AV 10/71 – Ein Mann Im Hintergrund Der Nachlaß Anton Plenikowskis Im Mfs-Archiv
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156 ZdF 23/2008 AV 10/71 – Ein Mann im Hintergrund Der Nachlaß Anton Plenikowskis im MfS-Archiv Angela Schmole Bei Recherchen im BStU-Archiv stieß die Verfasserin vor geraumer Zeit auf eine unge- wöhnliche Überlieferung, erfaßt unter der Signatur AV 10/711, die eine Zeitspanne von 1919 bis 1971 abdeckt. Dahinter verbergen sich mehrere Ordner aus der MfS-Abteilung zur „Aufklärung von Nazi- und Kriegsverbrechen“ (HA IX/11) mit unzähligen Brie- fen, Artikeln, Manuskripten, Reiseberichten, persönlichen Erinnerungen und zahlrei- chen Notizen, von denen ein Großteil dem Nachlaß Anton Plenikowskis zuzuordnen ist. In den Anfangsjahren der DDR war Anton Plenikowski der maßgebliche Funktionär in der Abteilung Staatliche Verwaltung, zuständig für die Organisation der Regierungs- arbeit. Zwei Monate vor der Absetzung seines früheren Förderers Walter Ulbricht starb Plenikowski. Seine Ehefrau wandte sich an die DDR-Geheimpolizei, um Teile seines Nachlasses zu übergeben. Das angebotene Material stieß beim Staatssicherheitsdienst sogleich auf großes Inter- esse. Das MfS wollte historische Schriftstücke, Foto- und Filmmaterialien zur Erfor- schung der „Zeit des Faschismus“ und „vor allem des antifaschistischen Widerstands- kampfes, der Kundschaftertätigkeit sowie zur Pflege revolutionärer Traditionen“ aufbe- wahren.2 Wie man inzwischen weiß, nutzte das MfS derartige historische Dokumente jedoch auch zu anderen Zwecken: Plenikowskis Nachlaß solle „für die operative Ver- wendung durch das MfS“ gesichtet und aufbewahrt werden, schlug der Leiter des MfS- Untersuchungsorgans, Oberst Walter Heinitz, im Juni 1971 Minister Mielke vor.3 Das Material wurde überprüft, statistisch erfaßt und numeriert. Mehrere MfS-Offiziere be- schäftigten sich mit der Auswertung der Überlieferung. So entstanden zahlreiche Perso- nenregister zu Manuskripten; Briefe an Plenikowski wurden geordnet und die Adressa- ten mit Namen und vollständiger Anschrift erfaßt sowie handschriftliche Aufzeichnun- gen mit Randbemerkungen versehen. Teilweise lagen den Briefen persönliche Erinne- rungen und handschriftliche Lebensläufe bei. Zusammen mit weiterem Material entstand somit eine Sammlung von biographischen Skizzen. Ein scheinbar unbedeutender Brief, den Plenikowski im November 1969 erhielt, weckte die Neugierde der MfS-Offiziere. „Lieber Genosse Pleni“, so beginnt der Brief, „zu Deinem 70. Geburtstag auch von mir allerherzlichste Glückwünsche. Vor allem wünsche ich Dir noch lange Jahre voller Kraft und Lebensfreude, um so wie bisher an der schönsten Sache der Welt, dem Aufbau unse- rer sozialistischen Gesellschaft, mitwirken zu können. Auch Deiner Familie alles Gute. Mit festem Händedruck, Deine Lotte Ulbricht.“4 Lotte Ulbricht, die First Lady der DDR, zählte in den sechziger Jahren zu den engsten Mitstreiterinnen Anton Plenikowskis und er selbst zu den engsten Vertrauten Willi Stophs. 1 BStU, MfS, HA IX/11 AV 10/71, 15 Bände mit insgesamt 4432 Blatt. 2 Oberst Lothar Stolze (MfS, HA IX/11, Leiter): Jahresarbeitsplan für 1985 vom 10.12.1984; BStU, MfS HA IX 571, Bl. 3–19. 