Kathrin Marterior, Norbert Nübler (Hg.)

Mehrsprachige Sprachlandschaften? Protokoll der gleichnamigen Tagung im Herbst 2003 in Leipzig

Herausgegeben von Rosemarie Gläser Onomastica Lipsiensia Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung Band 11

Herausgegeben von Karlheinz Hengst, Dietlind Kremer und Dieter Kremer Kathrin Marterior, Norbert Nübler (Hg.)

Mehrsprachige Sprachlandschaften Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme

Akten der Kieler Tagung 16.–18. Oktober 2014

herausgegeben von Kathrin Marterior und Norbert Nübler

LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Titelbild: Wappenschild von Zwickau (nach dem frühesten Stadtsiegel, 13. Jh.) und Chemnitz (meißnischer Löwe, 14./15. Jh.). [Quelle: Lexikon Städte und Wappen der Deutschen Demokratischen Republik. 2. Aufl., BI: Leipzig 1984.] © Leipziger Universitätsverlag GmbH 2016 Redaktion: Dieter Kremer, Leipzig Satz: Gerhild Scholzen-Wiedmann, Trier Umschlag: Volker Hopfner, Radebeul, unter Einbeziehung einer Collage von Dietlind Kremer, Leipzig Druck: docupoint GmbH, Barleben ISSN 1614-7464 ISBN 978-3-96023-019-9 Inhalt

Kathrin MARTERIOR / Norbert NÜBLER Vorwort ...... 3

Hubert BERGMANN Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft an der Westgrenze der Slavia submersa ...... 5

Georg HOLZER Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit im Lichte onomastischer Mischbildungen in Österreich ...... 33

Albrecht GREULE Historische Onomastik als Spracharchäologie ...... 43

Karlheinz HENGST Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie ...... 55

Walter WENZEL Mischnamen in der Lausitz. Mit zwei Karten ...... 83

Inge BILY Mischnamen – Hinweis auf Siedlungs- und Sprachkontakt im ehemals altsorbischen Kontaktgebiet ...... 97

Kristin LOGA Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes ...... 131

Wolfgang JANKA Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen ...... 157

Kathrin MARTERIOR Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen ...... 177 2

Norbert NÜBLER Hybride Toponyme und Sprachkontakt in ...... 195

Ulrich MÜLLER / Donat WEHNER Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung ...... 209

Autoren ...... 261

Vorwort

Vom 16. bis 18. Oktober 2014 fand an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eine Tagung unter dem Titel „Mehrsprachige Sprachlandschaften? Das Problem der slavisch-deutschen Mischtoponyme. / Multilingual Language Landscapes? The Problem of Mixed Slavic-German Toponyms.“ statt. Eingebet- tet war diese Thematik in die fächerübergreifende Konzeption und Arbeitsweise der Kieler Graduiertenschule „Menschliche Entwicklung in Landschaften / Human Development in Landscapes“. Dabei versuchten die in Kiel versammelten Spezialisten für slavische und deutsche Ortsnamenkunde eine Annäherung an das komplexe Phänomen der im deutschen Sprachraum recht häufig vorkommenden Mischnamen aus slavi- schem und germanischem (deutschem) Sprachmaterial. Trotz der offensichtli- chen Relevanz des Themas für die Onomastik im Allgemeinen und für die To- ponomastik im Besonderen, aber auch für die historische Mehrsprachigkeits- und Sprachkontaktforschung wurde der Erscheinung der sog. „Mischtopony- me“ in der slavistisch-onomastischen Fachliteratur bisher nur vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Beinahe selbstverständlich wird ihnen den- noch oft eine besondere Bedeutung im Rahmen des gemeinsamen Landesaus- baus von Slaven und Deutschen in den östlichen Landesteilen des heutigen und des ehemaligen deutschen Sprachraums zugeschrieben, gelten sie doch als Indiz für ein friedliches Zusammenleben der sprachlich so verschiedenen Völker. Ei- nes der Ziele der Kieler Tagung war es, diese intuitive Annahme kritisch zu hin- terfragen und gleichzeitig verschiedene Ansätze bei der Erforschung von Misch- toponymen zusammenzubringen, zu konfrontieren und einander anzunähern. Es scheint vor diesem Hintergrund verwunderlich, dass das Kieler Symposi- um, dessen Beiträge im Folgenden der Öffentlichkeit vorgelegt werden, wohl die erste Konferenz zu der spezifischen Thematik der slavisch-deutschen Mischto- ponyme war. Entsprechend stellt auch der nun vorliegende Sammelband eine erste monographische Publikation zu diesem komplexen Phänomen dar. Dabei zeigt allein schon die in den einzelnen nun verschriftlichten Beiträgen aufschei- nende terminologische Uneinheitlichkeit zum Grundbegriff „Mischtoponym“ bzw. „Mischname“ u.a. die dringende Notwendigkeit weiterer wissenschaftli- cher Untersuchungen zu diesem Thema. Auf diese Weise kann die Relevanz der slavistischen Namenkunde für andere linguistische Forschungsbereiche wie die Mehrsprachigkeits- und Sprachkontaktforschung nicht nur im slavisch-deut- schen Kontext nachgewiesen werden. Es bleibt daher zu hoffen, dass die folgen- 4 den Beiträge weitere Forschungen anregen werden, die ihrerseits auf entspre- chenden wissenschaftlichen Nachfolgetagungen präsentiert werden können. An dieser Stelle ist es den Herausgebern schließlich ein dringendes Bedürf- nis, denjenigen zu danken, die die Organisation des Symposiums und das Er- scheinen des vorliegenden Bandes erst ermöglicht haben. Für die finanzielle und organisatorische Unterstützung gilt unser Dank der Kieler Graduiertenschule „Menschliche Entwicklung in Landschaften / Human Development in Land- scapes“, ohne deren Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit das onomastische Projekt nicht möglich gewesen wäre. Dem Leipziger Universitäts- verlag und den Herausgebern sei für die Aufnahme des Bandes in die Reihe Onomastica Lipsiensia gedankt. Für die Vermittlung bei der Drucklegung und für die moralische Unterstützung bei der Arbeit an diesem Band möchten wir schließlich auch Herrn Prof. Dr. Karlheinz Hengst unseren Dank und unseren Respekt aussprechen. Kathrin Marterior / Norbert Nübler Hubert Bergmann Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft an der Westgrenze der Slavia submersa

1. Einführung Der geografische Terminus Osttirol ist relativ jung, sein Gebrauch etablierte sich jedoch rasch, nachdem Südtirol, dessen östlichsten Anhang das heute so be- zeichnete Gebiet ja ursprünglich bildete, nach dem Ersten Weltkrieg an Italien kam. Osttirol verblieb als Teil des Bundeslandes Tirol bei Österreich, allerdings ohne unmittelbare territoriale Verbindung zu Nordtirol. Eine Besonderheit Osttirols in onomastischer Hinsicht ist die Tatsache, dass hier alle drei großen europäischen Sprachgruppen, die Germania, die Slavia und die Romania, aufeinandertreffen und sich in der Namenlandschaft manifestieren. Das Areal, in dem wir diese Erscheinung beobachten können, ist zwar größer als Osttirol, doch ist die Tatsache, dass alle drei Elemente zwar nicht in gleichem, doch je für sich genommen beachtlichem Umfang vertreten sind, hier das Entscheidende. Denn nach Westen hin ist das slawische Substratgebiet – noch auf Osttiroler Boden – scharf abgegrenzt, während das dt. Element südlich der Karnischen Alpen bzw. der Karawanken, etwa im Flur-, Gewässer- und Berg- nameninventar, im Prinzip keine Rolle mehr spielt.1 Gegen Osten hin wiederum verliert das romanische Substrat in Kärnten relativ rasch an Bedeutung. Unter Bezug auf die Intensität, mit der die beiden Substratschichten zutage treten, lässt sich die Osttiroler toponymische Landkarte noch weiter unter- gliedern. Romanische Namen begegnen v.a. in zwei Regionen gehäuft, im Kalser Tal (zur Gänze in der Gemeinde Kals am Großglockner gelegen) sowie zum ande- ren im westlichen Osttiroler Pustertal, v. a. in Anras (HORNUNG 1964: 15, VI- DESOTT 2004: 63). Die slawische Substratzone umfasst das gesamte Einzugsgebiet der Isel sowie das Lienzer Becken und reicht im Osttiroler Pustertal bis auf die Höhe von Assling. Der Name dieser Ortschaft, der sich vom slawischen Dendro-

–––––––— 1 Eine gewisse Ausnahme bilden hier die so genannten bair. Sprachinseln Pladen (italienisch Sappada) und Zahre (italienisch Sauris) in Italien (Provinz Belluno bzw. Udine) bzw. Zarz (Sorica) in Slowenien. Zwar finden sich für den friaulisch-küsten- ländisch-krainerischen Bereich dt. Exonyme, vereinzelt auch dt. Burgennamen, oder begegnen dt. Lehnwörter dort auch in der Toponymie, doch kann man hier großteils dennoch nicht von einem dt. Substrat im engeren Sinn sprechen. 6 Hubert Bergmann nym *asenь ʻEscheʼ ableitet (*Asenьikъ, 1022–39 Aznik, Näheres siehe ANB 1989–lfd.: 48 und ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 412ff.), ist zugleich der westlichste gesicherte slawische Siedlungsname in dieser Talschaft.2 Überhaupt handelt es sich hier um die allerwestlichsten Ausläufer des südslawischen Areals, Feistritz im Defereggen dürfte der westlichste slaw. Ortsname südlich des Alpen- hauptkamms sein. Dem Thema der Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist, ent- sprechend werden im Folgenden – nach einer historischen Einführung – Be- rührungen und Vermischungen im Onomastikon Osttirols, an denen das Slawi- sche Anteil hat, im Mittelpunkt stehen. Dabei wird auf Flur- und Hofnamen fo- kussiert, und hier wiederum v.a. auf das Phänomen slawischer Lehnsuffixe.

2. Die Slawen in Osttirol: historische Grundlagen

Gegen Ende des 6. Jahrhunderts n.Chr. drangen die ersten Slawen unter dem Druck der Awaren in den Alpen-Adria-Raum ein. Auf einer zwischen 565 und 571 n.Chr. unternommenen Reise beschrieb der Historiograf Venantius Fortu- natus (ca. 535 bis nach 600) noch die östlich von Lienz im heutigen Ge- meindegebiet von Dölsach gelegene Römerstadt Aguntum, in der auch ein Bi- schof residierte, was darauf schließen lässt, dass diese damals noch nicht zerstört war. Slawen finden in seinen Schilderungen keine Erwähnung (PIZZININI 1974: 13, FRÄSS-EHRFELD 1984: 45). An der Synode von Grado (um 575) konn- ten die Bischöfe Kärntens und mit ihnen auch Bischof Aaron von Aguntum noch teilnehmen.3 Im Zusammenhang mit der Synode von Marano im Jahre 590 werden die norischen Bischofssitze zwar erwähnt, doch waren keine Vertre- ter der jeweiligen Bistümer anwesend (GASSNER/JILEK/LADSTÄTTER 2002: 347). Auch in einem aus dem Jahr 591 datierenden Brief der Bischöfe aus dem Spren- gel von Aquileia, zu dem auch der Aguntiner Bischofssitz gehörte, an den ost- römischen Kaiser werden die Kärntner Bistümer zwar genannt, doch fehlen die bischöflichen Unterschriften, woraus man schließt, dass die kirchliche Verwal- tungsstruktur auf Grund der ins Land gezogenen Slawen damals bereits zu- sammengebrochen war (FRÄSS-EHRFELD 1984: 39 und 45). Das Aufeinander- treffen der slawischen Ankömmlinge und der einheimischen keltoromanischen –––––––— 2 Ein etymologischer „Zwilling“ dieses Namens begegnet uns in Slowenien, und zwar als dt. Name für die Stadt Jesenice. Aßling in Oberbayern wiederum ist nicht slaw. Ursprungs. 3 PIZZININI 1974: 13, FRÄSS-EHRFELD 1984: 45, GLEIRSCHER 2000: 22, GASSNER/ JILEK/LADSTÄTTER 2002: 347. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 7 bzw. romanischen Bevölkerung verlief im Osttiroler wie im Kärntner Raum wohl weitgehend friedlich, was v.a. durch die Ortsnamenforschung bestätigt wird.4 Dennoch kann eine Kontinuität auf dem Gebiet städtischer Lebensfor- men nicht angenommen werden. Letzteres gilt in Osttirol v.a. für das bereits er- wähnte Aguntum. Auch die aus der Römerzeit erhaltenen Reste kirchlicher Or- ganisation überdauerten die slawische Einwanderung nicht.5 Seine größte Ausdehnung erreichte das slawische Siedlungsgebiet in Süd- und Südostösterreich wohl im 7. Jahrhundert. Die Grenze des damaligen slawi- schen Gebiets querte im äußersten Westen den Osttiroler Teil des Pustertals und folgte im Norden den Hohen Tauern. Unklar bleibt, wie weit sich östlich bzw. südlich der oben dargestellten slawischen Siedlungsgrenzen eine ältere ro- manische bzw. keltoromanische Vorbevölkerung halten konnte, doch sprechen bestimmte Namenlandschaften, gerade im Osttiroler Raum, für eine im Einzel- nen mehr oder weniger lange Zeit der Zweisprachigkeit in Teilen dieses Ge- biets.6 In der Stiftungsurkunde des Klosters Innichen (769) wird ein Wasserlauf im Gebiet von Anras im Osttiroler Tal der Drau als Slawengrenze (termini Sclauo- rum) beschrieben. Vergleicht man diesen historischen Beleg mit den bisherigen Erkenntnissen der Namenforschung, so fällt auf, dass politisch-historisch gese- hen das slawische Einflussgebiet im Westen zwar offenbar in das Pustertal bis auf die Höhe von Anras reichte, westlich der Lienzer Klause, der natürlichen Grenze zwischen dem Lienzer Becken und dem Pustertal, jedoch kaum mehr slawische Onyme begegnen. Der bereits erwähnte Siedlungsname Assling steht isoliert da. Umgekehrt treffen wir im Gebiet von Anras auf eine Fülle romani- scher Namen. Möglicherweise handelte es sich bei diesem Areal um eine Art Pufferzone zwischen Slawen und Bajuwaren, in der sich die rom. Restbevölke- –––––––— 4 Vgl. KRANZMAYER 1956–58: I, 201: „Die beliebte Vorstellung von einem zerstö- rungswütigen Slowenenvolk zerfließt im Lichte der Namenkunde zu nichts und ver- kehrt sich in ein freundliches Gegenteil.“ 5 PIZZININI 1974: 63; vgl. auch GASSNER/JILEK/LADSTÄTTER 2002: 347: „Mit der Flucht bzw. der Abwanderung kirchlicher Würdenträger, welche auch die Bezirksver- waltungen innehatten, kam es zum endgültigen Zusammenbruch der überregionalen und insbesondere der städtischen Organisationsstrukturen.“ 6 In Osttirol ist in diesem Zusammenhang v.a. das Kalser Tal zu nennen, in dem sich auf engem Raum bair., slaw. und rom. Namengebung auf eindrucksvolle Weise überschneiden, vgl. ODWARKA/POHL (2004). Wie ANREITER (2010b) zeigt, haben manche slaw. Namen vor der Übernahme durch das Dt. dabei einen rom. „Filter“ durchlaufen. 8 Hubert Bergmann rung länger als anderswo in Osttirol (vielleicht mit Ausnahme des Kalser Tals) halten konnte (STAUDACHER 1937: 189f., HORNUNG 1964: 15). Sicher ist zu- mindest, dass dieses Gebiet später direkt unter die Oberhoheit der Brixner Bi- schöfe kam (STAUDACHER 1937: 190, MITTERAUER 1971: 491). Mit dem Vordringen der Slawen durch das Gebiet des heutigen Kärnten in Richtung Westen waren Auseinandersetzungen mit den Bajuwaren vorpro- grammiert (FRÄSS-EHRFELD 1984: 44). Der Schauplatz eines dieser Konflikte, der um 610 ausgetragen wurde, lag im Raum Osttirol bzw. in dessen unmittel- barer Nachbarschaft. Der Chronist Paulus Diaconus schreibt dazu Folgendes: His temporibus mortuo Tassilone duce Baiuariorum, filius eius Garibaldus in Agunto a Sclavis devictus est et Baioariorum termini depraedantur. Resumptis tamen Baioarii viribus et praedas ab hostibus excutiunt et hostes de sius finibus pepulerunt.7

Mit diesen Konfrontationen kommt das Vordringen der Slawen in Richtung Westen zum Stillstand. Vergleicht man obige Schilderung des Paulus Diaconus mit dem Wortlaut der Innichner Stiftungsurkunde (siehe unten), so wird deut- lich, dass die ethnische Grenze zwischen Bajuwaren und Slawen zu jener Zeit mitten durch Osttirol verlief. Der bei Paulus Diaconus beschriebene Vorstoß der Bajuwaren nach ihrer Niederlage bei Aguntum ging wohl über das Pustertal nicht hinaus, bildeten sich doch im Lienzer Raum die Grenzen politischer Terri- torien heraus: Das Pustertal gehörte wohl großteils zum Herzogtum Bayern, das Lienzer Becken samt der Iselregion hingegen verblieb in der slawischen Ein- flusssphäre und wurde in weiterer Folge vermutlich Teil Karantaniens, das be- kanntlich im Laufe der folgenden beiden Jahrhunderte immer stärker in bayri- sche Abhängigkeit geriet. Parallel zur politischen Unterwerfung erfolgte auch die Missionierung des Raumes. Diese setzte zuerst von Salzburg aus ein, in wei- terer Folge sollten auch Aquileia, das bei der ersten Missionierungswelle im 4. Jahrhundert für Osttirol und den Kärntner Bereich maßgebend gewesen war, sowie das Bistum Säben-Brixen bei der Rechristianisierung dieses Raumes eine wichtige Rolle spielen (PIZZININI 1974: 13 bzw. 63). 769 wurde das Benedikti-

–––––––— 7 Zit. nach KLEBEL 1957: 84, Übersetzung (lt. ebd.): „In jener Zeit war Herzog Tassilo von Bayern gestorben; sein Sohn Garibald wurde bei Dölsach [in dessen heutigem Gemeindegebiet das antike Aguntum lag, Anm. H.B.] von den Slawen besiegt und das bajuwarische Grenzland geplündert. Aber die Bajuwaren ermannten sich wieder, entrissen den Feinden die Beute und vertrieben sie von ihrem Gebiet.“ Lt. GLEIRSCHER (2000: 23) dürfte dieser Angriff der Bajuwaren mit einem Einfall der Awaren in Friaul in Zusammenhang stehen. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 9 nerkloster Innichen im Hochpustertal, also in unmittelbarer Nähe der ange- nommenen karantanischen Westgrenze, gegründet. Der Bayernherzog Tassilo III. übergab damals Atto, dem Abt des Klosters Scharnitz und späteren Bischof von Freising, einen Landstrich um Innichen zur Gründung eines Klosters.8 Die aus diesem Anlass verfasste Urkunde lässt uns über den eigentlichen Zweck nicht im Unklaren: Das Kloster war als Missionszentrum für die benachbarten östlichen, von Slawen besiedelten Gebiete geplant: „... nunc vero postulantem atque humiliter supplicantem audivi et propter incredulam generationem Sclauanorum ad tramitem veritatis deducendam concessi et hilari vultu tradedi per presentes apices.“9 Für unsere Fragestellung interessant ist die Tatsache, dass die Urkunde klar die damaligen Grenzen des slawischen Siedlungsraums bzw. Einflussbereichs benennt. Demnach bildete ein Bach im Gebiet der Pustertaler Ortschaft Anras die Grenze zwischen bajuwarischem und slawischem Gebiet. Die entsprechende Passage lautet im Original: „... usque ad terminos Sclauorum, id est ad rivolum montis Anarasi“10. Auffallend ist, dass Innichen, ähnlich wie das acht Jahre später gegründete Kremsmünster, zwar als Eckpfeiler der Slawenmission intendiert war, wir über Missionsleistung bzw. -erfolg dieses Klosters jedoch nicht unterrichtet sind und sich in Kärnten und Krain, die auf Grund ihrer Lage das natürliche Missions- gebiet dargestellt hätten, keine einzige Tochterkirche bzw. -gründung nach- weisen lässt. Auch in Osttirol bleibt das direkte Einflussgebiet Innichens auf den Bereich des Pustertals beschränkt. Ein Grund dafür könnte in der bald nach sei- ner Gründung erfolgten Eingliederung Innichens in das Hochstift Freising lie- gen. Die Mission im Raum Kärnten und Krain wurde in den folgenden Jahr- hunderten v.a. von Salzburg, Freising, Brixen, Bamberg und Aquileia bzw. von den nach der Jahrtausendwende in den betreffenden Gebieten gegründeten Klöstern (Ossiach, Gurk, Millstatt etc.) dominiert (DÖRRER 1971: 490f.).

–––––––— 8 ZÖLLNER 1960: 364, KÜHEBACHER 1969: 48, PIZZININI 1974: 13. 9 Zit. nach BITTERAUF 1905: 62, Übersetzung (nach KÜHEBACHER 1969: 49): „Deshalb habe ich sein [Abt Attos, Anm. Kühebacher] Verlangen und seine demütige Bitte er- hört, und wegen des ungläubigen Volkes der Slawen, damit es auf den Weg der Wahrheit geführt werde, diese Schenkung durch gegenwärtige Urkunde frohen Sinnes gemacht.“ 10 Zit. nach BITTERAUF 1905: 62, Übersetzung (nach KÜHEBACHER 1969: 49): „... bis an die Grenzen der Slawen, das ist bis zum Bächlein des Berges Anaras.“ Zur dunklen Etymologie des Ortsnamens Anras s. ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 410f. 10 Hubert Bergmann

Die Unterwerfung Karantaniens unter das bayrische Herzogtum um die Mit- te des 8. Jahrhunderts äußerte sich u.a. in einem systematischen Ausbau der bai- rischen Besiedlung, auch in unserem Raum. Was das weitere Schicksal der Ost- tiroler Slawen bzw. ihrer Sprache betrifft, so sind wir in Ermangelung von Quel- len weitgehend auf Vermutungen angewiesen. Derart konkret wie in der In- nichner Stiftungsurkunde werden Slawen im Zusammenhang mit Osttirol nicht mehr angesprochen. Einen gewissen Hinweis liefern in Urkunden genannte slaw. Personennamen. Kronsteiner listet in seiner diesem Thema gewidmeten Monografie für den Raum Osttirol insgesamt sechs in Urkunden des 11. Jahr- hunderts angeführte slawische Anthroponyme auf (KRONSTEINER 1975: 121). Auch das in Kronsteiners Untersuchung nicht berücksichtigte, 1299 angefertigte Urbar der Vorderen Grafschaft Görz enthält u.a. in den Osttirol betreffenden Abschnitten mehrere slawische Eigennamen, rund hundert Jahre früher wird auch im Zusammenhang mit der Ortschaft Alkus (Gemeinde Ainet) ein slawi- scher Personenname erwähnt (BERGMANN 2005: 268f.). Hinsichtlich dieser slawischen Personennamen muss angemerkt werden, dass es durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich ist, dass slawisch- sprechende Osttiroler jener Zeit zum Teil bereits deutsche Namen trugen. Zur Ethniegebundenheit mittelalterlicher Personennamen in unserem Raum ver- merkt Kronsteiner: Wir dürfen mit grösster Wahrscheinlichkeit annehmen, dass ein Adalbero der deutschen, ein Domagoj der slawischen, und ein Urso der romanischen Sprach- gruppe angehörte. Allerdings ist die Etymologie, bzw. die sprachliche Form eines Namens nicht immer ein zuverlässiger Hinweis auf die Sprachzugehörigkeit ... Man muss aber annehmen, dass bei den damaligen sprachlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen – die Schlüsselstellungen in der Gesellschaft nahmen deutsch-spre- chende Adlige ein – ein deutscher Personenname höher bewertet wurde als ein slawischer oder romanischer, und dass manche Slawen oder Romanen es für vor- nehm hielten, einen deutschen Namen zu führen. Man darf daher zu Recht hinter manchem deutschen Personennamen jener Zeit einen Slawen oder Romanen ver- muten, viel eher als umgekehrt. (KRONSTEINER 1975: 6f.)

Die von den Osttiroler Slawen gesprochene Sprache wurde allmählich zu Guns- ten des Bairischen aufgegeben. Die Gründe dafür sind in dem ab dem 9./10. Jahrhundert massiv einsetzenden Zustrom bairischsprachiger Kolonisten sowie im zwar ausgedehnten, aber vermutlich eher schütteren slawischen Siedlungs- netz andererseits zu suchen (KRANZMAYER 1956/1958: I, 162). Zur quantitativen Überlegenheit des Bairischen über das Slawische gesellte sich auch eine soziologi- sche: Der karantanische Adel war nach der Eingliederung des Landes in den bay- Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 11 rischen Herrschaftsbereich nach und nach germanisiert worden, der zu Missions- zwecken ins Land gekommene Klerus war großteils bayrisch-fränkischer Her- kunft. Somit stand bald „ein sozial differenziertes bairisches Element mit weltli- cher und geistlicher Führungsschicht, im Besitze des älteren Christentums, einer Schriftkultur und in politisch überlegener Stellung den Alpen- und Donauslawen gegenüber und gewann allmählich an Boden.“ (ZÖLLNER 1961: 123) Wie lange sich das slawische Idiom in Osttirol halten konnte, ist schwer zu sagen. Hornung vermutet, dass es im 12. und 13. Jahrhundert höchstens noch Reste slawischer Haussprache im Iselraum gab. Die seit dem 14. Jahrhundert be- legte und ab der frühen Neuzeit übliche11 Bezeichnung Windisch-Matrei für Matrei in Osttirol stellt ihr zufolge keinen geeigneten Anhaltspunkt für Spe- kulationen über einen ausgesprochenen Slawenort dar. Der Zusatz windisch sei vermutlich von der Salzburger Kanzlei zur Unterscheidung von Matrei am Brenner eingeführt worden.12 Hierzu könnte man kritisch anmerken, dass auch einer gelenkten Einführung des Zusatzes windisch durch die Verwaltungs- sprache das noch vorhandene Wissen um eine ehemals slawische Bevölkerung zu Grunde liegen musste. Die oben erwähnten Nennungen von slawischen Personennamen in Osttirol betreffenden Dokumenten könnten darauf hinweisen, dass es in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert im Lienzer Becken offenbar noch einen slawisch- sprachigen Bevölkerungsanteil gab. Dies ist v.a. deshalb bemerkenswert, da man davon ausgehen kann, dass eine Durchzugslandschaft, wie sie die Gegend um Lienz zweifelsohne darstellt, früher germanisiert wurde als andere, abgelegenere Talschaften. In dem direkt an Osttirol grenzenden Kärntner Gerichtsbezirk Greifenburg begegnen in Urkunden slawische Namen bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts (KRONSTEINER 1975: 117). Die von Kranzmayer auf- gestellten relativen Chronologien sprechen dafür, dass sich das Slawische im benachbarten Kärntner Oberdrautal in drei Inseln noch bis nach 1300 halten konnte (KRANZMAYER 1956/1958: I,166).

–––––––— 11 Lt. STOLZ (1930b: 143) und PIZZININI (1974: 233) findet sich die Bezeichnung Windisch-Matrei erstmals in einer Urkunde aus dem Jahr 1334, ANREITER/ CHAPMAN/RAMPL (2009: 446) führen einen Erstbeleg für diese Namensform aus dem Jahr 1335 an. 12 HORNUNG 1964: 17, ähnlich ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 446. Auch lt. STOLZ (1930b: 143) ist nicht anzunehmen, dass damals in Matrei noch Leute wohnten, die „Windisch“ oder „Slaw.“ sprachen. 12 Hubert Bergmann

3. Osttiroler Mischnamen mit slawischem Anteil

Wie nicht zuletzt die Tagung, auf die der vorliegende Band zurückgeht, gezeigt hat, ist die Terminologie im Bereich der „hybriden“ Toponyme nicht immer einheitlich. Als Mischnamen werden im Folgenden Namen angesprochen, deren Einzelelemente (seien es – etwa bei Namenskompositen – Namenwörter oder auch nur Suffixe) in etymologischer Hinsicht mindestens zwei Sprachen zuge- ordnet werden können. Probleme hinsichtlich der Klassifizierung ergeben sich dabei v.a. dadurch, dass sowohl Namenwörter als auch bestimmte Suffixe ent- lehnt und in der Nehmersprache zur Bildung neuer Namen herangezogen wer- den können. Die zusammengesetzten Osttiroler Flurnamen Knopfdrage, Mühl- drage oder Rote Drage etwa enthalten als Namengrundwort den in Osttiroler Mundarten anzutreffenden Slawismus Drage (feminin, ['dro:gә]) ‘Erdabrut- schung’ (vgl. slow. drága ‘Wasserfurche, Leitgraben, Mulde, Schlucht, kleines Tal etc.’ und russ. дорога ‘Weg’) (BERGMANN 2005: 192, 231, 248). Je nachdem, ob man auf die Etymologie des Namengrundworts (slawisch) fokussiert oder darauf, welchem Wortschatz es zur Zeit der Namenbildung angehörte (südbai- risch), könnte man diese Namen als slawisch-deutsche Hybride oder rein bai- risch klassifizieren. Ähnlich verhält es sich letzlich auch bei den beiden weiter unten behandelten Lehnsuffixen -(n)itze und -nigg. Bei den zusammengesetzten Namen (im weitesten Sinn) kann unterschieden werden zwischen Namenphrasen einerseits und Namenkomposita im eigent- lichen Sinn. Bei Namenphrasen wird der Kern (im Folgenden X) um adjektivi- sche Attribute erweitert, um den Namen z.B. hinsichtlich seiner Lage oder be- sitzmäßigen Zugehörigkeit näher zu determinieren (Untere X, Innere X, Ortner X, Ainetner X). Solche Namenphrasen mit deutscher Erweiterung und slawi- schem Kern als Mischbildung anzusprechen, ist sicher problematisch, nicht zu- letzt deshalb, weil diese Erweiterungen oft erst sekundär im Laufe der Jahrhun- derte erfolgt sind, d.h. es sich großteils um Namen handelt, die in größerem zeitlichen Abstand zum Zeitpunkt der Prägung des slawischen Namenkerns stehen. Sie werden hier deshalb auch nicht weiter behandelt. Anders zu bewer- ten sind sicher eigentliche Namenkomposita wie etwa Siedlungsnamen, die als Namengrundwort z.B. -dorf oder -berg und im Namenbestimmungswort einen slawischen Personennamen enthalten und die als Siedlungsnamen ungleich frü- her schriftlich belegt sind als etwa Flurnamen. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 13

3.1. Deutsch-slawische Namenkomposita

Der eben erwähnte Typus von zusammengesetzten Siedlungsnamen ist in man- chen Gegenden Österreichs, z.B. in Kärnten, relativ häufig. In Osttirol ist dieser Typus sehr selten. Eines der wenigen Beispiele könnte das Oikonym Gaimberg darstellen, das eine nördlich von Lienz gelegene Gemeinde bezeichnet (1254–68 in Gainperge, ca. 1320 Gaymperch, ca. 1380 Gannperger [Einwohnername], 1385 Gaimp(er)g, 1410 am Gamperg, 1447–58 am Gaymberg, 1449 an dem Gaimperg, 1460 auf dem Guemperg, 1462/63 am Gaimperg, 1463 am Gaimperg, 1479 am Gaimperg, 1493 am Gaimperg, 1533 Gaimberg, 1563 am Gaimberg, 1583 Gaim- perg, ca. 1600 Gaimbperg, Belege nach ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 418). Das Namengrundwort -berg bezeichnet bei Siedlungsnamen im südbair. Raum nicht einen Berg im landläufigen Sinn, sondern primär eine Bergflanke, einen Berghang, auf dem sich Streusiedlungen befinden. Das erste Element in Gaimberg wiederum wird plausibel auf den slaw. Personennamen Gojinъ zurückgeführt, der zu *gojь ʽFriedeʼ gehört (ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 419). Einen solchen Namen (verschriftlicht als Goin) trägt beispielsweise auch ein explizit als „slaw.“ ausgewiesener Zeuge in einer im Zeitraum 1002–1018 für den Kärntner Raum ausgestellten Urkunde (KOS 1902/1928: III, 10).

3.2. Namenableitungen von nichtslawischer Basis mit slawischem Suffix

3.2.1. *-(ьn)ica Das slawische Suffix *-(ьn)ica findet sich in zahlreichen Osttiroler Namen, vor- wiegend in Flur- und Gewässernamen. Wie meine Untersuchung des slaw. Na- menguts zweier benachbarter Gemeinden im Iseltal gezeigt hat, bilden die auf auf [-(n)itsǝ] bzw. [-ǝtsǝ] auslautenden Namen dort in formaler Hinsicht die größte Gruppe der slawischen und etymologisch unklaren Namen. Slaw. *-ica, in etymologischer Hinsicht die durch progressive Palatalisierung entstandene Variante eines älteren *-ika, ist bekanntlich eines der produktivsten Suffixe innerhalb der slawischen Namenbildung. Es begegnet v.a. im südsla- wischen Raum häufig, etwa zur Bildung von Orts-, Berg- und Gewässernamen. Aus dem Osttiroler Raum kann Woritze (feminin, ['βo•Uritsә]) der Name eines Waldes in Alkus (1877 Borize, 1879 Borize; 1889 Boritze), hier als Beispiel die- nen (BERGMANN 2005: 270f.). Er ist zum slawischen Dendronym *borъ (slow. bộr bzw. bóra ʽFöhreʼ) zu stellen. Vereinzelt wurde die slawische Endung im Deutschen rezent noch weiter reduziert, so etwa im Flurnamen Prappatzl (neu- tral, ['prapɒtsl̩ ]) in Alkus, der auf Grund der historischen Belege eindeutig als 14 Hubert Bergmann

*-(ьn)ica-Ableitung zum slawischen Namen des Farns (standardslow. práprot) zu stellen ist: 1746 Prappernizen, Prappernizl, 1775 Praperniz, Prapernizen, 1780 Ein Stuck Acker, die Prappernitzen, 1840 Ein Acker Prappernitzen genannt, 1877 Prappornizen, 1879 Prappornizen, 1889 Prapornitzen (BERGMANN 2005: 74ff.). Dieser Name erscheint heute ausschließlich mit einem bairischen Verklei- nerungssuffix und weist deshalb auch neutrales Genus auf.

3.2.1.1. Deutsche Basis + *-(ьn)ica

Maria Hornung hat als Erste darauf hingewiesen, dass sich das slawische Suffix *-ica im Osttiroler Raum gewissermaßen verselbstständigt hat und als Lehn- morphem auch an deutsche Wortstämme treten kann (HORNUNG 1981: 65). Aus dem Flurnamenbestand der Gemeinde Oberlienz etwa ordnet die Autorin folgende Onyme dieser Gruppe von Mischnamen zu (historische Belege nach BERGMANN 2005: 304): Bodenitze (zu dt. Boden, das in der Toponymie häufig zur Bezeichnung einer – rela- tiv gesehen – flachen Flur verwendet wird; 1780 Ein Acker, Bodeniz benamset, Ein Acker, Bodenizl genannt, 1840 Bodenitz, Bodenitzl, Bodenizen); Pfaitenitze (zu bair. Pfēit ‘Hemd’, s. WBÖ 1970–lfd.: III 39f.; 1780 Eine Berg Wiesen, Pfaittenizen genannt, 1840 Pfaitenitzen); Brunatzle (zu bair. Prunnen ‘Quelle’, s. WBÖ 1970–lfd.: III 1169f.); Mauritze (zu dt. Mauer); Milbitz (zu mhd. milwen ‘zu Mehl oder Staub machen’, s. Mhd. Wb. 1872–78: I 2141);

Schrofitze (zu dt. Schrofen ‘Fels’, s. LEXER 1862: 226, DWB 1854–1971: IX 1763f., SCHATZ 1955–56: II 554; 1680 Ain Ackher die Schröffiz genant, 1746 die Schrëfiz, Schrëfizl, von Schrëfizle, 1780 Ein Acker, Schröfitz genannt, Der Schrofitz Acker, ein Maad, Unter Schröfitz genannt, Ein Maad Stückl, das kleine Schröfitzl, Ein Acker, Schröfize genannt, Ein Acker, Schröfizl genannt, Ein Grund Stückl, Schröffizl genannt, 1840 Schröfize, Schrofitz, Schrofitzl, Schröffizl, Unterschrofitz); Spuelitz (zu dt. Spule, südbair. vereinzelt auch ‘Hals’ im Sinn von ‘halsartig verengte Stelle’; 1775 Spuieliz Wög, 1780 Ein Acker, die Spuelliz genannt, Ein kleines Wäldl, der Spuellitz genannt ... liegt gegen 1: an die Spuellitz, an die Gspuellez, 1840 unter der Spuelitz, an Spulitzbach, bis auf die Spueliz, an die Gspuletz).

Problematisch ist der Flurname Staflitz bzw. Staffetzle, den Hornung zu dt. Staf- fel ‘Stufe’ (vgl. DWB 1854–1971: X/2 515f., SCHATZ 1955–56: II 593) stellt, da Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 15 die im Folgenden angeführten historischen Belege eine solche Deutung als zwei- felhaft erscheinen lassen: 1553 ain Wisen an der Gstofenize, 1624 unter der gstof- fizen ain Geraitl, 1780 Stoffiz, an die Stofetz Tratten, Stofitz, die Stofitzen, in der Stoffizen ... stoßt ... an das kleine Stofizen Trätl, in der Stofizen, an die Stofize, an die Stoffize, Stoffizl, 1840 Stoffitz, Stofitz, Stofitzen, auf der Stoffizen, in der Stoffitzen, im kleinen Stoffizl, an die Stoffize. Einen hybriden Namen mit dt. Kuh als Grundwort könnte ein 1840 für Glanz (ebenfalls Gem. Oberlienz) belegter Flurname Kuh(h)ezle darstellen (Das obere Kuhhezle, Das untere Kuhezle, BERGMANN 2005: 304). Ebenfalls auf ein dt. Etymon, das unter Punkt 3.2.2.1 näher beleuchtet wird, geht der Virgener Flur- name Watschgernitze (1779 ain Pergwisen ... die Watschgernizen genant) zurück (RAMPL 2009: 388f.). Aus dem im Rahmen meiner Dissertation bearbeiteten Flurnamengut der Gemeinden Ainet und Schlaiten im vorderen Iseltal kann diese Zusammenstellung um einige weitere Beispiele ergänzt werden. Der femi- nine Flurname Gatternitze ['gɔtɒnitsә] bezeichnet eine Flur in Ainet, es handelt sich um einen Teil der Ainetner Felder, unterhalb des bei der Einmündung des Pfarrer- in den Mitterpitzent gelegenen Pitzentgatters, wobei das Neutrum Pit- zent (['pitsn̩ t]) dialektal einen ‘Weg zwischen Zäunen, Hecken, Mauern’ (LEXER 1862: 28, SCHATZ 1955–56: I 83) bezeichnet. Die Erwähnung dieses Pitzentgat- ters ist hier deshalb wichtig, da das im Untersuchungsraum auch sonst wieder- holt namenbildende Femininum Gatter ['gɔtɒ] ‘Zauntor’,13 diesem Namen zu Grunde liegt. Die historischen Belege lauten: 1775 Ein Acker die Gadernitz ge- nant, Ain Acker die Gaderniz genendt, Ein Acker genant die Gaternizen, 1780 Ein Acker, Gatterniz genannt, Ein Acker, die Gatternitz, Ein Acker, die Gatternizen genannt, 1840 an Guternig Gatternitz-Acker, Aus dem Acker Gatternitz, 1890 Gaternitze (BERGMANN 2005: 128f.). UNTERFORCHER (1889: 6) nennt neben der Aineter Gaternitze einen Flurnamen Gâtternitz für Patriasdorf, deutet diese Namen jedoch – m.E. nicht korrekt – als *Kotarnica, d.h als eine Ableitung von slaw. *kotarъ (slow. kotár ‘Bezirk, Distrikt’14). Ein möglicher weiterer hybrider Name mit deutschem Grundwort und dem slawischen Lehnsuffix *-ica ist der in der Gemeinde Ainet zweimal vor-

–––––––— 13 LEXER 1862: 110, SCHATZ 1955–56: I 207. In Schlaiten trägt eine Flur den Namen Gatter (1780 Ein Acker, die Gatter genannt, 1840 Ein Acker Gatter genannt), ein ana- loger Name ist für Glanz (Gem. Oberlienz; 1840 Gatter) und Oberdrum (Gem. Oberlienz; 1780 Ein Maad, die Gatter heisend, 1840 Gatter) belegt (BERGMANN 2005: 129). 14 PLETERŠNIK (1894–95): I 447. 16 Hubert Bergmann kommende Name Militzl. Beide Fluren liegen in unmittelbarer Umgebung von (ehemaligen) Mühlen, weshalb es legitim erscheint, von dt. Mühle (im Orts- dialekt ['mi:lә]) als Grundwort auszugehen. Einer dieser beiden Flurnamen ist auch historisch belegbar: 1775 Milizl, 1780 Ein Maad, Millizl heisend, 1840 Ein Mahd Millitzl genannt (BERGMANN 2005: 223f.). Beide Namen weisen zudem ein bair. Deminutivsuffix auf. Zu diesen doch mehr oder weniger eindeutig als deutsch-slawische hybride Formen anzusprechenden Flurnamen gesellt sich eine relativ große Zahl an das Suffix *-(ьn)ica enthaltenden Namen, deren etymologische Zuordnung schwie- rig ist, die jedoch unter Umständen auch dt. Grundwörter enthalten könnten: Aichetze (feminin, ['ɔɒxәtsә]), eine Bergwiese in Gwabl (Gemeinde Ainet), könnte zu dt. Eiche, aber auch zum Personennamen Achaz (d.i. Achatius) zu stellen sein. Doch irritieren hier die historischen Belege, sodass auch eine se- kundäre Angleichung der Endung an die häufigen *-ica-Flurnamen in Betracht gezogen werden muss (1680 Ain Pergwisen in Achatsch so schlecht und maurig, 1746 1 Perg Wüsen Achatsch genannt, 1780 Ein Berg Maad Ähäz genant, an die ... Achaz Wiss, Ein Berg Maad Ähezle genant, Ein Berg Maad Achezle genant, 1840 Ein Bergmahd Achatz genannt, Ein Bergmahd Achetzle genannt, BERG- MANN 2005: 36). Ähnlich verhält es sich beim zusammengesetzten Aineter Namen Aichlitz Drage (feminin, ['ɔɒxlits 'droːgә]). Der zweite Teil dieses Namens, für den leider keine älteren schriftlichen Belege erbracht werden können und der eine Erdabrutschung benennt, ist eindeutig zum Slawismus Drage (siehe Punkt 3) zu stellen. Schwieriger ist die Deutung des ersten Segments. [ɔɒ] entspricht in der Ortsmundart ausschließlich mhd. ei, man könnte also unter Umständen von dt. Eichel (ortsdial. ['ɔɒxl],̩ mhd. eichel (Mhd. Wb. 1872–78: I 516) ausgehen. Ein Flurname Lochetze (feminin, ['lo•Uxәtsә]) in Gaimberg, in unmittelbarer Nähe des Hauses Obergaimberg Nr. 26, ist ein weiterer Kandidat für einen sol- chen hybriden Namen (unveröffentlichte Aufzeichnungen H.B., Name auch verzeichnet bei KOLBITSCH 1992: o.S.). Sein Stamm ist identisch mit der ortsdia- lektalen Lautung von standarddt. Loch, das in der Flurnamengebung eine wich- tige Rolle spielt. Einen Grenzfall in klassifikatorischer Hinsicht stellt der Aineter Flurname Gröflitze (feminin, ['grejflitsә]) dar, eine ehedem Steinhaufen und Gestrüpp enthaltende Weide unweit eines Hofs, die später planiert wurde und heute als Mahdfeld dient, teils aber bereits verbaut ist. Er ist für einen Flurnamen relativ früh belegt: 1540–62 inn Grofflize, ain ackher, 1553 in Gröfflize ain Ackher, Ain Ackher von der Kirchen hinauß in Gräfflize, 1775 ain Stückh Mad Gröfliz genant ... Dieses Mad ist voller Stain und Gröfl, an Mayrs sein Gröflütze, 1780 Ein Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 17 schlechtes Maad, Gröflitz genannt, 1840 Ein schlechtes Mahd Groflitz genannt, an die Nagelischen Grundstücke Gröflitz und Winkelacker (BERGMANN 2005: 170). Der Slawismus Gröfel (['grejfl̩ ]) bezeichnet im Ortsdialekt jene meist am Feld- rand angelegten Steinhaufen, die oft dadurch entstanden sind, dass man die bei der alljährlichen Flurreinigung aufgelesenen Steine an einem bestimmten Ort sammelte. Er ist in etymologischer Hinsicht zu slow. grộblja ‘Steinhaufen’, im Pl. (groblje) auch ‘Schutt, Ruinen’, zu stellen (Näheres siehe BERGMANN 2007). Es kann heute nicht mehr gesagt werden, ob die Entstehung des Namens in sla- wische Zeit zurückreicht oder dieser erst nach dem Verklingen des Slawischen geprägt wurde, indem an den Slawismus Gröfel unser Lehnsuffix angehängt wurde. Im benachbarten Schlaiten begegnet übrigens ein analoger Flurname, der jedoch heute ohne Umlaut erscheint. Hier könnte man unter Umständen annehmen, dass nicht der oben erwähnte Slawismus Pate gestanden hat, son- dern der Name in eine Zeit zurückreicht, als in der Gegend noch Slawisch ge- sprochen wurde. Doch auch der oben erwähnte Aineter Name wird irritieren- derweise in der historischen Belegkette wiederholt ohne Umlaut geschrieben. Aus Osttirol lassen sich noch mehrere etymologisch hierher gehörende Namen erbringen, teilweise ebenfalls mit umgelautetem und nicht umgelautetem Stammvokal in den historischen Belegen nebeneinander, es sei diesbezüglich auf den weiter unten unter Punkt 3.3.2 behandelten Namen Gröflitzach sowie auf BERGMANN (2007) verwiesen. Der Schlaitner Flurname Muggetzle (neutral, ['mukәtslә]) wiederum wird volksetymologisch mit Mugge (feminin, ['mukә]) ‘Mücke’ (LEXER 1862: 192, SCHATZ 1955/1956: II, 436) in Verbindung gebracht (1780 Ein Acker, Muggize genannt, 1840 Ein Acker Muggitze genannt, an Hanns Untermeßners Muggeze, BERGMANN 2005: 230). Im Gegensatz zu den historischen Belegen weist die ak- tuelle Form ein bairisches Deminutivsuffix auf. Im gegenüberliegenden Gwabl findet sich ein fast identischer Name Muggitzle (neutral, ['mukitslә]). Zu Grun- de liegen könnte auch, so es sich nicht um einen deutsch-slawischen Hybridna- men handelt, slow. mòk ‘das Nasse, das Bewässerte, Moorerde’ (PLETERŠNIK 1894/1895: I, 598, BADJURA 1953: 233). Für unsere Fragestellung der dt.-slaw. Berührungen ebenfalls relevant ist der Flurname Gissetl (neutral, ['gisәtl̩ ]) in Alkus, der eine Almwiese bezeichnet. Die aktuelle Form Gissetl lässt sich gut als Verkleinerungsform einer mit dem Suf- 18 Hubert Bergmann fix -ede15 gebildeten Ableitung von bair. Güsse ‘Wolkenbruch, bei schwerem Re- gen oder Schneeschmelze entstehender Wildbach, der Erde, Geröll mitreißt, übermurtes Gelände’16 (vgl. mhd. güsse [feminin] ‘Anschwellen und Übertreten des Wassers, Schwall, Überschwemmung’ Mhd. Wb. 1872/1878: I, 1127f.) erklä- ren, ist also der deutschen Namenschicht zuzuordnen. Zwar findet sich in un- mittelbarer Nähe des Gissetl kein Fließgewässer, das bei Hochwasser eine Be- drohung darstellen würde, doch ist die Flur selbst auf Grund ihres lehmigen Untergrunds anfällig für Erdabrutschungen. Bemerkenswert ist, dass der Flur- name in historischen Dokumenten auch als Gis(s)izle u.ä. verschriftlicht er- scheint: 1746 Von Gissenle, 1775 Gisizle, Gissizle, 1780 Ein Berg Maad, Gisizle genannt, 1840 Ein Bergmahd Gißizle genannt, Ein Bergmahd Gißlize (BERG- MANN 2005: 139). Es lässt sich nicht mehr klären, ob der Name tatsächlich so lautete oder ob hier eine reine Schreibform vorliegt. In letzterem Fall ist dabei an eine Einblendung der zahlreichen anderen Flurnamen auf -(n)itze etc. zu denken. Möglicherweise ist die heutige Lautung auch als Assimilationsprodukt anzusehen. Die Form Gissenle aus 1746 wiederum ist wohl als Deminutiv von Güsse zu interpretieren, wobei der Nasalkonsonant möglicherweise auf eine alte Dativendung zurückgeht. Nur am Rande sei erwähnt, dass das slawische Suffix *-ica im Südbairischen des steirischen Obermurgebiets, Kärntens und Osttirols als Lehnmorphem auch an Appellativa zur Bezeichnung von Jungtieren treten kann (TATZREITER 1980: 50). So bezeichnet man etwa das ‘Jungschaf’ in Osttirol als Lampitze bzw. Lam- patze. Davon leitet sich auch ein Verb lampitzen ‘lammen’ ab.17

3.2.1.2. Vorrömische Basis + *-(ьn)ica Von einem vorrömischen Gewässernamen leitet sich der mit einem slawischen Suffix gebildete Name Islitz ab, der einen linken Zufluss der Isel im Gemeinde- gebiet von Prägraten am Großvenediger im Virgental bezeichnet, der heute Dorferbach genannt wird: 1299 an der Ysolitz, 14. Jahrhundert bey der Ysolicz un- der dem Glanz, 1328 underm Glanz beÿ der Ÿseliz, 1447 an die Isliz, 1545 Islitzer Rott, Bastian an der Yslitz, 1600 Ursprung der Ysslitz, 1768 hinter der Ißlitz, ca. –––––––— 15 Das Suffix -ede tritt im Raum Osttirol auch in der Namenwelt wiederholt auf, besonders massiv im Villgratental, wo es, wie HORNUNG (1981: 65f.) illustriert, auffallend häufig zur Bildung von Hofnamen dient. 16 LEXER 1862: 128, SCHNETZ 1997: 51, SCHATZ 1955/1956: I, 266. 17 SCHATZ 1955/1956: I, 371 und 385 sowie HORNUNG 1964: 173 (s. ebd. unter Lam- pitze bzw. lampitzen im Wort- und Sachregister). Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 19

1772 Ysliz Fl[uss], 1774 Islitz (BERGMANN 2005: 301). Eine Funktion des Suffixes *-ica im Südslawischen ist die Bildung von Deminutiva, weshalb hier mit -ica ge- bildete Hydronyme wiederholt den kleineren Zufluss eines größeren Gewässers bezeichnen (SKOK 1971/1974: I, 704f., UDOLPH 1979: 561f.). Das vielleicht promi- nenteste österreichische Beispiel für dieses Bildungsmuster bei Gewässernamen ist das Namenspaar Mur und Mürz. Letztere entspringt nahe der Schneealpe an der niederösterreichisch-steirischen Grenze und mündet bei Bruck in die Mur, den Hauptfluss der Steiermark. Mürz ist also eine mit dem Suffix *-ica gebildete Ableitung zu Mur, wobei das -i- des Suffixes den Umlaut bewirkt (Näheres s. ANB 1989–lfd.: 773). Ein weiteres Beispiel stellt die Gailitz, slow. Ziljica, dar, ein Nebenfluss der Gail, slow. Zilja, in Kärnten, der in den westlichen Julischen Al- pen, am Neveasattel im Kanaltal, entspringt und bei Arnoldstein in die Gail mün- det (Näheres s. POHL 2013: 129). Ein weiteres Beispiel aus Kärnten ist die Gört- schitz (831 in loco ... ubi Curciza in Curcam influit, 860 ad Kurcizam beneficium Engilbaldi, 927 ad Kurkizam, 982 ad Curcizam, weitere Belege ANB 1989– lfd.: 428), bei der es sich um eine Deminutivableitung zur Gurk, slowenisch Krka, handelt (831 in loco ... ubi Curciza in Curcam influit; 891–93 flumen Gurca; 1025 XXX regales mansos ... inter fluenta Gurkę et Souuuę sitos; 1028 XXX regales mansos, quos ... inter Fluenta Gurkę et Souuuę sitos, weitere Belege und etymologi- sche Deutung ANB 1989–lfd.: 472f., Näheres s. auch POHL 2013: 131). In ebendie- se Reihe von Beispielen gehört auch unser Islitz. Die Ableitungsgrundlage, das Hydronym Isel (1247 Insula, 1312 Isel, Ysel, 1500 Ysell, Belege18 nach ANREI- TER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 427) reicht in die alteuropäische Zeit zurück und kann auf eine Wurzel *is (< idg. *[h1]ish1- ʽstark, schnellʼ) zurückgeführt werden, die wir auch in anderen europäischen Flussnamen wie Isar oder Isère antreffen (ANREITER/CHAPMAN/RAMPL 2009: 427).

3.2.1.3. Phonologisch-morphologische Anmerkung zu den Namen auf -(n)itze < *-(ьn)ica Wie aus den aktuellen Lautungen und teilweise auch aus den historischen Belegen ersichtlich, wurde das posttonale -i- des slawischen Ausgangssuffixes *-(ьn)ica teilweise abgewandelt, entweder zu einem e- oder a-haltigen Vokal bzw. Halbvo- kal. Der vokalische Auslaut des slawischen Formans blieb in Osttirol oft erhalten, zumindest im Gebiet des vorderen Iseltals ist dies durchgehend der Fall. Hier be- –––––––— 18 Ob die Belege in Insula Tal aus dem Zeitraum 1050–65 und praedia ... in regione Isala bzw. ad locum Isala aus dem Zeitraum 1065–77 sich auf das Iseltal beziehen, ist fraglich, vgl. ANB 1989–lfd.: 557, 561 bzw. 563. 20 Hubert Bergmann steht zweifelsohne ein Zusammenhang mit der südbair. Mundart der Region, in der auslautendes mhd. -e meist nicht apokopiert wird. In Namenkomposita mit dem -(n)itze-Glied als erstem Element geht der Auslaut jedoch verloren. Zu einem Alkuser Flurnamen Mahdlitze (feminin, ['mɔːdlitsә]) finden sich auch die Kom- positen Mahdlitz Böden (Plural, ['mɔːdlits 'pejdnә]), Mahdlitz Tröge (Plural, ['mɔːdlits 'trejgә]), Mahdlitz Köfle (Plural, ['mɔːdlits 'kxejflә]) und Mahdlitz Stange (feminin, ['mɔːdlits 'ʃtɔŋә], alle angeführten Beispiele nach BERGMANN 2005: 215f). Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, so der Beleg an das kleine Stofizen Trätl aus dem Jahr 1780 (zu dem unter Punkt 3.2.1.1 behandelten Flur- namen Staflitz gehörig), der jedoch neben einem Stofetz Tratten aus der gleichen Quelle steht. In historischen Dokumenten begegnen auf -(n)itze (< *-(ьn)ica) auslautende Osttiroler Flurnamen immer wieder mit finalem -n, wie etwa an dem bereits er- wähnten Flurnamen Gatternitze ersichtlich: 1775 Ein Acker genant die Gaterni- zen, 1780 Ein Acker, die Gatternizen genannt (BERGMANN 2005: 128f.). Man ist geneigt, diese Erscheinung auf den ersten Blick als Parallele zu jener Entwick- lung in weiten Teilen des Bair. zu sehen, in deren Verlauf Feminina, die im Mhd. auf -e auslauteten, heute auf -n enden, da bei den schwachen Feminina ein Ausgleich nach den obliquen Kasus erfolgt ist bzw. die starken Feminina zu schwachen mutierten. Die südbairischen Mundarten Osttirols nahmen an dieser Entwicklung jedoch nicht teil, weshalb etwa mhd. wise heute Wiese lautet (also gleich wie im Standarddt.) und nicht Wiesn wie z.B. im Mittelbairischen. Es handelt sich bei unseren angeführten historischen Flurnamenformen auf -n also vielleicht bloß um Analogiebildungen zu alten Kasusformen, die in den konser- vativen Mundarten des Raumes möglicherweise länger als anderswo in Ge- brauch standen. Man beachte dazu etwa die folgenden Belege: 1550 ain Ackher gelegen zu ober Lüenz, an der Pernzen, an der Pernizen, 1553 ain Ackher gelegen zu Oberluennz an der Pernnizen, 1672 ain Ackher in der Pernizen genant, 1680 jedoch: Mer 2 Paurecht Grint Nußpamb und Perniz genant, neben Zwai Grunt- fleckhen in Pernizen (BERGMANN 2005: 55f.). Während hier -n nur in den obli- quen Kasus auftritt, begegnet dieses aber oftmals auch, wie erwähnt, im Nomi- nativ. Ein Beispiel, der Beleg aus 1780 für Gatternitze weiter oben, wurde bereits genannt, daneben ließen sich hier noch zahlreiche weitere Beispiele aus Osttirol anführen, etwa folgende, die sich auf einen aktuellen Flurnamen Gruppitze (fe- minin, ['krupitsǝ]) in Ainet beziehen: 1775 ain Mad die Grubizen genant, an Gstinigs Grupizen, Ein Acker Gruppitzen genannt, 1780 an Maÿrs Grupitz, an seine Gruppitz, Ein Maad, die Gruppitzen heisend, 1840 an Gstinig sein Mahd Gruppitzen, ein Wiesmahd Grupitze genannt; Ein Mahd Gruppitze genannt (BERGMANN 2005: 177). Diese Erscheinung lässt sich vielleicht damit erklären, Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 21 dass die betreffenden Namen v.a. in den obliquen Kasus auftreten und deshalb bei der Verschriftlichung auch in dieser Form aufgezeichnet wurden. In ande- ren Fällen könnte ein Gebrauch im Plural zu Grunde liegen. Es kann freilich auch nicht ganz eine Anlehnung an die oben skizzierte bair. „Leitform“ auf -n ausgeschlossen werden, einzelne Schreiber stammten möglicherweise nicht aus Osttirol, sondern aus andern Teilen des bairischsprachigen Gebiets. Es muss der Vollständigkeit halber zuletzt auch erwähnt werden, dass in manchen Fällen die Form auf -n auch in amtlichen Kartenwerken aufscheint (so beispielsweise Fresslitzen, Gsaritzen, Konitzen, s. www.austrianmap.at, ein–gesehen am 27. 4. 2015) bzw. sogar basilektal als solche realisiert wird: Die mundartliche Lautung des Ortsnamens Seinitzen bei Matrei in Osttirol etwa wird 1927 von der Infor- mantin für den Dt. Sprachatlas als Seinzgn aufgezeichnet (siehe den betreffen- den Wenkerbogen unter www.regionalsprache.de/Wenkerbogen/Katalog.aspx, eingesehen am 27. 4. 2015).

