Sendung vom 26.7.2013, 21.00 Uhr

Gerald Asamoah Fußballprofi im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer

Habermeyer: Herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Fußballprofi, ein Sympathieträger des deutschen Fußballs, Nationalspieler und ein rundum freundlicher und aufgeschlossener Mensch. Ich freue mich sehr auf ein bestimmt interessantes Gespräch – nicht nur über Fußball. Sein Name ist Gerald Asamoah. Herzlich willkommen bei uns in der Sendung, Herr Asamoah. Asamoah: Schönen guten Tag. Habermeyer: Als Sie mit 12 Jahren nach Deutschland kamen, war Ihnen schon bald klar, dass Sie Fußballspieler werden wollen. Sie sind es geworden, sind Nationalspieler geworden, sind bei zwei Weltmeisterschaften dabei gewesen, haben Tore geschossen und heute sind Sie ein Vorbild. Ist das locker für Sie oder steckt das auch ein Gerald Asamoah nicht so leicht weg, dass er Vorbild ist? Oder ist es etwas Schönes, wenn man zu sich selbst sagen kann: "Ja, die Leute schauen auf mich!"? Asamoah: Als ich den Traum hatte, Fußballer zu werden, war klar, dass ich, wenn ich das je schaffen sollte, ein Vorbild sein werde. Ich hatte ja als Junge auch ein Vorbild, nämlich Anthony Yeboah: Er war mein Vorbild. Habermeyer: Anthony Yeboah war ein ganz großer Fußballstar in Deutschland, zuerst bei Eintracht Frankfurt ... Asamoah: ... und am Ende beim Hamburger SV. Ich hatte also das Ziel: Ich will Profi werden. Und deswegen wusste ich auch, was mich dann erwarten wird, wenn ich wirklich dorthin kommen sollte, was ich erreichen wollte. Es war mir klar, dass ich selbst dann irgendwann ein Vorbild für die Kinder sein werde. Das freut mich, das ist klar. Es freut mich, Kindern etwas mitgeben zu können und ihnen ein Vorbild zu sein. Ich setze mich jedenfalls dafür ein, dass man, egal wer man ist, für die Kinder ein Vorbild sein muss. Habermeyer: Auf die Kinder kommen wir noch zu sprechen. Geboren sind Sie in Mampong, mitten in : Was bekam man denn da gegen Ende der 80er Jahre bzw. zu Beginn der 90er Jahre von Anthony Yeboah mit? Denn Anthony Yeboah ist auch Ghanaer. Asamoah: Ja, er ist auch ein Ghanaer. Ich bin in Mampong geboren: Mampong ist ein kleines Dorf im Aschantiland in der Nähe von Kumasi. Wir hatten bei uns im Dorf damals keinen Fernseher, in dem wir irgendwelche Fußballspiele hätten ansehen können. Ich kannte also damals Yeboah noch gar nicht, ich habe Anthony erst kennenlernen dürfen, als ich nach Deutschland gekommen bin. Als ich noch in Ghana gelebt habe, hatte ich noch überhaupt keine Vorbilder. Habermeyer: Gar keine? Asamoah: Doch, ich hatte ein Vorbild. Habermeyer: Aduro? Asamoah: Ja, Aduro, der damals bei uns im Dorf gespielt hat. Er sah so ähnlich aus wie Anthony Yeboah und seine Art und Weise zu spielen entsprach der meinen. Ich fand diesen Spieler absolut klasse. Meine Oma führte dort in diesem Dorf in Ghana ein Restaurant und mein Glück bestand darin, dass er öfter mal zu uns zum Essen gekommen ist: Ich habe ihn wirklich bewundert. Wenn er gegessen hat, habe ich in der Ecke gestanden und habe ihn einfach nur angeschaut, weil ich ihn als Idol schlicht angehimmelt habe. Nachdem er gegangen war, bin ich jedes Mal zu meiner Oma gegangen und habe gesagt: "Oma, ich will das Gleiche essen, was er gegessen hat!" Weil ich halt unbedingt so sein wollte wie er, wie mein Vorbild. In Ghana hatten wir ja keine andere Möglichkeit, als Fußball zu spielen. Aber es war nicht so, dass ich damals schon davon geträumt hätte, Profi zu werden. Habermeyer: Dieser Traum kam also erst später, in Deutschland. Asamoah: Genau. Habermeyer: Aber dieser Aduro spielte eben in der ersten Mannschaft in Mampong. War er ein Stürmer? Asamoah: Ja, er war Stürmer, ein kantiger Stürmer, der wirklich auch sehr viele Tore gemacht hat. Seine Art zu spielen hat mir imponiert. Wir Fußballer in Deutschland fahren ja meistens mit dem Auto ins Training. Aber damals bei uns im Dorf in Ghana war es so, dass sich die Spieler zu Hause umgezogen haben und dann durchs Dorf ins Training gejoggt sind. Wenn Aduro an uns Kindern vorbei zum Training lief, dann haben wir gejubelt: In Mampong konnten wir also unseren Vorbildern noch sehr nah sein. Habermeyer: Meine Großmutter führte kein Restaurant, sondern nur einen Lebensmittelladen. Aber den Effekt davon sieht man an meinem Bauch leider auch. Stimmt es, dass das Essen, das Sie dann von Ihrer Oma bekommen haben, mit ein Grund dafür war, dass Sie, sagen wir mal, etwas kräftiger wurden? Heute sind Sie ja gertenschlank, haben wirklich eine Superfigur. Aber so ganz problemlos scheint das bei Ihnen ja nicht zu sein: Stimmt es also, dass damals mit diesem Essen à la Aduro eine frühe Prägung eingesetzt hat? Asamoah: Klar, in Ghana lief das damals mit dem Essen anders als hier, da haben nicht alle Menschen die Möglichkeit, dreimal am Tag etwas zu essen. Meine Oma hat ein Restaurant geführt. Das hat nicht geheißen, dass ich wahllos und Unmengen hätte essen können, nein, das bedeutete nur, dass ich wusste, ich bekomme etwas zu essen, wenn ich hungrig bin. Und dann habe ich eben so lange gegessen, solange es etwas gegeben hat. Klar, ich bin natürlich nicht den ganzen Tag zu Hause gehockt und habe gegessen, sondern war einfach sehr, sehr viel unterwegs und habe Fußball gespielt. Aber wenn ich dann nach Hause kam, wollte ich immer unbedingt Fufu essen. Mein Lieblingsspieler aß Fufu: Das bedeutete für mich, dass auch ich jeden Tag Fufu essen wollte. Habermeyer: Was ist Fufu? Asamoah: Fufu wird auch in Deutschland von den Ghanaern gemacht, die hier leben. Fufu wird mit Kartoffelmehl gemacht: Dazu kommt Stärke ... Habermeyer: Es kommt noch zusätzlich Stärke rein? Asamoah: Ja, und dann wird das richtig fest. Darauf wird eine Fleischsuppe gegeben und dann isst man das. Das ist Fufu und das lieben die Ghanaer sehr. Habermeyer: Das ist bestimmt ganz kalorien- und kohlehydratarm. Asamoah: Ja, das stimmt, das habe ich später gemerkt an meiner Figur. Habermeyer: Sie haben die ersten zwölf Jahre Ihres Lebens in Afrika gelebt. Die Sprache, die Sie damals gesprochen haben, ist Twi. Vom neunten bis zum zwölften Lebensjahr waren Sie dann in Accra, der Hauptstadt Ghanas, im Internat. Mit neun Jahren von der Großmutter, die Sie aufgezogen hat, weil Ihre Eltern damals bereits in Deutschland gelebt haben, wegzukommen, war bestimmt nicht so einfach, oder? Asamoah: Ja, das war für uns Kinder nicht sehr einfach. Wir lebten in Mampong und für uns war unsere Oma unser ein und alles. Meine Oma war für mich Vater, Mutter und Oma. Sie hat einfach dafür gesorgt, dass wir uns in Mampong sehr, sehr wohlgefühlt haben. Klar, ich war nicht immer brav, sondern habe schon auch ab und zu Mist gebaut. Da gab es dann jedes Mal richtig Ärger, denn meine Oma war ja dafür verantwortlich, dass uns nichts passiert. Und das hat sie sehr ernst genommen. Als