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InformationenWiderstand gegen den Nationalsozialismus – eine Einführung 1 zur politischen Bildung / izpb

330 2/2016 B6897F

Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 2 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Inhalt

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Widerstand gegen den Nationalsozialismus – Regimekritik und Versuche der Gegenöffentlichkeit 36 eine Einführung 4 Kriegsdienstverweigerer, Deserteure, Warnungen vor dem Nationalsozialismus vor 1933 8 „Bewährungseinheiten“ 999 37 Rote Kapelle 38 Weiße Rose 42 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme Widerstand von Jugendlichen 46 und NS-Herrschaftspraxis 10 Die Gruppe um Hanno Günther 50 Widerstand aus der Arbeiterbewegung 10 Die Gruppe um Helmuth Hübener 51 Widerstand aus christlichem Glauben 14 Kreisauer Kreis 52 Widerstand und Exil 18 Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 56 Formierung der militärisch-zivilen Opposition 20 Claus Schenk Graf von Stauffenberg und der Umsturzplanungen 1938 21 Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 59 und das Attentat vom 8. November 1939 24 Widerstand von außen 64 Widerstand gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung 66 Widerstand als Reaktion auf Krieg und Widerstand von Juden 68 NS- Gewaltverbrechen 26 Widerstand von Sinti und Roma 70 Widerstand aus der Arbeiterbewegung 27 Widerstand von Häftlingen 72 Die Europäische Union 30 Hilfen für Verfolgte 74 Die Widerstandsgruppe um 30 Widerstand der letzten Stunde 75 Widerstand aus christlichem Glauben 32

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 3

Editorial

Widerstand in der nationalsozialistischen Diktatur war im- mer die Haltung von sehr wenigen, von einzelnen und oft sehr einsamen Menschen. In diesem System mit totalitärem Anspruch riskierten Menschen, die Widerstand leisteten, ihr Leben. Umgeben waren sie von einer Bevölkerung, die sich in ihrer Mehrheit anpasste, ja vom Nationalsozialismus be- geistert zeigte und das Regime trug. Um die Vielfalt der Motive und Handlungen zu veran- schaulichen, aus denen heraus eine kleine Minderheit tätig wurde, ist dieses Heft stark biografisch ausgerichtet. Was veranlasste Einzelne, Widerstand zu leisten, was motivierte 59 sie zu ihren Aktionen, wer unterstützte sie? Welche Folgen mussten sie gewärtigen? Ohne Anspruch auf Vollständig- keit zu erheben, wird hier beispielhaft das breite, vielfältige 76 Spektrum des deutschen Widerstands gezeigt, das sich nur schwer in Kategorien fassen lässt. Um eine Übersicht zu ermöglichen, werden im Heft die Widerstandshandlungen vor dem Zweiten Weltkrieg und während des Krieges behandelt und gesellschaftlichen Gruppen zugeordnet, die sich auf vielfältige Art und Weise widersetzten. Dazu gehörten Hilfen für Verfolgte, Unterge- tauchte und Zwangsarbeiter, die Herstellung und Vertei- lung von Flugblättern und Klebezetteln, das Abhören und Verbreiten von Nachrichten ausländischer Radiosender, das Bemalen von Wänden mit Parolen gegen die NS-Herrschaft, das Verweigern und die Desertion vom Kriegsdienst, die In- formation über die nationalsozialistischen Verbrechen, die Vorbereitung von Attentaten auf den Diktator und die nati- onalsozialistische Führung. Für die Mehrheit der Zeitgenossen waren Menschen, die Widerstand leisteten, „Volksverräter“. Doch Widerstand ist vielfältig interpretierbar und kann im Laufe der Zeit an- ders gedeutet werden. Heute werden viele derjenigen, die sich dem NS-Regime widersetzten, für ihren Mut und ihre Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945 76 Zivilcourage angesichts eines verbrecherischen Regimes öf- Öffentlichkeit und politische Würdigungen 76 fentlich gewürdigt und mit Erinnerungszeichen und Denk- Der Remer-Prozess – ein Wendepunkt 78 mälern geehrt. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus der NS-Zeit Ringen um Entschädigung 78 wurde im Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4 verankert, um Fehlende juristische Aufarbeitung 79 die Verfassungsprinzipien der Bundesrepublik Deutschland, Historische und mediale Aufarbeitung 79 die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Rechts- staatlichkeit und die Menschenwürde, zu schützen: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, Literaturhinweise und Internetadressen 80 haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Das Beispiel der Menschen, die im Nationalsozialismus Der Autor und die Autorin 83 Widerstand geleistet haben, kann Anstoß geben, darü ber nachzudenken, welche Handlungsmöglichkeiten und -spiel- räume dem Einzelnen bleiben, wenn die demokratische Impressum 83 Ordnung gefährdet ist. Widerstand komme, so Klaus von Dohnanyi, Sohn des 1945 hingerichteten Widerstandskämpfers , immer zu spät. Entscheidend sei, dass Zivilcourage und Ord- nung vorher gewahrt werden.

Jutta Klaeren

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 4 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

JOHANNES TUCHEL / JULIA ALBERT Widerstand gegen den Nationalsozialismus – eine Einführung

„Widerstand ist nicht, Widerstand wird!“ – mit diesen Wor- Aus heutiger Sicht umfasst der Begriff des Widerstands ein ten beschrieb Joachim Gauck als damaliger Vorsitzender des weites Spektrum von Verhaltensweisen. Zu seinen Ausgangs- Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ im Juli 2004 den punkten gehörten systemkritische Haltungen, Selbstbehaup- prozesshaften Charakter aller gegen die nationalsozialisti- tung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie oder die sche Diktatur gerichteten Verhaltensweisen. Damit verwies er Verweigerung regimetreuer Aktivitäten. So konnten sich unter- nicht nur auf die Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Wider- schiedliche Formen der Gegenöffentlichkeit oder des Protests stands gegen den Nationalsozialismus, sondern gleichzeitig entwickeln. Sie boten wiederum die Voraussetzungen für die auch darauf, dass sich dieser Widerstand starren und einseiti- aktive Gegnerschaft oder für die politische Verschwörung, die gen Erklärungsversuchen entzieht. auf eine Veränderung der Verhältnisse oder den Umsturz des Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann zuerst Regimes nach einem gelungenen Attentat auf Hitler zielten. einmal als Oberbegriff für alle Formen aktiven Handelns ge- Das handlungsorientierte und umfassende Verständnis des gen die nationalsozialistische Ideologie und Herrschaftspraxis Widerstands ermöglicht es der historischen Forschung, nicht verstanden werden. Beschrieben wird damit ein Verhalten, nur die Existenz von Handlungsspielräumen unter den Bedin- das mehr ist als nur eine kritische Einstellung gegenüber der gungen der Diktatur aufzuzeigen, sondern auch danach zu fra- Diktatur. Es setzt nicht nur die Bereitschaft zur Aktion voraus, gen, ob und wie sie genutzt wurden. Denn nur wenige ergrif- sondern erfordert konkrete Handlungen. Diese Handlungen fen die Möglichkeiten, die noch zur politischen Aktion gegen waren immer mit einem Risiko für die eigene Person oder für den Nationalsozialismus bestanden. Widerstand war damit in Familienangehörige verbunden. der NS-Zeit das abweichende Verhalten einer Minderheit ge- genüber der Mehrheitsgesellschaft. bpk / Carl Weinrother R3017/3828 Barch,

Drei Pfeile – Symbol der Eisernen Front, Demonstration in am 1. Mai 1932 Von Walter Klingenbeck gemaltes „Victory“-Zeichen, München-Bogenhausen 1941 Gegen Monarchisten, Kommunisten und Nationalsozialisten – die Mitglieder der Der 1924 geborene Münchener Mechanikerlehrling verbreitet 1941 gemeinsam mit Eisernen Front bekennen sich zum Weimarer Verfassungsstaat und wollen ihn ge- Freunden Nachrichten, die sie beim Abhören ausländischer „Feindsender“ erfahren gen seine Feinde schützen. Manche sehen in den Pfeilen auch die SPD, die freien haben. Zudem malt Klingenbeck auf Hauswände und Straßenschilder mit schwar- Gewerkschaften und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Nicht nur mit großen De- zer Ölfarbe das „Victory“-Zeichen, ein Symbol für den Sieg der Alliierten. Er wird im monstrationen wollen sie gemeinsam den Nationalsozialismus bekämpfen und die September 1942 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 Demokratie bewahren. in München-Stadelheim enthauptet.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand gegen den Nationalsozialismus – eine Einführung 5

Die meisten Deutschen begrüßten 1933 die neue Herrschaft. Sie folgten bereitwillig der nationalsozialistischen Führung oder passten sich zumindest in die NS-„Volksgemeinschaft“ ein. Nur wenige stellten sich dem Regime entgegen, und nur in den aller- wenigsten Fällen handelte es sich dabei um einen bewaffneten Widerstand wie in den von Deutschland besetzten Gebieten. Es gab in jeder Phase des NS-Regimes unterschiedlichste Formen des Widerstands, die von ethischen, politischen und religiösen Grundüberzeugungen getragen waren. Sie konnten einsamen Entschlüssen zum Sich-Widersetzen entspringen, aber auch auf gruppen- oder milieuorientierten Entscheidun- gen bzw. Haltungen beruhen. Sie konnten Reaktionen auf Unterdrückung und Verbrechen sein oder sich gegen den welt- anschaulichen Gestaltungs- und Führungsanspruch der Natio- nalsozialisten wenden. GDW Vor der nationalsozialistischen Regierungsübernahme 1933 Illegales Treffen von SPD- und SAP-Mitgliedern an der deutsch-tschechischen hatten vor allem die Parteien der Arbeiterbewegung, aber auch Grenze im Riesengebirge um 1935 viele Künstler und Intellektuelle vor den Gefahren des Natio- In Berlin sammelt der Junggewerkschafter Willi Gabriel (r. mit seiner Frau Erna) nalsozialismus gewarnt. Nach ihrer Regierungsübernahme im Informationen über die „Köpenicker Blutwoche“, in der die SA 1933 mehr als 20 Januar 1933 betrieben die Nationalsozialisten dann ebenso zü- Menschen ermordet hat. Zusammen mit Fritz Benke (3. v. r.), einem Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), gibt er in einer Holzbaude für Skifahrer gig und planmäßig wie gewalttätig die Ausschaltung aller poli- und Wanderer im Riesengebirge das Material an seinen Schwager, den früheren tischen Gegner und Konkurrenten. Alle Parteien außer der Nati- Köpenicker Jungbannerleiter Paul Hasche, weiter. onalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurden verboten; ein Medien- und Meinungsmonopol sollte die politi- sche „“ der deutschen Bevölkerung sichern. Die Grundrechte der Weimarer Verfassung wurden nach einem Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude mit der „Reichstags- brandverordnung“ vom 28. Februar 1933 aufgehoben. So sahen sich etwa Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialis- ten und Gewerkschafter erst einmal gezwungen, neue Organi- sationsstrukturen aufzubauen, bevor sie mit Flugschriften und Flugblättern über den menschenverachtenden Charakter der neuen Diktatur informieren konnten. Die Nationalsozialisten be- trachteten dies als „Hochverrat“, den sie mit hohen Haftstrafen verfolgten. Dennoch wurden aus den traditionellen Milieus der Arbeiterbewegung immer wieder Versuche unternommen, alte Kontakte zu bewahren und neue Widerstandsgruppen zu bilden,

um aktiv an der Beseitigung der NS-Diktatur mitzuwirken. Privatbesitz Die Verteidigung der eigenen Normen und Werte sowie der Auflösung einer nicht genehmigten Bibelfreizeit evangelischer Jugendlicher in geistigen Unabhängigkeit findet sich ebenso bei den liberalen Oberstein/Bayern um 1937 wie bei den konservativen NS-Gegnern. Einzelne wagten es, sich Weil die alle Treffen christlicher Jugendlicher kontrollieren will, müssen offen gegen die Zumutungen der neuen Machthaber aufzuleh- Bibeltage, Jugendlager und Jugendfreizeiten polizeilich angemeldet werden. Ist nen und fanden ihren Weg in den aktiven Widerstand. dies nicht der Fall, werden die Veranstaltungen sofort aufgelöst. Auch Christen beider Konfessionen und Mitglieder kleinerer religiöser Gemeinschaften wehrten sich gegen Übergriffe des Staates auf die Freiheit des Glaubens. Sie dokumentierten ihren gimegegnerschaft. So desertierten etwa Soldaten, weil sie mit den Willen zur geistigen Selbstbehauptung und verteidigten so aktiv nationalsozialistischen Gewaltverbrechen konfrontiert wurden die Freiheit des Bekenntnisses. und nicht bereit waren, einem verbrecherischen Staat zu dienen. Selbst nahe dem Zentrum der Macht regte sich aktiver Wi- Auch die Unterstützung für verfolgte Juden, Zwangsarbeiter derstand. Er zeigte sich in den militärischen Umsturzversuchen und Kriegsgefangene gehörte zu den Formen des Widerstands zwischen 1938 und 1944 und der Verschwörung entschiedener im Kriegsalltag. Insbesondere die Hilfe für verfolgte Juden Regimegegner, die auf den Sturz der NS-Herrschaft abzielten. wandte sich gegen einen Kernpunkt der NS-Ideologie. Formen der Selbstbehauptung, der Verweigerung und der Regimegegner mussten im nationalsozialistischen Herr- daraus folgenden Auflehnung fanden sich auch bei Jugendli- schaftsbereich besondere Vorsicht walten lassen. Sie hatten chen. Mitglieder früherer politischer oder kirchlicher Jugend- sich vor der Polizei zu hüten, aber fast noch mehr vor ihren verbände widersetzten sich der Gleichschaltung ebenso wie Nachbarn, die regimekritische Handlungen registrierten und Mitglieder bündischer Gruppen, deren elitärer Anspruch auf vielfach bereitwillig meldeten. Viele Flugblätter der Opposi- Neuausrichtung der Gesellschaft der NS-Massenideologie zu- tion kennen wir heute nur aus den Akten der Verfolgungsbe- widerlief und die deshalb 1933 direkt verboten worden waren. hörden, da sie von ihren Empfängern zwar gelesen, aber dann Sie verteidigten damit ihr Recht auf Selbstständigkeit und Un- oftmals rasch bei der Polizei abgegeben wurden. Denunziati- abhängigkeit. onen führten in vielen Fällen zu Aktionen der Polizei oder der Desertion und Kriegsdienstverweigerung aus politischen und Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gegen Menschen, die sich weltanschaulichen Gründen waren ebenfalls Ausdruck der Re- regimekritisch geäußert oder verhalten hatten.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 6 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Was Widerstand bedeutet (I) Widerstand gegen das Unrechtsregime ist also mehr als nur Verweigerung, als schweigende Ablehnung, mehr als das Ein- verständnis gegen die Nationalsozialisten im gleichgesinn- ten Milieu, mehr als die Verurteilung des Diktators und seiner Gehilfen im geschlossenen Kreis. Aus der Ablehnung des Re- gimes wird Widerstand durch das Bekenntnis und die Bereit- schaft, Konsequenzen der Haltung und Handlung zu tragen. Ein zentrales Element von Widerstand ist die Gefährdung dessen, der sich erkennbar auflehnt. Eine Voraussetzung ist die Bewahrung eigener Identität, das Festhalten an Normen und Werten, die Verweigerung von Anpassung und Kompro- miss, wie es des Vorteils, des Friedens, des Fortkommens we- GDW gen von der Mehrheit praktiziert wurde. Widerstand ist mehr Arvid und bei Saalfeld im Jahr 1930 als das Beharren auf persönlichen Einstellungen, die mit der Im Kreis um das Ehepaar Harnack werden bereits ab 1933 Grundfragen der poli- Räson des Regimes nicht übereinstimmten. Aber ohne eige- tischen, wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Entwicklung disku- ne Haltung und Orientierung war kein Widerstand möglich. tiert. Die Literaturwissenschaftlerin Mildred Harnack lehrt am Berliner Abend- gymnasium und ist gemeinsam mit ihrem Mann an vielfältigen Aktionen der Wolfgang Benz, Der deutsche Widerstand gegen Hitler, C.H. Beck München 2014, S. 8 Widerstandsgruppe Rote Kapelle führend beteiligt. Beide werden 1942 vom Reichs-

kriegsgericht zum Tode verurteilt und ermordet. 1934-1939 Otto, Strasser, C.02-102, Az. E4320B#1970/25#2*, Bundesarchiv Schweizerisches

1938 entschließt sich der Schreiner Georg Elser (hier um 1936), die NS-Führung – Hit- ler, Göring und Goebbels – zu töten, um so den drohenden Krieg zu verhindern. El- Die Bereitschaft zum Widerstand gegen den Nationalsozialis- Modellbildung kann hier anregend sein, niemals jedoch die ser präpariert in wochenlanger Arbeit ab Sommer 1939 einen tragenden Pfeiler des mus beruhte auf einer individuellen, ganz persönlichen Ent- genaue historische Analyse ersetzen. Veranstaltungssaales im Münchener Bürgerbräukeller, um dort einen Sprengkörper einzubauen. Hitler verlässt am 8. November 1939 nur wenige Minuten vor der Explo- scheidung, zumeist sogar auf einer Reihe von Entschlüssen. In Gerade in der Kriegsphase spiegelte sich in vielfältigen Ak- sion unerwartet früh den Versammlungssaal und entgeht so dem Anschlag. Interviews können viele ehemalige Widerstandskämpferin- tionen des Widerstands und des Protests gegen die national- nen und Widerstandskämpfer oftmals einen genauen Punkt sozialistische Diktatur auch der Zerfall einer Gesellschaft, die benennen, an dem Regimekritik oder Opposition in aktive mit dem militärischen Zusammenbruch zugleich auf ihre ge- Gegnerschaft umschlug. Viele andere können dies jedoch we- sellschaftliche Katastrophe zutrieb. der auf eine konkrete Einzelentscheidung noch auf einen ge- Es kann der Widerstandsforschung und der wissenschaft- nauen Zeitpunkt festlegen. lichen Zeitgeschichte nur gelingen, die Vielfalt dieser Er- Gruppenbildung und Vernetzung waren unter den Bedin- scheinungen wahrzunehmen, wenn sich die Forschenden gungen der Diktatur keine einfachen Vorhaben, sondern häufig die Offenheit des Blicks und die Unbefangenheit des Urteils komplex ablaufende Vorgänge, in deren Verlauf sich die Beteilig- bewahren, aber auch den Willen haben, das ganze Spektrum ten erst einmal kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen von Verhaltensmöglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Im mussten. Das gemeinsame Milieu, die gemeinsame Alterskohor- Widerstand wird dann die Alternative zur Anpassung und zur te, gemeinsame Interessen – all diese Faktoren konnten Men- Folgebereitschaft der meisten Deutschen sichtbar. Und dies schen zusammenführen. Die Gruppenbildung erfolgte vielfach wiederum weist durchgängig darauf hin, dass Zivilcourage in einer gemeinsamen Suche nach politischer und weltanschau- und Teilhabe, die heute so selbstverständlich erscheinen, nie- licher Übereinstimmung. Persönliche und politische Diskussio- mandem in den Schoß fallen. nen gingen ineinander über. In diesen Diskussionen wurde vor allem das Informationsmonopol der Diktatur in Frage gestellt. Es ging darum, Informationen auszutauschen, sie mit der Propa- ganda der Diktatur zu vergleichen und sich so ein eigenes Bild von den politischen Prozessen der Gegenwart zu machen. Dabei wurde oft der eigene politische Standort – in Abgrenzung vom nationalsozialistischen System – bestimmt, bevor weitere Ak- tionen erfolgten. „Gegenöffentlichkeit“ – so klein sie auch sein mochte – war ein Ziel, das mit Flugblättern oder Wandparolen erreicht werden sollte. Widerstand wird so als Prozess einer Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen deut- lich. Die Geschichte des Widerstands zeigt aber auch das Spannungsfeld, in dem die Deutschen in der NS-Zeit standen. Es reicht von Begeisterung, Anpassung und Nachfolgebereit- schaft zu Distanz, Opposition und Widerstand. Die Vielfalt und Breite der Widerstandsformen führen dazu, Privatbesitz Privatbesitz dass der Begriff des Widerstands gegen den Nationalsozialis- mus nur schwer in theoretische Modelle oder eine harmoni- Elli Voigt (3. v. l., hier 1943 mit Zwangsarbeiterinnen aus dem Kabelwerk Schönow Claus Schenk Graf von Stauffenberg und sein Freund Albrecht Ritter Mertz von sierende Zusammenschau zu fassen ist. Hinzu kommt, dass bei Berlin) gehört einer kommunistischen Widerstandsgruppe an. An ihrer Arbeits- Quirnheim, hier im „Führerhauptquartier“ in Winniza/Ukraine 1942, gehören stelle im Kabelwerk knüpft sie Kontakt zu Zwangsarbeitern, die sie unterstützt und zu den wichtigsten Beteiligten des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944. Beide der Widerstandsbegriff nach 1945 in der politischen wie in der in ihre politische Arbeit einbezieht. Sie wird vom „Volksgerichtshof“ zum Tode ver- werden in der Nacht zum 21. Juli 1944 im Innenhof des Berliner Bendlerblocks wissenschaftlichen Diskussion oftmals umstritten war. Jede urteilt und am 8. Dezember 1944 in Berlin-Plötzensee enthauptet. erschossen.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand gegen den Nationalsozialismus – eine Einführung 7

Was Widerstand bedeutet (III) Der Begriff Widerstand ist stets umstritten gewesen. In der Regel bezeichnet das Wort Widerstand Reaktionen eines Men- schen oder von Gruppen auf Machtmißbrauch, Verfassungs- bruch und Menschenrechtsverletzungen. Deshalb erscheint Widerstand immer dann als geboten oder gerechtfertigt, wenn Grundsätze des modernen Naturrechts oder Grundprin- zipien einer demokratischen, freiheitlichen, rechtsstaatlichen Ordnung gegen Übergriffe verteidigt werden sollen. Weil sich Widerstand vor allem auf die Verteidigung ei- ner menschenwürdigen Ordnung bezieht, hängt die innere Anerkennung des Widerstands von der Formulierung der Grenzen und Ziele des Staates ab, deren Gefährdung und Ver- letzung widerständiges Verhalten notwendig macht. In der Regel wird Widerstand durch Attribute präzisiert. Dadurch soll deutlich gemacht werden, daß Widerstand als eine Form abweichenden Verhaltens ein breites Verhaltensspektrum abdeckt – vom passiven Widerstand und der Verweigerung über die innere Emigration, den ideologischen Gegensatz

Schweizerisches Bundesarchiv E4320B#1970/25#2*, Az. C.02-102, Strasser, Otto, 1934-1939 Otto, Strasser, C.02-102, Az. E4320B#1970/25#2*, Bundesarchiv Schweizerisches und die bewußte Nonkonformität zum Protest, zur offenen

1938 entschließt sich der Schreiner Georg Elser (hier um 1936), die NS-Führung – Hit- Ablehnung und schließlich zur Konspiration, die sich sowohl ler, Göring und Goebbels – zu töten, um so den drohenden Krieg zu verhindern. El- auf die gedankliche Vorbereitung der Neuordnung nach dem Modellbildung kann hier anregend sein, niemals jedoch die ser präpariert in wochenlanger Arbeit ab Sommer 1939 einen tragenden Pfeiler des Ende des NS-Staates konzentrieren konnte als auch versu- genaue historische Analyse ersetzen. Veranstaltungssaales im Münchener Bürgerbräukeller, um dort einen Sprengkörper chen mußte, aktiv den Umsturz des Regimes vorzubereiten einzubauen. Hitler verlässt am 8. November 1939 nur wenige Minuten vor der Explo- Gerade in der Kriegsphase spiegelte sich in vielfältigen Ak- sion unerwartet früh den Versammlungssaal und entgeht so dem Anschlag. und durchzuführen. tionen des Widerstands und des Protests gegen die national- Widerstand bezeichnet ein breites Verhaltensspektrum, sozialistische Diktatur auch der Zerfall einer Gesellschaft, die dessen Voraussetzungen in Vorbehalten gegenüber dem mit dem militärischen Zusammenbruch zugleich auf ihre ge- Regime (Resistenz), in der inneren Kraft zur bewußten Dis- sellschaftliche Katastrophe zutrieb. tanzierung von den politischen Konventionen der Zeit und Es kann der Widerstandsforschung und der wissenschaft- Was Widerstand bedeutet (II) in der Befähigung zur Bewahrung traditional vermittelter lichen Zeitgeschichte nur gelingen, die Vielfalt dieser Er- Kein System kann alle Normenverletzungen ahnden, jeder Wertvorstellungen liegen. Im Verständnis der Deutschen scheinungen wahrzunehmen, wenn sich die Forschenden derartige Versuch würde das System selbst blockieren. Es gibt wird der Begriff Widerstand vor allem durch die Erfahrun- die Offenheit des Blicks und die Unbefangenheit des Urteils also in jedem, auch dem nationalsozialistischen System gan- gen der NS-Zeit bestimmt. Widerstand bezeichnet in diesem bewahren, aber auch den Willen haben, das ganze Spektrum ze Bereiche, die gewöhnlich unterhalb der polizeilichen Ein- Zusammenhang jedes aktive und passive Verhalten, das sich von Verhaltensmöglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Im greifschwelle liegen. In diesen Bereichen – also in gewöhn- gegen das NS-Regime oder einen erheblichen Teilbereich der Widerstand wird dann die Alternative zur Anpassung und zur lich sehr privaten Räumen – waren die meisten Akte von NS-Ideologie richtete und mit hohen persönlichen Risiken Folgebereitschaft der meisten Deutschen sichtbar. Und dies Nonkonformität gegenüber dem NS-Regime angesiedelt. In verbunden war. wiederum weist durchgängig darauf hin, dass Zivilcourage der Regel handelte es sich um einzelne Normenverletzungen, Peter Steinbach / Johannes Tuchel, Widerstandsbegriff, in: Dies. (Hg.), Lexikon des und Teilhabe, die heute so selbstverständlich erscheinen, nie- die nicht das Ganze in Frage stellten. Widerstandes 1933–1945, 2. durchgesehene Auflage, C. H. Beck München 1998, S. 240 f. mandem in den Schoß fallen. Akte bloßer Nonkonformität wurden dann um einen Grad genereller und damit politisch gegen das Regime gerichtet, wenn sie nicht nur gegen irgendwelche Normen des Systems verstießen, sondern sich den Anordnungen etwa von Behörden bewußt widersetzten. Solche Verweigerung konnte etwa darin bestehen, daß man seinen Sohn oder seine Tochter trotz mehr- maliger offizieller Intervention nicht zur HJ [„Hitler-Jugend“] oder zum BDM [„Bund Deutscher Mädel“] schickte. Oder darin, daß man trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Werkslei- tung die eigene Produktionsleistung nicht erhöhte. Noch weitgehender, weil in der Tendenz noch mehr auf die generelle Ablehnung des Regimes ausgerichtet, ist der Protest. Er konnte sich immer noch auf eine Einzelmaßnahme beziehen, wie etwa in der Kampagne der Kirchen gegen die Euthanasie. Als Widerstand würden wir in dieser langen Skala abwei- chenden Verhaltens dann jene Verhaltensformen bezeich- nen, in denen das NS-Regime als Ganzes abgelehnt wurde, und Maßnahmen zur Vorbereitung des Sturzes des NS-Re- Privatbesitz Privatbesitz gimes im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten des jeweils Elli Voigt (3. v. l., hier 1943 mit Zwangsarbeiterinnen aus dem Kabelwerk Schönow einzelnen Subjektes getroffen wurden. Claus Schenk Graf von Stauffenberg und sein Freund Albrecht Ritter Mertz von bei Berlin) gehört einer kommunistischen Widerstandsgruppe an. An ihrer Arbeits- Quirnheim, hier im „Führerhauptquartier“ in Winniza/Ukraine 1942, gehören stelle im Kabelwerk knüpft sie Kontakt zu Zwangsarbeitern, die sie unterstützt und Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Anpassung, Ausmerze und zu den wichtigsten Beteiligten des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944. Beide in ihre politische Arbeit einbezieht. Sie wird vom „Volksgerichtshof“ zum Tode ver- Aufbegehren unter dem Nationalsozialismus, Bund Verlag Köln 1982, S. 96 ff. werden in der Nacht zum 21. Juli 1944 im Innenhof des Berliner Bendlerblocks urteilt und am 8. Dezember 1944 in Berlin-Plötzensee enthauptet. erschossen.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 8 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS Bundesarchiv, Bild 102-01906A / Foto: Georg Pahl Foto: / Bild 102-01906A Bundesarchiv,

Republikanische Demonstration im Berliner , Oktober 1930

Warnungen vor dem Nationalsozialis- ners, der Arbeitersportverbände und der freien Gewerkschaf- mus vor 1933 ten sowie der Sozialdemokraten zur Eisernen Front zusammen. Sie reagierten damit auf die antidemokratische und rechtsex- treme Harzburger Front, die sich unter Beteiligung der Nati- Nach dem Ende des Kaiserreichs im November 1918 prägten Auf- onalsozialisten im November 1931 zusammengefunden hatte. stände und Putschversuche die ersten Jahre der Weimarer Repu- Die Eiserne Front wollte verhindern, dass aus der Republik ein blik. In der Bevölkerung wie unter deren politischen Vertretern autoritärer Staat wurde. Doch die Arbeiterbewegung der Wei- herrschte eine ausgeprägte Abneigung gegen politische und marer Republik war gespalten. Die Kommunisten bekämpften soziale Kompromisse, die das Entstehen eines gemeinsamen die als „sozialfaschistisch“ diffamierte Sozialdemokratie mit Verantwortungsbewusstseins für ihren neuen, demokratischen mindestens ebenso viel Energie wie den aufkommenden und Staat verhinderte. immer stärker werdenden Nationalsozialismus. Erst 1924 begann eine Phase relativer Stabilität und in- Einzelne Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle und Wissen- nenpolitischer Ruhe, die bis 1929 andauerte. Verbunden mit schaftler warnten frühzeitig, jedoch erfolglos, vor dem Natio- wirtschaftlichem Aufschwung führte sie zu einer Blütezeit nalsozialismus. „Daß der Nazi dir einen Totenkranz flicht: in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Eine Zwiespältigkeit zwi- Deutschland, siehst du das nicht?“, fragte Kurt Tucholsky 1930 schen Fortschritt und Stagnation, demokratischem Ringen in seinem Gedicht „Deutschland, erwache“. Carl von Ossietz- und Anarchie, Moderne und Beharren auf Tradition kenn- ky, der Herausgeber der Zeitschrift „Weltbühne“, schrieb Ende zeichnete die „Goldenen Zwanziger“. Technischer Fortschritt 1931: „Die gleiche Not, die alle schwächt, ist Hitlers Stärke. Der und künstlerische Experimentierfreudigkeit beflügelten das Nationalsozialismus bringt wenigstens die letzte Hoffnung Lebensgefühl. von Verhungernden: den Kannibalismus. Man kann sich Dies alles endete mit der im Oktober 1929 einsetzenden schließlich noch gegenseitig fressen.“ Kritik am Antisemitis- Weltwirtschaftskrise, in der Armut und Verzweiflung um sich mus übte der liberale Politiker und spätere Bundespräsident griffen. Die regierenden Parteien entzogen sich ihrer Verant- Theodor Heuss in seinem 1932 erschienenen Buch „Hitlers wortung und waren unfähig, stabile Koalitionen zu bilden. Weg. Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozi- Tief verwurzeltes autoritäres Gedankengut und antisemiti- alismus“. Ihm fehlte jedoch das Vorstellungsvermögen dafür, sche Überzeugungen beeinflussten die Wertvorstellungen der mit welcher Brutalität und Mordlust die Absichten der NSDAP Gesellschaft. In dieser Situation entfesselten die Gegner der ab 1933 in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollten. Weimarer Republik von rechts und links eine beispiellose Agi- Im Sommer 1932 entmachtete schließlich Reichskanzler tation gegen den Staat, der keine Mittel gegen die wirtschaft- die demokratisch legitimierte preußische liche und politische Krise fand. Regierung und besiegelte so das Schicksal der Weimarer Re- Breite Initiativen zur Verteidigung der Demokratie blieben publik. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von aus. Nur eine Massenorganisation bildete die Ausnahme: das Hindenburg den „Führer“ der NSDAP, , zum Reichs- 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der größ- kanzler. Als seine Gegner erkannten, dass er die endgültige te republikanische Schutzverband mit etwa drei Millionen Zerstörung der Weimarer Republik betrieb, verfügte Hitler Mitgliedern aus allen demokratischen Parteien und aus den bereits über die entscheidenden Machtmittel zur Errichtung Gewerkschaften. 1931 schlossen sich Mitglieder des Reichsban- einer Diktatur.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand gegen den Nationalsozialismus – eine Einführung 9

Gestützt auf seine eigenen Informati- onsquellen und Interna der NS-Bewe- gung wandelte er die Zeitung in ein Kampfblatt gegen den Nationalsozia- lismus um. Ab Herbst 1932 berichtete er wiederholt über Zerwürfnisse in der NSDAP-Spitze und Putschpläne aus den Reihen der SA. Am 9. März 1933 wurde Gerlich in der Re- daktion von SA-Leuten misshandelt und festgenommen, am 13. März wurde „Der gerade Weg“ verboten. Nach 16-monati-

Privatbesitz ger Haft wurde Fritz Gerlich in der Nacht Privatbesitz vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 in das KZ Dachau verlegt und dort erschossen. fritz gerlich

Der 1883 geborene Journalist Fritz Ger- „Der Nationalsozialismus ist eine Pest! […] Der 1889 geborene Journalist Carl von lich leitete zwischen 1920 und 1928 die Nationalsozialismus aber bedeutet: Feind- Ossietzky war zwischen 1911 und 1922 Münchner Neuesten Nachrichten, eine schaft mit den benachbarten Nationen, Mitarbeiter und Redakteur verschiede- Vorgängerzeitung der heutigen Süddeut- Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, ner Wochen- und Tageszeitungen und schen Zeitung. Völkerkrieg. Nationalsozialismus heißt: Lüge, ab 1919 Sekretär der Deutschen Friedens- Unter dem Eindruck des Hitlerputsches Haß, Brudermord und grenzenlose Not. gesellschaft. Bewaffnete Auseinanderset- vom November 1923 entwickelte sich der Adolf Hitler verkündigt das Recht der Lüge. zungen lehnte er kategorisch ab und engagierte Katholik zu einem scharfen Kri- […] Ihr, die ihr diesem Betruge eines um trat für das Prinzip der Gewaltlosigkeit tiker und Gegner Adolf Hitlers. 1930 über- die Gewaltherrschaft Besessenen verfallen ein. Die von ihm ab 1927 geleitete politi- nahm Gerlich das Wochenblatt „Illustrierter seid, erwacht! Es geht um Deutschlands, sche Zeitschrift „Die Weltbühne“ war das Sonntag“, das ab 1932 unter dem program- um Euer, um Eurer Kinder Schicksal.“ wichtigste Medium gegen den deutschen matischen Titel „Der gerade Weg. Deutsche Wahlaufruf von Dr. Fritz Gerlich, „Der gerade Weg“, Nr. 31 Militarismus und übte scharfe Kritik am Zeitung für Wahrheit und Recht“ erschien. vom 31. Juli 1932 obrigkeitsstaatlichen Denken und an der politischen Justiz. Im März 1933 wurde „Die Weltbühne“ verboten. Anfang April 1933 wurde Carl Im September 1930 wurde Kurt Schuma- von Ossietzky vom Polizeigefängnis Ber- cher Abgeordneter im Deutschen Reichs- lin-Spandau in das Konzentrationslager tag. Als dort am 23. Februar 1932 Joseph Sonnenburg verlegt und dort schwer miss- Goebbels die SPD als „Partei der Deserteu- handelt. Seine Schriften fielen im Mai 1933 re“ beschimpfte, antwortete er mit einer der Bücherverbrennung der Nationalsozia- Stegreifrede, die noch heute als eine der listen zum Opfer. Mitte Februar 1934 setzte schärfsten Attacken gegen den National- sich Ossietzkys Leidensweg im emslän- sozialismus gilt. dischen Konzentrationslager Esterwegen Im Juli 1933 wurde Schumacher festge- fort. Anfang November 1936 musste der nommen. Es folgte ein fast zehnjähriger Schwerkranke nach Berlin verlegt werden. Leidensweg durch Gefängnisse und Kon- Kurz darauf erhielt der engagierte Pazi- zentrationslager. Nach dem Krieg war fist und Demokrat rückwirkend für 1935

AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung Kurt Schumacher zwischen 1946 und sei- den Friedensnobelpreis. Die Nationalso- nem Tod 1952 SPD-Parteivorsitzender. zialisten verboten ihm, zur Preisverlei- hung nach Oslo zu reisen. Sie forderten kurt schumacher „Die ganze nationalsozialistische Agitation ihn zur Ablehnung des Preises auf, was Der 1895 geborene Kurt Schumacher stu- ist ein dauernder Appell an den inneren Carl von Ossietzky jedoch standhaft ver- dierte von 1915 bis 1919 Rechts- und Staats- Schweinehund im Menschen. […] Wenn wir weigerte. Er starb am 4. Mai 1938 in der wissenschaften und promovierte 1920. irgendetwas beim Nationalsozialismus an- Klinik Nordend in Berlin-Weißensee an Noch während des Studiums schloss er erkennen, dann ist es die Tatsache, daß ihm den Folgen der Haft. sich 1918 der SPD an. zum ersten Mal in der deutschen Politik die Von 1920 bis 1930 politischer Redak- restlose Mobilisierung der menschlichen „Ob wir überleben, ist weder sicher noch teur der „Schwäbischen Tagwacht“, stieg Dummheit gelungen ist. […] Abschließend die Hauptsache. Wie man aber später von er zum Repräsentanten der Stuttgarter sage ich den Herren Nationalsozialisten: uns denken wird, ist so wichtig wie, daß Sozialdemokratie auf. Leidenschaftlich Sie können tun und lassen, was sie wollen; man an uns denken wird. […] Ein Deutsch- setzte er sich für die gefährdete Weima- an den Grad unserer Verachtung werden land, das an uns denkt, wird ein besseres rer Republik ein. Mehrere Jahre war er sie niemals heranreichen.“ Deutschland sein.“

Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz- Aus der Reichstagsrede des sozialdemokratischen Abge- Bemerkung von Carl von Ossietzky gegenüber einem Rot-Gold in Stuttgart. ordneten Dr. Kurt Schumacher vom 23. Februar 1932 Mithäftling im KZ Esterwegen

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 10 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS Barch, R58/3258 b Barch, A. k. Fotograf: / 0081608 290 Nr. F Rep. Berlin, Landesarchiv

Kundgebung der Eisernen Front vor dem Berliner Schloss, 19. Februar 1933 KPD-Demonstration in Berlin, 25. Januar 1933 Im Dezember 1931 schließen sich Sozialdemokraten, Freie Gewerkschaften, Reichs- Vier Stunden lang ziehen am 25. Januar 1933 mehrere zehntausend KPD-Anhänger banner Schwarz-Rot-Gold und Arbeitersportvereine zur Eisernen Front zusammen. auf dieser letzten Großdemonstration der KPD an der Parteiführung vorbei. V. l.: Franz Ihr Ziel ist die „Überwindung der faschistischen Gefahr“. Noch am 19. Februar 1933 Dahlem, Wilhelm Hein, Willy Leow, , Wilhelm Florin (verdeckt), Artur demonstrieren mehrere zehntausend Menschen gegen die Nationalsozialisten. Golke, , Ernst Thälmann

JOHANNES TUCHEL / JULIA ALBERT Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis

Widerstand aus der Arbeiterbewegung Einzelne Regimegegner bemühten sich in dieser Situation, die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden. Sozialisten Schon vor 1933 hatten sich Kommunisten, Sozialisten, Sozi- und Anhänger von Einheitsbestrebungen fanden sich vor al- aldemokraten und Gewerkschaftsmitglieder gegen die Ide- lem in der Gruppe „Neu Beginnen“, im „Roten Stoßtrupp“ und en und Ziele Hitlers zur Wehr gesetzt. Eine gemeinsame Ab- in den „Roten Kämpfern“ zusammen oder suchten die Verbin- wehrfront der Arbeiterbewegung war jedoch nicht zustande dung zu Gruppen der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) und gekommen, weil die Kommunisten in den Sozialdemokraten der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), der wichtigs- ihren „Hauptfeind“ sahen und die Gegensätze innerhalb der ten anarcho-syndikalistischen Organisation in Deutschland. Arbeiterbewegung unüberbrückbar blieben. Die Mehrheit der Im Vordergrund ihrer Bemühungen standen die Ziele, sich Gewerkschaftsführer suchte schließlich sogar nach einem nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen zu lassen Kompromiss mit der neuen NS-Regierung. sowie den organisatorischen Zusammenhalt und einen inten- In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brannte das siven Informationsaustausch aufrechtzuerhalten. Reichstagsgebäude in Berlin. Die Täterschaft konnte nie zwei- Neben der Selbstbehauptung überwog allerdings auch in felsfrei geklärt werden, doch die Nationalsozialisten werte- der Arbeiterschaft die Bereitschaft zur Anpassung an das ten den Brandanschlag als Fanal für einen kommunistischen NS-Regime. Die Nationalsozialisten wollten durch scheinbare Umsturzversuch und nutzten ihn als Vorwand, um die Grund- Zugeständnisse die Unterstützung der Arbeiterschaft gewin- rechte außer Kraft setzen zu lassen. Viele Kommunisten und nen und erklärten 1933 den 1. Mai, einen traditionsreichen Sozialdemokraten wurden in aller Öffentlichkeit verfolgt und Kampftag der Arbeiterbewegung, zum Staatsfeiertag. Schon inhaftiert. Einigen gelang die Flucht ins Ausland, wo sie den einen Tag später jedoch wurden die Gewerkschaften verboten. Kampf gegen die NS-Diktatur fortsetzten und versuchten, vom Bis 1935 wurde der Zugriff von Polizei und Justiz immer fes- Exil aus Verbindung zu ihren Freunden in Deutschland zu hal- ter. Massenprozesse und Konzentrationslager sollten abschre- ten, Nachrichten zu sammeln oder Flugschriften weiterzuge- ckende Wirkung entfalten. ben. In die Illegalität gedrängt, bildeten sich in Deutschland lo- Dennoch leisteten Kommunisten, Sozialdemokraten und kale Gruppen und oppositionelle Gesinnungsgemeinschaften. Gewerkschafter weiterhin auf vielfältige Weise Gegenwehr:

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis 11

Rede gegen das Ermächtigungsgesetz Warnung vor der Kriegsgefahr […] Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. (Lebh. Am 2. Februar 1936 haben 118 Mitglieder aller Arbeiterparteien Beifall bei den Soz.) Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemo- Deutschlands und Vertreter seines freiheitlichen Bürgertums kratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise in einer Kundgebung an das deutsche Volk eindringlich darauf niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hingewiesen, dass der von Hitler vorbereitete Vernichtungs- hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Die Wahlen vom und Eroberungskrieg täglich näher rückt. […] 5. März haben den Regierungsparteien die Mehrheit gebracht und Die Unterzeichneten, Angehörige sämtlicher deutscher Ar- damit die Möglichkeit gegeben, streng nach Wortlaut und Sinn beiterparteien und Organisationen, die in Deutschland einen der Verfassung zu regieren. Wo diese Möglichkeit besteht, besteht Heldenkampf gegen das Hitlerregime führen, erklären ge- auch die Pflicht. (Sehr richtig! bei den Soz.) Kritik ist heilsam und meinsam mit Vertretern des freiheitlichen deutschen Bürger- notwendig. Noch niemals, seit es einen deutschen Reichstag gibt, tums: Die deutschen Volksmassen wollen nicht Krieg, sondern ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die ge- Frieden. Die Kriegspolitik Hitlers widerspricht dem Willen der wählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet wor- überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes. Es ist unwahr, den, wie es jetzt geschieht (sehr wahr! bei den Soz.), und wie es dass hinter Hitler 99 Prozent des deutschen Volkes stehen. Die durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll. Zahlen der Wahlen sind teils durch einen unerhörten Terror Eine solche Allmacht der Regierung muss sich umso schwerer aus- erpresst, teils sind sie erreicht vermittels nachgewiesener bei- wirken, als auch die Presse jeder Bewegungsfreiheit entbehrt. […] spielloser Fälschungen. Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschich- Die große Masse des deutschen Volkes, besonders die Werk- te zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man tätigen Deutschlands haben im Zusammenleben mit anderen machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen Nationen nur ein Ziel, in einem freiheitlichen, von Naziterror nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache erlösten Deutschland mit allen Völkern in Frieden zu leben Ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbe- und alle strittigen Fragen durch friedliche Verständigung zu wusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden lösen. nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren. […] Angesichts der gesteigerten Kriegsgefahr und drohenden Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfas- Katastrophe ist dieser Zusammenschluss notwendiger denn je, sung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, um die Machenschaften Hitlers bloßzustellen, um die chauvi- der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, die in ihr festge- nistische Demagogie, die ideologische Vorbereitung des Krieges legt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in zunichte zu machen. dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Unser Ruf ergeht an alle deutschen Arbeiter, an alle Frauen Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des So- und Männer, die Deutschland und die Welt vor einem neuen zialismus. (Lebh. Zustimmung bei den Soz.) Krieg bewahren wollen. Vereinigt Euch! Kämpft gemeinsam für Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die den Sturz der Hitlerdiktatur! Sie ist das Unglück unseres Volkes ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten. Sie selbst haben und wird zum Unglück für die ganze Welt, wenn w i r es nicht sich ja zum Sozialismus bekannt. Das Sozialistengesetz hat die verhindern. Sozialdemokratie nicht vernichtet. Auch aus neuen Verfolgun- Unser Ruf ergeht gleichzeitig an die Arbeiter und ihre Organi- gen kann die deutsche Sozialdemokratie neue Kraft schöpfen. sationen in der ganzen Welt, an die Männer und Frauen in allen Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen un se- Ländern, durch einheitliches Handeln, durch Verhinderung jeder re Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen finanziellen Unterstützung Hitlerdeutschlands, durch Kampf für Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht – die Amnestierung der eingekerkerten Gegner des Naziregimes, (Lachen bei den Nsoz. – Bravo! bei den Soz.) verbürgen eine hel- die freiheitlichen und friedliebenden Kräfte des deutschen Vol- lere Zukunft. kes in ihrem heroischen Ringen zu unterstützen.[…]