3 Oberst Walter Heinitz (MfS, HA IX, Leiter): Vermerk vom 23.6.1971 zum Nachlaß des Genossen Anton Plenikowski; BStU, MfS AV 10/71, Bd. 1, Bl. 18–22. 4 Brief von Lotte Ulbricht an Anton Plenikowski vom 19.11.1969; BStU, MfS AV 10/71, Bd. 10, Bl. 386. Angela Schmole: AV 10/71 – Ein Mann im Hintergrund 157 Briefe an Anton Plenikowski Im März 1946 kehrte Anton Plenikowski aus der schwedischen Emigration in die SBZ zurück. Hier traf er seine KPD-Führungskader wieder und wurde von ihnen in seine neuen Aufgabengebiete eingewiesen. Im Nachlaß AV 10/71 ist dazu eine umfangreiche Briefsammlung überliefert.5 Der Schriftverkehr Plenikowskis mit seinen Landsleuten aus Danzig in Ost und West reflektiert drei große Themen: Es ging um die politische Ar- beit im Danziger Volkstag, um die seit 1930 zunehmende Machtverschiebung zugunsten der NSDAP und die Beweggründe für ihr politisches Handeln in den dreißiger Jahren. In diesem Briefwechsel finden sich zudem Erinnerungen an die Zeit in Danzig vor der Vertreibung sowie zeitgenössische Beschreibungen des Alltags nach der Flucht. Die ehe- maligen Danziger versicherten sich – unabhängig von den sich seit 1946 abzeichnenden unterschiedlichen Entwicklungen der Lebensverhältnisse in West und Ost – der gegen- seitigen Hilfe. Lange Zeit verband sie über die Grenzen der Besatzungszonen hinweg die gemeinsame Hoffnung, eines Tages in die verlorene Heimat zurückkehren zu können. In den fünfziger Jahren ahnten schon viele Danziger in der Bundesrepublik, daß dies nur ein Wunsch bleiben würde. In der SBZ/DDR war dieses Thema offiziell tabu.6 Pleni- kowski war der Ansprechpartner für diese Gruppe der Vertriebenen. In seinen Briefen versuchte er seinen Landsleuten zu erklären, warum der Verlust ihrer Heimat endgül- tig war. Wenngleich die Äußerungen in diesen Briefen nur skizzenhaft sind, so sind sie doch als Quelle bedeutsam. Denn sie ermöglichen einen Einblick in die Gedankenwelt ihrer Verfasser, die sich aus Partei- und Staatsdokumenten nicht rekonstruieren läßt. Sie zeigen außerdem erste Versuche des SED-Regimes, an die Sehnsucht der Vertriebenen nach heimatlicher Geborgenheit anzuknüpfen und diese für die Förderung einer sozia- listischen Heimatliebe zu instrumentalisieren. Die in den Briefen frühzeitig geäußerten Befürchtungen über eine mögliche Ost-West-Spaltung der Danziger Gruppe sowie An- sätze zur Bildung von Interessenorganisationen, wie zum Beispiel dem „Bund der Dan- ziger“, dürften Plenikowski alarmiert haben. Diese Konstellation beschrieb der Danziger Edgar Ferlau in einem Brief an seinen Landsmann Franz Müller im Januar 1948: „Sehr geehrter Herr Dr. Müller, [. .] Durch ihre freundliche Vermittlung kam im Dezember zwischen Herrn Plenikowski und mir eine Unterredung hinsichtlich der künftigen Ge- staltung der Zusammenkünfte der Danziger Landsleute zustande. Herr Plenikowski hat- te hierbei einige persönliche Wünsche in bezug auf die Art der Zusammenkünfte [. .]