ich neun Jahre alt war, wurde die Entscheidung getroffen, dass wir ins Internat in Accra kommen. Ich kam also ins Internat und musste dafür meine Oma verlassen, die bis dahin immer für mich da gewesen ist. Zu ihr hatte ich wirklich immer kommen können, wenn ich ein Problem hatte. Und auf einmal war ich in einem Internat und kannte keinen Menschen. Ich muss auch zugeben, dass mein Englisch zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich perfekt gewesen ist, aber in diesem Internat wurde nur Englisch gesprochen. Habermeyer: Oh! Asamoah: Das bedeutete, ich musste zuerst einmal diese Sprache besser lernen – und das war nicht so leicht. Ich weiß ja nicht genau, wie das in Deutschland mit den Internaten ist, aber ich nehme an, dass da die Kinder schon sehr umsorgt werden. Bei uns damals in Accra im Internat war das nicht so: Wir mussten z. B. unsere Kleider selbst waschen, auch als Jungs. Meistens war der Samstag der Waschtag, an dem wir alle unsere Sachen gewaschen haben. Das heißt, ich musste da einiges erst einmal lernen, denn bis dahin hatte das ja unsere Oma für uns gemacht gehabt. Ich war also bereits in sehr jungen Jahren auf mich alleine gestellt und musste vieles selbst organisieren und machen. Das war nicht so einfach für mich. Gott sei Dank war ich mit meinen Geschwistern zusammen in diesem Internat: mit meiner älteren und meiner jüngeren Schwester. Ja, diese Zeit im Internat war am Anfang schon sehr schwierig für uns. Habermeyer: Was hätten Sie denn werden sollen in diesem Internat? Macht man dort das Abitur bzw. das Baccalauréat oder die Mittlere Reife? Oder lernt man dort einen Beruf? Was hätte also in diesem Internat eigentlich mit Ihnen passieren sollen? Asamoah: Wenn damals jemand in Ghana in ein Internat gekommen ist, dann hat das bedeutet: diesem Kind geht es sehr, sehr gut. Weil meine Eltern in Europa gelebt und gearbeitet haben, hatten wir die Chance, in ein Internat gehen zu können. Man lernte im Internat schnell und gut Englisch, weil dort einfach prinzipiell nur Englisch gesprochen wurde. Das war es hauptsächlich, was sich meine Eltern von diesem Internat erwartet haben. Und man kann auf so einem Internat auch sonst sehr, sehr viel lernen. Denn außer dem Lernen hatte man dort nicht viele andere Möglichkeiten. Als ich noch in Mampong gelebt habe, bin ich nach der Schule, als ich zu Hause war, sofort raus zum Fußballspielen gegangen. Im Internat hingegen hatte man feste Pflichten zu erfüllen. Wenn wir am Morgen aufgestanden sind, hatte jeder verschiedene Aufgaben zu erledigen. Erst danach ging es zur Schule. Das heißt, wir hatten einen richtigen Plan, was wir alles zu machen hatten. Genau das haben sich meine Eltern vermutlich auch von diesem Internat erwartet. Habermeyer: Ihr Vater war nach Deutschland gegangen, weil er als Journalist in Ghana mit der Politik Probleme bekommen hatte. Er flüchtete aus Ghana, ging nach Hannover und schlug sich dort irgendwie durch. Als Sie zwölf Jahre alt waren, hat er dann Sie und Ihre Geschwister nach Deutschland nachgeholt. Ihr Vater ließ Sie auf den Namen Gerald taufen, aber eigentlich müsste man diesen Namen ja Englisch aussprechen. Denn dieser Name hat keinen deutschen Bezug – obwohl auch das möglich wäre –, sondern einen anderen. Asamoah: Mein Vater war ein großer Fan von Gerald Ford, dem früheren amerikanischen Präsidenten. Deswegen hat er beschlossen, seinen erstgeborenen Sohn Gerald zu nennen. Ich habe aber auch noch einen afrikanischen Namen. In Ghana ist es so, dass man automatisch den Namen des Wochentags bekommt, an dem man geboren ist. Ich bin an einem Dienstag geboren und heiße daher Gerald Kwabena Asamoah, wobei Kwabena eben "Dienstag" heißt. Habermeyer: Sie schreiben in Ihrem Buch so wahnsinnig schön, dass es Gott sei Dank nicht bei Ihrem Vornamen "Dienstag" geblieben ist. Warum? Was hatte das mit dem Fußballtraining zu tun? Asamoah: Ja, es wäre blöd gewesen, wenn der Trainer zu mir hätte sagen müssen: "Dienstag, am Mittwoch ist Training!" Habermeyer: Damit kommen wir doch gleich zu dem Buch, das Sie geschrieben haben. Es trägt den Titel "'Dieser Weg wird kein leichter sein ...' Mein Leben und ich." Worauf bezieht sich der Titel "Dieser Weg wird kein leichter sein"? Asamoah: Das bezieht sich auf mein Leben, aber eben auch auf das Lied von Xavier Naidoo, das unser "Sommermärchen" 2006 geprägt hat. Aber wie gesagt, ich beziehe diesen Songtitel schon auch auf mein Leben, weil mein Leben eben kein einfaches gewesen ist. Ich habe ja vorhin von meiner Kindheit in Ghana erzählt: Meine Eltern sind weggegangen, als ich gerade mal zwei, drei Jahre alt war. Meinen Vater kannte ich gar nicht, meine Mutter habe ich auch erst richtig kennengelernt, als sie uns für kurze Zeit in Ghana besucht hat. Ich wusste als Kind wirklich nicht, wie es ist, wenn man Eltern hat. Für mich war stattdessen meine Oma mein Ein und Alles. Wir hatten in Ghana alle nicht viel; jeder versuchte eben, aus den wenigen Möglichkeiten, die er hatte, das Beste zu machen. Für uns war das schon in Ordnung, denn wir kannten es ja nicht anders. Aber als ich nach Deutschland kam, war dann auf einmal alles anders. Ich habe auch deswegen dieses Buch geschrieben, damit man mich besser kennenlernt, damit man weiß, wie ich aufgewachsen bin. Denn die Leute kannten mich ja nur als den Fußballprofi Gerald Asamoah. Niemand wusste jedoch, wie ich aufgewachsen bin, wie meine Kindheit ausgesehen hat. Meine Motivation bestand also darin, über mein Leben zu schreiben und davon zu erzählen, dass es nicht so einfach gewesen ist, dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Habermeyer: Sie sind als kleiner Junge in Hannover morgens um vier Uhr aufgestanden und haben was gemacht? Asamoah: Ich bin laufen gegangen, trainieren. Habermeyer: Oh Gott. Asamoah: Ja, das muss ich wohl näher erläutern. Ich habe, wie wir vorhin schon erwähnt haben, einfach sehr, sehr gerne gegessen. Das heißt, als ich nach Deutschland gekommen bin, hatte ich ein bisschen Übergewicht. Und als ich mich in einem Fußballverein angemeldet habe, war ich beim Laufen immer ganz hinten. In den Spielen durfte ich meistens nur in den letzten zehn Minuten rein: "Gerald, geh rein, du darfst auch mal mitspielen!" Ich musste also irgendetwas in meinem Leben ändern, denn ich hatte ja, als ich dann in Deutschland war, jemanden wie Anthony Yeboah im Fernsehen gesehen, diesen Fußballprofi, der in der spielte und genau wie ich aus Ghana kam. Yeboah wurde mein Vorbild und deswegen wollte ich auch Fußballprofi werden. Also musste ich etwas ändern in meinem Leben. Ich musste auf Fufu verzichten und haben dann auch angefangen, zusätzlich zu trainieren. Also begann ich, jeden Morgen, bevor ich in die Schule ging, zu laufen. Es war so, dass wir Kinder in der Familie auch Pflichten hatten, genau wie im Internat davor. Mein