagner, Reiz, nämlich die damalige und die heutige Musizierwei- Maurice Ravel und andere Komponisten vertreten. Un- se zu vergleichen. terstützt wird Christa Ludwig von den beiden hervorragen- Herbert von Karajan wäre 2008 einhundert Jahre alt ge- den Liedbegleitern Gerald Moore und Geoffrey Parsons. worden, Christa Ludwig wird achtzig, was liegt näher, In den Schubert- und Schumann-Liedern kommt mir als von diesen großen Musikern einen Querschnitt ihres ihre Musizierweise ein wenig behäbig und betulich vor, Schaffens zu veröffentlichen? diese Lieder habe ich schon wesentlich lebhafter, auf- Das Album Herbert von Karajan – the legend besteht aus 2 regender gehört, auch von Sängern ihrer Zeit wie bei- CDs mit Stücken, die Karajan in der Zeit von 1971 bis spielsweise ihrem großen Vorbild Irmgard Seefried oder 1981 eingespielt hat und beinhaltet Werke von Mozart von Dietrich Fischer-Dieskau. (gest. 1791) bis Sibelius (gest. 1957) – Programmmusik, Die zweite Hälfte der vierten CD und die ganze fünfte CD Opern- und Operettenpartien sowie einzelne Sätze von portraitieren die Oratorien- und Opernsängerin – hier ist je Sinfonien. eine Arie aus den Bach-Passionen vertreten, ein kurzer Teil aus dem Verdi-Requiem und Szenen aus Norma (Bellini), Vergeblich habe ich nach einem Leitgedanken oder roten Carmen (Bizet), Tristan und Isolde (Wagner), Rosenkava- Faden in der Anordnung der Stücke gesucht, schließlich lier (R. Strauss) und aus der legendären Don Giovanni- ist eine Legende eine gewachsene Geschichte, die sich Einspielung mit Otto Klemperer. Gesungen wird teils in entwickelt hat, aber vielleicht soll dieser Anspruch auch deutscher, teils in italienischer Sprache. Heute hört man vor gar nicht bedient werden. allem die Opern einfach anders – man denke an die Don Wer kauft sich eine solche CD? Möglicherweise Musik- Giovanni-Aufnahme mit René Jacobs – trotzdem ist diese freunde, die sich ihr Lieblingsstück mal anhören wollen, umfangreiche Zusammenstellung eine gelungene Hom- aber eben keine ganze Sinfonie, sondern nur beispiels- mage an die Sängerin und ein echter Genuß. Ein kleiner weise den letzten Satz aus Dvoraks Sinfonie aus der Neuen Wermutstropfen ist der Klang, der trotz Digitalisierung teil- Welt oder Smetanas Moldau, oder die beim Autofahren weise ein wenig fl ach wirkt. nette Musik hören wollen, und genau dafür ist diese Zu- Ebenfalls eine gelungene Hommage ist der Artikel von sammenstellung ideal. Gottfried Klaus im Booklet, dessen Titel für sich spricht: Ein dreisprachiges Booklet bringt eine Kurzbiographie

Im Universum des Gesangs. D. Riesenkönig des Dirigenten, einige Fotos und ein paar informative Zeilen über jedes eingespielte Stück. Anzeige D. Riesenkönig Verkaufe Autogrammfotos von Opernsängern bzw. Sängerinnen. Bitte fordern Sie Liste an. Hubert Sieben, Tel. + Fax: 0221-8800956 48 Sergej Prokofi ew (1891-1953) terin des Moskauer Zentralen Kindertheaters und wollte Peter und der Wolf Kinder mit den Instrumenten des Orchesters vertraut machen. Auf ihre Initiative schrieb Prokofi ew Text und Musik und brachte das Stück am 2. Mai 1936 zur Urauf- führung. Romy Schneider, Die Aufnahme Karajan/Romy Schneider ist in den Jahren Herbert 1956/57 entstanden, Romy Schneider war damals 19 Jahre von Karajan alt und kurz vor den Dreharbeiten zum dritten Sissi-Film. Mit mädchenhafter Stimme erzählt sie frisch, unbeküm- Label: mert und doch spannend die Geschichte von Peter, der den großen grauen Wolf fängt. Was mag Herbert von EMI Classics Karajan bewogen haben, diese Schauspielerin als Spre- cherin zu wählen? – Das Booklet, das Romy Schneiders Leben aufrollt, läßt uns darüber im unklaren. Ein wahres Kleinod ist die Einspielung von Peter und der Wohl eher als Füllsel ist der Anhang von Tschaikowskis Wolf mit der noch sehr jungen Romy Schneider als Spre- Ballettsuite Der Nußknacker zu verstehen, eine ordentli- cherin. Meist wird dieses Märchen von einer eher tieferen che, aber nicht spektakuläre Aufnahme. Männerstimme erzählt, so z.B. in der ebenfalls legendär- Ausgesprochen liebenswert ist das Booklet gestaltet: In en Aufnahme mit Mathias Wiemann und den Berliner die Bilder der beiden Künstler sind durch Computerani- Philharmonikern unter Fritz Lehmann, die auch eine mation die Bilder der handelnden Tiere eingebaut wor- meiner ersten Schallplatten in den fünfziger Jahren war. den, selbst die CD schmückt ein silberner Wolf! Um so erstaunter war ich, als ich las, daß die Urauffüh- rung mit Natalia Saz stattfand – sie war künstlerische Lei- D. Riesenkönig

