Zivilrechtskultur Der DDR
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Zivilrechtskultur der DDR Band 2 Herausgegeben von Rainer Schröder Duncker & Humblot . Berlin I (A /F g~~;i.1, 2 Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Zivilrechtskultur der DDR / hrsg. von Rainer Schröder. - Berlin : Duncker und Humblot Bd. 2 (2000) (Zeitgeschichtliche Forschungen ; Bd. 2 / 2) ISBN 3-428- 10 192-8 Umschlagbild: Zentrale Schöffenkonferenz des Ministeriums der Justiz der DDR 1976 in der Berliner Kongreßhalle Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion „Neue Justiz" Alle Rechte, auch die des,auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten 02000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1438-2326 ISBN 3-428- 10192-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Begründungsverhalten des Reichsgerichts zwischen 1933 und 1945 in Zivilsachen verglichen mit Entscheidungen des Obersten Gerichts der DDR vor 1958 Von Hans-Peter Haferkamp 1. Problemstellung Für die Frage, wie die Zivilsenate des Reichsgerichts im Nationalsozialismus mit juristischer Dogmatik umgingen, ergab die Habilitationsschrift von Bernd Rü- thers aus dem Jahr 1968 eine ehrtw wen dun^'. Unter Juristen wurden die Probleme des Justizunrechts einerseits in rechtsphilosophischer Perspektive diskutiert2, also etwa unter der zur Entlastungsstrategie stilisierten3 Aussage Radbruchs, der „Posi- tivismus [. ] mit seiner Überzeugung ,Gesetz ist Gesetz' " habe die Juristen wehr- los gemacht. Daneben stattfindende Methodendebatten verstanden sich zumeist4 als unpolitisch5. Rüthers stellte hiergegen das Politische jeder juristischen Methode in den Vor- dergrund seiner ~etrachtun~en~und wies aus diesem Blickwinkel nach, daß die 1 Bernd Rüther~s,Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 4. Aufl. Heidelberg 1991. Fortführung der Gedanken in ders., Wir den- ken die Rechtsbegriffe um . - Weltanschauung als Auslegungsprinzip, München 1987; ciers., Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, München 1988; ders., Recht als Waffe des Unrechts - Juristische Instrumente im Dienst des NS-Rassen- wahns, NJW 1988, S. 2825 ff. 2 Hierzu nun Eckhardt Buchholz-Schuster; Rechtsphilosophische Legitimation der Rechts- praxis nach Systemwechseln. Eine Untersuchung zur Funktion von „Juristenphilosophie" (= Berliner Juristische Universitätsschriften. Grundlagen des Rechts 8), Berlin 1998, S. 38 - 122 und passim. 3 Vgl. nur Manfred Walther; Hat der Rechtspositivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich" wehrlos gemacht?, in: Ralf DreierJWolfgang Sellert, Recht und Justiz im ,,Dritten Reich", Frankfurt a. M. 1989, S. 323 ff. 4 Politische Bezüge etwa bei Custav Boehrnec Grundlagen der bürgerlichen Rechtsord- nung, Bd. 11: Praxis der richterlichen Rechtsschöpfung, Tübingen 1952, S. 79 U.ö. 5 SO etwa Josef Essers Vorstellung eines vom Richter zu entwickelnden „unpolitischen Gemeinrechts". in: Grundsatz und Norm der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, Tü- bingen 1956, S. 291 ff. 6 Rüthers, (wie Anm. I), S. I ff., 443 ff. sowie in den neueren Arbeiten. 16 Hans-Peter Haferkamp ,,Rechtserneuerung" der dreißiger Jahre in einem ,,~ethodenwettlauf'~ein ganzes Arsenal von Möglichkeiten herausgearbeitet hatte, um das Gesetz im nationalso- zialistischen Sinne umzuwerten und doch offene Entscheidungen Contra legem zu vermeiden. Die Untersuchung veröffentlichter Urteile zeigte, daß es der Zivil- rechtspraxis in Kombination dieser neuen mit traditionellen Gesetzesanwendungs- methoden gelungen war, unter Bezugnahme auf die Vorschriften des noch immer geltenden BGB die Wertungen des Nationalsozialismus in ihre Urteile einfließen zu lassen. Zum Umwertungsinstrumentarium gerieten dabei teilweise altehrwürdi- ge Topoi wie die „Natur der ~ache"~oder (pseudoempirisch oder metaphysisch ge- dachte) „~echtsinstitute"~ebenso wie neuentwickelte oder erweiterte Argumenta- tionstechniken, etwa die Bindung unbestimmter Rechtsbegriffe, insbesondere in Generalklauseln, an politische Vorgaben des Nationalsozialismus'". Rüthers verdichtete seine Warnung vor der Verschleierungsgefahr juristischer Methode nachfolgend zu konkreten „Lehren aus der Rechtsperversion des Natio- nalsozialismus"", die letztlich „Methodenbewußtsein als ~mdeutun~sbremse"'~ propagierten. Er warnte vor der Gefahr, daß ein weniger methodenkritischer Teil der Richterschaft, die „Zauberlehrlinge", im Gegensatz zu den bewußt lenkenden ,,~auberern"'~,an sozusagen subkutan, unter methodischen Floskeln untergescho- bene ideologische Wertungen gebunden werden könne14. 