Rede von Otto Wels im Reichstag am 23. März 1933 gegen das Gesetz, das die Regierung Aufruf zur Bildung einer Einheitsfront vom 2. Februar 1936, abgedruckt in: Die Rote Fahne, ermächtigen sollte, ohne parlamentarische Zustimmung Gesetze zu erlassen Jahrgang 1936, Nr. 4

durch Kritik in Betrieb und Nachbarschaft an der national- glieder wurden häufig durch V-Leute der Gestapo, die heimlich sozialistischen Herrschaft, durch geheime Zusammenkünfte, in die Gruppen eingeschleust worden waren, verraten und in Kurierdienste und Nachrichtenübermittlung, durch die Ver- politischen Massenprozessen verurteilt. teilung von Flugblättern und illegalem Material sowie durch Zweifel an der Fähigkeit der Auslandsleitung, von außen Hilfe für die Angehörigen inhaftierter Parteifreunde. den Widerstand zu koordinieren, bewogen seit der Mitte Die emigrierte Leitungsgruppe der KPD hatte nach Prag und der 1930er-Jahre Gruppen kommunistischer Regimegegner, schließlich ihren Sitz in Moskau genommen. Dort vertrat unabhängig von der Führung der Exil-KPD zu handeln. Hin- sie unter der Leitung von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck zu kam die Kenntnis der stalinistischen Säuberungen in der die politische Linie Stalins und strebte nach der Führung in Sowjetunion. Schließlich offenbarte der deutsch-sowjetische der Arbeiterbewegung. Während die Sozialdemokraten stär- Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, der Hitler den Überfall ker darauf aus waren, Gesinnungsfreunde zu sammeln, war auf Polen erleichterte, die Zusammenarbeit der beiden Dikta- es den Kommunisten wichtig, öffentliche Wirkung zu erzielen. toren bei der Aufteilung Ostmitteleuropas. Stalin ließ zu die- Dieser öffentlichkeitswirksame Protest führte aber auch zur ser Zeit sogar kommunistische Regimegegner an die Gestapo verstärkten Verfolgung von KPD-Funktionären. Schon in den ausliefern. Diese Umstände bewirkten in ihrer Gesamtheit bis ersten vier Jahren der NS-Diktatur wurden die kommunisti- zum Kriegsbeginn eine weitgehende Lähmung des kommu- schen Widerstandsgruppen weitgehend zerschlagen. Ihre Mit- nistischen Widerstands.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 12 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS GDW GDW GDW

lilo herrmann willi münzenberg robert stamm

Die 1909 geborene Lilo (Liselotte) Herr- Willi Münzenberg, 1889 geboren, trat 1919 Der 1900 geborene Robert Stamm be- mann studierte von 1929 bis 1931 an der KPD bei und war von 1919 bis 1921 Se- suchte nach einer Werkzeugschlosser- der Technischen Hochschule in Stuttgart kretär der Kommunistischen Jugendin- lehre die Fachschule für Werkzeug- und Chemie und ab 1931 Biologie in Berlin. ternationale. 1921 organisierte er Hilfs- Maschinenbau. Noch im Frühjahr 1918 1928 trat sie in den Kommunistischen maßnahmen für das hungernde Russland wurde er zum Militärdienst einberufen. Jugendverband ein, wurde Mitglied des und stand bis 1933 der Internationalen Stamm trat bald nach ihrer Gründung Roten Studentenbundes und im Novem- Arbeiterhilfe vor. der KPD bei, beteiligte sich 1920 an Ak- ber 1931 KPD-Mitglied. Er baute mit Hilfe der Kommunisti- tionen gegen die Kapp-Putschisten und Wegen ihrer politischen Tätigkeit im schen Internationalen (kurz: Komintern) 1923 gegen die separatistischen Gruppen Juli 1933 von der Universität verwiesen, ein breitgefächertes kommunistisches im Rheinland. Von 1924 bis 1930 übte Ro- arbeitete sie anschließend als Kinder- Medienunternehmen auf. Im Zentralko- bert Stamm verschiedene Funktionen in mädchen. Lilo Herrmann war in jener mitee der KPD gehörte er bis 1932 zu den der KPD im Rhein-Ruhr-Gebiet aus. Zeit bereits Mitarbeiterin des geheimen Vertretern einer ultralinken Politik. Er war zunächst als Volontär, später Nachrichtendienstes der KPD. Nach dem Reichstagsbrand floh Mün- als Gewerkschafts- und Wirtschaftsre- Nach der Geburt ihres Sohnes Walter zenberg nach Frankreich und erhielt dort dakteur bei der KPD-Zeitung „Freiheit“ in kehrte sie im September 1934 nach Stutt- durch Vermittlung des französischen Po- Düsseldorf beschäftigt. 1930 schickte ihn gart zurück und war zunächst im Inge- litikers und Schriftstellers Henri Barbusse die KPD-Führung als Bezirksleiter nach nieurbüro ihres Vaters als Stenotypistin politisches Asyl. Er gründete einen Verlag . 1932 wurde er als Abgeordneter beschäftigt. Ab Ende 1934 arbeitete sie und veröffentlichte von Paris aus Aufse- in den Reichstag gewählt. als technische Mitarbeiterin für Ste- hen erregende „Braunbücher“ über den Nach dem Reichstagsbrand arbeitete fan Lovasz, den Leiter der illegalen KPD Reichstagsbrand und den Terror im nati- er illegal weiter, verließ Anfang April Württemberg, und übernahm Schreib- onalsozialistischen Deutschland. 1933 Bremen und ging nach Berlin. Von und Kurierarbeiten für den geheimen 1935 ergriff Münzenberg die entschei- Mai 1933 bis Frühjahr 1934 war er als Po- Militärapparat der KPD. dende Initiative zur Gründung einer deut- litischer Sekretär der KPD-Bezirksleitung Von dem in den Dornier-Werken in schen „Volksfront“ gegen den Nationalso- Niedersachsen tätig, anschließend leite- Friedrichshafen beschäftigten Artur Gö- zialismus, der Vertreter unterschiedlicher te er die Berlin-Brandenburger Organi- ritz erhielt sie militärische Informationen Parteien angehörten. sation der KPD bis Oktober 1934. über die Produktion von Rüstungsgütern Meinungsverschiedenheiten mit der Im November 1934 verließ er Deutsch- und über den Bau einer unterirdischen KPD-Führung in Moskau und Ausei- land und nahm in Moskau an den Vor- Munitionsfabrik bei Celle. Dieses Mate- nandersetzungen mit Walter Ulbricht bereitungen des VII. Weltkongresses der rial wurde einem Instrukteur des Zent- führten 1938 zum Bruch mit der KPD. Kommunistischen Internationale teil. Auf ralkomitees (ZK) der KPD in der Schweiz Münzenberg trat für gemäßigte, sozialde- Beschluss der KPD-Führung kehrte er An- übergeben. mokratische Positionen ein und lehnte die fang März 1935 nach Berlin zurück. Von Agenten verraten, wurde Liselot- Diktatur des Proletariats ab. Er war Gegner Zusammen mit Adolf Rembte, Käte Lü- te Herrmann am 7. Dezember 1935 fest- des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs- beck und Max Maddalena wurde Stamm genommen und am 12. Juni 1937 vom paktes. am 27. März 1935 von der Gestapo fest- „Volksgerichtshof“ wegen „Landesverrats Als deutscher Staatsangehöriger in ei- genommen. Trotz einer großen interna- und Vorbereitung zum Hochverrat“ zum nem französischen Internierungslager tionalen Protest- und Solidaritätsbewe- Tode verurteilt. Ihre Enthauptung erfolg- festgehalten, floh Münzenberg im Juni gung wurden Stamm und Rembte am te am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee, 1940 beim Vorrücken der deutschen Trup- 4. Juni 1937 vom „Volksgerichtshof“ zum obwohl sich viele Menschen aus ver- pen. Sein Tod im Sommer 1940 auf dem Tode verurteilt und am 4. November 1937 schiedenen Ländern für die junge Frau Weg in die Schweiz ist bis heute ungeklärt. in Berlin-Plötzensee enthauptet. und Mutter einsetzten.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis 13 ullstein bild GDW IISH

otto wels werner blumenberg hilde ephraim

Ab 1919 war der 1873 geborene Otto Als Sohn eines Pastors 1900 geboren, Die 1905 geborene Fürsorgerin Hilde Wels Reichstagsabgeordneter und ent- studierte Werner Blumenberg ab 1919 Ephraim arbeitete in Brandenburg an schiedener Anhänger der Republik. Als Theologie, Religionsgeschichte sowie ori- der Havel und trat dort 1931 der Sozia- SPD-Parteivorsitzender griff er die Na- entalische Sprachen und befasste sich listischen Arbeiterpartei Deutschlands tionalsozialisten in Reden und Artikeln mit philosophischen und sozialistischen (SAP) bei. unerschrocken an. Bis zuletzt versuchte Schriften. 1933 wurde sie wegen ihres politischen Wels, die Republik und ihre Verfassungs- Er konnte sein Studium aus finanziel- Engagements und wegen ihrer jüdischen ordnung zu verteidigen. len Gründen nicht beenden und arbeitete Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen. Im März 1933 wollte sich Hitler danach in einem Kalibergwerk. Daneben Sie zog nach Berlin und war hier für die vom Parlament unabhängig machen schrieb er Artikel für die in Hannover er- SAP illegal tätig. und for derte deshalb das Recht der Ge- scheinende sozialdemokratische Tages- Nach ausgedehnten Verhaftungswel- setzgebung für seine Regierung. Dieses zeitung „Volkswille“, deren Lokalredak- len in der Berliner Organisation gab es „Ermächtigungsgesetz“ sollte vorgeblich teur er 1928 wurde. nur noch circa 200 SAP-Mitglieder, die auf vier Jahre begrenzt sein. Es bedeu- Ab 1932 bereitete er die Hannoveraner in Fünfer- bzw. Dreiergruppen organi- tete tatsächlich die völlige Entmachtung SPD auf die Illegalität vor, organisierte siert waren und sich kaum mehr unter- des Reichstages und die Zerstörung der einige Waffen und leitete die Flugblatt- einander kannten. Nur je ein Mitglied verfassungsmäßigen Gewaltenteilung. produktion in die Wege. Zwischen März durfte die Verbindung zur nächsten Durch die Festnahme der meisten kom- und Mai 1933 kritisierte er in mehreren Ebene halten. Treffen dienten dem Aus- munistischen Abgeordneten, die Aberken- Flugblättern die „Stillhaltetaktik“ der tausch von Informationen oder der Vor- nung ihrer Mandate sowie die absehbare SPD, die auf das bloße Überleben der Par- bereitung von Hilfen für Verfolgte. Zustimmung des Zentrums und der Libe- tei abzielen sollte. Aufgrund ihrer Kontakte zu jüdi- ralen, die Hitlers Zusicherungen glaubten, Unterstützt von den sozialdemokra- schen Hilfsorganisationen unterstütz- stand die SPD-Reichstagsfraktion alleine tischen Funktionären Franz Nause und te auch Hilde Ephraim Gefährdete und vor der Aufgabe, Hitlers Pläne abzulehnen. Willy Wendt baute Werner Blumenberg Familien von Inhaftierten. Im Frühjahr Otto Wels wandte sich entschieden eine Widerstandsgruppe nach konspi- 1936 wurde sie festgenommen und gegen die Entmachtung des Parlaments. rativen Regeln auf. Seit Ende 1933 trug bei den Verhören von Gestapobeamten Er bekannte sich zu den Grundsätzen diese Gruppe den Namen „Sozialistische schwer misshandelt. Der „Volksgerichts- des Rechtsstaats, des Parlamentarismus, Front“. Sie verteilte alle vier bis sechs hof“ verurteilte Hilde Ephraim am 25. der Menschlichkeit, der Freiheit und des Wochen die zehnseitige Flugschrift „So- Juni 1937 zu vier Jahren Zuchthaus, die Sozialismus. Nach seiner Rede gegen zialistische Blätter“ an einen zeitweilig sie in Lübeck und im bayerischen Am- das „Ermächtigungsgesetz“, die als letzte bis zu 1000 Leser umfassenden Kreis. berg verbüßte. 1939 befand sie sich in freie Rede im Reichstag gilt, wurde Wels Im Sommer 1936 gelang es der Gestapo, der Frauenstraf- und Verwahranstalt in auf der letzten SPD-Reichskonferenz am einen Spitzel in die Sozialistische Front Aichach, wo sie die Nahrung verweiger- 27. April 1933 noch einmal zum Parteivor- einzuschleusen. Blumenberg konnte in te und schwer erkrankte. sitzenden gewählt. der Nacht vom 16. zum 17. August 1936 Am 24. Juni 1940 wurde sie in der Die Zerschlagung der Gewerkschaften in die Niederlande fliehen. Nach 1945 Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar regis- Anfang Mai bewies ihm, dass es keiner- kehrte er nicht mehr nach Deutschland triert; am 20. September 1940 erfolgte im lei Möglichkeit der legalen Opposition zurück und starb 1965 in Amsterdam. Rahmen der „“, bei der syste- gegen Hitlers Regierung geben konnte. matisch Menschen mit körperlicher und Wels emigrierte nach Prag und wurde geistiger Behinderung ermordet wur- einer der Vorsitzenden der Exil-SPD (SO- den, ihre Überstellung in die Tötungsan- PADE). 1938 floh er nach Paris, wo er ein stalt Hartheim bei Linz. Hier wurde sie Jahr später starb. noch am Tag der Ankunft ermordet.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 14 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Widerstand aus christlichem Glauben tisierten Kirchenwahlkampf und riefen nicht zuletzt dadurch ihre Gegner auf den Plan. Deren Wortführer wurde der Dah- Der Widerstand von Christen beider Konfessionen und von lemer Pastor Martin Niemöller, der mit Gleichgesinnten den Mitgliedern der kleineren religiösen Gemeinschaften lässt sich „Pfarrernotbund“ ins Leben rief, um den Zugriff der Deutschen aus dem von vielen Gläubigen als unüberbrückbar empfunde- Christen und damit des NS-Staates auf die evangelischen Ge- nen Gegensatz von Nationalsozialismus und Christentum, aber meinden abzuwehren. Sie wollten die Freiheit ihres Bekennt- auch als innerkirchliche Auseinandersetzung erklären. nisses verteidigen, hielten an der Einheit von Altem und Neu- Die Grundsätze der Religions- und Bekenntnisfreiheit fan- em Testament fest und lehnten insbesondere die Übernahme den ihre Entsprechung im Willen zur Glaubenstreue. Sie muss- des „Arierparagraphen“ für die Kirche ab. ten deshalb mit dem weltanschaulichen Führungsanspruch Evangelische Christen fanden sich später in der „Bekennen- der NSDAP zusammenprallen, der Ausdruck des totalitären den Kirche“ zusammen, um die kirchenpolitischen Übergrif- Charakters der NS-Ideologie war. Die Gegensätze zwischen fe der Deutschen Christen abzuwehren. Viele Landeskirchen den Gläubigen und der NSDAP zeigten sich beispielhaft, als strebten jedoch nach einer tragfähigen Grundlage für ihr Wir- die NS-Führung beabsichtigte, die Grenzen der Kooperation ken im NS-Staat, passten sich teilweise an oder versuchten, zwischen kirchlichen Institutionen und dem nationalsozialis- eine Art Minimalkonsens zu finden. tischen Staat festzulegen. So schmolz der Kreis der unbedingten NS-Gegner auf we- Während die katholischen Bischöfe frühzeitig die natio- nige hundert Mitglieder der „Bekennenden Kirche“, deren nalsozialistische „Irrlehre“ in klaren Worten verurteilten, ver- geistiger Wortführer war. In der Ausei- suchte in der evangelischen Kirche ein großer Teil der Gläu- nandersetzung mit dem Nationalsozialismus wurde Bonhoef- bigen, die nationalsozialistische Weltanschauung mit dem fer zu einem der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts. herrschenden Verständnis kirchlicher Verkündigung in Ein- Er prägte einen kleinen Kreis von evangelischen Geistlichen, klang zu bringen. Sie organisierten sich in der Bewegung die nach dem Zusammenbruch des NS-Staates die Erneuerung „Deutsche Christen“, die sich als Anhänger der NSDAP in der der evangelischen Kirche wesentlich beeinflussen konnten. evangelischen Kirche verstanden. Sie wollten ein „artgemäßes Dietrich Bonhoeffer gehörte auch zum Kreis der Verschwö- Christentum“ verkündigen und lehnten deshalb Glaubensvor- rer, die den Sturz Hitlers vorbereiteten. Bonhoeffers Beispiel stellungen ab, die vor allem die enge Verbindung zwischen veranlasste dessen Freund Eberhard Bethge dazu, die „aktive Christentum und Judentum hervorhoben. Konspiration“, die keine Deckung durch Institutionen mehr In den innerkirchlichen Auseinandersetzungen vertraten kannte, als letzte Steigerung des Widerstands zu bezeichnen. die Deutschen Christen einen entschieden nationalsozialis- In der katholischen Kirche gab es im Unterschied zum Pro- tischen Standpunkt; sie wollten sowohl die Vielfalt der evan- testantismus eine lange Tradition des Widerstands gegen gelischen Landeskirchen durch eine zentralisierte evangeli- staatliche Übergriffe, aber auch ein Gefühl für die Notwendig- sche Reichskirche unter einem „Reichsbischof“ ersetzen, als keit, Verfolgung aus Glaubensüberzeugung auf sich zu neh- auch die Mehrheit der kirchlichen Gemeinderäte stellen. Aus men. Noch im Reichstagswahlkampf 1933 bezogen die katholi- diesem Grunde führten sie im Frühjahr 1933 einen sehr poli- schen deutschen Bischöfe klar Stellung gegen die NSDAP. Privatbesitz Privatbesitz © SJ-Bild

Junge Christen auf einer Bibelfreizeit mit Friedrich Justus Perels (2. v. r.) und Hermann Eh- Pater mit Gläubigen bei einer Fronleichnamsprozession in München lers (2. v. l.), zwei zentralen Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, Neuentempel 1937 um 1936

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis 15

Nachdem Hitler in seiner Regierungserklärung vom 23. März sogar der Anpassungsbereitschaft gedeutete Verhalten ein- 1933 das Christentum als Basis des Staates beschworen hatte, zelner Bischöfe, die den nationalsozialistischen Übergriffen rückten sie jedoch von ihrer klaren Haltung gegenüber dem nicht energisch und offen entgegentraten. Nationalsozialismus ab. Viele Katholiken hofften auf eine Ko- Zu den entschiedenen Wortführern eines katholischen Wi- operation zwischen ihrer Kirche und den neuen Machthabern. derstands, der sich auch der Opfer des Staates annahm, ge- Nach längeren Verhandlungen schlossen am 20. Juli 1933 das hörten der Berliner Dompropst , aber Deutsche Reich und der Vatikan das Reichskonkordat, einen auch Katholikinnen wie Margarete Sommer, die verfolgten Staatskirchenvertrag, der die Beziehungen zwischen dem Juden beistanden. Sie waren im Berliner Bistum aktiv, wo Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche regelte. Bischof Konrad Graf von Preysing immer wieder versuchte, Trotz warnender Stimmen von Vertretern des politischen Ka- dem Anspruch des NS-Regimes entgegenzutreten. tholizismus und von einzelnen Bischöfen sahen viele Katholi- Besondere Aufmerksamkeit erregte allerdings in Münster ken darin eine Garantie für die Unantastbarkeit ihrer Kirche Bischof Clemens August Graf von Galen, als er die Ermor- und die Freiheit des Bekenntnisses. dung von Menschen mit geistiger Behinderung anprangerte. Bereits im Herbst 1933 war jedoch klar, dass die National- Seine Predigten wurden abgeschrieben und von einzelnen sozialisten sich nicht an das Abkommen hielten. Die Wir- Gläubigen, aber auch von Regimegegnern verteilt, die nicht kungsmöglichkeiten der katholischen Organisationen, vor im Katholizismus wurzelten. allem der Jugend- und Arbeitervereine, wurden immer wei- Neben den Anhängern und Vertretern der großen Kirchen ter eingeschränkt, jede nicht rein religiöse Aktivität war ih- widersetzten sich Mitglieder kleiner religiöser Gemeinschaf- nen untersagt. Auch die katholische Presse geriet verstärkt ten, wie etwa der Zeugen Jehovas, dem NS-Staat. Sie zahlten unter Druck. Konfessionelle Schulen, die eigentlich durch das für ihre geistliche und geistige Selbstbehauptung, aber auch Konkordat abgesichert waren, wurden geschlossen, der Reli- für ihre Bereitschaft, anderen zu helfen, einen hohen Preis. gionsunterricht durch Geistliche wurde eingeschränkt und schließlich verboten. Einzelne Bischöfe, Geistliche und Gemeindemitglieder pro- testierten offen gegen die Verletzungen des Reichskonkor- dats und stellten sich dem weltanschaulichen Führungs- Zeugnisse christlichen Widerstands anspruch der Nationalsozialisten entgegen. Prozessionen, Wallfahrten und gemeinsame Jugendfahrten wurden zu Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat einer Demonstration der Glaubenstreue und stärkten den über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und tota- Zusammenhalt des katholischen Milieus. le Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Die Verfolgung katholischer Glaubensanhänger, die Dif- Bestimmung der Kirche erfüllen. famierung von Geistlichen in Devisen- und Sittlichkeitspro- Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen, 31. Mai 1934 zessen, die Unterdrückung des katholischen Vereinslebens und der Jugendarbeit zeigten, dass die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Regime zu einer Existenz- Das evangelische Gewissen, das sich für Volk und Regierung frage für die katholische Kirche wurde. Auf Bitten der Kardi- mitverantwortlich weiß, wird aufs härteste belastet durch näle Karl Joseph Schulte und Michael von Faulhaber sowie die Tatsache, daß es in Deutschland, das sich selbst als der Bischöfe Konrad Graf von Preysing und Clemens August Rechtsstaat bezeichnet, immer noch Konzentrationslager Graf von Galen entschloss sich Papst Pius XI. zu einer öf- gibt und daß die Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei fentlichen Reaktion. Es entstand schließlich ein päpstliches jeder richterlichen Nachprüfung entzogen sind. Rundschreiben an die Weltkirche, das unter großer Geheim- Vorläufige Leitung und Rat der Deutschen Evangelischen Kirche, Denkschrift an Hitler, haltung nach Deutschland gebracht, vervielfältigt und an 28. Mai 1936 die einzelnen Pfarrgemeinden verteilt wurde. Am 21. März 1937 wurde die Enzyklika „Mit brennender Sor- ge“ in allen katholischen Gemeinden verlesen. Sie klagte die und steigendem Befremden beobach- Rechtsbrüche des NS-Regimes an und wandte sich entschie- ten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die den gegen dessen weltanschauliche Positionen. Sie verwies wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treu- zudem auf die Grundlagen des katholischen Glaubens und bleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Lan- die Aufgabe der Kirche. Zwei Tage nach der Veröffentlichung des und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und der Enzyklika untersagte die NS-Regierung die weitere Ver- Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht breitung. Es kam zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen hat. sowie zur Enteignung beteiligter Druckereien. Papst Pius XI., Enzyklika „Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich“, Einzelne katholische Gläubige wurden im Laufe der Jahre 14. März 1937 zu grundsätzlichen Gegnern des Nationalsozialismus und fanden den Weg in den politischen Widerstand. Vereinzelt ließen sich Bischöfe über die Pläne oppositioneller Kreise in- Es ist nun eine erschreckende Tatsache, daß die gegenwärti- formieren und hielten während des Krieges Verbindung zu gen Machthaber in Deutschland alle aufrichtigen Bibelchris- politischen Widerstandsgruppen. Auf der einen Seite gab es ten, die offen ihren Glauben an Jehova Gott bekennen und einzelne Gläubige, die Verfolgten halfen, stellvertretend für ihm dienen, schmähen, verleumden und mit grausamen Mit- andere ihr Leben riskierten und schließlich auch den Weg in teln verfolgen. den engsten Kreis der Verschwörung fanden – wie beispiels- Offener Brief der Zeugen Jehovas, Juni 1937 weise der Jesuitenpater . Auf der anderen Seite stand das nicht selten als Ausdruck des Kleinmutes oder

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 16 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

che St. Hedwig in Berlin. In der Weimarer er bis zu seiner Festnahme öffentlich für Republik war er Bezirksverordneter für verfolgte Juden und war als Leiter des die katholische Zentrumspartei in Ber- Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat lin-Charlottenburg und gehörte dem Frie- Berlin für zahlreiche Hilfsmaßnahmen densbund Deutscher Katholiken sowie der verantwortlich. 1941 protestierte er in ei- Arbeitsgemeinschaft der Konfessionen für nem Brief an den Reichsärzteführer Leo- den Frieden an. nardo Conti gegen die Krankenmorde. 1933 durchsuchten die Nationalsozia- Die Gestapo, die Lichtenberg überwach- listen erstmals seine Wohnung. Als kon- te, nahm ihn nach einer Denunziation sequenter Gegner des NS-Regimes wurde am 23. Oktober 1941 fest. Am 22. Mai 1942 Lichtenberg seit 1935 zu einem Vertrauten wurde er vom Sondergericht I beim Land- des neuen Berliner Bischofs Konrad Graf gericht Berlin zu einer zweijährigen Haft-

Privatbesitz Privatbesitz von Preysing. strafe verurteilt, die er im Gefängnis Ber- Entschieden setzte er sich für die vom lin-Tegel und im Arbeitserziehungslager NS-Regime Verfolgten ein und beschwerte Wuhlheide verbüßte. bernhard lichtenberg sich 1935 massiv beim preußischen Minis- Nach dem Ende der Haft wurde er in das Der 1875 geborene und 1899 zum Priester terpräsidenten Hermann Göring über die KZ Dachau überstellt. Auf dem Transport geweihte Bernhard Lichtenberg wirkte Zustände im KZ Esterwegen im Emsland. dorthin starb der schwerkranke Priester zuletzt als Domprobst an der Bischofskir- Seit dem Novemberpogrom 1938 betete am 5. November 1943 in Hof an der Saale.

Priesterseminar Rottenburg, wo er 1899 befolgte. Er wurde mehrmals wegen re- zum Priester geweiht wurde. gimekritischer Predigten festgenommen, Nach seiner Aufnahme in den Jesui- verurteilt und im Dezember 1939 in das KZ tenorden verbrachte er einige Jahre als Sachsenhausen verschleppt. Missionar in den Niederlanden, Deutsch- Nach seiner Entlassung im April 1940 land, Österreich und in der Schweiz. 1912 stand er unter Hausarrest und durfte das kam er als Seelsorger nach München. Kloster Ettal bei Garmisch nicht mehr ver- Im Ersten Weltkrieg, an dem er als Feld- lassen. Pater Rupert Mayer kehrte erst im und Divisionsgeistlicher teilnahm, erlitt Mai 1945 nach München zurück. Wenige er eine schwere Verwundung, die zur Am- Monate später starb er an den Folgen sei- putation eines Beines führte. ner Haft. Bereits in den frühen 1920er-Jahren setz- Papst Johannes Paul II. sprach Rupert

© SJ-Bild te sich Mayer in München mit dem Natio- Mayer am 3. Mai 1987 in München selig. nalsozialismus auseinander. Die Münche- ner Gläubigen schätzten ihn vor allem als rupert mayer Helfer und Seelsorger im sozialen Elend der Der 1876 geborene Rupert Mayer studier- Großstadt. te Philosophie und Theologie in Fribourg Die Gestapo verhängte 1937 ein Predigt- (Schweiz), München, Tübingen und am verbot für Mayer, das dieser jedoch nicht

tum gelöst hatten, ließen ihn und seine der Kanzlei der Vorläufigen Kirchenlei- zwei Brüder evangelisch taufen. tung der Bekennenden Kirche. Er war 1936 Friedrich Weißler studierte Jura und maßgeblich an der Ausarbeitung der re- promovierte 1914. Nach der Teilnahme am gimekritischen Denkschrift der Vorläufi- Ersten Weltkrieg setzte er seine juristische gen Leitung und des Rates der Deutschen Ausbildung fort und wurde 1922 Hilfsrich- Evangelischen Kirche an Hitler beteiligt. ter in Halle. Im selben Jahr heiratete er Das Papier gelangte an die Auslandspres- Hanna Schäfer. 1932 wurde Weißler Land- se und erregte erhebliches internationales gerichtsdirektor in . Aufsehen. Am 21. Juli 1933 wurde er nach vorherge- Weißler wurde der Weitergabe des Pa- henden Schikanen durch die SA aus dem piers bezichtigt. Nachdem sich auch die Justizdienst entlassen. Kurz zuvor hatte Kirchenleitung von ihm distanzierte, er-

Privatbesitz Privatbesitz Weißler gegen einen in SA-Uniform er- folgte am 3. Oktober 1936 seine Festnahme. schienenen Angeklagten ein Ordnungs- Am 13. Februar 1937 wurde Friedrich Weiß- geld verhängt. ler in das KZ Sachsenhausen verschleppt, friedrich weißler Nachdem seine Proteste gegen die dort schwer misshandelt und am 19. Fe- Friedrich Weißler kam als Sohn des Juris- Entlassung erfolglos blieben, ging Weiß- bruar 1937 ermordet. ten Adolf Weißler 1891 in Oberschlesien ler nach Berlin und wurde im November zur Welt. Seine Eltern, die sich vom Juden- 1934 juristischer Berater und 1936 Leiter

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis 17

Kommandant am Ersten Weltkrieg teil. men mit mehreren hundert Pfarrern fest- Ab 1919 studierte er Theologie und wurde genommen, die sich gegen Angriffe des 1924 Geschäftsführer der Inneren Mission NS-Ideologen Alfred Rosenberg wandten. in Westfalen. Seit 1931 war er Gemeindep- Von der Gestapo ständig überwacht und farrer in Berlin-Dahlem. am 1. Juli 1937 erneut festgenommen, ver- Niemöller tolerierte und unterstützte urteilte ihn ein Berliner Gericht am 7. Fe- zunächst die NSDAP, geriet jedoch bald bruar 1938 zu neun Monaten Festungshaft. in Konflikt mit dem neuen Regime. Er Am darauffolgenden Tag wurde Nie- wehrte sich gegen die Einflussnahme der möller jedoch als „persönlicher Gefange- Deutschen Christen auf die evangelischen ner“ Adolf Hitlers auf dessen Befehl in das Kirchen und rief, als der „Arierparagraph“ KZ Sachsenhausen eingeliefert und von auch in der Kirche eingeführt wurde, mit den anderen Häftlingen isoliert.

GDW anderen Pfarrern den Pfarrernotbund ins Am 11. Juli 1941 wurde er in das KZ Leben. Wiederholt setzte er sich in seinen Dachau verlegt und im April 1945 mit wei- Predigten für die Unabhängigkeit der Kir- teren Häftlingen nach Südtirol verschleppt. martin niemöller che von Staat und NSDAP ein. Alliierte Soldaten konnten ihn und seine 1892 in einem westfälischen Pfarrhaus ge- Im März 1934 verhängte das NS-Regime Mithäftlinge Anfang Mai 1945 befreien. boren, kaisertreu und deutschnational er- ein zeitweiliges Redeverbot gegen Nie- zogen, nahm Martin Niemöller als U-Boot- möller. Ein Jahr später wurde er zusam-

Theologiestudium und Habilitation Stu- doch bis 1940 weiter auf ihren Dienst dentenpfarrer in Berlin. vorbereitet. Bereits 1933 galt er als entschiedener 1938 war Bonhoeffer in die Staatsstreich- Gegner der Nationalsozialisten und be- planungen seines Schwagers Hans von gründete in seinem Aufsatz „Die Kirche Dohnanyi eingeweiht. 1940 von Dohnanyi vor der Judenfrage“ die Pflicht der Chris- und Oster ins Amt Ausland/ des ten zum Widerstand gegen staatliche Un- Oberkommandos der einge- rechtshandlungen. zogen, reiste er mehrmals ins Ausland, um Von 1935 bis 1937 leitete er das Predi- Verbindungen zu alliierten Regierungen gerseminar der Bekennenden Kirche, das zu knüpfen. zunächst in Zingst, später in Finkenwal- Anfang April 1943 wurde Bonhoeffer de bei Stettin angesiedelt war. Die von festgenommen. Ohne Gerichtsverfahren

Privatbesitz Bonhoeffer geleiteten Kurse prägten alle blieb er zwei Jahre im Gefängnis Tegel in Teilnehmer entscheidend in ihrer theolo- Haft. Hier entstanden seine bedeutends- gischen Entwicklung. ten theologischen Werke. Im Februar 1945 dietrich bonhoeffer 1937 untersagte Reichskirchenminister wurde Dietrich Bonhoeffer in das KZ Flos- Der 1906 als Sohn des bekannten Psychi- Hanns Kerrl die Fortsetzung dieser Se- senbürg gebracht und hier am 9. April aters und Neurologen Karl Bonhoeffer ge- minare. In „Sammelvikariaten“ wurden 1945 nach einem SS-Standgerichtsverfah- borene Dietrich Bonhoeffer wurde nach Theologen der Bekennenden Kirche je- ren ermordet.

den Bibelforschern an und gehörte nach als Leiterin (Bezirksdienerin) der illegalen 1933 zu den aktivsten Zeuginnen Jehovas Organisation der Zeugen Jehovas tätig. in Bayern. Als Kurierin transportierte sie im Ausland Nach dem reichsweiten Verbot der Glau- hergestellte Schriften und Ausgaben der bensgemeinschaft 1935 beteiligte sie sich religiösen Zeitschrift „Der Wachtturm“ an der Herstellung und Verbreitung von zu den verschiedenen Gruppen in ganz illegalen Schriften und leitete heimliche Deutschland. Die zweite groß angelegte Treffen. Als die Zeugen Jehovas im De- Flugblattaktion im Juni 1937, die Vertei- zember 1936 in einer deutschlandweiten lung des „Offenen Briefes“, bereitete Löhr Protestaktion die „Luzerner Resolution“ maßgeblich mit vor. verbreiteten, in der sie gegen die Verfol- Elfriede Löhr wurde am 21. August 1937 gung und die Misshandlungen ihrer Mit- in Berlin festgenommen und blieb ohne

Jehovas Zeugen in Deutschland Jehovas glieder protestierten, wirkte Löhr aktiv Urteil in Haft. Im Januar 1939 wurde sie daran mit. ins KZ Lichtenburg verschleppt und im Nach Verhaftungswellen im Herbst 1936 Mai 1939 in das neu errichtete Frauen-KZ elfriede löhr und im Frühjahr 1937 gegen die Glau- Ravensbrück überstellt, wo sie bis Kriegs- Elfriede Löhr kam 1910 in München als bensgemeinschaft rückten zunehmend ende in Haft blieb. Tochter eines Zahnarztes zur Welt. Bereits Frauen in führende Positionen auf. Ab im Alter von 16 Jahren schloss sie sich Frühjahr 1937 war Elfriede Löhr in Bayern

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 18 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Widerstand und Exil (SOPADE) den Kampf gegen Hitler fort. Paris wurde der geisti- ge Mittelpunkt der aus Deutschland emigrierten Intellektuel- Ab 1933 flohen über eine halbe Million Deutsche vor den Natio- len. Sie bemühten sich, eine „Volksfront“ zu bilden, die von An- nalsozialisten ins Ausland. Für sie bedeutete die Emigration hängern verschiedener politischer Gruppen und Richtungen eine schmerzhafte und oftmals endgültige Trennung von dem verstärkt wurde. Kommunisten, Sozialdemokraten und Sozia- Land, in dem sie aufgewachsen waren. Unter ihnen befanden listen wollten vom Exil aus ihre Gruppen im Reich unterstüt- sich etwa 350 000 deutsche Juden, deren Hoffnungen sich zen. Sie veröffentlichten Nachrichtenblätter, Zeitschriften und vielfach auf einen eigenen Staat in Palästina richteten. Aufrufe, um über die Verhältnisse in Deutschland zu informie- Eine Rückkehr nach Deutschland wünschten sich dagegen ren oder die deutschen Widerstandsgruppen mit Nachrichten viele der Flüchtlinge, die aus politischen oder weltanschauli- zu versorgen. Unter den Bedingungen des von Hitler 1939 ent- chen Gründen auswanderten. Solange ihr Land vom NS-Ter- fesselten Weltkrieges und nach der Besetzung Frankreichs war rorregime beherrscht wurde, wollten sie im Ausland das „an- dies aber fast nicht mehr möglich. dere, bessere Deutschland“ verkörpern. Im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 – April 1939) ergriffen Die Emigranten kamen aus unterschiedlichen politischen, die ins Ausland geflüchteten NS-Gegner die Partei der spani- kulturellen und kirchlichen Gruppierungen. Neben Kommu- schen Republik gegen die nationalistischen Putschisten unter nisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern General Franco, die von Deutschland militärisch unterstützt fanden sich parteipolitisch unabhängige Pazifisten ebenso wurden. Ausschlaggebend dafür war die Hoffnung, später wie konservative Regimegegner und Mitglieder der ehemali- auch den Nationalsozialismus in Deutschland überwinden zu gen Zentrumspartei. können. Von den rund 5000 deutschen Freiwilligen auf Seiten Immer wieder versuchten die Regierungen des Auslands, der spanischen Republik fielen mehr als 1000. den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Sie verlangten Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März manchmal den Nachweis gesicherter Vermögensverhältnisse, 1938, die Besetzung des Sudetenlandes im Herbst 1938 und untersagten die Erwerbstätigkeit oder verboten jede politi- schließlich der Einmarsch deutscher Truppen in Prag im März sche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur. Den deutschen 1939 bedrohten die dort lebenden Emigranten. Sie mussten Emigranten schlug in ihren Gastländern oftmals Ablehnung erneut vor den Nationalsozialisten fliehen. Als Frankreich entgegen. Viele von ihnen wurden ausgewiesen oder unter im Sommer 1940 unerwartet rasch von deutschen Truppen ein verschärftes Fremdenrecht gestellt. besiegt und besetzt wurde, begann auch für die Flüchtlinge Fehlende Sprachkenntnisse und fremde Lebensbedingun- dort ein Wettlauf mit den vorrückenden deutschen Soldaten. gen, Rechtlosigkeit, da sie ihrer deutschen Staatsbürgerschaft Einige konnten nach Großbritannien oder in die Vereinigten und damit ihrer Freizügigkeit beraubt waren, wirtschaftliche Staaten entkommen, andere suchten Sicherheit in Lateiname- Not und die immer schwächer werdende Hoffnung auf Heim- rika oder im Fernen Osten. Die meisten der zurückbleibenden kehr bedrängten fast alle Flüchtlinge. Sie fühlten sich als Au- Emigranten wurden von den Franzosen, ungeachtet ihrer Geg- ßenseiter und suchten die Verbindung zu Landsleuten. nerschaft zum NS-Regime, als Angehörige eines feindlichen Zunehmend überwanden die Emigranten, die häufig ganz Staates in Lagern interniert. Einzelne Flüchtlinge wurden nach unterschiedliche politische Ziele verfolgten und noch lange der Kapitulation Frankreichs sogar an die Nationalsozialisten durch die Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit geprägt ausgeliefert. Sie kamen später fast ausnahmslos in Gefängnis- blieben, ihre Gegensätze. Sie einte nun vor allem der Wille, den sen oder Konzentrationslagern ums Leben. Nationalsozialismus von außen zu bekämpfen. Einige Gruppen und einzelne Emigranten, denen die Flucht Mittelpunkte des deutschen politischen Exils aus der Arbei- in sichere Länder gelungen war, konnten dort in einigen Fäl- terbewegung bildeten sich zunächst in Prag und Paris, danach len die deutschlandpolitischen Vorstellungen der Alliierten in , Stockholm und Moskau. Von Prag aus setzte der beeinflussen und auf diese Weise das NS-Regime von außen Exil-Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bekämpfen. Privatbesitz Kopenhagen Museum & Archive, Workers

Hilde Löbner und Kurt Liebermann nach der Flucht in der Grenzstadt Biela in der Emigrantengruppe beim Sprachunterricht in Kopenhagen 1939 Tschechoslowakei, vermutlich im Sommer 1933 Viele Emigranten leiden in ihren Aufnahmeländern unter den ungewohnten Le- Die beiden teilen ihre Zweizimmerwohnung mit dem ebenfalls aus Deutschland bensverhältnissen und fehlenden Sprachkenntnissen. Als ihnen bewusst wird, dass geflüchteten Walter Pöppel und dessen Frau Jenny. Die Wohnung dient als Um- Hitlers Herrschaft von Dauer sein wird, versuchen sie, sich verstärkt auf die neuen schlagplatz für Flugschriften der Sozialistischen Arbeiterpartei und als Anlauf- und Lebensumstände in der Fremde einzustellen. Um ihre Verwandten und Freunde in Sammelstelle für Informationen aus dem Reich. Deutschland zu schützen, verbergen die Emigranten auf diesem Bild ihre Gesichter.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf NS-Machtübernahme und NS-Herrschaftspraxis 19

Sein kritisches Porträt des neuen Reichs- präsidenten Hindenburg diente völki- schen Studenten in Hannover 1925 als Vorwand für eine antisemitische Kam- pagne gegen ihn. Es kam zu Vorlesungs- blockaden, Morddrohungen und Über- griffen. Die TH Hannover konnte ihm die allgemeine Lehrberechtigung zuerst nicht entziehen, wandelte jedoch seinen Lehr- auftrag in einen Forschungsauftrag um. Anfang März 1933 floh Lessing in die Tschechoslowakei. Im Sommer nahm er

Barch, Barch, BildY10 / 8019 am Prager Zionistenkongress teil, einer Privatbesitz internationalen Konferenz, die die Grün- dung eines eigenen Staates der Juden theodor lessing irma götze zum Ziel hatte. Theodor Lessing plante, Der 1872 geborene Philosoph Theodor zusammen mit seiner Frau im tschechos- Die 1912 geborene Kinderpflegerin Irma Lessing war vor dem Ersten Weltkrieg lowakischen Marienbad ein Landerzie- Götze war Mitglied der anarcho-syn- Lehrer an verschiedenen Reformschulen. hungsheim zu eröffnen. Die NS-Presse dikalistischen Freien Arbeiter-Union Trotz seiner Qualifikation blieb ihm als streute zur selben Zeit Gerüchte über Deutschlands (FAUD) und aktiv in der Jude und Sozialdemokrat eine akademi- ein hohes Kopfgeld, das auf ihn ausge- Leipziger Meute, einer Gruppe vor allem sche Karriere zunächst versagt. Erst 1907 setzt sei. jugendlicher Oppositioneller. Im Unter- wurde er an der Technischen Hochschu- Am 31. August 1933 erlag Theodor Les- grund agierte sie als Kurierin und Grenz- le (TH) Hannover habilitiert, war dort sing den Schussverletzungen, die ihm gängerin in die Tschechoslowakei. Sie Privatdozent und ab 1922 außerordent- zwei Nationalsozialisten am Tag zuvor in wirkte auch an der Herstellung illegaler licher Professor für Philosophie. Dane- seiner Marienbader Wohnung zugefügt Schriften mit. ben erlangte er Bekanntheit durch seine hatten. Dieser erste politische Mord an 1935 floh Irma Götze nach Spanien und journalistische Arbeit für verschiedene einem deutschen Regimegegner im Aus- nahm 1936 auf Seiten der Republikaner Tageszeitungen. land sorgte weltweit für Empörung. am Spanischen Bürgerkrieg in Katalonien teil. Besonders engagierte sie sich in der politischen Arbeit der deutschen Anar- cho-Syndikalisten in und bei wieder für die SPD. 1931 zum Oberbürger- der Versorgung der Milizionäre. meister von Magdeburg gewählt, wurde Innerhalb der sehr heterogen zusam- er nach Übergriffen der SA am 13. März mengesetzten Front der Republikaner 1933 abgesetzt. Wenige Tage später, am versuchten sich die Moskautreuen Kom- 23. März 1933, stimmte er als Reichstags- munisten – teilweise gewaltsam – gegen abgeordneter mit der SPD-Fraktion ge- Anarcho-Syndikalisten und Trotzkisten gen das „Ermächtigungsgesetz“. Als be- durchzusetzen. Diesen Querelen fiel auch kannter sozialdemokratischer Politiker Irma Götze zum Opfer. Im Mai 1937 wurde wurde er in den Jahren 1933/34 mehr- sie von der sowjetischen Geheimpolizei fach festgenommen, misshandelt und GPU festgenommen, in das berüchtigte inhaftiert. Geheimgefängnis Puerta del Angel ver- 1935 floh Ernst Reuter nach Großbri- schleppt und später in ein Frauengefäng-

Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. 0134147 / Fotograf: k. A. k. Fotograf: / 0134147 290 Nr. F Rep. Berlin, Landesarchiv tannien und bald darauf in die Türkei. nis überführt. Er arbeitete im Wirtschafts- und im Ver- Nach ihrer Freilassung ging Irma Götze kehrsministerium in Ankara und war 1939 nach Frankreich. Dort wurde sie 1940 ernst reuter maßgeblich am Aufbau der türkischen und 1941 in den Lagern Gurs, Argelès-sur- 1889 in eine bürgerliche Familie geboren, Verwaltung beteiligt. Später unterrich- Mer und Rivesaltes als „feindliche Auslän- studierte Ernst Reuter Geschichte, Ger- tete Reuter auch als Hochschullehrer. Er derin“ interniert und geriet schließlich in manistik und Geografie in Marburg und hatte Kontakte zu deutschen Emigran- die Hände der Gestapo. Das Oberlandes- München. 1912 trat Reuter in die SPD ein, ten in der Türkei sowie in anderen gericht Dresden verurteilte sie 1942 wegen arbeitete als Hauslehrer und anschlie- Ländern und gehörte 1943 zu den Mitbe- der illegalen Arbeit für die FAUD zu einer ßend als professioneller Redner für die gründern des Deutschen Freiheitsbun- Zuchthausstrafe von zwei Jahren und SPD. Im Ersten Weltkrieg geriet er in des in Istanbul. sechs Monaten. Nach deren Verbüßung russische Kriegsgefangenschaft und en- Ernst Reuter kehrte 1946 nach Berlin im Zuchthaus Waldheim wurde sie in gagierte sich für die Bolschewiki, die in zurück, wo er zwischen 1948 und seinem das KZ Ravensbrück verschleppt. Dort traf der Oktoberrevolution 1917 die Macht in Tod 1953 als Regierender Bürgermeister Irma Götze nach neun Jahren ihre Mutter Russland übernahmen. von Berlin eine Symbolfigur für den Frei- Anna wieder, die bereits acht Jahre inhaf- 1918 kehrte er nach Berlin zurück und heitswillen der Berliner im Westteil der tiert gewesen war. Beide überlebten das arbeitete zunächst für die KPD, ab 1922 Stadt war. Kriegsende.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 20 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Formierung der militärisch-zivilen politischen Mitte angewiesen sein werde. Letzterer schrieben Opposition sie die Kraft zu, die nationalsozialistische Bewegung einzurah- men, gar zu zähmen, und Hitler so an die Wand zu drücken, Bis heute ist die Frage ungeklärt, welche politischen Traditi- „dass er quietscht“, wie Hitlers Vizekanzler Franz von Papen onen das Scheitern der Weimarer Republik und den Erfolg selbstbewusst verkündet haben soll. des Nationalsozialismus begünstigt haben. Die Bereitschaft, Doch im Sog einer von Hitler und seinem Propagandami- die Weimarer Verfassungsordnung als Grundlage deutscher nister inszenierten Begeisterungsstimmung Politik zu akzeptieren und zu verteidigen, war vor 1933 nur verfestigte sich bei Vielen der Eindruck, sich im Rahmen der schwach ausgeprägt: „Herzensrepublikaner“ waren selten, „nationalen Konzentration“ der Kräfte einer „nationalen Er- und die „Vernunftrepublikaner“ waren kaum bereit, sich mit neuerung Deutschlands“ nicht entziehen zu können. Sie sa- ihrer ganzen Kraft für einen Staat einzusetzen, in dem sie nach hen sich veranlasst, ihre distanzierte Haltung aufzugeben dem Untergang der Monarchie nur das kleinere Übel sahen. oder zumindest zu unterdrücken und die innen- und außen- Vor allem liberale und konservative Kreise neigten dazu, zu- politischen Forderungen Hitlers breit, nicht selten auch de- nächst einmal die unmittelbaren politischen Folgen und nicht monstrativ, zu unterstützen. Teilweise hatten sie bereits in zuletzt auch die ersten Ergebnisse der Regierungsübertragung Distanz zum Weimarer Staat gestanden und stimmten parti- an Hitler abzuwarten. Sie gingen zudem davon aus, dass die- ell – allerdings oftmals auch vergleichsweise weitgehend – mit ser entweder scheitern oder auf die Unterstützung der rechten den Zielen nationalsozialistischer Außen- und Gesellschafts- politik überein. Wenn nach einer belastenden Phase der Anpassung an den herrschenden Zeitgeist die kritische Distanz gegenüber dem NS-Staat überwog oder wieder auflebte, gab es auch für ehemals einflussreiche Vertreter liberaler und konservativer Parteien keine Möglichkeit, aktiv einen Umsturz aus dem unmittelbaren Zentrum der Macht herbeizuführen. Denn im nationalsozialistischen Führerstaat, der die Einheit von Partei und Staat verkörpern sollte, waren einflussreiche Ämter – bis auf ganz wenige Ausnahmen, die vor allem Deutschnationale betrafen – den Mitgliedern der NSDAP vorbehalten. Auch im Falle der Regimegegner aus liberalen und konser- vativen Kreisen verliefen die Auseinandersetzungen mit den Strukturen des NS-Staates und seiner Politik nicht als konti- nuierlicher Prozess. Vielmehr waren sie eine Abfolge ständig neuer Versuche, mit Gleichgesinnten eine gemeinsame politi- sche Basis zu finden, konspirative Netze zu bilden, Phasen der Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte, Walter Eichgrün Walter und Geschichte, Potsdam Museum – Forum für Kunst Entmutigung zu überwinden oder durch Versetzung, Umzug, Viele Angehörige des Potsdamer Infanterie-Regiments 9, hier im Juni 1933, schlie- Einschüchterungen und Verhaftungen zerstörte Kontakte neu ßen sich später der militärischen Opposition an. Zu ihnen gehören der Regiments- aufzubauen bzw. den jeweils geänderten Bedingungen anzu- adjutant Henning von Tresckow (zu Pferde, r.), Hasso von Boehmer, Axel Freiherr passen. von dem Bussche, Hans Karl Fritzsche, Ludwig von Hammerstein, Ewald Heinrich von Kleist, Friedrich Karl Klausing, Georg Sigismund von Oppen, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Achim Freiherr von Willisen. Position des Militärs Hitler konnte nach seiner Ernennung zum Reichskanzler die Reichswehrführung mit den Versprechen für sich gewinnen, Deutschland wieder zu größerer militärischer Geltung zu ver- helfen, die Reichswehr aufzurüsten und die allgemeine Wehr- pflicht einzuführen. Viele hohe Militärs teilten Hitlers Ziele, die er ihnen bereits am 3. Februar 1933 im Berliner Bendler- block eröffnet hatte. Dazu gehörten die „Ausrottung des Mar- xismus mit Stumpf und Stiel“, die „straffste autoritäre Staats- führung“ sowie die „Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung“. Andere ließen sich durch Hitlers außenpolitische Erfolge ebenso beeindrucken wie die meisten Deutschen. Auch die Ausschaltung der als Konkurrenz wahrgenommenen „Sturm- abteilung“ (SA) der NSDAP im Zuge einer Mordaktion Ende Juni 1934 („Röhm-Putsch“) wurde von großen Teilen der mili-

Privatbesitz tärischen Führung begrüßt. Dass im Zuge dieser Säuberungs- welle auch der General und ehemalige Reichskanzler Kurt von Generalmajor Erwin von Witzleben (M.) und Oberst Paul von Hase (l.), hier 1935 in Landsberg an der Warthe, gehören zu den treibenden Kräften der Umsturzpla- Schleicher, sein enger Mitarbeiter Generalmajor Ferdinand nungen im Herbst 1938. Im März 1942 scheidet Erwin von Witzleben, nun General- von Bredow, der katholische Regimekritiker Erich Klausener feldmarschall, aus gesundheitlichen Gründen aus dem Dienst aus. Er hält jedoch sowie der konservative Berater Franz von Papens, Edgar Juli- weiterhin engen Kontakt zu den Verschwörern und ist bereit, bei einem Umsturz us Jung, ermordet wurden, öffnete erstmals einigen Offizieren den Oberbefehl über die Wehrmacht zu übernehmen. Paul von Hase wird 1940 Stadtkommandant von Berlin und kann den Kontakt zu und den die Augen. Ihnen wurde bewusst, dass sie einem Unrechts- Kreisen der Militäropposition um festigen. regime dienten.

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Umsturzplanungen 1938

Am 5. November 1937 stellte Hitler dem Reichsaußenminister, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht und den Oberbefehls- habern von Heer, und seine Kriegsplä- ne vor. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass er zielstrebig einen Krieg vorbereitete, der die Vorherrschaft Deutschlands in Europa sichern und „Lebensraum im Osten“ schaffen sollte. Viele der Offiziere, die von diesen Plänen erfuhren, befürch- teten eine militärische Niederlage und damit eine nationale Katastrophe. Aus ersten Vorbehalten erwuchs bei regimekri- tischen Militärs der Wunsch, sich den Kriegsplänen zu wider- setzen. So versuchte der Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, zunächst mit Denkschriften auf die Politik Hitlers einzu- wirken. Doch dieser hielt an seinem Vorhaben fest. Anfang des Jahres 1938 nutzte Hitler Intrigen zur Entlassung des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehr- macht, Werner von Blomberg, und des Oberbefehlshabers des Heeres, Werner Freiherr von Fritsch, und übernahm nun selbst den Oberbefehl über die Wehrmacht, um seine Pläne durch- zusetzen. Die politische Entmachtung der Heeresspitze bestä- tigte einige jüngere Offiziere und Beamte in ihrer Ablehnung des Regimes. Nachdem er die Generalität vergeblich zum kollektiven Rücktritt aufgerufen hatte, um so den drohenden Krieg in Europa zu verhindern, trat Ludwig Beck im August 1938 von allen Ämtern zurück. Als zentrale Gestalt der Militäropposi- tion forderte er in ständiger Abstimmung mit Carl Friedrich Privatbesitz Goerdeler, dem führenden Kopf der zivilen Widerstandskrei- (M.) und Friedrich Wilhelm Heinz (r.) um 1937 se, ein gemeinsames Handeln von Zivilisten und Offizieren. Oster beauftragt Heinz im September 1938, einen Stoßtrupp zu bilden, um Hitler Um die beiden entstand ein Kreis militärischer und ziviler Re- festzunehmen. gimegegner. Sie nutzten ihre Verbindungen zu aktiven Militärs, Diplomaten und Verwaltungsbeamten, um möglichst nah am Zentrum der Macht – aus dem Militär- und Staatsapparat he- raus – einen Umsturz zu wagen. So versuchten Diplomaten um Ulrich von Hassell und Theodor Kordt noch im Sommer 1938 in London eine entschiedene Stellungnahme der britischen Re- gierung zu erwirken, um auf diese Weise Hitlers Eroberungs- pläne gegenüber der Tschechoslowakei zu durchkreuzen. Parallel zur Beck/Goerdeler-Gruppe bildete sich im Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht um den damaligen Oberstleutnant Hans Oster ein Kreis von Op- positionellen, der mit zivilen Regimegegnern wie Hans von Dohnanyi und Hans Bernd Gisevius zusammenarbeitete. Im Sommer 1938 wurde er zur „operativen Zentrale“ aller Staats- streichplanungen. Einige Truppenkommandeure konnten für den Umsturz gewonnen werden. Dazu gehörten der Be- fehlshaber des Wehrkreises III (Berlin), Erwin von Witzleben, der Kommandeur der 23. Infanteriedivision in Potsdam, Wal- Privatbesitz ter Graf von Brockdorff-Ahlefeldt, und Paul von Hase, Kom- Ulrich von Hassell als Botschafter in Rom 1935 mandeur des 50. Infanterieregiments in Landsberg an der Warthe. Während des Umsturzes sollte Hitler von einem Stoß- gen in die Reichskanzlei im Zuge eines provozierten Schuss- trupp festgenommen und später abgeurteilt werden, da die wechsels zu töten. Hans Oster billigte dieses offensichtlich Verbrechen des Regimes immer offenkundiger geworden nicht mit den Generalen Franz Halder und Erwin von Witz- waren. Den Auftrag zur Festsetzung Hitlers erhielt Major leben abgesprochene Vorgehen, sodass heute auch von einer Friedrich Wilhelm Heinz, ein ehemaliger Freikorpskämpfer „Verschwörung in der Verschwörung“ gesprochen wird. und Stahlhelmführer, der seit 1936 in der Abwehr tätig war. Die Verschwörer wollten handeln, wenn ein Krieg un- Er zog frühere Stahlhelmangehörige, Jungkonservative und mittelbar bevorstand und Hitler die Mobilmachung gegen Nationalrevolutionäre hinzu, die Hitlers Ausschaltung radi- die Tschechoslowakei befehlen würde. Dieser verlangte im kaler vorantreiben wollten. Während Ludwig Beck Hitler vor September 1938 immer drängender den Anschluss des Su- Gericht stellen und Hans von Dohnanyi ihn für geisteskrank detenlandes an das Deutsche Reich. Die Krise um diesen erklären wollte, plante Heinz, den Diktator beim Eindrin- hauptsächlich von Deutschen bewohnten Teil der Tschecho-

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slowakei spitzte sich stetig zu. In der letzten Septemberwo- den Nationalsozialisten mit Zustimmung anderer europäi- che hielten sich die Verschwörer in der Erwartung des An- scher Mächte preisgegeben, der Krieg war noch einmal ver- griffsbefehls bereit. Doch der italienische Diktator Benito mieden worden. Nach dem Münchener Abkommen befand Mussolini machte ein neues Vermittlungsangebot. Auf der sich Hitler auf einem neuen Höhepunkt seiner Macht und Münchener Konferenz am 29. September 1938, zu der die Popularität. Die meisten Deutschen wie auch viele Offiziere Vertreter der tschechoslowakischen Regierung nicht einge- stimmten seiner Politik zu. Die Verschwörer hielten jetzt ei- laden waren, stimmten Frankreich und Großbritannien den nen erfolgreichen Staatsstreich nicht mehr für möglich und deutschen Gebietsforderungen zu. Ostmitteleuropa wurde stoppten alle Vorbereitungen.