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Jugendwerke

Die Auswahl der frühen Werke zeigt sowohl die musi- Gewandhaus Chor kalische Phantasie als auch das erstaunliche handwerkli- Mendelssohn- che Können des jungen Komponisten. Beeindruckend Orchester Leipzig ist vor allem das fast halbstündige Magnifi cat des Drei- Leitung: zehnjährigen. Ein lebhafter Eingangschor mit großem Gregor Meyer Orchester gestaltet den freudigen Text bildhaft genau, Label: die weiteren Abschnitte werden teils solistisch, teils als GENUIN Chorfuge, nur von Streichern begleitet durchgeführt, Musikproduktion um wieder in großen Orchester- und Chorsätzen zu Leipzig münden. Chor, Orchester und Solisten werden den Anforderun- gen der Werke in höchstem Maße gerecht. Chor- und Ein junges Orchester – gegründet 1999 mit Absolven- Orchesterklang sind ausgeglichen und gut aufeinander ten der Hochschule für Musik und Theater Leipzig – abgestimmt, der a-cappella-Gesang im Kyrie c-moll und in der traditionsreiche Gewandhauschor sowie vier junge der Choralbearbeitung Mitten wir im Leben sind ist absolut Solisten, die alle ihr Handwerk bei namhaften Sänger- sauber intoniert. Mendelssohn selber bezeichnete diesen persönlichkeiten gelernt haben, widmen sich den frühen Choral in einem Brief an seine Familie als eins der besten Werken des Komponisten, der ab 1835 wesentlich dazu Kirchenstücke, die ich gemacht habe. beitrug, die Stadt zu einem bedeutenden Musikzentrum Meiner Einschätzung nach verdienen es die unbekann- in Europa zu machen. ten frühen Chorwerke unbedingt, in Kirchenkonzerten Die eingespielten Werke entstanden jedoch lange vor zur Aufführung zu kommen. Vielleicht trägt diese CD Mendelssohns Leipziger Zeit von 1821 bis 1830, also dazu bei, daß Chorsänger und vor allem Chorleiter sie im Alter von 12 – 21 Jahren! Mendelssohn war seit 1821 entdecken und sich dafür begeistern. Mitglied der Berliner Singakademie, sein Kompositions- D. Riesenkönig lehrer war Friedrich Zelter. 49 Johannes Brahms (1833-1897) von Brahms erster Sinfonie (1876) immerhin ein halbes Jahrhundert liegt. Sinfonie Nr. 1 Diese Sinfonie ist geprägt durch einen Sommeraufent- Sinfonie Nr. 3 halt auf Rügen 1876 – wohl deshalb taucht sie auch so Dresdener oft als Hintergrundmusik in Filmen auf, die mit Rügen Philharmonie, zu tun haben. Rafael Frühbeck Auch die dritte Sinfonie, der von Anfang an großer de Burg Erfolg beschieden war, konnte die Selbstzweifel von Brahms, noch immer im Schatten Beethovens zu stehen, Label: Genuin Musikproduktion, zunächst nicht mildern. Leipzig Beide Sinfonien werden sehr ansprechend wiederge- geben. Die Instrumentengruppen sind dynamisch ge- Rafael Frühbeck de Burgos ist seit 2004 / 05 Chefdirigent führt und gut durchhörbar. Besonders im letzten Satz der Dresdener Philharmonie, einem Konzertorchester, der Ersten führt der Dirigent seine Musiker in einem das 1870 gegründet wurde und seitdem das Dresdener großartigen Spannungsbogen zum strahlenden C-Dur Kulturleben wesentlich prägt. Die vorliegende Aufnah- – Finale. Das kann tatsächlich Bilder von Kreidefelsen, me der 1. und 3. Sinfonie von Johannes Brahms wurde Meer und wogenden Rapsfeldern hervorrufen! 2007 in der Lukaskirche Dresden aufgenommen. Die Gestaltung des Covers gefällt mir besonders gut: ein An seiner ersten Sinfonie hat Brahms mehr als 15 Jahre grau in grau gehaltenes stilisiertes Eichenblatt, das viel- gearbeitet, immer im Bewußtsein, an Beethovens sin- leicht mit der Arndt – Eiche zu assoziieren ist, die dieser fonischen Werken gemessen zu werden. Der Dirigent aus Rügen in Bonn pfl anzen ließ – sie steht heute noch Hans von Bülow nannte sie kurzerhand Die Zehnte von als stattlicher Baum auf dem dortigen Alten Friedhof. Beethoven, obwohl zwischen der Entstehung von Beetho- vens letzter Sinfonie (1822 – 24) und der Uraufführung D. Riesenkönig