7 Bernd Rüthers, Entartetes Recht, München 1988, S. 18 ff. 8 Kntik bereits bei Ralf Dreie?; Zum Begriff der Natur der Sache, Berlin 1965, S. 71 ff., 114 ff. Einen prägnanten historischen Abriß bis zu Carl Schmitt lieferte Gustav Radbruch, Die Natur der Sache als juristische Denkform, erschienen 1948, wiederabgedruckt in: Win- fried Hassemer (Hg.), Gustav Radbruch. Gesamtausgabe, Bd. 3, Heidelberg 1990, S. 229 ff., hier 229 - 232; Literatur zu diesem Ewigkeitsproblem der Rechtsphilosophie erschließt sich über Arthur Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache", 2. Aufl. 1982, S. 60 ff. 9 Bernd Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken im Wandel der Verfassungsepochen, Berlin U.a. 1970; 2. Aufl. unter dem Titel „Wir denken die Rechtsbegriffe um . ." (wie Anm. 1). 10 Im Anschluß an Carl Schmitt, Neue Leitsätze für die Rechtspraxis, JW 1933. S. 2793 = DR 1933, S. 201. 11 Entartetes Recht (wie Anm. I), S. 22 ff. mit insgesamt 24 Lehren. 12 Bereits Unbegrenzte Auslegung, Nachwort 199 1, S. 486. 1' So Rüthers in der Entgegnung auf Lübbe und Behrends: Aus der Geschichte lernen? Eine Erwiderung, RJ 8 (1989), S. 381 ff., 387: „[ . .] Naivität der Zauberlehrlinge, die an solche Scheinbegründungen und Umdeutungskunststücke glauben und ihnen willig folgen." Weitergehend sieht Oliver Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung. Methodenent- wicklungen in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswis- senschaft unter dem Nationalsozialismus, München 1994, S. 380 im Verlust spezifisch juristi- scher Kategorien (zugunsten (objektiv-idealistisch) gegensatzaufhebender Begrifflichkeit) den Grund dafür, daß die Juristen „unter dem Nationalsozialismus zu dessen wirklicher Er- kenntnis nicht mehr in der Lage waren". 14 Die Kritik an Rüthers' „Rechtslehren aus dem Nationalsozialismus" richtet sich einer- seits erkenntnistheoretisch an der Unmöglichkeit eines historia docet aus, so vor allem A. Lübbe, Aus der Geschichte lernen?, RJ 7 (1988), S. 417 ff.; zurückhaltender Michael Stolleis, Lehren aus der Rechtsgeschichte? Zur Auseinandersetzung mit den Thesen von Bernd Rü- thers, in: Rainer Eisfeld U. Ingo Müller (Hg.), Gegen Barbarei. Essays Robert M. W. Kemp- Begründungsverhalten des Reichsgerichts 17 Ein Blick auf die Bewertung, die nach 1989 der Gesetzesanwendung durch DDR-Richter aus nun gesamtdeutscher Sicht zuteil wird, zeigt, daß die Ergebnisse von Rüthers hierauf übertragen werden. Praktische Bedeutung hat dies zunächst in der Judikatur des BGH zur Rechtsbeugung durch DDR-Richter erhalten. Die Beur- teilung des DDR-Rechts schließt ein Verständnis der DDR-spezifischen Vorgaben für seine Anwendung mit eini5. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse von Rüthers hob der BGH Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe als Umwertungsin- strumentarien allgemein in „totalitären staaten"I6 besonders hervor und stellte an- sonsten, bei allem Einfluß anderer Wertvorstellungen und ~eitun~sstrukturen", „formalu Übereinstimmung mit heutigen Auslegungsmethoden festi8. Für Kraut, der diese Judikatur des BGH jüngst analysierte, gilt: „Die von Rüthers entwickel- ten Grundsätze hinsichtlich der Umwertung des Rechts und der Rechtsbegriffe durch den Nationalsozialismus lassen sich ohne größere Probleme auf die marxi- stisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie übertragen."19 Für die Untersuchung der Zivilrechtspraxis der DDR liegt es auf den ersten Blick nahe, die Ergebnisse von Rüthers zugrundezulegen, da auch hier durch Fort- geltung des für eine liberale Warenverkehrsgesellschaft konzipierten BGB beim Übergang zu einer sozialistischen Planwirtschaft ähnliche Umwertungsprobleme in der Luft lagen. Besonders die traditionellen Anpassungsmechanismen, die Generalklauseln, de- ren Bedeutung auch Rüthers hervorhob, wurden in jüngerer Zeit diesbezüglich un- tersucht. So hat Jens Wanner die Judikatur zu 138 Abs. 1 BGB in beiden Epo- ner zu Ehren, Frankfurt a. M. 1989, S. 385 ff. Kritik findet andererseits sein Methodenver- ständnis, so etwa Okko Behrends, Zum Problem einer rein etatistischen Rechtsbegründung gestern und heute, NJW 1988, S. 2862 ff., der mit einer Werteordnung argumentiert. Näher zu diesem Ansatz ders., Struktur und Wert. Zum institutionellen und prinzipiellen Denken im geltenden Recht, Rechtsdogmatik und praktische Vernunft. Symposion zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990, S. 138 ff.; ders, Von der Freirechtsschule zum konkre- ten Ordnungsdenken, in, Dreier ISellert (Hg.), Recht und Justiz im „Dritten Reich", Frankfurt a. M. 1989, S. 34 ff. Anderes Methodenverständnis wohl auch bei Klaus Luig, Macht und Ohnmacht der Methode, NJW 1992, S. 2536 ff. 15 Zu den damit verbundenen Streitpunkten Gerwin Udke, Verfahren und Methoden der Auslegung und deutsch-deutschen Rechtsangleichung, DtZ 1991, S. 52 ff.; Helge GraDau, Brauchen wir eine