3.2.2. *-ьn-ikъ Zahlreiche slawische Namen Osttirols enthalten das Suffix *-ьn-ikъ. Im sloweni- schen Raum dient -nik v.a. zur Bildung von Haus- und Hofnamen bzw. davon abgeleiteten Familiennamen, doch begegnet es auch in Flurnamen und Orony- men19. Es scheint als Hof- und Familiennamensuffix speziell für das Nord- slowenischen typisch zu sein, darunter auch für das aktuelle zweisprachige Ge- biet in Kärnten sowie dessen substratsprachliche Fortsetzung in Osttirol, Kärn- ten und der Steiermark (KRANZMAYER 1956/1958: I, 180), wo es heute grafisch meist als -nig(g) erscheint. In Osttiroler historischen Schriftstücken finden sich darüber hinaus auch Schreibungen mit -nich, -nick, -nigkh, -nik und -nikch (BERGMANN 2005: 312). Im slowenischen Črna na Koroškem etwa, unweit der österreichischen Grenze, sind rund ein Viertel der Hofnamen mit -nik gebildet, damit ist es dort das mit Abstand häufigste zur Bezeichnung von Wohnstätten- namen verwendete Ableitungssuffix (MRDAVŠIČ 1988: 86). Kranzmayer sieht darin nicht zuletzt einen gewissen Einfluss des Deutschen, Hof- und Familien- namen auf -nik (in der Regel handelt es sich bei diesen um Lage- oder Beschaf- fenheitsnamen) sind ihm zufolge nach deutschem Muster gebildet worden, wo- bei das slowenische Suffix dabei dem dt. -er (KLUGE 1995: 227) entspricht (KRANZMAYER 1956/1958: I, 180). Deshalb würden die meisten dieser Namen –––––––— 19 MERKÚ 1982: 76f. Eine Zusammenstellung von Osttiroler Onymen, die dieses Suffix enthalten, findet sich bei POHL 1996a: 55, eine auf den Kärntner Raum bezogene bei KRANZMAYER 1956/1958: II, 164. 22 Hubert Bergmann auch über ein deutsches Pendant (z.B. Blatnik / Moser, Ravnik / Ebner etc.) ver- fügen. Differenzierter und wohl auch richtiger sieht Pohl diesen Zusam- menhang, wenn er schreibt: Man kann dies [d.h. die erwähnten Parallelen zwischen den Namen auf -nik und -er] aber auch als Ergebnis einer Parallelentwicklung unter den Bedingungen weit verbreiteter Zweisprachigkeit sehen, indem beide Sprachgemeinschaften einen ge- meinsamen korrespondierenden semantischen Typus mit jeweils eigenem Sprach- material geschaffen haben ... (POHL 2014: 141).

3.2.2.1. Deutsche Basis + *-ьn-ikъ Wie Hornung gezeigt hat, greift das slawische *-ьn-ikъ- bzw. slowenische -nik- Suffix in der bairisch-slawischen Kontaktzone Kärntens und Osttirols auch auf deutsches Sprachmaterial über, wodurch es zu deutsch-slawischen Hybrid- bildungen kommt und dt. -er und slaw. -nig sichtlich austauschbar sind (HOR- NUNG 1981: 66). Die von ihr in diesem Zusammenhang genannten Beispiele aus Osttirol sind Alber(nig) (dazu ausführlicher weiter unten), Eggenig (Nußdorf; zu Egge ʽGeländekanteʼ; ca. 1776 Eggenig) und Waldnig (Iselsberg; zu Wald; 1385 Walnik, 1545 Leonnhardt Walldnigg, 1575 Petter Walnig, 1583 Wallnig, 1691 Christian Wallnig, 1712 Christian Wallnig, 1807 Maria Waldnigin) (Belege je- weils nach BERGMANN 2005: 312). Das von Hornung erwähnte Alber(nig) (['ɔlβɒ], Hofeinwohnername: der ['ɔlβɒ] N.20) ist v.a. auf Grund des Erstbelegs zum maskulinen, seltener auch fe- mininen Substantiv Alber, das in weiten Teilen des bair. Gebietes, darunter auch in Tirol und Kärnten, unterschiedliche Arten der ʽPappel (Populus)ʼ, vereinzelt auch die ʽUlme (Ulmus)ʼ und die ʽWeide (Salix)ʼ bezeichnet (WBÖ 1970–lfd.: I 132f.), zu stellen: 1385 der vnderm Alber, 1540–62 Peter Albernig, 1545 Petter Albernigkh, 1550 Petter Albernig, 1553 ain grunt ... so Petter Albernig innenhat, auß dem guet genanndt Albernig zu Ainat, 1570 Jakob Albernig, 1575 Jacob Al- bernig, 1583 (Kopie von 1753) Jacob Albernig, 1620 aus dem Albernig Guth, 1622 Albernig, 1626 Albernig, 1629 Albernig, 1677 Albernig, 1680 Leonhardt Albernig, 1696 Albernig, 1721 Albernig, 1726 Albernig, 1746 1: Maad Flöckh aus dem Al- bernig Gueth, 1760 Albernig, 1775 Albernig Gut, Das halbe Albernig Güetl, Der Alber Garte, 1780 Besizt ... das halbe Albernig Gütl, 1840 Das halbe Alberniggut (BERGMANN 2005: 39). Bemerkenswert an diesem Namen ist die Tatsache, dass er, wie ersichtlich, in den Urkundenbelegen zuerst ohne, ab dem 16. Jahrhun- dert jedoch meist mit der Fortführung des slawischen Suffixes *-ьn-ikъ ge- –––––––— 20 N. steht hier und bei den anderen Hofnamen stets für einen Vornamen. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 23 braucht wird, dieses in der aktuellen basilektalen Lautung jedoch fehlt. Diese suffixlose Form begegnet auch in den so genannten Rustikalfassionen von 1775 (der Alber Garte), deren Sprache auffallend dialektnahe Züge trägt. UNTERFOR- CHER (1888: 7) deutet unseren Alber(nig) als einen mit dem *-ьn-ikъ-Suffix ver- sehenen deutschen Personennamen Alber,21 den im Görzer Urbar von 1299 etwa ein Lehensmann in Gwabl trägt (curia, quam habet Albero UVGG 1956: 57). Dagegen spricht jedoch die aus dem ältesten Beleg ersichtliche Verwendung der Präposition unter im Zusammenhang mit diesem Namen.22 Bei dem 1385 für Oberlienz belegten Hofnamen Alberycz dürfte es sich, ähnlich wie bei Al- ber(nig), ebenfalls um einen deutsch-slawischen Mischnamen handeln, in dem ein slawisches Suffix *-ьcь (slow. -ec) oder *-itjь (slow. -ič) an ein deutsches Al- ber getreten ist, bei dem es sich durchaus auch um den von Unterforcher ge- nannten Personennamen handeln könnte. 1410 wird für Patriasdorf (Gemeinde Lienz) ein Mair vnder dem alber genannt, auch das Urbar der vorderen Graf- schaft Görz von 1299 nennt für dieselbe Gegend einen Gůmpreht under dem Al- ber. Ein weiterer Beleg aus 1575 lautet: Wolfgang Perkhhofer Mayr under dem Alber)23. Einen Hofnamen Alberer, der dasselbe Etymon aufweist wie unser Al- ber(nig), finden wir im Kärntner Radelsdorf (Gem. Liebenfels, Gerichtsbezirk St. Veit an der Glan, BAUMANN 1977: I 173f.). Eine Albernigkeusche ist schließlich auch für Nikolsdorf belegt (KÖFLER 1974: 32). Ein weiteres interessantes Beispiel für einen „hybriden“ Hofnamen stellt der auf einen abgekommenen dt. Rechtsterminus im weitesten Sinn zurückgehende Hofname Watschger(nig) dar (['βɔtʃkɒ]; Hofeinwohnername: der ['βɔtʃkɒ] N.): 1385 der auf der Waczga, 1529 Watschger Lennz, 1540–62 an Watschgers grunt, 1545 Paull Watschgernigg, Larenntz Watschgernigkh, 1553 stost ... an Wätschgers grunt, stöst ... an Wetschgers hauß, stöst ... an Wätschgernigs grunt, stöst ... an Watschgernigs grunt, 1570 Stefan Watschgernig, 1575 Steffan Watschgernig, 1583 (Kopie von 1753) Watschernig, 1622 Wätschgernig, 1626 Inhaber des Watsch- gernnig Guets, Geörg Watschger, 1680 Mathes Watschgernig, 1746 Niclauß Wätschgernig, 1761 Niklaus Watschgernig, 1775 Niclaus Watschgernig, an ... –––––––— 21 UNTERFORCHER (1888: 7); bei Alber handelt es sich um eine Kurzform von Albero, einer Variante zu Adalbero (SEIBICKE 1996/2005:I, 59f.). 22 Dendronyme dienen in unserem Raum häufig zur Bildung von Hofnamen, man vgl. in diesem Zusammenhang den Schlaitner Aulonym-Beleg Under dem Nuspawm von 1410 (BERGMANN 2005: 40, mit weiteren Beispielen). 23 Bereits in einer Urkunde aus dem Jahr 1197 wird berichtet, wie Graf Heinrich von Matrei in villa Patriarchesdorf, sub arbore, qui dicitur albar mehreren Leuten die Freilassung erteilt (BERGMANN 2005: 40). 24 Hubert Bergmann

Wärtschers sein Feldung, Watscher, Watschernig, Andree Watschgernigs gärtl, an Watschgers Rain, Watschgernig Guet, an ... Watschers, 1780 raint gegen ... 4: an des Watschernig Greichach genannt, ein Gut, das Watschgernig Gut genannt, an Lorentz Watschgernigs Glanz, 1781 Andreä Watschgernig, 1840 Der kleine soge- nannte Watschgernig-Hof (BERGMANN 2005: 266f.). Als Etymon ist mhd. watschar anzusehen, das ‘abgabenpflichtiges Gut bzw. Abgabe eines solchen’ bedeutete24 und im bairisch-österreichischen Raum eine wichtige Rolle in der Namengebung spielt.25 Nach Finsterwalder liegt diese Bezeichnung auch den Ti- roler Familiennamen Waschgler, Watscheder und Watschinger sowie dem mehrmals auftretenden Hofnamen Watscher zu Grunde.26 Stolz schreibt unter Berufung auf eine statistische Beschreibung des Gerichtes Matrei in Osttirol aus dem frühen 19. Jahrhundert, dass man dort noch im 18. Jahrhundert Watschger (also in einer Lautform, die unserem Hofnamen entspricht) als Bezeichnung für den achten Teil eines Hofes gebrauchte, im Defereggen für den vierten Teil ei- ner Schwaige (STOLZ 1930a: 103f.). Watschar bzw. dessen Nebenformen weisen meist maskulines Genus auf, erscheinen daneben aber auch als Femininum.27 Auch im Urbar der Vorderen Grafschaft Görz ist dieser Terminus mindestens vier Mal belegt: in der Pluralform die Watscharen für Melaten bei Aufkirchen im Süd- tiroler Pustertal sowie gleich drei Mal als Femininum für das Virgental (una –––––––— 24 Mhd. Wb. 1872/1878: III, 706. Nach FINSTERWALDER (1994: 522) ist watschar durch Volksetymologie aus ahd. swâs-scara ‘Eigenanteil eines Anerben am Familienbesitz’ entstanden, vgl. hinsichtlich der Etymologie auch DWB 1854/1971: XIII, 2590 und SCHNETZ 1997: 77. Klos-Bužeks Ableitung des Begriffs aus lateinisch vacca ‘Kuh’ im Sinn von ‘Gut, das imstande war, eine Kuh zu erhalten’ ist abzulehnen (UVGG 1956: XLIV). 25 Anders, doch wohl zu konstruiert, UNTERFORCHER (1888: 19) bzw. (1889: 26): Dieser sah, offenbar ohne den ältesten Beleg (auf der Waczga) aus dem Jahr 1385 zu kennen, in diesem Namen zum einen ein tschechisches bačkor ‘geflochtener Winter- schuh’, ein Wort, welches sich für das Slow. nicht nachweisen lässt. Auch hielt er andererseits eine Verbindung mit mhd. wâtsack ‘Kleider- bzw. Reisesack’ (Mhd. Wb. 1872/1878: III, 706) für möglich, das lt. SCHATZ 1955/1956: II, 691 für einige Nord- tiroler Dialekte belegt ist. 26 FINSTERWALDER 1994: 521f., siehe auch SCHATZ 1955/1856: II 692 und SCHNETZ 1997: 77; laut Auskunft von †Maria HORNUNG findet sich auch in der dt. Sprachinsel Pladen/Sappada (Provinz Belluno) ein Familienname Boccingher, welcher dem oben angeführten Watschinger entspricht. 27 So verzeichnet FINSTERWALDER (1994: 521) einen mit 1406 datierten Beleg die Wad- schal. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 25

Watschar, una watschar, de una watschar, UVGG 1956: 17, 33, 35 und 36). Auch in einem Schriftstück aus dem Jahr 1313 wird für Virgen ain Watschger genannt (OR), möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang mit dem bei RAMPL (2009: 388) genannten, heute noch gebräuchlichen Flurnamen Watschger (1779 ain acker der Watschger genant). Ähnlich wie bei Alber(nig) tritt auch bei Watsch- ger(nig) in den ältesten Urkundenbelegen die Endung -nig noch nicht auf, diese erscheint zum ersten Mal im zweitältesten Beleg aus 1545, bleibt dann jedoch in den schriftlichen Dokumenten durchgehend bis ins 19. Jahrhundert am Namen haften. In einem hinsichtlich seiner Sprache auffallend dialektnah gehaltenen Verzeichnis aus 1775 scheint Watschger(nig) als Watschernig, daneben jedoch auch als Watscher und Watschgers (= Genitiv) auf, woraus geschlossen werden kann, dass die Endung damals offenbar bereits abgestoßen worden war. Nicht auszuschließen ist freilich auch, dass es sich bei der Form mit -nig jeweils um eine vom tatsächlichen Sprachgebrauch unabhängige Kanzleiform handelt. Im Raum Ainet und Schlaiten begegnen wir – neben Alber(nig) und Watschger(nig) – drei weiteren, wohl über das Slawische zu etymologisierenden Hofnamen, die die Endung -nig im Laufe der Zeit ebenfalls verloren haben, nämlich Poss(enig), Gantsch(nig) und Glantsch(nig). Bei den ebenfalls slawischen Hofnamen Tschellnig, Gantnig und Krassnig existiert neben der Vollform auch eine ortsdia- lektal gebräuchliche Variante ohne -nig, bei Pedárnig fällt die Endung im Hof- einwohnernamen ab, während wir bei einem weiteren Hof namens Gantschnig im Hofeinwohnernamen eine Form mit -nig neben einer solchen ohne dieses Suffix antreffen (Näheres, auch zu den Etymologien der genannten Namen, bei BERGMANN 2005). Für den Kärntner Raum listet Pohl insgesamt siebzehn Familiennamen auf -nig(g) auf, die als deutsch-slawische Hybride anzusprechen sind. Die meis- ten sind etymologisch transparent, wie z.B. Brucknig/Prucknig, Freithofnig, Gat- ternig oder Webernig. Felfernig geht auf dt. Felber/Felfer ʽWeideʼ zurück, Fin- denig auf finden (Bezeichnung für ein Findelkind), Habernig(g) auf eine dialek- tale Form für ʽHaferʼ, Kogelnig gehört zu Kogel ʽBergkuppeʼ und Riegelnig zu Riegel ʽBergrückenʼ (POHL 2014: 146f.). Auf hybride, aus einem deutschen Grundwort und einem slawischen Ableitungssuffix gebildete Hofnamen im Be- reich der Wasserscheide zwischen Drau, Sann und Sawe macht Glauert auf- merksam. Er schreibt dazu: Besonders bezeichnend für die völkische Gemengelage, welche von Anfang an in unserem Gebiete herrschte, sind die gar nicht seltenen Mischkomposita, welche aus dt. Bezeichnungen mit angehängter slow. Endung -nik, (nig), bestehen. (GLAUERT 1946/1952: 56). 26 Hubert Bergmann

Aus historischen Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts führt er dazu den Beleg Scheidnigk (< Scheide) sowie die bereits erwähnten Namen Cogelnik und Rigel- nigk an, vermerkt jedoch, dass die betreffenden Etyma sich auch als deutsche Lehnappellativa im Slowenischen nachweisen lassen. Des Weiteren zeigt er auf, dass in Dokumenten aus dem genannten Zeitraum auch andere interessante Vermischungen vorkommen, so etwa, wenn der Eigenname slowenisch er- scheint, die nähere Ortsbestimmung jedoch deutsch – oder umgekehrt: Hertel plasnikch (zu slow. plaz ʽErdrutsch, Lawineʼ) am Stain, Marko Im Asang (mhd. âsanc ʽBrandrodungʼ) zawerchom (slow. za vrhom). Bisweilen finden sich sogar Übersetzungspaare: Chunrad pod planini vnder der alben (GLAUERT 1946/ 1952: 57). Auf eine gewisse Flüchtigkeit bzw. Austauschbarkeit von dt. -er und -nigg (< slaw. *-ьn-ikъ), die aus den oben angeführten Osttiroler Hofnamen spricht, weist auch das Nebeneinander der Formen Podawernik und Petawner in einem Schriftstück aus dem Jahr 1385 hin, die sich wohl beide auf den heute noch greifbaren Schlaitner Hof- und Familiennamen Pedárnig (< *Podъavorьnikъ, vgl. slow. pòd ‘unter’ und jávor ‘Ahorn’) beziehen (BERGMANN 2005: 48ff.). Für die Austauschbarkeit von slaw. *-ьn-ikъ und dt. -er gibt es auch mehrere histori- sche Beispiele aus dem benachbarten Kärntner bzw. Oberkrainer Raum. Fresa- cher etwa nennt zahlreiche entsprechende Belege aus dem Gebiet des ehema- ligen Amtes Kleinkirchheim im Bezirk Spittal an der Drau und schreibt dazu: Während die meisten Eigennamen [gemeint ist hier: Familiennamen, H.B.] aus den Hubennamen durch Anfügen der Endung -er entstanden, so gibt es deren einige, die durch die (slawische) Endung -nig gebildet wurden. Dabei zeigt sich das Merkwürdige, dass ein Kampf zwischen den beiden Bildungen stattgefunden hat, denn neben den sich durchsetzenden Bildungen auf -nig kommen daneben in den herrschaftlichen Nachrichten wie in den Kirchenbüchern auch die Namen auf -er vor. Die Hube an Streit führte zum Eigennamen Streitnig (schon 1565); heute heißt auch die Hube selbst Streitnig-Hube. (FRESACHER 1965: 84, mit weiteren Beispielen).

Preuss schließlich führt für Lassach, einen Ortsteil der Gemeinde Obervellach in Oberkärnten, einen Hofnamen Schwussnig an, der noch im 19. Jahrhundert als Schwussner überliefert ist (PREUSS 1939: 114f.).

3.2.2.2. Romanische Basis + *-ьn-ikъ Vereinzelt kann die Endung -nigg (< *-ьn-ikъ) auch an rom. Wortstämme treten. Dies ist etwa im abgekommenen Hofnamen Rantschnigg in Kals am Groß- glockner der Fall (1608 Christan Rantschnig, 1754 Veith Rantschnig, Belege nach Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 27

ANREITER 2010: 352), dem rom. runcu, -a ʽRodungʼ zu Grunde liegt (ODWAR- KA/POHL 2004: 40). Eine mit der dt. Endung -er gebildete Variante dieses Namens (Rantschner) ist in Kals ebenfalls als Hofname anzutreffen (ODWARKA/POHL 2004: 40; 1428 Nickel auf Ranczen, Haintz auf Runcz(e)n, 1583 ain pergwisen den Rontschner in Kalls, ca. 1650 Blasӱ Rantscher, 1659 Casparo Rantschner, Belege nach ANREITER 2010a: 350). Hornung erwähnt einen Osttiroler Hofnamen Mara- tschnigg, den sie zu rom. muracia ‘altes Mauerwerk’ stellt (HORNUNG 1981: 66).

3.3. Namenableitungen von slawischer Basis mit deutschem Suffix 3.3.1. Deminutivsuffix -l(e) Wie bereits angesprochen, sind jene Fälle relativ häufig anzutreffen, in denen an den slawische (resp. mit einem slawischen Suffix gebildeten) Flurnamen ein bai- risches Deminutivsuffix -l(e) tritt. Dabei kann das Suffix nur in der aktuellen Lautung auftreten und in den historischen Belegen fehlen, wie dies etwa bei dem unter Punkt 3.2.1.1 erwähnten Schlaitner Flurnamen Muggetzle der Fall ist. Formen mit und ohne Verkleinerungssuffix können in den historischen Belegen auch nebeneinander auftreten, etwa im Flurnamen Dabernitzle aus Virgen: 1779 ain grundtstuck das Feld, und Däbernizen genant, ain Maadstückl Das Kölber Peintl und Dabernizl genant, ain Äckerl das Däbernizl genant, 1905 Tabernitzl, Tabernitz.28

3.3.2. Kollektivsuffix -ach Auch das deutsche Kollektivsuffix -ach kann bisweilen an slawische Flurnamen treten. Dies ist etwa im Virgener Flurnamen Gröflitzach der Fall, der in etymo- logischer Hinsicht dem unter Punkt 3.2.1.1 behandelten Gröflitze entspricht. Of- fenbar ist dieses Suffix erst sekundär an den Namen getreten und kommt im Erstbeleg noch nicht vor: 1563 Mer ain Ackher inn Groffliz(en), 1779 ain äckerl Das klain gröflitzach haisend (RAMPL 2009: 218). Einen solchen Wechsel von Formen mit und ohne -ach innerhalb der Belegkette können wir auch beim Vir- gener Flurnamen Grobizach beobachten, der möglicherweise zu slaw. *grobъ ʽGrab, Grubeʼ zu stellen ist: 1779 ain acker grobizach gehaisen, ain acker die gro- bizen betitlet (RAMPL 2009: 216f.).

–––––––— 28 RAMPL 2009: 94. Als weitere Beispiele können die ebd. (190 und 205) behandelten Namen Kleinitzle und Graditze genannt werden. 28 Hubert Bergmann

3.3.3. Ableitungssuffix -er Das Suffix -er ist in Osttirol das häufigste zur Bildung von Hofnamen verwendete Formans. Oft handelt es sich bei den entsprechenden Aulonymen um Lagenamen (Bacher, Pichler, Santner, Thaler etc.), doch auch der Typus „männlicher Perso- nenname + -er“ ist nicht selten (Kasperer, Lukasser, Peterer etc.). Vereinzelt finden sich in dieser Gruppe auch von slawischen Flurnamen abgeleitete Hofnamen. In diesem Zusammenhang kann der erst relativ junge Hofname Daberer (maskulin, ['daːβɒrɒ], Hofeinwohnername: der ['daːβɒrɒ] N.) in Schlaiten genannt werden. Er leitet sich von der in unmittelbarer Nähe befindlichen Flur Daber (feminin, ['daːβɒ]), einem am Unterlauf eines Baches gelegenen, grabenartigen Feld, ab: 1540–62 ain Mad unndter Schlätten Genannt inn der Däber, 1553 ain Mader unn- der Schlätten genannt in der Däber, 1680 drei Mader Gras die Täber genant, 1780 an den Täber, Ein Grundstuck die Täber, 1840 an die Taber, 1859 Taber, 1877 Die Täber, 1879 die Täber, 1889 Täber, Acker in Schlaiten, 1890 Täber Acker (BERG- MANN 2005: 89). Dieser Name tritt in Osttirol gehäuft zur Bezeichnung von klei- neren Tälern oder Gräben und dgl. auf, zu Grunde liegt slaw. *dъbrь, dessen Fort- führungen man in allen Teilen der Slavia antrifft, wobei die jeweilige Semantik va- riiert (vgl. BERGMANN 2005: 92ff.). Der slow. Fortsetzer lautet debèr (feminin) ‘Talschlucht’, das sich laut Pleteršnik nur mehr in Namen findet.29 Ein Daberer semantisch entsprechender Name, nur diesmal mit einem slaw. Ableitungssuffix gebildet, begegnet auf der anderen Talseite, in Alkus. Es handelt sich dabei um den Hofnamen Dabernig (maskulin; ['daːβɒnik], Hofeinwohnername: der ['daːβɒnigәs] N.). Auch hier begegnen uns in historischen Dokumenten Belege mit und ohne -nig: 1385 der Däbernik, 1410 Steffann an der Däber, 1545 Veidt zu der Däbar, 1553 stöst ... an Veitten an der Däber grunt, stöst ... an Veit in der Dä- ber grunt, 1575 Veith in der Täber, 1583 (Kopie von 1753) Veit in der Däber ... vom Gueth an der Däber, von halben Daber Gueth, Veit in der Täber, 1622 Täber- nig, 1626 Hannß ... in der Däber, 1629 Tabernig, 1680 Hannß in der Täber, die Steur ... so den Tabernig zu Hilf khombt, 1731 Paul Täbernig, 1746 Lorenz in der Täber, Täbernig Gueth, 1750 Tabernig, 1775 Tabernig, Däber Guth, Lorenz Da- bernig, das Däbernig Guet, Tabernig, 1780 Besizt das Täbernig Gut, 1840 Das soge- nannte Taberniggut, BERGMANN 2005: 92). Der Deferegger Hof- und Familien- name Blasísker kann in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt werden, er geht auf einen Flurnamen zurück, der mittels des Suffixes *-išće (slow. -išče) von *plazъ

–––––––— 29 PLETERŠNIK 1894–95: I 125: beseda se nahaja v krajnih [sic!, vgl. dazu BADJURA 1953: 32] imenih. Osttirol – eine sprachlich durchmischte Namenlandschaft 29

(slow. plaz) abgeleitet wurde.30 Im Fall des Prägratner Hof- und Familiennamens Islitzer begegnen uns schließlich gleich drei Namenschichten in einem einzigen Onym, indem an den vorröm.-slaw. Mischnamen Islitz (siehe Punkt 3.2.1.2) ein dt. Suffix -er angefügt wurde.

Quellen und Literatur

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–––––––— 30 Einem solchen *Plazišće entsprechende Flurnamen finden wir in Osttirol mehrmals, so etwa in Kals am Großglockner: 1501 aus dem Singer pach nach dem Rain einher auf die plasisko (ANREITER 2010: 314). 30 Hubert Bergmann

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Bekanntlich verlief im Frühmittelalter die slavisch-deutsche Sprachgrenze in Deutschland weiter westlich als heute. Südlich des heutigen Deutschland über- querte sie Österreich und verband dort die westliche Grenze des Tschechischen mit der westlichen Grenze des Slovenischen. Nach Ausweis historischer, urkund- licher und onomastischer Belege wurde auf heute österreichischem Staatsgebiet östlich der Quellen von Enns, Mur und Isel (einem Quellfluss der Drau) Slavisch gesprochen. Dieses zwischen dem Süd- und dem Nordslavischen, konkret: zwi- schen den slovenischen und den tschechischen Dialekten liegende Gebiet war Teil des durchgehenden gemeinslavischen Dialektkontinuums. Die slavische Besiede- lung erfolgte hier zur selben Zeit und unter denselben Umständen wie in den im Norden und im Süden angrenzenden Gebieten, nämlich um ca. 600 n.Chr. im Zusammenhang mit der Errichtung des avarischen Reichs. Im 8. Jahrhundert setzte östlich der Slavengrenze im heutigen Österreich die Germanisierung ein, die aber erst nach dem Sieg Ottos des Großen über die Ungarn (955) nachhaltig wurde. Zwischen dem Einsetzen der Germanisierung und ihrem Abschluss, dem Aussterben des Slavischen, lagen Jahrhunderte slavisch-deutscher Zweisprachig- keit. Das Aussterben des Slavischen nahm wohl an der Donau seinen Ausgangs- punkt, vielleicht so um 1200 n.Chr., und erfasste von dort aus immer südlichere und immer nördlichere Gebiete. Im Süden hat dieser Prozess mittlerweile Kärn- ten erreicht, wo inzwischen das Gemeinslavische zum Slovenischen geworden ist. Das sich vor unseren Augen abspielende Zurückweichen des Slovenischen vor dem Deutschen ist die letzte Etappe des Aussterbens des Slavischen, das im Mit- telalter an der Donau begonnen hat. Noch aber herrscht im Süden Kärntens die slavisch-deutsche Zweisprachigkeit, deren mittelalterliche Vorgeschichte Gegen- stand dieses Beitrags ist. Damals wie heute war die slavisch-deutsche Zweispra- chigkeit in Österreich asymmetrisch: Deutsch war die „Staatssprache“, das Sla- vische war Privatsprache.1 –––––––— * Der Beitrag vom Kieler Symposion ist zuerst für einen osteuropäischen Leserkreis in der Zeitschrift Voprosy onomastiki [Probleme der Onomastik] in Band 18 (2015) erschienen. Diese Zeitschrift wird an der Ural-Universität in Ekaterinburg (Russ- land) herausgegeben. Der Verfasser gehört dem dortigen Redaktionsbeirat an. 1 Siehe H06, H07. 34 Georg Holzer

Untersucht man die mittelalterliche slavisch-deutsche Zweisprachigkeit in heute österreichischen Gebieten, wie es in der vorliegenden Skizze anhand von onomastischen Mischbildungen geschehen soll, muss man sich vergegen- wärtigen, dass es sich hier eigentlich um zwei Fragen handelt: um die nach der Zweisprachigkeit des Landes und um die nach der Zweisprachigkeit in ihm le- bender Individuen. Zweisprachigkeit des Landes ist ein Trivialfall und auch dann gegeben, wenn verschieden-, aber einsprachige Individuen im Land zu- sammen siedeln. Interessanter ist die Frage, ob in einem Gebiet individuelle Zweisprachigkeit geherrscht hat. Diese ist für das mittelalterliche Österreich er- wiesen, weil das Slavische dort ohne gravierende demographische Verschie- bungen ausgestorben ist und dies nur dadurch möglich war, dass in irgendeiner Generation zweisprachige Individuen zwar mit ihren Eltern noch Slavisch, mit ihren Kindern aber nur noch Deutsch sprachen. Es fragt sich nur, ob die a-priori-Gewissheit der mittelalterlichen individuellen Zweisprachigkeit in Ös- terreich auch onomastisch nachweisbar ist. Für die Entlehnung von Namen genügt grundsätzlich Zweisprachigkeit des Landes. Eine Mitteilung, wie etwas heißt, ist durch Fingerzeig und Namen- nennung auch zwischen Individuen möglich, die einander sprachlich überhaupt nicht verstehen. Der onomastische Nachweis individueller mittelalterlicher sla- visch-deutscher Zweisprachigkeit in Österreich wird sich also schwierig ge- stalten, auch wenn man sich auf die Mischnamen stürzt, die durch ihre innere, etymologische Zweisprachigkeit zunächst einmal vielversprechend zu sein scheinen. In den folgenden Abschnitten wird sich aber herausstellen, dass von einer etymologischen Zweisprachigkeit in Namen keineswegs immer auf indivi- duelle Zweisprachigkeit geschlossen werden kann, sondern dass es von der Art eines Mischnamens abhängt, ob er nur von zweisprachigen Individuen gebildet worden sein kann. Die hier zu unterscheidenden Arten von Mischnamen wer- den in den folgenden Abschnitten einzeln untersucht.

Atributivkomposita

Attributivkomposita bestehen aus einem slavischen Erstglied und einem deut- schen Zweitglied, und wenn man sie dekomponiert, wird das Erstglied zum Attri- but des Zweitgliedes. Wenn das Erstglied nicht auch als entlehntes Appellativum im Deutschen existiert, weist ein Attributivkompositum auf eine zumindest rudi- mentäre, in gewissen Vokabelkenntnissen bestehende individuelle Zweisprachig- keit hin. Ein Beispiel ist Fohnsdorf (1141 Fanesdorf ‘des Bans Dorf’2). Deutsch- –––––––— 2 Siehe H06: 183. Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit im Lichte onomastischer Mischbildungen 35 sprachige Individuen müssen, als sie den Namen bildeten, verstanden haben, was ein *banъ ist, um auf Deutsch sagen zu können, dass etwas das Dorf eines Bans ist – es sei denn, es existierte damals diese slavische Würdebezeichnung als Lehnwort im Deutschen. Man beachte die Komposita mit slav. *županъ wie die Hausnamen Suppenreith (Rodung des Suppans), Suppanshofstatt (Hofstatt eines Suppans), Supperlehen (Lehen des Suppans) und Flurnamen wie Suppenwiese (eine dem Suppan in Abgeltung seiner Amtstätigkeit zur Nutzung überlassene Wiese).3 Da Suppan zwar eine Entlehnung aus dem Slavischen ist, aber im Deutschen von Deutschen, die kein Slavisch verstehen mussten, als Funktionsbezeichnung wei- terverwendet worden ist, sagt diese Eindeutschung über individuelle Zweispra- chigkeit zur Zeit der Bildung dieser Haus- und Flurnamen nichts aus. Wenn das Attribut ein slavischer Personenname ist, setzt ein mit ihm gebil- detes deutsches Kompositum keinerlei Zweisprachigkeit voraus, man muss ja den Personennamen nicht „verstehen“, um das Kompositum bilden zu können, sondern nur wissen, dass eine bestimmte Person so heißt. Beispiele sind 1367 Des tzuerens hofstat (Hofstatt des Zvěrenъ),4 Zweiersdorf (1360 Zwerensdorf: Dorf des Zvěrenъ),5 Prodersdorf (1260/80 Prodanstorf: Dorf des Prodanъ),6 Zis- tersdorf (1160 Zisteistorf: Dorf des Čьstějь)7 und Seitenstetten (1109 ad Sitanste- ten: Stätte des Žitanъ).8 Dazu gehören auch die elliptischen genetivischen Ortsnamen wie Kottes (1096/1108 ad novale Chotansruti dictum: Reut, das ist Rodung, eines Chotanъ; 1121/1122 schon in loco, qui dicitur Chotans),9 ahd. riuti (> nhd. dial. Reut) ist hier einer Ellipse zum Opfer gefallen, als deutsches Element blieb nur das Genitiv -s übrig, nur wegen des -s ist Kottes noch heute ein Mischname. Ein weiteres Bei- spiel ist das abgekommene 1230/1400 Clupans, 1610 Klupans, im öeden dorf (Dorf eines Chlupanъ).10 Eine solche Ellipse ist m.E. verständlicher, wenn man davon ausgeht, dass es sich zur Zeit ihrer Durchführung noch nicht um Komposita, son- dern noch um Syntagmen aus Genitivattribut+Substantiv handelte. Die Ellipse könnte dann in Gesprächssituationen wie etwa folgender ihren Ausgang genom- men haben: In Chotans Dorf oder in Klupans? ‒ In Klupans. –––––––— 3 Siehe H01: 96–112, H08: 138–144, 240, 241. 4 Siehe H08: 133–134. 5 Siehe B05 292–293, H08: 134. 6 Siehe B05 197–198. 7 Siehe H01: 93–94, B05 58–59, H08: 96. 8 Siehe B05 299; H10: 57. 9 Siehe B05 91. 10 Siehe B05 90. 36 Georg Holzer

Was den Gebrauch slavischer Personennamen im mittelalterlichen Öster- reich betrifft, so ist zu beachten, dass eine ursprünglich slavische Familie ihre slavische Namentradition nach ihrem Überwechseln zum Deutschen noch jahr- hundertelang weitergeführt haben kann. In einer Urkunde von 1396 ist ein Leu- blinic auf d(er) Nazzenschal (Nassen Schale) genannt. Leublinic kommt von slav. *Ljubljenikъ ‘Liebling’. Der Diphthong eu für slavisch ju zeigt, dass der Name schon viele Generationen vor 1396 in deutschem Munde war (die Diphthongie- rung wird in das 11. Jahrhundert datiert), dass man also in der Familie, deren Namentradition er angehörte, schon lange Deutsch sprach.11 Wenn jemand einen slavischen Personennamen trug, darf man also davon keineswegs darauf schließen, dass er Slavisch sprach. Ein in einen geographischen Namen eingebautes Attribut muss nicht unbe- dingt ein Genitivattribut sein; das Attribut kann bei Dekomposition des Kom- positums auch als Relativsatz mit einer Präpositionalfügung erscheinen. Ein sol- cher Fall ist das Mischkompositum Brettlbach (1352 Predelbach). Brettl (1260/80 Predel) kommt von slav. *prědělъ ‘Wasserscheide’,12 aber der Name Brettlbach bezeichnet nicht etwa einen ‘Bach, der von der Wasserscheide herabfließt’, son- dern einen ‘Bach, der von Brettl (der Ortschaft auf der Wasserscheide) herab- fließt’. Da *prědělъ zur Zeit der Bildung des Namens Brettlbach schon längst eingedeutscht gewesen sein kann, setzt diese Bildung keine Zweisprachigkeit vo- raus.

Nunkupativkomposita

Auch sie bestehen aus einem letztlich slavischen Erstglied und einem deutschen Zweitglied, doch wenn man sie dekomponiert, wird das Erstglied nicht zu ei- nem Attribut, sondern zur Nennung des Namens des im Zweit- glied genannten geographischen Objekts. Der Terminus „Nunkupativkompo- situm“ bietet sich im Hinblick auf die Urkundendiktion an, zum Beispiel die in 1209 amnis qui Retse nuncupatur ‘der Bach, der Retse genannt wird’, heute Retz- bach.13 Dieses zufällig belegte amnis qui Retse nuncupatur entspricht genau der Dekomposition des Kompositums Retzbach. Retse ist die eingedeutschte präpo- sitionslose Lokativform rěcě von rěka ‘Fluss’ (vgl. Lunz < slav. *lǫcě, Lokativ von slav. *lǫka ‘Wiese’14). Der Beleg amnis qui Retse nuncupatur, in dem der slavi- –––––––— 11 Siehe H01: 70–71, H10: 63. 12 Siehe H01: 50, H08: 47, 127–130. 13 Siehe H08: 199–200 Fußnote 3. 14 Siehe B05 142, H10: 62. Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit im Lichte onomastischer Mischbildungen 37 sche Lokativ syntaktisch als Nominativ dient, zeigt, dass Retse zur Zeit dieser Niederschrift nicht mehr verstanden wurde. Somit stellt schon Retse nicht, ge- schweige denn das damit gebildete Retzbach, einen Hinweis auf irgendeine Zweisprachigkeit dar. Ein ähnliches „Nunkupativum“ ist Syhrnbach. Syhrn kommt von slav. *čьrna (sc. *rěka) ‘schwarze’; im Beleg von 1134/44 fluens Syrna erkennt man noch das feminine Genus.15 Nun bedeutet fluens Syrna ‘der Fluss (namens) Syrna’, also *fluens qui Syrna nuncupatur. Hierher ist auch Pielach zu stellen. Dieser Mischname bedeutet ‘die Ache, die Piela genannt wird’, worin Piel- auf slav. *běla (sc. *rěka) ‘weißer Fluss’ zurück- geht. 1150 heißt es: fluvium Pyela,16 was wieder gleichbedeutend ist mit *fluvius qui Pyela nuncupatur.17 Zum heute Zauchbach genannten Gewässer gibt es folgende alten Namens- nennungen: 979 usque in rivum qui dicitur Zûcha und 1034 fluvium Zûchacha.18 Zugrunde liegt slav. *suxa (sc. *rěka) ‘trockener Fluss’. Hier offenbart sich die Äquivalenz des Kompositums Zûchacha mit dem Simplex Zûcha, dass also Zûch- kein Attribut und Appellativ, sondern eine Namensnennung ist; dicitur ist ja als Synonym zu nuncupatur zu verstehen. Im Gegensatz dazu sind rein deutsche Namen wie Schwarza < *Schwarz- Ache ‘die schwarze Ache’19 – nicht ‘die „die Schwarze“ genannte Ache’! – und Schwarzach20 keine Nunkupativ-, sondern Attributivkomposita: Sie sagen nicht, wie die Ache heißt, sondern wie sie ist. Manchmal ist unklar, ob man einen Mischnamen als Attributiv- oder als Nunkupativkompositum deuten soll. Ist Treffling < slav. *trěbьnikъ ‘Rodungs-’ ein ursprünglicher Gewässername und bedeutet das Kompositum Trefflingbach ‘der Bach, der Treffling genannt wird’, oder ist Treffling ein ursprünglicher Geländename (wie in 1367 in der Trefnich daz Reut) und daher der Treff- lingbach „der Bach in der Treffling“, worin in der Treffling ein Attribut wäre?21 Eher letzteres. –––––––— 15 Siehe H08: 19, 20, 199 Fußnote 1, 200. 16 Siehe H01: 35, B05 25. 17 Dass Pyela wahrscheinlich nicht wirklich deutsch war, sondern eher einem vor- bairischen Germanisch angehörte (siehe H08: 41–44, 93–94, 99), ändert hier nichts am Grundsätzlichen. 18 Siehe H08: 199 Fußnote 1, 202, B05 254–255, H10: 68–69. 19 Siehe H08: 199. 20 Siehe H08: 16. 21 Siehe H01: 114, H08: 213, H10: 70. 38 Georg Holzer

Auringspach, worin slav. *avorьnikъ ‘Ahorn-’ steckt, scheint wegen des Ge- nitiv-s ein Attributivkompositum zu sein: ‘der Bach des Auring’; womöglich ist oder war (*)Auring der Name eines Bergs. Allerdings wird die Sicherheit dieser Deutung durch das ungrammatische s in Rinderspach relativiert; es könnte sich also auch um einen „analogischen Genitiv“ handeln.22 Eindeutig ein Nunkupativkompositum ist Dobrabach23: ‘der Bach, der Dobra genannt wird’, nicht: ‘der gute Bach’; das slavische Adjektiv kann nicht Attribut zu einem deutschen Substantiv sein.

Deutsche Suffigierungen slavischer Namen

Die Existenz des Toponyms Loising, 1391 Leubsarn ‘die Bewohner von *Leubsa’ setzt voraus, dass es ein eingedeutschtes *Leubsa (< slav. *Ljubьča sc. *vьsь ‘Dorf des *Ljubьcь’) gab.24 Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit muss für die Zeit der Suffigierung nicht angenommen werden.

Mischbildungen mit deutschem Erst- und slavischem Zweitglied Mischbildungen (Komposita und Adjektiv-Substantiv-Fügungen) wie Niederfeis- ter, Kleinfeister, 1591 Nider Veyster, Klein Feistra (< slav. *bystra sc. *rěka ‘schnel- le, klare’),25 1367 in d(er) durren Jesnitz (< slav. *jesenьnica ‘Eschenbach’),26 1367 in d(er) dürren peyten, In der Nazzen peyten (< slav. *pitьna ‘die fette’ sc. *dolina ‘Tal’),27 u. dgl. setzen keine Zweisprachigkeit voraus. Slavische Benennungen konnten jederzeit, auch lange nach dem Aussterben des Slavischen und lange nach ihrer Eindeutschung im Deutschen und ohne Verständnis für ihren Sinn auf Deutsch präzisiert bzw. unterschieden werden. Man musste z.B. nicht wissen, was Feister bedeutet, um den Namen Niederfeister bilden zu können.

Bildungen mit deutscher Form und slavischer Substanz (Lehnübersetzungen)

Hier sei ein Seitenblick in das heute nicht mehr österreichische Land Krain ge- stattet. In einer Urkunde von 1073 ist neben dem Hydronym Tobropotoch < slav. *Dobropotokъ ‘Gutbach’ als deutscher Name desselben Baches Guotpach –––––––— 22 Siehe H01: 117–118, H08: 95, 161. 23 Siehe H08: 124, B05 60. 24 Siehe H01: 72–73, H08: 157, 162–163, H10: 63. 25 Siehe H01: 55–56, B05 48, H08: 128 Fußnote 4, 200, 211, 213 Fußnote 46, H10: 54. 26 Siehe H01: 66–67, H08: 212, H10: 58. 27 Siehe H08: 134–138, H10: 66. Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit im Lichte onomastischer Mischbildungen 39 genannt.28 Im Slavischen sind solche zusammengesetzten Namen unüblich, es handelt sich daher bei *Dobropotokъ wohl um eine Lehnübersetzung aus dem Deutschen. Eine solche Lehnübersetzung setzt individuelle Zweisprachigkeit vo- raus. Ein Wort, das man lehnübersetzt, muss man in beiden Sprachen ver- stehen. Auch Colomezza < slav. *Kolomeza ‘Pfahlgrenze’ in 832 usque in medium montem qui apud Uuinades Colomezza vocatur (Niederösterreich)29 ist der Sub- stanz nach slavisch, dem Kompositionsmuster nach aber deutsch: Pfahl-Grenze. Wohl handelt es sich auch hier um eine Zweisprachigkeit voraussetzende Über- setzung eines deutschen (oder vorbairisch-germanischen) Kompositums ins Slavische.

„Pingpong“-Entlehnungen

Der abgekommene eingedeutschte Flurname Lossnitz (1334 Lozniz, 1497/1498 auf der Lüss zu Lossnitz) scheint auf slav. *losьnica ‘verlostes Land, Lüsse’ zu- rückzugehen, das von slav. *losъ abgeleitet ist, welches seinerseits eine Ent- lehnung des alt- und mittelhochdeutschen Substantivs lôz ‘Los’ darstellt. Vgl. tschech. Losenice, 1369 – ca. 1405 Lossnicz.30 Auch ein solches Entlehnungs- Hin-und-Her zwischen dem Slavischen und dem Deutschen setzt keine indi- viduelle Zweisprachigkeit voraus.

Sekundäre Mischnamen Manche eingedeutschten Namen durchgehend slavischer Provenienz sind durch ein volksetymologisches Missverständnis sekundär zu Mischnamen geworden. So etwas setzt voraus, dass man das Slavische n i c h t mehr verstand. Ein Bei- spiel könnte der Hofname slav. *brězьnikъ ‘Birken-’ > dt. *Friesnik sein, in den ein deutsches Eck hineininterpretiert worden zu sein scheint, weil der Name heute wie schon 1587/93 Friesenegg lautet.31 (Slav. *-ьnikъ erscheint sonst ge- wöhnlich als -nik, später als -ing eingedeutscht.32) Eine ältere, vor der Liqui-

–––––––— 28 Siehe H08: 199 Fußnote 2. Von K 25 genannt als Namenpaar, das „auf slawisch- deutsche Zweisprachigkeit unter den Siedlern schließen“ lässt. 29 Siehe H01: 37, 51–53, H08: 199 Fußnote 2, 210. 30 Siehe H01: 75–76, H08: 157–158, H10: 63. 31 Siehe H01: 57–58, H08: 156, H10: 53. 32 Vgl. Treffling < slav. *Trěbьnikъ: 1367 noch Trefnich, Trefnik, 1400 schon auf der Trefning, heute Treffling (s. H01: 114). 40 Georg Holzer dametathese und vor der deutschen Lautverschiebung erfolgte und auf dieselbe Weise volksetymologisch fehlinterpretierte Entlehnung desselben slavischen Etymons repräsentiert Perschenegg (zerstreute Häuser), 1367 in der Persnikch.33 Eine Parallele ist der Hofname Saffenegg < slav. *žabьnikъ ‘Kröten-’.34 Neben solchen Fällen, in denen in einen slavischen Namen ein deutsches Namenelement hineininterpretiert worden ist, gibt es auch umgekehrte Fälle wie 1349 Kaisersperg, heute Kaisitzberg; 1310 Adelspach, heute Adlitzgraben; 1632 Ropoltsbrun, heute Robitzbrunn usw.35 In diese Namen ist von Deutschen in deutsche Namen volksetymologisch ein aus Entlehnungen herausabstra- hiertes slavisches Suffix -itz hineininterpretiert, also ein deutscher Name zu ei- nem sekundären Mischnamen gemacht worden.

Gemischte Namensysteme

Nicht nur einzelne Namen, sondern auch Systeme von zwei oder mehreren auf- einander bezogenen Namen können gemischt sein. Ein solches Beispiel ist das Paar der Oronyme Ötscher und Muhmenalpe. Ötscher, in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts als Othzan notiert, ist slavischer Herkunft und entspricht slovenisch očan ‘Gevatter, Patenonkel’, und sowohl in der landschaftlichen Konstellation als auch hinsichtlich des Benennungsmotivs steht ihm die Muhmenalpe (vgl. 1266 super montem Mumenalbe; heute heißt sie Gemeindealpe), also der „Tantenberg“ gegenüber36. Ursprünglich war dieses sprachlich gemischte Paar miteinander kor- respondierender Namen wohl „aus einem Guss“, also einsprachig slavisch; Muh- menalpe dürfte die Übersetzung eines abgekommenen slavischen Namens sein. Da nun ein Name verstanden werden muss, um unter Beibehaltung des Bezugs auf den anderen Namen übersetzt werden zu können, ist hier für die Zeit der Übersetzung Zweisprachigkeit anzunehmen. Weitere Beispiele liefert die Hydronomie. Hier ist auf die europaweit häufi- gen Systeme aufeinander bezogener Benennungen fließender Gewässer als „weißer“ und „schwarzer“ hinzuweisen. Das System der niederösterreichischen Pielach etwa bietet den slavisch-deutschen Namen der „weißen“ Pielach (s.o.), den slavischen Namen der „schwarzen“ Sierning (< slav. *čьrnik-), den kelti- schen Namen der „weißen“ Loich (1307 Levch, vgl. gr. λευκός ‘weiß’) und die deutschen Namen des Weißenbachs, des Schwarzenbachs, des Weißenbachls, der –––––––— 33 Siehe H08: 203 Fußnote 9. 34 Siehe H01: 92–93, H10: 57. 35 Siehe H01: 123 und 89 Fußnote 222. 36 Siehe H01: 78–83. Slavisch-deutsche Zweisprachigkeit im Lichte onomastischer Mischbildungen 41

Schwarzengrabengegend, der Schwarzenbachgegend und des Schwarzenbrunns. Auch solche Namensysteme können nur in zweisprachigen Gemeinschaften, die einander eventuell chronologisch überlappten (beachte das keltische Loich), aufgebaut werden.37

Als Fazit38 lässt sich festhalten, dass nur Lehnübersetzungen des Typs Tobro- potoch und gemischte Namensysteme des Typs Ötscher : Muhmenalpe zuverläs- sige onomastische Hinweise auf mittelalterliche individuelle slavisch-deutsche Zweisprachigkeit in den betreffenden Landschaften darstellen. Attributivkom- posita des Typs Fohnsdorf tun dies in dem Grade, in dem ausgeschlossen wer- den kann, dass das in ihnen enthaltene Attribut zur Zeit der Bildung des Na- mens als Lehnwort im Deutschen existierte.

Literatur

B05: Angela BERGERMAYER (2005): Glossar der Etyma der eingedeutschten Namen slavi- scher Herkunft in Niederösterreich, Wien. B12: Angela BERGERMAYER (2012): Zu slawisch-deutschen Namenkomposita in der To- ponymie und ihrer Stellung im Sprachkontakt, in: P. ANREITER, I.HAJNAL, M. KIENPOINTNER (Hrsg.), In simplicitate complexitas. Festgabe für Barbara Stefan zum 70. Geburtstag, Wien, 29–47. H01: Georg HOLZER (2001): Die Slaven im Erlaftal. Eine Namenlandschaft in Nieder- österreich, Wien. H06: Georg HOLZER (2006): Das bairische Ostland und seine Slaven, in: Studia Philologi- ca Slavica. Festschrift für Gerhard Birkfellner zum 65. Geburtstag gewidmet von Freunden, Kollegen und Schülern, Teilband I, hg. von Bernhard SYMANZIK (= Münstersche Texte zur Slavistik, herausgegeben von Gerhard Birkfellner und Bernhard Symanzik 4), Berlin, 175–189. H07: Georg HOLZER (2007): Zur Frage der Nordgrenze des slowenischen Sprachgebiets im Mittelalter, in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 53, 27–35. H08: Georg HOLZER (2008): Namenkundliche Aufsätze (= Innsbrucker Beiträge zur Onomastik 4), Wien. H10: Georg HOLZER (2010): Urslavische Morphophonologie. Ein Entwurf mit Beispielen aus der Slavia submersa Niederösterreichs, in: Elena STADNIK-HOLZER / Georg HOLZER (Hg.), Sprache und Leben der frühmittelalterlichen Slaven. Festschrift für Radoslav Katičić zum 80. Geburtstag. Mit den Beiträgen zu den Scheibbser Interna- –––––––— 37 Siehe H08: 9–30, insbesondere 18–19. 38 Was die gemischten Namenkomposita in Österreich betrifft, siehe auch B12. 42 Georg Holzer

tionalen Sprachhistorischen Tagen II und weiteren Aufsätzen (= Schriften über Spra- chen und Texte, hg. von Georg HOLZER, 10), Frankfurt a.M. u.a., 43–77. K: KRAHWINKLER, Harald (1998): Der Raum zwischen Adria und Drau im Früh- und Hochmittelalter. In: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Zwischen Adria und Karawanken. Herausgegeben von Arnold SUPPAN, Berlin 1998, 17–52. Albrecht Greule Historische Onomastik als Spracharchäologie

1. Regensburg und die „Spracharchäologie“ Regensburg ist zurzeit eine beständige Baustelle und – zugleich eine archäologi- sche Fundgrube im wahrsten Sinn. Dabei ist die Stadt mit oberirdischen Denk- mälern und archäologischen Sehenswürdigkeiten aus der Römerzeit schon reich gesegnet. Darüber hinaus kennen wir den römischen/romanischen Namen des 179 n.Chr. errichteten Legionslagers aus römischen Itinerarien (Reiseberichten) in der Form Regino castra; durch Lehnübersetzung wird daraus der altbairische Name Reganespurc. Das Benennungsmotiv der Römer war die Lokalisierung ih- res Lagers am Regen, genauer gegenüber der Einmündung des sich hier unüber- schaubar verzweigenden Flusses Regen in die Donau. Weil ein Flussname *Reginos auch anderweitig in der keltischen Welt nachweisbar ist und gut aus dem Urkeltischen erklärt werden kann, ist auch das Problem gelöst, was zuerst da war: der Name des Flusses oder der Name des römischen Lagers – natürlich der Name des Flusses. Historische Onomastik und Archäologie befänden sich also in Regensburg im Gleichgewicht. Aber es gibt da noch den anderen, mittelalterlichen Namen Radaspona für Regensburg. Die Namenforscher möchten ihn auf eine keltische Form *Ratasbona à la Vindobona (Wien) usw. zurückführen. Also müsste es vor den Römern bereits eine keltische Siedlung an der Stelle von Regensburg gege- ben haben, deren Name wegen der Errichtung des Lagers genauso verschwand wie die Siedlung selbst. Wie ist es aber möglich, dass der angeblich keltische Name bis ins 8. Jahrhundert n.Chr. die Römerzeit überdauerte und dann im Zu- sammenhang mit der Vita des heiligen Emmeram wieder auftaucht? Man hat das Problem mit Hilfe der Annahme eines Exonyms zu erklären versucht. Aber bis jetzt liefert auch die Archäologie trotz intensiver Grabungstä- tigkeit keine latènezeitlichen Funde, die die Annahme einer Siedlung mit dem Namen *Ratasbona bestätigen könnten. Mehr Erklärungskraft messe ich der neueren Vermutung bei, dass *Radasbona eine Namenserfindung im Zusam- menhang mit kirchenpolitischen Auseinandersetzungen darstellt. Mit diesem aktuellen Beispiel wollte ich auf die folgenden Überlegungen vorbereiten. Bei diesen geht es mir um das schwierige Verhältnis von Archäologie und historischer Sprachforschung. Ich habe für diesen Problemkreis etwas leicht- fertig und provozierend den Ausdruck „Spracharchäologie“ gewählt. Bevor ich am Fall der Jastorf-Kultur das Verhältnis von historischer Onomastik und Ar- 44 Albrecht Greule chäologie beleuchte, will ich an Beispielen aus der Forschung zeigen, was man unter „Spracharchäologie“ verstehen kann.