Vater bestand darauf, dass ich vor der Schule die Wohnung putze. Wir hatten eine große Wohnung, in der auch Tanten mit uns gelebt haben, und das hat bedeutet, dass ich jeden Morgen um vier Uhr aufgestanden bin und eine Dreiviertelstunde gelaufen bin. Nachdem ich vom Laufen zurückgekommen war, musste ich meine Pflichten erfüllen: Staubsaugen usw. Und dann musste ich mich um meinen kleinen Bruder kümmern, den ich gar nicht gekannt hatte, bis ich nach Deutschland gekommen bin. Habermeyer: Weil er in Deutschland auf die Welt gekommen war. Asamoah: Ich musste ihn für die Schule fertig machen. Das waren meine Pflichten jeden Morgen, bevor ich in die Schule gegangen bin. Habermeyer: Wie alt waren Sie, als Sie morgens um vier Uhr zum Laufen gegangen sind? Asamoah: Ich war 12 Jahre alt. Habermeyer: Da gibt es also einen Jungen, der morgens um vier Uhr, wenn es noch stockdunkel ist, zum Laufen geht. Ging das wirklich gut? Asamoah: Meine Eltern haben das gar nicht mitbekommen. Meine Eltern haben da noch geschlafen. Habermeyer: Die haben das nicht mitbekommen? Asamoah: Jedenfalls nicht immer. Ich habe das mit dem Laufen ja selbst beschlossen. Wir lebten damals in Hannover in einem Viertel, das nicht so besonders schön war, das eher ein Rotlichtviertel war. Trotzdem bin ich jeden Morgen gelaufen, weil ich einfach ein Ziel hatte. Habermeyer: Sie sind mit Turnschuhen auf Asphalt gelaufen? Asamoah: Ja. Ich war noch jung damals, ich habe meine Knochen noch nicht gespürt damals. Habermeyer: Ob das so gesund gewesen ist? Asamoah: Heute würde ich das nicht mehr machen. Aber damals habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Mein Ziel war einfach nur, zu laufen und mein Gewicht zu verlieren. Habermeyer: Dass man wahnsinnig gerne Fußball spielt und Vorbilder hat und merkt, dass man das auch einigermaßen gut kann, ist ja nur das eine. Aber den Wunsch zu haben, Profi zu werden und dafür dann auch unglaublich viel zu tun, ist noch einmal etwas ganz anderes. Wann kam das in Ihren Kopf? Durch was ist das ausgelöst worden? Kam das schleichend? Oder gab es ein bestimmtes Erlebnis, bei dem Sie dann gesagt haben: "Ab jetzt ist mir klar, ich will Profi werden!"? Asamoah: Es war einfach so: Ich kam nach Deutschland und hatte in Ghana schon sehr, sehr gerne Fußball gespielt. Um mich hier in Deutschland zu integrieren und um weiterhin Fußball spielen zu können, ging ich in einen Verein. Ich hatte einen Cousin, der mich dann recht bald zu BV Werder Hannover gebracht hat. Das hat mir wirklich geholfen, besser und schneller Deutsch zu lernen. Und auf einmal schaute ich natürlich auch im Fernsehen Fußball. In Ghana hatte ich die Chance dazu ja nicht gehabt. Und auf einmal sah ich einen Mann, der wie ich aus Ghana stammt – nämlich Yeboah – und der Tore am laufenden Band schießt. Habermeyer: Der hat sogar ein bisschen mehr Tore geschossen als Sie. Asamoah: Ja, der war da anders drauf. Ich wurde also ein Fan von Eintracht Frankfurt und habe deren Spieler Yeboah angehimmelt. Da kam mir der Gedanke: "Ja, da will ich auch mal hin!" Man muss im Leben einfach Ziele haben. Und mein Ziel bestand damals eben darin, Profi zu werden. Dafür habe ich geschuftet. Man muss eben immer alles dafür tun, um seine eigenen Ziele zu erreichen. Da klar war, dass ich Profi werden wollte, habe ich auch alles dafür getan. Ich habe z. B. auch auf sehr viele Sachen verzichtet. Meine Mitspieler sind nicht morgens zum Laufen gegangen, sondern haben ausgeschlafen. Ich jedoch wusste, was mein Ziel war: Deswegen bin ich morgens um vier Uhr aufgestanden. Es war nicht einfach, das jeden Tag durchzuziehen, weil ich ja meine Pflichten zu Hause auch noch hatte. Und auch tagsüber musste ich dann bei meinen Eltern im Laden mithelfen. Der Fußball war da überhaupt die Chance für mich, rauszukommen und etwas anderes zu machen, zu erleben. Habermeyer: Wann bekamen Sie denn auch von außen die Bestätigung, dass das mit einer Profikarriere hinhauen könnte? Denn wenn man selbst Profi werden möchte, aber im Verein immer nur in den letzten zehn Minuten mitspielen darf, dann passt das ja nicht zusammen. Wann kam also zum ersten Mal von außen dieses Feedback: "Ja, aus dem Gerald könnte was werden, wenn er fleißig ist!"? Asamoah: Als ich abgenommen hatte und nicht mehr auf der Bank saß, sondern immer gespielt habe. Ich war dann auf einmal der wichtigste Mann in meiner Mannschaft: Ohne mich ging gar nichts, wenn ich z. B. mal zu spät gekommen bin. Ich war damals ja noch ein Typ, der sehr, sehr oft zu spät gekommen ist. Habermeyer: Das war aber nur am Anfang so, dass Sie öfter mal zu spät gekommen sind. Asamoah: Ich habe in der Zeit jedenfalls gemerkt: "Ja, da geht was!" Und auch mein Trainer war sehr begeistert von mir. Ich bekam dann auch Angebote von größeren Vereinen in Hannover, die mich gerne haben wollten. Aber ich wollte zunächst unbedingt in meinem Dorfverein bleiben. In dieser Zeit habe ich jedenfalls gemerkt: "Ja, ich kann das wirklich schaffen!" Mein Trainer war wirklich fasziniert von mir und meinte auch: "Wenn du so weitermachst, dann schaffst du es!" Habermeyer: Sie sind in Ihrem Fußballerleben ja auch später immer wieder darauf angewiesen gewesen, dass ein Trainer zu Ihnen hält, dass ein Trainer Sie aufbaut, oder? Asamoah: Ja, klar. Ohne das Vertrauen des Trainers hast du als Spieler überhaupt keine Chance. Wenn man einen Trainer hat, der nicht auf einen zählt und der auch nicht mit einem redet, dann weiß man doch gar nicht, woran man ist. Aber wenn man einen Trainer hat, der einem Zuspruch gibt, der einem sagt: "Gerald, das musst du so machen und so ...", dann ist das was ganz anderes. Wenn so ein Trainer zu einem sagt: "Das und das gefällt mir nicht!", dann heißt das ja nicht, dass er einen persönlich herabsetzen möchte, sondern dann heißt das, dass er einen verbessern will. Ich hatte es daher sehr gerne, wenn ein Trainer mit mir gesprochen hat. Das hat mir in meiner Karriere sehr, sehr viel geholfen. Habermeyer: Aber es gibt ja auch Fußballspieler, denen das nicht so viel ausmacht: Das sind Spieler, die ins Training gehen und ihre Leistung bringen, egal ob der Trainer mit ihnen spricht oder nicht. Sie sind da schon ein bisschen sensibler, nicht wahr? Asamoah: Die Menschen sind nun einmal nicht alle gleich. Ich selbst habe diesen Zuspruch jedenfalls gebraucht. Gut, je älter man wird, umso einfacher und lockerer nimmt man bestimmte Sachen. Aber damals in meinen jungen Jahren brauchte ich den Zuspruch einfach, brauchte ich einen Trainer, der mit mir redet und zu mir sagt: ""Gerald, das und das verlange ich von dir, das und das musst du noch verbessern. Aber dieses und jenes ist schon sehr gut." Es war ja auch so, dass ich mich selbst nie mit dem zufriedengegeben habe, was ich bereits erreicht habe. Nein, ich hatte weitergehende Ziele, die ich noch erreichen