Plenarprotokoll 16/83

Deutscher

Stenografischer Bericht

83. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär neten Dr. ...... 8365 A BMWi ...... 8365 D Rainer Brüderle (FDP) ...... 8368 A Tagesordnungspunkt 24: Dr. (SPD) ...... 8369 C Sabine Zimmermann (DIE LINKE) ...... 8371 B a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Laurenz Meyer (), Veronika Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/ Bellmann, Klaus Brähmig, weiteren Ab- DIE GRÜNEN) ...... 8372 C geordneten und der Fraktion der CDU/ Ernst Hinsken (CDU/CSU) ...... 8374 A CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rainer Wend, , Christian Lange Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) ...... 8374 C (Backnang), weiteren Abgeordneten und Dr. Rainer Wend (SPD) ...... 8376 B der Fraktion der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Zweiten Gesetzes zum Ab- (FDP) ...... 8376 D bau bürokratischer Hemmnisse in der Christian Lange (Backnang) (SPD) ...... 8377 C mittelständischen Wirtschaft (Drucksache 16/4391) ...... 8365 A Dr. (DIE LINKE) ...... 8379 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU) ...... 8380 B Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- Dr. Michael Bürsch (SPD) ...... 8381 D gie – zu dem Antrag der Abgeordneten Tagesordnungspunkt 25: Laurenz Meyer (Hamm), , , weiterer Abgeord- a) Antrag der Abgeordneten Hartwig Fischer neter und der Fraktion der CDU/CSU (Göttingen), , Anke sowie der Abgeordneten Dr. Rainer Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter Wend, Christian Lange (Backnang), und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordne- Abgeordneten Dr. Herta Däubler-Gmelin, ter und der Fraktion der SPD: Neue (Wiesloch), Niels Impulse für den Mittelstand Annen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Für eine Politik der – zu dem Antrag der Abgeordneten gleichberechtigten Partnerschaft mit Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, den afrikanischen Ländern Dr. , weiterer Abgeord- (Drucksache 16/4414) ...... 8383 D neter und der Fraktion der FDP: Un- ternehmen statt Unterlassen – Vor- b) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, fahrt für den Mittelstand Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion des (Drucksachen 16/557, 16/562, 16/1070) . . 8365 B BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Afrika II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

auf dem Weg zu Demokratie und nach- b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- haltiger Entwicklung unterstützen schusses für Wirtschaft und Technologie zu (Drucksache 16/4425) ...... 8383 D dem Antrag der Abgeordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, , c) Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan weiterer Abgeordneter und der Fraktion Aydin, Heike Hänsel, Dr. , der FDP: Bundeskartellamt stärken – weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausgewogene Wettbewerbsaufsicht auf der LINKEN: Für eine Afrikapolitik im den Energiemärkten Interesse der afrikanischen Bevölke- (Drucksachen 16/1678, 16/4076) ...... 8403 D rungsmehrheit (Drucksache 16/4410) ...... 8384 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu Dr. Frank-Walter Steinmeier, dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Bundesminister AA ...... 8384 B Hill, Eva Bulling-Schröter, Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (FDP) ...... 8386 A der LINKEN: Energiepreiskontrolle si- Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 8387 B cherstellen (Drucksachen 16/2505, 16/3585) ...... 8404 A Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) ...... 8389 B Dr. (CDU/CSU) ...... 8404 A Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 8390 C Gudrun Kopp (FDP) ...... 8405 D Rolf Hempelmann (SPD) ...... 8406 D Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 8392 A Gudrun Kopp (FDP) ...... 8408 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 8392 B Hans-Kurt Hill (DIE LINKE) ...... 8409 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Bundesministerin BMZ ...... 8392 D DIE GRÜNEN) ...... 8410 D Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/ (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 8411 D DIE GRÜNEN) ...... 8393 D Hellmut Königshaus (FDP) ...... 8394 D Tagesordnungspunkt 28: Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 8396 A Antrag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, , Dr. , Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE) ...... 8397 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 8398 C LINKEN: Schutz des Welterbes im Konflikt um die Waldschlösschenbrücke in den Vor- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 8399 C dergrund stellen (Drucksache 16/4411) ...... 8413 B Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD) ...... 8400 C (Lübeck) (CDU/CSU) ...... 8402 B in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 26: Zusatztagesordnungspunkt 16: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- schusses für Kultur und Medien zu dem An- gie trag der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Sitte, – zu dem Antrag der Abgeordneten weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, LINKEN: Bundespolitik soll im Streit um Christian Ahrendt, weiterer Abgeord- die Waldschlösschenbrücke vermitteln neter und der Fraktion der FDP: Ord- (Drucksachen 16/2499, 16/4460) ...... 8413 C nungspolitischer Kompass für die deutsche Energiepolitik Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . 8413 D – zu dem Antrag der Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 8414 C Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Katja Kipping (DIE LINKE) ...... 8416 B Eva Bulling-Schröter, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der LINKEN: Arnold Vaatz (CDU/CSU) ...... 8416 C Die zukünftige Energieversorgung Jan Mücke (FDP) ...... 8416 D sozial und ökologisch gestalten Undine Kurth (Quedlinburg) (Drucksachen 16/589, 16/1082, 16/3582) 8403 D (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ...... 8418 B Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 III

Dr. h. c. (SPD) ...... 8419 A c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. , Jörg van Essen, Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. , weiteren Abgeordneten (CDU/CSU) ...... 8420 A und der Fraktion der FDP eingebrachten (Köln) (BÜNDNIS 90/ Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung DIE GRÜNEN) ...... 8421 A der Oppositionsrechte (Änderung des Art. 93 Abs. 1 des Grundgesetzes) Jan Mücke (FDP) ...... 8421 B (Drucksache 16/126) ...... 8426 B Arnold Vaatz (CDU/CSU) ...... 8421 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Jürgen Koppelin (FDP) ...... 8422 C DIE GRÜNEN) ...... 8426 C Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) ...... 8422 D Bernhard Kaster (CDU/CSU) ...... 8427 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 8423 B Jan Mücke (FDP) ...... 8429 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 8423 C DIE GRÜNEN) ...... 8430 D Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 8425 A Dr. Uwe Küster (SPD) ...... 8431 A Jan Mücke (FDP) ...... 8432 A Tagesordnungspunkt 29: Dr. (DIE LINKE) . . . . . 8433 C a) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, , weiterer Abgeordneter und Nächste Sitzung ...... 8434 D der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Lebendige Demokratie in Zeiten der großen Koalition Anlage 1 (Drucksache 16/581) ...... 8426 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8435 A b) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer und der Frak- tion der LINKEN: Stärkung der Minder- Anlage 2 heitenrechte im Deutschen Bundestag (Drucksache 16/4119) ...... 8426 B Amtliche Mitteilungen ...... 8435 D

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8365

(A) (C) Redetext

83. Sitzung

Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ludwig Stiegler, weiterer Abgeordneter und Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die der Fraktion der SPD Sitzung ist eröffnet. Neue Impulse für den Mittelstand Der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg feiert heute sei- nen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratu- – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer liere ich sehr herzlich und wünsche alles, alles Gute. Brüderle, Paul K. Friedhoff, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der (Beifall) FDP Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: Unternehmen statt Unterlassen – Vorfahrt a) Erste Beratung des von den Abgeordneten für den Mittelstand Laurenz Meyer (Hamm), Veronika Bellmann, – Drucksachen 16/557, 16/562, 16/1070 – Klaus Brähmig, weiteren Abgeordneten und der (B) Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Berichterstattung: (D) Dr. Rainer Wend, Ludwig Stiegler, Christian Abgeordneter Laurenz Meyer (Hamm) Lange (Backnang), weiteren Abgeordneten und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich nes Zweiten Gesetzes zum Abbau bürokra- höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. tischer Hemmnisse in der mittelständischen Wirtschaft Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Hartmut Schauerte für die Bundesregierung. – Drucksache 16/4391 – Überweisungsvorschlag: (Ludwig Stiegler [SPD]: Guten Morgen, Herr Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Mittelstandsbeauftragter! – Innenausschuss [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Mittel- Rechtsausschuss standsbeauftragte! Da sind wir einmal ge- Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und spannt! Aber das wirkt jetzt schon sehr büro- Verbraucherschutz kratisch!) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Hartmut Schauerte, Parl. Staatssekretär beim Bun- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit desminister für Wirtschaft und Technologie: Ausschuss für Bildung, Forschung und Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Technikfolgenabschätzung Kolleginnen und Kollegen! Der Abbau von Bürokratie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien und die Suche nach besserer Regulierung da, wo sie nö- Haushaltsausschuss tig ist, ist einer der wichtigen Programmpunkte der Gro- ßen Koalition und der Bundesregierung. Jedes Übermaß b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- an Bürokratie ist schädlich: richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie (9. Ausschuss) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) – zu dem Antrag der Abgeordneten Laurenz Meyer (Hamm), Ilse Aigner, Veronika Notwendige Entscheidungen werden verhindert oder Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- verlangsamt. Zeit und Geld von Verwaltungen, von For- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten schern, von Freiberuflern, von Arbeitnehmern, von Un- Dr. Rainer Wend, Christian Lange (Backnang), ternehmern werden vergeudet. 8366 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte (A) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: versucht worden – ich sage das bewusst nachdenklich – (C) Von Staatssekretären auch!) wie unter der jetzigen Bundesregierung. Ich will keine falschen Erwartungen wecken; aber wir arbeiten mit vol- Bürokratie belastet mehr oder weniger, immer oder ler Kraft an diesem Problem, und das ist schon einmal manchmal jeden Bürger. ein sehr guter Anfang. Politik, aber auch Wirtschaft und Gesellschaft sind Vor allem Wirtschaft und Mittelstand sind von der dringend aufgefordert, alte bürokratische Zöpfe zurück- Bürokratie betroffen. Deshalb ist das Wirtschaftsminis- zuschneiden und neu entstehende, wo immer möglich, terium die treibende Kraft in dieser Debatte. Der Mittel- zu vermeiden. Über dieses Programm sind wir uns hier stand ist besonders betroffen; denn je kleiner die Unter- im Parlament im Prinzip einig. Ich denke, wir können nehmen, desto mehr leiden sie unter der Bürokratie. auch angesichts der heutigen Debatte mit einigem Stolz sagen: Noch nie hat sich eine Bundesregierung so inten- (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!) siv von Beginn an mit diesem Thema beschäftigt wie die Für sie entstehen dadurch Kosten und Belastungen, die jetzige, von der Großen Koalition getragene Bundesre- erheblich sind. Die Zahlen sind zum Teil bekannt. Man gierung. sagt mittlerweile, 4 bis 6 Prozent des Umsatzes der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mittelständischen Wirtschaft müssten für Bürokratie auf- neten der SPD – Zuruf von der FDP: Nur ver- gewandt werden. Wenn diese Zahl stimmt, dann ent- bal!) stehen diesen Unternehmen jährlich mehr als 70 Milliarden Euro Bürokratiekosten. Bei dieser Dimen- Wir sind systematisch an dieses Thema herangegan- sion wird jeder erkennen, dass Bürokratie auch ein ganz gen: Wir haben das von vornherein im Koalitionsvertrag wichtiger Standortfaktor ist. verabredet und dann viele Baustellen gleichzeitig eröff- net. Wir haben das Standardkostenmodell entwickelt und (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Nachteil!) messen erstmals Bürokratiekosten. Wir evaluieren erst- Je besser wir im Hinblick auf Regulierungen und Büro- mals, wie viel bürokratischer Aufwand und welche Kos- kratie aufgestellt sind, desto wettbewerbsfähiger sind ten durch neue Gesetze entstehen. – Unser Vorgehen wir in der sich schnell verändernden Welt. Insoweit ist – das ist auch zwingend nötig – ist ganz praktisch ausge- diese Baustelle ausgesprochen wichtig. richtet: Der Normenkontrollrat, der mittlerweile einge- richtet wurde, erklärt bereits vor der parlamentarischen Wir haben in 2006 ein erstes Mittelstandsentlas- Beratung eines jeden Gesetzes öffentlich, wie viel Büro- tungsgesetz verabschiedet. Darüber hinaus haben wir ei- kratie damit verbunden sein wird. So können wir eine nen Katalog mit 16 Einzelvorhaben und 37 Maßnahmen qualifizierte Debatte über drohende neue Bürokratie und für mittelstandsfreundliche Reformvorhaben verabschie- (B) (D) Vermeidungsstrategien führen, weil wir wissen, worüber det, die im Moment in der Umsetzung sind. Bei diesem wir reden, weil wir etwas Handfestes auf dem Tisch ha- ersten Mittelstandsentlastungsgesetz waren wir noch ben. nicht so weit, dass wir Bürokratiekosten messen konn- ten. Das geschieht jetzt erstmalig durch das zweite Mit- Wir haben in der letzten Woche Abbauziele verabre- telstandsentlastungsgesetz. det: 25 Prozent bis zum 31. Dezember 2011. Das ist ein mutiges Unterfangen; damit handeln wir sehr konse- Der Betrag, um den es hier geht, ist zunächst einmal quent. Wir bewegen uns mit diesem Zeitrahmen in dem relativ gering. Niemand sollte glauben, mit den gleichen Rahmen, den beispielsweise die Engländer und 58 Millionen Euro, die wir hier ermitteln, hätten wir Holländer in ähnlicher Situation gebraucht haben. Hier schon einen Durchbruch erzielt. Aber mit diesem Gesetz darf es keine Schnellschüsse geben. Es handelt sich viel- haben wir ein neues System angelegt und versuchen, mehr um einen kontinuierlichen, auch Zeit brauchenden eine Lösung des Problems zu finden. Es gibt da durchaus Prozess. Ich denke, dass wir damit gut aufgestellt sind. noch Schwächen; ich komme auf die eine oder andere Schwäche zurück. Bei diesem Gesetzgebungsvorhaben Dass sich Deutschland so intensiv mit dieser Frage ist auch noch nicht alles gemessen worden, was wir mes- beschäftigt, hat auch Auswirkungen auf die Europäi- sen müssen und messen wollen. Die Entlastungswirkung sche Union; denn auch da nimmt die Bereitschaft zu, ist aber insgesamt größer. das Thema ernst zu nehmen. Ich denke, dass wir das miteinander im Prozess noch (Zuruf von der CDU/CSU: Das wird auch ein- verbessern können. Wir sind nicht der Auffassung, wir mal Zeit!) hätten an dieser Stelle die Weisheit gepachtet. Wir sind Von dort können wir in Zukunft ebenfalls mit festen Vor- noch auf der Suche. gaben rechnen. Hier hat man sich das Ziel gesetzt, einen Der Regelinhalt des zweiten Mittelstandsentlastungs- Abbau von 25 Prozent der Bürokratiekosten zu errei- gesetzes: Es reduziert die Menge unnötiger Vorschriften. chen, allerdings bis zum 31. Dezember 2012. Auch in al- 17 Deregulierungsmaßnahmen auf verschiedenen len 16 Bundesländern wird sehr intensiv über die Frage Rechtsgebieten sollen in Kraft gesetzt werden. Das soll des Bürokratieabbaus in der jeweiligen Zuständigkeit zeitnah geschehen, jeweils so schnell es möglich ist. Ei- geredet und entsprechend gehandelt. nige Maßnahmen können praktisch mit der Verkündung Ich komme zu meiner Eingangsbemerkung zurück: des Gesetzes in Kraft treten, andere brauchen eine ge- Noch nie ist auf der politischen Ebene der Bürokratieab- wisse Umsetzungsphase, aber in sehr überschaubaren bau so ernst genommen, so breit angelegt und so intensiv Fristen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8367

Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte (A) Beim Thema Bürokratieabbau geht es immer wieder dieses Mittelstandsentlastungsgesetz sei der Durch- (C) um Statistiken und Berichtspflichten. Wir wollen mit bruch. Es ist ein kleiner Anfangsbaustein in einem Pro- diesem zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz zum Bei- zess, den wir verabredet haben. spiel Existenzgründer in den ersten drei Jahren von sta- tistischen Meldepflichten befreien; das ist ein ganz sinn- Es gibt einen Wegfall der Genehmigungspflicht im voller Vorschlag. Preisangaben- und Preisklauselgesetz. Ich bin selber Notar gewesen. Sie alle kennen diesen Fall: Wenn ein (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren zwischendurch an die Inflationsentwicklung angepasst werden sollte, Wir alle sind uns einig: Wenn einer eine Existenz grün- dann musste man eine Genehmigung für diese Klausel det, hat er genug zu tun; er muss sich um den Markt, das bei der Preisklauselgenehmigungsbehörde einholen. Das Produkt, die Organisation seines Unternehmens küm- ist ein unnötiger Vorgang. Der Wegfall dieser bürokrati- mern. Wenn dann noch lästige Bürokratieanforderungen schen Maßnahme ist ebenfalls im Mittelstandsentlas- hinzukommen, ist das ein Schlag ins Kontor und demoti- tungsgesetz enthalten. Zuletzt gab es diesbezüglich viert möglicherweise. Deswegen denke ich, dass wir hier 17 000 Anträge pro Jahr. Eine solche Genehmigung ein- wenigstens einen wichtigen ersten Schritt gehen. zuholen war ärgerlich, hat immer Zeit gekostet und war Auf die Zahlen wirkt sich das so aus, dass die Zahl völlig unnötig. Ich kenne aus meiner Praxis keinen Fall, der Existenzgründungen steigt. Bei 7 100 Existenzgrün- bei dem die Klausel einmal nicht genehmigt wurde. Also dungen geht es um ersparte Bürokratiekosten – das fängt weg damit! Das sind Elemente, die den Bürokratieabbau an zu wachsen – von 1,2 Millionen Euro. Das ist eigent- befördern. lich ein kleiner Betrag. Aber ich sage noch einmal: Mir geht es in dieser Debatte darum, dass ein guter Anfang Ich komme zu einem weiteren Punkt: Wegfall von gemacht worden ist; das ist noch nicht das Schlussergeb- Doppelprüfungen. An dieser Stelle haben wir die Ent- nis. Dieser Prozess wird ja nicht abgebrochen, sondern lastung nicht genau quantifiziert. Wir wollen, dass im er wird fortgesetzt und intensiviert; er wird an Fahrt ge- Rahmen einer Betriebsprüfung nicht beide, also sowohl winnen. der Unfallversicherungsträger als auch der Rentenversi- cherungsträger, tätig werden müssen. Sie können die Eine weiterer Punkt des Gesetzes ist, dass statistische Zahlen untereinander austauschen. Wir haben uns auf Erhebungen bei kleinen Unternehmen mit weniger als diesen gegenseitigen Austausch von Informationen ver- 50 Beschäftigten auf drei Stichproben pro Jahr be- ständigt. Herr Müntefering, das ist ein Bereich, der zum schränkt werden. Im Jahr 2004 wurden 625 dieser Unter- Teil in Ihrem Hause zu bearbeiten ist. nehmen zu mehr als drei Stichprobenerhebungen heran- gezogen. Was sind die Konsequenzen? Dadurch entfallen jähr- (B) lich 130 000 Doppelprüfungen. Diese Doppelprüfungen (D) An diesem Punkt wird deutlich: Die Gesellschaft hat sind Außenprüfungen in den Betrieben. Da haben wir, ein Interesse an Information. Wir möchten wissen, wel- wie schon gesagt, die sich ergebende Entlastung nicht che Prozesse in den Wirtschaftsbereichen ablaufen. Wir konkret angesetzt. Für die Verwaltungen, die diese Prü- wollen rechtzeitig erkennen, ob es Fehlentwicklungen fungen durchführen müssen, und für die Betriebe, die gibt, und sind daher auf Informationen angewiesen. Material, Personal und Räumlichkeiten zur Verfügung Viele Informationen werden von den Wirtschaftsverbän- stellen müssen, ergeben sich pro Tag Kosten in Höhe den selbst gewünscht und gefordert. Sie können ihre von 1 000 Euro. Bei 130 000 Prüfungen bedeutet das un- Steuerungs- und Beratungsfunktion nicht erfüllen, wenn ter der Annahme, dass einen Tag lang geprüft wird, eine sie sozusagen blind gemacht werden. Einsparung von 130 Millionen Euro. Dieser Betrag ist in der im Gesetzentwurf angegebenen Nettoentlastung für Wir müssen es also auf intelligente Weise schaffen, die Wirtschaft von ungefähr 58 Millionen Euro nicht die notwendigen Informationen ohne unnötige Bürokra- eingerechnet, weil wir ihn, wie gerade erläutert, noch tie mit modernen Methoden zu ermitteln. In diesem Fin- nicht genau genug erfassen konnten. Wir waren der Mei- dungsprozess befinden wir uns. Die Maßnahmen, die im nung, diesen Betrag noch nicht zu berücksichtigen, um zweiten Mittelstandsentlastungsgesetz enthalten sind, zu verhindern, dass wir uns später darüber streiten, ob entsprechen diesem Ansatz. diese Zahl seriös ermittelt wurde oder nicht. Obwohl es In der Dienstleistungskonjunkturstatistik werden sich bis dato nur um eine Schätzung handelt, können bereits verstärkt vorhandene Verwaltungsdaten genutzt. alle, die in der Wirtschaft zu Hause sind, erkennen, dass Wir müssen die Trennung bei denen, die im Besitz von da etwas Nennenswertes passiert. Daten sind, aufheben. Dann ist ein Austausch von Infor- mationen möglich. Eine einmal erhobene Zahl kann für Wir machen weiter auf diesem Weg. Dies ist ein klei- sehr viele Prozesse verwendet werden. Sie darf nicht in ner Baustein. Wir bereiten die nächsten Entlastungsge- der Schublade liegen bleiben, sondern sie muss weiter- setze in gleicher Weise vor. Aber noch wichtiger als gegeben werden. Dadurch entfallen Bürokratiekosten diese Einzelgesetze bleibt das grundsätzliche Prinzip: – wir fangen bescheiden an – in Höhe von insgesamt Der Normenkontrollrat prüft jedes neue Gesetz. Wir jährlich 3,5 Millionen Euro. Aber ein Anfang ist ge- können dann miteinander darüber streiten, wie bürokra- macht. tisch und unnötig das entsprechende Gesetz ist. Das ist einer der wichtigsten Blöcke. Außerdem setzen wir das Herr Zeil, damit kein falscher Eindruck entsteht, sage Standardkostenmodell für neue und mit zunehmender ich noch einmal: Wir sagen nicht unter Fanfarenklängen, Zahl auch für alte bürokratische Regelungen an. 8368 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Parl. Staatssekretär Hartmut Schauerte (A) Wir sind auf einem guten Weg. Ich denke, wir sollten ter mit Bürokratie belasten. Das wäre ein Beitrag, dies (C) dieses Anliegen gemeinsam weiterverfolgen. Angesichts vernünftig und richtig zu regeln. der Geißel Bürokratie, die uns alle ärgert, sind wir alle (Beifall bei der FDP) gefragt. Es ist durchaus sympathisch, dass Sie sich um ein Herzlichen Dank. Milch- und Margarinegesetz kümmern. Aber der deut- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sche Mittelstand erwartet schon ein bisschen mehr und etwas anderes. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ein großes Thema sind Unternehmensübergaben und Das Wort hat der Kollege Rainer Brüderle, FDP-Frak- die Erbschaftsteuer. Hierzu liegt kein Gesetzentwurf tion. vor. Hier streiten sich Schwarz und Rot; da gibt es Ge- zänk. Man muss fürchten, dass es auch hier wieder sehr (Beifall bei der FDP) bürokratisch und sehr kompliziert wird. Ich nenne als Beispiel nur die Problematik der Abgrenzung zwischen Rainer Brüderle (FDP): produktivem und nichtproduktivem Betriebsvermögen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu- Ich wünsche viel Vergnügen; das wird außerordentlich nächst möchte ich Herrn Kollegen Schauerte zu seiner schwierig werden. Da werden sich die Mittelständler Ernennung zum Mittelstandsbeauftragten der Bundesre- sehr freuen. Bringen Sie dies aber wenigstens einmal auf gierung gratulieren. den Weg, damit hier ein Stück Entlastungsperspektive entsteht und damit dort, wo Übergänge möglich sind und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sie anstehen, diese auch erfolgen und nicht weiter ge- der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- wartet wird, ob es eine Regelung gibt und welche. SES 90/DIE GRÜNEN) Ich persönlich meine – das ist nicht Beschlusslage Sie stehen damit unter verschärfter Beobachtung. Aber meiner Partei –, man sollte die Erbschaftsteuer ganz ab- Glückwunsch zur neuen Funktion, die Ihnen übertragen schaffen wurde! (Dr. Rainer Wend [SPD]: Alle Steuern!) Seit Jahren hat der Bürokratiewust zugenommen. Auch die sogenannte Große Koalition, die schwarz-rote – das werden wir nicht schaffen, Herr Kollege Wend –; Regierung, hat dem Mittelstand zunächst einmal kräftig denn das wäre der größte Beitrag zur Bürokratieverein- einiges übergestülpt: Bei den Betrieben wurden die So- fachung. (B) zialabgaben 13-mal abkassiert. Mit dem Antidiskrimi- (Beifall bei der FDP) (D) nierungsgesetz, das weiter gefasst wurde, als es die EU verlangt, wurden Bürokratie und Schwierigkeiten drauf- Wenn Sie das nicht wollen, dann sollten Sie zumindest geknallt, und die Steuern wurden kräftig erhöht. – Das die Zuständigkeiten für die Ausgestaltung der Erbschaft- alles sind keine Beiträge, es dem Mittelstand in Deutsch- steuer auf die Länder übertragen. Die Einnahmen aus der land leichter zu machen. Erbschaftsteuer betrugen im letzten Jahr insgesamt in al- len neuen Bundesländern gerade einmal 60 Millionen (Beifall bei der FDP) Euro. Dort wurde so gut wie keine Erbschaftsteuer erho- Wenn Sie jetzt den Hebel umlegen und den Rück- ben. Wenn diese sie abschaffen oder drastisch vereinfa- wärtsgang im Hinblick auf die Bürokratie einlegen wol- chen bzw. reduzieren würden, hätten sie einen Standort- len, ist das richtig und begrüßenswert. Was Sie aber bis- vorteil. Das wäre Wettbewerbsföderalismus. Haben Sie her vorlegen, kann man bestenfalls unter dem Motto Mut, diejenigen, die sowieso Destinatar, also Begüns- „Kleinvieh macht auch Mist“ zusammenfassen. Die Bü- tigte, von Steuern sind, dies selbst entscheiden zu lassen! rokratielasten werden auf rund 50 Milliarden Euro ge- Man nennt das in der Fachsprache Subsidiarität. schätzt. Wenn man das, was Sie hier auf den Weg brin- (Beifall bei der FDP) gen, wohlwollend hochrechnet, macht das maximal 60 Millionen Euro aus. Das ist etwa 1 Promille der Bü- Zur Unternehmensteuerreform. Auch da streiten rokratielasten, die die Fachleute, die Sachverständigen sich die Schwarzen und die Roten. Die SPD überlegt: feststellen. Das ist zwar relativ wenig; aber zumindest Welches Volumen kann man überhaupt verantworten? die Richtung stimmt. Sollte man nicht mehr Masse beim Staat zur Umvertei- lung zurückbehalten? Auch dort ist nichts klar. Aber wir (Beifall bei der FDP – Dr. Michael Bürsch stehen weiter im Wettbewerb. Die Vergleiche zeigen: [SPD]: So viel Lob am Freitag!) Wenn wir die Weichen hier nicht richtig stellen, gibt es weiter Abwanderungstendenzen. Ich empfehle Ihnen sehr, auch die Themen der Gene- ralunternehmerhaftung und der Bauabzugsteuer auf den Was der Mittelstand daneben bräuchte, ist mehr Flexi- Weg zu bringen. Die damit verbundenen Ziele waren bilität beim Arbeitsrecht und bei den Löhnen. Wir ha- durchaus ernst zu nehmen. Aber es hat sich herausge- ben in Deutschland ein sehr kompliziertes Arbeitsrecht. stellt, dass eine Riesenbürokratie und wenig Effekte ent- Das ist eine Ausgeburt an Bürokratie und selbst für gute standen sind. Schaffen Sie diese Steuer doch einfach ab! Juristen kaum noch logisch nachvollziehbar. Wir müss- Wenn man merkt, man hat etwas falsch gemacht, dann ten vor allen Dingen den Mut haben, den Mitarbeitern in sollte man es abschaffen und den Mittelstand nicht wei- den Betrieben mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8369

Rainer Brüderle (A) ben, die Arbeitnehmerrechte im Betrieb zu stärken, die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) Funktionärsrechte ein Stück zurückzunehmen und be- Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Wend, triebliche Bündnisse für Arbeit zu ermöglichen. Wir set- SPD-Fraktion. zen eine hohe Schwelle: Wenn 75 Prozent der Beleg- schaft in freier und geheimer Abstimmung zum Ausdruck bringen, dass sie eine andere Regelung wol- Dr. Rainer Wend (SPD): len, als das Kartell ihnen vorschreibt, muss diese andere Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Regelung Geltung finden. Die Betroffenen müssen das Herren! Lieber Herr Brüderle, es ist Aufgabe der Oppo- Recht haben, eine andere Entscheidung zu treffen. – Sie sition, darauf hinzuweisen, wie wir noch besser werden aber haben nicht den Mut, den Arbeitnehmern mehr Ent- können, natürlich auch beim Thema Bürokratieabbau. In scheidungsrechte zu geben, nicht einmal, wenn eine Richtung FDP muss ich aber sagen: Fast alle Vorschrif- hohe Schwelle von 75 Prozent – das ist mehr als eine ten, die wir jetzt wegen zu großer Bürokratie abschaffen verfassungsändernde Mehrheit – vorgesehen wird. Nein, wollen, sind von früheren FDP-Wirtschaftsministern er- bei uns geht die Funktionärsherrschaft weiter. Warum funden worden, Kollege Brüderle. wundern wir uns eigentlich, dass sich vieles nicht zum (Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Vernünftigen ändert? Dieses Thema muss aber ange- Hört! Hört!) packt werden; sonst kommen wir nicht voran. Deswegen empfehle ich der FDP, in dem Prozess, in dem (Beifall bei der FDP) wir uns jetzt befinden, ein wenig mehr Demut zu zeigen. Die Diskussion über die Mindestlöhne ist sehr lie- benswert. Ich gönne jedem jeden Euro. Mindestlöhne Ich finde, dass die Große Koalition in Sachen Büro- schaffen aber keine Arbeitsplätze. Es wäre reiner Zufall, kratieabbau einen guten Prozess begonnen hat. Wir ha- wenn deren Höhe richtig wäre. Sind sie zu niedrig, ha- ben im letzten Jahr – Herr Schauerte hat darauf hinge- ben sie null Effekt. Sind sie zu hoch, verhindern sie die wiesen – das erste Mittelstandsentlastungsgesetz Schaffung von Arbeitsplätzen. Deshalb müssen Sie an- verabschiedet. Damit haben wir eine Reihe von bürokra- dere Instrumente, Kombiansätze – wir nennen es Bür- tischen Regelungen, die gerade Kleinunternehmen und gergeld –, wählen. Der Mindestlohn ist wieder so ein Mittelstand belasten, abgeschafft. Wir haben beispiels- ideologisches Thema. Man rennt herum und sagt: Wir weise die Grenze für die Bilanzierungspflicht von Unter- tun etwas für euch. – In Wahrheit gibt man denen, die nehmen angehoben, und zwar von einem Umsatz von draußen stehen, keine Chance, hineinzukommen. Das ist 350 000 Euro auf einen Umsatz von 500 000 Euro. das Gegenteil von Hilfestellung. Nach dem ersten Mittelstandsentlastungsgesetz haben (B) (Beifall bei der FDP) wir etwas gemacht, wovon wir uns die größte Wirkung (D) versprechen; das hat gerade der Staatssekretär angespro- Der Mittelstand ist sehr beunruhigt, dass in den Rei- chen. Es geht darum, dass wir die Bürokratiekosten der hen der Koalition schon wieder darüber diskutiert wird, Unternehmen, die aus ihren Berichts- und Dokumenta- das Briefmonopol erneut zu verlängern. Das Verlängern tionspflichten gegenüber staatlichen Stellen entstehen, der Monopole ist offensichtlich Ihr Beitrag zu „Mehr in Geld messen und anschließend mit klaren Zielvorga- Freiheit wagen!“, wie die Bundeskanzlerin ihre Regie- ben reduzieren wollen. Die Bundesregierung hat am rungserklärung betitelt hat. Nein, wir müssen neuen Mittwoch beschlossen, diese Bürokratiekosten bis zum Existenzen auch in diesem Bereich Freiraum bieten, da- Jahr 2011 um 25 Prozent zu reduzieren. Es sind inzwi- mit sie sich entwickeln können. Überall, wo der Staat schen über 11 000 Vorschriften identifiziert, die auf ihre steuert, wo es Monopole gibt, haben wir Probleme. Ob Kosten hin zu untersuchen und anschließend zu reduzie- bei EADS oder anderswo: Zu viel Staatseinfluss führt zu ren sind. Fehlentscheidungen. Die Arbeitnehmer baden aus, dass sich der französische Staat zu stark eingemischt hat, aber Ich habe eine freundschaftliche Bitte an die Bundes- die Deutschen wollen jetzt den gleichen falschen Ansatz regierung – alle Sozialdemokraten gehen freundschaft- wählen. lich mit der Bundesregierung um –: (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Oder nehmen Sie – letzte Bemerkung – das Telekom- Eine Reduktion um 25 Prozent bis 2011 ist gut. Ich munikationsrecht. Hier führen Sie lieber einen Krieg fände es aber schön, wenn es uns gelingen würde, ein mit der Europäischen Kommission. Sie haben etwas Ein- Ziel bis zu den nächsten Wahlen in 2009 festzulegen. Es maliges gemacht, etwas, das es noch nie in Deutschland ist immer leicht, etwas auf Kosten künftiger Bundesre- gegeben hat: Selbst die milde Regulierung der Netz- gierungen – wenngleich sie möglicherweise so aussehen agentur gilt nicht, es gibt Regulierungspausen. – Das gab wie die jetzige; jedenfalls sollten die Sozialdemokraten es früher: Als Madame Pompadour Louis XVI. eine tolle daran beteiligt sein – Nacht bereitet hat, erhielt sie das Monopol für den Ka- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und kaoausschank. Das sind nicht die Wege, auf denen wir der FDP) im 21. Jahrhundert nach vorne kommen. Vielen Dank. zu machen. Noch besser aber fände ich es, wenn es uns gelingen würde, für diese Legislaturperiode ein festes (Beifall bei der FDP) Ziel zu vereinbaren. 8370 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Rainer Wend (A) Das erste Mittelstandsentlastungsgesetz und der Nor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) menkontrollrat, der die Umsetzung des Standardkosten- modells überprüfen soll, waren die ersten Schritte. Das Deswegen bleibt die Tarifautonomie Kernbestandteil un- zweite Mittelstandsentlastungsgesetz – der Staatssekre- serer Programmatik. Wir werden eine Beseitigung der tär hat bereits einige Punkte daraus genannt –, mit dem Tarifautonomie nicht zulassen, weil dadurch das alte Un- wir noch einmal Erleichterungen bei der Bilanzierungs- gleichgewicht zwischen Arbeitgeber- und Arbeitneh- pflicht vornehmen und Existenzgründern durch den merseite wiederhergestellt würde. Wegfall von Dokumentations- und Berichtspflichten hel- (Beifall bei der SPD) fen, ist der dritte Schritt beim Bürokratieabbau. Nun kommt von der Opposition die Kritik – das ist, Ich möchte auch etwas zum sogenannten Staatsein- wie ich finde, auch ihre Aufgabe –, dies sei zu wenig. fluss bei Airbus sagen. Ich teile insofern Ihre Auffas- Ich finde, wir sollten uns im parlamentarischen Prozess sung, als ich glaube, dem Unternehmen Airbus würde es offen zeigen, an dem einen oder anderen Punkt weiterzu- auf Sicht am besten gehen, wenn sich alle staatlichen arbeiten. Das Stichwort Generalunternehmerhaftung Stellen aus unternehmerischen Entscheidungen zurück- ist genannt worden. Aber es ist ein bisschen komplizier- zögen. ter, Herr Kollege Brüderle, als Sie es dargestellt haben. (Beifall bei der FDP) Wahr ist, dass auf der einen Seite für die Generalunter- nehmer zusätzliche Belastungen entstehen, wenn sie für Aber wenn einer der Eigentümer in dieser Gesellschaft, Subunternehmer, die sie beauftragen, haften müssen. ein Staat, einen anderen Weg geht und sich dezidiert Auf der anderen Seite kann dieses Verfahren dazu beitra- dazu bekennt – das hat die französische Seite getan –, gen, dass Versicherungsbeiträge von Subunternehmern wäre es doch fahrlässig gewesen, wenn die deutsche regulär gezahlt werden und somit Schwarzarbeit be- Seite auf Einflussnahme verzichtet hätte. kämpft wird. Das ist das Ziel dieses Gesetzes. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Zielen des Ge- der CDU/CSU) setzes und den Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, abzuwägen und zu beurteilen, ob sie in einem klugen Deswegen war das, was wir in den letzten Wochen und Verhältnis zueinander stehen. Das müssen wir jetzt sorg- Monaten getan haben, richtig. Wir stehen dazu. fältig prüfen. Anschließend müssen wir zu einer Ent- scheidung kommen, wie damit zu verfahren ist. Ich möchte etwas zum Briefmonopol sagen. Auch hier teile ich Ihre Ausgangsposition, dass es gut und Die SPD ist im parlamentarischen Prozess offen be- richtig wäre, auf europäischer Ebene einen Weg zu fin- (B) züglich möglicher Verbesserungen und Erweiterungen den, um mehr Wettbewerb und eine stärkere Liberalisie- (D) des zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes. Es gibt rung zuzulassen. Aber ich muss auf etwas hinweisen, aber ein klares Nein der SPD zu vielen Dingen, die Sie worauf ich auch beim Thema Airbus schon zu sprechen hier formuliert haben, Herr Kollege Brüderle, zum Bei- gekommen bin: Wenn einige Länder in Europa ihren spiel zu dem, was Sie in Ihrem Antrag zu Kündigungs- Markt geschlossen halten, dann kann es doch nicht ver- schutz und betrieblichen Bündnissen geschrieben haben. nünftig sein, dass wir sie einladen, in unserem Land am Ich will Ihnen das einmal ohne Wenn und Aber sagen: Wettbewerb teilzunehmen, solange wir nicht die Mög- Die SPD steht für bestimmte Regeln und will bestimmte lichkeit bekommen, unsererseits am Wettbewerb in die- Regeln in unserer Gesellschaft aufrechterhalten. sen Ländern teilzunehmen. Diese Ungleichbehandlung dürfen wir nicht zulassen. (Beifall bei der SPD) Wir sind vor 140 Jahren aufgrund ganz bestimmter Er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wägungen gegründet worden. Es gab damals den freien der CDU/CSU) Kapitalismus mit Kinderarbeit, ohne Kündigungsschutz Ich will in diesem Zusammenhang auch etwas zum und mit 60-Stunden-Woche. Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Thema Mindestlöhne sagen. Zunächst einmal danke ich Jahrzehnt wurden durch SPD und Gewerkschaften Re- dem Minister; Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie geln geschaffen, die den freien Kapitalismus einge- ihm das ausrichten. Ich habe nämlich in der Zeitung ge- schränkt haben, durch Kündigungsschutz und Tarifauto- lesen, dass sich der Minister offen dafür zeigt, im Hin- nomie. Wir wollen, dass er in dieser Weise eingeschränkt blick auf die Entlohnung eine Untergrenze zu setzen – es bleibt. muss ja nicht „Mindestlohn“ heißen; über Begriffe (Beifall bei der SPD) braucht man mit mir nicht zu streiten –, weil ansonsten die Unternehmen, wenn wir Langzeitarbeitslosen über Ein Kernbestandteil unserer Programmatik ist die Kombilöhne oder Ähnliches helfen wollen, Mitnahme- Tarifautonomie. Bevor es sie gab, wurden die Arbeits- effekte ohne Ende haben, weil sie die Löhne stark sen- bedingungen zwischen Unternehmern und einzelnen Ar- ken können, da sie damit rechnen können, dass die beitnehmern verhandelt; die Arbeitnehmer waren den Löhne ohnehin staatlicherseits aufgestockt werden. Ihr Unternehmern faktisch ausgeliefert. Erst durch Grün- Minister ist auf dem richtigen Weg. Ich finde es gut, dass dung der Gewerkschaften und die Einführung der Tarif- er das so formuliert hat. autonomie gab es in etwa eine Gleichberechtigung zwi- schen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite bei der (Ludwig Stiegler [SPD]: Ja! Aber er muss da- Aushandlung von Arbeitsbedingungen. mit erst einmal am Ziel ankommen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8371

Dr. Rainer Wend (A) Es ist nicht richtig, dass sich der Wettbewerb im Post- entlastungsgesetz jedoch näher an, wird deutlich: Es (C) bereich fast nur noch darum dreht, welches Unterneh- handelt sich eigentlich nur um ein wirtschaftspolitisch men die niedrigsten Löhne zahlt und die Postzustellun- kleines Licht. gen in unserem Land unter den schlechtesten Arbeitsbedingungen erledigt. (Beifall bei der LINKEN) (Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!) Nach den Zahlen der Bundesregierung wird die mittel- ständische Wirtschaft mit einem Paket von 17 Einzel- Wettbewerb finde ich gut. Aber ein Wettbewerb, der aus- maßnahmen um 60 Millionen Euro – das ist heute schon schließlich um Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbe- erwähnt worden – entlastet. Bei 3,4 Millionen mittleren dingungen geführt wird, ist für uns nicht akzeptabel. Wir und kleineren Unternehmen sind das durchschnittlich wollen einen Wettbewerb um die Qualität von Leistun- 17 Euro pro Jahr. Herr Schauerte – der Bundesminister gen. ist ja heute leider nicht da –, was bedeuten 17 Euro je (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unternehmen und Jahr für Wirtschaft und Beschäfti- der CDU/CSU) gung? Sie täuschen hier das Wahlvolk und Hunderttau- sende kleine mittelständische Unternehmen. Deswegen habe ich insbesondere an die FDP die Bitte: Lassen Sie uns den Bürokratieabbau gemeinsam in (Beifall bei der LINKEN) Angriff nehmen. Sie sollten aber nicht die Überschrift Damit nicht genug: Unter dem Schlagwort des Büro- „Bürokratieabbau“ wählen und sie dann als „Abschaf- kratieabbaus beschneidet die Bundesregierung seit Jah- fung von Arbeitnehmerrechten“ buchstabieren. Dass wir ren systematisch die Statistik, und zwar genau den Be- in diesem Fall Ihr Gegner wären, muss Sie nicht betrü- reich, der über die Lage der kleineren und mittleren ben. Aber dies würde auch dazu führen, dass Sie das Unternehmen informiert. Das legt den Schluss nahe, Thema Bürokratieabbau diskreditieren und es in unserer dass die Große Koalition den kleinen Mittelstand abge- Gesellschaft nicht mehr mehrheitsfähig wäre. Deshalb schrieben hat. sagt die SPD mit aller Kraft Ja zum Bürokratieabbau, aber genauso deutlich und mit aller Kraft Nein zum Ab- (Beifall bei der LINKEN) bau von Arbeitnehmerschutzrechten unter dem Deck- mantel des Bürokratieabbaus. Die Bundesregierung kennt nur den großen Mittelstand: Unternehmen, die über 100 Mitarbeiter haben, die am (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Exportgeschäft teilnehmen und die schwarze Zahlen der CDU/CSU) schreiben.

(B) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich rede im Gegensatz dazu von der Mehrzahl der (D) Das Wort hat die Kollegin Sabine Zimmermann, mittelständischen Unternehmen: denen mit weniger als Fraktion Die Linke. fünf Beschäftigten. Das sind 2,8 Millionen von den 3,4 Millionen Unternehmen, die es in Deutschland gibt. (Beifall bei der LINKEN) Diese Kleinstunternehmen leiden seit Jahren unter dem Stagnieren der Binnennachfrage und dem Sparkurs der Sabine Zimmermann (DIE LINKE): öffentlichen Hand. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre hat aus- Meine Damen und Herren! Erst einmal zu Herrn Wend: schließlich den Großunternehmen geholfen. Die Deut- Herr Dr. Wend, ich fand es sehr wohltuend, von Ihnen zu sche Bank hat diesbezüglich jüngst ganz interessante hören, wie die Wurzeln der SPD einmal entstanden sind. Zahlen veröffentlicht – ich gehe davon aus, Sie werden (Ute Kumpf [SPD]: Wieso Wurzeln? Wir ste- sie kennen –: Von 1997 bis 2004 ist der Wert der Ge- hen dazu! Heute noch!) samtleistung des deutschen Mittelstandes kaum gewach- sen, nämlich nur um 2 Prozent, während die Großunter- – Nein, Sie stehen nicht dazu, leider. Das Verhältnis zwi- nehmen in diesen acht Jahren viel kräftiger, nämlich um schen der SPD und den Gewerkschaften ist sehr gestört. 30 Prozent expandiert sind. Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin nämlich DGB-Vorsit- zende in der Region Vogtland-Zwickau. Die Regierung feiert den Aufschwung: Uns alle – das verstehen Sie jetzt vielleicht nicht – (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: verbindet einiges. Wir alle waren nämlich einmal Kin- Feiert doch mit!) der. Vielleicht kennen Sie noch die Geschichte von Jim Knopf und dem Scheinriesen. 2,7 Prozent Wachstum, seit Jahren nicht gehabt. Das ist gut und schön. Aber was nützt ein Wachstum, das immer (Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja! Tur Tur!) noch an vielen kleinen und mittelständischen Unterneh- – Genau. – Je näher man dem Riesen entgegenkommt, men vorbeigeht? desto kleiner wird er. Genauso verhält es sich mit dem (Beifall bei der LINKEN) vorliegenden Gesetzentwurf der Großen Koalition. Laut Bundesminister Glos ist dieses Gesetz ein „Leuchtturm- Dieses Problem betrifft vor allen Dingen den ostdeut- projekt“ der Bundesregierung auf dem Gebiet des Büro- schen Mittelstand. Ich zitiere den ostdeutschen Sparkas- kratieabbaus. Schaut man sich das Zweite Mittelstands- senverband von letzter Woche: 8372 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Sabine Zimmermann (A) Der wirtschaftliche Aufschwung ist noch nicht Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) beim ostdeutschen Mittelstand angekommen. Das Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert, durchschnittliche Wirtschaftswachstum von rund Bündnis 90/Die Grünen. 2,8 Prozent im Osten Deutschlands beschränkt sich auf die industriellen Kerne. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die jüngste Erholung, die die neuen Zahlen der KfW- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bankengruppe zeigen, erfolgt vor dem Hintergrund einer Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, am Anfang einer langen Durststrecke. Und es ist keineswegs ausgemacht, Debatte über Bürokratieabbau und die Halbherzigkeit dass diese Erholung anhält. Zum Beispiel stellt sich der der Regierung in diesem Zusammenhang darauf hinzu- Zentralverband des Deutschen Handwerks für dieses weisen, dass Bürokratie und die damit einhergehenden Jahr auf einen Wachstumsrückschlag ein. Regelungen notwendig sind. Aber selbstverständlich braucht der sozial und ökologisch verantwortliche Staat (Lena Strothmann [CDU/CSU]: Gar nicht einen anspruchsvollen Ordnungsrahmen. Damit ist wahr!) auch Bürokratie als effizienter Steuerungsmechanismus Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie verbunden. veranstalten viel Brimborium um das Zweite Mittel- Wir brauchen Bürokratie, um Rechtssicherheit, aber standsentlastungsgesetz. Anscheinend soll damit ver- auch – das wurde bereits angesprochen – um den Schutz deckt werden, dass diese Koalition auf die wirtschaftli- der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und eine ge- chen Probleme des Mittelstandes keine Antwort weiß. sunde Umwelt zu gewährleisten. Bürokratie muss aber (Beifall bei der LINKEN) auch effizient sein. Sie muss ihre Ziele erreichen und vor allen Dingen auch verständlich sein. Um den mittelständischen Unternehmen zu helfen, braucht es keine weitere Kostenentlastung und schon gar Ich möchte mit dieser Eingangsbemerkung Herrn keine Steuerreformen, wie sie die Bundesregierung ge- Brüderle und der FDP noch einmal ins Stammbuch macht hat und ankündigt. Der Mehrzahl der kleineren schreiben, dass ein Bürokratieabbau nach dem Motto und mittleren Unternehmen fehlen schlicht die Aufträge; „Hau weg das Ganze!“, das in Ihren Anträgen immer das müssten Sie eigentlich wissen. Deswegen setzt sich wieder zum Tragen kommt, nicht unbedingt zu mehr Die Linke für eine Stärkung der Binnennachfrage ein. Freiheit, sondern häufig zu mehr Unsicherheit und Dazu gehören auch ordentliche Lohnsteigerungen. Chaos führt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Herr Wend, wenn Sie so die Wurzeln der Arbeiterbewe- Unsere Aufgaben sind in einem sehr schwierigen (D) gung suchen, dann unterstützen Sie sicherlich auch die Spannungsfeld zu erfüllen. Sir Ralf Dahrendorf hat, wie Lohnforderungen der Gewerkschaften. ich finde, dieses Spannungsfeld sehr schön beschrieben: (Dr. Rainer Wend [SPD]: Ja, tue ich!) Wir brauchen die Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie – Das ist schön. – Denn höhere Löhne und damit mehr uns, zu tun, wofür wir sie brauchen. Kaufkraft kommen vor allem den kleineren und mittle- ren Unternehmen zugute. Profitieren würde insbeson- Ich finde, das ist die richtige Beschreibung der Situa- dere der Einzelhandel, der – darüber haben wir noch gar tion: Keiner will Bürokratie haben, aber an vielen Stel- nicht geredet – völlig am Boden liegt. len wird sie dann doch wieder von den jeweiligen Lob- bys eingeklagt. Sie ist in vielen Bereichen historisch Ich fasse zusammen: Diese Große Koalition geht mit gewachsen. Die Aufgabe anzugehen, die Bürokratie effi- dem vorliegenden Gesetz das zentrale Problem des Mit- zient und überschaubar zu machen, erfordert Mut, zum telstandes überhaupt nicht an. Denn die fehlenden Auf- Beispiel gegenüber den Lobbys. Vor allem in jüngster träge werden hiermit nicht kompensiert. Die Linke for- Zeit finden sich in der aktuellen Debatte immer wieder dert ein umfassendes öffentliches Investitionsprogramm Beispiele, die zeigen, dass der Bundesregierung dieser von mindestens 30 Milliarden Euro Mut fehlt. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Völlig Ein aktuelles Beispiel ist der Kniefall der Bundesre- neu! Endlich einmal eine tolle Idee!) gierung vor der Autolobby im Zusammenhang mit den für die Zukunftsbereiche Energie, Bildung und kommu- CO2-Emissionen. Das Vermischen von Kriterien – wie nale Infrastruktur. – Es steht Ihnen frei, sich darüber auf- die jeweilige Höhe der CO2-Emissionen und die Anrech- zuregen. Wir können gerne in kleiner Runde darüber dis- nung des Biospritverbrauchs – wird zu einem riesigen kutieren. bürokratischen Aufwand bei der Grenzwertbestimmung führen. Sie reden zwar viel, tun aber an vielen Stellen Die von Ihnen vorgelegten Maßnahmen helfen den genau das Gegenteil. Hunderttausenden KMUs in Deutschland nicht. Das Mittelstandsentlastungsgesetz bleibt letztlich ein Schein- Sie haben – darauf hat Herr Schauerte schon hinge- riese. wiesen – das Ziel formuliert, 25 Prozent der Bürokra- tiekosten abzubauen. Dafür haben Sie lange gebraucht. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Sie haben angegeben, dieses Ziel bis zum Jahr 2011 er- (Beifall bei der LINKEN) reichen zu wollen. Damit verschieben Sie das Vorhaben Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8373

