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Sport AP Hannoveraner Profi Asamoah im Spiel gegen den Karlsruher SC, als Zuschauer beim Training seiner Kollegen: Je dicker die Herzwand,

FUSSBALL „Gott weiß, was er tut“ Gerald Asamoah war die große Hoffnung von . Doch die Ärzte stellten einen Herzfehler fest. Sie haben ihm gesagt, daß er tot umfallen könnte, wenn er weiter Fußball spielt. Jetzt suchen Asamoah und sein Arbeitgeber einen Arzt, der das Gegenteil behauptet.

achmittags um vier hat der junge moah, 20, leidet an einer Herzkrankheit. Mann früher eine Turnhose getra- Die Ärzte haben ihm gesagt, daß er tot Ngen. Dann übte er mit den Kollegen umfallen könnte, wenn er weiter Fußball von Hannover 96 das Fußballspiel. So steht spielt. Exitus durch plötzlichen Herztod, es in seinem Arbeitsvertrag. ein Ende, das in diesem Jahr schon sieben Zur Zeit fährt Gerald Asamoah nach- Hochleistungssportler getroffen hat. mittags um vier sein Automobil spazieren. Die meisten starben, weil sie nie richtig Sein Gehalt ist anständig, vor einem halben untersucht wurden, und deshalb wußte kei- Jahr hat er sich was Feines geleistet: Mer- ner, daß ihr Herz krank war. Und seit das cedes Coupé, Ledersitze, 1a-Stereoanlage. in der Zeitung nachzulesen war, laufen Manchmal kreuzt er ziellos durch Hanno- Deutschlands Fußballprofis mit der Angst ver; er läßt sich dabei von afrikanischer auf den Rasen. Es kann jeden von ihnen er- Musik beschallen, und wenn es ihm lang- wischen; denn kaum einer ist vom Doktor

weilig wird, parkt er vor seinem Stammla- richtig auf den Kopf gestellt worden. C. AUGUSTIN FOTOS: den in der Innenstadt und trinkt Früchtetee. Die Geschichte des Mannes aus Asamoahs Vater William Gerald Asamoah ist ein hochbegabter zeigt auf, wie der Gesundheitsbetrieb im „Na ja, das Geld gehört ihm“ Fußballspieler. Wenn er könnte, dürfte er hochgezüchteten Profisport funktioniert. für die Nationalmannschaft seiner Heimat Der Patient als Ware, deren Wert sich am Daß Asamoah nicht gesund ist, kommt Ghana stürmen.Wenn man ihn ließe, wür- Wiederverkaufswert bemißt. Wie es drin- durch einen Zufall ans Licht.Womöglich ist de er nächstes Jahr nicht mehr in der Zwei- nen aussieht, muß keiner im Detail wis- das, was am 27. September passierte, daran ten Liga arbeiten, sondern eine Etage drü- sen; kranke Fußballer sind totes Kapital schuld, daß er noch lebt. Es ist ein schwüler ber. Der Hamburger SV ist schon vorstel- (siehe Seite 158). Es ist, als wenn der Ford Sonntag, an dem Hannover 96 gegen den FC lig geworden, Werder auch. Granada, Baujahr 1978, bei Ali auf dem St. Pauli spielen muß. Der Mittelstürmer Aber er darf nicht. Man hat ihn bis auf Hinterhof vorfährt: Rost entfernen, schwei- hat keinen Appetit an diesem Tag, er ißt nur weiteres aus dem Verkehr gezogen. Asa- ßen, verscheuern. ein Stück Kuchen, kurz vor dem Anpfiff.