2. Spracharchäologie und die Suche nach der „Urheimat“

Ich gehe davon aus, dass Archäologie und historische Sprachwissenschaft das gleiche Ziel verfolgen. Beide wollen, so setze ich voraus, Kulturen vor- und frühgeschichtlicher Zeit mit je eigenen Methoden erfassen, erforschen und deu- ten (GREULE 2009a: 687), und sie können sich dabei gut ergänzen. Zum Beispiel erinnere ich an die Bemühungen, die von der indogermanischen Altertums- kunde – bislang erfolglos – unternommen wurden, die sogenannte „Urheimat“ zu lokalisieren (SCHMITT 2000: 395–399). Vorausgesetzt wird dabei, dass der durch vergleichende Rekonstruktion gewonnene Sprachtypus „indogerma- nisch“ irgendwo entstanden und zur Kommunikation verwendet worden sein müsse und von diesem „Ausstrahlungszentrum“ (SCHMITT 2000: 397–398) sich – aus welchen Gründen auch immer – ausgebreitet habe. Aus der für die so ge- nannte „Grundsprache“ rekonstruierten Lexik werden nun Ausschnitte der ma- teriellen Kultur, wie „Viehzucht und Ackerbau“, „Pferd, Rad und (Streit-)Wa- gen“, „Sesshaftigkeit“, spezifische „Flora und Fauna“ sowie (nur) ein Lexem für ein nicht weiter spezifiziertes Metall (*h2éjes- > nhd. Erz) in Beziehung zu einem Raum in Europa oder Asien gesetzt, wo ungefähr im 3. Jahrtausend vor Christus Menschen gelebt haben und der archäologische Nachweis für die „indogerma- nische Kultur“ zu erbringen ist. Bekannt ist in diesem Zusammenhang das in- zwischen auch widerlegte „Buchen- und Lachsargument“, was u.a. damit zu- sammenhängt, dass die Bezeichnungen für die Buche, lat. fāgus, und den Lachs (Salmo salar) kaum mehr als „grundsprachlich“ angenommen werden können (SCHMITT 2000: 397, SEEBOLD 2000: 411–412). Alle diese Bemühungen werden von dem Hallenser Archäologen Alexander Häusler derzeit wie folgt beurteilt: „Eine in früheren J[ahr]t[ausenden] beste- hende ‘Kultur der Indogermanen’ ist weder aus dem sprachlichen noch ar- chaeologischen Material abzuleiten. Insbesondere liegen keine archaeologisch begründeten Hinweise auf eine ‘Urheimat der Indogermanen’ […] vor.“ (HÄUS- LER 2000: 406–407) Aus diesem negativen Befund zur Urheimatsfrage dürfen wir aber nicht den generellen Schluss ziehen, dass eine Parallelität bzw. Kom- plementarität von Archäologie und historischer Sprachwissenschaft unmöglich ist. Gewissermaßen als Übergang zum nächsten Kapitel, das die „Namenarchäo- logie“ zum Inhalt hat und in dem die Flussnamen eine besondere Rolle spielen, will ich noch kurz die Donau ins Spiel bringen. Der Name dieses zweitgrößten Historische Onomastik als Spracharchäologie 45

Stromes in Europa, der ins Schwarze Meer mündet, lässt sich auf eine vorkelti- sche Namensform *Dānewjos zurückführen. Der Weg, der zu dieser Namens- form führt, ist auf der Folie der indogermanischen Morphologie gut nachvoll- ziehbar; er führt auf das altindisch-vedische Wort dānu- „Flüssigkeit“ zurück (GREULE 2009b: 206–207). Unter der Annahme, dass auch die Donau wie ande- re Flüsse in Europa (z.B. Elbe, Weichsel) eine der Verkehrsbahnen bildete, an denen entlang „in vielen Epochen kulturelle Ausgleichserscheinungen zu be- obachten sind“ (STEUER 1998: 320), wird neuerdings angenommen, dass die Ausbreitung des indogermanischen Sprachtypus sich im Neolithikum vom Karpatenbecken aus donauaufwärts vollzogen habe. Der Name *Dānewjos ist Bestandteil eines indogermanischen Flussnamennetzes, das von Gottfried Schramm entdeckt und auf die Ausbreitung der Wirtschaftsform von Ackerbau und Viehzucht in Südosteuropa ungefähr im 6. Jahrtausend zurückgeführt wird (SCHRAMM 2008: 177–199). Daraus kann man den Schluss ziehen, dass mit der Ausbreitung der Wirtschaftsform von Ackerbau und Viehzucht im Stromgebiet der Donau die Ausbreitung des indogermanischen Sprachtypus in Europa ein- herging (SCHRAMM 2008: 95, 197).

3. Von der Spracharchäologie zur Namenarchäologie.

Greifen wir nun das Modell der gegenseitigen Komplementarität (Ergänzung) von Archäologie und Namenforschung auf. Es besagt, dass sich Archäologie und historische Onomastik im Falle von Namen geographisch fixierter Orte sehr wohl ergänzen können. Die historisch-vergleichende Onomastik schließt aus der Überlieferung von Namen auf das oder die geographischen Referenzob- jekte und führt mit den Mitteln der Etymologie einen Ortsnamen auf dessen Ursprünge zurück. Dabei spielt die Aufdeckung des so genannten Benen- nungsmotivs eine zentrale Rolle – also die Frage, welche Umstände die Men- schen bewogen haben, einen Ort so und nicht anders zu benennen. Im günstigs- ten Fall gelingt es auf diese Weise, die sprachlichen Verhältnisse in der besagten Gegend in vergangenen Zeiten zu erhellen und über die in den Namen festge- wordenen Vorstellungen von dem geographischen Referenzobjekt Aussagen zu treffen (GREULE 2009a: 687). Einige Beispiele aus Süddeutschland sollen das Modell illustrieren: (1) Der vierte Ort im vierten Klima der Geographie des Ptolemaios heißt Taródunon. Das dazu gehörende keltische Oppidum wird bei Freiburg im Breisgau auf einer steil abgeböschten Diluvialterrasse, flankiert von den Hydronymen Wagensteigbach im Norden und Höllenbach im Sü- den vermutet. Beide Bäche vereinen sich kurz vor Zarten zur Dreisam 46 Albrecht Greule

(KLEIBER 1971/1972: 229–238). An der Existenz einer keltischen Befes- tigungsanlage im Zartener Talkessel wird seitens der historischen Sprachwissenschaft nicht gezweifelt. Die Bildungsweise des Namens, ei- nes Kompositums mit dem Grundwort -dunum ‘Festung’, ist eine klare Sache. Es ist die Aufgabe der Archäologie, das sprachliche Faktum durch Bodenfunde zu ergänzen, zumal auch der Fluss Dreisam einen aus dem Keltischen erklärbaren Namen trägt: *Tragisama ‘die schnell Laufende’.1 (2) Vor der römischen Besiedelung gab es in Passau „eine dichte spätkel- tische Besiedlung um ein zwischen den Flüssen Donau und Inn gelege- nes Oppidum, die aber ohne Kontinuität fast ein Jahrhundert vor der römischen Besetzung abbrach.“2 Dass der zuerst bei Ptolemaios als Boióduron überlieferte Name sowohl eine keltische Namenbildung ist als sich auch auf ein um 90 n. Chr. am rechten Innufer errichtetes mit- telrömisches Kastell bezieht, garantiert die Kontinuität des Namens, der offensichtlich vom Oppidum auf die andere Inn-Seite übertragen wurde und danach innaufwärts wanderte und das spätantike Boiotro genannte Kastell bezeichnete. Dessen Name wurde als Name eines Baches ver- wendet, der heute als Beiderbach/Beiderwiesbach ins Bairische integriert ist. (3) Es gibt im alemannischen (südwestlichen oberdeutschen) Sprachgebiet mehrere Ortsnamen, die als Komposita das Grundwort -tūn aufweisen, z.B. (a.786) Nagaltuna, jetzt Nagold (im Kreis Calw, B.-W.) Das altale- mannische Wort -tūn dürfte aus keltisch *dūnon ‘Befestigung“ – zur Be- zeichnung der schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelten Herrensitze auf Anhöhen – entlehnt worden sein. Ob das auch für den Ortsnamen* Mortun-, den man aus dem Landschaftsnamen Ortenau in Mittelbaden rekonstruiert hat, gilt, ist fraglich; er kann von einer römischen Befesti- gung, die gegenüber von Argentorate/Straßburg am Eingang des Kin- zigtals lag und keltolateinisch *Moridūnum hieß, auf die durch die Rheinaue geprägte Landschaft übertragen worden sein. Archäologische Funde, die die namenkundliche Hypothese beweisen könnten, fehlen, –––––––— 1 Vgl. jetzt KLEIBER 2009: 165-166, mit einer Stellungnahme der Archäologie: Der durch Ptolemaios überlieferte Name „Tarodunum“, der bisher nur auf die altbe- kannte keltische Befestigungsanlage angewandt wurde, muss nun auch auf die Groß- siedlung bezogen werden. 2 CZYSZ/DIETZ/FISCHER/KELLNER 1995: 494. Historische Onomastik als Spracharchäologie 47

auch wenn man in der heutigen Stadt Offenburg die Nachfolgesiedlung zu erkennen glaubt (GREULE, 2007: 188).

4. Gewässernamen und Archäologie

Wie wir schon mehrfach gesehen haben, spielen die Namen von Gewässern für die Namenarchäologie eine herausragende Rolle. Die Aussage beruht auf der Hypothese, dass der Name eines frühgeschichtlichen Bodendenkmals, für das wir heute keinen Namen kennen, oft in einem Flussnamen weiterlebt. Der kommunikationstheoretische Hintergrund ist der der Namenübertragung. Oft gelingt es dadurch, aus der Antike überlieferte Ortsnamen zu lokalisieren. So ist – wiederum bei Ptolemaios – eine polis Viana als Name eines römischen Kas- tells überliefert; aufgrund der Identität mit dem heutigen Flussnamen Weihung, der eigentlich die Weihen hieß, kann der ptolemäische Name Viana mit dem an dem Fluss Weihung liegenden Kastell Unterkirchberg (Gemeinde Illerkirch- berg, Alb-Donau-Kreis, Baden-Württemberg) identifiziert werden (GREULE 2014: 578). Ähnlich liegt der Fall bei der polis Alkimoennis: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der ptolemäische Ortsname mit dem Namen des Flusses, der heute Altmühl, früher (a.832) Alchmuna hieß, identisch ist, so dass mit polis Alki- moennis die über der Mündung der Altmühl in die Donau auf dem Michaels- berg (Kelheim) ausgegrabene latènezeitliche Anlage gemeint ist. Der Name kann als keltisch *Alkimonjos mit der Bedeutung ‘Berg mit/zur Abwehr’ gedeu- tet werden. Keine Erwähnung bei antiken Geographen findet das Oppidum Manching, das jedoch durch die Archäologie als eine der größten spätlatènezeitlichen Sied- lungen nördlich der Alpen erwiesen wurde. Es lag an der Mündung des Flusses Paar in die Donau im Landkreis Eichstätt. Der Flussname Paar, ursprünglich *Barra, findet seine Erklärung durch die Übertragung des keltischen Namens bzw. der Bezeichnung des Oppidums, nämlich *Barros im Sinn von „Haupt- stadt“, auf den Fluss Paar (GREULE 2014: 397). Etwas anders gelagert ist der Fall des Flussnamens Pfinz (zum Rhein bei Karlsruhe), der aus *Pontīna entstanden ist und eine römische Bezeichnung weiterführt. Dass der Fluss Pfinz *Pontīna genannt wurde, was im Lateinischen etwa „die Brückenreiche“ bedeutet, ist darauf zurückzuführen, dass die Pfinz von zwei Römerstraßen überquert wurde (GREULE 2014: 404). 48 Albrecht Greule

5. Zwischenergebnis

„Mehrsprachige Sprachlandschaften“ verstehe ich nach dem eben Gesagten nicht synchron, sondern diachron, also nicht im Sinne eines gleichzeitigen Vor- handenseins von Ortsnamen in einer Namenlandschaft, sondern als eine Abfol- ge historischer Namenschichten. Für Süddeutschland, besonders für Bayern, lautet die Abfolge: (1) in ganz Bayern keltische Namen, (2) diesseits des Limes romanische Namen, (3) in ganz Bayern germanisch-altbairische Namen, (4) in Ostbayern slavische Namen.

Auf diese vierte Schicht, die von Wolfgang Janka erforscht wird (JANKA 2001: 111–124), gehe ich nicht eigens ein. Alle genannten Schichten sind durch die Archäologie „abgesichert“ (GREULE 2010: 9–19). Vom Süden richten wir nun den Blick auf den Norden Deutschlands und fragen, ob es dort ähnliche Namenschichten gibt, die mit archäologischen Fun- den korrespondieren. Aus der Sicht der Archäologie drängt sich dabei die Ja- storf-Kultur geradezu auf. Es geht mir aber bei den folgenden Überlegungen nicht darum, die Jastorf-Kultur als „germanisch“ zu erweisen, sondern um eine Aussage, ob überhaupt eine Sprache – nach Ausweis der Hydronymie – im Ver- breitungsraum der Jastorf-Kultur dominierte.

6. Jastorf-Kultur und Gewässernamen

Die Jastorf-Kultur gilt archäologisch – beginnend mit den Ausgrabungen 1897 – als gut erforscht.3 Nach Rosemarie Müller ist Jastorf-Kultur ein „Sammelbegriff für mehrere brandbestattende Gruppen im nördlichen Mitteleuropa am Ende der Hallstattzeit und in der Latènezeit“ (5.–1. Jh.v.Chr.). Von einer kleinen Fundgruppe im unteren Elbegebiet ausgehend gilt die Bezeichnung inzwischen für verschiedene Gruppen „in einem großen Kulturgebiet, das von Hannover bis zur Nordsee, Schleswig-Holstein und Jütland sowie , Branden- burg und die Altmark reicht, das sich an seiner östlichen Flanke bis nach Pom- mern und Schlesien erstreckt und im Westen bis in das Wesergebiet hinein-

–––––––— 3 Vgl. dazu die Karte im RGA 16 (2000), 49. Historische Onomastik als Spracharchäologie 49 zieht“ (MÜLLER 2000: 43). „Das Flussgebiet der Oder besitzt für die Ausbreitung der Jastorf-Kultur keine Bedeutung.“ (MÜLLER 2000: 48). Es mag naiv erscheinen, aber dem Namenforscher fallen bei der Beschrei- bung der räumlichen und zeitlichen Gliederung der Jastorf-Kultur die vielen Flussnamen auf. Es ist die Rede vom Wesergebiet, von der „Oder-Warnow- Gruppe“, von der Rega, von Havel und Spree, von der Uckermark, von Tanger- münde, von „saale- und muldeaufwärts“ oder von „der mittleren Elbe“ (MÜL- LER 2000: 44–45). Es liegt deshalb nahe, die Namen der bedeutenden Flüsse im Gebiete der Jastorf-Kultur etymologisch unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht ist das Ergebnis der Recherche so aussagekräftig, dass wir sagen können, ob es eine Mehrsprachigkeit gegeben hat und welche Sprachen nach Ausweis der Ortsnamen dort gesprochen wurden. Es ist aber, wie gesagt, nicht meine Ab- sicht, auf diese Weise die Hypothese zu bekräftigen, dass die Jastorf- Bevölkerung germanisch war. Exkurs zu „germanisch“ Es besteht heute eine große Unsicherheit bei der Verwendung des Begriffs „germa- nisch“. Von einer erstrebenswerten interdisziplinär einheitlichen Verwendung ist man weit entfernt. Im Gegenteil: Historiker meinen, dass der Begriff germa- nisch/Germanen aufzugeben und der „Germanen-Name […] den Philologen und Archäologen zu überlassen“ sei.4 Die Sprachwissenschaftler verfügen jedoch über wohl definierte phonologische, morphologische und lexikalische Kriterien, nach denen Germanisch – ähnlich wie das Slavische – als ein Sprachtypus, der aus dem älteren Indogermanischen heraus entstanden ist, gefasst werden kann.5 Das ermög- licht es auch, Namen, wie gleich zu zeigen sein wird, in der historischen Perspektive diesem Sprachtypus zuzuweisen. Allerdings setzt die linguistische Theoriebildung auch voraus, dass der Sprachtypus in variativen und diachronen Ausprägungen als Kommunikationsmittel von Menschen irgendwann und irgendwo gebraucht wurde. Diese Grundannahme reicht aber nicht aus, um der oder den Sprechergemein- schaften, die sich des Germanischen als Sprache bedienten, als germanisches „Volk“ oder Ethnie zu bezeichnen; man könnte vorsichtiger von „Germanisch-Spre- chenden“ reden.

–––––––— 4 So z.B. WOLFRAM 2010: 19. 5 Vgl. SEEBOLD 1998: 279-305. 50 Albrecht Greule

7. Die Flussnamen im Gebiet der Jastorf-Kultur

Im Gebiet der Jastorf-Kultur habe ich die Namen der größeren Flüsse, die zwi- schen Weser und Oder zur Nordsee oder zur Ostsee fließen, etymologisiert. Es handelt sich von West nach Ost um die Namen folgender Flüsse. Die Etymolo- gien kann ich im Einzelnen hier nicht aufführen und muss stattdessen auf die Deutungen im Lexikon „Deutsches Gewässernamenbuch“ (GREULE 2014) ver- weisen. Es ergibt sich aber zweifellos, dass zahlenmäßig die größte Gruppe einen sprachgermanischen Ursprung hat: Lesum (< as. Leohsmana, Femininum zu gm.*leuhsman- ‘Licht’), Hamme (< as. *Hamm-aha, Bestimmungswort gm.*hanmō ‘Kniekehle’), Geeste (= mndd. Gēstene, abgeleitet von mndd. gēst ‘hochliegendes Heideland über der Marsch’), Aller (< gm. *Alrō, Ableitungsbasis gm.*al- ‘anschwellendes, überflutendes Gewässer‘), Leine (< gm. *Lagnō, abgeleitet von gm. *lag(u)- ‘Lache, See’), Oste (< gm. *Austō, abgeleitet vom Verb gm. *aus-a- ‘schöpfen’), Havel (< as. *HaҌola, als Neigungsadjektiv ‘sich gern hebend’ zu gm.*haf-/*hab- ‘heben’), Dosse (< gm. *Duhsō, Ableitung von gm.*duh-/*dug- ‘herumschweifen’), Spree (< gm. *Sprēwō, zu gm.*sprēw-ja- ‘spritzen, sprengen’), Stör (as. [= altsächsisch, also altniederdeutsch] *Stūria, abgeleitet von gm.*stūra- ‘stehend’), Eider (as. *Egidor ‘Schreckenstor’ für die Trichtermündung), Treene (awn. [= altwestnordisch] *Tréá, mndd. *træja < gm. *trew-ahwō ‘Baum- Fluss’), Schlei (< gm. *Slīwō, Femininum zu gm. *slīwa- ‘schleimige Wasserpflanze’), (gm. *Trawanō, germanisiert < vorgm.-idg. *Droṷonā, ablautende Ableitung von idg. *dreṷ-e- ‘laufen’), Warnow (=mndd. [= mittelniederdeutsch] *Warn-ouwe, mndd. *Warne < gm. *Wernō, Ableitung von der Basis gm.*wer- ‘feucht’), Beke (l.z. [= links zur] Warnow, Lkr. [= Landkreis] Rostock, Übertragung von Beke, l.z.Lippe oder l.z. Wümme, < gm. *Bakinō, abgeleitet von gm.*baki- ‘Bach’), Nebel (< gm. *Nebulō, Feminin zu gm.*nebula- ‘Nebel’ ).

Die Schicht germanischer Namen wird im Osten des Untersuchungsgebiets durch die Slavisierung folgender Namen überlagert: Wakenitz (< apolab. [= altpolabisch] *Vok(u)nica, slavisiert < gm. *Akanō, Ableitung vom Verb gm.*ak-a- ‘fahren’), Tollense (< slaw. *Tolęža < gm. *Talingja, Ableitung von gm. *tala- ‘schnell’), Historische Onomastik als Spracharchäologie 51

Ucker/Uecker (< apolab. *Vьkra < gm. *Wikrō, ablautende Ableitung zum Verb gm.*weik-a- ‘weichen, vorwärts bewegen’) und vielleicht die Barthe (1242 ad riuum Bartik zum ON. Barth < gm. *barda-, awn. barð ‘Rand, Kante’?).

In eben diesem Gebiet fließen auch Flüsse mit eindeutig slavischem Namen: Stepenitz (< apolab. *Ščep’nica), Schwentine (apolab. *Svętina), Recknitz (z. [= zum] Saaler Bodden, a.1250 Reknicza, abgeleitet von slav. *rěka ‘Fluss’), Randow, ehemals Löcknitz (< apolab. *Loknica).

Es fällt auf, dass die das Gebiet der Jastorf-Kultur begrenzenden großen Flüsse bzw. ihre Namen weder als slavisch noch als germanisch gedeutet werden kön- nen: Weser (< ves.-ig. [= voreinzelsprachlich-indogermanisch] *Wisurā), Elbe (< *Albja, identisch mit griech. Alpheios?, deonymisiert mndd. elve ‘Flussbett’, awn. elfr ‘Fluss‘) und Oder (vorslaw. *Odra und *Adra < ves.-ig. *Udrā neben *Adrā).

Man rechnet diese Namen am besten einer Schicht zu, die wir als „voreinzel- sprachlich“, aber sicher indogermanisch klassifizieren können. Dazu gehört wohl auch der Name der Peene (= apolab. *Pěna < gm. *Painō < ves.-ig. *Poinā, ablautende Ableitung zu idg. *pei(H)- ‘anschwellen‘); hinter Trave steckt eben- falls ein Name mit voreinzelsprachlich-indogermanischer Herkunft (*Trawanō). Für wichtig erachte ich noch die Feststellung, dass die große Gruppe der germanischen Hydronyme im Gebiet der Jastorf-Kultur in sich selbst wieder historisch differenziert ist: Die auf Simplicia oder auf Derivate zurückführbaren Namen (Lessum, Geeste, Aller, Leine, Oste, Havel, Spree, Stör, Schlei, Nebel) sind älter als die auf Komposition beruhenden Namen: Hamme und Treene; Ei- der (< *Egi-dor) „Schreckenstor“ ist ein ungewöhnliches metaphorisches Kom- positum, während Warnow (mndd.*Warn-ouwe) ein sekundäres spätes Kompo- situm ist. Ganz aus der Reihe fällt der Name der Beke, weil er vermutlich ein im Mittelalter hierher übertragener, nicht autochthoner Name ist.

8. Der germanische Name des slavischen Stammes der Wagrier

In das Gebiet der Jastorf-Kultur fällt auch die Wagrien genannte ostholsteinische Landschaft, die historisch sich von der Kieler Förde bis zur Lübecker Bucht er- 52 Albrecht Greule streckt haben soll, während heute meist nur die Oldenburgische Halbinsel darun- ter verstanden wird. Die Landschaft ist nach den Wagriern benannt, einem Teil- stamm der westlawischen Abodriten; ihre Hauptburg war Starigard, heute Olden- burg in Ostholstein. Starigard lag früher an einer Ostseebucht und war der Hafen der Wagrier. Die Auseinandersetzung mit dem Namen der Wagrier führt zum Schluss meiner Ausführungen nochmals wichtige Gedankengänge zusammen, vor allem den der germanisch-slavischen hybriden Toponyme, von denen wir ei- nige unter den Flussnamen bereits kennen gelernt haben. In der neuesten Studie zum Namen der Wagrier wird die Deutung von Antje Schmitz von 1981 vollauf bestätigt (UDOLPH 2006: 79–80). Demnach lässt sich aus der etwas diffusen Belegreihe ein Bewohnername (lat.) *Wāgiri erschließen, hinter dem ein germanisches Kompositum *wāga-warijōz (haplologisch verkürzt > *wāgarijōz) vermutet wird. Es ist zusammengesetzt aus dem Bestimmungswort *wāga-, dem awn. vágr ‘Meer, See, Bucht’ und ahd. wāg ‘Wasser, Flut, See’, vgl. den Flussnamen die Waag, l.z. Donau in der Slowakei (GREULE 2014: 567), ent- sprechen. Das Grundwort, germ. *-warija-, bedeutet ‘Bewohner, Anwohner’ und kommt als solches in vielen germanischen Ethnonymen vor. Am nächsten liegen die *Amisiwarijōz (lat. Ampsivarii) ‘Anwohner an der Ems’. Die Deutung des Namens Wagrier aus der tatsächlichen Lage der Wohnsitze der Wagrier an der Ostsee wird gänzlich gestützt durch die Bedeutung des Kompositums, nämlich: ‘Anwohner am Meer, der Ostsee’. Aber vergessen wir nicht: Hier wird die durch und durch germanische Etymo- logie des Namens eines slavischen Stammes nachgewiesen und dargestellt! Das dürfte so zu erklären sein, dass der abodritische Teilstamm entweder im Verlauf einer Zweisprachigkeit den Namen von germanischen Vorbewohnern übernom- men hat, oder dem namenlosen Teilstamm (durch Fremdbenennung) der altbe- kannte germanische Namen von außen verliehen wurde. Wie dem auch sei, mit der Parallele Wagrien in Holstein und Waag in der Slowakei kehren wir nicht nur zu den Anfängen meiner Ausführungen, die an der Donau begannen, zurück, sondern auch nach Bayern. Denn der Name Bay- ern (Baiern), germanisch *Baja-warijōz ‘Bewohner des Landes der Bojer’, ent- spricht genau dem Bildungsmuster *Wāga-warijōz ‘Anwohner an der See’.

Historische Onomastik als Spracharchäologie 53

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Karlheinz Hengst Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie

Dargestellt an Beispielen aus dem heutigen ostdeutschen Sprachraum

1. Vorbemerkungen

Das Thema unseres Symposions wird durch eine Fragestellung markiert: „Mehrsprachige Sprachlandschaften?“ Nach Jahrzehnten umfangreicher For- schungen steht für den ostmitteldeutschen Raum – aber nicht nur für diesen – Folgendes fest: Die Frage im Thema ist mit gewisser Einschränkung zu bejahen und ebenso auch zu verneinen, um keine falschen Vorstellungen zu erwecken. Im Einzelnen ist im Hinblick auf die Fragestellung und ihre Beantwortung eini- ges zu berücksichtigen. Im Mittelalter erfolgte die slawische Besiedlung eines vorher germanischen Sprachraums im Osten des heutigen Deutschlands. Drei- erlei steht zweifelsfrei fest: – Vom 7. bis 12. Jahrhundert machte die slawische Bevölkerung in dem genannten Gebiet die Mehrheit aus. Die Sprecher des Voralthoch- deutschen resp. Voraltsächsischen bildeten im 6./7. Jahrhundert nur ei- ne kleine Minderheit, die wohl rasch im Slawentum aufging. – Ab dem 10. Jahrhundert kamen als zunächst neue Minderheit deutsche weltliche und kirchliche Obrigkeiten hinzu. In ihrem Gefolge befanden sich in den Burgwarden und kirchlichen Zentren Bedienstete, Mann- schaften, Handwerker und Händler. – Ab Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgte mit dem forcierten Landes- ausbau deutsche bäuerliche Zusiedlung und damit eine beträchtliche Zunahme deutscher Sprecher. Von da an änderten sich die Mino- ritätsverhältnisse dann rasch zugunsten einer starken deutschen Majo- rität im 12./13. Jahrhundert

Was bedeutete diese Entwicklung für die sprachlichen Verhältnisse? Dazu in ge- botener Kürze vier zusammenfassende Antworten: – Rund drei Jahrhunderte handelte es sich zunächst ausschließlich um slawischen Sprachgebrauch bzw. für die Zeit vom 10. bis ins 12. Jahr- 56 Karlheinz Hengst

hundert noch um zwei Jahrhunderte mit dominant slawischem Sprach- gebrauch. – Vom 10. bis 13. Jahrhundert können wir von paralleler Existenz slawi- scher und deutscher Idiome für rund drei Jahrhunderte ausgehen. Al- lerdings ist dabei sozial zu differenzieren. – In diesem Zeitraum vom 10. bis 13. Jahrhundert erwarben deutsche Sprecher differenziert slawische Sprachkenntnisse. Sie benötigten diese für die interethnische Kommunikation. Das galt zuallererst für das Mis- sionswerk mit der lingua Slavica missionarica1, aber auch für die admi- nistrativen bzw. landessichernden Aufgaben und den Handel. – Für unser heutiges Thema bedeutet das: Ab dem 10. Jahrhundert konn- te auch östlich von Elbe und Saale Namengebung von deutscher Seite aus erfolgen, verstärkt dann ab dem 12. Jahrhundert infolge des forcier- ten Landesausbaus mit deutschen Zusiedlern. Was lässt sich auf Grund sprachlicher Überlieferung zu den interethnischen Be- ziehungen feststellen? Modern formuliert lautet diese Frage: Was ist zur Inter- kulturalität an Aussagen möglich? Die gesamten Lebensumstände, die ökonomischen Verhältnisse und auch die politische Situation führten zu einer Akkulturation. Ablesbar ist das recht gut an den aus dem ersten nachchristlichen Jahrtausend tradierten geogra- phischen Namen. Zwei Vorgänge sind zu nennen: – Die Slawen übernahmen zunächst von den im Land verbliebenen Ger- manen geographische Namen: sowohl Fluss- als auch eine ganze Anzahl von Ortsnamen. Dies geschah ab dem 7. Jahrhundert. Es handelte sich in jener Zeit also um Onyme in noch voralthochdeutscher Lautung.2 Die Slawen behielten diese Namen bei. – Dieser Übernahmevorgang, auch Transsumtion genannt, wiederholte sich ab dem 10. Jahrhundert. Die deutsche Obrigkeit und mit ihr sowie nach ihr auch die deutschen Siedler übernahmen von den des Landes kundigen Slawen sowohl die von diesen entlehnten ursprünglich ger-

–––––––— 1 Vgl dazu mit weiterer Literatur HENGST 2000. 2 Die umfangreiche Literatur dazu soll hier nicht aufgeführt werden. Aber zur schnellen Orientierung sei verwiesen auf die Zusammenstellung von Gewässer- und Ortsnamen germanischer Herkunft im Mittelelbegebiet bei BILY 1996: 92–94. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 57

manischen Namen als auch die in den Jahrhunderten inzwischen neuen slawisch geprägten Siedlungs- und Gewässernamen. – Zu beachten ist, dass sich die Sprachkontakte in den Jahrhunderten ab dem 8. Jahrhundert bis etwa zur Jahrtausendwende einerseits zwischen den Althochdeutsch- bzw. Altsächsisch-Sprechern und andererseits den späturslawische Dialekte sprechenden Slawen in noch gemeinslawischer Zeit vollzogen.3

Da uns besonders die slawisch-deutsche-Kohabitation interessiert, sei noch fol- gendes hier angemerkt: Seitens der deutschen Führungsschicht gab es vom 10. Jahrhundert an ein nachweisliches Bemühen um anwendbare slawische Sprach- kenntnisse. Die den slawischen Sprachformen entsprechende Aufzeichnung von Eigennamen in Urkunden und narrativen Quellen beweist indirekt die bei den geistlichen Notaren vorhandene gute slawische Sprachkompetenz. Wie sollte man sich sonst z.B. erklären, dass der ON *Alboldisborn mit einem altsorbischen (aso.) Lexem für deutsch (dt.) -born in einer Urkunde erscheint: 1118 fons, qui Albodistudenza dicitur (heute Ebersbrunn bei Zwickau). Die ältere Mundart- form ąwl(d)sbrun hat die Ausgangsform gut bewahrt.4 Bis ins 13. Jahrhundert ist ganz allgemein aus den uns erhalten gebliebenen Aufzeichnungen von Ony- men auch deren interethnische Verwendung in der Kommunikation ablesbar. Lehnnamen, Namenübersetzungen und Lehnbildungen bezeugen eine mittel- alterliche Akkulturation von Slawen und Deutschen im östlichen Mittel- deutschland.5 Unter diesen allgemein als gültig erwiesenen Bedingungen und Entwick- lungen sind auch die im Tagungstitel genannten „slavisch-deutschen Misch- toponyme“ als Ergebnisse von Hybridbildungsprozessen zu betrachten. Hybrid ist als Lexem in Verbindung mit Energieeffizienz neuerdings modern geworden – die Technikwissenschaften und die Automobilindustrie drängen mit Hybridprodukten auf den Markt. Bezeichnungen wie Hybridauto oder Hyb- ridfahrzeug sind ihrerseits selbst bereits Beispiele für Hybridbildungen. Die Sprachhistoriker kennen Hybridbildungen in der Sprache bereits aus der Antike z.B. als gallo-romanische Bildungen und im Osten Deutschlands zumin- dest seit dem Mittelalter. Es ist zu begrüßen, dass sich das Kieler Symposion

–––––––— 3 Vgl. zum sprachlichen Zustand des Urslawischen in jener Zeit SCHUSTER-ŠEWC 2014: 1154, 1158f. und 1163. 4 EICHLER/WALTHER 2001: I, 228. 5 Vgl. HENGST 1973: 80–88. 58 Karlheinz Hengst ganz speziell diesem Bildungstyp einmal ausschließlich widmet – nach meinem Überblick erstmals in der Geschichte der Onomastik. Damit kann eine Lücke geschlossen werden. Eine solche Lücke bemerkt man z.B. bei einem Blick in ein dickes Handbuch. Ich meine das Nachschlagewerk „Namenarten und ihre Er- forschung. Ein Lehrbuch für das Studium der Onomastik“, herausgegeben von meinen Schülern Andrea und Silvio Brendler, erschienen in Hamburg 2004 mit über tausend Seiten.6 Ich hege die Hoffnung, dass aus dem hiesigen Symposion im Nachgang eine Monographie zu den im Deutschen häufig eifach als Mischnamen bezeichneten Hybridbildungen erwachsen möge. Beiträge zum Thema „Mischnamen“ hat es immer wieder gegeben, vgl. z.B. TATZREITER 1990 und EICHLER 1999a mit weiterer Literatur. Ernst Eichler hat in einem mir ge- widmeten Band „Namen im Text und Sprachkontakt“ ausdrücklich zu weiteren Untersuchungen zu den Mischnamen aufgefordert (EICHLER 1999b: 83).7 Die Veranstalter kommen mit diesem Symposion quasi der erwähnten Auf- forderung nach und tragen sicher damit auch dazu bei, in der Forschung einen Schritt weiter voranzukommen.

2. Was sind Hybridbildungen? In der Fachliteratur wird zuweilen der Bogen bei den sogenannten Mischnamen sehr weit gespannt. Für die germanisch-slawisch-deutschen Kontakträume empfehle ich sehr, zum einen den Terminus Kontaktname8 als Synonym zu vermeiden. Kontaktname ließe sich freilich als Oberbegriff (Hyperonym) ver- wenden. Darunter sind dann aber auch Lehnnamen, Lehnübersetzungen und Lehnbildungen neben den Hybridonymen mit zu erfassen. Zum anderen ist aber auch Mischname ungeeignet. Das nicht nur, weil er sich in der inter- nationalen Kommunikation so nicht verwenden lässt. Vor allem aber deswegen, weil Mischname eigentlich eine ganz unscharfe Bildung ist und allgemein auf „Vermischtes“ hinweist. Es kommt dabei unzureichend zum Ausdruck, dass der Bildungsprozess ganz bestimmten sprachlichen Gesetzmäßigkeiten folgt, nicht willkürlich und beliebig verläuft, also keine einfache „Mischung“ zugrunde liegt. Darauf hat vor einem Jahrzehnt nachdrücklich auch Ernst Eichler hingewiesen und von einer überholten Vorstellung gesprochen, „daß eine Art ‘Mischung’ (daher ‘Mischname’) stattfand“ (EICHLER 2004: 106). –––––––— 6 Im gründlich gearbeiteten Sachregister kommen zumindest Hybrid- sowie Mischname nicht vor. 7 EICHLER 1999b: 83. 8 Vgl. dazu KOß 2002: 20, mit Literaturverweisen. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 59

Es empfiehlt sich also ein Terminus, der schon rein von seiner Form her ei- nen Bezug zum grammatischen System der Sprache, insbesondere zur Wort- resp. Namenbildung signalisiert. Das ist generell gegeben bei Hybridbildung so- wie speziell bei Hybridonym. Zu den Hybridonymen als Ergebnisse der Hy- bridbildungsprozesse gehören dann neben entsprechenden Ortsnamen auch Personennamen.9 Wir verstehen also unter Hybridbildungen in Übereinstimmung mit Adolf Bach nach wie vor Mischbildungen10 mit Vorkommen in der Anthroponymie wie in der Toponymie. Der Berliner Sprach- und Namenforscher Teodolius Witkowski hat bereits vor fünfzig Jahren zu Recht darauf verwiesen, dass zu un- terscheiden ist zwischen dem Prozess der Mischbildung und dem Produkt dieses Vorganges als Mischname (WITKOWSKI 1964: 47). Bisher wurden im Hinblick auf die Internationalisierung der Terminologie nur zaghaft „onymische Hybri- de“ (WALTHER 1978: 343) verwendet bzw. angeboten. Das neuere terminologi- sche Lexikon „Grundsystem und Terminologie der slawischen Onomastik“ hat sich unter Mitwirkung zahlreicher Fachwissenschaftler um eine internationale Regelung der onomastischen Terminologie bemüht. Darin sind auch die deut- schen Äquivalente dank der Mitarbeit von Teodolius Witkowski ausgewiesen. Er hat an erste Stelle „hybrides Onym“ klar vor „Mischname“ gesetzt11 und defi- niert: „Name, der Elemente mindestens zweier Sprachen enthält“ (GRUNDSYS- TEM 1983: 147). Leider ist das Nachschlagewerk bisher wenig bekannt und wohl noch seltener genutzt worden, schon gar nicht außerhalb der Slavistik (vgl. EICHLER 2004: 289). Auch die russische Terminologin Natalija PODOL’SKAJA (1988: 48) beschränkte sich noch auf russ. gibridnoe imja sowie imja-gibrid und die deutsche Angabe hybrides Onym. Nur das Welthandbuch zur Onomastik bietet auch die Verwendung der Termini hybride Namenbildungen (NAMEN- FORSCHUNG 1995: 769), Hybride und hybride Namen (NAMENFORSCHUNG 1996: –––––––— 9 Zu Hybridanthroponymen, also Hybridbildungen bei Personennamen, vgl. den Bei- trag von Walter WENZEL in diesem Band. 10 BACHDNK III: 22. 11 Das ist als neuer Standpunkt und klare Weiterentwicklung zu erkennen, denn genau zehn Jahre zuvor hatte Teodolius WITKOWSKI in einem slavistischen Vorgängerwerk mit dem Titel Základní soustava a terminologie slovanské onomastiky / Grundsystem und Terminologie der slawischen Onomastik, [gewidmet dem VII. internationalen Slawistenkongress] (= Zpravodaj Místopisné Komise ČSAV Ročnik XIV, Čislo 1), Praha 1973, 96 den slawischen Termini mit den Konstituenten hybridn-/gibridn- + vlastní jméno/mjeno/ime/imja/nazva nur Mischname als Entsprechung an die Seite gestellt. 60 Karlheinz Hengst

1040, 1421) sowie hybrides Onym (ebenda 1888) und Hybridformen (ebenda 1204). Hier im Folgenden unterscheide ich nunmehr ausdrücklich zwischen dem Vorgang der Hybridbildung (oder als Internationalismus Hybridisation) und dem Ergebnis Hybridonym. Letzterer Terminus ist allerdings wohl neu. Selbst Adrian Room hat nur hybrid name (ROOM 1996: 51). Mit Hybridonym als Ober- begriff benenne ich Namen, speziell Ortsnamen resp. Siedlungsnamen oder auch generell geographische Namen sowie ebenfalls Personennamen, die Bestandteile zweier unterschiedlicher Sprachen enthalten, die sich allgemein als L1 und L2 kennzeichnen lassen. In Europa handelt es sich dabei in der Regel um Elemente aus Sprachen zwar unterschiedlicher, aber zum Indogermanischen gehöriger Sprachfamilien. Diese Elemente sind im Hybridonym infolge der jeweiligen ony- mischen Bildungsart unterschiedlich kombiniert:

– Bei Derivation tritt an eine lexikalische Konstituente aus L1 eine mor- phologische Konstituente aus L2. – Bei Komposition erfolgt eine Kombination einer lexikalischen Basis aus L1 mit einer weiteren lexikalischen Konstituente aus L2. Formelhaft lässt sich der Bildungstyp Hybridonym folgendermaßen kenn- zeichnen:

[BEL1 + EEL2] wobei BE = Basiselement und EE = Endelement kennzeichnen. Diesem onymischen Bildungstyp liegt ein onymischer Bildungsprozess zugrunde:

[BEAS + EEÜS] wobei AS = Ausgangssprache und ÜS = übernehmende Sprache bzw. entlehnende Sprache bezeichnen.

Ganz knapp lässt sich der Nominationsprozess auch fassen als die feste Ver- bindung einer entlehnten lexikalischen resp. onymischen Basis mit einer genuin eigensprachlichen Konstituente zu einem neuen Onym. Die Hybridonyme lassen sich analog zur eingebürgerten onomastischen Ter- minologie weiter gliedern bzw. spezifizieren. Es sind leicht bildbar Hybrid- toponym sowie Hybridoikonym oder auch Hybridoronym, Hybridmikrotoponym etc. Somit empfiehlt sich der Terminus Hybridonym sowohl hinsichtlich seiner Einwortform als auch zugleich seiner unkomplizierten internationalen Ver- wendbarkeit und semantischen Durchsichtigkeit. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 61

3. Welche Typen von Hybridbildungen resp. Hybridonymen konnten im östli- chen Mitteldeutschland bisher eruiert werden? An dieser Stelle möchte ich etwas früher ansetzen als bisher üblich war. Der Forschungsstand erlaubt es, noch ältere als die slawisch-deutschen bzw. deutsch-slawischen Hybridbildungen einzubeziehen. In den letzten Jahren konnte ich selbst auf eine Reihe solcher frühen Hybridonyme aufmerksam ma- chen. Da sind im Rahmen der „Mischnamen-Diskussion“ nun zugleich auch die bisher in der Literatur behandelten Hybridbildungen jeweils weiter termi- nologisch zu differenzieren. Es sind nacheinander zu nennen:

3.1. Germanisch-slawische Hybridonyme

Hierzu gehören folgende Hybridtoponyme und ein Hybridoronym: – Der ON Borgishain nahe Altenburg/Thüringen: 1291 Borgenzan, 1336 Borgezan < aso. *Borgǫźane < ursl. *Bъrgǫźane zu germ. *Burgundi + slaw. Suffix –jane.12 – Der nur im Mittelalter überlieferte ON Jenz/Genz (Ort aufgegangen in Wenigenjena östlich Jena an der Saale): 1185 de monte, que vocatur Gehnceb[erg], 1196 in Camburch et in Genz et in Kirhberch et Ysenberch (UBJ I S. 3; CDS I 3 Nr. 8), 1245 Gence (Dob. III 1246), noch 1348/49 in Lubechowe (Großlö- bichau), in Jhencz,… (in Parvo Jhenis … in opido Jene…, in Weningem Jhene bi dem Jenczke), 1415 bij Jhene bie Gencz (UB Jena II Nr. 66) < spätursl. *Janьcь zu vorahd. *jān- ‘Gang’ o. ä., vgl. Ende 9. Jahrhundert Iani (HZV), zu germ. *jǣna- m. ‘Reihe’, eine -n-Ableitung zu einer 13 uridg. Wurzel *ḭeh2- ‘gehen’ . In germ. Zeit war die Stellenbezeichnung *jāni ‘die Gänge’ Name geworden für Passagen durch die Saale. – Der Bergname Jenzig (Jena) östlich Wenigenjena: 13. Jahrhundert Gensk, 1348/49 bi dem Jenczke < späturslaw. *Janьska (gora) als Hybrid- oronym gebildet aus entlehnter germ. Basis plus slaw. Suffix (HENGST/WIESINGER 2016).

–––––––— 12 Vgl. ausführlich zu diesem ON und zur Kompliziertheit der sprachgeschichtlichen Analyse der tradierten Belegkette HENGST 2011: 362–364. 13 Zur germ. Form vgl. KLUGE/SEEBOLD 2011: 453. Vgl. auch VERF. in NIEMEYER 2012: 296. 62 Karlheinz Hengst

– Der ON Leipzig: 1010/18 ad 1015 in urbe Libzi vocatur, 1050 in burcwardo Libizken, um 1150 usque Libiz, 1185 Libz, 1190/95 in Lipz, Lipzk, 1219 apud Lybzeck < späturslaw. *Libьcь und *Libьsk(o) < germ. *Lībḭa als Gebietsname im Sinne von ‘reich an Wasser’ zu einem Wur- zelelement *lībh- zu mehreren in Betracht kommenden uridg. Wurzeln für Merkmale von Wasser oder Erdboden wie z.B. ‘schleimig, nass‘ o. ä.14 – Der slaw. Name Plisn- für Altenburg in Ostthüringen: 1132 in castro Plysn, 1209 Aldenburch, que alio nomine Plisne nuncupatur < aso. *Plis’n- < spätursl. *Pьlisьnъ (grodъ) < germ. *F(i)līsa für den heutigen über das Slawische vermittelten Gewässernamen Pleiße.15

Ferner sind hier zu nennen vier Hybridhydronyme: – Der slawische Name eines Baches im Vorland des Erzgebirges, der in einer Urkunde gleich mit seiner deutschen Entsprechung genannt wird: 1143 (Abschr. 15. Jahrhundert) Schirna Blisna, id est Swartzbach) < aso. *Čiŕna + *plis’na – das aus dem Germanischen übernommene zweite Glied hier als Lehnwort in der Bedeutung von ‘Gewässer‘ (HENGST 2003: 129 und 132). – Der slaw. Name für zwei Gewässer bei Potsdam in den Formen Woblitz und Wublitz: plb. *Voblica < aplb. *Oblica < ursl. *Obъlica < germ. *Haᵬula für die Havel, 789 Habola.16 – Und dazu auch der slaw. Name Woblitz-See nö. von Wesenberg: 1170 in stagnum Woblesko, 1244 in stagnum Wobelesko mit aplb. Suffix -ьsk-.17

Allen diesen Hybridonymen ist eines eigen: Sie besitzen jeweils eine vor- slawische onymische Basis, die wiederum auf einem Appellativum beruhen

–––––––— 14 Vgl. zuletzt Harald BICHLMEIER 2013: 49-75, mit Verweis auf die vier vorangegan- genen Studien von Hans WALTHER und Karlheinz HENGST. Die aus der Sicht der modernen Indogermanistik in Betracht kommenden sechs uridg. Wurzeln geben jeweils unterschiedliche Merkmale der Qualität des Wassers an wie z.B. ‘schleimig, matschig’ oder ‘schwindendes Wasser habend’ usw. 15 Zu den beiden Möglichkeiten einer Herleitung des ursprünglichen Flussnamens Pleiße einerseits als voreinzelsprachlich-idg. Bildung oder andererseits als germ. Bildung vgl. GREULE 2014: 409. 16 Vgl. mit historischen Belegen GREULE 2014: 597, 602 mit weiterer Literatur. 17 Vgl. GREULE 2014: 597f. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 63 kann, plus der slawischen Namenbildung dienend ein Suffix – hier im Einzelnen die Suffixe -jane, -ьcь, -ica und -ьn- sowie -ьsk-. Dieser Typ der Hybridbildung lässt sich formelhaft fassen:

[(Onymgerm. + Suffixslaw.) = ONslaw.] bzw.

[BE(onym.)germ. + EE(suff.)slaw.] - dabei onym. = onymisch, suff. = suffixal BE = Basiselement, EE = Endelement

3.2. Deutsch-slawische Hybridonyme

3.2.1. Hierzu gehören die zahlreich nachgewiesenen Toponyme mit deutschem Personennamen (PN) plus slawischem Suffix -ici, Typ Arnoltici. Bei diesem Hyb- ridbildungstyp verwendeten die Slawen deutsche PN in Vollform und auch Kurz- bzw. Kosenamen. Bei einer Zusammenschau zum altsorbisch-deutschen Sprach- kontaktraum hat der Germanist und Namenforscher Horst Naumann vor genau fünfzig Jahren 54 Toponyme zusammengestellt, davon 35 mit dem Suffix -ici und 19 mit -ovici (NAUMANN 1964: 92–94). Die Forschung hat inzwischen weitere ON dieses Typs ermittelt, so z.B. die Hybridtoponyme 1181/1214 Brunuwiz und Swabiz, heute Neubraunshain nnw. Altenburg bzw. Wg. Schwabitz nö. Altenburg (HONB 2001: 1, 107 und 2, 391). Zu diesem Hybridbildungstyp in Mitteldeutsch- land sind insbesondere auch die Beiträge von Inge Bily und Walter Wenzel in die- sem Band zu beachten. Formelhaft gefasst ergibt sich:

[(PNdt. + Suffixslaw.) = slaw. ON] bzw.

[BE(anthrop.)dt. + EE(suff.)slaw.] bzw. auch [PN(VN ˅ KN)dt. + Suff. (-(ov)ici)slaw.] mit VN = Vollname, KN = Kurz-oder Kosename

Bemerkenswert ist, dass dieser Hybridtyp nach Gerhard Schlimperts Beobach- tungen in Brandenburg und Mecklenburg nicht vorkomme (SCHLIMPERT 1990: 92). Dagegen verweist sein slavistischer Kollege Reinhard E. Fischer schon rund zwanzig Jahre zuvor auf vier sichere Fälle vom Typ Konradici im aplb. Sprach- raum, zwei davon allein auf Rügen.18 Cornelia WILLICH (2011: 133 und 277) hat inzwischen für Rügen diesen Befund bestätigt. An dieser Stelle ist noch auf eine Gruppe von wenigen Namen hinzuweisen, die strukturell am besten hier einzuordnen ist. Es handelt sich dabei um ON- –––––––— 18 R.E. FISCHER 1972: 16. Es handelt sich um die ON Kaiseritz auf Rügen, Klementelvitz bei Sagard auf Rügen, Reyderivitze und Lüderitz Kr. Tangerhütte, vgl. dazu FISCHER/WITKOWSKI 1967: 686f. 64 Karlheinz Hengst

Bildungen aus einem Appellativum plus slaw. Suffix, aufgeführt von Cornelia WILLICH (2011: 133) von der Insel Rügen: Mönkvitz < *Mon(i)kovici zu mnd. mon(e)k, mon(n)ik ‘Mönch‘ und Nonnevitz < *Nunevici zu mnd. nunne ‘Non- ne‘.19 Es ist aber wohl kaum davon auszugehen, dass es sich um direkt von ei- nem deutschen Appellativum abgeleitete ON-Bildungen handelt. Eher dienten die Appellativa bereits als Lehnwörter im slaw. Mund zur ON-Bildung. Das dürfte auch für den ON Amtitz in der früheren Niederlausitz östlich der Neiße zutreffen, noch 1449 Ampticz, < *Amtici zu mhd. ambt ‘Sitz des Dienstmannes‘ (EICHLER/ZSCHIESCHANG 2011: 101f.). Es sind solche Hybridbildungen ver- gleichbar mit den oben unter germanisch-slawischen Hybridbildungen ange- führten Fällen.

3.2.2. Auf einen bisher unikalen Typ hat Ernst EICHLER (1999b) noch aufmerk- sam gemacht. Es handelt sich um einen Bildungstyp von Hybridtoponymen in Kärnten mit deutschem PN plus -jane. Die Überlieferung zeigt dabei Lokativ- form. Diese ist auch in der modernen Namensform bewahrt: Ottmanach im Be- zirk Klagenfurt: 1111/22 de Othmanach < *Otmańachъ zu slaw. *Otmańane (EICHLER 1999b: 92). Dem bereits unter den germ.-slaw. Hybridbildungen er- wähnten slaw. Suffix -jane ist bei künftigen Forschungen neben -ici also durch- aus Aufmerksamkeit zu schenken.

3.3. Slawisch-deutsche Hybridonyme Hier sind die von deutschen Sprechern im Mittelalter geprägten Hybrid- toponyme zu nennen. Sie sind bedeutend häufiger. Allein für Sachsen und das Altenburger Land konnten bisher rund hundert slawisch-deutsche Hybrid- toponyme ermittelt werden (HONB 3, 142), denen etwas über dreißig deutsch- slawischen Bildungen gegenüberstehen (HONB 3, 143).

