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Abschnitt einer Lithographie von Corn. Schönle 1908 Kaiserslautern Schönle Corn. Lithographie von einer Abschnitt

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Wurde von von Ende gegen meinemGroßvater Wurde Jahrhunderts ans 19ten Stammhaus des darin b angebaut, seit die Becker 1847 da war klein triebenezu Wirtschaft Postkarten

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Seite 3 Vorwort Seite 4 Lebensabschnitte Seite 5 Was ich von meinen Großeltern noch weiß Seite 6 Reichsarbeitsdienst Seite 15 Speckfront Seite 17 Damals Memel heute Kleipeda Seite 19 Kadavergehorsam Seite 20 Westfront Seite 23 Kriegsgefangenschaft Seite 24 Die gestohlene Jugend Seite 29 Wie ich den Wiederaufbau erlebte Seite 30 „Es Anni, mei erschd Fraa“ Seite 32 Mein Freund Hans Schuh Seite 35 Saarbrücken Seite 37 R O B Y Seite 39 Embe Haus und seine Bewohner Seite 43 Wie ich , damals Hausnummer 26, vorfand Seite 46 Unser Alltag Seite 52 So ändern sich die Zeiten Seite 52 Die Nazis haben meiner Generation ihre Jugend geraubt Seite 54 Geburtstagsrede am Neunzigsten Seite 57 Unser Ausflug nach Kiel Seite 59 Verweise und Links Seite 61 Anhang Seite 62

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Das Erlebte weiß jeder zu schätzen, am meisten der Denkende und Nachsinnende im Alter: er fühlt mit Zuversicht und Behaglichkeit, daß ihm das niemand rauben kann.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Mein Name und Adresse ist:

Willi Becker In der Hohl 6 66869 Blaubach Tel.06381/6953

2013 1972 1954 1943 1943 Vorwort

Warum ich schreibe? über mich und einiges will ich euch noch of- fenbaren. Weil ich weder schön noch fehler- Ich bin leider kinderlos geblieben und frei schreibe, benutze ich seit meinem 88ten manchmal frage ich mich: „Was und Wo ist Geburtstag einen Computer, um das von mir denn meine Lebensleistung? Hat man mich bereits niedergeschriebene zu Papier zu überhaupt gebraucht? Habe ich denn umsonst bringen. Michael, Sohn der Nichte meiner gelebt?“ Ersten Frau, hilft mir dabei. Vieleicht sind Dies sind zwar seltene Anwandlungen aber es meine Gedanken erhaltenswert? Wenn nicht gibt sie. Darum kann ich auch nur durch auf- verbrennt sie! schreiben meiner Gedanken über die Vergan- genheit und das von mir erlebte weitergeben. Vorweg die einzelnen Stationen meines Le- So kann ich auch Spuren hinterlassen. Bevor bens in Kürze, auf der nächsten Seite. bei mir das große Vergessen anfängt, habe ich mir vorgenommen noch manches „vielleicht“ interessantes aufzuschreiben. Vieles wisst ihr

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Lebensabschnitte

Am 20. 02. 1925 wurde ich in Rammelsbach Blaubach, wohnte in 2 Dachzimmerchen, geboren. Ich hatte zwei Schwestern, 2 und 7 Wasser, Abfluss und Plumpsklo im Keller. In Jahre jünger. Sowie einen Bruder, 3 Jahre ihrem Elternhaus war wegen des in Zweibrü- jünger. cken zerbombten Hauses des Bruders der Schwiegermutter, der ein Zimmer als Lager- Nach 8 Klassen Volksschule in Rammelsbach raum nutzte, kein Platz für uns. folgten 3 ½ Jahre Lehre bei Gebrüder Schleip in , wo mein Vater auch arbeitete. Ab Januar 1949 Grenzgänger mit Arbeitsplatz Meine Gesellenprüfung als Maschinenschlos- in Saarbrücken. ser machte ich am 30.09.1942. 1950 erbten wir Annis Elternhaus. Ab 11.01.1943 Reichsarbeitsdienst in Herxheim bei Landau und Feldnachschubla- 05.05.1955 Rollerunfall, beide schwer Ver- ger im nicht besetzten Südfrankreich in der letzt Nähe von Avignon. 1956 Meisterprüfung. 1957 bis 1967 Meister Ab 01.09.1943. Matrose der Kriegsmarine in und technischer Leiter meines ehemaligen Breda, Holland. Lehrbetriebes, in Altenglan.

Den Winter 1943/1944 verbrachte ich als 2 Jahre Hoch+Tiefbau Bernd & Co und Marineartillerist in Hanstholm (schwere Küs- zuletzt noch tenbatterie) 12 Jahre Werksmeister bei Fulmina KG Im März 1944 begann meine U- Zweigwerk Kusel. Wegen Werksschließung Bootsausbildung in Neustadt Holstein. An- war ich dann noch zwei Jahre Arbeitslos und schließend absolvierte ich die praktische mit 60 ging ich in Rente. Ausbildung zum Maschinen Maat in Memel und den theoretischen Teil bei der Marine- 1992 verstarb meine Frau an Krebs und 1994 schule Wesermünde, Bremerhaven. heiratete ich meine Cousine Heidi Dehn.

Weil es im März 1945 keine neuen U-Boote Ehrenämter: mehr gab, (Inzwischen war ich Gefreiter) - 15 Jahre Presbyter wurde ich als MG Schütze 1, der 2ten Kompa- nie im Marineschützen Batallion 306 zuge- - 10 Jahre Gemeinderat teilt. Kurzer Fronteinsatz in Holland . - 10 Jahre Erster Vorsitzender des Pfäl- Vom 22.04.1945 bis 20.01.1946 in englischer zerwald Vereins Kusel und Träger Kriegsgefangenschaft in Belgien. Gesund aber der silbernen Ehrennadel für hervor- total abgemagert kam ich heim. Wegen der ragende Verdienste. Essenmarken musste man damals schon bald Arbeit aufnehmen, erst als Hilfsarbeiter, dann - 20 Jahre Gründer und Leiter der als Schlosser bei Kuhn in Kusel für eine Blaubacher Ruheständler. Reichsmark brutto die Stunde. Hier wurde ich wegen der Heimkehr des Sohnes aus russi- - Seit 2011 bin ich Mitarbeiter der Ar- scher Kriegsgefangenschaft, entlassen. beitsgemeinschaft Blaubacher Dorf- geschichte. In der Zeit der Währungsreform am 02.10.1948 heiratete ich Anna Schultheiß in

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Was ich von meinen Großeltern noch weiß

Das Bild unten, Seite 8 (Haus mit Stalltür), Mein Bruder Ernst hat den Wohnhausteil zeigt mein Elternhaus. Davor mein Großvater meines Elternhauses geerbt und lebenslang und meine Mutter mit mir auf dem Arm, im mit seiner Frau Blondiene geb. Emich aus Jahr 1926. Er lebte bei uns und starb als ich Mühlbach und Tochter Hannelore dort ge- zwei Jahre alt war. Ich erinnere mich nur an wohnt. Letztere erbte es und hat es verkauft, seine Mütze, wie auf dem Bild. Er war ja auch nachdem unsere Eltern verstorben waren. Sie Gastwirt, wie sein Vater und sein zweitältes- baute mit ihrem Mann Gerhard Zimmer aus ter Sohn. Er soll immer einen flotten Spruch Altenglan in Schwedelbach ihr jetziges drauf gehabt haben. So soll er auch gesagt Wohnhaus. Ernst war ratlos und bat mich um haben: „als ich 12 Jahre war, hat mich mein Hilfe, als die Gemeinde von ihm eine Bauliche Bruder Oswald um die Hälfte meines Vermö- Veränderung des Hauses forderte. Er sollte gens gebracht. Da wurde dieser geboren.“ An die Treppe entfernen, um Einheitlichkeit im ihn kann ich mich noch gut erinnern. Er kam Straßenbild zu bekommen (Auf dem Bild von gelegentlich "maje". (ein Nachbarschafts- 1926 zu sehen) Ich kannte ja die Verhältnisse plausch). Dabei setzte er sich auf´s „Holz- bestens. Habe hin und her überlegt, gemes- Kichtsche“ (Feuerholzkiste) welches neben sen, einen Plan entworfen und gezeichnet. dem Küchenherd stand. Dabei wippte er un- Der Vorgelegte Plan gefiel der Gemeinde auf aufhörlich mit dem Oberkörper vor und zu- Anhieb. Von einer Stufe über Straßenniveau rück. Er war Steinarbeiter wie fast alle Ram- war jetzt auszugehen. Die Stalltreppe musste melsbacher Männer und wohnte bei seinem weg und dafür musste eine neue Stalltür di- einzigen Sohn, Onkel Robert und Tante Lis- rekt hinter der Außenmauer gebrochen wer- beth. Sie betrieben in einem kleinen Häus- den. Die alte wurde zugemauert. Zwei Zim- chen, 50 Schritte schräg gegenüber, einen mertüren mussten leicht versetzt und die Kolonialwarenhandel. Da bekam man außer neue Treppe eingeschalt und gegossen wer- abgewogenem, in Tüten gefüllten Zucker, den. Das war Arbeit für einen guten Mauerer, Salz, Mehl oder Erbsen auch Petroleum. Er und den hatte die Gemeinde als Gemeindear- war "de Neez-Robert" da er natürlich auch beiter. Wir drei bildeten ein gutes Team und Nähgarn ,,Neez" und "Schugge-Bännel" brachten gemeinsam eine wirklich kompli- (Schnürsenkel) verkaufte. Ihr Sohn Erich hat- ziertes Stück Arbeit zu Wege, welches sich te Gärtner gelernt und ist gefallen. Tochter sehen lassen konnte. Mein Bruder bezahlte Else heiratete den Eisenbahner Scheer und das Material und die Überstunden des Ge- bekam einen Sohn, Wolfgang. Er lebt mit sei- meindearbeiters, den "Polen Sepp". Ich mach- ner Familie in dem von den Eltern am Hinzig- te den Architekt und das Geländer. Für Ernst berg erbauten Haus in Rammelsbach. natürlich kostenlos und so waren alle zufrie- den. Meine Schwester Marielle erbte von meinem Elternhaus, den Teil links der Stallwand. Ihr Unsere Nachbarschaft in den Dreißigern, An- Mann Kurt Barz war Maurer und machte dar- fang der vierziger Jahre aus eine Wohnung für sich und im Oberge- Im Stammhaus der Beckers, meinem Eltern schoss eine für seine Eltern. Unsere Eltern und Geburtshaus, soll früher eine Gastwirt- bewohnten die beiden Zimmer überm Stall. schaft gewesen sein (Im vorderen Zimmer, Ich war in dieser Zeit in Sarbrücken und habe rechts). Außerdem soll die Verwaltung des mit meinem Erbteil in Blaubach umgebaut. Kalkbergwerks, des Kalkbrennofens und des Darum habe ich vieles nur am Rande mitbe- Fuhrbetriebes von meinen Vorfahren betrie- kommen. Marielle bekam zwei Mädchen, Gi- ben worden sein. Bis zu 12 Ochsen gab es sela und Evi. Schon bald bekam Sie Krebs und wohl in dem Fuhrbetrieb. Reste der Stollen verstarb nach drei Jahren, im Gipsbett mit 37 sind noch unter Schnäbels Haus am Hinzig- Jahren. Gisela studierte in Berlin und wohnt berg und im Pendesbachtal zu finden. In dem noch heute dort alleine. Evi erbte ihr Eltern- von meinem Großvater in Richtung Kusel haus und übertrug es an ihre leider auch angebauten Gasthaus Becker, wohnte Onkel schon verstorbene älteste Tochter Tina. Zur- Adam mit seiner Familie. Tante Lina geb. Bä- zeit wohnt ihre zweite Tochter Julia mit ih- cker mit Hermine, Adam Junior, Gertrud, Ma- rem Freund da. tilde, Franz, Max und Karla.

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Hermine heiratete Ernst Kannengießer. Sie er Koch Gelernt hatte. Das Anwesen wurde an hatten zusammen drei Kinder: Horst, Lore einen Spielautomatenbetreiber verkauft der und Helga. Bei einem Luftangriff auf den vor es inzwischen wieder verkaufte. Zur Zeit ist ihrem Haus liegenden Rangierbahnhof des es in einem beinahe abbruchreifen Zustand. Steinbruchs verlor sie den Mann und den Sohn sowie die jüngste Tochter und das Peter baute ein Haus in Rammelsbach und Wohnhaus. Sie selbst war verschüttet und bekam mit seiner Frau zwei Kinder. Seine Helga starb dabei in ihren Armen. Lore war Schwester Brigitte blieb unverheiratet und zu jenem Zeitpunkt zusammen mit ihrer bewohnt ihr, von Max erbautes, Elternhaus Freundin Heidi, meiner Cousine und jetzigen am Hinzigberg. Frau, bei meinen Eltern im Keller. Da fällt mir gerade ein: Onkel Adam trug ei- Adam Junior war mein Taufpate, studierte in nen "Kaiser Wilhelm Schnurrbart". Um die Heidelberg und wurde Pfarrer. Zu meiner schönen Kringel an den Seiten haltbarer zu Konfirmation schickte er mir eine Senfkorn- machen, wurden sie abends nass gemacht, bibel. Er heiratete eine ebenfalls studierte geformt und mit einer meist schwarzen Spe- Frau, bekam Zwillingsmädchen und ist gefal- zialbinde über Nacht fixiert. Wenn die Binde len. verrutschte, musste tagsüber gelegentlich nachgebessert werden. Als ich ihn zum ersten Mathilde (Tilche) lernte nähen und versah Mal mit "Schnorresbinde" sah erschrak ich so den Haushalt. Sie heiratete einen Soldaten sehr, weil ich ihn für einen maskierten Räu- namens Scheidhauer aus Holz im ber hielt. und bekam ihren Sohn Manfred. Er wohnt in der Gegend um Misau und von Ihm habe ich Im nächsten Haus, ebenfalls ein kleines Bau- dieses Familienbild mit meinem Vater als ernhaus in Richtung Kusel betrieb Karl Kleinkind. Tilche lebte zuletzt mit ihrem Schwarm eine Sattler- und Polsterer Werk- zweiten Mann, wie ihre beiden Schwestern, in statt. Zudem betrieb er mit seiner Frau Adele Lambrecht. dort ein Geschäft. Er nannte sie Dattee und sie kaufte fast täglich bei uns Milch. Dabei hatte Franz lernte Schlosser in Altenglan, wurde sie immer etwas zu erzählen. Meist von ihren wegen einer Verletzung an der Hand nicht Mietsleuten. Von Blume Fritz, seinem Fahrrad Soldat und heiratete die Wirtin vom Gasthaus mit Anhänger und seiner kleinen Tochter am Markt in Kusel, Käte Eller. Er wurde Roffie. Sie konnte kein S aussprechen, das Bergmann im Saarland. Sie hatten einen Sohn amüsierte mich. Auch Heidi erinnert sich dessen Aufenthalt mir nicht bekannt ist und noch daran. Noch ein Haus weiter war die eine Tochter die mit ihrem Mann in einer Bäckerei Wilhelm. Oben wohnte Gunter mit Villa an der Homburger Straße in Kusel lebte seinen Eltern. Ein Schulkamerad von mir, und schon verstorben ist. welcher aber bald wegzog. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite wohnte Schrecke Gertrud, die älteste kannte ich weniger, da sie Gretche. Eine zierliche weißhaarige Frau mit in meiner Kindheit schon aus den Haus und in Sohn, Karl. Er war Klempner bei der Firma Lambrecht eine verheiratete Helm war. Licht in Kusel. Sie half uns "Rommle setze" und "Grombeere ausmache" dafür erhielt sie Karla besuchte die Höhere Töchterschule in Milch. Das schöne Sandsteinhaus rechts da- Kusel, spielte Klavier und hatte eine sehr gute neben war oben bewohnt von Jung Bernhard Sopranstimme. Sie war die jüngste und und seinem Sohn Fritz, einem katholischen schönste unter ihren Geschwistern. Für mich Schulkameraden von mir, sowie seiner war sie, das Muster BDM-Mädel obwohl sie Schwester Elle und seiner Mutter. Sie war die dunkelhaarig war. Doch die dicken Zöpfe Schwester von Frau Klink Heiner welche in passten auch. Sie heiratete einen SS Mann Altenglan eine Brennerei und eine Tankstelle und wohnte ebenfalls in Lambrecht. betrieben. Später arbeitete er als Maschinist bei Gebr. Schleip. Ihr Sohn Heiner ist in mei- Max war gelernter Metzger und übernahm nem Alter. Rechts angebaut wohnten Rup- mit seiner Frau Ida geb. Christmann, einer recht Hugo und Elise allein. Gegenüber der Wirtstochter aus , Wirtschaft wohnten Hörings. Er war aus die Wirtschaft Becker. Sein Sohn Peter wollte Mühlbach und Sie aus . Alfred war die Gastwirtschaft nicht weiterführen obwohl sportlicher und 1 1/2 Jahre älter als ich. Von

Seite 7 ihm fühlte ich mich gehänselt oder unter- war zwei Jahre jünger als ich) und Tochter drückt, obwohl er eine Klasse wiederholen Gertrud bewohnten die beiden hinteren musste. Er ist im Krieg gefallen. Else meine Zimmer sowie den Dachboden. Auch sie hal- Klassenkameradin wurde schon früh ledige fen uns beim Ernten und bekamen Milch da- Mutter. Über ihren Verbleib weiß ich nichts. für. Günter, zwei Jahre jünger, hat ein Rammels- bacher Mädel geheiratet und in der Kandel- Das Eckhaus Glan/ Hinzigbergstraße be- brunnenstraße gebaut. Von der jüngeren wohnten Bernds Baas und Bernds Vetter, Schwester weiß ich nichts. Gegenüber von etwa 15 Jahre älter als meine Eltern und uns hat Tante Amalie (Malchen) und Onkel ebenfalls Kuhbauern mit Misthaufen an der Franz Schnäbel über einem Kalkstollen ge- Ecke der Kreuzung. Deren Kinder waren baut. Onkel Franz war Eisenbahnobersekre- Fritz, später Wirt in der Steinbruchstraße. tär in Ludwigshafen. Tante Malchen hat uns, Drei Töchter, Lilli und Edith und Tilchen All- den armen Kleinbauernkindern, billige auf mann die das Haus erbte. Bewohnt wurde es dem Land nicht zu habende Dinge mitge- von Lilli und Familie. bracht. Wie einzelne getrocknete Feigen oder Johannisbrot. Orangen, Bananen oder Schoko- "Kappel Karls Eck " Er arbeitete im Stein- lade kanten wir bis dahin auch noch nicht. bruch wie die meisten Rammelsbacher. Vorm Onkel Franz hatte zwischen Mühlgraben und Haus, rechts der Treppe bis zur Ecke stand Bundesstraße in Höhe der Hühnerfarm Nagel eine einfache aber feste und lange Holzbank. eine eingezäunte schmale Hangwiese. Da Da trafen sich die Männer des halben Dorfes durften wir Futter machen für unsere Hasen. die gerade Zeit hatten. (siehe dazu im Buch In seinem Waldstück im Saupfech waren wir Industriegemeinde Rammelsbach von Ernst "Laub scheren" Wenn Stroh als Streumittel Schworm, Seite 370) Etliche hatten zu der knapp war. Mit seinem Handwagen hat Mari- Zeit, viel Zeit. Die Bank wurde selten benutzt, elle und ich im Herbst 1948 den alten Kü- alle standen mit den Händen in den Hosenta- chenherd, meiner Großmutter den ich repa- schen. Sie rauchten, erzählten und machten riert hatte, nach Blaubach gebracht. sich lustig über alles was rundum geschah. Von da aus sah man ja auch bis an die Bahn, den Hinzigberg hinauf und fast bis Kusel. Man sah, wer zum "Jettche" in Hartmeiers oder in "Beggeradams" geht oder herauskommt . Welche Autos durchs Dorf, nach Kusel oder nach Altenglan fahren. Oder wann "Begge- radams Ernscht“ seine Kühe angespannt und mit seinen Buben Futter machen fährt. Mein Vater witzelte, man sieht von dort aus Lau- terecken: sind lauter Ecken und Zweibrücken: ist die Mühlgrabenbrücke und die Kuselbach- brücke.

Das nächste Haus war der Onkel Robert wo- Hier hat sie mich gemalt rüber ich an anderer Stelle schon geschrieben habe. Gernot Nöter der unverheiratete Enkel und Erbe des Hauses, soll zuletzt auch den unver- Ferenze kommt als nächstes. August Ferenz käuflich gewesenen Garten zwischen Höring war Schlosser, im Dimpel seine Frau hieß und Schnäbel gekauft haben. Das Haus ist von Matilde, der älteste Sohn Edmund. Er war ein Mietern bewohnt. Jahr älter als ich und ist gefallen. Kurt ist ebenfalls schon verstorben. An die Mutter Das nächste Haus in Richtung Altenglan war von August erinnere ich mich auch noch, sie Schneebergers. Peter Scheeberger war früher war im Alter verwirrt. Marielle Ferenz war Fuhrmann oder Gespann Führer bei der eine beste Freundin meiner Schwester, wie Rammelsbacher Mühle und im Ruhestand. Ich Mia Kassel die jüngste Tochter von Lehrer glaubte damals, dass er und seine Frau stein- Kassel. Sie bildeten ein Dreigespann und ihr alt seien. Noch älter als ich jetzt bin. Richard ständiges Gekicher, welches wahrscheinlich Kreuz mit Frau Paulchen, Sohn Richard (er typisch für ein bestimmtes Mädchenalter ist,

Seite 8 klingt mir noch heute in den Ohren. Beson- meines Horizonts und die jüngeren Bewohner ders das von Marielle Ferenz ging mir auf die waren mir nur flüchtig bekannt, auch weil sie Nerven. Zuletzt noch "Deckerjebs " . Das Haus öfter wechselten. an und über dem Pendesbach lag am Ende

Aus meiner Erinnerung

Rammelsbach ums Jahr 1933, aus meiner war. Denn damals wurde auch vieles damit Erinnerung. Ich war 8 Jahre alt. eingewickelt. Bei etwa 2000 Einwohnern gab es vielleicht Das Radio in Onkel Adams Wirtschaft bestand 10 Radios und höchstens 4 Telefone aber 3 aus drei Teilen, welche mit Drähten verbun- Tageszeitungen. Das Kuseler Tageblatt und den waren. Zudem war eine 15m lange Au- die Kuseler Zeitung, beide im Format etwa ßenantenne daran angeschlossen. Ein Wun- 30cm x 40cm und bis zu sechs Seiten. Sowie der, da hört man Leute reden und es kommt die NSZ - Nationalsozialistische Zeitung, wel- Musik heraus. Noch deutlich ist mir in Erin- che die beiden anderen nach und nach ver- nerung, als am 30. Januar 1933 ein Sprecher drängte. Sie wurde in Kaiserslautern ge- verkündete: "Heute hat unser Führer Adolf druckt, war größer und dicker und kostete Hitler die Macht ergriffen!" Was der damals wenig mehr als die anderen. gemacht hat, wusste ich als Kind nicht. Aber Apropos Zeitungspapier, mein Vater hat mir 12 Jahre später hatte ich es begriffen. da etwas gezeigt und ab dem Zeitpunkt war Bei den vielen Wahlen damals, waren alle gut es meine Aufgabe. Zeitungspapier wurde ge- sicht- und erreichbaren Felsen im Steinbruch faltet und mit einem Messer getrennt, wieder mit den Zeichen der zahlreichen Parteien gefaltet und getrennt, bis gut handgroße Stü- bemalt. In jeder der fünf Gaststätten war eine cke entstanden. Dann auf einen Holzklotz andere Partei etabliert. Bei Onkel Adam war gelegt, mit Nagel und Hammer gelocht und es die SA, also die Nazis. Mein Cousin Franz auf einen Drahthaken gefädelt. Für einen im- hatte sich bei einem Parteien Streit als SA- mer gefüllten Drahthaken auf unserem, wie Mann eine Handverletzung zugezogen, mit damals überall üblichen, Plumpsklo war ich der er sein Leben lang zu tun hatte. Die, mei- zuständig. Die Kuseler Zeitung reichte für nes Wissens, erbittertsten Gegner waren die größere Familien nicht, da es zu wenig Papier KPD und die NSDAP. Das Dorf war politisch

Seite 9 gespalten und es gab einzelne Fanatiker. Alle listisch unterrichtet werden. Daher kam auch Lehrer mussten Parteimitglied werden und in mein „Hass“ gegen alles Ausländische. allen Schulen durfte nur noch nationalsozia-

Großvater Jakob Feyock, Mutter Katharina Becker, Ernst und ich als Jungfolkjungen mit Schwester Marielle (Im Hintergrund der Rammelsbacher Bahnhof)

Kreutzhof

Wie oft war ich dort mit hin zum Futter ma- und gleich links in die Friedhofstraße musste chen? das Gespann aus Sicherheitsgründen sowieso Der leichte Erntewagen stand in der Scheune am Kopf Geführt werden. Wegen der Steigung bereit. Rechen, Heugabel, Sense und Wetz- und Schonung der Kräfte, was sich an der stein im ,,Schlaurerfass" (mit Wasser befüll Milchleistung bemerkbar machte, liefen wir bares kleines Blechgefäß das am Leibriemen nebenher. Auf der ,,Schleecht" (geschrieben getragen wurde) mitnehmen. Mit einem nas- Schlicht) wo es eben war und auf dem Heim- sen Wetzstein wurde die Sense schärfer. weg, bergab war aufsitzen möglich. Nur ein Scheunentor und Stalltür öffnen, die erste Bremser musste je nach Gefälle die ,,Mick" Kuh aufschirren, Joch an den Hörnern an- zudrehen. Nicht zu viel und nicht zu wenig, schnallen und Rückenriemen mit den Zug- das war für ungeübte sehr schwierig. Bei strängen auflegen, herausführen, rückwärts sehr starkem Gefälle und schwerer Ladung in die Scheune einrangieren und am Deich- bestand noch die Möglichkeit, die ,,Schlääf" selring fertig anketten. Jetzt erst die Andere einzuhängen. Das war ein eiserner Schuh, auf und dasselbe noch einmal. Die Kuh auf ihren dem ein Wagenrad stillstehend schleifte, ist Platz bringen, anketten und zuletzt alle Zug- rutschte, und der Radreifen geschont wurde. stränge befestigen. Meist hat mindestens eine Sie hing immer an einer kurzen Kette unterm Kuh bis dahin einen Fladen verloren der dann Wagen bereit. Eine Ackerleine benutzte Vater auch gleich mit Besen und Schaufel beseitigt nur zum Pflügen wenn ich das Gespann nicht werden muss. Die ,,Mick" ist die Bremse am führte. Von der Schlicht nach rechts, vor der Erntewagen (kommt wahrscheinlich von Me- Steigung zu auf Kerst (Gemarkung), führt der chanik) auf und los geht es. Die paar Schritte Weg zum Kreutzhof. Eine Ackerlänge vor und auf der jetzigen Bundesstraße nach rechts

Seite 10 eine nach dem Sandsteinbruch von ,,Berd´s und aufladen war Arbeit für eine Stunde. Jeeb" und man war da. Auch kann ich mich erinnern, als unsere Mut- Das war er!! Hier habe ich schon als Klein- ter das Gespann am Zaum von "Nelli" führte, kind schlafend, als Kind spielend, oft mit mei- dass diese stolperte und ihr die Spitze des nen Geschwistern zusammen, auch den El- Hornes in den Kopf stieß. Das war ein bedau- tern bei der Feldarbeit zusehend, später auch erlicher Unfall, aber man musste immer mit selbst arbeitend, viele viele Stunden ver- so etwas rechnen und es hätte viel schlimmer bracht. Da war ein Stück Daheim für mich. Da, ausgehen können. Sie trug wochenlang einen am Ende des Pendesbachtals, wo es auf drei Verband unterm Kopftuch. Seiten ziemlich steil nach oben geht, auf Für Hin- und Heimfahrt, Ein- und Ausspan- Kerst, "Schollese-Heck" ist Schultheiße-Hecke nen, abladen benötigte man zusammen gut und Sohlwald, offen zur "glaner-Seite" ist eineinhalb Stunden. Macht zweieinhalb Stun- Altenglglaner Seite und zum "Dimpel". Zwei den. Äcker und zwei Wiesenstücke, es dürfte etwa Als ich als Rekrut in Holland das Vieh auf den dreiviertel Hektar gewesen sein, zusammen- riesigen, ebenen, saftigen Weiden mit Melk- hängend, genau wo der jetzige Kreutzhof hin ständen direkt dabei sah, war mir klar, dass gebaut wurde waren damals unser. Das Fut- unsere Landwirtschaft zu Hause keine Zu- ter für zwei Tage mähen, zusammen rechen kunft mehr hat.