156 der spiegel 46/1998 Asamoah hat einen Profivertrag bis zum 30. Juni 2000 unterschrieben. Er hatte die Vorstellung, daß es danach richtig losgeht mit Ruhm und Geld. Im Moment ist er Ar- beitnehmer mit gekürzter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, weil ihm die Auflauf- prämien fehlen. Und wenn sich daran nichts ändert, dann muß er sich nach dem 30. Juni 2000 beim Arbeitsamt anstellen. Der Fußballprofi ist bekennender Pro- testant, er glaubt an Gott und daran, daß Gott ihm jetzt hilft. „Gott weiß, was er tut“, sagt er. Und wenn Gott nicht hilft, dann hilft vielleicht ein Arzt. Irgendeiner. Es gibt, sagt er, schließlich auch die Ge- schichte des berühmten Kollegen Nwank- wo Kanu aus Nigeria; der stand auch mal vor dem Ende, weil er es mit dem Herzen hatte, und dann fand er einen Spezialisten in den USA, der ihn operierte, und heute ist Kanu ein Held bei Inter Mailand. Bloß: Kanu hatte einen Herzklappenfehler, und so etwas läßt sich operieren. Verdickte Herzscheidewände werden auch mit dem Skalpell nicht dünner. Bei den Hütern über Gesetz und Ord- nung im deutschen Fußball existiert Gerald Asamoah deshalb zur Zeit als passives Mit- desto häufiger die Engpässe in der Blutversorgung glied. Für den Fall, daß der Afrikaner noch einmal für einen deutschen Verein Dienst Nach dem Spiel schreibt er Autogramme die Herzwand, desto häufiger die Engpäs- tun möchte, fordert der DFB eine ärztliche und geht in einen Raum, der für die wichti- se in der Blutversorgung. Das verursacht Unbedenklichkeitsbescheinigung. Nach gen Leute reserviert ist. Hier ist ihm „ziem- Rhythmusstörungen, „deswegen fallen die Stand der Dinge allerdings wäre so ein At- lich heiß“, er stellt sich an einen Tisch, dann auch richtig um“. Weltweit. Schwarze wie test nicht mal von Julius Hackethal zu er- wird ihm schwindlig. Er stützt seinen Kör- Weiße. In seinem Befund schreibt der Pro- warten, würde der noch leben. Und des- per auf die Platte, atmet schwer, bekommt fessor, das Risiko sei „leicht bis mäßig“. halb hat sich der Arbeitgeber Hannover 96 Schweißausbrüche. Ein Kollege hilft ihm zur Dennoch: Hannover muß seine Kraft aus auf die Strategie des Winkelzugs verlegt. Tür, setzt ihn draußen auf einen Stuhl und dem Verkehr ziehen, „bis auf weiteres“. Der endgültige Verlust des Stürmers legt einen nassen Lappen in seinen Nacken. Es ist nicht so, daß Gerald Asamoah mit wäre desaströs für den Club, nicht nur, weil Der Trainer fragt ihn, ob er schon etwas ge- seinem Kreislaufkollaps im VIP-Raum zum das verbliebene Personal ohne seine Perle gessen habe und bringt eine Tasse Suppe. erstenmal auffällig geworden wäre. Ein kaum noch ins Tor trifft. Der Zweitligaver- Danach geht es ihm zwar, so sagt er, Jahr vorher war er bei einem Internisten, ein braucht Kreditgeber über 100 Millionen „wieder richtig okay“; irgendeiner hatte der in seinem EKG Anomalien ausmachte. Mark, er will damit das Stadion veredeln. aber zwischendurch den Mannschaftsarzt Der Arzt vermutete eine krankhafte Ver- Asamoahs Wert in gesundem Zustand wird angerufen, der schon auf dem Weg nach änderung der Herzscheidewand und emp- auf 10 Millionen Mark geschätzt. Hause war. Der untersucht ihn und rät, als fahl eine Kontrolle mit dem Ultraschall- Die Führungsetage hat sich im Sinne der er keine Auffälligkeiten feststellen kann, gerät. Der Hinweis landete, zur Wieder- guten Sache Arbeitsteilung auferlegt. Der als „Vorsichtsmaßnahme“ zu einer Unter- vorlage, im Schnellhefter. Clubpräsident macht im Umkreis von Han- suchung in der Medizinischen Hochschule Jetzt ist die Sache raus. Und als der nover Arzttermine klar. Der Mannschafts- Hannover. Der Chef der Kardiologie stellt Sportsmann vom Professor in Tübingen arzt hat sich neulich zum privaten Urlaub eine Diagnose, die wenige Tage später nach heimfährt nach Hannover, fragt er sich: „Ja in die USA verabschiedet; nebenher hielt einer Ultraschalluntersuchung in der Uni- spinnt der denn, der Doktor?