Dr. Thea Dückert (A) in die nächste Legislaturperiode. Das ist viel zu spät (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) – Herr Wend hat schon darauf hingewiesen –, weil man sowie bei Abgeordneten der FDP) Sie dann nicht an Ihren Maßnahmen messen kann. Wir Deswegen fordert meine Fraktion im Zusammenhang fordern Sie auf, klare Ziele zu benennen, damit Sie an mit dem Bürokratieabbau einen parlamentarischen Aus- Ihren eigenen Vorstellungen gemessen werden können. schuss – ähnlich dem Haushaltsausschuss –, der sich je- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Gesetz vornimmt und es nicht zulässt, dass sich die Bundesregierung die Rosinen herauspickt und letztend- Das jetzt vorgelegte zweite Mittelstandsentlastungs- lich um die große Aufgabe drückt. gesetz sieht 17 Maßnahmen vor – Sie haben die Zahlen vorhin genannt –; umgerechnet entspricht das einem An- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – teil von 0,075 Prozent am Abbau der Bürokratiekosten. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Noch ein Das sind noch nicht einmal Trippelschritte. Ausschuss mehr, das ist aber kein Beitrag zum Bürokratieabbau!) Wenn man den Blick auf Ihr gesamtes Handeln rich- Die Arbeitsgemeinschaft Mittelstand hat Ihnen ins tet, dann wird deutlich, dass Sie nicht nur auf der Stelle Stammbuch geschrieben, dass es sich hier eher um re- treten, sondern zurücklaufen. daktionelle Änderungen handelt. Ich will nicht sagen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass die einzelnen Änderungen überflüssig sind; natür- lich brauchen wir sie. Aber sie bringen uns nicht wirk- Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Wie sieht die Un- lich voran. Herr Glos hat gesagt, das Vorhaben sei ein ternehmensteuerreform aus, über die zurzeit diskutiert Leuchtturm der Regierungstätigkeit. 0,075 Prozent – ich wird? Sie schaffen drei Informationspflichten ab und le- habe diese Zahl vorhin genannt –, das ist meiner Ansicht gen 32 neue auf. Auf eine abgeschaffte Informations- nach ein ziemlich schwaches Licht für einen Leucht- pflicht kommen also zehn neue. turm. Ich befürchte, dass Ihr Projekt Bürokratieabbau an den Klippen zerschellt, wenn Sie so weitermachen. Betrachtet man das alles im Zusammenhang, dann kommt man zu dem Schluss, dass nicht weniger Büro- Schauen wir uns einmal genau an, was Sie uns alles kratie, sondern mehr Bürokratie geschaffen wird. Herr vorgelegt haben. Herr Wend, Sie selbst haben einge- Schauerte, Sie haben gesagt, Sie seien systematisch vor- räumt – das finde ich gut –, es fehle einiges. Sie haben gegangen. Aber hier offenbaren sich die Schwächen Ih- das Problem der Generalunternehmerhaftung angespro- res Gesamtkonstrukts. Der von Ihnen eingerichtete chen. Gestern haben wir über die Bauabzugsteuer ge- Bürokratie-TÜV setzt sich – das ist ein zentrales Pro- sprochen. Im Hinblick auf das Erreichen des Ziels, die blem – eben nicht mit allen Gesetzen auseinander, wie Schwarzarbeit am Bau einzudämmen, müssen wir die (B) (D) Sie behauptet haben. Er setzt sich allenfalls mit den Ge- entsprechenden Gesetze auf den Prüfstand stellen; denn setzen der Bundesregierung auseinander. Aber das, was anstatt Schwarzarbeit zu verhindern und Effekte zu er- aus dem Parlament kommt, wird gar nicht überprüft. Das zielen, sorgen sie in der Praxis offenbar für mehr Büro- heißt, Sie haben von vornherein die Hintertür, ein riesen- kratie. großes Scheunentor, aufgemacht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Im Rahmen des von Ihnen gefeierten Standardkosten- Wir müssen mehr und umfassend über den Bürokratie- modells werden nur die Informationskosten überprüft abbau nachdenken, und zwar auch über die großen Pro- und nicht das, was Bürokratie an vielen anderen Stellen jekte, die Sie still und heimlich unter den Tisch fallen kostenintensiv macht. Sie alle kennen doch die Beispiele lassen wollen. wie die von Ihnen ins Feld geführten Erleichterungen bei den Unternehmensgründungen und die Anforderungen An die Adresse der FDP, die sich immer wieder an die für Kleinbetriebe, die, wenn sie mehr als zwei Beschäf- Spitze der Bewegung stellen will, sage ich: Machen Sie tigte haben, zwei getrennte Toiletten für Männer und doch mit bei der endgültigen Entschlackung der Hand- Frauen einrichten müssen. Ich könnte diese Liste belie- werksordnung! Wir waren hier schon weiter. big verlängern. Das alles kann man im Rahmen der In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) formationskosten nicht messen. Das ist eine unsinnige Bürokratie, die wir abbauen müssen. An die Adresse der Regierung sage ich: Machen Sie doch mit bei der modernen rechtlichen Gestaltung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schornsteinfegerwesens, anstatt das Gebietsmonopol in sowie bei Abgeordneten der FDP) Deutschland – ein Schornsteinfeger für eine Region, das Wir fordern deswegen, dass alle Gesetze überprüft wer- ist vorsintflutlich – fortzuschreiben, sodass sich die Ver- den und dass alle Bürokratiekosten auf den Prüfstand ge- braucherinnen und Verbraucher heute noch immer nicht stellt werden, nicht nur ein ganz kleiner Teil. den Schornsteinfeger aussuchen können, den sie beauf- tragen wollen! Das Problem ist, dass Sie zwar groß blinken – es ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Chefsache –, sich aber nicht wirklich an den Bürokratie- sowie bei Abgeordneten der FDP) abbau heranwagen. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel aus der letzten Zeit. Dieses Bürokratiemonster eines Das alles führt nur zu mehr unsinniger Bürokratie. Gesundheitsfonds ist von Ihnen selber an keiner Stelle Das ist auch kein Verbraucherschutz, und das ist auch zur Debatte gestellt worden. nicht ökologisch, sondern das Gegenteil von all dem. 8374 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ihnen noch all die Ideen vorzutragen, die wir in den Dis- (C) Frau Kollegin, Herr Kollege Hinsken würde gerne kussionsprozess einbringen werden. Ich freue mich da- eine Zwischenfrage stellen. rauf, im Ausschuss weiter darüber zu debattieren. Vielen Dank. Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, gerne. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs, CDU/ Frau Kollegin Dr. Dückert, Sie gehören einer Fraktion CSU-Fraktion. an, die von 1998 bis 2005 an der Regierung war. Würden Sie mir bitte sagen, was speziell in dieser Zeit zur Ent- (Beifall bei der CDU/CSU) lastung insbesondere des Mittelstandes von Bürokratie unternommen wurde? Ich sage Ihnen gleich, wie ich es Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): empfinde: Es ist fast nichts geschehen. Jetzt geißeln Sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- – zu Recht – diese Bürokratiebelastung; aber wenn Sie gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau damals schon etwas in die Wege geleitet hätten, dann Dückert, ich kann wirklich nicht alles nachvollziehen, hätte das dem Bürokratieabbau mehr gedient, und Sie was Sie hier von sich gegeben haben. Gerade die Grünen könnten etwas glaubwürdiger vor uns reden. haben doch in vielfältiger Weise dafür gesorgt, dass die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bürokratie in Deutschland gewachsen ist. Ich habe von Ihnen bis jetzt wirklich kaum konkrete Vorschläge ge- hört, wo wir die Bürokratie, von der wir viel zu viel ha- Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben – da sind wir uns völlig einig –, abbauen können. Sie Lieber Kollege Hinsken, ich habe gedacht, dass Sie, hatten sieben Jahre lang Zeit, das zu tun, was Sie hier wie sonst üblich, nach der Handwerksordnung fragen. vorgeschlagen haben. Ich habe aber in den sieben Jahren Ich kann aufgrund Ihrer Geschichte verstehen, dass Sie der letzten Legislaturperiode – das habe ich im Wirt- genau dieses große Projekt des Bürokratieabbaus nicht schaftsausschuss erlebt – von Ihnen dazu gar nichts ge- geschätzt haben, hört. Ich frage mich wirklich, wo Ihre Glaubwürdigkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bleibt, wenn Sie jetzt das fordern, was Sie hätten tun können, als Sie in der Regierung waren. Sehr interessant, aber es war eines der größten Projekte zum Bürokratie- aber nicht glaubwürdig. abbau, die dem Mittelstand genutzt haben. Wir haben in- (B) folge dieser Verschlankung der Handwerksordnung er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D) lebt, dass der Mittelstand mit Existenzgründungen und Diese Bundesregierung ist mit dem Ziel angetreten, einem Boom von Neugründungen reagiert hat. Ich Bürokratie abzubauen, und sie tut das in vielfältiger denke, etwas Besseres konnte man gar nicht tun. Weise. Wir haben ein erstes Mittelstandsentlastungsge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setz verabschiedet. Jetzt liegt uns der Entwurf eines sowie bei Abgeordneten der SPD – Ernst zweiten Mittelstandsentlastungsgesetzes vor. Wir sind Hinsken [CDU/CSU]: War das alles?) selbstverständlich bereit, mit Ihnen zusammen zusätzli- che Punkte in das parlamentarische Verfahren einzubrin- Ich möchte zum Schluss kommen. Es ist sicher ver- gen. Wir werden darüber auch in den Berichterstatterge- dienstvoll, dass das Thema jetzt in den Überschriften sprächen diskutieren. Jeder in diesem Hohen Hause ist steht. Es gibt einen irrsinnigen, historisch gewachsenen eingeladen, sich daran zu beteiligen. Dschungel von Vorschriften, an die wir heranmüssen. Wir haben einen Normenkontrollrat eingerichtet Die Strukturen müssen geändert werden. Ich habe die – auch das hätten Sie machen können; aber wahrschein- Stichworte genannt: Der Bürokratie-TÜV, der Normen- lich hatten Sie noch nicht einmal die entsprechenden kontrollrat, muss sich um alles kümmern, um alle Ge- Ideen –, und er hat viel schneller seine Arbeit aufgenom- setze, die hier diskutiert werden. Wir brauchen einen men als zum Beispiel das entsprechende Gremium in Ausschuss im Parlament, der sich originär damit befasst. den Niederlanden, Actal. Bei uns läuft dieses System. Es ist wichtig, alle Kosten der Bürokratie auf den Prüf- Die Messverfahren werden bis zum Frühsommer dieses stand zu stellen und alle unsinnigen Auswüchse zu be- Jahres abgeschlossen sein. seitigen. Die Bundesregierung hat Ziele festgelegt. Ich bin mit Wir brauchen ein Arbeitsgesetzbuch, um den kleinen dem Kollegen Wend völlig einig, dass diese Ziele nicht und mittleren Betrieben in dem Dschungel der verschie- zu langfristig ausgelegt sein sollten; vielmehr sollten wir denen Gesetze einen Wegweiser an die Hand zu geben. die Bundesregierung durchaus auffordern, Ziele festzu- Damit meine ich nicht – das sage ich auch in Richtung legen, die bis zum Jahre 2009 zu erreichen sind. Wir sind FDP – den Abbau von Arbeitnehmerschutzrechten. Das uns darüber im Klaren, dass es innerhalb von zwei Jah- ist bei Ihnen immer das trojanische Pferd. Wir brauchen, ren nicht zu einem Abbau um 25 Prozent kommen kann. gerade was das Steuerrecht anbelangt, auf EU-Ebene Dennoch sollten die Ziele eindeutig formuliert werden. eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage. Das würde uns viel bei der unübersichtlichen Steuergesetzge- Diese Bundesregierung tut konkret etwas für den Mit- bung helfen. Meine Redezeit reicht jetzt nicht aus, um telstand. Sie labert nicht nur herum, sondern sie handelt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8375

Dr. Michael Fuchs (A) Beispielhaft dafür möchte ich nennen, was das Ministe- Wir haben den Unternehmen nämlich zugesagt, dass die- (C) rium für Wirtschaft und Technologie und das Ministe- ser Gesetzentwurf innerhalb kurzer Zeit beraten wird rium für Bildung und Forschung getan haben: und zum 1. Januar 2008 in Kraft tritt. Deswegen werden wir uns mit diesem Gesetzentwurf intensiv beschäftigen. Handwerkliche und haushaltsnahe Dienstleistungen Es muss auf diesem Sektor weitergehen. sind steuerlich besser absetzbar. Das hat jede Menge ge- bracht. Auf einmal ist zum Beispiel die Schwarzarbeit Selbstverständlich hat das Auswirkungen. Lassen Sie ein wenig zurückgegangen. uns doch ganz einfach einmal die aktuellen Zahlen an- schauen. Gestern hat die Bundesagentur bekannt gege- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ben, dass wir 822 000 Arbeitslose weniger als vor einem der SPD) Jahr haben. Die „Bild“-Zeitung, die ja nicht unbedingt Diese Maßnahme hat also geholfen, und wir sollten da- ein regierungsfreundliches Blatt ist, lobt das erste Mal rüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll ist, diesen Weg die Bundeskanzlerin, und zwar völlig zu Recht. Nicht weiterzugehen. nur, dass es 822 000 Arbeitslose weniger gibt; es sind in- nerhalb von einem Jahr auch 455 000 zusätzliche sozial- Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bringt et- versicherungspflichtige Jobs geschaffen worden. Darauf was. Es gibt schon heute in Deutschland große Pro- können wir stolz sein. bleme, Sanierungsmaterialien zu bekommen. Beispiels- weise sind Dachlatten mittlerweile ein Mangelprodukt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) – ich kann das nicht nachvollziehen –; sie werden jetzt aus Litauen importiert. Anscheinend funktioniert das so Ich bin ziemlich sicher: Wenn der Kollege Brüderle gut. Frau Zimmermann, das, was Sie gerade von sich ge- heute Wirtschaftsminister wäre, dann hätte er vor lauter geben haben, waren die üblichen Sprüche, die man von Kraft kaum bis zum Rednerpult laufen können. der Linken hört. Dies entbehrt jeglicher gründlicher Re- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und cherche. Gerade den mittelständischen Handwerksbe- der SPD) trieben geht es aufgrund der Maßnahmen dieser Bundes- regierung so gut wie seit langer Zeit nicht mehr. Der Chef der Bundesagentur spricht von einem „Bilder- buchaufschwung“. Er sagt auch, dass das nicht nur mit (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der milden Klimasituation zu tun hat, sondern dass das Die Existenzgründungsoffensive hat etwas gebracht. ganz klar Folgen des Wirtschaftsaufschwungs sind. Wir haben die Förderungen neu gestaltet. Auch das ist Deswegen möchte ich eine Forderung an uns, an die richtig. Wir haben die Internetplattform Startothek ge- Regierungsfraktionen, stellen. Bei diesen exzellenten schaffen. Frau Dückert, all das hätten Sie ebenfalls ma- (B) Zahlen, die wir aus Nürnberg bekommen, sollten wir (D) chen können. überprüfen, damit das nämlich so weitergeht, ob wir Wir straffen jetzt das Außenwirtschaftsgesetz, und nicht den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung wir werden dafür sorgen, dass die Mittelständler ver- weiter senken können. Für uns muss das Ziel sein, die mehrt in Auslandsmärkte eintreten. Genau das ist not- Lohnzusatzkosten weiter zu senken. Wir können wahr- wendig; denn der heimische Markt allein ist auch für scheinlich sehr bald – der Meinung bin ich – auf einen viele Mittelständler mittlerweile zu klein. Beitragsatz von 3,5 Prozent kommen; das sollten wir zu- mindest anstreben. Wir haben eine Hightech-Strategie entwickelt, die bis zum Jahre 2009 mit immerhin 15 Milliarden Euro Herr Kollege Wend, es gibt ja in vielerlei Hinsicht zu- unterlegt ist. Wir müssen versuchen, dafür zu sorgen, sätzliche Belastungen. Diese haben nichts mit der jetzi- dass in Deutschland neue Produkte auf den Markt kom- gen Situation, mit der Gesundheitsreform zu tun; sie re- men. Diese Produkte müssen hier also nicht nur erdacht, sultieren aus den Altlasten. Die Belastungen sind groß. sondern auch hergestellt werden. Die AOK Rheinland-Pfalz hat den Beitragssatz zur Krankenversicherung um 2,2 Punkte erhöht. Wir müssen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) versuchen, meine ich, jeden Freiraum zu nutzen, um zu Das ist eine Strategie dieser Bundesregierung. Ich halte weiteren Absenkungen zu kommen. Deswegen muss die sie für sehr richtig. politische Forderung hier ins Haus, in der Arbeitslosen- versicherung jeden Spielraum zu nutzen, um das Geld Last, but not least: zwei ganz wichtige Reformen. Wir denjenigen zurückzugeben, die gezahlt haben, nämlich werden eine Unternehmensteuerreform durchsetzen. den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Ar- (Martin Zeil [FDP]: Aber was für eine!) beitgebern. Ich hoffe, wir sind uns darüber einig, dass es darüber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) keine Diskussionen geben sollte. Das gehört zur Glaub- würdigkeit unserer Politik. Ich halte es für notwendig, dass wir auf dem Weg des Bürokratieabbaus weitermachen. Wir werden ein drittes Genau so gehört es zur Glaubwürdigkeit unserer Poli- Mittelstandsentlastungsgesetz brauchen. Wir alle, alle tik, dafür zu sorgen, dass der Unternehmensübergang im Frauen und alle Männer, sollten darüber nachdenken, Erbfall vernünftig geregelt wird. Wir haben den Entwurf was dort zusätzlich aufgenommen werden kann; denn eines Unternehmensnachfolgegesetzes in der Pipeline. wir können nicht warten, bis der Normenkontrollrat alle Dieser Entwurf muss schnellstmöglich ins Parlament. diese einzelnen Punkte abgearbeitet hat. 8376 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Michael Fuchs (A) Für mich gehört auch dazu, dass wir dem Mittelstand Niemand hat Verdi gezwungen, einen solchen Vertrag zu (C) Glaubwürdigkeit vermitteln – Glaubwürdigkeit durch unterschreiben. eine vernünftige Steuerreform, Glaubwürdigkeit durch eine vernünftige Erbschaftsteuerreform, aber auch (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: So ist Glaubwürdigkeit, was die Diskussion über das berühmte es!) Thema Mindestlöhne angeht. Ich halte den Ansatz von Tarifverträge sind keine Versailler Verträge, sondern Bundeswirtschaftsminister Glos genauso wie Sie, Herr werden ausgehandelt. Kollege Wend, für richtig. Ich ärgere mich darüber, dass beispielsweise Gewerkschaften so tun, als wäre es ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Skandal, wenn da so geringe Mindestlöhne vereinbart Wenn die Gewerkschaft das unterschreibt, dann hat sie werden. Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal heraus- es auch zu verantworten. Diese Verantwortung erfordert zusuchen, wer denn diese Löhne vereinbart hat. Bei der es dann auch, dazu zu stehen und nicht so zu tun, als Friseurinnung in Sachsen war es die Gewerkschaft gäbe es das nicht. Verdi, die den Tarifvertrag mit 3,82 Euro abgeschlossen hat – ich habe den Tarifvertrag dabei und kann Ihnen das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zeigen, wenn Sie mir nicht glauben – und ihn obendrein neten der FDP und des Abg. Klaus Uwe auch noch für allgemeinverbindlich in Sachsen hat erklä- Benneter [SPD]) ren lassen. Ich spreche Herrn Bsirske die Berechtigung Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, lassen Sie uns für sein permanentes Gejaule ab. Das kann nicht ange- bitte gemeinsam auf diesem Sektor weitermachen! Las- hen. sen Sie uns bitte gemeinsam weiter versuchen, Bürokra- (Beifall bei der CDU/CSU) tie abzubauen und den Mittelstand zu entfesseln! Er dankt es uns, und er wird uns zusätzliche Arbeitsplätze Auf der einen Seite zu sagen, das würde man nicht zulas- bescheren; denn er ist der Jobmotor Nummer eins in sen, und auf der anderen Seite solche Tarifverträge abzu- Deutschland. schließen, das halte ich schon für sittenwidrig. Vielen Dank. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des neten der SPD) Kollegen Wend? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Das Wort hat der Kollege Martin Zeil, FDP-Fraktion. (B) Aber selbstverständlich. (D) (Beifall bei der FDP) (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Immer diese Entlastungsfragen!) Martin Zeil (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum ei- Dr. Rainer Wend (SPD): nen ist von der Machete für den Dschungel die Rede, die Herr Kollege Fuchs, stimmen Sie mit mir darin über- anderen sprechen von Leuchttürmen. Herr Staatssekretär ein, dass die Gewerkschaft Verdi den Tarifabschluss, den Schauerte, es ist sehr interessant, dass Sie verbal etwas Sie kritisieren, möglicherweise nicht deshalb getätigt abgerüstet und uns auf die ganz kleinen und zaghaften hat, weil sie glücklich darüber war, zu nur gut 3,80 Euro Schritte in diesem Gesetz eingeschworen haben. Ich abschließen zu können, sondern deshalb, weil die Kräf- glaube, damit haben Sie die Wahrheit besser getroffen teverhältnisse so waren, dass es ihr nicht möglich war, als mit den ewigen großen Worten und Ankündigungen. zu anderen Abschlüssen zu kommen? Solche Abschlüsse sind ja immerhin noch besser, als wenn die Lohngestal- Es ist gut, dass nach der Vorgabe der Trippelschrittpo- tung völlig ungeregelt bleibt. Wäre das nicht ein gutes litik jetzt wenigstens einige von meiner Fraktion seit Argument dafür, dass sich der Gesetzgeber fragen muss, Jahren geforderte Schritte in dem Gesetz enthalten sind: ob er bei der Entlohnung gerade im unteren Lohnbereich Entlastung der Existenzgründer, Vereinfachung der Bi- nicht hilfreich sein muss? lanzierungspflichten und die Einführung der Datenüber- tragung für Arbeitgeberbescheinigungen. Das alles sind gute Beispiele für kleine Schritte, die Sie wegen des of- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): fenbar vorhandenen geistigen Tempolimits in der Koali- Lieber Herr Kollege Wend, wenn eine Gewerkschaft tion vor Kurzem aber noch abgelehnt haben. einen Tarifvertrag abschließt – ich habe selber über viele Jahre Tarifpolitik gemacht und viele Tarifverträge per- (Beifall bei der FDP) sönlich unterschrieben –, dann ist das immer ein Ausba- lancieren der Situation, dann hat das immer auch etwas Werfen wir doch einmal einen Blick auf die nüchter- mit der Produktivität in den einzelnen Bereichen zu tun. nen Zahlen: Eine Entlastung in Höhe von Wenn man sagt, dies sei als Tariflohn nicht in Ordnung, 60 Millionen Euro ist schon genannt worden. Die Ge- ist es meines Erachtens angezeigt, nicht zu unterschrei- samtbelastung liegt bei etwa 50 Milliarden Euro. Wenn ben. Sie in diesem Tempo pro Gesetz weitermachen und man berücksichtigt, dass Sie eine Kostensenkung von (Beifall des Abg. [SPD]) 25 Prozent erreichen wollen, dann erkennt man, dass Sie Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8377

Martin Zeil (A) möglicherweise mit dem 125. Mittelstandsentlastungs- die wirtschaftliche Dynamik behindern, die Sie so schön (C) gesetz am Ziel sein werden. an den Anfang des Gesetzes schreiben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Sie schreiben schöne Worte: Die beiden Entlastungsgesetze lassen sich so zusam- menfassen: Die Bundesregierung versucht den Bürokra- Unnötige Bürokratie und Überregulierung behin- tieabbau, aber kaum jemand merkt etwas. dern unternehmerisches Engagement und wirt- schaftliche Dynamik. (Beifall bei der FDP) Niemand würde Ihnen da widersprechen. Im konkreten Mit diesem Doppelspiel – einerseits Placebogesetze, Teil machen Sie aber nicht entschlossen weiter. Dadurch andererseits mittelstandsfeindliche Maßnahmen in Hülle erzielen Sie auch keinen spürbaren Effekt. Die Vor- und Fülle – muss endlich Schluss sein. Ein engmaschi- schläge liegen ja vor. Sie sprechen von Offenheit im ges Netz bürokratischer Regelungen liegt immer noch Verfahren. Allein der DIHK hat 66 Vorschläge vorge- wie Mehltau über unserem Land. legt, die erneut weitgehend unberücksichtigt bleiben. Ich will einige Beispiele nennen: hat einmal gesagt: Je freier die Wirt- schaft, desto sozialer ist sie. Erst wenn der Wirtschafts- Erstens. Warum führen Sie bei der Buchführungs- minister dieses Vermächtnis erfüllt, wird er seiner Auf- pflicht denn nicht die Millionengrenze ein? gabe gerecht. Zweitens. Die Unternehmens- und die Erbschaftsteu- (Beifall bei der FDP) erreform sind schon genannt worden. Hier deutet sich an, dass alle Grundsätze der Steuervereinfachung und Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: der Entbürokratisierung über Bord gehen werden. Es Das Wort hat der Kollege Christian Lange, SPD-Frak- zeichnet sich ab, dass gerade die Personengesellschaften tion. zwar ihren Beitrag zur Gegenfinanzierung leisten, von den tollen steuerbegünstigten Gewinnrücklagen und den Ansparabschreibungen aber kaum profitieren werden. Christian Lange (Backnang) (SPD): Hier gibt es keine Planungssicherheit, und hier fehlt der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Impuls für unternehmerisches Engagement und wirt- Damen und Herren! Lieber Herr Fuchs, so einfach wie schaftliche Dynamik. Sie kann man es sich nicht machen. Sie haben auf den Kollegen Dr. Wend nach dem Motto geantwortet: Wenn (B) Drittens. Herr Kollege Wend, ich will auch noch et- man bei den Tariflöhnen nichts anderes aushandeln (D) was zum Arbeitsmarkt sagen. Es ist immer schön, wenn kann, dann ist es eben so, oder man unterschreibt diesen man sich die Pappkameraden gegenseitig vorhält. Sie Vertrag nicht. Ich denke, gerade wir als Abgeordnete, die werfen uns immer vor, wir wollten die Tarifautonomie wir nicht Mitglieder der Tarifvertragsparteien sind, müs- und die Arbeitnehmerrechte abschaffen. sen uns fragen: Was wollen wir eigentlich? Ich sage Ih- (Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es! – Dr. Michael nen: Ich möchte – ich denke, auch die SPD möchte das –, Bürsch [SPD]: Ja!) dass die Menschen von ihrer Lohnarbeit leben können. Das muss doch das Ziel sein! Finden Sie es denn wirklich richtig – wie neulich in Bay- ern wieder geschehen –, dass 230 Arbeitsplätze nicht ge- (Beifall bei der SPD – Laurenz Meyer sichert werden konnten, weil es den Arbeitnehmern, die [Hamm] [CDU/CSU]: Gleichwohl wollen wir, einer Vereinbarung mit 98 Prozent zugestimmt haben, dass Tarifverträge akzeptiert werden! – nicht möglich war, ihre Rechte in die eigenen Hände zu Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Stellen Sie nehmen? damit die Tarifhoheit infrage?) (Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Wenn man das in der Tarifautonomie nicht mehr aushan- Das ist wie immer der Versuch auf Kosten der deln kann, dann stellt sich in der Tat die Frage, ob wir Gemeinschaft!) dieses System um das Instrument des Mindestlohns er- gänzen müssen. Viertens. Auch hinsichtlich einer durchgreifenden Re- duzierung der Statistikpflichten im Arbeits- und Sozial- Ich glaube, wir alle haben das Spektrum, in dem wir recht herrscht Fehlanzeige. Sie begnügen sich letztlich diese Bürokratiekostendebatte führen, hier erlebt. Auf mit einer Bonsai-Politik. Die Dinge werden nicht weiter- der einen Seite ist da Die Linke. Ich war sehr überrascht getrieben. darüber, was Sie hier gesagt haben. Sie haben die Ab- schaffung der Statistikpflichten für kleine Unternehmen Sie haben die 11 000 Informationspflichten genannt, als einen Angriff auf diese Unternehmen bezeichnet. und Sie schaffen neue. Zwischen dem Inkrafttreten des Nehmen Sie eigentlich nicht zur Kenntnis, dass mittler- ersten Mittelstandsentlastungsgesetzes und dem des weile 4 bis 6 Prozent des gesamten Umsatzes von klei- zweiten heute haben Sie allein mit dem Allgemeinen nen und mittleren Unternehmen in Bürokratie fließen? Gleichbehandlungsgesetz und der Gesundheitsreform Behaupten Sie, das würde diese Unternehmen freuen? wieder einen derartigen Bürokratieschub ausgelöst, Ich kann mich nur darüber wundern, wie Sie sich hier dass Sie selbst das unternehmerische Engagement und eingelassen haben. 8378 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Christian Lange (Backnang) (A) Auf der anderen Seite ist da die FDP, die nach wie vor gelöst haben. Es wurden rund 40 000 Arbeitsplätze ge- (C) auf klassischen Manchesterkapitalismus setzt und dies schaffen oder gesichert. ein bisschen mit dem Thema Bürokratie bemäntelt. Fünftens zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen (Zurufe von der FDP: So ein Quatsch! – Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskam- Martin Zeil [FDP]: Sie waren auch schon mal mern. In jährlich rund 900 000 Fällen werden Auskünfte origineller!) über Gewerbetreibende von den Gewerbebehörden, die die Auskunftsersuchen noch manuell bearbeiten, auf die Gerade Ihnen von der FDP sage ich noch einmal: Finanzbehörden verlagert, die praktisch ohne jeden Zu- Wissen Sie, was die Vorteile des Standardkostenmo- satzaufwand auf automatisierte Verfahren zurückgreifen dells und des Normenkontrollrats auf diesem Weg, auf können. Auch hier gibt es Einsparungen von circa den wir uns jetzt begeben haben, sind? Wir sind aus der 2,2 Millionen Euro. alten Diskussion heraus getreten, die aus den Schützen- gräben geführt wurde. Bei dieser Diskussion standen auf Sechstens. Die Vorausbescheinigung des Arbeitge- der einen Seite diejenigen, die die Arbeitnehmerrechte bers für die Rentenversicherung wird durch eine Sonder- und die Tarifautonomie schleifen wollen. Auf der ande- meldung im Meldeverfahren der Sozialversicherung ren Seite standen diejenigen, die deregulieren wollen. ersetzt. Bei durchschnittlich rund 800 000 Vorausbe- Ein Grund dafür, dass Sie von der FDP in den vergange- scheinigungen pro Jahr ergibt sich aufseiten der Unter- nen Jahren und Jahrzehnten gerade bei diesem Thema nehmen eine Bürokratiekostenentlastung von rund versagt haben, war der, dass wir uns in dieser Auseinan- 8 Millionen Euro. dersetzung festgehakt haben. Erstmals gehen wir einen Weg dazwischen. Wir messen, was Dokumentations- Siebtes Beispiel: Vereinfachung der Auskunftsverfah- pflicht und was Berichtspflicht ist. Wir messen, was ren für Daten aus dem Gewerberegister. Damit entfallen diese jeweils kosten. Dieses Thema anzugehen und hier Hunderttausende Auskunftsanträge ganz oder werden etwas abzuschaffen, ist das Ziel. Zugegeben, wir machen durch automatisierte Verfahrensabläufe erleichtert. Die kleine Schritte, aber wir machen die ersten Schritte, und dadurch geschätzte Gesamtentlastung für die Zukunft das ist gut so. Diesen Weg werden wir fortsetzen. beläuft sich auf 42 Millionen Euro. (Beifall bei der SPD) Es ist mühsam, und – das zeigen diese Details – es geht um das Kleine. Aber genau diesen Weg müssen wir Wir wissen, dass Bürokratieabbau mühsam ist. Mit gehen. Es ist genau das, was Existenzgründer, was kleine diesem zweiten Bürokratieentlastungsgesetz haben wir und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe in für die Unternehmen 58 Millionen Euro und für die Ver- Deutschland drückt. Wir ändern etwas daran. Dies soll- waltungen 5 Millionen Euro freigesetzt. Das ist schon et- (B) ten wir auch entsprechend würdigen. (D) was! (Beifall bei der SPD) Wir haben nun schon über vieles gesprochen. Jetzt will ich noch einmal den Fokus auf das Gesetzgebungs- Nun zu Ihnen, Herr Fuchs, und zu Ihren Vorschlägen vorhaben selbst lenken. Ich meine, das lohnt sich. Ich in Sachen Generalunternehmerhaftung und Bauab- will Ihnen sieben Beispiele dafür geben. zugsteuer. Die Generalunternehmerhaftung wurde 2002 für den Baubereich eingeführt. Demnach haftet der Erstens zu den Existenzgründungen. Wir haben Exis- Hauptunternehmer dafür, dass Subunternehmer die So- tenzgründer in den ersten drei Jahren von den statisti- zialversicherungsbeiträge zahlen. Wir wollen – das ist schen Meldepflichten befreit. Davon sind 7 100 Exis- Ziel des Gesetzes – erreichen, dass Sozialversicherungs- tenzgründerinnen und Existenzgründer in Deutschland beiträge korrekt abgeführt werden. Ich finde, das ist ein betroffen. Für diese Unternehmen bedeutet das eine ge- richtiges Ziel. Ich nehme allerdings auch zur Kenntnis, schätzte Entlastung von 1,2 Millionen Euro. dass in der „FAZ“ vom 22. Januar zu lesen war, dass es Zweitens zu den statistischen Erhebungen. Bei klei- in zwei Jahren nur etwa acht Haftungsbescheide gegeben nen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten wer- hat und nur in einem Fall tatsächlich eingegriffen wor- den statistische Erhebungen auf drei Stichproben pro den ist. Ich nehme das sehr wohl zur Kenntnis. Jahr beschränkt. Davon sind 625 Unternehmen betrof- Auch mit der Bauabzugsteuer verfolgen wir ein, wie fen. Das sind nicht viele, aber es geht in die richtige ich meine, wichtiges Ziel, nämlich den Umsatzsteuerbe- Richtung. trug zu verhindern. Die Auftraggeber von Handwerkern Drittens. Für 33 000 kleinere Dienstleistungsunter- oder Baufirmen müssen die Umsatzsteuer auf der Hand- nehmen wird die vierteljährliche Befragung entfallen. werkerrechnung selbst direkt an das Finanzamt überwei- Das bedeutet für diese Unternehmen eine Kostenerspar- sen. Wir wissen, dass sich diese Regelungen nur über nis von 3,5 Millionen Euro pro Jahr. Freistellungserklärungen umgehen lassen. Diese wie- derum erfordern einen hohen bürokratischen Aufwand Viertens zu einer besseren Strukturierung der Zusam- der Unternehmen. menarbeit. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern wird so bei der Förderung der regionalen Wirtschafts- Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag: Warum, struktur vereinfacht. Der Verwaltungsaufwand reduziert Herr Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung, las- sich enorm. Davon sind jährlich rund 2 000 Förderfälle sen Sie diese beiden Gesetze nicht einmal vom Normen- betroffen, bei denen die KMU-Betriebe zuletzt Investi- kontrollrat überprüfen? Wir halten an der Zielsetzung tionen in Höhe von insgesamt 2,7 Milliarden Euro aus- beider Gesetze fest, überlegen uns aber, ob es nicht einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8379

Christian Lange (Backnang) (A) besseren Weg gibt, zum gleichen Ziel zu kommen. Das Deutschland manchmal schlechter geht als Arbeitneh- (C) entspricht dem, was wir uns vorgenommen haben und mern und es einigen so geht wie Hartz-IV-Empfängern? was der Normenkontrollrat prüfen soll: an dem Ziel fest- halten, aber einen besseren Weg finden. Das wäre doch (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei eine Aufgabe für den neuen Mittelstandsbeauftragten. der CDU/CSU) Wir würden das unterstützen. Haben Sie die Menschen noch nicht kennengelernt, die überschuldet sind, dann ein Unternehmen halten (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ernst wollen? Das ist ein entscheidender Punkt, mit dem sich Hinsken [CDU/CSU]: Machen wir doch!) Bürokratieabbau auseinandersetzen muss. Bürokratieab- Lassen Sie uns den Weg weitergehen, Mittelstand und bau darf nicht zum Wortnebel werden, hinter dem die Handwerk zu entlasten, an den Zielsetzungen festzuhal- Abhängigkeit der Kleinunternehmen von Konzernen un- ten und zu überlegen, wie wir bessere Wege finden kön- gehemmt noch weiter verschärft wird. nen, um es Handwerk und Mittelstand in Deutschland (Beifall bei der LINKEN – Dr. Thea Dückert leichter zu machen, dadurch Existenzgründungen zu för- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich lach mich dern, statt sie zu behindern. Ich denke, dann sind wir auf tot! Seit wann haben Sie den Mittelstand ent- einem guten Weg. deckt?) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Nehmen Sie einmal die Auto- und Elektronikkon- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zerne. Wo bleibt die Reparaturfreundlichkeit? Es gibt kaum noch Reparaturmöglichkeiten. Fertigteile werden irgendwo hergestellt, über Autobahnen oder Schiff- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: fahrtswege ins regionale Handwerk gebracht. Versuchen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Diether Dehm, Sie einmal, einen elektrischen Fensterheber reparieren Fraktion Die Linke. zu lassen. Sie müssen gleich die Zentralverriegelung und (Beifall bei der LINKEN) die drei anderen Fensterheber mitreparieren lassen. (Dr. Michael Bürsch [SPD]: Ein neues Auto Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): kaufen!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen per Gesetz die Konzerne zwingen, damit das Herr Brüderle, bei Ihnen habe ich manchmal den Ein- Handwerk mehr Freiheiten hat. druck, dass Sie zwar „Mittelstand“ sagen, aber eigentlich immer nur die Konzerne und Großbanken meinen. (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) (Jan Mücke [FDP]: So ein Quatsch! – Martin Wer den Konzernen nicht Freiheiten nimmt, kann den Zeil [FDP]: Da muss man aber ganz weit links Kleinunternehmerinnen und -unternehmern nicht Frei- sein, um diesen Eindruck zu bekommen!) heiten geben. Das zeigt sich darin, dass Sie die Erbschaftsteuer ab- (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: Habt ihr schaffen wollen. Wir als Linke sagen: Setzen Sie die schon einmal etwas von Recht gehört?) Erbschaftsteuer rauf, aber erhöhen Sie den Freibetrag, Nehmen Sie einmal die Abhängigkeit von den Groß- damit es die Kleinen nicht und die Mittleren weniger banken. Haben Sie jemals versucht, als Kleinunterneh- trifft. mer ein Darlehen zu bekommen? Sie hätten da eine ent- (Beifall bei der LINKEN) würdigende Bürokratie bei den Banken erleben können, auch bei den Sparkassen; denn auch diese stehen unter Sie aber wollen die Erbschaftsteuer ganz abschaffen und Druck, zum einen weil die öffentliche Hand dadurch, damit den Milliardären und Konzernen, den Großaktio- dass sich die Großbanken der Steuerpflicht entziehen, nären helfen. Dafür nehmen Sie das schön klingende kaum Gelder mehr zur Verfügung stellen kann, zum an- Wort „Mittelstand“. deren weil durch Basel II die Kreditvergabe so regle- mentiert wurde, dass man sagen kann: Ein Kleinunter- (Jan Mücke [FDP]: Das glauben Sie ja selber nehmer in Deutschland bekommt nur dann einen Kredit nicht!) von einer Bank, wenn er ihr lückenlos nachweist, dass er Weder in der EU noch in Deutschland gibt es einen keinen braucht. einheitlichen Mittelstand. 1 Prozent der Unternehmen Gerade die Kleinstunternehmer haben in den Berei- sind Großunternehmen, 1 Prozent sind mittelständische chen der sozialen Sicherung ähnliche oder sogar identi- Unternehmen. 7 Prozent der Unternehmen haben bis zu sche Probleme und Interessen wie die Arbeitnehmerin- 49 Beschäftigte. 91 Prozent sind Kleinstunternehmen nen und Arbeitnehmer. Das gilt für die Alterssicherung, mit bis zu 9 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es geht für die Krankenversicherung und für die Absicherung im um diese Klein- und Kleinstunternehmen. Herr Fuchs, Fall der Arbeitsunfähigkeit. ich weiß manchmal nicht, ob Sie nicht sehr einseitig nur mit einer bestimmten Kategorie von Unternehmern ver- Die FDP hat zehn Punkte aufgeschrieben. Diese nüt- kehren, wenn Sie sagen: Denen geht es so gut wie nie. – zen nicht den Interessen des Mittelstands, sondern zielen Haben Sie noch nicht erlebt, dass es vielen Unternehme- darauf, den abhängig Beschäftigten zu schaden: Die For- rinnen und Unternehmern im Handwerksbereich in derungen nach betrieblichen Bündnissen, nach Abbau 8380 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Diether Dehm (A) des Kündigungsschutzes und nach dem Verzicht auf ge- (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Staatliche (C) setzliche Mindestlöhne wenden sich direkt gegen die In- Investitionen habe ich gefordert! Sie haben teressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und nicht zugehört!) ihrer Gewerkschaften. Die Forderungen nach Privatisie- rung der Daseinsvorsorge und dem als Reform bezeich- Wir wollen Freiheit, keine staatliche Gängelung. Das ist neten Abbau der öffentlichen Sozialversicherungen ha- unser Verständnis von Wirtschaftspolitik. ben mittelbar dieselbe Stoßrichtung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Als Unternehmer weiß ich: Nicht ideologische Sprü- neten der SPD und der FDP – Ernst Hinsken che und blumige Sonntagsreden helfen den Kleinunter- [CDU/CSU]: Er ist ja als Unternehmer auch nehmen aus dem Joch der Energiekonzerne, der Groß- Mitglied von Verdi!) banken und der turbokapitalistischen EU-Pleitemaschine namens Dienstleistungsrichtlinie und Neoliberalismus. Ich begrüße es, dass wir uns in dieser Debatte auch in- tensiv über die Bedeutung des Mittelstandes und nicht (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – Zu- ausschließlich über den Bürokratieabbau unterhalten. ruf des Abg. Dr. Rainer Wend [SPD]) Die gestern bekanntgegebenen Arbeitslosenzahlen bele- – Selbstverständlich hat auch in folgendem Punkt der gen die Fortsetzung des positiven Trends der letzten Mo- Kollege Wend recht; ihm habe ich schon vorhin im Zu- nate beim Abbau der Arbeitslosigkeit. Erstmals seit sammenhang mit den Monopolen zugestimmt: Die große sieben Jahren gibt es im Februar einen Rückgang der Mehrheit derjenigen, die zum Mittelstand gezählt wer- Zahl der Arbeitslosen und im Vergleich zum letzten Jahr den, haben keinen wirklichen Nutzen von den Vorschlä- 826 000 arbeitslose Menschen weniger. Diese positive gen der Koalition und der FDP. Entwicklung wird maßgeblich vom deutschen Mittel- stand getragen. Deutschland ist wieder der wirtschaftli- Wir sollten nicht Zwietracht zwischen den Kleinun- che Gipfelstürmer in Europa. Der Bundeswirtschaftsmi- ternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nister ist der Bergführer des Aufschwungs. säen, sondern mit gezielter Mehrwertsteuersenkung, mit So muss man das sehen. gesetzlichen Mindestlöhnen, mit echten staatlichen In- vestitionsprogrammen dafür kämpfen, dass die Mehrheit (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rainer Wend der Menschen, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und [SPD]: Da muss man sich aber Mühe geben, Arbeitnehmer sowie der Kleinunternehmer, wieder mehr wenn man das so sehen will!) Geld in die Hand bekommt, damit mittelständische Dienstleistungen und Produkte auch gekauft werden Nicht nur die Arbeitslosigkeit geht zurück, auch die können. Ausbildungslücke wird deutlich kleiner. Die Zahl der (B) sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse (D) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: steigt. Die Unternehmer und Handwerker investieren Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf Ihre Rede- wieder. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der Kollege zeit. Fuchs hat die steuerliche Absetzbarkeit von Hand- werkerrechnungen angesprochen. Ich glaube, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Ich denke, dass über Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): eine Umsetzung des Vorschlags des Bundeswirtschafts- Ich komme zum Schluss. – Vereinfachte frische Kre- ministers nachgedacht werden sollte, nämlich zukünftig dite, aber vor allem ein kräftiger Kaufkraftzuwachs, das nicht nur 20 Prozent von 3 000 Euro, sondern 25 Pro- ist das, was die Mehrheit der Arbeitslosen, die Mehrheit zent von 4 000 Euro absetzbar zu machen. Das wäre ein der Arbeitnehmerinnen und der Arbeitnehmer und die richtiger Schritt, den man verfolgen sollte. Wenn wir die Mehrheit des Mittelstandes dringend braucht. erkennbare positive Stimmung nachhaltig unterstützen Ich danke für die Aufmerksamkeit. wollen, müssen wir mehr Bürokratie abbauen, als wir das bisher getan haben. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Wend [SPD]: Sie haben das antimonopolistische Die Bundesregierung ist unter dem Motto „Reformie- Bündnis vergessen! – Dr. Diether Dehm [DIE ren, investieren, Zukunft gestalten“ angetreten. Das LINKE]: Nein – gemeint!) heißt, dass wir die Probleme, die wir haben, jetzt lösen müssen und sie nicht in die Zukunft verschieben und auf Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: die nächste Generation verlagern dürfen. Anders formu- Das Wort hat der Kollege Alexander Dobrindt, CDU/ liert: Wir müssen das Zukunftsinteresse vor das Gegen- CSU-Fraktion. wartsinteresse stellen. Das klingt vielleicht etwas kom- pliziert. Aber der eine oder andere unter den Zuhörern (Beifall bei der CDU/CSU) kennt vielleicht den Satz, der genau das ausdrückt, was ich damit meine, nämlich: Ich will, dass es meinen Kin- Alexander Dobrindt (CDU/CSU): dern einmal besser geht als mir. – Das meine ich, wenn Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich sage, dass das Zukunftsinteresse vor das Gegen- Sehr gehrte Damen und Herren! Herr Dr. Dehm, es ist wartsinteresse gestellt werden muss. Das ist die Politik, eigentlich kaum zu glauben, dass Sie sich als Unterneh- die wir vorantreiben müssen, um Wachstum und Be- mer, der Sie ja offensichtlich sind, hier hinstellen und zu- schäftigung auf hohem Niveau zu erreichen und Wohl- sätzliche staatliche Lenkung fordern. stand und Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8381