Sorge vor einem zweiten Weltkrieg Der Führer hält anscheinend eine gewaltsame Lösung der su- schichte gelernt haben, dass überfallartige Überraschungen detendeutschen Frage durch Einmarsch in die Tschechei für kaum jemals zu einem dauernden Erfolg geführt haben. unabwendbar; er wird in dieser Auffassung bestärkt durch eine Unsere Vorbereitungen (Westen) sind oder werden so klar Umgebung verantwortungsloser, radikaler Elemente. Über die erkennbar, dass mit Präventivmaßnahmen der Gegner gerech- Einstellung von Göring ist man geteilter Auffassung. Die einen net werden muss. Die Kriegspropaganda in der ausländischen glauben, dass er den Ernst der Lage erkennt und versucht, auf Presse hat bereits eingesetzt. […] den Führer beruhigend einzuwirken, die anderen meinen, dass Für den Fall, dass es durch Einspruch berufener Männer noch er wie in dem Falle Blomberg und Fritsch ein doppeltes Spiel gelingen sollte, einen Krieg zu vermeiden, ist mit erheblichen treibt und umfällt, wenn er vor dem Führer steht. innerpolitischen Spannungen zu rechnen. Alle aufrechten und ernsten deutschen Männer in staatsver- Man wird von radikaler Seite erklären, dass die Durchfüh- antwortlichen Stellungen müssen sich berufen und verpflich- rung der Absichten des Führers an der Unfähigkeit der Wehr- tet fühlen, alle erdenklichen Mittel und Wege bis zur letzten macht und ihrer Führer gescheitert ist. Erneute und verstärkte Konsequenz anzuwenden, um einen Krieg gegen die Tschechei Diffamierungen werden einsetzen. Hier gilt es, ein wachsames abzuwenden, der in seinen Auswirkungen zu einem Weltkrieg Auge und Ohr zu behalten. führen muss, der das Finis Germaniae bedeuten würde. Der Führer soll in kleinem Kreise erklärt haben, den Krieg Die höchsten Führer in der Wehrmacht sind hierzu in erster gegen die Tschechei muss ich noch mit den alten Generalen Linie berufen und befähigt, denn die Wehrmacht ist das aus- führen, den Krieg gegen England und Frankreich führe ich mit übende Machtmittel der Staatsführung in der Durchführung einer neuen Führerschicht. eines Krieges. Man wird sich daher entschließen müssen, in unmittelbarer Es stehen hier letzte Entscheidungen für den Bestand der oder nachfolgender Verbindung mit einem Einspruch nunmehr Nation auf dem Spiel; die Geschichte wird diese Führer mit eine klärende Auseinandersetzung zwischen Wehrmacht und einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachli- SS herbeizuführen. chen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr Auch wäre hierbei eine brutal klare Schilderung der wahren soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, Stimmung im Volke am Platze, die sehr wesentlich durch die ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines aufkommende Bonzokratie im Dritten Reich hervorgerufen ist. Befehles verbietet. Finden ihre Ratschläge und Warnungen Über den Zeitpunkt dieser Maßnahmen ist zu sagen: in solcher Lage kein Gehör, dann haben sie das Recht und die Man kann wohl damit rechnen, dass im Laufe der Sommermo- Pflicht vor dem Volk und vor der Geschichte, von ihren Ämtern nate (August) eine vielleicht noch in versöhnendem Tone gehal- abzutreten. tene englische und französische Note eingehen wird, der dann in Wenn sie alle in einem geschlossenen Willen so handeln, einem gewissen Abstande eine in Form eines Ultimatums abge- ist die Durchführung einer kriegerischen Handlung unmög- fasste Note folgen wird, die der Staatsführung ein Ausweichen lich. Sie haben damit ihr Vaterland vor dem Schlimmsten, vor oder Nachgeben nicht mehr möglich macht, wenn nicht ohnehin dem Untergang bewahrt. Es ist ein Mangel an Größe und an Präventivmaßnahmen vom Gegner ergriffen werden. Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung Infolgedessen erscheint der Zeitpunkt: unmittelbar nach Ein- in solchen Zeiten seine Pflichten und Aufgaben nur in dem gang der ersten Note – für evtl. Maßnahmen als der günstigste. begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne Schließlich darf noch eine Überlegung angedeutet werden: sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volke be- ob man sich nicht bewusst auf den Standpunkt stellen sollte, wusst zu werden. dass die augenblickliche Einstellung des Führers und die von Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Hand- ihm befohlenen Maßnahmen nur als ein beabsichtigter großer lungen! Bluff dem Gegner gegenüber anzusehen sind, und sein Verhal- Andere aufrechte Männer in staatsverantwortlichen Stellun- ten darauf einstellt: d.h. dass man nicht glauben kann, dass die gen außerhalb der Wehrmacht werden sich auf ihrem Wege befohlenen Maßnahmen wirklich zu einem Krieg führen sollen, anschließen. Wenn man die Augen und Ohren offen hält, wenn sondern sie nur für einen genialen Bluff hält. man sich durch falsche Zahlen nicht selbst betrügt, wenn man Allerdings könnte diese Einstellung ein gefährliches Spiel be- nicht in dem Rausch einer Ideologie lebt, dann kann man nur deuten. zu der Erkenntnis kommen, dass wir zurzeit wehrpolitisch (Füh- Vortragsnotiz von Ludwig Beck vom 16. Juli 1938 mit Überlegungen zum Verhalten der rung, Ausbildung und Ausrüstung), wirtschaftspolitisch und obersten militärischen Führung angesichts der Gefahr eines Krieges mit der Tschechoslo- stimmungspolitisch für einen Krieg nicht gerüstet sind. wakei, Bundesarchiv/Militärarchiv Der Gedanke eines „Blitzkrieges“ (nach 2 Tagen in Prag ?) ist ein unsinniger Traum; man sollte aus der modernen Kriegsge-

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NSDAP-Parteikanzlei musste Dohnanyi 1938 aus dem Ministerium ausscheiden und wurde an das Reichsgericht versetzt. Im Herbst 1939 forderte ihn Oster für das Amt Ausland/Abwehr an. Hans von Dohnanyi sollte hier im Geheimen weiter an der Vorbereitung eines Staatsstrei- ches gegen Hitler arbeiten. Er war durch seine Tätigkeit frühzeitig über den Mas- senmord an den europäischen Juden informiert und leitete Berichte seines Schwagers Dietrich Bonhoeffer über die GDW bpk Judendeportationen an hohe Militärs weiter, um diese zum Einschreiten zu be- wegen. Im Frühjahr 1942 beschloss er, we- hans von dohnanyi nigstens einige von der Deportation be- Zwischen 1929 und 1938 im Reichsjus- drohte Familien in Sicherheit zu bringen. Carl Friedrich Goerdeler, 1884 geboren, war tizministerium tätig, sammelte der 1902 Bereits am 5. April 1943 wurde Dohna- seit 1930 Oberbürgermeister von geborene Hans von Dohnanyi als persön- nyi wegen eines angeblichen Devisenver- und übte in der Endphase der Weimarer licher Referent von Reichsjustizminister gehens verhaftet. Nach dem 20. Juli 1944 Republik gleichzeitig das Amt des Reichs- Franz Gürtner systematisch Informatio- wurde ein Teil der von ihm vor 1938 ge- kommissars für die Preisüberwachung aus. nen über nationalsozialistische Verbre- sammelten Dokumente über NS-Verbre- Nach 1933 blieb er zunächst Oberbürger- chen. chen von der Gestapo entdeckt. Dohnanyi, meister, übernahm 1934/35 erneut die Ab Anfang 1938 hatte er Kontakt zu nach langer Haft in der Berliner Prinz-Al- Preisüberwachung und wurde zum schar- oppositionellen Militärs und war zusam- brecht-Straße schwer krank, wurde wegen fen Kritiker der Aufrüstung. men mit Ludwig Beck, Hans Oster und Er- seiner Beteiligung an den Umsturz- Goerdeler trat Ende des Jahres 1936 win von Witzleben führend an der Vorbe- vorbereitungen nach einem SS-Standge- nach heftigen kommunalpolitischen Aus- reitung eines Staatsstreichversuches im richtsverfahren im KZ Sachsenhausen am einandersetzungen mit den Nationalsozi- September 1938 beteiligt. Auf Druck der 9. April 1945 ermordet. alisten zurück. Unmittelbarer Anlass war die von den Nationalsozialisten veranlass- te Entfernung eines Denkmals, das an den Komponisten -Barthol- Diskussion trafen, begegnete Beck ande- dy erinnerte. ren liberalen und konservativen Gegnern In den Folgejahren wurde Goerdeler Hitlers. zum Mittelpunkt des zivilen Widerstands Beck versuchte zunächst, die Möglich- gegen Hitler. Als Berater des Bosch-Kon- keiten seines Amtes zu nutzen, um auf zerns unternahm er in Deutschland und Hitlers Politik einzuwirken. Mit Vorträ- im Ausland ausgedehnte Reisen. Dabei gen, Aktennotizen und Denkschriften warb er für eine Politik der internatio- wollte er aber nicht nur Hitler, sondern nalen Völkerverständigung, die sich ent- die Heeresspitze insgesamt beeinflussen. schieden gegen die Nationalsozialisten Seine Ziele wuchsen rasch über die rein richtete. militärischen Erwägungen hinaus. In zahlreichen Denkschriften kritisierte Im Sommer 1938 forderte Ludwig Beck Goerdeler Ende der 1930er-Jahre Hitlers

ullstein bild vergeblich die Generalität zum geschlos- Wirtschafts- und Rüstungspolitik und senen Rücktritt auf, um den drohenden warnte vor deren Konsequenzen, die in Krieg in Europa zu verhindern. Als er er- den Krieg münden mussten. Nach einem ludwig beck kannte, dass er sich weder auf die Genera- gelungenen Staatsstreich war Carl Fried- Im Oktober 1933 wurde der 1880 gebore- lität stützen noch Hitler überzeugen konn- rich Goerdeler für das Amt des Reichs- ne Berufsoffizier Ludwig Beck Chef des te, reichte Beck am 18. August 1938 seinen kanzlers vorgesehen. Truppenamtes im Reichswehrministe- Rücktritt ein. Bereits vor dem 20. Juli 1944 hatte er rium, ab Juli 1935 Generalstabschef des Ludwig Beck wurde zum Mittelpunkt die Aufmerksamkeit der Gestapo erweckt. Heeres. In seiner kompromisslosen Ab- der militärischen Opposition und soll- Nach dem Umsturzversuch konnte Goer- lehnung des Kriegsrisikos war sich Beck te nach einem gelungenen Anschlag deler zunächst entkommen, wurde kurz mit Carl Friedrich Goerdeler, dem Kopf auf Hitler Staatsoberhaupt werden. Am darauf denunziert und am 8. September der zivilen Oppositionskreise gegen Hit- Abend des 20. Juli 1944 forderte ihn Gene- 1944 vom „Volksgerichtshof“ unter Ro- ler, einig. ral nach dem Scheitern land Freisler zum Tode verurteilt. Auf In der Berliner Mittwochsgesellschaft, des Umsturzes auf, Selbstmord zu bege- Befehl Hitlers wurde er erst fünf Monate in der sich seit ihrer Gründung 1863 auf hen. Als dieser Versuch misslang, wurde später nach ausführlichen Vernehmun- ihrem jeweiligen Fachgebiet führende der schwer verwundete Beck auf Befehl gen am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzen- Wissenschaftler regelmäßig zur freien Fromms erschossen. see erhängt.

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Georg Elser und das Attentat vom 8. November 1939

Georg Elser wurde 1903 geboren und wuchs als ältestes von fünf Geschwistern in Königsbronn unter schwierigen Famili- enverhältnissen auf. Der Vater, Ludwig Elser, trank und hatte gesundheitliche Probleme, die Familie verarmte. So musste der junge Georg schon früh Verantwortung für andere über- nehmen. Georg Elser war ein außerordentlich begabter Schreiner. Zwischen 1925 und 1932 arbeitete er in der Tradition des wan- dernden Gesellen in verschiedenen Orten rund um den Boden- see. Elser galt als ein eher schweigsamer, aber dennoch gesel- liger Mensch. Seit seiner Schulzeit musizierte er. Er wanderte gern mit Freunden und war auch bei Frauen beliebt. Seine Freundin Mathilde Niedermann brachte 1930 sein einziges Kind Manfred zur Welt. Mit politischen Fragen setzte sich Elser bereits während seiner Lehrzeit auseinander. Persönliches Freiheitsgefühl und Unabhängigkeitsstreben prägten sein Verständnis von Politik. 1934-1939 Otto, Strasser, C.02-102, Az. E4320B#1970/25#2*, Bundesarchiv Schweizerisches Er wurde Mitglied im Holzarbeiterverband und trat 1928/29 Georg Elser um 1938 dem Roten Frontkämpferbund bei, der paramilitärischen Or- ganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), ohne sich dort aber besonders zu engagieren. Bis 1933 wählte Lokalschluss unbemerkt im Bürgerbräukeller einschließen, um er die KPD, die seiner Ansicht nach die Interessen der Arbeiter- während der Nacht mit einfachsten Werkzeugen den Pfeiler schaft am besten vertrat. über Hitlers Rednerpult für den geplanten Anschlag zu präpa- Der junge Schreiner lehnte den Nationalsozialismus von rieren. Am Morgen des 6. November stellte er die beiden Uhr- Anfang an entschieden ab. Augenzeugen berichteten, dass er werke auf den Abend des 8. November ein und ließ „damit der Kundgebungen der NSDAP und ihrer Kampfverbände mit de- Sache ihren freien Lauf“. monstrativer Nichtachtung begegnete, konsequent den „Hit- Hitler hatte sich im Unterschied zu den Vorjahren erst lergruß“ verweigerte und den Raum verließ, wenn im Radio kurzfristig zu seiner Traditionsveranstaltung entschlossen. Hitlerreden übertragen wurden. Ein erstes und wichtiges Mo- Auch sprach er erheblich kürzer als sonst, weil er unmittel- tiv für seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus war die bar danach wieder nach Berlin zurückkehren wollte. Daher Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft hatte er mit den anderen hohen NS-Führern den Raum be- während der ersten Jahre des NS-Regimes. reits seit etwa 13 Minuten verlassen, als gegen 21.20 Uhr der Obwohl die französische und die britische Regierung Ende Sprengkörper explodierte. Die Explosion begrub das Redner- September 1938 auf der Münchener Konferenz den territorialen pult unter einem meterhohen Schutthaufen und zerstörte Forderungen Hitlers an die Tschechoslowakei nachgegeben hat- die Saaldecke. Acht Tote und über sechzig Verletzte waren ten, befürchtete Elser, dass „ein Krieg unvermeidlich ist“. Ab da die Folge. reifte sein Entschluss, die nationalsozialistische Führung – nach Unmittelbar nach der Detonation begann die Suche der seinen Worten Hitler, Goebbels und Göring – durch ein Attentat Gestapo nach dem Attentäter. Georg Elser hatte auf seiner zu beseitigen, um den drohenden Krieg zu verhindern. Als am Flucht in die Schweiz noch vor der Explosion seines Spreng- 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht Polen überfiel, fühlte körpers gegen 20.45 Uhr die Aufmerksamkeit der deutschen sich Elser bestätigt. Bei Verhören erklärte er später, er habe mit Zollgrenzbeamten in Konstanz erregt und war festgenommen seiner Tat „noch größeres Blutvergießen“ verhindern wollen. worden. Als die Nachricht vom Münchener Bombenanschlag Seit Herbst 1938 bereitete Georg Elser systematisch den Konstanz erreichte, geriet er in Verdacht. Die Gestapo brachte Bombenanschlag auf Hitler vor. Er sollte im Münchener Bür- ihn nach München, wo er verhört und gefoltert wurde. Elser gerbräukeller stattfinden, in dem Hitler alljährlich am Vor- gestand seine Tat und übernahm die alleinige Verantwortung. abend seines gescheiterten Putschversuches vom 9. November Dennoch gab ihn die NS-Propaganda als „Werkzeug“ des briti- 1923 eine Gedenkrede hielt. In seiner zeitweiligen Arbeits- schen Nachrichtendienstes aus. stätte, einer Heidenheimer Armaturenfabrik, verschaffte sich Nach dem Ende des Krieges sollte Elser vom „Volksgerichts- Elser zunächst 250 Presspulverstücke. Daraus konstruierte er hof“ in einem „Schauprozess“ verurteilt werden. Deshalb einen Sprengkörper mit einem mechanischen Zündmechanis- wurde er seit 1940 als „Sonderhäftling“ im Zellenbau des KZ mus, den er anschließend mit einem Zeitzünder mit zwei Uhr- Sachsenhausen gefangen gehalten und Tag und Nacht von werken versah. Dabei kamen ihm die Kenntnisse zugute, die mindestens zwei SS-Männern bewacht. Mehr als fünf Jahre er sich durch die Arbeit in Uhrmacherwerkstätten angeeignet musste er in völliger Isolation leben. hatte. Um weiteren Sprengstoff zu beschaffen, arbeitete Elser Vermutlich Anfang Februar 1945 überführte die Gestapo auch in einem Königsbronner Steinbruch, aus dem er ab April Georg Elser in das KZ Dachau, wo er wiederum in Einzelhaft 1939 mehr als 100 Sprengpatronen und über 125 Sprengkap- streng bewacht wurde. Auf Weisung „von höchster Stelle“ seln entwenden konnte. wurde Georg Elser schließlich am 9. April 1945 in der Nähe des Im August 1939 zog Elser nach München. Zwischen August alten Krematoriums erschossen. Seine Leiche wurde anschlie- GDW und November 1939 ließ er sich an mehr als 30 Abenden nach ßend sofort verbrannt. Der zerstörte Bürgerbräukeller in München am Tag nach dem Attentat, 9. November 1939

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Georg Elser über seine Motive Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzu- überzeugt, dass der Nationalsozialismus die Macht in seinen friedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unver- Händen hatte und dass er diese nicht wieder hergeben wer- meidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. de. Ich war lediglich der Meinung, dass durch die Beseitigung Ob dies vor oder nach der Septemberkrise 1938 war, kann ich der genannten drei Männer eine Mäßigung in der politischen heute nicht mehr angeben. Ich stellte allein Betrachtungen an, Zielsetzung eintreten wird. Bestimmt kann ich angeben, dass wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen ich nicht im Geringsten an eine andere Partei oder Organisati- Krieg vermeiden könnte. Hierzu wurde ich von niemandem an- on gedacht habe, die nach einer Beseitigung der Führung das geregt, auch wurde ich von niemandem in diesem Sinne beein- Ruder in Deutschland in die Hand genommen hätte. Auch über flusst. Derartige oder ähnliche Unterhaltungen habe ich nie ge- diesen Punkt habe ich mich mit niemand unterhalten. hört. Auch vom Moskauer Sender habe ich nie gehört, dass die Der Gedanke der Beseitigung der Führung ließ mich damals deutsche Regierung und das Regime gestürzt werden müssen. nicht mehr zur Ruhe kommen und bereits im Herbst 1938 – es Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergeb- war dies vor dem November 1938 – hatte ich auf Grund der im- nis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Besei- mer angestellten Betrachtungen den Entschluss gefasst, die tigung der augenblicklichen Führung geändert werden könn- Beseitigung der Führung selbst vorzunehmen. Ich dachte mir, ten. Unter der Führung verstand ich die „Obersten“, ich meine dass dies nur möglich sei, wenn die Führung sich bei irgend- damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen einer Kundgebung befindet. Aus der Tagespresse entnahm ich kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser damals, dass die nächste Zusammenkunft, bei der auch die Füh- 3 Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das rung teilnimmt, sich am 8. und 9. November 1938 in München Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, „die kein frem- im „Bürgerbräukeller“ abspielt. Bestimmt kann ich allerdings des Land einbeziehen wollen“ und die für eine Besserung der nicht mehr sagen, ob ich diese Zusammenkunft tatsächlich aus sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden. der Zeitung oder sonst irgendwie erfahren habe. Ob mir dies An bestimmte Personen, die die Regierung übernehmen soll- später noch einfällt, kann ich nicht angeben.

Lokalschluss unbemerkt im Bürgerbräukeller einschließen, um ten, habe ich weder damals noch später gedacht. Den National- Auszug aus dem Gestapo-Verhör Georg Elsers im November 1939 über seinen Entschluss während der Nacht mit einfachsten Werkzeugen den Pfeiler sozialismus wollte ich damals nicht beseitigen. Ich war davon zur Tat und die ersten Vorbereitungen, Bundesarchiv R 22/3100 über Hitlers Rednerpult für den geplanten Anschlag zu präpa- rieren. Am Morgen des 6. November stellte er die beiden Uhr- werke auf den Abend des 8. November ein und ließ „damit der Sache ihren freien Lauf“. Hitler hatte sich im Unterschied zu den Vorjahren erst kurzfristig zu seiner Traditionsveranstaltung entschlossen. Auch sprach er erheblich kürzer als sonst, weil er unmittel- bar danach wieder nach Berlin zurückkehren wollte. Daher hatte er mit den anderen hohen NS-Führern den Raum be- reits seit etwa 13 Minuten verlassen, als gegen 21.20 Uhr der Sprengkörper explodierte. Die Explosion begrub das Redner- pult unter einem meterhohen Schutthaufen und zerstörte die Saaldecke. Acht Tote und über sechzig Verletzte waren die Folge. Unmittelbar nach der Detonation begann die Suche der Gestapo nach dem Attentäter. Georg Elser hatte auf seiner Flucht in die Schweiz noch vor der Explosion seines Spreng- körpers gegen 20.45 Uhr die Aufmerksamkeit der deutschen Zollgrenzbeamten in Konstanz erregt und war festgenommen worden. Als die Nachricht vom Münchener Bombenanschlag Konstanz erreichte, geriet er in Verdacht. Die Gestapo brachte ihn nach München, wo er verhört und gefoltert wurde. Elser gestand seine Tat und übernahm die alleinige Verantwortung. Dennoch gab ihn die NS-Propaganda als „Werkzeug“ des briti- schen Nachrichtendienstes aus. Nach dem Ende des Krieges sollte Elser vom „Volksgerichts- hof“ in einem „Schauprozess“ verurteilt werden. Deshalb wurde er seit 1940 als „Sonderhäftling“ im Zellenbau des KZ Sachsenhausen gefangen gehalten und Tag und Nacht von mindestens zwei SS-Männern bewacht. Mehr als fünf Jahre musste er in völliger Isolation leben. Vermutlich Anfang Februar 1945 überführte die Gestapo Georg Elser in das KZ Dachau, wo er wiederum in Einzelhaft streng bewacht wurde. Auf Weisung „von höchster Stelle“ wurde Georg Elser schließlich am 9. April 1945 in der Nähe des alten Krematoriums erschossen. Seine Leiche wurde anschlie- GDW ßend sofort verbrannt. Der zerstörte Bürgerbräukeller in München am Tag nach dem Attentat, 9. November 1939

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JOHANNES TUCHEL / JULIA ALBERT Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen

Die Versuche, Widerstand zu organisieren, erfolgten unter Gang, der mehr als sechs Millionen Menschenleben fordern der ständigen Bedrohung durch ein politisches Regime, das sollte. Auch hunderttausende Sinti und Roma wurden Opfer einen Eroberungskrieg in Europa vorbereitete und dafür im des nationalsozialistischen Genozids. Innern entsprechende Vorkehrungen traf. Zu diesen Vor- Regimegegner stellten sich gegen Krieg und Völkermord. kehrungen gehörten die Aufrüstung, aber auch die Gleich- Sie waren oftmals vereinzelt und verzweifelt. Hinzu kam, dass schaltung, Ideologisierung, Militarisierung und ständige sich ab Kriegsbeginn im Herbst 1939 die Rahmenbedingungen Mobilisierung der deutschen Gesellschaft im Rahmen der für die Regimegegnerschaft entscheidend verschlechtert hat- „Volksgemeinschaft“. ten. Eine Vielzahl von Sonderbestimmungen, die im „Kriegs- Infolge des Krieges wurden viele Männer zur Wehrmacht sonderstrafrecht“ zusammengefasst waren, ermöglichten hö- einberufen. Um ihre Arbeitskraft zu ersetzen und für den here Strafen als bisher gegen alle, deren Verhalten auch nur „Endsieg“ des Deutschen Reiches zu sorgen, wurden Millio- geringfügig von der Norm abwich. Todesurteile gegen Kriegs- nen Menschen aus den von den Deutschen eroberten und dienstverweigerer gehörten jetzt ebenso zur Realität des besetzten Ländern zur Zwangsarbeit in der Industrie und NS-Staates wie schwere Strafen für diejenigen, die ausländi- in der Landwirtschaft nach Deutschland gebracht. Unmit- sche Rundfunksender gehört hatten und von „Volksgenossen“ telbar hinter der Front begannen schon wenige Tage nach denunziert worden waren. dem deutschen Überfall auf Polen Gewaltverbrechen, die Unter diesen Bedingungen wurde die Bildung oppositi- für die nächsten Jahre die besetzten Gebiete zum Zentrum oneller Netze und Gruppen immer schwieriger, die Gefahr des Massenmords werden ließen. Doch auch in Deutschland des Verrats immer größer. In einer Gesellschaft, in der Mei- selbst wurde im Herbst 1939 mit der Mordaktion an 200 000 nungsaustausch mit Argwohn betrachtet wurde, boten nur kranken und hilflosen Menschen ein Massenverbrechen Freundes- und Diskussionskreise die Möglichkeit für die Wei- verübt, das verharmlosend als Euthanasie – „Gnadentod“ – terentwicklung politischer Konzepte. Jenseits von Meinungs- bezeichnet wurde. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion verschiedenheiten in Details waren sich alle Regimegegner im Juni 1941 folgte dann der Massenmord an sowjetischen jedoch einig in ihren Forderungen nach dem Sturz Hitlers, Kriegsgefangenen. Die Zivilbevölkerung in den besetzten Ge- dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen und bieten fiel nicht nur dem Kriegsgeschehen zum Opfer. Viele des von den Nationalsozialisten entfesselten Vernichtungs- wurden als Partisanen verdächtigt und hingerichtet oder Ziel und Weltanschauungskrieges. Angesichts von Krieg und Ge- von Vergeltungsaktionen. Im selben Jahr setzte das NS-Re- waltherrschaft wollten sie gegenüber den Herausforderungen gime den planmäßigen Völkermord an den Juden Europas in der Diktatur nicht tatenlos bleiben. Baier © ECPAD, Paris Baier © ECPAD,

Mordaktion in Serbien, Oktober 1941

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Widerstand aus der Arbeiterbewegung

Als der Krieg begann, bemühten sich die Regimegegner aus der Arbeiterbewegung um den Aufbau von betrieblichen Widerstandsgruppen. Sie versuchten, Nachrichten über den tatsächlichen Kriegsverlauf zu verbreiten, die Rüstungswirt- schaft zu sabotieren und Verfolgte zu unterstützen. Obwohl die Nationalsozialisten in den 1930er-Jahren bereits nahezu alle größeren Widerstandsgruppen von Kommunisten, Sozi- aldemokraten und Sozialisten zerschlagen hatten, konnten Verfolgung und Entrechtung den Willen der Regimegegner nur selten brechen. Die Erfahrungen der Haft bestärkten viele in ihrem Entschluss, den NS-Staat weiterhin bei jeder sich bie- tenden Gelegenheit aktiv zu bekämpfen. Neue Widerstandsor- ganisationen aufzubauen und Kontakte zu anderen Gruppen herzustellen, gelang jedoch nur in wenigen Fällen. Viele Kommunisten hatte der Abschluss des deutsch-sow- jetischen Nichtangriffspaktes vom 23. August 1939 wie ein Schock getroffen. Ein großer Teil von ihnen wollte nun einen eigenen, von der Moskauer Führung unabhängigen Weg fin- den und sich neu orientieren. Erst der Überfall auf die Sow- jetunion am 22. Juni 1941 und die Kenntnis von den national- sozialistischen Gewaltverbrechen bewirkten eine neuerliche Verstärkung kommunistischer Widerstandsaktivitäten und GDW eine Wiederannäherung an die Politik der Sowjetunion und Die Hamburger ABC-Kolonne im Winter 1941. V. l. n. r.: Robert Abshagen, unbe- der KPD-Führung. kannt, Hein Bretschneider, Hans Christoffers Auch frühere KPD-Funktionäre, die 1939 und 1940 aus Kon- 1941 bildet sich um die Hamburger Arbeiterfunktionäre Bernhard Bästlein, Oskar zentrationslagern und Zuchthäusern zurückkehrt waren, Reincke, Franz Jacob und Robert Abshagen eine kommunistische Betriebszellen- versuchten, neue Widerstandsgruppen aufzubauen. So ent- organisation, deren Schwerpunkt in den Werften liegt. Ende 1942 gelingt es der Gestapo, die Gruppe aufzudecken. Mehr als 60 Festgenommene werden zum Tode standen um Robert Uhrig in Berlin, um Theodor Neubauer in verurteilt oder von der Gestapo ermordet, darunter auch Robert Abshagen und Mitteldeutschland und um Bernhard Bästlein in Hein Bretschneider. große Widerstandsorganisationen; eine weitere um Wilhelm Knöchel war im Ruhrgebiet aktiv. Später bildete sich in Berlin eine weit verzweigte kommunistische Widerstandsorganisa- tion um und Franz Jacob. Sie verstand sich als Inlandsleitung der KPD und orientierte sich an den Zielen des 1943 von emigrierten Kommunisten und deutschen Kriegsge- fangenen in der Sowjetunion gegründeten Nationalkomitees „Freies Deutschland“. Diese Organisationen, in denen auch Sozialdemokraten und Sozialisten mitwirkten, verbreiteten Flugblätter und selbst- gefertigte Flugschriften. Vor allem aber versuchten sie, in den Betrieben ihre Basis auszubauen und sich auf die Zeit nach der Befreiung von der NS-Herrschaft vorzubereiten. Doch im- mer wieder schleuste die Gestapo Spitzel in die kommunisti- schen Gruppen ein und konnte sie so zerschlagen. Einige sozialistische Gruppen wie die Revolutionären Sozia- 9 NJ 1434 Bd. Barch, listen und der Internationale Sozialistische Kampfbund konn- Druckanlage der Widerstandsgruppe Antinazistische Deutsche Volksfront (ADV), ten ihre Widerstandsaktivitäten bis in die Kriegszeit fortset- München 1943 (Beweisfoto der Gestapo) zen. Sozialdemokratische Regimegegner festigten vor allem 1942 bildet sich in München die Widerstandsgruppe ADV um Karl Zimmet, ihre Kontakte untereinander, ohne allerdings fest organisierte Georg Jahres und Hans Hutzelmann. Sie steht der KPD nahe und arbeitet mit Gruppen aufzubauen. Ihr Ziel war es, nach einer deutschen mi- einer Münchener Widerstandsorganisation von sowjetischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, der Organisation BSW (Brüderliche Zusammenarbeit der litärischen Niederlage, die die Befreiung vom Nationalsozialis- Kriegsgefangenen), zusammen. Im Spätherbst 1943 werden durch Gestapo-Spitzel mus bedeutete, politisch handlungsfähig zu sein. 13 Gruppen mit nahezu 300 Mitgliedern aufgedeckt. Einzelne Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer stan- den in enger Verbindung mit den Berliner Widerstandskreisen um Carl Friedrich Goerdeler, Helmuth James Graf von Moltke All diese Gruppen stellten sich den täglichen Herausforde- und Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Im Sommer 1944 lo- rungen der illegalen Arbeit, indem sie sich gemeinsam auf teten Julius Leber und Adolf Reichwein, die neben Wilhelm die Grundlagen von Menschlichkeit und politischer Selbstbe- Leuschner als Repräsentanten der sozialdemokratischen Ar- hauptung besannen. Oft setzten sie damit zugleich Zeichen beiterbewegung galten, mit der Berliner Widerstandsorgani- für die Traditionen der Arbeiterbewegung, die sich in der Wei- sation um Anton Saefkow und Franz Jacob grundlegende Fra- marer Zeit verhängnisvoll gespalten hatte und nun unter dem gen der Zusammenarbeit aus. Druck der Kriegsverhältnisse verschüttet zu werden drohte.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 28 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

schen Arbeiterjugend, trat aber 1925 dem Verbindungsleute gab es in zahlreichen Kommunistischen Jugendverband und der Berliner Betrieben, in denen illegale Ar- KPD bei. 1932 war er für die KPD jüngstes beitergruppen bestanden. Sie versuchten, Mitglied in der Hamburger Bürgerschaft. Verbindungen zu anderen Widerstands- Mitte August 1933 wurde Jacob in Berlin gruppen im Reich zu halten, Verfolgten festgenommen und nach der Verbüßung mit Lebensmittelkarten oder Ausweisen einer Zuchthausstrafe von 1936 bis 1940 zu helfen und Kontakt zu Kriegsgefange- im KZ Sachsenhausen festgehalten. Un- nen oder Zwangsarbeitern herzustellen. mittelbar nach seiner Entlassung nahm Kleine und besonders zuverlässige „Ka- er erneut Verbindung zu seinen politi- dergruppen“ sollten eine angemessene schen Freunden auf und gehörte bald zum Vorbereitung auf die Zeit nach dem Ende Führungskern der Gruppe um Bernhard der nationalsozialistischen Herrschaft ge-

Privatbesitz Bästlein. währleisten. Als im Oktober 1942 eine Festnahmeak- Gemeinsam mit Saefkow wurde Jacob tion in Hamburg begann, tauchte Franz Ja- Anfang Juli 1944 festgenommen, am 5. franz jacob cob in Berlin unter und baute ab 1943 mit September 1944 durch den „Volksgerichts- Der 1906 in Hamburg geborene Maschi- Anton Saefkow eine neue Widerstands- hof“ zum Tode verurteilt und am 18. Sep- nenschlosser Franz Jacob engagierte sich organisation auf, die sich am National- tember 1944 in Brandenburg-Görden ent- schon 1920 in der SPD-nahen Sozialisti- komitee „Freies Deutschland“ orientierte. hauptet.

Metallarbeiterverband bei und wurde bald für individuelle Hilfe schaffen und der einer der führenden Funktionäre des Kom- Bildung einer breiteren Basis im Kampf munistischen Jugendverbandes in Berlin. gegen das NS Regime dienen. Neben die 1924 trat er der KPD bei und war von 1928 „Kaderschulung“ und die Bildung von Be- bis 1933 Mitglied der KPD-Bezirksleitun- triebsgruppen trat die Aufklärungsarbeit gen in Sachsen, im Ruhrgebiet und in durch Flugblätter. Die Organisation um Hamburg. Er wurde im April 1933 erstmals Saefkow bezeichnete sich dabei unter an- festgenommen und 1934 zu zwei Jahren derem als Berliner Ausschuss des Natio- Zuchthaus verurteilt. nalkomitees „Freies Deutschland“. Im Herbst 1941 stieß Saefkow zum Kreis Anton Saefkow wurde am 4. Juli 1944 um Robert Uhrig. Gemeinsam mit Franz festgenommen und am 5. September 1944 Jacob baute er 1943 ein neues Netz unter- mit Bernhard Bästlein und Franz Jacob

GDW schiedlicher illegaler Gruppen auf. Saef- zum Tode verurteilt. Wenige Tage spä- kow und seine Freunde hielten auch akti- ter, am 18. September 1944, wurden sie ve Formen des Kampfes gegen das Regime gemeinsam in Brandenburg-Görden ent- anton saefkow für möglich: Durch Produktionssabotage hauptet. Der 1903 geborene Maschinenbauer An- wollten sie die Rüstungsanstrengungen ton Saefkow schloss sich der sozialisti- schwächen. Verbindungen zu ausländi- schen Jugendbewegung an, trat 1920 dem schen Arbeitern sollten Voraussetzungen

Geschichte und neuere Fremdsprachen in zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. An- Brüssel, Jena und Berlin. Nach der Promo- schließend hielten ihn die Nationalsozi- tion in Jena 1913 wurde er Lehrer, meldete alisten in verschiedenen Konzentrations- sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges frei- lagern gefangen. Erst im Sommer 1939 willig als Soldat und kehrte 1917 desillusio- wurde Neubauer entlassen und lebte seit- niert zurück, nachdem er an der Front eine dem bei seiner Familie in Tabarz (Thürin- Gasvergiftung erlitten hatte. gen). Zusammen mit Magnus Poser bau- Nach der Novemberrevolution war er te er Anfang 1942 eine weit verzweigte zunächst Mitglied der Deutschen Demo- kommunistische Widerstandsgruppe auf. kratischen Partei, wechselte zur USPD (ei- Im Juli 1944 wurde Theodor Neubauer ner Abspaltung der SPD) und schloss sich festgenommen, im Januar 1945 zum Tode mit deren linkem Flügel 1920 der KPD an. verurteilt und am 5. Februar 1945 in Bran-

GDW Von 1921 bis 1924 war Neubauer thürin- denburg-Görden enthauptet. gischer Landtagsabgeordneter, 1923 auch Staatsrat in der Thüringer Arbeiterregie- theodor neubauer rung. Von 1924 bis 1933 vertrat er die KPD 1890 geboren, wuchs Theodor Neubauer im Reichstag und lebte seit 1930 in Berlin. als Sohn eines Gutsinspektors in einem Neubauer wurde im August 1933 erst- konservativen Elternhaus auf. Er studierte mals festgenommen und im Herbst 1934

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schaftsbundes (ADGB) Darmstadt und stieg Leuschner nach seiner Freilassung in Berlin 1926 zum Bezirkssekretär des ADGB für eine Firma, in der viele Sozialdemokraten ar- Waldeck, Hessen-Darmstadt, Hessen-Nas- beiteten. Bei seinen Geschäftsreisen konnte sau, Rheinhessen und Saarland auf. er bis zuletzt mit zahlreichen Gesinnungsge- Der Sozialdemokrat war bis 1928 Stadt- nossen in ganz Deutschland Kontakt aufneh- verordneter in Darmstadt, danach bis 1933 men, auch mit der bürgerlichen Opposition. Abgeordneter im hessischen Landtag. Als Bei Kriegsausbruch 1939 wieder kurzzeitig hessischer Innenminister veröffentlichte er inhaftiert, hielt Leuschner in den folgenden 1931 interne Papiere der Nationalsozialis- Jahren Kontakte zum Kreisauer Kreis und ten, die viele ihrer Gewaltpläne offenbar- war intensiv an den Vorbereitungen für den ten. Im Januar 1933 ging er als Mitglied des Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt. ADGB-Bundesvorstandes nach Berlin. Nach Für die Zeit nach dem Sturz Hitlers war er als

GDW der Zerschlagung der Gewerkschaften wei- Vizekanzler vorgesehen und sollte gemein- gerte er sich, bei einem Treffen der Interna- sam mit zwei anderen die neue Einheitsge- tionalen Arbeitsorganisation in Genf für die werkschaft führen. Nach dem gescheiterten wilhelm leuschner Anerkennung der nationalsozialistischen Umsturzversuch wurde Leuschner festge- Der 1890 geborene Holzbildhauer Wilhelm „Deutschen Arbeitsfront“ zu sprechen. nommen, vom „Volksgerichtshof“ zum Tode Leuschner war ab 1919 zunächst Vorsitzen- Von 1933 bis 1934 von der Gestapo in Kon- verurteilt und am 29. September 1944 in Ber- der des Allgemeinen Deutschen Gewerk- zentrationslagern festgehalten, gründete lin-Plötzensee erhängt.

Mittelschule Lehrling in einer Tapetenfa- als selbstständiger Kohlenhändler, suchte brik. Von 1910 bis 1912 konnte er mit einem jedoch bald wieder Verbindung zu seinen Stipendium die Oberrealschule besuchen sozialdemokratischen Freunden und fand und anschließend Geschichte und Natio- später zum Kreisauer Kreis. Im Sommer nalökonomie (Volkswirtschaft) studieren. 1944 nahm er über Verbindungsleute Kon- 1912 trat er der SPD bei. Er meldete sich 1914 takt zu dem Kommunisten Franz Jacob freiwillig als Soldat, wurde Offizier und auf, den er im KZ Sachsenhausen kennen- nahm 1920 noch als Leutnant an der Nie- gelernt hatte und der zu den führenden derschlagung des Kapp-Putsches teil. Mitstreitern der Widerstandsorganisation Leber war verheiratet mit Annedore Ro- um Anton Saefkow zählte. senthal, mit der er eine Tochter und einen Julius Leber, der nach den Plänen der Sohn hatte. Ab 1921 Chefredakteur des so- Widerstandsgruppe des 20. Juli nach ei-

Privatbesitz Privatbesitz zialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ nem gelungenen Umsturz Reichskanzler wurde er 1924 für die SPD in den Reichstag oder Innenminister werden sollte, wurde gewählt, dem er als wehrpolitischer Frakti- am 5. Juli 1944 aufgrund der Denunziati- julius leber onssprecher bis 1933 angehörte. on eines Gestapo-Spitzels festgenommen, Julius Leber, 1891 geboren und in der Fami- 1933 wurde Leber verhaftet und kam am 20. Oktober 1944 durch den „Volksge- lie eines elsässischen Kleinbauern aufge- erst im Sommer 1937 aus dem KZ Sachsen- richtshof“ zum Tode verurteilt und am wachsen, wurde nach dem Abschluss der hausen frei. Er fristete sein Leben in Berlin 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt.

terjugend (SAJ), dann der SPD an und ar- 1937 Mitglied des in Straßburg gegründe- beitete für die „Arbeiterwohlfahrt“ und ten Hilfskomitees für die Saar-Pfalz, das als Zeitungskorrespondentin auf Partei- in Frankreich deutsche Emigranten aus und Gewerkschaftskongressen. dieser Region betreute. Als 1933 ein Haftbefehl gegen sie erlas- Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges sen wurde, befand sie sich auf einer Reise wurde Johanna Kirchner auf Erlass der in die Schweiz, um für andere Verfolgte französischen Regierung interniert. Ob- des NS-Regimes Fluchthilfe zu organisie- wohl es zunächst gelang, sie mit Hilfe ren. Sie emigrierte zunächst ins Saarge- französischer Freunde aus dem Lager biet, beteiligte sich an den Vorbereitun- Gurs zu befreien, wurde sie später von der gen zur Saarabstimmung und musste, Vichy-Regierung an Deutschland ausge- nachdem das Gebiet danach dem Deut- liefert. Seit dem 9. Juni 1942 in Deutsch-

AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung schen Reich angegliedert worden war, im land Gestapo-Vernehmungen ausgesetzt, Januar 1935 weiterflüchten. verurteilte sie der „Volksgerichtshof“ im Im französischen Forbach, nahe der Mai 1943 zu zehn Jahren Zuchthaus und johanna kirchner deutschen Grenze, blieb sie mit dem in einem Wiederaufnahmeverfahren am Die 1889 geborene Johanna Stunz, ver- Kampf der deutschen Hitlergegner eng 21. April 1944 zum Tode. Johanna Kirchner heiratete Kirchner, gehörte seit dem verbunden und stand mit kommunis- wurde am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee 14. Lebensjahr der Sozialistischen Arbei- tischen Gruppen in Kontakt. Sie wurde enthauptet.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 30 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Die Europäische Union

In den ersten Kriegsjahren fanden sich in Berlin Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft zusammen, die den Ver- brechen des NS-Regimes nicht länger tatenlos zusehen woll- ten. Sie standen in Kontakt mit verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Widerstandsgruppen, ohne jedoch en- ger mit diesen zusammenzuarbeiten. Georg Groscurth, Arzt und Dozent an der Berliner Universität, und sein Freund, der Chemikophysiker , versuchten gemeinsam mit dem Architekten Herbert Richter und dem Dentisten Paul Rentsch immer wieder, verfolgten Menschen zu helfen. Mit einem Netz von Verbündeten, die Lebensmittelmarken sam- melten, Papiere besorgten und Informationen beschafften, un- terstützten sie illegal lebende jüdische Freunde. Groscurth half Soldaten, sich als front- oder dienstuntauglich dem Kriegsdienst zu entziehen. Gemeinsam mit Havemann war er zudem seit Ende der 1930er-Jahre an Forschungen über Kampfgase beteiligt, die sie sabotierten und so ergebnislos in

die Länge zogen. 1943 gelang es ihnen, mit Hilfe des Exil-Rus- GDW sen Konstantin Shadkewitsch Kontakt zu verschiedenen Grup- Seit 1941 muss Herbert Baum (hier l. mit der Familie seiner Frau Marianne) in der pen von Zwangsarbeitern aufzunehmen, die nach Deutsch- „Judenabteilung“ der Berliner Elmo-Werke arbeiten und kommt dort in Kontakt land verschleppt worden waren. Sie unterstützten deren mit anderen Zwangsarbeitern. Versuche, Widerstandorganisationen aufzubauen, indem sie Kontakte vermittelten und die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gruppen aufrechterhielten. Im Sommer 1943 Die Widerstandsgruppe um Herbert verfassten Havemann, Groscurth, Richter und Rentsch mehre- Baum re programmatische Texte. Sie gaben ihrer Gruppe den Namen „Europäische Union“ und wollten damit ausdrücken, dass sie die Widerstandsaktivitäten der aus vielen europäischen Nati- Die Widerstandsorganisation um Herbert Baum und seine onen stammenden Zwangsarbeiter unterstützten. Im Kampf Frau Marianne bestand aus jungen Menschen, die dem Kom- gegen das NS-Regime sahen sie die Grundlage für eine gesamt- munismus nahe standen und durch ihre gemeinsamen Erfah- europäische sozialistische Nachkriegsordnung. rungen als verfolgte Juden geprägt waren. Deshalb werden Die meisten Mitglieder der Europäischen Union wurden im Herbert Baum und seine Mitkämpfer häufig als jüdische Wi- Spätsommer 1943 von der Gestapo festgenommen. Die Grup- derstandsgruppe bezeichnet oder als Kreis einer gegen das pe galt den Nationalsozialisten als besonders gefährlich, weil NS-Regime gerichteten Jugendopposition gedeutet. Sie selbst sie sich aus angesehenen Intellektuellen und Angehörigen verstanden sich aber stets als Angehörige der kommunisti- verschiedener Nationen zusammensetzte. 1943/44 wurden ge- schen Widerstandsbewegung. gen 16 Angeklagte Todesurteile verhängt. Andere verloren ihr Die Mitglieder der Gruppe kannten sich teilweise bereits seit Leben schon in der Voruntersuchung, wurden in den Gaskam- dem Ende der Weimarer Republik und hatten schon früh ers- mern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ermordet, te Erfahrungen im Widerstand gegen das NS-Regime gesam- starben nach ihrer Verurteilung zu Haftstrafen im Gefängnis melt. 1938/39 fanden sich einige der jüdischen Freunde von oder unmittelbar nach der Befreiung an den Folgen der Haft. Herbert Baum erneut zusammen. Sie versuchten unabhängig von anderen kommunistischen Berliner Widerstandsgruppen, eigenständige Formen des Protests und des Widerstands zu entwickeln. Seit dem Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion im Sommer 1941 verbreiteten sie Flugblätter, um so auf das Unrecht und die gefährlichen Folgen des Krieges aufmerksam zu machen. Ihre spektakulärste Aktion war ein Brandanschlag auf die Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ im Ber- liner Lustgarten am 17. Mai 1942. Herbert Baum und seine Freunde, die besondere Sympathie für die Bevölkerung der Sow- jetunion empfanden, wandten sich mit ihrer Tat vor allem gegen deren Verunglimpfung als „slawische Untermenschen“ und gegen die Verbindung von antijüdischer und antikommu- nistischer Propaganda. Binnen weniger Tage wurden sie verhaftet, vermutlich nach einer Denunziation. Drei der Festgenommenen, neben Herbert Baum Walter Bernecker und Elfriede Schaumann, begingen in der Untersuchungshaft Selbstmord. Insgesamt fielen mehr als Robert-Havemann-Gesellschaft 20 Menschen aus den Kreisen um Herbert Baum der national- Georg Groscurth und Robert Havemann in ihrem Berliner Labor um 1940 sozialistischen Verfolgung zum Opfer.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 31