wollte. Deswegen war es mir damals wichtig, dass mir meine Trainer, meine Chefs gesagt haben, wo meine Schwächen und meine Stärken sind und wo ich Fehler mache. Habermeyer: Mit 23 Jahren erlebten Sie dann Ihre erste Teilnahme als Nationalspieler an einer Fußballweltmeisterschaft: bei der WM 2002 in Japan und in Südkorea. Mit 27 Jahren erlebten Sie das berühmte Sommermärchen im Jahr 2006, als die WM in Deutschland stattfand. Aber es wäre wirklich um ein Haar nicht so weit gekommen. Denn es gab davor dieses Jahr 1998: Sie waren damals 19 Jahre alt und nach einem Spiel ist da etwas passiert. Was? Es ging Ihnen nach einem Spiel nicht gut und auf einmal fing eine ganze Kette von Ereignissen an. Asamoah: Es war alles Zufall. Ich war ein junger Spieler und hatte in der Woche vor diesem Spiel herumgekränkelt und hatte kaum trainiert. Aber der Trainer bestand darauf, dass ich spiele. Ich selbst wollte ja auch spielen. Es war ein Spiel in der zweiten Liga mit gegen St. Pauli. Ich bin ein Spieler, der vor dem Spiel nicht gerne etwas isst, weil ich mich dann im Spiel sehr, sehr schwer fühlen würde. Also hatte ich auch vor diesem Spiel nicht viel gegessen. Ich spielte 90 Minuten durch und ging danach hoch in den VIP-Raum. Dort fühlte ich mich auf einmal sehr schlapp und bekam einen Schweißausbruch. Ich wusste überhaupt nicht, was los ist. Man hat mir dann eine Suppe gebracht, die ich auch brav gegessen habe. Anschließend ging es mir wieder gut. Aber der Mannschaftsarzt meinte zu mir: "Asa, es ist besser, wenn wir morgen mal eine Untersuchung machen." Ich bin ja ein eher positiv gestimmter Mensch und habe gesagt: "Gut, machen wir." Denn eigentlich habe ich mir gedacht: "Ha, dann habe ich mal einen Tag frei und muss nicht ins Training!" Habermeyer: Ach so! Asamoah: Ich bin also am nächsten Tag untersucht worden und auf einmal hieß es, ich müsste noch woanders hin, um mich dort weiter untersuchen zu lassen. Gut, ich bin auch zu diesem Arzt gegangen, aber dort hieß es dann: "Sie müssen noch in die Klinik!" Da habe ich dann doch ein bisschen Angst bekommen. Denn inzwischen waren fast drei Tage vergangen, ich hatte nicht richtig trainiert und am Wochenende stand das nächste Spiel an. Ich kam also zum größten Krankenhaus von Hannover, zur Medizinischen Hochschule. Dort wurde ich dann von einem Professor untersucht. Die Sache zog sich so lange hin, dass ich fast zwei Wochen nicht im Trainingsbetrieb war. Da habe ich dann wirklich Angst bekommen. Pah, und dann hieß es, auch meine ganze Familie müsse untersucht werden. Es wurde untersucht und untersucht, aber bei den anderen Familienmitgliedern wurde nichts gefunden. Letztlich bekam ich die Diagnose, dass ich einen Herzfehler haben. Habermeyer: Oh. Asamoah: Ich war 19 Jahre alt und für mich war der Fußball alles. Ich hatte alles auf den Fußball gesetzt. Und dann sagt mir auf einmal ein Professor: "Das geht nicht mehr! Wenn Sie weiterhin Fußball spielen, dann sterben Sie!" Habermeyer: Das heißt, es besteht die Gefahr, dass Sie im Training oder im Spiel tot umfallen. Asamoah: So ist es. Als 19-Jähriger damit umgehen zu müssen, als 19-Jähriger, der alles auf den Fußball gesetzt hat, der gerade im Kommen ist, für den sich renommierte Vereine interessieren – und dann heißt es auf einmal: "Aus! Kein Fußball mehr!" Das war für mich eine sehr schwere Zeit, ich musste erst einmal lernen, mit dieser Geschichte umzugehen. Das betraf aber nicht nur mich, sondern auch meine Familie und den Verein, für den ich gespielt habe. Der Verein fragte sich, wie das weitergehen wird, denn er musste ja planen für die nächste Saison: "Wenn das mit Asamoah nicht weitergeht, dann brauchen wir einen neuen Stürmer." Meine Familie hatte all ihre Hoffnungen auf mich gesetzt: Der Sohnemann macht jetzt Karriere, der kann uns dann später mal helfen. Aber auf einmal ist alles stillgelegt. Habermeyer: Sie bekamen ja ein richtiggehendes Spielverbot vom DFB. Asamoah: Der DFB hat meine Lizenz eingezogen und ich durfte auch keinen Trainingsbetrieb mehr mitmachen. Ich durfte gar nichts mehr machen. Wenn man positiv gestimmt ist, dann denkt man natürlich schon, dass es irgendwann wieder weitergehen wird. Ich bin dann wie damals, als ich 12, 13 Jahre alt war, immer heimlich ganz früh am Morgen raus, damit mich keiner sieht. Und dann bin ich ein paar Kilometer locker gelaufen. Klar, das war ein Risiko, aber ich bin mit dieser Geschichte immer positiv umgegangen und habe mir gedacht: "Es geht weiter bei mir mit dem Fußball! Wenn mir die Ärzte den Fußball hier in Deutschland verbieten, dann werde ich halt woanders spielen." Auf jeden Fall hat sich das Ganze ziemlich lange hingezogen und ich musste zuerst einmal warten. Habermeyer: Dieser Herzfehler, den Sie haben, besteht darin, dass Ihr Herzmuskel zu dick ist. Asamoah: Der Herzmuskel ist zu dick, das stimmt. Normale Menschen haben da einen Wert von 12 Millimetern, ich hatte 16 Millimeter. Bei 16 Millimetern besteht halt das Problem darin, dass das Blut bei sportlicher Betätigung nicht mehr gut durchs Herz fließen kann, was zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Das war die Gefahr dabei. Das Schlimme ist: Man kann so etwas nicht operieren. Habermeyer: Wenn der Herzmuskel zu dick ist, dann ist er zu dick. Das ist dann einfach so. Asamoah: Das war unser Problem: Wir wussten nicht, was wir jetzt machen sollten. Operieren kann man es nicht, ändern kann man es auch nicht, wie geht es jetzt weiter? Es ging hin und her und irgendwann habe ich gemerkt, dass alle die Hoffnung aufgegeben haben. Hannover 96 hat dann auch einen neuen Stürmer verpflichtet, der auf meiner Position gespielt hat. Da sagte ich mir dann auch: "Ja, das war's!" Habermeyer: Das war nicht lustig für Sie. Asamoah: Aber ich hatte das große Glück, dass wir einen Mannschaftsarzt hatten, der sich wirklich um mich gekümmert hat, der sich bemüht hat herauszufinden, wie es für mich weitergehen könnte. Irgendwann bekam er dann die Information, dass es in Washington in den USA ein Krankenhaus gibt, das sich mit dieser Krankheit auskennt. Es gibt nämlich sehr, sehr viele Farbige in den USA, die den gleichen Herzfehler haben. Also haben wir beschlossen, nach Washington zu fliegen, weil wir dort vielleicht eine bessere Diagnose für mich bekämen. Das Problem war nämlich, dass ich in Deutschland von niemandem erfahren habe, wie groß mein Risiko wirklich ist, wenn ich weiterspiele. War ich zu 20 Prozent gefährdet oder zu 80 Prozent? Niemand konnte mir das sagen. Deswegen wollte ich einfach einen Arzt konsultieren, der mir sagen konnte, wie hoch das Risiko konkret ist. Wir flogen also nach Washington und gingen davon aus, dass wir nur drei Tage bleiben werden. Aber als wir ankamen, hieß es bald: "Nein, Herr Asamoah, wir können es schnell machen, aber eine Woche ist das Mindeste." Also haben wir den Flug