Unser Göpelwerk

Fünf Meter hinterm Scheunentor, in Richtung Runde geführt habe. Jedes Mal beim Über- Mühlgraben war lange Zeit eine Betonplatte, schreiten der ohne Schutz frei laufenden Ge- in der vier Ankerschrauben eingelassen wa- lenkwelle musste ich aufpassen, dass ich nicht ren, auf denen zum Schutz des Gewindes die mit einem Fuß darunter hängen blieb. Mutter Muttern immer aufgeschraubt sein mussten. gabelte die Garben zu Vater auf den Dresch- Das erinnerte mich noch lange an unser Gö- maschinentisch, der entfernte die Erntestri- pelwerk. Es diente wahrscheinlich schon cke und führte das Getreide gleichmäßig ein. jahrzehntelang meinen Vorfahren zum An- Die Maschine trennte die Körner vom Stroh. trieb der Dreschmaschine. Elektromotoren In einem weiteren Arbeitsgang wird mit ei- oder Dampfmaschinen waren noch selten. ner, per Handkurbel angetriebenen, Wind- Dafür gab es aber Ochsen, und dafür hat man mühle die "Spreu vom Weizen" getrennt und Göpelwerke gebaut. Auf der Burg Lichten- ausgesiebt. Wenn nur drei Personen dro- berg, zwischen Zehntscheune und dem gro- schen, konnte das Gespann samt Führer für ßen Turm, zwischen Außenmauer und Weg, die Zeit wenn Stroh und Körner weggeräumt ist links unten noch eines zu sehen. Eine wurden, ruhen. Ein Verschlag hinten links senkrechte Welle mit einem großen Kegel- neben dem Scheunentor, etwa 1,0m mal 1,5m Zahnrad aus Guss, auf welchem eine Holz- war die Spreu Kammer. Rundum war diese deichsel verschraubt war, brachte ein kleine- mit Sackleinen zugehangen um die Spreu bei- res Zahnrad auf schnellere Umdrehungen. einander zu halten, wenn sie von der Wind- Diese Umdrehung wurde über eine Gelenk- mühle hineingeblasen wurde. Auch wegen welle und ein weiteres großes Zahnrad, wel- dem Staub der entsandt und nicht nur deswe- ches wiederum das kleinere Antriebsritzel gen war Dreschen schon immer eine schwere, der Dreschmaschinentrommel Trieb. So wur- schweißtreibende und dreckige Arbeit. Es de die erforderliche schnelle Rotation er- geht dabei zwar um die "Frucht" (Hafer, Gers- zeugt. Mein Urgroßvater hatte noch Ochsen, te, Weizen oder Korn), aber auch Stroh und es sollen nach Erzählung meines Vaters bis zu Spreu hat man früher für die Betten ge- 12 Stück gewesen sein. Er betrieb ja auch braucht. Wir haben zuletzt nur noch Korn und einen Kalkstollen mit Brennofen und das Kartoffeln gepflanzt. Dreschmaschine und Fuhrgeschäft wozu er auch Ochsen benötigte. Göpelwerk wurden verschrottet und wir ha- Zudem hatte er ja auch noch Landwirtschaft ben bei "Schneirer Ernschd" der auch die und eine Gastwirtschaft. Das dies alles gleich- Garben per Pferdefuhrwerk vom Acker holte, zeitig und alles nur in meinem Elternhaus im Lohn gedroschen. Zuerst war der Antrieb war, klingt wahrscheinlich unglaubhaft. dafür noch eine Dampfmaschine, später ein Tatsache ist aber, dass ich unsere Kühe in Elektromotor. Wofür wir vorher Zwei Tage diesem Göpelwerk angespannt, Runde um plus einen Tag für vorbereiten, aufbauen und

Seite 11 wieder abbauen brauchten, ging es jetzt in Kuchen. Dazu gab es unsere ach so gute "Löf- einem halben Tag. Das Korn wurde zum felche´s Bohne-Supp“. An ein solches Festes- Trocknen auf unserem Speicher ausgebreitet sen erinnere ich mich heute noch gern. Die und dann zur Mühle gebracht. Der Müller wog Zwetschgen habe meistens ich auf unseren und rechnete in fertiges Mehl um und über- Bäumen auf dem Kreutzhof gepflückt. Dort nahm den Transport zum Bäcker samt Gut- standen damals ein Apfel-, ein großer Birn- schrift. Beim Bäcker konnten wir dann unser und vier Zwetschgenbäume. Ein Nussbäum- Brot, ein rundes 6 Pfünder Brot, nach Bedarf chen hatte ich in unserem Garten, neben ei- für 15 Reichspfennig kaufen, was in einer nem Johannisbeerstrauch aus einer Nuss her- Liste vermerkt wurde. In der Zwetschgenzeit, angezogen. Es sollte auf den Kreutzhof wenn so erinnere ich mich, holten wir den zum ba- es stark genug war. Es kam aber anders, ich cken fertigen Brotteig für ein Brot, um daraus wohnte in Blaubach und Vater verkaufte un- Zwetschgenkuchen zu backen. Vater, Ernst ser Land. Mein jetzt kräftiger Nussbaum er- und ich aßen jeder ganz allein einen ganzen hielt seinen Platz vor der neu erbauten evan- und Mutter und Marielle zusammen einen gelischen Kirche in Rammelsbach.

Unsere letzte Kornernte 1942

(Im Hintergrund Rechehäuschen)

Ich glaube mich erinnern zu können, dass im hinteren Gewölbekeller meines Elternhauses in Rich- tung Kusel ein zugemauerter Türrahmen noch sichtbar war. Das würde bestätigen, dass vor dem Ausbau der Wirtschaft durch meinen Großvater der Ochsenstall da war.

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Der Ehering meines Vaters.

Eingraviert ist „KF EB 1921“. Also haben mei- ten, wie schon der Name vermuten lässt, ab- ne Eltern Katharina Feyock und Ernst Becker stammt. Sie war die zweite von vier Töchtern 1921 geheiratet. Nur 3 Jahre nach dem ersten und zwei Brüdern. Weltkrieg, einer sehr armen Zeit. Mutter kam aus einer sehr frommen Berg- mannsbauern-Familie, die von den Hugenot-

Fritz Kätchen Becker Lina Ludwig Meine Mutter Matzenbacher Feyock Feyock

Ella Dehn Katharina Frieda Jakob Heidis Mutter Geb. Theis Dehn Feyock

Meine Großeltern besaßen ein Einfamilien- mussten versorgt werden. Auf ihrer Wiese haus in , mit anderthalb Stock- „unner Booschde“ wurden Futter und Heu werken und Stall im Kellergeschoß. Gerade- gemacht. Täglich musste ein Bündel im „Gras- aus, hinter dem Brunnen, da wo die Straße tuch“ auf dem Kopf heimgetragen werden. hinauf nach rechts abbiegt. Es ist di- Heute kennt man es nur noch aus dem Fern- rekt an die, aus rotem Sandstein stehen ge- sehen, wo man es gelegentlich in der dritten bliebene, etwa 5 m hohe Wand angebaut, der Welt sehen kann. Oder die Kinder haben Zie- rote Sandsteinfels ist im Kellergeschoß noch gen und Kuh nach der Schule zum „abgrasen“ sichtbar. der Wege und Straßenränder geführt. Auch „Großbabbe“ arbeitete im Schichtdienst, rund Ödland und Waldränder wurden abgeweidet. um die Uhr, in saarländischen Kohlegruben Kein Halm blieb damals stehen, wo die Berg- und war nur am Wochenende bei der Familie. mannsbauern daheim waren. Müßiggang Zu Fuß musste er nach Glan-Münchweiler zur gab´s da auch für die Kinder nicht. Die Faust- Bahn und weiter zur Grube, ins so genannte formel damals war: „Eine Kuh ernährt eine Schlafhaus, wo er seine Arbeitswoche ver- Familie“. brachte.Daheim führte „Großmamme“ eine Mit 13 Jahren, dem Ende der Volksschule, strenge Regie. Eine Kuh und zwei Ziegen wurden die Töchter in Bauern- oder Hand-

Seite 13 werkshaushalte „verdingt“, damit sie kochen, chen, die selbständig arbeiteten bekamen haushalten und arbeiten lernten. Der Lohn mehr Geld und konnten sich ihre „Aussteuer“ dafür war, außer Essen, Unterkunft und Ar- anschaffen. Auch meine Mutter war in ver- beitskleidung, sehr gering. Erst „ältere“ Mäd- schiedenen Häusern tätig, bevor sie heiratete.

Dieses Bild der Familie meines Vaters entstand im Hof hinter der Gastwirtschaft. Links führen drei Stufen zum Hintereingang, dort nach rechts ist der breite, ebene Flur aus Sandsteinplatten zum durch- rollen der Bierfässer in den Bierkeller.

Mein Vater war Witwer. Er hatte seine Kusine „Mei Babbe“ arbeitete zuerst im Steinbruch Lina Korb geheiratet. Sie verstarb samt Kind und ging dann in die „Fabrik“, wo er bei im Kindbett. Nachtschicht unseren Kleinbauernbetrieb Bei den Mennoniten, auf dem Weiherhof bei besser bewirtschaften konnte. Er wurde Kirchheimbolanden, hatte mein Vater als Ele- Drahtzieher. (Seine Tätigkeit habe ich an an- ve die Landwirtschaft erlernt. Von seinem derer Stelle genauer beschrieben.) Vater, der bei uns im Haushalt lebte und Das „Abdeckerfett“ aus der Tierkörperver- Landwirt und Wirt war, erbte er sein Eltern- wertungsanstalt, das zur Schmierung des haus und einen Teil der Äcker und Wiesen. Drahtes beim Ziehen verwendet und dabei Den anderen Teil und die Gastwirtschaft er- heiß wurde, hinterließ Spuren an seinen hielt sein Bruder Adam. Otto, der älteste Bru- Händen. Sie wurden auch mit Dieselkraftstoff der hatte sein elterliches Erbe „verstudiert“ oder Petroleum niemals richtig sauber. Da- und war Lehrer in Föckelberg. Die einzige rum und auch wegen der Unfallgefahr hat er Schwester Amalie „Tante Maalche“ konnte seinen Ehering so gut, wie nie, getragen. mit ihrem Mann Franz Schnebel (Eisen- Als ich dann, ebenfalls 3 Jahre nach einem bahnobersekretär) die Villa vis á vis vom El- verlorenen, dem 2.Weltkrieg, heiratete, und ternhaus bauen. auch für viel Geld, das man ja hatte, keinen Ehering kaufen konnte, vererbte er mir, sei-

Seite 14 nem ältesten Sohn, seinen Ehering. Ein Umar- zum Gedenken an die beiden, von uns, durch beiten auf Annis und mein Name, zudem er Gottes Fügung überlebten Weltkriege. mir passte, kam aus Dankbarkeit nicht in Fra- Er möge ihm Glück bringen, dass er und seine ge. Anni trug den Ehering ihrer verstorbenen Nachkommen niemals mehr einen Krieg, und Mutter. Ich selbst trug ihn nur zu gegebenen seine schlimmen Folgen, erleben müssen, wie Anlässen, denn in meinem Beruf war das Tra- mein Vater zweimal und ich einmal. gen von Ringen wegen der Unfallgefahr nicht Weil ich keine Kinder habe, die Tochter mei- erlaubt. nes Bruders auch nicht, kommen nur die Ur- Seit dem befand sich „Unser Ehering“ in der, enkel meiner Schwester in Frage, also Julias seit Generationen weitervererbten Kommode, und Carolines Nachkommen. Ihrer Mutter, Evi in welche ich eine schwere Kassette fest ein- Großgloß, übergebe ich meinen, und meines gebaut habe, bei Papieren und Urkunden. Vaters Ehering zur Weitergabe an ihren ers- ten Enkelsohn. Möge er damit an seine Vor- Ich möchte den Ring dem ersten männlichen fahren und deren Schicksale erinnert sein. Nachkommen meines Vaters nach mir schen- ken, zum Andenken an ihn und mich, sowie

Reichsarbeitsdienst (RAD)

Ein paar Wochen vor meinem 18. Geburtstag deren Gruppe zugeteilt. Alles war neu für wurde ich zum Reichsarbeitsdienst eingezo- mich. 16 Mann pro Stube in 2 Stockbetten, gen, getreu dem damals üblichen Sprechge- Spind einräumen, Strohsack stopfen, Kleider- sang: "25 Pfennig ist der Reinverdienst ein empfang, Koppel und Spaten. jeder muss zum Arbeitsdienst und dann zum Militär". Tatsächlich war dies der Tagessold, In einem abgelegenen Raum lagen Strohbün- 25 Reichspfennig, gerade mal so viel wie die del und jeder stopfte seinen Strohsack. Ich Kleinbauern ihren Tagelöhnern bei der Kar- dachte wohl als einziger: „das Stroh liegt sich toffelernte bezahlten oder 1/2 Liter Frisch- doch irgendwann zusammen“ und darum milch kostete. Und tatsächlich hatten die Na- stopfte ich möglichst viel hinein. Die Hemshö- zis so die Arbeitslosenzahl auf null gebracht. fer ließen mir nur die obere Etage eines frei Wo heute Bagger für die Erdarbeit eingesetzt stehenden Bettes und ich balkanisierte fast werden, waren Arbeitsdienstabteilungen sta- die ganze erste Nacht ohne Schlaf auf meiner tioniert. Untergebracht in transportablen rundgefüllten Matratze. Gerne hätte ich einen Holzbaracken-Lagern, immer nahe den Ar- Teil Stroh herausgenommen, aber die Hems- beitsstätten, wie beim Autobahnbau durch höfer und der Dienst ließen mir keine Mög- das Landstuhler Bruch und an vielen anderen lichkeit dazu. Auf der großen Wiese innerhalb Orten. Auch da wo jetzt das Kuseler Gymnasi- der Sandbahnrunde für Motorradrennen um steht war ein Standort. Mein erster wurde exerziert und Spatengriff gelernt. Das Schwager Heinz Joemann und Karl Umlauft, war unsere Haupttätigkeit Tag ein Tag aus. einst mein Nachbar, waren dort RAD Führer Die Theorie dazu: "man trete von rechts an und heirateten Blaubacher Mädels. die Arbeitsstätte heran und steche den Spaten in Höhe der linken Fußspitze in das Erdreich Ich musste nach Herxheim, bei Landau und ein." Zu meinem 18ten Geburtstag bekam ich geriet als unbeholfenes "Landei" dort gleich von Daheim ein Päckchen mit einem kleinen in eine Gruppe von "Raubtieren", ausgekochte Kuchen und Brief, ich möge doch meinen Ka- Ganoven schlimmster Art. Von einem der meraden auch etwas davon abgeben. Es kam, verrufen Viertel in Ludwigshafen, dem Hems- auch von mir unerwartet, jedoch schlimmes hof, hatte ich wohl schon gehört. Aber dass ahnend, anders. Ich zerschnitt meinen Ku- ich ausgerechnet weil ich mit meinen 1,83m chen und ehe ich es wahrnehmen konnte war die gleiche Größe hatte, wie drei von denen Stück für Stück verschwunden. Sogar das letz- die von dort kamen und sich zudem auch te Stück wurde mir noch aus der Hand geris- noch kannten, war das schlimmste was mir sen. Von wem wohl? den Raubtieren aus passieren konnte. Größe bedingt wurde ich Ludwigshafen. Keiner von den dreien war es.

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Die hielten zusammen. Ich hatte wirklich ner, hell und freundlich aussehender Ort, nichts davon, nichts außer dem Gelächter plötzlich dazwischen die knallig rot gestri- danach. Der Spatengriff hat inzwischen ein- chene Hausfront einer Autowerkstatt. Gleich wandfrei geklappt und der Spaten wurde links neben der geteerten Durchgangsstraße gegen das Gewehr 98, noch die alte Langver- war ein etwa 40cm tiefer gelegener, etwa 60- sion vom 1. Weltkrieg, getauscht. Ab sofort 70 cm breiter Kanal. Er war gemauert und wurde der Gewehrgriff geübt. Auch Seiten- nur an den Häuserfronten abgedeckt. Dieser gewehr, Gasmaske und Stahlhelm gehörten Kanal führte fast klares Wasser und floss trä- zur neuen Ausrüstung. Nur zwei Mann ge dahin. Der Zweck war leider gut sichtbar, brauchten anfänglich keinen Stahlhelm zu er beförderte menschliche Exkremente. Das tragen, Arbeitsmann Denig aus Kaiserslautern Schockte mich in entgegengesetztem Sinne, und ich. Er brauchte Größe 60 und ich 58, wie die geschweißten Schienen. Hinter besag- beide Größen waren vergriffen. Er war mein tem Kanal erhebt sich eine zwei Meter hohe Nebenmann und litt genauso wie ich unter Mauer, mit schönem Schmiedeeisernem Ein- den Hemshöfern. Ein später gemachtes Bild, fahrtstor, welches sich zu einem schattigen von einem französischen Fotografen aufge- Hof, hin öffnet. Auf zwei Seiten waren offene nommen, zeigt uns im Hof des Papstpalastes Hallen. Wahrscheinlich war da vorher eine in Avignon. Nicht viel länger mussten wir sie Weinhandlung, vielleicht ein reicher Jude der noch ertragen, sie hatten sich zu einer ande- vertrieben wurde? An der Hausfront um die ren Waffengattung, vielleicht zur SS, gemel- Ecke, lief die zwei Meter hohe Mauer weiter, det. Dort hatten alle drei wohl die größeren bis zum Gärtnerhaus. Dort angebaut war der Kariere Chancen vor sich. Hauptsache sie rechte Sandsteinpfosten eines noch schöne- waren weg und bei uns ist Friede eingekehrt. ren schmiedeeisernen Tores. Der linke Sand- steinpfosten mit der passenden Eingangspfor- Mit halbfertiger militärischer Ausbildung te reichte bis zum Herrenhaus. Alles in dem wurde unsere Abteilung nach Frankreich ver- dort üblichen sehr hellen Sandstein, leicht legt. Der Transport per Bahn dauerte wegen gelblich und etwas hellgrau. den Aufenthalten auf Rangierbahnhöfen eini- ge Tage. Dass wir in Frankreich waren, wuss- Das Gärtnerhaus diente uns als Wachlokal. ten wir. Jedoch wohin es ging war uns nicht Richtung Hof fand die Feldküche ihren Platz bekannt. Das eintönige Ra ta ta ta --- Ra ta ta und die Vorräte waren im Herrenhaus unter- ta --- Ra ta ta ta wollte kein Ende nehmen. gebracht. Zudem befand sich dort auch Doch plötzlich war es weg, es rauschte nur Schreibstube, Krankenrevier und Unterkunft noch. Was ist das? Wie ist das möglich? Wir für Herrn Oberfeldmeister. Seinen Namen fahren doch noch? weiß ich nicht mehr, nur dass er im Zivilberuf Pfarrer war. Unser Schlafplatz war Stroh auf Des Rätsels Lösung: Die Franzosen waren den Beton in den offenen Hallen, es ging ja in den Deutschen im Eisenbahnbau weit voraus, sie Sommer. Einmal glaubte ich einen verdorbe- verschweißten damals schon die Schienen nen Magen zu haben aber es war die Ruhr. der Schnellzugstrecken und konnten darum Mir war es damals wirklich hundeelend aber auch schneller fahren. Wir waren im Rhone nach einer Woche Quarantäne im Krankenre- Tal, auf einem kleinen Bahnhof im Dreieck vier ging es mir wieder gut. Der Waschplatz Avignon, Tarascon und St.Remy. Hier endete war eine mit Zinkblech beschlagene Holzrin- unser Transport. Also im nicht besetzten Teil ne im Hof, mit 20 Wasser-hähnen darüber Frankreichs. Die Landschaft war so hell, so und Aluminiumschüsseln, welche für alles grün und fast eben “so fremd“. Die endlos Mögliche Verwendung fanden. Ob Füße oder langen Baumalleen, wahrscheinlich eine Pap- Socken waschen, Salat putzen, Kartoffeln pelart, fielen mir zuerst auf. Erst Jahre später schälen oder auch Pudding, alles wurde darin erfuhr ich, dass die wegen den starken Süd- gemacht. Ich bin mir nicht sicher, ob der Koch winden im Rhone Tal gepflanzt sind. Später wirklich extra Schüsseln hatte. Ein Zelt mit habe ich auch diesen Mistrall, auf meinem Zeltgarnituren war unser Daheim. Einen einsamen Wachposten in der Nacht, kennen Donnerbalken gab es in der Gartenecke, mit gelernt. Kalt und stärker als alles was ich bis Grube, nicht überm Kanal. Zwei Dutzend dahin erlebt hatte. Fahrräder standen uns zur Verfügung um zu dem von uns betrieben und bewachten Feld- Nach kurzem Anmarsch erreichten wir Gra- nachschublager in 5 Kilometer Entfernung zu veson, unser zukünftiges Quartier. Ein klei- gelangen. Beide Objekte mussten Tag und

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Nacht bewacht werden. In einem eingezäun- Von dort aus konnte ich die Gelegenheiten ten Gelände an Bahn und der Hauptstraße, in nutzen einen Stierkampf in der Arena zu einer größeren Lagerhalle mit Nebengebäu- Nimes mitzuerleben und den Papstpalast und den und Brunnen mit Windrad, war besagtes die Brücke von Avignon zu sehen. Lager. Werkzeuge, Waffen und Ersatzteile für alle deutschen Einheiten im unbesetzten Ge- Mein besonderes Interesse galt schon immer biet wurden von da aus verteilt. Da habe ich technischen Dingen. So auch dem Brunnen die erste Motorkettensäge gesehen. Sie muss- mit Windrad, ganz ähnlich denen auf te noch von zwei Mann bedient werden. Die die ich wohl erst 20 Jahre später sah. Weil ich Abteilung war in drei Gruppen eingeteilt, im bei der Wache dort genug Zeit hatte, habe ich wöchentlichen Wechsel: Wache, Ausbildung alles genau inspiziert. Das horizontal auf ei- und Arbeit. Immer wieder und immer ein- nem Metalmast drehbare vielfächerige Wind- dringlicher wurde um Freiwillige geworben. rad aus Blech sitzt fest auf einer Kurbelwelle, Unverhofft erschien eines Tages ein Rekrutie- welche eine bis fast zum Grund des Brunnens rungskommando mit Arzt, das die Leute für reichenden Pleuelstange auf und ab bewegte. die SS einfach aussuchte. Alle wurden gemus- Letztere ist mit dem Kolben der Pumpe ver- tert, sei es im Zelt oder im Hof. Nur ich stand bunden und hebt das Wasser je einen Kurbel- 35 Meter weiter vor der Eingangspforte mit hub hoch. Ein- und Auslassventil verhindern geladen, gesichert und umgehängten Gewehr den Rückfluss. Ein auf und ab pendelndes auf Posten. Ich wurde zu meinem großen Gegengewicht gleicht das Gewicht der Pleuel- Glück einfach vergessen. War es wirklich nur stange und der Wassersäule aus. Das Ein- und Glück? Oder war es Gottes Wille? Ich neige zu Ausschalten geschieht durch, in- oder aus letzterem und bin heute noch dankbar dafür. dem Wind schwenken, der "Schwanzflosse"

Die Speckfront

Am 31. August 1943 wurde ich Matrose = eben und leichtgängig. Mittels Kettenzügen Rekrut der Kriegsmarine, bei der 14. Schiffs- mit Spezialzangen an Deckenschienen, konn- stammabteilung in Breda. (Holland) Alles war ten so die 3 Teile in der richtigen Reihenfolge neu außer der Grundausbildung, vor allem gleichzeitig und schnell auf die Loren verla- die Uniform aber auch daran hatte ich mich den und zur Weitergabe an die Bedienungs- bald gewöhnt. Schon Anfang November kam mannschaft gebracht werden. Das wäre im das erste Folgekomando. Nicht als Heizer auf Ernstfall unsere Aufgabe gewesen und das irgendein Schiff, sondern dahin wo es über haben wir geübt und geübt und geübt. Ob wir den Winter wahrscheinlich viel kälter war, in mit den echten oder Betongranaten geübt den Norden zu einer Küstenbatterie. Kristia- haben, weiß ich nicht. Jedenfalls waren wir nsand in Norwegen und Hanstholm in Däne- immer äußerst vorsichtig. Solche Brocken mark liegen sich gegenüber in 120 km Ent- flössen einem Respekt ein. Und darum haben fernung über Skagerrak die Meerenge. An wir auch in dem Einfamilienhaus nur 60 Me- beiden Standorten waren die schwersten und ter weiter geschlafen. Weitere 100 Meter am weitesten reichenden Geschütze = Kano- waren es zur Küche und Speisesaal. Am Dü- nen Versteckt und fest am Ufer Einbetoniert. nenstrand vor den Geschützen haben wir den Sie sollten einen Durchbruch feindlicher Strandhafer gepflanzt. Kriegsschiffe in die Ostsee verhindern. Ich wurde Marine Artillerist in Hanstholm. Im Im Winter 1943 waren in ganz Deutschland "Keller" dieser riesigen Geschütze waren die alle Lebensmittel knapp auch an allen Fron- Munitionsräume sternförmig angeordnet und ten wurde gespart wo es ging außer in Däne- jeweils durch doppelte Stahltüren verschlos- mark. Hier konnte man im Land erzeugte Le- sen. Sie sind nur aus dem Rundgang um ein bensmittel noch ohne Marken oder Bezug- Geschütz zu erreichen. Im Rundgang mit end- schein kaufen. Reichsmark und dänische Kro- losen Schienen waren je drei mal drei Spezial- ne konnte man 1 zu 2 tauschen oder einfach Loren, zum Schieben für Geschoß, Vorkartu- fast überall In RM bezahlen. In einem Café in sche und Hauptkartusche. Alles war absolut Tiestet gab´s eine kleine Sahnetorte für 2 RM

Seite 17 und die genehmigten wir uns nach dem Sol- meiner zweiten Frau. Daraufhin wurde ich datenkino. Ich weiß noch genau, es lief "Ohm Aufklarer bei Herrn Leutnant. Bei der Wehr- Krüger" ein nationalsozialistischer Hetz Film macht sagte man Putzer. Ich musste sein den ich zum zweiten Mal sah. Mit der Torte Zimmer aufräumen und sauber halten Uni- war das ähnlich wie mit einer Gans, wie mein form ausbürsten Schuhe putzen und seine Vater spaßeshalber sagte " eine Gans ist ein Hemden zur Wäscherei bringen. Dafür war dummes Vieh: für Einen zu Viel und für Zwei ich vom Außendienst (exerzieren und Sport) zu Wenig". Eine ganze Sahnetorte schaffte befreit. Ihm verdanke ich auch die Empfeh- nicht jeder. Zu Weihnachten gab es pro Mann lung zur Weiterbildung, wodurch mein Ein- eine Gänsekeule, Bratkartoffeln und Pudding, satz, also ein Bordkommando, um ein halbes den Rest der Gänse dann im Laufe der Woche. Jahr verzögert wurde. Die zunehmenden Das war der Gipfel und an der nächsten Bombenangriffe behinderten den Bau von Weihnacht1944 als Soldat und erst 1945 als neuen Unterseebooten und lies somit die Zahl Kriegsgefangener konnte ich nur daran zu- der ausgelieferten Boote stark sinken und rückdenken oder davon träumen und erzäh- damit wurde mein Einsatz immer unwahr- len. Auf dem Weg zu unserer Unterkunft kam scheinlicher. man an der Küche vorbei und konnte durch Im Hafen lagen einige für unsere Ausbildung ein Großes Fenster hinein sehen. Einmal bestimmte Kutter, welche mit 12 Riemen zum schwammen die, ach so fein schmeckenden Rudern bestückt werden konnten, aber auch Schollen im heißen Fett oder Kartoffelpuffer. zum Segeln geeignet waren. Rudern standen Da war sogar das kartoffelschälen wie sonst im Lehrplan und wir haben uns dabei auch wo, nicht verpönt. Die Verpflegung war bei einen ordentlichen Muskelkater der Bauch- der Marine durchweg gut aber in Dänemark muskulatur geholt. An Segeln dachte da von einfach am besten. uns niemand, man sah sie nur gelegentlich da draußen vereinzelt. Mein Leutnant war lei- Anschließend landete ich, weil die Ausbil- denschaftlicher Segler. Er wählte sich seine dungskapazität für Maschinenpersonal für U- Mannschaft aus, darunter auch ich und unter- Boote erschöpft war, für ein viertel Jahr bei richtete uns nach dem Dienst in den Grund- einem (ich nenne es Gammel Kommando weil begriffen des Segelns. Also ein Schnellkurs nur Wiederholung der Grundausbildung) in über Fock-, Groß- und Besan- Segel, über Leer Ostfriesland. Winter- und Frühlingswet- Schwert, heißen und fieren Tauwerk belegen ter dieser Landschaft, Nebel, Regen und Luv und Lee und so weiter. Das geschah alles Schneematsch lernte ich da zur Genüge ken- in der Woche vor Pfingsten 1944. nen. Dass ich inzwischen der U-Bootwaffe zugeteilt war ohne mich freiwillig gemeldet Ein absoluter Höhepunkt in meiner Ausbil- zu haben, danach fragte niemand. Über Som- dungszeit war dann doch dieser Segeltörn am mer lief dann mein Unterseebootslehrgang in Pfingstmontag in der Neustädter Bucht vor Neustadt Holstein. Das zu lernende war sehr Eggernförde. Das Fertigmachen und Aufta- Umfangreich und wurde auch gut "herüber- keln des Kutters bis alles seine Richtigkeit gebracht". Die Ausbilder waren durchweg hatte dauerte doch seine Zeit und die ersten streng, aber auch gerecht. Bei einem Spind Manöver bereiteten uns schon größere Mühe. Appell ließ sich mein Zugoffizier, weil alles so Segeln ist eben auch harte Arbeit. Als wir "akkurat" gestapelt war, meine Socken zeigen, dann weit genug draußen Wende und Halse dabei stellte er fest, dass diese sehr exakt geübt hatten, konnten wir uns vom Wind gestopft waren. Das war eine Spezialität mei- Treiben lassen und wir haben uns gefühlt wie ner Schwester Marielle und sie hat es mir Millionärssöhne. beigebracht wie auch unserer Cousine Heidi,