Alexander Dobrindt (A) Dazu gehört, die Belastungen der Wirtschaft abzu- (Laurenz Meyer [Hamm] [CDU/CSU]: So ist (C) bauen. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat festge- das!) stellt, dass Bürokratieabbau bis zu 600 000 zusätzliche Auch von der Vorgängerregierung ist sie nicht in Angriff Arbeitsplätze in Deutschland bringen und neue Wachs- genommen worden. Jetzt endlich wird hier ein Ergebnis tumsimpulse setzen kann. Das zweite Mittelstandsent- erzielt. Die Entlastungswirkung wird für die circa lastungsgesetz, wie wir es heute beraten, ist ein Meilen- 7 000 Unternehmen vor allem in der kritischen Phase stein auf dem Weg dahin. des Aufbaus des Unternehmens spürbar, in der sich der (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unternehmer zum Beispiel um die Kundenakquise küm- NEN]: Das ist ein Steinchen!) mern muss. In dieser kritischen Phase hat eine Entlas- tungswirkung noch wesentlich mehr Bedeutung als zu Damit ist das Ziel noch nicht erreicht – das ist heute einer späteren Zeit. auch schon angesprochen worden –; aber es ist ein wei- (Beifall des Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/ terer Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. CSU]) Wenn Sie über Bürokratieabbau reden, können Sie Herr Staatssekretär, Sie haben noch einen weiteren feststellen, dass Ihnen drei verschiedene Reaktionen Ih- Punkt angesprochen. Für Kleinunternehmen mit weni- rer Zuhörer entgegenschlagen: erstens Zustimmung. Die ger als 50 Beschäftigten wird es zukünftig eine Begren- Menschen erkennen, dass es sich um ein wichtiges An- zung auf maximal drei Stichprobenerhebungen geben. liegen handelt; denn viele sind persönlich sehr stark von Das klingt vielleicht nicht allzu ambitioniert. Aber in der Bürokratie betroffen. Zweitens gibt es Protest von einer Praxis zeigt sich, dass es bei den Gutmütigen immer Reihe von Menschen, die sagen, es gehe sowieso nicht mehr wird, dass sich bei denen, die auf Anforderung ei- vorwärts; seit Jahrzehnten werde über Bürokratieabbau nen Statistikbogen nach dem anderen ausfüllen und die geredet, aber es bewege sich nicht wirklich etwas; nur sich nicht dagegen wehren, das Ganze häuft. Deswegen wieder einer mehr, der zu diesem Thema redet. Die dritte ist es wichtig, dass wir hier wirksame Regelungen fin- mögliche Reaktion, die zu erkennen ist, ist die gefähr- den. lichste: Spott. Inzwischen ernten wir bei dem Thema Bü- rokratieabbau auch Spott, weil viele Menschen den Ein- (Beifall bei der CDU/CSU) druck haben, dass die Politik nicht mehr glaubhaft Herr Kollege Zeil, ich will noch auf einen Punkt ein- versichern kann, dass sie sich dem Bürokratieabbau gehen, den Sie angesprochen haben. Sie haben gefragt, wirklich widmet. warum wir nicht mehr bei der Buchführungspflicht ma- chen. Ich habe die entsprechende Stelle im Gesetzestext (B) Umso wichtiger ist es, dass wir Ziele formulieren. herausgesucht: (D) Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass wir das Ziel des Abbaus um 25 Prozent, das das Kabinett diese Wo- … wird die steuerliche Buchführungspflicht verein- che beschlossen hat, ernsthaft angehen. Ich stimme aus- facht. drücklich dem Kollegen Fuchs und dem Kollegen Wend Im Nachgang zur Erhöhung der Umsatzschwelle zu, die gefordert haben, dass wir ein Ziel formulieren, für die steuerliche Bilanzierungspflicht von das wir bis zur nächsten Bundestagswahl erreichen wol- 350 000 auf 500 000 Euro im Ersten Mittelstands- len. Damit unterstreichen wir glaubhaft das, was wir den Entlastungsgesetz erfolgt nun auch die Anhebung Menschen sagen: Wir machen Ernst mit Bürokratieab- der Gewinngrenze von 30 000 auf 50 000 Euro. bau. Allein diese Maßnahme wird zusätzlich 200 000 Unter- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nehmen in Deutschland entlasten, die zukünftig mit ei- neten der SPD) ner einfachen Einnahme-Überschuss-Rechnung auskom- men. Wir haben es im Programm; wir haben es gemacht. Das zweite Mittelstandsentlastungsgesetz bietet, glaube ich, Herr Staatssekretär Schauerte, wesentlich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ambitioniertere Entlastungsmöglichkeiten, als in dem Wir sind diejenigen, die die Bürokratie weiter ab- Gesetzentwurf aufgeführt wird. Ich glaube, dass die Ent- bauen. Diesen Weg wollen wir gemeinsam weitergehen. lastung sich nicht nur auf die genannte Summe belaufen wird, sondern eine Entlastungswirkung für die deutsche Danke schön. Wirtschaft von weit über 200 Millionen Euro entfaltet (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wird. Außerdem muss man auch immer wieder darauf hinweisen, dass mit dem Bürokratieabbau für die Betrof- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: fenen eine spürbare Erleichterung verbunden ist, die Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege über den finanziellen Aspekt hinausgeht. Dr. Michael Bürsch, SPD-Fraktion. Sie haben angesprochen, dass die Existenzgründer in den ersten drei Jahren von den statistischen Melde- Dr. Michael Bürsch (SPD): pflichten befreit werden. Jetzt kann man sagen, das sei Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Über diese Selbst- gen! Wenn ich die 90 Minuten dieser leidenschaftlichen verständlichkeit diskutieren wir im Deutschen Bundes- Debatte zum Bürokratieabbau zusammenfassen soll, so tag seit Jahren. stelle ich fest: Alle reden von Bürokratieabbau, aber 8382 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Michael Bürsch (A) viele verstehen darunter sehr Unterschiedliches. Ich will Ich möchte darauf hinweisen: Das ist noch lange nicht (C) am Schluss der Debatte den Versuch machen, eine alles, was uns an Bürokratie täglich und monatlich über- grundsätzliche Betrachtung über den Bürokratieabbau zieht. Denn wenn Sie den Blick etwas weiter schweifen anzustellen und den Blick darauf zu weiten. lassen, stellen Sie fest: Es gibt viele Überregulierungen, die nicht auf staatlicher Initiative oder gesetzlicher Ge- Wir müssen zwei Fragen beantworten. Erste Frage: staltung beruhen, zum Beispiel die Vorgaben der Berufs- Wo entsteht Bürokratie, wer sind die Verursacher, wer genossenschaften, das Regelwerk zwischen Kranken- sind die Täter und die Opfer? Zweite Frage: Was können kassen und Ärztevereinigung im Gesundheitswesen oder wir dagegen tun? das, was sich die verschiedenen nationalen und interna- Ich danke Frau Dückert ausdrücklich für den hervor- tionalen Normgremien, die Fachbruderschaften, ausden- ragenden Hinweis: In einem Rechtsstaat sind materielle ken. Daran ist keiner von Ihnen, keiner von den Kolle- Vorschriften, festgelegte Verfahren und Informations- ginnen und Kollegen, also kein Gesetzgeber, sondern pflichten grundsätzlich ein unverzichtbarer Bestandteil daran sind Menschen aus dem Handwerk und der Wirt- einer funktionierenden Gesellschaftsordnung. Das muss schaft beteiligt. man als Ausgangspunkt deutlich formulieren. Wenn man Die rund 20 000 DIN-Normen reichen von der ein- manche Reden der FDP wörtlich nimmt, dann kommt heitlichen Kennzeichnung von Lineaturen in Schulhef- man zu dem Ergebnis: Alle Steuern und alle Gesetze ten – das ist die DIN 16552 - 1 – über Prüfnormen für müssen weg; dann geht es uns wunderbar; das ist das Pa- den Knieschutz bis zum IT-Management. Das Europäi- radies auf Erden. sche Komitee für Normung hat 2006 sehr stolz verkün- (Ludwig Stiegler [SPD]: Anarchos!) det: Wir haben den zehntausendsten europäischen Stan- dard erreicht, nach dem Motto: Hoch lebe der genormte Aber so ist es nicht, Herr Brüderle. Krümmungswinkel der Banane! Auch das sollte man bei (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Martin der Gesamtbetrachtung bitte im Auge haben. Zeil [FDP]: Das ist ein sehr vereinfachtes Ich weite den Blick noch etwas: Wir Bürger reden Bild!) gerne darüber, dass wir uns über die Verwaltung ärgern. Ich sage es einmal deutlich: Nicht Regulierungs- und Aber tragen wir nicht selber dazu bei, indem wir zum Verwaltungsverfahren an sich sind das eigentliche Übel, Beispiel größten Wert auf Einzelfallgerechtigkeit bei sondern die Überdosierung sowohl inhaltlicher als auch allen möglichen Entscheidungen legen? Ich denke zum verfahrensmäßiger Art, die dann zu zu viel Bürokratie Beispiel an den Fall, dass ich kritisiere, wie ein Lehrer führt. meine Tochter oder meinen Sohn beurteilt hat, und damit vor Gericht gehe und mir von vielleicht drei Instanzen (B) Dieses Grundverständnis vorausgesetzt, will ich Ih- (D) bestätigen lasse, ob die Vier minus richtig war oder nen nun erklären, wie Bürokratie entsteht. Wir haben nicht. Auch diese Mentalität spielt bei uns Bürgerinnen heute Morgen im Grunde nur über Gesetze geredet und und Bürgern eine Rolle. In die Gesamtbetrachtung sollte haben uns den Schuh angezogen, alle Schuld auf uns zu man also auch die Gerichte einbeziehen. nehmen, indem wir von uns sagen: Wir sind die Täter, weil wir zu viele Gesetze schaffen. Ich sage Ihnen: Das Ich möchte auf Folgendes hinweisen, wenn wir von ist eine sehr verkürzte Sicht. Sicherlich entstehen Büro- Bürokratie, zu großem Verwaltungsaufwand, von Über- kratie und Verwaltungsaufwand durch Gesetze und dosierung und Verwaltungsanforderungen sprechen: Es durch Standards, die wir setzen. gibt sicherlich den Täter Gesetzgeber; aber es gibt sehr viele mehr, die davon betroffen und nicht nur Opfer sind. Ich gebe dazu ein Beispiel aus jüngster Zeit, das zeigt, Angefangen von der Verwaltung über die Wirtschaft bis dass die Verwaltung zu Bürokratie beiträgt, nämlich die hin zu uns Bürgerinnen und Bürgern sind wir an dem Fahrradverordnung des Bundesministeriums für Ver- Gesamtkunstwerk „Bürokratieaufbau“ mitbeteiligt. kehr, Bau und Stadtentwicklung vom 17. Januar 2006. Dort wird der wunderbare Versuch unternommen, ein Zur zweiten Frage: Was ist zu tun? Der Staat – damit Fahrrad zu definieren: fängt es an – sollte seinen Anspruch auf Allzuständigkeit und Vielfachkontrolle aus meiner Sicht aufgeben. Nicht Fahrräder … sind alle Fahrzeuge mit mindestens für jede staatlich reglementierte Lebenssituation muss zwei Rädern, die durch die Muskelkraft des Fahrers der Staat ein eigenes Testat ausstellen. Muss zum Bei- oder der Fahrer mit Hilfe von Pedalen oder Hand- spiel ein öffentlich bestellter Schornsteinfeger die Fest- kurbeln angetrieben werden. stellungen eines geprüften Heizungsbauers noch einmal Kinderfahrräder, Kinderroller und ähnliche nicht prüfen und dann bestätigen? Muss ein Statiker des kom- motorbetriebene, zum Gebrauch durch Kinder be- munalen Bauamtes jeweils die Ergebnisse eines diplo- stimmte Fortbewegungsmittel sind nicht Fahrräder mierten Statikers testieren? Das ist, glaube ich, bei deut- im Sinne dieser Verordnung. scher Übergründlichkeit nicht nötig. Das ist wunderbar; das schafft Klarheit. So muss es aber, Die Wirtschaft – um diese Adresse zu nennen – ehrlich gesagt, nicht sein. könnte nach meinem Verständnis viel stärker Eigenver- antwortung übernehmen, zum Beispiel durch freiwillige (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Selbstverpflichtung. Wir müssen der Wirtschaft doch FDP) nicht alles par ordre du mufti vorgeben. Es gibt zum Bei- Ein Beispiel muss auch die Bundesregierung ertragen. spiel die Möglichkeit außergerichtlicher Interessenaus- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8383

Dr. Michael Bürsch (A) gleichsverfahren. Es gibt freiwillige Vereinbarungen zur Bürokratieabbau ausgeben, nach dem Motto von Kon- (C) Feinstaubminderung, zur Altautoentsorgung. Es gibt Au- fuzius: „Wer etwas will, sucht Wege, wer etwas nicht dits, das heißt selbstangelegte Überprüfungen im Daten- will, sucht Gründe.“ Es wurden genug Wege beschrie- schutz und an anderen Stellen. Ich werbe sehr dafür, dass ben. Also: Bürokratieabbauer aller Länder, vereinigt diese Instrumente der freiwilligen Übernahme von Ver- euch! pflichtungen viel stärker genutzt werden. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schließlich wieder an unsere eigene Adresse gerich- tet: Wir Bürgerinnen und Bürger könnten manches viel Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: mehr als bisher in Selbstorganisation und Eigenverant- wortung übernehmen. Das bedeutet allerdings, dass wir Ich schließe die Aussprache. an manchen Stellen nicht so sehr darauf pochen, welche Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Rechte wir haben und dass wir auch noch bis in die wurfs auf Drucksache 16/4391 an die in der Tagesord- letzte Instanz Recht bekommen. Vielmehr sollten wir nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es auch ein paar Pflichten übernehmen und uns zum Bei- dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. spiel selber zusammentun, um Missstände zu beseitigen. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Auch die Gerichte könnten ihrerseits das Prinzip der Tagesordnungspunkt 24 b. Wir kommen zur Be- Selbstbeschränkung entdecken. Es gibt auch für Ge- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und richte die Möglichkeit, zu sagen: Nein, darüber entschei- Technologie auf der Drucksache 16/1070. Der Aus- den wir nicht. Wir gehen nicht noch in die letzte Veräste- schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfeh- lung einer Prüfungsentscheidung oder einer dienstlichen lung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/ Beurteilung. CSU und der SPD auf Drucksache 16/557 mit dem Titel „Neue Impulse für den Mittelstand“. Wer stimmt für (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das wirst du diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – aber nicht erleben!) Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Ich werbe sehr dafür, dass die Verwaltung ihre Auf- Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der Opposi- gabe stärker darin sieht, Ermessensspielräume auszu- tion angenommen. nutzen, und dass sie nicht den „Doktor Kontrolletti hoch Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt drei“ an den Tag legt. Wir könnten sehr viel mehr Büro- der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion kratieabbau erreichen, wenn aufseiten der Verwaltung der FDP auf Drucksache 16/562 mit dem Titel „Unter- (B) erkannt wird: Ich muss nicht eine doppelte und dreifache nehmen statt Unterlassen – Vorfahrt für den Mittel- (D) Kontrolle in jede Verästelung hinein vorsehen. Ich be- stand“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – greife mich nicht als Verwalter, sondern als Gestalter der Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- öffentlichen Dinge. Das ist vielleicht eine Art neue Ver- empfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen Die waltungskultur. Aber ich sage Ihnen: Es geht. Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Gegenstimmen der FDP angenommen. Wo dies besonders eine Rolle spielt, ist der Bereich, der mich sehr beschäftigt: der Bereich des Ehrenamts Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c auf: und des bürgerschaftlichen Engagements. Ich könnte Ih- nen Hunderte, Tausende von Fällen nennen, Ihnen sie- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hartwig ben, acht, zehn Aktenberge auf den Tisch legen, um Ih- Fischer (Göttingen), Eckart von Klaeden, Anke nen zu zeigen, welche Hürden es in dem Bereich des Eymer (Lübeck), weiterer Abgeordneter und der Ehrenamts, des freiwilligen Engagements, gibt, die Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten wirklich nicht nötig sind. An dieser Stelle appelliere ich Dr. Herta Däubler-Gmelin, Gert Weisskirchen ausdrücklich an die Verwaltung, zu erkennen: Ich kann (Wiesloch), , weiterer Abgeordneter das entscheiden. Niemand wird mich festnageln oder mir und der Fraktion der SPD einen Schadenersatzprozess an den Hals hängen, wenn Für eine Politik der gleichberechtigten Part- ich zugunsten des Engagements weniger bürokratisch nerschaft mit den afrikanischen Ländern entscheide. – Drucksache 16/4414 – Fazit von alledem: Der Abbau von Bürokratie ist nicht allein Sache des Gesetzgebers, obwohl auch er ge- Überweisungsvorschlag: fordert ist. Einiges ist auf den Weg gebracht worden. Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Heute ist viel von Bonsais, Bergführern, kleinen und Verteidigungsausschuss größeren Leuchttürmen gesprochen worden. All das ist Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit richtig. Auf diesem Wege muss es vorangehen. Genauso Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe richtig finde ich den Normenkontrollrat. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Das Gesamtprojekt betrifft aber die Gesellschaft, den Haushaltsausschuss Staat und die Wirtschaft. Wir müssen zusammenwirken. Das ist eine Gesamtaufgabe. Ich stelle mir vor: Wir b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo könnten gemeinsam eine Leitlinie für das Gesamtprojekt Hoppe, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), weite- 8384 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) rer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- ausfallen wird – Signalwirkung für den gesamten Konti- (C) NISSES 90/DIE GRÜNEN nent haben wird. Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nach- Ich betone das, weil ich denke, dass der vor uns lie- haltiger Entwicklung unterstützen gende Wahlkalender in Afrika eines zeigt, nämlich dass – Drucksache 16/4425 – Demokratisierung und politische Entwicklung unseres Nachbarkontinents viel weiter sind, als wir in Europa Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) das manchmal wahrhaben wollen. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe GRÜNEN) Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ich sage das, obwohl ich die Probleme kenne: Elend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss und Bürgerkrieg in manchen Regionen dieses Konti- nents. Aber es gibt eben auch die positiven Zeichen. Ich c) Beratung des Antrags der Abgeordneten erinnere mich, dass Thabo Mbeki Ende der 90er-Jahre Hüseyin-Kenan Aydin, Heike Hänsel, eine „Afrikanische Renaissance“ gefordert hat. Ich erin- Dr. Norman Paech, weiterer Abgeordneter und nere mich, wie viele darüber gelächelt haben. Was da- der Fraktion der LINKEN mals noch als Träumerei galt, ist heute in vielen Teilen Für eine Afrikapolitik im Interesse der afrika- Afrikas politische Realität geworden. Sie kennen das nischen Bevölkerungsmehrheit Engagement vieler afrikanischer Staaten in der Entwick- lungspartnerschaft NEPAD, in der sie zeigen, dass sie – Drucksache 16/4410 – sich zu mehr Demokratie und Transparenz verpflichten. Überweisungsvorschlag: Sie haben den Prozess der letzten Jahre mitverfolgt, in Auswärtiger Ausschuss (f) dem sich die Afrikanische Union mehr und mehr zu ei- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ner handlungsfähigen Gemeinschaft entwickelt hat. Verteidigungsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der CDU/CSU) Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Was zeigt das? Afrika hat sich aus meiner Sicht auf Haushaltsausschuss der Weltbühne zurückgemeldet – nicht nur als bloßer (B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Empfänger von Entwicklungstransfers, sondern als Mit- (D) die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich gestalter unserer gemeinsamen globalen Zukunft. Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. nenne nur – Sie haben das aus jüngster Zeit in Erinne- rung – die Gastgeberrolle Kenias beim Weltsozialforum Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes- Anfang dieses Jahres. Die Umweltpolitiker unter Ihnen außenminister, Dr. Frank-Walter Steinmeier. erinnern sich an die Weltklimakonferenz Ende 2006. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Mir liegt fachlich sehr viel näher die positive Rolle, die CDU/CSU) etwa Ghana und Südafrika im Gouverneursrat der In- ternationalen Atomenergiebehörde gespielt haben, auch und gerade bei der Behandlung des immer noch nicht ge- Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des lösten Konflikts mit dem Iran. Auswärtigen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gründe (Beifall bei der SPD) für eine Afrikadebatte in diesem Hause gibt es reichlich. Ich freue mich, dass die Fraktionen des Deutschen Bun- Ich meine, all das zeigt: Die Staaten Afrikas wollen ge- destages Anlässe für eine solche Debatte geschaffen ha- stalten, nehmen das Leitmotiv „African Ownership“ ben. Ich bin Ihnen dankbar dafür. Ich bin Ihnen dankbar, ernst und sind bereit, sich über ihren eigenen Kontinent dass wir die Debatte jetzt führen; denn 2007 ist in der Tat hinaus aktiv einzubringen. ein wichtiges Jahr für Afrika. Ich weiß nicht, ob Sie wis- Was ich über die politische Entwicklung sage, gilt sen, dass Ghana fast auf den Tag genau vor 50 Jahren auch – vorsichtig gesehen – für die wirtschaftliche Ent- unabhängig geworden ist und damit einen historisch ein- wicklung. Nach den Wachstumsraten, die seit zwei maligen Prozess der Dekolonialisierung, und zwar un- oder drei Jahren relativ stabil sind und sich in diesem umkehrbar, eingeleitet hat. Jahre offensichtlich so fortsetzen, können wir mit einem Schauen wir heute auf dieses Land: Ghana zeigt ge- soliden Wirtschaftswachstum des afrikanischen Konti- rade mit der Bereitschaft, den Vorsitz in der Afrikani- nents von im Durchschnitt immerhin 5 bis 6 Prozent schen Union zu übernehmen, seine Entschlossenheit, rechnen. Ich weiß, dass ein Großteil dieses Wachstums auch künftig als Pionier in Afrika voranzugehen. Das, auf die hohen Rohstoffpreise zurückzuführen ist. Ich was wir jetzt sehen, ist in diesem Jahr wichtig. In diesem weiß auch, dass die Gründung von Wachstum nur auf Jahr haben wir allein in Westafrika bis zu elf Wahlen Ausbeutung von Rohstoffressourcen seine eigenen Pro- vor uns, darunter die ganz besonders wichtige Präsident- bleme mit sich bringt. Wirtschaftlich gesehen zeigen die schaftswahl in Nigeria, die ganz sicher – egal wie sie Fakten: Afrika ist – Sie alle wissen das – für private In- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8385

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) vestoren interessanter geworden, zumal für asiatische Regierung zu treffen. Ich denke, wir sollten ihm bei sei- (C) und insbesondere für Investoren aus China. nem Bemühen auch von hier aus großen Erfolg wün- schen. Für die politische wie für die wirtschaftliche Zukunft Afrikas wird ganz entscheidend sein, dass der eben an- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie gesprochene positive Reformkurs fortgesetzt wird. Das bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- gilt ganz sicher politisch und auch beim Ausbau der Bil- NISSES 90/DIE GRÜNEN) dung, bei dem wir viel helfen müssen. Es gilt aber auch wirtschaftlich; auch dort brauchen wir eine Fortsetzung Was ich über den Sudan gesagt habe, könnte ich in der Reformen. Denn Sie alle wissen oder ahnen: Nur abgeschwächter Form auch über Somalia sagen. Wir ha- wenn es gelingt, dass ausländisches Kapital und aus- ben uns in diesem Jahr erneut mit der Situation in die- ländisches Know-how nach Afrika kommen, werden wir sem Land beschäftigen müssen. Hierzu sage ich: Militä- Armut auf diesem Kontinent wirksam und nachhaltig be- rische Präsenz allein wird die Probleme nicht lösen. Sie kämpfen können. ist kein Ersatz für eine politische Lösung, die wir in die- sem Land dringend brauchen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Auch auf europäischer Ebene habe ich die Auffassung GRÜNEN) vertreten: Wenn wir, wie gerade geschehen, Nur wenn das gelingt, dann wird die Jugend dieses 15 Millionen Euro für die Bemühungen der Afrikani- Kontinents und damit die Hälfte der Einwohner Afrikas schen Union freigeben, dort einigermaßen stabile Ver- eine Zukunft in ihrem eigenen Land sehen. Nur dann hältnisse sicherzustellen, dann muss das unter der Vo- können politische und wirtschaftliche Institutionen auf- raussetzung geschehen, dass die somalische gebaut und erhalten werden, solche Institutionen, die in Übergangsregierung bereit ist, den politischen Prozess der Lage sind, Herausforderungen wie Aids, regionale bzw. den innerstaatlichen Versöhnungsprozess wirklich und innerstaatliche Konflikte, Urbanisierung und Migra- nachhaltig einzuleiten. tion wirksam anzugehen und hoffentlich auch zu meis- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie tern. Meine Damen und Herren, wir in Deutschland bzw. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE in Europa insgesamt wollen Afrika auf seinem Weg in GRÜNEN) die Zukunft partnerschaftlich begleiten. Das sollte die Botschaft sein, die von der heutigen Debatte ausgeht. Gott sei Dank kann Deutschland in diesem Jahr auf- grund seiner EU- und G-8-Präsidentschaft ganz beson- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dere Akzente setzen; Frau Wieczorek-Zeul wird dazu bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (B) gleich aus der Perspektive der Bundesregierung berich- (D) GRÜNEN) ten. In der Europäischen Union tun wir das, indem wir Deutschland und die Europäische Union haben mit versuchen, in diesem Jahr endlich die Hindernisse aus ihrem Engagement zur Absicherung der Wahlen im dem Weg zu räumen, die in der Vergangenheit einem Kongo gezeigt, dass sie bereit sind, Verantwortung zu EU-Afrika-Gipfel im Wege gestanden haben. übernehmen und die Partnerschaft, von der ich eben ge- sprochen habe, mit Leben zu füllen. Ich habe, als wir Im Hinblick auf die internationalen Aktivitäten, die schon einmal über den Kongo diskutierten, gesagt: Eine Sie alle beobachten, müssen Sie sich einmal vorstellen: nachhaltige Stabilisierung gerade der Region der Großen Seit nunmehr sieben Jahren gab es zwischen der Europäi- Seen wäre ein Meilenstein für die Entwicklung Afrikas schen Union und den afrikanischen Staaten keine Zu- insgesamt. sammenkunft auf Gipfelhöhe, also auf der Ebene der Re- gierungschefs. Die Gründe dafür sind bekannt. Wir ver- Natürlich müssen wir auch Gefahren und Krisenherde suchen nun intensiv, und zwar gemeinsam mit der außerhalb dieser Region weiter im Fokus behalten. Es nachfolgenden portugiesischen Ratspräsidentschaft, geht nicht nur um den Kongo. Wir unterstützen auch die diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wir wollen, Forderung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, dass in der zweiten Jahreshälfte, ungefähr im September, die Möglichkeiten der Afrikanischen Union im Sudan endlich ein solcher Gipfel möglich wird. schlagkräftiger zu machen und sie mittelfristig mit den Anstrengungen der Vereinten Nationen zu verknüpfen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Die Europäische Union wird weitere Mittel freigeben bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE bzw. freigeben müssen, damit die Finanzierung der AU- GRÜNEN) Kräfte sichergestellt werden kann. Am kommenden Schließlich komme ich auf die G-8-Präsidentschaft Montag werden wir im EU-Außenministerrat darüber Deutschlands zu sprechen. Ganz bewusst haben wir sie beraten. unter das Motto „Wachstum und Verantwortung“ ge- Natürlich werden wir die sudanesische Regierung an- stellt. Wir werden mit besonderer Beachtung der afrika- halten müssen, sich viel stärker als bisher zu einer politi- nischen Staaten – der afrikanischen Staaten, die als Leis- schen Öffnung bereit zu erklären. Ich freue mich, dass tungsträger gelten – die dortigen Reformprozesse mein ehemaliger schwedischer Kollege Jan Eliasson in unterstützen. Wir wollen die Kapazitäten der Afrikani- dieser Region unterwegs ist und versucht, neue und jetzt schen Union und der Regionalinstitutionen im Bereich endlich belastbare Absprachen und Vereinbarungen zwi- Frieden und Sicherheit weiter ausbauen. Ziel ist aus au- schen den unterschiedlichen Rebellengruppen und der ßen- und sicherheitspolitischer Sicht, dass es uns lang- 8386 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) fristig gelingt, in Afrika eine umfassende eigene Sicher- drücklich, dass die Bundesregierung Afrika auf die (C) heitsstruktur zu schaffen. Agenda gesetzt hat. Sie hat die einmalige Chance, sich stärker für die Lösung der Konflikte einzusetzen und da- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bei vor allem europäische und international abgestimmte der CDU/CSU) Initiativen auf den Weg zu bringen. Doch leider besteht Die Zeiten, in denen afrikanische Staaten als Bittstel- der Eindruck, dass schon innerhalb der Bundesregierung ler behandelt wurden, gehören – ich möchte sagen: Gott die rechte Hand nicht immer weiß, was die linke tut. sei Dank! – der Vergangenheit an. Afrika, in all seiner Es gibt wirklich positive Entwicklungen und Chancen Vielfalt und Dynamik, ist längst wichtiger Partner ge- auf dem afrikanischen Kontinent; Herr Steinmeier hat es worden. Ich bin überzeugt: In einer Welt, die immer stär- ausgeführt. Wir sehen wieder erfreuliches Wachstum, ker zusammenwächst, die sich zum globalen Dorf entwi- Schritte zur Demokratie. Gerade im Süden und Westen ckelt, brauchen wir ein starkes, ein handlungsfähiges des Kontinents gibt es wirklich viele Chancen. Wenn wir Afrika, ein Afrika, das gleichberechtigt und auf Augen- diese Prozesse genau anschauen und ganz ehrlich sind, höhe wahrgenommen wird. dann müssen wir feststellen: Sie sind das Ergebnis von Vielen Dank, meine Damen und Herren. Wirtschaftsreformen im Innern und Investitionen von außen und einer Einbindung in den internationalen Han- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie del. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Stellen wir also die beiderseitigen Chancen in den Mittelpunkt unserer Debatten! Die Bundesrepublik hat Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: das vorhandene wirtschaftliche Potenzial in vielen Län- Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster, FDP- dern Afrikas verschlafen, obwohl Deutschland insge- Fraktion. samt ein angesehener Partner ist. Ich meine, die Bundes- regierung muss sich stärker als bisher für eine (Beifall bei der FDP) Verbesserung der Bedingungen für Investitionen deut- scher Betriebe und Unternehmen in Afrika einsetzen und Marina Schuster (FDP): dabei auch gezielt für den Umweltschutz und für erneu- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- erbare Energien werben. Denn hier liegt eine Menge nen und Kollegen! 900 Millionen Menschen, Potenzial, in beiderseitigem Interesse. 54 heterogene Staaten, zwölf Minuten Redezeit für die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten FDP und sechs Minuten Redezeit für mich – das zeigt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) auch, dass Afrika, verglichen mit anderen Themen in der (D) Politik, immer noch zu wenig Beachtung bekommt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwor- tung für Afrika ist nicht nur interessengeleitet – sie ist (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Weil Sie nur interessen- und werteorientiert. Die Verpflichtung zur sechs Minuten haben?) Armutsbekämpfung, zur Konfliktprävention, zur Hilfe Deswegen begrüße ich es sehr, dass wir heute zu dieser beim Kampf gegen Aids und Hunger und beim Umwelt- Stunde, in der Kernzeit, diese Debatte führen. schutz – all das resultiert aus unserer natürlichen Verant- wortung. Wir möchten auf dem Weg zur Stabilität, zu ei- Aktuell gibt es zahlreiche Herausforderungen: Den- ner rechtstaatlichen Gesellschaftsordnung und einer ken wir an den Konflikt am Horn von Afrika, vor dem freien und demokratischen Zivilgesellschaft Unterstüt- wir noch im Dezember gewarnt hatten; denken wir an zung zur Selbsthilfe leisten. die Lage in Darfur und an die Flüchtlingsdramen an den Südgrenzen der EU! Diese Konflikte zeigen, dass (Vorsitz: Präsident Dr. ) Afrika längst im Zentrum internationaler Interessen Mit dem höheren Stellenwert Afrikas gehen ver- steht. Die Konflikte erhalten ihr teuflisches Potenzial stärkte Anstrengungen für diese Aufgaben vor Ort ein- meist im Windschatten ganz anderer Interessen: In her. Eine konkrete Forderung richtet sich an Sie, Herr Darfur geht es natürlich auch um Öl. In Somalia geht es Minister Steinmeier: Notwendig ist die entsprechende um Sicherheitsinteressen, um den eritreisch-äthiopi- Ausstattung der deutschen Botschaften. schen Konflikt. Im Kongo geht es seit Jahrzehnten um knappe, wertvolle Rohstoffe. (Beifall bei der FDP) Die Bedeutung Afrikas in der Welt hat in den letzten Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen. Die Rück- Jahren zugenommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir zugspolitik, die wir bei den Botschaften in Afrika unter Afrikapolitik nicht immer nur mit einem rein entwick- Rot-Grün erlebt haben, war – das muss deutlich gesagt lungspolitischen Ansatz verfolgen. werden – verheerend. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die hierzulande weitverbreitete Ansicht, dass Entwick- lungshilfe und wirtschaftliches Engagement einen Ge- Die Ausstattung der Botschaften ist noch heute unzu- gensatz darstellen, hilft dem afrikanischen Kontinent reichend. Wenn zum Beispiel eine deutsche Botschaft in nicht. Deutschland kann sein Engagement in Afrika aus- einem afrikanischen Land mit drei politischen Mitarbei- bauen, politisch und wirtschaftlich. Ich begrüße aus- tern auskommen muss, in der französischen oder briti- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8387

Marina Schuster (A) schen Auslandsvertretung sind es hingegen zehn bis 14, für eine neue und echte Partnerschaft mit Afrika in einer (C) dann bedeutet das, dass wir uns auf das Operative be- neuen Qualität zu entdecken und weiterzuentwickeln. schränken und dass das Konzeptionelle vernachlässigt wird. Wir müssen uns von einem vom altruistischen Pater- nalismus geprägten Afrikabild hin zu einem strategi- Erlauben Sie mir abschließend noch eine Anmerkung schen Dialog mit Afrika entwickeln. Wir müssen einen zur politischen Zusammenarbeit. Die Afrikanische strategischen Blick auf den Kontinent richten. Dabei Union hat die Möglichkeit, sich langfristig zum politi- sollten wir auch berücksichtigen, welch hohes Ansehen schen Zentrum Afrikas zu entwickeln. Der Aufbau und Deutschland in vielen Ländern Afrikas hat. Deutsch- die finanzielle Absicherung der AU schreiten jedoch nur lands Ansehen ist höher als das vieler anderer europäi- langsam voran. Wenn wir es mit dem Konzept des schen Länder, die immer noch mit ihrer kolonialen Ver- „African Ownership“ ernst meinen, dann müssen wir die gangenheit in Verbindung gebracht werden. Dieses AU stärker als bisher unterstützen, und zwar finanziell, Ansehen sollten wir im Interesse Afrikas, im Interesse personell, beim Aufbau der Organisation und beim Europas und nicht zuletzt auch in unserem eigenen Inte- Know-how-Transfer. resse nutzen. Was die Sicherheitskomponente anbelangt, kann es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht sein, dass wir die AU einerseits als „security pro- neten der SPD) vider“ einsetzen wollen und sie dann andererseits im wahrsten Sinne des Wortes in der Wüste stehen lassen. Wenn wir über die Asymmetrien im Handel spre- Denn das unterminiert unsere Glaubwürdigkeit und die chen, dann sollten wir darauf achten, den afrikanischen der AU. Staaten mehr Möglichkeiten zu bieten, auf unsere Märkte zu exportieren. Wir sollten aber auch die afrika- (Beifall bei der FDP) nischen Staaten ermuntern und ihnen helfen, selbst für Kofi Annan hat in seinen letzten Wochen als UN- ein geeignetes Investitionsklima zu sorgen. Generalsekretär der deutschen Bundesregierung noch (Beifall der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜND- eine gewaltige Aufgabe mit auf den Weg gegeben. Er hat NIS 90/DIE GRÜNEN]) festgestellt, dass es für die Entwicklung des afrikani- schen Kontinents – insbesondere in Subsahara – ent- Nach wie vor prägen Rechtsunsicherheit, Staatsgläubig- scheidend auf die deutschen Präsidentschaften ankom- keit und Überregulierung die meisten Wirtschaftssys- men wird, weil wir unsere Bemühungen intensivieren teme in Afrika. Traditionen belasten zudem die Entwick- und bündeln müssen. lung. Beispielsweise können in vielen Ländern Afrikas Frauen, auf deren Schultern häufig die Landwirtschaft (B) Ich wünsche mir, dass sich aus den verstärkten Bemü- ruht, das bewirtschaftete Land nicht erben mit der häufi- (D) hungen der deutschen Präsidentschaften spätestens in gen Folge, dass sie nach einem Erbfall verelenden und Heiligendamm ganz Konkretes ergibt, nämlich Taten. das Land brachliegt. Einige afrikanische Staaten – leider (Beifall bei der FDP) noch nicht genug – haben diese Defizite erkannt. Die Integration in die Weltwirtschaft ist eine Vo- Präsident Dr. Norbert Lammert: raussetzung für die Entwicklung Afrikas. Dabei sollten Nächster Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden wir die afrikanischen Staaten ermuntern, sich stärker für die CDU/CSU-Fraktion. dem Aufbau regionaler Märkte zu widmen, als primär auf den notwendigen, jedoch nur mühsam zu erreichen- (Beifall bei der CDU/CSU) den Abbau von Handelsbarrieren der industriellen Welt zu warten. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! (Beifall der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜND- Mit den Worten „Die Menschlichkeit der Welt entschei- NIS 90/DIE GRÜNEN]) det sich am Schicksal Afrikas“ hat Bundespräsident Ein wesentlicher Erfolg unseres Landes besteht darin, Köhler in seiner Vereidigungsrede am 1. Juli 2004 deut- dass ein großer Teil unserer Exporte in die Europäische lich gemacht, welche zentrale Bedeutung Afrika nicht Union geht, dass also unsere wirtschaftliche Kraft und nur für uns, sondern auch für die internationale Politik unser Wohlstand vor allem vom regionalen Handel ab- hat. hängen. Ich finde, dieses Beispiel sollte auch in Afrika Das Bild Afrikas hat sich geändert. Zwar bestimmen Schule machen. Hunger, Armut, Unterentwicklung, Krieg und Bürger- Was gehört zu einem strategischen Blick auf Afrika? kriege, zerfallende Staaten, Flüchtlingsströme, massive Ich will drei Punkte nennen: erstens die Sicherung des Menschenrechtsverletzungen und nicht zuletzt Aids- Friedens, zweitens Afrika als Partner bei der Gestaltung epidemien nach wie vor das Bild Afrikas. Das Brutto- der Globalisierung sowie drittens Ressourcen- und Ener- sozialprodukt aller Länder südlich der Sahara entspricht giesicherheit. etwa dem Argentiniens. Von 51 am wenigsten entwi- ckelten Ländern der Welt liegen 42 in Afrika. Aber es Die große Gefahr besteht darin, dass die in weiten gibt auch ein vorwärtsgewandtes, Optimismus ausstrah- Teilen Afrikas herrschenden Konflikte über die Grenzen lendes und dynamisches Afrika. Deswegen besteht für des Kontinents hinaus wirken und auch uns unmittelbar uns die Gelegenheit, die bereits vorhandenen Ansätze betreffen. Im Herzen Afrikas, an den Großen Seen, in 8388 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Eckart von Klaeden (A) Teilen Westafrikas und am Horn von Afrika ist in den ausgeht. Ich hatte eben den Eindruck, als wollten Sie in (C) vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine explosive Ihrem Beitrag zuerst die Europäische Union und damit Mixtur aus sozialer Verelendung, Werteverfall, wirt- auch die Bundesregierung für die Schwierigkeiten in schaftlichem Niedergang, Rechtlosigkeit, politischem Darfur verantwortlich machen. Zerfall und exzessiver Gewaltanwendung entstanden, die in ihren verheerenden Folgen der uns nur zu gut be- (Dr. [FDP]: Der Eindruck ist kannten Entwicklung in Afghanistan in den 90er-Jahren falsch!) ähnelt. Politische Instabilität sowie Armut und Hoff- Es geht vor allem um African Ownership, was Voraus- nungslosigkeit stellen eine große sicherheitspolitische setzung für eine nachhaltige Friedenslösung ist, für die Gefahr dar. Internationale Waffen – und Drogen – sowie wir uns einsetzen. In diesem Zusammenhang begrüße kriminelle Kartelle und transnationale Terroristen ma- ich es sehr, dass sich die Bundesregierung bei der Grün- chen sich diese Umstände bei Operationen, Rekrutierung dung des Kofi Annan International Peace Keeping Trai- und Finanzierung – Beispiele sind Blutdiamanten oder ning Centre in Ghana engagiert und sich auch am Auf- Coltan – zunutze und verschärfen diese Konflikte in ih- bau eines Krisenfrühwarnsystems am Sitz der AU in rem Interesse. Addis Abeba beteiligt. Es gibt leider nach wie vor genügend Anzeichen da- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für, dass Somalia und andere Konfliktregionen Afrikas nicht nur Quellen des transnationalen Terrorismus wa- Der zweite Punkt ist die Gestaltung der Globalisie- ren, sondern zum Teil noch sind. Ich will in diesem Zu- rung. Wir dürfen angesichts der internationalen Wirt- sammenhang daran erinnern, dass Osama Bin Laden, be- schafts-, Finanz-, Umwelt-, Klima- und Sicherheitspoli- vor er nach Afghanistan ging, sein Terrornetzwerk vom tik nicht vergessen: Afrika besitzt in internationalen Sudan aus geführt hat. Deshalb ist es richtig, dass wir Organisationen eine große Macht schon allein deswegen, den Aufbau des Terrorismusbekämpfungszentrums der weil es mit seinen über fünfzig Staaten ein hohes nume- AU in Algier unterstützen. risches Gewicht in multilateralen Organisationen und In- stitutionen einzubringen hat, in denen das Prinzip „One Es kommt insbesondere beim Aufbau der Sicher- Country, One Vote“ gilt. Es ist aber auch wichtig, dass heitsstrukturen in Afrika auf das an, was man so schön Afrika erkennt, dass es seine Rolle in diesen Institutio- African Ownership nennt. Am 31. Januar 2007 waren nen besser koordinieren muss, und dass vor allem die weltweit über 82 000 Polizisten und Soldaten im Rah- Lösungen der Probleme, die nur in diesen internationa- men von Missionen der Vereinten Nationen im Einsatz. len Organisationen erreicht werden können, wie zum Eine Rekordzahl! Davon waren allein in Afrika Beispiel die Konsequenzen der Erderwärmung oder die (B) 55 000 Polizisten und Soldaten eingesetzt. Die afrikani- Fragen des Klimaschutzes, zuallererst Afrika zugute- (D) schen Länder stellten 18 000 Polizisten und Soldaten für kommen; denn kein Kontinent droht so sehr unter der diese VN-Missionen zur Verfügung. Das ist ein beein- globalen Erwärmung zu leiden wie Afrika. druckender Beitrag. Nichtsdestotrotz ist der Saldo Afri- kas bei der Herstellung der eigenen Sicherheit – im Ver- Der dritte Punkt betrifft die Rohstoff- und Res- gleich zu 55 000 auf dem afrikanischen Kontinent sourcensicherheit. Auch daran haben wir ein eigenes, eingesetzten Polizisten und Soldaten die erwähnten elementares Interesse; denn wir legen Wert auf Diversi- 18 000 afrikanischen Soldaten und Polizisten – bedauer- fikation, und wir wollen unsere Abhängigkeit von Russ- licherweise negativ. Deswegen liegt es auch in unserem land und auch von der notorisch instabilen Region des Interesse, in das Zentrum unserer Bemühungen den Auf- Nahen und Mittleren Ostens verringern. Dazu bietet sich bau und die Stabilisierung der entstehenden afrikani- ein Engagement in Afrika an, ein Engagement, das unse- schen Sicherheitsarchitektur zu stellen. ren Standards entspricht und dafür sorgt, dass es zu einer wirklich fairen Partnerschaft kommt und dass die Völker (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Länder, die über diese Ressourcen und Energievor- neten der SPD) räte verfügen, tatsächlich von deren Exploration profitie- ren können. Dabei steht die Afrikanische Union im Mittelpunkt, deren wichtigstes Organ der Friedens- und Sicherheitsrat In diesem Zusammenhang ist beeindruckend, was ist, der im März 2004 seine Arbeit aufgenommen hat. China in Afrika macht. Das ist aber auch ein Warnsi- Die westafrikanische ECOWAS ist die aus sicherheits- gnal; denn China unterläuft mit seiner Entwicklungszu- politischer Sicht am weitesten entwickelte Regionalor- sammenarbeit unsere westlichen Standards von Good ganisation in Afrika. Sie hat wie keine andere Regional- Governance. Ich selber habe auf einer Reise nach Afrika organisation in Mitgliedsländern militärisch interveniert, im letzten Jahr erlebt, dass afrikanische Regierungen in denen gewaltsame Konflikte eskalierten, und ent- händeringend darum bitten, dass sich Europa und insbe- schlossen und eindeutig auf MiIitärputsche in Niger und sondere Deutschland stärker engagieren. In Kongo- Gambia sowie an der Elfenbeinküste und in Togo re- Brazzaville habe ich den stellvertretenden Außenminis- agiert. Das heißt, es kommt ganz wesentlich darauf an, ter getroffen. Der Ton des Gesprächs war freundlich, diese Sicherheitsarchitektur bei allen Defiziten, die sich aber was Europa anging, so war er leicht indigniert. Er zum Beispiel auch im Rahmen von AMIS im Sudan ge- fragte: Wann wird endlich wieder die deutsche Botschaft zeigt haben, zu unterstützen. Dabei, Frau Kollegin in unserem Land eröffnet? Wann endlich kommt es dazu, Schuster, kommt es auch darauf an, dass zunächst ein- dass nicht nur hohe Diplomaten aus China, Nordkorea mal die Initiative von den afrikanischen Staaten selber oder Iran sich um unser Land kümmern, sondern dass Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8389

Eckart von Klaeden (A) wir auch wieder Staatsekretäre und Minister aus Europa kommen mit den neoliberalen Programmen der Welt- (C) bei uns begrüßen können? – Dieses Land hatte zu dem bank und des IWF ganz gut klar. Denn häufig genug sind Zeitpunkt, als ich es besuchte, die Präsidentschaft der es Konsortien von afrikanischen und transnationalen Un- Afrikanischen Union inne, spielte also gerade bei den ternehmen, die von der erzwungenen Privatisierung des Konflikten, mit denen wir uns nahezu wöchentlich auch afrikanischen Staatsvermögens profitieren. So war es im hier im Bundestag beschäftigen, eine entscheidende Fall des tansanisch-deutsch-britischen Unternehmens Rolle. City Water, das 2003 die Wasserwerke in der tansani- schen Hauptstadt Daressalam übernommen hatte. Verlie- Ein anderes Gespräch bei einem Besuch bei Außen- rer war die Masse der Bevölkerung, die mit enormen minister Ping in Gabun hatte einen ähnlichen Ton. Die- Preissteigerungen des Wassers zu kämpfen hatte. ser Außenminister war Präsident der 59. VN-General- versammlung. Er berichtete mir, dass sein Land gerade Auffällig ist: Die reichsten Potentaten Afrikas waren einen großen, über Jahrzehnte laufenden Vertrag mit der immer auch die Lieblinge des Westens. So war es bei Volksrepublik China über die Exploration von Eisenerz Kibaki in Kenia oder bei Mobutu in Zaire, dem heutigen und über mehrere Straßenbauprojekte abgeschlossen Kongo. An dieser Politik hält die Bundesregierung wei- hatte. Auch er fragte: Wo ist das Engagement Europas? terhin fest. So erfahren wir, dass der Innen-Staatssekretär Wo ist das Engagement des Westens? Wir hätten gerne Hanning mit den Geheimdiensten Algeriens gemeinsame mit euch Verträge abgeschlossen, wir hätten gerne mit Vereinbarungen zur Abwehr afrikanischer Flüchtlinge euch kooperiert, aber die Angebote, die uns China trifft. Leider erfahren wir nichts darüber, wie die humani- macht, diese All-Inclusive-Pakete, gibt es von euch täre Situation der Flüchtlinge in den nordafrikanischen nicht. – Es fehlt also an Engagement und an staatlicher Lagern verbessert werden soll, geschweige denn, wie Unterstützung für eine echte wirtschaftliche Kooperation man endlich den Tod von Tausenden Afrikanern verhin- und eine auf Augenhöhe stattfindende Partnerschaft und dern will, die von Woche zu Woche – vielleicht gerade in Zusammenarbeit. diesem Augenblick – auf hoher See ertrinken. Sprechen wir es aus: Jedes Jahr sterben zehnmal mehr Präsident Dr. Norbert Lammert: Menschen an den Mauern der Festung Europa als in Herr Kollege! 28 Jahren an der schrecklichen Berliner Mauer. Frau Merkel, Herr Steinmeier, nutzen Sie die EU-Präsident- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): schaft und reißen Sie endlich ein Loch in diese Mauer Das ist der letzte Satz, Herr Präsident. – Afrika strate- der Schande! gisch zu begreifen und es wirklich zu einer Partnerschaft auf Augenhöhe kommen zu lassen, ist das Ziel unserer (Beifall bei der LINKEN) (B) (D) Afrikapolitik. Es muss endlich eine Lösung geben, wie Afrikaner auf Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. legalem Weg nach Europa gelangen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Ja, es gibt auch Fortschritte in Afrika, zum Beispiel bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ dort, wo Entwicklungsprogramme auf den Aufbau der DIE GRÜNEN) sozialen Daseinsfürsorge und der Infrastruktur setzen. Das heißt: Fortschritte sind dort zu verzeichnen, wo die Präsident Dr. Norbert Lammert: Entwicklungspolitik in der Praxis die Auswirkungen Für die Fraktion Die Linke erhält nun das Wort der neoliberaler Strukturanpassungsprogramme bekämpft. Kollege Aydin. Nehmen wir Äthiopien als Beispiel. Dank der Was- (Beifall bei der LINKEN) ser- und Sanitärprogramme der UNICEF ist die Kinder- sterblichkeit seit 1992 um 40 Prozent zurückgegangen. Doch noch immer sterben in Äthiopien zwölf von Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE): 100 Kindern in den ersten fünf Jahren an vermeidbaren Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Re- Krankheiten. Dieses Leid ist keine Folge von Naturka- gierungsfraktionen behaupten in ihrem Antrag: tastrophen; es ist eine Folge der Armut, die der Weltka- Im Bereich Frieden und Sicherheit sind in den ver- pitalismus unter anderem über Schwarzafrika gebracht gangenen zehn Jahren deutliche Fortschritte ge- hat. macht worden. Über 80 Prozent der Äthiopier leben von weniger als Das ist reine Beschönigung. Ihnen selbst fallen mit So- 1 Dollar pro Tag. In einem Land mit einer reichen Vege- malia, Elfenbeinküste, Äthiopien und Darfur bereits tation haben die meisten Menschen einfach nicht genug mehr heiße als gelöste kriegerische Konflikte ein. Viele Geld, um sich ausreichend Nahrungsmittel zu kaufen. andere Konflikte, wie jener im Nigerdelta Nigerias, wer- Die Folge ist, dass die Hälfte aller Kinder Äthiopiens an den von Ihnen gar nicht erst angesprochen. Der Grund chronischer Unterernährung leidet. Ihr Immunsystem ist ist einfach: Die Politik der G 8, darunter jene der Bun- zu schwach gegen Durchfall- und Atemwegserkrankun- desregierung, trägt nicht wirklich zu dauerhaften Kon- gen, an denen fast drei Viertel der betroffenen Kinder fliktlösungen bei. sterben. Fehler Nummer eins: Wenn Sie von Afrika sprechen, Das heißt: Auf der einen Seite haben wir die UNICEF, dann meinen Sie immer die Herrschenden in Afrika. Die die um das Leben der Kinder Äthiopiens kämpft. Auf der 8390 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Hüseyin-Kenan Aydin (A) anderen Seite haben wir die USA und die EU, die die Re- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) gierung dieses verarmten Landes aufrüsten und zu einem NEN): militärischen Einmarsch nach Somalia ermutigen. Ist es Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das, was die Bundesregierung unter „gleichberechtigter Nach diesem Lamento darüber, wie schlecht es in Afrika Partnerschaft mit den afrikanischen Ländern“ versteht? ist und dass der Kapitalismus daran schuld ist – die Welt stimmt also wieder –, will ich mit den positiven Signalen Jede Afrikapolitik muss sich daran messen lassen, aus Afrika anfangen. Es ist in der Tat so, dass sich Afrika was sie den Armen in Afrika bringt. Die vorgelegte EU- auf den Weg gemacht hat, auf den Weg zu einer politi- Strategie für Afrika setzt einseitig auf die Förderung pri- schen Gemeinschaft mit dem Anspruch auf Selbststän- vater Investitionen – als wenn das allein schon irgendet- digkeit und dem Anspruch auf grundlegende Reformen. was für die Bevölkerungsmehrheit bringen würde! Bli- Das haben wir auch hier bisher viel zu wenig zum cken wir auf die Investitionen im Bergbau, etwa im Thema gemacht. Kongo! Die illegale Ausbeutung der Ressourcen hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Bericht einer parlamentarischen Kommission in Kinshasa wohl dokumentiert. Herr von Klaeden, das Ohne Zweifel bleiben die Probleme in Afrika im- müssen Sie ja kennen. Von ihr profitieren sowohl zahl- mens; viele haben das schon angesprochen. Auch für die reiche internationale Konzerne wie auch kongolesische Erreichung der Millenniumsziele sieht es sicherlich nicht Warlords und Geschäftemacher. Doch obwohl der Be- gut aus, vor allem wegen Afrika-Subsahara. Doch die richt nun schon ein Jahr vorliegt, wird er von EU und Gründung der Afrikanischen Union, der gesamte Bundesregierung totgeschwiegen. Anders ausgedrückt: NEPAD-Prozess, die zunehmende Zahl demokratischer Die Bundesbürger zahlen mit Millionen einen Einsatz Regierungen – alles das sind wirklich positive Zeichen der Bundeswehr im Kongo, doch die krummen Ge- für einen Aufbruch. Es gibt auch volkswirtschaftliche schäfte in dem Land werden ungestört weiterbetrieben. Erfolgsgeschichten; ich nenne nur einmal Botswana. Auch das gehört zur afrikanischen Realität. Ich will jetzt Wenn es hingegen um den Schutz von Arbeitneh- einmal den Ausblick auf die Fußball-WM 2010 geben. mern in Afrika geht, bleibt die Bundesregierung syste- Da wird die Welt dieses selbstbewusste Afrika des matisch untätig. Gestern lag hier im Bundestag ein Aufbruchs kennenlernen, und das finde ich wirklich Antrag der Linken zur Ratifizierung des IAO-Überein- gut. kommens über Heimarbeit vor. Dieses Übereinkom- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men soll die Regierungen in Entwicklungsländern dazu sowie bei Abgeordneten der SPD) verpflichten, Mindeststandards einzuführen und wenigs- Wir haben Afrika gegenüber nicht nur entwicklungs- (B) tens den Mutterschutz zu gewähren. Doch die Regie- (D) rungsfraktionen stimmten dagegen. Sie signalisieren ih- politische Verpflichtungen. Afrika ist auch ein Kontinent ren reichen Freunden in den Regierungen der armen politischer Chancen. Da muss ich bei Ihnen, Herr von Entwicklungsländer: Sorgt dafür, dass bei euch die Klaeden, noch einmal einhaken. Bei allem, was China Heimarbeiterinnen weiter rechtlos bleiben! Denn das oder die Amerikaner oder Vertreter anderer Kontinente hilft, das Lohnniveau zu drücken, und zwar weltweit, da machen, hat Afrika an Europa, an die Europäer immer unter anderem eben auch in Deutschland. noch die höchsten Erwartungen und die größten Hoff- nungen. Das Problem ist, dass die Europäer – auch wir Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist eine Deutsche – diese Chance nicht begreifen. Politik, die erstens Armut in Afrika bekämpft, zweitens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – keine Kriege zwischen den afrikanischen Staaten anzet- Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ich glaube, telt das habe ich gesagt, Frau Kollegin! – Klaus (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Uwe Benneter [SPD]: Hat der Außenminister Wer macht denn das?) nicht anders gesagt! – Weiterer Zuruf von der SPD: Was hat denn Herr Fischer die ganze Zeit und drittens solidarisch für die Interessen der lohnabhän- gemacht?) gig Beschäftigten in Afrika eintritt, Immerhin reden wir alle jetzt – auch heute hier – von (Beifall bei der LINKEN) Partnerschaft: der Außenminister, die Kanzlerin. Vor allem der Bundespräsident hat sich der Sache angenom- mit anderen Worten: das Gegenteil der Politik, wie sie men. Das heißt, bei unserem Blick auf Afrika hat sich et- die G 8 und die EU unter der deutschen Ratspräsident- was getan. Ich glaube, es kommt darauf an, diesen Be- schaft verwirklichen. griff der Partnerschaft durch eine konkrete Politik mit Leben zu erfüllen. Vielen Dank. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, (Beifall bei der LINKEN) ich will schon fragen: Wie kann man eine wirkliche Part- nerschaft aufbauen, wenn bisher weder die Kanzlerin noch der Außenminister Afrika besucht haben – mit Präsident Dr. Norbert Lammert: Ausnahme der Maghreb-Staaten – und Afrika immer Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Müller für die hinten herunterfällt? Ich weiß, dass es gerade während Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. der EU-Ratspräsidentschaft viele und wichtige Schwer- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8391