“ Zu Hause er im großen fernen Land Ausschau nach Klinik Tübingen bestätigt wird: „Hyper- kriegt er einen Weinkrampf. Er fühlt sich einer Kapazität, die Rettung verspricht. trophe nicht-obstruktive Kardiomyopa- kerngesund, und rein optisch steht er ja Und der Manager, der frühere Fußballpro- thie“, eine Verdickung der Herzwände. Bei auch voll im Saft: 1,80 Meter groß, 85 Kilo- fi Franz Gerber, ist für die aktuellen Was- gesunden Menschen mißt die Scheidewand gramm schwer, hat ein Kreuz wie Helmut serstandsmeldungen zuständig. etwa 12 Millimeter, bei Asamoah 18. Kohl und einen Nacken wie Axel Schulz. Selbstverständlich, und das ist ihm ab- Der Tübinger Arzt Hans-Hermann Dick- Aber außer Fußball hat er gar nichts. zunehmen, geht es „hier in erster Linie um huth gibt eine Empfehlung, die Asamoahs Asamoah kam vor acht Jahren nach den Menschen“, sagt Gerber. Aber selbst- Lebensentwurf zerstört und dem Schatz- Deutschland, wo seine Eltern schon seit verständlich geht es auch ums Geschäft. meister von Hannover 96 einen Schlag ver- 1980 leben. In Ghana ist er bei der Tante „Wir stehen ja alle da und sagen: Um Got- setzt wie der Börsencrash dem Anleger: groß geworden und hat das Internat be- tes willen, unser bester Spieler, von heute Der Patient darf keinen Leistungssport sucht; in Deutschland angekommen, weiß auf morgen aus und Schluß. Das ist eine mehr treiben. Denn diese Erkrankung er nicht, wo er hin soll; er geht auf die Katastrophe, ist ja logisch.“ ist – neben der Herzmuskelentzündung – Hauptschule, macht ein Berufsgrundjahr Logisch auch, daß er da Thesen entwirft, „hauptursächlich für den plötzlichen Herz- als Hotelfachmann und Koch, aber der Job die zwar nach wissenschaftlicher Ansicht tod bei jungen Menschen“. nervt ihn. „Ich habe nie eine Bewerbung Stuß sind, aber wenigstens die Hoffnung le- Körperliche Belastung, erklärt Dickhuth, geschrieben, weil ich mir irgendwie sicher ben lassen.Wer sagt denn, so fragt sich der hat dabei eine „Trägerfunktion“: Je dicker war, daß ich Fußballer werde.“ Manager „mit Laienverstand“, daß es da

der spiegel 46/1998 157 Sport nicht einen Unterschied gibt zwischen Schwarzen und Weißen? „Oder daß es bei den Schwarzen innerhalb der Stämme Un- terschiede gibt?“ Daß, kurz, mehr Schwar- ze mit zu dicker Herzscheidewand auf der „Lauf, du faule Sau“ Welt leben als Weiße? Es macht ihm Mut, sagt Gerald Asamoah, Viele Sportärzte sehen sich als Handlanger der daß es so viele Menschen gibt, die ihm ra- ten, er solle weiter Fußball spielen, wenn es Fußballtrainer – die setzen zuweilen irgendwie geht. Und das sind nicht nur sol- für den Erfolg die Gesundheit der Profis aufs Spiel. che, die ihm professionell verbunden sind. Einer von den anderen betreibt in Hanno- er eine Zweikampf war zuviel. Mit Inzwischen ist auch die Berufsgenos- vers Ausländerviertel einen Laden mit afri- Schmerzen sank der Fußballspieler senschaft unruhig geworden. Sie kümmert kanischer Importware. Es ist ein dicker DHarald Gärtner auf den Rasen. sich derzeit verstärkt um den früheren Mann mit einer goldenen Kette am Hals Dann schritt der Doktor ein. „Trainer, der Stürmer des VfL Bochum Uwe Leifeld. Der und einer Jeans aus Flicken an den Beinen; Junge muß raus, der hat einen Bänderriß“, hat seinen Platz in der -Ge- am Tag sitzt er auf einem Hocker