Wenn wir das alles einmal bezahlen müssen! „Wenn ich auf die Welt blicke, die wir verkörpern und auf all die sträubte es sich, an eine solche Verkommenheit deutscher Trup- Männer, mit denen ich das Glück habe befreundet oder verbün- penverbände zu glauben. Es wollte nicht wahrhaben, dass seine det zu sein, wenn ich weiter sehe auf meine politischen Führer Männer und Söhne von den Hitlerbestien zu solchen Scheuß- im Reich, auf meine Reichsleiter, Gauleiter, Reichsstatthalter, lichkeiten missbraucht werden. Es ließ sich immer wieder von Generalgouverneure, die Feldmarschälle und Admirale und Göbbels einreden, dass die objektiven Berichte aus dem besetz- Generalobersten, dann sehe ich mit stärkster Zuversicht in die ten Sowjetgebiet lügnerische Feindpropaganda seien. Wir sind Zukunft.“ heute in der Lage auch diesen Schwindel über die angebliche So sprach Hitler am 26. April vor seinem sogenannten Reichs- Feindpropaganda zu entlarven. Wir sind in den Besitz einer tag. Besser konnte er sein Regime nicht charakterisieren. Die Anzahl Originalfotos gekommen, die von anständigen und ehr- Welt, die er mit seiner Bande verkörpert, das ist der endlose und lichen deutschen Soldaten in der Ukraine aufgenommen wur- opferreiche Krieg, ist eine Welt der Massengräber, des Hungers, den. Diese Fotos geben einen Einblick in die verbrecherischen der absoluten Verelendung des Volkes. Seine Welt, das ist die und bestialischen Greueltaten des hitlerischen Militarismus in Welt der 200 Plutokratenfamilien, denen die großen Konzerne den besetzten Sowjetgebieten. […] und Monopole gehören; seine Welt ist die Welt der Schieber und Und doch drohte uns das Blut in den Adern zu erstarren bei Großverdiener, die Welt der Gangster, Volksbetrüger und Volks- der Durchsicht der uns übergebenen Bilder. Kinder, Frauen und verderber. Seine Welt ist die Welt von Blut, Schweiß und Tränen, Greise werden ohne Prozess unschuldig auf das bestialischste ist die Welt der Konzentrationslager, der Galgen, des Henker- hingeschlachtet. Dörfer und Städte werden verbrannt und ver- beils und der Geiselerschießungen. wüstet. Die Zivilbevölkerung wird all ihrer Lebensmittel und Seine Herrschaft, die er so gern als Volksherrschaft auszu- Kleidungsstücke beraubt. Eine tiefe Schamröte stieg uns ins geben versucht, ist nichts anderes, als die brutalste Herrschaft Gesicht und voll banger Sorge fragten wir uns: „Was soll aus der Plutokraten und der Hierarchie der NSDAP, der Gau- und Deutschland werden, wenn unser Volk einmal für all die Grau- Reichsleiter, der Reichsstatthalter und Reichskommissare, samkeiten und Bestialitäten, die in seinem Namen von den Na- der Generalität und der ganzen Bande von Nutznießern des zihenkern begangen werden, büßen müsste.“ […] Krieges. In dem oben zitierten Ausspruch hat Hitler unse- Es fällt uns nicht leicht, das alles hier niederzuschreiben, rem Volke klar und deutlich den wahren und einzigen Feind geschieht das alles doch im Namen Deutschlands, wissen wir Deutschlands gezeigt. Diese Bande von Ausbeutern, Empor- doch, dass unser Volk noch nicht in ganzem Umfang auch ahnt, kömmlingen und Nutznießern des brutalen imperialistischen welch ungeheuere Blutschuld das Hitlerregime ihm aufge- Eroberungskrieges missbraucht den Namen Deutschlands wälzt hat. Aber unsere Pflicht als Deutsche, die wir unser Volk und schändet den Ruf unseres Volkes mit unzähligen, grausa- und Heimat aus tiefster Seele lieben, zwingt uns dazu, unge- men Verbrechen. All ihre Handlungen, die sie in Deutschland schminkt die Wahrheit zu sagen, damit unser ganzes Volk er- und in fremden Ländern begehen, sind Faustschläge in das Ge- kennen kann, was die Hitlerbande alles in seinem Namen tut, sicht unseres Volkes. […] zu welch scheußlichen Verbrechen es missbraucht wird. Im Namen unseres Volkes wurden und werden tausende rus- Wir wollen nicht, dass am Ende des Krieges, das Todesurteil, sische Kriegsgefangene blindwütig erschossen, weitere tausen- das die unterjochten Völker über Hitler und sein Regime gefällt de werden in einen grässlichen Hungertod getrieben. haben, auch an unserm Volk und an unserer deutschen Heimat Im Namen unseres Volkes werden die Kriegsgefangenen aller vollstreckt wird. unterjochten Nationen völlig rechtswidrig in die Kanonen- und Der verbrecherisch von Hitler und seiner Bande vom Zaun Munitionsfabriken zur Herstellung von Hitlers Mordwaffen ge- gebrochene Zweite Weltkrieg ist für Deutschland bereits ver- zwungen. 2 Mill. Arbeiter der geknechteten Völker werden mit loren. Das muss jeder Deutsche heute begreifen. Hitlers Ende allen Mitteln in die deutschen Rüstungsfabriken gepresst. Sie, rückt unvermeidlich näher und wir wollen nicht, dass es ihm die Zivil- und Kriegsgefangenen müssen in Deutschland Waf- gelingt, unser Volk mit in den Abgrund zu reißen. Solange noch fen und Munition erzeugen, die in diesem verfluchten Hitler- ein Tropfen Blut in unsern Adern fliesst, werden wir dagegen krieg gegen ihre eigenen Völker verwendet werden. […] kämpfen, dass Hitler unser Volk zu seinem Komplizen machen So gemein und niederträchtig all die Schandtaten in den be- kann. setzten Westgebieten, auf dem Balkan und in Polen sind, so ist Deutschland kann nur noch gerettet werden, wenn unser all das, was in diesen Ländern an tierischer Gemeinheit kursiert, Volk selbst ganz klare Fronten schafft. Hier Hitler mit seiner unvergleichbar mit den beispiellosen Greueltaten, die in unse- Räuberbande, dort unser großes deutsches Volk im Bündnis mit rem Namen im zeitweise besetzten Teil der Sowjetunion verübt den unterjochten Völkern. […] werden. […] Sonderausgabe der illegalen Flugschrift „Der Friedenskämpfer“ vom Juni 1942, verfasst Auch unser Volk hat schon einiges über die grausamen Ver- von der kommunistischen Widerstandsgruppe um Wilhelm Knöchel und im Ruhrgebiet brechen der hitlerischen Soldateska vernommen. Aber noch verbreitet, Landesarchiv NRW

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 32 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Widerstand aus christlichem Glauben rung gegen Hitler. Er wusste, dass seine Entscheidung aus eigener Verantwortung erfolgte und seitens der Kirche nicht Seit der Mitte der 1930er-Jahre gelang es den Nationalsozia- gedeckt wurde. listen zunehmend, den Kreis oppositioneller evangelischer Evangelische Christen, die sich politisch gegen das NS-Re- Christen zu schwächen. Martin Niemöller, ein Wortführer gime wandten, konnten ihren Selbstbehauptungswillen aus des Kirchenkampfes, wurde 1937 festgenommen und 1938 den Grundlagen ihres Glaubens schöpfen, nicht aber auf die ins Konzentrationslager eingewiesen. Andere Pfarrer aus der Unterstützung durch ihre Kirche hoffen. Sie blieben auf sich Bekennenden Kirche wurden bedroht und mit Predigtverbot gestellt und fühlten sich oft allein gelassen. belegt. Nach der Ermordung des Pfarrers im Schon bald nach Abschluss des Reichskonkordates von 1933 KZ Buchenwald erkannten viele evangelische Regimegegner, war unübersehbar, dass Hitler den Einfluss des Katholizismus mit welcher Brutalität die Nationalsozialisten ihre Drohungen auf das öffentliche Leben zurückdrängen wollte. Seit Mitte der verwirklichten. 1930er-Jahre setzten einzelne Geistliche und Gläubige dem Nicht alle Pfarrer und Christen aus den evangelischen Ge- Zeichen ihres Selbstbehauptungswillens und ihrer Glaubens- meinden resignierten oder ließen sich einschüchtern. Sie treue entgegen. Auseinandersetzungen um die Entkonfessio- beteiligten sich an Hilfsaktionen für Verfolgte, traten den nalisierung von Schule und Erziehung sowie die Kämpfe um Zumutungen des Staates und der nationalsozialistischen Glaubenssymbole und kirchliche Wirkungsmöglichkeiten „Deutschen Christen“ offen entgegen und verstärkten auf ihre zeigten den Machthabern, wie unbeirrbar sich praktizierende Weise den kleinen Kreis unbeugsamer Protestanten, die Hit- Katholiken der weltanschaulichen „Gleichschaltung“ wider- lers Herrschaft ablehnten und bekämpften. setzten. Unter den Bedingungen des Krieges erkannten evangelische Während des Krieges wurden Hunderte von katholischen Christen vermehrt den verbrecherischen Grundzug deutscher Geistlichen in Konzentrationslagern gefangen gehalten, mit Politik. Wurden einzelne Pfarrer und Gemeindemitglieder be- Predigtverboten belegt oder unter Hausarrest gestellt. Ein- drängt und festgenommen, weil sie sich angeblichen Zwän- zelne wurden vom nationalsozialistischen „Volksgerichtshof“ gen des Krieges nicht unterwerfen wollten, so rückten oftmals oder dem Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt, andere Gleichgesinnte nach. Sie vertraten christliche Glaubensüber- starben während der Haft in Konzentrationslagern oder wur- zeugungen und protestierten deshalb gegen Verbrechen hin- den dort getötet. Die Ermordung von Patienten aus Heil- und ter der Front, gegen die entwürdigende und menschenver- Pflegeanstalten seit Herbst 1939 stieß bei vielen Bischöfen, achtende Behandlung von Kriegsgefangenen und schließlich Geistlichen und Gläubigen auf offenen Widerspruch. gegen die Deportation von Juden. Sie litten darunter, dass ihr Zwar ließen sich einige Bischöfe über die Pläne oppositio- Protest zu schwach und ihre Kirche weitgehend stumm blieb. neller Kreise informieren und hielten während des Krieges Einer der wichtigsten Wortführer des Protestantismus wurde Verbindung zu politischen Widerstandsgruppen wie dem während des Krieges der württembergische Landesbischof Kreisauer Kreis. Der politische Widerstand katholischer Chris- Theophil Wurm, der gegen die Ermordung von Menschen mit ten konnte sich jedoch ebenso wenig wie die Gegenwehr geistiger Behinderung öffentlich Einspruch erhob. evangelischer Christen auf offenen Rückhalt durch kirchliche Der überzeugte Pazifist Hermann Stöhr widersetzte sich Amtsträger berufen. aus christlicher Überzeugung seiner Einberufung zum Kriegs- Das Gleiche galt für gläubige Katholiken wie Pater Franz dienst. Er wurde hingerichtet, weil er sich weigerte, den Fah- Reinisch, Franz Jägerstätter und Josef Ruf, die den Wehrdienst neneid auf Hitler zu leisten. Dietrich Bonhoeffer beteiligte sich und den Eid auf Hitler verweigerten, dafür wegen Wehrkraft- bis zu seiner Festnahme im April 1943 aktiv an der Verschwö- zersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden. Privatbesitz 432 Nr. 800, Abt. der Jesuiten, Provinz der Deutschen Archiv

Dietrich Bonhoeffer (3. v. l.) mit vier italienischen Mitgefangenen und einem Wärter Pater Alfred Delp SJ (l.) und Pater Lothar König SJ in Valkenburg/Niederlande um im Zuchthaus Tegel, Sommer 1944 1935

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Predigt von Bischof Clemens August Graf von Galen gegen die Ermordung von Patienten in Heil- und Pflegeanstalten […] Andächtige Christen! In dem am 6. Juli in allen Kirchen […] Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Marienthal Deutschlands verlesenen Hirtenbrief heißt es u. a.: „Gewiss abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am 28. Juli 1941 gibt es nach der katholischen Sittenlehre positive Gebote, die bei der Staatsanwaltschaft, beim Landgericht in Münster und nicht mehr verpflichten, wenn ihre Erfüllung mit allzu großen beim Herrn Polizeipräsidenten in Münster Anzeige erstattet […]. Schwierigkeiten verbunden ist. Es gibt aber auch heilige Gewis- Nachricht über ein Einschreiten der Staatsanwaltschaft oder senspflichten, von denen uns niemand befreien kann und die der Polizei ist mir nicht zugegangen. – […] wir erfüllen müssen, koste es uns selbst das Leben. Nie, unter So müssen wir damit rechnen, dass die armen, wehrlosen keinen Umständen, darf der Mensch außerhalb des Krieges und Kranken über kurz oder lang umgebracht werden. Warum? der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten.“ Nicht, weil sie ein todeswürdiges Verbrechen begangen haben, Ich hatte schon am 6.7.41 Veranlassung, diesen Worten des nicht etwa, weil sie ihren Wärter oder Pfleger angegriffen -ha gemeinsamen Hirtenbriefes in Telgte folgende Erläuterung ben, sodass diesem nichts anderes übrig blieb, als dass er zur hinzuzufügen: „Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass Erhaltung des eigenen Lebens in gerechter Notwehr dem An- aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung greifer mit Gewalt entgegentrat. Das sind Fälle, in denen neben von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht der Tötung des bewaffneten Landesfeindes im gerechten Krieg unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regel- Gewaltanwendung bis zur Tötung erlaubt und nicht selten ge- mäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mit- boten ist. teilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Nein, nicht aus solchen Gründen müssen solche unglückli- Asche könne abgeliefert werden! Allgemein herrscht der an Si- chen Kranke sterben, sondern darum, weil sie nach dem Urteil cherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwar- irgendeines Arztes, nach dem Gutachten irgendeiner Kommis- teten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selber eintreten, sion „lebensunwert“ geworden sind, weil sie nach diesem Gut- sondern absichtlich herbeigeführt werden und dass man dabei achten zu den „unproduktiven Volksgenossen“ gehören. Man jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe sogenanntes lebens- urteilt, sie können nicht mehr Güter produzieren, sie sind wie unwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, eine alte Maschine, die nicht mehr läuft, sie sind wie ein altes wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nicht mehr Pferd, das unheilbar lahm geworden ist, sie sind wie eine Kuh, wert. Eine Lehre, die furchtbar ist, die die Ermordung Unschuldi- die nicht mehr Milch gibt. Was tut man mit einer alten Maschi- ger rechtfertigen will – die gewaltsame Tötung der nicht mehr ne? Sie wird verschrottet! Was tut man mit solch einem alten arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, Unheilbarkranken, Alters- Pferd, mit solch einem unproduktiven Stück Vieh? Nein, ich will schwachen grundsätzlich freigibt.“ den Vergleich nicht bis Ende führen – so furchtbar seine Berech- Wie ich zuverlässig erfahren habe, werden jetzt auch in den tigung und seine Leuchtkraft ist! Es handelt sich ja hier nicht Heil- und Pflegeanstalten der Provinz Westfalen Listen aufgestellt um Maschinen, es handelt sich nicht um ein Pferd oder um von solchen Pfleglingen, die als sogenannte „unproduktive Volks- eine Kuh, deren einzige Bestimmung es ist, dem Menschen zu genossen“ abtransportiert und in kurzer Zeit ums Leben gebracht dienen, für den Menschen Güter zu produzieren. Man mag sie werden sollen. Aus der Anstalt Marienthal bei Münster ist in dieser zerschlagen, man mag sie schlachten, so bald sie diese Bestim- Woche der Transport abgegangen! Deutsche Männer und Frauen! mung nicht mehr erfüllen! Nein, hier handelt es sich um Men- Noch hat Gesetzeskraft § 211 des Strafgesetzbuches, der bestimmt: schen, unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern! „Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung Arme Menschen, unproduktive Menschen – meinetwegen –, mit Überlegung ausführt, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.“ aber haben sie dadurch das Recht verwirkt zu leben? Hast Du, Wohl um diejenigen, die jene armen kranken Menschen, Ange- habe ich, nur so lange ein Recht zu leben, so lange wir produzie- hörige unserer Familien, vorsätzlich töten, vor dieser gesetzlichen ren? So lange wir von anderen als produktiv anerkannt werden? Bestrafung zu bewahren, werden die zur Tötung bestimmten Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man Kranken aus der Heimat abtransportiert in eine entfernte Anstalt. den unproduktiven Menschen töten darf, dann wehe uns allen, Als Todesursache wird dann irgendeine Krankheit angegeben. Da wenn wir altersschwach werden! Wenn man den unprodukti- die Leiche sogleich verbrannt wird, können die Angehörigen und ven Menschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Pro- auch die Kriminalpolizei es hinterher nicht mehr feststellen, ob duktionsprozess ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, die Krankheit wirklich vorgelegen hat und welche Todesursache geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven vorlag. Es ist mir aber versichert worden, dass man im Reichsin- Menschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren bra- nenministerium und auf der Dienststelle des Reichsärzteführers ven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als In- Dr. Conti gar kein Hehl daraus machte, dass tatsächlich schon eine validen in die Heimat zurückkehren! […] große Anzahl Geisteskranker in Deutschland getötet worden ist Mitschrift einer Predigt des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, vom und getötet werden soll. 3. August 1941, Landeskirchliches Archiv Düsseldorf

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 34 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

1919 gründete er den Friedensbund deut- scher Katholiken und suchte Verbindung zur internationalen Friedensbewegung. Mit Nachdruck trat er für die ökumeni- sche Friedensidee ein und galt bald als führender deutscher Pazifist. Mehrfach wurde Metzger von der Gestapo festge- nommen. 1943 verfasste er ein Memorandum zur staatlichen Neuordnung Deutschlands und dessen Einbindung in eine zukünfti- ge Weltfriedensordnung. Als er versuch-

Archiv Christkönigs-Institut, Meitingen Christkönigs-Institut, Archiv te, diese Denkschrift dem schwedischen Privatbesitz Erzbischof Erling Eidem von Uppsala zu übermitteln, wurde er von der Kurierin, kurt gerstein einer Gestapoagentin, denunziert und Geboren 1887, studierte Max Josef Metz- am 29. Juni 1943 erneut festgenommen. Geboren 1905, engagierte sich Kurt Gestein ger Theologie und Philosophie in Freiburg Max Josef Metzger wurde in einem nach dem Abitur in der christlichen Ju- sowie in Fribourg (Schweiz) und wurde 70-minütigen Schauprozess, in dem ihm gendarbeit. Er studierte Bergbau und legte 1911 zum Priester geweiht. Als Militärseel- der Vorsitzende Richter 1931 die Prüfung zum Diplom-Ingenieur ab. sorger nahm er am Ersten Weltkrieg teil. keinerlei Möglichkeit zur Verteidigung Im Mai 1933 trat Gerstein in die NSDAP ein. Schon während des Krieges wurde für einräumte, wegen „Hochverrat und Feind- Im selben Jahr protestierte er offen gegen ihn die Friedensarbeit zur vordringlichen begünstigung“ vom „Volksgerichtshof“ die Auflösung der evangelischen Jugend- Aufgabe, denn er war überzeugt, dass zum Tode verurteilt und am 17. April 1944 verbände und schloss sich bald darauf der „Kriege künftig ihren Sinn verloren haben, in Brandenburg-Görden enthauptet. oppositionellen Bekennenden Kirche an. indem sie niemand mehr Aussicht geben, 1936 wurde er aus der NSDAP ausgeschlos- mehr zu gewinnen als zu verlieren“. sen und zweimal inhaftiert. Nachdem Kurt Gerstein von der Mord- aktion an Patienten von Heil- und Pflege- anstalten erfahren hatte, entschloss er Schulen. Immer wieder brandmarkte er sich, in die Waffen-SS einzutreten. Er hoff- öffentlich nationalsozialistische Übergrif- te, auf diesem Weg nähere Informationen fe und Unrechtstaten. Neben dem Berliner über Verbrechen der Nationalsozialisten Bischof Konrad Graf von Preysing wurde zu erhalten. Gerstein wurde dem Sanitäts- er zum wichtigen Wortführer der inner- wesen der Waffen-SS zugeteilt und über- kirchlichen Opposition. nahm die Leitung des technischen Desin- Im Sommer 1941 hielt Galen drei be- fektionsdienstes. Im Juni 1942 bekam er rühmt gewordene Predigten, in denen erstmals den Auftrag, Blausäure (Zyklon B) er die Terrormethoden der Gestapo, die zur Ermordung von Menschen zu be- Morde an Patienten von Heil- und Pfle- schaffen. Im August 1942 wurde er zudem geanstalten und die staatliche Beschlag- Zeuge des Massenmordes in den Vernich- nahme von Klöstern durch die National- tungslagern Belzec und Treblinka. Ger-

Bistumsarchiv Münster Bistumsarchiv sozialisten öffentlich anprangerte. Die stein informierte mehrfach ausländische Predigten Galens fanden im In- und Diplomaten und Geistliche über die natio- Ausland große Verbreitung. Sie wurden nalsozialistischen Gewaltverbrechen und clemens august graf von galen vom Londoner Rundfunk gesendet, als versuchte, Lieferungen des Zyklon-B-Ga- Der 1878 geborene Clemens August Graf Flugblätter von alliierten Flugzeugen ses zu sabotieren. von Galen entstammte einer katholischen abgeworfen und von vielen Deutschen Am 22. April 1945 stellte er sich den Adelsfamilie. Nach dem Theologiestudi- abgeschrieben und verbreitet. Die Na- französischen Behörden. Kurt Gerstein um empfing er 1904 die Priesterweihe und tionalsozialisten wagten jedoch nicht, kam am 25. Juli 1945 in einem Pariser Ge- wurde 1933 zum Bischof von Münster er- den beliebten Bischof von Münster zu fängnis unter bis heute ungeklärten Um- nannt. Galen galt als national und konser- verhaften. ständen ums Leben. Der von ihm noch vativ eingestellt. Er wehrte sich schon 1934 Clemens August Graf von Galen über- in der Haft verfasste Bericht ist eines der gegen Angriffe der Nationalsozialisten lebte das Kriegsende und wurde kurz vor wichtigsten Dokumente über den Völker- auf die Kirche, katholische Vereine und seinem Tod 1946 zum Kardinal ernannt. mord an den Juden Europas.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 35

die Vertrauensstelle Anfang 1941 von der Gestapo geschlossen worden war, setzte Staritz gemeinsam mit ihrer Schwester Charlotte ihre Hilfe für Verfolgte fort. Als die deutschen Juden im Septem- ber 1941 zum Tragen des „Judensternes“ gezwungen wurden, mahnte Staritz die Breslauer Pfarrämter in einem Rund- schreiben, die von der Diskriminierung betroffenen Mitglieder ihrer Gemeinde nicht auszugrenzen. Fünf Wochen später wurde sie durch die evangelische Kirchen-

Privatbesitz leitung in Breslau vom Amt suspendiert Privatbesitz und im Dezember 1941 in der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ scharf angegriffen. katharina staritz elisabeth abegg Im März 1942 nahm die Gestapo Staritz Geboren 1903, promovierte Katharina Sta- in Haft und verschleppte sie im August Die 1882 geborene, linksliberal eingestell- ritz 1928 als erste Frau an der Marburger 1942 in das KZ Ravensbrück. Paul Graf te Lehrerin Elisabeth Abegg unterrichtete Evangelisch-Theologischen Fakultät. Ab Yorck von Wartenburg konnte nach Ver- ab 1924 am Berliner Luisen-Oberlyzeum 1933 war sie als Stadtvikarin in Breslau tä- handlungen mit dem Breslauer Gaulei- Mädchen in Geschichte. Zu Beginn der tig. 1938 übernahm Staritz die schlesische ter Hanke im Mai 1943 ihre Freilassung NS-Zeit gehörte sie einem kleinen Kreis Vertrauensstelle der „Kirchlichen Hilfs- erreichen. Sie blieb jedoch weiter unter von Lehrerinnen und Schülerinnen an, die stelle für evangelische Nichtarier“ (Büro Aufsicht der Gestapo und durfte ihren Be- sich gegen die nationalsozialistische Ver- Pfarrer Grüber), die Christen jüdischer ruf nicht mehr ausüben. Katharina Sta- einnahmung der Schule wehrten. Abegg, Herkunft bei der Auswanderung half und ritz überlebte das Kriegsende und wirkte eine entschiedene Gegnerin des NS-Re- ihnen seelsorgerisch sowie mit sozialen nach 1945 im Pfarrdienst in Thüringen gimes, wurde 1935 strafversetzt und 1941 Angeboten zur Seite stand. Auch nachdem und Hessen. zwangspensioniert. Im selben Jahr trat sie der Religionsgemeinschaft der Quäker bei, die unterschiedslos allen Verfolg- ten half. wegen der Zugehörigkeit zu dieser Religi- Als ihre enge Freundin Dr. Anna Hirsch- onsgemeinschaft zu einer Gefängnisstra- berg, eine Christin jüdischer Herkunft, ihre fe von neun Monaten verurteilt. Hilfsangebote ablehnte und im Juli 1942 Emmy Zehden war wie alle Zeugen Je- deportiert wurde, wollte Abegg fortan hovas eine entschiedene Gegnerin des möglichst viele Verfolgte retten. Mit ihrer Kriegsdienstes und beeinflusste ihren Schwester Julie nahm sie zwölf Geflohe- Neffen Horst Günter Schmidt, sich dem ne in ihrer Wohnung in Berlin-Tempelhof Wehrdienst zu entziehen. Obwohl ihr auf, darunter die jüdische Kindergärtne- Mann verurteilt wurde und Emmy Zehden rin Liselotte Pereles, welche die kinderlose wusste, dass ihre Haltung lebensgefähr- Abegg nach dem Krieg adoptierte. An- lich war, hielt sie an ihrer Überzeugung deren konnte sie Verstecke bei Freunden fest. Sie versteckte ihren Neffen sowie vermitteln.

GDW zwei weitere Kriegsgegner zeitweise in Die Lehrerin versorgte gemeinsam mit ihrer Wohnung in Berlin-Gatow und in der Helfern aus ihrer alten Schule die „Illega- Gärtnerei von Otto und Jasmine Muhs in len“, half mit Geld und beschaffte falsche emmy zehden Berlin-Staaken. Die Gestapo entdeckte je- Papiere. In ihrer Wohnung unterrichtete, Die 1900 geborene Emmy Windhorst doch die Verstecke und nahm Emmy Zeh- ernährte und schützte sie trotz des für sie arbeitete nach der Schule als Hauswirt- den am 24. September 1942 fest. bestehenden Risikos, entdeckt zu werden, schaftshelferin. Seit 1918 lebte sie in Ber- Am 19. November 1943 wurde sie vom jüdische Kinder und Jugendliche. Für den lin und heiratete Mitte der 1920er-Jahre „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und untergetauchten Jizchak Schwersenz ver- Richard Zehden, der aufgrund seiner jü- am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee ent- kaufte Abegg Schmuck, damit er Flucht- dischen Herkunft später durch die Nürn- hauptet. Ihre Abschiedsbriefe wurden der helfer bezahlen konnte, die ihn 1944 berger Rassengesetze diskriminiert wurde. Familie vorenthalten. Ihr Mann Richard über die Schweizer Grenze brachten. Für 1930 schloss sie sich den Bibelforschern Zehden wurde in das KZ Sachsenhausen ihre Hilfe für Verfolgte wurde Elisabeth (Zeugen Jehovas) an. Ihr Mann wurde 1938 verschleppt und 1943 ermordet. Abegg nach dem Krieg mehrfach geehrt.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 36 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Regimekritik und Versuche der Gegenöffentlichkeit

Mit Kriegsbeginn wurden der Empfang ausländischer Rund- funksendungen und die Verbreitung von „Feindmeldungen“ als „Rundfunkverbrechen“ unter Strafe gestellt. Damit sollte verhindert werden, dass sich die Deutschen über den tatsäch- lichen Verlauf des Krieges und über die politischen Ziele und militärischen Erfolge der Alliierten informierten. Ab 1941 wurden immer mehr Menschen, die gegen dieses Verbot verstoßen hatten, wegen „Feindbegünstigung“ oder „Wehrkraftzersetzung“ verurteilt. Vor allem Regimegegner

versuchen dennoch, sich unabhängig von den Nachrichten Privatbesitz der NS-Propaganda und den Wehrmachtsberichten zu infor- Mit verschiedenen Mitteln versucht die NS-Führung das Abhören ausländischer mieren und anschließend andere über die Kriegslage und die Sender zu verhindern. Die NSDAP-Ortsgruppen warnen ab 1941 mit einem Anhän- deutschen Gewaltverbrechen aufzuklären. ger für Radiogeräte vor „Rundfunkverbrechen“. Auch kritische Äußerungen über die NS-Führung oder Zwei- fel am deutschen „Endsieg“ wurden unerbittlich geahndet. In den letzten Jahren des Krieges wurde dafür immer häufiger sen aus der Bevölkerung und oftmals nach Denunziationen die Todesstrafe verhängt. Die Polizei ermittelte nach Hinwei- von Bekannten oder Familienmitgliedern.

tern auf. Sie arbeitete als Hausmädchen verteilten die beiden in Berliner Treppen- und Näherin. Im Januar 1937 heiratete sie häusern und Briefkästen, insgesamt mehr den 1897 geborenen Arbeiter Otto Ham- als zweihundert Stück. pel. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sie wohnten Zwei Jahre nach Beginn ihrer Aktionen, im Berliner Arbeiterviertel Wedding und Ende September 1942, wurden sie festge- führten ein angepasstes und unauffälli- nommen. Die Bewohnerin eines Hauses ges Leben. Elise Hampel war seit 1936 Mit- hatte sie beim Ablegen der Karten beob- glied und Zellenleiterin in der Frauenorga- achtet und bei der Polizei denunziert. Der nisation der NSDAP. „Volksgerichtshof“ verurteilte Elise und Der Tod ihres Bruders Kurt, der im Juni Otto Hampel wegen „Vorbereitung zum 1940 als Soldat in Frankreich fiel, erschüt- Hochverrat“, „Feindbegünstigung“ und terte Elise Hampel tief und ließ sie an der „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode. Sie

Privatbesitz NS-Propaganda von der Notwendigkeit wurden am 8. April 1943 in Berlin-Plöt- des Krieges zweifeln. Gemeinsam mit ih- zensee enthauptet. Das Schicksal des Ehe- rem Mann Otto begann sie kurz darauf, paars Hampel diente dem Schriftsteller elise und otto hampel mit handgeschriebenen Postkarten und Hans Fallada als Grundlage für seinen Die 1903 geborene Elise Lemme wuchs in Flugzetteln zum Widerstand gegen Hitler Roman „Jeder stirbt für sich allein“. der Nähe von Stendal mit vier Geschwis- und den Krieg aufzurufen. Diese Appelle

einjährigen Wirtschaftslehre als Telefonis- zu leiden. Sie lebte inzwischen mit ihrem tin tätig. 1932 schloss sie sich in Detmold Ehemann und ihren zwei Söhnen im nieder- der KPD an, der auch ihr späterer Ehemann sächsischen Verden, hörte nach Kriegsbe- Wilhelm Schäfer angehörte. Nach der natio- ginn regelmäßig ausländische Radiosender nalsozialistischen Machtübernahme wurde ab und gab die Informationen beim Einkau- Wilhelm Schäfer aus dem lippischen Staats- fen und auf der Arbeit an andere Frauen im dienst entlassen. Berta Schäfer hielt ihre Ort weiter. Sie wollte damit das Nachrich- politischen Kontakte weiterhin aufrecht, tenmonopol der Nationalsozialisten durch- beteiligte sich an der Verbreitung von Flug- brechen und über den tatsächlichen Verlauf blättern der illegalen KPD und unterstütz- des Krieges aufklären. te politisch Verfolgte und deren Familien. Berta Schäfer wurde am 19. Januar 1943 Nach einer ersten Festnahme 1933 wurde sie vom Sondergericht Hannover wegen „Rund-

Privatbesitz im August 1934 wegen „Vorbereitung zum funkverbrechen“ zu fünf Jahren Zuchthaus Hochverrat“ zu einem Jahr und vier Mona- verurteilt. Ende März 1945 konnte sie aus ten Gefängnis verurteilt. einem Außenkommando des Zuchthauses berta schäfer Nach ihrer Haftentlassung stand Berta Lübeck-Lauerhof fliehen und sich bis zum Die 1902 geborene Berta Klose war nach Schäfer unter Beobachtung der Gestapo Kriegsende verstecken. dem Besuch der Mittelschule und einer und hatte unter beruflichen Repressionen

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 37

Kriegsdienstverweigerer, Deserteure, mehr an die Opferbereitschaft und den Einsatzwillen der „Bewährungseinheiten“ 999 Soldaten appellierten. Trotz der harten Strafen, auch für „Fahnenflucht“, desertier- ten Soldaten der Wehrmacht. Zu ihren Motiven gehörte der Seit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 Wunsch, das eigene Leben zu retten, die grundsätzliche Ab- lehnten Einzelne, die sich auf ihr Gewissen und ihren Glau- lehnung des als sinnlos empfundenen Krieges und die Weige- ben beriefen, konsequent den Dienst mit der Waffe und den rung, an nationalsozialistischen Verbrechen mitzuwirken. Die Fahneneid auf den „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler Wehrmachtjustiz verurteilte insgesamt etwa 20 000 Deser- ab. Vor allem Angehörige der Zeugen Jehovas verweigerten teure zum Tode, von diesen Urteilen wurden etwa 15 000 bis sich aus Glaubensgründen dem Militärdienst und dem Fah- Kriegsende vollstreckt. neneid. Vorgeblich zur „Bewährung im Fronteinsatz“ wurden ab Kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen trat am 26. Au- Ende 1942 ehemalige Strafgefangene in „Bewährungseinhei- gust 1939 die „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ (KSSVO) ten“ 999 der Wehrmacht zusammengefasst. Tatsächlich benö- in Kraft, nach der die Verweigerung des Militärdienstes als tigte das NS-Regime im dritten Jahr des Krieges immer mehr „Zersetzung der Wehrkraft“ geahndet wurde. Allein das Soldaten. Unter den „999ern“ waren auch Regimegegner, die Reichskriegsgericht verhängte auf dieser Grundlage zwi- wegen ihres politischen Widerstands verurteilt worden waren. schen 1939 und 1945 etwa 250 Todesurteile gegen Kriegs- Viele von ihnen desertierten, weil sie nicht für den Nationalso- dienstverweigerer; vor allem gegen Zeugen Jehovas. Da- zialismus kämpfen wollten. gegen blieb die Zahl der Verweigerer aus dem Kreis der evangelischen und katholischen Kirche gering. Diese konn- ten kaum mit Unterstützung ihrer Kirchen rechnen, die viel-

ren der Bibelforscher (Zeugen Jehovas) in nen „Kriegssonderstrafrechtsverordnung“ Berührung und bekannte sich auch nach (KSSVO). Hermann Abke wurde am 17. Juli dem reichsweiten Verbot der Religions- 1944 in Halle an der Saale enthauptet. gemeinschaft im April 1935 zu seinem Glauben. 1939 heiratete er die Hausgehil- „Seit meinem 16. Lebensjahr bin ich, beein- fin Mariechen Nissen. Aus der Ehe gingen flusst durch die Eindrücke des vorigen Krie- zwei Töchter und ein Sohn hervor. ges, der Auffassung, dass es unchristlich ist, Als Hermann Abke im April 1944 zur Menschen zu töten. Diese Auffassung finde Wehrmacht einberufen wurde, erklärte ich auch in der Bibel begründet. […] Es ver- er, aus religiösen Gründen keinen Wehr- stößt auch gegen meinen Glauben mich in dienst leisten zu können, und verweiger- die Wehrmacht einordnen zu lassen, selbst te den Eid auf Hitler. Er wurde im Wehr- wenn ich nicht mit der Waffe kämpfen

GDW machtsgefängnis Fort Zinna in Torgau brauche, da die Wehrmacht eine Organisa- inhaftiert und am 27. Juni 1944 vom 1. tion ist, die den christlichen Grundsätzen Senat des Reichskriegsgerichts wegen widerstreitet. […] Die Ablegung eines Eides hermann abke „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verur- lehne ich aus biblischen Gründen ab. […]“ Der 1903 geborene Dreher Hermann Abke teilt. Grundlage hierfür bildete der § 5 Begründung Hermann Abkes für seine Wehrdienstverwei- kam Mitte der 1920er-Jahre mit den Leh- der am 26. August 1939 in Kraft getrete- gerung, Mai 1944, Militärhistorisches Archiv Prag

aktiv und trat Anfang der 1920er-Jahre der „Das Nazi-Regime ist ohne Gewalt nicht SPD bei. Seit 1927 gehörte er dem Interna- zu beseitigen. Dies war eigentlich der für tionalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) mich entscheidende Grund, wegzugehen an. In am Main war er Mitglied und dann auch zu den Partisanen zu gehen eines Widerstandskreises, der zur Tarnung und aktiv gegen die SS zu kämpfen. Ohne vegetarische Restaurants betrieb. Mehr- Gewalt geht es nicht. Wir allein sind viel zu fach festgenommen und 1938 zu einer schwach, und in Deutschland wird es kei- Zuchthausstrafe verurteilt, wurde Ludwig ne Gewalt gegen Hitler geben. Wir werden Gehm nach der Haft in das KZ Buchen- also angewiesen sein auf die Gewalt, die die wald überstellt und kam von dort 1943 zu Gegner Deutschlands gegenüber Deutsch- den „Bewährungseinheiten“ 999. Beim land und damit eben gegen den National- Einsatz in Griechenland desertierte er sozialismus anwenden, das heißt: Krieg

Privatbesitz 1944 zur dortigen nationalen Befreiungs- führen.“ bewegung ELAS. Hier versuchte er unter Ludwig Gehm über seinen Entschluss, zu den griechischen anderem mit Flugblättern, die Soldaten Partisanen zu desertieren, in: Antje Dertinger, Der treue ludwig gehm der Wehrmacht zur Aufgabe des Kampfes Partisan. Ein deutscher Lebenslauf: Ludwig Gehm, Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn 1989, S. 143 f. Der 1905 geborene Ludwig Gehm war seit zu bewegen. Ludwig Gehm überlebte den seiner Jugend in sozialistischen Gruppen Krieg in britischer Kriegsgefangenschaft.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 38 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Rote Kapelle Berlin. Im Frühjahr 1941 informierten sie die sowjetische Bot- schaft über die Vorbereitungen der Wehrmacht zum Überfall Bereits Mitte der 1930er-Jahre waren in Berlin Freundes-, Dis- auf die Sowjetunion. Doch Stalin ignorierte die Warnungen. kussions- und Schulungskreise entstanden, die sich 1940/41 Zwei Funkgeräte, die die sowjetische Botschaft Harnack und durch persönliche Kontakte zu einem losen Netzwerk von Schulze-Boysen im Sommer 1941 zur Aufrechterhaltung der sieben Berliner Widerstandskreisen verbanden. Ihnen gehör- Verbindung zur Verfügung stellte, kamen wegen technischer ten mehr als 150 Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Probleme nicht zum Einsatz. Ab Herbst 1941 begannen die Herkunft und weltanschaulicher Traditionen an, die aus dem überzeugten Regimegegner damit, die deutsche Bevölkerung universitären Bereich, aus Kunst, Publizistik und Verwaltung mit Flugblättern und Klebezetteln über die NS-Gewaltverbre- kamen, darunter viele Frauen. Sie alle einte die entschiedene chen zu informieren und vor den Folgen eines verlorenen Krie- Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Sie diskutierten über ges für die Eigenstaatlichkeit Deutschlands zu warnen. politische und künstlerische Fragen, halfen Verfolgten und do- Im Frühjahr 1942 verstärkten sie ihre Flugschriftenaktionen kumentierten die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. und ihre Hilfen für Verfolgte und Zwangsarbeiter. Auch die Über ihren engeren Kreis hinaus wandten sie sich an die Öf- Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, besonders nach fentlichkeit, indem sie Flugblätter und Klebezettel verbreite- Hamburg, wurden intensiviert. In der Nacht vom 17. auf den ten. Schließlich nahmen sie Kontakte zu Gleichgesinnten in 18. Mai 1942 tauchten in mehreren Berliner Stadtbezirken Kle- anderen Teilen Deutschlands auf. bezettel auf, auf denen gegen die große NS-Propaganda-Aus- Schon 1933 hatten , ein Oberregierungsrat im stellung „Das Sowjetparadies“ protestiert wurde. Diese Kle- Reichswirtschaftsministerium, und seine Frau Mildred pri- bezettel hatte Fritz Thiel organisiert, in dessen Wohnung sich vate Diskussionsrunden zur politischen Zukunft nach dem die Beteiligten am Abend des 17. Mai zusammenfanden. Ange- Sturz des NS-Regimes veranstaltet. An diesen Treffen nahmen klebt werden die Zettel von Otto Gollnow und neben den engen Freunden Adam und auch sowie und dessen Freundin Ursula Götze. Schüler des Berliner Abendgymnasiums wie Trotz intensiver Ermittlungen gelang es der Gestapo zu- und Bodo Schlösinger teil. Mitte der 1930er-Jahre knüpfte der nächst nicht, der Gruppe auf die Spur zu kommen. Dies än- Kreis um Harnack Kontakte zu Sozialdemokraten wie Adolf derte sich, als Mitte Juli 1942 ein Funkspruch des militäri- Grimme und zu kommunistischen Kreisen um . Im schen Nachrichtendienstes GRU aus Moskau entschlüsselt Sommer 1939 vermittelte das Ehepaar Kuckhoff den intensi- werden konnte. Der Funkspruch vom August 1941 war an veren Kontakt zwischen Harnack und Harro Schulze-Boysen, den Brüsseler Agenten „Kent“ (Anatoli Gurewitsch) gerichtet der seit 1934 im Reichsluftfahrtministerium arbeitete, und und enthielt die Adressen von Kuckhoff und Schulze-Boysen. dessen Frau Libertas. 1940 stieß eine Gruppe von ehemaligen „Kent“ hatte diese im Oktober 1941 besucht und Informationen Schülern der Berliner Schulfarm Insel Scharfenberg zum Kreis über Brüssel nach Moskau weitergegeben. Ende August 1942 um Schulze-Boysen hinzu. Dazu gehörten neben anderen Hil- erfuhr , ein Mitglied der Gruppe, von den ent- de und , Hans Lautenschläger und Heinrich Scheel. schlüsselten sowjetischen Funksprüchen und versuchte, seine Nun begann zwischen den einzelnen Gruppen eine enge Zu- Freunde zu warnen. Doch in kürzester Zeit wurden weit über sammenarbeit, deren Höhepunkt 1941/42 erreicht war. 130 Mitglieder festgenommen. Aufgrund der Verbindung zu „Kent“ sah die Gestapo die Berliner Gruppe fälschlicherweise Aktionen als Teil der sowjetischen Spionageorganisation an und gab ihr Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen gewannen nicht den Namen „Rote Kapelle“. In den folgenden Monaten wurden nur stets neue Gesinnungsfreunde, sie hielten auch Kontakt 49 Menschen der Gruppen um Harnack und Schulze-Boysen zu amerikanischen und sowjetischen Botschaftsvertretern in von der NS-Unrechtsjustiz zum Tode verurteilt und ermordet. GDW

Harro Schulze-Boysen (vorne links) im Reichsluftfahrtministerium um 1940

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 39 GDW GDW

Mildred und Arvid Harnack mit Martha Dodd (r.), der Tochter des US-Botschafters Libertas und Harro Schulze-Boysen in Mülheim um 1935 William Dodd, um 1935

mildred und arvid harnack libertas und harro schulze-boysen

Der 1901 geborene Arvid Harnack wuchs in einer Gelehrten- Der 1909 geborene Harro Schulze-Boysen engagierte sich Ende familie auf und schloss sich nach dem kriegsbedingten Not- der 1920er-Jahre im national-liberalen Jungdeutschen Orden. abitur 1919 einem Freikorps an. Ein Rockefeller-Stipendium Als Herausgeber der Zeitschrift „gegner“ hatte er 1932/33 viel- ermöglichte dem Juristen von 1926 bis 1928 ein Studium in fältige Kontakte in politisch unterschiedliche Lager. Nach dem Madison/Wisconsin. Dort lernte er seine Frau Mildred kennen. Verbot des „gegner“ und einer kurzfristigen Haft in einem Ber- 1931 promovierte Harnack in Gießen über die vormarxistische liner SA-Folterkeller begann Schulze-Boysen im Mai 1933 eine Arbeiterbewegung in den USA. Mit einer Delegation der von Ausbildung an der Verkehrsfliegerschule in Warnemünde. Seit ihm mitbegründeten Gesellschaft zum Studium der sow- April 1934 war er im Reichsluftfahrtministerium tätig und bil- jetrussischen Planwirtschaft (ARPLAN) reiste er im Sommer dete um sich Mitte der 1930er-Jahre einen engeren Freundes- 1932 in die Sowjetunion. und Widerstandskreis. 1933 begann Harnack einen Schulungszirkel aufzubauen. Er Gemeinsam mit Arvid Harnack informierte Harro Schul- wollte die Beteiligten befähigen, sich mit den politischen und ze-Boysen im ersten Halbjahr 1941 einen Vertreter der sowjeti- wirtschaftlichen Zusammenhängen des Nationalsozialismus schen Botschaft über die Angriffspläne gegen die Sowjetunion. auseinanderzusetzen, und sie für die Zeit nach dem Sturz des Seine Initiative, den Kontakt nach Moskau während der Kriegs- NS-Regimes vorbereiten. Ab 1935 im Amerikareferat des Wirt- zeit über ein Funkgerät aufrechtzuerhalten, wurde durch tech- schaftsministeriums tätig, stieg Harnack bis 1942 zum Oberre- nische Probleme verhindert. gierungsrat auf. Schulze-Boysen gewann nach dem deutschen Angriff auf die Anfang 1942 erarbeitete Harnack die Studie „Das nationalso- Sowjetunion am 22. Juni 1941 neue Mitstreiter, beteiligte sich an zialistische Stadium des Monopolkapitals“, die in Berliner und der Ausarbeitung von Flugschriften, an einer Klebezettel-Akti- Hamburger Widerstandskreisen zirkulierte. Arvid Harnack wur- on und hatte Kontakte zu politisch und weltanschaulich un- de am 7. September 1942 festgenommen, am 19. Dezember vom terschiedlich orientierten Hitler-Gegnern. Am 31. August 1942 Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und auf Befehl Hitlers festgenommen, wurde Harro Schulze-Boysen am 19. Dezember am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee erhängt. 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und drei Tage Die 1902 in Milwaukee/Wisconsin (USA) geborene Mildred Fish später auf Befehl Hitlers in Berlin-Plötzensee erhängt. stammte aus einer amerikanischen Kaufmannsfamilie und lehr- Die 1913 geborene Libertas Haas-Heye begann 1933 eine Tä- te Literaturwissenschaft an der Universität Madison, wo sie Arvid tigkeit als Pressereferentin bei der Filmproduktionsfirma Me- Harnack während seines Studiums in den Vereinigten Staaten tro-Goldwyn-Mayer in Berlin. Im Sommer 1934 lernte sie Harro kennenlernte. Drei Jahre nach ihrer Heirat 1926 folgte Mildred Schulze-Boysen kennen, den sie im Sommer 1936 heiratete. Die ihrem Mann 1929 nach Deutschland. Sie lehrte am Berliner Städ- Journalistin und Autorin arbeitete mit dem Autor und Schriftstel- tischen Abendgymnasium und an der Volkshochschule Groß-Ber- ler Günther Weisenborn an einem Theaterstück „Die guten Feinde“ lin. 1941 promovierte sie in Gießen und arbeitete als Dozentin an über den Mediziner und Nobelpreisträger Robert Koch. Im Jahre der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität. 1940 schrieb sie vor allem Filmkritiken und sammelte zugleich Gemeinsam mit ihrem Mann beteiligte sie sich an allen Aktionen in der deutschen Kulturfilmzentrale im Reichspropagandaminis- der Widerstandsgruppe. terium Bildmaterial über NS-Gewaltverbrechen. Sie unterstützte Mildred Harnack wurde gemeinsam mit ihrem Mann festge- ihren Mann bei der Suche nach neuen Verbindungen im Wider- nommen und am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht stand. Ende Oktober 1941 empfing sie den aus Brüssel angereisten zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 21. Dezember 1942 hob sowjetischen Offizier des militärischen Nachrichtendienstes und Hitler das Urteil auf und beauftragte das Reichskriegsgericht mit vermittelte ihm ein Gespräch mit ihrem Mann. Nach dessen Fest- einer zweiten Hauptverhandlung, die am 16. Januar 1943 mit der nahme warnte sie Freunde und schaffte illegales Material beiseite. Todesstrafe endete. Mildred Harnack wurde am 16. Februar 1943 Libertas Schulze-Boysen wurde am 8. September festgenommen, in Berlin-Plötzensee enthauptet. am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verur- teilt und drei Tage später in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 40 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Hans Coppi von 1929 bis 1932 die reform- verbindung der Widerstandsorganisation pädagogische Schulfarm auf der Insel in die Sowjetunion herzustellen. Dies kam Scharfenberg im Tegeler See. 1931/32 wegen fehlender Vorkenntnisse und tech- schloss er sich den „Roten Pfadfindern“ und nischer Probleme jedoch nicht zustande. dem KJVD an. Wegen illegalen Verteilens Coppi beteiligte sich an Flugblatt- und Kle- von Flugblättern gesucht, wurde er Ende bezettel-Aktionen und kümmerte sich im Januar 1934 festgenommen, kurze Zeit im August 1942 um den aus Moskau eingetrof- KZ Oranienburg inhaftiert und zu einem fenen Fallschirmagenten Albert Hößler. Jahr Jugendgefängnis verurteilt. Nach Nach seiner Einberufung zur Wehrmacht seiner Entlassung schloss er sich wieder am 10. September 1942 wurde Hans Coppi dem Scharfenberger Freundes- und Wider- am 12. September 1942 in Schrimm bei Po- standskreis an. sen festgenommen, am 19. Dezember 1942

Privatbesitz Hans Coppi arbeitete als Dreher in ei- vom Reichskriegsgericht zum Tode ver- ner kleinen Maschinenbaufabrik. Ab 1939 urteilt und am 22. Dezember 1942 in Ber- war er in der Widerstandsgruppe um den lin-Plötzensee erhängt. hans coppi Dramaturgen Wilhelm Schürmann-Horster Als Kind einer Arbeiterfamilie 1916 im Ber- aktiv. Harro Schulze-Boysen gewann Coppi liner Bezirk Wedding geboren, besuchte im Juni 1941 für die Aufgabe, eine Funk-

nen kleinen Laden für Lederwaren. Nach dies“ im Berliner Lustgarten. Mehrfach in- dem Besuch eines Mädchengymnasiums formierte sie Angehörige deutscher Kriegs- (Lyzeums) und einer höheren Handels- gefangener über deren Lebenszeichen, die schule arbeitete sie in den 1930er-Jahren der Moskauer Rundfunk ausstrahlte. als Sprechstundenhilfe und seit 1939 als Am 12. September nahm die Gestapo Sachbearbeiterin bei der Reichsversiche- Hans und sowie ihre Mutter, rungsanstalt für Angestellte. Während ihre Schwiegereltern und ihren Schwager des Besuchs der Volkshochschule freunde- fest. Ende November 1942 wurde ihr Sohn te sie sich 1933 mit kommunistischen Ju- Hans im Berliner Frauengefängnis Bar- gendlichen an. Ihr jüdischer Freund Franz nimstraße geboren. Das Reichskriegsge- Karma musste 1939 nach Skandinavien richt verurteilte Hilde Coppi am 20. Januar emigrieren. 1943 zum Tode. Nachdem Hitler im Juli

Privatbesitz Im Juni 1941 heiratete sie Hans Coppi, 1943 ein Gnadengesuch ablehnte, wurde mit dem sie seit 1939 eng befreundet war. sie am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee Sie unterstützte dessen Widerstandsak- enthauptet. hilde coppi tivitäten und beteiligte sich an der Zet- Die 1909 geborene Hilde Rake wuchs in telklebeaktion gegen die antisowjetische Berlin-Mitte auf. Ihre Mutter hatte ei- Propagandaausstellung „Das Sowjetpara-

Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk Vergeblich müht sich Minister Goebbels, uns immer neuen tig bleiben, die zu träge sind, die Wahrheit zu suchen. Alle Ver- Sand in die Augen zu streuen. Die Tatsachen sprechen eine antwortungsbewussten müssen mit den Tatsachen rechnen: harte, warnende Sprache. Niemand kann mehr leugnen, dass Ein Endsieg des nationalsozialistischen Deutschland ist nicht sich unsere Lage von Monat zu Monat verschlechtert. Niemand mehr möglich. Jeder kriegverlängernde Tag bringt nur neue un- kann noch länger die Augen verschließen vor der Ungeheu- sagbare Leiden und Opfer. Jeder weitere Kriegstag vergrößert erlichkeit des Geschehens, vor der uns alle bedrohenden Kata- nur die Zeche, die am Ende von Allen bezahlt werden muss. […] strophe der nationalsozialistischen Politik. […] Was kann der Einzelne tun, um seinen Willen zur Geltung Bisher hat man uns mit der Hoffnung auf den Endsieg ver- zu bringen? Jeder muss Sorge tragen, dass er – wo immer er tröstet. Man hat von der Unfehlbarkeit des Führers und von kann – das Gegenteil von dem tut, was der heutige Staat von den Errungenschaften des Dritten Reiches gesprochen. Wo alle ihm fordert. […] Die Wahrheit über die wirkliche Lage muss ins Stricke rissen, da machte man uns Angst mit der Gestapo, da Volk dringen. Lasst darum keine Gelegenheit vorübergehen, der holt man immer noch einmal die alte Platte vom Bolschewis- Propaganda entgegenzutreten. […] Wendet Euch gegen die Fort- tenschreck aus der Rumpelkammer, da spricht man von der ent- setzung eines Krieges, der im besten Falle nicht das Reich allein, setzlichen Rache, die das ganze deutsche Volk für die Taten der sondern den ganzen Kontinent zum Trümmerfeld macht. […]“

bisherigen Regierenden über sich werde ergehen lassen müs- Flugschrift von Harro Schulze-Boysen unter Mitarbeit von John Sieg, im Februar 1942 in sen. Man will uns Angst vor der Zukunft einflößen. mehreren hundert Exemplaren in Berlin versandt, Bundesarchiv Mögen sich diejenigen weiter belügen lassen, die zu schwach sind, die Wahrheit zu erfahren. Mögen diejenigen weiter untä-

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 41

Charlottenburg. Schon bald unterstützte er für in der Stadt untergetauchte Juden, die hier Verfolgte des NS-Regimes medizinisch sich der Deportation entzogen hatten. und besuchte abends seine jüdischen Pa- Himpel gewann Ende 1941 auch den Pia- tienten, die ihn nicht mehr aufsuchen nisten für die Widerstandsak- durften. Er hatte seit 1939 Kontakt zu Har- tivitäten der Gruppe. Am 17. September 1942 ro Schulze-Boysen und . wurden und seine Lebens- Mehrfach beteiligte er sich an der Verbrei- gefährtin festgenommen tung von Flugschriften, etwa bei „Die Sor- und am 26. Januar 1943 gemeinsam mit der ge um Deutschlands Zukunft geht durch Tänzerin Oda Schottmüller und dem jungen das Volk“. Kommunisten Walter Husemann wegen Erst nach der Festnahme der Angehöri- „Hochverrat“ und „Feindbegünstigung“ zum gen der Roten Kapelle im Herbst 1942 wurde Tode verurteilt. Noch in der Haft befasste

Privatbesitz aufgedeckt, dass John Graudenz einen Ver- Himpel sich mit theologischen Fragen und vielfältigungsapparat besorgt und zusam- erhoffte sich für die Zeit nach dem National- men mit Helmut Himpel und Maria Terwiel sozialismus eine größere Gemeinsamkeit helmut himpel Herstellung und Versand der Flugschriften der evangelischen und katholischen Kirche. Der 1907 geborene Zahnarzt Helmut Him- organisiert hatte. Gemeinsam mit ihr be- Helmut Himpel wurde am 13. Mai 1943 in pel eröffnete 1937 eine Praxis in Berlin- schaffte Himpel 1941 auch Personalpapiere Berlin-Plötzensee erhängt.

als Vizepräsident beim Oberpräsidium der Schulze-Boysen und John Graudenz ken- Provinz Pommern arbeitete. Nach dem nen und beteiligten sich an den Aktionen Abitur 1931 studierte Maria Terwiel in Frei- dieser Widerstandsgruppe. Maria Terwiel burg und München Jura. In Freiburg lernte vervielfältigte auf ihrer Schreibmaschine sie ihren späteren Verlobten Helmut Him- mehrere Flugschriften, darunter im Ja- pel kennen. Da sie wegen ihrer jüdischen nuar 1942 die Flugschrift „Die Sorge um Mutter keine Aussicht auf eine Stelle im Deutschlands Zukunft geht durch das staatlichen juristischen Vorbereitungs- Volk“. Zudem beteiligte sie sich an der dienst hatte, brach sie ihr Studium ab und Zettelklebeaktion vom 17./18. August 1942 kehrte zu ihrer Familie zurück, die inzwi- gegen die nationalsozialistische Propagan- schen in Berlin wohnte. Ihren Lebensun- daausstellung „Das Sowjetparadies“. terhalt verdiente sie ab 1935 als Sekretä- Im Zuge der Verhaltungswelle gegen die

Privatbesitz rin in einem französisch-schweizerischen Widerstandsgruppe wurde Maria Terwiel Textilunternehmen. am 17. September 1942 festgenommen, am Maria Terwiel und Helmut Himpel un- 26. Januar 1943 vom Reichskriegsgericht maria terwiel terstützten jüdische Mitbürger, indem zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 Die 1910 geborene Maria Terwiel besuchte sie ihnen Lebensmittelkarten und Perso- in Berlin-Plötzensee enthauptet. das Gymnasium in Stettin, wo ihr Vater nalpapiere beschafften. Sie lernten Harro

pellmeisters Viktor Wasiljew geborene Berliner Frauenstrafgefängnis Barnimstra- Liane wurde nach dem Tode ihres Vaters ße brachte sie am 12. April 1943 ihre Tochter 1930 von ihrem Stiefvater Henry Berko- Irene zur Welt, die ab Juli 1943 von der Groß- witz adoptiert, der nach seiner Scheidung mutter betreut wurde und im Oktober 1943 1939 ins Ausland emigrierte. vermutlich einer NS-Krankenmordaktion Liane Berkowitz sprach fließend Russisch im Krankenhaus Eberswalde zum Opfer fiel. und besuchte die Heilsche Abendschule. Liane Berkowitz wurde am 5. August 1943 in Sie lernte dort Fritz Thiel und ihren späte- Berlin-Plötzensee ermordet. ren Verlobten Friedrich Rehmer kennen, Zuvor hatte Adolf Hitler am 21. Juli 1943 mit denen sie an den Schulungszirkeln von persönlich die Gnadengesuche von 17 Mit- John Graudenz teilnahm. Liane Berkowitz gliedern der Berliner Roten Kapelle abge- beteiligte sich mit Otto Gollnow an der lehnt. Selbst das Reichskriegsgericht hatte

GDW Zettelklebeaktion vom 17./18. August 1942 ihm empfohlen, die 22-jährige Keramike- gegen die antisowjetische Propagandaaus- rin und die 19-jäh- stellung „Das Sowjetparadies“. rige Schülerin Liane Berkowitz wegen der liane berkowitz Am 26. September 1942 wurde sie fest- geringen Schwere ihrer Taten zu begna- Die 1923 in Berlin als Tochter des aus der genommen und am 18. Januar 1943 vom digen. Hitler lehnte dies jedoch ebenfalls Sowjetunion geflohenen russischen Ka- Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Im ausdrücklich ab.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 42 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Weiße Rose

An der Münchener Universität fand sich im Frühjahr 1942 um Hans Scholl und Alexander Schmorell eine Gruppe von Studie- renden zusammen, die sich der totalen Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus entziehen und ihre geistige Unabhän- gigkeit bewahren wollten. Zu ihnen gehörten Sophie Scholl, Christoph Probst und Willi Graf. Alle wurden auch durch ihren Hochschullehrer, den Philosophen Kurt Huber, geprägt, mit dem sie Grundfragen einer politischen Neuordnung diskutierten. Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 versandten Hans Scholl und Alexander Schmorell die von ihnen gemeinsam ver- fassten ersten vier Flugblätter der „Weißen Rose“ in einer Aufla- ge von mehr als hundert Exemplaren anonym per Post an aus- gewählte Adressaten aus ihrem Bekanntenkreis. Sie forderten darin zum „passiven Widerstand“ gegen Hitlers verbrecherische Kriegsführung auf, verlangten ein sofortiges Ende des Krieges, den Sturz des NS-Regimes und prangerten die nationalsozialisti- schen Gewaltverbrechen an. Von Ende Juli bis Ende Oktober 1942 wurden Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf als Sanitäter an der Ostfront eingesetzt. Nach ihrer Rückkehr unterstützte Kurt Huber im Ja- nuar 1943 Hans Scholl beim Text des fünften Flugblatts, das von diesem, seiner Schwester Sophie, Alexander Schmorell und Willi Graf vervielfältigt und in einer Auflage von mehr als 6000 Ex- emplaren in München, Augsburg, Stuttgart und Frankfurt am Main sowie in Salzburg, Linz und Wien verbreitet wurde. Allein in München wurden in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar 1943 mehr als 2000 Flugblätter ausgelegt. Die Studierenden ver- suchten zudem, Kontakte in andere Städte aufzubauen. In Ulm formierte sich eine Gruppe von Schülern, die Verbindung zu Hans und Sophie Scholl hielt. Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf schrieben unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad Anfang Fe- bruar 1943 nachts Parolen wie „Freiheit“, „Nieder mit Hitler“ oder GDW „Massenmörder Hitler“ an Münchener Hausfassaden. Ebenfalls Anfang Februar 1943 verfasste Kurt Huber das sechste und letzte Das sechste Flugblatt der Weißen Rose gelangt über Helmuth James Graf von Flugblatt der Gruppe. Es wandte sich in einer Auflage von 2000 Moltke zum norwegischen Bischof Eivind Berggrav und von dort aus nach Groß- britannien. Unter der Überschrift „Ein deutsches Flugblatt … Manifest der Münch- Exemplaren ausdrücklich an die Münchener Studierenden und ner Studenten“ wirft die britische Royal Air Force im Sommer 1943 mehrere Millio- gegen das „furchtbare Blutbad“, das die Nationalsozialisten in nen Exemplare über Deutschland ab. Europa angerichtet hatten. Am frühen Morgen des 18. Februar 1943 legten Hans und So- phie Scholl es in der Münchener Universität aus und warfen in einem spontanen Entschluss mehr als 100 Flugblätter in den Lichthof der Universität. Dabei wurden sie von einem Hausmeis- ter gestellt und der Gestapo übergeben. Führende Mitglieder der Weißen Rose wurden festgenommen und vor Gericht gestellt. Die nationalsozialistischen Machthaber sahen in ihren Taten und in ihrem ethisch begründeten Appell an das Gewissen ein politisches Schwerverbrechen. Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst wurden noch am Tage ihrer Verurteilung am 22. Februar 1943 im Gefängnis München-Stadelheim enthauptet. In einem zweiten Prozess verurteilte der „Volksgerichtshof“ im April 1943 Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber zum Tode. Weitere Helfer und Mitwisser, darunter auch Ange- hörige der Ulmer Gruppe, erhielten langjährige Freiheitsstrafen. In Hamburg hatte sich 1942 eine Gruppe gebildet, die über Hans Leipelt und Traute Lafrenz Kontakte nach München hat- te. Im Herbst 1943 entdeckte die Gestapo auch diese Gruppe und nahm mehr als 20 Personen in Haft. In den folgenden Jahren wurden weitere zehn Regimegegner aus dem Umfeld des Mün- chener und des Hamburger Zweiges der Weißen Rose ermordet oder in den Tod getrieben.

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hans scholl sophie scholl christoph probst

Der 1918 geborene Hans Scholl wuchs Die 1921 geborene Sophie Scholl trat 1934 in Der 1919 geborene Christoph Probst mit vier Geschwistern in einem libera- den „Bund Deutscher Mädel“ in der „Hit- studierte nach dem Arbeits- und Wehr- len protestantischen Elternhaus auf und ler-Jugend“ ein, wo sie bis zur Gruppenlei- dienst 1939 in München Medizin. Seit wurde stark von der bündischen Jugend terin aufstieg. Bereits als Schülerin wurde 1935 kannte er Alexander Schmorell, mit beeinflusst. Seit 1933 engagierte er sich sie 1937 wegen des bündischen Engage- dem er bald eng befreundet war. 1941 in der „Hitler-Jugend“ und stieg hier zum ments ihres Bruders Hans von der Gestapo heiratete Christoph Probst Herta Dohrn, „Fähnleinführer“ auf. Weil ihn dort aber vernommen. Seit dieser Zeit distanzierte mit der er drei Kinder hatte. Schmorell bald die militärische Engstirnigkeit ab- sie sich radikal vom Nationalsozialismus. führte Probst im Sommer 1942 in den stieß, wandte er sich vom Nationalsozi- Nach dem Abitur im März 1940 machte Freundeskreis um Hans Scholl ein. Trotz alismus ab und beteiligte sich an bün- sie eine Ausbildung zur Kindergärtne- seiner Versetzung nach Innsbruck im dischen Gruppen. Ende 1937 inhaftierte rin und begann nach dem Arbeits- und Dezember 1942 beteiligte Probst sich bei ihn die Gestapo für zwei Wochen. Kriegshilfsdienst im Mai 1942 in Mün- seinen Besuchen in München aktiv an Nach dem Arbeits- und Wehrdienst chen ein Studium der Biologie und Philo- der Diskussion des fünften Flugblattes studierte Hans Scholl ab dem Sommer- sophie. Dabei kam sie durch ihren Bruder der Weißen Rose und war auch bereit, semester 1939 in München Medizin. Im Hans auch mit dem katholischen Publi- selbst eine Flugschrift zu verfassen. Mai 1940 wurde er als Sanitäter an der zisten Carl Muth zusammen, der beide Nach der Festnahme der Geschwister französischen Front eingesetzt. Hans in ihrem christlichen Glauben bestärkte Scholl fand die Gestapo einen Flugblatt- Scholl konnte im April 1941 bei der und sie in der Ablehnung des National- entwurf von Probst in Hans Scholls Ja- 2. Studentenkompanie der Heeressani- sozialismus ebenso beeinflusste wie der ckentasche, in dem es hieß: „Hitler und tätsstaffel in München sein Studium Hochschullehrer Kurt Huber. sein Regime muss fallen, damit Deutsch- fortsetzen, wo er im Juni 1941 Alexander Im August und September 1942 musste land weiterlebt.“ Christoph Probst wur de Schmorell kennenlernte. Seit Herbst 1941 Sophie Scholl wieder vier Wochen Kriegs- am 20. Februar 1943 in Innsbruck fest- hielt Hans Scholl engen Kontakt zu dem hilfsdienst leisten und in einem Ulmer genommen und am 22. Februar 1943 katholischen Publizisten Carl Muth. Rüstungsbetrieb arbeiten. Im Januar 1943 gemeinsam mit den Geschwistern Scholl Im Juni und Juli 1942 verbreiteten wirkte sie an der Herstellung und Ver- vom „Volksgerichtshof“ zum Tode ver- Hans Scholl und Alexander Schmorell breitung des fünften Flugblattes der Wei- urteilt. Am selben Tag empfing erun - die ersten vier Flugblätter der Weißen ßen Rose mit. mittelbar vor seiner Hinrichtung im Rose. Gemeinsam mit Schmorell und Bei der Flugblattaktion am 18. Februar Strafgefängnis München-Stadelheim die Willi Graf wurde Hans Scholl von Ende 1943 wurden Sophie Scholl und ihr Bruder katholische Taufe. Juli bis Ende Oktober 1942 zu einer „Feld- noch in der Universität festgenommen, famulatur“ in die Sowjetunion abkom- am 22. Februar 1943 vom „Volksgerichts- „Auch im schlimmsten Wirrwarr kommt mandiert, das heißt, sie mussten ein für hof“ unter Roland Freisler zum Tode ver- es darauf an, dass der Einzelne zu seinem das Medizinstudium vorgeschriebenes urteilt und am selben Tag im Strafgefäng- Lebensziele kommt, zu seinem Heil kommt, Praktikum als Kriegsdienst ableisten. nis München-Stadelheim enthauptet. welches nicht in einem äußeren ‚Erreichen‘ Nach der Rückkehr an die Münchener gegeben sein kann, sondern nur in der Universität setzte er seine Widerstands- „Es war unsere Überzeugung, dass der inneren Vollendung seiner Person. Denn aktionen fort. Krieg für Deutschland verloren ist, und das Leben fängt ja nicht mit der Geburt an Bei der Flugblattaktion am 18. Februar dass jedes Menschenleben das für diesen u. endigt im Tod. So ist ja auch das Leben, 1943 wurde Hans gemeinsam mit sei- verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst als die große Aufgabe der Mensch-Wer- ner Schwester Sophie festgenommen, ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad dung, eine Vorbereitung für ein Dasein in vier Tage später vom „Volksgerichtshof“ forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses anderer neuer Form. Und dieser Aufgabe zum Tode verurteilt und am selben Tag unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergie- dienen letzthin alle kleineren u. größeren im Strafgefängnis München-Stadelheim ßen zu unternehmen.“ Aufgaben u. Ereignisse des Lebens.“ enthauptet. Aus der Vernehmung von Sophie Scholl durch die Gestpo Aus einem Brief von Christoph Probst vom 27. Juli 1942 in München vom 20. Februar 1943

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 44 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS Privatbesitz Privatbesitz Privatbesitz

alexander schmorell willi graf kurt huber

Der 1917 in Orenburg/Russland geborene Der 1918 geborene Willi Graf stieß 1929 Der 1893 in der Schweiz geborene Kurt Alexander Schmorell entstammte einer zum katholischen Schülerbund „Neu- Huber studierte ab 1912 Musik, Philoso- deutsch-russischen Familie, die seit 1921 deutschland“. 1934 schloss er sich dem phie und Psychologie, promovierte 1917 in München lebte. Er wuchs mit starken engeren Kreis des Jungenbundes „Grau- in Musikwissenschaft und habilitierte Bindungen an seine russische Herkunft er Orden“ an und nahm an verbotenen sich 1920 im Fach Psychologie und Phi- auf. 1933 trat Schmorell der SA bei und Fahrten und Lagern teil. 1937 begann Willi losophie. Ab 1926 lehrte er an der Uni- wurde 1934 Mitglied der „Hitler-Jugend“. Graf in Bonn ein Medizinstudium und versität München Philosophie und war Er wandte sich jedoch schon 1937 wäh- wurde Anfang 1938 wegen seiner Akti- ein anerkannter Volksliedforscher und rend seines Arbeitsdienstes radikal ge- vitäten in der bündischen Jugendbewe- führender Experte für den Philosophen gen die geistige Vereinnahmung durch gung für zwei Wochen inhaftiert. Anfang Gottfried Wilhelm Leibniz. den Nationalsozialismus. 1940 absolvierte Graf in der Wehrmacht 1937 übernahm Huber die Abteilung Nach dem Wehrdienst begann er 1939 eine Sanitätsausbildung, um zunächst in Volksmusik am Berliner Institut für Mu- in Hamburg mit dem Medizinstudium, Frankreich und Belgien, ab Juni 1941 an sikforschung. Ein Jahr später wurde das er in München fortsetzte. Im Juni der Ostfront eingesetzt zu werden. ihm wegen seiner „katholisch-weltan- 1941 lernte er in der 2. Studentenkom- Im April 1942 zur Fortsetzung des Me- schaulichen Bindung“ untersagt, einen panie der Heeressanitätsstaffel in Mün- dizinstudiums in die 2. Münchener Stu- Lehrauftrag an der Berliner Universität chen Hans Scholl kennen. Beide waren dentenkompanie abgeordnet, lernte er wahrzunehmen. Er kehrte nach Mün- seit April 1941 hier kaserniert. Hans hier Hans Scholl und Alexander Schmo- chen zurück, wo er nach seinem Eintritt Scholl und Alexander Schmorell verfass- rell kennen, mit denen er von Ende Juli in die NSDAP 1940 außerplanmäßiger ten die ersten vier Flugblätter der Wei- bis Ende Oktober 1942 an der Ostfront Professor wurde. Huber fesselte seine ßen Rose, ehe sie gemeinsam mit Willi eingesetzt war. Ende 1942 und Anfang Studenten vor allem durch seine weit- Graf Ende Juli 1942 zu einer „Feldfamu- 1943 warb Willi Graf auf mehreren Rei- gefächerten Interessen und durch an- latur“ an die Ostfront abkommandiert sen in seinem alten Freundeskreis um schauliche Vorlesungen. wurden. Das Land und die Menschen Mitstreiter. Ab Dezember 1942 nahm er Im Juni 1942 lernte er Hans Scholl und dort beeindruckten Alexander Schmo- an der Diskussion des fünften Flugblat- seine Freunde kennen, seine Vorbehalte rell tief. tes der Weißen Rose teil. Im Februar 1943 gegen die Hitler-Diktatur verstärkten Schmorell nahm auch an der Herstel- beteiligte er sich an den Freiheitsparolen sich durch die Schilderungen von der lung des fünften und sechsten Flugblat- der Gruppe in der Münchener Innenstadt Front zurückgekehrter Studenten. Ge- tes der Weißen Rose teil sowie an den und unterstützte die Herstellung und meinsam mit Hans Scholl formulierte nächtlichen Aktionen im Februar 1943, Verbreitung des sechsten Flugblattes der Huber den politischen Teil des fünften bei denen sie Parolen gegen Hitler an Weißen Rose. Flugblattes der Weißen Rose und ver- Hausfassaden malten. Am 18. Februar 1943 nahm die Gestapo fasste Anfang Februar 1943 auch das Nach der Festnahme von Hans und Willi Graf fest. Der „Volksgerichtshof“ sechste und letzte Flugblatt der Gruppe. Sophie Scholl am 18. Februar 1943 ver- verurteilte ihn gemeinsam mit Kurt Hu- Wenige Tage nach der Verteilung die- suchte Alexander Schmorell vergeblich, ber und Alexander Schmorell am 19. April ses Flugblattes durch die Geschwister ins Ausland zu fliehen. Nach München 1943 in München zum Tode. Fast ein Scholl in der Münchener Universität zurückgekehrt, wurde er am 24. Febru- halbes Jahr später wurde Willi Graf am wurde Kurt Huber am 27. Februar 1943 ar 1943 erkannt, denunziert und sofort 12. Oktober 1943 im Strafgefängnis Mün- festgenommen, am 19. April 1943 in festgenommen, am 19. April 1943 vom chen-Stadelheim enthauptet. München vom „Volksgerichtshof“ zum „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt Tode verurteilt und am 13. Juli 1943 im und am 13. Juli 1943 im Strafgefängnis Strafgefängnis München-Stadelheim ent- München-Stadelheim enthauptet. hauptet.

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hans leipelt traute lafrenz heinz kucharski

Der 1921 geborene Hans Leipelt absol- Die 1919 geborene Traute Lafrenz gehörte Der 1919 geborene Heinz Kucharski be- vierte nach dem Abitur zunächst den Ar- wie Heinz Kucharski und Margaretha Ro- suchte die Hamburger Lichtwark-Schule, beitsdienst, anschließend leistete er den the zur Schulklasse der Studienrätin Erna setzte sich bereits als Schüler intensiv Wehrdienst ab. Im August 1940 wurde er Stahl, die auch nach 1933 ganz im Sinne mit sozialistischen Ideen auseinander aus der Wehrmacht entlassen, weil seine der freiheitlichen und musischen Tradi- und studierte Philologie, Völkerkunde Mutter nach den nationalsozialistischen tion der Hamburger Lichtwarkschule un- und Orientalistik. Er organisierte Le- „Nürnberger Rassegesetzen“ als Jüdin terrichtete. seabende, auf denen politische Schrif- galt. Sein Vater konnte ihm jedoch einen Im Sommer 1939 begegnete Traute Laf- ten diskutiert wurden. Zusammen mit Studienplatz für Chemie an der Hambur- renz in Hamburg Alexander Schmorell, Margaretha Rothe machte er auf Flug- ger Universität verschaffen. Dort lernte der hier ein Semester lang studierte. Im zetteln die Sendezeiten des Deutschen er Gleichgesinnte wie Margaretha Rothe Mai 1941 wechselte sie für ihr Medizin- Freiheitssenders 29,8 bekannt. Ende 1942 und Heinz Kucharski kennen. studium nach München und lernte bald diskutierte er mit Margaretha Rothe, der Im Winter 1941/42 wechselte Hans Hans Scholl und Christoph Probst kennen. Buchhändlerin Hannelore Willbrandt, dem Leipelt nach München an das weithin Sie nahm an vielen Gesprächen und Dis- Mediziner Albert Suhr und dem Philoso- bekannte Chemische Institut des Pro- kussionen, auch mit Kurt Huber, teil. Im phiestudenten Reinhold Meyer das drit- fessors und Nobelpreisträgers Heinrich November 1942 brachte Traute Lafrenz das te Flugblatt der Weißen Rose. Wieland, der mehrfach rassisch Verfolg- dritte Flugblatt der Weißen Rose mit nach Am 9. November 1943 nahm die Ge- ten half. Hamburg. An Weihnachten 1942 versuch- stapo Heinz Kucharski, seine Mutter Die Nachricht von der Hinrichtung te sie, in Wien einen Vervielfältigungsap- Hildegard Heinrichs und seine Freun- der Geschwister Scholl und Christoph parat zu besorgen. Gemeinsam mit Sophie din Margaretha Rothe fest. Bis zum Probsts wurde für Hans Leipelt und sei- Scholl organisierte Traute Lafrenz im Janu- 25. Oktober 1944 war Kucharski im Ge- ne Freundin Marie-Luise Jahn zur He- ar 1943 Papier und Briefumschläge für den stapo-Gefängnis Fuhlsbüttel, danach im rausforderung. Weil sie sich der Weißen Versand weiterer Flugblätter. Hamburger Untersuchungsgefängnis in- Rose verpflichtet fühlten, schrieben sie Am 5. März 1943 wurde sie erstmals haftiert. Nach dem Todesurteil des das letzte Flugblatt ab und verbreiteten von der Gestapo verhört, wenige Tage „Volksgerichtshofs“ vom 17. April 1945 es mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt später, am 15. März 1943, festgenom- konnte er während des Transports zur trotzdem weiter“ in Hamburg. Nach der men, am 19. April 1943 gemeinsam mit Hinrichtungsstätte Bützow-Dreibergen Ermordung von Professor Kurt Huber Alexander Schmorell und Kurt Huber entkommen. unterstützten Leipelt und seine Freun- angeklagt und zu einem Jahr Gefängnis Der ebenfalls festgenommene Rein- de dessen Familie durch eine Geld- verurteilt – sie konnte verschleiern, an hold Meyer erkrankte in der Haft schwer sammlung. der Verteilung von Flugblättern beteiligt und starb am 12. November 1944 im Ge- Hans Leipelt wurde am 8. Oktober gewesen zu sein. stapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. 1943 in München festgenommen, aber Nach ihrer Entlassung verhaftete die Margaretha Rothe wurde mit den ande- erst am 13. Oktober 1944 vom „Volksge- Gestapo Traute Lafrenz Ende März 1944 ren weiblichen Gefangenen der Hambur- richtshof“ zum Tode verurteilt und am erneut und überführte sie ins Hambur- ger Weißen Rose von Fuhlsbüttel zunächst 29. Januar 1945 in München Stadelheim ger Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. Ge- nach , später in das Gefängnis enthauptet. Marie-Luise Jahn verurteilte meinsam mit anderen weiblichen Ge- Leipzig-Kleinmeusdorf verlegt, wo sie am der „Volksgerichtshof“ zu zwölf Jahren fangenen der Hamburger Weißen Rose 18. Februar 1945 in das Gefängnislazarett Zuchthaus. Sie wurde am 29. April 1945 wurde Traute Lafrenz über Gefängnisse aufgenommen wurde. Unmittelbar vor aus dem Zuchthaus Aichach befreit. in Cottbus und Leipzig nach Bayreuth der Befreiung der Stadt durch US-Truppen verlegt, wo sie am 15. April 1945 von starb Margaretha Rothe am 15. April 1945 US-Truppen befreit wurde. in einem Leipziger Krankenhaus.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 46 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Widerstand von Jugendlichen ten oder Jugendliche jüdischer Herkunft, die sich zusammen- fanden. Sie hörten verbotene ausländische Rundfunksender, Ab 1933 sollte die „Hitler-Jugend“ (HJ) nach dem Willen des verbreiteten Nachrichten oder wollten mit Flugblättern über NS-Regimes die einzige Jugendorganisation in Deutschland den Kriegsverlauf und die NS-Gewaltverbrechen aufklären. sein. Daher wurden fast alle anderen Jugendverbände inner- Wurden ihre Aktivitäten aufgedeckt, drohte ihnen die Todes- halb weniger Monate verboten, zur Selbstauflösung gezwun- strafe. gen oder der HJ angegliedert. Seit Frühjahr 1939 mussten alle Während des Krieges verschärften die Nationalsozialisten Jugendlichen dem „Bund Deutscher Mädel“ bzw. der HJ ange- die Verfolgung von Jugendlichen, die ihr Recht auf Unabhän- hören, wo sie vormilitärisch ausgebildet und zu unbedingtem gigkeit und Selbstbestimmung außerhalb der „Hitler-Jugend“ Gehorsam erzogen wurden. verteidigten. Edelweißpiraten in Köln, Leipziger Meuten oder Nicht alle akzeptierten diese totale Vereinnahmung durch Hamburger Swing-Jugendliche, die sich dem Zwang der Dik- das NS-Regime. Politische Jugendgruppen versuchten trotz tatur durch ihren Lebensstil widersetzten, wurden von der Verboten und Auflösungen zusammenzuhalten oder sich neu Gestapo verfolgt, in Jugend-Konzentrationslager eingewiesen zu formieren. Die Gestapo verfolgte dies rücksichtslos. Die oder zu langen Haftstrafen verurteilt, obwohl sie eher unpoli- Motive der Jugendlichen für ihren Widerstand waren vielfäl- tisch waren und nur wenige von ihnen das Regime aktiv be- tig. Es waren junge Kommunisten, Sozialdemokraten, Chris- kämpften. VVN – BdA Hamburg, Publikation „Die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg“, 6., Auflage, Hamburg 2005 Hamburg Auflage, 6., und Wilhelmsburg“, in Harburg Widerstand und Verfolgung „Die anderen. Publikation VVN – BdA Hamburg,

Illegales Treffen von Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) in Dassow/Mecklenburg, Pfingsten 1934

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Sozialistische und kommunistische Jugendliche Das Verbot der kommunistischen und sozialdemokratischen Aktivitäten richtete sich auch gegen die kommunistischen und sozialistischen Jugendverbände. Mitglieder der Sozialisti- schen Arbeiterjugend (SAJ) und des Kommunistischen Jugend- verbandes Deutschlands (KJVD) führten ihre Auseinanderset- zung mit den Nationalsozialisten daher im Untergrund fort. Scheinbar unpolitische Aktivitäten wie gemeinsame Wande- rungen sollten Schutz vor Entdeckung bieten. Indem sie ihre Treffen tarnten, konnten sie ihren Zusammenhalt bewahren. Die Jugendlichen beteiligten sich auch an Widerstandsaktivi- täten und überwanden dabei oftmals innere weltanschauli- che Gegensätze der Arbeiterbewegung. Zahlreiche sozialistische und kommunistische Jugendliche wurden wegen ihrer Überzeugung verfolgt und kriminalisiert. Bis Mitte der 1930er-Jahre fanden zahlreiche Prozesse gegen

Mitglieder des KJVD und der SAJ statt. Viele von ihnen wurden Privatbesitz in Konzentrationslager verschleppt, misshandelt oder vor Ge- Der 16-jährige Lehrling Hans Gasparitsch gehört der sozialistischen Gruppe „G“ richt gestellt. Lange Haftstrafen und Todesurteile sollten auf (Gemeinschaft) an. Er wird 1935 festgenommen und bis 1945 im KZ inhaftiert, weil andere Jugendliche abschreckend wirken. er im Stuttgarter Schlosspark Parolen gegen das NS-Regime verbreitet hat.

Christliche Jugendliche 1933 waren mehr als 2,5 Millionen Jugendliche in christlichen Verbänden organisiert. Obwohl die Nationalsozialisten ver- sicherten, die Eigenständigkeit der Kirchen zu respektieren, wurden kirchliche Jugendgruppen zunehmend bedrängt und verboten. Der Führungsanspruch der „Hitler-Jugend“ und des NS-Regimes sollte durchgesetzt werden. Viele christliche Jugendliche hatten der Regierung Hitlers zunächst positiv gegenübergestanden. Bei manchen von ihnen verstärkten sich jedoch schon bald Zweifel an der na- tionalsozialistischen Kirchenpolitik. Einigen Jugendlichen gelang es trotz der Auflösung oder „Gleichschaltung“ ihrer Verbände, in Verbindung zu bleiben. Sie festigten ihre Kontak- te und trafen sich bei Wallfahrten oder Freizeiten, die die Na- tionalsozialisten als Provokation empfanden. So gerieten sie zunehmend in Konflikt mit dem NS-Regime. Privatbesitz Eine katholische Jugendgruppe um Bernd Wittschier aus Köln auf einer verbote- Jüdische Jugendliche nen Wallfahrt zur Altenberger Madonna 1941 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden jüdische Jugendliche zunehmend aus der Gesellschaft ausge- grenzt. Sie durften nur jüdischen Jugendorganisationen ange- hören und ab 1938 ausschließlich jüdische Schulen besuchen. Die Jugendlichen fanden sich in Gruppen zusammen, in denen sie sich respektiert fühlten, gemeinsam ihre Freizeit gestalte- ten oder sich auf eine Auswanderung vorbereiten konnten. Verschiedene dieser Gruppen sammelten sich um den Berliner Elektriker Herbert Baum, der sich bereits 1927 der Deutsch-Jüdischen Jugendgemeinschaft angeschlossen hatte und 1931 in den kommunistischen Jugendverband Deutsch- lands eintrat. Gemeinsam bereiteten die Mitglieder der Grup- pen um Baum später Widerstandsaktionen vor, verbreiteten Parolen, verteilten Flugzettel und illegale Schriften (siehe auch S. 30). Als 1941 die systematische Ermordung der Juden Euro- pas einsetzte, entzogen sich jüdische Jugendliche der Deporta- tion durch die Flucht in den Untergrund.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 48 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Bündische Traditionen Umtriebe“ verbot. Viele Jugendliche widersetzten sich, indem Die Anhänger der Bündischen Jugend wollten sich weder po- sie weiterhin Ausflüge unternahmen oder, wie sie sagten, auf litisch noch konfessionell binden, sondern ihr Leben frei und Fahrt gingen, bündische Lieder sangen, ihre Erkennungszei- selbstbestimmt gestalten. Sie betonten das Recht der Jugend chen trugen und oftmals sogar die Auseinandersetzung mit auf eigene Entfaltung. Die Deutsche Freischar war mit 15 000 der HJ suchten. Immer wieder wurden bündische Jugendliche Mitgliedern der größte Bund. Sie schloss sich im März 1933 festgenommen, mit Gefängnis und Zuchthaus bestraft oder in mit anderen Vereinen zum Großdeutschen Bund zusammen, Konzentrationslagern inhaftiert. der bereits im Juni 1933 von den Nationalsozialisten aufge- löst wurde. Leipziger Meuten Zunächst hofften ehemalige Bündische, die „Hitler-Jugend“ In Leipzig schlossen sich nach 1933 rund 1500 Jugendliche zu beeinflussen zu können. Sie traten in die HJ ein, um so ihre sogenannten Meuten zusammen. Die 14- bis 18-jährigen Mäd- Traditionen zu bewahren, bis die HJ-Führung die „bündischen chen und Jungen kamen überwiegend aus sozialdemokratisch oder kommunistisch geprägten Elternhäusern. Die etwa 20 Leipziger Meuten nannten sich nach ihren Treff- punkten und wollten sich durch Kleidung und Verhalten von der HJ abgrenzen. Die Jungen trugen oft kurze Lederhosen, karierte Hemden und bunte Halstücher. In den 1930er-Jahren häuften sich Auseinandersetzungen mit der HJ. Einige Mit- glieder der Meuten forderten mit Streuzetteln, die heimlich ausgelegt wurden, zum Kampf auf. Die meisten Anhänger wa- ren jedoch eher unpolitisch und wollten vor allem ihre Freizeit ohne den Zwang der HJ verbringen. Die NS-Führung ging un- nachgiebig gegen die Meuten vor. Viele ihrer Anhänger wur- den wegen „bündischer Umtriebe“ festgenommen und hart bestraft.

Edelweißpiraten Um 1938 entstanden im Rhein-Ruhr-Gebiet verschiedene Gruppen von sogenannten Edelweißpiraten, denen sich meh- rere tausend junge Arbeiter und Lehrlinge anschlossen. Ihr Er- kennungszeichen waren eine Edelweißblume an der Kleidung oder eine weiße Stecknadel. Sie trafen sich regelmäßig auf Plätzen oder in Parks und nannten sich wie die Meuten nach ihren Treffpunkten oder Stadtvierteln. Die Edelweißpiraten lehnten die „Hitler-Jugend“ ab, gingen auf Fahrt, organisierten Zeltlager und sangen bündische Lie- der. Manche von ihnen hörten ausländische Rundfunksender und verbreiteten deren Meldungen. Sie stellten Flugblätter her und wandten sich mit Wandparolen gegen den Krieg. Einige Jugendliche waren sogar bereit, das NS-Regime mit Waffenge-

Karl / Stadtmuseum Gutzmer Bonn walt zu bekämpfen. Viele Edelweißpiraten wurden in Fürsor- geanstalten eingewiesen oder in Konzentrationslagern und Die Bonner Jovy-Gruppe, hier 1938 beim Wandern in der Schweiz, bekennt sich zur Gefängnissen inhaftiert. politischen Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Michael Jovy wird 1939 we- gen „bündischer Umtriebe“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Swing-Jugendliche In verschiedenen Großstädten hatten sich Jugendliche getrof- fen, um gemeinsam Jazzmusik zu hören, zu tanzen und offene Gespräche zu führen. Viele von ihnen wollten ihren eigenen Weg gehen und ihre Persönlichkeit in bewusstem Gegensatz zu den nationalsozialistischen Beeinflussungsversuchen ent- falten. Ihre Begeisterung für den Swing verband sie auch, weil die Nationalsozialisten diese Musik als Symbol „kultureller Entartung“ als „undeutsch“ herabwürdigten. Viele Swing-Jugendliche wollten sich nicht nur von der HJ abgrenzen. Für sie war Swing Ausdruck einer eigenständi- gen Lebensweise, die sie mit englisch klingenden Vornamen, langen Haaren und einem eigenen Kleidungs- und Tanzstil demonstrierten. Trotz des Verbots durch die Nationalsozia- listen hörten sie englische und amerikanische Schallplatten und veranstalteten private Partys. 1942 gab der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, , die An- Privatbesitz weisung, Rädelsführer der Swing-Jugend für mindestens zwei Eine Meute aus dem Leipziger Osten auf Fahrt in die Sächsische Schweiz um 1941 bis drei Jahre in Konzentrationslagern zu inhaftieren.

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ihr der Besuch einer höheren Schule ver- wehrt. Ihre Ausbildung zur Montessori- Kindergärtnerin konnte sie nicht beenden, denn ihre Familie galt als „politisch unzu- verlässig“. Vor 1933 war Gertrud Koch Mitglied der kommunistischen Roten Jungpionie- re und weigerte sich später, dem „Bund Deutscher Mädel“ beizutreten. Stattdes- sen gründete sie mit Freunden aus Köln und Düsseldorf eine Gruppe, die gemein- sam wanderte, musizierte und zuneh-

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln der Stadt NS-Dokumentationszentrum mend politisch aktiv wurde. Diese Gruppe, Privatbesitz die zu den sogenannten Edelweißpiraten gehörte, begann, Flugblätter herzustel- gertrud koch walter klingenbeck len und zu verbreiten. Die spektakulärste Gertrud „Mucki“ Koch wurde als Tochter Aktion war der Abwurf von Flugblättern 1924 geboren, gehörte Walter Klingen- eines Kesselschmieds und einer Apothe- aus der Kuppel des Kölner Hauptbahnhofs. beck in der Münchener Gemeinde St. kerin 1924 in Köln geboren. Ihr Vater war Mehrere Festnahmen waren die Folge. Ludwig der katholischen Jungschar an, Kommunist, wurde nach 1933 mehrfach Im Dezember 1942 wurde Gertrud Koch die sich 1936 – aufgrund des national- festgenommen und 1942 im Konzentrati- ins Gestapo-Gefängnis Brauweiler ge- sozialistischen Drucks – auflösen musste. onslager ermordet. bracht, wo sie geschlagen und misshan- Zusammen mit seinem Vater hörte er Sen- Die Familie war vielfältigen Repressali- delt wurde. Im Mai 1943 wurde sie ohne dungen von Radio Vatikan, in denen bei- en ausgesetzt. Die Mutter verlor ihre Ar- Angabe von Gründen aus der Haft entlas- spielsweise von nationalsozialistischen beit, Mutter und Tochter wurden gezwun- sen und floh mit ihrer Mutter nach Süd- Verstößen gegen das Reichskonkordat gen, ihre Wohnung zu verlassen. Gertrud deutschland. Dort arbeitete sie bis zum berichtet wurde. Seiner Begeisterung für Koch musste schon als Kind zum Lebens- Kriegsende auf einem Bauernhof und das neue Medium Hörfunk ging Walter unterhalt beitragen, aus Geldmangel blieb kehrte dann nach Köln zurück. Klingenbeck in einer Lehre als Schalttech- niker nach. Ab Frühjahr 1941 fand sich um ihn ein kleiner Freundeskreis zusammen, der verschiedene Musikinstrumente und er- schließlich verschiedene Widerstandsak- hielt erste Engagements als Schlagzeuger tionen durchführte. Zu diesem Kreis ge- und Gitarrist in mehreren Jazzkapellen. hörten Daniel von Recklinghausen, Hans 1938 musste Coco Schumann auf eine Haberl und Erwin Eidel. Die vier Freun- jüdische Schule wechseln, wenig spä- de hatten eine große Leidenschaft für ter wurde er zum Zwangsarbeitsdienst Technik, besonders für das Radio. Das verpflichtet. Obwohl er wegen seiner gemeinsame Hören deutschsprachiger jüdischen Herkunft kein Mitglied der Sendungen der britischen BBC, des inter- „Reichskulturkammer“ und damit Berufs- nationalen Radio Vatikan und anderer musiker werden konnte, gelang es ihm, verbotener Radiostationen verstärkte ihre weiterhin als Musiker in Berliner Bars regimekritische Sichtweise. und Tanzclubs aufzutreten. Im September 1941 malte Walter Klin-

Privatbesitz Im März 1943 wurde Coco Schumann genbeck mit schwarzer Ölfarbe große festgenommen und in das Ghetto The- V-Zeichen (für „Victory“) an etwa 40 Stel- resienstadt deportiert, wo er als Schlag- len in München, die BBC hatte dazu auf- heinz „coco“ schumann zeuger in der Ghetto Big Band „The Ghet- gerufen. 1924 geboren, wuchs Coco Schumann to-Swingers“ spielte. Im September 1944 Nach einer Denunziation wurde Klin- im Berliner Scheunenviertel auf, einem wurde Schumann nach Auschwitz-Bir- genbeck am 26. Januar 1942 festgenom- Stadtteil, in dem viele aus dem Osten kenau deportiert und im Januar 1945 von men. Er nahm die gesamte Verantwor- zugewanderte Juden und Jüdinnen leb- dort auf einen sogenannten Todesmarsch tung für die Aktionen auf sich. Am 24. ten. Seine Mutter Hedwig war Jüdin und geschickt. Anfang Mai 1945 befreiten ihn September 1942 verurteilte der „Volks- betrieb einen Friseurladen, sein Vater alliierte Truppen. Coco Schumanns Eltern gerichtshof“ den 19-jährigen und seine Alfred war vor der Hochzeit zum jüdi- und sein Bruder erlebten das Kriegsende Freunde zum Tod. Walter Klingenbeck schen Glauben übergetreten. in einem Versteck. Nach dem Krieg kehr- wurde am 5. August 1943 in München Anfang 1936 freundete sich Coco Schu- te Schumann nach Berlin zurück und enthauptet, seine Freunde zu Zuchthaus- mann mit Berliner Swing-Jugendlichen wurde zu einem der bekanntesten Jazz- strafen begnadigt. an. In den folgenden Jahren erlernte er und Swingmusiker der Nachkriegszeit.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 50 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Die Gruppe um Hanno Günther Flugblatt von Hanno Günther Der 1921 geborene Hans Joachim „Hanno“ Günther wuchs […] Wir wollen einen gerechten und dadurch dauerhaften in Berlin in einem Elternhaus auf, das an Politik interessiert Frieden! Wir wollen die Freiheit der Meinung und des Glau- und für die Lebensreformbewegung, eine naturnahe, zivi- bens! Wir wollen die Freiheit der Arbeit! Wir wollen die Ver- lisationskritische Geisteshaltung, aufgeschlossen war. Sei- hinderung kommender Kriege durch die Verstaatlichung der ne Mutter war Lehrerin, sein Vater Buchhändler. Die Eltern Rüstungsindustrie und die Einziehung der Kriegsgewinne! trennten sich, als Hanno Günther sechs Jahre alt war. Ab Wir wollen die Schaffung einer wahren Volksvertretung!!! 1928 besuchte er eine bekannte Reformvolksschule, die Rüt- Deutscher! Bekenne Dich zu diesen Forderungen! Sprich mit li-Schule in Berlin-Neukölln. Diese Schule galt als fortschritt- zuverlässigen Kameraden über sie! lich, die Prügelstrafe wurde dort grundsätzlich abgelehnt Gebe dieses Flugblatt weiter, und wenn Dir eine Schreib- und den Schülerinnen und Schülern viel Spielraum für die oder Vervielfältigungsmaschine zur Verfügung steht, so ver- geistige Entfaltung gelassen. Seit 1929 war Hanno Günther breite unsere Forderungen! […] Mitglied der kommunistischen Jungpioniere und baute in „Das freie Wort“, Folge 3, September 1940, Bundesarchiv einem Neuköllner Hinterhof einen Kinderclub auf. Nach der „Gleichschaltung“ der Rütli-Schule durch die Nationalsozia- listen wechselte er auf die Schulfarm Insel Scharfenberg, um dort das Abitur machen zu können. 1936 musste er jedoch Scharfenberg aus politischen Gründen verlassen und begann tischen Rundfunksender BBC und diskutierten marxistische eine Bäckerlehre. Schriften. Während dieser Zeit lernte er die Kommunistin Elisabeth Am 2. April 1941 wurde Hanno Günther zur Wehrmacht Pungs kennen. Mit ihr schrieb und verteilte Hanno Günther eingezogen, am 28. Juli jedoch von der Gestapo festgenom- nach dem deutschen Sieg über Frankreich die Flugblattse- men. Am 9. Oktober 1942 verurteilte der „Volksgerichtshof“ rie „Das freie Wort“. Darin verbreiteten sie Nachrichten ihn zusammen mit seinen Freunden Wolfgang Pander, Bern- über die Kriegslage, verlangten Frieden und Meinungsfrei- hard Sikorski und Emmerich Schaper zum Tode. Emmerich heit und forderten in Rüstungsbetrieben Beschäftigte zur Schaper starb an den Folgen der Folter im Gefängnis. Die Sabotage auf. Anfang 1941 schlossen sich Dagmar Petersen anderen wurden am 3. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee und andere ehemalige Schüler der Rütli-Schule dem Wider- enthauptet. Dagmar Petersen und Elisabeth Pungs überleb- standskreis um Günther an. Sie hörten den verbotenen bri- ten die Haftzeit und den Krieg. Privatbesitz

Der Freundeskreis um Hanno Günther bei einer Silvesterfeier in Pichelsdorf 1940/41. V. l. n. r.: Hanno Günther, Dagmar Petersen, unbekannt, Hertha Miethke, Wolfgang Pander, Mascha (Freundin von Pander); vorne: Irmgard Freier

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Flugblätter von Helmuth Hübener HITLERJUGEND – Deutsche Jungen, seid ihr euch überhaupt bewusst, was die H. J. ist und welche Ziele sie verfolgt? Ihr könnt es nicht wissen. Eure selbstherrlichen Führer und Un- terführer predigen immer von Kameradschaft, während sie sich selbst aus dem Kreise der Kameradschaft ausschließen. Sie fühlen sich hier doch recht in ihrem Element, wenn sie die eingeschüchterten Jungen, wenn sie euch tyrannisieren kön- nen. Oder wollt ihr etwa abstreiten, dass man euch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefügig machen will? Man droht euch mit disziplinarischen Strafen, polizeilichen Maß- nahmen und lässt euch, Deutsche, sogar die Freiheit nehmen und in sog. Wochenendkarzer stecken. Kennt ihr derartige Bauten? Nein? Nun, bei der nächsten Gelegenheit werdet ihr noch von ihnen zu hören bekommen. Das ist also die weit und breit gepriesene H.J. Eine Zwangs- organisation ersten Ranges zur Heranziehung nazihöriger Volksgenossen. Hitler und seine Komplizen wissen, dass sie euch von Anfang an den freien Willen nehmen müssen, um gefügige, willenlose Elemente aus euch machen zu können. Denn Hitler weiß, dass seine Zeitgenossen ihn langsam zu durchschauen beginnen, ihn, den Unterdrücker freier Natio- nen, den Mörder von Millionen. Darum rufen wir euch zu: Lasst euch euren freien Willen, das kostbarste, was ihr besitzt, nicht nehmen. Lasst euch von www.presse-mormonen.de www.presse-mormonen.de euren Führern – selbstherrlichen Königen im Kleinen – nicht Helmuth Hübener (M.) mit Rudolf Wobbe (l.) und Karl-Heinz Schnibbe (r.) in Ham- unterdrücken und tyrannisieren, sondern wendet vielmehr burg um 1941 der H.J., dem Werkzeug des Hitlerregimes für euren Unter- gang, den Rücken. Wir sind bei euch, und unsere Hilfe ist euch jederzeit gewiss! Die Gruppe um Helmuth Hübener „Harret aus, Deutschland erwacht!“