Kerstin Müller (Köln) (A) punkte gibt. Aber ich finde das schade, und wir müssen Welt. Ich meine: Wenn wir die Partnerschaft mit Afrika (C) darauf achten, dass dieses Wort der Partnerschaft nicht und unsere Unterstützung der Vereinten Nationen wirk- zur Floskel verkommt. lich ernst nehmen, dann müssen wir uns stärker auch an diesen Friedensmissionen in Afrika beteiligten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Eckart von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Klaeden [CDU/CSU]: Wir erinnern uns an die zahlreichen Afrikareisen von !) Sie haben die Stabilisierungsmission im Kongo er- wähnt. Das war ein erster positiver Schritt. Aber auch – Ja, das können wir gerne tun. Sie werden dann sehen, hier muss man sagen: Welche Debatten mussten wir da- dass das anders war. rüber führen! Es ist vielen schwergefallen, zu entschei- den, dass man sich daran beteiligt. Vor allen Dingen: (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ja, schlim- Was ist jetzt eigentlich mit dem Aufbauprozess? Viele mer!) haben hier in der Debatte gesagt, dass das zivile Engage- ment das Wichtigste ist. Ich kann da bisher nicht viel se- Wenn wir von Partnerschaft reden, dann müssen wir hen. auch selbst zum Politikwechsel bereit sein. Wie steht es mit der viel beschworenen Anhebung der ODA-Quote (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: auf 0,7 Prozent? Wann sehen wir einen konsequenten Was?) Abbau der europäischen Agrarsubventionen, durch die die afrikanische Landwirtschaft ruiniert wird? Wann gibt Wo sind nicht nur unsere entwicklungspolitischen Ini- es eine Änderung der EU-Fischereipolitik – der Bundes- tiativen? Wo ist zum Beispiel das Wirtschaftsministe- präsident hat neulich darauf hingewiesen –, durch die die rium? Hier liegen jetzt Chancen. Wenn wir schon dort Fischer Westafrikas arbeitslos gemacht werden? Mit un- hingehen, dann müssen wir diese Chancen auch begrei- serer eigensüchtigen Agrar-, Fischerei- und Welthan- fen. delspolitik konterkarieren wir die Entwicklungspolitik in afrikanischen Staaten. So werden wir die Millenniums- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ziele in Afrika nicht erreichen. Meines Erachtens ist die Bundesregierung beim Thema Darfur vollkommen gescheitert. Zurzeit gibt es Ich sage: Damit sind wir zu einem erheblichen Teil dort die größte humanitäre Krise weltweit. Die sudanesi- mit an dem schuld, was an Europas Grenzen passiert. sche Regierung spielt Katz und Maus mit der internatio- Wie reagieren wir denn auf diese Migration? Wir tun nalen Gemeinschaft und lehnt eine UN-Mission immer das eben nicht mit dem Abbau dieser verheerenden Sub- noch ab. Herr von Klaeden, wenn es um Völkermord (B) ventionspolitik, sondern mit einer aufgerüsteten EU- (D) geht, dann kann man sich nicht hinter African Owner- Grenzschutzagentur und mit neuen Verfahren zur Ab- ship verstecken. schiebung. Das hat meines Erachtens nichts mit einer Partnerschaft mit Afrika zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Gert Es geht inzwischen um Völkermord. Deshalb noch Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Richtig! Da einmal: Herr Außenminister, Sie haben das in der nächs- hat sie recht!) ten Woche stattfindende Außenministertreffen erwähnt. Warum ergreifen die Außenminister nicht endlich ent- Wir müssen die Afrikaner auch bei der Befriedung sprechende Maßnahmen wie die Verhängung von EU- der vielen bewaffneten Konflikte auf dem Kontinent Sanktionen, um den Druck auf das Regime zu erhöhen, unterstützen. Die Afrikanische Union und ihre Regio- sodass die UNO-Mission endlich zugelassen wird? nalorganisationen haben inzwischen erstaunliche Fort- schritte beim Aufbau eigener Friedenstruppen ge- (Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU] meldet macht. Nach dem Einsatz der Afrikanischen Union in sich zu einer Zwischenfrage) Darfur – AMIS – steht jetzt in Somalia eine neue Mis- sion an. Es ist völlig klar: Ohne die Unterstützung der – Sie möchten eine Zwischenfrage stellen? EU wird das nicht funktionieren. Das ist zu bedenken, wenn es um eine konkrete Partnerschaft geht. Allerdings Präsident Dr. Norbert Lammert: wird das in Darfur und bei anderen Konflikten nicht aus- Frau Kollegin, die kann ich schon deshalb nicht mehr reichen. Die Vereinten Nationen werden der wichtigste zulassen, weil Sie außerhalb Ihrer Redezeit sprechen Träger von Peacekeeping-Missionen in Afrika sein: im würden. Kongo, in der Elfenbeinküste, in Liberia und in anderen Staaten. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Auch das will ich in dieser Debatte, in der es um die NEN): Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf Afrika Ich würde sie gern beantworten. geht, ganz klar ansprechen: An diesen UN-Missionen ist Deutschland leider immer noch nur minimal beteiligt. Diese schwere Aufgabe des Peacekeeping in Afrika Präsident Dr. Norbert Lammert: überlassen wir immer noch lieber Staaten der Dritten Das habe ich mir gedacht. 8392 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

(A) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sudanesischen Regierung tun müssen. Selbstverständ- (C) NEN): lich. Jetzt muss aber erst einmal alles versucht werden, Ich würde mir wünschen, dass es in Bezug auf diese um die Zustimmung zu bekommen. Die EU hat die Ver- Krisen ein stärkeres Engagement der Bundesregierung hängung von Sanktionen zigmal beschlossen. Warum gäbe. Wir würden Sie dabei in jedem Fall unterstützen. werden diese nicht umgesetzt? Dies wäre ein Drohmittel gegen das Regime. Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zum Schluss kann ich nur an das erinnern, was Kofi sowie bei Abgeordneten der SPD) Annan gesagt hat. Er ist jemand, der sich wirklich in den Krisen dieser Welt auskennt. Es gibt eine Krise, die er uns zum Abschluss in allen Reden sozusagen ins Präsident Dr. Norbert Lammert: Stammbuch geschrieben hat. Das ist die Krise in Darfur. Es besteht der Wunsch nach einer Kurzintervention. Er tat dies mit der eindringlichen Aufforderung an uns, Bitte schön. sich hier gemeinsam zu engagieren und mit einer robus- ten UNO-Truppe alles dafür zu tun, das Morden dort zu Eckart von Klaeden (CDU/CSU): stoppen. Darum geht es mir. Frau Kollegin Müller, Sie haben mir vorgeworfen, ich würde mich bezüglich des Völkermords in Darfur hinter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN African Ownership verstecken. Das weise ich mit aller sowie bei Abgeordneten der SPD) Entschiedenheit zurück. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie Butter bei die Fische täten und sagen würden, Präsident Dr. Norbert Lammert: dass die Grünen für eine militärische Intervention sind, Nun erteile ich das Wort der Bundesministerin ohne dass es dafür in den Vereinten Nationen die not- Heidemarie Wieczorek-Zeul. wendige Unterstützung gibt und ohne dass es von der Regierung im Sudan dafür die notwendige Zustimmung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) und Unterstützung gibt. Feuilletonistisch alles zu bekla- gen und der Regierung fehlendes Handeln vorzuwerfen, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für selber aber nicht zu sagen, was man zu tun bereit wäre, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: ist, finde ich, ziemlich fahrlässig. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afrika bildet einen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schwerpunkt des G-8-Gipfels in Heiligendamm und ist ein zentrales Thema der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union. Das ist ein praktisches Zeichen für (B) Präsident Dr. Norbert Lammert: unsere Unterstützung dieses Kontinents. (D) Zur Erwiderung Frau Kollegin Müller. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In allen Diskussionsbeiträgen wurde immer wieder NEN): darauf hingewiesen: Afrika nimmt seine eigene Verant- Herr Kollege von Klaeden, mir in der Darfurfrage wortung wahr. Wir wollen Afrika dabei unterstützen. Ich feuilletonistische Reden vorzuwerfen, ist ziemlich ab- finde, wir sollten Erfolge, die auch unsere Erfolge sind, surd. Ich kann Ihnen das aber sehr konkret sagen. Ich nicht immer vergessen. Ich erinnere an die Auseinander- habe das auch schon im Plenum für die Fraktion gesagt; setzungen um die Frage, ob wir Soldaten in den Kongo wir sind in dieser Frage ziemlich klar. Ja, wir sind für die schicken, um dort den Wahlprozess abzusichern und ei- von der UNO bereits beschlossene robuste UNO-Mis- nen Bürgerkrieg zu verhindern. Es ist gelungen, diese sion. Das Problem ist, dass diese UNO-Mission nicht ins Wahlen abzusichern und den Bürgerkrieg zu verhindern. Land gelassen wird. Nach dem Beschluss der UNO ist es noch nicht einmal notwendig, dass die sudanesische Re- Es gibt aber noch weitere Erfolge. Am 15. Dezember gierung zustimmt. Natürlich wäre das wünschenswert. 2006 haben die elf Mitgliedstaaten der Internationalen Deshalb gibt es auch die diplomatischen Initiativen. Konferenz Große Seen einen Stabilitäts- und Solidari- Deshalb habe ich hier immer gefordert, dass man darauf tätspakt unterzeichnet. Dieser regionale Prozess ist, so hinwirkt, dass die Russen und die Chinesen ihren Ein- würde ich sagen, mit dem vergleichbar, was die KSZE in fluss geltend machen. Notwendig wäre das nicht. Die Europa war. Die Region jedenfalls ist noch größer als UNO hat bereits eine robuste Truppe beschlossen. Europa. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten doch die Position der Regierung! Wollen Sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) intervenieren oder nicht?) Zu der Aussage von Frau Müller, sie sehe hierzu – Ja, sicherlich. nichts, möchte ich sagen: Unser Ministerium unterstützt das Konferenzsekretariat, das diese Konferenz leitet, die (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Gegen den die Themen Wirtschaft, Sicherheit, Menschenrechte so- Willen der sudanesischen Regierung?) wie Energiefragen behandelt. Wir setzen dazu beratend Wenn es um Völkermord geht, dann müssen wir alles unsere Entwicklungszusammenarbeit ein. Ich finde, das tun, um diesen Völkermord zu stoppen. Letztlich bin ich sollten wir nicht kleinschreiben, sondern sehen, dass wir auch der Meinung, dass wir dies gegen den Willen der einen aktiven Beitrag zur Friedenssicherung leisten. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8393

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir unterstützen Handel, Regionalorganisationen, (C) der CDU/CSU) Wachstum, nachhaltige Förderung der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Außerdem ist Afrika der Zu Herrn Aydin will ich sagen: Man muss immer auf regionale Schwerpunkt unserer Entwicklungszusam- der Höhe der Zeit bleiben, wenn man wirklich helfen menarbeit. Im Jahr 2005 – ich kann nur diese Zahlen möchte. Ihre Ausführungen gingen an der Realität vor- nennen, weil lediglich dazu die ODA-Zahlen vorliegen – bei. Was jedoch machen wir? Unser Ministerium trägt haben wir knapp 2 Milliarden Euro sowohl für bilaterale mit dazu bei, dass das Protokoll zur Eindämmung der il- als auch für multilaterale Leistungen oder für Leistungen legalen Rohstoffausbeutung unterschrieben und damit für Afrika zur Verfügung gestellt – Official Develop- der illegalen Rohstoffausbeutung ein Ende gesetzt ment Assistance – und Schuldenerlasse in Höhe von wird. Das sind doch praktische Erfolge, die wir nicht sel- rund 1 Milliarde Euro ermöglicht. Ich wiederhole an die- ber kleinschreiben dürfen. ser Stelle: Das entspricht auch unserer Selbstverpflich- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tung. Wir alle, die G 8, haben auf dem G-8-Gipfel in der CDU/CSU) Gleneagles zugesagt, die Finanzmittel für Afrika bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Wir haben uns verpflich- Vielleicht eine Anmerkung zur Situation in Darfur, tet und sind nun verpflichtet, diese Zusage auch einzu- die uns allen, Frau Müller, entsetzlich auf der Seele las- halten. tet. Wir dürfen die Augen nicht vor dieser entsetzlichen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Situation der Vertreibung und der Ermordung von Men- der CDU/CSU) schen verschließen, die immer noch anhält. Ich sage an dieser Stelle – ich glaube, das verbindet uns alle –: Es ist Es geht neben den Leistungen der Entwicklungszu- gut, dass der Chefankläger des Internationalen Strafge- sammenarbeit, also den öffentlichen Finanztransfers, richtshofs in Den Haag endlich Schuldige, die selbst in auch darum – das ist in der Diskussion mehrfach ange- der sudanesischen Regierung sitzen, benannt hat. Wir er- sprochen worden –, die Wachstumskräfte in Afrika zu warten die Anklage und die entsprechenden juristischen stärken. Afrika braucht breitenwirksames Wachstum, Maßnahmen gegen diese Schuldigen. damit in den unterschiedlichen Ländern, die es in Afrika gibt, auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei geht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP es um dreierlei: Erstens geht es darum, mehr Transpa- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie renz bei der Produktion in den erdölfördernden Ländern des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE zu verwirklichen. Zweitens geht es darum, Länder wie LINKE]) Ghana und Tansania, die als Topreformer wirklich her- vorragende Leistungen aufweisen können, zu unterstüt- (B) Niemand wird – obwohl das eine entsetzliche Situa- zen. Drittens muss den kleineren Entwicklungsländern (D) tion ist –, wenn er wirklich abwägt, sagen können, dass dabei geholfen werden, ihre Märkte durch regionale Ko- man gegen den Willen der sudanesischen Regierung in operation auszuweiten. das Land gehen sollte. Das würde ein noch schreckliche- res Morden bedeuten. Umso wichtiger ist es, massive (Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜND- Sanktionen gegen die sudanesische Regierung voranzu- NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer bringen. Wir brauchen endlich ein Waffenembargo für Zwischenfrage) den ganzen Sudan und nicht nur für Darfur. Die Situa- – Herr Präsident, da möchte eine Kollegin etwas fragen. tion dort ist doch absurd. Setzen wir uns dafür ein und tragen wir dazu bei, dass Druck auf die sudanesische Re- gierung ausgeübt wird! Präsident Dr. Norbert Lammert: Da Sie das offenkundig zulassen wollen: Bitte schön, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN Frau Kollegin Wolf. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE Die Schwerpunkte des deutschen Engagements, auch GRÜNEN): die unseres Ministeriums, sind: Förderung von Frieden und Sicherheit, Stärkung von verantwortlicher Regie- Herzlichen Dank, Herr Präsident. rungsführung. Das, was wir tun, wird in Afrika hoch an- Frau Wieczorek-Zeul, hier war jetzt schon mehrfach erkannt. Aber ich will auch hier noch einmal sagen: Wir die Rede davon, dass das deutsche Engagement in unterstützen den Aufbau des Afrikanischen Menschen- Afrika gerade im Hinblick auf Investitionen zu gering rechtsgerichtshofs. Deutschland ist der größte Geber und sei. Jetzt sprachen auch Sie gerade davon, dass man mit- Unterstützer beim Aufbau des Panafrikanischen Parla- hilfe der von uns immer unterstützten HIPC-Initiative ments. Das sind alles Schritte hin zu wirklich demokrati- bei der Entschuldung vorankommen wolle. Seit einiger schen Entwicklungen, die wir im Rahmen der Partner- Zeit treibt mich angesichts der Investments, die die Chi- schaft leisten. Ich finde, das sollte anerkannt werden und nesen in gerade entschuldeten Ländern Afrikas tätigen, das sollte auch stärker in das öffentliche Bewusstsein ge- die Frage um, warum die Deckungshöhe von Hermes- langen. bürgschaften für Investitionen gerade in den HIPC-Staa- ten so niedrig ist und warum diese nur eine so kurze (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Laufzeit haben. Vielleicht wird dadurch die Hemm- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- schwelle für kleine und mittlere Unternehmen, in diesen NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ländern zu investieren, unnötig erhöht. Mich würde in- 8394 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Margareta Wolf (Frankfurt) (A) teressieren, ob Sie meine Analyse teilen und ob die Bun- Wer Frauen stark macht – auch das ist ein wichtiger (C) desregierung gewillt ist, von der niedrigen Deckungs- Punkt –, der schwächt die Aidspandemie. Deshalb wird höhe und -dauer von 250 000 Euro über 365 Tage bei die Bekämpfung von HIV/Aids ein zentrales Thema auf diesen Ländern Abstand zu nehmen. dem G-8-Gipfel sein, besonders bezogen auf die Infizie- rung von Frauen und Kindern. Frauen machen im südli- Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für chen Afrika 60 bis 70 Prozent aller Infizierten aus. Da ist wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: ein dramatischer Anstieg zu verzeichnen, dem wir nicht tatenlos zusehen dürfen. Ich kann sagen, dass es Überlegungen gibt, die Absi- cherungsmöglichkeiten von Krediten zu verbessern, um Zwei Bemerkungen an dieser Stelle. Erstens. Ich entsprechende Investitionen zu fördern. Zu den Details werbe für den globalen Fonds, mit dem die Bekämpfung kann ich Ihnen noch nichts sagen, weil wir darüber ge- von Aids, Malaria und Tuberkulose unterstützt wird. rade im Rahmen der G 8 beraten. Auf das Engagement Dieser Fonds ist vor wenigen Jahren eingerichtet wor- Chinas möchte ich im Folgenden etwas ausführlicher den. Er hat mit seiner Arbeit 1,5 Millionen Menschen eingehen, Frau Kollegin, weil ich an dieser Stelle den das Leben gerettet; jeden Monat können weitere Punkt China ohnehin aufgreifen wollte. 100 000 Menschen gerettet werden, darunter sehr viele Kinder. Lassen Sie uns diesen Fonds so stärken, dass Manche stellen es in der Diskussion so dar, als sei das mehr Menschenleben gerettet werden können! Das ist Auftreten Chinas in Afrika eine Entwicklung der letzten unsere gemeinsame Verpflichtung. Tage. Ich möchte darauf hinweisen: Die internationale Gemeinschaft ist im Dialog mit verschiedenen neuen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Geberländern; das betrifft nicht nur China, sondern auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- andere Länder. Nach meiner Meinung machen neue geordneten der LINKEN) Finanzmittel für Afrika dann Sinn, wenn sie nach inter- nationalen Standards eingesetzt werden: Ökologische Zweitens werbe ich dafür, dass die internationale Ge- und soziale Normen müssen respektiert und die lokalen meinschaft während unserer Präsidentschaften einen Arbeitsmärkte dürfen nicht zerstört werden. Das liegt Verhaltenskodex beschließt, der die Abwerbung medizi- auch im Interesse der afrikanischen Bevölkerung. Von nischen Personals aus afrikanischen Ländern untersagt. dieser werden dabei die Investitionen und anderen Un- (Beifall des Abg. Dr. Hakki Keskin [DIE terstützungsmaßnahmen Europas sehr viel höher ge- LINKE]) schätzt als die All-inclusive-Investments Chinas. Was zählt, ist, dass dauerhaft neue Arbeitsplätze auf den loka- Ärzte und Krankenschwestern werden in diesen Ländern len Märkten der afrikanischen Länder entstehen und ge- gebraucht für die Gesundheitsversorgung, für die Aids- (B) sichert werden. bekämpfung und für die Krankheitsbekämpfung im All- (D) gemeinen. Lassen Sie uns dazu beitragen, dass sie dort (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gefördert werden, damit die Menschen dort Chancen ha- Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, ben und damit das Ausbluten afrikanischer Länder ver- das vorhin schon von Herrn von Klaeden und anderen hindert wird! genannt wurde: die Frauen. Vor einer Woche haben wir Ich danke Ihnen. in Berlin eine Konferenz über Gleichberechtigung von Frauen, insbesondere von afrikanischen Frauen, durch- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie geführt. Wir haben dabei alle zusammen noch einmal bei Abgeordneten der LINKEN und des darauf hingewiesen: Zugang zu Landbesitz, Sicherung BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des Erbrechts sowie Zugang zu Krediten und Beschäfti- gung sind zentrale Forderungen. Dass Frauen weltweit Präsident Dr. Norbert Lammert: nur über 2 Prozent des gesamten Landes verfügen, ist Der Kollege Königshaus hat nun das Wort für die doch ein Skandal. Fraktion der FDP. Wichtig ist – das wird in Afrika immer mehr verstan- den; aber wir müssen dazu beitragen, dass der Zusam- Hellmut Königshaus (FDP): menhang noch deutlicher wird –: Die Gleichberechti- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man gung von Frauen ist natürlich eine Frage von die Kollegin Müller eben gehört hat, könnte man glau- Menschenrechten und Demokratie, aber nicht nur das. ben, sie habe nie einer Bundesregierung angehört, die Hohe Wachstumsraten korrelieren in Entwicklungslän- schon vor all den Problemen gestanden hat, die sie hier dern mit dem Engagement für die Gleichberechtigung so lauthals beklagt hat, wo es aber keine Strategien gab, der Frauen und ihrem Zugang zu wirtschaftlichen Chan- diese wirklich nachhaltig zu lösen. cen. Die Benachteiligung von Frauen geht mit einer Sen- (Beifall bei der FDP) kung der Wachstumsraten einher. Das heißt, die Benach- teiligung von Frauen ist auch wirtschaftlich zutiefst Insofern sollte sie hier vielleicht ein bisschen zurückhal- schädlich. Das sollten wir immer wieder deutlich ma- tender sein. chen und die Chancen der afrikanischen Frauen beim Zugang zu Krediten sowie Land- und Erbrecht verbes- Alle reden über Afrika. Es gibt Strategien und alle sern. möglichen sonstigen wohlfeilen Aktivitäten. Aber wenn es tatsächlich ans Eingemachte geht, dann stellt sich (Beifall im ganzen Hause) schnell heraus, dass die Probleme doch etwas vielschich- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8395

Hellmut Königshaus (A) tiger sind und dass es schwer ist, die Einzelteile zu sor- in der Koalition dafür werben würden, dem Antrag der (C) tieren. Man hat das gemerkt, als sich der Kollege von FDP zur Stärkung des diplomatischen Dienstes zuzu- Klaeden eben mühsam durch sein Manuskript gearbeitet stimmen; denn dann könnten wir gemeinsam an diesem hat. Projekt arbeiten. ( [SPD]: Von Leichtigkeit (Beifall bei der FDP) strotzt Ihre Rede auch nicht!) Dass wir auf diesem Kontinent präsent sein müssen, da- Das ist mit einer zusammenhängenden Strategie nicht zu mit wir dort die Probleme lösen können, ist für jeder- vereinbaren. mann nachvollziehbar. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber Sie Afrika ist ja nicht per se arm. Wenn man die Rohstoff- gucken auch auf Ihr Manuskript!) situation betrachtet, muss man sagen, dass Afrika im Grunde genommen ein reicher Kontinent ist. Aber wir – Klar schaue ich auf mein Manuskript. Es war sehr müssen helfen, dass die Afrikaner in der Lage sind, von schwer, sich zu merken, was der Kollege von Klaeden diesem Reichtum selbst zu profitieren. Dass wir über überhaupt gesagt hat, wenn ich da einmal ehrlich bin. solch gravierende Probleme reden müssen wie Hunger, Deshalb musste ich mir das notieren. Analphabetentum, Rückständigkeit und HIV/Aids, liegt (Beifall bei der FDP – Eckart von Klaeden eben daran, dass die Afrikaner ihre zur Verfügung ste- [CDU/CSU]: Jetzt mal zur Sache, Herr Kol- henden Ressourcen nicht selbst nutzen können. lege!) Eben wurde völlig zu Recht davon gesprochen, wel- – Ja, zur Sache. che gravierenden Auswirkungen die Dürre angesichts des sich abzeichnenden Klimawandels haben wird. Man Die Probleme können natürlich nicht mit einer einfa- muss aber auch über die Ursachen sprechen. Eine der chen und schnell umsetzbaren Strategie gelöst werden. Ursachen ist eben, dass wir zwar gut gemeinte Maßnah- Was wir brauchen, sind Maßstäbe, anhand derer wir die men auf den Weg bringen – beispielsweise die Bei- Lösung der jeweiligen Probleme tatsächlich gezielt an- mischung von Biokraftstoffen –, dass aber dafür Regen- gehen können. Wir brauchen Maßstäbe für jedes Pro- wälder geopfert werden müssen. Es wird also das blem, jedes Land, jedes Themenfeld. Gegenteil von dem bewirkt, was wir eigentlich erreichen (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist ja wollen. Über diese Problematik müssen wir etwas inten- genial konkret!) siver nachdenken. Das heißt auch, angemessene und kohärente Lösungsan- Ich möchte noch Folgendes anfügen: Protokolle zu (B) sätze herzuleiten. Daran fehlt es uns leider noch immer. unterschreiben, genügt nicht. Man muss auch eine (D) Auch die hier zur Beratung anstehenden Anträge helfen durchdachte Politik betreiben. Was hier im Moment pas- da nicht weiter. siert, ist aber nicht durchdacht. Übrigens, Frau Ministerin, weil Sie gerade das Thema (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Aids ansprachen: Wir hatten ja als FDP im Ausschuss Ich konnte das am Beispiel Indonesien selbst beobach- für wirtschaftliche Zusammenarbeit verlangt, dass dafür ten. ein namhafter Betrag festgeschrieben wird. Auch das ist wieder abgelehnt worden. Ich hoffe, dass wir in Zukunft In Afrika gibt es unbestritten sehr große Hilfeleistun- zu einer vernünftigeren Handhabung solcher Dinge gen westlicher Geber. Aber diese verpuffen in der Regel kommen. In Bezug auf Afghanistan sind Sie unseren aufgrund der typisch afrikanischen Probleme wie Kor- Vorschlägen ja immerhin letztlich dann doch gefolgt. ruption, Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung; wir ha- Die Bundesregierung kann also offensichtlich auch da- ben schon darüber gesprochen. Die westlichen Geber be- zulernen. mühen sich, diese Probleme zu lösen, indem sie völlig zu Recht die Hilfe an Bedingungen wie gute Regierungs- (Beifall bei der FDP) führung und Korruptionsfreiheit knüpfen. Aber wir kön- Dass wir hier Afrika so sehr in den Fokus stellen, ist nen die Einhaltung solcher Kriterien nur im Konsens mit in erster Linie dem Bundespräsidenten zu verdanken, der allen anderen Gebern durchsetzen. Anderenfalls – so zu Beginn seiner Amtszeit gesagt hat, er wolle Afrika lehrt uns die Lebenswirklichkeit – werden sich korrupte zum Schwerpunkt seiner Arbeit machen. Eliten und skrupellose Kleptokraten an den Hilfsgeldern und an den Hilfsgütern bereichern. (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) Vor allem müssen wir verhindern, dass die Rohstoffe Er hat dazu allen Grund gehabt; denn es ist dringend dieses Kontinents weiter geplündert werden. Denn diese erforderlich, die verheerenden Schäden, die während der Rohstoffe sind die einzige Chance, dass dort eine nach- Zeit der rot-grünen Regierung auf dem afrikanischen haltige Entwicklung stattfinden kann. Der Kontinent ist Kontinent entstanden sind, zu beheben. Herr Bundes- viel zu groß, als dass wir das ganz allein bewirken könn- außenminister, mit Blick auf Afrika ist Ihnen zugute zu ten. halten, dass Sie den verheerenden Trend, immer mehr Botschaften zu schließen, immer mehr Personal abzuzie- Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang über hen und sich immer weniger diesen Ländern zuzuwen- China sprechen, aber ohne – da haben Sie, Frau Ministe- den, gestoppt haben. Es wäre begrüßenswert, wenn Sie rin, völlig Recht – in ein China-Bashing zu verfallen. 8396 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Hellmut Königshaus (A) China ist nur einer von vielen neuen Gebern, die sich Cannes deutliche Worte zum Beispiel für den simbab- (C) dort einbringen. China betreibt dort Realpolitik, schert wischen Diktator Mugabe gefunden hat. sich aber keinen Deut um Menschenrechte und sonstige Grundsätze, die wir alle hochhalten. Wir müssen daher (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr gut!) versuchen, zu vernünftigen Regelungen zu kommen, um Hier muss Afrika selbst handeln. Insbesondere Südafrika die Chinesen, Inder und andere, die auf diesem Konti- darf sich von Mugabe nicht auf der Nase herumtanzen nent aktiv werden, einzubinden und auf unsere Grund- lassen. Das langsame Siechtum Simbabwes beginnt nun sätze zu verpflichten. auch die bisher gute Entwicklung Südafrikas und seiner Denjenigen, der in Afrika und anderswo Entwick- Nachbarländer zu gefährden. Wenn es so weitergeht, lungshilfe leistet – zum Teil aus egoistischen Motiven –, werden in wenigen Jahren weitere Teile der Bevölkerung muss man darauf hinweisen, dass er im eigenen Land die Simbabwes ihre Heimat verlieren und nach Südafrika Armut aus eigenen Mitteln bekämpfen muss. Es kann oder in andere Länder emigrieren. Hier droht nicht nur nicht angehen, dass beispielsweise in China die Armut ein neuer Konflikt; er weitet sich vielmehr gerade aus. mit deutschen und europäischen Mitteln bekämpft wird, Eben wurde die Bedrohung durch die Pandemie Aids währen die Chinesen in Afrika mit erheblich größerem angesprochen. Etwa 30 Millionen Menschen, also Mitteleinsatz als Geber auftreten. 6 Prozent der Bevölkerung, sind davon betroffen. Die Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Zahl der Aidswaisen in Afrika liegt derzeit bei etwa 12 Millionen und wird laut UNICEF in den nächsten (Beifall bei der FDP) drei Jahren auf 20 Millionen steigen. Auch Afrika wird bekanntlich nicht von Hunger- Präsident Dr. Norbert Lammert: und Dürrekatastrophen verschont. Wir wissen das von Ich erteile das Wort dem Kollegen Hartwig Fischer Kenia, wo seit 2005 etwa 3 Millionen Menschen betrof- von der CDU/CSU-Fraktion. fen sind. Sie haben in den letzten Tagen die Überflutung von Teilen Mosambiks erlebt. Über 300 000 Menschen (Beifall bei der CDU/CSU) waren davon betroffen; 100 000 Menschen sind obdach- los. Ich danke der Entwicklungshilfeministerin und dem Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Außenminister für ihr unglaublich schnelles Handeln. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Innerhalb von vier Tagen wurden Mittel zur Verfügung Bundesregierung nutzt die Chance der EU-Ratspräsi- gestellt, damit die Hilfsorganisationen vor Ort und auch dentschaft im ersten Halbjahr sowie des G-8-Vorsitzes, unsere Durchführungsorganisationen arbeiten können. (B) den afrikanischen Kontinent verstärkt in das Bewusst- Ich begrüße es ausdrücklich, dass Sie zusätzlich (D) sein der Politik, der Wirtschaft und der Medien zu brin- 1 Million Euro für das nationale Institut für Katastro- gen. Wir wollen mit dem vorliegenden Koalitionsantrag phenmanagement in Mosambik zur Verfügung gestellt die Grundlage für eine parlamentarische Diskussion, haben. aber auch für die Begleitung des Prozesses in den nächs- ten Monaten schaffen. Wir von der Koalition werden in (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Wodarg den nächsten Monaten einen weiteren Antrag zur Ent- [SPD]) wicklungspolitik einbringen. Aber es gibt auch ein ganz anderes, ein modernes Viele in Deutschland und Europa kennen Afrika auf- Afrika, ein Afrika, das in den letzten Jahren in allen Be- grund einer zum Teil verzerrten und einseitigen Darstel- reichen enorme Anstrengungen unternommen hat und lung nur unter dem Begriff der sieben Ks: Konflikte, sich der Zukunft stellt. Dies umfasst Anstrengungen und Korruption, Kriminalität, Kapitalflucht, Krankheiten so- deutliche Verbesserungen in den Bereichen der Bil- wie Natur- und Hungerkatastrophen. Es gibt derzeit elf dungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik sowie bei Men- bewaffnete Konflikte, von denen über 150 Millionen schenrechten und Good Governance. Deutschland und Menschen betroffen sind. Gerade in Darfur ist die Situa- Europa müssen diese afrikanischen Bestrebungen jetzt tion menschenverachtend und fast ausweglos. deutlicher unterstützen. Korruption wird nicht selten als afrikanischer Tumor Bundespräsident Köhler hat recht, wenn er sagt, dass bezeichnet. Laut Transparency International liegen na- es an der Zeit ist, Afrika als Partner auf Augenhöhe zu hezu alle afrikanischen Länder auf dem Korruptions- betrachten. Der Schutz der Menschenwürde und die index bei drei Punkten, was sehr negativ ist. In diesem Förderung der Menschenrechte sind die Grundlage ei- Zusammenhang ist es auch ein Verbrechen an den Men- nes partnerschaftlichen Dialogs. schen Afrikas, wenn es einigen afrikanischen Despoten Bei den Gesprächen mit unseren afrikanischen Part- weiterhin gelingt, ihre durch Korruption, Betrug, Erpres- nern und Freunden muss es jedoch auch um die Grund- sung, Plünderung öffentlicher Kassen und Raub zusam- werte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit gehen. mengestohlenen Dollarvermögen ungestraft ins Ausland Zu einer offenen und ehrlichen Partnerschaft gehört zu transferieren. auch, gemeinsame, aber auch gegenteilige Interessen zu (Beifall bei der CDU/CSU) benennen. Meine Fraktion hat es sehr bedauert, dass es, als es im UN-Menschenrechtsrat um die Verurteilung der Ich bin deshalb der Bundeskanzlerin sehr dankbar, Regierung im Sudan ging, bei der ersten Abstimmung dass sie auf dem 24. französisch-afrikanischen Gipfel in des Antrages des finnischen Ratspräsidenten im vergan- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8397

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) genen Herbst fast einen Block afrikanischer Länder ge- rolle Botswanas zeigt, dass dies möglich ist und der Ent- (C) geben hat, die eine Abstimmung zulasten der Regierung wicklung des Landes und damit der Bevölkerung dient. in Khartoum verhindert haben. Wir begrüßen, dass es Der Initiative für einen transparenten Rohstoffabbau, später zu einer Änderung gekommen ist. Aber es gab nur EITI, gebührt deshalb unsere volle Unterstützung. zwei afrikanische Staaten, die den finnischen Ratspräsi- Zur Ehrlichkeit mit Partnern gehört: Deutschland hat denten unterstützt haben. Das war falsch verstandene als Exportland selbstverständlich auch wirtschaftliche Solidarität afrikanischer Länder. Interessen in Afrika. Die afrikanische Wirtschaft wuchs (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- im Jahr 2005 um durchschnittlich knapp 5 Prozent, im neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Jahr 2006 um 6 Prozent. Dennoch zeigt der mit DIE GRÜNEN) 2 Prozent sehr geringe Anteil Afrikas am Welthandel, dass viele Länder den Anschluss an die weltwirtschaftli- Afrika darf nicht einfach als Ort einer ständigen che Entwicklung noch finden müssen. Wohltätigkeitsveranstaltung gesehen werden, wie es von verschiedenen Seiten suggeriert wird. Afrika ist ein Wir müssen uns – ich sage das bewusst mit Blick auf Kontinent, an dem und in dem die internationale Staa- unser Bundeswirtschaftsministerium – mit einer Wirt- tengemeinschaft vitale Interessen haben muss. Die Be- schafts- und Investmentstrategie stärker in diesen Pro- standserhaltung des afrikanischen Regenwaldes mit sei- zess einbringen. Wir können dazu beitragen, dass sich nem Reichtum an Flora und Fauna ist von globaler Schwellenländer zu Ankerländern entwickeln. Es gibt Bedeutung und liegt im ökologischen Interesse. viele Länder wie Angola, Botswana, Namibia, Mosam- bik, Tansania oder Ruanda, die in der wirtschaftlichen Der steigende weltweite Energieverbrauch und CO2- Zusammenarbeit eine wichtigere Rolle spielen könnten. Ausstoß, die Erderwärmung und die Veränderung des globalen Klimas rücken Afrika immer stärker in den Fo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kus geostrategischer Politik. Der aktuelle Bericht der Spätestens seit dem 11. September 2001 rücken fra- Vereinten Nationen über eine mögliche Klimakatastro- gile und instabile Staaten als Rückzugsräume für Terro- phe zeigt deutlich, wie wichtig Afrika auch für das risten und nichtstaatliche Gewaltakteure immer mehr ins Klima in Mitteleuropa ist. Blickfeld sicherheitspolitischer Überlegungen. Wir müs- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sen uns für Frieden und Sicherheit für die Menschen in Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Afrika einsetzen; denn Deutschland hat nicht nur ein hu- Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: manitäres, sondern auch ein großes sicherheitspoliti- Da klatsche sogar ich!) sches Interesse an stabilen politischen Verhältnissen in Afrika. Es liegt weder in unserem noch im afrikanischen (D) (B) – Danke, Frau Kollegin Koczy. Interesse, wenn Gefahren und Bedrohungen, die von un- Darüber hinaus droht Afrika die Gefahr weiterer serem Nachbarkontinent ausgehen, zu Sicherheitsrisiken Wüstenbildung, so die UN. Die fruchtbaren Landstriche führen. am Kap, in Angola, in Simbabwe und in Mosambik Deshalb unterstützen wir ausdrücklich die Strategien könnten sich in den kommenden Jahrzehnten in Halb- zum Aufbau einer afrikanischen Truppe unter dem wüsten verwandeln, damit Lebensgrundlagen entziehen Einsatz der Afrikanischen Union, die dafür sorgen soll, und somit neue Konflikte heraufbeschwören. Migra- dass Afrika bei Krisenherden selbstverantwortlich han- tionsbewegungen größten Ausmaßes wären die Folge. deln kann. Dass Afrika immer wieder in den Fokus energie- und rohstoffhungriger Staaten gerät, beweisen China und die Präsident Dr. Norbert Lammert: USA. Aber auch Deutschland ist ein ressourcenarmes Herr Kollege Fischer, gestatten Sie eine Zwischen- Land und sollte daher ein natürliches Interesse an den frage des Abgeordneten Keskin? mineralischen und energetischen Ressourcen Afrikas haben. Wir müssen die afrikanischen Regierungen unter- Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): stützen, damit der Abbau dieser Ressourcen auf umwelt- Ja, bitte. verträgliche Weise erfolgt und vor allem die Menschen Afrikas davon profitieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Bitte schön, Herr Kollege Keskin. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Hakki Keskin (DIE LINKE): Es kann und darf nicht sein, dass nur wenige Kleptokra- Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe Ihnen aufmerk- ten und unverbesserliche Diktatoren den Nutzen aus dem sam zugehört und dabei den Eindruck gewonnen, dass Abbau, lassen Sie mich sagen: aus dem Raubbau von Sie die Afrikaner selbst für die vorhandenen Probleme, Rohstoffen haben. Schwierigkeiten und Konflikte verantwortlich machen und die alte koloniale Vergangenheit und auch die jet- Die afrikanischen Länder müssen dabei unterstützt zige Einmischung von außen, insbesondere von ehemali- werden, ihre Rohstoffe zertifiziert abzubauen und die gen Kolonialherren, gänzlich ausblenden. Meinen Sie daraus erzielten Gewinne transparent in den jeweiligen nicht, dass auch heute noch die alte koloniale Politik und Staatshaushalt fließen zu lassen. Die positive Vorreiter- die neue mehr oder weniger hegemoniale Politik für 8398 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Hakki Keskin (A) viele der Probleme und Konflikte eine maßgebliche Ver- Heike Hänsel (DIE LINKE): (C) antwortung haben? Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss zuerst etwas zu Ihnen, Frau Müller, sagen. Ich finde es schon ein starkes Stück, dass Sie hier dafür plädieren, Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): ohne eine Zustimmung seitens der sudanesischen Regie- Herr Kollege Keskin, Punkt eins: Ich persönlich bin rung Truppen nach Darfur zu schicken. Das wäre in der Überzeugung, dass die koloniale Vergangenheit eine meinen Augen keine Friedensmission. Das ist eine Aus- große Rolle gespielt hat, weil viele der afrikanischen sage für einen Kriegseinsatz in Darfur. Länder auf die Freiheit nicht vorbereitet waren. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Den Krieg Punkt zwei: Die Rohstoffe in Afrika werden in vielen gibt es schon!) Bereichen für die Afrikaner zum Fluch. Dies ist aus Sie können doch bei so einer komplizierten Situation wie zweierlei Gründen so: einerseits, weil Staaten in der der in Darfur, für deren Bewältigung Sie viel mehr Ak- freien Welt bereit sind, ausgebeutete Rohstoffe aufzu- teure an einen Tisch bekommen müssen, nicht dafür plä- kaufen, und andererseits, weil es in diesen Ländern Des- dieren, jetzt einfach Truppen dorthin zu schicken! Wie poten gibt, die dies nutzen, um von den Korruptionsgel- wollen Sie die Situation dort militärisch lösen? Das finde dern gut zu leben. ich hanebüchen. Deshalb haben wir uns mit der damaligen rot-grünen (Beifall bei der LINKEN) Bundesregierung zum Beispiel gegen diejenigen ge- wandt, die in Deutschland Coltan verarbeitet haben, das Sie als ehemalige Staatsministerin müssten das wissen. im Kongo gefördert wurde. Hier gibt es eine ganz klare Noch zu einem anderen Punkt. Sie haben Recht: Es Linie. Wir unterstützen, um diese Vergangenheit zu be- gibt ein selbstbewusstes modernes Afrika. Aber dass das wältigen und die Rohstofffrage zu lösen, das System erst bei einer Fußball-WM zu finden ist, bezweifle ich. EITI, aber auch mit all unseren Stiftungen den Aufbau Das gibt es bereits. Im Januar fand das Weltsozialforum von Good Governance, weil das die Grundlage dafür ist, zum ersten Mal auf dem afrikanischen Kontinent statt. dass für die Menschen in diesen Ländern etwas getan Mehr als 50 000 Menschen kamen in Nairobi zusam- werden kann. men. Die Menschen dort haben sehr gute Ansätze und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ganz andere Vorstellungen, wie Afrika, wie ihre Länder sich entwickeln sollen, als die, die ich hier gehört habe. Ich glaube, damit ist Ihre Frage beantwortet. Das ist das Afrika, das wir zu Wort kommen lassen müs- sen. Das würde Partnerschaft und Zusammenarbeit auf (B) Ich sehe, dass meine Redezeit – trotz des Anhaltens gleicher Augenhöhe bedeuten. (D) der Uhr für die Beantwortung der Zwischenfrage – abge- laufen ist. Lassen Sie mich trotzdem zur Linken noch (Beifall bei der LINKEN) einmal sagen: Für mich ist es bedrückend, wenn jemand Diese Menschen haben ihre Lebenssituation geschil- – wie Herr Aydin – die Situation im Kongo nicht offen dert, die nun einmal düster ist. Denn trotz der verbesser- und ehrlich darstellt. Wir kennen die Ereignisse – es gab ten ökonomischen Werte, die wir in den letzten Jahren in dreieinhalb Millionen Tote – und wissen, dass die Bun- Afrika verzeichnen, hat sich die Situation für viele Men- deswehr neben der ganzen Zivilorganisation einen ent- schen in den afrikanischen Ländern verschlechtert. Vie- scheidenden Beitrag zur Stabilisierung geleistet hat. len geht es heute schlechter als Anfang der 90er-Jahre. Die Armut hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als ver- (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Sie ha- doppelt. Auch die Zahl der Hungernden ist weltweit wei- ben mich nicht verstanden, Herr Kollege ter gestiegen. Dafür sind in hohem Maße die deutsche Fischer!) und europäische Handelspolitik verantwortlich. Wäh- rend eine Afrikanerin durchschnittlich 8 Dollar Entwick- – Ihre Fraktion hat gegen den Einsatz gestimmt. – Men- lungshilfe im Jahr erhält, wird eine Kuh in Europa mit schen, die vorher in Flüchtlingslagern waren, sind jetzt über 900 Dollar im Jahr subventioniert. wieder in ihren angestammten Bereichen. Sie versuchen, die Situation falsch darzustellen. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Herta Däubler- Gmelin [SPD]: Der Vergleich ist wirklich ab- Eines ist für mich sicher: Der Satz „Keine Hälfte der artig!) Welt kann ohne die andere Hälfte der Welt überleben“, der auf einem Plakat des BMZ steht, muss Prämisse un- – Ja, so zynisch ist unsere Außenpolitik. – Wir müssen seres Handelns sein. aufpassen, wohin die Gelder fließen. Wir subventionie- ren unsere Agrarprodukte. Das geht auf Kosten der Ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wicklungschancen der Menschen in den Ländern des Sü- dens. Präsident Dr. Norbert Lammert: Es ist ein Mythos, dass Handelsliberalisierung den Das Wort erhält nun die Kollegin Heike Hänsel für Entwicklungsländern Wohlstand und Entwicklung die Fraktion Die Linke. bringt. Genauso wenig stimmt es, dass Wachstum per se Arbeitsplätze schafft. Wir sehen im Moment in Europa: (Beifall bei der LINKEN) Trotz Wachstums gehen immer mehr Arbeitsplätze ver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8399

Heike Hänsel (A) loren. Die Hilfsorganisation Christian Aid hat errechnet, Mein letzter Satz. Statt Milliardenbeiträge in die (C) dass die Handelsliberalisierung die afrikanischen Länder Schaffung militärischer Einheiten zur Abwehr von südlich der Sahara in den vergangenen 20 Jahren über Flüchtlingen an Europas Außengrenzen und in den Auf- 270 Milliarden US-Dollar gekostet hat. Zwei Jahrzehnte bau europäischer Interventionstruppen – unter anderem der Liberalisierung haben diese Länder so viel gekostet, auch für Einsätze im Kongo – zu stecken, sollten wir sie wie sie an Entwicklungshilfe erhalten haben. Wären in die Umstellung des europaweiten Energiesystems auf diese Länder nicht zur Liberalisierung gezwungen wor- regenerative Energien und gleichzeitig in den Aufbau den, um Schuldenerlass und Kredite zu erhalten, hätten dezentraler alternativer Energiesysteme in den afrikani- sie genug Geld gehabt, um jedes Kind impfen zu lassen schen Ländern investieren. Dies wäre für mich eine Afri- und jedem Kind den Schulbesuch zu ermöglichen. kapolitik auf der Höhe des 21. Jahrhunderts. (Beifall bei der LINKEN) Danke. Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Drit- (Beifall bei der LINKEN) ten Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Nächste Rednerin ist die Kollegin Ute Koczy, Frak- Das schreibt der UN-Sonderberichterstatter für Nah- tion des Bündnisses 90/Die Grünen. rung, Jean Ziegler, in seinem Buch „Das Imperium der Schande“. Doch die EU arbeitet schon an neuen Libera- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lisierungs- und Marktöffnungsvorhaben. Bekannt sind Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen die Verhandlungen über die EPAs. Es ist ganz klar, dass und Kollegen! Ich halte es für eine Schande und Bla- es hierbei um eine Senkung der Zölle und um eine wei- mage für die internationale Gemeinschaft, dass es nicht tere Öffnung der Märkte geht, und zwar nicht nur für In- gelingt, die Menschen in Darfur vor der Ermordung, vor dustrie- und Agrarprodukte der EU, sondern auch für dem Völkermord und vor Ihrer eigenen Regierung zu Investitionen, Dienstleistungen und das Beschaffungs- schützen. Ich hoffe, dass die Worte Kofi Annans nicht wesen. ungehört verhallen. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, Das hätte katastrophale Folgen für all die lokalen dass wir eine Verantwortung haben. Es ist sehr bedauer- Märkte in den afrikanischen Ländern und für die regio- lich, dass man hier nicht weiterkommt. nale Integration. Es hätte auch sehr negative Auswirkun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gen auf die Umwelt, weil dann viele Staaten gezwungen wären, ihre Rohstoffexporte zu erhöhen – zum Beispiel Es ist sicherlich vermessen, mal eben in 5 Minuten (B) den Export von Öl oder Tropenholz –, um die fehlenden die ganze Bandbreite einer modernen Entwicklungspoli- (D) Zolleinnahmen zu kompensieren. tik in, für und mit Afrika darzustellen. Was haben Län- der wie Südafrika und Ägypten oder Nigeria und Bu- Frau Wieczorek-Zeul, auch die Situation der Frauen rundi gemeinsam? Dennoch halte ich ein Plädoyer für würde sich dadurch sehr verschlechtern, weil davon ins- die Vertiefung der Beziehungen zu Afrika, weil wir mit besondere lokale Händlerinnen und Bäuerinnen betrof- diesem Kontinent stärker verbunden sind, als uns ge- fen wären. Insofern kann ich nur an uns alle appellieren: meinhin bewusst ist. Unterstützen wir die Forderungen der sozialen Bewe- gungen in den afrikanischen Ländern, stoppen wir die Im Jahr der deutschen Doppelpräsidentschaft geht es EPA-Verhandlungen und schreiben wir ein neues Man- uns Grünen darum, unsere Afrikastrategie mit Leben zu dat aus! füllen. Deswegen haben wir unseren Antrag mit dem Titel „Afrika auf dem Weg zu Demokratie und nachhalti- Das gilt übrigens auch im Hinblick auf die Kriege ger Entwicklung unterstützen“ eingebracht. und Krisen in den afrikanischen Ländern. Die Poten- Afrikapolitik vollzieht sich heute in einem grundle- ziale der Bevölkerung werden ausgeblendet. Stattdessen gend veränderten Umfeld. Den afrikanischen Staaten wollen wir von außen immer stärker militärisch interve- stehen neue Optionen zur Verfügung. Vor allem China nieren. Ich frage mich: Wie soll eine afrikanische Sicher- zeigt uns, dass wir Europäerinnen und Europäer in heitsarchitektur ohne die aktive Beteiligung der Zivilbe- Afrika auch wegen unseres Desinteresses an Boden ver- völkerung aussehen? Es gibt dort enorme Potenziale. Sie loren haben. Nicht zuletzt die USA vertiefen ihre Ko- werden aber nicht einbezogen. operation mit afrikanischen Ländern. Der Hintergrund Herr Steinmeier, in diesem Zusammenhang würde ist offensichtlich: Es geht um die Schätze Afrikas, um mich interessieren: Was sagen Sie eigentlich zu Öl, Gold, Coltan und Kobalt – Rohstoffe, die für unser AFRICOM, der neuen Kommandozentrale der US-Ame- tägliches Leben eine Rolle spielen. Ich sage es zuge- rikaner in Stuttgart, die dazu dient, neue militärische In- spitzt: Es gilt aus Interesse an Frieden und Gerechtigkeit terventionen in diesen Ländern zu koordinieren? In mei- zu verhindern, dass Afrika erneut als Beutekontinent an- nen Augen ist diese Entwicklung falsch. Wir brauchen gesehen wird und seine Reichtümer aufgeteilt werden. eine Stärkung der Zivilbevölkerung. Nur so können wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf die Krisen und Konflikte in diesen Ländern eine nachhaltige Antwort geben. Wir können vor hier aus dazu beitragen, Afrika mit neuen Chancen zum Durchbruch zu verhelfen. Deswe- (Beifall bei der LINKEN) gen muss die Bundesregierung, muss die EU mit den 8400 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Ute Koczy (A) afrikanischen Staaten, aber auch mit China, Indien und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) den USA viel stärker darum ringen, sich zu Best sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Practices und internationalen Standards zu bekennen. SPD und der FDP) Der Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft muss Sie sind das Rückgrat Afrikas. Aus Zeitstudien in Benin, gemeinsam und gezielt geführt werden. Die von China Madagaskar, Mauritius und Südafrika geht hervor, dass verfolgte Nichteinmischung in innere Angelegenheiten die Frauen pro Tag bis zu sieben Stunden länger beschäf- hat – das muss man ganz deutlich sagen – eine gefährli- tigt sind als die Männer. Der schöne Ausdruck „faire la che Schlagseite: Sie gefährdet den sozialen Frieden. natte“ – übersetzt: sich auf die Matte legen, dem Müßig- Wenn China und Indien eine größere Bedeutung als gang frönen –, den ich im Tschad kennengelernt habe, weltpolitische Akteure erlangen, müssen sie auch in bringt dieses bizarre Ungleichgewicht auf den Punkt. Haftung genommen werden für Entwicklungen, die de- Diese sozialen und kulturellen Normen, die die Arbeits- stabilisieren und zerstören. teilung im Haushalt festlegen, führen zu einer eklatanten (Beifall der Abg. Marina Schuster [FDP]) Benachteiligung der Frauen. Sie gefährden den Frieden in Afrika, sie gefährden die Zukunft. Ich bin der Mei- Die Gleichzeitigkeit von ökonomischen und demo- nung, dass wir uns in diesem Bereich weitaus mehr en- kratischen Fortschritten auf der einen Seite und Krisen gagieren müssen, als wir es bisher getan haben. und Katastrophen auf der anderen Seite kennzeichnen Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. afrikanische Wirklichkeiten. Es ist schon gesagt worden: In fast einem Dutzend afrikanischer Staaten stehen Wah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len an, die mehr oder weniger demokratisch ablaufen. Das Wirtschaftswachstum beträgt in vielen afrikani- Präsident Dr. Norbert Lammert: schen Staaten nun schon im vierten Jahr in Folge mehr Das Wort hat nun die Kollegin Dr. Herta Däubler- als 5 Prozent. Gerade im Rohstoffsektor steigen die In- Gmelin, SPD-Fraktion. vestitionen. Es gibt eine innerafrikanische Reformorien- tierung im Rahmen von NEPAD. Die Initiative zur Ent- Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): schuldung der ärmsten Länder ermöglicht Fortschritte. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Aber es gibt auch andere afrikanische Wirklichkeiten hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Gele- – auch sie sind heute schon benannt worden –: Afrika ist genheit, über Afrika zu reden. Heute behandeln wir die- die einzige Region auf dieser Erde, in der die Zahl der ses Thema erneut. Hungernden immer noch steigt, in der immer noch so Ich denke aber, dass wir heute keine Wiederholungs- (B) viele Menschen an Unterernährung leiden. Es ist eine debatte führen, weil es zwei bemerkenswerte Neuerun- (D) Schande, dass es uns nicht gelingt, in den ländlichen gen gibt: Erstens – das wurde schon mehrfach erwähnt – Räumen Fortschritte zu erreichen. hat Deutschland zurzeit die Präsidentschaften innerhalb der Europäischen Union und der G8. Das verpflichtet zu (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ einer Schwerpunktpolitik gegenüber Afrika. DIE GRÜNEN) Die zweite Neuerung ist, dass der Deutsche Bundes- Ich will weitere Stichwörter nennen: Kindersterblichkeit, tag mit den vorliegenden Anträgen die Afrikapolitik Lebenserwartung, HIV/Aids, Genitalverstümmelung, nicht nur begleitet, sondern in der Tat inhaltlich in seine Brustbügeln in Kamerun, eine weitere Misshandlung Arbeit mit aufnimmt. Ein Blick in die Anträge zeigt, von Frauen, die in patriarchalen Strukturen leben, von dass bei allen Unterschieden, liebe Frau Hänsel, und bei der wir erfahren haben. Wir wissen inzwischen, dass wir allen Vorwürfen doch sehr viele Gemeinsamkeiten vor- die Millenniumsziele, wenn die Umsetzung in dem handen sind. Zum einen wächst das Engagement für Tempo fortgesetzt wird, wahrscheinlich nicht erreichen Afrika. Das ist zu begrüßen. Zum anderen stellen wir werden. Und dann sind da noch der Klimawandel und fest, dass von niemandem in diesem Haus in irgendeiner die Perspektivlosigkeit. Weise kritisiert wurde, dass Afrika Partner der Politik sein soll. Deswegen geht es darum, dass wir auf die Dinge, die wir beeinflussen können, Einfluss nehmen. Ich möchte (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des darauf hinweisen, dass es nicht nur darum geht, von un- Abg. Hartmut Koschyk [CDU/CSU]) serer Seite aus etwas zu tun. Wir müssen uns mit den Das ist in der Tat neu. Wenn man das ernst meint afrikanischen Ländern, mit den Staatsführern, mit den – wir werden sicherlich noch daran arbeiten müssen –, örtlichen Wirtschaftseliten zusammentun und etwas ge- dann heißt das, dass sich einige, die in diesem Hause ge- stalten. Es braucht aber auch Lösungen von unten: Wir redet haben, aber auch viele, die sich in der Öffentlich- müssen die Organisationen afrikanischer Bäuerinnen, keit zu Afrika äußern, von manchen Klischees verab- die Frauen, die Handwerker und andere zivilgesell- schieden müssen. schaftliche Akteure unterstützen, damit sie bei wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsfragen stär- Es ist in der Tat richtig – darin stimme ich dem Kolle- ker mitreden können. gen Fischer ausdrücklich zu –, dass Afrika unter den drei Ks – Krieg, Krisen und Katastrophen – zu leiden hat. Doch all das wird nicht viel bringen, wenn wir nicht Afrika ist aber nicht nur der Kontinent der drei Ks, auch die Rechte der Frauen stärken. wenn das sensationsträchtig sein mag. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8401

Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der schaft mit dem Kontinent Europa in Zukunft durch Frie- (C) CDU/CSU) den und Gemeinsamkeit geprägt werden kann. Afrika eignet sich überhaupt nicht als Objekt der Ag- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gression gegen die deutsche oder europäische Politik, der CDU/CSU) liebe Frau Hänsel. Das ist falsch. Ich meine auch – um auf die Kultur zurückzukom- (Widerspruch der Abg. Heike Hänsel [DIE men –, dass wir Nobelpreisträger wie Wole Soyinka end- LINKE]) lich mit einer größeren Selbstverständlichkeit zur Kennt- nis nehmen sollten, übrigens nicht nur in dem, was er Sie haben zwar recht, dass vieles dringend geändert wer- iterarisch geschrieben hat, sondern auch dann, wenn er den muss. Manches ist in der Tat zynisch. Aber den Ver- das wiederholt, was Kofi Annan nicht müde wird, immer gleich der Subventionierung einer Afrikanerin mit der wieder zu sagen. Es gibt zwar unendlich viele Analysen einer Kuh finde ich nicht nur unangemessen, sondern er und Beschreibungen von einzelnen Bereichen und Pro- ist auch in der Sache falsch, weil – wie alle, die sich mit blemen, auch von Lösungswegen zu Afrika; daran diesen Fragen beschäftigen, wissen – die vorhandenen herrscht kein Mangel. Aber was wir brauchen, ist eine Unterstützungsgelder zum Teil nicht abließen können. partnerschaftliche Politik im Hinblick auf Afrika, die zu Denn die Fortschritte beim Empowerment und die Un- einer Umsetzung führt. Hier geht es um die Frage des terstützung bei der Institutionenbildung sind noch nicht „deliver“, wie es Kofi Annan in seiner letzten Rede aus- so weit gediehen, wie sie sollten. gedrückt hat; das ist das Entscheidende. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Wir sollten aber auch vermeiden, Afrika in erster GRÜNEN) Linie nur noch als Ressourcenlieferanten zu betrachten. Wenn man die Politik der Bundesregierung unvorein- Afrika sollte auch nicht mehr als Objekt unserer Für- genommen betrachtet, dann kann man sie genau so loben sorge missverstanden werden, sei sie auch noch so gut wie die der Europäischen Union. Es gibt viele Pläne, gemeint. Afrika entspricht aber auch nicht dem Bild, das Lösungswege und Unterstützungsprojekte zur Armuts-, in den letzten Monaten und Jahren in den Medien ge- Hunger- und Krankheitsbekämpfung, zum Schulden- zeichnet wird. Auf der einen Seite stelle ich mit Freude abbau, zur Bekämpfung der Korruption sowie zur fest, dass die Berichterstattung über Afrika zugenom- Durchsetzung der Menschenrechte und von Good men hat. Auf der anderen Seite beunruhigt mich aber ge- Governance. Es kommt aber nun darauf an – das ist auch legentlich, dass der Anteil ziemlich schmalziger Home- Aufgabe des Parlaments –, dass wir der Umsetzung zu- (B) storys mit vermeintlich afrikanischem Lokalkolorit (D) nehmend mehr Kraft verleihen und Schwerpunkte set- überwiegt. zen; denn wir können nicht alles auf einmal machen. Was ich vermisse und was in den kommenden Mona- Lassen Sie mich zwei Bereiche nennen, die in dem ten unserer vertieften Befassung mit Afrika deutlicher Antrag der Großen Koalition aufgeführt sind und die ich zum Ausdruck kommen sollte, ist, dass wir mehr von der für das kommende halbe Jahr für besonders wichtig Vielfalt und Kultur Afrikas, der afrikanischen Dynamik halte. Erstens. Wir können die Zusammenarbeit mit und den Persönlichkeiten zur Kenntnis nehmen, die unseren Partnerparlamenten in Afrika verstärken. nicht nur uns, sondern der ganzen Welt viel zu geben ha- Wenn wir hier Fortschritte erreichen, dann tun wir viel ben. für Transparenz, Good Governance, Kontrolle, Partizi- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ pation und Demokratie. Lassen Sie uns das bitte stärker CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- in unsere Überlegungen einbeziehen. NEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Manches ist heute schon angesprochen worden. Ich der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- will noch das eine oder andere ergänzen. Die Zahl der SES 90/DIE GRÜNEN) Bevölkerung Afrikas entspricht heute der der 46 Mit- Zweitens. Im Zusammenhang mit der notwendigen gliedsländer des Europarats. Morgen wird das anders und richtigen militärischen Unterstützung für die Wah- sein, weil allein in den drei Ländern Uganda, Kenia und len im Kongo als Begleitprozess haben wir gesehen, Tansania – das wurde bereits erwähnt –, die ein beträcht- dass wir nicht allein oder schwerpunktmäßig Peacekee- liches Veränderungspotenzial haben und dies auch nut- ping betreiben oder militärische Einsätze durchführen zen, mehr als 40 Prozent – zum Teil mehr als 50 Pro- dürfen. Vielmehr müssen wir Peacebuilding, das heißt zent – der Bevölkerung jünger als 15 Jahre sind. Wir Institutionbuilding betreiben, bevor Institutionen zusam- können uns keine Vorstellung davon machen, welche menbrechen. Wir müssen in dem Moment fördernd ein- Veränderungsmöglichkeiten das mit sich bringt. greifen, in dem tatsächlich Möglichkeiten für die Ent- Ich glaube, dass Bischof Tutu, dessen moralische Au- wicklung von Demokratie und Gemeinsamkeiten entste- torität wir alle nur bewundern können, völlig recht hat, hen. wenn er von Afrika nicht mehr von einem schlafenden, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sondern von einem erwachenden Riesen spricht, der auf den verschiedenen Feldern eine Menge dazu beizutragen Dieses Peacebuilding liegt mir sehr am Herzen. Manch- hat, dass das Leben auf unserer Erde und die Nachbar- mal habe ich in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass 8402 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Herta Däubler-Gmelin (A) wir viel leichter Geld für militärische Einsätze – welcher Abstimmung mit den afrikanischen Partnern ein. Eine (C) Art auch immer – bekommen als für Peacebuilding bzw. Grundkonstante dabei ist die Einbindung Deutschlands Institution-Building, das so wichtig für Empowerment in die Politik der Europäischen Union. Daher fordere ich ist. eine noch engere Abstimmung der Vorgehensweisen der europäischen Partner in Bezug auf eine gemeinsame (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Afrikapolitik. Die deutsche Ratspräsidentschaft und der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vorsitz in der G 8 – das wissen wir inzwischen, auch Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen, den die nach den Reden heute Morgen – geben uns dazu eine Bundesministerin angesprochen hat und der so wichtig hervorragende Gelegenheit. Das gestärkte deutsche Inte- ist, dass er auf dem Afrikagipfel und dem G-8-Gipfel be- resse an einer guten Entwicklung in Afrika und einem sprochen werden sollte. Das ist die wirklich üble Ent- partnerschaftlichen Miteinander steht auf breitem Fun- wicklung des Braindrains. Wir alle sind zwar für afrika- dament. nisches Empowerment und leisten viel Unterstützung. Aber das nutzt nichts, wenn Ärzte und andere Spezialis- (Beifall bei der CDU/CSU) ten nach ihrer Ausbildung in Afrika – davon berichten Dieses zeigt sich ganz besonders in dem Engagement Kolleginnen und Kollegen, egal aus welchem afrikani- unserer Regierung, zum Beispiel auch in der Planung schen Land, immer wieder – meistens von englischspra- unserer Bundeskanzlerin, Ende dieses Jahres nach chigen, aber auch von französischsprachigen Ländern Afrika zu fahren. abgeworben werden. Dagegen können und sollten die EU- und die G-8-Länder etwas tun. (Zuruf der Abg. Kerstin Müller [Köln] (Beifall bei der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Lassen Sie mich abschließend sagen: Partnerschaftli- – Frau Müller, Sie meinten vorhin etwas anderes. che Politik mit und für Afrika ist Sache nicht nur dieses Grundlage unseres Handelns sind der G-8-Aktions- Parlaments, sondern auch der Menschen – und zwar in plan für Afrika und die EU-Afrikastrategie. Im Rahmen zunehmendem Maße –, die sich zusammen mit partner- seiner internationalen Bündnisse und Verpflichtungen ist schaftlichen Organisationen in unseren Gemeinden und Deutschland in den letzten Jahren zu einem aktiven und Regionen für Afrika einsetzen und hier ein unglaublich wichtigen Protagonisten der internationalen Afrika- großes Engagement an den Tag legen. politik geworden. Wir haben uns internationalen Missio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen nicht entzogen, und wir werden uns in Zukunft inter- nationalen Missionen nicht entziehen. Wir werden Es sind nicht nur die großen Hilfsorganisationen, son- (B) weiterhin im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv Ver- (D) dern auch die partnerschaftlichen Organisationen, die antwortung für Frieden und eine gute Entwicklung in zusammen mit den Menschen gegen Aids, Armut und Afrika übernehmen. Dazu gehört auch, die Afrikanische Hunger kämpfen sowie für Frauen und Kinder streiten. Union zu unterstützen. Dabei geht es um ihre Bemühun- Ihnen sollten wir nicht nur Dank sagen, sondern auch gen und Projekte für Frieden und eine stabile Entwick- unsere Unterstützung zusichern. lung in Afrika. Im internationalen Dialog vom Prinzip Herzlichen Dank. und der Forderung nach guter Regierungsführung, also nach Good Governance, abzurücken, wäre unverständ- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten lich und auch unverantwortlich. der CDU/CSU) Auf einem Kontinent, auf dem in den vergangenen Präsident Dr. Norbert Lammert: Jahren noch Millionen von Menschen durch Krieg und Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist Gewalt vertrieben und getötet worden sind, müssen Frie- die Kollegin Anke Eymer, CDU/CSU-Fraktion. den und Sicherheit vorrangige Ziele jeder Bestrebung sein. Eine erfolgreiche Sicherheits- und Friedenspolitik (Beifall bei der CDU/CSU) braucht starke afrikanische Partnerstaaten. Dazu gehört sinnvollerweise, regionale afrikanische Kapazitäten zur Anke Eymer (Lübeck) (CDU/CSU): Konfliktbewältigung und zur Konfliktprävention auszu- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten weiten und zu unterstützen. Das betrifft auch das Pro- Damen und Herren! Die außenpolitische Diskussion und blem der Migration, sowohl der Binnenvertriebenen in die internationale Wahrnehmung haben sich in den ver- Afrika als auch jener Flüchtlinge, die unter Lebensge- gangenen Jahren vermehrt der Themen des afrikanischen fahr versuchen, nach Europa zu kommen. Es ist sicher- Kontinents angenommen. Wir wissen: Afrika ist kein lich keine Lösung, die Kriterien der deutschen Asylpoli- Rand- und auch kein Sonderthema. Dementsprechend tik im großen Stil aufzuweichen. nimmt Afrika auch in der deutschen Außenpolitik eine wichtige Position ein. Der vorliegende Antrag der Koali- (Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr gut!) tion ist ein adäquater Ausdruck dafür. Wer vorgibt, mit solchen unrealistischen und unrealisier- Eingedenk der Geschichte Afrikas und Europas muss baren Mitteln Probleme in Afrika lösen zu wollen, die Ziel all unserer Bestrebungen sein, Afrika zu einem Pro- vorrangig durch Prävention vor Ort zu lösen sind, der dukt der Afrikaner werden zu lassen. Wir setzen uns auf bietet uns nur eine unverantwortliche Grimm’sche Mär- allen Ebenen für eine gleichberechtigte Politik in enger chenstunde. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8403

Anke Eymer (Lübeck) (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. schen Länder interessieren, also mit Ländern wie China (C) Walter Kolbow [SPD]) und Indien. Ziel des Dialogs mit diesen neuen Akteuren muss es sein, dass vor allem eine chinesische Darlehens- Sicherheit betrifft auch die Frage nach dem internatio- und Investitionspolitik und ein chinesisches Interesse an nalen Terrorismus. Das ist die Frage, inwieweit religiöse den afrikanischen Rohstoffen nicht zu einer Einbahn- Fundamentalisten in Afrika in jenen Bereichen Fuß fas- straße für die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika wer- sen, die durch staatliche Strukturen nicht mehr kontrol- den. liert werden. Der interreligiöse und der interkulturelle Dialog sind in diesem Zusammenhang eine wichtige (Beifall bei der CDU/CSU) Aufgabe. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist In dem vorliegenden Antrag der Koalition wird die nicht nur für eine intellektuelle Elite fruchtbar. Elite ist Bedeutung Afrikas als Wirtschaftspartner, im Bereich wichtig und muss auch gefördert und gehört werden. Ich Demokratisierung und Konflikteindämmung und bei möchte an dieser Stelle auf die Arbeiten der Universität Fragen der internationalen Sicherheit und der Terroris- Fort Hare hinweisen. Das ist eine Universität, die für musbekämpfung deutlich. Daher bitte ich Sie, den An- zahlreiche afrikanische Politiker der Ausgangspunkt war trag der Koalition zu unterstützen. und ist. Kultureller Austausch und Präsenz helfen, auf breiter Ebene Missverständnisse abzubauen. Hier ist Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. auch die Arbeit der zahlreichen Stiftungen und die Ar- beit des Goethe-Instituts zu nennen. Wir müssen dafür (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sorge tragen, dass in Zukunft ausreichend Mittel für neten der SPD) diese Arbeit bereitstehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Mit besonderem Dank an die letzte Rednerin, die Was den Bereich der menschlichen Entwicklung an- jedenfalls einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung geht, möchte ich einen Punkt herausstreichen – er wurde der ursprünglich vereinbarten Redezeit geleistet hat, im Laufe dieser Debatte schon angeführt –: die Bedro- schließe ich diese Debatte. hung durch Pandemien wie HIV und Aids, die eine be- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen sondere Gefährdung darstellen. Afrika ist von HIV und auf den Drucksachen 16/4414, 16/4425 und 16/4410 an Aids besonders stark betroffen, und es ist auf internatio- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- nale Hilfe angewiesen. Diese Hilfe muss die Versorgung schlagen. Sind Sie damit einverstanden? der Betroffenen mit modernen Medikamenten sicherstel- len. Aber das Bewusstsein mancher Verantwortlicher in (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Jawohl, (B) Afrika, ja selbst das Anerkennen, dass es HIV und Aids Herr Präsident!) (D) gibt, ist leider nicht immer gegeben. – Das wollte ich doch hören. – Dann ist das damit so be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schlossen. Wie dringend der Handlungsbedarf hier ist, muss nicht Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf: weiter unterstrichen werden. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Zu diesem Thema gehört die besondere Rolle der richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Frauen und Mädchen; denn sie sind von HIV und Aids nologie (9. Ausschuss) stärker betroffen. Auch in diesem Bereich ist die Stär- – zu dem Antrag der Abgeordneten Gudrun kung der Position der Frauen und Mädchen dringend Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, notwendig. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Der große Afrikaner und ehemalige Präsident von FDP Südafrika, Nelson Mandela – er ist im Laufe dieser De- Ordnungspolitischer Kompass für die deut- batte leider noch nicht erwähnt worden –, hat hierzu eine sche Energiepolitik einfache Wahrheit ausgesprochen – ich zitiere –: – zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Wir müssen diese Krankheit beherrschen, sonst Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Eva Bulling-Schröter, werden wir von ihr beherrscht. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Mandela ruft damit gleichzeitig alle Verantwortlichen LINKEN auf, in dem Kampf gegen die Ausbreitung und in der Die zukünftige Energieversorgung sozial Sorge um die Betroffenen nicht nachzulassen. und ökologisch gestalten Deutsche Interessen in Afrika sind natürlich auch – Drucksachen 16/589, 16/1082, 16/3582 – wirtschaftlicher Natur. Die Rohstoffe gehören den afri- kanischen Bevölkerungen, die am Gewinn fair beteiligt Berichterstattung: werden müssen. Aber auch der Aufbau dauerhafter sta- Abgeordneter Rolf Hempelmann biler Wirtschaftsstrukturen, die nicht nur auf Rohstoffab- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- bau ausgerichtet sein dürfen, gehört dazu. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Ebenso wichtig ist der Dialog mit den neuen interna- nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- tionalen Akteuren, die sich verstärkt für die afrikani- ordneten Gudrun Kopp, Martin Zeil, Christian 8404 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion etwas weniger, aber auch einer der dominierenden Be- (C) der FDP standteile. Bundeskartellamt stärken – Ausgewogene Zum Zweiten ist das natürliche Monopol der Netze zu Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten nennen, was mit den Netzkosten zu Buche schlägt. Im Haushaltsbereich sind dies 35 Prozent. Allein durch – Drucksachen 16/1678, 16/4076 – diese beiden Faktoren sind dort fast 75 Prozent, also drei Berichterstattung: Viertel der Kosten determiniert. Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer Zum Dritten ist das der Wettbewerbsbereich, Strom- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- und Gasbezug inklusive Erzeugung und Vertrieb. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- Wie sind wir hier ordnungspolitisch bereits zu Werke nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- gegangen? Wir haben schon im Koalitionsvertrag festge- ordneten Hans-Kurt Hill, Eva Bulling-Schröter, halten, dass wir die Erhöhungsorgie beenden, die wir bei Lutz Heilmann, weiterer Abgeordneter und der Abgaben und Steuern in den sieben Jahren von Rot- Fraktion der LINKEN Grün erlebt haben. Nach einem Anstieg von 2 auf über Energiepreiskontrolle sicherstellen 13 Milliarden Euro staatlich administrierter Abgabenbe- lastung pro Jahr haben wir gesagt: Das Ende der Belas- – Drucksachen 16/2505, 16/3585 – tung ist erreicht. Berichterstattung: Was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Indus- Abgeordneter Dr. Joachim Pfeiffer trie, insbesondere der energieintensiven Industrie, anbe- langt, so haben wir im letzten Jahr mit der Härtefallrege- Die Fraktionen haben vereinbart, dass die Aussprache lung beim EEG die energieintensiven Industrien um über eine Dreiviertelstunde dauern soll. – Ich höre dazu kei- 80 Millionen Euro entlastet. Zur Sicherung der Wettbe- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. werbsfähigkeit deutscher Unternehmen haben wir wei- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu- terhin ganze Branchen im energieintensiven Bereich von nächst dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/ der Strom- und Mineralölsteuer – EU-konform! – befreit CSU-Fraktion. und so weitere 60 Millionen Euro wettbewerbsfördernd eingesetzt. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (B) ren! Wir debattieren heute eine ganze Reihe von energie- Was das natürliche Monopol der Netze angeht, also (D) politischen Anträgen und Vorstellungen der Opposi- den zweiten Bereich, leistet die Bundesnetzagentur gute tionsfraktionen. Das Ganze gipfelt darin, dass ein Arbeit. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz, das wir noch ordnungspolitischer Kompass auch in der Energiepolitik zu Ende der letzten Legislaturperiode gemeinsam im eingefordert wird. Ich will gern versuchen, Ihnen darzu- Vermittlungsausschuss verabschiedet haben, haben wir legen, dass die Union und diese Bundesregierung einen die Grundlage dafür gelegt. Diese Arbeit trägt jetzt erst- ordnungspolitischen Kompass in der Tasche haben, an mals Früchte. Gerade diese Woche hat die Bundesnetz- dem sich auch ihre alltägliche politische Arbeit ausrich- agentur veröffentlicht, dass Haushalte und Wirtschaft tet. gleichermaßen im letzten Jahr um 2,8 Milliarden Euro entlastet worden sind, nämlich dadurch, dass Erhöhun- Dies kann man von den Anträgen, die von den Oppo- gen der Netzentgelte nicht genehmigt bzw. Netzentgelte sitionsparteien gestellt werden, allerdings nicht immer gesenkt worden sind. In diesem Bereich des natürlichen behaupten. Wenn ich hier nur einmal die Anträge der Monopols, wo der Markt bisher nicht funktioniert, wo Linken betrachte – beispielsweise bringen Sie die Forde- Marktversagen vorliegt, sparen wir mit unserem Ansatz rung nach Verstaatlichung der Netze, die wir nächste der kostenorientierten Ex-ante-Regulierung 2006 und Woche diskutieren, aufs Tapet –, dann muss ich leider 2007 und übergangsweise, modifiziert, 2008 2,8 Milliar- feststellen, dass Sie in dieser Frage jegliche ordnungs- den Euro ein. politische Grundorientierung verloren haben. Auch bei manch anderem haben wir den Eindruck, dass Sie (Beifall bei der CDU/CSU) manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen oder Es gibt Prognosen, die besagen – ich will nicht zu op- zumindest partiell desorientiert sind. timistisch sein, aber ich denke, dass dies durchaus realis- Wie ist die Lage, und wie ist unser ordnungspoliti- tisch ist –: Ausgehend von den etwas über 23 Milliarden scher Kompass in der täglichen Arbeit und Umsetzung Euro Netzentgelten im Strombereich – so viel waren es in der Energiepolitik? Ich will beim Thema „Strom und im Jahr 2006 – schaffen wir mit den Maßnahmen, die Gas“ beginnen. Dort sind es im Wesentlichen drei Fakto- jetzt in Gang gesetzt worden sind, nicht nur eine Stabili- ren, die die Preise und die Entwicklung beeinflussen. sierung. Über die Anreizregulierung eröffnen wir, ganz geplant, einen Erlöspfad nach unten, sodass wir in fünf, Zum Ersten sind das die staatlich administrierten sechs, sieben Jahren im Ergebnis vielleicht bei 17 oder Steuern und Abgaben, die bei den Preisen für Haushalts- 18 Milliarden Euro Netzentgelte liegen werden. Das strom mittlerweile über 40 Prozent ausmachen; beim heißt: nicht nur Stabilisierung, keine weiteren Erhöhun- Gas und auch beim Industrie- und Gewerbestrom ist das gen, sondern sogar sinkende Netznutzungsentgelte. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8405

Dr. Joachim Pfeiffer (A) Beim Netzzugang werden wir parallel Maßnahmen tref- Haushalt für den Vermieter und den Mieter gleicherma- (C) fen – hier seien nur die Netzzugangsverordnung und an- ßen, sodass der Handwerker aus der Schwarzarbeit he- dere Dinge mehr erwähnt –, und das wird Wirkung beim rauskommt – ein Beitrag in Höhe von 0,5 Prozent bis Wettbewerb zeigen. 0,7 Prozent zum letztjährigen Wachstum des Bruttoin- landsprodukts. Auch dies war durch diese klare ord- Auch hier haben wir also eine klare ordnungspoliti- nungspolitische Orientierung möglich. sche Grundorientierung, die sich jetzt auszahlt. Auch im Wärmemarkt haben wir mit einem Anreiz- Im Bereich der Anreizregulierung werden wir diesen programm, das wir ausgedehnt haben, auf den Markt ge- Erlöspfad nach unten in den nächsten Wochen und Mo- setzt und Erfolge erzielt. Nur zwei Stichwörter: Pellets- naten nicht nur konkretisieren – die Eckpunkte liegen ja heizungen und Wärmepumpen. Der Absatz hat sich im vor –, sondern wir werden auch sicherstellen, dass die letzten Jahr mehr als verdoppelt. Wir sind hier ohne Investitionen in die Netze auch zukünftig sichergestellt staatlich-dirigistische Maßnahmen, Vorgaben und Vor- werden. Mit dieser Anreiz- und einer Qualitätsregulie- schriften weitergekommen. Dies gilt auch im Bereich rung werden wir unseren hohen deutschen Standard, der der alternativen Kraftstoffe. Als letztes Stichwort sei nur einmalig in Europa und in der Welt ist, dauerhaft etablie- noch die technologieoffene Quote genannt. ren, gleichzeitig aber auch die genannten Einsparungen erzielen. So weit zum Netzbereich. Sie sehen also, dass wir nicht nur eine klare theoreti- sche Orientierung, sondern auch ein in sich stimmiges Der dritte Bereich ist der Wettbewerbsbereich, Energiegesamtkonzept haben, das den Strom, das Gas, Strom- und Gasbezug sowie Erzeugung und Vertrieb. das Klima, die Treibstoffe, den Verkehr und die Gebäude Hier gibt es eigentlich seit 1998 einen Wettbewerb. Wir gleichermaßen umfasst. Wir setzen dieses beharrlich müssen aber leider übereinstimmend feststellen, dass Schritt für Schritt um. dieser Wettbewerb nur eingeschränkt funktioniert, weil es marktbeherrschende Stellungen der großen vier Unter- Wir laden alle Fraktionen des Hauses herzlich dazu nehmen in diesem Bereich gibt, die heute mit 80 Prozent ein, sich konstruktiv daran zu beteiligen, damit in diesem bis 90 Prozent – je nach Definition – bei der Erzeugung Bereich zukünftig auch etwas Licht auf Ihre Aktivitäten von Strom dominieren. In nächster Zeit werden wir mit und nicht nur auf die der Regierung und der Großen Ko- der GWB-Novelle und auch mit anderen Maßnahmen alition fällt. – zum Beispiel mit der Kraftwerksanschlussverordnung und anderen Dingen mehr – den Wettbewerb anregen und Präsident Dr. Norbert Lammert: intensivieren, da es unsere Aufgabe ist, den Wettbewerb Herr Kollege. in diesem Bereich zu erhalten, den wir uns wünschen, da- (B) mit mittelfristig die entsprechenden Wirkungen entfaltet (D) werden können. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Es ist nämlich in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Sie sehen: Dies ist ein durchdachtes Konzept, mit Aufgabe. Wir würden uns freuen, wenn Sie alle zukünf- dem in den einzelnen Feldern die richtigen Instrumente tig konstruktiv mitmachen. Dann könnten wir uns nächs- genutzt und die richtigen Stellschrauben in die richtige tes Jahr um diese Zeit wiederum über eine klare ord- Richtung gedreht werden. nungspolitische Debatte freuen. Wir sind aber nicht nur im Strom- und Gasbereich In diesem Sinne denke ich, dass wir auf dem richtigen ordnungspolitisch klar verankert und orientiert; das gilt Weg sind. Ich lade Sie alle ein, mitzumachen. auch für andere Bereiche. Auch in dieser Debatte will ich das Auslaufen der Dauersubventionierung im Stein- (Dr. Rainer Wend [SPD]: Glückauf!) kohlebergbau ansprechen. Während es den Grünen un- – Genau: Glückauf! ter Rot-Grün in sieben Jahren nicht gelungen ist, ist es der Union zusammen mit der SPD in einem Jahr der (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Großen Koalition gelungen, die Dauersubventionierung Abgeordneten der SPD) im Steinkohlebergbau zu beenden und stattdessen in die Zukunft zu investieren. Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Josef Fell Das Wort hat nun die Kollegin Gudrun Kopp, FDP- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sind Fraktion. Sie wieder umgefallen?) (Beifall bei der FDP) Die klare ordnungspolitische Positionierung und Ori- entierung finden sich auch im Bereich des Klimaschut- Gudrun Kopp (FDP): zes wieder. Mit dem Gebäudesanierungsprogramm – es Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Da- geht um energetische Sanierungen im Bestand –, das ei- men! Lieber Kollege Pfeiffer, es wäre schön, wenn die- nen Umfang von knapp 2 Milliarden Euro hat, haben wir ses Parlament, diese Bundesregierung und die sie tragen- im letzten Jahr Investitionen von 10 bis 12 Milliar- den Fraktionen tatsächlich einen ordnungspolitischen den Euro ausgelöst. Nach neuesten Berechnungen ist das Kompass hätten. Dann bräuchten wir diesen Antrag gemeinsam mit allen zusammenhängenden und flankie- nicht. Dem ist aber nicht so. Ich glaube, wir können auch renden Maßnahmen – ich nenne beispielsweise nur die angesichts der Debatten in dieser Woche zum Thema Absetzbarkeit der Kosten von Handwerkerleistungen im Klimaschutz sagen, dass eine preisgünstige, umweltver- 8406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Gudrun Kopp (A) trägliche und sichere Bereitstellung von Energie durch- Deshalb empfehlen wir mit unserem heutigen Antrag, (C) aus eine Schicksalsfrage der Nation ist. An dieser Frage der ein ordnungspolitischer Weckruf ans Parlament und entscheidet sich sehr viel. insbesondere an die Regierung sein soll, Wir haben allerdings den Eindruck, dass die Energie- (Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD]) und Klimapolitik immer mehr zum Tummelplatz für je- dass wir den Wettbewerb stärken, und zwar in der dermann wird. In der Öffentlichkeit gibt es die abstru- Weise, wie wir uns das vorstellen: Wettbewerb schützen, sesten Vorschläge von Lobbygruppen und einzelnen Wettbewerb überhaupt erst möglich machen und ihn ge- Mitgliedern von Parteien, die nicht den Eindruck bestäti- gen Absprachen, Kartelle und marktbeherrschendes Ver- gen, den Sie, Herr Pfeiffer, eben versucht haben zu ver- halten von einzelnen Unternehmen stärken. mitteln. Zum Beispiel gibt es Vorschläge, die Netze zu verstaatlichen oder sie unabhängigen Betreibern zu über- In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, dass geben. Andere Vorschläge lauten, Unternehmen zum das Bundeskartellamt als Wettbewerbshüter Nummer Verkauf von ganzen Kraftwerken zu zwingen. Erneuer- eins in unserem Land auch personell so ausgestattet bare Energien werden für 20 Jahre mit Garantiepreisen wird, dass es seinen Aufgaben tatsächlich gerecht wer- versehen und somit in den Markt gepresst. Kohlekraft- den kann. Das ist ein wichtiges Anliegen, das ich für die werke und die Kernenergie – so sagen manche – sollten FDP-Fraktion noch einmal sehr deutlich unterstützen dagegen verboten werden. möchte. Das ist leider nur teilweise geschehen, war aber immerhin ein kleiner Schritt. Die Debatte beinhaltet unter anderem Vorschläge zu Fahrverboten, zu Glühbirnen und zu bestimmten Autos, Wir haben als ordnungspolitische Sünde zu verzeich- die verboten werden sollen. Einige wollen am liebsten, nen, dass wir eine Vielzahl von Parallelsystemen und dass die Preisgestaltung staatlich vorgegeben und eben -gesetzen haben, die nicht geeignet sind, die Energie- nicht über eine Stärkung von Markt und Wettbewerb ge- politik marktkonform aufzustellen. Staatliche Eingriffe funden werden soll. Einige wollen Emissionszertifikate werden zum Beispiel mit fünfzehn verschiedenen Geset- versteigern, andere wollen diese verschenken und Steu- zen vorgenommen. Wir brauchen nicht parallel – ich nenne nur einige wenige – das Erneuerbare-Energien- ern auf den CO2-Ausstoß erheben sowie die Steuern auf den Energiebedarf insgesamt anheben. Dieses Sammel- Gesetz, das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, eine Öko- surium zeigt uns allen sehr deutlich, dass der Mehrheit und eine Stromsteuer, eine Mineralölsteuer und den der in der Politik Tätigen leider Kurs und Orientierung Emissionshandel. im ordnungspolitischen Sinn ziemlich abhanden gekom- Wir als FDP-Bundestagsfraktion wünschen uns für men sind. den Klimaschutz ein wirksames Instrument, beispielsweise (B) (D) (Beifall bei der FDP – Dr. Joachim Pfeiffer den Treibhausgaszertifikatehandel, statt zig Parallel- [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!) instrumenten, wobei sogar noch das eine das andere in seiner Wirkung aushebelt. Das ist unser Anliegen. Lieber Kollege Pfeiffer, Sie haben gerade gesagt, die Wir möchten, dass die Rahmenbedingungen so ge- Große Koalition habe jetzt das Drehen an der Schraube setzt werden, dass Markt und Wettbewerb und damit von Steuern und Abgaben auf die Energiepreise be- auch die soziale Marktwirtschaft über eine Renaissance endet. Mit einer vorwochenendlichen Gedächtnislücke der Ordnungspolitik gestärkt werden. Ich bitte Sie sehr haben Sie wahrscheinlich verdrängt, dass wir zum herzlich, darauf zu achten, welche weiteren Instrumente 1. Januar dieses Jahres eine Mehrwertsteuererhöhung Sie einführen, und auf die zu verzichten, die zulasten der hatten. Sie haben sicher ebenfalls verdrängt, dass die Verbraucher gehen und wenig Wirkung hinsichtlich der Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der Bundesregie- Stärkung des Wettbewerbs zeigen. Ich wünsche mir, dass rung ein Gesetz erlassen haben, nach dem vorgesehen Sie unsere Anträge unterstützen. ist, dass beispielsweise die Netzanschlusskosten für Off- shoreanlagen auf alle Netzbetreiber umgelegt werden. Vielen Dank. Damit werden wiederum Ausnahmetatbestände geschaf- fen, und es wird weiter an der Kostenschraube gedreht. (Beifall bei der FDP) Wir wollen gemeinsam daran arbeiten, dass die Kosten im Monopolbereich Netz sinken können und dass die Präsident Dr. Norbert Lammert: Bürger am Ende auch davon profitieren können. Wir Der Kollege Rolf Hempelmann ist der nächste Redner wollen nicht, dass der Staatshaushalt auf diese Weise ge- für die SPD-Fraktion. füllt wird und dass Politik immer mehr abschöpft. Ich habe in dieser Woche ausdrücklich gesagt: Ein- Rolf Hempelmann (SPD): schließlich der Mehrwertsteuererhöhung haben sich die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Steuern und Abgaben von 1998 bis zum heutigen Tag In der Tat beschäftigen wir uns heute nicht zum ersten beispielsweise im Bereich der Strompreise um 91 Pro- Mal mit diesen insgesamt vier Anträgen der Opposition zent erhöht. Das sind politische Fehlentscheidungen und hier im Parlament. Wir haben das schon im September Fehlhandlungen. Das hat leider gar nichts mit einem ord- ausgiebig getan. Die damalige Debatte war – so fand nungspolitischen Kompass zu tun. ich – eigentlich erhellend. Man hätte damit rechnen kön- nen, dass die Anträge zurückgezogen werden. Dies ist (Beifall bei der FDP) nicht geschehen. Deswegen haben wir uns anschließend Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8407

Rolf Hempelmann (A) auch in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C) mit diesen Anträgen noch einmal ausführlich befasst. Die vorgeschlagenen Instrumente helfen dabei aller- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der dings nicht. Eben ist schon angedeutet worden, dass eine FDP und der LINKEN – Dr. Rainer Wend Verlängerung der Tarifpreisaufsicht nicht mehr in die [SPD]: Da haben wir es ihnen noch einmal er- derzeitige Wettbewerbslandschaft passt. Deswegen ist es klärt!) richtig, dass die Preiskontrolle zum 30. Juni 2007 aus- läuft. Das ist nun einmal eine logische Konsequenz der Dort sind sie von der Regierungskoalition abgelehnt Liberalisierung. Wir müssen uns darum bemühen, den worden. Dennoch befassen wir uns heute zu unser aller Wettbewerb auf dem Markt zu entwickeln. Es ist sicher- Überraschung erneut hier im Plenum des Deutschen lich richtig, dass dieser noch nicht befriedigen kann, aber Bundestages damit. wir haben gerade Instrumente entwickelt, von denen wir (Gudrun Kopp [FDP]: Da müssen Sie selber uns eine ganze Menge versprechen. Einige sind ja auch lächeln!) schon im Einsatz. – Im Übrigen hat das der Bundesrat offenbar nicht anders gesehen als wir; denn er hat den Und vermutlich – die Opposition wird nicht damit rech- Vorstoß der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nen – werden die Anträge erneut das gleiche Schicksal zur Verlängerung der Tarifaufsicht zurückgestellt. Ich erleiden und am Ende abgelehnt werden. denke, das ist ein klares Indiz dafür. (Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Andere Vorschläge zielen darauf ab, das Kartellamt NEN]: Sogar von uns! – Dr. Joachim Pfeiffer zu stärken. Die FDP hat einen entsprechenden Antrag [CDU/CSU]: Und wieder haben sie es nicht gestellt. Da geht es aber ausschließlich um die personelle verstanden!) Stärkung der Behörde. In diesem Zusammenhang kann Das ist keine Trotzreaktion der Koalition, sondern hat man auf die drei neuen Stellen, die im letzten Jahr im einfach sachliche Gründe; denn – das ist vielleicht in der Rahmen der Haushaltsberatungen beim Kartellamt ge- Rede von Frau Kopp auch deutlich geworden – Energie- schaffen wurden, verweisen. Nach meiner Einschätzung politik ist eben komplex. sind das aber eher zu wenige als zu viele Stellen, insbe- sondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der Ein- (Gudrun Kopp [FDP]: Genau!) sparrunde für Verwaltungsbehörden auch beim Bundes- kartellamt wieder Stellen gestrichen worden sind. Deswegen ist es normal, dass in einem Meinungsbil- Deswegen müssen wir – das sage ich ausdrücklich – die- dungsprozess, jedenfalls solange die Dinge noch nicht in ses Thema sicherlich noch einmal aufgreifen. Dabei Gesetze gegossen sind, auch diese Komplexität der Mei- müssen wir uns dann darum bemühen, dass eine entspre- (B) nungen zum Ausdruck kommt. Das hat auch etwas damit (D) chende Personalausstattung für das Bundeskartellamt zu tun, dass Energiepolitik nicht ausschließlich zum gewährleistet wird. Gut ist, dass es nicht zu Kürzungen Beispiel Umweltpolitik ist, sondern zum Beispiel auch im Bereich der Energieaufsicht gekommen ist. Aber al- – und vielleicht in manchen Bereichen vor allem – Wirt- les in allem ist die derzeitige Situation noch nicht zufrie- schaftspolitik, dass sie je nachdem, um welche Projekte denstellend. es geht, auch Verkehrs- oder Baupolitik sein kann. Es gibt nationale oder regionale Aspekte genauso wie inter- Wir wollen nicht, dass es zu einer Verschiebung von nationale, europäische oder globale. Am Ende einer um- Personal von der Bundesnetzagentur hin zum Bundes- fassenden Diskussion müssen wir auch zu Entscheidun- kartellamt kommt. Die Bundesnetzagentur ist eine gen kommen. Ich denke, Herr Dr. Pfeiffer hat durchaus junge Behörde, die gerade erst ans Werk gegangen ist. richtig dargestellt, dass das, was jetzt kurz davor steht, Sie braucht, wie ich denke, die ihr zugewiesene Perso- ins Gesetzblatt zu kommen, ein in sich stimmiges Ge- nalausstattung zur Wahrnehmung ihrer neuen Aufgaben samtkonzept widerspiegelt. angesichts der bestehenden Herausforderungen. Die meisten dieser Anträge befassen sich mit dem Es gibt einen weiteren Vorschlag aus dem Bundes- Thema Preise, insbesondere mit den Strom- und Gas- wirtschaftsministerium, der schon bei der Debatte, die preisen. Im Grunde greift das sogar zu kurz. Wir müssen wir im September geführt haben, vorgestellt wurde. Hier uns eigentlich mit den Energiepreisen insgesamt befas- geht es um eine Veränderung im GWB, also im Gesetz sen, weil die Bürgerinnen und Bürger mittlerweile nicht gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Ich habe diesen nur unter der zweiten Miete, also den Strom- und Gas- Vorstoß in der damaligen Plenardebatte grundsätzlich preisen, sondern unter den Energiepreisen insgesamt lei- begrüßt. Er kann eine gewisse Brückenfunktion bilden, den. Dazu gehören auch Heizöl und Benzin. bis insbesondere im Bereich der Energieerzeugung die (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring- Oligopolsituation ein Stück weit aufgebrochen, die An- Eckardt) gebotssituation verbessert, Liquidität auf dem Markt hergestellt und Anbietervielfalt erreicht ist. Insofern Es ist unser aller Bestreben, dass es gerade im Zusam- könnte durch mehr Wettbewerb auf der Erzeugerseite menhang mit den ökologischen Herausforderungen, vor und mehr Angebote auch Druck auf die Erzeugerpreise denen wir stehen, nicht dazu kommt, dass Energiebezug ausgeübt werden. Bis dahin kann es über Regelungen im zum Privileg für wenige Reiche wird. Deswegen müssen GWB – immer verstanden als Brückenfunktion – Sinn wir unsere energiepolitischen Instrumente mit Blick auf machen, dem Bundeskartellamt dabei zu helfen, eventu- diese Herausforderungen anpassen. ellen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu 8408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Rolf Hempelmann (A) identifizieren und ihn zu unterbinden. Das ist aber kein Ich gehe davon aus, dass wir insbesondere über die in (C) einfaches Unterfangen, weil es sich beim Kartellrecht Rede stehende Kraftwerksanschlussverordnung errei- um ein sehr gut austariertes Recht handelt. Damit haben chen werden, dass mehr Kraftwerke ans Netz kommen, sich ja in der Vergangenheit schon durchaus kluge Köpfe und dass wir auf diese Weise dann letztlich auch mehr beschäftigt. Deswegen mussten wir die Vorschläge des Liquidität, mehr Strom im Angebot haben und dadurch BMWi sorgfältig prüfen. Hierüber gibt es einen intensi- über mehr Wettbewerb Preisdruck erzeugen können. Die ven Dialog zwischen den verschiedenen Ressorts und Kraftwerksanschlussverordnung, die jetzt im Entwurf den Fraktionen. vorliegt, muss insbesondere dem Gedanken der Nicht- diskriminierung verpflichtet sein. Das heißt, alle Anbie- Ich bin mir ganz sicher, dass wir zu einem Ergebnis ter müssen die gleiche Chance bekommen, nicht nur ans kommen werden, das einerseits die Behörde stärkt sowie Netz angeschlossen zu werden, sondern nach Netzan- die Feststellung von entsprechendem Marktmissbrauch schluss auch bei eventuellen Netzengpässen ihren Strom erleichtert und andererseits mit dem Stromhandel an den zum Endkunden durchleiten zu können. Diese Voraus- internationalen Börsen kompatibel ist. Wenn ein Stück setzung ist wichtig, um Druck darauf auszuüben, dass mehr Staat an einer Stelle implementiert wird – das ist die Netze sukzessive ausgebaut werden. Ohne Netzaus- immer so –, muss darauf geachtet werden, dass nicht das bau werden die Kraftwerke letztlich nur teilweise gefah- sozusagen zart angewachsene Pflänzchen Markt im ren werden können. Das macht keinen Sinn. Deswegen Keime erstickt wird. Wir werden dazu aber letztlich et- brauchen wir eine Netzausbaustrategie. Das kann im was Vernünftiges vorlegen können. Rahmen einer klug gewählten Anreizregulierung durch- aus mitgeleistet werden. Die Bundesnetzagentur hat ja (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Doppelaufgabe, auf kosteneffizienten Netzbetrieb, der CDU/CSU) aber auch auf Qualität und Investitionen Einfluss zu neh- men. Meine Damen und Herren, die Vorschläge, wie sie Meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass das, hier auf dem Tisch liegen, sind – ich habe das angedeutet – was Frau Kopp eben angesprochen hat, tatsächlich mög- nicht wirklich zielführend. Ich glaube aber, dass wir, die lich ist, nämlich die energiepolitischen Instrumente auf Koalition, nachweisen können, dass wir nicht bei null ein einziges zu reduzieren. anfangen. Schon die rot-grüne Koalition hat, am Ende dann mit Unterstützung von Schwarz und Gelb im Ver- mittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: das Energiewirtschaftsgesetz novelliert, die Bundesnetz- Herr Kollege, Frau Kopp würde an dieser Stelle gerne agentur installiert und letztlich dafür gesorgt, dass diese eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie sie zulassen. (B) mittlerweile erfolgreich Netzentgelte reguliert und auch (D) für preisdämpfende Effekte sorgt. Rolf Hempelmann (SPD): Immer gern. Das alles kann sicherlich noch sehr viel besser funk- tionieren, und das soll es auch im Rahmen der Anreiz- regulierung, die nach unserer Auffassung am 1. Januar Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 2008 in Kraft treten soll. Es zeigt sich aber, dass es Bitte schön. wahrscheinlich der 1. Januar 2009 wird. Deshalb – so ist es bisher jedenfalls vom Wirtschaftsministerium und Gudrun Kopp (FDP): auch von der Bundesnetzagentur angedacht – soll es eine Vielen Dank, Herr Kollege Hempelmann. – Die Frage zweite Ex-ante-Preisgenehmigungsrunde geben. Unser kommt etwas zeitverzögert; es dauert ja immer etwas, Appell ist, dass dann auf jeden Fall auf die Betriebskos- bis man seine Frage stellen kann. Ich gehe deshalb ein ten- und nicht so sehr auf die Kapitalkostenseite ge- Stück zurück. Ich bin ein bisschen erstaunt darüber, dass schaut wird. Denn in der ersten Runde ist vieles gelun- Sie den ursprünglichen Konsens, den wir unter den ener- gen, eines aber nicht, nämlich dass die weniger giepolitischen Sprechern hatten, nämlich im Zeitrahmen effizienten Unternehmen in Bezug auf Effizienz deutlich der Regulierung zu bleiben und die Anreizregulierung mehr unter Druck geraten und der Druck auf die bereits nicht ein Jahr nach hinten zu verschieben, infrage stel- effizienten Unternehmen geringer ist. Das ist der Grund- len. gedanke der Anreizregulierung, sollte aber auch vor In- krafttreten der Anreizregulierung Grundprinzip sein. Ich bitte Sie, noch einmal Folgendes zu bedenken. Sie Das geht nur, wenn jetzt der Blick auf die Betriebskos- haben gesagt, im ersten Durchgang der Kostenregulie- ten gelenkt wird. In der ersten Runde war es so, dass die rung sei es in erster Linie um die Kapitalkosten gegan- Unternehmen, die hohe Kapitalkosten hatten, diese sen- gen. Meine Information ist: Richtig, es ging um Kapital- ken mussten. Diese hohen Kapitalkosten waren aber teil- kosten, aber auch um Betriebskosten, und zwar weise dadurch begründet, dass man bereits Effizienz- Betriebskosten/Personalkosten. Mein Kenntnisstand ist, maßnahmen ergriffen hatte, zum Beispiel Netze saniert dass es in der Energiewirtschaft in der letzten Zeit eine hatte, was natürlich kapitalintensiv war und Kapitalkos- Kostenoptimierung in Form eines enormen Personalab- ten verursacht hatte. Diese Unternehmen haben auf der baus gegeben hat. Ich befürchte einfach, dass wir in der anderen Seite aber niedrigere Betriebskosten. – Jetzt zweiten Runde, die ein Jahr andauern soll, nicht zu den muss sozusagen im Umkehrschluss die andere Seite ge- gewünschten Effizienzen kommen und somit wertvolle prüft werden, damit das Ganze einigermaßen ausgegli- Zeit bis zum Beginn der Anreizregulierung verschenken. chen wird. Stimmen Sie mir da zu? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8409