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Damals Memel heute Klaipeda

Hier machte ich die praktische Ausbildung verlassener kleiner Bauernhof mit Windmüh- zum Maschinen Maat. Im Hafen lagen mehre- le zugewiesen. Feuerstätte, Brunnen sowie re U-Boote des Typs "Sieben C ", eines davon Brennholz waren vorhanden und Kommiss- war für unsere Ausbildung reserviert. Zum brot für 2 Tage hatten wir dabei. Unser Auf- ersten Mal betraten wir ein Boot von dem wir trag, immer zur eigenen Sicherheit mit zwei schon so viel gelernt, aber noch nichts gese- Mann, Ausschau zu halten und jede verdäch- hen hatten. tige Bewegung zu melden erfüllten wir. Von der Windmühle aus war die beste Aussicht. Unser Ausbilder und Zugführer war ein jun- Jedoch nur am ersten Tag, am zweiten Tag ger Leutnant namens Segmüller der aus war dichter Nebel und Garnichts zu sehen. Zweibrücken stammte. Sein Vater war der Für mich war das die beste Gelegenheit die Bahnhofsvorsteher in Altenglan, wo er auch mir bis dahin unbekannte Mechanik einer mit seiner Familie wohnte, was sich jedoch hölzernen Bockwindmühle eingehend anzu- erst später herausstellte. Nach dem Krieg schauen. Mein Urteil war, Uralt und seit Jah- heiratete er eine Schulkameradin von mir, ren defekt aber interessant und lehrreich. Ein wohnte in Rammelsbach, war dort Lehrer Gruppenkamerad brachte einen lebenden und ist auch dort begraben. Ich habe den Kon- Hasen an, doch keiner konnte ihn schlachten takt zu ihm nie gesucht, wegen der schlechten und abziehen. Als ich treuherzig erzählte, Erinnerung. Trotzdem habe ich sein Grab dass ich bei meinem Vater wiederholt zuge- besucht und ich trage ihm nichts mehr nach. sehen hätte, wie das gemacht wird, blieb mir Er war ein "Schleifer". Selbst sehr sportlich nach heftigem wehren nichts anderes übrig. durchtrainiert und topfit, forderte er das auch Also, ich musste meinen ersten Hasen von uns. Täglich 10km Laufschritt durch den schlachten. Das Zubereiten übernahmen An- Wald, am nächsten Tag 5km und direkt an- dere und geschmeckt hat er mir nicht. Wir schließend ein Handballspiel. Nur die prakti- besorgten uns Stroh und legten es in ein schen Übungen und Handhabungen, auf dem Zimmer und schliefen dort. Es war zwar Boot, empfand ich als sinnvoll. Antreten auf warm, aber die Flöhe haben uns wüst zuge- dem Vorderdeck und dann alle nacheinander richtet und wir waren eine Erfahrung reicher. quer durchs Boot. Auf den Turm, durchs Turmluk, die Leiter hinunter, durchs Turm- Ein Pferd war gestürzt und musste erschos- zentraleluk, weiter hinunter in die Zentrale, sen werden, die Truppe zog weiter und ließ achteraus durch´s Zentrale Achterluk und ein es liegen. Da ich zuvor einen Hasen geschlach- wasserdichtes Luck, hinauf durchs Kombü- tet habe erwarteten meine Kammeraden von senluk aufs Oberdeck, nach vorn um Turm mir das ich jetzt das Pferd mit Hilfe eines Ta- und Geschützstand zum Ausgangspunkt. Die schenmessers und einer Axt schlachte. Gegen gestoppte Zeit wurde mit jedem Durchgang Abend kam dann zum Glück unsere Verpfle- besser, aber die Beulen an Kopf, Knien und gung und wir wurden zurück in unsere Ka- sonst wo häufiger. Muskelkater und Beulen serne gebracht. Wir konnten duschen und in hatten wir während der gesamten Ausbil- unseren Betten schlafen. Der Sinn oder Zweck dungszeit. dieser Aktion? Bleibt mir ein "Militärisches Geheimnis". Ein Proviantlager im Hafen von Kurz vorm Abschluss wurden wir unerwartet Memel sollte geräumt werden und als Trans- für andere Aufgaben eingesetzt. Von Auflö- portschiff lag das 25.000 Tonnen Walfang- sung der Ostfront und Flüchtlings-Treks mutterschiff Walter Rau bereit. Ein Spezial- westwärts ahnten wir noch nichts. Die Aus- schiff zur Zerlegung, Verarbeitung und Lage- rüstung und Ausbildung als Infanterist hatten rung, der von den dazugehörenden Fangboo- wir ja sowieso, schon von Kindesbeinen an. ten gejagten und herbeigeschleppten "Walfi- Aber für einen Einsatz gegen feindliche Parti- schen". Dazu war am Schiffsheck, also hinten sanen waren wir keinesfalls geeignet und ähnlich einer Fähre, eine bis unter den Was- nicht im Geringsten vorbereitet. Trotzdem serspiegel reichende breite und steile "Stra- schickte man uns ohne gesicherten Proviant- ße" zum an Bord ziehen der mächtigen Wale. nachschub ins Memeler Hinterland. Damals Reichlich Kühlkapazität stand da ja auch zur war das Litauen. Meiner Gruppe wurde ein Verfügung.

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Da kein Verladepersonal zur Verfügung stand, Ein paar Tage danach wurden wir per Bahn mussten wir einspringen. 50Kg Säcke mit nach Wesermünde-Bremerhaven, zum Absol- Fein- Zucker wurden per Kran im Netz in die vieren des Theoretischen Teils der Ausbil- Laderäume des Schiffs herabgelassen. Das dung zum Maschinen Maat, verlegt. Während aufnehmen, per Sackkarre etwa 50 Meter unserer Anreise war dort ein schwerer Bom- fahren und im Laderaum stapeln, trieb bei benangriff mit Luftmienen und Brandbom- uns den Schweiß. Darum arbeiteten wir mit ben. (An anderer Stelle habe ich darüber be- entblößtem Oberkörper und suchten Frisch- richtet). Diesen Luftangriff, genauso wie die luft, welche unter der Ladeluke zu finden war. gnadenlose Rückzugswalze vom Osten nach Bei einer der nächsten Frachten riss unerwar- Westen, was ja Hunderttausende oder gar tet ein Zuckersack und entlud sich über uns. Millionen Menschenleben kostete, sowohl an Wir sahen aus wie gepuderte Berliner und Land wie auf dem Seeweg, man braucht nur das juckte fürchterlich. Anderntags wurde an die "WILHEM GUSTLOF" zu denken, Käse verladen, Holländischer Käse in Rad brauchte ich nicht mitzuerleben. Form. Dazu benutzten wir nicht die Sackkar- ren, sondern rollten den Käse zum Stapel- Wieder einmal hatte Gott seine schützende platz. Ich dachte dabei "Wer hat denn den Hand über mich gehalten. Käse zum Bahnhof gerollt?"

Kadavergehorsam

Zu meinem in der "Allez hopp" 2011-01 (Nichtamtliches Mitteilungsblatt) "Sonderausgabe 575-JAHRE Blaubach" erschienenen Beitrag habe ich als Überschrift Aus braven Jungs wurden so Henker und Kadavergehorsam als passend empfunden. Mörder. Die seelenlose Waffentechnik und Ich will veranschaulichen wie man meine der Selbsterhaltungstrieb hatte aus uns sogar Generation gezielt und von Kind an zu blin- Massenmörder gemacht dem Gehorsam und sturem ausführen von Wäre es nicht Massenmord gewesen, wenn Kommandos und Befehlen gebracht hat. ich als Besatzungsmitglied eines U-Boots Schon als Achtjähriger durfte bzw. "musste" mittgeholfen hätte Schiffe zu versenken? auch ich stramm stehen und exerzieren, ich Damals als junger Mann gab es derartige wollte mich doch nicht lächerlich machen vor Überlegungen einfach nicht. Wir waren ver- meinen Altersgenossen und machte gedan- blendet und bereit dazu. kenlos mit. Damit fing alles an. Selbstständi- Ich möchte dass man sich Gedanken darüber ges Denken wurde so abtrainiert und die macht und diskutiert. Über die beiden gegen- natürliche Charakterreifung der Jugend wur- sätzlichen Begriffe Kadavergehorsam und de so unterbunden. Man hat uns der Jugend, Befehlsverweigerung und ob es noch etwas beraubt. dazwischen gibt?

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Einer unserer ältesten Mitbürger erzählt von seinen letzten Kriegswochen

Ich war willig, aber nie freiwillig, man Die Erinnerung an diesen schrecklichen Ge- machte sich meine Vorliebe für technische ruch, den alle Bewohner der damals zer- Dinge zu nutzen, in dem man mich zur Ma- bombten Städte erlebten werde ich mein Le- rine einzog und weil ich tauglich war, zur ben lang nicht mehr los. Ich würde mir wün- U-Bootwaffe steckte. Von dieser kompli- schen, dass niemand friedliebendes jemals zierten auf engstem Raum geballten Tech- sowas erleben muss - schwelende Trümmer nik war ich begeistert. Dass ich durch Be- und bei lebendigem Leib verbrannte Men- dienung von Maschinen mithelfen sollte, schen, dazu das stetige bangen um die eige- Menschen zu töten war mir nie bewusst – nen Angehörigen. Jedoch Jedem der einen das sagt einem Keiner. Krieg anzettelt, andere hinschickt, an Waffen- handel oder Herstellung Geld verdient, sollte Zweieinhalb Tage Bahntransport in Perso- der besagte Gestank lebenslang und unaus- nenwagen mit Holzbänken und sechs Mann löschlich anhaften. im Abteil mit Gepäck, und kein Platz zu Lie- gen waren hinter uns. Vom nordöstlichsten Rund eineinhalb Jahre zuvor, am 31. August Teil Ostpreußens an der Grenze nach Litauen 1943 hatte ich die Trümmer von Köln gese- über Königsberg Danzig Stettin entlang der hen und dachte damals Ostseeküste und Hamburg nach Wesermünde Bremerhaven: „Ach, wie schlimm, dass so etwas möglich ist! Das ist ja entsetzlich! „Aber WIR, werden es Ein Komißbrot und eine Hartwurst war die ihnen zeigen - WIR werden siegen“ – so wa- ren wir erzogen. Ich glaubte fest an den End- Marschverpflegung. Dazu gab es bei Halten sieg! auf Rangierbahnhöfen oder beim Lokomo- Nach dieser Erfahrung in Wesermünde war tivwechsel heißen Tee, auch Wasser in Koch- allerding mein Enthusiasmus vorbei. geschirr oder Feldflasche. Zwanzigjährig, 1,82 m groß und 75 kg schwer war ich immer einer der Längsten und damit Unsere Ausrüstung war „Sturmgepäck“: Ge- in den beiden ersten Gliedern jeder Formati- wehr, Stahlhelm, Gasmaske, Brotbeutel, Feld- on. Das war schon mit zehn Jahren im Jung- flasche, Koppel, Patronentasche, Kochgeschirr volk so, denn da ging`s schon los mit „Antre- und Wolldecke. Die Kleidung: Schnürschuhe, ten, der Größe nach aufstellen“ und Exerzie- ren. Hose, Jacke, und Mantel in feldgrau mit gold- Bedingungsloser Gehorsam, das augenblickli- farbenen Abzeichen. Im Seesack verstaut wa- che Ausführen von Befehlen, ohne Zögern und ren die Marschstiefel, Marinehose, Hemd, Überlegen oder gar den Sinn zu überdenken, Colani und Tellermütze in blau mit Band und wurde meiner Generation bewusst einge- goldenem Aufdruck „Kriegsmarine“. Exer- impft. zierkragen mit gebundenem Halstuch, dazu Der ideale Hitlerjunge war „flink wie ein kam das „Arbeitspäckchen“ in undefinierba- Windhund hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder“. rem weiß-grau-beige: Hose, Hemd und Segel- Wer in dem Alter hat kein Idol? tuchschuhe. Ersatzwäsche, Socken, Rasier- Eine militärische Grundausbildung war ei- zeug , Nähzeug, Schreibzeug und alle persön- gentlich gar nicht mehr nötig. Nur Drill (auch lichen Sachen. Wegen des Tage zuvor gewe- oft schikanös) Gewehrgriff, Stechschritt und senen Luftangriffes auf die Stadt stand kein Scharfschießen kamen dazu. Führer, Volk und Transportmittel zur Verfügung und jeder trug Vaterland, sowie das ehrenhafte Soldat sein seine gut 50kg von der Bahn durch die noch wurden glorifiziert. rauchenden Trümmer zur Kaserne.

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Es war Ende Januar 1945 und der allgemeine ruft zwei „blickt geradeaus“ und rührt. So Unterseebootslehrgang sowie die dreimona- geht es weiter bis zum Ende des Zuges und tige, praktische Unteroffiziersausbildung auf die Reihen sind nummeriert. einem Unterseeboot der VII.-C Klasse (noch Jetzt erschallt das Kommando: „Reihe drei, ohne Schnorchel) im Hafen von Memel heute fünf Schritte vortreten“, „Reihe fünf, fünf Klaipeda waren abgeschlossen. Die Marine- Schritte vortreten“, „Reihe neun, fünf Schritte schule Wesermünde sollte der theoretischen vortreten“. Danach das Kommando: „vor der Fortbildung und Warten auf ein Bordkom- Front antreten und aufrücken“ - „Erschie- mando mit anschließenden Probe- und ßungskommando rührt euch“. Übungsfahrten, Beförderung zum Maschi- Inzwischen war ein Marinesoldat, (Angehöri- nenmart und Fronteinsatz dienen. ger der Kriegsmarine, wie uns Hitler nannte) Was zu diesem Zeitpunkt von uns keiner in Fesseln vor eine Mauer mit Sandsäcken wusste. Dass fast alle VII.-C Boote von Feind- geführt worden. Ein Mann Ende zwanzig, der fahrt nicht mehr zurückkamen und die zer- versucht hatte, mit einem Boot die Ostsee zu bombten Werften so gut wie keine mehr lie- überqueren um die schwedische Küste zu fern konnten, ersparte mir mit großer Wahr- erreichen. scheinlichkeit ein Seemannsgrab. Von einem Offizier in blau, wahrscheinlich Verstärkt war jetzt Infanterieausbildung, einem politischen Führungsbeamten, was die Sport und Schießen angesagt. Immer öfter, silbernen Streifen andeuteten wurde das meistens nachts gab es Fliegeralarm und wir Kriegsgerichtsurteil verlesen. Den genauen mussten in die Bunker. Während einer Wortlaut weiß ich natürlich nicht mehr. Je- Schießübung war kein Bunker in der Nähe. denfalls war von Verrat an Führer, Volk und Am hellen Vormittag in großer Höhe kamen Vaterland, Bruch des Treueeides, Fahnen- etwa 10 Bombergeschwader mit Geleitschutz flucht und Todesurteil durch Erschießen die aus Richtung England. Bestimmt mehr als 150 Rede. Das soll für uns alle eine Abschreckung Maschinen in mehreren Wellen. und Mahnung sein. Jetzt wurden dem Verur- Welche deutsche Stadt wird heute zerstört? teilten die Augen verbunden und die Bewa- Wen wird es heute treffen? Wie viele Men- cher gingen zehn Schritte zur Seite. schen müssen wieder sterben. Leben meine „Erschießungskommando Gewehr entsichern, Eltern noch, meine Geschwister, was hat´s anlegen und zielen“, „gebt Feuer“ und „ganze noch für einen Sinn? Was könnte ich dagegen Abteilung kehrt“, waren die nächsten dicht tun? Eine ohnmächtige Wut staute sich an. folgenden Kommandos. Gerade war noch so Gegen was? Gegen wen? viel Zeit, dass man das Zusammensacken des Ich bin Soldat, habe Befehle auszuführen und Erschossenen sehen konnte. zu gehorchen! Nach einem Moment wieder ein Kommando Eines Tages, Mitte April 1945 wurden die drei „Erschießungskommando einordnen“, danach Kompanien der Marineschule zum, ein paar „links um“, „im Gleichschritt Marsch“. Nach Kilometer außerhalb der Stadt liegenden, dreihundert Metern „Abteilung halt“, „links Schießplatz befohlen, um eine Urteilsvollstre- um“, „Gewehr entladen“ und „Patronen“ ab- ckung auszuführen. Meine, die geben. erste Kompanie, musste das Erschießungs- Die scharfe Munition und die leeren Patro- kommando stellen. Jeder, auch ich, bekam nenhülsen wurden sehr gewissenhaft gezählt einen Schuss Munition. Wir mussten das Ge- und in die Schießgladde eingetragen. Mit Got- wehr laden und sichern. Mir sträubte sich der tes Hilfe hatte ich Glück und brauchte nicht zu Magen bei dem Gedanken, dass ich jetzt einen schießen. Ich stand in der zweiten Reihe. Menschen erschießen muss „lieber Gott, be- Ob der vorgenannte „Silberling“, wie wir die wahre mich davor“. Herren mit silbernen Rangabzeichen nannten, Angetreten wurde wegen der etwas beengten der Marinerichter war, der dieses Todesurteil Platzverhältnisse in Viererreihen in offenem fällte oder sein beauftragter der es vollstre- Karree, wir in der Mitte. Das Kommando cken „rührt euch“, „abzählen“, „zählt“ unterbrachen lies, weiß ich nicht. meine Gedanken. Erst 1978 wurde bekannt, dass Hans Filbin- Das bedeutet, dass alle Leute im ersten Glied ger der stellvertretende Vorsitzende der CDU, stramm stehen, und nach rechts blicken. Der Bundestagspräsident und Minister-präsident rechte Flügelmann blickt nach links, ruft sei- von Baden-Württemberg damals Marinerich- nem Nebenmann „eins“ zu, „blickt geradeaus“ ter und Mitglied der NSDAP war und bis in die und „rührt“. Der zweite blickt nach links und letzten Kriegstage Todesurteile fällte (ich

Seite 22 vermute hier einen Zusammenhang), und Filbinger starb im Alter von 93 Jahren am 1. sogar nach Kriegsende für die Engländer, April 2007 und hat den Staat samt Pension deutsche Kriegsgerichts-barkeit gegen uns Mil-lionen gekostet. Kriegsgefangene ausübte. Seine Rechtfertigung war: „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein.“

Hätte ich Schießen müssen hätte ich bestimmt daneben gezielt und damit mein gutes Gewissen behalten. Ich möchte dass die Menschen nach Mir in einer besseren Welt leben als ich sie erlebt habe.

- Jeder sollte Arbeit haben und davon gut leben können.

- Niemand sollte sich finden um machtgierige Politiker und die Geldsäcke von Spekulanten und Waffenherstellern zu schützen. Die Folge daraus wäre doch "Friede auf Erden" Und das wünsche ich Euch Allen.

Westfront

Wenige Tage später erreichte uns der ten, verschanzten wir uns. Der Geschützdon- Marschbefehl zur Westfront. Die Engländer ner der Tag und Nacht von weither zu hören und Amerikaner rückten durch Holland vor war, war jetzt sehr nah. Unbekannt war uns und wir sollten sie an der Ems stoppen. Aus als " Frontneuling " die Waffe, die in halbse- heutiger Sicht, eine Wahnsinnsidee. kündiger Folge, Serien abfeuerte. Mein Kame- rad Ulrich Borchert, als Schütze 2 und ich als Über die Weser und 3 Tage später über die Schütze 1, sowie 2 weitere MG Stände rechts Ems wurden wir übergesetzt. Dazwischen und links von uns sollten mit unseren alten lagen Tages und Nachtmärsche mit mehreren leichten Maschinengewehren die Panzer der Luftangriffen durch Tiefflieger. Einmal hatte Alliierten aufhalten. Gegen Ende der ersten ich an der Häuserfront in einer Dorfstraße Nacht im Schützenloch griffen die Engländer Deckung gesucht und dabei den Kopf aus mit Raketenwerfern und Panzern an. Grelle Angst in ein Kellerfenster gerammt, sodass Lichtblitze und ganz nahe Detonationen um ich hinterher große Mühe hatte den Stahl- uns herum, Augen und Ohren sowie unsere helm heraus zu bekommen. Nur wer selbst Nerven waren total überfordert. einmal in echter Todesangst war und nicht Etwas Glühendes flog in unser Loch und Ul- nur für einen Augenblick, der kann meine rich schrie " raus ", was ich auch augenblick- Reaktion verstehen. Infanteristen und Fall- lich tat und suchte Deckung hinter der nächs- schirmjäger kamen uns entgegen und wir ten Hausecke. Rundum krachte und blitzte es glaubten, dass "wir Sie" ablösen sollten. Heute immer noch. Einschläge links, rechts, hinter weiß ich "Die" waren auf der Flucht, von der und vor uns. Ich dachte, es dauert Ewig und Front. in panischer Angst presste ich mich auf die Erde bis es ruhig wurde und kein Schuss Ich entsinne mich, am 20. April (Führers Ge- mehr viel. burtstag) wurde ich zu einer Patrouille einge- War das eine Handgranate? wie ich meinte. teilt, die mindestens 5 Stunden dauerte und Nein, die glüht doch nicht vorher. Heute weiß über endlose Weiden, über Siele und Deiche ich, es war Phosphor in unserem Loch. Aber ging. Danach gab’s Verpflegung und einen wo war Ulrich, mein Kamerad? halben Tag Ruhe. Vorher, selbstverständlich Waffen reinigen. Alle waren damals, durch die Unser Kompanieführer war zum Glück ein- tagelangen Anstrengungen und sehr wenig sichtig, lies die Weise Flagge zeigen und be- Schlaf, sehr müde. Am Ortsrand eines kleinen fahl die Waffen niederzulegen. Geschlossen holländischen Dorfes westlich von Winscho- marschierten wir in Gefangenschaft. Ulrich

Seite 23 war nicht dabei und eine reale Möglichkeit Splitter im rechten Oberarm, der mich nie ihn zu suchen gab es jetzt nicht mehr. Wahr- richtig störte und deshalb unbehandelt blieb. scheinlich sprang er gleichzeitig mit mir aus Unser vorjähriger Urlaub, per Bus, führte von dem Loch, aber in die andere Richtung, fand mir nicht ganz unbeabsichtigt zur Mecklen- dort Deckung und ging mit einer anderen burgischen Seenplatte. Ich wollte die Heimat Gruppe in eine andere Richtung, ebenfalls in von Ulrich einmal sehen. Gern hätte ich auch Gefangenschaft. Zweite Möglichkeit, er wurde dabei, Ihn einmal besucht. Als ich aus dem verwundet und wurde in ein Lazarett ge- Busfenster Schlosserei Borchert las und 700 bracht. An die dritte und letzte, fürchte ich m weiter unser Bus zu einer längeren Pause mich zu denken. Er könnte neben mir tödlich anhielt, lies ich mich nicht aufhalten dort vor- getroffen worden sein. Da ich nur seinen Vor- zusprechen und mich, wenn auch leider ver- und Zunamen und dass er aus einem sehr gebens nach Ulrich zu erkundigen. Sein Fami- kleinen Ort in Mecklenburg stammte, direkt lienname ist dort nicht selten. an einem kleineren See gelegen, wusste, war So sieht man doch, dass die Geschehnisse von auch später die Suche in der DDR sinnlos. Ich damals noch heute meine Gedanken bewegen. selbst habe von damals noch einen kleinen

Kriegsgefangenschaft

Nach längerem Anmarsch erfolgte auf einer gentauplanes schwebte als Gerücht über un- großen Wiese die Filzaktion. In zwei Gliedern seren Köpfen. Von allen Kameraden getrennt, mit 5m Abstand und 2m von Mann zu Mann wurden wir in Viehwaggons stehend durch mussten wir unsere Habseligkeiten ausbrei- ganz Belgien transportiert. Beim ausladen auf ten und alle Taschen vollkommen leeren. In freiem Feld standen die Belgier spalier mit der Mehrzahl dunkelhäutige Soldaten, taste- Knüppeln zum Spießrutenlaufen. Direkt nach ten unsere Körper ab, das war nicht ange- einem älteren Kameraden sprang ich hinaus nehm. Sie nahmen an sich, was ihnen gefiel. und entging so den Knüppeln. Ich weiß nicht Die Befehle gab ein Uniformierter, mit wie ich von wem ich es wusste, wie ich es erfahren damals empfand überdimensionierter Reit- habe, ob ich es mir aus kleinen Anzeichen peitsche, die er drohend bewegte. Ein festste- oder Bruchstücken von Informationen zu- hendes 8cm langes Messer konnte ich noch sammen reimte. Ich war mir jedenfalls sicher, rechtzeitig entsorgen, indem ich es senkrecht dass ich von polnischen Soldaten im Dienst in den Wiesenboden getreten habe. Meine von England gefangen und bewacht wurde. Taschenuhr, obwohl der Sekundenzeiger fehl- Genauso sicher war ich, dass der oder die in te und das Glas gebrochen war, wurde englischer Offiziersuniform, stets mit Reit- Kriegsbeute. Von dort wurden wir in ein peitsche auftretenden Lagerführer, gut Sammellager gebracht zu anderen Gefange- deutsch sprechende Juden waren. Aus Erzäh- nen, in Hundertschaften aufgeteilt und mit lungen weiß ich, dass dieselbe auch benutzt schwarzem Tee mit Milch und Keksen not- wurde. Das Lager war ein Camp und der Teil verpflegt. Etwa eine Woche lang unter freiem der unseren "Auslauf" (etwa 200x300 m) Himmel, bei zum Glück gutem Wetter gab es doppelt mit Stacheldraht sicher umgrenzte ab dem dritten Tag auch in Dosen gepresstes war ein Cage zu Deutsch Käfig. Wir waren Rindfleisch, Corned Beef und kein Brot. "prisoner of war" kurz PoW. Das PoW war groß in gelber Farbe auf dem Rücken unserer Noch nie in meinem Leben habe ich mich so Kleidung gestempelt. Morgens und abends schlecht gefühlt wie in den ersten Tagen der war Zählappel. 5 Glieder je 20 Mann war eine Gefangenschaft. So müde, so rechtlos, so ge- Hundertschafft. Um das zählen durch den demütigt, dem Vaterland habe ich die Treue deutschen und den englischen Lagerführer gebrochen und den Fahneneid. Zwar habe ich oder seinen Adjutanten zu erleichtern musste damit mein Leben gerettet, aber ich war jetzt genauestens ausgerichtet werden. Ich erinne- jeder Willkür des "Feindes" Ausgesetzt. Dass re mich, dass sechs etwa Quadratich angeleg- ich nie mehr eine Waffe angreife, musste ich te Cages an einer Lagerstraße (Feldweg) unterschreiben und die Ausführung des Mor- rechts und links mit je 2500 Mann belegt wa-