umgebucht und sind geblieben. Ich bin untersucht worden und wieder untersucht und erneut untersucht. Es wurde wirklich alles gemacht. An dem Tag, an dem man uns das Ergebnis präsentieren wollte, kam der Mannschaftsarzt zu spät ins Krankenhaus. Mein Glück war nämlich, dass der Mannschaftsarzt mit nach Washington gekommen war: Er war die ganze Woche über mit dabei und hat mich unterstützt. An dem Tag, an dem es das Ergebnis geben sollte, kommt der Mannschaftsarzt zu spät. Er stand nämlich im Stau mit dem Taxi. Sie können sich ja vorstellen, wie das war. Da saßen eine ganze Reihe von Ärzten vor mir und wollen mir erzählen, wie es in meinem Leben weitergehen wird. Wir sitzen da und ... Habermeyer: Und das Ganze wurde Ihnen natürlich auf Englisch mitgeteilt und im Mediziner-Jargon. Asamoah: Ich verstand kein Wort und der Arzt, der mir das sozusagen übersetzen kann, kommt nicht. Ich saß da und wurde immer nervöser. Aber irgendwann ist er dann doch eingetroffen, hat sich entschuldigt für die Verspätung und dann habe ich gehört, was er mit diesen amerikanischen Ärzten gesprochen hat. Ich verstehe ja einigermaßen gut Englisch und bekam daher mit, dass einiges "good" und anderes "not good" sei. Aber auf einmal hieß es: "Ja, er kann weiterhin Fußball spielen, obwohl diese Krankheit weiterhin da ist. Aber das Risiko liegt bei unter einem Prozent." Damit wusste ich endlich, wie groß das Risiko ist, wenn ich weitermache. Wir sind dann zurück nach Deutschland geflogen und ich brauchte dann hier einen Arzt, der mich gesundschreibt. Habermeyer: Der also die Verantwortung übernimmt. Asamoah: Das war noch das Problem: Diesen Arzt musste ich zuerst einmal finden. Ich kann die Ärzte ja auch verstehen: Wenn das ein Arzt macht, dann setzt er damit sozusagen seine Lizenz aufs Spiel. Aber der Mannschaftsarzt, der mit mir in den USA gewesen ist, hat dann gesagt: "Gerald, ich weiß, was bei dir Sache ist, ich mache das für dich!" Und dann hat er das unterschrieben. Dieser Mannschaftsarzt hat mir also die Möglichkeit eröffnet, wieder Fußball spielen zu dürfen. Habermeyer: Das war der richtige Mann am richtigen Ort. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre es aus gewesen mit dem Fußballspieler Gerald Asamoah. Asamoah: So ist es. Ich habe dann dem Mannschaftsarzt vorgeschlagen, dass wir zusätzlich noch einen Vertrag machen zwischen uns beiden: In diesem Vertrag soll festgelegt werden, dass er, wenn mir irgendetwas passieren sollte, nicht regresspflichtig gemacht wird. Das haben wir dann auch gemacht und Gott sei Dank ging es weiter und ich kann heute hier sitzen. Habermeyer: Aber Sie nehmen seit damals Betablocker und es steht in jedem Spiel und bei jedem Training ein sogenannter Defibrillator neben dem Feld. Das sind diese Teile, mit denen man bei einem Herzstillstand Stromstöße in den Körper jagen kann. Die Tatsache, dass wegen Ihnen immer ein Defibrillator in der Nähe steht, hat auch schon einem Menschen das Leben gerettet, und zwar auf Schalke. Asamoah: So ist es. Habermeyer: Seit Ihrem Fall ist es auch so, dass der DFB bei allen Lizenzspielern, also allen Profis verlangt, dass sie vom Verein einmal im Jahr zur Herzuntersuchung geschickt werden. Asamoah: Ja, vorher hat es das nicht gegeben, aber nach meinem Fall war klar, dass man mit diesem Thema ernsthafter umgehen muss. Seitdem müssen alle Profis einmal im Jahr diesen Test machen. Ich selbst mache diesen Test aber öfter, weil ich ja weiß, dass ich Probleme mit dem Herzen habe. Habermeyer: Aber das belastet Sie heute nicht mehr sehr, oder? Asamoah: Gar nicht. Am Anfang war das sehr, sehr schwer für mich. Aus dem Nichts heraus hieß es auf einmal, ich hätte ein Problem mit dem Herzen. Als dann klar war, dass ich weitermachen darf, habe ich natürlich sofort wieder mit dem Training angefangen. Aber bei jeder höheren Belastung und jedes Mal, wenn ich nach dem Training müde wurde, habe ich mir gedacht: "Oh, kann jetzt etwas passieren?" Mit dieser Angst umgehen zu müssen, war nicht einfach. Das Problem bestand ja nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie, für meine Mannschaft. Mein erstes Spiel, bei dem ich wieder dabei war, war in Karlsruhe. Ich wurde im Laufe des Spiels eingewechselt und nach dem Spiel war ich einfach erschöpft und habe mich auf den Rasen gelegt. Da habe ich mitbekommen, wie alle auf mich zugelaufen sind, weil sie Angst hatten, dass mir etwas passiert sein könnte. Ich konnte sie aber beruhigen: "Nein, nein, es ist alles in Ordnung." Ich will damit nur sagen, wie hart diese Geschichte für mich damals gewesen ist: Es war auch wegen der Ängste der anderen nicht einfach für mich, damit umzugehen. Zum Glück habe ich dann aber mit der Zeit damit sehr, sehr positiv umgehen können. Habermeyer: Positiv mit den Dingen umzugehen, ist überhaupt etwas ganz Wichtiges in Ihrem Leben. Sie erwähnen auch in Ihrem Buch mehrmals, dass Sie immer wieder gemerkt haben, dass für Sie der positive Umgang mit Dingen das Einzige ist, was zählt. Zu den positiven Erlebnissen gehört sicherlich, dass irgendwann im Jahr 2001 bei Ihnen das Telefon geklingelt hat und Rudi Völler, der damalige Bundestrainer am Telefon war und Sie gefragt hat, wie es Ihnen geht und dass Sie ... Asamoah: ... zur deutschen Fußballnationalmannschaft eingeladen werden. Habermeyer: Als herzkranker Mensch muss man ja aufpassen, dass man sich da nicht zu sehr aufregt, oder? Asamoah: (lacht) Ja, das war schon aufregend. Ich wusste ja, dass es vielleicht so weit kommen könnte, denn in den Zeitungen hat immer gestanden, dass ich in der Nationalmannschaft spielen soll. Und es war auch so, dass mich Ghana für seine Nationalmannschaft haben wollte. Ich wusste damals wirklich nicht, was ich machen soll: Spiele ich für Ghana oder spiele ich für Deutschland? Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich bin nach Deutschland gekommen und wurde akzeptiert und habe mich hier in diesem Land von Anfang an sehr wohl gefühlt. Klar, diese Entscheidung dann fiel mir schon sehr, sehr schwer. Ich bin in Ghana geboren, mein ganzer familiärer Hintergrund hat mit Ghana zu tun. Aber ich lebte nun eben in Deutschland, das zu meiner neuen Heimat geworden war. Was also sollte ich jetzt machen? Letztlich habe ich einfach eine Bauchentscheidung gefällt: Ich spiele für Deutschland! Und dann war es wirklich so, wie Sie es angedeutet haben. Ich saß im Auto, meine Frau saß neben mir und auf einmal rief mich Rudi Völler an. Geschehen ist das ja im Jahr 2001, das war dieses Jahr, in dem wir in der allerletzten Sekunde der Saison die Meisterschaft an die Bayern verloren hatten. Habermeyer: Das war dieses ganz berühmte Bundesligafinale, als Schalke zum "Meister der Herzen" wurde. Dafür wurden Sie dann aber kurze Zeit später deutscher Pokalsieger mit Schalke. Asamoah: Nach dem Pokalsieg bekamen wir Spieler zwei Tage