Rollenbilder in Zwei Mädchenbuchreihen Des 20
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Fakultät I – Bildungs- und Sozialwissenschaften Institut für Pädagogik Rollenbilder in zwei Mädchenbuchreihen des 20. Jahrhunderts - eine vergleichende ideologiekritische Analyse Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie vorgelegt von Sibylle Jacobi Gutachter: Prof. Dr. Hanna Kiper Apl. Prof. Dr. Irmhild Wragge-Lange Tag der Disputation: 14. Oktober 2013 1 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Historische Wirklichkeit als Bezugsfeld sozialwissenschaftlicher Analyse 9 2.1 Mädchenkindheit und Mädchenjugend . .9 2.2 Else Ury und Cornelia Funke: Schriftstellerinnen ihrer Zeit? . 14 2.2.1 Else Ury und die Nesthäkchen-Reihe (1913-1925) . 15 2.2.2 Cornelia Funke und die Die Wilden Hühner-Reihe (1993-2007) . 20 2.2.3 Verlagsumfelder . 21 2.2.4 Schriftstellerinnen ihrer Zeit? . 25 3 Grundlagen 27 3.1 Forschungsstand . 27 3.2 Leitbegriffe der Fragestellung . 30 3.2.1 Geschlecht . 30 3.2.2 Rasse und Ethnizität . 33 3.2.3 Habitus . 36 3.2.4 Identität . 42 3.3 Methodik - eine ideologiekritische Analyse . 45 4 Geschlecht 53 4.1 Frauen im familiären Kontext . 53 4.1.1 Töchter . 54 4.1.2 Mütter . 60 4.1.3 Großmütter . 101 4.1.4 Fazit . 106 4.2 Frauen und Bildung . 109 4.2.1 Schulbildung in Nesthäkchen und den Wilden Hühnern ......... 113 4.2.2 Hochschulstudium . 123 4.2.3 Die Frau als Kulturträgerin . 132 4.2.4 Fazit . 138 4.3 Frauen und Berufstätigkeit . 144 4.3.1 Frauenberufe in Nesthäkchen und in den Wilden Hühnern ....... 148 4.3.2 Positive Darstellung berufstätiger Frauen in Nesthäkchen und den Wil- den Hühnern ............................... 163 4.3.3 Negative Darstellung berufstätiger Frauen in Nesthäkchen und den Wil- den Hühnern ............................... 166 4.3.4 Fazit . 173 2 5 Rasse und Ethnizität 183 5.1 Versteckte Elemente von Rassentheorien in Nesthäkchen ............ 183 5.1.1 “Schwarze” . 187 5.1.2 “Weiße” . 195 5.2 Nationalitäten in Nesthäkchen .......................... 200 5.3 Fazit . 215 6 Habitus 222 6.1 Arbeiter, Kleinbürger und Bürger . 222 6.2 Soziale Distinktion . 225 6.2.1 Alltagsgegenstände als Marker sozialer Distinktion . 229 6.2.2 Bildung als Marker sozialer Distinktion . 232 6.3 Darstellung von Reichtum und Armut in Nesthäkchen .............. 235 6.4 Fazit . 245 7 Fazit und Ausblick 248 7.1 Fazit . 248 7.2 Ausblick . 255 Literaturverzeichnis 259 3 Kapitel 1 Einleitung Mädchenbüchern wird bereits seit dem Entstehen des Genres gegen Ende des 18. Jahrhunderts großer Einfluss auf ihre jugendlichen Leserinnen zugeschrieben. So weist die Gattung Mäd- chenbuch seit ihren Anfängen eine enge Beziehung zur Pädagogik auf und nimmt seit jeher eine Sonderstellung innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur ein. Die Anfänge der Mädchen- literatur und die der Jugendliteratur allgemein wurzeln in der Aufklärung.1 Die Verbindung von moralischer Erziehung und Kinder- und Jugendliteratur war und ist über Jahrhunderte hinweg eine Konstante, zunächst durch die Theologie und dann durch die Pädagogik legitimiert. 