Seite 24 ren. Die Lagerpolizei (PoWs mit weißer Arm- Waschgelegenheit für 2500 Mann bestand aus binde) unter deutscher Leitung sorgte für ein paar rohen, Tannenstämmchen, ein paar Ordnung. Vor allen Dingen mussten die Aus- Schalbrettern und einer Wasserleitung mit 24 gabe der Lebensmittel organisiert, be- und Hähnen darüber. Leere Keks oder Teekanis- überwacht werden. Das Essen kam per LKW ter, Quadratich für etwa 10 Liter, standen und musste schnell und gerecht an zweiein- stets herum zum Wäsche waschen. Selbstver- halb tausend Mann ausgeteilt werden. Dass ständlich nur mit kaltem Wasser. Von der besorgten meistens die Unteroffiziere der "berühmten" blass hellgrünen Kalk oder Lagerpolizei in der Nähe des Eingangs-Tors Kriegsseife bekamen wir ausreichend. Es gab am Hauptzelt. Es war eine organisatorisch sogar gelegentlich Zigaretten der Marke anspruchsvolle Aufgabe. Nur selten war et- "Wild Woodbiene." Anfänglich verschenkte was über und wurde als Nachschlag verteilt. ich sie, andere nahmen Brot dafür. Als ich Trotzdem gab es immer eine Warteschlange dann erlebte, dass Kameraden wegen den von dafür. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit mir verschenkten Zigaretten sich an die Gur- war unserem Essen Psychopharmaka beige- gel gingen, fing ich selbst an zu rauchen. fügt, um uns friedlich zu halten. Uns allen war ja auch ganz instinktiv bewusst, dass unsere Es war heiß! Und ich hatte ja nur lange Un- Bewacher rundum auf den Türmen, nicht terhosen, eine Badehose hätte ich gebraucht. zögern würden den Zeigefinger zu krümmen Da kam mir der Gedanke, aus meinem Mari- um Ordnung zu schaffen. Die Standorte der neschal eine zu nähen. Der sehr dehnbare mit je zwei Mann und MG Bestückten Wach- Schlauch war dafür gar nicht so schlecht ge- türme waren so angelegt dass jeder Wickel eignet. Zwei je 35cm lange Stücke, jedes 25cm unseres Käfigs von irgendwoher einzusehen der Länge nach aufgeschnitten, sauber zu- war. Als dass alles geregelt war, gab es täglich sammengenäht, oben und unten gesäumt und 1 mal etwa 3/4 Liter Suppeneintopf meist ich wurde um meine Badehose beneidet. Für sehr dünn, 2 mal täglich 1 Liter schwarzer den Nähfaden hatte ich einen Teil aufgezogen Tee mit Zucker und Milch sowie für je 8 Mann und eine Stopfnadel hatte ich. Auf gleiche ein Weißbrot etwa 13x13x13cm und 1/4 Do- Weise wagte ich sogar aus einem "Graunds- se Butter etwa 20 bis 25 Gramm. Abends auch lip", ein einfacher Regenumhang mit Kragen "Jam" Marmelade etwa 1/2 Esslöffel. Das Brot aus Gummiertem Stoff, eine Regenjacke zu Scheibenweise zu teilen, hätte unwillkürlich schneidern. Der Großvater meiner Mutter zu Streit geführt, weil niemand acht gleich- war ja Schneider. große Scheiben von Hand schneiden kann. Nur durch halbieren, halbieren der Hälften Alle 2 bis 3 Monate war Entlausung angesagt. und halbieren der Viertel konnte möglichst Zwei Sanis pusteten mit Handpumpen PCP gerecht geteilt werden. Jedes Stück also etwa Pulver, welches wegen seiner Giftigkeit schon 6x6x6cm. Jeder hatte eine Außenecke mit drei lange verboten ist, auf alle behaarten Stellen Außenseiten und drei geschnittenen Seiten, unserer nackten Körper. Einmal während genauer geht es nicht. Die Verpflegung war meiner Gefangenschaft bekam ich die Mög- nicht schlecht, aber auch nicht ausreichend. lichkeit warm zu duschen. Im Nachbarkäfig, Deshalb habe ich mir angewöhnt bis zu 20 (woraus ich schließe, dass für 5000 Mann nur Stunden täglich zu schlafen. Zum Klo konnte eine solche Einrichtung bestand) war ein ich erst wieder am 32 ten Tag, aber mit sehr Raum mit 25 Duschstellen und pro Mann großer Anstrengung und nur weil mich ein standen 3,5Liter warmes Wasser zur Verfü- älterer Kamerad sehr eindringlich und dras- gung. Die Order war, im unbeheizten Neben- tisch warnte. Von meinen 75 kg hatte ich 40 raum Kleider und Handtuch unter einer an verloren. Ich habe gesehen wie ein Kamerad, die Wand gemalten Nummer ablegen, Num- der mein Vater hätte sein können mit einer mer merken, Seife mitnehmen danach Dusch- leeren Butterdose die Erde (sandiger Lehm platz einnehmen. Auf los floss das Wasser bei Waterloo in der Nähe von Brüssel) um- zum nassmachen etwa 1,5Liter, einseifen und grub um Regenwürmer zum Essen zu finden. gründlich waschen. Mit dem Rest des Wassers Mehr zu essen hatte innerhalb des Käfigs die wurde nach 3 Minuten abgebraust und es hat deutsche Lagerleitung. Wozu die Lagerpolizei, tatsächlich gereicht. Sanitäter und die Fäkalienverbrenner zählten. Also alle die zur Aufrechterhaltung eines ge- Nach gleicher Weise habe ich nach meiner ordneten Betriebes nötig waren hatten den Heimkehr, für meinen Vater meinen Bruder ersten Zugriff auf die Verpflegung. Unsere und mich in unserem Stall in einer Ecke eine

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Brausestelle eingerichtet. Der Vorrasttrichter später die Nachbarstochter und wir wurden unserer Milchzentrifuge wurde mit dem Draht- gute Nachbarn. seil und den Rollen die die Hakenkreuzfahne trugen, zur Stalldecke hoch gezogen und ein- Mein durch Schule und Familie anerzogenes gehängt. Ein Hahn, ein Stück Blei-Rohr und ein Verhalten, gegen alles „nicht deutsche“, tut selbstgemachtes Siebblech bildeten den Rest mir heute leid. Mehr aus Langeweile, als aus der Einrichtung. Das Blei-Rohr war gut geeig- willen Englisch zu lernen, schloss ich mich net zum Austreiben, Dichten, Einziehen und der Gruppe um den Studienrat an. Erst kürz- war zufällig greifbar, denn zum Kaufen gab’s lich fielen mir beim Aufräumen, die damals ja rein nichts. So konnten wir "komfortabel" mit einem 4 cm Bleistiftstummel geschriebe- mit einer auf dem Küchenherd heiß gemachten nen, auf hellbraunem zeitungspapierstarkem fünf Liter Kanne allein und mit reichlich Was- WC -Papierblättern in die Hände. Solches gab ser duschen. es im Überfluss, da wenig gebraucht wurde. Denn nichts zu nagen, nichts zu beißen, nichts Unsere Marschstiefel waren genagelt. An den zu fressen nichts zu sch…. . Der Donnerbalken Absätzen waren gebogene Flacheisen war ein sauber geschälter langer Tannen- (7x4mm) durch vier Löcher angenagelt. Die stamm, mit Schalbrettern und Fußtritt, über Schuhnägel waren ähnlich wie Reißbrettstif- einem 80cm tiefen und ebenso breites Erd- te, jedoch mit 10-fachem Gewicht. Verbrauch- loch. Davon gab es zwei baugleiche für 2500 te Nägel und Hufeisen wurden ausgetauscht Mann, für bis zu 15 Mann gleichzeitig. Wir und die Sohle war geschont. Das war der Sinn. nannten es vornehm 12 Zylinder. Die Entsor- gung geschah auf die schon erwähnte Weise. Die Hälfte eines solchen total verbrauchten Unser kleines Geschäft verrichteten wir ein- Absatzeisens etwa 5cm lang, durchs Ablaufen fach in Richtung Stacheldraht. dünn, scharf und spitz geworden. Ich ergänzte dieses Absatzeisen durch einen Stacheldraht- Das Lager Jabbeke wo ich zuerst war, lag zwi- zacken, den ich durch hin und her biegen ab- schen Brügge und Ostende, ganz eben auf gebrochen habe. Das war dann unser gut sandigem Boden. Das erinnerte mich an mei- funktionierender vielbenutzter Dosenöffner. nen Vater. Der mir vom ersten Weltkrieg und ebenfalls sandiger Erde bei Ostende erzählte. Ein von mir damals aus Teebüchsenblech Offenbar war er damals das einzige Mal in angefertigtes Kästchen mit Deckel benutze ich seinem Leben, in der Nähe des Meeres. Hier für meine Kleinwerkzeuge und ein primitiv konnte ich die Möglichkeit an mehr Essen zu geschnitztes Schachspiel. Welches übrigens kommen zwei Mal nutzen. Der Hunger trieb noch im kleinen Schrank im Schuppen liegt. mich zum Freiwilligen Arbeitseinsatz bei der Auch andere Kameraden waren kreativ. US Armee. Ein offener LKW, mit hochliegen- Nachdem die deutsche Lagerleitung Heizöl, der Ladefläche, kam zum Lager-Tor um 50 was ich bis dahin nicht kannte, besorgen Mann stehend und dicht gedrängt nach konnte, konnten Kochstellen angelegt wer- Ostende, weit außerhalb in Richtung Nordsee, den. Heizöl und Wasser flossen getrennt aus zu bringen. Dort war eine Straße neu ange- zwei leeren Teekanistern, durch Holzstopfen legt. Die dort einfach im Sand verlegten Geh- dosiert, in eine abgeschnittene Konservendo- steigplatten etwa 40x40cm, mussten wir se als Ölbrenner. Ein dritter Kanister darüber aufnehmen, aufladen und innerhalb des Ge- diente als Kochtopf. Aus goldglänzenden But- ländes der US Armee zu Fußwegen zwischen terdosen wurden Ofenrohre. Auf ähnliche Art den Zelten im losen Sand neu verlegen. Damit wurden auch die Fäkalien verbrannt. der LKW auch dahin kam, mussten zuerst anderswo verlegte 2,5m lange, Einhängbare Es begann sich ein Lagerleben zu entwickeln. und gelochte, Stahlblech-Profilstreifen abge- Schach und Skat wurde gespielt, Gesangs- baut, verladen und neu verlegt werden. Das gruppen bildeten sich und ein Studienrat bot war eine sehr harte Arbeit, aber es gab ja einen Englischkurs an. Zu der Zeit habe ich auch reichlich Essen. Allerdings soll bei einem bei den Kartenspielern auch meinen späteren solchen Menschentransport, durch starkes Nachbarn, den ersten aus meiner näheren bremsen des LKW Fahrers, ein Mann durch Heimat, gefunden. Es war Abraham Diehl aus die Wucht des Gewichts der hinter ihm ste- Blaubach, er wäre gerne mein Schwiegervater henden, so fest gegen die Bordwand gedrückt geworden aber es kam anders. Ich heiratete worden sein, dass er innere Verletzungen erlitt und daran starb. Der zweite Einsatz war

Seite 26 ganz anderer Art, als Küchenhelfer. Im Zelt Herbert Borger aus stand mir am mit Holzboden, wo die Amis aßen, war aufzu- nächsten. Seine Eltern waren Bauern wie räumen und den Sand hinaus zu fegen. Unter meine. Darum fühlte ich mich, auch wegen andauerndem "let´s Go" und Geschubse mit seiner gelassenen Art, ihm besonders ver- den Kolben der Maschinenpistolen der dun- bunden. Die Borger´s sind mit Tochter und kelhäutigen Amis. Sehr streng bewacht, muss- Sohn wegen der Anlage eines Truppen- ten wir Essensreste in große Wannen auf- übungsplatzes um Baumholder von dort nach sammeln und sofort vernichten. Auch halbe Hinzweiler umgesiedelt worden. Ihre land- oder nicht angeschnittene Brote mussten mit wirtschaftlichen Geräte und das Vieh konnten Desinfektionsmittel übergossen werden. Wie sie mitnehmen. Die Eltern haben sich da nie gerne hätten wir dieses, ja offenbar übrige so richtig einleben können. Seine ältere Brot, mitgenommen um für den nächsten Schwester hat später den elterlichen Betrieb Hungertag etwas zu haben oder um es den übernommen und heiratete den zur Kriegs- Kameraden zu geben. Das vernichten der Le- zeit beschäftigten polnischen Kriegsgefange- bensmittel wurde strenger überwacht als ob nen. Herbert heiratete Röschen, arbeitete im einer abhaut. Wohin könnte man auch? Alles Kalkwerk Friedelhausen, baute ein schönes stand damals Kopf! Zu der Zeit war nichts in Haus und bekam einen Sohn. Da ich damals Ordnung, darum blieb man vorerst besser wo nach Saarbrücken ausgewandert bin, verlo- man war, da war man noch am sichersten. ren wir uns aus den Augen. Aber an seiner Natürlich hatte ich Heimweh und große Un- Beerdigung habe ich teilgenommen. Inzwi- gewissheit, wie es wohl meiner Familie geht. schen sind auch seine Frau und sein Sohn In meinem zuhause noch aufgefundenen Brief verstorben. aus der Gefangenschaft, frage ich sogar auch noch nach meiner Cousine Heidi, meiner jet- Jakob Müller wohnte bei seinen Eltern, im zigen Frau. Zwei Briefe von mir, aus der Ge- Bahnhof Niedereisenbach- Hachenbach. Sein fangenschaft, sind zu Hause angekommen. An Vater war der Bahnhofsvorsteher. Jakob war eine Nachricht dagegen von da, erinnere ich unverheiratet. Er und Herbert kannten sich mich nicht. schon vorher, sie arbeiteten kurze Zeit zu- sammen in einem Kuseler Rüstungsbetrieb. Im Herbst 1945 wurden wir in das Lager Wa- Jakob war ein Einzelgänger und lebte mit terloo verlegt. Ein paar Kilometer südlich von einer Wirtin in Niedereisenbach. Er war ar- Brüssel, da wo damals die Schlacht beitslos und vom Geld der Eltern abhängig. verloren hat, an einem flachen Süd Hügel mit Deswegen muss es zum Streit gekommen zähem Lehmboden. Auch da waren mehrere sein, in dessen Verlauf er Vater und Mutter "Cages" aneinander gereiht und die Organisa- erschlagen oder/und von der Treppe gestürzt tion hatte das gleiche Muster. Hier konnten haben soll. Er kam in die Psychiatrie und ich wir uns 60cm in die Erde unter den Zelten hörte nie mehr von Ihm. eingraben zudem war mehr Platz. Statt 16 Mann nur noch 12 Mann je Zelt. Es waren Walter Brückner studierte später in Kusel Winterzelte und ein kleiner Wasserabfluss- und wurde Lehrer in der Nähe von Pirma- graben zwischen Innen- und Außenzelt sorgte sens. Er heiratete, wurde aber schon bald für Trockenheit innen im Vergleich zu der geschieden. Durch Nachfragen über die Schlammwüste außen. Wenn nur die Hälfte Schwägerin meines verstorbenen Bruders, der ca. 2500 Lagerbewohner täglich, nur eine die im ehemaligen Wohnort Walters lebt, Runde, in dem nassen Lehm gedreht hat, war erfuhr ich dass er verstorben ist. der Schlamm schon knöcheltief. Zum Problem geworden war das An- und Ausziehen der Weihnachten 1945 Schuhe, beim Betreten und Verlassen des In der Hauptwindrichtung vor unseren Zelten Zeltes und das meistens gleichzeitig zum hatten wir, von der ausgehobenen Erde, einen Zählapell. Immerhin waren wir jetzt besser Schutzwall aufgeschüttet und alles in unserer für den kommenden Winter gerüstet. Macht stehende gegen die Kälte vorbereitet. Auch die deutsche Lagerleitung tat was sie Inzwischen hatte ich mich mit drei etwa konnte. Ein Tannenbaum war da und Gottes- gleichalterigen aus der Umgebung von Kusel dienste mit Chorgesang waren organisiert. zusammengefunden. Vom schweizerischen Roten Kreutz bekamen wir, was haben wir uns darüber gefreut,

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Grüße und Weihnachtswünsche sowie zwei und im letzten Jahr zum " schanzen " beim Kerzen je Hundertschaft. Volkssturm. Hauptsächlich Österreichische gefangene, jedoch auch vereinzelt andere, nach undurch- Mein um drei Jahre jüngerer Bruder, geboren schaubarem Schema, wurden nach Hause am 26. März 1928, wurde noch zur Wehr- entlassen. Jeder hoffte bei den Nächsten zu macht eingezogen und bis Kriegsende in die sein. Inzwischen gab es noch Frost und Nähe von München transportiert. Da erbettel- Schnee. Mitte Januar beim Transport von Wa- te er sich Zivilkleidung und fand als Feldar- terloo nach Bad-Kreuznach, im Viehwaggon, beiter zu Fuß nach Hause. Den Rhein konnte wurden wir vier wieder getrennt. Durch wel- er mit Hilfe eines Fischers überqueren. Züge che Umstände weiß ich nicht mehr. Nach zwei fuhren damals noch keine. oder drei Übernachtungen im Lager Bretzen- heim, bekam ich am 20.01.1946 meine Ent- Meine Schwester Marielle, geboren am 01. lassungspapiere. Zudem bekam ich für mei- Januar 1927, studierte bei der Lehrerbil- nen Arbeitseinsatz einen Gutschein über vier dungsanstalt Kaiserslautern. Das Gebäude Schilling und sechs Pens bei einer Londoner wurde zerbombt, Ersatz gesucht und wieder Bank. zerbombt. Sie war Mitglied der NSDAP, wurde entnazifiziert und später als Praktikantin in Heimkehr der Rammelsbacher Volksschule angestellt. Jetzt aber ab zum Kreuznacher Bahnhof und in den Zug nach Hause. Ja aus lauter Freude Unsere Mutter, Katharina "Kätche" Becker und weil sich Einer auf den Andern verließ, geb. Feyock geboren am 23. Juni 1895, war hatte ich mit noch zwei Heimkehrern aus der Mittelpunkt der Familie. Sie hat mit Got- Rammelsbach den Zug nach Idar-Oberstein tes Hilfe alles gemangt, das Geld zusammen erwischt. Zum Glück und Dank freundlicher gehalten und den Überblick behalten. Wäh- und hilfsbereiter Menschen, wie man sie heu- rend Vaters Abwesenheit hat sie den Rest der te weit suchen könnte, konnten wir in Stau- Landwirtschaft aufrechterhalten. Das Vieh, dernheim aussteigen. Es ging über den Berg unter Mithilfe des noch vorhandenen Rests nach Odernheim wo wir sogar noch etwas zu der Familie versorgt, sowie Haus und Hof essen bekamen. Von dort konnten wir mit gehütet. dem nächsten Zug, 3 Stunden später, weiter heimfahren. Allein eine warme Stube, nach An dieser Stelle danke ich Gott, dass er meine einem 3/4 Jahr im Freien, war für uns der Familie in diesem schlimmen Krieg beschützt Himmel. Irgendwie war uns die Botschaft hat und die Zeit die er uns miteinander ver- vorausgeeilt und ich wurde am Bahnhof er- gönnt hat. wartet. Damals wurden an jedem eintreffen- den Zug Heimkehrer erwartet. Abgemagert Die Nachkriegszeit biss auf die Knochen aber gesund und glück- Was ist Entnazifizierung?? lich war ich wider Daheim. Ich wog weniger als 50 kg. In Erwartung noch schlechterer Meines Wissens und Erfahrung im Fall mei- Zeiten hatten meine Eltern eine dritte Ziege ner Schwester. Sie wurde von einer Behörde zum Schlachten gezogen. Es war fast das ein- vorgeladen und befragt, warum sie Parteimit- zige was nicht meldepflichtig oder verboten glied war. Auch Zeugen wurden zu dem Fall war. So konnte ich mit Hilfe dieses Ernäh- gehört. Es war einfach nötig wenn man Leh- rungszusatzes die verlorenen Pfunde wieder rer werden wollte. Sie wurde als Mittläufer zulegen. Am 20. Februar 1946, meinem 21 ten eingestuft und bekam ein „M“ in den Ausweis Geburtstag, gab es trotz doppeltem Anlass gestempelt. Ein späterer Arbeitskollege kam nur eine kleine Familienfeier mit Zupfkuchen nicht so glimpflich davon. Er war SA-Führer aus Pellkartoffeln und Kaffee aus gebrannter und Judenverfolger. Er hatte in der Christall- Gerste. Mehr war damals nicht möglich. nacht wahrscheinlich das Kommando geführt. Ich habe niemals mit ihm darüber gesprochen Mein Vater, Jahrgang 1894, hatte als Infanter- und ich weiß nicht wie lange er im Landauer ist fast den ganzen Ersten Weltkrieg mitge- Gefängnis saß. Am besten hatten´s damals die macht und mit einer leichten Verwundung Nazi-Richter, sie haben sich gegenseitig ent- überlebt. Im Zweiten Weltkrieg war er am lastet und dadurch standen ihnen alle Mög- Arbeitsplatz unabkömmlich " reklamiert " lichkeiten offen. Aber die Grundeinstellung blieb. (sieh Filbinger)

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Die gestohlene Jugend

Nur wer registriert war, nachweißlich arbei- Hinterrad unterlegen oder die durchgefahre- tete, krankgeschrieben war oder den Haus- nen Stellen mit einem noch brauchbaren halt führte und Kinder zu versorgen hatte, Stück überdecken. Ich half mir, indem ich bekam Lebensmittelmarken. Kriegsversehr- einen zweiten Mantel mit den schlechten Stel- ten oblag die Verwaltung und Verteilung de- len versetzt, zum ersten aufmontierte. Unsere rer. Berg-, Hütten- und Bauarbeiter bekamen Kartoffeln hatten wir selbst angebaut und Schwerstarbeiter Zusatzkarten. Geld war zwei Ziegen standen noch im Stall. Zudem nichts mehr wert und für Geld bekam man half uns der Gemüsegarten über die Schlechte nichts, denn jeder hatte genug in der Tasche. Zeit. Eine Ziege hatten wir ja schon geschlach- Meine mühsam ersparten 200 Reichsmark, tet, weil ich stark unterernährt aus der Ge- ein ganzer Monatslohn, welche ich während fangenschaft kam. Noch heute bin ich meinen meiner Lehrzeit ansparte, hatte ich schon als Eltern dafür sehr dankbar. Jetzt beim Schrei- Arbeitsmann 1943 bis hin zu Währungsre- ben kommen mir die Tränen, obwohl das form 1948 als eiserne Reserve. Daraus lässt schon über 65 Jahre her ist. Als Brennmateri- sich doch vermuten, dass ich immer genug al hatten wir nur den Wald als Brennholz hatte um über die Runden zu kommen. Ich Lieferant. Jeder der konnte und über einen rauchte und trank nicht. Zudem zahlte ich Handwagen verfügte, fuhr in die Geilbach, Kostgeld, hielt die ebenfalls sparsame Freun- zersägte einen Baum oder einen Ast und din bei Tanz und Kino aus. Es gab ja auch nur brachte so Brennholz nach Hause. Holzproto- Fliegerbier. Das war Dünnbier, etwas schäu- kolle wurden in Kauf genommen, weil es mend und süßlich schmeckend. Ernst, Mariel- nicht so schlimm war wie zu frieren oder le und ich machten den gleichen Tanzkurs. nichts kochen zu können. Die Not war zu groß Für den Abschlussball, Ohne neue Kleider und wertloses Geld hatte jeder. Holz stehlen, besuchten wir ihn, denn nur für die allernö- gab es für uns nicht. Ich entsinne mich, dass tigsten Kleider und Schuhe gab es einen Be- Vater beim Kuseler Waldhüter die Erlaubnis zugsschein. Die Geschäftsleute schafften sich erhielt, den Wurzelstock einer gefällten Tan- da etwas Luft. Sie konnten beim Bauern dafür ne in der Schwindelbach direkt an dem stei- Lebensmittel bekommen oder legten ein La- len Weg nach Blaubach unterhalb dem Wind- ger an um die Ware zu horten und später für hof ausgraben zu dürfen. Das war Schwerst- gutes Geld zu verkaufen. Wirklich alles wurde arbeit für Vater, Ernst und mich. Mit unserem gegen Lebensmittel getauscht. Meine hand- schweren zweirädrigen Handwagen, die Rä- werkliche Geschicklichkeit war damals viel der vom Vorderpflug unseres Kuhgespanns, wert. So fertigte ich aus Stacheldraht und beladen mit Werkzeug und Proviant, kamen anderen verzinkten Abfalldrähten, die unser wir nach einer knappen Stunde an. Zurück Vater zum Schrottpreis bei unserem Arbeit- kamen wir beim Anbruch der Dunkelheit. geber kaufen konnte, Maulkörbe für Kuhge- Müde aber mit einem schwer beladenen Wa- spanne der Kleinbauern. Damit hausierten gen mit gutem Brennholz. Nächsten Tags hol- wir im Umkreis per Rad bis ins Lautertal oder ten wir dann den Rest, etwas weniger, aber im Glantal um Mehl, Weizen, Gerste doch noch eine gute Ladung. Damals habe ich oder Butter zu bekommen. Zum mahlen des mir vorgenommen niemals mehr einen so Getreides diente uns das Mahlwerk einer Kaf- großen Wurzelstock auszugraben und ich feemühle, mit Antrieb 1:10 der Milchzentrifu- habe es gehalten. ge mit Handkurbel. Da brauchte man or- dentlich Kraft. Zum Problem wurde die Fahr- Der gesamten Menschheit wünsche ich, dass radbereifung. Die Schläuche konnte man im- niemals wieder jemand durch die Machtgier mer wieder flicken. Die Mäntel konnte man einzelner, so wie damals die Nazis, in ein der- wegen der Handbremse, welche am Vorder- artiges Elend gebracht wird. rad von oben auf den Reifen drückte, nur am

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Wie ich den Wiederaufbau erlebte

Im Dezember 1948 verlor ich meinen Ar- Krieg mit geringen Schäden überstanden. Sie beitsplatz in der Schlosserei Kuhn in Kusel, war vollkommen leergeräumt. Die Häuserrei- weil der Sohn, Meister und neuer Geschäfts- he zur Neudorferstraße war nur noch zu 1/4 führer, aus russischer Gefangenschaft heim- bewohnbar. Ein Zweigeschossiges Büroge- gekehrt war. In erreichbarer Nähe gab es kei- bäude, Portierhaus mit einer Wohnung dar- ne ausreichend bezahlte Arbeit für mich. Da- über sowie die Kantine mit WC und Wasch- gegen bestand die Möglichkeit im Saarland, raum im Keller, alles aus roten Backsteinen, was wir durch Verwandte wussten. Da, war war großenteils erhalten. Die Talseite war der Wiederaufbau schon im Gange. Nach von den Bahnanschlussgeleisen und einem Briefkontakt wegen vorläufiger Unterkunft, festen Zaun zur Fennerstraße begrenzt. Da- fuhr ich nach Saarbrücken zur Arbeitssuche. zwischen bis zu 5m hohe Trümmer. Umge- Dazu brauchte ich für die einmalige Ein- und stürzte Backsteinwände, herausragende Be- Ausreise eine Bescheinigung des Kuseler Ar- tonfundamente, Eisenträger, halb verkohlte beitsamtes. Tatsächlich waren die Arbeits- Holzbalken und Bretter, Ziegelreste und Eis- möglichkeiten dort viel besser als bei uns in enteile lagen umher. Das war alles was da- der Westpfalz. Bei der Tante meiner Frau in mals von zerbombten Städten und Industrie- Altenkessel, deren Sohn Paul gefallen war, standorten Deutschlands übrig war. kam ich unter. Am ersten Tag in der Früh lief ich zur Straßenbahn nach Roggershausen und Zuerst musste aufgeräumt, abgerissen und fuhr zum Bahnhof in Duttweiler, wo es laut eingeebnet werden. Maschinen standen nicht meinem Onkel Arbeit geben soll. Ich brauchte zur Verfügung, nur Strom war da. Alles war Geld und zwar Franken weil ich ja dort leben Handarbeit mit Schaufel, Pickel, Hammer und musste. In meinem Beruf gab es nichts, also Meißel sowie Schubkarre. Als erstes konnte musste ich annehmen was es gab. Nur einen ein Schneidbrenner, eine Esse (Schmiedefeu- Tag habe ich 50kg Zementsäcke aus dem er) und Ambos besorgt werden. Das war dann Waggon auf den LKW verladen. Das war abso- auch schon meine Arbeitsstelle. In einer Mau- lut nichts für mich. Für eine derart körperlich erecke, abgedeckt mit Wellblech, schärfte ich schwere und stupide Arbeit hätte ich keinen die Werkzeuge der Kollegen, zerschnitt Trä- Beruf zu erlernen brauchen. Wie das im Saar- ger, Rohre, Betoneisen und Fundament- land üblich ist, kennt ein Bekannter einen der schrauben. Weil größere Betonfundamente einen kennt der weiß, wie für in meinem Fall, abzubrechen waren, bekamen wir auch einen wo es Arbeit gibt. So erfuhr ich, dass einer der Kompressor. Der Schutt wurde von Hand auf in der Pfalz Betriebsleiter war, Leute einstellt, LKWs geschaufelt und abgefahren. Ein hoher um einen Betrieb zu gründen. Sofort suchte fast unversehrter Industrieschornstein wurde ich diesen Mann und fand Herrn Ecke. So ein gesprengt und ebenfalls weggebracht. Diese Zufall, denn er war lange Jahre der Vorgesetz- Steine, die ja segmentförmig sind, waren für te meines Vaters bei Schleip in Altenglan, wo den Wohnungsbau willkommen. Man kann sie ich kurz nach seinem Weggang meine Lehre nur paarweise vermauern und es gab dafür begann. Er nahm mich gern. Schon am nächs- Spezialisten. Als eine Teilfläche eingeebnet ten Tag begann ich meine Arbeit bei ihm und war, bekamen wir die Pläne für den Hallen- ich hatte sofort einen Stein im Brett wie man bau. Mauerer und Bauschlosser wurden ein- so sagt. Übrigens, was ich nicht erwartet hät- gestellt. Breitflanschträger, Stahlplatten, T- te, 10 Jahre später hatte ich seinen ehemali- Eisen und Rundeisen wurde abgeladen. Mit gen Posten in Altenglan. Hans Schuh, ein neu eingestellter Bauschlos- ser, der später mein Freund wurde, habe ich Auf einem Trümmerfeld von der Größe von zusammen die Biegevorrichtung für das etwa drei bis vier Fußballfeldern, am Rande Rundeisen der Dachbinder gemacht. Wir ha- der Großstadt, auf dem Gelände des ehemali- ben zusammen die Biegestelle eingerichtet gen Gussstahlwerkes der Burbacher Hütte, und die Schweißschablone ausprobiert. Jetzt soll eine neue Fabrik zur Drahtverarbeitung begann die Serienanfertigung der Dachbin- gebaut werden. Die alte große Kranhalle, die der. Unterdessen war der Platz für die erste Begrenzung in Richtung Völklingen, etwa „Sägedach-Halle“ eingemessen und die Fun- 80m lang, 40m breit und 20m hoch, hatte den damente für die Hallenpfosten gegossen. Die