Édouard Lalo (1823-1892) - Symphonie Espagnole Johannes Brahms (1833-1897) - Violin-Konzert Brahms Violinkonzert d-moll gehört zu den großen Nathan Milstein Orchestre „D“ neben Beethoven und Tschaikowski. Wegen seiner National de Paris für die damalige Zeit hohen technischen Anforderun- Leitung: gen wurde es zunächst nicht sehr schnell bekannt. Heute André Cluytens gehört es zum festen Repertoire jedes konzertierenden NDR- Geigers. Obwohl d-moll tituliert, beginnt das Konzert Sinfonieorchester mit einer strahlenden Orchestereinleitung in Dur. Erst Leitung: das zweite Thema, das sofort von der Sologeige aufge- Paul Klecki griffen wird, bringt die Molltonart ein. Beide Themen werden im Folgenden von Orchester und Geige verar- Label: Claves beitet. Milstein und das NDR-Sinfonieorchester unter Paul Klecki musizieren in diesem 1960 entstandenen Konzertmitschnitt so mitreißend, dass schon nach dem Trotz der Bezeichnung Symphonie handelt es sich bei ersten Satz Beifall auffl ackert. Auch die folgenden Sätze der Symphonie espagnole um ein Violinkonzert. lassen keine Wünsche offen. Selbst die gelegentlich hör- Nathan Milstein, der nach eigener Aussage Geige lernte, baren Nebengeräusche aus dem Publikum wirken kaum damit er die Nachbarskinder nicht verprügelte, interpre- störend. Sie gehören zu solch einem Konzerterlebnis tiert das durch spanisches Kolorit geprägte Werk mit dazu und vermitteln die Spannung der Momentaufnah- großer Spielfreude virtuos und ausdrucksstark. Dabei me im Gegensatz zu einer sterilen und perfektionierten sind Orchester und Dirigent adäquate Partner. Beson- Studioaufnahme. ders beeindruckend ist das Scherzando, das durch seine Erwähnt sei noch ein dreisprachiger Text im Booklet, tänzerischen Elemente gefällt. Der letzte Satz, ein Ron- der ein interessantes Bild der Persönlichkeit Nathan Mil- do, endet mit einem akrobatischen Violinsolo, ehe er in stein zeichnet. den Schlußakkord mündet. Hier zeigt sich das beson- dere Können des Solisten, das durch lautstarken Beifall D. Riesenkönig belohnt wird. 50 Robert Schumann (1810-1856) der starke, voluminöse, im Baß – auch bei Terzenläufen – Späte Klavierwerke immer klare Klavierton, der dafür verantwortlich ist. Im ausgezeichnet informativen Booklet kann man über die im 19. Jh. berühmte und gefragte Klavierfabrik Krems aus Düsseldorf nachlesen. Auf einem solchen Instru- ment spielt der stupend musikalische Tobias Koch die Tobias Koch, Pia- späten Klavierwerke Schumanns mit einer Energie und noforte von Krems, einem Einfühlungsvermögen, womit er viele Pianisten, Düsseldorf die man auf den großen Konzertpodien sonst antrifft, in GENUIN den Schatten stellt. Man merkt ihm bei seinem Spiel an, Musikproduktion daß er sich intensiv mit der Klaviertechnik des Krems- Leipzig 2007 Flügels auseinandergesetzt hat. Und das ist die eigentli- che Faszination dieser CD neben den beeindruckenden Schumannschen Kompositionen: der ungewohnte Klang des Krems-Flügels. Was muß das doch für eine abwechs- Vielen Kennern der Schumannschen Klavierwerke lungsreiche Hörerfahrung im 19. Jahrhundert gewesen sind wohl die hier auf der CD gespielten Werke kaum sein, diese vielen unterschiedlich gestimmten Flügel mit bekannt. Aber sie sind hörenswert! Man sagt ja jovial: ihren z.T. herben, auch rauen und sanften Charakteren. Schumann kam als Genie auf die Welt und endete als Ta- Jedenfalls war die Klavierwelt bunter als heute, wo jeder lent. Bei diesen Klavierwerken ist diese sarkastische Be- Flügel in jedem Land der Welt ununterscheidbar ähn- merkung kaum nachzuvollziehen. Es ist eine dynamisch, lich klingt. Aber wir sind es ja nicht anders gewohnt als energiegeladene Musik, die besonders in den Fantasie- Gleichheit überall. stücken Op. 111 deutlich wird. Vielleicht ist es aber auch O. Zenner