. Dieses lag durchaus in meinem Sinn, da ich selbst schon früher darauf hingewiesen habe, daß [. .] alles Politische vermieden werden muß. [. .] Seit einiger Zeit sind je- denfalls Bestrebungen im Gange, die darauf schließen lassen, daß meinen Bestrebungen entgegengearbeitet wird. Vor 14 Tagen [. .] wurde von Herrn Giessow [. .] zu einer Zu- sammenkunft der Danziger in der Hundekehle eingeladen. Hierzu durften nur diejenigen erscheinen, die auf einer besonderen Liste sich unterzeichnet hatten. [. .] Gleichzeitig kündigte Giessow an, daß nun wohl eine Spaltung der Landsleute eintreten würde. [. .] Am letzten Mittwoch ereignete sich nun Folgendes: Amtsgerichtsrat Dommer griff mich [. .] in unsachlicher Weise an. Er [. .] forderte auf, dieser Veranstaltung fernzubleiben. [. .] Weiter ist Dommer bestimmt nicht von anderen Landsleuten zu seinen Ausfüh- rungen ermächtigt worden, es sei denn, er meint die Clique, die die Spaltung betreibt [. .]. Es ist damit zu rechnen, daß die Störversuche sich auch künftig fortsetzen werden 5 BStU, MfS, AV 10/71, Bd. 3A und Bd. 10. 6 Vgl. Schwartz, Michael: Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“ Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945 bis 1961. München 2004. 158 ZdF 23/2008 [. .]. Ich gebe Ihnen hiervon Kenntnis und bitte Sie, auch Herrn Plenikowski hiervon zu unterrichten. Mit freundlichem Gruß, Edgar Ferlau.“7 In Briefen an Plenikowski wurde häufig von früheren Kampfgefährten aus Danzig die Frage gestellt, wie man in der DDR als Widerstandskämpfer anerkannt werde.8 Die ersten Organisationen der Verfolgten des NS-Regimes (OdF und VVN) waren früh auf- gelöst und Anfang 1953 durch das „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämp- fer“ ersetzt worden. Wer von diesem Komitee anerkannt wurde, erhielt eine Reihe von Vergünstigungen. Plenikowski half vielen, ihm aus der Danziger Zeit bekannten Briefe- schreibern, sich im Sinne des Komitees zu legitimieren. So heißt es in einem Brief: „Lie- ber Erich! Die Genossen des ZK sind erneut an mich herangetreten, um anzufragen, ob ich einen früheren Genossen aus Marienburg kenne. [. .] Die von ihm gemachten Anga- ben scheinen der Wahrheit zu entsprechen. Vor allen Dingen kann ziemlich glaubwürdig von ihm nachgewiesen werden, daß seine Frau seine Parteipapiere (sein Parteibuch) bis nach 1945 aufbewahrt hatte. Als er 1947 nach Polen kam, trat er sofort der Partei bei und hat dabei sein Parteibuch abgegeben. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Aber Du kennst ja auch die Verhältnisse nach 1945 in Polen.“9 Plenikowski als Kommunist in Danzig Anton Plenikowski arbeitete in Danzig als Lehrer und engagierte sich zunächst in der SPD, später in der KPD.10 Er wurde am 19. November 1899 in Zoppot bei Danzig (Gdansk) als viertes Kind des Katholiken Jakob Plenikowski geboren. Noch vor seinem 15. Lebensjahr sollte er eine Ausbildung beginnen. Er besuchte die Präparandenanstalt und das Lehrerseminar in Danzig-Langfuhr. Seit 1917 diente er als Soldat seinem Vater- land. Schwer verwundet kehrte er nach Danzig zurück und wurde in der Revolution von 1918 zum Mitglied des Breslauer Arbeiter- und Soldatenrates gewählt. Im Jahre 1920 nahm Plenikowski seine Berufslaufbahn als Volksschullehrer wieder auf. Danzig war ge- rade vom Deutschen Reich abgetrennt worden. Die Polen hätten sich die Hansestadt ger- ne einverleibt, doch Danzig wurde zur „Freien Stadt“ erklärt und stand unter der Verwal- tung des Völkerbundes. Anfang der dreißiger Jahre bot Danzig in bezug auf politische Parteien, Organisationen und Grüppchen