3.3.1. Die slawisch-deutschen Hybridtoponyme treten im altsorbisch-deutschen Sprachkontaktraum etwa dreifach öfter auf als die deutsch-slawischen Bildun- gen mit -(ov)ici.20 Erkennbar sind sie an den Kombinationen in der Bildung aus slaw. PN plus deutschem Grundwort, meist -dorf, kurz genannt Typ Bogu- milsdorf oder Slavomirsdorf. Bereits im Hersfelder Zehntverzeichnis können

–––––––— 19 Walter WENZEL reiht Hybridtoponyme mit semantisch vergleichbaren Appellativa als Erstglied in seinem Beitrag in diesem Band ein unter Bildungen von Berufs- namen. 20 Vgl. die quantitativen Angaben bei NAUMANN 1964: 83. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 65 zum Ausgang des 9. Jahrhunderts die Bildungen mit dem Grundwort -dorf nachgewiesen werden. Es handelt sich um die Hybridtoponyme Codimesdorpf, Liudimendorpf, Liudineburg, Zidimuslesdorpf (EICHLER 1955/1985: 154–156). Die ebenda mit genannte vereinzelte Bildung mit -burg ist eine reine Kanzlei- form, da in einem Teil des Hersfelder Zehntverzeichnisses alle Toponyme den Zusatz -burg erhielten. Zu den Hybridbildungen in dieser frühen Quelle ist in diesem Band der Beitrag von Kristin Loga zu vergleichen. Ohne hier weitere Namen dieses Typs aufzählen zu wollen, muss wenigstens darauf aufmerksam gemacht werden, dass die systematische Bearbeitung weite- rer slawisch-deutscher Kontakträume neue Belege zutage fördert. Das hat eine Monographie zu den Ortsnamen östlich der Neiße im heutigen polnischen Sprachraum erwiesen. Dort ließen sich aus älterer Zeit 11 slawisch-deutsche Hybridtoponyme ermitteln.21 Ebenso konnten für das östliche Thüringen bei einer Studie zu ON im Orlatal zusätzlich zu den bereits in der thematischen Fachliteratur ausgewiesenen Hybridbildungen noch folgende ermittelt werden: Leubsdorf, 1378 Lubinsdorf zu PN aso. *L‘uben, †Triemsdorf, 1501 Tribisdorf zu einem aso. PN *Trib-, (Klein-)Wolschendorf, 1416 Wolsindorf zu einem aso. PN *Voliš, Zadelsdorf, 1342 Zcedelansdorf zu einem aso. PN *Sedlan (historische Be- lege nach AEHNLICH 2014). Hinzuzufügen sind noch andere Einzelfunde wie Eutersdorf westlich Kahla, 1379 Wyndischen Oydinsdorf zu einem aso. PN *Udin (FUHRMANN 1962: 235) und Drebsdorf westlich Sangerhausen, 1349 Trebans- dorf, 1446 zcu Trebinsdorff zu einem aso. PN *Treban (LOGA 2014). Die slawischen PN innerhalb dieses slawisch-deutschen Hybridbildungstyps lassen sich noch differenzieren in Vollnamen, Kurznamen, Kosenamen (also mit hypokoristischem Suffix) und Zunamen.22 Eine noch detailliertere Unter- gliederung bietet Walter Wenzel in diesem Band. Neben den dominierenden Bildungen mit -dorf erscheinen auch in geringerer Häufigkeit als Grundwör- ter -berg, -gruone/-grune, -husen, -ruot/-reut/-rod, -stat.23 Beachtenswert ist, dass regional auch andere deutsche Bildungselemente auf- treten. So z.B. nennt der Germanist und Sprachforscher Ernst SCHWARZ (1960: 325–327) in Nordostbayern zusätzlich noch -bach, -berg, -hof, -hüll (letzteres nach E. Schwarz < ahd. huliwa ‘Pfütze’ – aber wohl eher < ahd. hulia ‘Sumpf’ oder ahd. hulī ‘Höhle, Höhlung’). Die Forschungen des germanistisch-sla- vistischen Teams mit Ernst EICHLER, Albrecht GREULE, Wolfgang JANKA und

–––––––— 21 Ausführlich dazu EICHLER/ZSCHIESCHANG 2011: 42f. 22 Vgl. die Übersicht dazu bei NAUMANN 1964: 90–92. 23 Vgl. ebenda 84–89. 66 Karlheinz Hengst

Robert SCHUH zum Raum Bamberg (2001: 225f.) bestätigen das mit 22 Hy- bridonymen auf -dorf, 2 mit -reuth und 1 mit dem Grundwort -hüll. Dazu wei- terhin auch dieser Forscherkreis zum Raum Bayreuth (2006: 268f.) mit 11 ON auf -dorf, 3 auf -reuth, 2 auf -berg und 1 auf -hof, während der auf -meisel nicht zu den echten Hybridonymen zu rechnen ist. Das Bild ändert sich nur wenig bei einem Blick ins altpolabisch-deutsche Sprachkontaktgebiet. Der slavistische Altmeister Reinhold TRAUTMANN (1948: 181f.) nennt zusammenfassend neben -thorp noch die vereinzelten -velt, -hagen und das nur einmal belegte -molen, für Brandenburg v. a. ON auf -dorp/ -torf/-dorf, für Mecklenburg etwa 120 mit dem Grundwort -dorp/-dorf, verein- zelt auf -hagen, auch auf Rügen mehrere -hagen neben sonst -torpe/-dorf, aus dem Hannoverschen Wendland auch -felde und aus Holstein schließlich eigent- lich einheitlich -dorp/-torp (TRAUTMANN 1948: 181–187). Vielleicht kann hier eine künftige vertiefende Untersuchung noch Ergänzungen bieten. Die bekann- te Kieler Forscherin Antje Schmitz hat so z.B. einen schwer erkennbaren ON zu diesem Hybridbildungstyp im Kreis Plön für das Hannoversche Wendland zu- sätzlich zu 12 Hybridonymen auf -dorf/-torf ermittelt: Kleinharrie, 1328 ludeste- sharegen zum aplb. PN *L’udost + Grundwort mnd. hōre, hāre ‘Dreck, Unrat, Schlamm, Moorerde, Lehm’ (SCHMITZ 1986: 65f.). Reinhard E. FISCHER hat (1972: 14) insgesamt 313 „slaw.-dt. Mischnamen“ für das altpolabische Gebiet gezählt, in denen 211 slaw. PN enthalten sind. Die meisten davon sind offenbar in Mecklenburg vertreten, während Gerhard SCHLIMPERT (1990: 93) für Brandenburg etwa 100 angegeben hat. Die meisten davon sind im Teltow, Barnim, im Kreis Jüterbog-Luckenwalde und in der Uckermark zu finden. Zusammenfassend zu den slawisch-deutschen Hybrid- toponymen in der nördlichen Germania Slavica hat sich Cornelia WILLICH (2002: 437–446) zuletzt geäußert. Formelhaft gilt:

[(PNslaw. + GWApp.dt.) = ONdt.] bzw.

[BE(PN)slaw. + EE(GW)App.dt.] wobei stets PNslaw.dt. Genitiv.

Der slawische PN wird in diesem deutschen Hybridbildungstyp stets in der deutschen Genitivform verwendet. Das entspricht voll und ganz der Bildungs- weise deutscher ON mit PN im Erstglied. Der slawische PN kann sowohl mit der Genitivform auf -en als auch mit Genitiv-s erscheinen, vgl. zu Časłav 1350 Zcaslawendorf (Zaschendorf bei Meißen) und 1105 Scazlausdorf (Wg. bei Bad Lausick). Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 67

3.3.2. Einen seltenen Subtyp hat Ernst EICHLER noch mitgeteilt. Er zeigt slaw. PN plus dt. Genitiv-s ohne deutsches Grundwort: 1280 Welmvzels < *Velemyšl‘ (Mehlmeisel bei Kemnath), 1396/99 zum Godeis < *Godějov- (Godas bei Kemnath), anzutreffen auch in Mähren: 1258 de Prosteys, 1301 circa Prosteys, aber 1131 Prosteiouicih, auch1213 Prosteyow.24 Den westslaw. PN Prostej bietet eine Urkunde mit 1228 Proztey testis (PROFOUS 1951: 493).

3.3.3. Ein besonderer Typ später Bildungen von Hybridtoponymen ist noch zu beachten. In einer Zeit zunehmender deutscher Einsprachigkeit im 13./14. Jahr- hundert wurden dennoch die slawischen Namen von den deutschen Sprechern a l l e r sozialen Schichten beibehalten. Es gibt aber eine Reihe von Beispielen dafür, dass vereinzelt die genuin slawischen Toponyme in der binnendeutschen Kommunikation mit einem lediglich den toponymischen Charakter ausdrück- lich markierenden oder erläuternden Zusatz -dorf „nachträglich“ versehen wur- den. Es kam also zu einem wahrscheinlich vor allem in der Verschriftlichung anzutreffenden Hybridbildungstyp aus vollem slawischem Toponym plus deut- schem Grundwort -dorf. Dieser Typ reflektiert nicht die Zeit der direkten sprachlichen Kontakte, sondern gehört sicher bereits in die Postkontaktphase und damit in die rein deutsche Binnenkommunikation. Für die Postkontaktphase ist dieser Typ der Hybridbildung aus einge- deutschtem slaw. ON plus dt. Grundwort -dorf zu beachten. Als Beispiele lassen sich nennen: Aus dem aso.-dt. Gebiet gibt es nur einige wenige Beispiele: ON Teutschen- thal Kr. Eisleben, 9. Jahrhundert (HZV) Dussina, 14. Jahrhundert Dusintal < spätursl. *Dušina (EICHLER 1955/1985: 153); Wg. Gaustdorf in Westsachsen, 1493 in Gaustdorff < aso. *Gust’e ‘Waldesdickicht’ (HENGST 2003: 43); Briescht Kr. Beeskow, 1490 Brist zu aso. *brest ‘Ulme’, aber 1556 Brießdorff, und aus dem Grenzraum zum Aplb. im Norden: Merz Kr. Beeskow, 1341 Mertz < aso. *Mer-/ Mirici, aber 1572 Mertztorff (WAUER 2005: 51 und 86f). – Aus dem aplb.-dt. Sprachgebiet gibt es mehrere Nachweise bei R. E. FI- SCHER (1972: 12f.) und G. SCHLIMPERT (1990: 95). Vgl. ferner Bröddin Kr. Templin, 1228 u. 1230 Brodewinestorp, sonst aber 1375 Bradyn, 1424 to brodyn < aplb. *Brodovina zu *brod ‘Furt’ mit Eindeutung eines dt. PN auf -wīn (WAUER 1996: 76f).

Formelhaft ist dieser Typ fassbar als: [(ONslaw. + GW-dorf) = ONdt.]. –––––––— 24 Vgl. HOSÁK/ŠRÁMEK 1980: 309. Dazu auch Ernst SCHWARZ 1960: 333. 68 Karlheinz Hengst

3.3.4. Hybridtoponyme mit dem Grundwort -burg?

Einen wohl nur scheinbaren Hybridbildungstyp mit -burg bieten zwei auffällige ON in alten Aufzeichnungen. Der wohl älteste Vertreter dieses Typs ist das le- gendäre Wogastisburg, das von Fredegar (Chronik IV 68) als Schlachtort zwi- schen dem fränkischen König Dagobert und dem slawischen Heer unter Füh- rung von Samo genannt wird: 631/32 castrum vuogastisburc.25 Und ein zweiter Fall tritt entgegen mit 979 civitas et castellum Uuirbiniburch (UB Hersfeld I: Nr. 60). Ersterer ON ist bis heute nicht sicher lokalisierbar, letzterer lautet heute Burgwerben. Dabei tritt erst im 13. Jahrhundert der vorangestellte Zusatz Burg- auf und dient der Unterscheidung von Mark-, Reichardts- und Tagewerben (EICHLER 2009: 66f). Im Hersfelder Zehntverzeichnis lautet der ON zunächst noch anders, nämlich 830/50 (Abschr. 12. Jahrhundert) Uuirbina (Liste A Nr. 216 und Nr. 239) und gehört zu slaw. *Vьrbьn- ‘Weiden[ort]’ (EICHLER 2009: 66f.). Und der ON erscheint auch in gleicher Graphie (Nr. 216) für Reichardts- werben. Dann aber tritt für Burgwerben in Liste B 881/899 Uuirbineburg (Nr. 251) und Item Uuirbinaburg (Nr. 257) auf. Die Liste B enthält auffällig domi- nant ON auf -burg. Folglich liegt es nahe, dass schreiberseitig zu eigentlich nur Uuirbina in dieser Liste das Grundwort -burg einfach analog angefügt wurde, zumal es sich ja um den Namen für Orte mit einer vorhandenen Burg zu jener Zeit handelte.26 Von daher ist nun auch für Wogastisburg die Annahme nahelie- gend, dass Fredegar einen ihm mit einer gewissen Befestigung bekannt gewor- denen Ort im westslawischen Reich von Samo ebenfalls mit dem Zusatz -burg versah. Es ist daher nicht verwunderlich, dass schon deshalb die Lokalisierung des verlustreichen Schlachtfeldes des fränkischen Herrschers Dagobert endlose Probleme bereitet. Die aus linguistischer Sicht bislang beste Verortung bietet der tschechische Toponomast Antonín Profous mit dem tschechischen ON Úhošt‘, deutsch Burberg, 1401 in Uhosscz dicto Purperk (PROFOUS/SVOBODA 1957: 422f.), 2,5 km südwestlich von Kadaň/Kaaden und damit grenznah zum fränkischen Reich jener Zeit. Fredegar hat offensichtlich den westslawischen resp. urslawischen ON zu einem PN des 7. Jahrhunderts *Ougast gehört. Pro- fous rechnet bei *Ougast mit Wandel erst um die Mitte des 9. Jahrhunderts zu *Ugost. Das Toponym in einer Form des 7. Jahrhunderts könnte damals also ge- –––––––— 25 Vgl dazu im Internet die Ausführungen und Angaben zu Wogastisburg in Wiki- pedia. 26 Das lässt sich auch bei anderen ON leicht nachprüfen. So erscheinen z.B. auch die ON Goseck, Helfta, Lettin, Mücheln an der Geisel und Querfurt mit dem Zu- satz -burg, was bei diesen ON in der Überlieferung absolut einmalig ist. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 69 bildet worden sein aus *Ougast + Suffix -jь > *Ougašč (später alttschech. *Ugošč). Im 7. Jahrhundert wurde diese Form also sehr wahrscheinlich von Fre- degar etwas verdeutlichend mit dem Zusatz -burg versehen. Es bleibt offen, ob Fredegar möglicherweise sogar diesen oder einen slaw. PN dieser Lautung sogar kannte und daher sich regelrecht gefordert sah, den ihm bekannten deutschen Bildungstypen jener Zeit folgend ein Grundwort anzufügen. Abschließend zu diesem Exkurs ist festzustellen, dass diese scheinbaren Hyb- ridtoponyme sprachgeschichtlich nicht als in der damaligen Kommunikation üblich zu bewerten sind. Es handelt sich gewiss um vereinzelte Ad-hoc- Bildungen der deutschen Schreiber.

4. Was sind keine Hybridonyme? Nicht zu den Hybridonymen sind all jene Namen zu rechnen, die zwar sprach- lich-inhaltlich auf ein anderes Ethnos mit einer Sprache L1 hinweisen, dem Sprachmaterial nach aber zweifelsfrei nur solches der L2 aufweisen. Das sind im Kontaktraum mit dem Slawischen: – ON mit dem Zweitglied -wenden, -winden27 – ON mit dem Erstglied Wend- oder Wind-28 – ON mit dem Zusatz Wendischen(en)-, Windisch(en)- oder dem Erst- glied Wünschen-29 – ON mit Adaptationserscheinungen im Erst- oder Zweitglied im Deut- schen. Diese infolge von Integrationsprozessen in der L2 daher auch ver- einzelt wenig glücklich als Adoptivnamen bezeichneten Toponyme gehö- ren nicht zu den Hybridonymen. Diese Toponyme sind seit Anfang der 80er Jahre von uns klar als „scheinbar sekundär semantisch verankerte Namen“ oder auch als Produkte einer sekundären semantischen Motivie- rung bezeichnet worden. Es handelt sich also um Toponyme wie Kuh- schnappel < *Końčne pole, Stünzhain < *Studeńčane, Zaukerode <

–––––––— 27 Vgl. die Zusammenstellung bei NAUMANN 1964: 94f. Da es sich bei dem Ele- ment -winden nicht um eine Entlehnung aus einer slawischen Sprache handelt, sondern um ein Lexem zur Fremdbezeichnung, zählen ON mit diesem Bildungs- element nicht zu den Hybridtoponymen. Das gilt analog auch für alle Windisch-ON. 28 Ebenda 96. 29 Ebenda 96–98. 70 Karlheinz Hengst

*Sukorady, Mobschatz < *Mokošici, Starsiedel < *Stare sedło usw.30 Sie be- gegnen uns auch im aplb.-dt. Sprachkontaktraum. Reinhold TRAUTMANN nennt eine ganze Anzahl, die zwar wie ursprüngliche Hybridonyme aus- sehen, weil sie nach einem undeutsch wirkenden Erstglied die Endele- mente -beck, -burg, -ehe, -garten, -hagen, -husen, -kuhlen, -leben in der jüngeren Überlieferung besitzen (TRAUTMANN 1948: 186f.). Die Adaptation ans Deutsche konnte schon früh einsetzen. Sie ist zuerst schreiberseitig vorgenommen worden, vgl. den ON Monstab (westlich Altenburg), 976 Masceltorp in der Zeitzer Ausstattungsurkunde – ge- genüber noch 1283 Maziltoph zu aso. *Masłotopy ‘Butterschmelzer’. – Pseudohybride (unechte Hybride) wie Dänkritz < dt. *Dankratis und auch – in der Terminologie von Hans WALTHER – sogenannte Krypto- hybride wie Rostig < *Roz-tok- sind nicht Ergebnisse von Hybrid- bildungsprozessen. Sie sind daher fernzuhalten. Diese zuletzt genannten Termini sind Prägungen des international gut bekann- ten germanistischen Sprachforschers und Siedlungshistorikers Hans Walther (Leipzig).31 Hans Walther hat 1978 auf dem ICOS-Kongress in Kraków deutlich differenziert und auch von scheinbaren Mischnamen gesprochen. Er unterschied damals primäre Hybride, sekundäre Hybride, Pseudohybride und Kryptohybri- de.32 Er hat den Vorgang der „Hybridation“ seinerzeit linguistisch näher be- leuchtet und ist dabei zu einer sehr umfassenden Gliederung gelangt. Aus for- schungsmethodischen Gründen ist in diesem Beitrag hier eine Beschränkung auf echte und damit primäre Hybridonyme erfolgt. Demgegenüber beruhen ON wie Geithain oder Roßwein mit scheinbar einem oder sogar zwei deutschen Elementen ihrer Entstehung und Entwicklung nach keineswegs auf Hybridbil- 33 dungen, sondern sie sind ganz klar Lehnnamen aus L1 in L2.

–––––––— 30 Diese ON und auch alle folgenden in diesem Beitrag aus dem einstigen altsorbischen Sprachgebiet sind mit urkundlichen Belegen und Angaben zur Etymologie leicht nachschlagbar in dem vierbändigen Kompendium von Ernst EICHLER 1985/2009. 31 WALTHER 1982: 589–596. Dort findet sich auch eine bibliographische Erfassung wichtiger Beiträge aus dem deutsch-slawischen Kontaktraum (589, in Anm. 2). 32 Vgl. die Übersicht mit Beispielen ebenda 595f. 33 Vgl. mit weiterer Literatur zuletzt bei HENGST 2013. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 71

5. Worin besteht der besondere Wert von Hybridonymen im Vergleich zu den Lehnnamen? Beide Typen, Hybridtoponyme und auch Lehnnamen, sind eine beachtenswerte Quelle, die sich nutzen lässt für Aussagen zur Geschichte der Bewohner einer Landschaft. Beide sind (a) zuverlässige Zeugnisse für vollzogenen und anhaltenden Sprachkontakt. Lehnnamen und Hybridonyme bezeugen gleichermaßen

(b) die vorbehaltlose Übernahme von vorhandenen Onymen aus L1 bei der Landnahme und Zusiedlung von Trägern der L2. Bei den Hybridonymen kommt noch etwas hinzu. Sie bezeugen zusätz- lich zur Annahme von sprachlichen Mitteln aus der L1 in Form von Onymen einerseits dazu noch andererseits auch (c) die eigenständige Weiterverwendung zur Bildung neuer Namen in der L2 nach den Regeln der Namenbildung in L2; (d) diese Hybridonyme sind somit sprachliche Dokumente für die innere Haltung und das gesellschaftliche Verhalten großer Sprechergemein- schaften im Mittelalter auf heute deutschem Boden. Diese onymischen Bildungstypen sind Ausdruck von Akzeptanz und Achtung sowie Wert- schätzung der Leistungen eines Ethnos durch ein anderes Ethnos beim Ausbau und der Gestaltung des Landes. Und diese von Vor- eingenommenheit freie Anerkennung gilt für jeweils beide kontak- tierende Ethnien. Die zahlreichen Anthroponyme in den Hybrid- bildungen von Toponymen geben klar zu erkennen, dass sowohl die Namen von die Ansiedlung leitenden Vertretern oder Beauftragten des slawischen bzw. deutschen Adels als auch die Namen erster Ansiedler von den Nachbarn aus dem jeweils anderen ethnischen Umfeld respek- tiert, übernommen sowie verwendet und mit der Verankerung in den Siedlungsnamen sogar dauerhaft gemacht worden sind. Es gibt keinerlei sprachgeschichtliche Anzeichen für ethnische Vorbehalte oder gar Dis- kriminierung. Das trifft zu für die gesamte Zeit des Mittealters bis ins 14. Jahrhundert. Diese Feststellung gilt also auch für die Zeiträume mit zuerst dominierender slawischer und später deutliches Übergewicht zeigender deutscher Bevölkerung. Für die Entwicklungsetappen seit dem ersten nachchristlichen Jahrtausend bis ins späte Mittelalter ist von gelebter und gepflegter Interkulturalität und Akkulturation auszugehen. 72 Karlheinz Hengst

6. Beobachtung zur Relation zwischen Hybridbildungen und dem Typ der ON mit -winden An dieser Stelle ist noch einiges zu jenen Toponymen zu sagen, die als Bildun- gen mit den sprachlichen Mitteln der L2 zugleich auf Siedler als Träger von L1 hinweisen. Aus der Abfolge von germanischer und slawischer Landnahmezeit mit entsprechenden Kontakten zwischen den Ethnien sind solche Namen – mit Ausnahme des oben unter 3.1. genannten Borgishain mit Bewahrung des Na- mens der Burgunder – nicht bekannt. Konkret geht es hier also um deutsche Siedlungsnamen mit deutschen Konstituenten, die auf die im engeren oder auch weiteren Umfeld zuerst kultivierend tätig gewordenen Slawen verweisen. Es sind das die Toponyme mit den Elementen -winden bzw. Windisch-/Wünschen-. Diesen Toponymen ist eigen, dass sie zwei deutschsprachige Konstituenten aufweisen. Jeweils die erste weist mit Windisch- resp. Wünschen- oder aber die zweite mit -winden auf die slawischen Nachbarn hin. Bei dem ON Wünschen- dorf in der Nähe von Glauchau in Sachsen ließ sich nachweisen, dass der Ort mit diesem Namen das ursprüngliche slawische Dorf bis heute in seiner Anlage erkennen lässt, während der ehemalige slawische ON auf die im 12. Jahrhundert von deutscher Seite angelegte Gründung Tettau überging. Der die deutsche Neugründung veranlassende deutschsprachige Vertreter des Dienstadels nannte sich und seinen Sitz nach dem slawischen Nachbardorf. Dieses aber wurde von deutscher Seite späterhin nur als „wendisches Dorf“ bezeichnet.34 Solche ON können in der Zusammenschau mit extralinguistischen Gegeben- heiten und siedlungsgeschichtlichen Befunden für die Gegend ihres Vorkom- mens durchaus besonderen Indizienwert erlangen. Das soll hier vor allem für ein Gebiet ohne slawisch gebildete Toponyme sowie auch fast ohne echte Hyb- ridbildungen kurz angesprochen werden. Es trifft dies zu für das südwestliche Thüringen mit den ON-Befunden in den Altkreisen Hildburghausen, Meinin- gen, und Schmalkalden. Der in diesem Gebiet umsichtig gedruckte und archivalische Quellen aus- wertende Flurnamenforscher Achim Fuchs hat für den Kreis Hildburghausen ein echtes Hybridtoponym in dem ON Brattendorf35, 1332/40 Bratendorf (zum slawischen Kurznamen Brat(o), von einem Vollnamen wie Bratomił, mit deut- scher Genitivbildung auf -en) und mehrere ON mit der Angabe -winden ermit- telt: †Elmutwinden, 1332/40 daz dorf zu Elmetwinden; Herbartswind, 1488/89 Herbertswind; Oberwind (höher gelegen als Brattendorf), 1323 tzü Obir winden –––––––— 34 Vgl dazu HENGST 2003: 110. 35 Zwischen Hildburghausen und Schleusingen gelegener Ort. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 73 an velde vnd in dorffe; Poppenwind, 1332/40 zu Boppenwinden; † Windischen- reuth, 1186 villulam que dicitur Windiskin Rugerit. Hinzu kommt noch ein heu- te genitivischer ON, nämlich Wallrabs36, 908 (Königsgut) in loco Walahr- ameswinida (Dob. I Nr. 314), 1332/40 zu dem Walrabans einen hof.37 Im Altkreis Meiningen sind anzuschließen †Affewinden, 1270 ze Affinwinden die wustenunge; †Dietwinden bei Wasungen, 1332/40 tzu Dithinwindin, 1384 Dithin winden, wüst; †Rotwinden, 1303/13 in Rotenwinden unum mansum, 1394 tzü Rotinwinden; †Windshausen, 1304/14 villa Windshuisen (zu ahd. winid ‘Wende’ für ‘Slawe’); dazu noch †Alwinden, 1434 Alwinden, in Gemarkung Kühndorf nordöstlich Meiningen; dazu evtl. †Epperswinde in Gemarkung Christes östlich Wasungen. Und nördlich Meiningen um Schmalkalden finden sich noch als zu beachten †Erzschwinde (in Flur Herges-Auwallenburg), 1185 (Abschrift 15. Jahrhundert) Ezzelingweneden, 1444 in der atziuswinden; †Kummelwende (in Flur Schmalkal- den), 1458 Künemunds winden, 1484 Kumelßyinden; †Siegwinde (in Flur Fam- bach), 1330 in [villa] Sickinwinden, 1352 czů Sickenwinden, 1382 in dem dorffe Sickinwinden; †Windischenrosa (in Flur Wernshausen), 1330 item villam Win- disschinrosa, 1352 daz doreff czů Windischinrosa; †Rummelswinden (in Flur Breitungen), 1137 in Ruphrideswineden, 1142 Ruphrideswinedun, 1183 Ruofri- deswinden. Diese im Zusammenhang mit der Flurnamenforschung durch Achim Fuchs ermittelten zahlreichen Toponyme sind zum größten Teil nur noch als Wüs- tungsnamen bekannt. Als auf Slawen-Ansiedlungen hinweisende ON deutscher Bildung zu beiden Seiten der Werra und im Territorium östlich von Kloster Fulda machen sie eine siedlungshistorische Schlussfolgerung naheliegend: Es handelt sich sehr wahrscheinlich um Slawenansiedlungen aus Karolingischer Zeit. Dafür spricht einmal schon der frühe Beleg 908 in loco Walahrameswinida (heute Wallrabs bei Hildburghausen). Hinzu kommt ein bisher nicht zuorden- barer Beleg aus dem Codex Eberhardi des Klosters Fulda mit 876 Moinwinida (Codex Eberhardi 2, 38r) und später noch 918 Mounwiniden (Codex Eberhardi 2, S. 284). Bis heute gibt es für diese historischen Belege keine gesicherte Veror- tung. Im Altkreis Arnstadt – deutlich weiter östlich der Werra – mit dem ON Branchewinda gibt es auch den ON Nahwinden, 1106 Nabewinden (FISCHER 1956: 48). Zu beachten ist bei dem Lokalisierungsbemühen von Moinwinida

–––––––— 36 Vgl. WINKLER 2007: 162. 37 Für die brieflichen Mitteilungen mit Quellenangaben vom 10. bis 28. Januar 2015 durch Herrn Achim Fuchs in Meiningen sei ihm an dieser Stelle besonders gedankt. 74 Karlheinz Hengst resp. Mounwiniden auch der ON Nabin bei Deggendorf in Bayern, 863 Naba- winida (FISCHER 1956, 48), so dass also diese ON mit -winida als Zweitglied durchaus auf einen Zusammenhang mit dem bayernslawischen Raum verweisen können. Eindeutig ist bei Moinwinida doch das Erstglied, das den Flussnamen Main angibt, vgl. im Codex Eberhardi 3, 257 Moyngowe für den Maingau. Es liegt nahe, an einen Ort zu denken, der als von der Grundherrschaft veranlasste Ansiedlung von Slawen aus dem Maingebiet – so wie bei den Slawen von der Naab – auch hier am ehesten im bayerisch-thüringischen Raum nördlich des Mains zu suchen sein könnte und wie so manche dieser ON auf -winden später aufgegeben wurde.38 Vielleicht gelingt es der Flurnamenforschung in den kom- menden Jahren noch, ein klärendes Indiz zur Lokalisierung in den archivali- schen Quellen zu finden.

7. Zusammenfassung zu den Hybridbildungen

Abschließend können wir Folgendes feststellen: – Hybridbildung ist ein Nominationsprozess, der im Siedlungsgebiet der Slawen in Deutschland seit der Landnahmezeit nachweisbar ist. – Dieser Prozess folgt jeweils einem Motivationsmodell. Bevorzugte Mo- tive bildeten dabei stets Personen mit ihren Namen. Weniger häufig sind geographische Gegebenheiten zum Motiv geworden. Sie sind er- kennbar bei der sprachhistorischen Analyse durch die Weiterverwen- dung von Basen älterer Hydronyme und Toponyme. – Unsere Betrachtung der echten Hybridbildungstypen nach dem heuti- gen Forschungsstand ergab eine Erweiterung im Vergleich zu den bis- her v.a. genannten Typen Arnoltici und Bogumilsdorf. – Neu ist auch, dass erstmals im östlichen Mitteldeutschland slawische Hybridonyme mit aus dem Germanischen entlehnten Basen von Topo- nymen und Hydronymen zusammengestellt werden konnten. – Die slawisch-deutschen Hybridbildungen konnten untergliedert und somit neu nach einigen Subtypen differenziert werden. – Die Vielfalt des sprachlichen Lebens in den slawisch-deutschen Kon- taktzonen des Mittelalters war Quelle ganz unterschiedlicher Erschei-

–––––––— 38 Vgl. einen Lösungsversuch zur Lokalisierung von Moinwinida bei HENGST 2015. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 75

nungsformen bei der Verwendung entlehnter und eigener Sprachmittel zur Bildung neuer Toponyme.

8. Sind die Hybridbildungen ein Beweis für Zweisprachigkeit?

Die Frage nach der eingangs zum Symposium gestellten Frage nach der Zwei- sprachigkeit von Regionen bzw. zur Beweiskraft der Hybridbildungen hinsicht- lich einer im Mittelalter bei der slawischen und deutschen Bevölkerung vorhan- denen Zweisprachigkeit östlich der Elbe-Saale-Linie ist nicht mit einem einfa- chen ja oder nein zu beantworten. Die Antwort ist vielmehr nur in gewisser Staffelung möglich. Fest steht, dass vom 10. bis 12./13. Jahrhundert und z.T. auch noch im 14. Jahrhundert in dem zunächst vorher nur slawisch besiedelten Gebiet dann zwei Sprachen verbreitet in Gebrauch waren. Zu den slawischen Idiomen der eingesessenen Bevölkerung traten ab dem 10. Jahrhundert deut- sche Sprechergruppen hinzu. So kam es zu einem Nebeneinander von zwei ganz unterschiedlichen Sprachen auf einem flächenmäßig großen Territorium. Das Zusammenleben und Zusammenwirken erforderte auch eine interethni- sche Kommunikation. Christliches Missionswerk, Verwaltung und auch militä- rische Kooperation in dem ab dem 10. Jahrhundert unter deutscher Oberherr- schaft stehenden Gebiet führten zwingend zu einer Aneignung der Sprache der slawischen Bevölkerungsmehrheit. Und eine solche bestand zunächst vom 10. Jahrhundert an. Diese Situation änderte sich erst mit dem forcierten deutschen Landesausbau vor allem im 12./13. Jahrhundert durch den Zustrom deutscher Siedler. Die Gegebenheiten zwangen vom 10. Jahrhundert an zu einer gewissen Zweisprachigkeit. Sie lässt sich als sozial differenzierte Zweisprachigkeit be- schreiben. Unabdingbar war für die das Missionswerk leitende Geistlichkeit der Erwerb von slawischer Sprachkompetenz.39 Sprachhistorische Studien haben erwiesen, dass von den Geistlichen die für die Christianisierung unabdingbar nötige lingua Slavica missionarica angeeignet bzw. gebraucht wurde.40 In der Rückschau ist nicht mehr mit Sicherheit eine Aussage dazu möglich, ob über die Bischofssitze hinaus auch in den Urpfarreien und Kirchensprengeln mit über- wiegend slawischen Bewohnern entsprechend sprachkundige Geistliche tätig waren.

–––––––— 39 Vgl. zur Sprachkompetenz beim Missionswerk am Beispiel von Ostthüringen dazu ausführlich HENGST 1990: 238–256. 40 Vgl dazu mit weiterer Literatur HENGST 2000: 113–131. 76 Karlheinz Hengst

In den regionalen Kanzleien sind auf jeden Fall recht gut ausgebildete Geist- liche auch als Notare tätig gewesen. Die beobachtbare Systemhaftigkeit bei der Niederschrift von genuin slawischen Eigennamen und die Konsequenz in den Phonem-Graphem-Relationen bei aus dem Slawischen ins Deutsche übernom- menen Nomina propria und ihrer Transposition in lateinischen und später auch deutschen Text spricht für eine erprobte Zweisprachigkeit der Notare. Zu Dol- metschleistungen befähigte Personen sind selbstverständlich zwangsläufig eben- so anzunehmen.41 Auch seitens der Angehörigen der slawischen Führungsschicht ist mit einer vom Leben aufgezwungenen mehr oder weniger stark ausgeprägten Zweispra- chigkeit zu rechnen. Im Übrigen ist aber bei der Masse der Bevölkerung nur ei- ne begrenzte bis bescheidene und den täglichen Kommunikationssituationen einigermaßen dienende Kenntnis von der Sprache des jeweiligen anderen Eth- nos wahrscheinlich. Das gilt für Händler, Handwerker, herrschaftliches Gefolge und die gesamte bäuerliche Bevölkerung. In gemischt bewohnten Orten sowie auch benachbarten Ortschaften wird es durch Eheschließungen und im Sprach- kontakt aufwachsende Kinder durchaus auch zu einer gewissen Zweisprachig- keit gekommen sein. Von einer generellen flächendeckenden Zweisprachigkeit kann und darf aber für den oben genannten Zeitraum keinesfalls ausgegangen werden. Die onymischen Hybridbildungen liefern dafür keine Beweise. Sie do- kumentieren nur, dass jeweils Eigennamen aus der Sprache „der Anderen“ übernommen, verwendet und sogar zur Bildung neuer Namen in der jeweils ei- genen Sprache genutzt wurden. Das Neue und Fremde – seien es Personen oder Ansiedlungen – wurde also ohne Vorbehalte akzeptiert. Diesen Schluss lassen die Hybridbildungen zusätzlich zu dem gesamten Lehnwort- und Lehnnamen- gut eindeutig zu. Neugründungen von Ansiedlungen wurden jeweils von den Bewohnern in der näheren Umgebung benannt. Dazu verwendeten sie jeweils ihr ihnen geläufiges Sprachmaterial. An der sprachlichen Struktur ist letztlich erkennbar, ob Slawen oder Deutsche einen Ort benannten, aber auch, ob ein slawischer oder ein deutscher Lokator oder Ortsgründer dabei Beachtung fand und dessen Name im neuen ON verankert wurde.

–––––––— 41 Vgl. SCHNEIDER 2012 passim auch zu slawischen Sprachen. Typen slawischer und deutscher Hybridbildungen in der Toponymie 77

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Walter Wenzel Mischnamen in der Lausitz

Mit zwei Karten*

Der Terminus „Mischname“ bezieht sich bekanntlich auf solche Eigennamen im deutsch-slawischen Sprachkontaktgebiet, die aus zwei Elementen sprachlich un- terschiedlicher Herkunft bestehen. Solche hybriden Bildungen aus der Lausitz sollen nachfolgend anhand von Orts- und Personennamen genauer untersucht werden.

A. Hybride Ortsnamen Gewöhnlich unterscheidet man im altsorbischen Sprachraum und darüber hin- aus bei den hybriden ON (= Ortsnamen) zwei Typen. A: Slawischer Personen- name + deutsches Grundwort (Bogumilsdorf ʻDorf des Bogumiłʼ). B: Deutscher Personenname + slawisches Ortsnamensuffix (Arnoltici ʻLeute des Arnoltʼ).1 Wie Hans Walther in seinem Aufsatz „Zur Typologie der sogenannten „Mischnamen“ (sogenannten Hybride)“ nachweisen konnte und wie aus unse- ren eigenen Untersuchungen zu den ON der Lausitz hervorgeht, ist die Zahl der hybriden Typen mit ihren Subtypen bedeutend größer als die eingangs genann- ten zwei Bildungsmuster, die allerdings mit ihren Vertretern in quantitativer Hinsicht weit an der Spitze stehen. In dem genannten Aufsatz formuliert Hans Walther unter Berücksichtigung der relevanten sprachinternen und sprachex- ternen Faktoren die theoretischen Grundlagen für die richtige Einordnung die- ser Namenart in das Sprach- und Namensystem auf dem Hintergrund der ge- sellschaftlichen Entwicklung. Hybridbildungen sind danach generell nur in funktional zweigliedrigen Namenlexemen möglich, es ist also von einer zwei- gliedrigen Namenstruktur auszugehen, von einem Stammmorphem und einem Klassifikationsmorphem in Gestalt eines Kompositions- oder Derivationsmor- phems. Daraus ergibt sich, dass Namensimplizia nur als Ganzes entlehnt oder übersetzt werden können. Zweigliedrige Namenlexeme können dagegen im Zu- ge der Namenintegration in die Zielsprache teilweise entlehnt und teilweise er- –––––––— * Die Reinzeichnung der Karten besorgte dankenswerter Weise Andreas HÄFFNER. 1 Die bis 2004 erschienene Literatur zu slawisch-deutschen MischN (= Mischnamen) ist lückenlos aufgelistet im „Atlas altsorbischer Ortsnamentypen“. Siehe EICHLER 2004: 209–212. 84 Walter Wenzel setzt bzw. übersetzt werden. Ohne auf alle Details in den theoretischen Überle- gungen von Hans Walther einzugehen, bleibt als wesentliches Ergebnis festzu- halten, „daß im ostdt. Sprachgebiet ohne weiteres nahezu jedes dt. Klassifikati- onsmorphem, also jedes Zweitglied in Ortsnamenkomposita, durch ein im Westslawischen dominierendes toponymisches Derivationsmorphem bzw. auch Kompositionsmorphem ersetzt werden konnte, also etwa -dorf, -hain, -au, -berg mit einem slaw. -c, -n-, -ov-, -k- u. a. Suffix austauschbar wurden, und zwar in beiderlei Richtung“ (WALTHER 1978: 45). Wie wichtig diese Feststellung ist, werden wir bei der Untersuchung des toponymischen Sprachkontaktes in der Lausitz noch sehen. In seiner Typologie der im Deutschen auftretenden Hybridbildungen unter- scheidet Hans Walther A. Primäre Hybride und B. Sekundäre Hybride, zu de- nen als dritte Gruppe oder Untergruppe von B noch Schein- oder Pseudo- hybride hinzukommen. Beide Gruppen werden in mehrere Typen untergliedert, die die ganze Vielfalt der zahlreichen Hybridbildungen bei ON im deutsch- westslawischen Sprachkontaktraum erfassen. Außerhalb der Betrachtung blei- ben hybride PN (= Personennamen), denen auf der Grundlage sorbischen Ma- terials der zweite Hauptteil unserer Untersuchung gewidmet ist. Weiter nachzu- gehen wäre Flurnamenhybriden, soweit sie in mehreren gedruckten und unge- druckten Dissertationen und weiteren Arbeiten mit untersucht wurden. Ähnli- ches gilt für die hybriden Gewässernamen, auch für solche, die in ON verbaut sind. Sprachliche Mischbildungen bei den Lausitzer ON untersuchten in ihren Monographien zu den Ober- und Niederlausitzer ON bereits E. Eichler, H. Walther und S. Körner.2 Auf diesen Arbeiten fußen die populärwissenschaft- lichen Darstellungen von W. Wenzel, die einige der Hybridbildungen durch his- torische Belege ergänzen und präzisieren, in Registern zusammenfassen und durch zwei mehrfarbige Karten illustrieren, was ihre siedlungsgeschichtliche Auswertung beträchtlich erleichtert.3 Dem besseren Verständnis dienten dabei die inzwischen weiträumig und durch Auswertung zahlreicher historischer Quellen untersuchten sorbischen PN, von denen viele kartiert wurden.4 In unserer Darstellung, in der wir mit der Niederlausitz beginnen, um dann die Oberlausitz folgen zu lassen, beschränken wir uns im Rahmen dieses Beitra-

–––––––— 2 EICHLER/WALTHER 1978: 99–100; KÖRNER 1993: 62–64. 3 WENZEL 2006: passim; WENZEL 2008: passim. 4 WENZEL 1987/1994: passim; WENZEL 2004: passim; WENZEL 2013: passim; WENZEL 2015: passim. Mischnamen in der Lausitz 85 ges nach einem Überblick auf grundsätzliche Fragen und einige ausgewählte problematische Fälle sowie kurze siedlungsgeschichtliche Betrachtungen. In der Niederlausitz wurden insgesamt 65 Mischnamen ermittelt, von denen allerdings 9 unsicher sind und in der betreffenden Liste mit einem Fragezeichen versehen wurden (WENZEL 2006: 167). Die meisten Hybridbildungen gehören zum Typ 1a mit dem „Leitnamen“ Bogumilsdorf, also slawischer PN mit deut- schem Grundwort. Die Namen dieses Typs lassen sich nach dem verwendeten PN in 6 Subtypen untergliedern, wobei die Häufigkeit dieser Bildungsart durch eine Ziffer in Klammern angegeben und durch jeweils ein Beispiel illustriert wird: 1. Vollname + -dorf (5), Bomsdorf ʻDorf des Bogomił oder Bogumiłʼ. Der betref- fende PN ist ganz in der Nähe, in Fürstenberg, 1397 als Bogemel überliefert, beide Namen hält der „Niedersorbische Zunamenatlas“ auf Karte 1 fest.5 2. Kurzform aus slaw. VollN + -dorf (24), Bornsdorf ʻDorf des Boranʼ. 3. Partizipialname + -dorf (1), Radensdorf ʻDorf des Radowanʼ, nicht ganz sicher. 4. Übername + -dorf (13), Schernsdorf ʻDorf des Černišʼ. 5. Berufsname + -dorf (1), Kohlsdorf ʻDorf des Kowalʼ. 6. sorabisierter christl. Rufname + -dorf oder -walde (3), Mixdorf ʻDorf des Mikušʼ, aus Nikolaus; Jänschwalde ʻAm Walde gelegene Siedlung des Janišʼ, aus Johan- nes.

Als eine gesonderte Gruppe lassen sich jene Namen auf -dorf zusammenfassen, die durch Umgestaltung eines ursprünglich altniedersorbischen ON entstanden, wobei das Bestimmungswort nur noch entfernt an den zugrundeliegenden sla- wischen ON erinnert, dessen Rekonstruktion meist nur mit Hilfe der nieder- sorbischen Form gelingt, weshalb diese mit angeführt wird. Die historische Überlieferung der original niedersorbischen Lautung setzt gewöhnlich erst 1761 mit der Grammatik von J.G. Hauptmann ein. In einigen Fällen konnten von uns aus Kirchenbüchern ältere Belege beigebracht werden, wodurch erst eine relativ sichere Deutung gelang. Wir begnügen uns hier mit einer Aufzählung dieser Fälle, ohne auf ihre Erklärung näher einzugehen, da diese bereits an anderer Stelle erfolgte:6 Mit H. Walther kann man diese ON als „sekundäre Hybride“ be- zeichnen:

–––––––— 5 WENZEL 2015: K. 1. 6 WENZEL 2013: passim, K. 1–4. 86 Walter Wenzel

Cantdorf/Chójany, altnso. *Chojane ʻKiefernwaldbewohnerʼ; Kochsdorf/Kochanojce, altnso. *Kochanowici ʻLeute des Kochanʼ; Laubsdorf/Libanojce, altnso. *Lubanowici ʻLeute des Lubanʼ; Nebendorf/Njabodojce, altnso. *Nebodowici oder *Nebudowici ʻLeu- te des Nebod(a) oder Nebud(a)ʼ, ein apotropäischer Rufname; Nehesdorf/Naźejece, altnso. *Nadějewici ʻLeute des Naděj oder Nadějaʼ; Nexdorf/Něgojce, altnso. *Nikrasin ʻSiedlung des Nikrasaʼ, ein apotropäischer Rufname; Noßdorf/Nosydłojce, altnso. *Nowosedłowici, ursprünlich wohl *Nowosedlici ʻNeusiedlerʼ; Rettchensdorf/Ra- dochlice, altnso. *Radochlici ʻLeute des Radochlaʼ; Straußdorf/Tšuckojce, altnso. *Stručkowici ʻLeute des Stručkʼ.

In vielen Fällen sind uns die zugrundeliegenden PN aus etwas späterer Zeit als Zunamen überliefert, die nicht nur historisch dokumentiert und erklärt, son- dern auch kartiert wurden, so z.B. Kochan, Radochla und zahlreiche weitere. Auf diese Weise gelang es z.B. den MischN Sadersdorf/Sazarjejce/Sadzarzewice, sw. Guben, heute zu Polen, für den E. Eichler und Chr. Zschieschang keine stichhaltige Erklärung fanden, als ʻDorf des Zadorʼ, also als MischN mit dem niedersorbischen Übernamen Zador zu deuten. Wie die betreffende Karte zeigt, findet sich Zador ganz in der Nähe mehrmals als Zuname wieder.7 Fehlgedeutet ist übrigens auch Zilmsdorf/Celimojce/Cielmów, 1455 Czolmersdorf, für das man ʻDorf des Čelimʼ ansetzte (EICHLER/ZSCHIESCHANG 2011: 203f.). Zutreffend ist allein ʻDorf des Sulimirʼ, vergleichbar mit Zöllmersdorf bei Luckau, also ein MischN vom Typ Bogumilsdorf. Zu einem anderen Typ als obige -dorf-Namen gehört Wormlage/Wormlag, 1396 Wurmluge, 1456 Warmelage, ʻSiedlung in der feuchten Wiesenaue, in der es (viele) Würmer, Raupen, Insekten oder Schlangen gibtʼ, aus mhd. wurm, mnd. worm ʻWurm, Made, Raupe, Insekt, Schlangeʼ, und nso ług ʻfeuchte Wie- senaueʼ. Hier entstand ein hybrides Kompositum durch Verbindung eines deut- schen Substantivs als Bestimmungswort mit einem niedersorbischen Substantiv als Grundwort. Etwas anders verhält es sich bei Schenkendöbern/Derbno, 1465 Schenckendobir, wo vor altnso. *dobr < urslaw. *dъbrь, *dъbra ʻSchlucht, Tal (mit Wald bewachsen)ʼ, das deutsche Bestimmungswort Schenken trat, da das Dorf den Herren Schenken von Schenkendorf gehörte. Die sorbische Form, nur 1928 bei A. Muka belegt, wird von ihm als *Dъbrьno rekonstruiert. Aus der Liste mit den 9 als unsicher gekennzeichneten MischN kann als ers- ter Hartmannsdorf/Hartmanojce ausscheiden, dessen sorbische Form nur 1761 und 1843 überliefert ist. Hier dürfte es sich um eine relativ späte Sorabisierung eines deutschen ON handeln. –––––––— 7 WENZEL 2013: 66–67, K. 1. Mischnamen in der Lausitz 87

Zu streichen ist ferner Erpitz/Śerpśow, dessen eingedeutschte Form am bes- ten durch phonematisch-morphematische Umgestaltung bei der Integration ins Deutsche aus altnso. *Terpišow zu erklären ist. Unklar bleibt weiterhin das Be- stimmungswort in Milkersdorf, das im Niedersorbischen nur Górnej heißt, 1543 Villa Mylckersdorf, in demselben Jahr auch Villa gorna. Ein einem *Milker ent- sprechender PN war bisher weder im Deutschen noch im Sorbischen nachweis- bar. Bei Nutzberg/Nuzberg kann man wohl von einem niedersorbischen Über- namen Nuza, der öfters als Zuname historisch belegt ist, ausgehen, wobei es zu einer Umdeutung des Bestimmungswortes im Deutschen kam. Rein- pusch/Rampuś, 1501 Ranesbusch, 1652 Reinpusch, mit einem darin vermuteten slawischen Rufnamen Ran oder Raniš bleibt unsicher, obgleich Raniš in der Lausitz öfters als Zuname vorkommt. Möglicherweise liegt gar *Raniš < *Raniš + jь ʻSiedlung des Ranišʼ zu Grunde, an das später dt. -busch trat. Bei Simmers- dorf/Žymjerojce ist der deutsche Rufname oder Berufsübername Simmer als Be- stimmungswort vorzuziehen (KOHLHEIM/KOHLHEIM 2000: 621), denn bei dem von uns angenommennen *Źimaŕ dürfte es sich um den sorabisierten deutschen PN Simmer handeln, bei dem erstmals 1761 belegten Žymjerojce um die von Sorben gebrauchte Form für den ursprünglich deutschen ON. Bei Stossendorf bleibt weiterhin unsicher, ob das Bestimmungswort als deutscher Übername Stoss, Stoß, oder als altniedersorbische Koseform Stoš zu erklären ist. Stoš be- gegnet in der Lausitz öfters als Zuname. Bei Wadelsdorf ist der deutsche Über- name Wadel als Bestimmungswort unbedingt vorzuziehen. Bei den genannten ON unterblieb eine Kartierung. Auf der beigefügten Karte 1 sind alle als sicher bestimmbaren MischN ver- zeichnet. Als Problem bleibt weiterhin bestehen, ob wir wirklich alle mit einem Strichlein versehenen und als „mit älterer Entsprechung auf -ice oder -ojce“ ge- kennzeichneten Namen als MischN oder als ursprünglich rein sorbische ON einstufen können. Als Problemfall sei Lobendorf / Łoboźice herausgegriffen, 1450 Lobindorf, 1761 Lobożice, ʻDorf des Łobodaʼ, oder genuin altnso. *Łobodici ʻLeute des Łobodaʼ, später als ON in der Akkusativform *Łobodicě und dann Łoboźice ʻSiedlung des Łobodaʼ. Wir haben uns an anderer Stelle nach Beibrin- gen von Vergleichsnamen und des oft belegten und kartierten Zunamens Łobo- da für ursprüngliches *Łobodici entschieden (WENZEL 2013: 65, K. 4).

88 Walter Wenzel

Karte 1

Auf der Karte sind die MischN in den slawischen Neusiedelgebieten der Nieder- lausitz etwas stärker vertreten als im Altsiedelraum, also dort, wo die Archäolo- gen keine materiellen Hinterlassenschaften aus mittel- und spätslawischer Zeit (ca. 800–1200) fanden.8 Nach Aussage der slawischen Bodenfunde erstreckte sich der niedersorbische Altsiedelraum mit einer Breite von ca. 15 km am Süd- ufer der Spree mit einer Ost-West-Ausdehnung von über 50 km von Cottbus bis zur Berste, in die Gegend um Luckau. Lobendorf/Łoboźice liegt noch im Bereich der ältesten Siedlungen, was für einen genuin altniedersorbischen Namen spricht. Um den Altsiedelraum erstreckten sich im 9. und 10 Jahrhundert weite siedlungsleere Räume, so im Norden die Lieberoser Hochfläche, östlich der Spree die Cottbuser Sandplatte, im Süden der Niederlausitzer Landrücken und die Kirchhain-Finsterwalder Heide, im Westen die östlichen Ausläufer des Flä- ming. Hier sind auf unserer Karte 1 die MischN relativ stark vertreten, recht häufig auch ganz im Norden, auf der Friedländer und Beeskower Platte. Vor al- lem in diesen einst unbesiedelten Landstrichen dürften in der Zeit der begin- nenden , um 1200 und danach, deutsche Grundherren nicht nur Deutsche, sondern auch Sorben als Lokatoren eingesetzt und mit der Anlage –––––––— 8 BIERMANN 2000: 47–49, Abb. 9, 10. Mischnamen in der Lausitz 89 von Dörfern mit Hilfe dt. Bauern aus dem Altland und von sorbischen Siedlern aus der näheren und weiteren Umgebung beauftragt haben. Die Orte mit MischN liegen also vorwiegend in siedlungsungünstigen Gegenden, auf weniger ertragreichen Böden.9 In gleicher Weise wie für die Niederlausitz wurden auch die 38 Oberlausitzer MischN historisch dokumentiert, etymologisch erklärt, in einer Liste zusam- mengefasst und auf einer Karte eingetragen. Unter ihnen befanden sich 5 frag- liche Bildungen (WENZEL 2008: 23f., K. 10). Die meisten MischN gehören zum Typ „slawisches Bestimmungswort + deutsches Grundwort -dorf“, wobei 14 von ihnen mit einem PN gebildet sind, einer mit einem Appellativum: 1. Vollname + -dorf (2), Kottmarsdorf ʻDorf des Chotěmirʼ; Paulsdorf, Deutsch-, 1285 Wizlawindorf ʻDorf des Wisławʼ mit gekürztem Vorderglied aus *Witosław. 2. Kurzform aus slaw. Vollnamen + -dorf (5), Quolsdorf/Chwalecy ʻDorf des Chwałʼ. 3. Übername + -dorf (6), Kodersdorf ʻDorf des Kosmaŕʼ. 4. sorabisierter christlicher Rufname + -dorf (2), Jänkendorf/Jeńkecy ʻDorf des Jan- ka oder Jankoʼ, aus Johannes. 5. Slawisches Appellativum + -dorf (1), Niesendorf/Niža Wjes ʻNiedrig, tief gelege- nes Dorfʼ, mit Niža aus *niz-ja, zu oso. niski < *nizъkъ ʻniedrigʼ, nižina ʻNiederungʼ.

MischN auf -ici wurden nur in zwei Fällen gebildet: 1. Sorabisierter christlicher Rufname + -ici (1), Demitz/Zemicy ʻLeute des Dam oder Damaʼ, aus Damian. 2. Sorabisierter dt. Rufname + -ici (1), Hainitz/Hajnicy ʻLeute des Hajnaʼ, aus Hein(e), Heinrich.

MischN auf -owici sind achtmal vertreten: 1. Sorabisierter christlicher Rufname + -owici (4), Jannowitz/Janecy ʻLeute des Janʼ, aus Johannes. 2. Sorabisierter dt. Rufname + -owici (2), Cunnewitz/Konjecy ʻLeute des Kun oder Kunaʼ, aus Kun, Kuonrād, Konrad. 3. Sorb. Übername aus einem entlehnten dt. Appellativum + -owici (1), Mulk- witz/Mulkecy ʻLeute des Mulkaʼ, aus mhd. mnd. mūl ʻMaul, Mundʼ. –––––––— 9 Zu den naturräumlichen Gegebenheiten in der Niederlausitz siehe auch H.-D. Krausch, in: EICHLER 1975: 11–17. 90 Walter Wenzel

MischN auf -ow: Sorabisierter christlicher Rufname + ow (3), Mücka/Mikow ʻʼSiedlung des Mik , aus Mikławš, Nikolaus.