„Hitlerjugend“, Flugblatt von Helmuth Hübener, 1941, Bundesarchiv Helmuth Hübener, 1925 in Hamburg als Sohn einer Arbeiterin geboren, wurde entscheidend durch seine mormonische Reli- gionsgemeinschaft geprägt. Er wuchs ohne Vater bei seinen DER NAZI-REICHSMARSCHALL – Ja, der gute, feiste Hermann: Großeltern auf und begann 1941 eine Lehre bei der Hamburger Reichsmarschall. […] Wenn die R.A.F. [Royal Air Force] jemals Sozialbehörde. 1940/41 kam er in Kontakt mit einer illegalen dazu kommt, Berlin zu bombardieren, will ich Meier heißen, kommunistischen Jugendgruppe aus Altona. Er hörte regel- sagte er zu Beginn des Krieges. Heute zeigen die Straßen Ber- mäßig ausländische Rundfunksender und verbreitete wichti- lins schon deutliche Spuren der Britischen Luftoffensive, doch ge Meldungen als Streuzettel weiter. Göring ist immer noch Göring – und er freut sich, dass er es Im Sommer 1941 gewann Hübener mit dem 16-jährigen ist. – Und dann das allzu beliebte Schlagwort: 1000 für eine! Schlossergesellen Rudolf Wobbe und dem 17-jährigen Ma- Auch ein blendender Reinfall; denn heute ist die deutsche lergesellen Karl-Heinz Schnibbe Gesinnungsfreunde. Wenig Luftwaffe zufrieden, wenn sie die Insel überhaupt noch ein- später stieß auch der 17-jährige Verwaltungslehrling Ger- mal überfliegen kann, ohne dabei durch die Abwehr schwere hard Düwer dazu. Sie diskutierten gemeinsam zahlreiche Verluste und blutige Köpfe erleiden zu müssen. Wohl kann Flugblätter und verteilten sie in Hamburger Arbeitervier- der Luftmarschall der Nazis noch immer eine horrende Di- teln. Bereits im Winter 1941 sahen die Freunde die militäri- vidende […] aus seinen Rüstungswerken ziehen, doch der sche Niederlage Deutschlands voraus. Sie wollten deshalb Traum von der uneingeschränkten, immer zunehmenden nicht mehr allein mit kurzen Parolen auf Streuzetteln zum Luftüberlegenheit seiner Fliegerarmada geht dem Ende im- Kampf gegen das NS-Regime auffordern, sondern die Men- mer mehr entgegen. Es wird ein böses Erwachen geben. schen über den Ernst der Lage aufklären. Innerhalb von Denn Winston S. Churchill sagte: Wenn es sein muss, brin- sechs Monaten entwarf Helmuth Hübener mehr als 20 ver- gen unsere tapferen Bombenflieger Tod und Verderben über schiedene Flugblätter. Nazi-Deutschland!! Wir wünschen es nicht, haben es nie ge- Ende Januar 1942 baten Gerhard Düwer und Helmuth wollt, doch der Tod vieler tausender hingemordeter Menschen Hübener einen Bekannten, die Flugblätter ins Französische in Rotterdam, Belgrad und nicht zuletzt in Frankreich, Norwe- zu übersetzen. Dabei wurden sie beobachtet, denunziert und gen und Polen, das Blut vieler freiheitsliebender Brüder in dem am 5. Februar 1942 von der Gestapo festgenommen. Während durch Gestapo-Terror niedergehaltenen Europa darf nicht un- der Verhöre wurden die Jugendlichen schwer misshandelt. gesühnt bleiben. Am 11. August 1942 verurteilte der „Volksgerichtshof“ Helmuth = Vergeltung wird kommen – so oder so, Herr Göring = Hübener trotz seines jugendlichen Alters zum Tode und sei- „Der Nazi-Reichsmarschall“, Flugblatt von Helmuth Hübener, 1941, Bundesarchiv ne Freunde zu hohen Haftstrafen. Am 27. Oktober 1942 wurde Helmuth Hübener in Berlin-Plötzensee enthauptet.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 52 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Kreisauer Kreis gen der Kreise und Städte gewählt werden. Die Landtagsabge- ordneten wiederum sollten die Zusammensetzung des Reichs- Im Jahr 1940 bildete sich um Helmuth James Graf von Molt- tags bestimmen. Wählbar sollten hier die männlichen Bürger ke und Peter Graf Yorck von Wartenburg eine Gruppe oppo- über 27 Jahre sein. Frauen sollten ein aktives, für die Landtage sitionell gesinnter Männer und Frauen. Sie stammten aus und den Reichstag jedoch kein passives Wahlrecht besitzen, unterschiedlichen sozialen Schichten und vertraten unter- das heißt, sie konnten in beide Parlamente nicht als Abgeord- schiedliche Grundüberzeugungen. Gemeinsam diskutierten nete gewählt werden. Neben dem Reichstag sollte als Vertre- in größeren und kleineren Gesprächsrunden Katholiken, Pro- tung der Länder ein Reichsrat bestehen mit der Zuständigkeit testanten, Konservative, Liberale und Sozialisten. für Landes- und Standesinteressen. An die Spitze des Staates Zu den Gesprächen traf man sich in den Berliner Wohnun- wollten die Kreisauer einen Reichsverweser stellen, der den gen von Moltke und Yorck sowie auf den Gütern Kreisau (heu- militärischen Oberbefehl führen und das Reich nach außen te Krzyz˙owa in Polen), Klein Öls (heute Oles´nica Mała), Kauern vertreten sollte. (heute Kurznie) und Groß Behnitz. Ziel des Netzwerks, das spä- Im Kreisauer Kreis war das Ausmaß nationalsozialistischer ter von seinen Verfolgern den Namen „Kreisauer Kreis“ erhal- Gewaltverbrechen bekannt. Die Kreisauer wollten die verant- ten sollte, war es, Grundzüge einer geistigen, politischen und wortlichen „Rechtsschänder“ – so ihre Bezeichnung für die am sozialen Neuordnung nach dem Ende des Nationalsozialismus Massenmord Beteiligten – zur Rechenschaft ziehen. Einigkeit zu erarbeiten. Durch Tagungen, Gespräche und Denkschriften herrschte darüber, dass die Berufung auf Befehl und Gehorsam wollten sie sich auf „die Zeit danach“ vorbereiten. keine Rechtfertigung für die Beteiligung an Verbrechen sein Kleinere Arbeitsgruppen erarbeiteten zunächst Entwürfe – konnte. Die Täter sollten nicht an fremde Mächte ausgeliefert, etwa zu den Themen Staat, Kultur, Wirtschaft, Sozialpolitik, sondern vor internationale Gerichtshöfe gestellt werden, de- Agrarpolitik, Außenpolitik und Recht. Mitglieder des engeren nen neben drei Richtern der Siegermächte und zwei Vertre- Kreises standen in Kontakt zu weiteren Fachleuten, die zu tern neutraler Staaten auch ein Richter des besiegten Staates den Entwürfen Stellung nahmen. Lediglich Moltke und Yorck angehören sollte. Die Pflicht zur Wiedergutmachung an den kannten alle Beteiligten. Häufig wurden aus Sicherheitsgrün- Opfern war für die Kreisauer Voraussetzung für die Rückkehr den Decknamen verwendet. Von den Diskussionspapieren der Deutschen in die internationale Staatengemeinschaft. wurden nur wenige Exemplare sicher aufbewahrt. Ab 1943 waren verschiedene Mitglieder des Kreisauer Krei- Im Mai und Oktober 1942 sowie im Juni 1943 wurden im ses entschlossen, sich an Staatsstreichplänen zu beteiligen. Kreisauer Berghaus auf drei größeren Zusammenkünften Ent- Sie standen in engem Kontakt zu Ludwig Beck, Carl Fried- würfe zu den Themen Kirche und Staat, Erziehung, Staats- und rich Goerdeler, Ulrich von Hassell und Claus Schenk Graf von Wirtschaftsaufbau, Außenpolitik und Bestrafung der natio- Stauffenberg. Aufgrund dieser Verbindung wurden die meis- nalsozialistischen Verbrechen diskutiert. Die mit Zustimmung ten Mitglieder des Kreisauer Kreises nach dem 20. Juli 1944 als aller erarbeiteten Ergebnisse wurden in „Grundsätzen für die Mitverschwörer angeklagt und zum Tode verurteilt. Neuordnung“ zusammengefasst. Die Kreisauer wollten das Zusammenleben der Menschen ebenso wie den Staat auf eine neue Basis stellen. Besonders zentral war für sie die Einbettung Deutschlands in eine euro- päische Nachkriegsordnung. Christliche Maßstäbe sollten die Grundlage menschlicher Beziehungen und damit auch des in- neren und äußeren Friedens bilden. Rechtssicherheit, Achtung vor der Menschenwürde, Glaubens- und Gewissensfreiheit verlangten nach der Beseitigung der totalitären politischen Ordnung des Nationalsozialismus. Mit ihren Überlegungen knüpften die Kreisauer an die Überlieferung der klassischen antiken und mittelalterlichen Staatsphilosophie an. Der Staat habe die Voraussetzungen für eine menschenwürdige Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen und auf diese Weise eine gute und gerechte Ord- nung zu gewährleisten. Der Staat sollte zudem den Einzel- nen Mitwirkung ermöglichen und deshalb überschaubar in vier Ebenen – Gemeinde, Kreis, Land, Reich – gegliedert sein. „Landschaftlich zusammengehörige“ Länder mit drei bis fünf Millionen Einwohnern sollten neu gebildet werden. Die Auf- gabenverteilung sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfol- gen: Jede Körperschaft – von der jeweils kleinsten Einheit bzw. untersten Ebene angefangen – sollte all diejenigen Aufgaben erledigen, für die sie zuständig ist und die sie „sinnvollerweise selbst durchführen kann“. Auf der unteren politischen Ebene von Gemeinde und Kreis

sollten nach dem Prinzip der Persönlichkeitswahl Volksvertre- Privatbesitz ter in geheimer und direkter Wahl ermittelt werden. Die „Fa- milienoberhäupter“ sollten für jedes noch nicht wahlberech- Berghaus auf Gut Kreisau, dem Ort der drei Haupttagungen und vieler Treffen des Kreisauer Kreises. In Kreisau finden Pfingsten 1942 und 1943 sowie im Oktober tigte Kind eine zusätzliche Stimme erhalten. Die Mitglieder 1942 drei große Zusammenkünfte statt, auf denen die Neuordnung Deutschlands des Landtags sollten in mittelbarer Wahl von den Vertretun- diskutiert wird.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 53 Privatbesitz Privatbesitz Privatbesitz GDW

freya und helmuth james marion und peter graf yorck graf von moltke von wartenburg

Der 1907 in Kreisau geborene Helmuth James Graf von Moltke Der 1904 in Klein Öls im heutigen Polen geborene Peter Graf studierte ab 1925 in Berlin Rechts- und Staatswissenschaften. 1927 Yorck von Wartenburg bestand 1930 in Berlin sein zweites ju- gehörte er zu den Mitbegründern der Löwenberger Arbeitsge- ristisches Staatsexamen. Im selben Jahr heiratete er die pro- meinschaft, die freiwillige Arbeitslager für Bauern, Arbeiter und movierte Juristin Marion Winter. Nach Tätigkeiten als Anwalt, Studenten organisierte, in denen gemeinsam nach Lösungen als Referent in der „Osthilfe“ und am Oberpräsidium in Breslau zur Verbesserung der Lebensverhältnisse gesucht wurde. Moltke war Yorck von 1936 bis 1942 als Referent für Grundsatzfragen stand den demokratischen Kräften seiner Zeit nahe und verfolgte beim Reichskommissar für die Preisbildung in Berlin tätig. Da Hitlers Aufstieg mit offener Kritik. Da ein Richteramt für ihn des- er sich weigerte, der NSDAP beizutreten, wurde Yorck ab 1938 halb nicht infrage kam, ließ er sich 1935 als Anwalt in Berlin nieder. nicht mehr befördert. Zwischen 1935 und 1938 absolvierte er eine Ausbildung zum bri- Nach den Pogromen gegen die deutschen Juden im Novem- tischen Rechtsanwalt und plante die Übernahme eines Anwalts- ber 1938 rief Yorck einen Gesprächskreis ins Leben, in dem büros in London, die durch den Kriegsbeginn im September 1939 er mit Freunden wie Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg verhindert wurde. Im selben Monat wurde Moltke als Kriegsver- und Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld die waltungsrat in das Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos Grundsätze einer neuen Reichsverfassung erarbeitete. Als Re- der Wehrmacht in Berlin verpflichtet. Als Sachverständiger für serveoffizier wurde er bei Kriegsbeginn eingezogen und wech- Kriegs- und Völkerrecht setzte er sich gegen Unrecht und Will- selte 1942 in den Wirtschaftsstab Ost beim Oberkommando der kür ein. Besonders engagierte er sich für die humane Behandlung Wehrmacht in Berlin. Im Januar 1940 begann seine enge Zu- von Kriegsgefangenen und die Einhaltung des Völkerrechts. sammenarbeit mit Helmuth James Graf von Moltke, mit dem Bereits 1939 verfasste Moltke erste Denkschriften zur politi- er gemeinsam die Gespräche des Kreisauer Kreises, die sehr schen Neuorientierung Deutschlands. Anfang der 1940er-Jahre häufig in Yorcks Wohnung in Berlin-Lichterfelde stattfanden, wurden Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg zu den initiierte und führte. führenden Köpfen des entstehenden Kreisauer Kreises. Als Molt- Yorck gehörte bis zuletzt zum engen Kreis der Verschwörer ke Mitglieder des Widerstandskreises um Hanna Solf vor einer des 20. Juli und war nach einem erfolgreichen Staatsstreich Gestapo-Überwachung warnte und dies entdeckt wurde, nahm als Staatssekretär des Reichskanzlers vorgesehen. Nach dem man ihn am 19. Januar 1944 fest. Der „Volksgerichtshof“ verur- gescheiterten Umsturzversuch wurde Yorck am späten Abend teilte ihn am 11. Januar 1945 zum Tode. Helmuth James Graf von des 20. Juli 1944 im Berliner festgenommen, am Moltke wurde am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt. 8. August 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und Die 1911 geborene Bankierstochter Freya Deichmann besuch- noch am selben Tag in Berlin-Plötzensee ermordet. te nach der Mittleren Reife zunächst eine landwirtschaftliche Die 1904 geborene Marion Winter wuchs als Tochter eines Frauenschule. Später holte sie ihr Abitur nach und promovier- Oberregierungsrates im preußischen Kultusministerium auf. te nach einem Studium der Rechtswissenschaft in Berlin. 1929 Sie nahm ein Studium der Medizin auf, wechselte jedoch schnell lernte sie Helmuth James Graf von Moltke kennen, den sie 1931 zum Fach Rechtswissenschaft. 1928 lernte sie auf einem schlesi- heiratete. 1937 wurde der Sohn Helmuth Caspar geboren, 1941 schen Gut Peter Graf Yorck von Wartenburg kennen. Sie heirate- der zweite Sohn Konrad. Während der Abwesenheit ihres Man- ten Ende Mai 1930 und wohnten zunächst in Breslau, seit 1936 nes führte Freya das Gut in Kreisau. Im täglichen Briefwechsel in der Hortensienstraße in Berlin-Lichterfelde. Marion Gräfin informierte ihr Mann sie über seine Kontakte und Gespräche. Yorck von Wartenburg nahm an den meisten Besprechungen Freya von Moltke war die engste Vertraute ihres Mannes und der Kreisauer teil und ermöglichte viele Treffen in der gemein- nahm regelmäßig an den Zusammenkünften und Diskussionen samen Berliner Privatwohnung. 1944 wurde sie festgenommen. in Kreisau und Berlin teil. Sie schrieb Grundsatzpapiere des Krei- Obwohl sie über die Bestrebungen ihres Mannes informiert ses ab und rettete die Dokumente sowie die Briefe ihres Mannes, war, überstand sie die „Sippenhaft“ und das Kriegsende. die sie in ihren Bienenstöcken auf dem Gut Kreisau versteckte. Ihr Einsatz blieb der Gestapo verborgen. Im Gegensatz zu ihrem Mann, um dessen Freilassung sie sich erfolglos bemühte, konnte sie das Kriegsende überleben.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 54 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

pendium in Oxford. 1933 kehrte Trott tragter des Kreisauer Kreises. Dabei über- nach Deutschland zurück und legte 1936 mittelte er den Westalliierten verschie- die zweite juristische Staatsprüfung ab. dene Memoranden. Während der dritten 1937/38 konnte er in den USA, ein Jahr Kreisauer Haupttagung 1943 leitete er die im Rahmen eines Stipendiums in Diskussion über die Grundlagen künftiger und Ostasien verbringen. Bei seinen Aus- deutscher Außenpolitik. landsaufenthalten traf Trott auch immer Nach dem gescheiterten Attentat vom wieder mit Gegnern des NS-Regimes zu- 20. Juli 1944 blieb Trott, der für eine lei- sammen. Anfang 1937 lernte er in Oxford tende Funktion im Auswärtigen Amt vor- Helmuth James Graf von Moltke, 1940 gesehen war, zunächst unbehelligt. Seine Peter Graf Yorck von Wartenburg kennen, Festnahme erfolgte erst fünf Tage später, mit denen er ab 1941 als zentrales Mitglied als seine Verbindungen zu Claus Schenk

Privatbesitz des Kreisauer Kreises eng zusammenar- Graf von Stauffenberg entdeckt wurden. beitete. Adam von Trott zu Solz wurde am 15. Au- Im Frühjahr 1940 wurde Trott als Mitar- gust 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum adam von trott zu solz beiter der Informationsabteilung des Aus- Tode verurteilt und am 26. August 1944 in Der Jurist Adam von Trott zu Solz, 1909 wärtigen Amtes eingestellt. Trott unter- Berlin-Plötzensee erhängt. geboren, bewarb sich nach seiner Promo- nahm noch 1944 Reisen ins Ausland und tion 1931 erfolgreich um ein Rhodes-Sti- verstand sich als außenpolitischer Beauf-

schloss sich bereits in dieser Zeit der SPD Haubach stieß 1941 zum Kreisauer Kreis an. Er gehörte zu den Mitbegründern des und nahm im Herbst 1942 an der zwei- republikanischen Schutzverbandes Reichs- ten Kreisauer Haupttagung teil. In den banner Schwarz-Rot-Gold. Planungen der Widerstandskämpfer des 1927 wurde er in die Hamburger Bürger- 20. Juli 1944 war er als Regierungssprecher schaft gewählt, 1929 Pressereferent des vorgesehen. Reichsinnenministers Carl Severing, 1930 Nach erfolgter Festnahme am 9. August des Berliner Polizeipräsidenten Albert 1944 stand der während der Haft schwer Grzezinski. Zwischen 1930 und 1933 betei- Erkrankte am 9. Januar 1945 gemeinsam ligte sich Haubach intensiv an den Diskus- mit weiteren Angehörigen des Kreisauer sionen im Kreis der Religiösen Sozialisten. Kreises vor dem „Volksgerichtshof“. Das Nach der Machtübernahme der Nati- Verfahren gegen ihn wurde jedoch abge-

Privatbesitz onalsozialisten wurde er kurze Zeit in- trennt. haftiert und versuchte nach seiner Haf- Theodor Haubach wurde am 15. Januar tentlassung, die Verbindungen zwischen 1945 zum Tode verurteilt und am 23. Januar theodor haubach Gewerkschaften, Reichsbanner und SPD 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt. 1896 geboren, wuchs Theodor Haubach in aufrechtzuerhalten. Am 24. November 1934 Darmstadt als Halbwaise auf. Ab 1919 stu- wurde er erneut festgenommen und bis dierte er Philosophie und Soziologie und Mai 1936 im KZ Esterwegen festgehalten.

gelisch erzogen, besuchte er zwischen Verhältnis von Kirche und Arbeiterschaft 1922 und 1926 das Bischöfliche Konvikt in nachgedacht habe, führte Pater Augus- Dieburg und arbeitete aktiv in der katho- tin Rösch Delp in den Kreisauer Freun- lischen Jugendbewegung mit. Nach ei- deskreis ein. Delp nahm ab dem Sommer nem Noviziat im Jesuitenorden studierte 1942 an zahlreichen Besprechungen so- Delp Philosophie und war anschließend wie an der zweiten und dritten Kreisau- Jugenderzieher im Internat des Jesuiten- er Tagung teil, legte Denkschriften über kollegs in Feldkirch und Präfekt am Jesu- Themen wie die „Arbeiterfrage“ und das itenkolleg St. Blasien. „Bauerntum“ vor und konnte Grundlini- 1934 begann Delp ein Theologiestudi- en der katholischen Soziallehre in die um und empfing 1937 die Priesterweihe. Neuordnungspläne einfließen lassen. Er Ab 1939 bis zu ihrem Verbot 1941 war er stellte auch wichtige Kontakte zu ande-

Privatbesitz Redakteur der Kulturzeitschrift des Jesu- ren kirchlichen Kreisen her. itenordens, „Stimmen der Zeit“, danach Am 28. Juli 1944 wurde Alfred Delp in Seelsorger in der Filialgemeinde St. Ge- München festgenommen, am 11. Januar alfred delp org in München-Bogenhausen. 1945 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode Alfred Delp wurde 1907 als ältestes von Auf die Bitte Helmuth James Graf von verurteilt und am 2. Februar 1945 in Ber- sechs Kindern einer gemischt-konfessi- Moltkes, den Kontakt zu einem Katholi- lin-Plötzensee erhängt. onellen Familie geboren. Zunächst evan- ken zu vermitteln, der intensiv über das

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 55

Aktionsprogramm zur Rettung Deutschlands Am heutigen Tag, dem Pfingstmontag 1943, haben die Unter- Noch hat das deutsche Volk keine Möglichkeit, seine Stimme zu zeichneten feierlich beschlossen, ihr gemeinsames Handeln als erheben. Umso lauter rufen die Ruinen und Gräber zur Samm- Sozialistische Aktion durch die Aufstellung des nachstehenden lung, zur Aktion! Es gilt zu handeln, ehe unsere Heimat ganz Aktionsprogramms zu bekräftigen. zerstört und der Zusammenbruch vollständig ist. Nur die Ein- Die Sozialistische Aktion ist eine überparteiliche Volksbewe- heitsfront aller Feinde des Nationalsozialismus kann diese Tat gung zur Rettung Deutschlands. vollbringen. Sie kämpft für die Befreiung des deutschen Volkes von der Im Gedenken an die Toten des Krieges und die Märtyrer der Hitlerdiktatur, für die Wiederherstellung seiner durch die Ver- Freiheit, die vom Machtwahn des Faschismus hingemordet brechen des Nazismus niedergetretenen Ehre und für seine wurden, und an die Leiden unserer Soldaten geloben wir: Freiheit in der sozialistischen Ordnung. Nie wieder soll das deutsche Volk sich im Parteienstreit verirren! Den Aktionsausschuss bilden Vertreter der christlichen Kräf- Nie wieder darf die Arbeiterschaft sich im Bruderkampf zer- te, der sozialistischen Bewegung, der kommunistischen Bewe- fleischen! gung und der liberalen Kräfte als Ausdruck der Geschlossenheit Nie wieder Diktatur und Sklaverei! und Einheit. Ein neues Deutschland muss erstehen, worin sich das schaf- Der Kampf wird geführt unter dem Banner der Sozialisti- fende Volk sein Leben im Geist wahrer Freiheit selbst ordnet. schen Aktion, der roten Fahne mit dem Symbol der Freiheit: Der Nationalsozialismus und seine Lügen müssen mit Stumpf dem mit dem Kreuz vereinten sozialistischen Ring als Zeichen und Stiel ausgerottet werden, damit wir die Achtung vor uns der unverbrüchlichen Einigkeit des arbeitenden Volkes. selbst zurückgewinnen und der deutsche Name wieder ehrlich Die Sozialistische Aktion ruft in dieser schweren Stunde das wird in der Welt. Das Gebot der Stunde lautet: Fort mit Hitler! arbeitende Volk in Stadt und Land und unsere tapferen Solda- Kampf für Gerechtigkeit und Frieden! ten zum Kampf auf in der Überzeugung, dass die Rettung des Schwere Jahre stehen uns bevor. Fast übersteigt es Men- gemeinsamen Vaterlandes vor politischem, moralischem und schenkraft, das wieder aufzurichten, was Hitlers Machtwahn wirtschaftlichem Verfall nur möglich ist durch: und der Krieg vernichtet haben. 1. Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit. Dennoch! Die Sozialistische Aktion geht entschlossen an die 2. Beseitigung des Gewissenszwanges und unbedingte Tole- Aufgabe heran. Sie ruft alle aufrechten Deutschen zu ehrlicher ranz in Glaubens-, Rassen- und Nationalitätenfragen. Mitarbeit: Wir werden unsere ganze Kraft einsetzen, unser 3. Achtung vor den Grundlagen unserer Kultur, die ohne das ganzes Können, unser ganzes Selbstvertrauen; und werden da- Christentum nicht denkbar ist. durch schließlich vor der Geschichte den Beweis erbringen, dass 4. Sozialistische Ordnung der Wirtschaft, um Menschenwürde wir doch stärker sind als unser Schicksal, indem wir es meistern. und politische Freiheit zu verwirklichen und die Existenz- Entwurf eines Aktionsprogramms zur Schaffung einer überparteilichen Volksbewegung, sicherheit der Angestellten und Arbeiter in Industrie und vermutlich verfasst von den sozialdemokratischen Mitgliedern des Kreisauer Kreises Landwirtschaft sowie des Bauern auf seiner Scholle zu schaf- Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Julius Leber zur Zeit der dritten Kreisauer Tagung am 14. Juni 1943 fen, die die Voraussetzung von sozialer Gerechtigkeit und Freiheit ist. 5. Enteignung der Schlüsselbetriebe der Schwerindustrie zu Der gerechte Staat Gunsten des deutschen Volkes als Grundlage der sozialisti- Die letzte Bestimmung des Staates ist es daher, der Hüter der Frei- schen Ordnung der Wirtschaft, um mit dem verderblichen heit des Einzelmenschen zu sein. Dann ist es ein gerechter Staat. Missbrauch der politischen Macht des Großkapitals Schluss Aus einem Brief von Helmuth James Graf von Moltke an seinen Freund Peter Graf Yorck zu machen. von Wartenburg vom 17. Juni 1940 6. Selbstverwaltung der Wirtschaft unter gleichberechtigter Mitwirkung des arbeitenden Volkes als Grundelement der sozialistischen Ordnung. Die Notwendigkeit der Alternative 7. Sicherung der Landwirtschaft vor der Gefahr, zum Spielball Man kann eine Regierung nur beseitigen, wenn man eine an- kapitalistischer Interessen zu werden. dere Regierung anzubieten hat. Demnach kann mit der Zerstö- 8. Abbau des bürokratischen Zentralismus und organischer rung des Dritten Reiches erst begonnen werden, wenn man zu- Aufbau des Reiches aus den Ländern. mindest imstande ist, eine Alternative vorzuschlagen. 9. Aufrichtige Zusammenarbeit mit allen Völkern, insbesonde- Helmuth James Graf von Moltke in einem Brief an den britischen Beamten Lionel Curtis re in Europa mit Großbritannien und Sowjetrussland. vom 25. März 1943

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 56 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 alliierte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht engte seit 1943 die Verhandlungs- Nach dem Abbruch des Umsturzversuchs im Herbst 1938 möglichkeiten oppositioneller Kräfte zusätzlich ein. bemühten sich die Kreise der nationalkonservativen-militä- rischen Opposition, neue Strukturen aufzubauen und neue Zentren des militärischen Widerstands Kontakte zu knüpfen. Vor dem Hintergrund der umfassen- Die NS-Führung wollte seit Sommer 1941 nicht nur die deut- den Zustimmung der Bevölkerung zur Politik Hitlers gelang sche Vorherrschaft in Europa sichern, sondern führte einen es allerdings weder im Herbst 1939 noch in der Zeit nach dem Vernichtungs- und Weltanschauungskrieg gegen die Sowjet- deutschen Sieg über Frankreich im Sommer 1940, Überle- union. Neben den gnadenlosen Kampf gegen den Kommu- gungen für einen Staatsstreich konkrete Planungen folgen nismus trat auch der Völkermord an den Juden Europas als zu lassen. wesentliches Kriegsziel. Von Anbeginn des Krieges waren die Gegner Hitlers versuchten auch nach dem deutschen Über- deutsche Wehrmacht und mit ihr auch Einzelne, die später zu fall auf Polen im September 1939 wiederholt, die Regierungen Regimegegnern wurden, an Gewalt- und Kriegsverbrechen be- in London und Paris über die Existenz einer Opposition und teiligt. Selten wurde Widerspruch erhoben. Erst im Laufe der deren Ziele in Kenntnis zu setzen. Im Februar 1940 übergab der Jahre überwanden manche Offiziere ihre loyale Haltung bzw. Diplomat Ulrich von Hassell in Arosa/Schweiz James Byrns, der ihre Übereinstimmung mit dem Regime und entschieden sich dem britischen Außenminister Lord Halifax nahestand, ein in diesem Gewissenskonflikt gegen Eid, Befehl und Gehorsam Memorandum über die Friedensbestrebungen der deutschen und für den Widerstand. Opposition. Auch über ihren Verbindungsmann zum Vati- Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 kan, den katholischen Rechtsanwalt Josef Müller, suchten sie bildeten sich drei erkennbare Zentren militärischer Wider- 1939/40, die Möglichkeiten für einen Verständigungsfrieden standsaktivitäten: mit England auszuloten. Hans von Dohnanyi, der Schwager In der von Admiral geleiteten Abwehr, des Theologen Dietrich Bonhoeffer, nutzte seine Tätigkeit als dem militärischen Nachrichtendienst, sammelten sich um Mitarbeiter des Amts Ausland/Abwehr des Oberkommandos Hans Oster und Hans von Dohnanyi weitere entschlossene der Wehrmacht, um ausländische Kreise über den Widerstand Gegner des nationalsozialistischen Regimes, die – wie Dietrich in Deutschland und dessen Ziele zu informieren, genauso wie Bonhoeffer, Otto Carl Kiep, Justus Delbrück oder Karl Ludwig Adam von Trott zu Solz, der als Mitarbeiter des Auswärtigen Freiherr von und zu Guttenberg – gezielt für diese Dienststel- Amtes viele Auslandsreisen unternehmen konnte. le angefordert wurden. Offiziell im Dienste des NS-Staates Doch all ihre Bemühungen scheiterten daran, dass sie im angestellt, ermöglichten Dohnanyi und Oster 1942 mit der Ausland nicht als Vertreter eines „anderen Deutschlands“ res- Unterstützung von Canaris verfolgten Juden die Flucht in die pektiert und als Verhandlungspartner anerkannt wurden. Die Schweiz. Privatbesitz

Lagebesprechung beim Stab der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront 1943, wo sich um Henning von Tresckow eine der stärksten militärischen Oppositionsgruppen sammelt. V. l.: Hauptmann Friedhelm Graf von Matuschka, Oberleutnant Risler, Oberstleutnant Berndt von Kleist, Oberst i. G. Georg Schulze-Büttger, Major i. G. Pretzell, Oberst i. G. Henning von Tresckow, Oberleutnant Kahlenberg, Leutnant Genth, Oberleutnant Fabian von Schlabrendorff

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 57

In der Heeresgruppe Mitte unterhielt seit Herbst 1941 Oberst im Generalstab (i. G.) Henning von Tresckow Kontakte zu op- positionellen Offizieren. Abgestoßen durch die rücksichtslose Kriegsführung, kritisierte er unfähige Befehlshaber und war sehr gut über die Verbrechen informiert, die bei der „Partisa- nenbekämpfung“ und durch die „Einsatzgruppen des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD“ begangen wurden. Tres- ckow gelang es, einzelne Kontakte zwischen dem Allgemei- nen Heeresamt im Berliner Bendlerblock und hohen Offizieren an der Ostfront zu vermitteln. Er war überzeugt, man müsse „Hitler wie einen tollen Hund abschießen“. Dies rechtfertigte er als Notwehr und sittliche Verpflichtung. Tresckow konnte einige seiner Kameraden dafür gewinnen, unter Einsatz ihres Lebens Attentatsversuche auf Hitler aus- zuführen. So erklärten sich 1943 die Brüder Philipp und Georg Freiherren von Boeselager bereit, Hitler bei einem Frontbe- such zu töten, was aber Generalfeldmarschall von Kluge ver- bot, weil er bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen Heer und SS befürchtete. Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff plante, sich am 21. März 1943 im Berliner Zeughaus mit Hit-

ler in die Luft zu sprengen. Sein Attentatsversuch scheiter- Privatbesitz te, weil Hitler sich nur überraschend kurz dort aufhielt. Im Besichtigung des Kavallerieregiments Mitte durch Generalfeldmarschall Günther Herbst 1943 war Axel Freiherr von dem Bussche bereit, sich von Kluge (M.), Rittmeister Philipp Freiherr von Boeselager (l.) und Major Georg bei der Präsentation neuer Uniformen zusammen mit Hitler Freiherr von Boeselager (r.). Beide Brüder erklären sich 1943 bereit, Hitler bei einem zu töten. Die Begegnung kam nicht zustande, weil die Unifor- Frontbesuch zu töten. men bei einem Luftangriff auf Berlin zerstört wurden. Ein weiteres Zentrum der militärischen Opposition bilde- te sich um Friedrich Olbricht, seit 1940 Chef des Allgemeinen Heeresamtes im Oberkommando des Heeres in Berlin. In sei- nem Stab wurden Pläne für den Fall innerer Unruhen oder von Aufständen von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus- gearbeitet. Dabei sollten die vollziehende Gewalt im Reich und die militärische Kommandogewalt auf den Befehlshaber des Ersatzheeres, Friedrich Fromm, übergehen. Olbricht stimmte sich mit den Widerstandskreisen um Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler ab und betrieb die Ausarbeitung und Um- wandlung dieser Notfallpläne in Instrumente für einen Um- sturz. „Walküre“ war die Bezeichnung für diese Pläne, zu deren Präzisierung Olbricht systematisch Regimegegner in seinen Stab holte. Im Herbst 1943 forderte er Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Stabschef für das Allgemeine Heeresamt an. Gemeinsam mit Tresckow bereitete dieser den Umsturzver- such vor, der die NS-Herrschaft beseitigen sollte.

Motive und Zielvorstellungen Privatbesitz Die Motive der militärischen Opposition gegen Hitler, die in Seit November 1939 ist der Reserveoffizier Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 mündeten, waren Schwanenfeld (r.) ein enger Mitarbeiter des späteren Generalfeldmarschalls und Oberbefehlshabers West Erwin von Witzleben (l.). vielfältig und durchaus nicht widerspruchsfrei. Die weltan- schaulichen Überzeugungen der Verschwörer umfassten ein Im März 1943 holt Hans Oster Schwerin nach Berlin, wo er sich in vielfältiger Wei- se an den Staatsstreichvorbereitungen beteiligt. Vorgesehen als Staatssekretär breites Spektrum von Ideen und Vorstellungen. Ewald von des designierten Staatsoberhauptes Ludwig Beck, gehört Schwerin bis zuletzt zum Kleist-Schmenzin sprach sich bereits 1933 scharf gegen die engsten Kreis der Verschwörer. nationalsozialistische Diktatur aus. Für viele Offiziere waren jedoch auch militärfachliche Probleme von großer Bedeutung, etwa die aus ihrer Sicht operativ falsche Kriegführung. Fried- sie jedes Risiko einzugehen bereit waren, um auf diese Weise rich Karl Klausing betonte in einer Vernehmung im August den Verbrechen ein Ende zu setzen. Ulrich-Wilhelm Graf von 1944: „Nach unserer Meinung waren diejenigen Offiziere, die Schwerin von Schwanenfeld konfrontierte Roland Freisler, den die Lage offen und wahr schilderten, abgesetzt worden. Des- Präsidenten des „Volksgerichtshofs“, noch im Prozess mit den halb haben wir eine Änderung in der Führung der deutschen „vielen Morden“ der nationalsozialistischen Besatzungsherr- Wehrmacht für erstrebenswert gehalten.“ schaft. Axel Freiherr von dem Bussche war zum Attentat auf Hitler bereit, nachdem er eine Massenerschießung von Juden beob- achtet hatte. Auch viele andere Widerstandskämpfer waren über die nationalsozialistischen Gewalttaten so entsetzt, dass

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 58 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Der 20. Juli 1944 war kein „Militärputsch“. Die beteiligten Offi- tät des Rechts“. Dies hieß nach mehr als elf Jahren Diktatur ziere und Soldaten erkannten immer das Primat der Politik an. in Deutschland die Wiedererrichtung des Rechtsstaates als Zwar lag ihnen eine Demokratie nach dem Vorbild der Weima- Garant der unveräußerlichen Menschenrechte. Recht gegen rer Republik eher fern, doch wollten sie keine Militärjunta an Gewalt, nicht Gewalt gegen Gewalt war eine zentrale For- die Spitze des Staates stellen. Vielmehr sollte Deutschland von derung. In den Plänen der Verschwörer für die vorläufige der Diktatur befreit, der Krieg beendet und es sollten neue po- Besetzung von Regierungsämtern waren Ludwig Beck als litische Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Militäri- Staatsoberhaupt und Carl Friedrich Goerdeler als Reichskanz- sche Macht war Mittel, nicht Ziel des Umsturzversuches. Die ler vorgesehen. Für den Posten als Vizekanzler war Wilhelm drohende militärische Niederlage, die politische Isolation des Leuschner im Gespräch. Doch all dies waren vorläufige Pla- Deutschen Reiches, der Wunsch, die Substanz des deutschen nungen. Nationalstaats zu bewahren, vor allem aber auch der Wille, Die Widerstandskämpfer der Gruppen des 20. Juli 1944 wa- die NS-Gewaltverbrechen zu beenden, stellten unverkennbar ren darin einig, dass sich die Deutschen nach dem Ende des wichtige Motive vieler Widerstandskämpfer dar. Krieges der Verantwortung für das Unrecht stellen mussten, Die Gegner Hitlers, die den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 das sie den Völkern Europas und vor allem den Juden ange- vorbereiteten, mussten sich fortlaufend über ihre unterschiedli- tan hatten. Nach dem Völkermord an den europäischen Ju- chen außen- und innenpolitischen Zielvorstellungen verständi- den, an den Sinti und Roma und nach den anderen Verbre- gen. Dies betraf auch die Umsturzplanungen von militärischer chen in den besetzten Gebieten war für sie nichts anderes und ziviler Seite, die miteinander verzahnt werden mussten. So denkbar. In der für den 20. Juli 1944 geplanten Regierungs- hatten schon 1940, als es noch keine reale Chance für einen Um- erklärung hieß es deshalb: „Zur Sicherung des Rechts und sturzversuch gab, Johannes Popitz und Ulrich von Hassell den des Anstandes gehört die anständige Behandlung aller Men- Entwurf für ein „Gesetz über die Wiederherstellung geordneter schen. Die Judenverfolgung, die sich in den unmenschlichs- Verhältnisse im Staats- und Rechtsleben (Vorläufiges Staats- ten und unbarmherzigsten, tief beschämenden und gar nicht grundgesetz)“ vorgelegt, das den Rechtsstaat wiederherstellen wiedergutzumachenden Formen vollzogen hat, ist sofort und die Verfolgung der Juden beenden sollte. eingestellt.“ Zur Diskussion standen der Verwaltungsaufbau, die Glie- Auf dem Feld der Außenpolitik waren viele konservative derung der Wehrmachtsspitze, die Grundlinien sozialer Poli- Gegner der Nationalsozialisten noch durch die Traditionen tik sowie der Kultur-, Wirtschafts- und Außenpolitik ebenso machtstaatlichen Denkens geprägt. Sie hatten deshalb in der wie die Zusammensetzung einer neuen Regierung nach dem frühen Kriegsphase selbstbewusst die Interessen des deut- Sturz des NS-Regimes. Die Debatten und Gespräche spiegelten schen Reiches gegenüber den Staaten Europas durchsetzen die unterschiedlichen Traditionen politischen Denkens wider. wollen. Einige unterstützten frühzeitig den Diplomaten Ul- Sozialdemokratische Vorstellungen, wie sie etwa Julius Leber rich von Hassell, der einen Ausgleich mit den Westmächten und Wilhelm Leuschner einbrachten, mussten mit konservati- anstrebte, um so eine Position der Stärke gegenüber der Sow- veren Ordnungsvorstellungen, wie sie bei Carl Friedrich Goer- jetunion zu gewinnen. Andere folgten dem Plan des langjähri- deler und Johannes Popitz vorherrschten, in Einklang gebracht gen deutschen Botschafters in Moskau, Friedrich-Werner Graf werden. Doch allen Beteiligten war klar, dass sie die politische von der Schulenburg, der eine Verständigung mit der Sowjet- Situation nach einem gelungenen Umsturzversuch nicht vor- union suchte. her bestimmen konnten. Politische Zielsetzungen hatten da- Jüngere Diplomaten wie Adam von Trott zu Solz, Hans- her immer provisorischen Charakter und hätten sich der po- Bernd von Haeften und andere Mitglieder des Kreisauer Krei- litischen Realität nach einem erfolgreichen Umsturz stellen ses wollten dagegen den Nationalstaat überwinden und ent- müssen. wickelten den Gedanken einer europäischen Konföderation. Ihre gemeinsamen Grundüberzeugungen halfen den Wi- Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts wollten sie derstandskämpfern, politische Meinungsverschiedenheiten eine Friedensordnung schaffen, die auf gegenseitigem Ver- zu überwinden. In der gemeinsamen Gegnerschaft zum nati- trauen aufgebaut sein sollte und so Wettrüsten und Angriffs- onalsozialistischen Unrechtsstaat überschritten sie die engen kriege unmöglich machte. Grenzen des obrigkeitsstaatlichen Denkens und des außen- Dabei sollte Deutschland über die eigenen territorialen In- politischen Hegemonialstrebens. Aus dem Geist des Wider- teressen hinaus eine besondere Verpflichtung für Frieden stands entstand so ein Gegenbild zum totalitären „Dritten und politische Ordnung im Rahmen einer europäischen Kon- Reich“, das viele Widerstandskämpfer später auch vor dem föderation übernehmen. Nach einem sofort anzustrebenden „Volksgerichtshof“ verteidigten. Sie traten für die Menschen- Waffenstillstand sollte der Friedensschluss die Völker Europas würde als höchsten politischen Grundwert ein und bestritten miteinander versöhnen und die Grundlage für eine neue Frie- dem Staat das Recht, über Leben und Gewissen seiner Bürge- densordnung schaffen. Aus dem Wunsch, ein von allen Staa- rinnen und Bürger zu verfügen. ten respektiertes Friedenssystem zu bilden, entwickelte sich Grundlegendes Motiv des Umsturzversuches vom 20. Juli ein zukunftsweisendes Bewusstsein von Europa als neuer po- 1944 war die „Wiederherstellung der vollkommenen Majes- litischer Einheit auf föderaler Grundlage.

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Claus Schenk Graf von Stauffenberg und der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944

Claus Schenk Graf von Stauffenberg wurde am 15. November 1907 in Jettingen geboren und besuchte wie seine zwei Jahre älteren Brüder, die Zwillinge Alexander und Berthold, das Eber- hard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart. Seit 1923 zählten die drei Brüder zum Kreis des Dichters Stefan George. Sie verstanden sich als Teil einer verantwor- tungsbewussten Elite und als Vorkämpfer für ein „geheimes Deutschland“, das am Denken des Dichters ausgerichtet sein sollte. Georges Tod im Dezember 1933 erschütterte , Verse des Lyrikers dienten ihm in späterer Zeit als Maximen seines Handelns und Verhaltens. Doch auch Grundsätze des katholischen Christentums waren tief in Stauffenberg verankert. Eine enge Freundschaft verband ihn mit den Bildhauern Ludwig Thormaehlen und Frank Mehnert, die er aus dem Kreis um Stefan George kannte. Nachdem er seine militärische Generalstabsausbildung 1926 begonnen hatte und im Mai 1933 zum Leutnant ernannt worden war, heiratete Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Septem- ber 1933 Nina Freiin von Lerchenfeld. Zu seinen Kindern hatte der Vater ein enges und herzliches Verhältnis. Stauffenberg war ein besonders begabter Offizier. Dem Natio- nalsozialismus stand er anfänglich positiv gegenüber und be- grüßte die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Nach Front- Privatbesitz einsätzen in Polen und Frankreich wurde er 1941 zum General V. l.: Oberst i. G. Reinhard Gehlen, Oberstleutnant i.G. Coelestin von Zitzewitz und stab des Heeres versetzt. Doch 1942 kritisierte er nicht nur Hitlers Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf der Fahrt nach Winniza, Sommer 1942 Kriegsführung und dessen strategische Entscheidungen, son- dern hatte sich grundsätzlich vom NS-System abgewandt. Die völkerrechtswidrige Kriegsführung, der Massenmord an den Juden und die Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten ließen ihn im Sommer 1942 zu dem Schluss kommen, dass ein Umsturzversuch und ein Attentat auf Hitler zwingend notwendig waren.

Umsturzvorbereitungen Im Februar 1943 wurde Stauffenberg nach Nordafrika versetzt und dort am 7. April 1943 schwer verwundet. Er verlor die rech- te Hand, den kleinen und den Ringfinger der linken Hand so- wie das linke Auge. Kurz vor der Kapitulation der deutschen Afrika-Truppen konnte er über Italien ins Lazarett nach Mün- chen gebracht werden. Nach seiner Genesung war Stauffenberg ab Mitte Septem- ber 1943 Chef des Stabes im Allgemeinen Heeresamt unter Ge- neral Friedrich Olbricht. Zu diesem Zeitpunkt zählte er bereits zum engsten Kreis der entschlossenen Verschwörer und nutz- te seine Position für die weiteren Attentats- und Umsturzvor- bereitungen. Stauffenbergs persönliche Ausstrahlung war groß, seine fachliche Kompetenz anerkannt. So führte er viele Gegner des Regimes zusammen und fand unter ihnen enge Freunde. Peter

Graf Yorck von Wartenburg vermittelte ihm den Kontakt zum Bild 146-1984-079-02 Bundesarchiv, früheren sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Julius Claus Schenk Graf von Stauffenberg (l.), Adolf Hitler und Generalfeldmarschall Leber, der ebenso wie Yorck und Adam von Trott zu Solz zum (r.), Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, im „Führerhaupt- Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke zählte. quartier Wolfschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen, 15. Juli 1944 Auch mit Vertretern der Gewerkschaftsbewegung wie Wilhelm Stauffenberg plant den Anschlag auf Hitler bereits für den 15. Juli 1944. Doch Hit- Leuschner, Jakob Kaiser, Hermann Maaß und Max Habermann ler verlässt die Lagebesprechung, bevor Stauffenberg die letzten Abstimmungen führte Stauffenberg im Herbst 1943 intensive Gespräche. Mit mit den Verschwörern in Berlin abgeschlossen hat und den Sprengkörper scharf Stauffenbergs Wissen sprachen Julius Leber und Adolf Reich- machen kann. In Berlin löst General Friedrich Olbricht an diesem Tag die Opera- tion „Walküre“ aus, in deren Verlauf wichtige Schaltstellen von Staat, NSDAP und wein im Juni 1944 mit kommunistischen Widerstandskämp- Wehrmacht in Berlin besetzt werden sollen. Olbricht kann sie nur mühsam abbre- fern in Berlin. chen und nachträglich als Probealarm tarnen.

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Attentat und Umsturzversuch Stauffenberg flog am Morgen des 20. Juli gemeinsam mit sei- Die Lagebesprechungen Hitlers schienen eine Möglichkeit nem Adjutanten Werner von Haeften zum „Führerhauptquar- zu bieten, den Diktator auszuschalten. Deshalb konzentrierte tier Wolfschanze“ in Rastenburg (heute Ke¸trzyn). Dabei behielt sich Stauffenberg nach mehreren misslungenen Attentatsver- er die Tasche mit dem Sprengstoff stets in seiner Nähe. Kurz suchen anderer und Verhaftungen prominenter Mitverschwö- vor 12.30 Uhr zog er sich unter einem Vorwand zurück und rer wie Julius Leber und Adolf Reichwein darauf, Hitler durch zerdrückte mit einer Zange die Säureampulle eines Zeitzün- einen Bombenanschlag im Führerhauptquartier zu töten. Seit ders. Da er dabei gestört und zur Lagebesprechung gerufen Mitte Juni 1944 hatte er als Stabschef des Befehlshabers des wurde, gelang es ihm nicht mehr, das zweite Sprengstoffpaket Ersatzheeres dort Zugang. Obwohl er persönlich die Tat aus- scharf zu machen. Es verblieb in der Tasche Werner von Haef- führen wollte, blieb Stauffenberg auf die Unterstützung seiner tens, der es kurz darauf bei der Flucht aus dem Wagen warf. Freunde angewiesen: Sprengstoff musste beschafft und trans- Stauffenberg konnte den Sprengkörper unter dem Karten- portiert werden, die Flucht aus dem Hauptquartier vorbereitet tisch in der Nähe von Hitlers Standort ablegen. Danach verließ und eine weitgehende Nachrichtensperre verhängt werden. er unbemerkt den Raum und beobachtete aus einiger Entfer- Erst dadurch entstand die Chance, das Attentat in einen Um- nung die Detonation gegen 12.42 Uhr. Unglückliche Zufälle sturz des Systems münden zu lassen, der unter dem Stichwort verhinderten den Erfolg des Anschlags: Hitler blieb am Leben. „Operation Walküre“ vorbereitet wurde. Der schwere Eichentisch, über den er sich zum Zeitpunkt der Die Bombe, die Stauffenberg am 20. Juli in seiner Aktentasche Explosion beugte, hatte seinen Körper geschützt. Zudem hatte bei sich trug, enthielt zwei Sprengstoffpakete mit chemischen die Besprechung nicht im Bunker, sondern in einer Baracke in Zeitzündern. Hauptmann Wessel Freiherr Freytag von Loring- Leichtbauweise stattgefunden, wo die Explosionskraft des ei- hoven verfügte als Chef der Abteilung Sabotage im Amt nen Sprengstoffpakets nicht ausreichend war und viel von ihr Ausland/Abwehr über Zugang zu Sprengmaterial. Er hatte nach außen entwich. den Sprengstoff für die Attentäter beschafft und Oberstleut- Stauffenberg glaubte jedoch, dass sein Attentat gelungen nant Fritz von der Lancken in Potsdam zur Verwahrung ge- war. Er konnte das „Hauptquartier“ im letzten Moment vor der geben. Von dort war die Aktentasche mit zwei verschnürten Abriegelung verlassen und flog nach Berlin, um dort im Ober- Sprengstoffpaketen am Nachmittag des 19. Juli 1944 zur Woh- kommando des Heeres in der Bendlerstraße, der Zentrale der nung Stauffenbergs in Berlin gebracht worden. Verschwörung, den Umsturzversuch voranzutreiben. Bundesarchiv, Bild 146-1972-025-12 Bundesarchiv,

Der zerstörte Besprechungsraum im „Führerhauptquartier Wolfschanze“ nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Alle 24 Personen, die sich zum Zeitpunkt der Explo- sion in diesem Raum aufhalten, werden verwundet. Vier von ihnen erliegen später ihren Verletzungen, Hitler überlebt den Anschlag nur leicht verletzt.