2 Phil- antropen wie Campe oder Weisse bedienten sich der Literatur, um sozialerzieherisch auf junge Leser einzuwirken, Wertvorstellungen wie Selbstbeherrschung zu vermitteln und um die neue Form der bürgerlichen Kleinfamilie mit ihrer emotionalen Binnenstruktur 3 zu stärken. Neben einer eskapistischen Funktion von Literatur, die angeblich bei der Rezeption durch Frauen eine wichtige Rolle spielte, war es vor allem das zunehmende Interesse an Pädagogik, das sich auch auf Mädchen zu richten begann. Vor allem mittels der Mädchenbücher wurde versucht, bürger- liche junge Mädchen erzieherisch zu erreichen, denen der Besuch staatlicher weiterführender Schulen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend verwehrt blieb. 4 Die pädagogischen Ziele des Mädchenbuches aus dieser Zeit blieben bis in die 1960er Jahre nahezu ungebrochen: Anpassung an die gesellschaftlich geforderte Rolle der Frau und der behutsame Aufbau einer standesgemäßen Liebesbeziehung beziehungsweise die Gründung einer Familie lassen sich als Orientierungspunkte der Mädchenliteratur verorten. Diese Ziele dominierten deutlich über literarische Aspekte wie Form und Inhalt. Wurde und wird die Kinder- und Jugendliteratur seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert im Allgemeinen oftmals als Erziehungs- und Sozialisationsinstrument verwendet, um hegemoniale oder pro- 1 Grenz 1997, S.260. 2 Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der muttersprachliche Unterricht zentrales Fach in der Schule zu werden begann, stand der Anspruch, dass der Deutschlehrer zugleich Sittenlehrer sein sollte, deutlich im Vorder- grund. Die Tugendlehre trat so im bürgerlichen Zeitalter an die Stelle der hergebrachten religiösen Erziehung. [...] Der Beschäftigung mit erzählenden Texten wurde dabei die größte Bedeutung zugemessen. Spinner 1989, S.13. 3 Dahrendorf 2004, S.13. 4 Dahrendorf 1978, S.23. 4 gressive Normierungen weiterzuvermitteln5, so gilt dies für das Mädchenbuch in besonderem Maße. Rollen6 traditioneller Weiblichkeit, insbesondere die der Ehefrau und Mutter, wurden weitgehend unverändert überliefert.7 Dies mag unter anderem daran liegen, dass Adressatin- nen wie Protagonistinnen des deutschen Mädchenbuches in der Hauptsache dem Bürgertum zuzuordnen waren und sind. Von der Kinder- und Jugendliteratur-Theorie wurden Mädchenbücher seit den 1970er Jahren sehr kritisch betrachtet und als trivial und ideologisch überfrachtet zurückgewiesen. Carmen Wulf weist allerdings darauf hin, dass die verallgemeinernde Kritik am Mädchenbuch durch die Literaturdidaktik und der generelle Vorwurf, in Mädchenbüchern sei nahezu durchgängig ein konservatives Frauenbildes enthalten, jene Mädchenbücher übersah, welche aus diesem formalen und inhaltlichen Schema ausbrachen.8 Auch andere Autorinnen, wie Dagmar Grenz oder Gisela Wilkending, veränderten durch ihre Forschungsarbeiten den einseitig negativen Blick auf Mädchenliteratur und arbeiteten die subversiven Elemente heraus, welche sich in einigen Klassikern des Genres wie zum Beispiel dem Trotzkopf sehr wohl finden lassen.9 Die Lesefaszination, welche vom Mädchenbuch auf seine Leserinnen ausging, blieb dessen ungeachtet ungebrochen, so dass mit dem Genre des emanzipatorischen Mädchenbuchs in den 1980er Jahren versucht wurde, diesem offensichtlichen Lesebedürfnis zwar nachzukommen, aber dabei zumindest inhaltlichen Einfluss auf die