Einige der in der Liste aufgeführten ON verlangen eine Präzisierung, können nur bedingt als MischN bezeichnet werden oder müssen ganz ausscheiden: Blösa/Brězow, 1400 Blesaw, 1684 z Brězowa, 1748 Blöse, auch Briesens genannt, bisher als *Blěźov mit einem Übernamen aus oso. blědy ʻblaß, bleichʼ sowie als MischN *Blezow aus im Deutschen umgelautetem Blesius < Blasius gedeutet. Wohl eher mit H. Schuster-Šewc nach sporadischem r > l-Wandel aus ursprünglichem *Brezow, zu oso. brěza ʻBirkeʼ, zu erklären (SCHUSTER-ŠEWC 2011: 119). Brauna/Brunow, 1225 Brunowe, bisher als MischN *Brunow- ʻSiedlung des Brunʼ gedeutet.10 Es handelt sich bei dem Dorf um eine Gründung des Meißner Bischofs Bruno, und bei -owe wohl eher um mhd. ouwe, owe ʻLand am Wasser, nasse Wiese, (Halb)inselʼ, vergleichbar mit Wittichenau ʻin der Flußaue gelegene Siedlung des Wittiko, Witticho (gemeint ist Wittigo I von Kamenz). Diese mit einem PN ungewöhnliche Bildung auf -owe geschah wohl unter dem Einfluss der zahlreichen deutschen ON auf -au(e) in der näheren und weiteren Umgebung. Das in unserer Liste mit Fragezeichen versehene Cunnewitz/Konjecy dürfte nichts mit altoso. *Końowica ʻSiedlung, wo Pferde gehalten werdenʼ zu tun haben, sondern auf *Kunowici, siehe oben, beruhen. Dreikretscham/Haslow, ist, genau genommen, kein deutsch-altsorbischer, sondern ein deutsch-alttschechischer MischN, denn das Appellativum Kretscham und der PN Kret(z)schmar wurden aus dem Alttschech. entlehnt.11 Gottschdorf, 1384 Gosthissdorff, ließe sich problemlos als ʻDorf des Gostʼ oben unter 2. unterbringen, würde nicht der früheste Beleg 1225 Goztin lauten, was ein altoso. *Gostin ʻSiedlung des Gostaʼ, Kurzform von Gostimir oder ähnliche Vollnamen, voraussetzt. Gottschdorf gehört also zu einem jener Fälle, wo ein genuin altsorbischer ON zu einem MischN umgeformt wurde. Eine interessante Entwicklung zeigt Jerchwitz/Jerchecy, 1373 Erichstorf, 1533 Gyrgisdorff, Erdorff, upf wendisch Gercho, 1546 Girchitz, 1569 Jecherwitz. Bei der Sorabisierung wurde nicht nur das deutsche Bestimmungswort lautlich stark verändert, sondern es traten an die Stelle des deutschen Grundwortes in zeitlicher

–––––––— 10 So zuletzt EICHLER/WALTHER 2001: I, 107. 11 WENZEL 2010: 195–205, K. 1–3. Mischnamen in der Lausitz 91

Aufeinanderfolge gleich drei verschiedene Suffixe, -ow, -ici bzw. -ice und -owici bzw. -owice, das sich schließlich zu - ecy wandelte. Eine Sonderstellung nimmt Michalken/Michałki, 1568 Michalken, 1732 Michalcki, ein. Der Rufname Michałk, der auf dem christlichen Rufnamen Michael beruht und im 16. Jahrhundert in der Nähe mehrmals als Zuname bezeugt ist, wurde in den Plural gesetzt und zum ON erhoben. Rehnsdorf/Rančik, 1420 Reynssdorf, 1623 Renßdorff, 1843 Rančik, ist wohl eher als ein deutsches ʻDorf des Reinʼ und nicht als ein MischN ʻRanišsdorfʼ zu deuten. Unsicher bleibt der MischN Rieschen/Zrěšin, 1365 Greschin, 1800 Srjeschin, ʻSiedlung des Grecha oder Grešaʼ, mit dem PersN aus dem christl. RufN Gregor oder einem weniger wahrscheinlichen slawischen Übernamen Grěch bzw. Grěcha, zu altsorb. *grěch ʻSündeʼ. Bei Taschendorf ist die deutsche Erklärung einem MischN ʻDorf des Tašaʼ unbedingt vorzuziehen. Unsere Deutung von Wawitz/Wawicy, 1368 Wawicz, 1419 Wowitz, als MischN *Wawici ʻLeute des Wawaʼ mit dem PN Wawa aus dem christlichen Rufnamen Laurentius bezweifelt H. Schuster-Šewc und spricht sich für genuin sorb. *Wowicy ʻSiedlung der wowa (der Ahnin)ʼ aus (SCHUSTER-ŠEWC 2009: 112), obgleich im Alttschechischen bereits im 12. Jahrhundert der christliche Rufname als Vaua, später als Váva überliefert ist, auch im Polnischen kommt Waw und Wawa vor. Als MischN kann auch das in der Liste nicht enthaltene Sollschwitz/Sulšecy, ssw. Wittichenau, gelten, 1291 Zhulisdorph, in ähnlicher Form bis 1732, wo dann erstmals Solschwitz erscheint, so dass man von einer ursprünglich sprachlich gemischten Form ausgehen kann, die oben in der Statistik bei den hybriden -dorf- Namen unter 2. und auf der Karte mit berücksichtigt wurde. Fraglich ist, ob Zentendorf, 1390 Cenetindorf, 1416 Czentendorff, als MischN ʻDorf des Sěnotaʼ zu erklären ist oder nicht eher als deutscher ON mit dem Übernamen *Zehnte oder ähnlich. Von zehn bzw. zehnter sind zahlreiche FN abgeleitet (BRECHENMACHER 1960/1963: 849).

Aus der Karte 10 des „Oberlausitzer Ortsnamenbuches“ wurden für die unten angefügte Karte 2 folgende ON nicht mit übernommen: Blösa, Brauna, Rehns- dorf, Taschendorf und Zentendorf. Fast alle diese Namen waren schon damals mit einem Fragezeichen versehen worden. Die in die Karte eingetragenen MischN sind fast über die gesamte Oberlausitz verteilt, liegen aber mehr an den Rändern des durch Bodenwerte über 50 Punkte gekennzeichneten Altsiedel- 92 Walter Wenzel raumes, häufen sich geringfügig im Südosten, während die Heide- und Teich- landschaft an der Kleinen und mittleren Spree frei bleibt. Nicht berücksichtigt wurden in unserer Darstellung der Lausitzer hybriden ON solche Fälle wie Eichow/Dubje, Fehrow/Prjawoz u.a., wo an einen deutschen ON ein slawisches Suffix trat, hier -ow, allerdings erst im 17. Jahrhundert analog zu anderen Namen auf -ow.

Karte 2 Auch in der Oberlausitz stellt sich bei einigen MischN die Frage, ob ursprüng- lich hybride Bildungen vorlagen oder ob nicht ein genuin slawischer ON auf -ici oder -owici erst in deutscher Zeit zu einem MischN umgeformt wurde. Das be- trifft z.B. Quitzdorf/Kwětanecy, 1404 Quittensdorff, 1843 Kwjetanecy, sowie Quolsdorf/Chwalecy, 1390 Quolsdorf, 1843 Khwalecy. Altoso. *Kwětanowici ʻLeute des Kwětanʼ und altoso. *Chwałowici ʻLeute des Chwałʼ sind deshalb ganz unwahrscheinlich, weil beide Dörfer weit außerhalb des altobersorbischen -owici-Areals liegen, wie es sich auf Karte 3 des Oberlausitzer Ortsnamenbuches darstellt (WENZEL 2008: 234, K. 3). Die Gemarkungen beider Orte erreichen Bodenwerte, die 40 Punkte nicht überschreiten. Die patronymischen ON kom- men fast ausschließlich auf Böden mit 50 bis 70 Punkten vor. In beiden Fällen haben wir es also von Haus aus mit slawisch-deutschen MischN zu tun. Mischnamen in der Lausitz 93

In die Untersuchung nicht einbezogen wurden solche ON wie Arns- dorf/Warnołćicy, ö. Weißenberg, 1366 Arnoldisdorf, 1831/45 Warnołćicy, ʻDorf des Arnoldʼ; Attendorf/Oćicy, s. Niesky, 1239 Ottindorf, 1866 Oćicy ʻDorf des Ottoʼ. Hier wie in mehreren weiteren Fällen ist von einem deutschen ON aus- zugehen, der erst später sorabisiert wurde, wobei die sorbische Form meist erst im 19. Jahrhundert überliefert ist.12

B. Hybride Personennamen

Sprachliche Mischbildungen bei PN erfuhren unseres Wissens bislang keine zu- sammenfassende Darstellung, obgleich derartige Namen sehr häufig sind. Grundlage für die nachfolgende Untersuchung bilden die „Studien zu sorbi- schen Personennamen“, die 8.171 verschiedene Namen von 40.511 Personen enthalten, sowie das Buch „Niedersorbische Personennamen aus Kirchenbü- chern des 16. bis 18. Jahrhundert“ mit weiteren 8.456 verschiedenen Namen von 48.463 Personen.13 Wir beschränken uns hier auf die Zunamen, womit Namen gemeint sind, bei denen aus den historischen Quellen nicht genau hervorgeht, ob es sich noch um Beinamen oder schon um unveränderliche, amtliche und erbliche FN handelt. Hybride Bildungen gibt es natürlich auch unter den sorbi- schen Vornamen, so Jurko aus Georg, 1663 Domaschenzoiz Jurko; Hanka aus Anna, 1703 Hancka Heischitz. Die hybriden Bildungen lassen sich unter etymologischen Gesichtspunkten in zwei große Gruppen einteilen, in PN mit einer anthroponymischen Basis aus einem durch das Deutsche vermittelten christlichen Rufnamen und in solche mit einem deutschen Rufnamen, an den jeweils ein slawisches Suffix trat.

1. Anthroponymische Basen aus christlichen Rufnamen

Unter christlichen Rufnamen, manchmal auch als christliche Taufnamen be- zeichnet, sind alttestamentliche Namen (Adam, Jacob u.a.) sowie neutesta- mentliche und Heiligennamen (Johannes, Paulus, Andreas, Elisabeth u.a.) zu verstehen. Etymologisch gesehen sind es meist Namen hebräischer (Jacob), grie- chischer (Andreas) und lateinischer (Paulus) Herkunft.14 Die zur Bildung eines sorbischen Zunamens verwendete anthroponymische Basis fußt meist auf der –––––––— 12 Alle diese Bildungen sind aufgelistet bei EICHLER/WALTHER 1978: 99–100. 13 WENZEL 1987–1994: passim; WENZEL 2004: passim. 14 Zur christlichen Namengebung von der Spätantike bis in die Neuzeit siehe KOHL- HEIM 1996: 1048–1057. 94 Walter Wenzel ersten Silbe eines christlichen Rufnamens, so Ben < Benedictus, manchmal auf einer Mittelsilbe, so Han < Johannes, selten auf einer Endsilbe, so Cenc in nso. Cencyk und Cencyš, wenn man von eingedeutschtem Vincens oder Vinzenz und nicht von Vincentius < lat. vincēns ausgeht. Manchmal diente der ungekürzte christliche Rufname als anthroponymische Basis, so Simon in dem niedersorbi- schen Zunamen Symonik, Martin in obersorbisch Martinaš oder Jacob in dem häufigen sorbischen Zunamen Jakobašk. Die anthroponymischen Basen können also nicht nur einsilbig, sondern auch zweisilbig sein, und sie enden stets auf ei- nen Konsonanten oder einen Sonor. Neben diesen ungekürzten gibt es gekürzte anthroponymische Basen, die lediglich aus einer offenen Silbe bestehen, so ne- ben Han auch Ha, neben Mar und Martin auch Ma. Sie bildeten die Grundlage für Koseformen, auch Hypokoristika genannt, wie z.B. Haš, Mach und Maš. Manchmal gewann man aus einem christlichen Rufnamen mehrere anthropo- nymische Basen, besonders viele aus Nicolaus, sorb. Mikławš, darunter Klaw, Kol, Mik, Nik, Mi und Ni. In den „Studien zu sorbischen Personennamen“ konnten aus 60 christlichen Rufnamen 151 ungekürzte und 9 gekürzte anthro- ponymischen Basen ermittelt werden, von denen mit Hilfe fast der gleichen Suf- fixe wie bei den genuin slawischen Rufnamen 759 sorbische PN abgeleitet wur- den, wobei einige bisher unbekannte Suffixverbindungen hinzukamen (WENZEL 1987/1994: I, 66). Die drei produktivsten ungekürzten anthroponymischen Ba- sen sind Han, Kub und Jan, bei den gekürzten anthroponymischen Basen sind es Pě bzw. Pje (aus Peter), Ha und Je (aus Johannes). Diese Zahlen würden sich noch erhöhen, bezöge man die in den folgenden Jahren aus Kirchenbüchern und einigen weiteren Quellen exzerpierten Namen in die Auswertung mit ein.15

2. Anthroponymische Basen aus deutschen Rufnamen

Auf ähnliche Weise wie bei den PN aus christlichen Rufnamen bildete sich eine Gruppe sorbischer Anthroponyme heraus, die auf deutschen Rufnamen beru- hen, nur ist der Umfang dieses Teilsystems bedeutend geringer. So wurden in den „Studien…“ nur 33 ungekürzte und 3 gekürzte anthroponymische Basen gezählt, die zur Bildung von 135 verschiedenen Namen dienten. Die produktivs- ten ungekürzten anthroponymischen Basen sind Hajn, Kun und Her, als ge- kürzte Basis verdient nur Ku Erwähnung. Des Öfteren kommt es zu anthroponymischen Homonymien. So können die Zunamen Mach und Maš aus Małomir oder ähnlichen slawischen Vollnamen,

–––––––— 15 WENZEL 2004: passim; MENZEL / WENZEL 2015: passim. Mischnamen in der Lausitz 95 aber auch aus dem christlichen Rufnamen Mattheus bzw. Matthias hervorge- gangen sein. Darüber hinaus gibt es eine Anzahl weiterer hybrider Bildungen, darunter sorbische Zunamen mit deutschen Suffixen, hybride Namenkomposita, latini- sierte Formen, so Jakubel, Hanišman, Kalebartuš, Zubatius, Łobedanus. Auch mit einem sorbischen Suffix versehene deutsche Berufs-, Über- und Örtlich- keitsnamen kommen vereinzelt vor, so Lemankec, Šwarcak, Pfulik. Neben den zahlreichen deutsch-sorbischen MischN seien am Rande noch die sehr seltenen tschechisch-sorbischen Hybride erwähnt. Es handelt sich um die Zunamen Kralak, Kralec, Kralic, Kralik, Krališ, Kralojc und Kralowa, denn dem Zunamen Kral, einem Übernamen, liegt das aus dem Tschechischen entlehnte Appellativum kral zu Grunde, das das genuin sorb. krol ʻKönigʼ fast völlig ver- drängte (WENZEL 2012: passim, K. 1, 2). Im dritten Teil der „Studien…“, dem Namenatlas, sind von den insgesamt 118 Karten nur 5 Karten hybriden Zunamen gewidmet (WENZEL 1987/1994: III, 41f., K. 89–93). Der im Druck befindliche „Niedersorbische Zunamenatlas“ verzeichnet wegen der vom Verlag vorge- gebenen Beschränkung auf 70 Karten keine MischN (WENZEL 2015: passim). Nur in seltenen Fällen kommt es bei hybriden Namen zu Arealbildungen. So zeigen die Zunamen Herak, Heraš, Herik und Heriš, Ableitungen von der Basis Her < Herrmann, auf Karte 89 eine deutliche Anhäufung um Hoyerswerda, Senftenberg sowie im Altkreis Liebenwerda, während sie in der mittleren und östlichen Ober- lausitz, abgesehen von Bautzen und Uhyst, nicht vorkommen. Auf Karte 91 bil- den die aus dt. Bernhard hervorgegangenen Zunamen Benda und Benada ein Areal um Bautzen (WENZEL 1987/1994: III, 41–42, K. 89, 91).

Literatur

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Inge Bily Mischnamen – Hinweis auf Siedlungs- und Sprachkontakt im ehemals altsorbischen Kontaktgebiet

1. Zum Untersuchungsgebiet und seiner sprachhistorischen Entwicklung

1.1. Das Untersuchungsgebiet und seine slawische Besiedlung

Saale und Elbe bilden im Wesentlichen die westliche Begrenzung des ehemals kompakten altsorbischen Sprachgebietes.1 Im Norden schließt das Altsorbische an das Altpolabische,2 im Osten und Südosten an das Polnische und Tschechische an. In den Namen des altsorbischen Siedlungsgebietes mit einer ursprünglichen räumlichen Ausdehnung, die deutlich über den heutigen ober- und nieder- sorbischen Sprachraum hinausging, sind phonologische, morphologische und le- xikalische Merkmale erhalten, die Aussagen für die Zeit des Altsorbischen zu- lassen. Die slawische Besiedlung des überwiegenden Teils des Untersuchungsgebietes erfolgte von Böhmen und Mähren aus, dem Lauf der Elbe folgend.3 Der Verlauf dieses Einwanderungsweges wurde auch durch Forschungen am Namenmaterial4 bestätigt. Auf dem Gebiet der historischen Niederlausitz trafen die über Böhmen einwandernden slawischen Stämme mit „aus dem schlesisch-zentralpolnischen Raum“ kommenden Siedlern zusammen, worauf es „zu einer Überlappung und teilweisen Vermischung beider späturslawischen Dialekttypen“ kam.5 –––––––— 1 Zu den Grenzen des altsorbischen Sprachgebietes vgl. EICHLER 1965a: 13–35, MUCKE 1904 und SCHUSTER-ŠEWC 1977a. – Aus archäologischer Sicht vgl. besonders HERRMANN 1988 und HERRMANN 1986. 2 Vgl. TRAUTMANN 1948/1956, TRAUTMANN 19502, BATHE/FISCHER/SCHLIMPERT 1970, BATHE/FISCHER/SCHLIMPERT 1971; weiterhin eine Karte, die die sorbisch-polabische Sprachgrenze zeigt, in: Die Slawen in Deutschland, Kap. Sprachen und Dialekte, von Ernst EICHLER und Teodolius WITKOWSKI 52, Abb. 14. 3 BRACHMANN 1978, BRACHMANN 1982, EICHLER 1965b, WALTHER 1964, WALTHER 1971, WALTHER 19852/1993, SCHUSTER-ŠEWC 1987. 4 EICHLER 1965b, EICHLER 1976b, EICHLER 1982. 5 Vgl. SCHUSTER-ŠEWC 1998: besonders 45, SCHUSTER-ŠEWC 1988, SCHUSTER-ŠEWC 1997a: vgl. ebenda (80) den Hinweis, „daß sich das sorbische Sprachgebiet […] als ein stark differenziertes Isoglossengebiet erweist. Das betrifft ganz besonders die 98 Inge Bily

Für die Sprache der aus mehreren Stämmen bestehenden slawischen Siedler wird als verallgemeinernder Terminus Altsorbisch verwendet, obwohl für die Zeit der Besiedlung der Gebiete zwischen Saale/Elbe und Bober/Queis eher von alt- sorbischen Dialekten zu sprechen ist.6 In diesem Sinne des Terminus Altsorbisch sind auch die für die Ortsnamen rekonstruierten Grundformen sowie ihre appel- lativischen und anthroponymischen Ableitungsbasen zu verstehen. Die Stellung des Altsorbischen innerhalb des Slawischen, besonders des Westslawischen7, soll hier nicht näher beleuchtet werden. Dies gilt ebenfalls für die Besonderheiten der lautlichen Entwicklung des Altsorbischen anhand von Ortsnamen und im Vergleich zum (Spät-)Urslawischen. Die sorabistische Forschung schlägt für den Zeitraum vom 11.–12. Jahr- hundert als Terminus Altobersorbisch und Altniedersorbisch, vom 13.–16. Jahrhundert Mittelobersorbisch und Mittelniedersorbisch und vom 16. Jahr- hundert bis zur Gegenwart Neuobersorbisch und Neuniedersorbisch vor.8 –––––––— niedersorbischen Dialekte (das Gebiet der alten Lusizer), die westlich von Neiße und Spree alte Kontakteinflüsse der sich hier einst in nordwestlicher Richtung anschlie- ßenden westlechischen (polabischen) Dialekte aufweisen.“ 6 Zur Stellung des Altsorbischen innerhalb des Slawischen, besonders des Westslawi- schen sowie seiner Weiterentwicklung bis hin zur heutigen dialektalen Gliederung des Ober- und Niedersorbischen vgl. besonders SCHUSTER-ŠEWC 1991, SCHUSTER-ŠEWC 1972, SCHUSTER-ŠEWC 1982, SCHUSTER-ŠEWC 1988, SCHUSTER-ŠEWC 1977b, SCHUSTER-ŠEWC 1977c, SCHUSTER-ŠEWC 1958, SCHUSTER-ŠEWC 1978, SCHUSTER-ŠEWC 1986, SCHUSTER-ŠEWC 1998, SCHUSTER-ŠEWC 1997b; weiterhin SCHAARSCHMIDT 1998, Sorbischer Sprachatlas, MICHAŁK 1981–1982/1994: Podział gwar łużickich, vgl. dazu auch die Rezension von Heinz SCHUSTER-ŠEWC in: Lětopis 43 (1996), 96–109, besonders 103–105, SCHUSTER-ŠEWC 1994b: mit einer Zusammenfassung bisher geäußerter Standpunkte, MĚTŠK 1960, TASZYCKI 1928, STIEBER 1934, STIEBER 1956, LEHR-SPŁAWIŃSKI 1949, FURDAL 1961. – Auf der Grundlage umfangreichen Namen- materials vgl. die Arbeiten Ernst Eichlers, besonders EICHLER 1965a, EICHLER 1977b, EICHLER 1981; weiterhin WENZEL 1996: besonders 157ff., vgl. außerdem POPOWSKA- TABORSKA 1965; weiterhin Polskie nazwy własne. Encyklopedia: darin die Aus- führungen von Jerzy DUMA unter der Überschrift Pogranicze zachodnie, 401–425, besonders 415ff. die Abschnitte: Pogranicze polsko-dolnołużyckie; außerdem Pogranicze śląsko-górnołużyckie, śląsko-czeskie i śląsko-niemieckie. 7 Der Terminus westslawisch wird hier eher im geographischen Sinne gebraucht, vgl. SCHUSTER-ŠEWC 1998, besonders 43f. 8 Vgl. SCHUSTER-ŠEWC 1994a: besonders 208 und Rudolf JENČ, Rezension zu EICHLER/WALTHER 1975, in: Lětopis A 25 (1978), 95–103. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 99

Nur vereinzelt zeigen sich im Norden des altsorbischen Sprachgebietes Ein- flüsse des sich nördlich anschließenden Altpolabischen.9

1.2. Altsorbische Namen

Nach phonologischer, namentypologischer und semantisch-lexikalischer Analy- se der Namen und unter Berücksichtigung der Forschungsergebnisse von Sied- lungsgeschichte10 und Archäologie11 können für das altsorbische Untersu- chungsgebiet slawische Orts-, Gewässer- und Landschaftsnamen als Ergebnis der slawischen Besiedlung des Gebietes seit dem 6./7. Jahrhundert, d.h. zum Ende der Völkerwanderungszeit, nachgewiesen werden. Die in den Raum zwi- schen Saale/Elbe und Bober/Queis einwandernden slawischen Stämme12 kamen in ein Gebiet, das nicht völlig von germanischen Stämmen verlassen war. So be- zeichnet Hansjürgen BRACHMANN (1979: besonders 77) „das untere Saale- Mulde-Gebiet […] archäologisch als einen der wenigen Kontakträume germa- nischer und slawischer Besiedlung zwischen Elbe/Saale und Oder“ und geht von einem zeitlichen und räumlichen Zusammentreffen slawischer Siedler und ger- manischer Vorbesiedler aus. Die archäologische Forschung belegt Kontakte zwischen Germanen und Slawen in Liebersee bei Belgern und Dessau-Mosigkau an der Elbe (BRACHMANN 1978, KRÜGER 1967). Joachim Herrmann spricht von „Kontinuität der Siedlungsgefilde (nicht unbedingt der einzelnen Siedlungen) […] im Elbegebiet um Riesa. In Liebersee bei Torgau z.B. konnte ein Gräberfeld ausgegraben werden, in dem an germanische Körperbestattungen sieben slavi- sche Brandbestattungen anschlossen. In eben diesen Gebieten finden sich auch Kontinuitäten in der materiellen Kultur, vor allem in der Keramik.“13 Germa- –––––––— 9 WAUER 1963, BATHE/FISCHER/SCHLIMPERT 1970, BATHE/FISCHER/SCHLIMPERT 1971. 10 WALTHER 1960/1993, WALTHER 1962/1993, WALTHER 1967/1993, WALTHER 1971, WALTHER 19852/1993, WALTHER 1987, WALTHER 1989, WALTHER 1997b, Geschichte der Sorben, STRZELCZYK 1980. 11 Vgl. GRIMM 1960, BRACHMANN 1968, BRACHMANN 1978: 167f., HERRMANN 1981 und GRINGMUTH-DALLMER 1988: hier auch Anm. 14. – L. HERKLOTZ (1988: 310) betont, dass der „Eythraer Brunnenfund […] zweifelsohne mit zum frühesten slawischen Fundniederschlag auf sächsischem Boden“ gehört und „für seine Datierung das ausgehende 6. und das 7. Jahrhundert in Anspruch genommen werden“ kann, „wobei man den Jahrzehnten um 600 den Vorzug geben möchte.“ 12 Zu den Stammesnamen vgl. EICHLER 1966/1985. 13 Vgl. HERRMANN 1988: besonders 189, wo u.a. verwiesen wird auf: VOSS 1986, vgl. auch HERRMANN 1968, KROITZSCH 1981, KROITZSCH 1988. 100 Inge Bily nisch-slawische Kontinuität konnte auch die „Ausgrabung eines frühslawischen Kastenbrunnens […], der enge Verbindungen zu spätgermanischen Brunnen gleichen Konstruktionstyps erkennen läßt“ bei „Untersuchungen in den Gemar- kungen Eythra und Bösdorf“ belegen (VOGT 1989: 11, HERKLOTZ/STUCHLY 1987). Für das 6./7. Jahrhundert kann demnach eine germano-slawische Sprachkontaktsituation angenommen werden. Im 7. Jahrhundert reichte das Siedlungsgebiet der Germanen im Osten nur noch bis zur unteren Saale (BRACHMANN 1978: 167f., 87, SCHMIDT 1992), was auch durch die Verbreitung von Ortsnamen bestätigt wird, denn stellt man unter den frühesten Orts- nennungen des Mittelelbegebietes, d.h. des nordwestlichen Teils des alt- sorbischen Sprachraumes, die Verbreitung von Slavica und Nicht-Slavica gegen- über, so sind letztere, bis auf wenige Ausnahmen, fast ausschließlich auf die Alt- siedelgebiete im westlichen Teil des Mittelelbegebietes begrenzt.14 Es wird davon ausgegangen, dass in der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts die Saale im Großen und Ganzen zur Grenze zwischen Sorben und den westlich von ihnen siedelnden Sachsen, Thüringern und Franken wurde.15

2. Hinweise auf Siedlungs- und Sprachkontakt im ehemals altsorbischen Kon- taktgebiet

Neben den Forschungsergebnissen aus Archäologie und Geschichte gelten Na- men, darunter Ortsnamen (Siedlungsnamen), als wichtige Nachweise für Sprachkontakt. Die sprachliche Analyse möglichst früh einsetzender und konti- nuierlicher Namenüberlieferung in den historischen Quellen kann slawisch- deutschen Sprachkontakt und auch Namenkontinuität erhellen. Slawisch-deutscher Sprach- und Namenkontakt ist im appellativischen und onymischen Bereich (SPERBER 1997, HENGST 1973) u.a. an Entlehnungen ables- bar. Auf der phonologischen Ebene zeigt sich der Kontakt an slawisch- deutschem Lautersatz, auf der strukturellen Ebene an der Eindeutschung slawi- scher Namenkomponenten und Suffixe (EICHLER 1983, EICHLER 1977a, EICH- LER 1988, EICHLER 1976a, HENGST 1980, HENGST 1976, HENGST 1998b, ŠRÁMEK 1990, KORTH [SASS] 1976, SASS 1990, SCHULTHEIS 1968, SCHULTHEIS 1980, WALTHER 1980a, SCHLIMPERT/WAUER 1980, ŠRÁMEK 1995). In unseren Aus- führungen wenden wir uns ausschließlich der strukturellen Adaption slawischer

–––––––— 14 Vgl. BILY 1997 und ebenda die Karte S. 85. 15 Vgl. GRIMM 1958: 51; weiterhin: Die Slawen in Deutschland: Abb. 102, S. 213: Fränkische und slawische Burgen im 8./9. Jh. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 101

Namen ans Deutsche zu. Erscheinungen des slawisch-deutschen Sprach- kontaktes16 auf der phonologischen Ebene werden nicht betrachtet. Nachfolgend sollen anhand von Ortsnamen des ehemals altsorbischen Kon- taktgebietes einige Erscheinungsformen des deutsch-slawischen Sprachkon- taktes vorgestellt werden.

2.1. Nebeneinander von Siedlungen

Aus sogen. – eventuell ethnischen – Doppelsiedlungen mit gleichem Namen und einer späteren Differenzierung durch unterscheidende Bestimmungswörter kann auf Sprach- und Namenkontakt geschlossen werden. Das Mittelelbegebiet kennt eine Reihe von Beispielen hierfür, z.B.: – Großmöhlau/Kleinmöhlau: 1200 de utroque Mulaw, ab 1547/49 mit un- terscheidendem Bestimmungswort für Kleinmöhlau: 1547/49 Lutke Mohle (BILY 1996: 268f.) oder – Cattau (im 13. Jh. Großcattau)/†Kleincattau: 973 Koteuui, 1145 Catouua ii, 1159 de duabus villis Cathua, 1205 Catowe maior, Catowe minor (BILY 1996: 209). Klein- steht „überwiegend für den ehedem von Slawen besiedelten Ort“ (NAUMANN 1986: 177).

2.2. Parallele Namengebung mit zeitweiliger Mehrnamigkeit von Siedlungen

Ein selten belegter Fall begegnet in der Überlieferung von 1285 (Pawilstorf, que olim Wizlawindorf vocabatur) des ON Deutsch-Paulsdorf (sw. Görlitz, oso. Němske Pawlecy; vgl. weitere Belege: 1377 Paulstorff, 1406 Pawilsdorf), denn hier wird der Beweis für ein zumindest zeitweiliges Nebeneinander einer deut- schen und einer slawischen anthroponymischen Ableitungsbasis eines Orts- namens geliefert, d.h. es liegt parallele Namengebung mit zeitweiliger Mehrna- migkeit vor (EICHLER/WALTHER 1975: 222, Hist. ONB Sachsen 2: 157f.).

–––––––— 16 Die Literatur zu dieser Thematik ist so umfangreich, dass an dieser Stelle lediglich eine kleine Auswahl an Untersuchungen genannt werden kann: EICHLER 1965a, HENGST 1996, HENGST 1998a, HENGST 1986, HENGST 1987, HENGST 1981, HENGST 1997, HENGST 1967, HENGST 1988. Es sei außerdem auf das Literaturverzeichnis im Atlas, H. 5, 2004: 107–182 verwiesen. 102 Inge Bily

2.3. Umbenennungen mit zeitweiliger Mehrnamigkeit von Siedlungen

Umbenennungen17 mit zumindest kurzzeitiger Mehrnamigkeit sind u.a. in den folgenden Beispielen belegt: – †Zitow/Wohlsdorf, w. Köthen: 989 (F. von 1482) villa Zitowe/986 de Walestorpe (BILY 1996: 408, 394), – †Niprodewitz/†Hohndorf IV, s. Trossin, sw. Dommitzsch: 1219 villa olim Niprodewiz […] nunc Hagendorph dicta (BILY 1996: 284, 197), – Lochau I/Annaburg, n. Torgau: 1589 das Hauß zur Lochow, so itzt An- neburg genannt (BILY 1996: 252, 113), – Liesnitz/Kropstädt, nw. Zahna: 1598 Kroppstett oder Liesen, wie es von alters her geheißen (BILY 1996: 284), – †Frankendorf, ö. Wettin: 1184 Frankendorp que et Liubanuwiz, 1288 Vrankendorp, 1485 Franckendorffmarcke (RICHTER 1962: 85).

Die in den historischen Belegen der Ortsnamen dokumentierte Umbenennung wird als Folge einer Besetzung mit deutschen Siedlern interpretiert.

2.4. Übersetzung

Ebenfalls auf slawisch-deutsche Kontakte kann aus der Entwicklung der Belege des ON Naundorf I, nö. Dessau: (1159 Nuzedele et Nimiz) geschlossen werden. Nach 1159 wurden Nauzedele und Nimiz zusammengelegt, wobei die deutsche Übersetzung des Namens Nauzedele (‘neue Siedlung’) als neuer Name diente, vgl. später: 1339 Nyendorp, 1359 Nygendorp (BILY 1996: 276). Zu vergleichen sind weiterhin die ON Großenhain und Altkirchen: – Großenhain, nö. Riesa: Bei Großenhain handelt es sich um die deutschen Übersetzungen eines ursprünglich slawischen (altsorbischen) Ortsna- mens. Die älteste Überlieferung 1205 Ozzec weist auf eine aso. Grf. *Osěk, zu aso. *osěk ‘Verhau’, demnach ‘Platz, der durch einen Verhau geschützt ist’. Seit Anfang des 13. Jahrhunderts begegnet die deutsche Übersetzung Hagen, Hain (1224 Berwardus plebanus de Hagen), und 1663ff. erscheint der Zusatz groß (1663 Großen Hain) zur Unterscheidung von den vielen anderen Hain-Orten (EICHLER/WALTHER 1966: 105, Hist. ONB Sachsen 1: 362–363, Eichler Slaw. ON 3: 44). –––––––— 17 Zu weiteren Beispielen vgl. EICHLER/WALTHER 1986. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 103

– Altkirchen, sw. Altenburg: 1140 antiqua ecclesia que lingua rustica Alden- kirkin, lingua vero patria Ztarecoztol vocatur, 1192 ecclesia in Alden- kirchen. „Der 1140 erstbezeugte Name bezieht sich auf die vom Bischof Gunther von Naumburg (1079–1090) errichtete älteste Kirche des Pleißengaues. 1140 wurden die hölzernen Vorgängerbauten durch eine steinerne Kir- che ersetzt (Bischof Udo v. Naumburg). Der Beleg bezeugt die Zwei- sprachigkeit der Bewohner: Die eingesiedelten dt. Bauern (rustici) nen- nen den Kirchort zur alten Kirchen, die aso. Landesbewohner in ihrer Sprache Ztare coztol in der gleichen Bedeutung. Coztol (< lat. castellum) ist ein Lehnwort im Aso., das den Wehrkirchencharakter der frühen Kirchen im Lande anzeigt. (griech.-lat.) ecclesia = ‘Kirche’, parrochia = ‘Pfarrei’).“ (Hist. ONB Sachsen 1: 17).

2.5. Benennungsparallelismus Im altsorbischen Gebiet finden sich zahlreiche Beispiele für „Benennungs- parallelismus bei der Eindeutschung“ (WALTHER 1997a), wie u.a.: – die Kemnitz-Namen mit aso. *kameń ‘Stein’ als Ableitungsbasis und entsprechende deutsche Namen wie Stein, Steina, Steinbach, -berg (Hist. ONB Sachsen 1: 141–142, 479 und 2: 455–457) und – Staudtnitz, nw. Grimma: 1186 Stvdiniz, aso. Grf. *Studenica, *Studeńc, *Stud’nica, zu aso. *studen- ‘kalt’, *studeńc ‘Quelle, Brunnen’ / Klinga, ö. Naundorf: 1251 Gerlaus de Clinga, zu mhd. klinge ‘Gebirgsbach, Talschlucht, Bachgrund’, bei dem es „sich um eine Parallele zu dem be- nachbarten slaw. ON Staudtnitz im Sinne von ‘Quelle, Bach, Brunnen’“ handelt (Hist. ONB Sachsen 1, 492: Klinga und 2, 451: Staudtnitz).

2.6. Scheinbare sekundäre semantische Verankerung (SSSV)

Bei der Übernahme altsorbischer Namen ins Deutsche ist gelegentlich „schein- bare sekundäre semantische Verankerung (SSSV)“18, d.h. sekundäre Anglei- chung eines altsorbischen Ortsnamens an Elemente der Superstratsprache, des Deutschen, zu beobachten, vgl. z.B. die folgenden ON:

–––––––— 18 Vgl. dazu ausführlich Karlheinz HENGST, in: CHRISTOPH/EICHLER/HENGST/ŠRÁMEK 1984: 27, 44, 32 sowie HENGST 1978. 104 Inge Bily

– Maxdorf, nw. Köthen: 1166 (PN) Makecherve, 1402 Machstorff, 1563 Magkstorf, Makstorf, aso. Grf. *Makočeŕv-. Die Namenform Maxdorf beruht auf scheinbarer sekundärer semantischer Verankerung (SSSV) mit Anlehnung an den deutschen PN Max und Angleichung an die deutschen genitivischen Ortsnamen mit dem Grundwort -dorf (BILY 1996: 260f., EICHLER Slaw. ON 2: 171), – mehrere ON Saalhausen, so z.B. den ON Saalhausen I, sw. Dresden: 1350 Salesen, 1537 Salhawesen, aso. *Zalěśno. Es handelt sich bei diesen Ortsnamen um sekundäre -hausen-Namen, denn überliefertes -sen wurde als schriftsprachlich -hausen aufgefasst (FLEISCHER 1961: 104, EICHLER Slaw. ON 3: 176), – Dröswein, sw. Zeulenroda: 1378 Droswin, 1545 Droswin, aso. *Drožavin-, zum aso. PN *Drožava (EICHLER Slaw. ON 1: 109) und Roßwein, sö. Döbeln: 1220 Ros(s)ewin, 1428 Russewein, aso. *Rusavin-, zum aso. PN *Rusava (EICHLER/WALTHER 1966: 285, EICHLER Slaw. ON 3: 169). In beiden Namen wurde überliefertes -wīn als schrift- sprachliches -wein angesehen.

2.7. Namenpaare

„Im ehemaligen und heutigen sorbisch-deutschen Kontaktgebiet führten bzw. führen die Siedlungen sowohl einen deutschen als auch einen sorbischen Na- men. Dieser Sachverhalt ist das Zeugnis des jahrhundertelangen Zusammen- lebens von Sorben und Deutschen, vor allem des gemeinsamen Landesausbaus, den auch die Bedeutung der Appellative, die den Ortsnamen zugrunde liegen, widerspiegelt, da sie deutlich auf die Siedlungstätigkeit Bezug nehmen“ (EICH- LER/WALTHER 1978: 107). Als Ergebnis des slawisch-deutschen Sprachkontaktes trifft man noch heute in der Lausitz auf obersorbisch-deutsche bzw. niedersorbisch-deutsche Namen- paare19, die klassifiziert werden als: (1) Lautlich gebundene Namenpaare: Hierzu gehört der größte Teil der ur- sprünglich altsorbischen Ortsnamen, die sich bis heute in eingedeutschter und in ober- bzw. niedersorbischer Lautung erhalten haben. Dabei kann der Grad der phonologischen Integration verschieden sein. dt. Weißenberg / oso. Wóspork /// dt. Reichenbach / nso. Rychbach –––––––— 19 EICHLER/WALTHER 1978: 107–123, KÖRNER 1993: 91–109, EICHLER 1976c. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 105

(2) Semantisch gebundene Namenpaare: Dies sind oft Übersetzungen. dt. Berg / oso. Hora /// dt. Hohenbrück / nso. Wusoki Most Vgl. auch den Gewässernamen: dt. Klosterwasser / oso. Klóšterska woda. (3) Freie Namenpaare. Es gibt keine phonologische und keine semantische Be- ziehung zwischen dem deutschen und dem ober- bzw. niedersorbischen Namen. dt. Hochkirch / oso. Bukecy /// dt. Spremberg / nso. Grodk

2.8. Unterscheidende Zusätze

Unterscheidende Zusätze wie Wendisch-, Windisch- oder Deutsch- weisen eben- falls auf deutsch-slawischen Siedlungs- und Sprachkontakt hin, vgl. auch die Beispiele aus Schlesien/Śląsk, s.u. 4. Resümee. – Wendisch-, Windisch-, -wenden: Windorf (EICHLER/WALTHER 1966: 365; Hist. ONB Sachsen 2: 600–601), Thalwenden (MÜLLER 1958: 84– 85), – Wendisch- / Deutsch-: Deutschenbora: 1197 Boris de Zbor, […], 1282 Fredericus de Bor, 1336 Bor teutunicum, 1378 Duczenbor; Wendischbo- ra: 1334, 1336 Bor slavicum, 1354 Wyndyschin Boyr (EICH- LER/WALTHER 1966: 40, Hist. ONB Sachsen 1: 92–93).

3. Mischnamen (Hybride) im ehemals altsorbischen Kontaktgebiet – Definition und Stand der Erforschung

Von den Kontakten zwischen Slawen und Deutschen und sicher auch von einer zumindest teilweisen Zweisprachigkeit der Bewohner mit fortschreitender deut- scher Besiedlung zeugen nicht zuletzt die slawisch-deutschen bzw. deutsch- slawischen Mischnamen des ehemals altsorbischen Kontaktgebietes. „Mischnamen, auch hybride Namen: [sind] Namen, die die Elemente min- destens zweier Sprachen oder Dialekte miteinander vereinigen.“ (WITKOWSKI 1964: 47). Hans Walther definiert das onymische Hybrid wie folgt: „Es ist ein an das integrierende Sprachsystem adaptiertes strukturiertes onymisches Lexem, das noch phonematische, morphematische und lexematisch-semantische Spuren der Ausgangssprache erkennen läßt.“ (WALTHER 1978/1993: 52). Und weiter heißt es bei Hans Walther an gleicher Stelle und mit Bezug auf Wolfgang SPERBER (1967b: 661): „Die Hinzufügung eines oder der Ersatz eines Fremdmorphems durch ein eigensprachliches Klassifizierungsmorphem verstärkt nicht nur die 106 Inge Bily grammatische Eingliederung eines entlehnten Namens in die Zielsprache, son- dern nimmt ihm auch einen Teil seiner semantischen Fremdheit“. Mit erneutem Bezug auf Wolfgang SPERBER (1967a: 315) fährt Hans Walther fort: „Wir können mit W. Sperber sagen, daß die formale Weiterentwicklung entlehnter Namen die häufigste Ursache der Entstehung sog. „Mischnamen“ ist.“. „Unseres Erachtens wäre es günstiger, hier überhaupt nur von ‘Kontaktbildung’ im engeren sprachli- chen wie auch im weiteren historischen Sinne oder ‘bilingualen Kontamination’ zu sprechen, da ‘Mischung’ nicht ganz den sprachlichen Vorgang trifft; denn die Namenbildung vollzieht sich dabei innerhalb des strukturellen Systems einer Sprache“, stellt Hans WALTHER (1971: 111) fest. Eine zusammenfassende Darstellung der sogenannten Mischnamen, sla- wisch-deutscher (slawischer Personenname [Vollname bzw. Kurzname] + deut- sches Grundwort) wie auch deutsch-slawischer (deutscher Personenname + slawisches ortsnamenbildendes Suffix: Typ Arnoltici) gehört zu den Desiderata der Namenforschung im ehemals altsorbischen Kontaktgebiet. Anzuknüpfen wäre hier vor allem an Vorarbeiten von Horst NAUMANN (1963, 1964, 1986) und Elke SASS (MischN) sowie an die Bearbeitung der slawisch- deutschen Mischnamen (zweigliedriger slawischer Vollname + deutsches Grund- wort: Typ Bogomiłsdorf) im Atlas altsorbischer Ortsnamentypen (Atlas, H. 2, 2003, S. 86–97). Hinzuweisen ist ebenfalls auf die Erfassung der Literatur20 zu den Mischnamen im Atlas, denn ein eigener Teil der Bibliographie zu diesem Atlas (Atlas, H. 5, 2004, S. 183–213) ordnet die deutsche und internationale namen- kundliche Literatur nach Strukturtypen slawischer Ortsnamen und erfasst dabei die Literatur zu weiteren, im Atlas noch nicht behandelten Typen von Misch- namen, so zu den deutsch-slawischen des Strukturtyps Arnoltici (deutscher Per- sonenname + slawisches ortsnamenbildendes Suffix -ici bzw. -ovici) (Atlas, H. 5, 2004, S. 202–203) sowie zu den slawisch-deutschen Mischnamen des Strukturtyps „slawischer Kurzname + deutsches Grundwort“ (Atlas, H. 5, 2004, S. 211–212). Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass slawisch-deutsche bzw. deutsch- slawische Mischnamen (Hybride)21 allgemein als Ausdruck eines Sprach- und Namenkontaktes angesehen werden.

–––––––— 20 Atlas, H. 5, 2004: Typ Arnoltici S. 202–203, Typ Bogomiłsdorf S. 209–211, Typ slawischer Kurzname + deutsches Grundwort S. 211–212. 21 NAUMANN 1964, REISER 1968, SASS 1986, SASS 1993, SASS (MischN), WALTHER 1978/1993, WALTHER 1980b. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 107

3.1. Slawisch-deutsche Mischnamen 3.1.1. Der Strukturtyp Bogomiłsdorf: zweigliedriger slawischer Vollname + deut- sches Grundwort

Ausgangspunkt und Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen sind die Ergebnisse aus der Bearbeitung dieses Strukturtyps im Atlas altsorbischer Orts- namentypen (Atlas, H. 2, 2003, S. 86–97). Ziel dieser Bearbeitung war die Erfas- sung, Auswertung und kartographische Darstellung des Materials. Der Atlas versteht sich sowohl als eigenständiges Ergebnis wie auch als Grundlage für wei- terführende Untersuchungen zur Typologie der Ortsnamen und auch zur Erfor- schung der appellativischen und anthroponymischen Ableitungsbasen, vor al- lem als eine Grundlage für die In-Bezug-Setzung zu westslawischen wie gesamt- slawischen Ergebnissen und entsprechendem Material. Nachfolgend werden Auszüge aus dem Kommentar zur Bearbeitung des Strukturtyps Bogomiłsdorf, vor allem aus der Beschreibung seines Areals vor- gestellt.

3.1.1.1. Der Strukturtyp Bogomiłsdorf – Areal und Kommentar zur Karte

Unter den Ortsnamen des altsorbischen Gebietes, die einen zweigliedrigen sla- wischen Vollnamen enthalten, sind 42 slawisch-deutsche Mischnamen (Typ Bo- gomiłsdorf). Die Kopie der Typkarte 4 aus dem Atlas H. 2 zeigt die Ver- breitung22. Markant ist die Lokalisierung der Orte entlang der Gewässerläufe. An Saale, Elbe und Schwarzer Elster sind die Orte regelrecht „aufgereiht“. Auch die Orte außerhalb dieser „Aufreihung“ liegen fast durchweg an einem Gewäs- ser, vgl. z.B. an der Mündung der Neiße in die Oder (Nr. 26, Nr. 3), im Gebiet zwischen Neiße und Bober (Nr. 22, Nr. 19) und an der Pleiße (Nr. 7, Nr. 29).

Weiterhin treten die folgenden Areale hervor: – entlang der Saale besonders im Abschnitt zwischen Halle und Naumburg, – entlang der Elbe zwischen Riesa und Pirna, – entlang der Schwarzen Elster zwischen Jessen und Elsterwerda, – im Gebiet um Altenburg.

Vereinzelte Nachweise begegnen:

–––––––— 22 Vgl. die entsprechenden Nummern auf Typkarte 4. 108 Inge Bily

– im Mittelelbegebiet (Nr. 4, Nr. 37, Nr. 2), – in Thüringen (Nr. 10, Nr. 40), – in der Niederlausitz (Nr. 35, Nr. 34, Nr. 15), – in der Oberlausitz (Nr. 13, Nr. 41).

3.1.1.2. Der Strukturtyp Bogomiłsdorf im (west-)slawischen Vergleich Die slawisch-deutschen Mischnamen sind im gesamten altpolabischen Sprach- gebiet verbreitet, nur im Südwesten (Altmark) fehlen sie.23 ”Eine deutliche Kon- zentration zeigt sich jedoch im westlichen Vorpommern einschließlich Rügen, im nordwestlichen Mecklenburg und in Holstein.” (FISCHER 1972: 13). Auch hier sind, ebenso wie im ehemals altsorbischen Kontaktgebiet, die Verbindun- gen slawischer Kurz- bzw. Zunamen mit einem deutschen Grundwort weitaus häufiger als die Bildungen mit einem Vollnamen.24 Cornelia WILLICH (1999: 121, 113–122) stellt für das Gebiet der Wismarer Bucht fest: „Bei den Mischna- men des UG handelt es sich ausschließlich um slawisch-deutsche Hybride, die mit einem slawischen (altpolabischen) PN als Bestimmungsglied und einem deutschen Grundwort gebildet wurden.“ Darunter sind auch Bildungen mit zweigliedrigen Vollnamen. Alle Mischnamen Ost- und Südholsteins sind ausschließlich slawisch- deutsche Mischnamen. Es sind keine deutsch-slawischen Mischnamen des Typs Arnoltici belegt.25 Zum gleichen Ergebnis (nur Belege für slawisch-deutsche Mischnamen und kein Nachweis für Bildungen mit slawischen Vollnamen) kommt die Untersuchung des Kreises Lüchow-Dannenberg durch Antje SCHMITZ (1999: 268). Und Reinhard E. FISCHER (1972: 15f.) konnte für das alt-

–––––––— 23 FISCHER 1972: besonders 13. Zu vergleichen sind weiterhin TRAUTMANN 1948/1956, TRAUTMANN 19502, die Bände des Brandenburgischen Namenbuches, WITKOWSKI 1965, WITKOWSKI 1978, SCHMITZ 1981, SCHMITZ 1986, SCHMITZ 1990, SCHMITZ 1999. 24 Vgl. bei FISCHER 1972: 15 den Hinweis, dass „von den 211 slaw. PN in den slaw.-dt. Mischnamen […] 23 Vollnamen [sind] (dazu wurden 35 ON gebildet), 8 unechte Vollnamen (dazu 15 ON) […].“, d.h. 50 slawisch-deutsche Mischnamen mit einem Vollnamen (echte und unechte) als Ableitungsbasis; vgl. zu den slawisch-deutschen Mischnamen in Süd- und Ostholstein: DEBUS/SCHMITZ 1990 und ebenda die Karte S. 73. 25 DEBUS/SCHMITZ 1990 und ebenda die Karte S. 73. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 109 polabische Gebiet „nur vier sichere Fälle dieses Typs ermitteln, die vier Orte lie- gen auf Rügen”. Verschiedenen Substitutionsprozessen in polnisch-deutschen Mischnamen Schlesiens bzw. in Ortsnamen mit dem Zusatz -dorf wenden sich Henryk BOREK (1965) und Franciszek NIECKULA (1965) zu. Spätere Untersuchungen müssen sich noch den beiden Strukturtypen „slawi- scher Kurzname + deutsches Grundwort“ (3.1.2.) sowie den „deutsch-slawi- schen Mischnamen“ (3.2.) zuwenden, auf die wir hier lediglich verweisen kön- nen. Bereits die Untersuchungen zu den Mischnamen des altsorbischen Gebie- tes durch Horst Naumann26 belegen ein deutliches Übergewicht der Verbindun- gen „slawischer Kurzname + deutsches Grundwort“ gegenüber den Verbindun- gen „zweigliedriger slawischer Vollname + deutsches Grundwort“. Einen eigenen Strukturtyp bilden die deutsch-slawischen Mischnamen des Typs Arnoltici (SOA Nr. 370 und 371) sowie der Typ „slawischer Kurzname + deutsches Grundwort“ (3.1.2.), z.B. Lautendorf nnw. Großenhain: 1284 Lubo- tendorf, PN *L’ubota (EICHLER/WALTHER 1966: 159, Hist. ONB Sachsen 1: 567, nicht in den Strukturtypen zum Slawischen Onomastischen Atlas (SOA)).

3.1.2. Der Strukturtyp: slawischer Kurzname + deutsches Grundwort

Beispiel: Lautendorf, nnw. Großenhain: 1284 Lubotendorf, PN *L’ubota (EICH- LER/WALTHER) 1966: 159, Hist. ONB Sachsen 1: 567).

Dieser Typ ist in den Strukturtypen zum Slawischen Onomastischen Atlas (SOA) nicht vertreten; die bisher vorhandene Literatur wird im Atlas, H. 5, 2004, S. 211–212 genannt. Zu vergleichen sind besonders Horst NAUMANN (1964) sowie Elke SASS (MischN).

3.2. Deutsch-slawische Mischnamen Hier handelt es sich um den Typ Arnoltici: deutscher Personenname + slawi- sches ortsnamenbildendes Suffix -ici bzw. -ovici.

Beispiel: Arntitz, w. Lommatzsch: 1296 Arnolticz, PN Arnolt (EICHLER/WALTHER 1966: 15, Hist. ONB Sachsen 1: 24).

–––––––— 26 NAUMANN 1964: besonders 84–89: mit einer Übersicht slawischer Personennamen in Ortsnamen mit deutschem Grundwort sowie sonstiger Mischnamen, vgl. außerdem die Karte 7 (S. 96/97), die auch den Typ slawischer Personenname + -dorf verzeichnet. 110 Inge Bily

Dieser Typ wird in den Strukturtypen zum Slawischen Onomastischen Atlas (SOA) unter Nr. 370 und Nr. 371 genannt. Die bisher vorhandene Literatur fasst der Atlas, H. 5, 2004, S. 202–203 zusammen. Zu vergleichen sind auch hier be- sonders Horst NAUMANN (1964) sowie Elke SASS (MischN).

4. Resümee – Eigennamen bilden eine wichtige Quelle sowohl für die Aufhellung der Ge- schichte der Besiedlung wie auch ethnischer, sprachlicher und sozialer Ver- hältnisse, denn historische Siedlungsprozesse fanden ihren Niederschlag u.a. in historischen Belegen von Namen, so auch in Mischnamen. Die histo- rischen Belege wie auch die Ableitungsbasen und Benennungsmotive der Ortsnamen des altsorbischen Kontaktgebietes enthalten eine Vielzahl von Zeugnissen slawisch-deutscher Kontinuität.27 – „Dem Übertritt einer Sprachgemeinschaft zur Sprache der anderen Sprach- gemeinschaft geht in der Regel eine länger andauernde Phase der Zwei- sprachigkeit voraus, die für die direkte Übernahme sprachlichen Lehngutes besonders günstig ist.“ (MORCINIEC 1989: 327). Siedlungskontakt bringt zwangsläufig Sprachkontakt mit sich, der in „mannigfaltige[n] Formen der Zweisprachigkeit“ (ZIENTARA 1975: 340) zu Tage tritt. Hinweise auf Sied- lungs- und Sprachkontakt in Ortsnamen sind auch aus Untersuchungen zum benachbarten Schlesien/Śląsk belegt, so: (1) das Nebeneinander von Siedlungen (hier polnischer und deutscher), das sich anhand unterscheidender Zusätze wie Polnisch-/Deutsch- oder Alt-/Neu- zeigt, vgl.:  Sagor polonicale und Sagor theutonicale: Wendisch und Deutsch Sagar, Kr. Krosno, heute poln. Nowy Zagór und Stary Zagór (MORCINIEC 1989: 324),  Heinrichsdorf polonicale und Heinrichsdorf maius Kr. Sprotawa: heute poln. Długie / dt. Langenheinersdorf (Nazwy geograficzne Śląska 2: 105, MORCINIEC 1989: 324). (2) Zeitweilige Mehrnamigkeit von Siedlungen Das durch die polnischen Namenforscher gut bearbeitete Schlesien/Śląsk liefert ebenfalls Quellenbelege zu Beginn des 14. Jahrhunderts für zeitweilige Mehrna- migkeit von Siedlungen, vgl.:

–––––––— 27 Aus der umfangreichen Literatur zum slawisch-deutschen Sprachkontakt im alt- sorbischen Gebiet kann hier lediglich eine kleine Auswahl genannt werden, vgl. u.a. EICHLER 1977c, HENGST 1990a, HENGST 1990b, HENGST 1992a, HENGST 1991, HENGST 1992b, SPERBER 1997, WALTHER 1986/1993. Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 111

 Dziadowa Kłoda / dt. Kunzendorf, Wojewodschaft Kalisz: um 1300 Czadowacloda sive Cunczendorf (Nazwy geograficzne Śląska 2: 154, Nazwy miejscowe Polski 2: 477, MORCINIEC 1989: 323),  Ocice / dt. Ottitz, Kr. Racibórz: 1291 in villa que Ottendorf vulgariter nuncupatur, 1298 Ottendorf, 1306 in gola que Ottinis villa [lat.] vulgariter autem Ocyci [poln.] sive Ottyndorf [dt.] appellatur, 1321 Ottindorf, 1416 Oticz, 1687 Otitz (BOREK 1965: 80),  Przylesie / dt. Konradswaldau, Kr. Brzeg: um 1300 Pamrbovitz vel Cun- radswaldt (Nazwy geograficzne Śląska 11: 55–56, MORCINIEC 1989: 323),  Racula / dt. Lawaldau, Kr. Zielona Góra: um 1300 Razula vel Lewen- waldt (Nazwy geograficzne Śląska 11: 89, MORCINIEC 1989: 323),  Stypułów / dt. Herwigsdorf, Kreis Nowa Sól: um 1300 Stiplow vel Her- wigisdorf (Nazwy geograficzne Śląska 13: 107, MORCINIEC 1989: 323). (3) Mischnamen Auch Mischnamen sind für Schlesien/Śląsk belegt:  Baldowinowice / dt. Belmsdorf, Kr. Namysłów: ca. um 1305 Baldwino- witz; um 1353 Balvinivilla und  Baldowinowice / dt. Bälmsdorf, Kr. Ziębice: ca. 1305 Belduinowiczi, bei- de mit einer rekonstruierten Grundform *Baldwinovici (Nazwy geo- graficzne Śląska 1: 21–22, Nazwy miejscowe Polski 1: 63, BOREK 1965: 75, MORCINIEC 1989: 324),  Ludgierzowice / dt. Lückerwitz, Kr. Trzebnica: 1253 Rudigerovici, zum deutschen Personennamen Rudiger, Rüdiger + -ovici-Suffix, mit einer rekonstruierten Grundform *Rudigerovici, mit Ru > Lu durch Dissi- milation r-ř > l-ř; 1274 Ludgerowicz (Nazwy geograficzne Śląska 7: 35, Nazwy miejscowe Polski 6: 229, BOREK 1965: 79, MORCINIEC 1989: 324),  Zebrzydów / dt. Seiferdau, Kr. Świdnica: ca. 1193 Syuridow: zum deut- schen Personennamen Siegfrid + -ov-Suffix (BOREK 1965: 84, MORCINIEC 1989: 324).