frei und ich saß gerade mit meiner Frau im Auto auf dem Weg nach Hannover. Und dann rief eben Rudi Völler an: "Hallo Gerald, hier Rudi Völler." Sie können sich vorstellen, wie ich mich gefreut habe und wie aufgeregt ich war! Rudi Völler ruft mich an! Habermeyer: Während des Autofahrens? Nein, oder? Asamoah: Ja, ich glaube, damals war das Telefonieren während der Fahrt noch erlaubt ... Habermeyer: Gut, gut, da wollen wir jetzt nicht weiter nachfragen. Asamoah: Wir haben also miteinander gesprochen und meine Frau schaute mich die ganze Zeit recht fragend an. Sie hat gar nicht mitbekommen, mit wem ich da gerade telefoniere. Sie hat nur gehört, wie ich immer wieder gesagt habe: "Ja, ich bin gerne mit dabei!" Nachdem ich aufgelegt hatte, habe ich zu meiner Frau gesagt: "Weißt du, wer mich da gerade angerufen hat?" "Wer?" "Rudi Völler!" Ich habe natürlich erwartet, dass meine Frau daraufhin sagt: "Oh, toll, super!" Aber sie hat das nicht mitgemacht, ist ganz cool geblieben. Ich habe dann direkt meinen besten Freund angerufen, der dann genau das gemacht hat, was ich mir erwartet habe. Er hat sich mit mir mitgefreut, hat herumgeschrien usw.: "Du bist zur Nationalmannschaft eingeladen! Wahnsinn!" So war das, als mich Rudi Völler damals zum ersten Mal angerufen hat. Habermeyer: In gewisser Art und Weise war die Entscheidung für die deutsche Nationalmannschaft schon auch ein gewisses Risiko für Sie, denn in Ghana wäre die Aussicht für Sie, Stammspieler zu werden und viele Spiele in der Nationalmannschaft zu machen, wahrscheinlich sehr viel höher gewesen als in Deutschland. Denn das Problem ist ja: Wer auch nur einmal in der Nationalmannschaft eines Landes gespielt hat, kann nicht mehr für ein anderes Land spielen. So eine Entscheidung ist also endgültig: Mit Ihrem ersten Länderspiel für Deutschland war damit klar: Sie werden nie für die Nationalmannschaft von Ghana spielen können. Das ist ja doch ein Risiko und etlichen Kollegen von Ihnen ist es ja so passiert: Sie hatten auch die Möglichkeit, sich zwischen zwei Ländern zu entscheiden, entschieden sich für Deutschland, haben ein Länderspiel gemacht und sind dann nie wieder in die Nationalmannschaft berufen worden. Asamoah: Ja, das war das Problem und es gab ja auch Leute, die mir genau das erklärt haben: "Asa, stell dir vor, du machst ein Länderspiel und wirst danach nie wieder eingeladen!" Ich dachte, gut, dann muss ich halt mit diesem Risiko umgehen. Aber ich bin nun einmal, wie schon gesagt, ein sehr, sehr positiv gestimmter Mensch: Ich weiß, was ich kann, ich bin vielleicht nicht der beste Fußballspieler von allen, aber meine Art und Weise zu spielen kommt der deutschen Nationalmannschaft vielleicht doch sehr entgegen. Ich weiß, dass ich für Ghana vielleicht noch viel mehr Länderspiele hätte machen können. Aber ich fühlte mich einfach sehr wohl in Deutschland und habe deswegen gesagt: "Gut, ich gehe dieses Risiko ein und spiele für Deutschland." Habermeyer: Bis 2006 wurden es dann ja stattliche 43 Länderspiele – unter den Nationalspielern ist das keine geringe Zahl, sondern das ist schon eine Menge. Asamoah: So ist das, ich habe wohl doch alles richtig gemacht. Es war ja auch so, dass Ghana bis 2006 nie bei einer Weltmeisterschaft dabei gewesen ist. Ich aber war schon 2002 bei der WM mit dabei gewesen und stand sogar im WM-Finale. Ja, ich denke schon, dass ich da alles richtig gemacht habe. Habermeyer: 2002 wurden Sie in der Tat mit der deutschen Nationalmannschaft Vizeweltmeister, 2006 wurde Deutschland nach dem verlorenen Halbfinale gegen Italien Dritter der WM. Sie waren vor allem 2006 für die gute Stimmung zuständig im Kader. Sie haben zwar 2006 nicht so wahnsinnig viel gespielt, aber innerhalb der Mannschaft waren Sie eine ganz wichtige Person. Was haben Sie denn gemacht, um die Stimmung im Kader zu heben? Asamoah: Wer mich kennt, weiß, dass ich einfach ein bisschen ein lockerer Typ bin. Es war einfach so, dass Teamchef Klinsmann zu mir meinte: "Asa, du machst ab heute den DJ für uns. Du musst immer deinen iPod mitbringen, damit du uns Songs vorspielen kannst." Bis dahin war es so gewesen, dass wir weder bei Schalke noch bei der Nationalmannschaft vor Spielbeginn in der Kabine Musik gehört hätten. Da war jeder einfach nur konzentriert auf das Spiel und mit sich selbst beschäftigt. Aber Klinsmann hat das geändert und gesagt, dass vor dem Spiel in der Kabine Songs gespielt werden sollten. Also habe ich immer meinen iPod mitgenommen. Da ich selbst nicht so viel zum Einsatz gekommen bin, habe ich mir halt Gedanken gemacht, was für Songs ich spielen kann, was zu uns als Mannschaft passen könnte. Ich habe also Lieder ausgesucht, die zu uns und unserer Situation passten. 2006 waren wir ja vor der WM im eigenen Land nicht gerade die Super-Mannschaft gewesen, wir hatten nicht gut gespielt ... Habermeyer: Es hatte im Vorfeld der WM eine fürchterliche Niederlage gegen Italien gegeben, wegen der Klinsmann fast abgesägt worden wäre als Teamchef. Asamoah: So war es. Also hieß es: "Jetzt müssen wir zusammenrücken!" Und genau dafür habe ich Songs ausgesucht. Der Song von Xavier Naidoo, "Dieser Weg wird kein leichter sein ...", passte einfach zu uns, denn wir wussten: Wir haben ein Ziel vor Augen, aber wir wissen auch, dass es nicht einfach werden wird. Und die ganze Vorbereitung war ja in der Tat nicht einfach gewesen. Also habe ich genau dieses Lied ausgesucht. Wir Fußballer sind ja mehr oder weniger alle sehr abergläubisch. Ich habe nicht nur diesen Song, sondern auch andere vor dem ersten Spiel im Bus und dann in der Kabine gespielt. Und weil dieses erste Spiel sehr, sehr gut lief, war klar, dass das in Zukunft auch immer ganz genauso gemacht werden muss: Bevor wir rausgehen auf den Platz, muss dieser Song von Xavier Naidoo gespielt werden in der Kabine! Habermeyer: Kommen wir nun zu etwas, was in Ihrem Lebern nicht so lustig gewesen ist. Diese Sache mit dem Herzen ging ja einigermaßen gut aus für Sie, aber dann, nach diesem Sommermärchen 2006, gab es etwas, das nicht sehr schön gewesen ist. Deutschland war den Sommer über quasi im Fußballrausch gewesen, alles war happy und Gerald Asamoah war ein Liebling der Massen, auch wenn er nicht gespielt hat, weil er für die gute Laune im Team mit verantwortlich war. Dann aber kam es nach der WM zu Beginn der neuen Saison zu einem Pokalspiel in Rostock. Und das, was da in Rostock passierte, war nicht lustig. Asamoah: Ich hatte ja auch früher schon solche Sachen erlebt. Aber 2006 war doch eine der besten und schönsten Weltmeisterschaften gewesen. Darüber waren sich doch alle einig und wir lagen uns alle in den Armen. Auch die Touristen, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen waren, fanden alles super bei uns. Denn früher hatte man doch ein anderes Bild von Deutschland gehabt. Aber jetzt kamen die Touristen