Seite 30 großen Querträger wurden fertig zugeschnit- Herausforderungen bereit. Dann kam der ten angeliefert und die Außenwände aus Waggonschieber. Er war gebraucht und leicht grauweisen Kalksandbacksteinen hochgezo- beschädigt ohne Gebrauchsanweisung, nie- gen. Zum Aufrichten der Hallenpfosten und mand kannte sowas oder hatte es gesehen. hochziehen der Dachbinder wurden ganz Ein kugelförmiges Ding mit zwei Griffen Hart- einfache „Stande bäume“ benutzt. Das war gummirad und Spindel. Im Zentrum ein Zwei- jeweils eine kräftige Holzstange mit Flaschen- taktmotor. Das Hartgummirad wurde auf eine zug oben welche an mindestens drei Hanfsei- Schiene gesetzt, der Motor angeworfen, die len im Umkreis von etwa 10m an Holzpflöcke Kupplung kommen lassen und schon näherte gebunden wurde, die in die Erde getrieben sich der Apparat dem Waggonpuffer. Zweck- wurden. Zum Aufrichten waren meist fünf mäßiger weise wurde vorher ein Hemmschuh Mann nötig. Alles wurde mit Muskelkraft be- auf der anderen Schiene untergelegt und die wältigt. Inzwischen wurden zwei, durch das Waggonbremse geöffnet. Jetzt bleibt nur noch Saarhochwasser in der Heidukstraße, ge- die richtige Höhe der Spindel einzustellen. schädigte Doppelspiral-Viereck-Draht- Nicht zu hoch, dass das Rad rutscht und nicht Flechtautomaten angeliefert. Das waren die zu tief, dass der Waggon angehoben wird. Mit ersten Maschinen für die im Bau befindliche der Kupplung ab- und zugeben und am Puffer Halle. In der ehemaligen Kantine haben wir ansetzen. Je nach Gas kommt der Wagen zum für mich und einen weiteren Maschinenbau- Rollen. Für derartige Tätigkeiten habe ich erkollegen eine provisorische Werkstatt ein- geringer bezahlte Kollegen eigearbeitet, ob- gerichtet. Dort haben wir die beiden Maschi- wohl ich derartiges vorher noch nie gesehen, nen zusammen mit einem Lehrling, aus dem geschweige denn gemacht hatte. Genauso das zweiten Lehrjahr, nacheinander total ausei- Fahren des alten 40 Tonnen Krans in der nander genommen, gereinigt, neu gestrichen, großen Halle und den ersten Elektrogabel- alles gangbar gemacht, wieder zusammenge- stapler der Firma. Um die Bremsen des Letz- setzt und ausprobiert. teren zu reparieren musste ich einmal mehr als 24 Stunden am Stück arbeiten. Man sah Ein anderer alter Gebäudeteil von rund dass es ohne Stapler nicht mehr ging und 150qm, neu bedacht, wurde jetzt auch meine kaufte einen zweiten, aber Diesel getriebenen neu Werkstatt mit Drehbank, Bohrmaschine, für 1,5 Tonnen. Anstatt der Gabeln hatte ich Langhobelbank, Bohr-Werk, Fräsmaschine einen Dorn (Rohr) von gut 1m Länge, was und Zahnradfräsmaschine. Diese Maschinen sich für den Transport unserer Drahtringe waren, weil wir den Krieg verloren hatten, besser eignete, konstruiert und gebaut. In- irgendwo in Deutschland als Reparationsgut zwischen begann außer der Weiterentwick- von den Franzosen Beschlagnahmt worden lung der Maschinen für die Produktion im und standen in einem Lager bei Straßburg eigenen Konzern, für die ich allein zuständig zum Verkauf in französischen Franken. Also war, der Bau von Einzelmaschinen und Klein- auch für Saarländer. Die Geleisanlage sollte serien. So bauten wir acht Webstühle zur wieder benutzt werden. Dafür musste die Herstellung von Sieben aus Feindrahtigem Schranke an der Jakobsstraße wieder funkti- Edelmetallgewebe für Argentinien. Ich stand onsfähig und bedienbar sein. Der Becker hat´s an der Langhobelmaschine und am Groß- gemacht. Eine weitere Halle für die Verzinke- bohrwerk. Zwischendurch gelang mir die rei, mit den entsprechenden Fundamenten, Optimierung einer Bügelmaschine für Sechs- wurde fertig. Mir wurden zwei neu eingestell- eck-Maschendrahtzaun, sodass nur noch et- te Leute, die schon einmal in einer Verzinke- was mehr als die Hälfte an Schiffsraum nach rei gearbeitet hatten, zugeteilt. Mit den bei- Argentinien gebraucht wurde. Eine den habe ich nach den Plänen, der fertig gelie- Drahtschrott Wickelmaschine Marke BECKER ferten Schmelzwanne und dem Material, den folgte. Zuletzt bauten wir zwei Sechseck- Gasofen um die Wanne gebaut. Die gesamte Maschendraht-Flechtmaschinen, drei schnelle Anlage zum Verzinken von Sechseck- Rohrverseilmaschinen für Drahtseillitzen und Maschendrahtzaun bis 2m Breite wurde von eine große Korbverseilmaschine mit Rück- uns dreien bis zur Betriebsbereitschaft ge- drehung für Grubenseile unterm 40 Tonnen bracht. Die zwei Männer hatten nun ihren Kran, der damals aus Sicherheitsgründen auf ständigen Arbeitsplatz und ich stand für neue 25 Tonnen begrenzt wurde.

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„Es Anni, mei erschd Fraa“

In Blaubach bekannt als Embe Anna. Amtlich sie und ihre ein Jahr ältere Schwester so gut Anna Schultheiß, dann Anna Becker. Sie ist es ging deren Aufgaben in Küche, Haushalt die jüngste auf dem Bild von Embe Haus, von und Landwirtschaft übernehmen. Zuerst ver- 1926. starb der Großvater am 31.08.1936 und 5 Monate später am 09.02.1937 auch die Mut- Von sich selbst erzählte sie: Ich war ein rich- ter, nach einer Magenkrebsoperation. Der tig dreckiges Kind, weil ich am liebsten im letzte Halt gab die Oma. Sie zeigte jedoch An- Matsch und Dreck gespielt habe. Der Blau- zeichen von Demenz, die sich schnell ver- bach war noch nicht ganz verrohrt, noch gro- schlimmerte. Alles hing am Vater. Die Töchter ße Teile im Ortsbereich waren offen. Da mussten sich zusammenraufen, ihre Rollen konnte man so schön spielen. Der Straßenbau finden und ganz schnell selbständig werden. und Bachverrohrung dauerte bis 1939. Wenn Im April 1938 kam Elsbeth nach der 7. Klasse, die Abendglocke läutete, mussten wir sofort mit 13 Jahren aus der Schule und war sofort nach Hause. Einmal haben wir "Mollekeb", im elterlichen Haushalt voll beschäftigt. Anni das sind Kaulquappen, gefangen. "Wer die wurde erst im April 1940 entlassen, weil sie meischde kriet? Ich hanse eefach in de die 8. Klasse in Kusel machte. Danach wurde Schertzesack geteckt unn wies gelet hat dab- sie Kindermädchen bei einer Familie Peitz in ber met häm genomm". (Wer die meisten Blaubach. Schon Ende Juni 1940, als Elsbeth fängt? Ich habe sie einfach in die Schürzenta- in einem Haushalt in Neustadt Arbeit an- sche gesteckt und als es läutete schnell mit nahm, löste Anni sie daheim bis zur Wieder- nach Hause genommen, um sie später zu zäh- verheiratung des Vaters ab. Nun wurde sie len). Die Blaubacher Schule hatte 7 Klassen zuhause nicht mehr gebraucht und ging der und einen Lehrer. Die guten Schüler der obe- Stiefmutter nach Möglichkeit aus dem Weg. ren Klassen halfen mit und beaufsichtigten Obwohl diese sich wahrscheinlich alle Mühe die unteren Klassen. Als sie 9 Jahre alt war gab und es gut meinte. Mit den zwei noch und ihre Mutter schwer krank wurde, musste fremden, schon halbwegs selbständigen Mäd-

Seite 32 chen in diesem schwierigen Alter umzugehen, erste Klasse. Hans war auf Fahrt immer zwi- war ja auch nicht einfach. Dazu kam noch, schen Passau und Schwarzem-Meer mit ei- dass ihr Neffe und Pflegesohn der im gleichen nem solchen schweren Schubschiffverbund. Alter war, sich von ihr noch nicht „abgena- Als wir sie später mit einem "ausgewachse- belt“ hatte. Er lebte bei seinem Vater in Ulmet nen" Auto besuchten, lernten wir auch Hans und lernte bei Ihm Metzger. Ernst stand bei kennen und machten mit ihm gemeinsam ihr lebenslang an erster Stelle, das kann ich kleinere Touren. Als beide für einen Urlaub jetzt, nach mehr als 30 Jahren, am besten be- mit der Bahn bei uns waren, übernachteten urteilen. sie im Häuschen auf eigenen Wunsch. Dort entstand noch ein schönes gemeinsames Bild Mitte Februar 1941 folgte Anni ihrer Cousine am Klapptisch vor dem Fenster. Weil Hans Lina Ahr (Liane) "Altekesseler Lina" nach den Rhein, im Vergleich zur Donau, genauer Berlin. Diese arbeitete dort als Kranken- sehen wollte, nahmen wir die Gelegenheit schwester, war mit einem Soldaten verlobt war und fuhren mit dem Bus des Blaubacher und schwanger. Sie wollte Anni von der Bahn SPD Ortsvereins zu einer Wahlveranstaltung abholen und ihr eine Stelle besorgen. Lina in die Mainzer Rheingoldhalle. Diese liegt war dienstlich verhindert und Anni stand direkt am Rheinufer. Hans war sehr erstaunt allein auf dem Anhalter dem damaligen über den Unterschied der beiden Flüsse und Hauptbahnhof in Berlin. Zum Glück war sie, deren Schifffahrt. Er wurde Frührentner we- "nicht auf den Mund gefallen" und kam sogar gen einer Magenerkrankung und verstarb mit den "Berliner Schnauzen zurecht". Sie schon vor einigen Jahren. Heidi und ich mach- fragte sich durch und fand Lina an ihrem Ar- ten 2007 eine von mir organisierte Städterei- beitsplatz im Krankenhaus. Vom 15.02. bis se mit der Bahn. Wir blieben drei Tage in Re- 11.08.1941 war sie als Haushalthilfe, Kin- gensburg, übernachteten in einem Hotel und dermädchen, Verkäuferin und Warenausliefe- besuchten Christel, um sie einander vorzu- rin in der Bäckerei und Konditorei Werner stellen. Beide mögen sich und wir schreiben Helbig, Berlin O 17 Caprivistraße 14, tätig. Mit weiter. dem Fahrrad lieferte sie die Schrippen und Knüppel, wie der Berliner seine Brötchen Aus ihrer Berliner Zeit erzählte Anni vom nennt, in aller Frühe an die Türen der Kun- Strandbad Wannsee, wo sie mit den Kindern den. Auch der Metzger, ein paar Türen weiter, Helbig badete. Bei unserem Besuch vom war Kunde. Als dessen Hausmädchen an der 24.06. bis 01.07. 2008 mit Evi bei Gisela in Tür erschien, erkannte Anni sofort "die mit Berlin, führte uns Gisela zum Wannsee, wo dem Volkswagenhut" und der altbackenen wir eine Schifffahrt machten. Wir fuhren mit Kleidung, die ihr am Bahnhof schon aufgefal- Öffentlichen Verkehrsmitteln, wofür wir eine len war. Es war Christel, eine auch nicht auf Wochenkarte gekauft hatten. Am Wannsee ihr bayrisches Mundwerk gefallene gleichalt- habe ich meine beiden Nichten, die Töchter rige. Sie wurden dicke Freundinnen und die meiner Schwester daran erinnert, dass ihre Freundschaft dauert immer noch an. Sie Tante Anni 1941 schon hier war. Mit Elsbeth, schrieben sich und hielten sich gegenseitig Kurt und Anni zusammen war ich zur DDR auf dem Laufenden. Christel kam aus Neukir- Zeit mit dem SPD Bus in West-Berlin, mit der chen am Inn aus ähnlichen Verhältnissen wie Absicht Annis ehemalige Adresse zu suchen. Anni. Ihre Schwester war die Frau des Metz- Für mich war es das dritte Mal, aber die gers in Berlin. Christel heiratete Hans Böhm, Grenzkontrollen bei der Einreiße nach Ost- einen Schiffer der selten zu Hause war, aber Berlin waren jedes Mal ein Abenteuer. Ich sich bis zuletzt vor seiner Pensionierung zum war schon zweimal vorher dort, zum Treffen Donau- Dampfschifffahrts- Kapitän beim Bay- mit den Presbytern der Partnerkirche Dessau rischen-Loyd empor gearbeitet hatte. Sie zo- in Ost-Berlin. Wir fanden tatsächlich die Ein- gen in eine Dienstwohnung und bekamen vier gangstür hinter einem Maschendrahtzaun Kinder. Als wir unser erstes Auto den Goggo und einem Schuttberg, also eine Bombenrui- 300 hatten, besuchten wir sie in Regensburg ne wie auch die Metzgerei von Christels gegenüber der Feuerwehr, in der damals noch Schwester. Von der wir wussten, dass sie in- nicht ausgebauten Grefelingerstraße Nr. 36, zwischen verstorben war. Ein auskunftsberei- in ihrer kleinen Werkswohnung. Christel lebt ter Nachbar im Rentenalter hat beide Fami- dort heute noch alleine. Wenn ich mich richtig lien wohl gekannt, aber über denen verbleib entsinne, war damals die jüngste noch nicht wusste er nichts. geboren, jedenfalls ging Heinz gerade in die

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Warum Anni die Stelle in Berlin aufgab, ist verkauften. Sie wollten im Wartegau Ansässig mir nicht bekannt. Entweder sie hatte Heim- werden. Kurt war Soldat und Liane (Lina Ahr) weh oder es hing mit Linas Männerbekannt- nach Kriegstrauung und Geburt des Sohnes schaften zusammen. Jedenfalls ist da auch in gleichen Vornamens wie sein Vater, Frau ihrem Rentenversicherungsverlauf eine Lü- Kudwin. Sie leitete das Geschäft und Anni cke. Laut Arbeitsbuch des deutschen Reiches ging ihr zur Hand. (Linas Reiner und Liane und Meldebuch Seite 50, trat sie anschließend Jun. haben andere Väter.) eine von ihrer Schwester vermittelte Stelle als Hausgehilfin in der Bäckerei und Konditorei Anni erzählte: Ein alter Mann, mit Mütze, „Geschwister Kraus“ in Neustadt an der stand vor unserem Schaufenster als ein Trupp Weinstraße, Friedrichsstraße 15, an. An dem Hitlerjugend mit der Hakenkreuzfahne vor- ungewöhnlichen Verhalten des Chefs bemerk- beimarschierte. Ein übereifriger HJ-Schnösel te sie als 16 jährige, das er schwul war, was löste sich aus der Gruppe und schlug dem damals strafbar war. Ihrer Erzählung nach, alten Mann die Mütze vom Kopf, weil doch bekam sie durch Fürsprache ihres Naziver- laut Führerbefehl die Fahne gegrüßt werden wanden und Bürgermeister von Kaiserslau- muss. Sie hat dem Mann die Mütze aufgeho- tern, Richard Imbt, nach einer bestandenen ben und in die Hand gegeben. Daraufhin habe Aufnahmeprüfung einen Studienplatz bei der der HJ-Schnösel sie angeschrien, dass sie als Frauenfachschule. Wirtschaftsleiterin oder Reichsdeutsche doch ein Vorbild sein müsse. Diätassistentin war damals ihr Berufsziel. Sie War sie das? Wie beurteilt man das heute? fuhr jetzt täglich im gleichen Zug wie meine Folgen daraus entstanden zum Glück nicht. Schwester, auch Werner Bach, der später Robbys Lehrer und danach Bürgermeister in Liane wusste durch ihre neue Offizier Be- Kusel war und andere zum Studium nach kanntschaft, dass die Ostfront immer näher Kaiserslautern. Lehrerbildung und Frauen- auf sie zu rückte. Darum schickte Sie Anni fachschule befanden sich im gleichen Haus. nach Hause. Das war noch gerade rechtzeitig, Die Unterkünfte der Mädchen im Haus ne- wodurch ihr dieser schreckliche Rückzug benan wurde von Marielle und Anni zeitweise erspart blieb. Die ersten Folgen bekam sie wahrscheinlich auch gleichzeitig genutzt. jedoch noch mit, weil der Bahnhof Dresden Zeitweise logierte sie auch im Haus der Stief- verstopft war und ihr Zug darum auf freier mutter in Altenglan. Darüber erzählte sie: Ich Strecke mehr als 12 Stunden warten musste. kochte mir einen Kopf Weißkraut und aß drei Tage "Schlappekraut" Das schmeckte mir Tag Während der Kriegswirren war sie daheim für Tag, aufgewärmt immer besser, je brauner und begann am 09.04.1945 als Hausgehilfin es wurde. Aufwärmen, das bedeutete damals bei Maschinen-Gilcher in Kusel, für ein Jahr. Feuerholz herbei holen und Küchenherd an- Die Möglichkeit an Naturalien zu kommen heizen, es gab ja keine Elektro- oder Gasherde war für eine Landmaschinen-Handels und auf den Dörfern. Außerdem war sie da ja mut- Reparatur Firma damals ja bestens. terseelenallein und ihr bliebt nur zweimal täglich je eine halbe Stunde Fußmarsch er- Bis August 1948 war sie tätig als Erntehelfe- spart. Schule und Heim wurden zerbombt rin in Bedesbach und Blaubach. Zudem war und Anni ging von April bis Oktober 1943 als sie als Krankenpflegerin in Theißbergstgen Küchenpraktikantin, da das beim Studium und zwei verschiedenen Haushalten in Kusel. angerechnet werden sollte, zur Klinischen Universitätsanstalt Ludolf-Krel in Heidelberg. An Fasnacht 1947, in der Turnhalle Kusel, sah Am 24.01.1944 wurde die Frauenfachschule ich sie zum ersten Mal. Nur vom Hörensagen an anderer Stelle wiedereröffnet und am war sie mir bekannt als "em glaner Tilche sei 24.03.1944 wegen Belegung durch die Stieftochter vun Bläbach". Sie trug einen wei- Wehrmacht geschlossen. Durch Meldebuch, ten Rock aus grüngrauem Militärstoff mit Arbeitsbuch und Postsparbuch ist belegt dass rundum aufgestickten Margeriten und eine sie vom 10.02.1944 bis 23.01.1945 als Ver- weiße Leinenbluse. Sie hinterließ bei mir käuferin in der Buchhandlung von Kurt Kud- nach zwei oder drei Tänzen, in dem damals win in Grätz im Wartegau (Polen) in der Bu- bei derartigen Gelegenheiten nach heutigen cherstraße 11 tätig war. Kudwin war der Begriffen hoffnungslos überfüllten Sälen den Mann ihrer Cousine Liane aus Altenkessel. Gedanken: Die muss ich näher kennenlernen. Seine Familie stammte aus Riga und besaß Ich arbeitete in Kusel, sie in Theißbergstegen. dort eine Druckerei und Buchhandlung die sie Den Zug mit dem ich nach Kusel fuhr, nahm

Seite 34 sie auf der Rückfahrt. Wir begegneten uns heimkehrern. Irgendwann damals wechselte täglich in Höhe der Post in der Bahnhofstra- ich dann Kino und Freundin. Die Mutter mei- ße. Sie kam vom gut 1/2 stündigen Marsch nes Kameraden Walter aus der Kriegsgefan- von Blaubach. Meist abgehetzt und in großen genschaft, war Näherin und hatte Elsa als Schritten mit umgehängter Tasche mir auf Leermädchen. Sie gefiel mir gut und ich hatte der anderen Straßenseite entgegen. Außer angebandelt. Ihr Vater war der Mühlbacher freundlichem grüßen, war da wochenlang Tüncher und sie hatte noch vier oder fünf nichts möglich. Selbstverständlich habe ich Geschwister. Länger als ein Jahr dauerte un- mich nach ihr erkundigt und nur gutes erfah- sere Freundschaft, aber als ich Anni dann ren. Sie pflegte eine bettlägerige Frau, kochte näher kannte und vergleichen konnte wurde für deren Mann und dessen Sohn. Sie brachte mir klar, sie war nichts für mich. Elsa war zu deren Essen in den Steinbruch und versah jung, kindlich und ein Mädchen geblieben, den Haushalt. Wer das Schafft, ist eine fleißige eben einfach unreif und unberührt. Sie tat mir und gut planende Hausfrau. Aus dieser Sicht, ja echt Leid als ich ihr die Tatsachen offenba- etwas für mich. Mein damaliger Lehrling war ren musste und ich weiß sie litt sehr, ich war Egon Creuz aus Blaubach. Durch ihn wusste immerhin schon 23. Anni dagegen war Haus- ich, dass die Blaubacher Jugend Samstag- halt erfahren, Welt und Wort gewandt sowie abend meist geschlossen nach Kusel ins Kino sehr Unternehmungslustig und hatte sehr ging. Ich ging gewöhnlich mit meiner Freun- viele Bekannte. Sie hatte leider auch die An- din Elsa Schmitt aus Mühlbach ins Altengla- gewohnheit, mit jedem zu Schäkern und das ner Kino. Die Kinos waren damals bei der gefiel mir nicht an Ihr. Meine Überzeugung 20:00 Uhr Vorstellung immer proppenvoll war, die wird mit jeder Situation fertig. Nur und es gab nur die Eine, denn ab 23:00 Uhr das Flirten muss sie lassen, dann würde ich war Ausgangssperre in der Fransösischen sie nehmen. Tatsächlich kamen wir an Weih- Zone. Das reichte gerade um die Mädels noch nachten überein, wenn es dir gelingt bis Os- ohne Umweg nach Hause zu begleiten. Der tern keinem anderen schöne Augen zu ma- eigene Heimweg war dann "verboten“ also chen ist an Pfingsten Verlobung und wir kön- ungesetzlich. Man durfte sich nicht erwischen nen im Spätherbst heiraten. Ihren und mei- lassen. Streifen zu Fuß gab es nur in der Stadt nen Eltern war das sofort Recht. Zumal mei- und unsere Besatzer hatten sehr viel weniger ner Mutter, die ja sowieso die Sprecherin war, Autos als die Amerikaner. Gelegentlich gab es Anni sympathischer war als Elsa. auch Schlägereien zwischen Streife und Spät-

Mein Freund Hans Schuh

Er war, "Dischtlesch Hans aus de Eng-Gass" in Trümmerhaufen sitzend mit Kopftuch, Wolfstein geboren, bei der Großmutter auf- Schutzbrille und Backsteinhammer beim gewachsen, ein halbes Jahr älter als ich und Steine putzen, traf ich Melitta zum ersten Mal. hatte Bauschlosser gelernt. Während des Das war damals die Arbeit der Nachkriegs- Kriegs lebte er in Berlin, arbeitete in einer frauen. Die Tochter "Mariönchen" wie sie die Panzerfabrik und wurde darum nicht Soldat. streng aufs Hochdeutsch achtende Omi nann- In seiner Freizeit war er Kulissenschieber in te, war ein Schulmädchen und Holger war einem Berliner Theater und lernte da seine noch ganz klein. Wir waren Arbeitskammer- Frau Melitta, eine Tänzerin, kennen. Sie hatte aden. Als dann der jüngste Sohn unseres Be- die Mutti, eine Lehrerswitwe aus Lotringen, triebsleiters, Dieter Ecke, die Meisterprüfung immer dabei. Wegen seiner Berliner Schnau- machte sagte ich mir, was der kann, kann ich ze nannten wir ihn "de Ike". Damals wohnten auch. Ich wurde darin von Anni unterstützt alle in einem teilzerbombten und notdürftig und von meiner Familie sowieso. Ich be- wiederhergestellten Mehrfamilienhaus der sprach es mit Hans. Der dachte ähnlich und Mutter von Hans, in Burbach. Sie war eine wir begannen zusammen die Vorbereitenden kräftige, sehr robuste und selbstbewusste Abendkurse bei der Handwerkskammer. Ein- Frau. Über seinen Vater redete er nie. Er lebte fach war es nicht immer, aber gemeinsam offenbar nicht mehr. Dort im Hof auf einem hielten wir durch. Hans bestand den theoreti-

Seite 35 schen Teil erst im zweiten Durchgang. Seine Redegewandtheit und sein wohl angeborener Kurz nachdem Anni ebenfalls verstorben war Wagemut sowie auch Glück kamen Ihm zugu- saß ich gerade bei gutem Wetter alleine im te. Er pachtete in der Nähe des Volkshauses in Hof, als Hans mit einer Reisegesellschaft im Burbach eine Schlosserei, machte gute Ge- Reweschnier halt machte und bei mir Plötz- schäfte. Später hauptsächlich mit der Auto- lich im Hof stand. Er machte mir Vorwürfe, bahnmeisterei. In Altenkessel baute er ein weil wir Melitta nicht besuchten als sie krank Haus für die Tochter und in Güdingen eine war. Ich konnte als Entschuldigung nur vor- schöne Villa für sich und den Sohn. Da haben bringen, dass wir auch mit uns zu tun hatten wir ihn noch drei Mal besucht. Als Anni Krebs und es tat uns beiden Leid. bekam und wir mit Roby zu tun hatten brach der rege Kontakt ab. Melitta bekam ebenfalls Inzwischen habe ich erfahren dass er eben- Krebs und verstarb ein Jahr nach ihrer Mutti. falls verstorben ist.