Ebenfalls als Indiz für die Anwesenheit deutscher wie auch polnischer Siedler in einem Ort gilt historisch belegte Anwesenheit von zwei Schulzen, eines pol- nischen und eines deutschen, unterstreicht Norbert MORCINIEC (1989: 324) für Schlesien. – Für die Gebiete im nördlichen Polen sind u.a. die Untersuchungen von Ewa Rzetelska-Feleszko und Jerzy Duma (RZETELSKA-FELESZKO/DUMA 1991, RZETELSKA-FELESZKO/DUMA 2010) zu berücksichtigen. 112 Inge Bily

– Dass Eigennamen eine wichtige Quelle für die Aufhellung der Geschichte der Besiedlung bilden, gilt ebenfalls für die im Süden an das ehemals altsorbische Kontaktgebiet anschließenden Gebiete, vgl. die Ortsnamen Uničov und Bruntál und ihre historische Überlieferung (Auswahl) mit dem Nachweis zeitweiliger Mehrnamigkeit: tsch. Uničov, Gebiet Olomouc; zum Namen und zu den historischen Belegen vgl. HOSÁK/ŠRÁMEK 1970–1980, 2: 643–644; Belege (Auswahl): 1220 (Fälschung Anfang 14. Jh.) de Vniczow, 1223 de Vnisov, 1249 Vnichow, 1290 in Noua Ciuitate, 1371 Nouamciuitatem, 1380 civitatis Uniczow, 1391 zur Newenstat, 1407 de Nova Civitate alias Uniczow [= Beleg für zeitweilige Mehrnamigkeit], 1437 der Newnstat Vnyczow, 1924 Uničov, Mährisch Neustadt, jetzt Uničov, tsch. Bruntál, Gebiet Opava; zum Namen und zu den historischen Belegen vgl. HOSÁK/ŠRÁMEK 1970–1980, 1: 116–117; Belege (Auswahl): 1220 de Freudental, 1405 czu Fraydintal, 1456 starosta bruntalsky, 1590 na Bruntali, 1636 von Freudenthal, 1720, 1736, 1805 und 1836 Freudenthal, 1779 do Bruntále; nachfolgend Belege für zeitweilige Mehrnamigkeit: 1870 Freudenthal, Bruntaly, 1885 Freudenthal, Bruntály, 1894 Freudenthal, Bruntál.

Zur Verbindung sprach- und siedlungshistorischer Forschungen bemerkt die tschechische Germanistin Lenka VAŇKOVÁ (2012: 519): „Die Erforschung der mittelalterlichen deutschen Kanzleisprache in Böhmen und Mähren hing am Anfang eng mit der Erforschung der deutschen Besiedlung dieser Gebiete zu- sammen. Auch wenn die Untersuchungen von Ernst Schwarz sowie die unter seiner Betreuung geschriebenen Dissertationen sich in erster Linie auf die syn- chrone dialektale Problematik konzentriert haben, haben sie sich oft auch auf historische, kanzleisprachige Texte gestützt, weil die darin vorkommenden Per- sonen-, Orts- und Flurnamen sich für die Skizzierung der Siedlungsgeschichte als sehr aufschlussreich erwiesen.“ In seinen Untersuchungen über die Anfänge der Stadtverfassung und des Stadtrechts in den böhmischen Ländern bezieht Jiří KEJŘ (1975: 446) auch Orts- namen ein, wobei er sich v.a. auf Ergebnisse aus Untersuchungen von Ernst SCHWARZ (1987: 257) stützen kann. Neben den Arbeiten von Ernst SCHWARZ (1931, 19612) sind hier zu ergänzen: für Böhmen das Ortsnamenbuch von An- tonín PROFOUS (1954/1960), für Mähren und Schlesien das von Ladislav HOSÁK und Rudolf ŠRÁMEK (1970/1980) wie auch die Arbeiten von Vladimír ŠMILAUER (1960, 1969) und Małgorzata IŻYKOWSKA (2008). Auch mit den Orten Mäh- risch-Neustadt und Freudenthal beschäftigt sich Jiří KEJŘ und bemerkt (1975: 446): „Während bei Freudenthal bereits der Ortsname ein Zeugnis für die deutsche Besiedlung darstellt, dürfte bei Mährisch-Neustadt eine frühere Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 113 slavische Siedlung Uničov, deren Name in den ältesten Urkunden erscheint, ei- nen Bezugspunkt für die Gründung abgegeben haben“. – Dass nicht nur die Siedlungsnamen, sondern auch Flurnamen für die Erhel- lung historischer Siedlungsprozesse bedeutsam sind, unterstreicht der slo- wenische Forscher Sergij Vilfan in seiner Untersuchung zur deutschen Kolo- nisation nordöstlich der oberen Adria. „Bei der Gegenüberstellung der slo- wenischen und der deutschen Siedlung einer engeren Gegend, ja sogar eines Dorfes, können die Flurnamen wertvolle Dienste leisten. Blaznik28 hat an mehreren Beispielen gezeigt, daß in früh vollkommen slowenisierten deut- schen Sprachinseln das Vorkommen von Flurnamen deutschen Ursprungs einigermaßen im Verhältnis zur einstigen relativen Stärke der deutschen Siedler steht.“ (VILFAN 1975: 569). Sergij VILFAN (1975: 567) verbindet in seiner Studie zur deutschen Kolonisation nordöstlich der oberen Adria die Siedlungs- und Rechtsgeschichte mit wirtschaftlichen und sozialhistorischen Gegebenheiten und betont, wie schon an anderer Stelle seiner Arbeiten (VIL- FAN 1968), den Wert sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse auch für sied- lungshistorische Untersuchungen: „Bei einer Gegenüberstellung ethnisch bzw. sprachlich verschiedener Siedlerschichten kommt besondere Bedeutung der Linguistik, insbesondere der Dialekt- und Ortsnamenforschung zu [….]“ (VILFAN 1975: 568). – Abschließend sei erneut Hans WALTHER (1978/1993: 51f.) zitiert, der betont: „Die Volkssprache hat die Struktur der Fremdnamen bei längerem Kontakt zweifellos erkannt und morphematisch entsprechend in das eigene Sprach- system bzw. Namensubsystem integriert. […] In vielen Fällen mag längere Zeit eine Art Konkurrenz zwischen der bloß phonematischen Adaptions- form und der phonemisch-morphematischen hybriden Adaptionsform eines Fremdnamens bestanden haben, die schriftliche Überlieferung läßt das zu- weilen erkennen. Freilich können sich solche Vorgänge auch schon vor dem Beginn der schriftlichen Überlieferung abgespielt haben und keinen Reflex in dieser mehr hinterlassen haben. Siedlungsgeschichtliche Schlüsse aus den Hybridformen zu ziehen bedarf größter Zurückhaltung. Falsch wäre es, hin- ter den Mischbildungen ohne weiteres auch Mischdörfer mit etwa gleich- großem dt. und sorb. Bevölkerungsanteil sehen zu wollen. Die Bildungsweise

–––––––— 28 BLAZNIK 1953: mit einer Karte des prozentualen Anteils deutscher Flurnamen auf S. 167. Die Flurnamen werden ebenfalls in anderen Lokalstudien desselben Autors behandelt, vgl. BLAZNIK 1928: 48–49. 114 Inge Bily

einer solchen Hybridform dürfte darüber mehr Aufschluß geben.“ WALTHER (1978/1993: 52) geht davon aus, dass die slawisch-deutschen Mischnamen, d.h. der Typ Bogumiłsdorf, eher von deutscher Bevölkerung vergeben wur- den, der Typ Arnoltici eher auf sorbische Sprecher deutet. Und er unter- streicht weiterhin die Notwendigkeit einer Einbeziehung auch der Flur- und Personennamen einer Gemeinde. – Und Horst NAUMANN (1986: 180) resümiert: „Die Gesamtentwicklung ver- läuft ganz eindeutig in Richtung integrierender Sprache. Diese von Frings für den germanisch-romanischen Kontaktraum differenziert nachgewiesene Tendenz gilt gleichermaßen für das Gebiet, in dem Slawen und Deutsche miteinander lebten und arbeiteten.“ Abkürzungen: aso. Altsorbisch dt. deutsch Grf. Grundform lat. Lateinisch nso. Niedersorbisch ON Ortsname oso. Obersorbisch PN Personenname poln. polnisch

Anhang

Atlas, H. 2, 2003, Typkarte 4: Zweigliedriger slawischer Vollname + deutsches Grundwort (Typ Bogomiłsdorf) Mischnamen im altsorbischen Kontaktgebiet 115

116 Inge Bily

Literatur

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Kristin Loga Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes

1. Der Begriff Mischname im Wissenschaftsdiskurs der Onomastik Der Begriff Mischname scheint auf den ersten Blick nicht problematisch zu sein; es zeigt sich jedoch – lässt man sich auf eine intensivere Auseinandersetzung mit ihm ein –, dass er nicht so einfach zu definieren ist, wie man annehmen möchte. In der Fachliteratur begegnen verschiedene Auffassungen darüber, was unter den Begriff zu rechnen ist und was fern bleiben muss. Meist trifft man auf die Formulierung „sogenannte ‘Mischnamen’“, wobei der Begriff selbst sehr häufig in Anführungszeichen steht. Auch treten andere Bezeichnungen auf, wenn Mischname nicht verwendet werden soll, so unter anderem Mischbildung, Kon- taktname und Kontaktbildung, ferner onymisches Hybrid sowie hybrides Onym.1 Diese alternativen Begriffe konnten sich zwar nicht durchsetzen. Jedoch wurde mit jedem Versuch deutlich, dass man der Besonderheit dieser speziellen Na- men mit einem prägnanten Begriff bzw. einer Phrase habhaft werden und mög- lichst sowohl das Spezifikum ihrer Entstehung als auch ihren, auf die Herkunft bezogen, ungleichen sprachlichen Inhalt benennen wollte. Problematisch ist aber, dass dies nicht in nur einem Begriff erfolgen kann, was die eher umständ- liche Formulierung „sogenannte ‘Mischnamen’“ zeigt. Die folgende Darstellung einzelner wegweisender Publikationen soll die all- gemeine Entwicklung der Auseinandersetzung mit dem Terminus Mischname widerspiegeln. An dieser Stelle kann nur ein Auszug aus der Fachliteratur erfol- gen, Vollständigkeit wird nicht angestrebt. Dass eine Terminologie für den Begriff Mischname noch in den sechziger Jahren nicht notwendig erschien, zeigt Horst Naumanns grundlegender Aufsatz über die Mischnamen auf dem Gebiet Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thürin- gens, in welchem er sich vor allem mit Fragen der „sprachlich sachlichen und [der] räumlichen Gruppenbildung dieser Namentypen“ befasst (NAUMANN 1964: 79), eine Definition des Begriffs jedoch nicht vorstellt.

–––––––— 1 WALTHER 1978, vgl. auch die dort angeführte Literatur. Weiterhin WALTHER 1984: 27; EICHLER: 2004. Weitere Literatur bei WALTHER 2004: 66 (zu Kontaktonomastik) und 69 (zu Mischnamen). 132 Kristin Loga

1971 formulierte Hans Walther, dass das Element „Misch-“/„Mischung“ lin- guistisch nicht treffend sei, da sich „die Namenbildung […] innerhalb des struk- turellen Systems einer Sprache [vollzieht]“ (WALTHER 1971: 111). Deshalb ent- schied er sich in seiner späteren Auseinandersetzung mit dem Terminus für ony- misches Hybrid und teilte die Hybride in primäre – d.h. direkt beim Sprachkon- takt entstehende Namen –, sekundäre – d.h. nach längerem Sprachkontakt an ei- ne Zielsprache angepasste Namen – und Pseudohybride – d.h. Namen, die mit be- reits entlehnten Appellativen oder Namen neue Ortsnamen (ON) bilden – ein. Walther konstatierte abschließend: „So bleibt es bei der etwas dehnbaren Defini- tion des onymischen Hybrids: es ist ein an das integrierende Sprachsystem adap- tiertes strukturiertes onymisches Lexem, das noch phonematische, morphemati- sche und lexematisch-semantische Spuren der Ausgangssprache erkennen läßt“ (WALTHER 1978: 52). Ein Jahrzehnt später wurde im Werk „Grundsystem und Terminologie der slavischen Onomastik“ eine vielleicht grundlegende Definition veröffentlicht. Die Bearbeiter verwandten die Bezeichnung hybrides Onym und definierten wie folgt: „hybrides Onym (Mischname): Name, der Elemente mindestens zweier Sprachen enthält“ (SVOBODA/ŠMILAUER/OLIVOVÁ-NEZBEDOVÁ/OLIVA/WITKOWSKI 1983: 147). Ernst Eichler formulierte nach langer Beschäftigung mit Namen in deutsch- slavischen Kontaktgebieten dies: „Hybride Namenbildungen – d.h. solche, de- ren Elemente verschiedenen Sprachen zuzuordnen sind – werden in der Na- menforschung als ‘Mischnamen’ (MN) bezeichnet. Dieser Terminus wird von manchen angezweifelt und durch ‘hybrider Name’, ‘onymisches Hybrid’, ‘Kon- taktname’ usw. ersetzt. Es handelt sich dabei eher um ein terminologisches Problem.“ (EICHLER 2004: 289). Selten findet sich auch die Aussage, dass es Mischnamen – überspitzt formu- liert – gar nicht geben kann, da Namen immer innerhalb des Sprachsystems (ent-)stehen, in dem sie funktionieren. Hierbei liegt der Punkt natürlich auf dem ungenauen Terminus, nicht auf einer Negation der Mischnamen selbst. So schreibt Berit Sandnes: „In language contact areas, place-names containing ele- ments from two (or more) languages are rather common. Such names have been labelled hybrid. From a formation point of view the term is misleading, as we must assume that most place-names are coined within the framework of a single language. For various reasons they may still contain elements from different languages“ (SANDNES 2014: 78). Allerdings lässt Sandnes hier die Angabe zur Entstehungszeit der Mischnamen offen, weshalb ihre Ansicht zum Thema Mischnamen nicht abschließend klar wird. Dass Namen in einer Sprache ent- stehen und funktionieren, lässt sich schon aus einigen bisher zitierten Arbeiten Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 133 zum Thema herauslesen.2 Auch Gerhard Schlimpert hielt bereits fest: „Während Mischnamen vom Typ Arnoltici slavische Bildungen sind, stellen die Namen vom Typ Milobrat(e)sdorp deutsche Bildungen dar“ (SCHLIMPERT 1990: 92). Hinzu kommt, dass sich das, was unter den Begriff Mischname gefasst wer- den kann, auch mit anderen Termini überschneidet. Dies zeigt die Nähe der se- kundären Hybride – in der Einteilung nach Walther – zu den durch sekundäre semantische Motivierung (SSM) überformten, slavischen ON, die durch den Kontakt ins Deutsche gelangten.3 Auch ist die Nähe zu Lehnübersetzungen, die z. B Karlheinz Hengst ausführlich behandelt hat, gegeben (HENGST 1999: 45). Die Gruppe der Mischnamen kann daher auch sehr groß gefasst werden, weil sich jeder alte Gewässername, jeder alte ON in Sprachkontaktgebieten, der aus indogermanischer bzw. germanischer Zeit stammt und uns heute über das Sla- vische/Romanische/etc. ins Deutsche überkommen ist, in die Gruppe der Mischnamen einordnen ließe. (Von den vielen Familiennamen im Deutschen, die aus anderen Sprachen stammen und bei der Übernahme an das Deutsche angepasst wurden, ganz zu schweigen.) Ernst Eichler fügte in diesem Sinne seiner Behandlung der Typologie der Mischnamen folgendes bei: „In diesem Zusammenhang müssen die sogenann- ten ‘onymischen Hybride’ […] vom Typus dt. Treffling aus *Trebьnika o.ä. mit deutlicher Angleichung an die dt. -ing-Namen und Einfügung des -l- als Glieder historisch lautlicher Namenpaare […] betrachtet werden. Sie sind keine MN, auch nicht die verschiedenen Resultate der sekundären semantischen Motivie- rung vom Typus Mehlmeisel, Zuckelhausen usw. […] wie sie sich vor allem in der Schriftsprache, vereinzelt jedoch auch in der Umgangssprache und in den Mundarten, seit Jahrtausenden entwickelt haben.“ (EICHLER 2004: 305).

Als Fazit kann vorerst festgehalten werden, dass mit dem Terminus Mischname mehrere Ebenen zugleich angesprochen werden sollen: sowohl die sprachlichen Namenbestandteile (und damit im weiteren Sinne die Struktur der Namen) als auch der Zeitpunkt der Namenbildung. Dass das schwierig zu fassen ist, zeigt die terminologische Auseinandersetzung in der Literatur. Da es offenbar schwer ist, sich auf einen neuen Terminus zu einigen, soll an dieser Stelle vorgeschlagen werden, den Begriff Mischname auf die bei Walther beschriebenen primären –––––––— 2 Wenn auch nicht explizit so geäußert, kann man doch den Kern dieses Gedankens aus WALTHER 1971: 111 und SCHLIMPERT 1990: 92 entnehmen. 3 Zu ON-Entlehnungen und deren sprachlicher Überformung gibt es zahlreiche Publikationen; nur eine kleine Auswahl kann hier genannt werden: HENGST: 1978; HENGST: 1993; WALTHER: 1984; EICHLER 2004: 305. 134 Kristin Loga

Hybride einzugrenzen (WALTHER 1978: 52). Die von ihm so bezeichneten se- kundären Hybride und die Pseudohybride sind in den Bereich der sekundären semantischen Motivierung zu verorten und damit von den Mischnamen zu trennen. Die Verwendung des Begriffs Mischname ist daher in der anschließenden Untersuchung der Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes wie folgt zu ver- stehen: 1. Mischnamen bestehen – darüber herrscht Konsens – aus Elementen min- destens zweier Sprachen. 2. Sie sind mehr oder weniger „ad hoc“ im Zusammenspiel des Kontaktes verschiedensprachlicher Siedler entstanden (vgl. WALTHER 1978: 52) und müssen daher 3. getrennt werden von den nach einer längeren Sprachkontaktphase erfolg- ten sekundären semantischen Motivierungen oder anderen sprachlichen Angleichungen von ON. 4. Sie sind alle Bildungen jeweils einer Sprache.

Um zu erkennen, ob ON zur Gruppe der Mischnamen gezählt werden können, müssen ihre ältesten urkundlichen Belege betrachtet werden.

2. Der Untersuchungsraum: das Gebiet des Hersfelder Zehntverzeichnisses

Das Gebiet des Hersfelder Zehntverzeichnisses (HZV) ist nicht administrativ festgesteckt, sondern umfasst den geographischen Bereich der im Verzeichnis genannten Siedlungen. Diese wurden von Kaiser Karl dem Großen an das Klos- ter Hersfeld übereignet und diesem sodann zehntpflichtig. Das Verzeichnis ist uns nur in einer Abschrift aus dem 11. Jahrhundert über- liefert, die jedoch vorbildlich ausgeführt wurde und den Lautstand der Namen des 9. Jahrhunderts zeigt (SCHRÖDER 1897: 3f.; WOLF 1957: 192f.). Es ist eine Zusam- menstellung aus ehemals vier einzelnen Ortslisten (A–D), die zu unterschiedli- chen Zeiten abgefasst wurden: A und C wohl im ersten Drittel, B und D im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts. Die Zusammenstellung erfolgte vermutlich entweder 881–887 oder 896–899.4 Seine Tradierung ist ein glücklicher Zufall, zumal es für

–––––––— 4 Einen guten Überblick über Gestalt, Überlieferung und Geschichte des Verzeich- nisses gibt u.a. LÜCK: 2005. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 135 diesen geographischen Raum Deutschlands ein einmalig frühes Zeugnis für Mischnamen und auch für slavische ON darstellt. Die vier Ortslisten des Verzeichnisses sind von unterschiedlicher Länge; Teil A ist mit 239 Namen der umfangreichste; hieraus entstammen auch alle für diese Bearbeitung relevanten ON. Die in Teil A genannten Orte lagen im Friesenfeld: „Es fällt zusammen mit dem südlichen Hasse- oder Hochseegau, der sich zwi- schen Saale, Unstrut, Helme, Wipper, Böser Sieben, Süßem See, Salzigem See und Salza erstreckt.“ (LÜCK 2005: 14, zitiert nach HESSLER 1957: 79ff.). Die Westgrenze wird im Verzeichnis nicht genannt, sie ist jedoch vermutlich mit dem Verlauf der westlich gelegenen Leine (diese entspringt südlich Horla, fließt zunächst nach Südosten, jedoch nordöstlich Großleinungen weiter nach Südwesten und mündet in Bennungen in die Helme) identisch und wird sich, von der Leinequelle aus, weiter nach Norden, zwischen den Orten Horla und Rotha hindurch, bis hinauf zur Wipper ziehen (GRÖßLER 1873: 278). Teil B verzeichnet die dem Kloster Hers- feld zehntpflichtigen Burgen;5 die Teile C und D nennen Orte, die dem Kloster durch den Kaiser (Karl III. [881–887] oder Arnulf [896–899]) bzw. Herzog Otto (vermutlich der sächsische Herzog Otto der Erlauchte [880–912], Laienabt von Hersfeld [LÜCK 2005: 13]) entzogen wurden. Daher sind streng genommen nur die ON der Teile A und B als Zehntorte anzusehen.6 Das HZV ist für die Geschichte dieses eng umgrenzten Raumes westlich der Saale ein wichtiges Textzeugnis, da viele Orte darin zum ersten Mal überliefert werden. Zwar herrscht in der Zuweisung einiger Namen (noch) nicht end- gültige Klarheit, dennoch eröffnet sich der Blick auf eine schon früh relativ dicht besiedelte Landschaft. Auch wenn hinzuzufügen ist, dass das HZV kein voll- ständiges Abbild der Siedlungslandschaft zu dieser Zeit darstellt, da sich im Ge- biet auch rezente und wüste Siedlungen nachweisen lassen, die nicht im Ver- zeichnis genannt werden, die aber anhand ihrer Struktur auf dieselbe Entste- hungszeit wie jene verweisen (ZSCHIESCHANG 2014: 1771). Grundlage der folgenden Untersuchung ist eine Zusammenstellung der ON des HZV-Gebietes, die von Mitarbeitern einer interdisziplinär ausgerichteten, mittlerweile abgeschlossenen Projektgruppe am GWZO in Leipzig erstellt wur-

–––––––— 5 Eine grundlegende, interdisziplinär (historisch-archäologisch) ausgerichtete Arbeit zu den Burgen des HZV und ihre Bedeutung für die Region liefern ALT- MANN/GRABOLLE 2011. 6 Grundlegende Arbeiten zu den Namen des HZV finden sich bei SCHRÖDER 1897; GRÖßLER 1873; GRÖßLER 1874; GRÖßLER 1875a; GRÖßLER 1875b; WOLF 1955; WOLF 1956; WOLF 1957. Vgl. auch ZSCHIESCHANG 2014: 1770. 136 Kristin Loga de.7 Die ON bildeten hierbei die Grundlage für eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung; zu einer umfassenden Bearbeitung und Auswertung aller ON ist es jedoch bislang nicht gekommen (EICHLER 1985; ZSCHIESCHANG 2014).

3. Die Mischnamen

Es lassen sich in diesem Gebiet die beiden Typen Bogumilsdorf (deutsch; Kom- posita) und Arnoltitz (slavisch [altsorbisch]; Derivata) nachweisen, wobei Na- men des erstgenannten Typs wesentlich häufiger anzutreffen sind, was sich in das in der Literatur anzutreffende Verteilungsbild beider Typen fügt: SCHLIM- PERT (1990: 92) verweist, ebenso wie DEBUS/SCHMITZ (1990: 68), auf das fast ausschließliche Vorkommen des deutschen Bildungstyps Bogumilsdorf im altpo- labischen Gebiet, wohingegen im altsorbischen Gebiet beide Typen vor- kommen, was Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Siedlungsformen in bei- den Großgebieten zulasse. Für das altsorbische Gebiet gibt Naumann das Auf- treten beider Typen an; die Arnoltitz-Typen sind jedoch vorrangig im Gebiet zwischen Elbe und Saale zu verzeichnen (NAUMANN 1964: 80). Eine gebiets- übergreifende Schau zur Verteilung beider Typen im deutsch-slavischen Kon- taktgebiet findet sich bei Eichler (EICHLER 2004: 291ff.). Im Untersuchungsgebiet ließen sich insgesamt 17 ON sicher als Misch- namen nachweisen, davon 14 vom Typ Bogumilsdorf, drei vom Typ Arnoltitz. 11 weitere ON könnten ebenfalls dem Bildungstyp Bogumilsdorf angehören, wobei nicht sicher entschieden werden kann, ob hier wirklich Mischnamen vor- liegen, da sie sowohl einen slavischen als auch einen deutschen PN im Bestim- mungswort (BW) tragen können. Die in den Bogumilsdorf-ON enthaltenen sla- vischen PN sind mehrheitlich in der Literatur nachgewiesen; allerdings wurden auch einige PN aus den Erstbelegen heraus rekonstruiert und waren nicht im- mer vollständig zu erschließen. Die Arnoltitz-ON enthalten alle einen deutschen PN als Ableitungsbasis und wurden mit den slavischen Suffixen -ina bzw. -ici gebildet. Die Bogumilsdorf-ON enthalten diachron sämtlich das Grundwort (GW) -dorf8 (sicher: 14, unsicher: 11); synchron zeigen es nur noch 12 (sicher) bzw. 9 (unsicher). Bei insgesamt 4 Namen fand eine Ersetzung mit -(l)ing –––––––— 7 „Vergleichende Untersuchungen zum sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel in den Grenz- und Kontaktzonen Ostmitteleuropas im Mittelalter“, mehr Informationen auf www.uni-leipzig.de/gwzo im Bereich Forschung, Archiv. 8 Zu diesem GW gibt es eine umfassende Diskussion, die hier nicht wiedergegeben werden kann. Eine gute Übersicht bietet CASEMIR 2003: 397. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 137

(zweimal), -itz und -berg (jeweils einmal) statt: Coriledorpf → Grillenberg weist einen Namenwechsel vom Dorf- zum Burgnamen auf, der sicher mit der wach- senden Bedeutung der Burg im Zusammenhang steht; bei Bizimendorpf → Bös- seling, Muchendorpf → Möckerling und Budinendorpf → Peutnitz/Potenitz waren vermutlich umliegende ON Auslöser für den Grundwortwechsel. Namen, die häufig in einem Atemzug mit Mischnamen genannt werden, je- doch von ihnen getrennt werden müssen, sind solche mit späteren Zusätzen wie Deutsch- oder Wendisch-, aber auch ON, die das Element -wende enthalten. Es handelt sich dabei um genuin deutsche Namen, die über diese sprachliche Kennzeichnung auf die ethnische Zugehörigkeit bzw. die (Fremd-)Sprache der Bewohner verweisen. Einige solcher ON waren auch im HZV-Gebiet zu finden: sicher hierzu zählt

†Schweinswende, südl. Bornstedt (NEUß 1971: 340–342) 880–899 (A. 11. Jh.) Sinesuuinidun (WOLF 1957: 197) 1293 (K.) Swinswende (UB Mansfeld VI., 31) 1332 Sevenhain (NEUß 1971: 344) 1364 (K. 16. Jh.) Schwinswenden (UB Mansfeld VII., 149) 1463 Schweinswende (GRÖßLER 1873: 110) 1563 Schweinswende (GRÖßLER 1878: 194) 16. Jh. Schweinehoffen (NEUß 1971: 519)

Das BW gehört vermutlich nicht zu ahd. swain ‘Rinderhirt, Schweinehirt’ (FÖRSTEMANN 1978: 144) sondern eher zu einem PN Sin- ‘Kraft, Stärke’ (FÖRS- TEMANN 1916: 734; FÖRSTEMANN 1900: 1337) zu ahd. sĭn(a)- ‘beständig, dau- ernd, gewaltig’ (KAUFMANN 1968: 315; so auch SCHLAUG 1962: 153). Oder ist doch von einem slavischen Anschluss auszugehen (WALTHER 1971: 324)? Das GW gehört zu ahd. Winid, plur. Winidā, mhd. Wint, mnd. Wend(e) ‘Wenden’ (UDOLPH 1994: 280; NAUMANN 1964: 95). Als Grundform kann von *Sineswi- nidun ‘bei den wendischen (Häusern) des Sino’ ausgegangen werden, da eine Dativ Plural Markierung im ersten Beleg enthalten ist (SCHRÖDER 1895: 5).

Auch †Winddorf, südwestl. Großosterhausen bzw. nordwestl. Querfurt9, gehört in die Gruppe der Winden-/Wendenorte:

880–899 (A. 11. Jh.) Uuinidodorpf (WOLF 1957: 198) 1314 Wenthdorf (WOLF 1955: 297)

–––––––— 9 WALTHER 1971: 306; „Die Dorfstelle ist lokalisiert durch den FlN die Höfe beim Windhügel“ (WOLF 1957: 198). 138 Kristin Loga

Im BW ist vermutlich ein Appellativ Winid ‘Wende’ (WALTHER 1971: 306) ent- halten. „An die Lage des Dörfchens erinnern noch die Höfe vom Windhügel südlich von Groß-Osterhausen“ (GRÖßLER 1903: 99). Der Name der temporären Wüstung †Wünschendorf, heute ein Ortsteil von Klobikau, südwestl. Lauchstädt (WALTHER 1971: 325), kann in diese Gruppe ge- hören; eine sichere Zuweisung ist jedoch aufgrund mangelnder Belege vorerst nicht vorzunehmen.

3.1. Sichere Mischnamen

3.1.1. Typ Bogumilsdorf: slavischer PN + deutsches GW Angersdorf, südwestl. Halle 881–899 (A. 11. Jh.) Donichendorpf (WOLF 1957: 203)10 1121 Danchmarsdorf11 1182 Dancmaristorp 1244 Danckesdorp 1416 Angstorff

Angenommen wird ein Kurzname Doniko oder *Donek, der zum christlichen Taufnamen Donatus (SCHLIMPERT 1978: 44) gehört und im geschichtlichen Verlauf durch einen PN der Form Thancmar o.ä. (SCHLAUG 1955: 81; SCHLAUG 1962: 158; FÖRSTEMANN 1900: 1404) ersetzt wurde.

†Bösseling (auch †Böseling), lag in der Flur Merseburg, südl. Merseburg (WOLF 1957: 213, WALTHER 1971: 301) 881-899 (A. 11. Jh.) Bizimendorpf (WOLF 1957: 213) 1320/21 Beseme, Bysme (WOLF 1955: 306) 1332 Bezeme (WOLF 1955: 306) 1572 Byssem (WOLF 1955: 306) FlurN Bösselinger Marke (WOLF 1957: 213)

Wolf führt umliegende ON bzw. Wüstungen an, die ähnlich wie Bösseling um- geformt wurden: „Parallelen bilden sprachlich die Wg. Dörfling (45), Wg. Döb- beling (50) und Wg. Möckern in der Flur Schafstädt (112), s. Meßtischblatt Schafstädt Nr. 4636, die auch Mäckerling heißt (Schmekel 271), ferner Möcker- –––––––— 10 Bei der Emendierung des Belegs wird WOLF 1957: 203 gefolgt. Walther emendiert Bonichendorpf und verweist auf Benkendorf nordwest. Halle, darin ein PN Banniko (< Bandiko) (WALTHER 1971: 301). 11 Dieser und die folgenden Belege aus WOLF 1956: 19. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 139 ling (172).“ (WOLF 1957: 213, Anm. 1). Im ON enthalten ist vermutlich ein sla- vischer PN *Be(z)zema (WALTHER 1971: 301 [nach SVOBODA 1964: 101], 325) bzw. ein PN *Bezḿest, der zu altslav. bezъ ‘ohne’ und urslav. *mьstь ‘Rache’, *mьstiti ‘rächen’ (SCHLIMPERT 1978: 15) gestellt werden kann.

†Codimesdorpf (auch †Kottendorf), nach WALTHER lokalisiert am Gotthardteich südl. (des Stadtzentrums) Merseburg (WALTHER 1971: 303) 881–899 (A. 11. Jh.) Codimesdorpf (WOLF 1957: 213)12 992 Chotimesdorf (NAUMANN 1964: 86)

Wahrscheinlich ist der slavische PN Chotim(ъ) im ON enthalten (EICHLER 1985: 154; WALTHER 1971: 303), der als Kurzform von Namen wie *Chotěmer/*Chotimer zu urslav. *chotěti ‘wollen’ (SCHLIMPERT 1978: 34) und urslav. *mirъ ‘Friede’ (SCHLIMPERT 1978: 87) gehört. Drebsdorf, nordwestnördl. Wallhausen 1349 Trebansdorf (GRÖßLER 1903: 94) 1446 Trebinsdorf (GRÖßLER 1874: 111) 1525 (1717/1727) Wickerode 16. Drebsdorff 30. Heynroda 40. (Zeitfuchs, S. 259) 1573 Trebsdorff (Karte Stella/Ortelius) 1637 (1717/1727) in Klein-Leinungen und Drebsdorff (Zeitfuchs, S. 437) 1681 (1717/1727) Kleinleinungen und Drebsdorff/ Haynroda (Zeitfuchs, S. 324)

Im ON enthalten ist ein slavischer PN Treban zum Namenglied Treb- (NAU- MANN 1964: 89), verbunden mit einem diminutivischen -an-Suffix; vgl. auch den Vergleichsnamen in Sachsen: †Trebesdorf bei Borna (bei Leipzig): 1378 Tre- bestorf, 1424 Trebistorff, 1485 Drebesdorff, 1493 Trebstorff, zu aso. PN *Treb(a) (EICHLER/WALTHER 2001: II, 517), der auf *treb-, zu urslav. *terb- ‘tauglich sein’ (EICHLER/WALTHER 2001: III, 134), basiert. Gniebendorf, nordöstl. Weißenfels13 um 1300 Gniwendorf 1329 Gniwindorph 1336 Gniwendorph 1378 Gnywendorf, Gnywindorff

–––––––— 12 Wolf meint hierzu: „Gelegentlich – so noch bei Neuß 53 – als Wg. Gottsdorf (Gotzdorf, Codsdorf) in Flur Ober-Teutschental (90) gedeutet, was nach der Rei- henfolge im Verzeichnis unwahrscheinlich ist“, gibt jedoch selbst an „unbekannt“ (WOLF 1957: 213, Anm. 2). 13 Die folgenden Belege aus EICHLER/WALTHER 1984: 148. 140 Kristin Loga

1458 Gnywendorff 1501 Gnybendorff 1532 Gnibendorff um 1750 Gniebendorff 1816 Gniebendorf

Enthalten ist ein slavischer PN Gněv(a), der zu aso. gněv ‘Zorn’ gehört (EICH- LER/WALTHER 1984: 148; zum Namenelement so auch SCHLIMPERT 1978: 47). Grillenberg, nordwestl. Obersdorf, westl. Pölsfeld 881–899 (A. 11. Jh.) Coriledorpf (WOLF 1957: 214) 1217 Grellenberch (WALTHER 1971: 303) 1254 Datum in Grellenbergk (Schoettgen/Kreysig II, S. 708) 1243 Rodolfus dapifer de Grellenberge (UB Mansfeld VII., Nr. 72) 1286 in Grellenberg (UB Walk. I., Nr. 595) 1311 von deme hus thome Grelleberghe (CDA III., Nr. 225) 1362 daz huez zcu dem Grellenberg (UB Mansfeld VII., Nr. 145) 1400 Gherllenberch (WOLF 1955: 307) 1405 (K.) furste zcu dem Grellinberge (CDSr I B 2, Nr. 654) 1573 Grillenbergh (Karte Stella/Ortelius)

Der ursprüngliche ON wurde durch den Namen der an Einfluss gewinnenden Burg verdrängt (WOLF 1955: 307). Im BW wird ein slavischer PN der Form Chorěl(a) vorliegen, der zu urslav. *chvor- ‘krank’ (vgl. oso., nso. chory, tsch. chorý ‘kränklich’) gehört (WALTHER 1971: 303; EICHLER/WALTHER 2001: III, 128), ver- sehen mit einem diminutivischen ěl-Suffix. Die Bedeutung des Burgnamens ist nach Walther mhd. grel, grelle ‘Dorn, Gabel’ (WALTHER 1971: 303; LEXER 1872/1878: I, 1077) und bezog sich vermutlich auf die Form oder die erhöhte Lage der Burg. Später wurde möglicherweise nhd. Grille im Namen vermutet bzw. in diesen hineingedeutet. †Kessendorf (auch †Kössendorf), lag unweit der Unstrut in der Flur Dorndorf (BÖHME 1909: 71; WOLF 1957: 209; WALTHER 1971: 303) 876 Kessmentorph, Kessmesdorf (WALTHER 1971: 303) 881–899 (A. 11. Jh.) Cozimendorpf (WOLF 1957: 209)

Größler sieht im ON einen slavischen PN, weil sich kein adäquater Anschluss im Deutschen finden lasse (GRÖßLER 1903: 97). Naumann verzeichnet den ON in seiner Bearbeitung, gibt jedoch an, dass sich aus der Belegform (des HZV) kein PN rekonstruieren lasse (NAUMANN 1964: 89). Nach Walther ist ein slavischer PN Chocim enthalten (WALTHER 1971: 303). Vielleicht ist von einer Vollform Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 141

*Choć(i)mir auszugehen, die sich in deutschem Mund aus *Chotěmer/*Chotimer entwickelt bzw. verschliffen hat (SCHLIMPERT 1978: 34). Ein solcher PN wäre zu urslav. *chotěti ‘wollen’ (SCHLIMPERT 1978: 34) und urslav. *mirъ ‘Friede’ (SCHLIMPERT 1978: 87) zu stellen.

†Ludendorf (bei WALTHER 1971: 303 als †Lautama gelistet), lag vermutlich nördl. Goseck (WOLF 1956: 20; WOLF 1957: 210; WALTHER 1971: 303) 881–899 (A. 11. Jh.) Liudimendorpf (WOLF 1957: 210)

Enthalten ist ein slavischer PN L’utim(ъ), der zu *L’utomirъ gehört und auf urslav. *l’uty ‘grimmig’ (vgl. poln. luty, tsch. ltý) und urslav. *mirъ ‘Friede’ (SCHLIMPERT 1978: 87) zurückzuführen ist (EICHLER 1985: 155; WALTHER 1971: 303; NAUMANN 1964: 86).

†Melmsdorf, 1,2 km nordöstl. der Kirche Steuden (NEUß 1971: 218, 220 Wüstungsriß) 1193 Melmerisdorf (NEUß 1971: 218) 1206 Malmarestorp (WALTHER 1971: 304) 1292 Melmerstorf14 1335 Melmestorp 1348 Malmarestorf 1477 Melmesdorff 1481 Malmesdorff

Enthalten ist ein slavischer PN Małoměr (WALTHER 1971: 304), der zu urslav. *malъ ‘klein’ (SCHLIMPERT 1978: 80) und *mirъ ‘Friede’ (SCHLIMPERT 1978: 87) zu stellen ist.

†Rathmannsdorf, westl. Frankleben, südwestl. Merseburg (WALTHER 1971: 305) 1040 Radauuassendorf (WALTHER 1971: 305)

Es liegt eine Komposition mit dem slavischen dithematischen PN der Form Ra- dovac vor (WALTHER 1971: 305). Das Erstglied gehört zu urslav. *radъ ‘froh’ (SCHLIMPERT 1978: 112) und bildete vermutlich mit den hypokoristischen Suffi- xen -ov- und -č- den im ON enthaltenen PN.

†Rozuualesdorpf, lag vermutlich in der Nähe von Seeburg westl. Halle (WALTHER 1971: 305), dort, nördl. Seeburg, findet sich nach Wolf auch noch der FlurN Rösetal (WOLF 1957: 202) 881–899 (A. 11. Jh.) Rozuualesdorpf (WOLF 1957: 202) –––––––— 14 Dieser und die folgenden Belege aus NEUß 1971: 219. 142 Kristin Loga

Der enthaltene PN ist sicher slavischen Ursprungs; es wird von einer Form Rozvał ausgegangen (NAUMANN 1964: 88; WALTHER 1971: 305). Für die Deutung der Namenglieder kommen verschiedene Wurzeln in Frage: Möglich ist, das Erstglied als Ros- zu lesen, was zu urslav. *orsti ‘wachsen’ (SCHLIMPERT 1978: 120) gehören könnte. Sollte Roz- zu lesen sein, kommt urslav. *roz- ‘auseinanderfließen’ (SCHLIMPERT 1978: 121) in Betracht. Das Zweitglied -vał kann aus *-vał bzw. *-chval15 entstanden sein und zu urslav. *chvaliti ‘loben’ (SCHLIMPERT 1978: 17) gehören. †Zaasdorf, lag bei Frankleben, südwestl. Merseburg (WALTHER 1971: 306) 1004 Zebedesdorf (WALTHER 1971: 306) Es ist wohl nicht von einem ahd. PN Zazo oder Zato auszugehen, wie ihn Größ- ler16 im ON vermutet, sondern eher an einen slavischen PN Se(bě)bud (WAL- THER 1971: 306), zu urslav. *sebě ‘sich’ (SCHLIMPERT 1978: 122) und urslav. *buditi ‘wecken’ (SCHLIMPERT 1978: 25), zu denken. †Zidimuslesdorpf, lag vermutlich südl. Merseburg, nahe †Bösseling (WOLF 1957: 212) 881–899 (A. 11. Jh.) Zidimuslesdorpf (WOLF 1957: 212) 1572 Suttelssmund (WOLF 1955: 306)

Der PN ist sicherlich der slavische *Zьdimysłъ oder *Sьděmysłъ (WALTHER 1971: 305; NAUMANN 1964: 88). Das Erstglied kann zu *zьdati ‘errichten, bauen’ oder zu *sьdě- ‘hier’ gehören, das Zweitglied ist jedoch sicher zu *myslь ‘Gedan- ke, Sinn’ zu stellen (EICHLER 1985: 156). †Zütschdorf, lag südöstl. Benndorf, östl. Mücheln (WALTHER 1971: 306)17 881–899 (A. 11. Jh.) Zibuchesdorpf (WOLF 1957: 210) 1340 Zhustorf (WOLF 1956: 20) 1470 Zuzschdorf (GRÖßLER 1903: 94)

Eine Benennung nach dem Weidenzeisig, polnisch czeczotka, als Übername des Gründers der Siedlung, wie ihn Böhme im Namen vermutete, bleibt fern (BÖH- ME 1909: 67). Größler nimmt einen Zibucho als Gründer an, vermag jedoch

–––––––— 15 Schlimpert weist in seiner Belegsammlung -fal/-chval als Varianten eines Namen- gliedes aus: Bogfal/Boguchval (12. Jh.) (SCHLIMPERT 1978: 181). 16 GRÖßLER 1903: 99 denkt an ON wie Zazendorf oder Zazenhusen, bei denen er eben- diesen PN vermutet. 17 Die Siedlung fiel dem Braunkohletagebau (Geiseltal) zum Opfer und wurde 1957 abgebaggert. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 143 nicht zu sagen, ob der Name deutscher oder slavischer Sprachherkunft ist (GRÖßLER 1903: 94). Vermutlich ist von einem slavischen PN *Sьbuchъ oder *Sьbychъ (WALTHER 1971: 306) auszugehen, der aus der Präposition *sъ- (in Verbalkomposita) in der Bedeutung ‘mit, von wegen’ (SCHLIMPERT 1978: 122) und urslav. *buchati ‘hervorbrechen; knallen, schlagen’ (SCHLIMPERT 1978: 25) bestehen kann.

3.1.2. Typ Arnoltici: deutscher PN + slavisches Suffix

†Uhden, lag 550m östl. Schiepzig, westl. Lettin (NEUß 1969: 315)18 881–899 (A. 11. Jh.) Uuodina (WOLF 1957: 202) 1012 Udene19 1021 Vthini 1125, 1156 Vdene 1271 Vden 1398/99 Vden 1470, 1541 Uden 1755 Uden, jetzo die Auden-Marcke genennet

Die Deutung Neuß’ als Ableitung von woda ‘Wasser’ (NEUß 1969: 317) ist zu vernachlässigen. Ausgegangen werden kann vielmehr von einem Kurznamen Od-/Ud- (Odo/Udo) zu asächs. ōd ‘Reichtum, Besitz, Kleinod’ (FÖRSTEMANN 1900: 185f.; SCHLAUG 1962: 136–138; SCHLAUG 1955: 216) – im Ahd. ōt, zu ver- gleichen ist der PN-Stamm AUDA (FÖRSTEMANN 1900: 185f.; KAUFMANN 1965: 118f.) –, abgeleitet mit dem slavischen possessiven Suffix -in(a). Als Be- deutung ist ‘die Siedlung des Od-/Ud-’ anzugeben. Uichteritz, liegt 3,5 km westl. Weißenfels (1292, 1304) 15. Jh. Gebehardus de Uchtericz, Vchteritz, um 1300 Uchtericz20 (1306) 15. Jh. Vchteritz 1350, 1378 Uchtericz 1464 Ochteriz 1501 Vchtericz

–––––––— 18 Die Siedlung fiel vor 1460 wüst, NEUß 1969: 317. Es weist auch der Flurname die Dorfstätten, der sich südwestl. an das Auenfeld anschließt, auf die Lage der Siedlung hin, WOLF 1957: 202. 19 Dieser und die folgenden Belege nach RICHTER 1962: 97. 20 Dieser und die folgenden Belege nach EICHLER/WALTHER 1984: 316. 144 Kristin Loga

Im BW ist ein asächs. PN Ōhteri, Uhteri enthalten (EICHLER/WALTHER 1984: 316; EICHLER 2009: 45f.), der zu asächs. ōht ‘Schrecken’ (SCHLAUG 1962: 134; SCHLAUG 1955: 138f.) gehört. Es liegt auch hier ein Derivat vor; das ableitende Suffix ist das aso. patronymische -ici. Als Bedeutung des ON kann ‘die Siedlung der Leute des Ōhteri/Uhteri’ angegeben werden (EICHLER/WAL- THER 1984: 316; EICHLER 2009: 45f.).

†Wölbitz, lag nordöstl. Karsdorf (WALTHER 1971: 324) 1323 Wolftitz, Wolfticz (GRÖßLER 1875a: 115)

Walther gibt eine Belegform Wolfticz an, jedoch ohne Jahr (WALTHER 1993: 107).21 Auszugehen ist von einem PN Wolf(o) zu asächs. wulf, wolf, ahd. wolf ‘Wolf’ (SCHLAUG 1962: 181; FÖRSTEMANN 1900: 1639), der mit dem patro- nymischen Suffix -ici abgeleitet wurde. Der ON bedeutet demnach ‘die Siedlung der Leute des Wolf(o)’.

3.2. Unsichere Mischnamen †Blossendorf (auch als †Gläsen-/Glesendorf bekannt), lag westl. Gleina auf dem Kahlenberg an der Unstrut (WOLF 1957: 209; BÖHME 1909: 70) bzw. nordöstl. Burgscheidungen (WALTHER 1971: 303) 881–899 (A. 11. Jh.) Zliusendorpf (Wolf 1957: 209)

Geht man strikt vom Namenbeleg aus, kann ein slavischer PN Sluz-, Služ-, Sluš- (WALTHER 1971: 303) o.ä. angesetzt werden, der auf urslav. *sluchěti, *slušati ‘hö- ren; gehören; gehorchen’ bzw. urslav. *sluchъ ‘Gehör’ (SCHLIMPERT 1978: 128) zu- rückzuführen ist. Allerdings ist die Wüstung auch als Gläsen- oder Glesendorf be- kannt, so dass der HZV-Beleg, nach Größler, auch schon einen Schreibfehler ent- halten konnte.22 Daher nimmt er einen PN im BW an; dieser kann die ahd. Kose- –––––––— 21 „Ein Archäologe beklagte sich einmal, daß in der Wüstung Wölbitz Kr. Querfurt der archäologische und der namenkundliche Befund auseinanderklafften. Der Name sei slawisch, doch die Funde nur deutscher Provenienz. Ihm war die eben geschilderte Möglichkeit der Fremdbenennung nicht geläufig, denn der Name gehört zu den sogenannten ‘Mischnamen’ (alte Belege: Wolfticz u. ä.)“, WALTHER 1993: 107. 22 „Möglicherweise hat jedoch schon der im 12. Jahrhundert schreibende Abschreiber des Hersfelder Zehntverzeichnisses einen Lese- oder Schreibfehler sich zu Schulden kommen lassen, indem er statt Gliusendorpf fälschlicher Zliusendorpf las und schrieb […]. Ein Ort dieses Namens ist im südlichen Hosgau sonst nirgends nachweisbar; wohl aber würde ein Gliusendorpf = Glesendorf sehr gut in das Verzeichnis passen, da dem erwähnten Zliusendorpf die Namen Spielberg (Spiliberc), wüst Pinßdorf Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 145 form Gliza, zum Vollnamen Glismout, oder ein slavischer PN Gluzo sein (GRÖßLER 1903: 96). Einen Kurznamen Glīzo gibt auch Walther als weitere Mög- lichkeit an (WALTHER 1971: 303). Die spätere Bl-Schreibung wird auf einen Le- sefehler zurückgeführt (GRÖßLER 1903: 96). Aufgrund der Unsicherheit in Bezug auf die Belegsituation ist vorerst keiner Deutung der Vorzug zu geben. Bottendorf, an der Unstrut nordwestl. Roßleben 881–899 (A. 11. Jh.) Budilendorpf (WOLF 1957: 200) bzw. Budinendorpf (WOLF 1957: 202) 1120 Putelendorp (WALTHER 1971: 301) 1248 Pudilndorff23 1293 Potelendorp 1400 Pottelndorp in banno Coldenborn 1473 Bottendorf

Wolf stellt den HZV-Beleg Budinendorpf zu diesem ON, sprachlich passt jedoch Budilendorpf besser (Versehen des HZV-Kopisten? Die Orte, auf die die Belege verweisen, liegen immerhin gut 60 km voneinander entfernt.) – vgl. auch unter †Peutnitz (†Potenitz). Größler nimmt an, dass der HZV-Beleg Budinendorpf eine Nebenform Budilendorpf besitzt und beide zum ON Bottendorf gehören. Im ON sei ein PN Budino, Budilo, Putilo enthalten, der sich von Budo, Bodo ‘Gebieter, Herr’ ableite (GRÖßLER 1903: 90). Auszugehen ist für den vorliegenden ON je- doch vom HZV-Beleg Budilendorpf. Ob im Namen ein slavischer PN *Bud-il-o o.ä zu urslav. *buditi ‘wecken’ (SCHLIMPERT 1978: 25) mit -l-Suffix enthalten ist oder ein PN Bodolo, Bodilo (WALTHER 1971: 301), zu asächs. bōdo ‘Gebieter’ (SCHLAUG 1962: 63), kann vorerst nicht entschieden werden.

–––––––— (Brunesdorpf) bei Karsdorf und Steigra (Stegara) unmittelbar vorangehen und wüst Seigerstedt bei Karsdorf (Sigiristat) und Burgscheidungen (Scidinge) nachfolgen. Ich halte daher Zliusendorpf für einen Lese- oder Schreibfehler und Gliuzendorpf für die richtige älteste Form.“ GRÖßLER 1903: 96. 23 Dieser und die folgenden Belege nach GRÖßLER 1903: 90. 146 Kristin Loga

†Brallidesdorf, nicht sicher lokalisiert24 881–899 (A. 11. Jh.) Brallidesdorpf (WOLF 1957: 198) 881–899 (A. 11. Jh.) Breuieliudestat (WALTHER 1971: 301)25 991 in villis Midilhuson, Vuolfersteti, Vuinkile, Brellidesdor[f, A]ltsteti (MGH DD O III., Nr. 75)

Im BW kann ein PN der Form X + -liud enthalten sein, dessen Erstglied jedoch nicht bestimmbar ist (WALTHER 1971: 301). Das Zweitglied wäre an germ. *leudi-, asächs. liud, ahd. liut ‘Volk, Leute’ (SCHLAUG 1955: 210f.; SCHLAUG 1962: 124–128; FÖRSTEMANN 1900: 1030) anzuschließen. Möglich ist jedoch auch ein slavischer PN mit dem Erstglied Prav- (WALTHER 1971: 301), der zu urslav. *pravy ‘recht, richtig, wirklich, wahr, echt, genau, passend’ (EICH- LER/WALTHER 2001: III, 132; SCHLIMPERT 1978: 104) zu stellen ist. Fraglich bleiben das Zweitglied bzw. mögliche Suffixe. Für einen slavischen PN spricht der unterbliebene Umlaut des -a- durch nachfolgendes -i-, der in allen genuin deutschen ON des HZV nachzuweisen ist (SCHRÖDER 1895: 4).

†Grab(e)sdorf, lag südöstl. Beyernaumburg (WOLF 1955: 296; WOLF 1957: 197; WALTHER 1971: 303)26 881–899 (A. 11. Jh.) Grabanesdorpf (WOLF 1957: 197) 1120 Chravernstorb (GRÖßLER 1875: 102) 1120 Chrauenestorp (CDSr I A 2, Nr. 60) bzw. Crhavenestorp (UB HST Halb. I., Nr. 148) 1136 (F. Anf. 13. Jh.) Krauenestorp (MGH DD Lo III., Nr. 90) 1144 Gravesdorff (Schoettgen/Kreysig II, S. 697) 1179 Kravenestorp (GRÖßLER 1875: 102; UB HST Halb. I., Nr. 284) –––––––— 24 „Nicht lokalisierte Wg., die aber zwischen Wolferstedt (28) und Wg. Horn (30) am rechten Rohneufer bzw. bei dem der Wg. Horn unmittelbar am linken Rohneufer gegenüberliegenden Klosternaundorf (31) zu suchen ist. Eine bei der Ortsaufzählung die geographische Reihenfolge annähernd beobachtende Urkunde von 991 führt Brellidesdorpf zwischen Winkel (27) und Allstedt (43) auf. Wg. Horn im Nordteil der Feldmark von Allstedt grenzt an die Flur Klosternaundorf-Wolferstedt. Winkel liegt östlich Allstedt; zwischen den beiden Orten liegt heute kein anderes Dorf mehr“ (WOLF 1957: 198). 25 Walther gibt zunächst an, dass der Beleg zu einer unbekannten Wüstung bei Quer- furt gehöre, bringt ihn aber auch in Zusammenhang mit der Wüstung †Brelli- desdorpf, welche er nördl. Allstedt lokalisiert (WALTHER 1971: 275, 301). 26 Die Wüstung ist lokalisiert durch die FlurN Grabsdorf und Grabsdorfer Teich, WOLF 1957: 197. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 147

(1150–1160) (A.) Grabenesdorf XXI (Codex Eberhardi I, Nr. 172rb) 1266 Gravensdorff (Schoettgen/Kreysig II, S. 709) 1378 Gravensdorff (GRÖßLER 1875: 102)

Möglich ist, dass eine (slavisierte) Form des Kurznamens Hraban (WALTHER 1971: 303), zu asächs. hravan, ahd. hraban ‘Rabe’ (SCHLAUG 1962: 112; FÖRSTE- MANN 1900: 869), vorliegt. Möglich ist jedoch auch ein slavischer PN *Graban aus *grab- und Kosesuffix -an- zu urslav. *grabati, *grabiti ‘raffen’ (EICH- LER/WALTHER 2001: III, 129), der auch im Vergleichsnamen Grabsdorf (nord- westl. Schkölen), 1511 Grabisdorf, 1749 Grabisdorff, 1816 Grabsdorf enthalten ist.27

†Körbisdorf, lag westl. (Ober-)Frankleben, östl. Mücheln (WALTHER 1971: 303)28 881–899 (A. 11. Jh.) Gramannesdorpf (WOLF 1956: 20)29 oder Grauuannesdorpf (WOLF 1957: 212, Anm. 4)30 1291 Corwansdorpf (WALTHER 1971: 303)

Es wird nachfolgend von einer Lesart Grauuannesdorpf ausgegangen. Möglich wäre damit, dass ein PN Hraƀan im BW enthalten ist, der in slavisierter Form Eingang ins HZV fand.31 Allerdings könnte auch ein slavischer PN Chorvan an- gesetzt werden, der im Deutschen an Hraban angelehnt wurde (WALTHER

–––––––— 27 EICHLER/WALTHER 1984: 156, darin ein slavischer PN Grab, Graba bzw. Grabo zu urslav. grabiti ‘an sich reißen, rauben’. 28 Die Siedlung fiel dem Braunkohletagebau (Geiseltal) zum Opfer und wurde 1958 abgebaggert. 29 Zu diesem HZV-Beleg gibt Wolf an, dass er zu †Gräfendorf in der Flur Merseburg (1162, 1167 Gerwardesdorf, 1330 Gherwerdestorp) gehört (WOLF 1956: 20). 30 Wolf liest Grammannesdorpf und stellt den Beleg auch hier zu †Gräfendorf in der Flur Merseburg, allerdings gibt er selbst an, dass die Deutung nicht völlig gesichert sei und schreibt ferner: „Bei Emendierung Grauuannesdorpf liegt die Deutung auf Körbisdorf (Kr. AG Merseburg) am l. Ufer der Geisel nahe, östlich Benndorf (191), westlich Ober-Frankleben (194). Körbisdorf heißt 1291 Corwanstorff (UB. Stadt Halle I 416), 1332 Korwerstorph (Kehr 1069), 1352 Koruestorph (Kehr 1035), 1405 Korbistorpff (Küstermann XVI 246)“ (WOLF 1957: 212, Anm. 4). 31 Auch bei einer Emendierung Gramannesdorpf ist nach KAUFMANN (1968: 152) nicht von einem Namenstamm *Grăm- zu ahd. grăm ‘feindselig, zornig’ auszugehen, da sich dieses kaum in ahd. ON findet. Er verweist darauf, dass diese Formen, wenn sie in ON auftreten, eher zu Hraƀan zu stellen sind. 148 Kristin Loga

1971: 303). Ob ein solcher zu urslav. *chvor- ‘krank’ (EICHLER/WALTHER 2001: III, 128) gehören kann?