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„Walküre“ Viele Offiziere in den entscheidenden Positionen im Bendler- Um 15.15 Uhr erreichte die erste Nachricht vom Anschlag das block und in den Wehrkreisen beriefen sich jetzt auf ihren Eid Allgemeine Heeresamt im Bendlerblock, um 15.45 Uhr meldete und bekannten sich zu Hitler. Friedrich Fromm, Befehlshaber Werner von Haeften telefonisch, Hitler sei tot. Doch die dor- des Ersatzheeres, hatte den Verschwörern verweigert, den Be- tigen Mitverschworenen hatten keine gesicherten Informa- fehl zur Auslösung der Operation „Walküre“ zu unterschrei- tionen und warteten ab. Erst gegen 16.00 Uhr wurde von Al- ben, wozu nur er berechtigt war. Daraufhin hatten ihn die brecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht die Verschwörer festgesetzt. Gegen 22 Uhr wurde er durch regime- Operation „Walküre“ ausgelöst. Die vollziehende Gewalt soll- treue Offiziere befreit und befahl am späten Abend, Claus te nun auf Generaloberst Friedrich Fromm, den Befehlshaber Schenk Graf von Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht des Ersatzheeres, übergehen, der sein Hauptquartier im Bend- Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht im Innen- lerblock hatte. Außerdem mussten wichtige Schaltstellen der hof des Bendlerblocks zu erschießen. Ludwig Beck war kurz Macht und des Nachrichtenwesens besetzt und gesichert wer- zuvor nach einem missglückten Selbstmordversuch auf Befehl den. Kurz darauf trafen Stauffenberg und Haeften im Bendler- Fromms erschossen worden. block ein. In den folgenden Stunden versuchten Stauffenberg, Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 erreichte der Mertz, Beck und Olbricht verzweifelt, Unterstützung für den nationalsozialistische Terror in Deutschland einen neuen Hö- Umsturzversuch zu erhalten. hepunkt. Eine von der Gestapo eingesetzte „Sonderkommissi- Die „Walküre“-Pläne boten den Verschwörern eine fast per- on 20. Juli 1944“ nahm mehr als 600 Menschen fest. Die Of- fekte Tarnung: Den in Marsch zu setzenden Einheiten sollte fiziere unter ihnen wurden aus der Wehrmacht ausgestoßen. der Eindruck vermittelt werden, nach Hitlers Tod hätten hohe Der nationalsozialistische „Volksgerichtshof“ verurteilte die Nationalsozialisten mit einem Putsch die Führung an sich meisten von ihnen gemeinsam mit den zivilen Beteiligten reißen wollen. Deshalb müssten wichtige Schaltstellen der am Umsturzversuch zum Tode. Allein in der Hinrichtungs- Macht, vor allem in der Reichshauptstadt Berlin, von Wehr- stätte Berlin-Plötzensee wurden 89 Menschen erhängt oder machtsverbänden abgesperrt und notfalls auch gegen SS-Ein- enthauptet, die den Widerstandskreisen des 20. Juli 1944 zuge- heiten verteidigt werden. Doch nur wenige Truppenteile wur- rechnet werden können oder diese unterstützt hatten. Andere den zwischen 16.00 und 18.00 Uhr in Marsch gesetzt. Denn als kamen in der Haft ums Leben oder wählten den Freitod. Insge- sich Fernmeldungen vom Überleben Hitlers mit Fernschrei- samt fielen der nationalsozialistischen Verfolgung im Zusam- ben der Verschwörer aus dem Bendlerblock kreuzten und wi- menhang mit dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 etwa 150 dersprachen, verhielten sich die meisten Offiziere abwartend. Menschen zum Opfer. Als schließlich die Nachricht von Hitlers Überleben ab 18.28 Am 30. Juli 1944 befahl Adolf Hitler die „Sippenhaft“ gegen Uhr mehrfach im Rundfunk gesendet wurde, verunsicherte die Familien der am Umsturzversuch Beteiligten sowie ge- dies auch die Mitverschworenen in der Stadtkommandantur gen die Familien der Soldaten und Offiziere, die sich in der und im Wehrkreiskommando. sowjetischen Kriegsgefangenschaft dem Nationalkomitee „Freies Deutschland“ angeschlossen hatten. Dies betraf mehr Scheitern des Umsturzes als 300 Menschen, darunter viele Kinder, die unter falschen Da Hitler den Bombenanschlag überlebt hatte, konnten die Namen in ein nationalsozialistisches Kinderheim in Bad Vertrauensleute der Verschwörer im „Führerhauptquartier Sachsa verschleppt wurden. Im September 1944 wurden die Wolfschanze“ die Verbindungen nach außen über Telefon und ersten „Sippenhäftlinge“ wieder aus der Haft entlassen. Für Funk nicht lange unterbrechen. Deshalb waren Hitler, Reichs- die anderen begann im Januar 1945 eine Odyssee durch ver- innenminister Heinrich Himmler, Hitlers Sekretär Martin schiedene Konzentrationslager, die erst mit der Befreiung Bormann und der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Ende April 1945 in Tirol endete. Viele Kinder aus dem Kinder- Wilhelm Keitel ab dem späten Nachmittag in der Lage, Gegen- heim in Bad Sachsa kehrten erst nach Kriegsende zu ihren befehle zu erlassen, die alle Bemühungen der Verschwörer zu- Müttern zurück. Die meisten Väter waren der nationalsozia- nichtemachten. listischen Unrechtsjustiz zum Opfer gefallen.

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tanzierte sich dann aber zunehmend von Unruhen gedacht waren, in einen Staats- der Politik Hitlers und stellte sich nach den streichplan für die Opposition umzuarbei- Novemberpogromen 1938 auf die Seite der ten. Im Herbst 1943 wurde er an die Ost- entschlossenen Regimegegner. 1940 wurde front versetzt und hielt als Generalmajor er als Oberstleutnant zur Heeresgruppe B Kontakt zu den Verschwörern um Stauf- versetzt, die 1941 vor dem Überfall auf die fenberg, ohne direkt eingreifen zu kön- Sowjetunion in Heeresgruppe Mitte umbe- nen. Unmittelbar vor dem Anschlag vom nannt wurde. Dort versammelte sich eine 20. Juli 1944 bestärkte Henning von Tres- Gruppe von oppositionellen Offizieren, in ckow Stauffenberg in seinem Entschluss, der Tresckow eine führende Rolle innehatte. das Attentat auszuführen. Ende Juli 1943 wurde Tresckow in die Einen Tag nach dessen Scheitern töte- „Führerreserve“ versetzt, hatte also vorüber- te sich Tresckow an der Front bei Ostrów

Privatbesitz gehend keine Aufgabe und war von Fron- in Polen mit einer Gewehrsprenggranate. teinsätzen vorerst entbunden. Er nutzte Man glaubte zunächst, er sei im Kampf die Gelegenheit, um zusammen mit Claus gefallen. Die späteren Prozesse gegen die henning von tresckow Schenk Graf von Stauffenberg, den er be- Urheber und Mitwisser der „Walküre“-Plä- Der 1901 geborene Berufsoffizier Henning reits im Juli 1941 an der Ostfront kennen ne brachten seine Beteiligung an dem Um- von Tresckow begrüßte zunächst die Macht- und schätzen gelernt hatte, in Berlin die sturzversuch ans Licht. Seine Familie wurde übernahme der Nationalsozialisten, dis- „Walküre“-Pläne, die für den Fall innerer in „Sippenhaft“ genommen.

Er nahm am Überfall auf Polen und an der quartier Wolfschanze“ vorgesehen war. Besetzung Frankreichs teil und wurde Bussche gehörte zu der kleinen Gruppe schließlich als Regimentsadjutant bei jener Soldaten, die Hitler die Modelle Dubno (Ukraine) am 5. Oktober 1942 Au- präsentieren sollten. Zwei Tage wartete genzeuge der Ermordung von mehreren Bussche in der Gästebaracke der „Wolf- tausend Juden. Dieses Verbrechen er- schanze“, doch die Vorführung kam nicht schütterte ihn zutiefst. zustande. Bussche, der eng mit Fritz-Dietlof Graf Kurz nach seinem gescheiterten At- von der Schulenburg befreundet war, tentatsversuch wurde Bussche im Januar wurde von diesem in die Pläne der Ver- 1944 an der Ostfront schwer verwundet, schwörer eingeweiht und traf im Oktober ein Bein musste amputiert werden. We- 1943 in Berlin Claus von Stauffenberg. Als gen seines Lazarettaufenthalts konnte er

Privatbesitz sich im November 1943 eine Gelegenheit sich an den unmittelbaren Vorbereitun- bot, in die Nähe Hitlers zu gelangen und gen für den Umsturzversuch vom 20. Juli ihn zu töten, war Bussche unter dem Ein- 1944 nicht beteiligen. Seine Attentatsvor- axel freiherr von dem bussche druck der nationalsozialistischen Verbre- bereitungen vom November 1943 blieben Der 1919 geborene Berufssoldat Axel von chen dazu bereit. Er wollte Hitler bei der von der Gestapo unentdeckt. dem Bussche trat 1937 in das traditionsrei- Vorführung neuer Uniformen töten, die che Potsdamer Infanterieregiment 9 ein. für den 21. November im „Führerhaupt-

München 1923 Zeuge des „Hitlerputsches“, dung Witzlebens 1942 wurde Schwerin als der den gewaltsamen Sturz der demokra- „politisch unzuverlässig“ von Paris nach Ut- tisch gewählten Regierung zum Ziel hatte. recht versetzt. Dieses Erlebnis begründete seine Ableh- Im März 1943 holte ihn Hans Oster nach nung des Nationalsozialismus. Berlin, wo er sich intensiv an den Staats- Seine aktive Widerstandsarbeit begann streichvorbereitungen beteiligte. Dort freun- 1938 mit seinen Freunden Peter Graf Yorck dete er sich im September 1943 mit Claus von Wartenburg und Fritz-Dietlof Graf von Schenk Graf von Stauffenberg an. Vorgesehen der Schulenburg. Bereits 1938 wurde Schwe- als Staatssekretär des designierten Staats- rin dank seiner Kontakte zum Auswärtigen oberhauptes Ludwig Beck, gehörte er bis zu- Amt und zum Amt Ausland/Abwehr des letzt zum engsten Kreis der Verschwörer. Oberkommandos der Wehrmacht Verbin- Am 20. Juli 1944 wartete Schwerin zusam-

Privatbesitz dungsglied zwischen zivilem und militäri- men mit Berthold Schenk Graf von Stauffen- schem Widerstand. Als Reserveoffizier ein- berg, Yorck und Schulenburg in seinem Büro gezogen, arbeitete er seit November 1939 auf die Nachricht von der Durchführung ulrich-wilhelm graf von im Stab und in der unmittelbaren persön- des Attentats. Schwerin wurde am 21. Au- schwerin von schwanenfeld lichen Nähe des späteren Feldmarschalls gust 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von und Oberbefehlshabers an der Westfront, verurteilt und am 8. September 1944 in Ber- Schwanenfeld, 1902 geboren, wurde in Erwin von Witzleben. Nach der Verabschie- lin-Plötzensee erhängt.

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wurde der 1888 geborene Friedrich Olbricht sen bei einem Gespräch um den 10. August 1926 in die Abteilung „Fremde Heere“ des 1943 in die Planungen der Verschwörer Reichswehrministeriums berufen und kam und die bisherigen Ausarbeitungen der 1933 als Stabschef nach Dresden. Im März „Walküre“-Befehle ein. Die vertrauensvolle 1940 wurde er zum Chef des Allgemei- Kooperation endete auch nicht, als Stauf- nen Heeresamtes beim Oberkommando fenberg im Juni 1944 zum Befehlshaber des Heeres in Berlin ernannt und war in des Ersatzheeres General Fromm wech- Personalunion seit 1943 auch Chef des selte. Als am 20. Juli 1944 das mehrfach Wehrersatzamtes beim Oberkommando der verschobene Attentat auf Hitler verübt Wehrmacht. wurde, löste Friedrich Olbricht am Nach- Olbricht betrieb in Abstimmung mit zi- mittag in Berlin den „Walküre“-Alarm aus. vilen Oppositionsgruppen um Ludwig Beck Nach dem Scheitern des Umsturzversu-

GDW und Carl Friedrich Goerdeler seit 1942 die ches wurde er noch in der Nacht im Hof Ausarbeitung der „Walküre“-Pläne, um den des Bendlerblocks zusammen mit Stauf- Verschwörern die Übernahme der vollzie- fenberg, Mertz von Quirnheim und Wer- friedrich olbricht henden Gewalt zu ermöglichen. ner von Haeften erschossen. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung Nachdem Olbricht 1943 Claus Schenk zum Generalstabsoffizier, die durch den Graf von Stauffenberg als Stabschef für Ersten Weltkrieg unterbrochen worden war, sein Amt angefordert hatte, weihte er die-

bildung zum Berufsoffizier und warseit dem Scheitern des Umsturzversuches einem gemeinsamen Lehrgang an der wurde Mertz, der bis zuletzt versucht hat- Kriegsakademie in Berlin mit Claus Schenk te, den militärischen Umsturz zum Erfolg Graf von Stauffenberg befreundet. Nach zu führen, in der Nacht zum 21. Juli 1944 Einsätzen in Polen und Frankreich kam gemeinsam mit Stauffenberg, Olbricht Mertz im Winter 1941 in das „Führerhaupt- und Werner von Haeften im Hof des Ber- quartier“ Winniza an der Ostfront, wo er liner Bendlerblocks erschossen. mit Stauffenberg bis zu dessen Versetzung nach Afrika zusammenarbeitete. „Hitler ist ein Verbrecher oder Wahnsinni- Mertz erlebte im Winter 1942/43 an der ger, wahrscheinlich aber beides. Er muss be- Ostfront die Niederlage von Stalingrad. seitigt werden, um den aussichtslosen Krieg Im Juni 1944 trat er die Nachfolge Stauf- zu beenden.“

Privatbesitz fenbergs als Chef des Stabes bei Gene- Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim am 25. Juni 1944 ral Friedrich Olbricht an. Mertz gehörte gegenüber seiner Schwester Gudrun inzwischen zum engsten Kreis der Ver- albrecht ritter mertz von schwörer um Stauffenberg. Gemeinsam quirnheim mit Friedrich Olbricht löste er am 20. Juli 1905 geboren, absolvierte Albrecht Ritter 1944 im Berliner Bendlerblock gegen 16.00 Mertz von Quirnheim ab 1923 eine Aus- Uhr die Operation „Walküre“ aus. Nach

„Regierungserklärung“ für den 20. Juli 1944 Erste Aufgabe ist die Wiederherstellung der vollkommenen löst, die Unschuldigen entlassen, Schuldige dem ordentlichen Majestät des Rechts. Die Regierung selbst muss darauf bedacht gerichtlichen Verfahren zugeführt werden. sein, jede Willkür zu vermeiden, sie muss sich daher einer ge- Aus der für den 20. Juli 1944 geplanten Regierungserklärung von Ludwig Beck und Carl ordneten Kontrolle durch das Volk unterstellen. […] Zur Siche- Friedrich Goerdeler rung des Rechts und des Anstandes gehört die anständige Be- handlung aller Menschen. […] Das Recht wird jedem gegenüber, der es verletzt hat, durchgesetzt. Alle Rechtsbrecher werden der Die Konsequenz des eigenen Handelns verdienten Strafe zugeführt. […] Die Judenverfolgung, die sich Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, er werde Sodom nicht in den unmenschlichsten und unbarmherzigsten, tief beschä- verderben, wenn auch nur zehn Gerechte darin seien, so hoffe menden und gar nicht wieder gutzumachenden Formen vollzo- ich, dass Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernich- gen hat, ist sofort eingestellt. […] ten wird. Niemand von uns kann über seinen Tod Klage führen. Es ist ein grober Irrtum, anzunehmen, dass es einer Regierung Wer in unseren Kreis getreten ist, hat damit das Nessushemd gestattet sei, das Volk durch Lüge für ihre Ziele zu gewinnen. […] angezogen. [In der griechischen Mythologie: Verderben brin- Die Presse soll wieder frei sein. […] Die zerbrochene Freiheit des gendes Geschenk, das seinen Träger vergiftet – Anm. d. Red.] Geistes, des Gewissens, des Glaubens und der Meinung wird wieder hergestellt. […] Die Konzentrationslager werden aufge- Henning von Tresckow, überliefert von Fabian von Schlabrendorff

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 64 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS Barch, Barch, BildY10 / 31119

V. l.: Erich Weinert, Wilhelm Pieck, General Walther von Seydlitz-Kurzbach und Major Albert Hünemörder um 1943. General von Seydlitz-Kurzbach gehört wie Major Hünemörder zu den Gründungsmitgliedern des Bundes Deutscher Offiziere, der kurz nach seiner Gründung im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) aufgeht.

Widerstand von außen Generale wirkungslos bleiben würde. Es gelang, einige hohe deutsche Offiziere zur Mitarbeit zu gewinnen. Ihnen war von Während des Krieges kämpften deutsche Emigranten als Sol- ihren sowjetischen Gesprächspartnern versprochen worden, daten in den alliierten Armeen oder schlossen sich den Parti- den Bestand des Deutschen Reiches zu garantieren, wenn sanengruppen im deutsch besetzten Europa an. Sie waren aus sich die Wehrmachtsführung von Hitler abwende, dadurch politischen Gründen geflohen oder weil sie als Juden verfolgt sein Regime beseitige und den Befehl zum geordneten Rück- worden waren und wollten so Deutschland von der NS-Herr- zug auf die Reichsgrenzen gebe. Im Spätsommer 1943 wurde schaft befreien. Ihre deutschen Sprachkenntnisse setzten der Bund Deutscher Offiziere gegründet und wenig später mit einige in speziellen Propagandaeinheiten ein: Mit Hilfe von dem NKFD vereinigt. Er sollte möglichst viele der Offiziere -an Flugblättern klärten sie Wehrmachtssoldaten über den tat- sprechen, die dem Kommunismus ablehnend gegenüberstan- sächlichen Kriegsverlauf auf und wollten sie zur Aufgabe den. Als sich zeigte, dass die Rote Armee auch ohne Hilfe des bewegen. NKFD die deutsche Front unaufhaltsam zurückdrängte, verlor Ab 1941 gerieten immer mehr deutsche Soldaten in Kriegs- es für die Sowjetunion ab 1944 seine Bedeutung und wurde gefangenschaft. In amerikanischer und britischer Gefangen- kurz nach Kriegsende im Herbst 1945 aufgelöst. schaft lernten sie Grundsätze freiheitlicher Demokratie ken- In amerikanischer Kriegsgefangenschaft fanden sich ab 1943 nen, in sowjetischer Gefangenschaft wurden sie vielfach mit Gleichgesinnte zusammen, die sich innerlich vom Nationalso- der Frage konfrontiert, ob sie den Vernichtungskrieg in der zialismus gelöst hatten. Sie versuchten, ihre Kameraden durch Sowjetunion rechtfertigen könnten. Vorträge und Lagerzeitschriften zu beeinflussen und warben Im Sommer 1943 wurde im Kriegsgefangenenlager Krasno- für den Aufbau eines demokratischen Deutschlands. 300 Geg- gorsk bei Moskau auf Initiative der sowjetischen Führung und ner des NS-Regimes, darunter vorwiegend politische Zwangs- unter Beteiligung deutscher kommunistischer Emigranten rekrutierte, die in Strafdivisionen der „999er“ (siehe S. 37) Wehr- um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht das Nationalkomitee dienst leisten mussten, befanden sich von Mai 1943 bis zum „Freies Deutschland“ (NKFD) gegründet. Es sollte deutsche Sommer 1947 in Kriegsgefangenschaft in Französisch-Nord- Kriegsgefangene beeinflussen, rief zum Sturz des NS-Regimes afrika. In der Tradition der Arbeiterbewegung konnten diese und zur Desertion aus der Wehrmacht auf. Schnell wurde aber Regimegegner über das Kriegsende hinaus vielen jungen ge- deutlich, dass die Propaganda des Nationalkomitees „Frei- fangenen Soldaten des Afrika-Korps die Idee eines demokrati- es Deutschland“ ohne Unterstützung gefangener deutscher schen Nachkriegsdeutschlands näher bringen.

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Nach ihrem Abitur trat Hanna Bernstein 1942 in eine Propagandaeinheit der Ro- ten Armee ein. Hier nutzte sie ihre deut- schen Sprachkenntnisse auf vielfältige Weise: Sie dolmetschte bei Verhören deutscher Kriegsgefangener und Über- läufer, wertete erbeutete deutsche Feld- postbriefe aus und verfasste Flugblät- ter und Aufrufe an die Soldaten der Wehrmacht. In der Nähe der Frontlinien sprach Hanna Bernstein über einen Lautspre-

Privatbesitz cherwagen zu den Wehrmachtssoldaten, Privatbesitz um sie zur Aufgabe des Kampfes zu be- wegen. Zeitweise war sie auch mit ei- hanna podymachina henry ormond nem Doppeldeckerflugzeug im Einsatz, Hanna Bernstein, 1924 in Berlin gebo- mit dem sie nachts über den Stellungen Hans Oettinger, 1901 in Kassel als Hans ren, wuchs in einem kommunistischen der deutschen Soldaten kreiste und ihre Ludwig Jacobsohn geboren und 1920 Elternhaus auf. Ihr Vater Rudolf war KPD- Appelle verlas. Mit ihrem Lautsprecher- adoptiert, studierte Rechtswissenschaft, Abgeordneter der Bezirksversammlung wagen begleitete sie die sowjetische arbeitete ab 1930 als Staatsanwalt und Berlin-Mitte und leitete verschiedene Be- Armee auf ihrem Weg von der Ukraine wenig später als Amtsrichter in Mann- triebe in Parteibesitz. Er wurde im Februar bis nach Wien, wo sie im April 1945 das heim. Wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 festgenommen und im KZ Sonnen- Kriegsende erlebte. 1946 heiratete sie wurde er 1933 aufgrund des „Gesetzes burg inhaftiert. Nach seiner Entlassung den sowjetischen Hauptmann Semjon über die Wiederherstellung des Berufs- aus der Haft emigrierte die Familie im Podymachin. beamtentums“ aus dem Staatsdienst Juni 1934 in die Sowjetunion. entlassen. Ende 1938 wurde er verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, aber unter der Auf- lage, aus Deutschland auszureisen, im Internierungslager Rieucros, nach dessen März 1939 entlassen. Über die Schweiz Schließung in das Lager Brens gebracht. gelang ihm die Flucht nach Großbritan- Während der Internierung heiratete sie nien, wo er kurz darauf, nach Beginn des Alfred Benjamin. Krieges, als „feindlicher Ausländer“ inter- Im Juli 1942 floh sie aus dem Lager Brens niert wurde. und schloss sich in Lyon dem französi- Als ein Geistlicher für ihn bürgte, er- schen Widerstand, der Résistance, an. Un- hielt Oettinger eine Stelle als Haushalts- ter dem Decknamen „Renée Fabre“ arbei- hilfe, wurde wenig später aber erneut in- tete Dora Benjamin als Französin getarnt terniert und nach Kanada gebracht. Dort bei deutschen Dienststellen, um so wich- meldete er sich zur britischen Armee und tige Informationen für die Résistance nahm später den Namen Henry Lewis zu sammeln. Sie nutzte ihre Kontakte zu Ormond an. Mit einer Propagandaeinheit

Privatbesitz deutschen Soldaten, um Schriften und der Royal Army kehrte er nach Deutsch- Flugblätter gegen den Nationalsozialis- land zurück. Er verfasste Flugblätter und mus zu verbreiten. Das Kriegsende erleb- Aufrufe an die deutsche Bevölkerung, die dora schaul te Dora Davidsohn in Frankreich. auch über Lautsprecherwagen verbreitet Die 1913 geborene Dora Davidsohn stamm- 1946 kehrte sie nach Deutschland zu- wurden. te aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie rück. Ihre Eltern und ihre Schwester wa- Nach dem Ende des Krieges blieb Hen- in Berlin, besuchte eine Handelsschule ren im Vernichtungslager Lublin-Maj- ry Ormond in Deutschland und arbeitete und arbeitete danach als Büroangestell- danek ermordet worden, ihr Ehemann wieder als Rechtsanwalt. Dabei engagier- te. 1933 verließ sie Deutschland und ging Alfred Benjamin war während eines te er sich besonders für Opfer des Natio- nach Amsterdam. Ein Jahr später über- Fluchtversuchs in die Schweiz 1942 töd- nalsozialismus und vertrat ab 1963 die siedelte sie gemeinsam mit ihrem spä- lich verunglückt. Einige Jahre nach dem Nebenklage im ersten der Frankfurter teren Ehemann Alfred Benjamin nach Krieg heiratete sie Hans Schaul, der 1933 „Auschwitz-Prozesse“. Frankreich. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde ebenfalls vor den Nationalsozialisten Dora Davidsohn in Paris festgenommen, geflohen war, im Spanischen Bürger- weil sie keine gültigen Papiere vorweisen krieg für die Republik gekämpft hatte konnte. Nach der Haft in Paris wurde sie und später in Frankreich interniert wor- im Oktober 1939 in das südfranzösische den war.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 66 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Gelingen konnte dies meist nur mit Hilfe von Menschen, die bereit waren, Verfolgte zu unterstützen. Unter Gefährdung der eigenen Person besorgten diese „stillen Helden“ Lebensmittel, beschafften falsche Papiere, leisteten Fluchthilfe, stellten Quar- tiere zur Verfügung oder versteckten die Verfolgten bei sich. Viele wurden zu Rettern, weil sie von Verfolgten oder anderen Helfern gezielt um Hilfe gebeten wurden. Andere wiederum ergriffen selbst die Initiative zur rettenden Unterstützung. Sie appellierten etwa an jüdische Freunde, sich nicht deportieren zu lassen, und sagten ihnen Hilfe für ein Leben im Untergrund zu. Weltanschauliche und politische Motive waren für die Hil- fe ebenso von Bedeutung wie spontanes Mitgefühl. Dadurch konnten sie die Angst um die eigene Person und die Familie so- wie die berechtigte Furcht vor der Gestapo überwinden. Häufig entwickelten sich im Verlauf von Rettungsversu- chen Netzwerke von Helfenden. Für jeden „Untergetauchten“ waren bis zu zehn, bisweilen auch erheblich mehr nichtjüdi-

GDW sche Unterstützer aktiv. Viele Hilfsaktionen scheiterten jedoch. Belegschaft der Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße 39 in Schätzungen gehen heute von insgesamt mehreren zehntau- Berlin 1941 send Menschen aus, die in Deutschland jüdischen Verfolgten geholfen haben. Auch in den besetzten Ländern Europas gab es neben vielen Einheimischen einzelne Deutsche, die ihre Widerstand gegen die nationalsozia- Stellung als Soldaten oder in der Kriegswirtschaft nutzten, um listische Judenverfolgung tödlich bedrohte Juden zu unterstützen. Die meisten Menschen, die sich dem NS-Völkermord durch Rettungsaktionen entgegenstellten, schwiegen nach 1945 Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die National- über ihre Hilfeleistungen. Sie begriffen sie als selbstverständ- sozialisten am 30. Januar 1933 begann die Ausgrenzung, Diffa- lich. Erst später wurde ihr Handeln gewürdigt. Die israelische mierung und Entrechtung der etwa 500 000 deutschen Juden. Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat bis heute mehr als Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933, mit dem die 26 000 Frauen und Männer für diese Hilfsaktionen als „Ge- Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben einsetzte, rechte unter den Völkern“ geehrt. In Deutschland widmet sich die Nürnberger „Rassengesetze“ vom September 1935 und die die Berliner Gedenkstätte Stille Helden der Erinnerung an jene Pogrome vom 9. November 1938 markierten die wesentlichen Menschen, die sich der tödlichen Bedrohung entzogen, und an Stationen der Judenverfolgung in Deutschland. Nach den Po- jene, die ihnen dabei geholfen haben. gromen 1938 wurden mehr als 30 000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt; gesetzliche Vorschriften ver- Proteste in der Rosenstraße schärften die wirtschaftliche und soziale Entrechtung weiter. Am 27. und 28. Februar 1943 wurden in ganz Deutschland im Viele Juden erkannten, wie gefährlich das Leben in Deutsch- Rahmen der „Fabrikaktion“ mehr als 11 000 Jüdinnen und Ju- land wurde. Sie bereiteten sich seit Mitte der 1930er-Jahre den von der Gestapo festgenommen, die bisher Zwangsarbeit durch Sprachkurse und Umschulungen auf ihre Auswande- für die Rüstungsindustrie geleistet hatten, davon allein in rung vor. Mehr als 300 000 Juden konnten bis zum Kriegsbe- Berlin mehr als 8000. Fast 7000 von ihnen wurden in den fol- ginn im Herbst 1939 aus Deutschland fliehen. genden Tagen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau Dem nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Eu- deportiert und ermordet. ropas fielen rund sechs Millionen Menschen zum Opfer, von Unter den Festgenommenen in Berlin waren auch mehr als denen die meisten erschossen oder mit Giftgas ermordet wur- 1700 Juden, die entweder in „Mischehe“ lebten oder als „jüdi- den. Darunter waren auch mehr als 160 000 deutsche Juden. sche Mischlinge“ galten. Sie wurden in das Sammellager in der Sie wurden seit Oktober 1941 vor allem in die Vernichtungs- Rosenstraße 2–4 in Berlin-Mitte gebracht. Nach NS-Definition stätten in den deutsch besetzten Gebieten Polens und der Sow- waren „Mischehen“ Ehen zwischen jüdischen und nicht-jü- jetunion deportiert und dort ermordet. dischen Männern und Frauen; als „Mischlinge“ wurden Men- Etwa 10 000 bis 12 000 deutsche Juden versuchten sich die- schen mit jüdischen und nicht-jüdischen Vorfahren definiert. ser tödlichen Bedrohung zu entziehen. Da Auswanderung Die Deportation der in der Rosenstraße Festgehaltenen war ab 1941 verboten und auch auf illegale Weise nahezu unmög- nicht beabsichtigt; aus ihnen sollten diejenigen ausgewählt lich war, blieb nur die Flucht in den Untergrund – mit höchst werden, die die zur Deportation vorgesehenen Mitarbeiter der ungewissem Ausgang. Wer „untertauchte“, widersetzte sich Reichsvereinigung der Juden in Deutschland ersetzen sollten. der Diktatur. Verstecke mussten gefunden und häufig ge- Viele nicht-jüdische Verwandte erfuhren von dem Aufent- wechselt werden. Dabei bestand ständig die Gefahr des haltsort ihrer Angehörigen, befürchteten deren Deportation, Verrats und der Entdeckung. Vermutlich mehr als die Hälf- und versammelten sich in der Rosenstraße. Insgesamt waren te derjenigen, die sich in Deutschland der Deportation ent- Anfang März 1943 mehrere hundert Menschen, zumeist Frauen, zogen, tat dies in Berlin. Viele tauchten erst 1943 unter, als an den Demonstrationen beteiligt. Mehrfach wurden sie von die verbliebenen Juden, die überwiegend in der Rüstungs- der Polizei vertrieben. Da in der ersten Märzwoche die Männer industrie Zwangsarbeit leisteten, deportiert werden sollten. aus den „Mischehen“ und die „Mischlinge“ aus dem Sammella- In Deutschland überlebten etwa 5000 „Untergetauchte“, da- ger in der Rosenstraße entlassen wurden, wurde dies nach 1945 von über 1900 in Berlin. als Erfolg der Frauenproteste in der Rosenstraße gedeutet.

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otto weidt wilm hosenfeld marie burde

Der 1883 geborene Otto Weidt wuchs in Der 1895 geborene Wilm Hosenfeld wur- Die 1892 in Berlin geborene Marie Bur- Rostock auf und erlernte wie sein Vater de im Ersten Weltkrieg schwer verwun- de lebte vom Verkauf von Zeitungen den Beruf des Tapezierers. Er engagierte det. Danach widmete er sich als Lehrer und als Lumpensammlerin. Sie wohnte sich in der deutschen anarchistischen der Reformpädagogik. Ende August 1939 in ärmlichsten Verhältnissen in einer Bewegung und schrieb in seiner Frei- wurde Hosenfeld, inzwischen NSDAP- unmöblierten Kellerwohnung in Ber- zeit Gedichte. Während des Ersten Welt- Mitglied, zur Wehrmacht eingezogen. Als lin-Wedding. Um 1943 wurde sie von kriegs gelang es dem überzeugten Pazi- Besatzungssoldat richtete er bei Łódz´ ein einer Bekannten um Hilfe für einen fisten, sich aufgrund eines Ohrenleidens Gefangenenlager für polnische Soldaten jungen Juden gebeten. Nach der Depor- dem Dienst an der Waffe zu entziehen. und Offiziere ein. In Tagebüchern notier- tation ihrer Eltern waren die Brüder Rolf Nach seiner fast vollständigen Erblin- te er sein Entsetzen über die Ermordung und Alfred Joseph untergetaucht. Spon- dung wurde Weidt Bürstenmacher und tausender Angehöriger der polnischen tan war Marie Burde bereit, den 23-jäh- eröffnete 1939 in Berlin-Kreuzberg eine Führungsschicht durch Deutsche. rigen Rolf bei sich aufzunehmen. Als Rolf Bürstenwerkstatt. Otto Weidt war ent- In Warschau wurde er 1941 leitender Joseph bei einer Wehrmachtskontrolle schiedener Gegner des Nationalsozia- Sportoffizier und begann, Verfolgten zu festgenommen wurde, weigerte er sich lismus und beschäftigte ab 1939 haupt- helfen. So stellte er 1942 in seiner Sport- trotz Misshandlungen standhaft, den sächlich Juden. Er tat alles, um sie vor schule unter anderem Leon Warm unter Namen seiner Quartiergeberin preiszu- den judenfeindlichen Maßnahmen des einem Decknamen als Arbeiter ein, der geben. Beim Transport nach Auschwitz Staates zu schützen. als Jude zuvor aus einem Deportations- gelang ihm die Flucht aus dem Depor- 1940 zog Otto Weidt mit seinem Be- transport geflohen war. Im November tationszug, doch nach wenigen Tagen trieb nach Berlin-Mitte in die Rosentha- 1944 entdeckte Hosenfeld in einem Haus wurde er wieder aufgegriffen und an die ler Straße 39. Dort arbeiteten mehr als 30 im zerstörten Warschau den jüdischen Berliner Gestapo ausgeliefert. Noch ein- blinde und taubstumme Juden für ihn. Pianisten Władysław Szpilman, der sich mal konnte er fliehen und rettete sich zu Mit den in der Werkstatt produzierten seit Monaten in den Ruinen versteckte. Er Marie Burde, die inzwischen auch seinen Besen und Bürsten belieferte er auch versorgte ihn mit Essen und Kleidung. Mit Bruder Alfred und dessen Freund Arthur die Wehrmacht, weshalb die Blinden- Hosenfelds Hilfe hielt sich Szpilman zwei Fordanski aufgenommen hatte. Zu viert werkstatt als „wehrwichtig“ galt. Durch Monate auf dem Dachboden des Hauses teilte man sich die kargen Lebensmittel- diesen Status und weil Otto Weidt regel- verborgen, während im Stockwerk unter rationen, die Marie Bude erhielt. mäßig Gestapo-Beamte bestach, blieben ihm der deutsche Kommandanturstab Im Frühjahr 1944 – ihre Kellerwoh- seine Arbeiterinnen und Arbeiter eine einzog. nung wurde Ende 1943 ausgebombt – Zeit lang von der Deportation verschont. Als die Rote Armee im Januar 1945 schickte Marie Burde die Verfolgten in Gemeinsam mit weiteren Helfern be- Warschau einnahm, wurde Hosenfeld ihre Gartenlaube auf einem Grundstück sorgte er ihnen Lebensmittel, gefälschte von sowjetischen Soldaten gefangen in Schönow nördlich von Berlin. Dort Papiere und Verstecke. Nachdem die genommen und 1950 wegen seiner Zu- blieb Rolf Joseph bis zum Einmarsch meisten von ihnen 1943 deportiert wor- gehörigkeit zur Abteilung „Truppenbe- der Roten Armee Ende April 1945. Sein den waren, versorgte er sie noch im treuung und Spionageabwehr“ zu 25 Bruder wurde im August 1944 in Berlin Ghetto Theresienstadt mit mehr als 150 Jahren Gefängnis verurteilt. Hosenfeld festgenommen und ins KZ Sachsenhau- Lebensmittelpaketen und half seiner de- blieb trotz der Fürsprache Geretteter in sen verschleppt, doch auch er überlebte. portierten Sekretärin Alice Licht bei den Haft und starb 1952 in einem Lazarett in Nach Kriegsende hielten Rolf und Alfred Fluchtvorbereitungen aus einem Kon- Stalingrad. Joseph Kontakt zu ihrer Lebensretterin zentrationslager. und unterstützen sie nun ihrerseits.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 68 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Widerstand von Juden Es gab vielfältige jüdische Bemühungen, sich gegen die NS-Verbrechen aufzulehnen, so in Berlin die Gruppen um Her- Der Antisemitismus war das zentrale Element der natio- bert Baum (siehe S. 30) oder die Gruppe Chug Chaluzi (Kreis nalsozialistischen Ideologie. Deshalb hatten sich deutsche der Pioniere). Letztere war eine religiös-zionistische Gruppe, Juden schon vor 1933 gegen die NSDAP zur Wehr gesetzt. die von Jizchak Schwersenz und seiner Freundin Edith Wolff Grundsätzlich lassen sich drei Formen des Widerstandes gegründet wurde. Im Februar 1943, als mit der „Fabrikaktion“ von Juden in Deutschland unterscheiden: erstens Formen die letzten noch in Berlin lebenden Juden, die noch in den Rüs- der Selbstbehauptung und der Solidarität, zweitens die tungsbetrieben zwangsbeschäftigt waren, deportiert werden Mitwirkung von Jüdinnen und Juden in unterschiedlichen sollten, sammelte der bereits untergetauchte Lehrer Jizchak Gruppen des Widerstandes sowie drittens der Aufbau eige- Schwersenz im Chug Chaluzi schließlich 40 Kinder und Ju- ner Widerstandsgruppen im Kampf gegen den Nationalso- gendliche aus verschiedenen jüdischen Jugendbünden um zialismus. sich. Ziel der Jugendgruppe war es, „durchzuhalten“, Flucht- Unter dem Eindruck von Verfolgung und antisemitischer wege ins Ausland zu suchen und das Leben in der Illegalität Propaganda entwickelten viele der mehr als 500 000 deut- bis zur Befreiung durch die alliierten Armeen zu organisieren. schen Juden ein neues Selbstverständnis. Die Jüdischen Ge- Nach der geglückten Flucht von Schwersenz in die Schweiz meinden, der Jüdische Kulturbund, jüdische Sportverbände wurde die Gruppe von Gad Beck fortgeführt. Noch im Unter- und Bildungseinrichtungen wurden zu Orten der Selbstbe- grund vermittelte die Gruppe religiöse und zionistische In- hauptung und Solidarität. In den Organisationen und Ver- halte an ihre jugendlichen Mitglieder. Tatsächlich konnte die bänden konnten die deutschen Juden, die zunehmend aus überwiegende Mehrheit dieser Gruppe mit Hilfe von Nichtju- dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden, das Gemein- den überleben, einzelne Mitglieder wurden jedoch Opfer der schaftsgefühl und ihren Überlebenswillen stärken. So be- Vernichtung. Der Chug Chaluzi war die einzige Widerstands- schäftigte der 1933 gegründete Kulturbund Deutscher Juden gruppe innerhalb Deutschlands, die aus jüdisch-religiösen entlassene jüdische Künstler und bot jüdischen Menschen Motiven heraus handelte. die Möglichkeit, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. In In Ghettos und Lagern gab es Ausbruchsversuche und Auf- Not geratenen Menschen wurden Wirtschaftshilfe und Wohl- stände. Der größte Aufstand fand im April 1943 im Warschauer fahrtsleistungen gewährt. Juden, die Deutschland verlassen Ghetto statt. In den Vernichtungslagern Treblinka und Sobibor wollten, wurden durch Sprachkurse und berufliche Umschu- im Herbst 1943 und in Auschwitz-Birkenau im November 1944 lungen und Ausbildungen bewusst auf die Emigration und kam es zu Aufständen, die von der SS blutig niedergeschlagen das Leben im Ausland vorbereitet. wurden.

Privatbesitz

Schawuot-Feier der zionistischen Untergrundgruppe Chug Chaluzi in Berlin, Juni 1943 Jizchak Schwersenz, (vorne l.), Gründer von Chug Chaluzi, kann im August 1942 mit Hilfe von Edith Wolff untertauchen. Bei einer Polizeirazzia rettet ihn das Vorzeigen eines gefälschten Ausweises vor der Verhaftung. 1944 gelingt Jizchak Schwersenz die Flucht in die Schweiz.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 69

Pappenheim für den Jüdischen Frauen- Reichsvereinigung der Juden in Deutsch- bund gewonnen. Bald gehörte sie dessen land die Abteilung Wohlfahrtspflege und Vorstand an, wurde 1933 Geschäftsführe- 1942 die Leitung der Abteilung Fürsorge. rin des Bundes und übernahm nach dem Sie begleitete einige Kindertransporte Tod Bertha Pappenheims deren Funktion nach England, und obwohl ihre Eltern als Vorsitzende. und ihre Schwester bereits in die Schweiz Ab 1933 engagierte sich Hannah Karmins- geflüchtet waren, kam sie immer wieder ki ehrenamtlich bei der Reichsvertretung der nach Deutschland mit der Begründung deutschen Juden für Auswanderungsfragen zurück, dass sie hier am meisten ge- und für die Ausbildung und Berufstätigkeit braucht werde. heranwachsender jüdischer Frauen. Sie war Am 9. Dezember 1942 wurde Hannah Mitinitiatorin des 1934 eröffneten Jüdischen Karminski nach Auschwitz deportiert und

Leo-Baeck-Institute, New York New Leo-Baeck-Institute, Seminars für Kindergärtnerinnen und Hort- dort am 4. Juni 1943 ermordet. nerinnen, dessen staatliche Abschlüsse so- wohl in Deutschland, mehr aber noch im hannah karminski Ausland anerkannt wurden, wohin viele der Die 1897 geborene Kindergärtnerin und Absolventinnen emigrierten. Sozialarbeiterin Hannah Karminski wur- 1939 übernahm sie bei der inzwischen de 1924 in Frankfurt am Main von Bertha unter Aufsicht der Gestapo stehenden

zialismus zum jüdischen Glauben und Chaluzi versteckt wurden, konnten 33 ge- wurde zur überzeugten Pazifistin und rettet werden. Zionistin. Über die Lehrerin und Dichte- Als Edith Wolff im Sommer 1943 zur Ge- rin Recha Freier, eine deutsch-jüdische stapo vorgeladen wurde, konnte sie ihre Widerstandskämpferin, kam sie zur jü- Verbindungen zu untergetauchten Juden dischen Jugendhilfe, der Kinder- und Ju- verbergen, wurde aber wegen „Judenbe- gendalijah, die die Einwanderung nach günstigung“ zu einer Gefängnisstrafe ver- Palästina organisierte. Bei dieser Tätig- urteilt. Edith Wolff überlebte die Haft keit lernte sie den Lehrer Jizchak Schwer- in 18 Konzentrationslagern und Zucht- senz kennen. Als in Berlin 1941 die ersten häusern. Deportationen begannen, organisierte sie Lebensmittel und Ausweise, um Juden

Landesarchiv Berlin, C Rep. 118-01 Nr. 17538 / Fotograf: k.A. Fotograf: / 17538 118-01 Nr. C Rep. Berlin, Landesarchiv die Flucht oder ein Untertauchen zu er- möglichen. Im Frühjahr 1943 bildete sich um Edith edith wolff Wolff und Jizchak Schwersenz die zionis- Die 1904 in Berlin geborene und evange- tische Untergrund-Gruppe Chug Chaluzi lisch erzogene Edith Wolff bekannte sich (Kreis der Pioniere). Von den 40 Kindern 1933 aus Protest gegen den Nationalso- der Alijah-Schule, die durch die Chug

nahme der Nationalsozialisten 1933 nach deutscher Staatsangehöriger. Als Jude Amsterdam. 1936 meldete er sich freiwillig habe ich jedoch praktisch alle Rechte in zu den Internationalen Brigaden im spa- Deutschland verloren und war darum nischen Bürgerkrieg und diente dort 1937 bemüht, mir eine neue Heimat zu su- als Dolmetscher und Kompanieführer. chen. […] Als Jude habe ich hier für meine Nach einer schweren Verwundung kehrte Überzeugung und meine Lebensrechte ge- Hornstein 1938 nach Amsterdam zurück kämpft. Ich betrachte mich unter den ge- und wurde dort im Oktober 1940 von der gebenen Umständen nicht mehr als deut- Gestapo festgenommen. Georg Hornstein schen Staatsangehörigen und würde jede wurde am 3. September 1942 im KZ Bu- mir gegebene Gelegenheit benutzen, eine chenwald ermordet. neue Staatsangehörigkeit zu erwerben, wie ich auch als Jude jederzeit bereit wäre,

LAV NRW R, RW 0058 Nr. 41305 0058 Nr. RW R, NRW LAV „Wenn ich gefragt werde, aus welchem für meine Lebensrechte zu kämpfen.“ Grunde ich als Offizier bei der Internatio- Aussage von Georg Hornstein vor der Geheimen Staatspo- nalen Brigade an den Kämpfen in Spani- lizei 1942, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen/Abteilung georg hornstein en teilgenommen habe, so habe ich hierzu Rheinland, RW 58 Nr. 41305 Der 1900 in Berlin geborene Kaufmann folgendes zu sagen: Ich besitze zwar die Georg Hornstein (hier auf einem Foto der deutsche Staatsangehörigkeit und gelte Gestapo) emigrierte nach der Machtüber- nach den Buchstaben des Gesetzes als

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 70 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS GDW

Baracken im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau um 1945

Widerstand von Sinti und Roma Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht schlossen sich Gruppen von Sinti und Roma vor allem in Osteuropa den Par- 1933 lebten rund 30 000 Sinti und Roma in Deutschland. Die tisanenverbänden an. Zentrum des bewaffneten Kampfes war meisten besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Für sie be- Jugoslawien. Auch in Frankreich leisteten Sinti und Roma in gann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine der Résistance Widerstand gegen den Nationalsozialismus Zeit der „rassisch“ begründeten Entrechtung und Verfolgung, und die Verfolgung ihrer Minderheit. Dennoch fielen dem Völ- gegen die sie sich zur Wehr setzten. Die „Rassenhygienische kermord nach Schätzungen bis zu 500 000 Sinti und Roma in Forschungsstelle“ in Berlin sollte ab 1936 die deutschen Sinti Europa zum Opfer. und Roma vollständig erfassen. Dies war die Voraussetzung für ihre spätere Deportation in Konzentrations- und Vernich- Der Aufstand im „Zigeunerlager“ in Auschwitz- tungslager. Birkenau Doch zunächst veränderten die Nürnberger Rassengesetze Im Mai 1944 lebten im „Zigeunerlager“ B II e von Auschwitz- vom September 1935 auch das Schicksal der Sinti und Roma Birkenau nur noch rund 6000 der insgesamt über 22 000 hier- in Deutschland entscheidend. Sie verloren ihre Bürgerrechte; her verschleppten Sinti und Roma. Am 15. Mai 1944 fiel der Ent- ebenso wie den Juden wurden ihnen die Heirat mit „Deutsch- schluss, diese Häftlinge in den Gaskammern zu ermorden. Als blütigen“ und die Ausübung vieler Berufe verboten. In einigen die Betroffenen davon erfuhren, bewaffneten sie sich so gut es deutschen Städten entstanden KZ-ähnliche Sammellager für ging und mit allem, was ihnen zur Verfügung stand – Messer, Sinti und Roma, so etwa in Berlin-Marzahn oder in der Diesel- Knüppel, Spaten, Brecheisen und Steine. Am nächsten Tag ver- straße in Frankfurt am Main. In diesen Lagern wurden pseu- weigerten sie den Befehl, ihre Häftlingsbaracken zu verlassen. dowissenschaftliche „Rasseuntersuchungen“ vorgenommen, Als den SS-Männern klar wurde, dass die Häftlinge zum Wi- die Inhaftierten waren der Willkür und den Misshandlungen derstand entschlossen waren, gaben sie die ursprünglich ge- ihrer Bewacher ausgesetzt. Ab 1940 wurden Sinti und Roma in plante Mordaktion auf. das deutsch besetzte Polen zur Zwangsarbeit verschleppt. Ende Juli 1944 wurden die früheren Wehrmachtsangehöri- Immer wieder versuchten Sinti und Roma, sich gegenüber gen unter den Sinti und Roma, deren Familienangehörige so- der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu behaupten. wie weitere als „arbeitsfähig“ eingestufte Sinti und Roma aus Sie unternahmen Fluchtversuche und leisteten Fluchthilfe. Ihr dem „Zigeunerlager“ in das Stammlager Auschwitz gebracht. eigenes Überleben war die Voraussetzung dafür, anderen zu Die SS wollte so bei den verbleibenden Häftlingen in Ausch- helfen und Widerstand zu leisten. Sinti und Roma gingen in witz-Birkenau den Eindruck erwecken, sie sollten zur Arbeit die Illegalität, um der drohenden Haft oder Deportation zu in andere Lager transportiert werden. Ein Zug mit 490 Frauen entgehen. Dabei wurden sie nicht selten von Nachbarn oder und über 1100 Männern und Jungen fuhr am Nachmittag des Freunden unterstützt. Die Fluchthelfer wussten, in welche Ge- 31. Juli 1944 von der Rampe in Auschwitz-Birkenau ab. Über fahr sie sich durch die Hilfe für die Verfolgten begaben. Aus den Zaun hinweg konnten sie sich mit Winken und Rufen dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind 42 Flucht- von den Zurückbleibenden im „Zigeunerlager“ verabschieden. versuche von Sinti und Roma belegt, nur zwei davon waren Diese wurden am Abend des 2. August 1944 auf Lastkraftwa- erfolgreich. gen zu den Gaskammern gebracht. Viele der insgesamt 2897 Es kam auch zu verzweifelten Versuchen, sich in den besetz- Opfer wehrten sich bis zuletzt noch mit bloßen Händen ge- ten Gebieten gegen die Massenerschießungen zu wehren. Im gen ihre Mörder.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 71

Juni 1933, acht Tage nachdem er deut- scher Meister im Halbschwergewicht geworden war, wurde Rukeli Trollmann der Titel als deutscher Meister im Halb- schwergewicht aus „rassischen Gründen“ aberkannt. Im Juli 1933 erschien er zu einem Boxkampf mit blond gefärbten Haaren und weiß gepuderter Haut, um so gegen den Rassenwahn des NS-Regim- es zu demonstrieren. Der Kampf war der letzte seiner Profikarriere. 1938 war er für mehrere Monate in