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Saarbrücken

Anfang 1949 bekam ich aussichtsreiche Ar- Grenzgänger Pass, welcher zwar beantragt beit beim Wiederaufbau einer Fabrik in Saar- war aber lange auf sich warten ließ, und so- brücken. Die Firma wechselte mehrfach ihren mit die lange Trennung von der Frau mussten Namen, zuletzt hieß sie SAAMAG. Die nur wir anfangs in Kauf nehmen. selten möglichen Grenzübertritte ohne

Der damals teils sehr schwierige Umtausch Hund. WC und Waschraum waren 100 Meter meines Lohnes von Franken in DM erschwer- entfernt. Anni gab mir für zwei Tage Essen te sie Situation zudem sehr. 1950 erbte Anni, zum Wärmen mit, ansonsten aß ich kalt, meine erste Frau, ihr Elternhaus und ich hatte kochte selbst etwas oder ging in die Kantine den abgelichteten Ausweis als Grenz- der Eisenbahn. 1952 kam Anni nach und wir Übertritts-Papier. Für den Frankentausch in wohnten endlich zusammen in Altenkessel DM, kam uns ein Zufall zur Hilfe. Die Mutter bei Bekannten der Tante. Wir hatten zwei eines Arbeitskameraden stammte aus Bedes- möblierte Zimmer mit eigenem Herd, Wasser- bach, hatte dort Äcker und Wiesen geerbt und Zu- und Ablauf und WC nebenan. Jetzt verkaufte diese für DM. Die Leute waren mei- brauchte ich ein Fahrrad, weil ich immer eine ner Stief-Schwiegermutter, Mathilde wie wir gute halbe Stunde zu Fuß zwischen Arbeits- sie heute nennen, bekannt. So blieben meine platz und Wohnung unterwegs war. In Blau- Franken im Saarland und Anni holte die DM bach stand mein Rad, dass ich mir mit viel in Bedesbach ab. Jetzt konnte ich im Wechsel Mühe aus Schrott und neuen Ersatzteilen (z.B. jeden Freitag-oder Samstagnachmittag nach neue Speichen) zusammengebaut hatte. Da- Hause fahren. Sonntagnachts um 3:00 Uhr mals fuhr ich die Strecke Blaubach nach Al- musste ich wieder ab Bahnhof Diedelkopf zur tenkessel zum ersten Mal mit dem Rad. 1953 Arbeit um 6:15 Uhr in Burbach fahren. Die 15 war dann die schon lange versprochene Minuten später, waren bei täglich 2 Über- Werkswohnung endlich fertig und wir zogen stunden genehmigt. Inzwischen hatten wir mit unseren von Blaubach mitgebrachten uns im alten Haus eine passable Wohnung Möbeln ein. Das hatte den Nachteil, dass man eingerichtet. Über die Woche hauste und mich bei jeder Betriebsstörung, auch nachts, schlief ich allein in einem leerstehenden klei- rief. Was jede Menge Überstunden brachte. nen Raum auf dem Werksgelände. Eine Elekt- Unser Geld steckten wir in den inzwischen rokochplatte, Spind und Feldbett mit Stroh- begonnenen Umbau unseres Hauses, das die sack reichte. Alles war kostenlos, samt Weck- Schwiegereltern mit Elsbeth und Heidi be- service durch den Nachtwächter mit seinem wohnten. Wir kauften einen Roller, keine

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Vespa. Sondern einen Puch ein, Öster- Bremsenteile für LKW und andere Schwer- reichiches Fabrikat, mit um die Hälfte höhe- fahrzeuge. Ab 30. September 1982 war ich ren Rädern. Anni machte den Führerschein Arbeitslos, weil die Zweigstelle Kusel aufge- „4“. Da mein Führerschein, den ich bei der löst worden ist. Trotz vieler Bewerbungen, Motor HJ gemacht hatte, verloren ging musste meiner hohen Qualifikation und meiner 57 ich ihn auch nochmal machen. Freitags fuhren Jahre, wollte mich niemand mehr. Nach zwei wir umbauen und sonntags wieder heim nach Jahren begann die Arbeitslosenhilfe. Mit 60 Burbach. 1954 begann ich die Vorbereitung bekam ich Rente, mit Abzügen für die drei für die Meisterprüfung und gut zwei Jahre Jahre. Inzwischen war auch die kleine Abfin- später konnte ich mich Maschinenbaumeister dung fast aufgezehrt. nennen. Am 05. Mai 1955 bei der Fahrt nach Blaubach wurden wir von einem links aus Seit Jahren trafen wir uns alle 14 Tage mit der Stopp Straße kommenden Auto angefah- den Fünfundzwanzig´ern. Das waren die ren und schwer verletzt. Wir beide kamen in Schulkameraden des Geburtsjahrganges 1925 die Universitätsklinik Homburg. Anni mit von Anni aus der achten Klasse, welche sie in einer Hirnverletzung und ich als Fahrer einer Kusel machte. 1982 sind wir auch noch Mit- Hüftgelenksluxation und ein paar Schram- glied im Pfälzerwaldverein geworden. Keinen men. Ab da bekam Anni epileptische Anfälle Ausflug, kein Treffen oder Wanderung ver- und brauchte Aufsicht. Deshalb wollten wir säumten wir. Trotzdem, es fehlte noch etwas. schnell heim, nach Blaubach. Meine Cousinen Ich war einfach unterbeschäftigt und überleg- aus Kleinottweiler, insbesondere Heidi, meine te in Blaubach einen Rentnerverein zu grün- jetzige Frau, die damals in einem Friseurge- den. Am Garten hatte ich noch nie Interesse, schäft unweit der Klinik arbeitete, kümmer- das Grundstück ist für Nebenbei, Haus und ten sich rührend um uns. Sie brachten uns Hof sind in der Reihe. "Knoddeleien" Und Nachrichten und was wir sonst so brauchten. Reparaturen in der Werkstatt, machten mir Wir lagen jeder am anderen Ende eines lan- Spaß. Annis Krankheit hatte sich sehr verbes- gen Flurs, kein Telefon und anderes Personal. sert und ein oder zwei Ausflüge oder auch Zudem waren wir beide gehunfähig und Heidi Reisen waren uns jedes Jahr eigentlich schon war die einzige Verbindung. Durch sie wusste seit Ende der 50er Jahre möglich. 1957 kaufte ich, dass Anni wegen der Kopfverletzung ich auch unser erstes Auto(chen) ein Goggo- sechs Wochen bewusstlos war. Sobald ich an mobil 300ccm gebraucht für 500 DM. Damit Krücken gehen konnte, war es mir möglich waren wir öfter in Saarbrücken und Altenkes- selbst nach dem Rechten zu sehen. Aber ich sel. Mit den Schwiegereltern in Bad Godes- wurde schon bald entlassen. In Burbach er- berg und in Regensburg. Auf dem Hinweg, zur wartete ich, immer noch an Krücken gehend, Schwäbischen Alp, musste ein neuer Motor Annis Heimkehr. Sie bekam am Anfang fast für 400 DM eingebaut werden. täglich Anfälle. Das war eine schlimme Zeit, da sie sich steigernde Schmerzen hatte die Dann brach auf dem Heimweg von Saarbrü- dann in einem Krampfanfall gipfelten. Erst cken in St.Imbert die Achshalterung. Diese andere Arzneien verschafften Besserung. Sie konnte ich, dank der Hilfsbereitschafft eines brauchte jetzt jemand in der Nähe und das dortigen Schmiedes in seiner Werkstatt über war nur in Blaubach möglich. Sonntagnacht, zusammenschweißen. Bei der nächsten Reparatur tauschte ich ihn gegen Ab Januar 1957 bekam ich in meinem ehema- einen gebrauchten 600er BMW. Dieser hatte ligen Lehrbetrieb, in Altenglan die Meister- eine nach vorn zu öffnende Tür und rechts stelle. Ab 1964 dann die technische Gesamt- eine für die beiden hinteren Fahrgäste. Mit leitung, damit wurde ich Vorgesetzter meines dem waren wir unter anderem mit Hans und Lehrmeisters von 1939. Wegen Reduzierung Melitta im Dahner Felsenland, zelten. Obwohl der Produktion wurde ich 1967 entlassen. Ich ich eigentlich genug vom Zelten hatte, auf- schrieb viele Bewerbungen und nahm dann, grund der Gefangenschafft, hatte ich mich als Übergangslösung, die Stelle des Werk- überreden lassen. Das war damals groß in stattmeisters bei der Baufirma Bernd & Co in Mode gekommen. Hans war mein Arbeitskol- Kusel an. Da ich mich verbessern konnte, lege und wir hatten zusammen die Meister- kündigte ich und bekam am 01. Oktober 1970 prüfung gemacht. Sie wurden unsere Freunde bei Fulmina KG Mannheim im Zweigwerk über viele Jahre. Das Zelten missglückte kläg- Kusel, die Meisterstelle. Zwölf Jahre fertigten lich, weil Melitta vor Spinnen, Ameisen, wir dort mit etwa 50 Mann in zwei Schichten, Schlangen und wer weiß wovor noch Angst

Seite 38 bekam. Ich baute in der Nacht die vordere fünfzehn Sardinchen. Von den Damen wurden Sitzbank aus und die beiden Damen verbrach- wir drei ausgelacht. Nach acht Jahren folgte ten den Rest der Nacht im Auto. Hans und ich ein gebrauchter Ford mit der drei Personen schliefen im Zelt. Wir fuhren weiter und ver- Sitzbank vorn. Mit dem hatte ich wenig Freu- brachten noch zwei Nächte in der Jugendher- de. Eine für vier Personen im Bus gebuchte berge Triefels. Tagsüber gab’s genug zu sehen Reise zur Apfelblüte nach Südtirol wurde und es war letzten Endes doch ein schöner ganz Kurzfristig abgesagt. Abends vor der Urlaub. Ein schöner neuer BMW 700 in Lind- Abfahrt kam Herr Lauer persönlich vorbei. grün mit 4 Sitzen für 7000 DM war unser Die Koffer standen schon bereit. Obwohl mein nächster. Damit und mit Hans erstem Auto, Auto nicht ganz fit war fuhr ich mit Anni, Hei- ein Peugeot, machten wir Urlaub an der Adria di Heidrich und ihrer Freundin Liesel zur in einem Bungalow. Melitta, ihre Mutter und Apfelblüte nach Südtirol, dahin wo die ge- ihr 5 jähriger Sohn waren auch dabei. Damals buchte Reise hingen sollte. Dreimal mussten kam es zu einem Badeunfall. Melittas Mutter, wir unterwegs Kühlwasser auffüllen. Die dor- eine ältere Dame, wagte sich zu weit in die tige Ford Werkstatt konnte erst nach 4 Tagen Brandung und verlor den Halt. Anni konnte die passende Zylinderkopfdichtung einbauen. sie gerade noch herausziehen. Daraufhin be- Danach dauerte es aber noch zwei Tage bis kam sie eine Lungenentzündung und musste der Motor perfekt lief. Unsere Ausflugsziele dort ins Krankenhaus. Am Urlaubsende fuhr mussten wir in der Nähe suchen um sie meist ich mit Anni allein nachhause. Hans musste zu Fuß zu erreichen. Trotzdem hatten wir bleiben. In gleicher Besetzung erlebten wir auch da schöne Erlebnisse. Um 1973 tauschte auch die Insel Elba. Nur war noch eine Freun- ich diesen durchgerosteten Wagen gegen din von Melitta mit ihrem Mann Charli, in einen Ford Admiral. Den ich wiederum vier einem alten Renault mit total abgefahrenen Jahre fuhr. Inzwischen hatten wir Robert Reifen, dabei. Er war Franzose, geboren auf Ludwig als Pflegekind aufgenommen. Siehe Korsika. Er wollte uns Angeln lernen. Das "Robby". Ergebnis war kläglich, zu dritt fingen wir

R O B Y

1969 war ich Werkstattmeister bei der Hoch- mit. Es bestanden berechtigte Zweifel, dass er und Tiefbau Firma Bernd und Co, in Kusel. der Vater aller anderen Kinder ist. Das Achte Die Werkstatt war gleichzeitig die Einsatz- Kind, war zu der Zeit unterwegs. Heinz war zentrale der "Schwarzen". Damit waren die ein guter Kerl, zu gut. Er war mit allem zu- zehn LKW Fahrer, Baggerführer und Maschi- frieden und hat immer fleißig gearbeitet. Sie nisten gemeint, welche wegen der meist ölbe- hingegen war ein durchtriebenes, mit allen schmutzten Kleidung und Hände so genannt Wassern gewaschenes Luder. Ihr achtes und wurden. Dazu zählte sich auch ein Hilfsarbei- letztes Kind war ein Junge. Er war knapp ein ter der stundenweise nach Bedarf die Rüttel- Jahr alt, als unser Pfarrer Gscheidle einen walze, zum verdichten des Erdreichs, bedien- Paten für ein armes Kind am anderen Ende te. Wegen der damals noch schlecht gedämm- seiner Pfarrei suchte. Der Pfarrer wollte ihn ten Erschütterungen machte es sonst keiner taufen aber Frau Ludwig behauptete sich. gerne. Heinz Ludwig (geb. 1933) war stolz die Ohne Pate, Keine Taufe. Ich war Presbyter Walze fahren zu dürfen. Er war mit seiner und bei einem Besuch des Pfarrers bei uns Familie irgendwie aus dem Osten nach Kusel wurde Anni darauf aufmerksam. Da ich mehr gekommen, wohnte auf dem Holler in einer über die Verhältnisse wusste, lehnte ich es Sozialwohnung und sprach einen schlechten strikt ab eine Patenschaft in dieser asozialen Berliner Dialekt. Lesen und schreiben konnte Familie zu übernehmen. Pfarrer Gscheidle er nicht. Das tat seine Frau oder die zweit fuhr trotzdem mit Anni, ohne mein Wissen, älteste Tochter für ihn. Von Letzterer lernte zur Familie Ludwig. Als sie den hübschen er damals seinen Namen zu schreiben. Er blauäugigen Jungen sah war es trotz meiner hatte in der DDR als Schweinemäster gearbei- Warnung geschehen. Sie wurde Patin. tet. Die älteste Tochter brachte seine Frau

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Wir waren damals 45 Jahre und hatten die auf der Ritschmühle und er musste laut Ge- Hoffnung auf eigene Kinder, die wir uns ja so richtsbeschluss fern bleiben. Er wohnte im sehr gewünscht hatten, aufgegeben. Zudem Gartenhäuschen, 100m weiter und versorgte war Anni ja auch durch die Folgen der Ge- seine Familie. Ich habe selbst gesehen wie er hirnverletzung bei dem Rollerunfall am dort mit einer Holzaxt, einem Taschen- und 05.Mai 1955 gehandikapt. Sie bekam jetzt nur einem Küchenmesser ein von ihm gemästetes noch gelegentlich Epilepsieartige Anfälle. Schwein, schlachtete und portionierte. Roby Unser Haus war aufgestockt und viel Platz erzählte uns einmal beiläufig: ,,Weil wir nicht war vorhanden. Ein Kind anzunehmen und zu genug Betten hatten und Memet da war, adoptieren waren wir bereit. Aber aus einer musste ich auf dem Bettvorleger schlafen, solchen Familie doch nicht. Diesen Schritt statt bei Mamma.“ Um ihn tagsüber bei Kurz- habe ich darum immer wieder bewusst ver- besuchen von Türken aus dem Weg zu haben, schoben. Zum Glück, wie ich heute weiß. wurde er zum Interkauf geschickt um einen Kasten Bier zu kaufen. Den brachte der Kleine Alle paar Wochen, nach telefonischer Abspra- dann drei oder vier Flaschenweise heim. So- che, holten wir Robert Ludwig geb. am 14. lange war die Luft rein. Schon als sie noch in Januar 1970 zu uns. Seine Familie und auch Kusel wohnten wurden Rechnungen, auch für wir nannten Ihn Roby. Seine Geschwister Kartoffeln bei Bauern, durch körperliche wollten natürlich mit, aber ich war konse- Dienstleitung bezahlt. Auch die Töchter sollen quent. Anni badete ihn und zog ihm neue im Angebot gewesen sein. Sie war ja eine Kleider an, welche beim nächsten Mal nicht stattliche Frau die nicht schlecht aussah. mehr aufzufinden waren. Als Lehre daraus Anni kannte Werner Bach, den späteren Bür- brachten wir ihn dann immer in seinen alten germeister von Kusel. Sie fuhren beide zur Sachen zurück und behielten die guten bei gleichen Zeit zum Studium nach Kaiserslau- uns. Die Waschmaschine der Familie Ludwig tern. Er war Lehrer und Leiter der Hilfsschule war meistens kaputt. Sie wurde ja auch zum auf die Roby ging. Seiner Meinung nach war bereiten des Badewassers missbraucht und Roby nur wegen der kostenlosen Bücher auf alle durften daran drehen. Als Roby zur Schu- seiner Schule und das er es mit etwas Nach- le gehen sollte, meldete ihn seine Mutter ein- hilfe auch auf die Normalschule schafft. Aller- fach bei den Lernbehinderten an, denn dahin dings waren jetzt zwei Schuljahre nachzuho- gingen ja auch seine Geschwister. Da waren len. Anfangs war es sehr schwer, er war ko- die Bücher und Hefte umsonst, das be- lossal verlottert. Aber Anni hat es mit viel zahlt es ja. Als er 7 Jahre alt war starb seine Geduld und Liebe geschafft, ihn zum Lernen Mutter. Sofort brachten ihn seine Schwestern wollen, zu bringen. Ich muss sie heute noch zu uns und wir gingen mit ihm zur Beerdi- dafür bewundern. Ab dem drittem Schuljahr gung. Die Umstände Ihres Todes blieben rät- konnte er schon zur normalen Schule und selhaft und unaufgeklärt, wie die drei Brände wurde sogar ein guter Schüler. Er und Anni auf der Ritschmühle. Einmal brannten der waren stolz. Allerdings traf er auch immer Pferdestall und Scheune unterhalb des Weg- wieder seine Geschwister in Kusel, was wir ja es. Später brannte das alte, seit Jahren leer- leider nicht verhindern konnten. Er begann stehende, Wohnhaus mit Stall und Scheune alles Mögliche zu verlieren und andere Klei- oberhalb des Weges und zuletzt noch das nigkeiten tauchten auf. Er behauptete, er habe ehemalige Wohnhaus des Sägemüllers Con- getauscht. Wir begannen ihm nicht mehr alles rad, mit dem markanten Walmdach. Das Ju- zu glauben. Und es hatte sich bestätigt, er hat gendamt brachte Robys Bruder Karl- Heinz uns belogen. Er stahl sogar Geld, bei Altersge- und die beiden jüngsten Schwestern zu Pfle- nossen in Blaubach. Das war eine sehr, sehr geeltern. Und Roby? Er blieb bei uns. Von große Enttäuschung für uns. Er gab einfach seinen drei ältesten Schwestern wohnte eine keine Antwort mehr und reagierte auf nichts. in Rammelsbach und eine in Kusel. Beide wa- Ich kam so in Rasche, dass ich meinen Vorsatz ren verheiratet. Die letzte wohnte bei ihrem brach, ihn übers Knie legte und ihm mit ei- Freund in Kaiserslautern. nem dünnen Stock den Hintern versohlt. So wie ich es einst bei meinem Lehrer gesehen Zwischenzeitlich war Heinz Ludwig im Ge- hatte. Keine Träne, kein wehklagen, keinerlei fängnis, da er sich an seinen beiden ältesten Reaktion zeigte er. Er nahm es einfach hin, als Töchtern vergangen haben soll. Sie hatte ihn gehört es dazu. Ich hatte mich damit mehr wahrscheinlich Angezeigt damit Platz für Ihre gestraft als ihn. Ich war ratlos. Anni hat, wie Freier war. Seit längerem wohnten sie schon auch später immer wieder, vermittelt. Doch

Seite 40 er hat es immer wieder fertig gebracht sie um festgelegt und bis 01.Januar 1990 noch ein- den Finger zu wickeln. mal 1.100 DM welche ich für Ihn ablöste. Also Geld welches ich ihm für die Rest Zeit lieh. Heute weiß ich dass er seine Anpassungsfä- Für sein Moped bekam er, nach mehreren higkeit, Glattheit, Geschmeidigkeit und Verlo- Stürzen die für ihn immer glimpflich ausgin- genheit auch Intelligenz von der Mutter hatte. gen, nur noch 100 DM. Somit hatte er an mich Seine Leidensfähigkeit die bis zur Selbstver- 5.040 DM für sein erstes Auto gezahlt. Die stümmelung reichte sowie wahrscheinlich restlichen 510 DM und die erste und letzte auch sein sexualverhalten hatte er da wohl Tankfüllung schenkten wir Ihm dazu. Dann vom Vater. habe ich am den Mazda 606 für 24.000 DM gekauft den ich 16 Jahre lang fuhr, und 2004 Er bekam unser Klappfahrrad und plötzlich den Smart für knapp 10.000 Euro. war es weg. Wo war es? Er schwieg! Wahr- scheinlich haben es seine Geschwister Kaput Als er nachts mal wieder nicht nach Hause gefahren. Als er zur Lichtenburg in die Lehre kam, fuhr ich morgens zur Burg um nachzu- kam, bekam er dann mein Rennrad mit 21 sehen. Sein Auto stand auf dem Parkplatz. Mit Gängen. Ich musste es mehrmals reparieren meinem Reserveschlüssel öffnete ich den oder Ihn mit dem Auto abholen. Meist um Kofferraum und fand drei Flaschen Spirituo- 22:00 Uhr. Wir waren einfach der Meinung: sen und zwei Päckchen Zigaretten, sowie ei- ,,Was andere Jungen mit richtigen Eltern in nen verbogenen Rahmen, wahrscheinlich von seinem Alter haben, sollte auch er bekom- einem Zigaretten-automaten. Er rauchte nicht men". Weil sein Taschengeld nie reichte, frag- und trank keinen Alkohol, jedenfalls wussten ten wir uns warum? Wir bekamen heraus, wir nichts davon. Was wollte er damit? Er dass er an den Spielautomaten, die an jeder belog uns! Sein Freund habe die Flaschen seiner Arbeitsstellen aufgestellt waren, spielt. billig gekauft und eine wolle er nächste Wo- Mit 16 konnte er dann den Moped- che seinem Vater zum Geburtstag schenken, Führerschein machen und ich kaufte Ihm eine da er ihn besucht. Die Zigaretten seien eben- gebrauchte, sehr gut erhaltene Honda 50ccm falls ein Geschenk. Der Rahmen hätte auf dem für 2.500 DM. Jetzt kam er in schlechte Gesell- Parkplatz gelegen und damit sich niemand schaft. Eine Gruppe von schwererziehbaren verletzt, wolle er ihn entsorgen. Wir glaubten vom christlichen Jugenddorf Wolfstein. Sie ihm nicht, hatten aber auch keinen Anhalts- sollten fast alle, wie auch Roby, Koch lernen. punkt für etwas anderes. Selbst als die Zei- Sie wohnten hinter der Kirche im umgebau- tung von Einbrüchen in einsamen Hütten und ten, ehemaligen Schulhaus in einer Wohnge- Sportheimen berichtete, dachten wir doch meinschaft oder in einem von Wolfstein ge- nicht dass Roby es war. Erst als die Polizei mieteten Haus auf der Tuchram. Dort holte sein Auto beschlagnahmte und Ihn mitnahm ich ihn sogar nachts einmal heraus. Immer war es für uns klar, dass wir einen Einbrecher öfter stritten Anni und ich ,,lieber doch kein herangezogen hatten und beherbergten. Sein Kind als so einen unverbesserlichen Lügner". verantwortlicher Ausbilder bestätigte telefo- Anni war inzwischen Krebskrank geworden, nisch seine regelmäßige Anwesenheit, außer was unsere Lage bestimmt nicht verbesserte. an Schultagen. Da fuhr er mit der Bahn nach Kaiserslautern. Ob er da wirklich in der Schu- Das Pflegegeld was wir vom Jugendamt be- le war, blieb unerforscht. Sein Lehrvertrag kamen, habe ich von Anfang an auf ein Konto wurde von Stephan Klink vom Felschbachhof eingezahlt welches ich für ihn angelegt habe, in Ulmet unterschrieben. Der Felschbachhof, auf welches nur ich Zugriff hatte bis er 18 das Hotel Reweschnier sowie die Burggast- Jahre alt war. Nur die großen Ausgaben für stätte bildeten damals in Kooperation und ihn, wie Führerscheine, Moped und Auto ka- Austausch, gemeinsam mehrere Lehrlinge men von da. Eigentlich war es ja unser Geld, aus. Roby war an den drei Arbeitsplätzen eben Pflegegeld. Als er dann 18 Jahre wurde tätig, am meisten aber auf der Burg Lichten- und den Führerschein hatte, vereinbarten wir berg. Ihm wurde Geschick und Fleiß bestätigt. mit Ihm, dass er für den Verkaufserlös seines Allerdings reichte es nicht für die Gesellen- Moped und den von uns angesparten Betrag prüfung. Ich wollte unbedingt, dass er sie unseren noch sehr gut erhaltenen Renault 7 widerholte, damit er wenigstens eine abge- erhält. Den hatte ich 1984 zum Neupreis von schlossene Berufsausbildung hat. Er wollte 16.000 DM gekauft und war noch etwa 5.600 einfach nicht und ging zu Mc Donalds in Kai- DM wert. Auf seinen Konten waren 3.840 DM serslautern, wo ihm seine Schwester Obdach

Seite 41 bot. Das Gerichtsurteil war in meinen Augen, nach Jugendrecht, Ersttäter, Verurteilung auf ein ,, weiter so". Ich war extra nach Kaisers- Bewährung, Aussetzung auf Bewährung, lautern gefahren und hatte wegen einer Ver- Verwarnung und keine Eintragung ins Straf- zögerung lange warten müssen, doch die Ver- register. Ich war sehr verärgert, nicht über handlung dauerte nur eine knappe Viertel- Roby sondern über den Jugendrichter. Sind stunde. Das heruntergeleierte Urteil lautete ,,die" wirklich ,,so" machtlos? Und ich erst? "

Bei Mc Donalds lernte er Margarita Marmone, zurichten und Anni war froh mit Margaritas die Tochter aus einer italienischen, ehemals erster Tochter. Doch Jahr für Jahr folgten, Gastarbeiterfamilie kennen. Die sich in Kai- soviel mir bekannt ist, weitere zwei. Er fuhr serslautern gut eingelebt hatten, wie ich fand. DIXI Klos an die Baustellen, womit er mehr, Sie putzte dort und wurde bald schwanger. aber auch unkontrolliert verdienen konnte. Wir wurden zur Hochzeit eingeladen. Trotzdem reichte es hinten und vorne nicht. Schuld daran war immer die verdammte Spielsucht, gegen die offenbar kein Kraut ge- wachsen ist. Mein letztes Angebot war, er solle den Führerschein 2 machen, um Berufs- kraftfahrer werden zu können. Dies ging auch in die Hose, weil er sich nie bei der von mir beauftragten Fahrschule in Kaiserslautern blicken ließ. Ich wollte ja auch nur den Fahr- lehrer und die von ihm besuchten Fahrstun- den bezahlen. Anni war inzwischen verstor- ben, wahrscheinlich haben der Ärger und die Aufregung um Roby maßgeblich dazu beige-

trage.

Wir fanden, dass Margarita zu schwach für den raffinierten Lügner ist. Er ließ seiner Spielsucht freien Lauf und er verspielte wirk- lich jeden Pfennig an den zu vielen Automa- ten. Ich bat sogar seine drei Schwäger, ihn aus den Spielhallen zu holen, wenn nötig mit Ge- walt, aber auch dehnen waren die Hände ge- Seine älteste bunden wegen Ausländer-feindlichkeit. Ich Tochter half ihm seine Wohnung in Dansenberg ein-

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Embe Haus und seine Bewohner

Zur Vorgeschichte, nach meinem Wissens- nacheinander mein Haus bewohnt haben. stand. Vielleicht der weitere Adam Imbt der am 23.03.1832 in Blaubach geboren und am Aus einer Urkunde des Königlichen Notars 20.07.1906 auch hier gestorben ist und in den Cuny in Kusel vom 18.01.1887, geht hervor Nachforschungen von Klaus Edinger aus dass der Vater Adam Imbt Junior und Ehefrau Amerika, nachweißlich falsch (siehe oben) als Elisabetha Weingarth, ihrem Sohn Heinrich Ehemann seiner Schwiegertochter Elisabeth das bereits von Ihm bebaute Grundstück ver- Weingarth genannt wird. Wer es erbaute und kauften. Siehe im Mittelstein des Torbogens wann lässt sich mit meinem Kenntnisstand vom Nachbarhaus (Nr. 8) hinten "1886". nicht eindeutig bestimmen. Vielleicht der Heinrich (geboren am 01.01.1857; gestorben 1801 geborene Johann Heinrich oder der am 19.03.1907 beides in Blaubach) war also 1803 geborene Johann Adam. Beide könnten der oder ein älterer Bruder vom Großvater, der Vater von Adam geboren 1832 gewesen Adam Imbt II geb. 1866, meiner 1992 ver- sein. Ich schätze zwischen 1800 und 1845, storbenen ersten Ehefrau Anna geb. Schult- was eine alte Karte beweist. Jedenfalls war es heiß. ein weitgehend autarker Bauernhof mit eige- nem Brunnen, Backofen und einer Räucher- Daraus schließe ich, dass vor ihren Eltern drei kammer auf dem Dachboden. Generationen gleichen Vor-und Nachnamens

Der letzte Adam Imbt II war geboren am geb. Imbt (geboren am 18.09.1898; gestorben 12.09.1866 und lebte bis 31.08.1936 und ist 09.02.1937). mit seiner Frau Catharina geb. Göres vom Mayweilerhof geb. 1869 bis 1945 mit Anna Die Nachforschungen von Klaus Edinger über geboren am 02.12.1925, meiner ersten Frau den Namen Imbt in Amerika habe ich am auf dem Arm, auf dem Bild von 1926 zu se- 28.06.2013 erhalten, danke Klaus! Aber leider hen. Das kleine Mädchen ist Elsbeth an der verwirrt mich das mehr als es klärt. Ich gebe Hand ihrer Mutter Wilhemiene Schultheiß es dazu. 13. 07. 2013 Willi. Wo ich Jakob den

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Musiker, geb. 1860 und den Nazi Richard der Herzdrickerbrunnen steht. Aus Mathilde 1900 bis 1987 einordnen soll weiß ich nicht. Dick geborene Albert (Ulmet) wurde Frau Schultheiß in Blaubach. Aber das Herz von Das Bild von etwa 1896-97 zeigt Adam Imbt ll Elsbeth und Anni konnte sie nie gewinnen, und Frau Katharina mit ihrem Sohn Otto. woran die Eifersucht ihres Neffen und Pflege- sohnes Ernst Stoffel ursächlich Schuld war. Er lernte damals bei seinem Vater in Ulmet Metzger und wohnte auch da. Kaum ausge- lernt ging er freiwillig zur SS. Ich lernte ihn erst nach dem Krieg kennen und ich hatte den Eindruck, er war kein "guter". Mathilde war für Elsbeths Kinder die Oma. Anni und ich haben sie als sie allein und krank war, genau wie vorher den Opa, gut versorgt. Das war für uns doch selbstverständlich und wäre ohne den Passus im Hausübergabeakt, kein biss- chen anders gewesen. Ich zitiere wörtlich aus Urk.-Rolle Nr.481/50 Notariat Kusel Seite 5 Absatz c): „Die Erwerberin verpflichtet sich, ihren Eltern von heute an auf deren Lebens- dauer unentgeltlich in gesunden und kranken Tagen zu warten und zu pflegen, ihnen sämt- liche Hausarbeiten zu verrichten oder ver- richten zu lassen, ihnen insbesondere zu ko- chen, zu waschen, zu flicken, das Bett zu ma-

chen und die Zimmer zu reinigen, den Arzt zu Da der Sohn, Otto geb. 1891 im ersten Welt- holen und die Arzneimittel herbeizuschaffen. krieg seid 1915 vermisst wurde und nur noch Die Kosten zur Beschaffung der Verpfle- die zwei Töchter, Klara und Wilhelmiene gungsmittel haben die Eltern Schultheiß (Mienchen) blieben und Klara schon mit Paul selbst zu bestreiten. Weiter ist die Erwerberin Ahr in Altenkessel verheiratet war, ging das verpflichtet, die gesamten Obsterträgnisse Anwesen an letztere und ihren Mann. Meinen der übergebenen Grundstücke an die Eltern Schwiegervater, Otto Schultheiß. Er wurde Schultheiß auszuliefern." Alle anderen Passa- am 22.07.1891 in Dennweiler-Frohnbach gen dieses Aktes wären auch heute noch geboren und ist am 25.04.1979 im Kranken- denkbar, aber uns bleibt Heutzutage nur ein haus in Kusel friedlich verstorben. Sein Vater Platz in einem Altenheim, das wir selbst zah- Adolf war in Dennweiler-Frohnbach Landwirt len solange noch etwas da ist. Der Opa ging und Wagner (Stellmacher) und stammt wie wegen eines Magenleidens in Frührente. Er seine Frau, eine geborene Pees aus Baumhol- war Feldgeschworener und arbeitete halbtags der. Ihr erstes Haus war noch Strohgedeckt bei der Flurbereinigung mit, welche etwa und brannte ab. Danach erbaute er den Hof 1963 abgeschlossen war. Im ersten Weltkrieg zwischen Dennweiler und Frohnbach auf war er Feldwebel und im Zweiten im Volks- Frohnbacher Seite neu. Er wurde über 90 sturm. Unterlagen darüber habe ich schon vor Jahre alt. Otto Schultheiß wurde 88, er heira- Jahren an seinen ältesten Enkel Benjamin tete 1941 zum zweiten Mal und durch Zufall Becker (Sohn von Hans Becker) übergeben. ausgerechnet eine Cousine meines Vaters "es Am Freitag den 29.11.2013 bei der monatli- glaner Tillche". Sie hatte ihre verwitwete Tan- chen Zusammenkunft der Mitarbeiter des te, Frau Katharina Knapp, in Altenglan ver- Arbeitskreises Dorfgeschichte, zu denen ich pflegt und beerbt sowie den Sohn ihrer im mich auch zähle, habe ich nun dort die Unter- Kindbett verstorbenen Schwester großgezo- lagen wiedergefunden. Ich denke da sind sie gen. Mathilde, wie wir sie später nannten, war nun am besten aufgehoben bei den anderen am 27.06.1899 geboren und starb am Originalbildern in dem von Schultheiß Otto in 19.02.1983. Sie heiratete einen Blechschmied Handarbeit persönlich angefertigten Sper- und Musiker aus welcher tötlich rholzkoffer, mit Überwurffalle und Hänge- verunglückte. Nach dessen Tod betrieb sie schloss. ihre kleine Landwirtschaft allein, da wo jetzt