†Möckerling; lag östl. Zöbigker und Mücheln (WALTHER 1971: 304; WOLF 1957: 210)32 881–899 (A. 11. Jh.) Muchendorpf (WOLF 1957: 210) 1128 Mucchendorf (WALTHER 1971: 304) 1128 Mutchendorf (WOLF 1956: 20) 1142, 1143 Mutichindorf (WOLF 1956: 20)

Für einen PN im BW lassen sich einige Anschlüsse finden: es könnte ein sla- vischer PN Much(o/a) (WENZEL 1992: 32f.) zu einem asorb. VollN Mutimir o.ä. zu aslav. mǫtiti ‘verwirren, stören, aufrühren’ (WENZEL 1992: 34) enthalten sein, auch ein PN Hemuko (WALTHER 1971: 304; SCHLAUG 1955: 202) wäre denkbar; oder ob sich der ON gar mit einem germ. PN Mucha, den Förstemann mit go- tisch mukamōdei ‘sanftmut’ in Verbindung bringt (FÖRSTEMANN 1900: 1132), zusammensetzt? Welcher PN enthalten ist, kann nicht entschieden werden. Eichler zeigt weitere Deutungsmöglichkeit auf: er geht von einem asorb. *mokry ‘naß, feucht’ aus (EICHLER 1987: 188). Auf ein slavisches Appellativum mok- ‘Nässe’ o.ä. verwiesen auch Böhme und Walther (BÖHME 1909: 32; WALTHER 1971: 304). Eichler führt als einzigen Beleg 1350 in Mokernik, Mokirnik an und schließt daraus auf eine Grundform *Mokŕnik für den ON (EICHLER 1987: 188). Vermutlich ist dies jedoch nur eine Zwischenstufe der Namenentwicklung, wenn man die bisherigen Belegformen heranzieht. Es wird sich um eine Bildung mit PN handeln, in der später das slavische *mokry ‘naß, feucht’ gesehen wurde. Die jüngere Entwicklung hin zur Lautung auf -ling erklärt sich durch Assi- milation an ähnliche Bildungen der Umgebung (vgl. unter †Bösseling). Obersdorf, nördl. Gonna, südöstl. Grillenberg 881–899 (A. 11. Jh.) Tharabesdorpf (WOLF 1957: 214) 1400 Doberstorff (WOLF 1955: 307; WALTHER 1971: 304) 1454 Doberstorf, Dobirstorf (UB Mansfeld IV., Nr. 17) 1573 Oberstorff (Karte Stella/Ortelius)

Im BW wird ein slavischer PN mit dem Erstglied Dobr(a)- o.ä. stehen (WAL- THER 1971: 304), der sich auch im Vergleichsnamen Katersdobersdorf (südwestl. Zeitz, Dobersdorf wurde 1894 mit Katersdorf zu Katerdobersdorf vereinigt) fin-

–––––––— 32 Die Siedlung fiel dem Braunkohletagebau (Geiseltal) zum Opfer und wurde 1964 abgebaggert. Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 149 den lässt und welcher die urkundlichen Belege 1230 Dobirsdorf, 1456 Dobirstat, um 1600 Dobersdorf (Eichler/Walther 1984: 134) anzeigt. Nach Eichler/Walther enthält der ON einen slav. PN Dobr oder Dobra, der zu urslav. dobry, oso. nso. dobry ‘gut’ gehört (EICHLER/WALTHER 2001: III, 111). Problematisch ist jedoch der HZV-Beleg, der nicht zu den übrigen Belegen passt. Förstemann stellt die- sen zum PN-Stamm ABAR, zu got. abrs ‘gesund, kräftig, stark’, ags. afor ‘stark, gewaltig, groß, bedeutend’ (FÖRSTEMANN 1913: 4; FÖRSTEMANN 1900: 12). Die übrigen Belegformen lassen sich nicht mit dem HZV-Beleg verbinden, weshalb dieser vorerst nicht eingeordnet werden kann. Sicherlich ist im Laufe der Zeit der PN Dobr(a)- im ON gesehen worden; welcher PN jedoch im BW des ersten Belegs enthalten ist, lässt sich nicht bestimmen. †Peutnitz (auch †Potenitz), ehemaliges Vorwerk zw. Gimritz und Kröllwitz, nordwestl. Halle (RICHTER 1962: 92; NEUß 1969: 226–228) 881–899 (A. 11. Jh.) Budinendorpf (WOLF 1957: 200) bzw. Budilendorpf (WOLF 1957: 202)33 1182 villa Putenize34 1453 Valentin Poetenicz 1462 die Peutnitz 1472 wueste Marcke zcu Peutnuetz, Potenitz 1532 die margke zu Potenitz auf der heiden 1755 Peutnitz oder Potenitz

Wolf stellt den HZV-Beleg Budilendorpf zu diesem ON, sprachlich passt jedoch Budinendorpf besser (man vergleiche auch unter Bottendorf). Der ON kann ei- nen slavischen PN *Budino o.ä. zu urslav. *buditi ‘wecken’ (SCHLIMPERT 1978: 25) oder eine Rufnamenkurzform Budino, Butoni zu asächs. bōdo ‘Gebie- ter’ (SCHLAUG 1962: 63) enthalten. Rattmannsdorf, südl. Holleben, nordwestl. Merseburg 1174 Ratmarsthorp (WALTHER 1971: 305)

Enthalten sein kann nach Walther (WALTHER 1971: 305, 325) ein slavischer PN Radoměr, zu urslav. *radъ ‘froh’ (SCHLIMPERT 1978: 112) und urslav. *mirъ ‘Frie- de’ (SCHLIMPERT 1978: 87), oder ein PN Rātmār, zu asächs. rād, ahd. rāt ‘Rat’ (SCHLAUG 1962: 141; FÖRSTEMANN 1900: 1203) und asächs., ahd. māri, mēri, ahd. māri ‘herrlich, berühmt’ (SCHLAUG 1962: 29; FÖRSTEMANN 1900: 1099).

–––––––— 33 RICHTER (1962: 92) gibt keinen der HZV-Belege mit zur Wüstung an. 34 Dieser und die folgenden Belege aus RICHTER 1962: 92. 150 Kristin Loga

†Schwachsdorf (auch †Schwötschdorf), lag östl. Nietleben, westl. Halle (RICHTER 1962: 96; WALTHER 1971: 325) (881–899 [A. 11. Jh.] Zibuchesdorpf [WOLF 1957: 210]35) 1342 dicto de Suauestorp (NEUß 1969: 293) 1383 Swastorp (RICHTER 1962: 96) 1447 Swachdorff (RICHTER 1962: 96) 1456 in Swachdorff (NEUß 1969: 293) 1467 Swacksdorff (NEUß 1969: 293) 1472 Swach(s)dorff (RICHTER 1962: 96) 1476 Swagstorff (NEUß 1969: 293) 1532 Schwachstorff (RICHTER 1962: 96) 1755 Schwoetschdorff, Schwedschdorff (RICHTER 1962: 96) Nicht zu entscheiden ist, ob das BW einen slavischen PN *Svak oder *Svoch aus *Svoj- zu urslav. *svojь ‘sein’ (SCHLIMPERT 1978: 137, 140) oder aber einen deut- schen PN zu mhd. swach ‘schlecht, armselig, gering’ (SCHLIMPERT 1978 137; LE- XER 1872/1878: II, 1330; SCHILLER/LÜBBEN 1875/1881: IV, 481) bzw. swack ‘biegsam, dünn; gering’ (SCHLIMPERT 1978: 137) enthält.

†Wilkendorf, lag vermutlich bei Nebra (WALTHER 1971: 306) 881–899 (A. 11. Jh.) Willichendorpf (WOLF 1957: 209)

Auch bei diesem ON kann sowohl ein slavischer PN-Anschluss Vilk- (WALTHER 1971: 306), zu urslav. *vьlkъ ‘Wolf’ (WENZEL 1992: 157), oder ein PN der Form Williko (WALTHER 1971: 306), belegt bei SCHLAUG (1955: 230; 1962: 179), bzw. Willich (GRÖßLER 1903: 99) enthalten sein. Auffällig ist bei der Kartierung der hier behandelten ON vor allem ihre Ver- breitung direkt an oder doch zumindest unweit von Flüssen. Das lässt auf hohes Alter dieser Namen schließen, denn Wasser ist nicht nur als Lebensquelle not- wendig für eine Ansiedlung, Flussläufe waren auch wichtig für den Handel und

–––––––— 35 RICHTER (1962: 96) stellt den Beleg des HZV hierher und fragt, ob es sich um einen slavisch-deutschen Mischnamen handeln kann. Der Beleg wird jedoch, Neuß folgend, in dieser Bearbeitung zu †Zütschdorf gestellt (vergleiche dort). „Ob das Zibuchesdorpf des HZV unser Schwötzschdorf ist, halte ich für mehr als fraglich. Richter a. a. O. erwägt diese Möglichkeit. Es wird Zibuchesdorpf so außerhalb allem Zusammenhang mit Orten des Burgbezirks Lettin, wohl aber in einem solchen mit Orten des Geiseltals u. seiner Umgebung aufgeführt, daß die Deutung Größlers Z. = Zütschdorf a. d. Geisel die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben dürfte“ (NEUß 1969: 295). Die Mischnamen des Hersfelder Zehntgebietes 151 als Kommunikationswege. Nicht ohne Grund liegen die ältesten Siedlungen an den Flüssen und in (ehemaligen) Flussauen.

Verbreitung der Mischnamen des HZV. 4. Zusammenfassung

Mischnamen im klassischen Sinne sind kein Phänomen des Hochmittelalters, sondern können durchaus älter sein. Wie das hier untersuchte Hersfelder Zehnt- verzeichnis zeigt, eine Quelle, die in ihrem Umfang und ihrem Alter für die deutsch-slavische Kontaktzone einmalig ist, wurden sie schon im Frühmittelalter gebildet, und es darf sicherlich behauptet werden, dass sie schon zu Beginn des deutsch-slavischen Sprachkontakts im Elbe-Saale-Gebiet produktiv waren. Ferner zeigt auch die Lage entlang der Flussläufe das hohe Alter dieser Mischnamen an, da das Vorhandensein von Wasser grundlegende Voraussetzung für die Anlage einer Siedlung ist. Es lassen sich areal zwei Gruppen von Mischnamen feststellen: Die Misch- namen im östlichen Teil des HZV-Gebietes, etwa bis zur Weida, stehen dabei si- cherlich in engem Zusammenhang mit der einst geschlossenen Verbreitung sla- vischer Ansiedlungen östlich der Saale. Dafür sprechen auch die – wenngleich nur wenig vertretenen – Namen vom Typ Arnoltitz in diesem östlichen Teil. 152 Kristin Loga

Die Mischnamen konzentrieren sich vor allem an der Saale und Unstrut, im Unterlauf der Weida am Süßen See und an der Geisel. Dem dort betriebenen Braunkohleabbau fielen im 20. Jahrhundert auch einige der Mischnamen zum Opfer, deren Lokalisierung daher nur ungefähr angegeben werden kann (†Zütschdorf, †Körbisdorf, †Möckerling). Bei den Mischnamen im westlichen Teil handelt es sich um einzelne, schon fast versprengt wirkende ON, die vermutlich stärker im Zusammenhang mit deutschen Siedlergruppen standen und sich deutlich außerhalb des altsor- bischen Siedelgebietes befanden. Alle Mischnamen dieses westlichen Teils lie- ßen sich dem Typ Bogumilsdorf zuordnen. Die Untersuchung zeigt, dass sich die Ausbreitung slavischer Siedler nicht nur auf das Gebiet östlich der Saale beschränkt, daher auch nicht von einem li- nearen Grenzverlauf mit der Saale zu rechnen ist. Vielmehr muss in dieser frü- hen Zeit von einem Grenz- und Kontaktraum zwischen deutschen und sor- bischen Siedlern ausgegangen werden (HARDT 2000; ALTMANN/GRABOLLE 2011: 441; ZSCHIESCHANG 2014: 1769), was sich nicht zuletzt in der Durch- mischung der Bevölkerung zeigt, die Mischnamen entstehen ließ.

Quellen

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Schoettgen/Kreysig = Diplomataria et Scriptores Historiae Germanicae medii aevi, von Christian SCHOETTGEN und M. Georg Christoph KREYSIG, Band 2, Altenburg 1755. UB HST Halb. = Das Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe, be- arb. und hg. von Gustav SCHMIDT (= Publicationen aus den K. Preußischen Staatsar- chiven 17), Band 1, Leipzig 1883. UB Mansfeld = Urkundenbuch der Klöster der Grafschaft Mansfeld, bearb. von Max KRÜHNE, hg. von der Historischen Commission der Provinz Sachsen (= Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 20), Halle 1888. UB Walk. = Urkundenbuch des Klosters Walkenried, bearb. von Josef DOLLE nach Vor- arbeiten von Walter BAUMANN, hg. vom Braunschweigischen Geschichtsverein (= Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte 38; Veröffent- lichungen der historischen Kommission fur̈ Niedersachsen und Bremen 210), Band 1, Hannover 2002. Zeitfuchs = Stolbergische Kirchen- und Stadtgeschichte, von Johann Arnold ZEITFUCHS, Frankfurt/Leipzig 1717/1727 [Reprint-Druck Auleben bei Nordhausen 2003].

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1. Einleitung Zwar ist die namenkundliche und siedlungsgeschichtliche Analyse des umfang- reichen topo- und anthroponymischen Materials slawischer Herkunft im sla- wisch-deutschen Kontaktgebiet in manchen Regionen bereits sehr weit fort- geschritten. Doch sind gerade im Bereich der Toponyme die für das Gebiet des slawisch-deutschen Sprachkontakts so charakteristischen MN (Mischnamen) bisher nicht in ihrer Gesamtheit erfasst und monographisch oder im Rahmen eines auf den gesamten Kontaktraum bezogenen Atlasprojekts behandelt wor- den. Diese Feststellung Ernst Eichlers in einem im Jahr 2004 veröffentlichten Aufsatz zur Typologie der MN (vgl. EICHLER 2004: 289–291) besitzt nach wie vor Gültigkeit. Im Folgenden soll anhand einiger Beispielnamen aufgezeigt werden, auf wel- che methodischen Grundsätze bei der künftigen Bearbeitung slawisch-deutscher MN besonders geachtet werden sollte. Dabei möchte ich zunächst darauf hin- weisen, dass bei MN mit anthroponymischem Bestandteil1 drei Grundtypen zu unterscheiden sind (vgl. JANKA 2003: 35–38)2, die hier chronologisch geordnet (älter > jünger) angeführt werden: (1) „Personenname slawischer Herkunft als Ableitungsbasis + deutsches Suf- fix -ing-“, z.B. Merking (Ober-, Mitter-, Unter-)/Niederösterreich, [1090–1096] Mirchingin, zum slawischen PN *Mir-k- (vgl. BERGERMAYER 2005: 155). (2) „Personenname slawischer Herkunft im Genetiv als Bestimmungswort + deutsches Grundwort“, z.B. Zaschendorf/Sachsen, 1350 Zcaslawendorf, mit der Genetivform des eingedeutschten slawischen (altsorbischen) PN

–––––––— 1 Auf die vergleichsweise seltenen deappellativischen Bildungen wird im Folgenden nur im Zusammenhang mit einem vermeintlich diesen zuzuordnenden SN (Plößberg) eingegangen (s. 7.). 2 Hier sind nur mittelalterliche, nicht aber jüngere (neuzeitliche) „Mischbildungen“ berücksichtigt. 158 Wolfgang Janka

*Časłav im Bestimmungswort (vgl. BILY/BREITFELD/ZÜFLE 2000/2004: II, 86). (3) „Personenname slawischer Herkunft im Genetiv“, z.B. Godas/Bayern, 1356 Jodeys, [1396–1399] Godeis, zum slawischen PN *Godějь (vgl. JANKA 2008: 101). Die Typen 1 und 3 sind von der bisherigen Forschung, die sich im Wesentlichen auf den mit Abstand am häufigsten auftretenden Typ 2 konzentriert hat, weni- ger beachtetet worden (vgl. EICHLER 1999). Während Typ 3 v.a. im Norden Bay- erns – als weitere Beispiele seien die SN Mehlmeisel, 1283 Welmvzels, und Roslas (s. EICHLER/GREULE/JANKA/SCHUH 2006: 157–159, 196f.) genannt –, in Niederösterreich – z.B. die SN Felles und Schagges (s. BERGERMAYER 2005: 27, 51f.) – und in Tschechien – z.B. Budweis oder Niemes (s. EICHLER 1999: 82; WINKLER 2007: 180f.) – begegnet, treten MN, die mit dem Zugehörigkeitssuffix -ing- abgeleitet sind, fast ausschließlich im bairischen Sprachraum auf – z.B. Döbersing, Gösting oder Staning (s. JANKA 2003: 36f.; BERGERMAYER 2005: 85; WIESINGER 2014: 156, 164). Im Projekt „Slawischer Onomastischer Atlas“ ist für keinen der drei genannten Typen eine Erfassung bzw. Bearbeitung vorgesehen – im Gegensatz zu den deutsch-slawischen MN der Typen Arnoltici, Petrovici und Petrьkovici (vgl. BOREK/EICHLER/MAJTÁN/ŠRÁMEK 1988: 57f.; BILY/BREIT- FELD/ZÜFLE 2000/2004, II: 14, 86). Dies erscheint zwar insofern gerechtfertigt, als offenbar nur Toponyme als Ergebnisse slawischer Namenbildung berück- sichtigt werden sollen, wohingegen die slawisch-deutschen MN im Rahmen des Deutschen entstanden sind. Andererseits sei hierzu kritisch angemerkt, dass zu einigen slawisch-deutschen MN ein rein slawisches Pendant durchaus nachge- wiesen ist (vgl. etwa EICHLER 1999: 83; JANKA 2003: 34f.). Es muss also jedenfalls mit der grundsätzlichen Möglichkeit der Existenz von parallelen slawischen To- ponymen und damit von Namenpaaren gerechnet werden (vgl. EICH- LER/GREULE/JANKA/SCHUH 2006: 269–271).

2. Das Kriterium der Erklärungswahrscheinlichkeit

Wesentlicher Bestandteil einer Monographie oder eines Atlasprojekts zu den sla- wisch-deutschen MN muss die morphematische Analyse der in diesen Namen enthaltenen PN sein. Man kann sich dabei an dem Standard orientieren, den der „Atlas altsorbischer Ortsnamentypen“ (= BILY/BREITFELD/ZÜFLE 2000/2004) und die Studien Walter Wenzels zum Niedersorbischen (WENZEL 2004 und 2005) re- präsentieren. Während die typologische Forschung im Bereich des Altsorbischen und des Altpolabischen weit fortgeschritten ist, liegen entsprechende Arbeiten für Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 159 die restlichen Teilzonen des Kontaktgebiets bisher nur ansatzweise vor. Die struk- turelle Untersuchung kann aber erst dann erfolgen, wenn das Namenkorpus exakt bestimmt ist. Vor allem in Teilregionen, für die noch keine historischen Ortsna- menbücher vorliegen, in denen die Namen auf umfassender Beleggrundlage un- tersucht werden, wie etwa die nördliche und die östliche Peripherie Bayerns oder Teile Kärntens und der Steiermark, muss für viele Toponyme zunächst noch eine fundierte Etymologie erarbeitet werden. Um das einschlägige MN-Material her- auszufiltern, sind die Ortsnamen nach dem Kriterium der Erklärungswahrschein- lichkeit verschiedenen Gruppen zuzuordnen. Bei der Gruppeneinteilung kann man sich an dem Muster orientieren, das in den Veröffentlichungen des For- schungsprojekts „Slawen in Nordbayern (Bavaria Slavica)“ angewandt wurde (vgl. EICHLER /GREULE/JANKA/SCHUH 2001: 206f. und 2006: 251f.).

Gruppe 1: ON, deren Bestimmungswort3 bzw. Ableitungsbasis mit Sicherheit aus dem Slawischen erklärt werden kann. Die genaue Anzahl dieser Namen kann erst durch intensive Detailforschung festgestellt werden; zu rechnen ist mit mehreren hundert Einzelnamen. Sie kommen in allen Teilzonen des sla- wisch-deutschen Kontaktgebiets vor. Als Beispiele seien hier die MN Zah- rensdorf/Mecklenburg, 1238 Zarnszstorpe, aus mnd. *Tsarnesdorp, zum slawi- schen (altpolabischen) PN *Čarn (vgl. TRAUTMANN 1950: 36; FOSTER/ WILLICH/KEMPKE 2007: 398), und Zettlesreith/Böhmen (tsch. Sedlíkov), 1259 Sedlechrut, 1260 Cedlikstrevt, aus bair. *Tsēdlīksröüt, zum slawischen (alttsche- chischen) PN Sedlík (vgl. PROFOUS/SVOBODA/ŠMILAUER 1949/1960, IV: 26), genannt. Gruppe 2: ON, für deren Bestimmungswort bzw. Ableitungsbasis sowohl eine Erklärung aus slawischem als auch aus deutschem Sprachmaterial zu erwägen ist, wobei der Herleitung aus dem Slawischen der Vorzug gegeben werden kann. Beispiel hierfür ist der in Bayern mehrfach vorkommende SN Melken- dorf, Vita [15. Jh.] (zu 1102–1139) nach Vorlage [ca. 1140] Malikendorf (mit unsicherer Zuordnung), aus ostfränkisch *Malikendorf, wohl zum slawischen PN *Malikъ, weniger wahrscheinlich zu einem deutschen PN *Maliko (vgl. EICHLER/GREULE/JANKA/SCHUH 2001: 121–123 und 2006: 159f.). Gruppe 3: ON, bei denen die Erklärung des Bestimmungsworts bzw. der Ab- leitungsbasis aus dem Slawischen – zumindest vorerst – gleichberechtigt neben der Herleitung aus dem Deutschen steht (etymologische Konkurrenzfälle). Als Beispiel für diese Gruppe kann der SN †Rottmannsdorf/Thüringen, 1350 –––––––— 3 Inbegriffen seien hier die genetivischen ON (ohne Grundwort). 160 Wolfgang Janka

Rotmarstorf ... Ratmanstorf, gelten, der entweder den altsorbischen PN *Ratimir oder den deutschen PN Rātmār enthält (vgl. BILY/BREITFELD/ZÜFLE 2000/2004, II: 89). Gruppe 4: ON, deren Bestimmungswort bzw. Basis eher aus dem Deutschen als aus dem Slawischen zu erklären ist, wobei die Herleitung aus dem Slawi- schen nicht völlig auszuschließen ist. Hier ist z.B. der SN Kottengrün/ Sachsen, 1320 Cottengrune, einzureihen, der im Bestimmungswort eher den deutschen PN Kotte enthält als den altsorbischen PN *Chot(a) (vgl. HONB Sachsen 2001, I: 523). Gruppe 5: ON, deren Bestimmungswort bzw. Basis in der älteren Forschung irrtümlich slawisch gedeutet worden ist. Hierher gehört beispielsweise der SN †Teichmannsdorf/Thüringen (s. unter 4.). Während die SN aus den Gruppen 1 und 2 ohne Vorbehalt in die sprachwissen- schaftliche und siedlungsgeschichtliche Auswertung einzubeziehen sind, sollten die Namen aus Gruppe 3 immer als Konkurrenzfälle gekennzeichnet und auf Karten ggf. mit spezifischen Symbolen dargestellt werden. Die SN der Gruppen 4 und 5 beinhalten wahrscheinlich bzw. sicher kein aus dem Slawischen ins Deutsche integriertes Sprachmaterial und spielen daher im Rahmen der weiter- gehenden Analyse keine Rolle.

3. Prüfung von Ergebnissen der regionalen Geschichtsforschung

Nachdrücklich zu empfehlen ist die kritische Betrachtung von scheinbar gesi- cherten Erkenntnissen in Arbeiten von Historikern mit regionalem Bezug. So wird z.B. die Namenform 1336 Droschenreut (BayHStA [Bayerisches Haupt- staatsarchiv] Regensburg-St. Emmeram Lit. 12: fol. 110) von Dieter BERND (1977: 42, 61) mit Tröbes/Bayern gleichgesetzt. Ähnlich geht Siegfried PO- BLOTZKI (1982: 298) irrtümlich davon aus, dass anstatt Tröbes die „ursprüng- liche Ortsbezeichnung ‚Droschenreuth‘ [...] bis zum 16. Jahrhundert üblich“ war. Dem ist zu entgegnen, dass in einem Salbuch von 1498, in dem auch Tröbes verzeichnet ist, eine Mahd namens Troshellrieth aufscheint (StAAm [Staatsar- chiv Amberg] Regierung Amberg 1863: fol. 86, 87’), gelegen zwischen zwei an- deren, in der Nähe von Tröbes befindlichen Orten. 1630 wird im Zusammen- hang mit einem wenige Kilometer von Tröbes entfernten Dorf ein Ackher gegen Troschel riedt gelegen (StAAm Amt Tännesberg-Treswitz 3494: fol. 69) genannt. Droschenreut darf also nicht mit Tröbes gleichgesetzt werden. Sprachlich be- steht ohnehin kein Zusammenhang: Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 161

SN (MN) †Droschenreut 1336 Droschenreut 1498 Troshellrieth 1630 Troschel riedt

Im Bestimmungswort dieses -reut-Namens ist der eingedeutschte slawische PN *Drožьkъ > *Drožek/*Drožk enthalten. Gleiches gilt für die zwei SN Troschen- reuth/Bayern, 1149 Drosekenrivt bzw. 1320 Troschenreut (EICHLER/GREU- LE/JANKA/SCHUH 2006: 227–230). Von sprach- und siedlungsgeschichtlicher Bedeutung ist die Tatsache, dass /ro/ als Ergebnis der Liquidenumstellung eine Parallele zum Altsorbischen, nicht dagegen zum Alttschechischen (hier /ra/) darstellt, wobei †Droschenreut, zu verorten im oberpfälzischen Landkreis Neu- stadt a. d. Waldnaab, nach bisherigem Erkenntnisstand als südlichster ON Bay- erns mit ro-Lautung zu gelten hat. SN Tröbes 1427 Trewas (StAAm Pfalz-Neumarkt-Neunburg 7: fol. [15’]) 1451 Trebesz (StAAm Amt Tännesberg-Treswitz 240) 1498 Trebess ... Trebeß (StAAm Regierung Amberg 1863: fol. 11’, 17) Der SN Tröbes ist im Zusammenhang mit dem GewN Tröbesbach zu sehen, des- sen Grundwort -bach erst spät angefügt worden ist: 1498 an der Trebeß (StAAm Regierung Amberg 1863: fol. 8), 1562 die Trebeß ... dj Trebes (StAAm Regierung Amberg 1864: fol. 271, 504’). In der älteren Fachliteratur wurde dies noch nicht berücksichtigt. Margarete Bachmann und Ernst Schwarz, denen keine histori- schen Schreibformen vorlagen – weder zum SN noch zum GewN –, stellten den SN Tröbes zu „trebež Gereut“ bzw. „trebež ‘Rodung’“ (BACHMANN 1929: 49; SCHWARZ 1960: 241), wobei Schwarz in Anbetracht der fehlenden Beleggrundlage dies mit Recht „unter Vorbehalt“ (ebd.) gestellt hat. Unter Einbeziehung der Na- menüberlieferung ergeben sich zwei Ansatzmöglichkeiten: Entweder liegt ein sla- wischer FlurN/SN *Trebežь zu slaw. *trebežь ‘Rodung’ oder aber ein slawischer GewN zugrunde, dessen Grundform ebenfalls als *Trebežь, aber auch als *Treb-ša (*Trebeša, *Trebiša o. ä.) erschlossen werden kann. Bei der zweiten Herleitung ist vergleichend auf den GewN Triebisch/Sachsen, [1012–1018] Tribisa fluvius, < asorb. *Trebeša, *Trebiša (o. ä.) (vgl. EICHLER 1985/2009: IV: 35) hinzuweisen. 162 Wolfgang Janka

4. Prüfung von Ergebnissen der toponomastischen Forschung (A: vermeintliche MN) Einige in der älteren Forschung vertretene Herleitungen müssen präzisiert oder korrigiert werden. Wie das folgende Beispiel zeigt, kann davon auch das allge- mein sehr gut bearbeitete altsorbisch-ostmitteldeutsche Kontaktgebiet nicht ausgenommen werden. Es handelt sich um den SN †Teichmannsdorf (heute Ehrenstein/Thüringen), dem von Rudolf FISCHER folgende historische Schreib- formen zugeordnet worden sind: 1217 Tichmannestorph 1299 Tichmansdorf 1318 (Regest 19. Jh.) Tychmanstorff ... Tychmarsdorf 1404 Dichmannsdorf 1508 Teichmannsdorf (FISCHER 1956: 26)

Fischer gelangte auf dieser Beleggrundlage zu dem Urteil, dass sich kaum ent- scheiden lasse, ob der PN im Bestimmungswort deutscher oder slawischer Her- kunft ist. Für die Erklärung komme sowohl dt. Teichmann, als FN früh bezeugt (FISCHER nennt den Beleg 1394 Hans Tychman aus Erfurt), als auch der slawische PN *Těchoměr in Betracht. Um letzteren Ansatz vor dem Hintergrund der über- lieferten Namenformen zu rechtfertigen, führte er aus, dass in ON seit dem späten Mittelalter öfters -man(n)- für früheres -mar- geschrieben werde. Zur Stützung dieser These zog er die slawisch-deutschen MN Köttmannsdorf im oberfränki- schen Landkreis Bamberg und Köttmannsdorf bei Klagenfurt in Kärnten heran (vgl. ebd.: 26f.). Zu beiden SN, die den eingedeutschten slawischen PN *Chotěmirъ (evtl. auch -měrъ) enthalten, liegen heute erweiterte Belegreihen vor: SN Köttmannsdorf/Bayern 1109 (Kop. Mitte 12. Jh.) Chotemaresdorf 1260 Kotmarsdorf 1312 Chtmarzdorf 1340 Kotsmorsdorf 1342 (Kop. 15. Jh.) Kotzmanstorf ... (Kop. 18. Jh.) Köttmansdorff 1347 Ktmairstorf 1408 Kotmanstorf 1414 Kotwestorf 1422 Köttmanßtorff (EICHLER/GREULE/JANKA/SCHUH 2001: 88f.) Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 163

Es zeigt sich, dass -mar- bei diesem Namen bis ins 14. Jahrhundert hinein stabil ist; die erste -man-Schreibung aus originaler Überlieferung stammt aus dem frühen 15. Jahrhundert. SN Köttmannsdorf/Kärnten 1142 (Kop. Anfang 15. Jh.) Kotmansdorf 1147 (Kop. Anfang 15. Jh.) Chotmarsdorf [1175–1191] Cothmersdorph [1175–1191] (Kop. Anfang 15. Jh.) Chtmansdorf 1194 Godmeresdorf 1213 Chotmarsdorf (HAUSNER/SCHUSTER 1999: 613)

Hier ergibt sich ein ähnliches Bild: -man- erscheint seit dem frühen 15. Jahr- hundert. Die unbetonte Silbe des Bestimmungsworts wurde offenbar erst im 14. Jahr- hundert in der Mundart zu [mә] abgeschwächt und konnte dann von Schrei- bern, die sich der Herkunft dieser Namen nicht bewusst waren, sowohl mit -mar- (u.ä.) als auch mit -man(n)- verschriftet werden. Im Fall von Teich- mannsdorf spricht zumindest der Erstbeleg Tichmannestorph von 1217 eindeu- tig für die Annahme von ursprünglichem -man-. Die vermeintlichen Parallelen der beiden SN Köttmannsdorf liefern also ein erstes gewichtiges Argument ge- gen den Ansatz von slaw. *Těchoměr. Ein zweites ergibt sich aus dem angenommenen Lautersatz. Fischer geht da- von aus, dass slaw. /ě/ hier durch den deutschen Kurzvokal /i/ wiedergegeben worden ist. Dieses /i/ habe sich dann „nachträglich“ zu /ai/ entwickelt (vgl. FI- SCHER 1956: 27). Für eine derartige „nachträgliche Diphthongierung“ lässt sich jedoch keine einzige Parallele beibringen. Insgesamt ist der Ansatz des slawischen PN *Těchoměr als unzutreffend zu bewerten, man müsste schon eine vor der ersten Bezeugung des SN vollzogene Eindeutung des deutschen PN (ÜberN) Tīchman oder des diesem zugrunde lie- genden Appellativs mhd. *tīchman annehmen, was rein spekulativ wäre. Die Schreibung Tychmarsdorf aus einem im 19. Jahrhundert verfassten Regest einer Urkunde von 1318 liefert hierfür keinen Anhaltspunkt. In der Originalurkunde (s. Abbildung 1) ist eindeutig Tychmastorf zu lesen. Das r in Tychmarsdorf ist al- so erst viel später von dem Regestenschreiber in den Namen eingefügt worden. Somit liegt kein einziger Beleg vor, der als Hinweis auf ein slawisches PN- Zweitglied -měr- oder -mir- aufgefasst werden könnte. Die Erklärung aus dem Deutschen bereitet dagegen keinerlei Schwierigkeiten. Der Name Teichmanns- 164 Wolfgang Janka dorf ist in Gruppe 5 (s. oben unter 2.) einzuordnen und scheidet damit aus dem Bestand der slawisch-deutschen MN aus.

Abbildung 1: Ausschnitt aus einer Urkunde von 1318 (Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Sondershäuser Urk. 355) mit dem SN Tychmastorf (Unterstreichung: W.J.)

Aus Nordbayern lassen sich einige weitere Fälle anführen, in denen die ältere Herleitung aus dem Slawischen der Prüfung nicht standhält. So weist etwa das Be- stimmungswort des SN Feilersdorf, 1378 (Kop. 1773) Feylersdorff (StAAm Kl. Speinshart 242: 212), [1396–1399] Feylerstorf (StAAm Oberster Lehenhof 844: fol. 30’), nicht einen „PN mit Byl“ (SCHWARZ 1960: 234; ebd.: „mit Vorbehalt“) auf, sondern ist zu mhd. vīler ‘Feilenhauer’ (LEXER 1872/1878, III: 349) zu stellen. Der Irrtum liegt hier in einer falschen Belegzuweisung begründet. Schwarz hat die Namenform [1396–1399] Fulesdorf (StAAm Oberster Lehenhof 844: fol. 19’) her- angezogen, die von Georg Völkl als „vielleicht Feilersdorf“ (VÖLKL 1955: 333, Anm. 662) identifiziert worden war, was aus lautlichen Gründen nicht zutreffen kann. Ähnlich ist der Befund bei den bayerischen SN Groppenheim, Filchendorf und Mockersdorf. Im Fall von Groppenheim, 1185 Grokinhein (StAAm Kl. Wald- sassen Urk. 124), [Ende 14. Jh.] Grokenheim (StAAm Kl. Waldsassen 369: fol. 6’), kann zum einen mit Adolf Gütter ein deutscher PN *Grocko angesetzt werden –––––––— 4 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-StAAm/Waldsassen/12/ charter. Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 165

(vgl. GÜTTER 1989: 13–16), zum anderen ist aus typologischer Sicht einzuwenden, dass slawisch-deutsche MN mit dem Grundwort -heim in Nordbayern sonst nicht vorkommen. Die ältere Herleitung vom slawischen PN „Krok“ (SCHWARZ 1960: 207), bei dem man zudem von einem für das betreffende Gebiet untypischen Lautersatz k- > g- ausgehen müsste, ist somit zurückzuweisen. Bei Filchendorf, [um 1281] Wlchendorf (StABa [Staatsarchiv Bamberg] Brdbg. Urk. Nr. 37), 1422 Fulchendorf (StABa A 165/I L. 524 Nr. 649), liegt dem Bestimmungswort weder der slawische PN „Běloch“ (SCHWARZ 1960: 233) noch dt. Fulko (GÜTTER 1997: 137f.) zugrunde, sondern ahd. fulihhī(n) ‘Fohlen, Füllen’ oder fulihha ‘Füllen, jun- ge Stute’ (vgl. JANKA 2008: 97). Der im SN Mockersdorf, 1244 Makerstorf (StAAm Kl. Waldsassen Urk. 395), [um 1281] Markerstorf (StABa Brdbg. Urk. Nr. 37), aufscheinende PN lässt sich nicht als „slaw. PN Mokan“ (SCHWARZ 1960: 393; ebd. mit ? versehen) rekonstruieren. Tatsächlich liegt entweder dt. Markheri oder dt. *Makheri (< *Mag-hari) zugrunde (vgl. GÜTTER 1997: 136). Was das Bestimmungswort der ebenfalls in Nordbayern vertretenen SN Fuchsmühl, 1363 Vossenml (StAAm Kl. Waldsassen Urk. 4326), und Fürsten- hof, 1259 Vossenhoven (StAAm Kl. Waldsassen Urk. 517), betrifft, so ist der von Schwarz erwogene slawische PN „Boš“ (SCHWARZ 1960: 233) gegenüber einer alternativen Erklärung aus dem Deutschen als wenig wahrscheinlich zu bewer- ten: Eher dürfte der deutsche (nordbairische) PN *Fosso, Vosse – im nordbairi- schen Gebiet nachgewiesen: 1334 der Vosse (BayHStA Kurbayern Urk. 22470) –, der als ÜberN zu nordbair. (alt) fūәs ‘Fuchs’ (vgl. SCHMELLER 1872/1877, I: 686) < *vosse (zur lautlichen Gestalt dieser Form vgl. mnd., (m)nl. vos ‘Fuchs’; PFEI- FER 1993: 381) gehört, enthalten sein. Das genannte nordbairische Appellativ ist durch [fųkß] ersetzt bzw. verdrängt worden. Gleiches hat sich auch beim SN Fürstenhof vollzogen, der dialektal [fųkßnhūɐf] lautet – nicht „firštnhuәf“, wie von SCHWARZ (1960: 233) behauptet. In Bezug auf obige Gruppeneinteilung nach der Erklärungswahrschein- lichkeit (s. 2.) reihen sich Feilersdorf, Filchendorf, Groppenheim und Mockersdorf in Gruppe 5, Fuchsmühl und Fürstenhof in Gruppe 4 ein.

–––––––— 5 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-StAAm/Waldsassen/39/ charter. 6 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-StAAm/Waldsassen/ 432/charter. 7 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-StAAm/Waldsassen/51/ charter. 166 Wolfgang Janka

5. Prüfung von Ergebnissen der toponomastischen Forschung (B: zusätzliche MN)

Die sprachwissenschaftliche Analyse auf ausreichender Belegbasis kann mitunter freilich auch Ergebnisse zeitigen, die in die entgegengesetzte Richtung weisen. Bei den folgenden vier bayerischen SN sind eingedeutschte slawische PN in das Bestimmungswort eingegangen oder haben als Ableitungsbasis fungiert, was bisher nicht erkannt oder in Frage gestellt worden war. So kommen bei Botzers- reuth angesichts von Belegen wie [vor 1293] Pazansreuth (SpAR [Archiv des Ka- tharinenspitals Regensburg] Urk. 1393) und 1293 Pozensreut (SpAR Urk. 1293 Febr. 228) die deutschen PN „Bothar“ oder Pozo (WILL 1939: 26) nicht in Be- tracht. Vielmehr ist vom slawischen PN *Pačanъ (vgl. PN wie atsch. Pačeslav, skr. Pačemil [SVOBODA 1964: 82]) auszugehen. Im Zusammenhang mit Zirkenreuth, [Mitte 14. Jh.] Cyrkenreut (BSB [Bayeri- sche Staatsbibliothek] Clm 1091: fol. 37’), 1379 Cirkenreut (StAAm Kl. Waldsas- sen Urk. 4819), hat Ernst Schwarz sowohl den slawischen PN *Cьrkъ (vgl. SCHWARZ 1960: 303: „Crk“) als auch das Appellativ mhd. zirk (st. Mask.) ‘Kreis, Zirkel’ (LEXER 1872/1878, III: 1132) vorgeschlagen und Zirkenreuth den „unkla- ren und unsicheren Namen“ zugeordnet. Gegen das bereits von Johann BRUNNER (1930: 17) angesetzte Appellativ zirk und auch gegen mhd. zirk (st. Fem.) ‘Rund-, Streifwache’ (LEXER 1872/1878, III: 1132) sowie mhd. zirke (sw. Mask.) ‘Kreis, Zirkel, Kranz’ (ebd.: 1133) spricht jedoch der fehlende toponymische Nachweis dieser Wörter. Zirk kommt zudem wegen der Struktur des SN Zirkenreuth, dessen Fugenelement -en- bei Annahme eines stark flektierten Maskulinums bzw. eines stark flektierten Femininums nicht erklärt werden kann, nicht in Betracht. Dage- gen lässt sich die Herleitung vom PN *Cьrkъ durch den zu vergleichenden SN Crkovice/Böhmen (s. PROFOUS/SVOBODA/ŠMILAUER 1949/1960, I: 284) sowie die Existenz des tschechischen FN Crk (SVOBODA 1964: 196) untermauern. Möglich erscheint darüber hinaus noch die Rückführung auf den slawischen PN *Sir-k- (vgl. apolab. Sir-k [SCHLIMPERT 1978: 125]). Das Bestimmungswort von Blossersberg, [um 1112–1115] Plassansperch (MOHR 1979: Nr. 48), [um 1160–1180] Blassansberg (BSB Clm 22204: fol. 228’), lässt sich zu einem slawischen PN *Plašanъ stellen (vgl. HACKL 2008: 69–72). Vergleichbares liegt mit den tschechischen FN Plašil und Plašek (MOLDANOVÁ 2004: 142) vor. Damit ist nicht nur ein weiterer slawisch-deutscher MN festge- –––––––— 8 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-AKR/Urkunden/12930 222/charter. 9 Digitalisat der Urkunde: http://monasterium.net/mom/DE-StAAm/Waldsassen/ 481/charter. Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 167 stellt, sondern auch der bislang einzige Nachweis einer -an-Suffigierung bei PN zu dem Verb urslaw. *palšiti, tsch. plašit, poln. płoszyć ‘scheu machen, scheu- chen’ (SCHUSTER-ŠEWC 1978/1996, III: 1090) erbracht. Der SN Siedling, [1178–1185] Sidiningin (BAUMANN 1991: Nr. 60), [um 1300] Sydning (StAAm Kl. Reichenbach 70: fol. 46), stellt einen zusätzlichen Vertreter von Grundtyp 1 (s. 1.) dar. Ableitungsbasis ist der slawische PN *Žьdanъ (vgl. den alttschechischen PN Ždán sowie die tschechischen SN Ždáň, Ždánice, Ždánov, Ždánovo [PROFOUS/SVOBODA/ŠMILAUER 1949/1960, IV: 808–810; HOSÁK/ŠRÁ- MEK 1970/1980, II: 810]). Die ältere Herleitung von einem PN „Sitemar oder Sidimunt“ (SCHMIDT/BRUNNER 1929: 92) ist aus lautlichen Gründen abzulehnen.

6. Flexion bei slawisch-deutschen MN Bei genauerer Betrachtung der bisher bekannten MN der Typen 2 und 3 – „PN slawischer Herkunft im Bestimmungswort + deutsches Grundwort“ und „PN slawischer Herkunft im Genetiv“ – fallen gewisse Regularitäten bei der flexivi- schen Integration der PN auf, die in der bisherigen Forschung kaum zur Kennt- nis genommen worden sind. In entsprechenden Artikeln verschiedener Na- menbücher heißt es meist nur: „Der PN wurde im Deutschen in die starke (bzw. schwache) Flexion eingegliedert“. Der mögliche Hintergrund dieser Zuordnung wird in der Regel nicht weiter beleuchtet. Ein Gesamtüberblick über die flexivi- sche Integration im slawisch-deutschen Kontaktgebiet liegt bislang nicht vor (zu Nordbayern s. JANKA 2012). Die Ausarbeitung eines solchen wäre jedoch ein lohnendes Unterfangen, das ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der Er- klärungswahrscheinlichkeit liefern kann. Zwar hat man grundsätzlich auch mit regionalen Besonderheiten und kleinräumigen Faktoren – wie etwa dem Ein- fluss von parallelen Bildungen in der nächsten Umgebung – zu rechnen. Bei be- stimmten PN-Typen lassen sich jedoch auffällige Übereinstimmungen feststel- len, die für das gesamte Kontaktgebiet gelten. Wenn wir beispielsweise slawische PN untersuchen, die mit den Suffixen -ęta und -ota gebildet sind, so zeigt sich, dass sie ausnahmslos in die schwache Flexion übernommen wurden. Beispiele hierfür sind die PN *Boręta im Beleg 1249 Borente de Borantenhaghen, heute Brandshagen/Vorpommern mit sekundärem -s- (vgl. TRAUTMANN 1948–1956, I: 147), *Božęta (*Božata) in 1286 Bosetendorf, heute Possendorf/Sachsen (vgl. HONB Sachsen 2001: II, 207), *Mysłota in 1289 Muzcellotenrute, heute Miß- lareuth/Sachsen (vgl. ebd.: 42), und *Dobręta in 1333 Dobrentendorf, heute Doberndorf/Niederösterreich (vgl. BERGERMAYER 2005: 62). Gegenteiliges gilt bei PN mit dem Suffix -an-. Hier lassen sich fast nur Belege für die starke Flexion, d. h. mit der Genetivendung -(e)s, beibringen. Stellvertre- 168 Wolfgang Janka tend seien die PN *Drožan (altsorb.) in 1267 Drosansdorf, heute Droß- dorf/Sachsen (vgl. HONB Sachsen 2001: I, 221), und *Stojanъ im genetivischen SN Stoies/Niederösterreich, 1417 Stoyans (vgl. BERGERMAYER 2005: 246), ge- nannt. Mit dem PN *Plašanъ im SN Blossersberg/Bayern ist oben (s. 5.) ein wei- teres Beispiel angeführt worden. Im Folgenden sollen zwei SN aus Ostholstein näher beleuchtet werden, bei de- nen im Bestimmungswort kein -s-Flexiv erkennbar ist, aber dennoch ein PN auf -an- angesetzt wird. Beide Namen hat Antje SCHMITZ ausführlich behandelt. Zum SN Bojendorf werden folgende Belege angeführt: 1231 Boyænthorp 1329 Bogymdorp 1652 Boyendorp ... Boiendorp (SCHMITZ 1981: 52)

Schmitz schlägt für das Bestimmungswort drei Erklärungsmöglichkeiten vor: 1. slawischer PN *Bojan, 2. slawischer Kurzname *Boj und 3. friesischer bzw. sächsischer PN Bojo/Boje (vgl. ebd.: 52f.). Obwohl sie keinem dieser Ansätze den Vorzug gibt, führt Wolfgang Laur in seinem „Historischen Ortsnamenlexikon von Schleswig-Holstein“ nur die zuerst genannte Herleitung von dem PN *Bojan an (vgl. LAUR 1992: 166). Wie sich zeigen wird, ist diese aber gerade die unwahr- scheinlichste. Von entscheidender Bedeutung ist hier die Interpretation der Gra- phemfolge æn im Erstbeleg. Dieser stammt aus dem so genannten „Erdbuch Kö- nig Waldemars II.“, einem Verzeichnis der Besitzungen des dänischen Königs, verfasst von einem dänischen Schreiber. Mit der Faksimileausgabe der Original- quelle (AAKJÆR 1926–1945) ist eine gute Grundlage für die graphematische Un- tersuchung vorhanden. Der Name Boyænthorp erscheint hier zusammen mit zahlreichen weiteren Namen ostholsteinischer Orte (s. Abbildung 2). In SN wie Tessikænthorp, Todænthorp oder Mummænthorp ist æn als Genetivendung der schwachen Flexion zu identifizieren. Allgemein dient die Ligatur æ in diesem Text zur Bezeichnung eines kurzen e-Lautes, und zwar sowohl in betonter als auch in unbetonter Stellung. Da nun im Friesischen und im Sächsischen der schwach flek- tierte PN Bojo, Boje sehr gut bezeugt ist, ergibt sich für das Bestimmungswort in Boyænthorp eine zwanglose Erklärung als ‘Dorf des Bojo oder Boje’. Als möglich, jedoch weniger wahrscheinlich kann der erschlossene altpolabische Kurzname *Boj eingestuft werden. Damit ist Bojendorf bezüglich der Erklärungswahrschein- lichkeit der Gruppe 4 zuzuordnen. Gegen *Bojan spricht neben der Problematik der Namenbildung (es stellt sich die Frage: Kann man eine Reihung, d. h. eine Komposition ohne Flexion des Bestimmungsworts annehmen?) auch die Schrei- Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 169 bung -an- im SN † Darganthorp (so in derselben Quelle einmalig überliefert [vgl. SCHMITZ 1981: 78]).

Abbildung 2: Ausschnitt aus dem Erdbuch König Waldemars II. (fol. 135’; Faksimile bei AAKJÆR 1926–1945, I im Anhang; Markierungen und Unterstreichungen: W.J.)

Es ist zwar deutlich der altpolabische PN *Dargan zu erkennen, doch bleibt die morphematische Struktur des SN unklar: Wenn man von einem MN des Typs 2 ausgeht, würde man am ehesten *Dargansthorp erwarten. Hat hier etwa der 170 Wolfgang Janka

Schreiber das -s- zwischen Dargan- und -thorp nur irrtümlich weggelassen, wie es ihm bei zwei anderen SN in diesem Teil der Besitzliste (Tæssemærthorp, Bon- demærthorp vs. [fol. 136:] Thæssemærsthorp, Blandemærsthorp) nachweislich passiert ist? – Eine andere Möglichkeit ist darin zu sehen, dass – wie Antje SCHMITZ (1981: 79) erwägt – das deutsche Grundwort -thorp an einen mittels j- Suffigierung abgeleiteten slawischen SN *Dargań angehängt wurde. Dies hat sich jedoch kaum auf der Ebene der gesprochenen Sprache ereignet. Eher könn- te der Schreiber des „Erdbuchs“ dafür verantwortlich sein, zumal Darganthorp zwischen zwei thorp-Orten genannt wird (s. Abbildung 2). Doch unabhängig davon, welche dieser beiden Erklärungen man bevorzugt, bleibt festzuhalten, dass weder Bojendorf noch Darganthorp ein sicheres Beispiel für die Integration eines PN auf -an- in die schwache Flexion darstellt. Im einen Fall (Bojendorf) liegt sehr wahrscheinlich gar keine -an-Suffigierung zugrunde und im anderen Fall (Darganthorp) ist am ehesten von einem Fehler des Schrei- bers oder von einer Kanzleibildung auszugehen. Beide SN zeigen jedenfalls, dass die flexivische Integration ein wichtiges Kriterium bei der Namenerklärung sein kann. Veranschaulichen lässt sich dies auch am Beispiel des PN, der im nordbaye- rischen MN Wendersreuth enthalten ist. Die ältesten Erwähnungen hierzu lau- ten [um 1309] Zwentezreut, [1366–1368] Zwentersreut und [1396–1399] zue Wentesrewt (BayHStA KÄA 4745: fol. 94; SCHNELBÖGL 1973: 73, 88, 148; StAAm Oberster Lehenhof 844: fol. 29). Beim bisher angesetzten PN „*Svętoš“ (SCHWARZ 1960: 222; EICHLER 1962: 385) wäre mit einem Bestimmungswort *Zwent-ssen- zu rechnen, weil Kurznamen, die mit -š-Suffix gebildet sind, im slawisch-deutschen Kontaktgebiet Nordbayern sonst in die schwache Flexion eingegliedert worden sind (vgl. JANKA 2012: 148f.). Dagegen führt die Herlei- tung vom PN *Svęt-n-, dessen -n-Suffix auf starke Flexion im Deutschen schlie- ßen lässt, zu *Zwent-nes- und weiter zu *Zwentes-, wobei sich nach Deglutinati- on von /z-/ Wentes- ergibt (vgl. ebd.: 144–146, 152). Die Berücksichtigung der Flexion ermöglicht also eine präzisere Bestimmung des slawischen PN.

7. Bedeutung von Vergleichsnamen

In Nordbayern begegnet dreimal der SN Plößberg. Einer von diesen (Markt Plößberg, Lkr. Tirschenreuth) zeigt in der Überlieferung von Beginn an das Grundwort „-berg“ und z-Schreibung im Auslaut des Bestimmungsworts: [1124– 1136] (Kop. um 1136) Plezberch, 1261 Plezperch (MUFFAT 1856: Nr. 4; StAAm Kl. Schönthal Urk. 11). Isoliert betrachtet könnte von einer deappellativischen „Mischbildung“ zu slaw. *ples- ‘tiefe Stelle; See, Teich’ (vgl. tsch. pleso, russ. плёс Anmerkungen zur Methodik der Erforschung slawisch-deutscher Mischnamen 171 usw. [ŠMILAUER 1970: 143]) ausgegangen werden. Wenn man jedoch Plößberg (Gde. Immenreuth, Lkr. Tirschenreuth) in die Analyse mit einbezieht und sich vergegenwärtigt, dass derartige MN in Nordbayern bisher nicht sicher nachgewie- sen sind, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Der zweite dieser drei Namen weist nämlich bei der ersten Erwähnung noch kein Grundwort auf: [Ende 12. Jh.] (zu 1119) Plez, 1283 Plesberch ... Plezberch (StAAm Kl. Michelfeld Urk. 1; BayHS- tA Kurbayern Urk. 13492 und 13493). Hier liegt ein slawischer FlurN *Ples- (zu genanntem *ples-) zugrunde. Dies dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit auch für das erste Beispiel gelten, bei dem -berg wohl ebenfalls als nachträglich angefügtes Grundwort anzusehen ist. Die Verbindung mit -berg erscheint insofern nahe lie- gend, als der in Böhmen mehrfach vorkommende FlurN Ples in der Regel hoch gelegene Orte bezeichnet (SPJČ: „vrch“, „kopec“, „návrší“, „pahorek“). Würden Vergleichsnamen nicht berücksichtigt werden, könnte man im ersten Fall zu der eher nicht zutreffenden Klassifizierung als slawisch-deutscher MN gelangen. – Auch bei dem erst seit dem 14. Jahrhundert belegten SN Plößberg i. OFr. (Lkr. Wunsiedel), [um 1360] Plesperch ... Plesperck ... Plesberg, 1370 Plesperg (HÖL- LERICH 1977: 52f.), handelt es sich wohl nicht um einen MN. Allerdings kommt hier neben *Ples- auch slaw. *Plěšь zu *plěšь ‘kahle Stelle’ (ŠMILAUER 1970: 143) in Betracht, was bei den anderen beiden SN aufgrund der z-Schreibungen in den äl- testen Nennungen auszuschließen ist (slaw. /š/ wurde durch dt. /s(s)/ ersetzt).