konservativ-hegemoniale Ausrichtung der Mädchenbücher zu nehmen. Damit wird deutlich, welcher Einfluss dem Mädchenbuch sogar von seinen Kritikern zugetraut wurde. Das emanzipatorische Mädchenbuch blieb allerdings dem Muster des klassischen Mädchenbuchs vielfach mit umgekehrten Vorzeichen verhaftet. Es ließ weiterhin wenig Raum für stilistische Abweichungen von einer auch formal tendentiell eher trivialen Romanform, vor allem aber keinen Raum für Humor oder gar Selbstironie. Auch heute scheinen offiziell als solche ausgewiesene Mädchenbücher keineswegs aus der Mode gekommen zu sein. Ganz im Gegenteil versprechen sie den Verlagen besonders gute Ge- winne. Weibliche Leserinnen sind für den Buchmarkt in Deutschland die wichtigste Zielgruppe für den Verkauf von Belletristik. Die Dominanz der Leserin gegenüber dem männlichen Leser beginnt dabei bereits bei der Kinder- und Jugendliteratur. Offenbar lesen Mädchen ebenso wie ihre Mütter viel häufiger belletristische Bücher zur Unterhaltung, als dies bei männlichen Le- sern der Fall ist. Die KIM-Studie 2012 ergab, dass 21% der darin befragten 6 bis 13jährigen Mädchen angaben, täglich Bücher zu lesen, während es bei den Jungen nur 7% waren.10 Auch die Stiftung Lesen fand in einer Studie von 2008 heraus, dass deutlich mehr Frauen Belletris- tik komsumieren, als Männer.11 Dies macht Mädchen zur primären Zielgruppe für literarische Produkte im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Den Buchmarkt hat dies lange dahin- gehend beeinflusst, dass die meisten Erstlesebücher inhaltlich eindeutig auf weibliche Leser 5 Vgl. die Haas-Hurrelmann-Debatte in Praxis Deutsch 1988. 6 Rolle hier im soziologischen Sinne einer Bündelung von Muss-, Soll- und Kann-Normen, siehe Dahrendorf 2006. 7 Ab den 1970ern zum Teil ausgewechselt durch emanzipatorische feministische Frauenidealbilder, siehe Grenz 1997. 8 Vgl. Wulf 1996. 9 Wilkending 1997. 10 Medienpädagogischer Forschungverbund: http://www.mpfs.de/index.php?id=557, Zugriff am 19.2.2013. 11 Stiftung Lesen 2008. 5 ausgerichtet waren. Mittlerweile reagiert der Handel mit neuen Werken, mit denen die männli- chen Erstleser erreicht und zum Lesen motiviert werden sollen.12 Dennoch: Mädchen bleiben weiterhin die primäre Zielgruppe. Dementsprechend bietet der Buchhandel verlagsübergeifend Literatur, die in ihrer Form und ihrem Inhalt genau auf diese Leserschaft und Altersgruppe zugeschnitten ist entgegen dem Trend der Kinder- und Jugendliteratur, sich mehr in Richtung All-Ages-Literatur zu öffnen.13 So hat die Oetinger Verlagsgruppe, in welcher auch Die Wilden Hühner erscheinen, erst Ende 2011 ein neues Buchlabel speziell für weibliche Leserinnen zwischen 11 und 14 Jahren herausgegeben, mit dem Namen Pink und dem Slogan Pink up your life. Der Geschäftsführer des neuen Labels beschreibt die Protagonistinnen der Mädchenbücher, die künftig bei Pink erscheinen sollen, als starke Mädchen in einem urbanen Umfeld14. Der Buchmarkt versucht durch solche Formulierungen offenbar, den Leserinnen beziehungs- weise Kundinnen einen bestimmten Lebensstil zu suggerieren und anzubieten, der für sie at- traktiv wirken soll. Eine Formulierung wie starke Mädchen, scheint solche Attraktivität zu besitzen. Was genau damit gemeint ist, wie also ein bestimmter