Dokumentations- und Kulturzentrum und Kulturzentrum Dokumentations- und Roma Sinti Deutscher einem Arbeitslager in Hannover, wur- und Kulturzentrum Dokumentations- und Roma Sinti Deutscher de 1939 zur Wehrmacht eingezogen und 1941 an der Ostfront verwundet. Wie vie- johann „rukeli“ trollmann anton reinhardt le andere Sinti und Roma wurde auch er Der 1907 geborene Sinto Johann Wilhelm infolge der Anordnungen vom 11. Febru- Anton Reinhardt wurde 1927 in einem Trollmann wuchs mit acht Geschwistern ar und 10. Juli 1942 aus der Wehrmacht kleinen Dorf am Rande des Schwarz- in ärmlichen Verhältnissen in Hannover ausgeschlossen. walds geboren. Nach dem Besuch der auf. Als Boxer gewann er viermal die Re- Im Juni 1942 wurde Trollmann in Han- Volksschule arbeitete er in einer Maschi- gionalmeisterschaft und nahm an der nover festgenommen und schwer miss- nenfabrik. deutschen Meisterschaft im Amateurbo- handelt. Nach seiner Überstellung ins KZ Als Anton Reinhardt im August 1944 xen teil. Als er 1928 nicht für die Olym- Neuengamme musste er vielfach gegen im Städtischen Krankenhaus Waldshut pischen Spiele in Amsterdam nominiert SS-Männer zum Boxtraining antreten. zwangsweise sterilisiert werden sollte, wurde, entschloss er sich, Profiboxer 1944, nach Trollmanns Sieg über einen floh er mehr als 100 Kilometer zu Fuß zu werden. Nach der nationalsozialis- kriminellen Funktionshäftling (Kapo) im zur Schweizer Grenze. Bei Anbruch der tischen Machtübernahme wurden die KZ-Außenlager Wittenberge, ließ ihn die- Dunkelheit durchquerte Reinhardt nahe Boxclubs „gleichgeschaltet“ und „nicht- ser während eines Arbeitseinsatzes er- Koblenz (Kanton Aargau) schwimmend arische“ Mitglieder ausgeschlossen. Im schlagen und tarnte den Mord als Unfall. den Rhein und erreichte so das Gebiet der Schweiz. Dort wurde er von Schweizer Polizisten aufgegriffen und ins Bezirksge- fängnis gebracht. fielen. Stanoski Winter wurde mit dem Obwohl Reinhardt geltend machte, Transport vom 31. Juli 1944 zuerst in das dass viele seiner Verwandten nach Ausch- KZ Ravensbrück verschleppt, wo die Frau- witz deportiert worden waren, ihm en und Kinder von den Männern getrennt das gleiche Schicksal drohe und er in wurden. Kurz vor Kriegsende kamen er Deutschland wegen seiner Flucht eine und sein Bruder in das KZ Sachsenhausen harte Strafe fürchten müsse, gewährten und von dort als ehemalige Soldaten er- ihm die Schweizer Behörden kein Asyl neut an die Front. Beide überlebten Krieg und zwangen ihn zur Rückkehrt nach und sowjetische Gefangenschaft. Deutschland. Dort wurde Anton Rein- hardt verhaftet und ins Sicherungslager „Im Mai 1944 drang zu uns durch, dass wir Schirmeck-Vorbruck eingeliefert. alle vergast werden sollen. Wir setzten uns Im Zuge der Auflösung des Lagers kam

Dokumentations- und Kulturzentrum und Kulturzentrum Dokumentations- und Roma Sinti Deutscher zusammen und beschlossen, uns so gut es er mit anderen Häftlingen nach Gagge- ging zu wehren. Wir kannten ja die Metho- nau. Kurz vor Kriegsende gelang ihm ein den der SS bei der Räumung der Blocks: Sie weiteres Mal die Flucht. Doch am Kar- walter stanoski winter kamen einzeln herein und schrien: ‚raus‘. freitag 1945 nahm ihn in der Nähe von Der 1919 geborene Walter Stanoski Winter Wir hatten vor, ihnen die Maschinenge- Bad Rippoldsau im Nordschwarzwald wurde 1938 zum Arbeitsdienst und An- wehre, die sie in der Hand hielten, zu ent- eine Einheit des „Volkssturms” fest. Er fang 1940 gemeinsam mit seinem Bruder reißen und so viele wie möglich zu über- wurde durch ein improvisiertes „Stand- Erich zur Wehrmacht eingezogen. Er dien- wältigen. Außerdem hatten wir uns mit gericht” zum Tode verurteilt und am te in Wilhelmshaven als Bootsmann in der Knüppeln, Steinen etc. bewaffnet. Doch folgenden Tag in ein abgelegenes Wald- Marine. Im März 1943 wurden Stanoski während der Blocksperre kam der SS-Ober- stück getrieben. Die Täter zwangen ihn, Winter, seine Eltern, sein Bruder und seine scharführer Palitzsch mit dem Motorrad, sein eigenes Grab zu schaufeln, bevor Schwester nach Auschwitz deportiert, wo und die geplante Vergasungsaktion wurde sie Anton Reinhardt mit einem Genick- die beiden Brüder im Stammlager Ausch- abgebrochen.“ schuss ermordeten. witz I der Zwangssterilisation zum Opfer Stanoski Winter in einem Zeitzeugenbericht nach 1945

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 72 ullstein bild

Häftlingsappell im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin nach 1939

Widerstand von Häftlingen Spielräume, die sie sich durch Tätigkeiten für die SS oder die KZ-Verwaltung verschaffen konnten. Unter den unmenschli- Schon wenige Wochen nach Hitlers Regierungsübernahme chen Haftbedingungen des Lageralltags zu überleben und sich begannen die Nationalsozialisten in vielen Teilen des Reiches innerlich nicht dem Druck der SS zu beugen, waren die Grund- Konzentrationslager zu errichten, in denen sie ihre Gegner in- voraussetzungen für alle Bemühungen von Häftlingen, im KZ haftierten und misshandelten. Eines von ihnen entstand im die eigene Identität und Menschenwürde zu bewahren sowie März 1933 bei Dachau. Es wurde zum Modell für andere La- anderen Häftlingen zu helfen. ger im Emsland, später für die Konzentrationslager Sachsen- Kontakte zu ihren Angehörigen und Freunden in der Freiheit hausen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück waren für die Häftlinge lebensnotwendig. Erlaubt war ein Brief und Neuengamme. Sie sollten die Inhaftierten einschüch- im Monat, dessen Inhalte allerdings einer strengen Postzen- tern, aber auch die Bevölkerung gefügig machen, der so der sur unterlagen. Oft verbot die KZ-Kommandantur jedoch auch Schrecken der nationalsozialistischen Verfolgung vor Augen diesen Weg. Entsprechend versuchten Häftlinge, mit Hilfe ver- geführt wurde. schlüsselter Mitteilungen in zensierten Briefen oder durch ge- In den Lagern wurden zunächst fast nur politische Gefan- heime Nachrichten, sogenannte Kassiber, Verbindungen nach gene festgehalten, vor allem Kommunisten, Sozialdemokra- außen aufzunehmen. In einigen Lagern gelang es sogar, einzel- ten und Gewerkschafter. Nach kurzer Zeit fanden sich hier ne einfache Rundfunkgeräte vor den Bewachern zu verstecken. jedoch all jene Bevölkerungsgruppen wieder, die gemäß der Sie waren wichtige Informationsquellen über den Kriegsverlauf rassistisch definierten NS-Ideologie aus der NS-„Volksge- und die Situation außerhalb der Konzentrationslager. meinschaft“ ausgestoßen werden sollten: Juden, Sinti und Mit dem Krieg entstanden ab 1939 neue Konzentrations- Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, sogenannte Asoziale lager, darunter Auschwitz, Groß-Rosen, Stutthof, Majdanek, und angebliche Berufsverbrecher. 1938 wurden Menschen Natzweiler und Riga. Hier mussten die Häftlinge unter un- aus Österreich und dem Sudetenland in die Konzentrations- menschlichsten Bedingungen Zwangsarbeit verrichten. Ver- lager verschleppt, ein Jahr darauf Tschechen und Polen, spä- nichtungsstätten in den besetzten Gebieten hatten ab Herbst ter Gefangene aus allen deutsch besetzten Ländern. Ab 1943 1941 nur einen Zweck: Menschen fabrikmäßig zu ermorden mussten die Häftlinge vor allem Zwangsarbeit für die deut- und ihre Leichname zu beseitigen. Bis heute stehen die Na- sche Rüstungsindustrie leisten. Sie waren der Willkür, kör- men Chełmno, Belzec, Sobibór, Treblinka und Auschwitz-Bir- perlichen Gewalt und dem psychischen Terror ihrer Peiniger kenau für den nationalsozialistischen Massenmord. aus der SS ausgeliefert. Inhaftierte versuchten auch, sich dem drohenden Tod durch Nicht nur unter den politischen Gefangenen gab es Solida- Flucht zu entziehen. In einigen Lagern fanden sogar gemeinsa- rität und geistig-kulturelle Selbstbehauptung in vielfacher me Ausbruchsversuche und Aufstände statt. Diese deutlichs- Form. Immer wieder versuchten Häftlinge, sich gegen ihre ten Zeichen eines organisierten Häftlingswiderstands gingen Unterdrücker zur Wehr zu setzen und sich im Lageralltag zu zumeist auf Gefangene aus den besetzten bzw. eroberten behaupten. Sie nahmen Verbindungen zu anderen Gefange- Ländern zurück, die seit 1942 die überwiegende Mehrheit der nen auf, halfen Gefährdeten und nutzten vielfach die kleinen Häftlinge in den Konzentrationslagern stellten.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 73 AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung Privatbesitz Zeugen in Deutschland Jehovas

gerhart seger wilhelm hammann ilse unterdörfer

Der 1896 in Leipzig geborene Gerhart Der 1897 bei Groß-Gerau geborene Leh- Die 1913 in Plauen geborene Ilse Unterdör- Seger war in der Weimarer Republik Ge- rer Wilhelm Hammann gehörte seit fer schloss sich Anfang der 1930er-Jahre schäftsführer der Deutschen Friedensge- 1927 als KPD-Abgeordneter dem Hessi- der Glaubensgemeinschaft der Zeugen sellschaft und Redakteur verschiedener schen Landtag an. 1935 wurde er zu drei Jehovas an. Nach deren Verbot in Sachsen sozialdemokratischer Zeitungen sowie Jahren Zuchthaus verurteilt und nach im April 1933 war sie als Kurierin tätig seit 1930 SPD-Reichstagsabgeordneter. seiner Haft 1938 in das KZ Buchenwald und verbreitete Schriften ihrer Glaubens- Am 12. März 1933 wurde Seger festge- verschleppt. Er war dort in der illegalen gemeinschaft. 1936 reiste sie gemeinsam nommen und in das Gerichtsgefängnis KPD-Gruppe aktiv und entwickelte mit mit Erich Frost, dem Bezirksdienstleiter Dessau gebracht, am 14. Juni 1933 in das anderen Häftlingen 1944 Pläne für den für Sachsen, zum Kongress der Zeugen Je- KZ Oranienburg überstellt. Angesichts Neuaufbau eines demokratischen Schul- hovas nach Luzern. Als Frost den Auftrag der unerträglichen Haftbedingungen wesens. bekam, reichsweit die Untergrundtätig- entschloss er sich im Dezember 1933 zur Ab Januar 1945 kümmerte er sich als keit der Zeugen Jehovas in Deutschland Flucht. Blockältester im Kinderblock 8 um meh- zu leiten, übernahm Unterdörfer die Be- Es gelang ihm, in die Tschechoslowa- rere hundert Kinder und organisierte treuung der Bezirksarbeit in Sachsen. Bei- kei zu entkommen, wo er seine Erfah- deren geheimen Unterricht. Hammann de wurden im März 1937 festgenommen, rungen niederschrieb. 1934 erschien sein besorgte Verpflegung und Kleidung, Ilse Unterdörfer wurde im Oktober 1937 Buch „Oranienburg“ in hohen Auflagen schützte die Kinder vor Übergriffen der zu einem Jahr und neun Monaten Haft in vielen europäischen Ländern und SS und vermittelte Kontakte zu Angehö- verurteilt. Nordamerika. Seger unternahm ausge- rigen im Lager. Nach Verbüßung ihrer Strafe wurde dehnte Vortragsreisen, um die Weltöf- Als Anfang April 1945 die Evakuierung sie in das KZ Lichtenburg verschleppt fentlichkeit über die deutschen Konzen- der jüdischen Häftlinge begann, rettete und im Mai 1939 in das neu errichtete trationslager aufzuklären. Hammann gemeinsam mit Häftlingen Frauen-KZ Ravensbrück überstellt. Auch Nach seiner Flucht nahmen die Natio- der Schreibstube alle 159 jüdischen Kinder hier lehnte sie wie die Mehrheit ihrer nalsozialisten im Januar 1934 seine Frau in seinem Block vor dem Todesmarsch. Er Glaubensschwestern jegliche kriegsun- Elisabeth und seine zweijährige Tochter ließ ihre Erkennungszeichen, auf die Häft- terstützende Arbeiten, etwa das Nähen Renate in Haft. Erst nach heftigen öffent- lingskleidung angebrachte gelbe Winkel, von Uniformen, ab. Im Dezember 1939 lichen Protesten kamen sie im Mai 1934 entfernen, organisierte die Änderung verweigerten mehr als 400 Zeuginnen aus dem KZ Roßlau frei und konnten ihrer Eintragungen in der Häftlingskar- Jehovas in Ravensbrück die Produktion schließlich aus Deutschland ausreisen. tei und versicherte den misstrauischen von Patronentaschen und wurden da- Im Oktober 1934 emigrierte die Fami- SS-Männern, die jüdischen Kinder seien für mit Bunkerhaft bestraft. Täglich lie über Frankreich in die USA, wo sich bereits abtransportiert. In der allgemei- mussten sie mehrere Stunden in dünner Seger als Chefredakteur der „Neuen nen Verwirrung der letzten Tage gelang Kleidung bei extremen Minusgraden auf Volkszeitung“ und Berater der amerika- die Täuschung. Alle Kinder in Block 8 dem Gefängnishof stehen und erhielten nischen Regierung weiterhin für ein de- erlebten am 11. April 1945 die Befreiung nur minimale Essensrationen. Trotzdem mokratisches Deutschland einsetzte. im Lager. rückten sie nicht von ihrer Verweige- Nach 1945 engagierte Wilhelm Ham- rungshaltung ab. mann sich erneut für die KPD. 1984 Ilse Unterdörfer überlebte das Kriegs- wurde der 1955 Verstorbene von der is- ende und war später als Predigerin raelischen Gedenkstätte Yad Vashem als der Zeugen Jehovas in Österreich und „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Deutschland tätig.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 74 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Hilfen für Verfolgte

Mit Beginn des Krieges wurde es für die Regimegegner und -kritiker stetig schwieriger, denen zu helfen, die von den Na- tionalsozialisten verfolgt und menschenunwürdig behandelt wurden. Im Mai 1940 untersagte eine Verordnung jeden Umgang mit Kriegsgefangenen, der sich nicht aus beruflicher Zusam- menarbeit oder infolge dienstlicher Belange ergab. Sie zu un- terstützen, bedeutete zunehmend, sich der Verfolgung durch Polizei und Justiz auszusetzen. Doch einzelne Deutsche bewahrten Mitgefühl und Solida- rität. Sie versorgten Zwangsarbeiter mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, steckten ihnen Zigaretten zu, besorgten il- legale Papiere für Untergetauchte, versteckten Verfolgte oder ermöglichten ihnen die Flucht vor einer drohenden Haft oder

Deportation. Grimm ullstein bild – Arthur Im Schloßpark Friedrichsfelde, Berlin, heben 1945 Angehörige des „Volkssturms“ und Zwangsarbeiter Schützengräben zur Verteidigung der Stadt aus.

nistischen Jugendverband (KJVD) an. Auch freundeten Genossen desertierte, versteck- nach dessen Auflösung 1933 setzte sie ihre te ihn Ilse Grubitz im Herbst 1944 zeitwei- politische Arbeit fort und war an Flugblatt- se in ihrer Wohnung. Zusammen mit ihrer aktionen kommunistischer Jugendlicher Mutter Martha Piepenhagen organisierte beteiligt. 1939 heiratete sie den 1914 gebo- sie geheime Quartiere für Juden, die sich renen Richard Grubitz, den sie aus der ge- der drohenden Deportation durch Flucht in meinsamen Tätigkeit im KJVD kannte. die Illegalität entzogen hatten. Das Ehepaar hielt auch nach Kriegsbe- Mehrfach wurden Ilse und Richard Gru- ginn den Kontakt zu politischen Gegnern bitz verhört, ihre Aktivitäten blieben jedoch des NS-Regimes aufrecht. Sie leisteten bis Kriegsende unentdeckt. in vielfältiger Weise Hilfe für Verfolgte. Richard Grubitz wurde 1943 bei der Firma

Privatbesitz Gaubschat in Berlin-Neukölln dienstver- pflichtet, wo er Verbindung zu ukraini- schen Zwangsarbeiterinnen aufnahm. Ilse ilse und richard grubitz und Richard Grubitz unterstützten die Frau- Die 1916 geborene Ilse Piepenhagen begann en mit Kleidung und Essen, in ihrer Woh- mit 14 Jahren eine Ausbildung als Schnei- nung hörten sie mit ihnen gemeinsam den derin und schloss sich 1931 dem Kommu- Moskauer Rundfunk. Als der Sohn eines be-

die noch in Deutschland lebenden Sinti er den Spitznamen „Zigeuner-Paul“. Als und Roma in das Vernichtungslager anderen Kripo-Beamten auffiel, dass die Auschwitz-Birkenau deportiert. Auch in Familie Weiss nicht deportiert worden Wuppertal nahm die Kriminalpolizei im war, wurde deren Zwangssterilisation an- Frühjahr 1943 Sinti und Roma fest. geordnet. Paul Kreber, inzwischen in das Als Kreber die Transportliste erhielt, von den Deutschen besetzte Metz versetzt, konnte er die Namen der Eheleute Hugo holte Familie Weiss nach und brachte sie und Antonie Weiss und ihrer fünf Kinder, zunächst bei sich unter. mit denen er befreundet war, von der Lis- Nach der Entdeckung der Familie wur- te entfernen. Die Familie Kreuz warnte er den Hugo und Antonie Weiss in einer Straß- vor der bevorstehenden Deportation und burger Klinik zwangssterilisiert. Durch ermöglichte ihr damit die Flucht. Den Sin- eine erneute Flucht der Familie blieb ih-

Privatbesitz ti-Familien Reinhard und Meinhard ver- rem Sohn Paul dieses Schicksal erspart. schaffte er gefälschte Ausländerpässe für Paul Kreber gelang es schließlich, die Fa- das besetzte Frankreich und begleitete sie milie in einem Wanderzirkus zu verste- paul kreber auf der Fahrt nach Paris. cken. Seine Hilfsaktionen blieben unent- Der 1910 geborene Paul Kreber arbeitete Kreber ließ Anweisungen seiner Dienst- deckt. ab 1941 als Kriminalassistent im Polizei- stelle unbearbeitet oder verschleppte de- präsidium Wuppertal. Ende 1942 wurden ren Bearbeitung. Unter Kollegen bekam

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Widerstand als Reaktion auf Krieg und NS-Gewaltverbrechen 75

Widerstand der letzten Stunde

Im Frühjahr 1945 rief die NS-Führung dazu auf, den Krieg bis „zum letzten Blutstropfen“ fortzusetzen. Hitler befahl, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung jeden Ort zu verteidigen, Brücken zu zerstören und Versorgungseinrichtungen sowie Industrieanlagen unbrauchbar zu machen. Jeder, der sich die- sen Befehlen widersetzte oder Zweifel am Sinn von Durchhal- teparolen äußerte, riskierte sein Leben. Mehrfach versuchten Deutsche, Kämpfe in ihrer Umgebung zu verhindern. Sie nahmen Kontakt zu den alliierten Truppen- verbänden auf, entwaffneten Mitglieder des „Volkssturms“, in dem gegen Kriegsende Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren zur Heimatverteidigung zusammengefasst worden waren, oder forderten NS-Führer auf, Dörfer und Städte kampflos zu übergeben. Viele bezahlten ihren Kampf gegen den „Krieg bis zur letzten Patrone“ mit dem Tod. Sie wurden standrechtlich verurteilt, öffentlich gehängt oder verschleppt – nicht selten nur Stunden, bevor alliierte Truppen eintrafen. Robert Limpert hatte bereits als Jugendlicher den Natio- nalsozialismus entschieden abgelehnt. Anfang März 1945 zum Kriegsdienst eingezogen, wurde der seit seiner Kindheit schwer Herzkranke acht Tage später als wehruntauglich ent- lassen. Er kehrte in seine Heimatstadt Ansbach in Franken zurück, deren Kampfkommandant Ernst Meyer entschlossen war, die Stadt „bis zum letzten Mann“ zu verteidigen. Limpert verfasste und vervielfältigte mehrere Flugblätter, in denen er die Bürger aufrief, als Zeichen der Kapitulation weiße Fahnen zu hissen und die Stadt kampflos zu übergeben. Er plakatierte sie nachts an Hauswände und Türen. Am 18. April beobachteten Hitlerjungen Limpert, als er ein Telefonkabel zwischen dem kurz zuvor aufgegebenen Ge- 58/6) Nr. Maier (Signatur Domprediger Sammlung Regensburg, Bischöfliches Zentralarchiv fechtsstand des Kommandanten im Ansbacher Schloss und Domprediger Johann Maier, hier zu Besuch in Marklkofen 1938 den vor der Stadt postierten Truppeneinheiten zerschnitt. Limpert wurde denunziert, festgenommen und vor ein Stand- gericht gestellt, bei dem der Kampfkommandant selbst das rikanischen Truppen und die Zerstörung Brettheims verhin- Todesurteil sprach und es schließlich eigenhändig vollstreckte. dern. SS-Gruppenführer Max Simon, früher Kommandant des Wenige Stunden vor dem Eintreffen amerikanischer Truppen Konzentrationslagers Sachsenburg und jetzt General der Waf- am 18. April 1945 erhängte er den erst 19-Jährigen am Ansba- fen-SS, befahl einem Offizier seines Stabes, diese „Schweinerei“ cher Rathaustor. zu ahnden. Das Dorf wurde umstellt, die meisten Einwohner Am 22. April 1945 hatte der NSDAP-Gauleiter Ludwig Ruck- des Ortes wurden verhört. Schließlich meldete sich der Bau- deschel in einer fanatischen Rede die Verteidigung der Stadt er Friedrich Hanselmann freiwillig als einer der „Täter“ und Regensburg bis zum Letzten gefordert. Doch am Morgen des nannte unter Schlägen die Namen von zwei weiteren Betei- 23. April 1945 verbreitete sich das Gerücht, dass eine Kundge- ligten. Als sich der Bürgermeister und der Ortsgruppenführer bung zur kampflosen Übergabe der Stadt an die amerikani- weigerten, das rasch gefällte Todesurteil des Standgerichts schen Truppen geplant war. Am Nachmittag versammelten gegen Hanselmann zu unterzeichnen, wurden auch sie am sich tatsächlich mehrere hundert Menschen vor dem Neuen 9. April 1945 angeklagt und zum Tode verurteilt. Einen Tag Rathaus der Stadt, unter ihnen der Domprediger von Regens- später wurden sie zusammen mit Friedrich Hanselmann er- burg Johann Maier. mordet. Als im Laufe des Abends immer mehr Menschen auf den Platz strömten und die Situation zu eskalieren drohte, rief Mai- er die Menge zur Besonnenheit auf. Dennoch wurde er fest- genommen, noch am selben Abend vor ein Standgericht ge- stellt und kurz nach Mitternacht mit dem 70-jährigen Rentner Josef Zirkl zum Tode verurteilt. Beide Männer wurden in den frühen Morgenstunden des 24. April öffentlich erhängt. Dabei trug Johann Maier ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: „Hier starb ein Saboteur.“ Am 27. April 1945 wurde Regensburg kampflos an die 3. US-Armee übergeben. Einige Einwohner des bei Rothenburg gelegenen Dorfes Brettheim entwaffneten im April 1945 eine Gruppe Hitlerjun- gen und nahmen ihnen ihre Panzerfäuste weg. Sie wollten damit den sinnlosen Kampf mit den heranrückenden ame-

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 76 GDW

Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Gedenkfeier der Bundesregierung zum 10. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Berliner Bendlerstraße am 20. Juli 1954. Ein Jahr später wurde die Bendlerstraße in Stauffenbergstraße umbenannt.

JOHANNES TUCHEL / JULIA ALBERT Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945

Die Breite und Vielfalt des Widerstands gegen den National- geprägten Gesellschaft mit nur wenigen Ausnahmen nega- sozialismus in der Erinnerungskultur zu verankern, war ein tiv bewertet. Es war der üble Beigeschmack des Verrats, der mühsames Unterfangen. Vieles wurde dabei ignoriert, ver- den Handlungen der Widerstandskämpferinnen und Wider- drängt, vergessen. Mit der Erinnerung an den Widerstand soll- standskämpfer lange Zeit anhaftete. Hierunter hatten nicht ten in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften auch nur die unmittelbar Beteiligten selbst zu leiden, sondern auch politische Ziele begründet werden. Die Erinnerungskultur ist die Familienangehörigen der Menschen, die von der national- daher nicht zu trennen von der Geschichte der beiden deut- sozialistischen Unrechtsjustiz ermordet worden waren. schen Staaten zwischen 1949 und 1989 und dem damit ver- In den ersten Jahren nach 1945 fanden kaum öffentliche bundenen Systemgegensatz zwischen Ost und West. Erst seit Gedenkfeiern statt, und in den Medien gab es nur wenige 1989/1990 hat sich ein vielfältiges, Entwicklungslinien, Brü- zaghafte Schilderungen. Lediglich die Widerstandskämpferin- che und Widersprüche akzeptierendes Bild vom Widerstand nen und Widerstandskämpfer selbst oder ihre Angehörigen gegen den Nationalsozialismus durchsetzen können. versuchten, die Erinnerung an die Toten aufrechtzuerhalten. Viele von ihnen wurden auch nach der Befreiung vom Natio- nalsozialismus als „Verräter“ angesehen und offen als solche bezeichnet. Daran änderte auch eine „Ehrenerklärung“ der Öffentlichkeit und politische Bundesregierung nichts, die Jakob Kaiser, Bundesminister für Würdigungen gesamtdeutsche Fragen, im Oktober 1951 abgab, und die sich explizit gegen derartige Verratsvorwürfe richtete. 1952 legte Luise Olbricht, Witwe des am 20. Juli 1944 erschos- Die Wege zur Anerkennung des Widerstandes gegen den Natio- senen Generals Friedrich Olbricht, den Grundstein für das Eh- nalsozialismus in Nachkriegsdeutschland waren lang; längst renmal zur Erinnerung an die Opfer des Umsturzversuches im nicht alle Formen und Aktionen des Widerstandes wurden Berliner Bendlerblock. Es ist bezeichnend, dass die Anregung akzeptiert, viele von ihnen waren lange Zeit heftig umstritten dafür von den Hinterbliebenen und nicht von staatlicher Sei- oder blieben gar vollkommen unbekannt. te kam. Seither finden jährlich am 20. Juli dort Gedenkfeiern Grundsätzlich wurde der Widerstand gegen den National- statt; erst in den 1980er-Jahren jedoch sollte der 20. Juli zu sozialismus in den westlichen Besatzungszonen in der unmit- einem Gedenktag für die gesamte Breite und Vielfalt der Re- telbaren Nachkriegszeit in einer noch direkt vom NS-Regime gimegegnerschaft werden.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945 77

Die Würdigung und nachträgliche Legitimierung des Um- zuzugestehen und sie nicht als Handlanger Moskaus zu sturzversuches vom 20. Juli 1944 durch Angehörige der politi- verstehen. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Willy schen Eliten der Bundesrepublik Deutschland ist ohne die Ein- Brandt, der in der NS-Zeit ins Ausland geflüchtet war, wurde beziehung des Volksaufstands in der DDR am 17. Juni 1953 nicht lange Zeit systematisch als „Emigrant“ diffamiert. Bundes- denkbar. Typisch ist dafür die Rede des Berliner Regierenden präsident Gustav Heinemann würdigte 1969 den Hamburger Bürgermeisters Ernst Reuter vom 19. Juli 1953: „Der Bogen vom Kommunisten Fiete Schulze und stieß dabei auf scharfe Kritik. 20. Juli 1944 spannt sich heute, ob wir wollen oder nicht, zu Eine rechtsradikale Zeitung titelte: „Heinemanns verbrecheri- dem großen Tage des 17. Juni 1953, zu jenem Tag, an dem sich sche Vorbilder – Von Graf Stauffenberg zu Fiete Schulze gibt ein gepeinigtes und gemartertes Volk in Aufruhr gegen seine es keine Brücke“. 1974 kam es zu einem Eklat, als ausgerech- Unterdrücker und gegen seine Bedränger erhob und der Welt net der ehemalige Marinestabsrichter Hans Karl Filbinger bei den festen Willen zeigte, dass wir Deutschen frei sein und als der Gedenkfeier im Reichstag sprach. Angehörige von Wider- ein freies Volk unser Haupt zum Himmel erheben wollen. Wir standskämpfern verließen demonstrativ diese Feier. Filbinger wissen, dass dieser 17. Juni wie einst der 20. Juli nur ein Anfang war seit 1943 an mehreren kriegsgerichtlichen Todesurteilen war. Aber ich glaube, es ist gut, es ist richtig, wenn wir auch an beteiligt gewesen und rechtfertigte dies mit den Worten: „Was diesem Tage den Bogen vom 20. Juli zu den Ereignissen schla- damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“ 1976 gen, die uns heute innerlich bewegen.“ schließlich kam es zu heftigen Debatten, als Herbert Weh- Bundespräsident Theodor Heuss, der sich noch 1950 der Bit- ner, SPD-Fraktionschef und ehemaliger KPD-Funktionär, als te versagt hatte, im Rundfunk Worte der Würdigung und des Redner der jährlichen Gedenkfeier vorgesehen war. Wehner Gedenkens an den 20. Juli 1944 zu sprechen, wies in einem 1952 verzichtete schließlich; an seiner Stelle sprach der Berliner veröffentlichten Schreiben an Annedore Leber, die Frau des er- Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe. Diese Beispiele zei- mordeten Widerstandskämpfers Julius Leber, alle Verratsvor- gen, dass von einem breiten Konsens über den Widerstand zu würfe deutlich zurück und äußerte sich 1954 klar und eindeutig dieser Zeit auf keinen Fall gesprochen werden kann. zum Erbe des Widerstands: „Die Scham, in die Hitler uns Deut- In Berlin gab es seit 1953 am Ort des Umsturzversuches vom sche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten 20. Juli 1944 eine Gedenktafel und ein Mahnmal, seit 1968 eine deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist kleine Ausstellung. 1983 erteilte der damalige Regierende Bür- noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung ist noch nicht eingelöst.“ germeister von Berlin den Auftrag, hier die gesamte weltan- In der westdeutschen Bevölkerung allerdings war der Wider- schauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstands gegen stand gegen den Nationalsozialismus überwiegend noch nicht den Nationalsozialismus aufzuzeigen. Erneut kam es zu hefti- akzeptiert. So beurteilten 1951 nur 43 Prozent der Männer und 38 gen Diskussionen, etwa über die Darstellung des kommunisti- Prozent der Frauen die „Männer vom 20. Juli“ positiv. Im Sommer schen Widerstands, des Exils, der Roten Kapelle und des Nati- 1956 lehnte es eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung onalkomitees „Freies Deutschland“. Kommunisten hätten – so (54 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen) ab, eine Schu- die Kritik – lediglich versucht, eine Diktatur durch eine andere le nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffen- zu ersetzen. Erneut wurde ihnen eine eigenständige Hand- berg oder nach dem zivilen Kopf des Umsturzversuches vom lungsmotivation abgesprochen. Diese Diskussionen flammten 20. Juli 1944, Carl Friedrich Goerdeler, zu benennen. Nur 18 Pro- 1994 und 1997 erneut auf, bevor deutlich wurde, dass ein re- zent der Befragten sprachen sich dafür aus. alistisches Bild vom NS-Widerstand, von seinem politischen Der Anteil der positiven Beurteilung des 20. Juli 1944 sollte Scheitern und seiner moralisch-ethischen Bedeutung nicht sich auch in den folgenden Jahrzehnten nur unwesentlich än- gewonnen werden kann, ohne alle Strömungen einzubezie- dern. Eine Umfrage vom Frühjahr 1970 machte deutlich, dass hen, die sich der totalitären Bedrohung durch den Nationalso- 39 Prozent die „Männer vom 20. Juli“ positiv beurteilten (gegen- zialismus entgegengesetzt hatten. über 40 Prozent im Jahr 1951) und nur noch 7 Prozent sie ablehn- Die DDR verstand sich als der aus dem antifaschistischen ten (gegenüber 30 Prozent im Jahr 1951). Stark angestiegen war Widerstand geborene deutsche Staat, in dem das Vermächt- der Kreis derer, die nichts über die Ereignisse des 20. Juli 1944 nis der Widerstandskämpfer verwirklicht werden würde und wussten (37 Prozent gegenüber 11 Prozent im Jahr 1951). 1985 ver- berief sich vor allem auf den Widerstand aus der Arbeiterbe- änderte das Institut für Demoskopie Allensbach zwar seine Be- wegung und aus der Kommunistischen Partei. Tatsächlich wertungsmethode, bezog aber in seine Ergebnisse nur noch die- wurde in der DDR nur ein sehr eingeschränktes Bild vermittelt. jenigen ein, die über die Ereignisse des 20. Juli 1944 „richtige oder Gab es etwa noch 1945/46 in der Sowjetisch Besetzten Zone ungefähr richtige Angaben“ machen konnten. Gegenüber 1971 (SBZ) positive Bewertungen des 20. Juli 1944, wurde dieser war die Bewertung fast unverändert, lediglich die negativen Be- später diffamierend oft als „Generalsputsch" bezeichnet. Dies wertungen gingen geringfügig zurück. Erst im Jahr 2004 gab es änderte sich erst Mitte der 1980er-Jahre, als im Zuge der De- in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung batte über die Nachrüstung die Sozialistische Einheitspartei erstmals eine überwiegend positive Beurteilung des 20. Juli 1944. Deutschlands (SED), die in der DDR die Führungsrolle inne hat- 1958 resümierte der Publizist und NS-Widerstandskämpfer te, eine „Koalition der Vernunft“ anstrebte und sich dabei auch Rudolf Pechel: „Der Einfluss der Überlebenden des Widerstan- auf die Gemeinsamkeit der Widerstandskämpfer gegen den des ist heute in Deutschland gering. [...] Intellektuelle Rollkom- Nationalsozialismus berief. Im Juli 1984 brachte das SED-Zen- mandos mit notorischen Denunzianten und Rufmördern an tralorgan „Neues Deutschland“ einen ganzseitigen Artikel der Spitze können sich heute in Verunglimpfungen der Wider- über den 20. Juli 1944 mit einem ehrenden Foto von Claus standskämpfer versuchen, ohne dass ihnen etwas geschieht.“ Schenk Graf von Stauffenberg. Damit war eine Neubewertung Immer wieder kam es auch in den 1960er- und 1970er-Jah- eingeleitet. Trotzdem stand in der DDR weiterhin die These im ren zu politischen Auseinandersetzungen um den Widerstand Vordergrund, dass der Widerstand in Deutschland nur unter gegen den Nationalsozialismus. Bundespräsident Heinrich Führung der Moskauer Exil-KPD möglich gewesen sei. Mit der Lübke sprach sich bereits 1964 dafür aus, kommunistischen historischen Realität des Widerstands gegen den Nationalso- Regimegegnern eigenständige idealistische Handlungsmotive zialismus hatte dies allerdings nichts zu tun.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 78 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

Der Remer-Prozess – ein Wendepunkt Ringen um Entschädigung

Einer der Männer, die am 20. Juli 1944 von Reichspropaganda- Auch in Entschädigungsverfahren war immer wieder ein sehr minister Joseph Goebbels mit der Niederschlagung des Um- eng gefasster Begriff des Widerstands gegen den National- sturzversuchs beauftragt worden waren, Oberst Otto Ernst Re- sozialismus zu erkennen. Ausgrenzungsmechanismen, die mer, hatte schon im Mai 1951 erklärt: „Es wird die Zeit kommen, zum Teil weit vor 1933 zurückgreifen, wurden in der jungen in der ‚man‘ oder ‚mancher‘ […] schamhaft verschweigt, dass Demokratie der Bundesrepublik Deutschland weitergegeben man zum 20. Juli 1944 gehört hat. Ich bin für meine Person und blieben wirksam. Im Osten wie im Westen wurde die weitaus bescheidener und nehme nur das kleine geschicht- Anerkennung als politisch Verfolgter vielfach nicht mit dem liche Verdienst in Anspruch, den an sich schon missglückten Verhalten vor, sondern nach 1945 verbunden. Kommunisten Putsch für Berlin vereitelt zu haben. Sie können überzeugt erhielten im Westen weder Anerkennung noch materielle Ent- sein, es gibt eine Reihe von sogenannten Widerstandskämp- schädigungen, ähnlich ging es im Osten Deutschlands bürger- fern, die, als die Dinge schief gingen, sich gegenseitig verrie- lichen Widerstandskämpfern oder Sozialdemokraten, die sich ten. Diese nehmen heute große Staatspensionen in Empfang. der Vereinigung von SPD und KPD widersetzt hatten. […] Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landes- Jenen Menschen etwa, die wir heute wegen ihrer Hilfe für verräter, die vom Auslande bezahlt wurden. Sie können Gift von der Deportation bedrohte Juden als „Stille Helden“ ehren, darauf nehmen, diese Landesverräter werden eines Tages vor wurde in der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren die Aner- einem deutschen Gericht sich zu verantworten haben.“ kennung versagt: „Deshalb ist auch der Verkehr mit jüdischen Für diese Diffamierungen wurde Remer im März 1952 dann Menschen, der Abschluss von Geschäften mit ihnen oder in allerdings selbst wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Ver- ihrem Interesse wie auch die ihnen gewährte persönliche Hil- unglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Haftstrafe feleistung und Beratung, sei es im Rahmen des Berufs, sei es von drei Monaten, der ersten seiner vielen Strafen, verurteilt. auf Grund persönlicher Freundschaft, kein Widerstand gegen Es wäre jedoch nicht zu dem Verfahren gegen ihn gekom- den Nationalsozialismus, da solche Taten nicht geeignet sind, men, wenn sich nicht Fritz Bauer, zu dieser Zeit noch als Ge- ein Regime zu unterhöhlen.“ Mit anderen Worten: Menschen, neralstaatsanwalt in Braunschweig tätig, besonders engagiert die verfolgten Juden geholfen hatten, standen weder eine Ent- hätte. Im Zentrum der Bemühungen Bauers stand die höhere schädigungszahlung noch eine laufende Renten- oder Beihil- Akzeptanz in der Gesellschaft für den Umsturzversuch vom fenzahlung zu. 20. Juli 1944, nicht jedoch für die gesamte Breite der gegen den Wie die Realität der Angehörigen der Widerstandskämp- Nationalsozialismus gerichteten Aktivitäten. Dieses Vorhaben fer aussah, zeigte eine kleine Zeitungsmeldung vom 21. Juli gelang, im Urteil erkannte das Gericht das Handeln der am 1951: Die Oberfinanzdirektion München verfügte, dass ein Umsturzversuch des 20. Juli 1944 Beteiligten als rechtmäßigen Unterhaltsgeld in Höhe von 160 Deutsche Mark im Monat an Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime an. die Witwe des nach dem 20. Juli 1944 vom „Volksgerichtshof“ Um die nachträgliche Legitimierung des Widerstandsrechts zum Tode verurteilten und hingerichteten Obersten Rudolf zu erreichen, hatte Bauer ausdrücklich darauf verzichtet, ande- Graf von Marogna-Redwitz nicht mehr weitergezahlt werde, re Widerstandsgruppen in das Verfahren einzubeziehen, ja so- da „wegen Hoch- und Landesverrat verurteilte frühere Wehr- gar Familienangehörige der Widerstandsgruppe Rote Kapelle machtangehörige“ keinerlei Anrecht auf irgendwelche Pensi- aufgefordert, eigene Strafanträge gegen Remer zurückzuzie- onen oder Renten hätten. hen. Die Rote Kapelle, bis weit in die 1980er-Jahre vollkommen Einer anderen Witwe eines am 20. Juli 1944 Beteiligten, der zu Unrecht als „kommunistische Spionagegruppe“ diffamiert, danach den Freitod gewählt hatte, wurde eine Rentenzahlung wurde weder im Remer-Prozess noch in der öffentlichen Mei- mit folgender Begründung verweigert: „Ihr Mann hat über- nung in der Bundesrepublik als Teil des Widerstands gegen haupt kein nationalsozialistisches Unrecht erlitten, er hat sich den Nationalsozialismus akzeptiert. vielmehr selbst erschossen und ein erledigendes nationalsozia- listisches Unrecht nicht abgewartet.“ Renten- und Pensionszahlungen sowie Wiedergutmachungs- leistungen setzten vielfach erst spät in den 1950er-Jahren ein. Ohne die – seit 1951 mit Bundesmitteln unterstützte – „Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944“ hätten viele Familienange- hörige von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 in großer materieller Not gelebt. Zu einer gesetzlichen Regelung für die Ansprüche der Hinterbliebenen, deren Männer im Zusam- menhang mit dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 hinge- richtet worden waren, konnte sich die Bundesregierung aber nie entschließen. Auch das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von 1956 führte bei weitem nicht dazu, dass alle Widerstandsaktivitä- ten und Opfergruppen berücksichtigt wurden. Gerhard Gronefeld / Deutsches Historisches Museum, Berlin Historisches Museum, Deutsches / Gronefeld Gerhard

Fritz Bauer (l.) mit Staatsanwalt Rolf Herzog während des Prozesses gegen Otto Ernst Remer 1952

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945 79

Fehlende juristische Aufarbeitung Historische und mediale Aufarbeitung

Wie sah es in den ersten Jahren der Bundesrepublik mit der Erste Bücher über den Widerstand erschienen ab 1946 nicht Strafverfolgung gegen jene Gestapo-Beamte und Richter aus, in Deutschland, sondern in der Schweiz. Die alliierten Besat- die Widerstandskämpfer nach dem 20. Juli 1944 gefoltert hat- zungsmächte hatten ebenso wie die deutsche Bevölkerung ten oder an den justizförmigen Verurteilungen und Tötungen kein sonderliches Interesse am Thema. Die wissenschaftliche des „Volksgerichtshofs“ teilgenommen hatten? Aufarbeitung setzte dann vor allem mit biografischen Studien Der frühere SS-Standartenführer und Jurist Walther Hup- in den 1950er-Jahren ein. Lebensgeschichten sollten die histo- penkothen hatte als „Anklagevertreter“ im April 1945 an den rischen Persönlichkeiten vom Vorwurf des Verrats befreien. In „Standgerichtsverfahren“ im KZ Sachsenhausen gegen Hans den 1960er-Jahren kam es zur Aufarbeitung des 20. Juli 1944; von Dohnanyi und im KZ Flossenbürg gegen Wilhelm Canaris, Studien zum Arbeiterwiderstand folgten in den 1970er-Jahren. Dietrich Bonhoeffer, Hans Oster und andere teilgenommen. Im Zentrum des späteren wissenschaftlichen Interesses stan- Das Verfahren gegen Huppenkothen, der bei den „Standge- den der Widerstand im Alltag, die Hilfen für Verfolgte, die Rote richtsverfahren“ mehrere Todesurteile empfohlen hatte, ging Kapelle, der Widerstand von Jugendlichen und die Formen des über mehrere Instanzen. Letztinstanzlich urteilte der Bundes- Widerstands gegen den nationalsozialistischen Rassen- und gerichtshof 1956 zugunsten der Juristen des NS-Regimes. Weltanschauungskrieg, die Desertion und die Beteiligung von Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs, analysier- Widerstandskämpfern an nationalsozialistischen Gewaltver- te dies 2003 kritisch: „Der Bundesgerichtshof […] hob 1956 die- brechen. Diese Debatten trugen ebenso wie neuere Detailstu- se Verurteilungen auf und sprach die Angeklagten von dem dien dazu bei, dass wir heute ein differenziertes Bild vom Wi- Vorwurf frei, durch die Standgerichtsverfahren Beihilfe zum derstand gegen den Nationalsozialismus haben. Mord geleistet zu haben. In der Begründung behandelte der In den Medien erfuhr und erfährt der Widerstand gegen Bundesgerichtshof das SS-Standgericht als ordnungsgemä- den Nationalsozialismus zu den Jahrestagen des 20. Juli grö- ßes Gericht, das offenkundige Scheinverfahren als ordnungs- ßere Aufmerksamkeit. Immer wieder bewegten auch Filme gemäßes Gerichtsverfahren und das Urteil als dem damali- wie Falk Harnacks „Der 20. Juli“ von 1955 ebenso wie der zeit- gen Recht entsprechend. Die Begründung ist ein Schlag ins gleich entstandene „Es geschah am 20. Juli“ von Georg Wil- Gesicht. Den Widerstandskämpfern wird attestiert, sie hätten helm Pabst die Öffentlichkeit. Erst 1971 entstand das mehrfach ‚nach den damals geltenden und in ihrer rechtlichen Wirk- ausgezeichnete zweiteilige Doku-Drama „Operation Walküre“ samkeit an sich nicht bestreitbaren Gesetzen‘ Landes- und von Franz Peter Wirth. 1982 war „Die Weiße Rose“ von Michael Hochverrat begangen. Den SS-Richtern könne nicht zum Vor- Verhoeven der erfolgreichste deutsche Kinofilm. Zu heftigen wurf gemacht werden, dass sie die Frage der Rechtfertigung Diskussionen führte der Abspann des Filmes, in dem auf die des Verhaltens der Angeklagten nicht geprüft hätten.“ damals immer noch rechtsgültigen Todesurteile des „Volksge- Zu Recht stellte Hirsch fest, dass die Folgen dieses Urteils richtshofs“ hingewiesen wurde. und der „ungesühnt gelassenen Justizmorde“ verheerend Internationale Aufmerksamkeit erlangte 1993 der Spiel- gewesen seien. Fast alle Ermittlungsverfahren gegen Richter film „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg, der erstmals um- und Staatsanwälte wurden eingestellt, erst Jahrzehnte später fassend die Hilfe für verfolgte Juden thematisierte. Roman begann ein neues – ebenfalls erfolgloses – Ermittlungsverfah- Polanski griff dieses Thema 2002 in „Der Pianist“ erneut auf. ren gegen Richter und Staatsanwälte des „Volksgerichtshofs“. 2004 legte dann Jo Baier den Fernsehfilm „Stauffenberg“ vor. Nur als Versagen von Politik und Justiz kann die Tatsache Heftig wurde das Spannungsverhältnis zwischen historischen verstanden werden, dass alle Unrechtsurteile des „Volksge- Fakten und der Filmhandlung diskutiert. Bereits im Vorfeld richtshofs“, der Sondergerichte und der Militärjustiz weiter war der 2008 veröffentlichte Film „Operation Walküre“ des gültig blieben. Teilweise standen sie noch bis in die 1980er- US-amerikanischen Regisseurs Bryan Singer umstritten. Kritik Jahre im Bundeszentralregister, einem zentralen amtlichen richtete sich vor allem gegen den Hauptdarsteller Tom Cruise, Register, in das u. a. strafrechtlich rechtskräftige Entscheidun- der ein ranghoher Angehöriger der Scientologen ist, und die gen deutscher Gerichte eingetragen werden. Eine Aufhebung Darstellung der Angehörigen des zivilen Widerstands im Film. eines Urteils konnte zwar im Einzelfall beantragt werden, die Neuere Filmproduktionen befassen sich auch mit den letzten Staatsanwaltschaft musste dann prüfen und gegenüber dem Tagen der Sophie Scholl und dem Schicksal von Georg Elser. zuständigen Gericht ausführlich die Empfehlung zur Aufhe- Dies sind nur einige Beispiele, aus denen deutlich wird, wie bung des Urteils begründen. sehr das Thema des Widerstands gegen den Nationalsozialis- Dies blieb bis in die 1990er-Jahre so. Erst mit dem Gesetz mus auch heute noch Medien und Öffentlichkeit beschäftigt. zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Wir haben uns heute endgültig von der Perspektive gelöst, Strafrechtspflege von 1998 wurden die Urteile des „Volksge- dass es irgendeine gesellschaftliche Großgruppe gegeben hat, richtshofs“ grundsätzlich aufgehoben, und erst 2009 erfolgte die in ihrer Gesamtheit gegen den Nationalsozialismus ge- die grundsätzliche Aufhebung von Urteilen, die wegen soge- standen hat. Widerstand war immer die Haltung einer kleinen nannten Kriegsverrats gesprochen worden waren. Konkret Minderheit, von einzelnen und oft sehr einsamen Menschen. hieß dies, dass die meisten der Todesurteile, die der „Volksge- Doch je mehr wir von ihnen wissen, desto genauer können wir richtshof“ gegen die Beteiligten am Umsturzversuch vom 20. immer wieder die stets aktuelle Frage nach den Handlungs- Juli 1944 gesprochen hatte, bis zum 1. September 1998 noch spielräumen und -möglichkeiten des einzelnen Menschen in Rechtskraft besaßen. der heutigen demokratischen Gesellschaft stellen.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 80 WIDERSTAND GEGEN DEN NATIONALSOZIALISMUS

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Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 83

Der Autor und die Autorin Weiteres zum Thema Nationalsozialismus in den „schwarzen Heften“: Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Wider- stand in Berlin, apl. Prof. am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, z. Zt. Gastprofessor am Touro-College Ber- lin, Studiengang Master of Arts in Holocaust Communication and To- lerance. Julia Albert, M. A., Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ge- denkstätte Deutscher Widerstand. Die Verfasser danken ihren Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstät- te Deutscher Widerstand für ihre umfangreiche Unterstützung bei der Erarbeitung des Textes.

Impressum

Herausgeberin: Text und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Text kann in Schu- Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Adenauerallee 86, 53113 len zu Unterrichtszwecken vergütungsfrei vervielfältigt werden. Bonn, Fax-Nr.: 02 28/99 515-309, Internetadresse: www.bpb.de/izpb, Der Umwelt zuliebe werden die Informationen zur politischen Bil- E-Mail: [email protected] dung auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Redaktion: Christine (verantwortlich/bpb), Jutta Klaeren, Peter Schuller (Volontär)

Redaktionelle Mitarbeit: Imke Marie Dralle, Göttingen; Alina Finke, Köln

Titelbild: Fotos der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg (l.) und Georg Elser in der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand am 26. Juni 2014 in Berlin. Diese Ausstellung wurde nach einer grundlegenden Neugestaltung am 1. Juli 2014 feier- Anforderungen lich wiedereröffnet. Foto: Jörg Carstensen / dpa

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Druck: Absenderanschrift bitte in Druckschrift. apm alpha print medien AG, 64295 Darmstadt Abonnement-Anmeldungen oder Änderungen der Abonnement- Vertrieb: modalitäten bitte melden an [email protected] IBRo, Verbindungsstraße 1, 18184 Roggentin Informationen über das weitere Angebot der Bundeszentrale für poli- Erscheinungsweise: tische Bildung/bpb erhalten Sie unter der o. g. bpb-Adresse. vierteljährlich ISSN 0046-9408. Auflage dieser Ausgabe: 500 000 Für telefonische Auskünfte (bitte keine Bestellungen) steht das Info- Redaktionsschluss dieser Ausgabe: telefon der bpb unter Tel.: 02 28/99 515-0 Montag bis Freitag zwischen Juli 2016 9.00 Uhr und 18.00 Uhr zur Verfügung.

Informationen zur politischen Bildung Nr. 330/2016 09:35 Neu: 06.April Donnerstag Internationaler Tag auf Bengalisch brihospotiba des Sports im Dienste -r die Timer-App! von Entwicklung und Frieden 365 Tage im Jahr Infos, Quiz und vieles mehr

Es lebe der Sport! Heute erinnern wir uns an die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit 1896. Es geht aber auch eine Nummer kleiner: auf Sportfesten, Wettkämpfen oder im Verein vor Ort. Damit das Ganze läuft, helfen unzählige Engagierte . Der Deutsche Olympische Sportbund schätzt, dass sie jährlich über 290 Millionen Stunden investieren.

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