hierher und rieben sich quasi die Augen: überall nur Freude, Offenheit usw. Als die WM vorbei war, wurden wir Nationalspieler dann alle in Berlin sehr schön verabschiedet. Das war ein wunderbares Fest gewesen. Und einen Monat später hat man dann ein Pokalspiel in Rostock: Als einziger farbiger Spieler auf dem Platz wurde ich bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen und die Leute machten, wenn ich den Ball hatte, Affenlaute nach. Ich dachte mir: "Was ist denn hier los?" Ich habe das einfach nicht verstanden. Habermeyer: War es das erste Mal nach langer Zeit wieder, dass Ihnen das passiert ist? Asamoah: Ja, das war dann wieder zum ersten Mal. Klar, da steht man auf dem Platz und denkt sich: "Das kann doch nicht sein!" Wenn man das nicht selbst erlebt hat, dann kann man sich nicht vorstellen, wie man sich da fühlt. Man steht auf dem Platz im Stadion und alle – bis auf die mitgereisten Fans von Schalke – sind gegen einen und pfeifen einen aus und machen Affengeräusche. Das tut sehr, sehr weh. Sie machen das nicht deswegen, weil man schlecht spielen würde, sondern sie machen das nur deswegen, weil sie einen beleidigen wollen, weil man eine andere Hautfarbe hat. In der Halbzeit hat mich dann , unser damaliger Trainer, gefragt, ob ich weiterspielen oder ausgewechselt werden will. Ich wollte weiterspielen, denn ich wollte diesen Leuten nicht die Chance geben, mein Spiel kaputtzumachen. Das Spiel lief dann auch sehr, sehr gut für uns, aber für mich war es eine große Enttäuschung, dass ich nach so einer tollen WM so etwas miterleben musste. Habermeyer: Dieses Erlebnis war einer der Auslöser dafür, dass Sie dieses Buch geschrieben haben. In diesem Buch geht es daher auch um diese Erlebnisse, die wehtun und die eigentlich nicht verständlich sind. Irgendwann sollte es sich doch bei den Menschen herumgesprochen haben, dass es keine Rassen gibt. Aber auch ohne Rassen gibt es unglaublicherweise Rassismus. Sie beschäftigt ja dieses Thema bis heute: Der Kampf gegen den Rassismus ist etwas, das Ihnen wirklich am Herzen liegt. Asamoah: Ja, klar. Ich kann darüber reden, ich habe das selbst hautnah erlebt. Wie sieht die Situation heute im Jahr 2013 aus? Kevin Prince Boateng wurde in Italien übelst rassistisch beleidigt. Daraufhin hat er den Platz verlassen – und seine gesamte Mannschaft ging aus Solidarität mit ihm mit. Ich selbst habe drei Kinder und sie wachsen hier in Deutschland auf. Ich will, dass meine Kinder nicht das Gleiche durchleben müssen, was ich durchleben musste, weil das einfach nicht schön ist. Deswegen muss man immer wieder über dieses Thema reden. Solange solche Sachen wie mit Boateng passieren, wissen wir, dass sich nicht viel geändert hat und dass wir weiter darüber reden müssen. Denn wenn wir nichts machen, wird sich auch nichts ändern. Deswegen werde ich immer wieder darüber sprechen, werde ich bei jeder entsprechenden Aktion mitmachen. Denn das liegt mir einfach am Herzen. Habermeyer: Es gab dann ja auch ein Erlebnis in einer Schule, die ausgezeichnet worden war für ihre Arbeit gegen Rassismus. Und diese Schule war blöderweise in einer Stadt, die wie genannt wird auf Schalke? Asamoah: Lüdenscheid-Nord. Habermeyer: Und wie nennen die Bewohner dieser Stadt ihrerseits Schalke? Asamoah: Herne-West. Habermeyer: Warum? Weil eben die ganz harten Fans von Schalke und Dortmund – denn um diese Stadt geht es – den Namen der gegnerischen Stadt erst gar nicht in den Mund nehmen wollen. Deswegen sprechen die Schalker, wenn sie Dortmund meinen, von Lüdenscheid-Nord und die Dortmunder von Herne-West, wenn sie Schalke meinen. Sie fuhren also zu diesem Gymnasium nach Dortmund, und damit quasi in die Höhle des Löwen. Was haben Sie dort erlebt? Wie ging es Ihnen da im Vorfeld? Asamoah: Sie können sich das gar nicht vorstellen. Wenn man wie ich jahrlang für Schalke gespielt hat, dann weiß natürlich jeder, dass ich durch und durch ein Schalker Junge geblieben bin. Und dann kam eben die Einladung, eine Schule auszuzeichnen für ihre Arbeit gegen Rassismus. Das Problem dabei war: Diese Schule ist in einer Stadt, in der ich nicht gerne bin. Ich habe zugesagt, das zu machen, aber ich dachte mir: "Hoffentlich ist irgendein wichtiges Spiel davor, damit ich da nicht hingehen muss." Aber dann rückte dieser Termin immer näher und ich beschloss: "Gut, ich mach' das!" Ich muss sagen, dass ich im Vorfeld sehr, sehr nervös gewesen bin, weil ich ja nicht wusste, wie diese Dortmunder Schüler auf mich reagieren werden. Habermeyer: Es hätte ja sein können, dass Sie dort mit einem Pfeifkonzert empfangen werden. Asamoah: Ich wusste einfach nicht, was passieren wird, und war dementsprechend nervös. Ich fuhr also zu dieser Schule, parkte mein Auto auf dem Parkplatz und ging in diese Schule. Und was passierte? Alles war ganz anders. Die haben alle geklatscht! Ich dachte mir da noch: "Aha, das ist also doch nicht so schlimm, wie ich mir das vorgestellt habe." Gut, das war natürlich auch eine Schule, die genau für ihren Kampf gegen Rassismus ausgezeichnet werden sollte. Und diese Schule hat diesen "Test" mit mir wirklich bestanden: Sie akzeptierten mich, obwohl sie wussten, dass ich ein Schalker bin. Dieser Abend war wirklich sehr, sehr schön für mich. Hinterher habe ich noch eine Autogrammstunde gegeben. Ich war aber auch da im Vorfeld sehr, sehr vorsichtig gewesen: Ich hatte meine Autogrammkarten von St. Pauli mitgebracht, wo ich zu diesem Zeitpunkt gespielt habe. Ich wollte ja nicht mit meinen alten Autogrammkarten von Schalke provozieren. Ich schrieb eine Autogrammkarte nach der anderen, bis ich keine mehr hatte. Ich musste also raus zu meinem Auto laufen und weitere Autogrammkarten holen. Aber das waren dann eben Schalke-Autogrammkarten. Habermeyer: Oh, oh! Asamoah: Aber zum Glück haben sie die auch akzeptiert. Habermeyer: Diese Karten sind Ihnen nicht verbrannt auf dem Weg zurück? Asamoah: Die Schüler dort haben das echt cool aufgenommen. Habermeyer: Die Jungs und Mädchen von diesem Gymnasium wurden also an diesem Abend mit dem Menschen Gerald Asamoah konfrontiert, den sie bis dahin auch nur aus den Medien, vom Fernsehen her kannten. Und wir hier haben jetzt auch einen kleinen einminütigen Ausschnitt vorbereitet mit einigen Spielszenen mit Ihnen: damit man mal sehen kann, wie denn dieser Gerald Asamoah so spielt bzw. gespielt hat. Nach diesem Ausschnitt werden wir dann noch darüber reden, wie es mit Ihnen als Fußballspieler weitergehen wird. Aber davor schauen wir uns kurz an, was Gerald Asamoah als Fußballspieler so gemacht hat. Filmeinblendung: (Ausschnitt von der Feier nach dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft 2002 mit dem "Vorsänger" Gerald Asamoah und von der Feier zum Bundesligaaufstieg SpVgg Greuther Fürth im Jahr 2012, außerdem Spielszenen mit Gerald Asamoah in der deutschen