(A) Rolf Hempelmann (SPD): von CO2. Bei den erneuerbaren Energien geht es aber (C) Wir liegen, was die grundsätzlichen Fragen angeht, auch darum, Zukunftsperspektiven für ein Zeitalter zu nicht weit auseinander. Ich würde mir wünschen, wir schaffen, in dem fossile Energien möglicherweise nicht könnten zum 1. Januar 2008 mit der Anreizregulierung mehr zur Verfügung stehen. Hier geht es also um techno- beginnen. Das ist unser Signal gegenüber der Bundes- logische Entwicklungen, die vorangetrieben werden sol- netzagentur und dem Wirtschaftsministerium. Aber die len. Deswegen handelt es sich um ein Instrument, das erste Entgeltgenehmigungsrunde hat eben eine Menge man nicht eins zu eins mit dem Emissionshandel verglei- Zeit gekostet. Die Behörde musste – das ist kein Vorwurf – chen kann. Das kann man auch von anderen Instrumen- erst noch Erfahrungen sammeln. ten sagen. Die Genehmigungsrunde läuft noch; sie ist noch nicht Richtig ist, dass wir die Instrumente nebeneinanderle- abgeschlossen. Deswegen scheint es wenig realistisch zu gen müssen. Wir müssen prüfen, wo es Doppelwirkun- sein – wir müssen uns den Realitäten stellen –, diese gen gibt und wo sich die Wirkungen gegenseitig neutra- Runde sehr schnell und gleichzeitig die Vorbereitung für lisieren; da stimme ich Ihnen grundsätzlich zu. Wir den Beginn einer Anreizregulierung zum 1. Januar 2008 müssen dann versuchen, solche negativen Aspekte letzt- abschließen zu können. Wenn es gelänge, wäre es sehr endlich zu beseitigen. gut. Es wäre in jedem Fall die bessere Lösung. Wenn das aber nicht möglich sein sollte, dann muss es wenigstens Über vieles konnte nicht gesprochen werden. Aber gelingen – das ist in der ersten Runde nicht gelungen –, dass wir natürlich nicht nur im Bereich Strom und Gas, die weniger effizienten Unternehmen stärker unter sondern auch im Bereich Verkehr und Gebäude ehrgei- Druck zu setzen als die effizienteren, um die Schere zwi- zige Ziele haben, ist deutlich geworden. Herr Pfeiffer hat schen beiden ein Stück weit zu schließen. Das ist das es angesprochen: Wir stehen vor gewaltigen Aufgaben. Prinzip der Anreizregulierung. Deswegen sollte es in der Bitte helfen Sie mit, dass wir sie tatsächlich erfüllen zweiten Runde ebenfalls das Leitprinzip sein. können! Es ist zwar so, dass Daten zu Personal- und Personal- Vielen Dank. zusatzkosten sowie anderen Betriebskosten eingeholt (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Joachim worden sind. Aber im Wesentlichen waren die Kapital- Pfeiffer [CDU/CSU]) kosten Maßstab dafür, ob ein Unternehmen mit Kürzun- gen rechnen musste. Wenn eine zweite Runde kommt, empfiehlt es sich daher, verstärkt die Betriebskosten als Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Grundlage zu nehmen. Es spricht der Kollege Hans-Kurt Hill für Die Linke. (B) Noch einmal: Ich stimme Ihnen grundsätzlich zu, dass (Beifall bei der LINKEN) (D) es wünschenswert wäre, ohne eine zweite Runde die An- reizregulierung zu starten. Nach allen Aussagen aus dem federführenden Haus, aber auch aus der Bundesnetz- Hans-Kurt Hill (DIE LINKE): agentur scheint das aber nicht mehr realistisch zu sein. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hempelmann, Sie haben eben über die Komplexität Ich habe bei dem letzten Punkt Frau Kopp direkt an- der Meinungen gesprochen. Das finde ich sehr gut. Ich gesprochen, weil sie eben die These aufgestellt hat, der empfehle Ihnen einmal, in der „Frankfurter Rundschau“ Emissionshandel könne sozusagen das Globalinstru- den Artikel von Staatssekretär Werner Müller ment werden und man könne auf andere Instrumente verzichten. Ich staune über den Glauben an den Emis- (Rolf Hempelmann [SPD]: Staatssekretär sionshandel als das sozusagen omnipotente Instrument; Werner Müller! Auch nicht schlecht!) denn es gibt eine ganze Reihe von Kritikpunkten am – Michael Müller, Entschuldigung –, erschienen am Emissionshandel. Auch die, die ihn grundsätzlich unter- 1. März dieses Jahres, zu lesen. Dort werden Sie die stützen, wissen natürlich, dass es sich um ein Instrument Komplexität der Meinungen wiederfinden. handelt, das sich erst noch sukzessive bewähren muss. Die Situation ist die, dass eine Realisierung in Zu unserem Antrag. Den Antrag „Die zukünftige 27 Mitgliedstaaten erfolgen muss. Sie werden das natür- Energieversorgung sozial und ökologisch gestalten“ ha- lich auf unterschiedliche Art und Weise tun, wie wir es ben wir vor einem Jahr gestellt; das ist eben angespro- in der ersten Handelsperiode gesehen haben. Es wird in chen worden. Ich sage: Er ist so aktuell wie nie zuvor. der zweiten Runde sehr darauf ankommen, dafür zu sor- Das liegt nach wie vor an der zunehmenden Brisanz der gen, dass die Realisierung des Zertifikatehandels in Eu- Energiepolitik und insbesondere an der Untätigkeit der ropa möglichst harmonisiert und unter Berücksichtigung Regierung. Dass wir recht haben, zeigt nichts besser als der unterschiedlichen Ausgangslagen der Mitgliedstaa- der Antrag selbst. Schon beim Emissionshandel und bei ten durchgeführt wird. Zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, den Biokraftstoffen ist der Regierung Merkel die Reali- das sei das Globalinstrument, unter das wir alles andere tät um die Ohren geflogen. Der faule Kompromiss beim subsumieren können, ist zumindest verfrüht. Gebäudeenergiepass führt dazu, dass erst 2018 mit wirk- samen Energieeinsparungen zu rechnen ist. In Sachen Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass die Energie und Klimaschutz fällt die Große Koalition im Instrumente jeweils unterschiedliche Schwerpunktziele Rahmen der Ratspräsidentschaft nur durch Zurückrudern haben. Hier geht es ganz eindeutig um die Reduzierung auf. 8410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Hans-Kurt Hill (A) Ich möchte aber auf ein viel größeres Problem einge- Steinbrücks Steuerkassen werden Biodiesellandwirte ab- (C) hen. Die Bundesregierung ist dabei, eine klimafreundli- gezockt, bis sie pleite sind. che und soziale Energiepolitik an den Nagel zu hängen. Gestern habe ich mir einen solchen Biodieselbetrieb Am Mittwoch versprachen die Regierungsvertreter im angesehen. Der Ökosprit wurde dort, integriert in den Umweltausschuss, man sei bezüglich der Senkung der landwirtschaftlichen Betrieb, für den Eigenverbrauch Klimagasemissionen um bis zu 40 Prozent im Gespräch. und den regionalen Bedarf hergestellt. Die Wertschöp- Aber im Gespräch ist die Große Koalition auch bei der fung fand also vor Ort statt – bisher. Jetzt hat der Betrieb Atomfrage. die Biodieselproduktion eingestellt. An der Anlage, die Ihr Versagen beim Klimaschutz wird deutlich, wenn nur drei Jahre lief, hängt ein Schild: Gefördert durch die man sich die aktuelle Entwicklung in der Energiewirt- EU, das Land Sachsen-Anhalt und die Agentur für Ar- schaft ansieht. Fossile Kraftwerke in einem Umfang beit. Die Fördermittel sind futsch, und der Insolvenzver- von 60 000 Megawatt sind geplant, allein Steinkohle- walter kommt. 15 000 Stellen sind durch die Biosprit- kraftwerke in einem Umfang von 40 000 Megawatt. Es steuer schon verloren gegangen. So macht man keine sind also weit mehr Kohleblöcke geplant, als zurzeit in soziale und ökologische Energiepolitik. Betrieb sind. Die meisten der vorgesehenen CO -Schleu- 2 (Beifall bei der LINKEN) dern sollen bis zum Jahr 2012 laufen. Sie sind mit her- kömmlicher Technik ausgerüstet und für die CO2-Ab- Ich komme nun zum Schluss. Die Linke fordert die spaltung nicht geeignet. Kollege Schwabe von der SPD Bundesregierung auf, Fehler in der Energiepolitik rück- – er ist leider nicht da – hat gestern in der „Frankfurter gängig zu machen: erstens, raus aus der fossil-atomaren Rundschau“ gefordert, ab 2015 solle es nur noch CO2- Energiewirtschaft; zweitens, mehr erneuerbare Energien, freie Kraftwerke geben. Das ist eindeutig zu spät, liebe mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparung; Sozialdemokraten. drittens, dem Energiekartell wirksam auf die Finger klopfen; viertens, Klimaschutz ernst nehmen statt lose (Beifall bei der LINKEN) Versprechungen machen. Wenn die Bundesregierung jetzt nicht massiv in die Danke schön. Kraftwerksplanung eingreift, dann steigt der Klimagas- ausstoß in Deutschland in fünf Jahren über das Niveau (Beifall bei der LINKEN) von 1990. Mir wird damit auch klar, weshalb sich das Bundes- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wirtschaftsministerium beharrlich weigert, das Parla- Hans-Josef Fell hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. (B) ment über geplante Kraftwerke zu informieren. Sehr ge- (D) ehrte Herren Glos und Gabriel, die unbequeme Wahrheit lautet: Ab 2008 dürfen keine neuen Kohleblöcke mehr Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): genehmigt werden; ansonsten kommen wir in Teufels Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Klimaküche. Wir werden das in Kürze in einer Studie Herren! Die Klimaveränderung wird immer dramati- nachweisen. scher. Zurzeit wird Bolivien von apokalyptischen Re- Aber die Energiekonzerne machen derweil mit fossil- genfällen heimgesucht. 500 000 Menschen haben alles atomaren Steinzeitkraftwerken Kasse. Zentralistische verloren. Allein in Beni sind 22 000 Rinder ertrunken, Großkraftwerke sichern ihr Energiemonopol. Aus dieser die Plantagen sind zerstört, und Infektionskrankheiten Position drehen sie nach Belieben an der Preisschraube. breiten sich aus. Sie verhindern gleichzeitig die Dezentralisierung der Präsident Morales, der mit der Verstaatlichung von Energieversorgung, und sie behindern den Netzzugang Erdöl und Erdgas in seinem Land das Klima selbst an- erneuerbarer Energien. Das ist Klimafrevel hoch zwei. heizt, (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf von der LINKEN) Die Zeche zahlen die Verbraucherinnen und Verbrau- beschreibt die Ursachen dennoch richtig: cher mit überhöhten Strom- und Gasrechnungen. Des- halb ist eine wirksame Überwachung der Energiepreise, Es gibt Länder, die maßlose und unkontrollierte In- wie sie die Linke mit dem Antrag „Energiepreiskontrolle dustriepolitik betreiben, das vergiftet den Planeten sicherstellen“ fordert, unverzichtbar. Erde und zerstört die Umwelt, und wir armen Län- der leiden darunter. (Beifall bei der LINKEN) Auch EU-Kommissionspräsident Barroso betont die Ur- Strom- und Gasrechnungen nach Gutsherrenart können sache der Klimaveränderung immer wieder: 80 Prozent wir uns nicht leisten. aller Klimagasemissionen werden durch die Nutzung der fossilen Energien emittiert. Industrieminister Gabriel kommt derweil Klimaigno- ranten wie Audi zu Hilfe. Durch den Zwang der Beimi- Nun liegt uns heute ein Antrag der Freien Demokra- schung klimaneutraler Biokraftstoffe zum fossilen Sprit ten über den ordnungspolitischen Kompass für die deut- soll der CO2-Ausstoß der Spritfresser heruntergerechnet sche Energiepolitik vor. In diesem Antrag kommt der werden. Die Pioniere der Bioenergie hat Gabriel aber Klimaschutz nur einmal als Kostenfaktor vor und nicht wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Zum Stopfen von als übergreifende Notwendigkeit. Schlimmer noch: Not- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8411

Hans-Josef Fell (A) wendige und erfolgreiche staatliche Regulationen im Dass die Umstellung auf erneuerbare Energien und (C) Energiebereich wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz Energieeinsparung die einzige Chance für eine bezahl- werden als zu große Strompreisbelastung diffamiert und bare Energieversorgung in der Zukunft ist, liegt doch auf fälschlicherweise sogar als Subvention bezeichnet. der Hand. Angesichts steigender Verknappung der fossi- len und atomaren Rohstoffe wird eine bezahlbare Ener- Man kann doch nicht ernsthaft die mit dem Erneuer- gieversorgung auch für sozial Schwache zukünftig nur bare-Energien-Gesetz verbundenen winzigen Strompreis- mit erneuerbaren Energien möglich sein; denn im Ge- erhöhungen um 0,5 Cent pro Kilowattstunde für Haus- gensatz zu ständig steigenden Preisen für Erdöl, Erdgas, haltskunden und um nur 0,15 Cent für Industriekunden Kohle und Uran kosten Wind, Sonnenstrahlen, Wasser- als Belastung bezeichnen. Auch angesichts der inzwi- kraft und Erdwärme nichts. schen wohl 200 000 Jobs, einer industriellen Entwick- lung von Windkraft, Fotovoltaik, Biogas und anderen (Jürgen Koppelin [FDP]: So wie der redet, Energieträgern ist diese FDP-Kritik völlig verfehlt. kann er nur Lehrer sein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Seit Jahren sinken sogar die Technikkosten. Bei steigen- sowie bei Abgeordneten der SPD) der Verbreitung der erneuerbaren Energien werden diese Kosten weiter sinken. Die ganze Welt staunt über die industrielle Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland, und die FDP Dass Sie von der Linken immer noch an die Allmacht mäkelt an winzigen Strompreiserhöhungen und ord- des Staates glauben, drücken Sie mit der Forderung nach nungspolitischen Fragen herum. Wettbewerb und Ord- der Verstaatlichung der Netze aus. Dies können wir nicht nungspolitik sind in ihrem Antrag die einzigen dominan- mittragen. Wirklicher Wettbewerb auf dem Energie- ten Themen. Energieversorgungssicherheit und markt ist sinnvoller als staatlicher Besitz. Da sind wir Klimaschutz spielen keine Rolle, ebenso wenig die dafür durchaus näher bei den Freien Demokraten. notwendigen Maßnahmen. Aber Wettbewerb allein als Allheilmittel für alle Energieprobleme greift nicht, wenn man zum Beispiel (Gudrun Kopp [FDP]: Das wissen Sie besser!) die Menschheitsherausforderung „Klimaschutz“ bewäl- Wettbewerb ist wichtig, sind es doch gerade die gro- tigen will. Hier muss und kann wesentlich mehr getan ßen Oligopole, die wirksamen Klimaschutz mit erneuer- werden, als die Große Koalition macht, was heute wie- baren Energien und Energieeinsparung behindern. Deren der betont wurde. Sie reden nur von Maßnahmen, aber Marktmacht muss natürlich mit mehr Wettbewerb ver- Sie handeln nicht, oder Sie handeln so, dass es Rück- ringert werden. Aber Wettbewerb und Ordnungspolitik schritte gibt: Die ersten Biodieselproduzenten schließen oder gehen ins Ausland. Ein Wärmegesetz steht zwar im (B) über alle anderen Kriterien, zum Beispiel den Klima- (D) schutz, zu stellen, wie Sie es in Ihrem vorliegenden An- Koalitionsvertrag, aber eine Realisierung ist immer noch trag tun, ist kein sinnvoller ordnungspolitischer Kom- nicht zu sehen. Über eine europäische Biogasstrategie pass. – statt der Erdgasabhängigkeit – diskutieren Sie nicht einmal. – Die Große Koalition muss endlich aufhören zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN reden und endlich handeln. sowie des Abg. Rolf Hempelmann [SPD] – Gudrun Kopp [FDP]: Das haben Sie nicht ver- Zu den Freien Demokraten sage ich zum Abschluss: standen!) Der ordnungspolitische Kompass, den Sie vorgelegt ha- ben, ist ein missweisender Kompass und führt deshalb in Ich weiß, dass einige in der FDP die Wertigkeit des die Irre. Klimaschutzes heute anders sehen, als es in diesem An- trag formuliert ist; die Diskussion im Umweltausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zeigt dies deutlich. Ihr Antrag ist immerhin schon ein Gudrun Kopp [FDP]: Amen!) Jahr alt. Vor einem Jahr hat die FDP den Klimaschutz of- fensichtlich noch nicht so ernst genommen wie heute. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich kann es deswegen nur für richtig befinden, wenn die Albert Rupprecht hat das Wort für die CDU/CSU- FDP angesichts der Erkenntnisse des IPCC ihren eige- Fraktion. nen Antrag heute ablehnt. Das wäre die einzig richtige Konsequenz. Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Der Antrag der FDP ist im Grundsatz absolut richtig. KEN) (Beifall bei der FDP) Nun zu den Anträgen der Linken. Hier gibt es erfreu- Sie schreiben in Ihrem Antrag: licherweise viele Übereinstimmungen mit den klima- Die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft ... sol- schutzpolitischen Notwendigkeiten in der Energiepoli- len auch in der Energiepolitik in stärkerem Maße tik. Die Betonung der schnellstmöglichen Abkehr von Bedeutung erhalten. atomaren und fossilen Energien ist genauso wichtig wie die Betonung der Aussage, die zukünftige Energiever- Hier haben Sie meine absolute Zustimmung. Eine ver- sorgung sozial gestalten zu wollen. Dies findet unsere nünftige Energiepolitik braucht zwingend endlich einen Zustimmung. funktionierenden Wettbewerb. Das ist die Schlüsselfrage 8412 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Albert Rupprecht (Weiden) (A) überhaupt. Es darf nicht so sein wie bisher: Vier große Es kann doch nicht sein, dass der deutsche Verbraucher, (C) Oligopolisten teilen den Markt unter sich auf, verlangen indem er die überteuerten Preise zahlt, Aktionäre in New vollkommen überhöhte Preise und kassieren dabei Milli- York, München oder Zürich finanziert. Das ist doch ab- arden als Monopolgewinne. surd! Ihre zweite Kernaussage, Frau Kopp, ist zumindest (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und im zweiten Teil falsch. Sie schreiben: der FDP) ... die ideologisch motivierte Energiepolitik ... der Das hat nichts, aber auch gar nichts mit vernünftiger vergangenen sieben Jahre Wirtschaftspolitik, geschweige denn mit nationalen Inte- – Anmerkung: unter Rot-Grün – ressen oder Patriotismus zu tun. ist gescheitert, und es zeichnet sich unter der gro- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP]) ßen Koalition Nationale Interessen fördert man, indem man in Bildung – Anmerkung: unter Schwarz-Rot – und Forschung am Standort Deutschland investiert, in gute Infrastruktur, niedrige Steuern und einen funktio- ... keine Verbesserung ab. nierenden, lebendigen Wettbewerb. Kanzler Schröder und seine Minister Müller und Die Kernaussage von Ludwig Erhard ist bis heute Clement haben in der Tat in diesen sieben Jahren die richtungweisend und richtig, auch was die Energiepoli- Machtkonzentration in der Energiewirtschaft begüns- tik betrifft – ich zitiere –: tigt. Minister Glos hingegen kämpft massiv darum, diese Machtkonzentration aufzubrechen und Wettbewerb zu- Unsere Wirtschaftspolitik dient dem Verbraucher, gunsten der Verbraucher zu schaffen. er allein ist Maßstab und Richter allen wirtschaftli- chen Tuns. (Beifall bei der CDU/CSU) (Jürgen Koppelin [FDP]: Sehr wahr!) Das ist ein Riesenunterschied. Deswegen ist Ihre Bewer- tung in der Sache falsch. Es zeichnet sich sehr wohl eine In diesem Sinne ist die Energiepolitik von Minister Glos Besserung ab. eindeutig eine Kehrtwende. Ihre Maxime ist die Förde- (Dr. Rainer Wend [SPD]: Ein bisschen Konti- rung des Wettbewerbs zum Wohle der Verbraucher. Im nuität ist aber da! Da muss ich der FDP Recht Jahr 2007 wird ein umfangreiches Maßnahmenpaket geben! – Heiterkeit) verabschiedet, um auf dem Energiemarkt mehr Wettbe- (B) werb zu schaffen. (D) Sehr geehrte Damen und Herren, natürlich wurden hier unter Kanzler Schröder massive Fehler gemacht. Es Um nur einige dieser Maßnahmen zu nennen: Erstens. war ein Fehler, 2003 mit der Verrechtlichung der Ver- Die angesprochene Verordnung zur Anreizregulierung bändevereinbarung den jungen Wettbewerb zu ersticken. wird hoffentlich am 1. Januar 2008, spätestens aber am Es war ein Fehler, bei der Vorwärtsintegration der gro- 1. Januar 2009 in Kraft treten. Zweitens. Die Investitio- ßen Stromkonzerne in die Kommunalunternehmen taten- nen werden vorangetrieben. Einige Stromanbieter haben los zuzusehen. inzwischen Investitionen in Milliardenhöhe zugesagt. Drittens. Mit § 29 GWB werden wir das Bundeskartell- (Beifall bei der FDP) amt im Kampf gegen überhöhte Preise massiv stärken. Viertens. Die Energiepolitik ist der überragende Schwer- Es war ein Fehler, dass der Minister die Fusion von Eon punkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Zur Ent- und Ruhrgas genehmigt hat. stehung eines europäischen Strommarktes werden mas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sive Investitionen in Kuppelstellen an den Grenzen der FDP) getätigt. Das Leitbild war eben nicht primär mehr Wettbewerb, Keine Frage: Wenn all diese Maßnahmen innerhalb sondern das Leitbild waren nationale Champions. Die der nächsten drei bis vier Jahre nicht zu erheblich mehr Vorstellung war, mit Rückendeckung der deutschen Poli- Wettbewerb führen, dann werden wir letztendlich auch tik deutschen Großunternehmen auf dem Weltmarkt zu in Deutschland ernsthaft über eine eigentumsrechtliche helfen. Die Förderung des Wettbewerbs hatte bei Entflechtung reden müssen. Kanzler Schröder kein großes Gewicht. (Beifall bei der FDP – Bärbel Höhn [BÜND- (Beifall bei der FDP) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie das nicht schon jetzt?) Um das aus heutiger Sicht klar zu bewerten: Das war der falsche Weg. Es kann doch nicht sein, dass deutsche Ziel ist und bleibt ganz klar ein funktionierender Wettbe- Verbraucher aufgrund der vollkommen überhöhten werb – mit Energie zu niedrigen Preisen zum Wohle der Preise finanzieren, dass deutsche Unternehmen ir- Verbraucher. gendwo auf der Welt einkaufen gehen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8413

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Es ist vereinbart, die heutige Tagesordnung um die Bera- (C) Ich schließe die Aussprache. tung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kul- tur und Medien auf Drucksache 16/4460 zu dem Antrag Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/2499 mit dem schusses für Wirtschaft und Technologie auf Titel „Bundespolitik soll im Streit um die Wald- Drucksache 16/3582. Der Ausschuss empfiehlt unter schlösschenbrücke vermitteln“ zu erweitern und diese Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung als Zusatzpunkt 16 in Verbindung mit diesem Tagesord- des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/589 nungspunkt zu beraten. – Damit sind Sie offensichtlich mit dem Titel „Ordnungspolitischer Kompass für die einverstanden. Dann ist das so beschlossen, und ich rufe deutsche Energiepolitik“. Wer stimmt für diese Be- zugleich diesen Zusatzpunkt 16 auf: schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Stimmen der Koalition, des Bündnisses 90/Die Grünen richts des Ausschusses für Kultur und Medien und der Linken gegen die Stimmen der FDP. (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp- Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der LINKEN Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1082 mit dem Titel „Die zukünftige Energieversorgung sozial und öko- Bundespolitik soll im Streit um die Wald- logisch gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp- schlösschenbrücke vermitteln fehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Diese Be- – Drucksachen 16/2499, 16/4460 – schlussempfehlung ist ebenfalls angenommen mit den Stimmen der Großen Koalition und der FDP gegen die Berichterstattung: Stimmen der Linksfraktion bei Enthaltung des Abgeordnete Bündnisses 90/Die Grünen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse Christoph Waitz Tagesordnungspunkt 26 b. Beschlussempfehlung des Dr. Lukrezia Jochimsen Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck- Katrin Göring-Eckardt sache 16/4076 zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Bundeskartellamt stärken – Ausgewogene Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, eine halbe Stunde zu debattieren. Als Erster gebe ich das Wettbewerbsaufsicht auf den Energiemärkten“. Der Aus- Wort der Kollegin Lukrezia Jochimsen. schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/1678 ab- zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – (Beifall bei der LINKEN) (B) Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Be- (D) schlussempfehlung angenommen mit den Stimmen der Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linke und der Fraktion des Bündnisses 90/DieGrü- 32 Orte gibt es in Deutschland, die die UNESCO in den nen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion. Rang von Welterbestätten erhoben hat, darunter Dome Tagesordnungspunkt 26 c. Beschlussempfehlung des und Kirchen, Schlösser und Parks, ganze Altstädte, Ausschusses für Wirtschaft und Technologie auf Druck- Bergwerke, Flusstäler, auch das Bauhaus in Dessau. Es sache 16/3585 zu dem Antrag der Fraktion Die Linke gibt weitere zwölf Bewerber für diese globale Ehre, da- mit dem Titel „Energiepreiskontrolle sicherstellen“. Der runter das Wattenmeer, das Bayreuther Opernhaus und Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2505 die Franckeschen Stiftungen in Halle. Das heißt, mehr abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- als 40 komplexe und komplizierte Findungs- und Ent- lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Damit ist die scheidungsprozesse haben seit 30 Jahren stattgefunden Beschlussempfehlung angenommen bei Zustimmung der bzw. finden statt. Da ist es eigentlich eher ein Wunder, Koalition, der Fraktionen der FDP und des Bündnis- dass es bisher nur einen schweren und andauernden Konfliktfall gibt: Dresden, dessen Elbfront mit Zwinger, ses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Oper, Schloss und Frauenkirche 2004 in die Welterbe- Linke. liste der UNESCO aufgenommen wurde. Wegen des Ich rufe Tagesordnungspunkt 28 auf: Baus einer Straßenbrücke über die Elbe droht der Stadt nun die Aberkennung dieses Titels. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Dr. Petra Die Linksfraktion hat bereits im September vergange- Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der nen Jahres beantragt, dass sich die Bundesregierung ver- LINKEN mittelnd einschaltet. Schutz des Welterbes im Konflikt um die (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Waldschlösschenbrücke in den Vordergrund Kommunales Thema!) stellen Denn es geht bei diesem Konflikt aus unserer Sicht nicht – Drucksache 16/4411 – nur um eine Dresdener Lokalangelegenheit und auch Überweisungsvorschlag: nicht nur um eine Sache Sachsens. Ausschuss für Kultur und Medien (f) Auswärtiger Ausschuss (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung DIE GRÜNEN) 8414 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) Die Bundesregierung hat sich inzwischen eingeschaltet, (Beifall bei der CDU/CSU) (C) und auch der Ausschuss hat sich mit diesem Thema be- fasst. Denn es steht viel auf dem Spiel: unsere nationale Arnold Vaatz (CDU/CSU): Vertragstreue bei völkerrechtlichen Verpflichtungen, un- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau sere internationale Glaubwürdigkeit im Bereich des Kollegin Jochimsen, wie wir mit den Konsequenzen des Denkmalschutzes und unsere Fürsorgepflicht gegenüber noch ausstehenden Bautzen-Urteils umgehen, sollten wir den Kulturstätten Deutschlands, die sich zurzeit und in nicht heute entscheiden, sondern dann, wenn das Urteil Zukunft um den Titel „Welterbe“ bei der UNESCO be- gesprochen ist. werben. (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb hat unsere Fraktion einen aktualisierten An- trag eingebracht, der den Expertenvorschlag des Media- Ich habe Ihrem Antrag entnommen, dass Sie die Ein- tionsverfahrens aufnimmt, im Rahmen einer moderier- richtung einer „moderierten Perspektivenwerkstatt“ for- ten Perspektivenwerkstatt eine Lösung zu finden. Dafür dern. Darauf möchte ich eingehen. müsste sich jetzt die Bundesregierung einsetzen. In diese Richtung geht auch die Erklärung der SPD-Fraktion; sie Was das Verfahren angeht, ist festzuhalten, dass Ihr deckt sich mit unserem heutigen Antrag. Umso unver- erster Antrag zur Waldschlösschenbrücke abgelehnt ständlicher ist mir, dass die Beschlussempfehlung des wurde. Jetzt haben Sie einfach einen nahezu gleich lau- Ausschusses für Kultur und Medien lautet, unseren An- tenden zweiten Antrag eingebracht. Sie können sich trag abzulehnen. doch ausrechnen, dass auch dieser Antrag keine Mehr- heit finden wird, wenn Sie keine inhaltlichen Änderun- Wir wissen, dass der Streit zurzeit noch beim Ober- gen vorgenommen haben. verwaltungsgericht Bautzen anhängig ist. Ursprünglich wurde mit einer Entscheidung vor dieser Plenardebatte (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir hof- gerechnet. Aus Respekt vor dem laufenden Rechtsver- fen, dass sich bei Ihnen mal etwas ändert!) fahren wollen wir heute keine dezidierte Stellungnahme Wer eine solche Auffassung von Seriosität hat, zeigt, in der Sache vornehmen. Aber wir wollen uns mit den dass er das Parlament offenbar genauso wenig ernst Konsequenzen befassen, die aus dem Konfliktfall zu zie- nimmt, wie Sie in Dresden den Bürgerwillen ernst neh- hen sind, ganz unabhängig davon, wie das Gerichts- men wollen. urteil ausfällt und der Streit sich fortsetzen wird. Wir sind überzeugt, dass die Bundesregierung sich an den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Entscheidungsprozessen betreffend Welterbestätten in Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Das ist eine unglaubliche Unterstellung!) (B) Deutschland in Zukunft von Anfang an beteiligen sollte. (D) (Beifall bei der LINKEN) Sie versuchen offensichtlich, ein laufendes Gerichts- verfahren zu beeinflussen. In der Sache hat nicht der Wie wäre die Einrichtung eines Referats beim Staats- Deutsche Bundestag zu entscheiden, sondern – das wis- minister für Kultur und Medien – er ist leider nicht da –, sen Sie auch – das Oberverwaltungsgericht Bautzen. Sie (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: sollten aufhören, den Wählern Zuständigkeiten vorzu- Er ist auf einer Beerdigung!) täuschen, die Sie nicht haben. welches im Fall von Konflikten rechtzeitig Vermittlung (Beifall des Abg. Jan Mücke [FDP]) anbieten kann, ein Mediator für alle Fälle, eine Art Clea- ringstelle? Denn eines ist absehbar: In Zukunft wird es Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: eher mehr als weniger Konflikte um die Anerkennung Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Katja des Welterbetitels geben. Einzigartigkeit und Authentizi- Kipping zulassen, Herr Vaatz? tät verlangt die UNESCO. Doch diese beiden Kriterien sind in einem modernen, auf Wachstum und Verände- Arnold Vaatz (CDU/CSU): rung setzenden Land oft schwer miteinander zu verein- baren. Das gilt auch und gerade dann, wenn man Kultur- Nein. – Das vom Oberverwaltungsgericht Bautzen er- schätze bewahren und herausstellen möchte. möglichte Mediationsverfahren ist gescheitert. Das war – darauf haben der Kollege Mücke und ich übrigens In diesem Sinne lautet unser Vorschlag, aus dem schon während der Anhörung im Kulturausschuss hinge- Streit um die Waldschlösschenbrücke in Dresden zu ler- wiesen – auch nicht anders zu erwarten. Ich behaupte so- nen. Die Bundesregierung muss in diesem Fall vermit- gar, es war von Ihnen eingeplant. teln und – in geeigneter Form – bei allen zukünftigen Bewerbungen umso mehr. Genauso falsch ist die gelegentlich vorgetragene Be- hauptung, der Bau der Waldschlösschenbrücke bedeute Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Was das Überein- kommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der (Beifall bei der LINKEN) Welt angeht, existiert kein Gesetz, das seine Transforma- tion in deutsches Recht vorschreibt. Damit bindet es we- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der die Bundesrepublik Deutschland noch den Freistaat Jetzt hat Arnold Vaatz das Wort für die CDU/CSU- Sachsen und die Stadt Dresden. Es kann nicht einmal ge- Fraktion. gen einen Bürgerentscheid abgewogen werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8415

Arnold Vaatz (A) Ferner ist das UNESCO-Welterbekomitee nicht zu (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Das (C) verbindlichen Entscheidungen gegenüber Vertragsstaa- wissen Sie doch gar nicht!) ten oder einzelnen Kommunen berechtigt. Das ist die Nur der Vollständigkeit halber: Ohne diese Brücke nüchterne Rechtslage. Wenn Sie das nicht glauben, dann verläuft die Verkehrsführung in der Stadt Dresden auf bitte ich Sie, die Urteilsverkündung abzuwarten. Dann Jahre hinaus hufeisenförmig, weil die benachbarte Fluss- wissen Sie das auch. seite nur durch eine entfernte Brücke erreicht werden Dresden hat – das haben Sie bisher immer verschwie- kann. Die zusätzlichen Verkehrswege, die zusätzliche gen – den Antrag zur Aufnahme in die Weltkulturerbe- Verschmutzung, die zusätzlichen Wartezeiten, den zu- liste mit einem gültigen Stadtratsbeschluss zum Bau der sätzlichen Aufwand und die zusätzliche Entwertung von Brücke gestellt und den Zuschlag erhalten. Grundstücken, alles das werden Sie verursachen, wenn Sie sich durchsetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit der Brücke!) Wer von einem möglichen Kompromiss in dieser Die UNESCO kannte die Pläne zum Bau der Wald- Frage redet, der spekuliert auf die Unkenntnis der Sach- schlösschenbrücke bis ins Detail. lage beim Publikum und hat die wahre Absicht, den Bau (Jan Mücke [FDP]: Das ist auch richtig!) der Brücke zu vereiteln. Das Scheitern des Mediations- verfahrens bestätigt das. Jedes andere Verfahren, ob Sie Drei Gutachter des von der UNESCO beauftragten es nun moderierte Perspektivenwerkstatt oder perspekti- Gremiums, von ICOMOS, haben sich vor Ort von dem vische Moderationswerkstatt – oder welche andere ver- Bauvorhaben informieren können. Diese Gutachter ha- bale Flucht in die Infantilität Ihnen auch immer einfällt – ben nicht einmal ansatzweise ein Problem darin gesehen, nennen, ist nichts anderes als der Versuch, die Entschei- dass das Dresdener Elbtal auch mit der Wald- dung so lange hinauszuzögern, bis die Bindekraft des schlösschenbrücke zum Welterbe erklärt wird. Sie haben Volksentscheides kraft Gesetzes erlischt. Das ist das ei- keinen Bedarf für zusätzliche Prüfungen gesehen, son- gentliche Ziel, das Sie verfolgen. dern im Gegenteil die Einbettung der Brücke in die Landschaft mit der Feststellung gelobt, sie sei ausrei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – chend schlank und niedrig, um eine massive Wirkung in Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Das ist der Landschaft zu vermeiden. Das war die Einschätzung eine Unterstellung!) der UNESCO-Gutachter. Die Bürger der Stadt Dresden erwarten aber von der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Politik, dass ihnen erlaubt wird, das umzusetzen, was sie (B) (D) der FDP) rechtens entschieden haben. Danach bemisst sich unter anderem ihr Vertrauen in die Demokratie, Nun hat auf massiven Druck der im Plebiszit Unterle- genen die UNESCO-Führung in Berlin bei der Universi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tät in Aachen ein Gefälligkeitsgutachten in Auftrag ge- nämlich danach, ob der Unterlegene in der Lage ist, eine geben, das später acht Professoren der TU Dresden unter Niederlage zu akzeptieren oder nicht. Das sind Sie nicht. die Lupe genommen haben, die eine ganze Reihe von handwerklichen Fehlern bis hin zu fatalen Zeugnissen Wie immer die Angelegenheit ausgeht, ich bin der von Unkenntnis der Ortslage entdeckt haben. Dieses festen Überzeugung, dass es Ihnen misslingen wird, po- Gutachten der Universität Aachen ist die Grundlage für litisches Kapital aus der möglichen Vereitlung der Brü- den Beschluss von Vilnius, Dresden auf die Rote Liste cke zu schlagen, und zwar aus folgenden Gründen: zu setzen. Ich sage Ihnen voraus: Wenn die UNESCO Erstens. Die Menschen werden über Jahre hin mer- diese Praxis fortsetzt, dann verliert nicht die Stadt Dres- ken, was Sie ihnen eingebrockt haben. den an Autorität, sondern das für uns sehr wichtige Gre- mium der UNESCO. Zweitens. Die Stadt Dresden war 1945 ein Trümmer- haufen. Über 25 000 Tote wurden damals (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Was Der Brückenbau wurde in einem ordentlichen Bürger- ist denn das für ein Vergleich? Jetzt hören Sie entscheid mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die einmal auf, Herr Kollege!) Wahlbeteiligung bei diesem Plebiszit war höher als bei der vorangegangenen Kommunalwahl, Frau Jochimsen. – ich habe die Bitte, dass Sie das einmal zur Kenntnis Die klare Entscheidung für die Brücke ist nicht aus Lust nehmen – an Eingriffen in das Stadtbild oder aus Zerstörungswut (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Dresdner erfolgt, sondern deshalb, weil der Verzicht auf die Brücke verheerende verkehrliche, wirtschaftliche auf Eisenbahnschienen auf dem Altmarkt verbrannt. und stadtentwicklungsgefährdende Folgen hätte; das ist (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie missbrau- die Realität. chen das Leid der Menschen für Ihre Argu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mentation!) Alle diese Betrachtungen haben in Ihren Erwägungen – Lassen Sie mich doch bitte einmal ausreden! – Die bislang keine Rolle gespielt. Menschen waren mental und materiell so schwer getrof- 8416 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Arnold Vaatz (A) fen, wie man es sich nicht schlimmer vorstellen kann. Vaatz, sich so abfällig über die Anträge der Linken geäu- (C) Nun haben die Dresdner die Zeit nach 1945 genutzt, um ßert haben, ihre Stadt wiederaufzubauen. Das ist eine einzigartige ( [CDU/CSU]: Zu Recht!) Leistung. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man die Ausgangsposition betrachtet, an deren Beschreibung Sie will ich darauf hinweisen, dass wir die Ersten waren, die mich hindern wollten. die bundespolitische Bedeutung dieses Themas erkannt und den Brückenbau thematisiert haben. Wenn es nach (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der CDU gegangen wäre, dann hätte sich die Bundespo- Diese Leistung, auf die die Dresdner berechtigter- litik nicht damit beschäftigt, es hätte keinerlei Modera- weise stolz sind, zumal seit die Frauenkirche wieder tion gegeben, und Sie hätten leichtfertig den Titel „Welt- steht, ist nahezu einzigartig in der Welt; denn das Ganze kulturerbe“ für Dresden aufs Spiel gesetzt, was für eine wurde nicht ausschließlich öffentlich finanziert, sondern Stadt wie Dresden, die sehr stark auf Tourismus ange- zum Teil privat, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Ich wiesen ist, auch wirtschaftspolitisch ein extremes Pro- glaube nicht, dass die Dresdner, die das alles ohne die blem darstellt. Fürsorge, das Geld und die Ratschläge der UNESCO ge- (Beifall bei der LINKEN – Jan Mücke [FDP]: schafft haben, es akzeptieren werden, dass die UNESCO Setzen, fünf!) – so scheint es –, nachdem alles fertig ist, sich quasi in das gemachte Nest setzt und beginnt, die Bürger vor sich selber zu schützen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Vaatz. Das werden die Dresdner niemals akzeptieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Frau Kollegin Kipping, dass bei Ihnen die politische Ich sage Ihnen: Auch etliche Personen von der Minder- Ankündigung mit dem Handeln oder auch Wort und Tat heit, an die Sie appellieren, denken in dieser Frage ge- nicht übereinstimmen, haben Sie nicht erst bei dieser nauso. Bedenken Sie, was Sie anrichten, wenn Sie weiter Gelegenheit bewiesen. in dieser Art argumentieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vielen Dank. Wenn Sie im Stadtrat so reden und politisch anders han- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deln, dann spricht das nicht unbedingt dafür, dass Sie tat- sächlich bereit sind, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren. (B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D) Ich gebe jetzt Katja Kipping das Wort zu einer Kurz- Was Sie zu der Verkehrsführung gesagt haben, halte intervention. ich für kompletten Unsinn, wenn ich das einmal so sagen darf. Das sieht im Übrigen jeder, der den Stadtplan be- Katja Kipping (DIE LINKE): trachtet. Was Sie weiterhin über die Notwendigkeit des Herr Vaatz, es geht heute nicht um die verkehrliche Titels „Weltkulturerbe“ gesagt haben, bestreiten die Tou- Wirkung der Brücke, wobei ich glaube, dass Sie einem rismusverbände kategorisch. Sie sind an einem Ver- fatalen Irrtum unterliegen; denn die Brücke wird die kehrsfluss in dieser Region von Dresden weitaus interes- Stadt nicht entlasten, sondern vor allem Durchgangsver- sierter als an dem Titel „Weltkulturerbe“. kehr nach Dresden bringen. Sie hatten noch etwas über die Zustimmung der Be- Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie der Linken völkerung gesagt. Da verweise ich Sie auf die „DNN“ unterstellt haben, sie missachte den Bürgerwillen. Diese von voriger Woche. Dort wird genau das Gegenteil von perfide Unterstellung darf nicht unwidersprochen blei- dem belegt, was Sie gerade behauptet haben. Im Übrigen ben. zählt ein gültiger Volksentscheid. Es zählt niemals ir- gendeine Umfrage, wie immer sie ausfällt. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Etwas locker bleiben in der Wortwahl!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – [SPD]: Es zählt auch das Die Linke hat – das wissen Sie sehr genau – nach dem Völkerrecht, Herr Vaatz!) Bürgerentscheid gesagt, sie habe bis zuletzt für ein ande- res Votum gekämpft, aber jetzt akzeptiere sie diesen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bürgerentscheid. Jetzt gebe ich das Wort Jan Mücke für die FDP. (Jan Mücke [FDP]: Dann müssen Sie den An- (Beifall bei der FDP) trag zurückziehen!) Wir müssen jedoch auch zur Kenntnis nehmen, Herr Jan Mücke (FDP): Vaatz, dass inzwischen ein neuer Tatbestand eingetreten Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und ist. Eine Vielzahl von Leuten, die beim Bürgerentscheid Herren! Ich möchte am Anfang mit einem Irrtum aufräu- für die Brücke gestimmt haben, hat gesagt, dass sie die men, dem die Kollegin Kipping hier erlegen ist. Sie ist Brücke nicht zu dem Preis wollten, dass das Dresdner davon ausgegangen, dass die Dresdnerinnen und Dresd- Elbtal den Titel „Weltkulturerbe“ verliert. Weil Sie, Herr ner beim Bürgerentscheid nicht darüber informiert ge- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8417

Jan Mücke (A) wesen sind, dass es sich beim Dresdner Elbtal um ein (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Richtig!) (C) Weltkulturerbe handeln würde. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Dresdner ihre Mei- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE nung nicht geändert haben. Auch die veränderte Medien- LINKE]: Das ist doch Quatsch! Jetzt wird es landschaft hat daran nichts geändert. Die in der „DNN“ immer billiger!) vom 22. Februar abgedruckte Umfrage zeigt ganz ein- deutig, Das ist falsch. Der Bürgerentscheid zur Wald- schlösschenbrücke – das muss man hier noch einmal sa- (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Ich gen – ist ein Musterbeispiel für direkte Demokratie und denke, Umfragen sollen wir nicht zur Kenntnis dafür, wie demokratische Prozesse richtig durchgeführt nehmen!) werden. dass für den Bau der Waldschlösschenbrücke 58 Prozent (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: sind – auch wenn es die Zugehörigkeit zum UNESCO- Richtig!) Weltkulturerbe kosten würde – und dass 25 Prozent da- Es hat zu diesem Bürgerentscheid ein Abstimmungs- gegen sind. Ich kann Ihnen diese Umfrage gern zur Ver- buch gegeben, welches jeder Dresdner Haushalt in den fügung stellen. Briefkasten bekommen hat. Auf acht Seiten konnten so- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: wohl die Gegner als auch die Befürworter der Wald- Das tu mal lieber! – Dr. Martina Krogmann schlösschenbrücke ihre Position deutlich machen. [CDU/CSU]: Ja, unbedingt zur Verfügung stel- Ich darf Ihnen mit Genehmigung der Frau Präsidentin len!) zitieren, was die Gegner der Waldschlösschenbrücke auf Sie stammt vom Institut für Kommunikationswissen- Seite 1 dieses Buches geschrieben haben: schaften der Technischen Universität Dresden. Es ist Liebe Dresdnerinnen und Dresdner! … Sie haben also kein Gefälligkeitsgutachten. die Möglichkeit zu entscheiden: … Vor allem aber Dass Sie mit direkter Demokratie ein Problem haben, werden Sie bestimmen, wie mit der einzigartigen haben wir schon mehrfach beobachten können. Es ist be- Elbtallandschaft, die zum UNESCO-Weltkulturerbe dauerlich, dass Sie den demokratischen Willen der gehört, umgegangen wird. Dresdner mit Füßen treten. Das ist die Wahrheit. ( [CDU/CSU]: Frau Kipping, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haben Sie das überlesen?) Mit Füßen getreten haben die Demokratie allerdings Wir (B) auch die Mediatoren. (D) – die Gegner – (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Jawohl! Sehr rich- meinen: Diese Brücke ist zu teuer. Sie löst die Ver- tig!) kehrsprobleme nicht. Sie schädigt die einmalige Das muss man kritisch anmerken. Dieses Mediations- Elblandschaft. verfahren hat nicht dazu geführt, dass verschiedene Po- Das haben die Gegner der Waldschlösschenbrücke in sitionen zusammengeführt werden. diesem Abstimmungsbuch geschrieben. In Kenntnis (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das war gar nicht dieser Behauptung, die sie in diesem Abstimmungsbuch beabsichtigt!) aufgestellt haben, in Kenntnis der Tatsache, dass es sich um etwas handelt, was zum UNESCO-Weltkulturerbe Im Gegenteil: Die Mediatoren haben auf einer Maximal- gehört, haben sich die Dresdnerinnen und Dresdner zu position beharrt, indem sie gesagt haben: Wald- 68 Prozent für die Bau der Waldschlösschenbrücke ent- schlösschenbrücke – auf gar keinen Fall. Auf diese schieden, und in einer Demokratie hat zu gelten, was die Weise kann man Mediation nicht betreiben. Mehrheit des Volkes will. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Die Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Mediatoren stammen aber nicht aus der Lin- Lesen Sie einmal die Kurzintervention von ken! Das wollen wir mal festhalten!) Frau Kipping im Protokoll nach, dann werden – Ja, Sie sind ja auch nicht für alles verantwortlich. Aber Sie feststellen, dass Sie sich das alles hätten ich bin mir ziemlich sicher: Wenn Sie die Mediatoren sparen können!) gestellt hätten, dann wäre das Ergebnis ähnlich katastro- – Ich weiß, dass Sie das alles sehr aufregt. Ich weiß phal ausgefallen. auch, dass die Linke mit Instrumenten direkter Demo- (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Ha- kratie immer dann kommt, wenn Sonntagsreden gehal- ben wir nicht!) ten werden müssen, Mir ist völlig unverständlich, warum die Mediatoren ( [FDP]: Demokratie regt die so- einen bestimmten Weg nicht gegangen sind, den ich ei- wieso auf! Seit über 40 Jahren!) gentlich für einen akzeptablen Kompromiss gehalten aber nicht dann, wenn es um die tatsächliche Umsetzung habe. Es ist ja ganz häufig so, dass Verkehrsprojekte Pro- von direkter Demokratie geht. bleme in landschaftlicher oder in anderer Hinsicht her- 8418 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Jan Mücke (A) vorrufen. Daher haben wir, der Gesetzgeber, die Mög- Jan Mücke (FDP): (C) lichkeit geschaffen, Ausgleichsmaßnahmen vorzusehen. Das sehe ich, mit Verlaub, anders. Auch die Mediato- Ich verstehe nicht, warum die Mediatoren diese Chance ren haben sich bemüht, einen Kompromiss zu finden. nicht genutzt haben. So hätte die Wertschätzung für die- Wir müssen einen Kompromiss finden, der wirklich bei- ses Weltkulturerbe, die selbstverständlich vorhanden ist, des vereint, der auf der einen Seite den Willen der Bür- zum Ausdruck gebracht werden können. Ich will Ihnen ger umsetzt, die Brücke zu bauen, und auf der anderen zwei konkrete Beispiele nennen. Seite – – Es gibt im Gebiet dieses Weltkulturerbes zwei Schlös- (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Was ser, die dringend sanierungsbedürftig sind: Das eine ist denn nun? Ich denke, die Mediatoren haben die Villa Stockhausen, und das zweite ist das Schloss keinen Kompromiss gefunden!) Übigau. Beide Häuser sind ruinös; beide müssen saniert werden. Die Sanierung beider Villen mit öffentlichen – Ich habe Ihnen lange zugehört, Frau Jochimsen. Ich Mitteln wäre ein idealer Anlass gewesen, um auch der weiß, dass Ihnen das schwerfällt, UNESCO zu zeigen: Wir nehmen diesen Titel ernst; aber wir können am Bürgervotum nicht vorbei. Wir werden (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Es und wir wollen diese Brücke bauen; aber wir werden an fällt mir nur schwer, pausenlos Widersprüche anderer Stelle einen Ausgleich für diesen Eingriff in das hinzunehmen!) Weltkulturerbe schaffen. – Das wäre aus meiner Sicht weil es für Sie unangenehm ist, dass Sie den Bürgerwil- und aus der Sicht der FDP-Fraktion ein akzeptabler len mit Füßen treten. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Kompromiss gewesen. Sie mich trotzdem einfach ausreden lassen würden. Stattdessen haben die Mediatoren auf Maximalposi- (Zuruf von der FDP, zur LINKEN gewandt: tionen beharrt, und wer auf Maximalpositionen beharrt, Ich denke, ihr seid so basisdemokratisch!) der wird am Ende eine Entscheidung vor Gericht nicht vermeiden können. Wir werden sehen, wie das Oberver- Es ging in dieser Frage darum, einen Kompromiss zu waltungsgericht in der nächsten Woche entscheiden finden. Dabei sind die Mediatoren gnadenlos gescheitert. wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die dritte Gewalt Wichtig wäre es gewesen, diesen Ausgleich zu finden. des Staates den Willen des Volkes akzeptiert. Das ist leider gescheitert. Vielen Dank. Man muss eines sehen – das möchte noch kurz ergän- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zen –: Die UNESCO-Welterbekonvention hat einen ganz entscheidenden Fehler: Sie sieht für den Konflikt- (B) der CDU/CSU) (D) fall keinerlei Regelungen vor. Da ist die Bundesregie- rung gefordert, international aktiv zu werden mit dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ziel, dass es dafür künftig Regeln gibt: Herr Mücke, möchten Sie eine Nachfrage der Kolle- gin Kurth zulassen, die eigentlich eine Zwischenfrage (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Ge- sein sollte? nau das haben wir heute beantragt!) Wie findet eine Mediation statt? Sind alle Entscheidun- Jan Mücke (FDP): gen des Welterbekomitees eigentlich sakrosankt, oder Bitte schön. müssen diese nicht möglicherweise auch überprüft wer- den können? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja! Wie kann man Bitte schön. sie anfechten?)

Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE Das alles sind Fragen, die geklärt werden müssen. So- GRÜNEN): lange dies nicht geschehen ist, ist für uns als FDP-Frak- Herr Mücke, Sie haben eben als Vorschlag für die tion die Entscheidung ganz klar: Art. 20 Abs. 2 Grund- Mediatorengruppe angegeben: Es hätten Ausgleichs- gesetz: maßnahmen geprüft werden sollen. – Ich frage Sie, ob Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Ihnen bewusst ist, dass es hier nicht um eine Pflichtauf- gabe geht, die die Sanierung denkmalgeschützter Ge- Vielen Dank. bäude, zum Beispiel Schlösser, betrifft – das wäre über- haupt nicht in Erwägung zu ziehen gewesen –, sondern (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dirk darum, dass hier das Gesamtbild des Welterbes zerstört Niebel [FDP]: Ich bin gespannt, ob die Grünen würde. Es ist völlig unerheblich, was da saniert ist oder das mit der Demokratie jetzt verstanden ha- nicht saniert ist. Ich frage Sie also: Ist Ihnen bewusst, ben!) dass Ausgleichsmaßnahmen zum Erhalt eines Gesamt- bildes, das geschützt ist, nicht tauglich sind? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Mangelnde Orts- Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang kenntnis, Frau Kollegin!) Thierse für die SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8419

(A) Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): kommen andererseits letztlich gewinnen und ein Urteil (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! keine befriedende Wirkung haben wird. – Wahrlich eine Eine kleine Bemerkung vorweg, Kollege Vaatz: Wir weise Beurteilung. sollten der UNESCO nicht drohen, wie Sie das hier ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. macht haben. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU] (Beifall bei der SPD und der LINKEN) meldet sich zu einer Zwischenfrage) Zweitens. Ich finde es unangemessen, dass man das Blicken wir nach Köln! Dort existierte ein ähnlicher Leid der Dresdener von 1945 für eine Entscheidung in- Konflikt. Es gab ein Mediationsverfahren. Die Stadtver- strumentalisiert, über die man streiten kann. Das finde waltung und der Bürgermeister haben sich zu einem ich hochproblematisch. Kompromiss bereitgefunden. An dieser Stelle, Herr Kol- lege Mücke, eine kleine Bemerkung zum Stichwort (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem „Ausgleichsmaßnahme“. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Lukrezia (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sie vergleichen Jochimsen [DIE LINKE]: Ja! – Wolfgang Äpfel mit Birnen, Herr Thierse!) Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das hat er schon richtig gemacht!) Wie fänden Sie das: Man baut eine Brücke, die den Blick auf den Kölner Dom verstellt, und an anderer Stelle wird Im Übrigen: Es geht auch nicht so sehr um eine juris- ein barockes Schlösschen saniert. Das ist doch wohl kein tische Frage; dann wäre es relativ einfach. Es geht uns sinnvoller Vorschlag. Ich glaube, Ausgleichsmaßnahmen auch nicht darum, Kollege Vaatz, uns einen parteipoliti- dieser Art sind nicht sinnvoll. schen Vorteil zu verschaffen, sondern es geht um einen beunruhigenden Konflikt. Die geplante Waldschlöss- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem chenbrücke durchschneidet und zerstört das unter dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) besonderen Schutz des UNESCO-Titels „Weltkultur- erbe“ stehende wunderschöne Elbtal. Dieses Mediationsverfahren hat stattgefunden, die Stadtverwaltung Dresden und das Regierungspräsidium (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das wusste die Sachsen haben sich aber, wie ich höre, nicht konstruktiv UNESCO vorher, Herr Kollege!) an diesem Vermittlungsversuch beteiligt – Moment einmal! Ich beschreibe doch nur den Kon- (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Sie wurden über- flikt. – Es geht um einen Konflikt einerseits zwischen ei- haupt nicht eingeladen!) (B) ner Stadtverwaltung und vor allem einem Regierungs- (D) präsidium, die sich immerhin auf einen Bürgerentscheid Im Gegenteil: Sie haben sich eher obstruktiv verhalten. berufen können – das ist gewiss von außerordentlichem Das nenne ich durchaus skandalös. Gewicht; selbstverständlich –, und andererseits dem (Jan Mücke [FDP]: Das ist nicht wahr!) Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland, der als Ver- tragsstaat der UNESCO bestimmte Verpflichtungen ein- Im schriftlich niedergelegten Ergebnis zum Media- gegangen ist. tionsverfahren wird einheitlich festgestellt – ich zitiere –: (Beifall des Abg. Volker Schneider [Saar- Die geplante Waldschlösschenbrücke respektiert brücken] [DIE LINKE]) die gewachsene Kulturlandschaft nicht. ... Die der- zeitige Planung für die Waldschlösschenbrücke ist Dieser Konflikt ist nicht allein eine städtische Ange- nicht durch Detailmaßnahmen verbesserbar. legenheit. Deswegen ist es legitim, dass wir hier darüber reden. Es ist ein Konflikt, bei dem es durchaus um eine (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist ein subjek- Frage von nationaler Tragweite geht. Dieser Konflikt ist tives Fehlurteil!) nicht mit bornierter Sturheit zu lösen. – Ja, das ist Ihre Meinung. (Beifall bei der SPD und der LINKEN – (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Ja, natürlich! Das Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: ist meine Meinung! Das müssen Sie akzep- Legen Sie die doch ab! – Reinhard Grindel tieren!) [CDU/CSU]: Meinen Sie die UNESCO da- mit? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Sachverständigen, die immerhin neutral sind, schla- Wen meinen Sie denn? – Wolfgang Börnsen gen deshalb eine moderierte Perspektivenwerkstatt unter [Bönstrup] [CDU/CSU]: Ross und Reiter nen- Beteiligung der Politik, der Verwaltung, von Vertretern nen! Wer ist das? Wer ist gemeint?) der Stadtgemeinschaft, von Fachwissenschaftlern und der UNESCO vor, um in diesem Verfahren verbindliche Das Oberverwaltungsgericht hat das gerichtliche Ver- Grundlagen und Rahmenbedingungen für eine neue Pla- fahren ausgesetzt und einen Mediationsversuch vorge- nung festzulegen. schlagen, genau deshalb, weil, wie die sehr weise Be- gründung lautet – ich zitiere –, keine der streitenden Parteien durch eine gerichtliche Entscheidung zwischen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Bürgerentscheid einerseits und völkerrechtlichem Ab- Herr Thierse. 8420 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

(A) Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): – Herr Kollege Vaatz, wie Sie bemerkt haben, habe ich (C) Wir unterstützen diesen Vorschlag aus einem einfa- Ihnen absolut ruhig zugehört. Könnten Sie die parlamen- chen Grund ausdrücklich. tarische Leistung aufbringen, auch mir ruhig zuzuhören? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: DIE GRÜNEN) Herr Thierse, ohne Ihren Redefluss unterbrechen zu Ich habe von „bornierter Sturheit“ gesprochen und wollen: Der Kollege Börnsen würde gerne eine Zwi- meinte, dass man einen Konflikt nicht dadurch löst, dass schenfrage stellen. man mit dem Kopf durch die Wand geht, egal, welche Seite dies tut. Ich habe keine einseitige Schuldzuwei- Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): sung vorgenommen. Wollen Sie noch? (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Natürlich! – Ge- genruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Nein, hat Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): er nicht!) Ja. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass der Bürgerentscheid von außerordentlichem Gewicht ist; selbstverständlich. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt geht es aber darum, einen drohenden Verlust Bitte schön. des Welterbestatus zu verhindern. Das würde weltweit erstmalig geschehen und der internationalen Glaubwür- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): digkeit Deutschlands im Bereich des Denkmalschutzes Frau Präsidentin, meine Frage bezieht sich auf einen und im Hinblick auf seine Vertragstreue schaden. Darum Sachverhalt, der angesprochen wurde, als alle drei Per- geht es. Das ist das andere gewichtige Gut. sonen im Präsidium ihre Köpfe noch gesenkt hatten und Zwischen dem Anspruch einer Mehrheit der Bürger, schwer beschäftigt waren. die über den Bürgerentscheid abgestimmt haben, und Ich möchte den Kollegen Wolfgang Thierse Folgen- des Regierungspräsidiums auf der einen Seite sowie des des fragen: Es ist klar, dass uns bei einer solchen Thema- Kulturstaates Deutschland, der Vertragspartner ist, auf tik das Herz überläuft; das gilt für alle Beteiligten. Herr der anderen Seite gibt es einen wirklichen Konflikt. Des- Kollege, Sie sprachen aber von „bornierter Sturheit“ der wegen begrüßen wir ja diesen Vermittlungsversuch, da- Befürworter der Brücke. mit wir aus diesem Dilemma einer Nichtentscheidung (B) herauskommen. (D) (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Genau so hat er es gesagt!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Gleichzeitig wissen Sie, dass sich 68 Prozent der Dres- Herr Kollege. dner für die Brücke ausgesprochen haben. Wen meinen Sie? Ich glaube, Sie selbst haben ein Interesse daran, Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): dass in der politischen Kultur auch wirklich Ross und Ich glaube – wenn ich es richtig sehe und richtig ge- Reiter genannt werden, weil das im Umgang miteinan- hört habe –, dass die Stadt Dresden zu Kompromissen der fairer ist. bereit ist.

Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Kollege Börnsen, erstens halte ich im Vergleich Herr Kollege, es gibt zwei Meldungen zu Zwischen- zum Kollegen Vaatz eine vergleichsweise sachliche fragen. Rede. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das war schon Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): wieder eine Unverschämtheit! – Jürgen Das Problem sind aber das Regierungspräsidium und Koppelin [FDP]: Na ja!) das Land Sachsen – im Grunde die sächsische CDU – sowie, wenn Sie so wollen, auch ein paar FDP-Politiker. Ich könnte auch polemischer sein. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Jetzt wird es hier (Beifall bei der SPD – Reinhard Grindel unsachlich, Herr Kollege!) [CDU/CSU]: Er war engagiert!) Es ist also nicht so, dass die Bundesregierung den Kon- Zweitens habe ich ziemlich genau gesagt, dass bor- flikt lösen kann. Es wäre aber schon ganz sinnvoll – – nierte Sturheit nicht hilft. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Darf ich einmal Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fragen, wo ich unsachlich war? Können Sie Herr Kollege, es gibt noch zwei Wünsche, eine Zwi- mir das sagen? – Gegenruf der Abg. schenfrage zu stellen, nämlich einmal vom Kollegen Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Lesen Sie die Beck und einmal vom Kollegen Mücke. Möchten Sie Rede einmal nach!) beide noch zulassen? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8421

(A) Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): (C) Wenn sie meine Redezeit verlängern wollen, bitte. Herr Mücke, die ständige Berufung auf diesen Bürger- entscheid und die Forderung, auf keinen Fall etwas an- deres zu tun, als dieser vorgibt, ist keine Lösung eines Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Konflikts. Jedenfalls ist das kein Kompromiss. Das ist Wegen Ihres Weges nach der Rede und damit Sie eine Lösung, die zulasten des Kulturstaates Bundesrepu- nicht den falschen Bogen machen, kündige ich Ihnen blik Deutschland als Vertragspartner der UNESCO geht. jetzt gleichzeitig aus gegebenem Anlass noch an, dass es Ich sage: Wir haben – möglicherweise gerade als Nicht- auch noch den Wunsch von Herrn Vaatz gibt, das Wort dresdener – die Pflicht, eine dritte Lösung zu finden, zu einer Kurzintervention zu erhalten. – Jetzt ist der Kol- die zwischen der einen und der anderen Variante liegt. lege Beck an der Reihe. Es braucht eine Lösung, die den Interessen der Dresde- ner und der Lösung der Verkehrsprobleme dienen kann, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): die jedoch auch berücksichtigt, dass wir vielleicht auch Herr Kollege Thierse, Sie haben gerade betont, dass weiterhin Anträge auf Verleihung dieses Kulturerbetitels Sie uns Ihre Rede hier sachlich vortragen. Ich kenne ja stellen wollen. Aus Sachsen sind mehrere solcher An- Ihre sachliche Argumentation; wir haben sie gerade ge- träge unterwegs. hört. Zur Belebung der parlamentarischen Demokratie Wenn ein solcher Weltkulturerbetitel zum ersten Mal – das ist Gegenstand des nächsten Tagesordnungspunk- in der Geschichte der UNESCO aberkannt würde, dann tes – würde ich, wenn Sie gestatten, jetzt gerne auch wäre das ein schwerer Schaden für den Kulturstaat noch die polemische Version von Ihnen hören. Deutschland und auch für das Kulturland Sachsen. Da- rum geht es mir, und dafür müssen wir eine Lösung fin- (Heiterkeit – [Spandau] [SPD]: den. Wir auch!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dr.h.c. Wolfgang Thierse (SPD): der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich werde mich zurückhalten. – Ich habe eine klare Meinung. Ich kenne Dresden ganz gut und bin sehr oft Es geht darum, Schaden abzuwenden. dort. Ich glaube, dass die Brücke, wie sie jetzt an dieser (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Dann machen Sie Stelle und in diesen Ausmaßen geplant ist, das Obere das doch!) Elbtal zerstört. Es geht nicht darum, stur auf einer Lösung zu beharren, (B) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem die Sie vertreten. Das ist meine Position. Ich bin sehr da- (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für, und ich fordere die Parteivorsitzende der CDU, Frau Ich glaube, dass es deshalb vernünftig ist, zu versu- Merkel, oder den sich in Dresden sehr gut auskennenden chen, eine andere Verkehrslösung mit einer kleineren, ei- Kanzleramtsminister de Maizière auf, in diesem Sinne ner schmaleren Brücke an einer anderen Stelle zu finden. zu wirken; denn sie könnten hier einwirken. Das Ganze Es gibt dazu sehr seriöse Vorschläge. ist nicht so sehr eine Sache der Bundesregierung. Sie könnten aber auf die sächsische Landesregierung oder (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der das Regierungspräsidium einwirken, um doch noch eine LINKEN) andere Lösung zu ermöglichen, die beide Interessen be- rücksichtigt. Das halte ich für vernünftig! Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordenten Herr Mücke, bitte schön. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Jan Mücke (FDP): Und der Volkeswille wird missachtet! Das ist eine Demokratieauffassung, die sich gelohnt Herr Kollege Thierse, Sie hatten eben vorgeschlagen, hat!) an einer anderen Stelle eine kleinere und besser in die Landschaft passende Brücke zu bauen. Wenige Sätze zu- vor haben Sie gesagt, dass Sie den Bürgerentscheid Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: selbstverständlich ernst nehmen und das Votum berück- Ich gebe das Wort dem Kollegen Vaatz zu einer Kurz- sichtigen wollen. Können Sie mir bitte erklären, wie intervention. diese beiden Aussagen zusammenpassen? Die Frage des Bürgerentscheids lautete – um es noch einmal zu referie- Arnold Vaatz (CDU/CSU): ren –: Sind Sie für den Bau der Waldschlösschenbrücke? Herr Kollege Thierse, ich will Ihrem Eigenlob bezüg- Daneben gab es eine Zeichnung, auf der die Lage der lich der Sachlichkeit Ihrer Rede nicht unbedingt wider- Brücke exakt eingezeichnet war. Sehen Sie einen Wider- sprechen. spruch zwischen diesen beiden Aussagen? Wenn Sie kei- (Zuruf von der FDP: Ich würde schon wider- nen Widerspruch darin sehen, können Sie mir dann bitte sprechen!) sagen, wie Sie das Votum der Dresdener Bürger für den Bau der Waldschlösschenbrücke mit dem Bau an einer Zumindest eines will ich aber richtigstellen: Ich meine, anderen Stelle vereinigen wollen? man müsste zwischen Kritik und Drohung differenzieren 8422 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Arnold Vaatz (A) können. Wenn ich eine Entscheidung der UNESCO kriti- Ich möchte noch eines hinzufügen: Ihre Vorstellung (C) siere und nach Möglichkeiten frage, wie man sich als be- von Kompromissen entbehrt jeder sachlichen troffener Bürger gegen eine solche wenden kann, wenn Grundlage. – – man sie nicht für sachgerecht hält, dann halte ich das für eine demokratische, akzeptable und notwendige Hal- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tung. Im Unterschied dazu ist das, was Sie sagen, eine Herr Kollege, Kurzinterventionen sind zeitlich be- Drohung. Ich weiß nicht, an welcher Stelle Sie von mir grenzt. – Bevor Herr Thierse antworten kann, habe ich eine Drohung gegenüber der UNESCO gehört haben noch eine Kurzintervention des Kollegen Koppelin zu wollen. seinem Beitrag in der Hoffnung, dass es sich nicht um (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Lesen Sie mal ein Vorziehen der nächsten Debatte handelt. nach!) Bitte schön, Herr Koppelin. – Bitte schön, ich bin von Herrn Thierse angegriffen ( [BÜNDNIS 90/ worden. Mir ist das unterstellt worden, also darf ich das DIE GRÜNEN]: Das sollte man insgesamt der zurückwerfen. – UNESCO schicken!) (Zurufe von der SPD: Oh!) Jürgen Koppelin (FDP): Herr Thierse, ich verwahre mich gegen die Unterstel- Herr Kollege Thierse, ich war echt gespannt auf Ihren lung, ich hätte die Opfer von 1945 für die Wald- Beitrag, weil ich auch ein bisschen gehofft hatte, dass schlösschenbrücke instrumentalisiert. Sie versöhnliche Töne anklingen lassen und vielleicht (Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Aber das haben die beiden Gegensätze zueinanderführen würden. Ich Sie gemacht!) muss aber sagen, dass ich in Ihrem Redebeitrag weder eine Lösungsmöglichkeit gesehen habe – Sie haben – Darf ich das bitte richtig stellen? – Ich habe lediglich keine angeboten – noch eine Meinung habe erkennen feststellen wollen, dass es den Bürgern der Stadt Dres- können. Deswegen tut mir Ihre Rede sehr leid. Sie soll- den – vom Ausgangspunkt 1945 gedacht – viel schwerer ten sie einfach noch einmal nachlesen. Bei einem so gefallen ist als den Bürgern mancher anderer Städte, die- wichtigen Punkt sollte man hier nicht als Schulmeister ses Stadtbild wieder herzustellen. Das habe ich erwäh- auftreten, den anderen Noten geben und sich selber auf nen wollen, und das wird man wohl noch dürfen. einen hohen Sockel stellen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (B) neten der FDP) (D) Herr Kollege Thierse, Sie haben uns der Parteipolitik Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bezichtigt. Die Gleichsetzung von Regierungspräsidium Herr Thierse, bitte schön. und CDU kam doch wohl von Ihnen. Habe ich mich da verhört, oder war das so? Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Herr Koppelin, dass Ihnen meine Rede leidtut, kann (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ ich nicht verhindern; sie ist gehalten. DIE GRÜNEN]: Verhört!) (Jürgen Koppelin [FDP]: Sie tut mir trotzdem Als Nächstes sage ich Ihnen: Ich verstehe nicht, wie leid!) Sie das Eintreten für die Umsetzung eines Mehrheitswil- lens als borniert bezeichnen können. Ich verstehe auch Herr Kollege Vaatz, ich will Ihnen nur noch einmal nicht, wie Sie sich außerdem in primitive Beschimpfun- eine einzige Frage stellen: Warum ist in Dresden nicht gen flüchten können, möglich, was in Köln möglich war? (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/ (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Weil eine Brücke und DIE GRÜNEN]: Was sind das für Unterstel- ein Hochhaus verschiedene Dinge sind!) lungen? – Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE Auch in Köln ging es um die Gefährdung des Titels LINKE]: Das tut er doch gar nicht!) „Weltkulturerbe“. Es ging um eine entschlossene und indem Sie das Regierungspräsidium in Dresden mit Vo- auch wütende Bürgerschaft. Dann haben Bürgermeister, kabeln bedenken, die Ihrer nicht würdig sind. Stadtverwaltung, wahrscheinlich auch Regierungspräsi- dium, die beteiligten Parteien und vor allem das Land (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Jetzt wird es gesagt: peinlich!) (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Wir sind im Zum Schluss frage ich Sie, was Sie eigentlich unter Bundestag!) „einwirken“ verstehen. Ich verstehe nicht, auf wen Sie in Wir müssen sehen, wie wir eine vernünftige Lösung zu- Dresden einwirken wollen. Sie müssen doch die Frage stande bringen, die diesen Status nicht gefährdet und beantworten, ob die Bundesregierung das Recht hat, ei- Deutschland als Vertragspartner nicht schädigt. nen Bürgerentscheid in Dresden zu kippen, der demo- kratisch zustande gekommen ist. Sie müssen schon die Warum soll dasselbe nicht auch in Dresden möglich Frage beantworten, ob Sie das tun wollen oder nicht. sein, indem man zum Beispiel weiter miteinander redet, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8423

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) um eine Lösung zu finden? Es geht um Standort, Art und Ich habe gehört, dass die FDP die Frage der Kultur zu ei- (C) Größe der Brücke. Hier liegen die Kompromissmöglich- nem ganz besonderen Schwerpunkt ihrer Politik machen keiten. Wo sonst? Sie lehnen einen Kompromiss ab. Das will. Ich finde es vor diesem Hintergrund schade, dass haben Sie deutlich gesagt. hier nun in ganz anderer Art und Weise debattiert wurde, nämlich mehr über juristische Fragen und weniger über (Jan Mücke [FDP]: Lehnen Sie den Bürgerent- die kulturellen Fragen, die hiermit zusammenhängen. scheid ab?)

Ich halte das für falsch, weil es uns in Deutschland ins- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gesamt als Kulturstaat schadet. Das ist die Meinungsdif- ferenz zwischen uns beiden. Daran ist nichts zu beschö- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des nigen oder zu entschuldigen. Kollegen Börnsen? (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Mücke NEN): [FDP]: Dann sind Bürgerentscheide egal!) Sehr gerne. (Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Frau Kollegin Göring-Eckardt, wir alle haben Ver- ständnis für Ihre kulturpolitische Argumentation. In Ih- Ich erteile Kollegin Göring-Eckardt, Fraktion des ren Ausführungen ging es ja auch um den Gesichts- Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort. punkt, was der Kulturlandschaft Deutschland nützt oder (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der schadet. Finden Sie es da nicht ein wenig deplatziert SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/ – ich halte das sogar für höchst problematisch –, dass Sie DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der in einer Nebenbemerkung sagten, es gehe dabei auch um LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Sportliche die Lobbyinteressen der Autoindustrie? Sie unterstel- Leistung!) len damit den 68 Prozent der Bürger, die, wohlwissend, was das bedeutet, für die Brücke votierten und damit ih- ren Willen darüber zum Ausdruck gebracht haben, was Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Zukunft für Dresden gut und richtig ist, sie seien NEN): nichts anderes als die Speerspitze der Autolobbyisten. Ich will nur sagen, dass es ausdrücklich nicht darum (B) Hierbei handelte es sich um gutwillige Frauen und Män- (D) geht, Dynamik aus der Debatte zu nehmen. ner, die, wohlwissend um die Problematik, ihre Stimme Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! abgegeben haben. Was ist uns denn der Wille der Bürger Wir haben auch im Kulturausschuss schon über dieses überhaupt noch wert, wenn wir deren eigene mündige Thema debattiert. Es ist schade, dass aus einigen Frak- Entscheidung nicht akzeptieren? tionen die Mitglieder des Kulturausschusses heute nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und reden und dass auch der Vorsitzende nicht hier sein der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ kann. DIE GRÜNEN]: Das aus Ihrem Mund! Ich la- Bei jener Debatte waren wir uns der großen Bedeu- che mich tot!) tung des kulturellen Erbes sehr bewusst. Darüber müs- sen wir in dieser kulturpolitischen Debatte auch noch Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einmal intensiv reden, unabhängig von Auseinanderset- NEN): zungen auf kommunaler Ebene. Zunächst einmal ist festzuhalten, Herr Börnsen: Die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frage, um welche Lobbyinteressen es geht, ist ja in Dresden sehr ausführlich diskutiert worden. Dabei ging Bei jener Debatte ging es sehr stark darum, dass der es auch um die angesprochene Lobby. Ich finde, man Schutz des kulturellen Erbes – das ist ja weit mehr als kann das an dieser Stelle auch einmal sagen. Nichtsdes- die Frage, ob eine Brücke gebaut wird oder nicht – Vor- toweniger hat die Stadtratsfraktion der Grünen, ähnlich rang vor angeblichen Sachzwängen haben soll, im Fall wie die der Linken, unmittelbar nach der Abstimmung der Dresdner Waldschlösschenbrücke eben auch vor den – das kann man nachlesen – im Stadtrat gesagt: Wir wa- Lobbyinteressen der Autoindustrie. ren zwar gegen die Brücke, aber wir respektieren den Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte im Üb- Bürgerentscheid. rigen dem Vorsitzenden des Kulturausschusses aus- drücklich dafür danken, dass er sich gegen den heftigen Ich selbst war zusammen mit anderen Mitgliedern des Widerstand von Teilen seiner eigenen Fraktion für eine Kulturausschusses in Dresden und habe dort mit Geg- konstruktive Moderation durch den Bund im Streit um nern und Befürwortern ein sehr engagiertes Gespräch die Waldschlösschenbrücke eingesetzt hat. geführt. Ich selbst habe dort sehr deutlich gesagt, dass der Wille der Bevölkerung, der im Bürgerentscheid (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Weil er damit ver- zum Ausdruck kommt, respektiert werden muss. Ich zögert hat!) werde darauf nachher noch einmal zurückkommen. 8424 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Katrin Göring-Eckardt (A) (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das ist doch un- man die gleichen Leute aber fragt, was die Aberkennung (C) wahr, was Sie da gesagt haben! Das ist nicht des Titels „Weltkulturerbe“ bedeutet, Ihre Meinung!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- – Das ist nicht unwahr, sondern das habe ich dort gesagt, neten der SPD) Herr Vaatz. Kommen Sie einmal wieder herunter. – Ich habe sehr deutlich gemacht, dass dieser Wille respektiert dann wird deutlich, dass das eine völlig andere Qualität werden muss, aber zugleich bin ich überzeugt – da bin hat. Dann ist von der Tourismuswirtschaft, von Ansied- ich ganz anderer Meinung als Herr Mücke –, dass die lungspolitik in Dresden die Rede. Wenn man mit Unter- Bürgerinnen und Bürger damals beim Bürgerentscheid nehmerinnen und Unternehmern spricht, die sich ir- nicht gewusst haben, was passieren würde, wenn diese gendwo ansiedeln wollen, gerade im Osten Deutschlands, Brücke tatsächlich gebaut würde. Das haben sie nicht dann spielen die weichen Standortfaktoren eine ganz ent- gewusst. scheidende Rolle. Wie wollen Sie denen erklären, dass Dresden leider nicht mehr Weltkulturerbe ist, sondern (Beifall der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE dass dieser Titel wegen einer Brücke aberkannt worden LINKE]) ist? Ich glaube, da hören Sie deutschlandweit und auch in- Da Sie, Herr Mücke, das Abstimmungsbuch an dieser ternational: Das ist verrückt. Stelle noch einmal hochhalten, muss deutlich gesagt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, werden: In der Auseinandersetzung um die Frage, ob die bei der SPD und der LINKEN – Jan Mücke Brücke gebaut werden kann oder nicht, ging es nicht da- [FDP]: Dummes Zeug!) rum, wie es sich mit dem UNESCO-Titel mit Brücke oder ohne Brücke verhält. Aus diesem Grunde sage ich Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin fest davon Ihnen ganz klar: Diejenigen, die jetzt fordern, den Bür- überzeugt, dass man bei der Diskussion, die jetzt in gerentscheid ernst zu nehmen, sollten auch zur Kenntnis Dresden und auch hier bei uns stattfindet – da bin ich nehmen, dass die Entwicklung weitergegangen ist und ganz der Meinung meines Vorredners –, nicht einfach sa- die UNESCO erst nach dem Bürgerentscheid gesagt hat, gen kann, man wolle bei seiner Meinung bleiben. Herr wenn die Brücke gebaut würde, dann müsste der Kultur- Mücke, das finde ich so dramatisch an Ihrer Aussage erbetitel aberkannt werden. Diejenigen, die nun so viel über den Prozess, der stattgefunden hat. Sie sagen, da sei Wert auf die Bürgermeinung legen, frage ich: Warum kein Kompromiss gefunden worden. Herr Mücke, haben wird kein Bürgerentscheid auf der neuen Grundlage Sie denn irgendeinen Kompromiss vorgeschlagen? durchgeführt? (Jan Mücke [FDP]: Gerade eben! – Wolfgang (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Natürlich (B) (D) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- hat er das getan!) KEN – Jan Mücke [FDP]: Wie viele denn Ist es wirklich ein Kompromiss, die Restaurierung des noch?) Schlosses als Ausgleichsmaßnahme anzubieten? Was hat Die dann zum Ausdruck gebrachte Meinung der Bürge- das mit dem Gesamtbild zu tun? rinnen und Bürger würden wir alle ernst nehmen. (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Es gibt keinen Warum debattieren wir heute eigentlich darüber? Aus Kompromiss!) dem einzigen Grund, dass hier ein Präzedenzfall ge- Was hat das mit tatsächlicher Kompromissfindung zu schaffen werden könnte, der weit über Dresden hinaus tun, die über die Verkehrsfrage auf der einen Seite und wichtig und entscheidend ist. Unabhängig davon sollten die Frage des Weltkulturerbes auf der anderen Seite er- sich diejenigen, die heute darüber lieber nicht gespro- folgen muss? Man muss doch genau diese beiden Dinge chen hätten, wenigstens darüber freuen, dass hier ein we- zusammenbringen und darf nicht irgendetwas anderes nig Werbung für Dresden als Kulturerbestadt gemacht ins Spiel bringen, bei dem es schön wäre, wenn es re- wurde, was sie hoffentlich auch bleiben wird. stauriert würde. Es geht nicht einfach nur darum, ob eine Brücke ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) baut werden soll oder nicht, sondern es geht um die Frage, wie wir als Gesellschaft zu unserem kulturellen Wenn man diese beiden Dinge zusammenbringen Erbe stehen. Das ist nicht irgendetwas. Wie viel Verant- will, dann muss man über Verkehrspolitik und über an- wortung übernehmen wir da, und wie fahrlässig hätten dere Möglichkeiten reden. In Bezug darauf gibt es auch wir gehandelt, wenn dieser Titel aberkannt würde? in Dresden eine ganze Menge Vorschläge. (Beifall der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) einmal einen Kompromiss vor!) Viele Umfragen, auch Wirtschaftsumfragen und Tou- Auf der anderen Seite muss man deutlich machen, wie rismusumfragen, bringen zum Ausdruck, dass die Aner- wir dafür sorgen wollen, auch in einem Prozess gemein- kennung des Titels „Weltkulturerbe“ vielleicht gar sam mit der UNESCO, dass der Titel trotzdem erhalten nicht so eine große Wirkung habe; es sei nicht mehr als bleibt. Im Gegensatz zu vielen, die Ihre Position vertre- ein schöner Titel, den man an der Autobahn auf ein ten, hat die UNESCO nämlich deutlich gemacht, dass sie Schild aufbringen könne. Ich persönlich sehe das nicht kompromissbereit ist, dass sie bereit ist, daran zu arbei- so; aber ich weiß, dass es solche Analysen gibt. Wenn ten und darüber zu diskutieren. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8425

Katrin Göring-Eckardt (A) (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Was? Bei welcher Die Bewerbung Dresdens als Welterbestätte wurde (C) Gelegenheit?) auch vom Freistaat Sachsen getragen. Damit hat Sachsen auch eine Verpflichtung übernommen. Es reicht nämlich Deswegen bin ich sehr für einen entsprechenden Prozess nicht, sich nur mit solch einem Titel zu schmücken, son- gemeinsam mit der UNESCO. dern man hat auch entsprechende Verantwortung. Seit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) her genießt das Dresdener Elbtal im Interesse der Menschheit internationalen Schutz auch vor unbilligen Köln hat gezeigt, dass es geht, dass man, wenn man Eingriffen durch Sachsen. sich an einen Tisch setzt und willens ist, tatsächlich zu einem Kompromiss kommen kann, ohne den Ruf der Ich begrüße ganz ausdrücklich die Haltung meiner Stadt – der UNESCO-Titel ist nicht einfach nur ein schö- Fraktionskolleginnen und -kollegen im Ausschuss für nes Anhängsel an das Stadtwappen – zu gefährden. Es Kultur und Medien. Sie haben bereits in der Ausschuss- geht hier um eine Kompromissfindung und nicht darum, sitzung im Januar erklärt, den Vorschlag für eine mode- aus ideologischen Gründen auf seiner Position zu behar- rierte Perspektivenwerkstatt zu unterstützen. ren. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Ich appelliere an dieser Stelle an den Ministerpräsi- denten des Freistaates Sachsen: Engagieren Sie sich da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, für, Herr Milbradt, den Ruf Sachsens als Land der kul- bei der SPD und der LINKEN) turvollen Bürgerinnen und Bürger zu retten!

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sach- Ich erteile das Wort Kollegin Marlies Volkmer, SPD- sen ist führend in der Kulturförderung!) Fraktion. – Ja, Sachsen ist führend in der Kultur. Deswegen kann sich Sachsen so etwas auch nicht leisten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring- Eckardt) Bitte, Herr Milbradt, helfen Sie klarzumachen: Es gibt keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Ver- Dr. Marlies Volkmer (SPD): kehrsfluss und Welterbe. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: (B) Kolleginnen und Kollegen! Wer das schöne Dresdner Die UNESCO hat die Meinung vertreten und (D) Elbtal kennt, der weiß, dass es richtig ist, dass es auf der nicht die Bürger!) Weltkulturerbeliste der UNESCO steht, und der weiß Beteiligen Sie sich an der Problemlösung mit der Per- auch, dass man bei jedem Eingriff in diese Landschaft spektivenwerkstatt! Es kann doch nicht sein, dass eine ganz sensibel vorgehen muss. solche Kulturstadt wie Dresden der erste Ort wäre, dem Wir brauchen hier eine Verkehrslösung, durch die ein solcher Welterbetitel wieder aberkannt werden das Elbtal nicht zerschnitten wird, sondern bei der diese würde. schöne Landschaft erhalten bleibt. Eine solche Lösung (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: ist auch mit der UNESCO voll kompatibel. Weil die po- Das passiert auch nicht!) litisch Verantwortlichen bisher keine solche Lösung ge- funden haben, haben wir jetzt das Problem, dass ein Ich würde mich natürlich freuen – aber ich habe nach Gericht angerufen worden ist. Das Oberverwaltungsge- der heutigen Debatte keine Hoffnung –, dass sich Herr richt Bautzen hat das Verfahren im November ausgesetzt Vaatz diesem Appell anschließen könnte. und damit eine weise Entscheidung gefällt, weil so – Wolfgang Thierse hat schon darauf hingewiesen – kei- (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Das wäre ja noch ner der Antragsgegner gewinnen konnte. Es wurde der schöner!) Versuch eines Mediationsverfahrens unternommen. Im Aber ich hoffe sehr und gehe davon aus, dass sich die Ergebnis wird nun empfohlen, in einer moderierten Sächsische Staatsregierung ihrer Verantwortung bewusst Perspektivenwerkstatt eine Lösung zu erarbeiten, die wird und sich für eine einvernehmliche Lösung einsetzt. sowohl den Belangen des Welterbes als auch dem statt- gehabten Bürgerentscheid von 2004 gerecht wird. (Beifall bei der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Der Appell müsste an Nun hat das Regierungspräsidium Dresden leider er- die UNESCO gerichtet werden!) klärt, das Mediationsverfahren sei gescheitert, und hat die Wiederaufnahme des ausgesetzten Verfahrens bean- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tragt, übrigens gegen den Willen der Stadt Dresden, ob- Ich schließe die Aussprache. wohl die Stadt Dresden ebenfalls den Bürgerwillen ver- körpert. Die Stadt Dresden hat darauf hingewiesen, dass Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf der Freistaat Sachsen mit seinem prozessualen Verhal- Drucksache 16/4411 zur federführenden Beratung an ten und dem Beharren auf dieser Lösung den Verlust des den Ausschuss für Kultur und Medien und zur Mitbera- Welterbetitels in Kauf nimmt. tung an den Auswärtigen Ausschuss sowie an den Aus- 8426 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) schuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zu über- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) weisen. – Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re- Dann ist es so beschlossen. den heute anhand der drei Vorlagen der Oppositionsfrak- tionen über den Stellenwert der Politik in diesem Hause. Zusatzpunkt 16. Beschlussempfehlung des Ausschus- Wir reden über den Stellenwert des Parlamentes in unse- ses für Kultur und Medien auf Drucksache 16/4460 zu rem demokratischen Gemeinwesen; denn wir leben ge- dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bun- genwärtig in einem Ausnahmezustand der parlamentari- despolitik soll im Streit um die Waldschlösschenbrücke schen Demokratie. vermitteln“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/2499 abzulehnen. Wer stimmt für diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Unsere Geschäftsordnung und unsere Verfassung ge- Koalition und der FDP gegen die Stimmen der Fraktion hen von dem Regelfall einer kleinen Koalition und einer Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ großen Opposition aus. Der Regelfall in der Geschichte Die Grünen angenommen. unseres Landes war, dass die größte Oppositionsfraktion Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 c über sämtliche Oppositionsrechte allein aufgrund ihrer auf: Stärke verfügte. Gegenwärtig verfügen noch nicht ein- mal alle drei Oppositionsfraktionen gemeinsam über alle 29 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Rechte der Opposition, die unsere Geschäftsordnung Beck (Köln), Irmingard Schewe-Gerigk, Monika vorsieht und unsere Verfassung regelt. Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deshalb sage ich: Wir müssen uns hier im Parlament des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN darüber Gedanken machen, wie das Parlament auch un- Lebendige Demokratie in Zeiten der großen ter diesen Mehrheitsverhältnissen, die eine legitime poli- Koalition tische Konstellation sind – auch wenn sie nicht viel zu- wege bringt –, eine funktionierende parlamentarische – Drucksache 16/581 – Kontrolle durch die Opposition erreichen kann. Die ge- genwärtige Geschäftsordnungs- und verfassungsrechtli- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und che Lage gibt das nicht in allen Punkten her; deshalb re- Geschäftsordnung (f) den wir hier darüber. Innenausschuss Rechtsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) (B) (D) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann, Ulrich Maurer und der Ein anderer Punkt, der für das Ansehen und die Le- Fraktion der LINKEN bendigkeit der Debatten hier im Hohen Hause konstitu- tiv ist, ist das Prinzip von Rede und Gegenrede zwi- Stärkung der Minderheitenrechte im Deut- schen Koalition und Opposition. Auch dies ist im schen Bundestag Regelfall nicht gewährleistet. Wir wissen, seit der An- tike gehört der Dialog konstitutiv zur Einsichts- und – Drucksache 16/4119 – Wahrheitsfindung. Dies gilt seit Platon. Aber ich will Überweisungsvorschlag: jetzt nicht die ganze Geschichte herleiten; dazu reicht Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und meine Redezeit nicht aus. Geschäftsordnung (f) Innenausschuss Auch bei den Erwägungen zu den Grundlagen, die Rechtsausschuss wir uns in der Geschäftsordnung gegeben haben, waren das zentrale Gründe für die Ausgestaltung unseres heuti- c) Erste Beratung des von den Abgeordneten gen § 28 der Geschäftsordnung. Als dieser in der fünften Dr. Hermann Otto Solms, Jörg van Essen, Wahlperiode auf Anregung der SPD-Fraktion eingefor- Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der dert wurde, hat man gesagt, dass Rede und Gegenrede Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines der zentrale Debattengrundsatz sein soll. Das ist er ge- Gesetzes zur Sicherung der Oppositionsrechte genwärtig nicht. (Änderung des Art. 93 Abs. 1 des Grundgeset- zes) Sie alle wissen, wir halten jede Woche ein, zwei oder drei Aktuelle Stunden ab. Da haben wir am Anfang unter – Drucksache 16/126 – den ersten fünf oder sechs Rednern eine lebendige De- Überweisungsvorschlag: batte zwischen der Koalition und der Opposition, und Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und danach beginnen die Selbstgespräche der Koalition mit Geschäftsordnung (f) weiteren vier bis sechs Redebeiträgen. Innenausschuss Rechtsausschuss (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN) Hier ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. Meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie Ich gebe das Wort zunächst dem Kollegen Volker langweilen sich offensichtlich selbst; denn der Saal leert Beck, Bündnis 90/Die Grünen. sich dann immer dramatisch. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8427

Volker Beck (Köln) (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) bei der FDP und der LINKEN) Frau Präsidentin, lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Langeweile hier, Langeweile auf der Besuchertribüne, Langeweile bei der Presse, das ist nicht die Art, wie wir (Iris Gleicke [SPD]: Sie sind aber schon deut- unserem Parlament Geltung verschaffen. lich über der Redezeit!) Der dritte Punkt bezieht sich auf das Normenkon- Deshalb bitte ich die Koalitionsfraktionen inständig, trollrecht. Alle Länderfürsten, alle Ministerpräsidenten, sich unsere Anträgeergebnisse offen anzuschauen. Wir gehören den Parteien der Großen Koalition an. Es ist von der Fraktion der Grünen haben bewusst keine De- nicht zu erwarten, dass ein Bundesland Normenkontroll- tailvorschläge gemacht, sondern gesagt: Wir wollen über klage gegen ein Gesetz der Großen Koalition erhebt. eine Anhörung im Geschäftsordnungsausschuss mit Ih- nen gemeinsam dazu kommen, dass das Parlament le- bendiger wird und wir als Opposition die Möglichkeit Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haben, die Kontrolle der Regierung wahrzunehmen. Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. Diese Oppositionsrechte nehmen wir stellvertretend für das gesamte Haus und damit für jeden einzelnen Abge- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ordneten – auch für die Abgeordneten der Koalition – Die Opposition kann auch keine Normenkontroll- wahr. Das ist die Idee unserer Verfassung; das ist die klage einreichen, weil sie dafür ein Drittel der Mitglieder Idee unseres Verfassungsrechtes. des Hauses zusammenbekommen müsste, über das sie aber nicht verfügt. Wir haben meines Erachtens in drei Punkten besonde- ren Handlungsbedarf. An drei Punkten gibt es Eindrittel- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: rechte. Das heißt, die gegenwärtige Opposition kann sie Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. nicht in Anspruch nehmen, selbst wenn sie sich hundert- Das steht jetzt fest. prozentig einig ist, was auch nicht immer der Fall ist, weil wir politisch sehr divergieren. Dabei geht es zum einen um die Frage der Einberufung des Deutschen Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bundestages bei Punkten, von denen wir meinen, jetzt Das heißt, die letzte Remedur für den Schutz der Bür- müsse das Parlament zusammentreten, weil in der Koali- ger vor verfassungswidrigen Gesetzen ist gegenwärtig tion oder im Lande etwas geschieht, was debattiert wer- der Bundespräsident. Das soll aber nicht seine Haupt- den muss. Wenn die Koalition das aber – aus verständli- aufgabe sein. (B) chen Gründen – nicht will, können wir das gegenwärtig (D) nicht durchsetzen. Das muss sich ändern. Es muss zu- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mindest ein Recht der 25 vom Hundert geben, dass die Herr Kollege! Opposition, wenn sie sich einig ist, eine solche Einberu- fung durchsetzen kann. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb appelliere ich an Sie: Geben Sie auch der jet- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zigen Opposition trotz ihrer geringen Redezeit das bei der FDP und der LINKEN) Recht, den Bürger vor verfassungswidrigen Gesetzen zu Der zweite Punkt beruht auf der Logik unserer Ge- schützen. schäftsordnung und des parlamentarischen Miteinan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ders. Unsere Geschäftsordnung sieht die Möglichkeit bei der FDP und der LINKEN) vor, dass alle Regeln, die in der Geschäftsordnung ver- ankert sind, mit Zweidrittelmehrheit zur Seite gelegt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werden können und man sagen kann: Wir verfahren, wie Jetzt hat das Wort der Kollege Bernhard Kaster für die es uns beliebt, weil wir uns darin einig sind, dass anders CDU/CSU-Fraktion. verfahren werden muss, als es unsere Regeln grundsätz- lich vorsehen. Die Idee dieser Bestimmung ist, dass sich (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) die Koalition mit Teilen der Opposition einig ist, anders zu verfahren als in der Geschäftsordnung vorgesehen. Bernhard Kaster (CDU/CSU): Beim BSE-Skandal waren wir uns zum Beispiel einig, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen dass die Futtermittelverordnung innerhalb von einer Wo- und Kollegen! Lassen Sie mich mit einem Zitat unseres che in Kraft treten musste. Bundestagspräsidenten, Dr. Lammert, vom Anfang die- ser Legislaturperiode beginnen, das das Selbstverständ- Gegenwärtig bedeutet „Zweidrittelmehrheit“ aber, die nis des Parlaments und das Selbstverständnis von Regie- Große Koalition ist sich einig, und die Minderheiten- rung und Opposition sehr treffend beschreibt: rechte der Opposition werden unter Umständen mit den Füßen getreten. Für die Arbeit wie für das Ansehen des Parlaments ist die Opposition im Übrigen nicht weniger wich- tig als die Regierung. ... Was ein politisches System Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: als Demokratie qualifiziert, ist nicht die Existenz Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. einer Regierung, sondern die Existenz eines Parla- 8428 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Bernhard Kaster (A) mentes und seine gefestigte Rolle im Verfassungs- Die Parlamentsautonomie des Art. 40 des Grundge- (C) gefüge wie in der politischen Realität. setzes lässt einen weiten Spielraum, wie der Bundestag seine Arbeitsformen und -verfahren gestaltet. Die Gren- Ich denke, das ist ein Satz, den wir alle unterschreiben zen sind dabei durch unsere Verfassung und zwischen- können. zeitlich auch durch eine Vielzahl von Entscheidungen (Beifall bei der CDU/CSU) des Bundesverfassungsgerichtes vorgegeben. Vor dem Hintergrund dieser treffenden Aussage ha- Meines Erachtens müssen wir uns, wenn wir etwas ben wir als Parlamentarier natürlich Verständnis dafür, verändern, etwas neu gestalten, von drei Zielen leiten dass Sie sich als Oppositionspolitiker Gedanken darüber lassen. Das ist erstens das Ziel, einvernehmliche Lösun- machen, wie Sie Ihre Interessen hier noch effektiver ver- gen zu erzielen. Ich erinnere daran, dass es auch der treten können. Wir werden uns mit diesen Anträgen da- Geist im Geschäftsordnungsausschuss ist, zu einver- her selbstverständlich im Geschäftsordnungsausschuss nehmlichen Lösungen zu kommen. – insbesondere der Antrag der Fraktion der Grünen be- Das zweite Ziel ist, dass man den Aufgabenstellungen inhaltet ja eine Reihe von Prüfaufträgen – ausführlich des Parlaments als Gesetzgebungsorgan und Kontrollor- und kritisch beschäftigen. gan der Regierung gerecht wird. Sollte allerdings gegenüber der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden – ich will das nicht unterstel- Das dritte Ziel ist, dass die Regeln bei unterschied- len –, dass die in der Tat kleinere Opposition durch die lichsten Mehrheitsverhältnissen Bestand haben und Große Koalition förmlich erdrückt wird, dass sie keine den vom Wähler bestimmten unterschiedlichen politi- Möglichkeiten hat, dann muss gesagt werden, dass die- schen Stärkeverhältnissen der Fraktionen und Parteien ser Eindruck – das wissen Sie – schlichtweg falsch wäre. gerecht werden und diese abbilden. Auch das muss im- Das Grundgesetz und die Geschäftsordnung geben uns mer Ziel sein, wenn wir die Regeln für unser Haus ge- als Koalition, das heißt als Regierungsfraktionen, und stalten. Ihnen als Oppositionsfraktionen eine Vielzahl von parla- Die jetzt anstehenden Beratungen Ihrer Anträge kön- mentarischen Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand. nen daher nicht ausschließlich vor dem Hintergrund der In einer Ausführung des Wissenschaftlichen Dienstes jetzigen Mehrheitsverteilung stattfinden. Herr Beck, Ih- – sie umfasst mehr als 15 Seiten – wurden die Minder- rer Aufteilung in Ausnahmesituationen und Normalsitua- heitenrechte der Opposition dokumentiert. Ich will ein- tionen folge ich nicht. Die Regeln sind auf die unter- mal die wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten nennen: schiedlichen Mehrheitsverhältnisse, die wir haben, (B) Auskunft über jedes Thema kann durch schriftliche Fra- anzuwenden. Bei Änderungen des Grundgesetzes oder (D) gen verlangt werden; Regelungen der Geschäftsordnung muss über den Tag hinaus, das heißt über die aktuelle Mehrheitsverteilung (Lachen bei der LINKEN) hinaus, nachgedacht werden. Das Grundgesetz sieht die Entscheidungsfähigkeit des Bundestages ebenfalls als ei- das Recht, mündliche Fragen an die Bundesregierung zu nen Wert von Verfassungsrang an und bringt diesen Ver- richten und diese im Plenum unter den Augen der Öf- fassungswert in sehr ausgewogener Weise in Einklang fentlichkeit mit der Bundesregierung zu diskutieren; mit den geforderten parlamentarischen Kontrollaufga- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ben. GRÜNEN]: Wir klagen gerade vor dem Bun- Das geltende Minderheitsquorum für die Einset- desverfassungsgericht, um das Recht wahrneh- zung eines Untersuchungsausschusses und die Anrufung men zu dürfen!) des Bundesverfassungsgerichtes bei der abstrakten Nor- das Recht aller Fraktionen, Kleine und Große Anfragen menkontrolle zeigen die Ausgewogenheit und Angemes- zu stellen; Große Anfragen im Plenum zu debattieren; senheit dieses Systems sehr deutlich. Ich muss daher vor das Recht, eine Aktuelle Stunde zu beantragen – davon einer undurchdachten und nur scheinbar gerechtfertigten wird ja auch rege Gebrauch gemacht – und vieles andere Angleichung der beiden Quoren auf jeweils ein Viertel mehr. Ich wollte nur die wichtigsten Punkte nennen, da- der Abgeordneten oder gar reduziert auf eine einzige mit hier nicht der Eindruck aufkommt, dass unsere Ge- Fraktion – wenn es auch die kleinste ist –, warnen. schäftsordnung und das Grundgesetz in Bezug auf die Minderheitenrechte nicht entsprechend ausgelegt sind. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Jürgen Koppelin [FDP]: Schon einmal in der Fragestunde gewesen? Das ist doch lächer- Es ist angemessen und richtig, dass unser Grundge- lich!) setz bei der abstrakten Normenkontrolle ein Drittel der Abgeordneten als Mindestquorum fordert, während es Natürlich hat die Opposition auch das Recht, einen bei der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Untersuchungsausschuss einzuberufen und unter be- Viertel der Abgeordneten sind. Hier wird sehr bewusst stimmten Voraussetzungen Beschlüsse des Bundestages ein Unterschied gemacht. Die beiden Dinge sind nicht vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen zu las- miteinander vergleichbar. Die Überprüfung von Geset- sen. Diese beiden letzten Punkte sind der Kern Ihrer An- zen ohne jeden Bezug zu einem konkreten Rechtsstreit träge. Deswegen will ich darauf näher eingehen. ist in unserer Rechtsordnung die absolute Ausnahme. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8429

Bernhard Kaster (A) Es hat gute Gründe, dass dieses Recht auf die Bundes- Regeln leben davon, dass sie in verschiedenen Situa- (C) regierung, die Landesregierungen und ein Drittel des tionen gelten und man sich nicht von Situation zu Parlamentes begrenzt ist. Denn damit wird verhindert, Situation die passende Regel gibt. dass die Verfassungsrichter mit einer übergroßen Zahl (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Anträgen überhäuft und letztlich in ihrer Arbeits- NEN]: Das habe ich in einem ganz anderen weise beeinträchtigt werden. Zusammenhang gesagt! – Zurufe von der (Zuruf von der FDP: Macht ordentliche Ge- CDU/CSU: Hört! Hört! – Selten war ein Zitat setze, dann passiert das nicht!) so passend!) Ich denke, diesen Satz sollten wir einfach einmal so ste- Das Grundgesetz wollte Karlsruhe zu Recht davor schüt- hen lassen. zen, seine Aufgaben durch eine Flut von Verfassungskla- gen nicht mehr wahrnehmen zu können. Wenn die Hür- Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. den hier gesenkt werden, befürchte ich eine deutliche (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Zunahme der Verfassungsklagen,