Ludwig van Beethoven (1770-1827) Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur um seine eigenen Fähigkeiten als Pianist und Improvi- sator herauszustellen. Pletnev legt großen Wert auf die Mikhail Pletnev, Lebendigkeit der Interpretation, er will nicht ehrfurchts- Piano voll vor dem Denkmal Beethoven stehen sondern, Beet- Russian National Orchestra hovens Inspiration mit Spontaneität erfassen. Diese Idee Leitung: spürt man durchgängig in der gesamten Einspielung. Christian Gansch Bei einem Konzertmitschnitt gibt es keine Korrektur- Label: möglichkeiten, es zählt die Tagesform. Hier waren alle Deutsche Mitwirkenden in Bestform, was durch den stürmisch Grammophon aufbrausenden Beifall nach dem Schlußakkord doku- Gesellschaft mentiert ist. D. Riesenkönig Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur ist sehr Anzeige häufi g im Konzertsaal oder im Rundfunk zu hören. Es ist eingängig und doch spannungsvoll, virtuos und ge- fühlvoll, man kann es eigentlich immer hören. Um so mehr wünsche ich mir bei einer CD-Einspielung den Aufhorch-Effekt so habe ich das noch nie gehört. Genau das ist Mikhail Pletnev (Jahrgang 1957) gelungen. Mit dem Russian National Orchestra, das er 1990 als erstes vom Staat unabhängiges Orchester gründete, spielte er alle Klavierkonzerte von Beethoven ein, zuletzt das Es-Dur- Konzert als Mitschnitt vom Bonner Beethovenfest 2006. Die langsame Hinführung zum mehrmals wiederkehren- den Hauptthema im ersten Satz krönt Pletnev mit einer minimalen Tempoverzögerung. Dadurch entsteht ein Atemanhalten, dann das erleichterte Wiedererkennen – da ist sie wieder, diese wunderbar einfache Melodie. Dies alles ist wohldosiert, ohne Effekthascherei. Möglicher- weise hat Beethoven das 5. Klavierkonzert geschrieben, 51 lll#heVg`VhhZ"`dZacWdcc#YZ

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Impressum Operapoint, unabhängige, publikumsnahe Zeitschrift für Oper und Konzert; ISSN 1864-4023 Zugleich: Organ des Vereins zur Pfl ege klassischer Musik durch Musikliebhaber e.V., Köln Anschrift der Redaktion: Schwabenstraße 3, 50996 Köln. Tel: 0221 - 35 39 44, Fax: 0221 - 39 67 14 Herausgeber und Chefredakteur: Dr. Olaf Zenner

Operapoint erscheint vierteljährlich, Einzelpreis 4,80 Euro, im Jahresabonnement 20 Euro, inkl. Versandkosten, Ausland auf Anfrage

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