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Zumal sein Schwiegervater im Jahr zuvor verstorben war und die Schwiegermutter Anzeichen von Verwirrtheit zeigte. Es war bestimmt eine schwere Zeit für die ganze Familie, nicht nur wegen den hohen Kosten für Krankenhaus und Magenoperation. Zu- dem plötzlich alleine mit den zwei Mädchen in einem Alter in dem sie am allernötigsten eine Mutter gebraucht hätten. Er fand damals Trost und Hilfe bei den Neuapostolischen Mitbürgern und Nachbarn. Besonders bei "Rulefritze Elis" und "Dillmanns Elsje". Erste- re hatte ebenfalls zwei etwas ältere Töchter, im Nachbarhaus in der Hohl Hausnummer 2. Es gab in Blaubach und in unmittelbarer Nachbarschaft drei Elisabeth Ruht. Den glei- chen Vor- und Nachnamen hatten "Inseler Betche" und meine Schwägerin und Wirtin "Zum dicke Daume", es Elsbeth. Die andere war die erste Frau von Ernst Morgenstern Er war Schreiner und Zimmerer und betrieb und Cousine von meiner Schwiegermutter. die Landwirtschaft, wohl auch weil eine Ver- Anni wurde 1940 sogar neuapostolisch kon- größerung aus Mangel an Land und Erbtei- firmiert und 1945 ist auch die inzwischen irre lung nicht möglich war, nur noch nebenberuf- Oma verstorben. Mit seinem direkten Nach- lich. Eine Grundbucheintragung vom barn dem damaligen Nationalsozialistischen 01.07.1935 erlaubt mir die Vermutung, dass Ortsgruppenleiter Ernst Weingart sprach er damals von Ihm immerhin noch 4,4 Hektar nur so viel wie sein musste. Er war gegen die bewirtschaftet wurden. Die erste und meins Nazis obwohl seine just verstorbene Frau, die Wissens auch einzige für ein Rindergespann NS Frauenschaft leitete. geeignete Mähmaschine im Ort hatte er ange- schafft. 1937 verstarb seine erste Frau, die Anni erzählte mir: "Ich war damals ein Mutter meiner ersten Frau an Magenkrebs. schwächliches Kind und bekam den Kartoffel- Mit zwei Mädchen von 12 und 13 Jahren so- schurz angehängt um Kartoffeln zu pflanzen wie der Oma, war dann die Landwirtschafft auf Dickpeters Wies". Ein Acker von 250 m nur noch sehr eingeschränkt möglich. Länge, fast 0,5 Hektar. Beim besten Willen das ging nicht. Ich kann mir da ein Urteil erlau- ben, denn ich als kräftiger Junge habe im glei- chen Alter mit meiner Mutter zusammen auf unserem nur halb so langen Acker auf dem Kreutzhof in Rammelsbach genau die gleiche Arbeit gemacht. Ein Kartoffelschurz ist ein leerer Kartoffelsack der umgebunden einen tiefhängenden "Kängurubeutel" ergibt. Einge- füllt werden 10 bis 12 kg auf je ein Auge ge- teilte Pflanzkartoffeln. In tief gebückter Hal- tung tritt man in die vom Pflug hinterlassene Furche und legt in Kinderschuh großem Ab- stand je ein Saatkartoffelkeimteil ab. Mit der nächsten Furche wird das Saatgut dann au- tomatisch abgedeckt. Die Schmerzen bei mei- nem langen Rücken gedenken mir ewig. Ähn- lich ging es wahrscheinlich auch Anni damals, obwohl sie einen kurzen Oberkörper hatte. Wegen derartigen Arbeiten wollte sie auch niemals einen Bauern heiraten. Zu Zeiten als ihre Mutter noch gesund war, stand meist wenn sie aus der Schule kam, der Suppentopf

Seite 45 auf dem noch warmen Herd und ein Zettel lag 1926 zeigt auch mich auf dem Arm meiner auf dem Tisch: Spülen, kehren, aufwischen, Mutter, meinen Großvater Adam Becker und leere. Das bedeutete, den Rest Suppe essen, meine Cousine Kätchen Matzenbacher (später den benutzten Teller mit den schon an ge- Korb) mein Vater ist noch im Türspalt zu se- weichten in der Spülschüssel und den Topf hen. Die Treppe wurde um 1936 verändert. spülen, abtrocknen und in den Schrank stel- len. Die Küche gründlich ausfegen und nass Am 10. Oktober 1948 zur Zeit der Währungs- aufwischen sowie Eimer und Lappen zum reform habe ich in Blaubach eingeheiratet Trocknen abstellen. Danach erst die Hausauf- und am 1. März 1950 mit meiner Frau das gaben machen. Die Eltern machten unterdes- Haus übernommen, mit einer Rückübertra- sen die Feldarbeit. Ähnliches kannte ich ja gungsklausel für Stall und Scheune für Annis von daheim, nur waren wir zu dritt und ich Schwester Elsbeth, welche dann am als ältester meist schon mit draußen. 01.06.1955 vollzogen wurde. Ich arbeitete ab 1949 in Saarbrücken, damals war das Aus- Und da komme ich her: Das Bild (Seite 8) von land. meinem Elternhaus in Rammelsbach von

Wie ich Blaubach, damals Hausnummer 26, vorfand

(Bild unter: „Es Anni, mei erschd Fraa“) schlossen war, bei uns jedoch nicht. Die Bil- der von meinem Elternhaus in Rammelsbach So wie an allen alten Bauernhäusern damals, sowie Embe Haus, wahrscheinlich vom glei- waren notwendige Reparaturen wegen Infla- chen Fotografen im gleichen Jahr 1926 ge- tion und Krieg seit 20 Jahren aufgeschoben. macht, zeigen noch realistisch den Zustand Der Wiederaufbau hatte zwar im Saarland von 1950. Siehe dazu, auch meine Umbau- schon richtig begonnen, da es wirtschaftlich zeichnungen für die Aufstockung 1969. mit eigener Währung an Frankreich ange-

1948 war für mich noch kein Platz im Haus. hatte bis zum Wideraufbau ein Zimmer be- Der Bruder der Stiefschwiegermutter, Karl legt. Annis Schwester, deren Mann noch in Albert war in Zweibrücken ausgebombt und russischer Kriegsgefangenschaft war, wohnte

Seite 46 mit ihrer Tochter Heidi (3 Jahre) in 2 Zim- Biberschwanz doppelt gedeckt, überm mern und in den anderen beiden die Schwie- Wohnhaus teilweise Pfalzziegel nach der Re- gereltern. Nur das kleine Dachzimmer war für paratur, auf dem Schuppen Biberschwanz Anni. Darum bezogen wir schon am Hoch- einfach. Nirgends eine Kandel. Lediglich 3-4 zeitsabend dem 02.10.1948 die zwei gemiete- Reihen pflasterartig verlegte Steine unter der ten Dachzimmerchen im Matzenberg 7. Was- Dachtraufe. Das Klo befand sich in der Scheu- ser, Ausguss und Plumps-Klo im Keller (Miet- ne. An der Rückseite war ein Backofen mit preis mtl. 20 Reichsmark). Ein Bett und ein Kamin in der Außenmauer integriert. Die Küchenschrank von Annis Oma, ein Kleider- Türen innen, etwas links von dem jetzigen schrank war ihre Aussteuer, Tisch, 2 Stühle, Spülbecken. Da wo jetzt im Bad das WC steht eine Bank mit Vorhang für die Wasser Ver- ist eine große Sandsteinplatte die den Brun- und Entsorgung und eine Holzkiste steuerte nen abdeckt. Ich habe ihn, im Keller zugäng- ihr Vater bei. Den Küchenherd von meinen lich gemacht. Von dort ist er 4m tief und er- Großeltern habe ich repariert. Das "Schiff" (ist giebig. Der Keller mit der recht hohen Wöl- ein eingebauter Wasserbehälter) war un- bung ist noch unverändert. Außer 15cm Ton- brauchbar und das Backofenblech durchge- rohrkanal, teile des Fallrohrs vom alten WC, rostet. Sechs Backsteine und eine passend von vor der Kanalverlegung an der Hinter- gemachte Gussplatte ersetzten das Schiff und front, Entwässerung vom Heizraum, einebnen den Backofen habe ich geflickt. Mit meiner mit Rammelsbacher Splitt, (für mich: "eine Schwester habe ich zusammen den Herd, per Hand voll Heimaterde") und der Betonboden Handwagen von Onkel Franz von Rammels- vorne. Der jetzige Heizraum war Kartoffelkel- bach nach Blaubach gezogen. Noch arbeitete ler, Lehmboden, ausgetretene Sandsteintrep- ich in der Schlosserei Kuhn in Kusel für eine pe und nur 1,60 m hoch bis zur Balkendecke Reichsmark Brutto die Stunde. Anni half in aus Eichen-Stick-Hölzern mit Lehm und Stroh der Landwirtschaft, wodurch wir auch zu umwickelt. Quer war ein Unterzug aus Eiche essen hatten und glücklich waren. etwa 30x30cm und Stütze neben der Treppe die die darüber befindliche Tuffsteinwand 1950 befand sich in der Küche und im Stall je trug. Die Decken im Erdgeschoss sind wie die ein Wasserhahn. Die Leitung kam vom Hof bei der Kartoffelkellerdecke beschriebene, vorm Haus, durch die Wand am Ende der Kel- nirgends im Blei (waagrecht) und gerade, lertreppe rechts, noch ohne Zähler. In jedem sondern durchhängend mit bis zu 17 cm Hö- Zimmer, auch den beiden unterm Dach, hing henunterschied von einer Ecke zur anderen. eine Lampe. Zudem in Stall, Scheune, Flur und Zum Glück sind die Räume hoch genug und es an der Haustür außen. Eine Steckdose war in wurde gesundes noch lange tragfähiges Ei- der Küche und der Zähler etwa da wo er jetzt chenholz verwendet. noch ist. Der Wasserstein saß höher als heute üblich, da das Abflussrohr direkt hinter der Hinten links wo früher die Küche war ist nicht Außenwand in einer gepflasterten Rinne en- unterkellert nur Hohlraum für die Leitungen. dete, welche auch die Dachtraufe aufnahm. Im Flur lagen "Türlaien", große Sandstein- Sie reichte bis zum Backofen der praktisch die platten zwischen Haustür und bunt, halbver- Wasserscheide war. Die Wiese hinten war glaster Küchentür. In der Küche waren für die flach abfallend bis ans Haus. Ich erkannte damalige Zeit moderne blaue und graue sehr darin gleich den Grund der Feuchtigkeit der harte Fliesen verlegt. Zum Keller führte eine hinteren Hauswand. Der Garten auf der Süd- stark ausgetretene Sandsteintreppe hinter seite war mehr oder weniger eine Hangwiese, einem dunklen Verschlag. Nach oben eine mit zwei Obstbäumen oben und einem gro- Holztreppe mit Geländer, rechts nach der Süd, ßen Kirschbaum unten. Im Schuppen waren Wetter, und Giebelseite ein Zimmer mit zwei ein demontierter Erntewagen, Brennholz und Fenstern in einer Öffnung und links eines mit der Hühnerstall. Im Keller Kohle, Briketts, das Dachfenster und Aussicht aufs Dorf. Neben Eingemachte, Äpfel, der Apfelwein und der dem Kamin, welches im Zentrum des Hauses Zwetschgenschnaps. Die letzten beiden waren in der Mittelwand eingebaut ist um alle Zim- früher die beiden Hausgetränke der Landbe- mer beheizbar zu machen, war eine Räucher- wohner. kammer. Durch die jetzige Brand, Trenn und Grenzmauer neben dem von mir errichteten Die Gesamtlänge 22m, Tiefe 8-9m, einge- Kamin für die Heizung führte über 3 sehr schossig. Mauern des Wohnhauses 70cm und ausgetretene Sandsteinstufen eine Tür direkt Scheune 50cm. Eichengebälk, Ziegeldach, in den Stall. Dieser war zweiseitig angelegt

Seite 47 für 6 bis 8 Stück Rindvieh. Rechts vom Gang schaft heimkehrte, war er krank, voller Was- geradeaus zur Scheune, war für Schweine und ser im ganzen Körper und Arbeitsunfähig. Kälber abgeteilt. Überall war reichlich Gefälle Damals entstand das Bild auf welchem Heinz zum besseren sauber halten des Backstein- und ich mit dem Kuhgespann unserer pflasters. Von der Scheune aus konnte man Schwiegereltern im Begriff sind den Hof zu vor meiner Zeit durch eine Tür direkt hinter verlassen. Mein Schwiegervater und ich hat- der vorderen Außenwand hinterm Scheunen- ten Bauschutt von der Treppe, einer meiner tor, in den Pferdestall, der zwischen der Au- ersten Baustellen, aufgeladen und Ich wollte ßenwand zur Hohl und der Scheune lag. Weil ihn wegbringen, aber Heinz verdrängte mich derselbe von meinem Schwiegervater nicht von der Gespann Führer Seite, womit er mich mehr gebraucht wurde diente er ihm als damals sehr verärgerte. Es war unser einziges Werkstatt. Außerdem war da ja auch noch gemeinsames Bild, aber es ist leider spurlos Platz für einen Klo. Er hat die Ecke mit einem verschwunden. lhn zog es in seine Heimat zu Fenster des Stalls und der Tür zur Scheune seiner Familie. Mit Frau, Tochter, Kinderbett mit Bimssteinen abgemauert ,eine Kloschüs- und sonst wenig Gepäck liesen sie sich nach sel aus rotem Steinzeug mit direktem Abfluss Datteln in Westfahlen bringen, Heidi wurde in die Jauchegrube, selbstverständlich noch da auch eingeschult. Leider ist ihr Vater schon ohne Geruchsverschluss, mit einem stabilen bald an den Kriegsfolgen verstorben. Am Holzbrettsitz versehen sowie die Innenwände 17.06.1950. Danach hielt Elsbeth nichts mehr sauber verputzt und gekalkt. Damit hatte das in Datteln und wir mussten sie heimholen. Häuschen mit dem Herz neben dem Misthau- Ihren Mann ließ sie exhuminieren um ihn in fen im Hof, wie es damals noch üblich war, Blaubach beizusetzen. Mit Buß Karl aus ausgedient. Im Hof vorm Pferdestall befand Rammelsbach und einem Bund Stroh auf der sich die Jauchegrube mit teils Beton teils offenen Ladefläche seines LKW fuhren Anni Sandsteinplatten abgedeckt und Gras über- und ich ins Ruhrgebiet um die verzweifelte wachsen. Die zur Straße sehr breite Einfahrt Schwester zurückzuholen. Zuerst holten wir wurde rechts vom Misthaufen, da wo bis den Leichnam ihres Mannes im Zinksarg ab, 2013 der Nussbaum stand und den gut 1m luden ihre wenigen Möbel dazu und fuhren tiefer liegenden Hausgarten begrenzt. In der gleich wieder zurück, um noch am gleichen Böschung zum Garten mit Lattenzaun (jetzt Tag zurückzukommen. Elsbeth Heidi und ist dort das Rosenbeet) standen ein Mirabel- Anni quetschten sich zum Fahrer ins Führer- len und ein Zwetschenbaum. Gleich hinter der haus und ich zwischen Sarg und Möbeln auf Treppe vom Wohnhaus aus begann die Ein- Stroh, auf der Ladefläche. Damals ging das, zäunung des Hühnergeheges entlang des Heute wäre das undenkbar. Heinz wurde am Hausgartens, wo jetzt die Garage mit Schrei- 12.08.1950 in Blaubach beigesetzt, in der nerwerkstatt darunter steht. Etwa 20 Hühner Reihe der Kriegergräber. Sein Name ist auch hatten meine Schwiegereltern damals, eine am Denkmal vermerkt. Milch und Fuhr Kuh eine Ziege ein Schwein und 3 Schwalbennester im Stall. Ein Leichter Erster und Zweiter Umbau Erntewagen stand im Hof. Für die Feldarbeit Während Elsbeth in Datteln wohnte, konnte liehen sich die Kleinbauern gegenseitig die Anni ihren Vater von der Notwendigkeit eines Fuhr Kühe aus. Mist fahren und pflügen be- Bades mit WC im Haus überzeugen, denn sorgten befreundete Nachbarn mit Pferdege- vorher ging aus Platzgründen nichts. Die Wo- spann denen man dafür bei der Ernte half. Die che über arbeitete ich in Burbach täglich örtliche Wasserleitung kam von einer Quelle mindestens 10 Stunden, damit ich Freitag- im Röhrbachtal und dem Hochbehälter am abend heimfahren konnte. Den Plan hatte ich Matzenberg, seit Anfang 1900. Weil die Men- schon im Kopf. Zuerst musste eine, unsere ge nicht mehr reichte, musste eine zweite Küche eingerichtet werden wegen der Was- Quelle und eine Hangsickerung gefasst wer- serleitung und dem Abfluss. Eine Kochstelle den, wobei ich persönlich den mir zugewie- für 4 Personen mussten wir ja haben im Haus. senen Teil des Leitungsgrabens ausgehoben Zwischendurch musste die Abfluss Leitung habe. Damals konnte ich ein ganzes Jahr lang und die 3 Kammergrube fertig sein. Emil für nur 9 Reichsmark Wasser beliebig ver- Mahler, der damalige Gemeindearbeiter und brauchen. Feld und Waldhüter, half uns stundenweise bei der Erdarbeit. Die Maurerarbeit machte Als 1949 mein Schwager Heinz Joemann, Els- mein Schwager Kurt Barz und Einschaler beths Mann, aus russischer Kriegsgefangen- mein Schwiegervater. Er war mir damals

Seite 48 noch eine große Hilfe. Jetzt musste der Flie- ein für heutige Verhältnisse kleines Waschbe- senboden und alles aus der alten Küche her- cken, ein Spiegel- und ein Besenschrank, das aus und die Wände des Bades errichtet wer- war die Einrichtung. Was waren wir, auch den. Der alte "Spülstein" (Spülbecken) ist mein Schwiegervater so stolz damit denn es noch zu sehen an der Oberkante der Bö- war eines der ersten Bäder in Blaubach. Der schung hinterm Häuschen zur Grenze Mayer. nächste Bauabschnitt kam schon in Sicht. Sämtliche Leitungen wurden von mir selbst Große Fenster waren an allen Neubauten und verlegt. In das noch vorhandene Fallrohr ne- die, wollten auch wir. Damals ging auch noch ben dem Brunnen mündeten WC, Badewanne, ohne Baugenehmigung auf dem Land. Wir Waschbecken und die Becken der alten und machten es wahr. Mein Schwager war Polier neuen verkleinerten Küche. Mein gesamter bei der Firma Ham und hat mit Jahresurlaub und unser gesamtes dafür Zu- noch 2 Mann und mir zusammen die Vorder- rückgelegtes gingen dafür drauf. Die Bade- front unseres Hauses total verändert. Das zimmer Wände bestehen aus Bimsplatten 50 Dach wurde von außen, und die beiden Zim- x 100 x 8 cm. Länger als 1.70 cm durfte die mer von Innen abgestützt aus 5 kleinen Fens- Wanne nicht sein wegen dem Platz für das tern wurden 2 Große, moderne gemacht. WC Becken. Der Badeofen war Holzbefeuert mit 4 m langem Ofenrohr um 4 Ecken dazu

Über das 70 cm Mauerwerk kamen je einen heber) die ich sah, geliehen vom Nachbarn kombinierter Eisenträger, Eichenholzbalken, Alois Kessler der uns mit seinem LKW auch Betonsturz. Was man durch die drei schmalen das Baumaterial brachte, gelang es mir den Fenster vorher nicht sah, störte uns jetzt ko- Durchhang der Decke durch anheben zu be- lossal, der dicke, krumme Deckenbalken. Der gradigen, um den Träger ins Blei zu legen. muss raus! Wir entfernten den Deckenputz Trotzdem musste ich später beim Abhängen und stützten die gesamte Decke ab. Wir er- der Decke noch 17 cm ausgleichen. Der setzten den noch gesunden Eichenbalken krumme Balken trägt bis heute den Dach des durch einen Eisenträger NP22. Der aber war Schuppen und das Schiebetor. Die neuen dann 6 cm außer Blei, also nicht waagrecht. Fenster von Schreiner Krebs haben nur knapp Mit der ersten Hydraulikwinde (LKW Wagen- 20 Jahre gehalten, wegen mitgeliefertem

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Holzwurm. Danach bekamen wir die ersten Nachbarssohn Hans Becker und bewohnte Kunstoffenster mit Isolierverglasung im Ort. dann die Wohnung der Eltern überm ehema- Die Fensterrahmen sind noch die ersten, nur ligen Stall, bis ihr neues Haus bezugsfertig habe ich persönlich vor etwa 15 Jahren neue war. Scheiben eingesetzt weil die alten trüb waren. Benjamin und Cornelia verbrachten den ers- Die Eltern hatten vorne rechts ihr Schlafzim- ten Teil ihrer Kindheit hier. mer und hinten links die Küche. Anni und ich oben rechts an der Giebelseite unser Schlaf- 1986 Heiratete Susanne Udo Allmann aus zimmer und rechts hinten die Küche. Elsbeth Erdesbach und bezog die gleiche Wohnung, und Heidi schliefen oben links (Dachfenster sie bekamen zwei Söhne Manuel und Michael. nach vorn) und das Zimmer links vorn. Als Kochstelle und zum Wärmen diente der alte Zurzeit wohnt Michael Allmann mit seiner "Ritschowe" von der "Embeoma". Heidi war Freundin Selina Trotzki da. sowieso meistens bei Oma oder Tante und Michael Allmann hat 2013 den Teil der einst Elsbeth kochte selten und schlug sich so als Stall und Scheune erbaut wurde von "Em- durch. Eine Ziege stand noch im Stall und be" Haus übernommen. musste versorgt werden und Opa (Otto Alle Veränderungen im alten Wohnhaus, bis Schultheiß) arbeitete damals halbtags bei der zur heutigen gemütlichen Bewohnbarkeit Flurbereinigung. Er war auch Feldgeschwo- wurden von mir geplant und ausgeführt. In rener, ehrenamtlich, vom Gemeinderat dem den frühen Nachkriegsjahren ging das noch er ebenfalls angehörte, gewählt (das war so ohne amtliche "Hemmnisse", so dass mit mei- etwas wie Sachverständiger und Schlichter nen Zeichnungen des Plans zur Aufstockung, für Fragen von Grundstücksgrenzen). Die drei die amtlichen Unterlagen entstanden und Frauen halfen als Ersthelferinnen oder wenn genehmigt wurden. Grund der Aufstockung im Gemeindewald Tännchen gepflanzt wur- 1969 war Platz für Uns die Schwiegereltern den im Tagelohn. und natürlich eigenen Nachwuchs zu schaf- fen. Nachdem sich diese Hoffnung zerschla- Elsbeth heiratete, 1954 in zweiter Ehe den gen hatte und sogar unser Pflegekind Robby ältesten Sohn der Nachbarin Pauline Ruht (Robert Ludwig) nichts wurde, blieb nur die und übernahm durch vorher notariell abge- Hoffnung dass fremde junge Leute die sich klärte Rückübertragung Scheune und Stall einmieten und langsam unsere Pflichten und von "Embe" Haus. Kurt Ruht war Tuchweber das Haus übernehmen. und arbeitete in der Kuseler Tuchfabrik. Als- bald begann der Bau einer Wohnung über der „Der Nussbaum“ vor Embe Haus Stalldecke. Die Eingangstreppe dazu besteht heute noch in leicht veränderter Form. Auf der Plattform oben etwas vergrößert befand sich das Bad. Weil die Höhe nicht ausreichte musste das Dach flacher und höher werden, siehe die Bilder. Hier wurden Roswitha Ulrike und Susanne geboren. Für seinen Nebenjob als Gastwirt baute Kurt, den Rest des Hauses um. Aus dem hinteren Teil des Stalls wurden Kühlraum und Toiletten, vorne eine Küche und daneben ein Heizraum. Für den Schank- raum war die Höhe gesetzlich vorgeschrie- ben, was Schwierigkeiten mit der Höhe der Räume darüber brachte. Der Ausschank Vor Embe Haus wurde von Otto Schultheiß, Dresen in der zuerst geplanten Form bewähr- (der in seinem 88 jährigen Leben gerne und te sich nicht und musste später verändert sehr viele Obstbäume pflanzte) im Anfang Der werden. Die Tuchfabrik wurde geschlossen vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein und an die Bundeswehr verpachtet, die ein Nussbäumchen gepflanzt. Auf einem Bild mit Kleiderlager einrichtete wo Kurt seine neue Anni Heidi und Opa auf dem leichten Ernte- Arbeit fand. Elsbeth verkraftete den Job als wagen für´s Kuhgespann sieht man im Hin- Wirtin und Mutter von 4 Töchtern nicht auf tergrund den Misthaufen. Dahinter vermute Dauer. Die dritte Tochter, Ulrike heiratete den ich den Stamm des jungen Nussbaums daran

Seite 50 angelehnt ist eine Stange die eine Querstange In den letzten Jahren, vor allem seid die Ter- trägt, auf welcher etwas aufgehängt ist, das in rasse überdacht war beklagte sich Elsbeth etwa so aussieht wie Stores (Fenstervorhän- über das zu dunkle Wohnzimmer. Die Gefahr ge). Der Baum ist schlank und hoch gewach- des Astbruchs und Beschädigung eines da- sen. Die Blätter unterscheiden sich von denen runter geparkten Autos bestand ja immer und des Birnbaumes direkt daneben und der Mi- die Beseitigung des Laubes im Herbst war rabelle links hinter Anni. Ich selbst entsinne immer lästig. Trotzdem hat Michael wieder mich nicht, dass da ein Baum stand oder ge- einen Nussbaum ein paar Meter weiter, näher pflanzt wurde. Ich habe den genauen Standort zur Straße neu gepflanzt. des damaligen Fotografen ausprobiert und habe bei der Übertragung des Bildes auf die Das Recht: hinten große Bildleinwand der Gemeinde auch nicht Ich bin jetziger Bewohner und Eigentümer mehr erkennen können. (Ich hatte dieses zum des Stammhauses Imbt. Der Urgroßvater Treffen der Arbeitsgruppe Dorfgeschichte, bei meiner 1992 verstorbenen Frau, Adam Imbt der ich mich noch betätige, am 31.05. mitge- verkaufte am 28. Januar 1887, also bevor es nommen). Wie auch ich, ist Martin Pfeiffer Grundbucheintragungen gab (der Akt liegt der ja, auch Gartenbausachverständiger ist, mir im Original vor), an seinen Sohn Heinrich davon überzeugt das Laub des Nussbaumes das hinter Ihrem Elternhaus, schon von ihm erkannt zu haben. Der Stammdurchmesser bebaute Grundstück. Für das Gelände zwi- war damals etwa 10 cm. Heidi, die älteste schen den Häusern und den abgetretenen Tochter meiner Schwägerin, ist am Ackerstücken wurde gegenseitiges dingliches 01.06.1944 geboren. Mitbenutzungsrecht für die jeweiligen Besit- zer notariell festgeschrieben. Die Rechtskräf- tigkeit dieses Dokumentes wurde mir am 30.12.1985 durch Rechtsanwalt Reidel bestä- tigt.