(Dirk Niebel [FDP]: Das war doch früher auch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nie inflationär!) Jan Mücke hat das Wort für die FDP-Fraktion. die – da wollen wir doch ehrlich untereinander sein – (Beifall bei der FDP) schließlich oft mehr aus politischem Kalkül als aus tat- sächlichen verfassungsrechtlichen Bedenken angestrengt Jan Mücke (FDP): werden. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede einen Fakt vorwegschi- (Dirk Niebel [FDP]: Allerdings musste der cken – diese Bemerkung richtet sich vor allen Dingen an Bundespräsident nicht so viele stoppen! Das den Kollegen Beck –: Ich finde es außerordentlich be- war doch auch nicht schlecht!) dauerlich, dass wir diese Debatte erst am Schluss einer Bereits jetzt wird in der politischen Auseinandersetzung Tagesordnung führen. sehr schnell und leichtfertig der Vorwurf der Verfas- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sungswidrigkeit ausgesprochen. Wir dürfen nicht zulas- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ sen, dass Karlsruhe ständig in die politische Auseinan- DIE GRÜNEN) dersetzung einbezogen wird. Denn eigentlich gehört dieser Punkt ganz oben auf die (B) (D) Noch ein Wort zum Thema Untersuchungsaus- Tagesordnung. schuss: Hier liegt es im Interesse der Opposition, das (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- niedrige Quorum von einem Viertel – das ist ein niedri- NEN]: Ja, genau! Das ist ja auch unser erster ges Quorum – beizubehalten. Ein Untersuchungsaus- Tagesordnungspunkt am heutigen Tag!) schuss ist eine innerparlamentarische Angelegenheit, mit der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht also gar – Sehr geehrter Herr Beck, Sie haben einige Aktien da- nicht vergleichbar. Dieses niedrige Quorum liegt im In- ran, dass wir über dieses Thema erst so spät diskutieren. teresse der Opposition. Zu Recht wird ein Untersu- (Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ chungsausschuss als schärfstes Schwert des Parlamentes DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- bezeichnet. Er soll das letzte Mittel sein, um einen Sach- schenfrage) verhalt aufzuklären. Wenn wir das Quorum hier weiter absenken, wird dieses Mittel mehr geschwächt als ge- Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir darüber an einem stärkt. Donnerstag- oder einem Freitagvormittag diskutiert hät- ten. In dieser Legislaturperiode hat sich gezeigt, dass das funktioniert. Es wurden nämlich Untersuchungsaus- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) schüsse eingesetzt. Dieses Quorum wird also auch in diesem Bundestag erreicht. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist im Übrigen zulassen? nicht neu, dass unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse bzw. unterschiedliche Rollen – ob man also Mitglied ei- Jan Mücke (FDP): ner Regierungsfraktion oder einer Oppositionsfraktion Nein, das möchte ich nicht. ist – in solch speziellen Fragen schon immer zu unter- schiedlichen Sichtweisen geführt haben. Ich erinnere da- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ran, dass Sie, Herr Kollege Beck, nicht in dieser Legisla- NEN]: Dann mache ich eine Kurzintervention! – turperiode, sondern in der letzten Legislaturperiode, als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie noch nicht auf den Oppositionsbänken saßen, in ei- Das ist jetzt aber unfair! – Weiterer Zuruf vom ner ähnlichen Frage, als es ebenfalls um die Anpassung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Feige! – der Geschäftsordnung im Hinblick auf Mehrheitsverhält- Dr. Uwe Küster [SPD]: Eine abgelehnte Zwi- nisse ging, unter anderem Folgendes gesagt haben: schenfrage darf nicht automatisch zu einer 8430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Jan Mücke (A) Kurzintervention führen, Frau Präsidentin! Für uns ist entscheidend, dass die Opposition ihre (C) Das ist ein Missbrauch der Geschäftsordnung, Rechte effektiv wahrnehmen kann. Deshalb schlagen wir Herr Kollege!) in unserem Gesetzentwurf vor: Künftig soll ein Viertel der Mitglieder des Bundestages eine abstrakte Normen- Meine Damen und Herren, eine Demokratie lebt da- kontrollklage beim Bundesverfassungsgericht erheben von, dass einer Regierung eine effektive Opposition ge- können. genübersteht, die über eigene Rechte verfügt, die sie auch ausüben kann. Das, was der Kollege Kaster gesagt (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Wolfgang hat – dass die Opposition angesichts ihrer umfangrei- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) chen Auskunfts- und Fragerechte eigentlich gut be- Wir wollen dies vor allen Dingen deshalb, weil die bei- dient ist –, muss ich leider zurückweisen. den anderen Klagebefugten – Bundesregierung bzw. Ich frage relativ viel. Aber Sie glauben nicht, was für Landesregierung – ausfallen. Denn eine Landesregie- Antworten ich bekomme. rung wird ja immer von entweder Union oder SPD ge- führt und wird demzufolge niemals klagen. Das heißt, (Beifall bei der FDP und der LINKEN – dass dieser Artikel so, wie er jetzt abgefasst ist, ins Leere Jürgen Koppelin [FDP]: Gar keine Antwor- läuft. ten!) Wir wollen auf der anderen Seite aber auch nicht, Wenn ich beispielsweise eine Frage nach Kosten stelle, dass in dem möglichen Fall, dass hier einmal eine radi- aber die einzige Zahl, die mir genannt wird, nicht etwa kale Partei eine Fraktion bildet, diese, ohne auf andere ein Geldbetrag, sondern das Datum ist, und ansonsten Fraktionen angewiesen zu sein, das Bundesverfassungs- geantwortet wird, dass sich diese Frage der Bundesregie- gericht blockieren kann, indem sie eine solche Normen- rung nicht stellt, dann muss ich feststellen, dass mein kontrollklage einreicht. Deshalb halten wir 25 Prozent Kontrollrecht als Oppositionsabgeordneter ins Leere für ein ausreichendes und vernünftiges Quorum. läuft. Auf die Große Koalition kommt jetzt eine große Ver- (Beifall bei der FDP und der LINKEN) antwortung zu. Denn es liegt in Ihrer Hand, ob es eine Ich frage mich: Warum hat die Koalition Angst davor, Verfassungsänderung geben wird, und es liegt in Ihrer der Opposition die Möglichkeit einzuräumen, mit einem Hand, ob die Opposition künftig so gestellt werden kann, 25-Prozent-Quorum nach Karlsruhe zu gehen? Wer nicht dass sie ihre Rechte wahrnehmen kann. Ich möchte Ih- vorhat, verfassungswidrige Gesetze zu machen, der nen zum Schluss ein Zitat von Abraham Lincoln mit müsste vor einer Überprüfung in Karlsruhe gar keine auf den Weg geben: (B) Angst haben. Willst Du den Charakter eines Menschen erkennen, (D) (Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] so gib ihm Macht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das Der Umgang Ihrer beiden Fraktionen mit unseren Anträ- gilt aber nur, wenn man vor Karlsruhe nichts gen und unserem Gesetzentwurf wird zeigen, wie Sie zu verbergen hat!) mit Ihrer Macht umgehen und wie vernünftig Sie die Die Wahrheit sieht so aus, dass Art. 93 Abs. 1 des Rechte der Opposition einschätzen. Grundgesetzes gegenwärtig ins Leere läuft, weil die Vielen Dank. kleinen Oppositionsfraktionen zusammen nicht das er- forderliche Quorum aufbringen. Ich kann gut verstehen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dass wir nicht nach jeder Wahl das Grundgesetz ändern der LINKEN – Iris Gleicke [SPD]: Großer können, um es an die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse Gott!) anzupassen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Uwe Küster [SPD]: So ist es!) Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Aber man muss sehen: Der Verfassungsgesetzgeber hat Kollegen Volker Beck. es nicht als Regelfall vorgesehen, dass es eine Große Koalition gibt, Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Es soll auch kein Verehrter Herr Kollege, da Sie hier den Zeitpunkt Regelfall werden!) kritisiert haben, zu dem wir das diskutieren, möchte ich Sie – Sie sind ja neu im Parlament – über die Usancen durch die die Minderheitenrechte ausgehebelt sind. Die und unsere Möglichkeiten diesbezüglich aufklären: Dies Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in Herren- ist der erste Tagesordnungspunkt der Grünenfraktion an chiemsee mit Sicherheit nicht vor Augen gehabt, dass diesem Sitzungstag. Ein früheres Aufsetzungsrecht stand die großen Volksparteien irgendwann einmal so stark uns nicht zur Verfügung. erodieren, dass es nur noch für eine Große Koalition reicht. Zweiter Punkt. Ihre wie unsere Vorlage stammen beide von der Jahreswende 2005/2006. Es wäre der FDP (Dirk Niebel [FDP]: Dazu wird es auch so also jederzeit möglich gewesen, diese zu einem früheren schnell nicht wieder kommen! Keine Sorge! Zeitpunkt auf die Tagesordnung zu setzen. Wir hätten Wir werden nämlich noch größer!) uns sicher nicht dagegen gewehrt, wenn Sie Ihren Tages- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8431

Volker Beck (Köln) (A) ordnungspunkt vom heutigen Tag – um 12.30 Uhr – für Wir haben in den vergangenen Jahren in Sachen Min- (C) diese Debatte zur Verfügung gestellt hätten. Außerdem derheitenrechte sehr viel getan. Deswegen gibt es kei- darf ich Sie darüber unterrichten, dass der Geschäftsfüh- nen Grund, uns hier eine Belehrung zu erteilen. rer Ihrer Fraktion ursprünglich geplant hatte, die Anträge als Ohne-Debatte-Punkte laufen zu lassen. Am weitesten geht natürlich Die Linke – die PDS – mit ihrem Wunschkonzert. Von der Einberufung des (Zurufe von der SPD: Oh! – Silke Stokar von Bundestages bis hin zur abstrakten Normenkontrollklage Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So beim Bundesverfassungsgericht möchte sie alles mit ist die FDP!) Fraktionsstärke durchsetzen können. Das kann man zwar alles fordern, aber man sollte die Kirche im Dorf lassen. Das wollten wir wiederum nicht. Denn wir denken, eine Debatte über die Parlamentsrechte ist eine Debatte, die (Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!) das ganze Haus angeht; das erscheint mir eine Selbstver- ständlichkeit zu sein. Deshalb: Auch wenn dies kein gu- Im Laufe der vergangenen Legislaturperioden sind die ter Zeitpunkt auf der Tagesordnung ist, er ist besser als Rechte der Minderheiten erheblich erweitert und ge- keiner. stärkt worden, und zwar bis an die Grenzen des Verant- wortbaren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster (Lachen bei der FDP – Zuruf von der FDP: Was ist [SPD]: Die Opposition will nach Karlsruhe ge- denn das für ein blöder Spruch?) hen!) Die Zusammensetzung des Bundestages und die Wir sollten allerdings aus dieser Petitesse, aus der Machtverhältnisse zwischen den einzelnen Fraktionen Mücke keinen Elefanten machen und die Debatte jetzt spiegeln das Wahlergebnis von 2005 wider. Ich muss fortsetzen. Sie daran erinnern, dass dieses Wahlergebnis bis 2009 gilt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Der Bundestag atmet an jeder Stelle den Wählerwil- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Uwe Küster, SPD- len von 2005. Es ist unsere Aufgabe, diese Entschei- Fraktion. dung, die der Wähler damals getroffen hat, möglichst ge- nau umzusetzen. Dafür sind wir gewählt worden. Dr. Uwe Küster (SPD): Minderheitenrechte dürfen die Wahlergebnisse nicht auf Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und den Kopf stellen. (B) Herren! Ich will gleich zu Anfang auf meinen Kollegen (D) Beck und auf meinen Kollegen Mücke eingehen, die ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich gestritten haben, wann man dieses Thema am besten NEN]: Wovon reden Sie überhaupt?) debattieren könnte. Da Sie die Debatte hier über Kalauer Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, angeleiert haben, sage ich Ihnen: Seit einem Jahr liegen haben ein Wahlergebnis erreicht, mit dem Sie nicht die Ihre Anträge hier im Archiv vor. Wenn Ihnen dieses Mehrheit stellen. Ihre Politik wurde nicht von der Mehr- Thema so wichtig wäre, wie Sie jetzt tun, hätten Sie heit des Landes gewollt. Sie haben sich auch der Regie- längst eine Gelegenheit finden können, es zum Gegen- rungsverantwortung entzogen. Zumindest zwei Fraktio- stand einer Kernzeitdebatte zu machen. nen haben Angebote gehabt. Sie haben sie nicht (Beifall bei der SPD) wahrgenommen. Für den Antrag der PDS/Linken gilt dies nicht; er ist aus (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – diesem Jahr. Also: Jeder von Ihnen hätte dieses Thema Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zum Gegenstand einer Kernzeitdebatte machen können. NEN]: Also sind wir der Oppositionsrechte unwürdig? Wollen Sie uns das sagen?) Worum geht es bei Ihrem Tagesordnungspunkt 29? Dazu fällt mir der Begriff „Upgrading“ ein: Sie wollen Der Begriff Opposition bedeutet, an der Regierungsbil- die Minderheitenrechte im Parlament noch weiter aus- dung und der Führung der Regierungsgeschäfte nicht be- bauen. teiligt zu sein. Die von Ihnen gewählte Rolle ist die Rolle der Opposition: Kritik, Kontrolle, Alternativen- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ bildung. DIE GRÜNEN]: Ja!) Ich möchte Sie an dieser Stelle auf die erste Große Die Rechte parlamentarischer Minderheiten im Deut- Koalition von 1966 bis 1969 hinweisen. Damals war die schen Bundestag sind, wie man feststellen muss, wenn Opposition mit nur 10 Prozent im Parlament vertreten. man sie mit denen der Minderheiten in den Parlamenten Hat man damals eklatante Regelungslücken festgestellt? vieler anderer Länder vergleicht, bereits heute ausge- sprochen weitgehend; so weit vorab zur Klarstellung. (Zuruf von der FDP: Ja!) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Nein. NEN]: In manchen Ländern gibt es gar keine Opposition! Verglichen damit geht es uns gol- (Lachen bei der FDP – Zurufe von der FDP: dig!) Doch!) 8432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Uwe Küster (A) Es gab keine Korrektur des Grundgesetzes oder der Ge- Zurück zum Thema. Wie Sie wissen, reicht ein Quo- (C) schäftsordnung des Deutschen Bundestages, bezogen rum von 5 Prozent der Abgeordneten aus, um Ihr Frage- auf die damalige Große Koalition. bzw. Interpellationsrecht – darunter fällt auch die Einbe- rufung einer Aktuellen Stunde – wahrzunehmen. Sie (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE nutzen die Instrumente der Opposition weidlich aus. GRÜNEN]: Ja! Wegen der Arroganz der Mehrheit! Das war damals die gleiche Im Präsidium stellt die Opposition drei Vizepräsi- schlechte Mehrheit!) denten, die Koalition vier. Wenn man das Wahlergebnis auf die Zusammensetzung des Präsidiums übertragen Ich möchte Ihnen vor Augen führen, welche Möglich- würde, dann gäbe es einen Vizepräsidenten zu viel. keiten Sie als Opposition bzw. als Minderheitenfraktio- nen haben. Sie haben Frage- und Interpellationsrecht (Dirk Niebel [FDP]: Ja! Der von der CSU! Ist gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages. Das um- doch klar!) fasst zum Beispiel Große und Kleine Anfragen. Der Bundestag hat aber gewollt, dass jede Fraktion im Präsidium vertreten ist. Das war der ausdrückliche Wille Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: des gesamten Hauses. Herr Kollege, möchten Sie – im Sinne von Fragerech- (Dirk Niebel [FDP]: Jede Fraktion mit einem ten – eine Zwischenfrage des Kollegen Mücke zulassen? Vizepräsidenten!)

Dr. Uwe Küster (SPD): – Jede Fraktion sollte vertreten sein, aber die Mehrheits- Gerne. verhältnisse müssen sich in jedem Gremium widerspie- geln, Herr Niebel.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dirk Niebel [FDP]: Dann habt ihr doch einen Bitte, Herr Mücke. Präsidenten übrig gehabt!) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut! Er lässt Das wissen Sie doch. Sie sind lange genug dabei. keine Fragen zu und fragt selber!) Bei der Tagesordnung gilt das Reißverschlussprin- zip. In der nächsten Woche haben wir folgendes Kurio- Jan Mücke (FDP): sum: Die Koalition hat am Donnerstag drei Tagesord- Herr Kollege Küster, Sie haben gerade ausgeführt, es nungspunkte, während die Opposition sechs hat. habe nach 1966 keine Änderungswünsche der Opposi- (B) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, weil (D) tion, die mit nur 10 Prozent im Parlament vertreten war, Ihnen nichts anderes eingefallen ist!) gegeben. Ist Ihnen der Antrag der Fraktion der FDP auf Änderung der Geschäftsordnung des Bundestages auf Mit anderen Worten: Über welche Dinge beklagen Sie Drucksache 1229 der 5. Legislaturperiode bekannt? sich eigentlich? Ihre Rechte sind weit gefasst. Bei einer üblichen 30-minütigen Debattenzeit – auch Dr. Uwe Küster (SPD): das spielt in den Anträgen eine Rolle – entfallen Herr Mücke, ich muss passen: Mein Gedächtnis reicht 58 Prozent der Redezeit auf die Koalition, während die nicht bis zur fünften Wahlperiode zurück. Opposition, die nur 26 Prozent der Abgeordneten stellt, 42 Prozent hat. Zudem darf man nicht vergessen, dass (Zuruf von der FDP: Oh!) der Einbringer einer Initiative noch eine Bonuszeit be- Da Sie das alles parat haben, sind Sie auch berechtigt – – kommt. Die Abgeordneten der Opposition können also deutlich länger und öfter reden als die Abgeordneten der (Heinz Lanfermann [FDP]: Aber behaupten Koalitionsfraktionen. darf man dann auch nichts!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nur – Nein. Ich komme gleich darauf zurück. Ich will Ihnen kein Neid!) ein Argument entgegenhalten. Wir haben im Okto- Zur finanziellen Ausstattung: Die Finanzierung der ber 2005 in der konstituierenden Sitzung des Bundesta- Fraktionen erfolgt durch einen für alle Fraktionen ges gemeinsam über die Geschäftsordnung des jetzigen gleich hohen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Die Bundestages entschieden. Dazu gab es aus allen Fraktio- kleinen Fraktionen sind durch einen Sockelbetrag bevor- nen breite Zustimmung. Das heißt, Sie waren mit der Re- teilt. Als Oppositionsfraktion erhalten sie sogar noch ei- gelung der Geschäftsordnung in den vergangenen Jahren nen Zuschlag; das ist gut so. Das ist gewollt. einverstanden. Die Minderheiten sind dem Bundestag lieb und teuer. Ein Jahr später entdecken Sie plötzlich einen Rege- Eines darf aber nicht geschehen: Der Wählerwille darf lungsbedarf. Das Wahlergebnis und die daraus resultie- bei allem Respekt vor demokratischen Minderheiten- renden Mehrheitsverhältnisse waren Ihnen bekannt. rechten im parlamentarischen Alltag nicht in sein Ge- Auch Ihre Möglichkeiten als Oppositionsfraktion waren genteil verkehrt werden. Ihnen bekannt. Ein Jahr später kommen Sie jetzt mit der Forderung nach Änderungen. Das ist ein bisschen weit (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hergeholt. NEN]: Das will doch auch niemand!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8433

Dr. Uwe Küster (A) Herr Mücke hat in der vorangegangenen Debatte gesagt: Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages und die (C) Mehrheit ist Mehrheit. – Das gilt auch hier. Letztlich ist Minderheitenrechte müssen miteinander in Einklang ste- jede Entscheidung von der Mehrheit zu tragen. hen. Das haben wir erreicht. Jeder Wunsch der Opposi- tionsfraktionen nach Machterweiterung lässt sich in der (Dirk Niebel [FDP]: Bei der vorherigen Regel alle vier Jahre durch ein entsprechendes Wähler- Debatte galt das für Sie aber nicht!) votum vielleicht erfüllen. Daran sollten die Oppositions- Wissen Sie, was es bedeutete, wenn Ihr Wunsch er- fraktionen arbeiten. füllt würde, die für die Einsetzung eines Untersu- (Dirk Niebel [FDP]: Dann sollten Sie sich chungsausschusses oder einer Enquete-Kommission überlegen, wie schnell Sie in der Opposition geforderten Quoren auf Fraktionsstärke herabzusetzen? sein könnten und Rechte brauchen!) Dann hätten wir jetzt drei Untersuchungsausschüsse. Man muss sich einmal vorstellen, was das bedeutet: Das – Sie haben genügend Rechte. Das wissen Sie, Herr Parlament zerbröselt quasi. Wir hätten gar keine Chance Niebel. mehr, vernünftig zu arbeiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Zuruf von der FDP: Sie sollten sich einmal überlegen, aus welchen Gründen es diese Un- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tersuchungsausschüsse gibt!) Das jetzige Quorum von 25 Prozent zwingt die Opposi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tion, egal wie sie sich zusammensetzt, sich auf einen An- Jetzt ist die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann für die trag zu einigen, wenn sie gemeinsam etwas erreichen Linke an der Reihe. und ihre Minderheitenrechte ausüben will. Das Gleiche gilt – darauf hat schon mein Kollege Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Kaster hingewiesen – bezüglich der Normenkon- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr trollklage. Wenn das dafür erforderliche Quorum auf Küster, bei Ihnen fällt mir nur eines ein: Hochmut Fraktionsstärke herabgesetzt würde, wenn also 5 Prozent kommt vor dem Fall. der Abgeordneten dieses Hauses eine solche Klage an- (Beifall bei der LINKEN, der FDP und dem strengen könnten, bedeutete dies, dass wir innerhalb kür- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zester Zeit die Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungs- gerichts gefährden würden. Ja, er hat recht – jetzt meine ich nicht den Kollegen Küster –, und ich zitiere mit Ihrer gütigen Erlaubnis: (B) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das (D) erreichen Sie auch so!) Das eine Thema ist die Frage, ob unter den Bedin- gungen einer Großen Koalition über die Ausgestal- Das Quorum für das Recht, eine Sondersitzung des tung der Minderheitenrechte der Opposition, mögli- Deutschen Bundestages zu beantragen, ist in der Verfas- cherweise mit Blick auf Quoren für bestimmte sung bei einem Drittel der Mitglieder des Hauses an- Initiativrechte, Modifizierungen erfolgen. gesiedelt. Sollte das Quorum auf Fraktionsstärke herab- gesetzt werden, bestünde die Möglichkeit der Ja, er hat so recht, unser Bundestagspräsident. Herr Manipulation, könnte es passieren, dass man vor lauter Lammert, mit Ihrem Interview in der Zeitung „Das Par- Sondersitzungen kaum noch etwas „Normales“ machen lament“ sind Sie ein Stück zum Hoffnungsträger der Op- könnte. position geworden. (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Nach eineinhalb Jahren bestätigt sich in der Tat: Quatsch! Das ist eine Unterstellung!) Grundlegende Rechte einer parlamentarischen Opposi- In den vergangenen 30 Jahren gab es bei einem funktio- tion sind de facto außer Kraft gesetzt. Herr Kaster, das nierenden Recht der antragsberechtigten Minderheit ge- ist nicht nur ein Eindruck, sondern eine Tatsache, die wir rade einmal 38 Sondersitzungen des Bundestages auf Sitzungswoche für Sitzungswoche hier erleben. Es be- Antrag von Fraktionen. Das heißt, es gibt gar nicht den steht also dringender Handlungsbedarf. von Ihnen unterstellten Bedarf an Sondersitzungen. Zu- Meine Damen und Herren, auch er hat recht – ich zi- dem muss man sich darüber im Klaren sein, dass das ers- tiere –: Geschäftsordnungsfragen sind Machtfragen ... tens zu einer Störung des normalen Ablaufs führen und Machtfragen nicht einmal im guten Sinne des Wortes zweitens Geld kosten würde. Darüber müssten Sie ir- Macht, sondern etwa im Sinne der Ausschaltung der an- gendwann einmal Bericht erstatten. deren, der Ausschaltung der Minderheiten, einseitiger (Markus Löning [FDP]: Das ist eine Unver- Bevorzugung der Mehrheit. – Dass ich einmal Richard schämtheit, was Sie gerade vorbringen! – Stücklen, den ehemaligen CSU-Bundestagspräsidenten, Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber hier zitiere, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Sie stört die Opposition wahrscheinlich so- Aber wo er recht hat, hat er recht. – Herr Präsident, das wieso!) war im Übrigen in einer Debatte über das Selbstver- ständnis des Parlaments. Ich würde dringend anregen, Aus der Sicht meiner Fraktion besteht keine Veranlas- dass wir uns einer solchen Debatte zum Selbstverständ- sung für tiefgreifende Änderungen. Der Wählerwille, die nis des Parlaments erneut stellen. 8434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

Dr. Dagmar Enkelmann (A) (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Das Parlament hat sich in seiner Mehrheit inzwischen (C) bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zum verlängerten Arm der Regierung degradiert, zum GRÜNEN) Abnickorgan für Regierungshandeln. Es ist eine Tatsache, dass die Minderheit in diesem (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und Parlament weitgehend ausgeschaltet wird. Die Rede war der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Jetzt ist aber vom Quorum zur Überprüfung eines Gesetzes hin- gut! – Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das ist sichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit. Dieses Quorum schon länger her!) ist eindeutig zu hoch. Dieses typische Oppositionsrecht Eine Mehrheit des Parlaments bewegt sich immer weiter ist heute real nicht wahrzunehmen, es sei denn, dass sich weg von der Mehrheit der Bevölkerung. Wir erleben die Opposition, die sich innerhalb der Koalition findet, heute, dass die Demokratie nachhaltig beschädigt wird. einem entsprechenden Antrag der Opposition anschließt. Umso wichtiger wird Opposition, umso wichtiger wer- Das ist aber angesichts des herrschenden Fraktions- den Minderheitenrechte in diesem Parlament. Herr zwangs relativ unwahrscheinlich. Kaster, Einvernehmen mit der Regierung herzustellen, ist nun gerade nicht Aufgabe der Opposition. (Zuruf von der SPD: Ein Glück!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Oder nehmen wir einen Untersuchungsausschuss, zumeist eingerichtet zum Aufdecken von – vorsichtig Mein Appell geht an Sie alle: Verschließen Sie sich ausgedrückt – Unregelmäßigkeiten der Regierung. Die einer solchen Debatte nicht! Sie geht uns alle an. Denken Geschäftsordnung erzwingt mit ihrem Quorum von Sie daran: Wer heute in der Regierung sitzt, kann mor- 25 Prozent, dass sich die Opposition einig sein muss. gen schon in der Opposition sein und umgekehrt. Gestat- Aber eine Koalition in der Opposition kann und darf es ten Sie mir dazu ein letztes Zitat. in diesem Parlament nicht geben. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der LINKEN) Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende. Ein Untersuchungsausschuss kann sich auch mit The- men befassen, die das Regierungshandeln einer ehemali- Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): gen Regierungspartei und jetzigen Opposition betreffen. Es lautet: Da sind Hemmungen vorprogrammiert. Die Geschichte ... im Interesse der Aufgaben des Parlamentes ... unseres Untersuchungsausschusses zum BND zeigt das werde ich persönlich ganz sicher ein hartnäckiger (B) exemplarisch. Verfechter der Interessen der Opposition sein. (D) Ähnlich sieht es mit der Entscheidung über die Ein- So noch einmal Kollege Lammert. Herr Präsident, wir richtung von Enquete-Kommissionen aus. Das ist werden Sie beim Wort nehmen. umso bedauerlicher, als über eine Enquete-Kommission (Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie Sachverständige in die parlamentarische Arbeit einbezo- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE gen werden und damit eine Stärkung der parlamentari- GRÜNEN) schen Willensbildung, nicht nur der Opposition, sondern von Koalition und Opposition, erfolgt. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dass für die Einberufung einer ganz normalen Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Anhörung in den Ausschüssen ebenfalls 25 Prozent der Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/581, Abgeordneten gebraucht werden, zeigt, dass die Rege- 16/4119 und 16/126 an die in der Tagesordnung aufge- lungen unserer Geschäftsordnung in dieser Beziehung führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein- nicht mehr zeitgemäß sind. verstanden. Dann ist so beschlossen. Da sind wir beim eigentlichen Problem. In Konse- Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord- quenz geht es um Rechte und Pflichten des gesamten nung. Parlaments, um Gestaltung von Politik und natürlich um Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Kontrolle der Regierung. Gerade das Kontrollrecht ist destages auf Mittwoch, den 7. März 2007, 13 Uhr, ein. im eigentlichen Sinne kein Oppositionsrecht, sondern ein Recht des ganzen Parlaments, das auch so wahrge- Genießen Sie die gewonnenen Einsichten. nommen werden sollte. Die Sitzung ist geschlossen. (Beifall bei der LINKEN und der FDP) (Schluss: 15.15 Uhr) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8435

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Addicks, Karl FDP 02.03.2007 Möller, Kornelia DIE LINKE 02.03.2007 Barth, Uwe FDP 02.03.2007 Müller (Erlangen), CDU/CSU 02.03.2007 Stefan von Bismarck, Carl CDU/CSU 02.03.2007 Eduard Ortel, Holger SPD 02.03.2007 Brähmig, Klaus CDU/CSU 02.03.2007 Parr, Detlef FDP 02.03.2007 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 02.03.2007 Raidel, Hans CDU/CSU 02.03.2007 Dyckmans, Mechthild FDP 02.03.2007 Schäffler, Frank FDP 02.03.2007 Frechen, Gabriele SPD 02.03.2007 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 02.03.2007 Freitag, Dagmar SPD 02.03.2007 Schily, Otto SPD 02.03.2007 Gabriel, Sigmar SPD 02.03.2007 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 02.03.2007 Christian Gloser, Günter SPD 02.03.2007 Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 02.03.2007 Götz, Peter CDU/CSU 02.03.2007 Andreas Griese, Kerstin SPD 02.03.2007 Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 02.03.2007 (B) (D) Groneberg, Gabriele SPD 02.03.2007 Schultz (Everswinkel), SPD 02.03.2007 Grotthaus, Wolfgang SPD 02.03.2007 Reinhard Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 02.03.2007 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 02.03.2007 Heller, Uda Carmen CDU/CSU 02.03.2007 Dr. Solms, Hermann FDP 02.03.2007 Freia Otto Hemker, Reinhold SPD 02.03.2007 Dr. Stadler, Max FDP 02.03.2007 Hilsberg, Stephan SPD 02.03.2007 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 02.03.2007 DIE GRÜNEN Irber, Brunhilde SPD 02.03.2007 Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.03.2007 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 02.03.2007 Dr. Westerwelle, Guido FDP 02.03.2007 Kammer, Hans-Werner CDU/CSU 02.03.2007 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 02.03.2007 Kasparick, Ulrich SPD 02.03.2007 Zylajew, Willi CDU/CSU 02.03.2007 Kleiminger, Christian SPD 02.03.2007 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 02.03.2007 Leibrecht, Harald FDP 02.03.2007 Anlage 2 Leutheusser- FDP 02.03.2007 Schnarrenberger, Amtliche Mitteilungen Sabine Der Bundesrat hat in seiner 830. Sitzung am 16. Fe- Lopez, Helga SPD 02.03.2007 bruar 2007 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zu- zustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 Merten, Ulrike SPD 02.03.2007 des Grundgesetzes nicht zu stellen: 8436 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

(A) – Gesetz zur Änderung arbeitsrechtlicher Vor- Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- (C) schriften in der Wissenschaft ßung gefasst: – Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellun- I. Der Bundesrat stellt fest: gen (… StrÄndG) 1. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in – Gesetz zur Änderung des Wohnungseigentumsge- der gesetzlichen Krankenversicherung soll si- setzes und anderer Gesetze chergestellt werden, dass auch in Zukunft das Ge- sundheitswesen leistungsfähig, solidarisch und – Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge finanzierbar bleibt. Der mit dem Gesundheitsmo- dernisierungsgesetz eingeleitete Weg wird hin- – Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der sichtlich der Rechtsanwaltschaft – Erweiterung der Wahl- und Entscheidungs- – Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und möglichkeiten der Versicherten, Vollstreckungsausführungsgesetzes – der Intensivierung des Wettbewerbs um Qua- – Gesetz zu dem Haager Übereinkommen vom lität und Wirtschaftlichkeit sowohl zwischen 13. Januar 2000 über den internationalen Schutz den Kassen als auch den Leistungserbringern von Erwachsenen und – Gesetz zur Umsetzung des Haager Übereinkom- – der Verbesserung der Transparenz von Ange- mens vom 13. Januar 2000 über den internationa- boten, Leistungen und Abrechnungen len Schutz von Erwachsenen fortgesetzt. – Gesetz zur Vereinheitlichung von Vorschriften 2. Durch die Einführung einer Pflicht zur Versiche- über bestimmte elektronische Informations- und rung wird erreicht, dass künftig niemand in Kommunikationsdienste (Elektronischer-Geschäfts- Deutschland ohne Krankenversicherungsschutz verkehr-Vereinheitlichungsgesetz – ElGVG) ist. Krankheit soll nicht zu einem Armutsrisiko – Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen werden. Dies ist ein entscheidender Beitrag zur vom 19. Oktober 2005 gegen Doping im Sport Stärkung der sozialen Sicherheit. – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 11. April 3. Dort, wo es medizinisch notwendig ist, werden 1997 über die Anerkennung von Qualifikationen Leistungen zielgerichtet ausgebaut, zum Beispiel (B) im Hochschulbereich in der europäischen Region bei der palliativmedizinischen Versorgung von (D) Schwerstkranken, bei der häuslichen Kranken- – Gesetz zu dem Budapester Übereinkommen vom pflege für Pflegebedürftige und Behinderte sowie 22. Juni 2001 über den Vertrag über die Güterbe- bei der Rehabilitation. förderung in der Binnenschifffahrt (CMNI) 4. Mit der Einführung eines Gesundheitsfonds so- – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 20. Oktober wie durch die vielfältigen neuen Vertragsfreihei- 2005 über den Schutz und die Förderung der Viel- ten der Kassen für besondere Versorgungsformen, falt kultureller Ausdrucksformen zum Beispiel integrierte Versorgung, Hausarzt- tarife sowie zusätzliche Wahltarife können die – Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Flug- Kassen den Versicherten bessere und zielgenau- lärm in der Umgebung von Flugplätzen ere Versorgungsangebote machen und zugleich ihre Ausgabenstrukturen verbessern.

Darüber hinaus hat er die nachstehende Entschlie- 5. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds ab ßung gefasst: Die zügige Umsetzung der Neuregelung 2009 wird das Finanzierungssystem der gesetzli- des Schutzes vor Fluglärm liegt im besonderen Interesse chen Krankenversicherung auf eine vollkommen der Länder. Entscheidend hierfür ist neben dem Inkraft- neue Basis gestellt. Alle Krankenkassen bekom- treten des Gesetzes selbst die beschleunigte Verabschie- men aus dem Gesundheitsfonds die gleichen Mit- dung des untergesetzlichen Regelungswerks. Der Bun- telzuweisungen, die durch risikoadjustierte Risi- desrat wertet es in diesem Sinne als positiv, dass das kozu- und -abschläge ergänzt werden. Die federführende Ressort bei den Vorarbeiten zu diesem un- zahlreichen Gutachten, die in den letzten Mona- tergesetzlichen Regelungswerk auch Vertreter der Län- ten vorgelegt wurden, lassen eine gewisse Vor- der beteiligt hat und weiter zu beteiligen beabsichtigt. hersage der Auswirkungen des Gesundheitsfonds Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dringlich zu. Insoweit ist zu befürworten, dass mit der im auf, die zum Vollzug des Gesetzes erforderlichen Gesetz vorgesehenen Übergangsregelung (Kon- Rechtsverordnungen, die der Zustimmung des Bundes- vergenzphase) die Auswirkungen für die Partner rates bedürfen, dem Bundesrat schnellstens zuzuleiten. im Gesundheitswesen, insbesondere die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte vor Ort, begrenzt – Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der ge- und kalkulierbar werden. Zudem wird begrüßt, setzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbe- dass die Bundesregierung noch vor Inkrafttreten werbsstärkungsgesetz – GKV-WSG) des Fonds ein Gutachten über dessen Auswirkun- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8437

(A) gen erstellen wird. Hier ist ebenso wie bei der ten Krankenversicherung glätten den Anstieg der (C) Rechtsverordnung zur Festlegung der Übergangs- individuellen Prämiensteigerungen eines Versi- regelungen zur Einführung des Gesundheitsfonds cherten im Lebensverlauf. Dass Versicherte die die Beteiligung der Länder zwingend erforder- von ihnen aufgebaute und finanzierte Altersrück- lich. stellung bei Kündigung und Wechsel des Unter- nehmens bisher nicht mitnehmen konnten, hat 6. Mit der schrittweisen Erhöhung der Zahlungen den Wettbewerb in der privaten Krankenversiche- des Bundes an die gesetzlichen Krankenkassen rung stark eingeschränkt. werden Weichen für eine gerechtere und beschäf- tigungsfreundliche Finanzierung gesamtgesell- 11. Nach dem Wortlaut des § 116b SGB V erfolgt die schaftlicher Aufgaben der gesetzlichen Kranken- Zulassung eines Krankenhauses zur Erbringung versicherung gestellt. der in der Vorschrift genannten ambulanten Leis- tungen durch die Länder unter Berücksichtigung 7. Sparbeiträge einzelner Leistungsbereiche wur- der vertragsärztlichen Versorgungssituation. Die den nach Forderungen des Bundesrates auf ein Krankenhäuser erhalten so neue Handlungsspiel- vertretbares Maß reduziert. Damit wurde ein räume bei der ambulanten Erbringung hochspezi- sinnvoller Kompromiss zwischen den notwendi- alisierter Leistungen. Sie werden im Bereich der gen Einsparzielen und den Belastungen der Leis- Prüfungen durch den Medizinischen Dienst der tungserbringer gefunden. Die flächendeckende Krankenkassen von unnötiger Bürokratie entlas- Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheits- tet. leistungen bleibt gewährleistet. 8. Mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in II. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, der gesetzlichen Krankenversicherung wird die 1. die mit den Umstrukturierungen verbundenen Budgetierung der ärztlichen Honorare beendet Auswirkungen vor allem auf die medizinische und ab dem 1. Januar 2009 eine neue vereinfachte Versorgung und den Bereich der Ermessens- und Vertragsgebührenordnung eingeführt. Durch diese Satzungsleistungen der Krankenkassen sorgfältig sollen auch die bestehenden Verwerfungen zwi- zu beobachten und zu analysieren; schen den Vergütungen in den alten und neuen Ländern, sofern diese nicht auf regionalen Beson- 2. die Entwicklung der Krankenhausversorgung im derheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur Hinblick auf die Kostenbelastungen der Kranken- beruhen, ausgeglichen werden. Die Ausgabenstei- häuser zu beobachten und zu analysieren und ge- gerung aufgrund erhöhter Krankheitshäufigkeit gebenenfalls im Rahmen der geplanten Neuord- (B) der Versicherten (Morbiditätsrisiko) wird auf die nung des ordnungspolitischen Rahmens ab 2009 (D) Kassen verlagert. Zentrales Ziel der neuen Ver- gemeinsam mit den Ländern geeignete Schritte tragsgebührenordnung ist die leistungsgerechte zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Vergütung ärztlicher Leistungen. Um die Unter- und zugleich effizienten Versorgung auch in der versorgung insbesondere in den neuen Ländern Zukunft zu unternehmen; auch schon vor Einführung einer neuen ärztlichen 3. im Rahmen der weiteren Überlegungen zur Zu- Vergütung wirksam abzubauen, können zwischen kunft der Krankenhausversorgung zusätzliche Be- den Kassen und den Kassenärztlichen Vereinigun- lastungen der Krankenhäuser zu vermeiden, die gen Sicherstellungszuschläge in unterversorgten die Versorgung der Bevölkerung gefährden könn- Regionen oder Gebieten mit drohender Unterver- ten; sorgung in erforderlicher Höhe zu Lasten der Kas- sen vereinbart werden. 4. Erkenntnisse über die Praktikabilität der Rege- lungen beim Entlassmanagement, insbesondere 9. Das Gesundheitssystem wird auf allen Ebenen neu an der Schnittstelle von Krankenhaus und Pflege, strukturiert, wettbewerblicher ausgerichtet und zügig auszuwerten, damit gegebene Umsetzungs- transparenter gestaltet. So werden die Vertrags- probleme noch im Rahmen der Reform der sozia- freiheiten der gesetzlichen Kassen, aber auch der len Pflegeversicherung gelöst werden können; Leistungserbringer im Bereich der besonderen Versorgungsformen, der Integrationsversorgung 5. achtzehn Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes und der hausarztzentrierten Versorgung erweitert. zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Daneben wird der Wettbewerb bei den Hilfsmit- Krankenversicherung über die Erfahrungen der teln durch die Möglichkeit zur Ausschreibung und Spitzenverbände der Krankenkassen bei der Fest- im Bereich der Arzneimittelversorgung durch Ver- setzung der Erstattungshöchstbeträge und die besserung der Rahmenbedingungen für Preisver- Auswirkungen auf die pharmazeutischen Unter- handlungen zwischen pharmazeutischen Unter- nehmen zu berichten; nehmen und Kassen intensiviert. Die Einführung 6. zu prüfen, wie die neue Regelung über die Wei- einer Kosten-Nutzen-Bewertung soll Anreize zur terverwendung von Betäubungsmitteln in Hospi- Entwicklung innovativer Medikamente setzen. zen und Altersheimen (§ 5b Abs. 4 BtMVV) auf 10. Künftig erhalten Versicherte der privaten Kran- die Leistungserbringer der spezialisierten ambu- kenversicherung mehr Wahlmöglichkeiten als lanten Palliativversorgung (§ 37b Abs. 1 SGB V) bisher. Die Alterungsrückstellungen in der priva- ausgedehnt werden kann. Dabei sind die Sicher- 8438 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007

(A) heit des Betäubungsmittelverkehrs, die Qualität teren damit in Zusammenhang stehenden Rege- (C) der Betäubungsmittel hinsichtlich ihrer Lagerung lungen wie die solidarische Finanzierung der Al- und Verwendung sowie die medizinischen tersrückstellungen für die DO-Angestellten der Grundsätze der Betäubungsmittelverschreibung Kassen in enger Abstimmung mit den Ländern zu zu gewährleisten; erarbeiten und bis zum 31. Dezember 2007 vorzu- legen. Dieses Gesetz bedarf der Zustimmung des 7. die Auswirkungen der Regelung zur Teilnahme Bundesrates. Es ist hierbei sicherzustellen, dass an den Gesundheits- und Früherkennungsuntersu- bei der Herstellung der Insolvenzfähigkeit der Be- chungen sorgfältig zu beobachten und unter Be- lastungsfähigkeit einzelner Krankenkassen Rech- rücksichtigung der Erkenntnisse, soweit erforder- nung getragen wird; lich, weitere Maßnahmen zur Effektivierung und Effizienz dieser Maßnahmen einzuleiten; 14. konsequent nachzusteuern, wenn sich zeigt, dass einzelne Regelungen des GKV-WSG nicht ihre 8. für den Fall, dass der Bewertungsausschuss der erwartete Wirkung entfalten oder die Akteure im Verpflichtung, mit Wirkung zum 1. April 2007 Gesundheitswesen Umsetzungsprobleme in der die belegärztlichen Leistungen neu zu bewerten, Praxis auf die gesetzlichen Vorgaben zurückfüh- nicht nachkommt, bis zum 1. Juli 2007 eine ge- ren können, zum Beispiel bei der Überwindung setzliche Regelung zur angemessenen Vergütung von Schnittstellen zwischen den Sektoren, im Be- belegärztlicher Leistungen im DRG-System ein- reich der Organisationsreform oder bei wettbe- zubringen; werbgestaltenden Regelungen. 9. die Situation in der vertragsärztlichen Versorgung sorgfältig zu beobachten und zu prüfen, ob über Ferner hat der Bundesrat beschlossen, der Bundesre- die beschlossenen Maßnahmen im Vertragsarzt- gierung wegen der Haushaltsrechnung und Vermögens- rechtsänderungsgesetz und im GKV-Wettbe- rechnung des Bundes für das Haushaltsjahr 2005 (Jah- werbsstärkungsgesetz hinaus und gegebenenfalls resrechnung 2005) aufgrund der Bemerkungen des bereits vor der Einführung des neuen Vergütungs- Bundesrechnungshofes Entlastung gemäß Artikel 114 des systems weitere Schritte zur Erhöhung der At- Grundgesetzes und § 114 der Bundeshaushaltsordnung traktivität des Arztberufes und zur Vermeidung zu erteilen. einer drohenden Unterversorgung erforderlich sind, sowie bis zum 31. Dezember 2009 zu prü- fen, ob die nicht gerechtfertigten Unterschiede in Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben (B) der vertragsärztlichen Vergütung zwischen den mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- (D) neuen und den alten Ländern ausgeglichen sind, Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische um gegebenenfalls gesetzgeberisch einzugreifen; Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. 10. die Finanzperspektive der landwirtschaftlichen Krankenversicherung zu prüfen, deren gesamtge- sellschaftliche Aufgaben im Zusammenhang mit Innenausschuss der Bewältigung des Strukturwandels in der Drucksache 16/2555 Nr. 2.105 Landwirtschaft bei der Frage der stärkeren Steu- Drucksache 16/3713 Nr. 1.24 erfinanzierung besonderer Beachtung bedürfen; Drucksache 16/3713 Nr. 1.26 Drucksache 16/3897 Nr. 1.3 11. die Wirkungen der mit der schrittweisen Einfüh- Drucksache 16/3897 Nr. 1.5 Drucksache 16/3897 Nr. 1.6 rung der Portabilität der Alterungsrückstellungen Drucksache 16/3897 Nr. 1.9 im Umfang des neuen Basistarifs verbundenen Drucksache 16/3897 Nr. 1.17 Ausweitung der Wahl- und Wechselmöglichkei- ten der privat Krankenversicherten nach einem angemessenen Zeitraum zu evaluieren; Finanzausschuss Drucksache 16/481 Nr. 1.1 12. sofern notwendig, gemeinsam mit den Ländern Drucksache 16/481 Nr. 1.2 durch geeignete flankierende Maßnahmen sicher- Drucksache 16/820 Nr. 1.18 zustellen, dass die primär in der Verantwortung Drucksache 16/820 Nr. 1.19 Drucksache 16/820 Nr. 1.20 der Krankenkassen liegende solidarische Ent- Drucksache 16/820 Nr. 1.21 schuldung aller Krankenkassen durch die jewei- Drucksache 16/3573 Nr. 2.4 lige Kassenart bis zur Einführung des Gesund- Drucksache 16/3713 Nr. 1.4 heitsfonds gewährleistet wird; Drucksache 16/3713 Nr. 1.28 Drucksache 16/3897 Nr. 1.11 13. das in § 171b SGB V vorgesehene Gesetz zur nä- Drucksache 16/3897 Nr. 1.20 Drucksache 16/4105 Nr. 2.27 heren Regelung der Insolvenzfähigkeit aller Kran- kenkassen sowie zu dem damit verbundenen Entfallen der Haftung der Länder nach der Insol- Haushaltsausschuss venzordnung spätestens zum Zeitpunkt des Drucksache 16/3382 Nr. 2.4 Inkrafttretens des Gesundheitsfonds und den wei- Drucksache 16/3573 Nr. 2.11 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. März 2007 8439

(A) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/4105 Nr. 2.89 (C) Drucksache 16/4105 Nr. 2.91 Drucksache 16/150 Nr. 2.185 Drucksache 16/722 Nr. 1.1 Drucksache 16/901 Nr. 2.10 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft Drucksache 16/993 Nr. 2.17 und Verbraucherschutz Drucksache 16/4105 Nr. 1.14 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 16/4105 Nr. 2.10 Drucksache 16/4105 Nr. 2.15 Drucksache 16/1207 Nr. 1.17 Drucksache 16/4105 Nr. 2.23 Drucksache 16/1475 Nr. 2.2 Drucksache 16/4105 Nr. 2.38 Drucksache 16/1475 Nr. 2.15 Drucksache 16/4105 Nr. 2.39 Drucksache 16/1748 Nr. 1.2 Drucksache 16/4105 Nr. 2.68 Drucksache 16/1748 Nr. 2.6 Drucksache 16/4105 Nr. 2.75 Drucksache 16/1748 Nr. 2.14 Drucksache 16/4105 Nr. 2.78 Drucksache 16/1748 Nr. 2.24 Drucksache 16/4105 Nr. 2.84 Drucksache 16/1942 Nr. 2.33 Drucksache 16/4105 Nr. 2.86 Drucksache 16/2129 Nr. 1.1 Drucksache 16/4105 Nr. 2.87 Drucksache 16/2555 Nr. 1.22 Drucksache 16/4105 Nr. 2.92 Drucksache 16/4105 Nr. 2.95 Drucksache 16/2555 Nr. 2.7 Drucksache 16/2555 Nr. 2.68 Drucksache 16/2555 Nr. 2.97 Drucksache 16/2555 Nr. 2.102 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 16/3060 Nr. 1.14 Drucksache 16/150 Nr. 2.42 Drucksache 16/3382 Nr. 1.7 Drucksache 16/288 Nr. 1.7 Drucksache 16/3382 Nr. 2.2 Drucksache 16/820 Nr. 1.39 Drucksache 16/3382 Nr. 2.5 Drucksache 16/820 Nr. 1.41 Drucksache 16/3382 Nr. 2.10 Drucksache 16/820 Nr. 1.43 Drucksache 16/3382 Nr. 2.19 Drucksache 16/820 Nr. 1.44 Drucksache 16/3382 Nr. 2.20 Drucksache 16/993 Nr. 1.8 Drucksache 16/3382 Nr. 2.21 Drucksache 16/1101 Nr. 2.1 Drucksache 16/3382 Nr. 2.25 Drucksache 16/1101 Nr. 2.14 Drucksache 16/3382 Nr. 2.32 Drucksache 16/1748 Nr. 1.12 Drucksache 16/3382 Nr. 2.36 Drucksache 16/1942 Nr. 2.12 Drucksache 16/3573 Nr. 1.8 Drucksache 16/2555 Nr. 1.24 Drucksache 16/3573 Nr. 2.5 Drucksache 16/3382 Nr. 2.29 Drucksache 16/3713 Nr. 1.10 Drucksache 16/3573 Nr. 2.7 Drucksache 16/4105 Nr. 1.3 (B) Drucksache 16/3573 Nr. 2.10 (D) Drucksache 16/4105 Nr. 1.19 Drucksache 16/3573 Nr. 2.12 Drucksache 16/3573 Nr. 2.13 Drucksache 16/3573 Nr. 2.14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz Drucksache 16/3573 Nr. 2.15 und Reaktorsicherheit Drucksache 16/3573 Nr. 2.16 Drucksache 16/3573 Nr. 2.22 Drucksache 16/150 Nr. 2.33 Drucksache 16/3713 Nr. 1.1 Drucksache 16/419 Nr. 2.27 Drucksache 16/3713 Nr. 1.2 Drucksache 16/481 Nr. 1.11 Drucksache 16/3713 Nr. 1.5 Drucksache 16/481 Nr. 1.12 Drucksache 16/3713 Nr. 1.6 Drucksache 16/1101 Nr. 2.4 Drucksache 16/3713 Nr. 1.12 Drucksache 16/1942 Nr. 2.52 Drucksache 16/3713 Nr. 1.16 Drucksache 16/1942 Nr. 2.53 Drucksache 16/3713 Nr. 1.21 Drucksache 16/1942 Nr. 2.54 Drucksache 16/3713 Nr. 1.22 Drucksache 16/2555 Nr. 2.64 Drucksache 16/3713 Nr. 1.23 Drucksache 16/2555 Nr. 2.133 Drucksache 16/2695 Nr. 1.13 Drucksache 16/3897 Nr. 1.12 Drucksache 16/3382 Nr. 1.1 Drucksache 16/3897 Nr. 1.14 Drucksache 16/3573 Nr. 2.23 Drucksache 16/3897 Nr. 1.15 Drucksache 16/4105 Nr. 1.12 Drucksache 16/3897 Nr. 1.21 Drucksache 16/3897 Nr. 1.22 Drucksache 16/3897 Nr. 1.24 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 16/3897 Nr. 1.28 Drucksache 16/4105 Nr. 2.5 Drucksache 16/288 Nr. 2.39 Drucksache 16/4105 Nr. 2.6 Drucksache 16/2555 Nr. 2.139 Drucksache 16/4105 Nr. 2.7 Drucksache 16/4105 Nr. 2.8 Drucksache 16/4105 Nr. 2.11 Ausschuss für Bildung, Forschung Drucksache 16/4105 Nr. 2.16 und Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/4105 Nr. 2.21 Drucksache 16/3573 Nr. 1.2 Drucksache 16/4105 Nr. 2.29 Drucksache 16/4105 Nr. 2.31 Drucksache 16/4105 Nr. 2.33 Ausschuss für die Angelegenheiten Drucksache 16/4105 Nr. 2.36 der Europäischen Union Drucksache 16/4105 Nr. 2.58 Drucksache 16/4105 Nr. 2.61 Drucksache 16/150 Nr. 1.24 Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980