Fußballnationalmannschaft und der SpVgg Greuther Fürth) Habermeyer: Auch diese Feier mit den Fürthern wegen des Aufstiegs in die Bundesliga ist schon wieder Geschichte, denn Fürth ist leider wieder abgestiegen und Sie selbst spielen auch nicht mehr für Fürth. Momentan – also Stand Juni 2013 – sind Sie vereinslos, stimmt das? Asamoah: Das stimmt, ich habe bis jetzt noch nirgendwo unterschrieben. Habermeyer: Sie sind jetzt 34 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch als Profi aktiv sein? Asamoah: Ich fühle mich ja noch sehr, sehr wohl und kann mir gut vorstellen, noch ein, zwei Jahre zu spielen. Dann reicht es aber auch. Ich habe jedenfalls noch sehr, sehr viel Lust auf den Fußball und will daher weiterspielen. Habermeyer: Sie hatten mindestens zwei Leistenoperationen im Laufe Ihrer Karriere. Die Leiste bereitet Ihnen heute keine Probleme mehr? Asamoah: Überhaupt nicht. Ich hatte mir auch mal das Bein gebrochen. Ich habe ja letztes Jahr für Fürth sehr viele Spiele gemacht und machte auch fast alle Trainingseinheiten mit. Ich kann nur sagen: Mir geht es gesundheitlich sehr, sehr gut. Habermeyer: Ich habe es vorhin auch mit eigenen Augen gesehen, als Sie hier auf dem Gelände angekommen sind: Sie steigen noch nicht wie ein alter Mann aus dem Auto aus. Denn ich weiß, dass es Fußballprofis in Ihrem Alter gibt, die bereits so viele Zipperlein haben, dass das bei denen ganz anders ist: Denen tun die Knie weh und die Knöchel usw. Asamoah: Ich muss sagen, dass ich da einfach Glück hatte. Ich bin wirklich noch gut beieinander. Deswegen will ich ja noch weiterspielen. Wenn es so wäre, dass ich irgendwo Schmerzen hätte, dann würde ich mir das nicht mehr antun. Aber ich fühle mich sehr, sehr wohl, und weil ich diesen Sport liebe, will ich einfach noch ein, zwei Jahre spielen. Habermeyer: Souleyman Sané, ein aus dem Senegal stammender ehemaliger Bundesligaprofi, hat, wenn ich mich nicht täusche, sogar bis 41 professionell Fußball gespielt. Und er war selbst mit 41 Jahren noch wahnsinnig schnell. Asamoah: Solche Leute bewundere ich. Ich bin jetzt 34, werde bald 35 und es geht schon noch ganz gut, auch wenn mir nach dem Training doch ab und zu die Knochen wehtun. Aber wenn jemand mit 41 noch spielt, dann kann ich davor nur den Hut ziehen. Habermeyer: Haben Sie denn noch Lust aufs Training? Asamoah: Ja, schon irgendwie. Gut, momentan trainiere ich nicht, da ich keinen Verein habe; ich mache meine Laufeinheiten und so. Aber solange man spielt, hat man immer Lust aufs Training. Als älterer Spieler kann man auch mal bei der einen oder anderen Einheit aussetzen, nicht wahr. Aber das Training gehört einfach mit dazu. Und die Lust aufs Fußballspielen ist, wie gesagt, immer noch da. Habermeyer: Sie haben drei Kinder: Wie viele Söhne, wie viele Töchter? Asamoah: Ich habe einen Sohn und zwei Töchter. Habermeyer: Und dieser eine Sohn ist jetzt sechs Jahre alt. Sie haben damals mit 16, 17 Jahren alles auf eine Karte gesetzt – und es wäre, wie wir erfahren haben, fast schief gegangen. Aber es ging gut, es wurde eine tolle Karriere. Wie würden Sie denn reagieren, wenn der Sohnemann mit 16, 17 Jahren ebenfalls alles auf eine Karte setzt? Asamoah: Oh, ich muss sagen, ich glaube inzwischen, dass Bildung schon etwas sehr Wichtiges ist. Ich habe das ja selbst erlebt: Ich hatte Glück, aber es hätte eben auch alles nach hinten losgehen können. Aufgrund dieser Erfahrung werde ich meinem Sohn schon klarzumachen versuchen: "Bildung, Schule, Schulabschluss sind Pflicht! Sieh zu, dass du die Schule gut abschließt. Den Fußball kannst du nebenbei betreiben, wenn du Spaß daran hast." Habermeyer: Und was ist, wenn die Töchter Fußball spielen wollen? Es gibt ja auch die Frauenfußballnationalmannschaft. Jetzt bitte keine Vorurteile gegen Frauenfußball! Asamoah: Nein, nein, ich gucke ja selbst Frauenfußball. Meine Tochter war auch mal beim Training mit dabei und hat auch mal gegen den Ball getreten. Sie kann das sehr, sehr gut, aber sie spielt doch besser Tennis als Fußball. Und da ist es dann auch besser, wenn sie beim Tennis bleibt. Habermeyer: Aber ein Gespür für den Ball hat sie jedenfalls. Asamoah: Ja, sie spielt auch mit meinem Sohn zusammen Fußball. Aber sie ist nirgendwo angemeldet in einem Verein, weil sie von sich aus noch nicht gesagt hat, sie möchte im Verein kicken. Deswegen haben wir das bis jetzt sein lassen. Aber sie spielt Tennis und ich denke, das reicht auch. Habermeyer: Sie wohnen im Ruhrgebiet, in Marl. Dort werden Sie auch bleiben. Asamoah: Ja. Habermeyer: Ich nehme an, dass Sie für die letzten beiden Jahre Ihres aktiven Profilebens nicht nach Südfrankreich, nach England oder so gehen werden. Sie werden vermutlich irgendwo dort oben in der Gegend bleiben. Asamoah: Ich habe es all die Jahre geschafft, hier in Deutschland zu bleiben, deswegen werde ich jetzt für den Rest auch hier bleiben. Klar, ich fühle mich einfach sehr wohl im Ruhrgebiet und es verbindet mich auch jeder mit Schalke. Ja, ich werde dort leben bleiben und irgendwann werde ich vielleicht auch wieder was machen auf Schalke – aber nicht als Spieler. Jetzt will ich aber zuerst noch Profi bleiben und kicken. Deswegen schaue ich mich jetzt in der Umgebung des Ruhrgebiets um, was da an Verein zu mir passen könnte. Habermeyer: Früher wurden die Stürmer, wenn sie älter wurden, meistens zum Mittelfeldregisseur "umgeschult". Ist es möglich, dass auch Gerald Asamoah irgendwann im Mittelfeld landet? Oder werden Sie für immer und ewig Stürmer bleiben? Asamoah: Ich habe in Fürth im Training in letzter Zeit tatsächlich öfter mal auf der Position des Sechsers gespielt. Habermeyer: Also als defensiver Mittelfeldspieler, der dem Gegner den Ball abnimmt und dann von hinten das Spiel aufzieht. Asamoah: Ja, der dann von hinten heraus die Bälle verteilt. Das hat ganz gut gepasst im Training und hat auch Spaß gemacht, man muss da halt sehr, sehr viel laufen. Aber laufen konnte ich ja immer. Also warten wir mal und schauen, was kommt. Habermeyer: Dann wünsche ich Ihnen dafür wirklich das Allerbeste. Asamoah: Danke schön. Habermeyer: Unsere 43, 44 Minuten sind sehr schnell vorübergegangen. Ich werde mich jetzt garantiert blamieren, denn ich werde jetzt versuchen, mich in Ihrer Sprache zu bedanken: Meda w'ase! Stimmt das? Asamoah: Ja. Meda w'ase! Habermeyer: Das heißt "Danke schön" auf Twi. Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihr Kommen, es hat mir sehr großen Spaß gemacht, dieses Gespräch mit Ihnen zu führen. Und ich bedanke mich auch bei Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, für Ihre Aufmerksamkeit. Unser heutiger Gast war Gerald Asamoah, Fußballspieler. Dass er noch ein bisschen mehr ist, als "nur" ein Fußballspieler, haben Sie sicherlich mitbekommen. Bleiben Sie uns gewogen, auf Wiedersehen.

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