Warum? Oberhalb der langen, gerade durch- gehenden Grenzlinie zwischen Allmann und Hub befanden sich damals Äcker. Unterhalb des zwischen Lukas und Mayer noch deutlich erkennbaren Horst, begannen die Talwiesen. Der bäuerliche Hausgarten der Imbts befand sich auf dem heutigen Grundstück Lukas. Heinrich Imbt baute am unteren Ende der Äcker obwohl der Hof zu schmal, aber die Einfahrt über Vaters Grundstück besser war. Allerdings musste Vater Imbt über das Grundstück des Sohnes um seinen Hausgar- ten zu erreichen. Das war auch für die nächste Generation noch in Ordnung. Erst meine Schwägerin die das Baugelände am Äcker- chen erbte und verkaufte veränderte dadurch die Verhältnisse zu unseren Ungunsten. Ich hätte z.B. Fenster nach Osten und Grenzbe- bauung gegen den Wegfall des Überfahrts- rechts getauscht oder Pacht für die Mittbe- nutzung verlangt, da ja die entsprechende Beim Fällen des gut 60 Jahre alten Baumes, Gegenleistung wegefallen ist. Damals wäre 2013 durch Udo Allmann und Sohn Michael das durchaus zu machen gewesen. Ich wurde habe ich in einem Meter Höhe einen Umfang nichts gewahr. von 188 cm geteilt durch 3,14 ist 60 cm Durchmesser und eine verwertbare Länge Recht vorn: von 2,20 m gemessen. Jedoch wurde der laut Urkunde 481/50 auf Seite 4 (vom Baum doch zu Brennholz verarbeitet da er 15.03.1950) ist der Hofraum vor Stall und sehr stark gerissen war. Scheune gemeinschaftlich zu benutzen. Au- ßerdem besteht eine Grundbucheintragung

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Unser Alltag

Am Beispiel des 03.April 2012, es war ein Schlimm ist es, Sie dahindämmern zu sehen Sonntag. Wir haben ausnahmsweise lange und nicht helfen zu können. Sie hatte einen zusammen Fern gesehen. Der Krimi lief bis Schlaganfall und die Hirnblutung wurde in 24:00 Uhr. Eigentlich nicht unser Geschmack der Uni-Klinik Homburg operiert. Seitdem ist aber er war spannend. Sehr brutale Geheim- Sie in der Früh Reha, einer Spezialabteilung agenten zweier staatlicher Dienste, in Ameri- im Kuseler Krankenhaus. Nachdem ich die ka, bekämpften sich. Ich musste alle zwei Zeitung gelesen habe und im Hof genug Sonne Stunden zur Toilette weil ich erkältet war. da war, habe ich am Auto die Reifen schon am Schon seit Wochen haben wir beide den Vormittag gewechselt. Bis Mittag hatte auch Schnupfen und die Firma Tempo verdient an Heidi ihre Fenster geputzt, bunten Reis und uns ganz gut. Viertel vor acht die Sonne war eine etwas zu scharfe Sauce mit angebrate- schüchtern zu sehen. Heidi war schneller fer- nem Kasseler Fleisch gekocht. Nach dem Mit- tig als ich, Sie hatte den Kaffeetisch fertig ge- tagessen schlief ich eine halbe Stunde im Pul- deckt und die Zeitung schon rein geholt. Sie lover auf der Liege im Hof. Danach habe ich hatte ihr Frühstück-Küsschen verdient. Was die abmontierten Winterreifen kontrolliert liegt heute an? Sie meinte so: Wäsche wa- und die Steinchen aus dem Profil gepult. Heidi schen, Fenster putzen, Wurst kaufen und fuhr zu Ruth und ging anschließend noch Ruth besuchen. Für mich Winterreifen ab und Wurst kaufen. Ich musste meine Jeans gründ- Sommerreifen aufmontieren. Das schlimmste lich ausbürsten und seitdem schrieb ich. Heidi davon ist Ruth, unsere Schwägerin. Es ist die war inzwischen wieder da und hat die ge- Frau von Heidis verstorbenen Bruder Erich. trocknete Wäsche abgemacht. Einen schönen Sie sitzt im Rollstuhl und ist linksseitig ge- rot blühenden Blumenstock hatte Sie sich lähmt. selbst als Ostergeschenk mitgebracht.

So ändern sich die Zeiten

Die Eltern und Lehrer meiner Generation So etwa, wie die Inschrift auf dem Nieder- besuchten am Anfang des vorigen Jahrhun- walddenkmal, von der ich regelrecht ge- derts die Schulen. Damals lehrte man Gottes- schockt war, als ich sie als Erwachsener nach furcht, Vaterlandsliebe und Kaisertreue, dazu dem Krieg las. Als ich als Kind zum ersten mal Obrigkeithörigkeit die an Ehrfurcht grenzte. dort war, habe ich gar nicht richtig hingese- Die Lieder der damaligen Zeit trieften von hen, es war ja das Lied, das wir auch in der "Pathos" (Gefühlserregung und Leidenschaft). Volksschule gesungen haben:

1. Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall: Zum Rhein, zum Rhein zum deutschen Rhein! Wer will des Stromes Hüter sein?

REFRAIN: Lieb Vaterland magst ruhig sein, Fest steht und treu die Wacht am Rhein! Fest steht und treu die Wacht am Rhein !

2. Durch Hunderttausend zuckt es schnell, Und aller Augen blitzen hell, Der deutsche Jüngling, fromm und stark, beschirmt die deutsche Landesmark. Refrain

3. Er blickt hinauf in Himmelsau´n, Und schwört mit stolzer Kampfeslust: "Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust." Refrain

4. "Solang ein Tropfen Blut noch glüht, Noch eine Faust den Degen zieht, Und noch ein Arm die Büchse spannt, Betritt kein Feind hier deinen Strand." Refrain

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5. Der Schwur erschallt, die Woge rinnt, die Fahnen flattern hoch im Wind: Zum Rhein, zum Rhein zum deutschen Rhein! Wir Alle wollen Hüter sein! Refrain

Es gab Gesangvereine, Stammtische, und Nach solch guter Vorbereitung mussten die Dorfgespräche. Das waren in der damaligen Nazis dann doch später Leichtes Spiel gehabt Zeit die Informationsquellen fürs gewöhnli- haben. Das alles war doch Wasser auf ihre che Volk. Zeitungen waren teuer und darum Mühlen. Man braucht nur anzuknüpfen. selten und Radio gab es noch nicht. Nach ihrer Schulzeit erlebten unsere Eltern Während des Ersten Weltkrieges lief eine den Ersten Weltkrieg, Hunger und Elend bis regelrechte Kampagne, alle nicht deutsche zum " geht nicht mehr". Inflation und Arbeits- Wörter aus dem Deutschen zu tilgen. Beson- losigkeit. Diese Erfahrungen wirkten sich ders auch Markennamen. Aus Boutique wur- selbstverständlich auf die Erziehung der de Modegeschäft, aus Rendezvous wurde nächsten Generation, der Meinen aus. Meine Verabredung und die Zigarette wurde zur Schulzeit fiel voll in die Entwicklung der Na- Rauchrolle. Lehrer, Professoren und Pfarrer zizeit 1931 bis 1939. Arbeitslosigkeit war hielten flammende Reden wider den Ungeist kein Thema mehr weil die Rüstungsindustrie, der Fremdwörter und beschworen nationale Aufmarschstraßen also Autobahnen und Geschlossenheit. Eine Flut patriotischer Lite- Westwall alle verfügbaren Arbeitskräfte ratur, Lieder und Theaterstücke ergossen sich brauchte. Wer einer geregelten Arbeit nach- über die Deutschen. So stand es zu lesen vori- ging und ansonsten den Mund hielt, hatte ge Woche in einem Rheinpfalzartikel von An- kaum etwas zu befürchten. Eine gewisse all- nette Weber. gemeine Zufriedenheit hatte sich eingestellt. Wir sangen dann in der Schule:

Es zittern die morschen Knochen, der Welt vor dem großen Krieg, wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war´s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn Alles in Scherben fällt denn heute gehört uns Deutschland und Morgen die ganze Welt.

Und: Deutschland, Deutschland über Alles, über Alles in der Welt. Wenn es steht zum Schutz und Trutze, brüderlich zusammenhält. Von der Maas bis an die Memel von der Etsch bis an den Bellt. Deutschland, Deutschland über Alles, über Alles in der Welt.

Und: SA marschiert, die Reihen fest geschlossen in ruhig festen Schritt Kameraden die Rrotfront und Reakti- on erschossen, marschieren im Geist in unsern Reihen mit.

So wurden wir, das dumm gehaltene Volk, träge" früher oder später auch ohne Nazis von uns kaum bemerkt, von den Nationalso- gegeben. Bis dahin kannte ich ja nichts ande- zialisten zu Kriegern erzogen und in den res und war darum auch Nazi. Meine Eltern Zweiten Weltkrieg geführt. waren fromme evangelische Christen und Diesen hätte es wie man heute weiß, laut ge- darum wurden daheim auch nur Lieder ge- wissen Forschungsergebnissen, wegen der sungen wie : schlecht gemachten Versailler "Friedensver-

Jesu geh voran auf der Lebensbahn! Und wir wollen nicht verweilen dir getreulich nachzueilen, führ uns an der Hand bis ins Vaterland.

Oder: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, lob ihn, o Seele, vereint mit den himmlischen Chören. Kommet zu hauf, Psalter und Harfe, wacht auf lasset den Lobgesang hören!

Oder: Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust; ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst. Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ewig Quelle bist daraus uns allen früh und spat nur Heil und Gutes fließt.

Oh welch ein Gegensatz! Denkst Du. Ich heute bin es auch, denn meine heutige Einstellung auch. Nur, ICH musste damit klarkommenund habe ich ja nicht " hinterm Berg gehalten ".

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Die Nazis haben meiner Generation ihre Jugend geraubt

Wir wurden zu Mördern und Massenmördern herangezogen und ausgebildet. Mir ist zwar keine Statistik bekannt aber ich wage zu behaupten, dass nur etwa die Hälfte meines Jahrgangs halbwegs heil diesen Krieg überlebte.

Es war am 16. Mai 2012, ein Montagabend. als Betriebsschlosser war abgeschlossen. Heidi, meine Frau kam von der Singstunde, Obwohl ich nie freiwillig aber tauglich war, war müde und ging schon schlafen. Ich zappte war ich der richtige Kandidat für die Maschi- am Fernseher, um vielleicht noch etwas Inte- nenlaufbahn der Kriegsmarine für Untersee- ressantes zu sehen. Taucher die ganz nah an boote (Über meine Ausbildung schreibe ich an der englischen Küste nach Wracks suchten, anderer Stelle). Ich war gerade 20, sportlich das fesselte mich. Wie der Film hieß, oder der durchtrainiert. Heute würde man sagen „fit Sender weiß ich nicht. Nachträgliches suchen wie ein Turnschuh“. in der Fernsehzeitung brachte nichts, kein Vollgestopft mit Unterseeboots technischem Titel der zu der Zeit lief passte. Zwei Wracks Wissen, der sicheren Aussicht auf Beförde- lagen in 60 Meter Tiefe ganz nah beieinander rung beim ersten Bordkommando, zum Ma- und nah der englischen Küste. Nirgends ver- schinen-Maat (Das ist der Rang eines Unterof- zeichnet und niemand wusste davon, das war fiziers) waren wir voller Tatendrang. Durch seltsam. die Besten, hitlertreusten, speziell geschulten Psychologen und politischen Führungsoffizie- Was waren das für Schiffe? re wurden wir , wie ein Bundesliga Fußball- Die niemand vermisste? trainer seine Mannschafft vor dem Endspiel Wie lange lagen die da? auf Sieg motiviert, für den Endsieg manipu- und warum ? liert. Man wollte uns unbedingt zu Kriegshel- den, gewissenlosen Befehlsausführern und Nach vielen Tauchgängen, Vermessungen und damit Massenmördern machen. Wohlwissend Untersuchungen von Wrackteilen und deren verharmloste man die uns bevorstehenden Lage, sowie Recherchen, wurde die Herkunft Strapazen und verschwieg uns die Zahl der klar. Es war ein deutsches U-Boot des Typs 7c nicht heimgekehrten Boote. mit Schnorchel, das ein englisches Schiff ge- rammt hatte. Wir wussten von den damals stetigen Luftan- Zwei Seemeilen weiter entdeckte man zwei griffen und hatten sie zum Teil miterlebt. weitere U-Boot Wracks des gleichen Typs. Trotzdem, getreu dem Fahneneid für Führer Genau für diese Boote war ich fertig ausgebil- Volk und Vaterland war auch ich für diesen det zum Maschinen-Maat. Einsatz bereit. Wir warteten auf das nächste Boot, das eine unserer Werften lieferte.

Erst 2010 hat die englische Admiralität die Verminungs-Pläne der Häfen freigegeben. Danach war das Gebiet, außer den eigenen geheim gehaltenen Fahrstraßen, weiträumig vermint. Erst im Herbst 1944 wurden auch letzteren in Küstennähe, speziell gegen U- Boote, mit in 20 Meter unter der Wasserflä- che verankerten Mienen gesichert. Genau in der Tiefe, die für uns am gefährlichsten war. Das und die Folgen daraus mussten natürlich Ich war sehr christlich und kleinbäuerlich geheim bleiben. Aus deutschen Akten ergab erzogen sowie durch Schule, Zeit und Um- sich, dass von den deutschen Booten, das letz- welt, nationalsoziallistig geprägt. Meine Lehre te noch Mitte April 1945 sank. Hätten unsere

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Werften weiterhin 8 U-Boote monatlich lie- die richtige Tauchtiefe bei Seegang zu halten, fern können, wäre auch ich nach Probe- Ver- sonst saugen die Diesel die Atemluft aus dem suchs und Übungsfahrt in Kiel ausgelaufen. In Boot. Stavanger (Hafen in Norwegen) fertig ausge- rüstet, in drei wöchiger Unterwasserfahrt, Schichtdienst: Rund um die Uhr, mindestens nördlich um England und irgendwo auf See zweimal täglich sechs Stunden Dienst. Arbei- geblieben. ten, essen, schlafen, waschen mit Seewasser Ich wär im Fall des Einsatzes mit weiteren und Seewasserseife, zwischen den laufenden zwei Mann im Schichtdienst, für das sichere sehr lauten Maschinen und immer stark die- funktionieren aller beweglichen Teile an Bord selölgeschwängerter Luft. Dazu die Ausga- verantwortlich gewesen. Grob geschätzt etwa sungen der Batterien und 24 Stunden Kü- 200 Hebel Scharniere Hähne und Ventile. Fast chengeruch. alles doppelt. Daran hing unser Erfolg und letztlich unser aller Leben. Dazu kam die Be- Die Koje: je 3 übereinander 55 cm breit und dienung und Überwachung der beiden 1400 2m lang, nach Leder und dem Schweiß der PS starken Dieselmotoren zur Fortbewegung Kammeraden riechend. Zwei WCs an Bord. und Aufladung der Batterien. Auch das Druck- Durch öffnen eines Hahns spült Meerwasser luftmanagement oblag dem Maschinenperso- die Schüssel und wird danach per Handpum- nal. Zwei Pressluftflaschen- Batterien muss- pe hinaus gepresst ins Meer. Der Platz im ten immer mit 205 bar (damals noch ATÜ) Räumchen ist meist bis zum „geht nicht gefüllt sein. Dazu lief der Junkers Verdichter, mehr“ durch die Lagerung von Konservendo- eine sehr lautes die Antriebsmotoren noch senverpflegung noch weiter verengt. übertönende Maschine, Stunde um Stunde. Der Batteriestrom verbrauchende Elektro- Die Kombüse: ist nur ein Stehplatz, für eine kompressor war nur als Ersatz gedacht. normale Hausfrau viel zu eng. Trotzdem ge- Pressluft wird gebraucht, zum Anlassen der lingt es dem Smutje und einem Helfer die Motoren und des Ju- Verdichter, zum Füllen gesamte Mannschaft wochenlang und rund der Torpedoantriebe sowie für das Austrei- um die Uhr zu versorgen. Da wird wirklich ben derselben aus den sechs Torpedorohren. Höchstleistung gefordert. Zum An-und Ausblasen der Tauchzelle und der Tanks, zum ausfahren des Sehrohres und Ab Sommer 1944 waren fast alle Seegebiete wenn nötig zum Austausch der Atemluft. lückenlos vom feindlichen Radar überwacht. Auch alle Pumpen zum lenzen, trimmen und Darum mussten unsere Boote oft 3 Wochen fördern, wurden nach Bedarf von uns bedient lang ununterbrochen unter Wasser bleiben und gewartet. ohne Frischluft. Das waren Strapazen und psychische Belastungen denen nur sehr we- Gegen Ende des Krieges wurde die Schnor- nige gewachsen sind. Das grenzte an Folter chel- Technik erfunden und nach und nach und an Freiheitsberaubung und wäre heute alle Boote damit ausgerüstet. Das ist ein 15 m undenkbar. Das würde psychiatrische Be- langes Röhrensystem mit Rückschlagklappen, handlung bis ans Lebensende nach sich zie- zum senkrecht stellen und umlegen bei hen. Überwasserfahrt. Damit können Boote un- term Wasserspiegel mit Dieselantrieb fahren Wäre meine Ausbildung ein paar Wochen ohne von Fliegern und dem englischen Radar, früher fertig gewesen oder hätte nicht statt- das wir ja noch nicht hatten, erkannt zu wer- gefunden so hätte man auch mich schon frü- den. her als „Heizer“ (so nennt man den einfachen Matrosen der Maschinenlaufbahn) auf eine Rund 50 Mann in dieser 60 m langen, 3,5m solche unmenschliche Art auf Feindfahrt ge- dicken und 30mm starke Stahlblechröhren, schickt und „verheizt“. Als Menschenmaterial, mit den gesamten Maschinen und Waffen- wie uns die Herren Generäle und Admiräle park, wasser- und luftdicht eingeschlossen, bezeichnen, in den damals schon aussichtslo- müssen immer mit Zu- und Abluft versorgt sen Krieg geschickt. sein. Das ist ganz besonders schwierig bei Schnorchelfahrt, wegen der Abgase. Für die Besatzung ergibt sich daraus eine weitere große Erschwernis. Die Tiefenrudergänger müssen stetig nachjustieren um genauestens

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Man braucht nicht viel Fantasie um in ist. Der größte Teil der Menschheit verab- dem Zusammenhang an die japanischen scheut jeden Krieg. Nur Machtpolitiker, die Kamikaze-Flieger oder die Selbstmord- Rüstungsindustrie, ihre Aktionäre und Lobby, Terroristen für den „Heiligen Krieg“ zu wollen daran verdienen. Dafür ist wirklich denken. jedes Menschenleben viel zu schade. Krieg ist niemals heilig sondern immer unmenschlich, grausam und Zuerst musste ich fast 90 Jahre alt werden brutal. und diese Filmdokumentation sehen um end- lich richtig zu verstehen was die Nazis mit Jedes Menschenleben sollte jedem Men- meiner Generation gemacht haben. Ich fühle schen heilig sein, auch dessen Leben der an- mich persönlich betroffen, da mir bewusst ders denkt oder glaubt als ich. Mit demokrati- wurde welches Schicksal mich im Falle mei- schen Mitteln und Kompromissbereitschaft nes Einsatzes ereilen hätte können. Durch die sollte man umdenken erleichtern und ermög- Gebete meiner Eltern und Gottes Fügung kam lichen, nicht mit „gezielter Tötung“ durch ich nicht mehr zum Einsatz auf See. Drohnen wie es zurzeit in Mode gekommen

Am Sonntag den 12. April 2015 ist es mir gelungen den Irisch-kanadischen Dokumentarfilm "Das Geheimnis der drei U Boote " aufzunehmen (gerne auch, bei mir anzuschauen). Es ist nicht der glei- che Film der mich am 16.05.2012 so sehr berührte, aber es geht um die gleichen Sache:

U 325 letzte Nachricht April 45

U 400 letzte Nachricht, Dez. 44

U 1021 letzte Nachricht März 45

Es wird hier deutlich auch über Fakten und Hintergründe gesprochen. Dadurch wurde mir jetzt erst richtig bewusst, was man damals von mir erwartete. Die nächste "letzte Nachricht" hätte von "meinem" Boot sein können. Um das richtig zu begreifen, musste ich zuerst 90 JAHRE alt werden.

Meine Bitte an die Nachwelt, forscht weiter und zieht die richtigen Lehren daraus, lernt aus un- seren Erfahrungen und lasst die Gebeine meiner Kammeraden zwischen den Maschinen in ihren eisernen Särgen ruhen, denn Gott hat viel Zeit und er regelt auch das.

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Geburtstagsrede am Neunzigsten

Ich begrüße Euch Alle recht herzlich, bedanke mich noch mal für Eure Glück und Segens- wünsche und auch für die mitgebrachten Geschenke!

Zuallererst einmal, muss gesagt werden: Ich bin GOTT dankbar für die Gesundheit die er mir bis in mein hohes Alter geschenkt hat und auch für Heidi meine liebe Frau! Nur IHM werde ich einmal Rechenschaft schuldig sein, das weiß ich, trotzdem möchte ich noch vorher Los werden welche Erfahrungen und Gedanken mich lange bewegten:

Wie Ihr ja alle wisst war mir das Glück leibliche Kinder zu haben leider nicht vergönnt. Auch ein Pflegekind, aus einer asozialen Familie zu einem brauchbaren Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu erziehen ist mir und meiner ersten Frau Anni total misslun- gen. Das ist etwas was mich Jahrelang sehr belastet und was auch Annis Krankheit ver- schlimmert hat. Was haben wir falsch gemacht, was hätten wir anders machen müssen? Wären eigene Kinder auch daneben geraten?

Seit 2011 mache ich bei der Arbeitsgemeinschaft Blaubacher Dorfgeschichte mit, wo ich unter anderem, als eine Art Dolmetscher für Schriftstücke in deutscher Handschrift tätig bin, denn diese habe ich selbst noch bis zu meinem 14ten Lebensjahr geschrieben. Für die Jubiläumsausgabe 575 Jahre Blaubach, im Mitteilungsblatt der Ortsgemeinde ALLEZ HOPP am 14.08.2011 Seite 50 habe ich erstmals über meine Kriegserinnerungen geschrieben. (auch im Internet zu lesen) Auch DAS war etwas, was mir lange nicht aus dem Sinn ging und meine Gedanken immer wieder beschäftigte. Beim Schreiben merkte ich: "Jetzt ist es aufgeschrieben, Jetzt kann ich´s VERGESSEN, jetzt fühle ich mich wohler, Jetzt geht es nicht mehr verloren."

Das ist der Grund, dass ich angefangen habe zu Schreiben. In jedem Fall ist es ein Beitrag zur Zeit und Ortsgeschichte, wie auch, das Tagebuch der Blaubacher RUHESTÄNDLER. Sollen denn alle meine Erfahrungen, Erinnerungen und Einsichten verloren gehen? Nur weil ich sie an DIE Kinder die ich NICHT habe, auch NICHT weitergeben kann? Dafür habe ich DIE Lösung gefunden. IHR seid ja alle meine Kinder und für Euch habe ich bis jetzt etwa 20 Themen MIR von der Seele geschrieben. Wer´s NICHT lesen will, soll´s bleiben lassen. Eigentlich wollte ich bis HEUTE damit fertig sein, es ist UNS nicht ganz gelungen. Meine Helfer dabei Michael und Selina haben zwi- schendurch Umgebaut und sind Umgezogen, das hat, unter Anderem, die Sache verzögert, aber jetzt geht s weiter, hat er mir versprochen. Jeder von Euch soll ein bebildertes Exemplar davon erhalten und eines ist für das Archiv der Blaubacher Dorfgeschichte bestimmt.

Jetzt wünsche ich euch allen einen guten Appetit!

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Mit Anni´s 4 und meinen 3 Nichten. Leider ist Susanne von ihrer Schwester Ulrike vollkommen verdeckt.

Heidi, Uli, Willi, Evi, Rosi, Gisela und Hannelore

Geschwister: Erika (80), Ursula (76), Heidi (79)

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Unser Ausflug nach Kiel

Schon jahrelang hegte ich den Gedanken, einmal die Gedenkstätten und Museen in Kiel zu besu- chen. Auch die Werften und den Hafen wollte ich sehen. Busfahrten gaben dazu keine Gelegenheit und Badeurlaub in der Kieler Förde ist auch nicht mein Ding. Darum habe ich es stets vor mir hin- geschoben. Bis ich mir sagte, mit 84 bist du zu alt für Auslandsreisen, ab sofort verbringst du deinen Urlaub in Deutschland. Heidi wollte nach Rügen und ich nach Kiel. Heraus kam dann 8 Tage Kiel, davon 1 Tag Lübeck und 8 Tage Binz auf Rügen. Vom Koffer vorausschicken, Hotels aussuchen und buchen, Fahrkarten besorgen, Aufenthalte und Tagesabläufe planen, habe ich alles selbst organi- siert und tadellos geklappt hat es auch noch. Eine Stunde mit der Bahn bis Kaiserslautern, weitere 45 Minuten mit dem Regionalexpress nach Mannheim und 4 Stunden mit dem ICE bis vors Hotel, zwischen Bahnhof und Hörn, dem Kieler Innenhafen. Wir konnten trockenen Fußes vom Hotel, durch den Bahnhof zu den Bushaltestellen oder Sophienhof-Holstentörn, der großen Einkaufspas- sage ins Stadtzentrum gelangen. Vom Hotelfenster aus sah man das öffnen und schließen der Bahn- hofsbrücke. Gegenüber, am Norwegenkai, sah man die Fähre aus Oslo an- und ablegen und Kreuz- fahrtschiffe wie die Concordia und "Mein Schiff" kommen und gehen.

Hierher wollte ich wegen der alten Erinne- wir gemeinsam. Im Halbdunkel zwischen den rungen an meine Zeit bei der Kriegsmarine vielen Gedenktafeln und Kränzen kam eine und um meiner gefallenen Kameraden zu andächtige Stimmung auf, dabei merkte ich gedenken. So fuhren wir mit dem Linienbus aber auch, dass ich in den über 60 Jahren al- hinaus nach Laboe zum Marine-Ehrenmal. lerhand vergessen habe. Von der Seeseite gut sichtbar, auf einer Landzunge, aber von der Linienbus-Haltestelle aus schwer zu finden, nur ein paar km südlich von Laboe, die ge- mauerte Säule mit dem Adler, ist das Uboot- Ehrenmal Möltenort.

Allzu gern hätte ich Heidi das dort ausgestell- te Unterseeboot des gleichen Typs 7c auf dem ich zum Maschinenmaat fast voll ausgebildet wurde auch innen gezeigt. Leider ging das In einem großen, hohlwegartig und kreisför- nicht wegen ihrer Platzangst, lieber stieg sie mig angelegten Gang ist an den Böschungen, bei starkem Wind und Regen auf den hohen nach innen und außen für jedes Unterseeboot Aussichtsturm, was ich mir dann ersparte. das nicht heimgekehrt ist, eine Gedenktafel Selbstverständlich hatte ich nach einem Ge- mit den Namen der gefallenen Kameraden spräch unter Fachleuten, den Eintritt frei und angebracht. Hier hoffte ich Namen von Be- konnte andere Laienbesucher noch informie- kannten finden zu können, vor allem auch ren. Den ebenen oberirdischen und unterirdi- den Namen des Bruders von meinem Schwa- schen Teil des riesigen Denkmals besuchten ger Robert Wiebrecht.

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Wegen dem sehr stark gewordenen Regen Förde-Ost-Nordsee-Kanal zu kommen. und dem für "Landratten" extrem starken Wind wurde das unmöglich. Immerhin weiß Ein Tag war für Lübeck vorgesehen. Wobei ich heute, es waren weit über 1000 Boote und die Schifffahrt auf Kanälen rund um die Stadt allein vom 2. Weltkrieg, 30 000 Namen. und noch mehr die Führung und das Rathaus von innen, uns nachhaltig beeindruckten. Wie Wegen Dauerregen verbrachten wir fast ei- reich müssen früher die Leute hier gewesen nen ganzen Tag im Marinemuseum, trotz un- sein. Am letzten Tag, Sonntag in Kiel, nutzten seres großen roten Familienschirms den uns wir die seltene Gelegenheit einer Werksbe- das Hotel auslieh. Das war auch für Heidi in- sichtigung auf der HDW-Werft. Ein wirklich teressant und lehrreich, jedoch beim Besuch riesiger Schiffs-Neubau wurde da unter dem im U-Boot Motorenmuseum, wo gerade eine riesigen Kran, dem Wahrzeichen von Kiel, mit Vorführung für eine schwedische Besucher- vor- und nacherwärmter Senkrechtnaht, zu- gruppe (nur Männer) stattfand, flüchtete sie sammengeschweißt. Vier hellgrün gestriche- wegen des Lärms eines Junkers-Verdichters ne, neue U-Boote lagen abholbereit für Israel, und dem "Gestank" wie sie meinte. Es war sowie zwei fertige mittelgroße Container- Dieselkraftstoff. Eine Fahrt mit der Fähre schiffe, seit Monaten fertig aber "arbeitslos". über den Kaiser-Wilhelm-Kanal war uns nicht Meine Wünsche waren damit erfüllt. Mit dem vergönnt, weil in der Nacht zuvor eine Paraff- Schleswig-Holstein-Ticket am 16.06.09, für 3o infabrik brannte. Ein Feuerlöschschiff lag in Euro pro Person und dreimal Umsteigen einer Wachsschicht fest, wie in Eis, direkt an konnten wir nach gut 5 Stunden in Binz auf der Anlegestelle der Fähre. Per Linienbus Rügen aussteigen. Siehe Ordner Reisen 2009. gelang es uns tags darauf nach Holtenau, und (Übrigens, alle unsere Urlaube sind so doku- zu Fuß zu dem Leuchtturm an der Einfahrt, mentiert.)

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Links und Verweise

Kadavergehorsam (Beitrag Allez-Hopp): http://blaubach.de/data/files/blaubach/AllezHopp/Allez-hopp_11_01_Sonderausgabe_575_Jahre_Blaubach_web.pdf

Die Nazis haben meiner Generation ihre Jugend geraubt (Filmbeitrag):

Teil 1: https://www.youtube.com/watch?v=MJgKBTjqHyM

Teil 2: https://www.youtube.com/watch?v=166Rhz_eRQg

Teil 3: https://www.youtube.com/watch?v=KKqg_wrVyLc

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14. Schiffsstammabteilung Breda Holland

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