zwischen befand Albrecht Nause-Brackebusch, bis schichte als derjenige gefunden, der so seinen Auslagen und wartet auf Menschen, vor kurzem noch Mannschaftsarzt bei Han- oft wie kein anderer unters Messer muß- die afrikanische CDs, Rasta-Perücken oder nover 96. Doch der Trainer, Reinhold Fanz, te – allein achtmal wurde ihm dasselbe Handgel aus Kakaobutter kaufen. ordnete eine Hilfsmaßnahme der rustika- Knie gerichtet. „Als Spieler hat sich kei- Das kommt selten vor, und deshalb hat leren Art an: „Mach ihm einen Verband, der ner um mein Herz gekümmert“, berich- der dicke Mann ein Problem. Manchmal spielt weiter.“ Gärtner quälte sich bis zum tet Leifeld, „erst jetzt, wo ich Sportinvali- spielt er mit dem Gedanken, sein Geschäft Schlußpfiff übers Geläuf, 15 Minuten lang. de bin, verlangt die Berufsgenossenschaft dichtzumachen, er weiß bloß nicht, was Solche Vorfälle registriert eine routinemäßige Herzun- danach kommen soll; er hat eine Sechs- der Profifußball Woche für Wo- tersuchung.“ zimmerwohnung, in der er mit Frau, che. Mit Ausnahme durchpro- Besorgt um die Gesundheit Schwägerin und den vier Kindern lebt. fessionalisierter Betriebe wie seiner Mitglieder, schickte die Eins davon ist Gerald Asamoah. Sein Va- des FC Bayern München ist VdV einen Katalog mit For- ter William versteht etwas vom Fußball, er die medizinische Betreuung derungen zur medizinischen ahnt, warum der Sohn dieses Problem mit der Berufskicker vorwiegend Nachbesserung in die Zentrale der Gesundheit hat. Der Junge, sagt er, auf Reparaturmaßnahmen aus- des Deutschen Fußball-Bundes müsse viel zuviel laufen, mal stürmen, mal gerichtet: Orthopädie und Re- (DFB). Der nahm sich des The- decken; klar, daß das auf die Pumpe geht. habilitation richtungweisend mas erst an, als sich die Kritik Soll sich einfach vorne reinstellen und Tore wie an der medizinischen Fa- nach den Todesfällen von Lei- schießen, so wie Ronaldo von Inter Mai- kultät in Oxford, internistische stungssportlern in diesem Jahr land das auch macht, dann werde es schon Betreuung und Prophylaxe wie öffentlich artikuliert hatte. wieder mit dem Fußball. Und den Laden, in der Schwarzwaldklinik. Wilfried Kindermann, Chef- den könnte er endlich dichtmachen? „Na 13 der ärztlichen Betreuer mediziner bei der deutschen

ja“, sagt der Vater, „das Geld gehört ihm.“ bei den 18 Vereinen der Ersten PRESS BREDEL / ACTION F. Fußball-Nationalmannschaft, Vorletzten Sonntag war er mit dem Sohn Bundesliga kommen vom Fach DFB-Arzt Kindermann erweckte dabei den Eindruck, wieder im Stadion. Der hat während des Orthopädie. Und das, obwohl als habe ihn das Problem schon Spiels kleine Kinder betreut, gemeinsam 90 Prozent der jährlich durchschnittlich lange um den Schlaf gebracht, und verfaß- mit dem „Drachen Fürchterlich“. 1000 Toten im Sport an krankem Herzen te eilig eine wissenschaftliche Abhandlung Von seinem neuen Arbeitsplatz aus hat- sterben. für die „Frankfurter Allgemeine“: „Durch te er freien Blick aufs Fußballfeld. Er will „Es ist wie auf dem Pferdemarkt“, sagt intensive Vorsorge das Risiko minimieren.“ da wieder hin. Es wäre, meint er, auch für Ernst Thoman, Geschäftsführer der Profi- DFB-Ligadirektor Wilfried Straub mußte die neue Heimat von Belang. Eines Tages gewerkschaft „Vereinigung der Vertrags- sich erst mal sachkundig machen: Er möchte Gerald Asamoah für Deutschland fußballspieler“ (VdV). „Sie flicken Kno- schrieb die Mannschaftsärzte an und for- spielen, um den Rassismus zu besiegen. chen, Sehnen und Gelenke, und dann heißt derte Aufklärung über die medizinischen MATTHIAS GEYER es nur noch: Lauf, du faule Sau.“ Abläufe in der Fußballrepublik.