8. Resümee

Das Korpus der slawisch-deutschen MN kann um weitere, z.T. sprach- und siedlungsgeschichtlich besonders aufschlussreiche Namen ergänzt werden. An- dererseits sind einige unsichere oder unwahrscheinliche Fälle auszuscheiden. Ein ähnlicher Befund dürfte sich auch für andere Namentypen im slawisch- deutschen Kontaktgebiet ergeben. Im vorliegenden Beitrag sollten wichtige As- pekte herausgehoben werden, die es bei künftigen Arbeiten über Integrate im genannten Untersuchungsraum stärker zu berücksichtigen gilt. Wie die Bei- spielnamen gezeigt haben, hängen diese Kriterien aufs Engste zusammen mit in der Namenforschung bereits etablierten, freilich nicht immer konsequent ange- wandten Verfahren wie etwa der Prüfung der Quellengrundlage bei wichtigen Einzelbelegen oder der systematischen Einbeziehung von Vergleichsmaterial. Bei konkurrierenden Herleitungen, die besonders häufig bei PN-Kurzformen begegnen, müssen im Einzelfall alle Beurteilungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden, um zu einer zuverlässigen Einschätzung der Erklärungswahrscheinlich- keit zu gelangen. Im Fall der MN der Typen 2 („PN slawischer Herkunft + deut- 172 Wolfgang Janka sches Grundwort“) und 3 („PN slawischer Herkunft im Genetiv“) kann dabei das Kriterium der flexivischen Integration eine entscheidende Rolle spielen. Auf der Grundlage zuverlässig erklärter Einzelnamen erfolgt dann die lingu- istische Auswertung des Materials in seiner Gesamtheit nach phonematischen, morphematischen und lexikalisch-semantischen Gesichtspunkten sowie die siedlungsgeschichtliche Analyse, die sich wesentlich auf typologische Erkennt- nisse stützen kann – bei MN des Typs 2 u.a. auf das Auftreten bestimmter deut- scher Grundwörter (-dorf, -berg, -reut(h), -grün usw.) mit ihrer spezifischen Zeitstellung. Nicht zuletzt wird die Untersuchung der Verbreitung der drei Grundtypen slawisch-deutscher MN (s. 1.) regionale Unterschiede deutlich ma- chen und wichtige Anhaltspunkte für die zeitliche Einordnung des slawisch- deutschen Sprachkontakts liefern.

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Kathrin Marterior Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein

1. Einleitung Das heutige östliche Holstein mit den Landkreisen Plön, Ostholstein, Herzog- tum Lauenburg und der Stadt Lübeck stellt die nordwestliche Peripherie des ehemaligen Siedlungs-, Sprach- und Kulturraumes der Germania Slavica dar. Im 7. Jahrhundert erreichten slavischsprachige Bevölkerungsgruppen das Ge- biet, die aus dem Bereich nördlich der Karpaten kamen und im Zuge der euro- päischen Völkerwanderung auf der Suche nach einem neuen Lebensraum wa- ren. Es liegen verschiedene Quellen vor, die die Anwesenheit der Slaven im öst- lichen Holstein bezeugen. Diese Quellen stammen aus den Forschungsbereichen Archäologie, Geschichte und Linguistik. Durch interdisziplinäres Zusammen- wirken können umfangreiche Kenntnisse über die Slaven gewonnen werden. Somit geben Überlieferungen aus den genannten Forschungsbereichen Auf- schluss über den slavisch-deutschen bzw. – für die Zeit der slavischen Ansied- lung im frühen Mittelalter – über den slavisch-germanischen Sprachkontakt. In dem vorliegenden Beitrag sollen im ersten Teil einige der Quellen zum sla- visch-germanischen/deutschen Sprachkontakt in der Zeit vom frühen bis zum hohen Mittelalter aufgezeigt werden. Die verschiedenen Überlieferungen er- möglichen eine differenzierte Betrachtung des Sprachkontaktes zwischen den Bevölkerungsgruppen, die für die These über den „historischen Fall von Bilin- gualismus“ (WULF 2000: 25) eine bedeutende Rolle spielt. Für das Gebiet des östlichen Holsteins wird in der bisherigen Forschung die Existenz einer bilingu- alen Sprachgemeinschaft bis zum 14./15. Jahrhundert postuliert. Diese Zwei- sprachigkeit ließe sich nach Wulf neben historischen Quellen direkt durch die überlieferten Toponyme belegen (WULF 2000: 27). Dabei seien sprachliche Be- lege wie die sogenannten Mischnamen und die Integrate aus der Zeit der Ein- gliederung des altpolabischen (aplb.) Dialektes in das deutsche Sprachsystem von besonderer Bedeutung (WULF 2000: ebd.). Inwiefern diese Formen aller- dings ein linguistisches Zeugnis für eine zweisprachige Kompetenz darstellen, bleibt noch zu prüfen. Denn eine genauere Betrachtung ergibt, dass nicht in je- dem Fall die Entstehung der Mischnamen und Integrate auf eine zweisprachige Kommmunikationsumgebung zurückzuführen ist. Im zweiten Teil des Beitrages soll auf diese Problematik weiter eingegangen werden. 178 Kathrin Marterior

2. Zur Slavizität der Region

Wie die slavische Westwanderung im frühen Mittelalter im Einzelnen verlief, dazu lässt sich aufgrund fehlender Quellen nur wenig sagen. Es ist wohl sehr unwahrscheinlich, dass die Slaven bei ihrer Ankunft im frühen 7. Jahrhundert in ein siedlungsleeres Gebiet kamen (JÖNS/SCHNEEWEIß 2013; DOBAT 2006; NÖS- LER/WOLTERS 2009). Fundplätze germanischer Urnenfriedhöfe im schleswig- holsteinischen Gebiet unterstreichen diese Annahme und deuten aufgrund von Gemeinsamkeiten mit benachbarten Gebieten darauf hin, dass suebische Stäm- me vor der slavischen Landnahme dort lebten (STRUVE 1985: 76). Die Sueben waren im 4./5. Jahrhundert im Zuge der Völkerwanderung in Richtung Westen und Süden abgewandert. Es konnte kein absoluter Abbruch der Funde, sondern eher ein starker Fundrückgang konstatiert werden (ebd.). Demnach ist anzu- nehmen, dass die Slaven bei ihrer Landnahme auf eine germanische Restbevöl- kerung gestoßen sind. Einen diesbezüglichen Hinweis liefern archäologische Funde. Die älteste slavische Keramik ist mit Scherben durchmischt, die sich nicht in das frühslavische Formenspektrum einordnen lässt (KEMPKE 1984; STRUVE 1985: 132). Es sind „schwarzgraue, wenig gemagerte und recht hartge- brannte Scherben, deren besonderes Merkmal die polierte, stellenweise abge- blätterte Außenhaut ist“ (STRUVE 1985: 132). Weil die slavische Keramik keine Parallelen aufweist, ist die Gefäßpolitur ohne Zweifel ein germanisches Erbe (KEMPKE 1984; STRUVE 1985: 132). Die Möglichkeit, dass die Slaven angefangen haben, Gefäße zu glätten und mit Henkeln auszustatten, wird als „ein sehr merkwürdiger Zufall“ gewertet (STRUVE 1985: 132). Sowohl germanische als auch slavische Elemente treten gemeinsam auf, so dass Handwerker beider Gruppen im Kontakt gestanden haben müssen (STRUVE 1985: 133). Einen wei- teren, möglichen Hinweis für einen germanisch-slavischen Kontakt liefern ar- chäologische Untersuchungen zur Oldenburg, die einen Hauptsitz der Slaven bildete. Die Rekonstruktion der Wallgrundnisse zeigt einen konzentrischen Kreis innerhalb der Burg (STRUVE 1985: 142). Die Vermutung, der Burgherr habe isoliert vom übrigen Volk gelebt, lehnt Struve ab (STRUVE 1985: 142). Er geht bei dem Innenring der Burg von einer möglichen rudimentären Verteidi- gungsanlage der vorslavischen, germanischen Bevölkerung aus, welche zur Zeit der slavischen Einwanderung eine Burg baute (STRUVE 1985: 143). I. Gabriel hingegen weist den Innenring der slavischen Burg zu und schließt eine vorslavi- sche Interpretation aus (GABRIEL 1984: 18–25). Zur Bestimmung von Siedlungs- kontinuität und -diskontinuität und somit zum germanisch-slavischen Kontakt werden häufig pollenanalytische Untersuchungen herangezogen. Für das östli- che Holstein liegen unterschiedliche Ergebnisse für den Beginn einer Wiederbe- Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 179 siedlung nach der Völkerwanderungszeit vor. Pollenprofile aus dem Großen Eutiner See sowie von den Inseln Groter Warder im Trammer See und Probstenwerder im Lanker See datieren eine Besiedlungsausdünnung um 530, ca. 580 und 430 (WIECKOWSKA-LÜTH /DÖRFLER/KIRLEIS 2010/2011 (2013/ 2014); WIECKOWSKA-LÜTH 2013). Für das Wiedereinsetzen der Besiedlung lie- fert die Analyse unterschiedliche Ergebnisse. Am Probstenwerder zeichnet sich die Wiederbesiedlung durch einen starken Anstieg von Holzkohlepartikeln um 560 aus. Auf dem Groter Warder setzte eine Wiederaufsiedlung um 790 n. Chr. und somit ca. 200 Jahre später als auf dem Probstenwerder ein. Das Pollenprofil aus dem Eutiner See weist auf eine erneute Besiedlung um 670. Die abweichen- den Ergebnisse deuten auf einen komplexen Prozess der völkerwanderungszeit- lichen Abwanderung und der erneuten Landnahme. Demnach muss angenom- men werden, dass die slavischen Bevölkerungsgruppen im Zuge ihrer Ankunft im östlichen Holstein stellenweise auf eine germanische Restbevölkerung getrof- fen sind. Neben archäologischen Zeugnissen liegen onomastische Belege vor, die auf einen frühen Kontakt zwischen Slaven und Germanen deuten. Einer der Teil- stämme im östlichen Holstein hieß Wagrier. Diese Bezeichnung geht auf den Landschaftsnamen Wagrien zurück, welcher von einer germanischen Form *Wāgwar(i)jōz ʻMeeranwohner, Buchtanwohnerʼ abgeleitet wird (SCHMITZ 1981: 21). Der Name lässt auf einen engen Kontakt schließen, da es möglich ist, dass die Slaven die Bezeichnung von einer germanischen Restbevölkerung übernommen haben. Neben dieser Annahme einer Selbstbezeichnung ist eine Fremdbezeichnung nicht auszuschließen. Denn alle schriftlichen Quellen über die Slaven stammen von dezidiert nicht-slavischen Autoren (NÜBLER 2012: 61). Gleiches gilt für die Bezeichnung der Slaven, welche entlang der Elbe siedelten. Dem Landschaftsnamen Polabien zufolge werden sie als Polaben bezeichnet. Der Name Polabien wird auf eine Grundform aplb. *Polab’e zurückgeführt, die sich aus dem slavischen Präfix *po ʻan, beiʼ und der slavischen Bezeichnung *Labo/Lobo ʻElbeʼ zusammensetzt und mit dem slavischen *ʼe-Suffix abgeleitet wurde (SCHMITZ 1990: 44). Der Stammesname wird in den historischen Quellen 952 als Polabingis erstmalig überliefert (SCHMITZ 1990: 45). Vermutlich stammt er von der aplb. Grundform *Polabʼane, eine Ableitung mit dem Bewohnerna- mensuffix *ʼane (SCHMITZ 1990: ebd.). Es besteht die Möglichkeit, dass die Sla- ven den Namen infolge eines Kontaktes von der germanischen Restbevölkerung übernommen haben. Indiz dafür ist der Flussname Elbe, der in dem Namen enthalten ist und zur alten, indoeuropäischen Namenschicht gehört. Er tritt um 100 n.Chr. als Albis auf und geht gemäß der traditionellen alteuropäischen Hyd- ronymie wahrscheinlich auf eine alte indogermanische Form *albh- ʻweißʼ zu- 180 Kathrin Marterior rück (SCHMITZ 1990: 388; vgl. aber jetzt BICHLMEIER 2012: 379–389; BICHLMEI- ER 2012/2013: 70 f.; BICHLMEIER/BLAŽEK 2015: 125–146). Während der Über- nahme des Namens durch die Slaven könnte er der slavischen Metathese im An- laut unterlegen haben, wodurch es zu einer Entwicklung von al zu la kam (SCHMITZ 1990: 45). Die germanische Bezeichnung wurde somit in das Altpo- labische eingegliedert und zudem mit dem slavischen Präfix po erweitert. Von einer Kenntnis der Namenbedeutung ist nicht zweifelsfrei auszugehen. Der Name kann lediglich übernommen und an das aplb. Sprachsystem angepasst worden sein. Ob es sich um eine Selbst- oder Fremdbezeichnung handelt, kann wie für den Namen Wagrier aufgrund fehlender Quellen nicht entschieden wer- den. Im Fall einer Selbstbezeichnung deuten die Stammesnamen auf einen di- rekten Sprachkontakt zwischen Slaven und Germanen hin. Wie das Verhältnis zwischen den Stämmen in der ersten Phase der Land- nahme zu charakterisieren ist, ob kriegerisch oder friedlich, lässt sich aufgrund fehlender Quellen schwer beurteilen. Dem ersten Kontakt dürfte aber schnell ein angespanntes Verhältnis zwischen den Slaven und ihren Nachbarn gefolgt sein. Erstmalig schriftlich erwähnt wird der slavische Stamm der Obodriten, dem die Wagrier und Polaben angehörten, in den fränkischen Reichsannalen im Jahre 789 (STRUVE 1985: 79). Sie treten als Verbündete Karls des Großen in ei- nem Feldzug gegen die slavischen Wilzen auf, die mit den Sachsen sympathi- sierten. Archäologische Funde von der Oldenburg decken zunehmende Bezie- hungen nach Westen im 9. Jahrhundert auf. Slavische Fürsten besuchten fränki- sche Reichstage und kehrten oft mit Geschenken und anderen Gegenständen zurück, welche dort wohl von Handwerkern nachgeahmt und kopiert wurden (STRUVE 1985: 83). Eine Verbindung zum spätmerowingischen-karolingischen Reich zeigen unbekannte slavische Tonwaren, die mit ihren Stilelementen Ge- fäßformen des Westens ähneln (STRUVE 1985: 153). Weitere Fundstücke, die auf eine Verbindung zum Karolingerreich hindeuten, sind zwei karolingische Rie- menzungen aus Bronze, ein Hakensporn mit eingezapftem Dorn, welcher bei slavischen Hakensporen nicht bekannt ist, und einige Kämme (STRUVE 1985: 153f.). Die Quellen bezeugen den Kontakt der Slaven nach Westen, der vor allem auf einer politisch-militärischen Verbundenheit beruhte. Aus diesen Beziehungen lässt sich ein Sprachkontakt zwischen den Slaven und ihren Nach- barn ableiten. In der Slavenchronik des von Bosau wird berichtet: Als sie nun an den kleinen Fluß kamen, der Schwale genannt wird und die Sachsen von den Slawen trennt, schickten sie einen der slawischen Sprache kundigen Mann vorauf, der auskundschaften sollte, was die Slaven täten […]. (Helmold von BOSAU 1973: 115) Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 181

Dieser Quellenbeleg gilt als direktes Zeugnis für einen Kontakt zwischen den Slaven und ihren Nachbarn. Er weist aber zugleich auf die Notwendigkeit einer subtilen Betrachtung des Sprachkontaktes hin. In dem Beleg wird von einer ein- zelnen Person berichtet, die über Kenntnisse der slavischen Sprache verfügte. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass sich nicht jeder mit den Slaven verständi- gen konnte. Daraus geht hervor, dass die Quellen eine Pauschalisierung bilingu- aler Kenntnisse für die gesamte Bevölkerung nicht zulassen. Die Beschränkung der sprachlichen Kenntnisse auf einzelne Personen geht auf die räumliche Trennung der slavischen und deutschen Bevölkerung in der Zeit vom 9. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Mit der Eroberung des Gebietes nördlich der Elbe und der Elbmündung ließ Karl der Große den limes Saxoniae als „eine Art Demarkationslinie“ (STRUVE 1985: 83) zwischen den sächsischen Holsten und Stormarn im Westen und den Slaven im Osten errichten. Der Limes war durch naturräumliche Gegebenheiten, wie durch Flüsse, Niederungen oder Sümpfe, geprägt und verlief „vom östlichen Elbufer entlang der unteren Delvenau, der Flüsse Barnitz, Süder- und Nordbeste und zuletzt der bis zur Ost- see“ (GRABOWSKI 2007: 191; HARDT 2000: 38–56). Er bildete eine Zone mit schwer zu durchdringendem Sumpf- und Waldgebiet, welche weitestgehend unbesiedelt blieb. In dieser Phase ist ein Grenzkontakt zwischen Slaven und Deutschen zu konstatieren (WULF 2000: 21). Eine Trennung der Bevölkerungsgruppen spiegelt auch das archäologische Fundgut wider. Bei den slavischen Befunden handelt es sich um „offene (unbe- festigte) Siedlungen, Gräberfelder und Gräber, Horte (Schatzfunde/Edel- metallhorte) sowie Einzelfunde“ (MÜLLER-WILLE 1991: 59f.). Die Burganlagen konzentrieren sich im östlichen Bereich der Trennungslinie. Die Befestigungen von Belau, Klein Gladebrügge, Nütschau, Alt Fresenburg und Sirksfelde befin- den sich entlang des limes Saxoniae und kennzeichnen somit die Trennungslinie zwischen Sachsen und Slaven. Lediglich die Kasseburg befindet sich etwa 10 km westlich der Trennungslinie (MÜLLER-WILLE 1991: 57ff.). Slavische Keramik- funde sind im südlichen und östlichen Bereich Holsteins sowie im angrenzen- den Mecklenburg aufzufinden. Sie kommen aber auch vereinzelt westlich des limes Saxoniae im Süden bis Hamburg und südlich von Bad Segeberg vor (MÜLLER-WILLE 1991: 60). Im nördlichen Bereich der Trennungslinie treten im Dänischen Wohld und Schwansen bis nach Haithabu bei Schleswig weitere ver- einzelte slavische Fundstellen auf (UNVERHAU 1990: 67f.). Es muss angenom- men werden, dass Slaven in den Bereichen westlich und nördlich des limes Sa- xoniae zeitweise gelebt haben (MÜLLER-WILLE 1991: 60) und in einen Sprach- kontakt mit ihren Nachbarn getreten sind. Allgemein lässt zwar die Konzentra- tion der Funde im Bereich des östlichen Holsteins eine räumliche Trennung 182 Kathrin Marterior zwischen Slaven und Deutschen erkennen. Der limes Saxoniae bildete aber kei- ne allumfassende Grenzziehung, welche jeglichen Austausch gänzlich verhin- derte. Ganz im Gegenteil ist innerhalb des Grenzbereiches mit Handel zwischen Sachsen und Slaven zu rechnen (IRKENS 2011, IRKENS 2013). Der Kontakt und somit auch der Sprachkontakt zwischen Slaven und Deutschen ereigneten sich während der Grenzkontaktphase einerseits vor dem Hintergrund politisch-mili- tärischer Interaktionen, andererseits kam es aber auch zu kooperativ-freund- lichen Begegnungen (WULF 2000: 21). In der Slavenchronik des Helmold von Bosau werden für die Zeit des Grenzkontaktes vereinzelt bilinguale Sprecher genannt. Dabei handelt es sich ausschließlich um Angehörige höherer sozialer Schichten wie Fürsten, Diplomaten und Geistliche (vgl. WULF 2000: 26). Archä- ologische Untersuchungen (IRKENS 2011, IRKENS 2013) deuten aber darauf hin, dass eine bilinguale Kompetenz zu dieser Zeit auf Bereiche wie Handel und Verkehr ausgeweitet werden muss. Die Nichterwähnung alltäglicher Handlun- gen in den historischen Überlieferungen bedeutet nicht zwingend die Vernei- nung ihrer Existenz (HENGST 1990: 239). Im 11. und 12. Jahrhundert bestimmen besonders politisch und ökonomisch bedingte Prozesse das Verhältnis zwischen Slaven und Deutschen (WULF 2000: 21). Mit der Trennung Wagriens vom Obodritenreich und der sächsischen Oberherrschaft über das obodritische Gebiet um die Mitte des 12. Jahrhunderts löste sich der bisherige Grenzkontakt auf. Die deutsche Landesherrschaft weite- te sich aus und der hochmittelalterliche Landesausbau nahm seinen Anfang. Diese Entwicklung vollzog sich vor dem Hintergrund eines europaweiten wirt- schaftlichen Entwicklungsschubs (BRATHER 2008: 85). Holstein bildete eines der ersten betroffenen Gebiete in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Für das Jahr 1143 berichtet Helmold von Bosau in seiner Slavenchronik über die Ansiedlung deut- scher Kolonisten in Gebieten des ehemaligen Obotritenreiches: Da das Land verlassen war, schickte er Boten in alle Lande, nämlich nach Flandern und Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland, daß jeder, der zu wenig Land hätte, mit seiner Familie kommen sollte […]. Daraufhin brach eine zahllose Menge aus verschiedenen Stämmen auf, nahm Familien und Habe mit und kam zu Graf Adolf nach Wagrien […]. (Helmold von BOSAU 1973: 211)

Die Neusiedler ließen sich nicht nur in den Randzonen der slavischen Siedlun- gen, sondern auch in den slavischen Altsiedelgebieten nieder (WULF 2000: 20). Unter Adolf II. von Schauenburg fand neben der planmäßigen Ansiedlung eine Umsiedlung slavischer Bevölkerungsgruppen statt. Diese administrativen Hand- lungen führten zu einer Umstrukturierung des Altsiedelgebietes und des Sied- lungs- und Gesellschaftssystems (WULF 2000: 20). Der Landesausbau bedeutete Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 183 in erster Linie das Ende der politischen Eigenständigkeit der Slaven (BRATHER 2008: 85) und der Übergang vom Grenz- zum koarealen Sprach- und Kultur- kontakt (WULF 2000: 21). Mit diesem Wandlungsprozess ging die christliche Missionierung der heidnischen Slaven einher. Das Wort Gottes aber spendete ihnen hinlänglich der Priester Bruno nach der ihm anvertrauten Aufgabe; er hatte Predigten in slawischer Sprache niedergeschrieben, um sie nach der Gelegenheit an das Volk zu richten. (Helmold von Bosau 1973: 297)

Der Quellenbeleg aus der Slavenchronik verdeutlicht, wie notwendig es für die Geistlichen war, die slavische Sprache für ihre Missionierungsabsichten zu er- lernen. Helmold von Bosau berichtet, dass der Priester Bruno über Kenntnisse des Altpolabischen verfügte und somit direkt in Kontakt mit den Slaven trat. Neben den historischen Überlieferungen bezeugen besonders die Toponyme, al- so die Orts-, Flur- und Gewässernamen, den, direkten Kultur- und Sprachkon- takt zwischen Deutschen und Slaven. Die Erschließung und Besiedlung des öst- lichen Holsteins erforderten eine systematischere Erfassung der Toponyme, wodurch ihre Verschriftlichung ab dem 12. Jahrhundert eingehender betrieben wurde und sich eine Verbesserung der Quellenrezeption vollzog (WULF 2000: 21). Die frühen Urkundenbelege stammen ausschließlich von deutschen Kanz- leischreibern. Dies hatte zur Folge, dass die aplb. Namen einem über mehrere Jahrhunderte andauernden Integrationsprozess in das deutsche, onymische Sprachsystem unterlagen.

3. Namen als Belege für Bilingualität?

Die Eingliederung der aplb. Toponyme in das deutsche Namensystem spiegelt sich in ihren Belegreihen auf den unterschiedlichen Sprachebenen wider. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand für das östliche Holstein repräsentieren Namenbelege während der Integrationsphase neben einem intensiven Sprach- kontakt eine bilinguale Sprachgemeinschaft bis ins 14./15. Jahrhundert (WULF 2000: 28). Im Folgenden werden einige dieser Namenbelege aufgezeigt und in ihrer Funktion als Zweisprachigkeitszeugnis genauer betrachtet und geprüft. Im Anschluss werden sprachliche Überlieferungen aus dem toponymischen Mate- rial vorgelegt, die entgegen der bisherigen Annahme eine bilinguale Kompetenz in Frage stellen. In der Frühphase des Sprachkontaktes vollzieht sich die Integration der aplb. Namen zunächst auf phonemischer Ebene. Sie findet in der mündlichen Kom- munikation statt und wird durch die graphemische Realisierung in den Quellen vervollständigt (WULF 2000: 33). Wie bereits erwähnt, stammen die frühen 184 Kathrin Marterior

Namenbelege von deutschen Kanzleischreibern. Diese verfassten die Urkunden ausschließlich in lateinischer und nur teilweise in mittelniederdeutscher (mnd.) Schriftsprache (WULF 2000: 17). Die Untersuchung der phonemischen Integra- tion konstatiert zwei Prinzipien der Phonemsubstitution: Wenn aplb. Laute den mnd. Phonemen gleich waren, wurden sie durch diese direkt ersetzt. Altpolabi- sche Phoneme, die kein Äquivalent im Mittelniederdeutschen besaßen, wurden indirekt durch die mnd. nächstgelegenen Phoneme substituiert (WULF 2000: 47). Einige Formen der Phonemsubstitution sollen als Indiz für eine bilin- guale Kompetenz gelten (WULF 2000: 28). Zu ihnen gehört die Belegreihe des Toponyms Gömnitz. Es leitet sich von einer Grundform aplb. *Gumʼnica ʻTenne, Hütte, Wirtschaftshof`ʼ ab (WULF 2000: 28) und tritt unter anderem mit den folgenden Belegen in den Quellen auf: 128. de…Gummesse, Gumesce, 1316 desse dhorp…Gomice, 1376 Gometze (SCHMITZ 1981: 112). Nach Wulf zei- gen die Belegreihen nach bereits vollzogener phonemischer Integration eine Mehrfachentlehnung des Namenzweitglieds im 14. Jahrhundert auf. Mehrfach entlehnte Namen bewahren in der Graphie eine erkennbare anhaltende lautli- che Nähe zur Ausgangsform oder lassen im 14./15. Jahrhundert eine partielle Neuanlehnung des Lehnnamens an die Ausgangsform erkennen (HENGST 1988: 13). Um eine solche Mehrfachentlehnung soll es sich bei dem Beleg Gomice handeln, weil er sowohl eine graphemische als auch eine morphemische Nähe zur aplb. Ausgangsform aufzeigt (WULF 2000: 28). Diese Form beweise die Existenz einer bilingualen Sprachgemeinschaft im 14./15. Jahrhundert (WULF 2000: 28). Dieser Nachweis einer Zweisprachigkeit ist jedoch zu hinterfragen. Eine Nä- he zur aplb. Ausgangsform liegt nur teilweise (-ice < -ica) vor. Diese Feststellung erlaubt lediglich, den Kanzleischreibern gute Kenntnisse des Lautbildes beizu- messen. Eine Zweisprachigkeit bzw. die Existenz einer bilingualen Sprachge- meinschaft aus den Belegreihen abzuleiten, ist zu weitgehend. Zudem handelt es sich bei den Belegen des Oikonyms Gömnitz weniger um Mehrfachentlehnun- gen des Namenzweitglieds; vielmehr dokumentieren die Belegreihen eine fort- schreitende Anpassung des aplb. Oikonyms an das mnd. Sprachsystem. Sie in- dizieren ein ausgeprägtes Hörverständnis des Schreibers und seine sehr guten Kenntnisse des deutschen Phonembestandes, die ihn dazu befähigen, die aus dem ihm zur Verfügung stehendem deutschen Phoneminventar ein Äquivalent zu konstruieren, welches der Artikulation des aplb. Namens phonemisch nahe- kommt. Neben der Belegreihen des Toponyms Gömnitz unterstreicht nach Wulf die phonemische Integration der Toponyme Perdöl und Sterley die These über die Existenz einer bilingualen Sprachgemeinschaft (WULF 2000: 28). Das Oikonym Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 185

Perdöl wird erstmalig im 13. Jahrhundert als Prodole (1220) und als Perdole (1221) überliefert (SCHMITZ 1986: 114f.). Im 14. Jahrhundert tritt erneut die Form Prodole auf. Der Name wird auf eine Grundform aplb. *Predol’e (Sg.), *Predol’y (Pl.) ʻTal, untere Seite, Boden, Fußboden, Grube, Vertiefungʼ zurück- geführt (SCHMITZ 1986: 114f.). Die Form Perdole von 1221 zeigt nach Wulf die frühmittelniederdeutsche Liquidametathese (-re- > -er-) auf (WULF 2000: 28). Im 14. Jahrhundert werde die Bezeichnung Perdole durch die Form Prodole, die wie im Fall von Gomice der aplb. Grundform lautlich nahesteht, ersetzt (WULF 2000: 28). Demnach sei nach Wulf belegt, dass das aplb. Idiom im 14. Jahrhun- dert noch gesprochen wurde (WULF 2000: 28). Gleichermaßen wird die Beleg- reihe des Ortsnamens Sterley gedeutet. Das Oikonym leitet sich von einer Grundform aplb. *Str’aly (Pl.) zu aplb. *strʼala ʻPfeil, Flußarmʼ ab (SCHMITZ 1990: 300f.). Im 12. Jahrhundert wird der Ortsname erstmalig als Stralige über- liefert. Im 14./15. Jahrhundert folgen die Formen Sterley (1370) und Stralye (1442) (SCHMITZ 1990: 300f.). Die Bezeichnung Sterley aus dem 14. Jahrhundert weise ebenfalls die durchgeführte frühmittelniederdeutsche Liquidametathese auf (WULF 2000: 28). Die im 15. Jahrhundert auftretende Form Stralye hingegen stehe wie die Form Prodole der aplb. Grundform lautlich nahe und indiziere die Existenz des aplb. Dialekts im 15. Jahrhundert (WULF 2000: 28). Die Belege Prodole und Stralye besitzen gewiss eine lautliche Nähe zur aplb. Ausgangsform. Allerdings scheint es auch hier zu weit hergeholt, von diesen Be- legen ausgehend die Existenz einer bilingualen Sprachgemeinschaft abzuleiten. Die aus dem 14. Jahrhundert überlieferte Form Prodole erfordert eine Erläute- rung unter Berücksichtigung der gesamten Belegreihe. Wie bereits erwähnt, wird der Ortsname erstmalig 1220 als Prodole belegt. Anschließend liegen die folgenden Belege vor: 1221 de Perdole, 1221 de Pridole, 1264–1289 de Predole, 1316 Prodole, 1433 Prodole, 1599 Pardoll (SCHMITZ 1986: 144f.). Dem Erstbeleg des Ortsnamens zufolge muss eher eine Grundform aplb. *Prodolʼe (Sg.) in Er- wägung gezogen werden. Es handelt sich dabei um eine präfixal-nominal- suffigierte Bildung mit dem slavischen Präfix *pro ʻdurchʼ (zu ursl. *per-), wel- ches im (Alt-)Tschechischen und (Alt-)Russischen vertreten ist (KOPEČNÝ 1981: 291). Weil die ersten beiden Belege Prodole und Perdole zeitlich nahe beieinan- der liegen, besteht die Annahme, dass Namenvarianten für die Siedlung existier- ten. Möglicherweise bestand darüber hinaus die Variante Predole, wie sie in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dokumentiert wird. Interessant ist dabei, dass das Altpolabische im östlichen Holstein das ursl. *per- in Form von *pro-, aber auch mit durchgeführter Liquidametathese in Form von *pre- wie auch im Flurnamen Prewark (SCHMITZ 2010: 44) aufweist. Die von Wulf bereits erwähn- te frühmittelniederdeutsche Liquidametathese erfolgte erst nach 1433, womit 186 Kathrin Marterior die Form Pardoll zu erklären wäre. Im Fall des Ortsnamens Sterley könnte in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts durch Stralye eine lautliche Nähe zur aplb. Ausgangsform nach vollzogener phonemischer Integration bewahrt geblieben sein. Allerdings kann anhand eines Einzelbelegs nur schwer die Existenz einer zweisprachigen Sprachgemeinschaft bewiesen werden. Auf die phonemische Integration folgt die systematische Adaptation der sla- vischen Toponyme an das deutsche Sprachsystem auf morphemischer Ebene. Die Untersuchung der morphemischen Integrate lässt eine Dominanz des mnd. Idioms erkennen. Die kompositorische Struktur (Bestimmungswort + Grund- wort), die für den Großteil der deutschen Ortsnamen charakteristisch ist, de- terminiert die Eingliederung der aplb. Toponyme (WULF 2000: 52). Auf dieser Sprachebene lassen sich einige Namenbelege feststellen, die gegen eine bilingua- le Kompetenz sprechen bzw. sie in Frage stellen. Zu ihnen gehört das Oikonym Dannau, welches wie die Mehrheit der aplb. Toponyme mittels der Substitution eines aplb. toponymischen Suffixes integriert wurde; in diesem Falle -ov- durch das mnd. Gewässernamengrundwort ō, ōwe u. ä. ʻWasserlauf, feuchte Wiese, Aueʼ. Die Substitution erfolgt aufgrund der Homophonie des aplb. Suffixes mit dem mnd. Grundwort, die infolge der phonemischen Integration entstanden ist. Nach demselben Prinzip vollzieht sich die Integration des Toponyms Sierha- gen. Der Ortsname geht auf eine Grundform aplb. *Žirava, -y (Pl.), eine Ablei- tung von ursl. *žirъ ʻWeide, Futterʼ mit dem Gewässernamensuffix -ava, zurück (SCHMITZ 1981: 310). Er tritt in den Quellen im 13. Jahrhundert als Syraue auf. Das Suffix -ava wird zunächst an das mnd. āwe, ō, ōwe ʻWasserlauf, feuchte Wiese, Aueʼ angeglichen (SCHMITZ 1981: 310). Im 15. Jahrhundert erfolgt eine Anpassung an das mnd. hōve, hāve (Dativ Singular) ʻLandgut, Adelshof, Guts- hof, herrschaftlicher Hofʼ (SCHMITZ 1981: 311). Später im 17. Jahrhundert voll- zieht sich durch den niederdeutschen Wandel v > g die Angleichung an das mnd. hāgen ʻEinfriedung, Buschwerk, Hain, Hagensiedlungʼ (SCHMITZ 1981: 311). Das Zweitglied des Oikonyms erfährt demnach aufgrund der lautli- chen Nähe zu den mnd. Lexemen mehrere, anscheinend aufeinanderfolgende Lehndeutungen. Beide Oikonyme zeigen eine Veränderung ihrer morphemischen Struktur durch die Integration in das deutsche Namensystem. In beiden Fällen ersetzt ein deutsches Lexem das aplb. Suffix. Die Substitution der aplb. Elemente findet durch ihre Umdeutung statt, die von dem Umstand provoziert wird, dass sie deutschen Lexemen homophon sind. Eine semantische Übereinstimmung der Elemente des Altpolabischen und Deutschen ist bereits im ältesten Quellenbeleg beider Ortsnamen aus dem 13. Jahrhundert nicht zu erkennen, vgl. 1263 villam Danowe (SCHMITZ 1981: 78) und 128. Syraue (SCHMITZ 1981: 309). Diese Fest- Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 187 stellung widerspricht der These über die Existenz einer zweisprachigen Sprach- gemeinschaft bis ins 14./15. Jahrhundert. Es liegen weitere Namenbelege vor, die dem Prinzip der Substitution aplb. Elemente durch mnd. Grundwörter aufgrund von Homophonie folgen. Es han- delt sich um die sogenannten sekundären semantischen Motivierungen, die eine vollständige oder partielle semantische Integration in das deutsche Namensys- tem aufzeigen (WULF 2000: 58f.) Semantisch vollständig integriert sind zum Beispiel der Ortsname Mölln (< aplb. *Mul’n ʻOrt am trüben Wasser, am Schlammʼ), der zum mnd. möl(l)e ʻMühleʼ umgedeutet wurde, oder der Orts- name Grove (< aplb. *grob ʻGrab, Graben, Wallgrabenʼ) mit der Angleichung an mnd. grōve ʻGraben, Grenzgraben, Befestigungsgrabenʼ (WULF 2000: 59). Eine partielle Reinterpretation erfolgt beim Ortsnamen Lebrade. Das Zweit- glied -rade, zu ursl. *radъ, wird mit dem mnd. rode, rot ʻRodung, Neubruchʼ gleichgesetzt (WULF 2000: 60). Die Anpassung der aplb. Namen bzw. Elemente an deutsche Lexeme mit fehlender semantischer Kongruenz lässt darauf schlie- ßen, dass sie für den Rezipienten nicht interpretierbar waren. Anhand der Quel- lenbelege der Toponyme Grove und Lebrade kann eine Umdeutung und damit ein Nichtverstehen bereits im 13. Jahrhundert (1230 Grove (SCHMITZ 1990: 134); 1259 Librade (SCHMITZ (1986: 92), für den Ortsnamen Mölln im 14. Jahrhundert (1369 in villa Olenmolle (SCHMITZ 1990: 230) nachgewiesen wer- den. Demnach widerlegen auch diese Beispiele die Existenz einer bilingualen Sprachgemeinschaft im 14./15. Jahrhundert.

4. Die Rolle der Mischnamen

Im Zusammenhang mit der These über die Zweisprachigkeit gelten die slavisch- deutschen Mischnamen als „Spezialfall für den Nachweis bilingualer Kompe- tenz breiter sozialer Schichten beider Ethnien“ (WULF 2000: 29). Mischnamen bestehen – vereinfacht ausgedrückt – aus einem slavischen und einem deut- schen Element. Nach Fischer sind sie nicht als „Ergebnisse einer künstlichen Zusammensetzung, sondern als Produkte einer volksprachlichen Vereinigung zu interpretieren“ (FISCHER 1966: 130). Neben der Bezeichnung Mischname gibt es den Terminus Hybridbildung. Dieser beschreibt in der Forschung die ge- mischten Formen als eine partielle morphematische und/oder semantische In- tegration oder auch als partielle Nichtintegration in die aufnehmende Sprache und betrachtet die phonemische Adaption nicht als Teil der Hybridation (SI- CIŃSKI 1975: 275). Als Vollintegrate gelten innerhalb der Namenentlehnungen jene Formen, welche auf phonischer, graphischer und morphologischer Ebene ohne weiterer zusätzlicher Regeln in der Zielsprache angepasst wurden 188 Kathrin Marterior

(HENGST 1973: 81). Diese Definition wird kritisch betrachtet, da sie den seman- tischen Aspekt vernachlässigt (WALTHER 1978: 43). Die Semantik spielt generell bei den Namenklassen und Namentypen eine unterschiedliche Rolle und ist ge- wöhnlich redundant (WALTHER 1978: 43). Sie darf aber gerade bei der Hyb- ridbildung nicht unberücksichtigt bleiben (WALTHER 1978: 43). Allgemein können Hybride, genauer onymische Hybride, nicht auf eine der sprachlichen Ebenen beschränkt werden. Demnach bleibt es bei einer „etwas dehnbaren De- finition“ (WALTHER 1978: 52). Ein onymisches Hybrid sei somit […] ein an das integrierende Sprachsystem adaptiertes strukturiertes onymisches Lexem, das noch phonematische, morphematische und lexematisch-semantische Spuren der Ausgangssprache erkennen läßt. (WALTHER 1978: 52)

In der Forschung erweisen sich die Definitionen zu den sogenannten Mischna- men als sehr divergent, woraus ein terminologisches Problem resultiert. In der deutschen Forschung hat sich der Terminus Mischname durchgesetzt, wobei Walther bereits anmerkte, dass „Mischung“ für den sprachlichen Vorgang un- zutreffend sei (WALTHER 1971: 111). Die Bezeichnung Kontaktbildungen im en- geren Sinne oder bilinguale Kontaminationen seien adäquater (WALTHER 1978: 111). Innerhalb der Gruppe der Mischnamen unterscheidet Walther unter anderem zwischen primären und sekundären Hybriden (WALTHER 1978: 45 ff.). Zu der ersten Gruppe gehören die Formen des Typs Bogumiłsdorf (WALTHER 1978: 46), für das östliche Holstein zum Beispiel die Toponyme Dobersdorf oder Rathjensdorf, die sich aus einem aplb. Personennamen (*Dobr bzw. *Ratimir oder *Ratimer) und dem deutschen Grundwort -dorf zusammensetzen. Diese primären Hybride entstanden unmittelbar infolge des intensiven Sprachkontak- tes zwischen Slaven und Deutschen (WALTHER 1978: 45). Sekundäre Hybride entwickelten sich nach längerer Zeit aus Entlehnungen heraus (WALTHER 1978: 46). Es handelt sich dabei um diejenigen Namen wie Dannau, Sierhagen oder Lebrade, die auch als sekundär semantische Motivierungen/Verankerungen in der Literatur auftreten (HENGST 1978, HENGST 1993; Eichler 2004: 305). Wenn Wulf Mischnamen als eindeutiges Zeugnis für eine zweisprachige Kompetenz bezeichnet, meint sie die primären Hybride (WULF 2000: 66). Bei genauerer Be- trachtung der Belegreihen einiger primärer Hybride des Typs Bogumiłsdorf stellt sich allerdings heraus, dass die charakteristische Mischform nicht immer laut der Definition von Walther unmittelbar während des intensiven Sprachkontak- tes entstanden ist. Für den Ortsnamen Walksfelde (< aplb. *Voligošč- ʻOrt des Voligostʼ (SCHMITZ 19990: 314)) lautet der Erstbeleg 1158 duas villas…et Wale- gotsa (SCHMITZ 1990: 313). Im nächsten Quellenbeleg von 1194 tritt die Form Walegotesuelde auf (SCHMITZ 1990: 313). An das Toponym wurde das mnd. Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 189

Grundwort velt ʻfreies, offenes Land, Feldʼ angehängt. Es stellt sich die Frage nach der Motivation. Es ist in Erwägung zu ziehen, dass das Erstglied des Topo- nyms für den Rezipienten nicht interpretierbar/verständlich war. Das mnd. Grundwort fungiert demnach als erläuternder Zusatz und stellt den toponymi- schen Charakter der Bezeichnung sicher. Vor diesem Hintergrund müssen pri- märe Hybride nicht zwangsläufig in einer zweisprachigen Kommunikationssi- tuation entstanden sein. Ganz im Gegenteil kann ihre Entstehung auf das Nichtverstehen des Rezipienten des aplb. Ausdrucks zurückgeführt werden. Und nur durch das Anhängen des deutschen Grundwortes war die Vorausset- zung für Verständnis gewährleistet. Es bleibt zu schlussfolgern, dass weder die primären noch die sekundären Mischnamen ein eindeutiges Indiz für eine zweisprachige Sprachgemeinschaft darstellen. Allgemein ist bei der Integration die Tendenz der Sprecher vorauszu- setzen, einen relativ undurchschaubaren Namen in die Bildungs- und Bedeu- tungszusammenhänge der eigenen Sprache einzufügen (WALTHER 1978: 52). Die Hinzufügung oder der Ersatz eines Fremdmorphems durch ein eigen- sprachliches Klassifizierungsmorphem unterstützt die grammatische Eingliede- rung eines entlehnten Namens in die Zielsprache und nimmt ihm einen Teil seiner semantischen Fremdheit (WALTHER 1978: 52). Für die Integration der aplb. Toponyme bedeutet dies, dass die Angleichung der aplb. Elemente an deutsche Lexeme und das Anhängen deutscher Grundwörter wie -dorf an aplb. Toponyme Verständnis beim Rezipienten bewirken sollen. Diese Feststellung steht somit konträr zu der These einer bilingualen Bevöl- kerung. Zweisprachigkeit würde die Fähigkeit bedeuten, eine andere Sprache neben der Muttersprache, zu sprechen und zu verstehen und mit der Struktur entsprechender Namenbildungen souverän umgehen zu können, wodurch die hier beschriebenen Konstruktionen im Verlauf der Übernahme in das Deutsche unnötig wären. Diese Fähigkeit lässt sich anhand des toponymischen Materials schwer feststellen. Im Bereich des östlichen Holsteins tritt nur ein zweifelsfreier Namenbeleg als Zeugnis bilingualer Kenntnisse auf: „Jenes Oldenburg nun, das in slawischer Sprache Starigard heißt, nämlich: die alte Burg […]“ (Helmold von BOSAU 1973: 69). Diesem Quellenbeleg nach könnten innerhalb des toponymi- schen Materials allenfalls Namenübersetzungen eine zweisprachige Kompetenz bezeugen.

5. Zusammenfassung und Ausblick Das Ziel des vorliegenden Beitrages war es, einerseits den slavisch-germani- schen/deutschen Sprachkontakt im frühen und hohen Mittelalter anhand ar- 190 Kathrin Marterior chäologischer, historischer und linguistischer Quellen im östlichen Holstein darzustellen und andererseits die These über die Zweisprachigkeit des slavisch- deutschen Sprachkontaktes ab dem 12. Jahrhundert, die direkt am toponymi- schen Material zu belegen sei, genauer zu betrachten und zu prüfen. Zu Beginn der slavischen Besiedlung lassen vereinzelte archäologische und linguistische Quellen auf einen Sprachkontakt zwischen Slaven und Germanen schließen. Daraus können zumindest sporadische bilinguale Kenntnisse für eine gewisse Zeit vermutet werden. Aussagen zum Verlauf der slavischen Besiedlung und zum Verhältnis zwischen Slaven und Germanen lassen sich in Bezug auf die Quellenlage kaum treffen. Die Errichtung des Limes Saxoniae durch Karl den Großen im 9. Jahrhun- dert leitet den sogenannten Grenzkontakt ein. Konfrontativ-militärische, aber auch kooperativ-freundliche Interaktionen charakterisieren das Verhältnis der Slaven zu ihren Nachbarn. Zu einem Sprachkontakt kam es demnach auch in dieser Periode. Gemäß den Berichten aus der Slavenchronik des Helmold von Bosau beschränkt er sich auf vereinzelte Angehörige höherer sozialer Schichten. Zu ihnen zählen Fürsten oder Missionare, die über Kenntnisse der slavischen Sprache verfügten. Vereinzelte slavische Funde westlich und nördlich des Limes deuten aber darauf hin, dass Slaven zeitweise dort gelebt haben könnten. Dies bedeutet, dass ein Sprachkontakt zwischen Personen, die nicht unbedingt der höheren sozialen Schicht angehörten, durchaus in Betracht gezogen werden muss. Die Nichterwähnung eines Kontaktes in den historischen Quellen bedeu- tet nicht, dass es ihn nicht gegeben hätte. Es existierte demnach während der Zeit des Grenzkontaktes eine zweisprachige Kompetenz bei vereinzelten Mit- gliedern der Bevölkerungsgruppen. Im Zuge des hochmittelalterlichen Landesausbaus entwickelte sich der Grenzkontakt zu einem koarealen Sprach- und Kulturkontakt, der eine Integra- tion der aplb. Toponyme in das deutsche Sprachsystem zur Folge hatte. Nach dem bisherigen Forschungsstand umfasst das toponymische Material Belege, die direkt eine zweisprachige Bevölkerung belegen. Einige dieser Belege wurden im zweiten Teil des Beitrages eingehender diskutiert. Eine genauere Betrachtung ihrer Integration in das deutsche Namensystem führt zu dem Ergebnis, dass die- se Namenbelege weniger Zeugnis einer bilingualen Kompetenz sind, sondern im Gegenteil eine Zweisprachigkeit vielmehr in Frage stellen. Dies gilt sowohl für die Integrate als auch für die sogenannten Mischnamen. Entscheidend sind besonders der Zeitpunkt und der Prozess ihrer Bildung. Eine diesbezügliche ausführliche Analyse des toponymischen Materials, in der die These über die Existenz einer zweisprachigen Bevölkerung bis zum 14./15. Jahrhundert grund- legend geprüft wird, ist aktuell als Dissertationsprojekt an der Universität Kiel Slavisch-deutscher Sprachkontakt im östlichen Holstein 191

(mit dem Arbeitstitel: Die slavischen Siedlungen in Holstein: eine bilinguale Sprachlandschaft?) in Vorbereitung.

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Norbert Nübler Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein

Wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts siedelten sich slavische Gruppen in dem Raum an, der heute das östliche Holstein bildet. Das im Folgenden behandelte Gebiet nördlich der Trave bis hin zur Kieler Förde war nach dem Abzug germanischer Stämme im Rahmen der sog. Völker- wanderung wohl nur noch relativ dünn besiedelt. Es war aber keineswegs men- schenleer. Mit großer Sicherheit ist eine germanische Restbevölkerung anzu- nehmen. Die westliche Siedlungsgrenze der neu zugewanderten Slaven bildete am Ende des siebten Jahrhunderts zunächst das Flüsschen Schwentine, ab 809 dann der unter Karl dem Großen eingerichtete Limes Saxoniae. Die in Holstein siedelnden Slaven werden in den Quellen als „Wagrier“ bezeichnet, wobei es sich hierbei möglicherweise um eine Fremdbenennung handelt, da die Etymo- logie dieser Benennung germanisch ist. SCHMITZ (1990: 31) führt diese Benen- nung auf *Wāgwar(i)jōz, einen zu altsächsisch wāg „Woge, Flut“ gebildeten Be- wohnernamen zurück. Die Benennung „Wagrier“ wären dann etwa als „Meer- anwohner“ zu verstehen. Nicht auszuschließen ist allerdings auch, dass die Neu- ankömmlinge diese Bezeichnung von der ansässigen germanischen Restbevöl- kerung übernommen haben und dadurch eine gewisse Namenskontinuität her- stellten. Die slavischen Wagrier bilden in der Folgezeit einen Teilstamm des obodritischen Stammesverbandes an der südwestlichen Ostsee. Sprachlich wer- den sie dem Polabischen zugeordnet. Nach einer Reihe von kriegerischen Aus- einandersetzungen wurde das von Slaven besiedelte Gebiet im 12. Jahrhundert unterworfen und christianisiert. Gleichzeitig begann die Kolonisierung Osthol- steins mit deutschen Siedlern. Es folgt die allmähliche Assimilierung der ansäs- sigen Slaven auch in sprachlicher Hinsicht, wobei „die Slawen im östlichen Hol- stein im 13. und 14. Jahrhundert ihre Sprache aufgegeben [haben]“ (SCHMITZ 1981: 3). Im östlichen Holstein ist dann wohl spätestens um das Jahr 1400 mit dem Sprachtod des Polabischen zu rechnen. Ein Weiterleben des Polabischen in Holstein bis in das 16. Jahrhundert, wie es WULF (2000: 21) annimmt, scheint eher unwahrscheinlich. Für die mindestens sechs Jahrhunderte umfassende Periode, in der in Ost- holstein das Polabische als mündliches Kommunikationsmittel des Alltags ver- wendet wurde, stellt sich deshalb die Frage, wie dieser Sprachraum in unmittel- barer Nachbarschaft zu den Vorläuferformen des Deutschen linguistisch zu charakterisieren ist. Das Verhältnis von Sprechern des (Alt-)Polabischen zu den 196 Norbert Nübler

Sprechern des (Mittel-)Niederdeutschen ist ausschlaggebend für die Beurteilung des Sprachkontakts zwischen den beiden Sprechergemeinschaften. Man kann einerseits eine ausgeprägte sprachliche und geographische Abgrenzung der sla- vischen und der germanischen Siedlungsgebiete annehmen. Diese entspräche parallel dazu einer relativ scharfen sprachlichen Trennlinie. Die Slaven östlich des Limes Saxoniae hätten dann in einer weitgehend monolingualen, polabi- schen Sprachsituation gelebt, die Sprecher des germanischen Idioms westlich dieser Trennlinie ebenfalls in einer monolingualen Umgebung. Da es sicherlich Kontakte über die Siedlungsgrenzen hinweg gab, erscheint die Annahme einer strikten Trennung eher unwahrscheinlich. Man kann andererseits aber einen mehr oder minder breiten gemischten Siedlungsstreifen entlang der germa- nisch-slavischen Grenze vermuten, der auch ein relativ umfangreiches Gebiet impliziert, in dem beide Sprachen von der Bevölkerung verwendet wurden. Wie schon die Bezeichnung „Wagrier“ für die Holsteiner Polaben nahe legt, kann man sich u.U. eine gewisse sprachliche Kontinuität auch nach der Landnahme der Slaven im siebten Jahrhundert vorstellen, falls es sich dabei nicht um eine reine Fremdbezeichnung handelt. Die germanische Restbevölkerung hat mög- licherweise ihre Sprache bewahrt, so dass Ostholstein als „gemischtsprachige“ Region gewertet werden muss. Unter dem Begriff „gemischtsprachig“ soll hier ein Gebiet verstanden werden, das nicht zwangsläufig flächendeckend bilingual ist, bei dem aber ein Teil der Bevölkerung einen germanischen, ein anderer Teil der Bevölkerung einen slavischen Dialekt im Alltag spricht. WULF (2000: 21) spricht in diesem Sinne von einem „koarealen Sprach- und Kulturkontakt“. Ei- ne solche gemischtsprachige Situation ist für die erste Zeit nach der slavischen Landnahme sicher anzunehmen. Die ansässige germanische Restbevölkerung dürfte ihre Sprache sicher noch einige Zeit weiter verwendet haben. Sie dürfte sich dann auch ab dem 12. Jahrhundert, spätestens mit dem Beginn der Koloni- sierung Ostholsteins durch Sprecher des Niederdeutschen bis zum Sprachtod des Polabischen erneut entwickelt haben. Unsicher bleibt bei diesen Annahmen die linguistische Situation etwa zwi- schen dem achten und zwölften Jahrhundert. In diesem Zeitraum kann es zu ei- ner sprachlichen Assimilation der ursprünglich germanisch sprechenden Rest- bevölkerung gekommen sein. Damit wäre im betreffenden Gebiet Ostholsteins ein weitgehend monolingualer Sprachraum entstanden, in dem überwiegend das Polabische die Umgangssprache des Alltags war. Zweisprachigkeit wäre auf eine relativ geringe Anzahl von Personen beschränkt gewesen, die durch Handel oder andere Kontakte, eventuell auch durch einen Wohnort in unmittelbarer Nähe zum germanischen Sprachraum, befähigt waren, sich sowohl im slavi- schen als auch im germanischen Idiom zu verständigen. WULF (2000: 21) nennt Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 197 dies einen „Grenzsprachkontakt“. Da es sich bei Ostholstein aus einer breiteren Perspektive aber insgesamt um ein slavisch-germanisches Grenzgebiet handelte, ist auch eine andere Entwicklung denkbar. Die germanische Restbevölkerung muss nicht zwangsläufig vollständig sprachlich assimiliert worden sein. Diese Möglichkeit besteht natürlich v.a. in den Randgebieten des slavischen Sied- lungsraums, also dort, wo der Kontakt zu germanischsprachigen Siedlungsarea- len für die Sprecher aufgrund der relativen räumlichen Nähe immer gegeben war. Möglicherweise stellt in einer solchen Auffassung ganz Ostholstein wäh- rend der polabischen Zeit ein gemischtsprachiges Gebiet dar. In solchen ge- mischtsprachigen Gebieten ist mit einem höheren Anteil an bilingualen Spre- chern zu rechnen. In einigen namenkundlichen Veröffentlichungen scheinen entsprechende Überlegungen eine Rolle zu spielen. Da für das östliche Holstein nur in geringem Umfang schriftliche Quellen zur Verfügung stehen, ist eine Beurteilung der Sprachsituation überwiegend auf der Grundlage der bis heute überlieferten Toponyme möglich. In der Ortsna- menforschung werden die eingedeutschten slavischen Ortsnamen gelegentlich als Beleg für einen lebendigen Sprachkontakt zwischen den deutschen und den slavischen Dialekten angesehen: Sie [die slavischen und slavisch-deutschen Flurnamen – N.N.] entstammen entweder der slawischen Siedlungsperiode oder der Früh- und Ausbauphase der deutschen Kolonisation, in der deutsche und slawische Siedler nebeneinander agierten bzw. miteinander kooperierten und eine gewisse bilinguale Sprecherkompetenz ent- wickelten. (DEBUS/SCHMITZ 2001: 65)

In dieser kurzen Bemerkung werden zwei Arten von Sprachkontakt auf der Grundlage zweier Arten von Mikrotoponymen impliziert. Rein slavische Orts- namen werden zunächst von Sprechern des Niederdeutschen übernommen und „eingedeutscht“. Da während der deutschen Kolonisierungsphase die Sprecher des Niederdeutschen die Neuankömmlinge im östlichen Holstein darstellen, handelt es sich um einen sukzessiven Sprachkontakt. Das Polabische wird chro- nologisch durch das Niederdeutsche abgelöst. Dazwischen liegt nur eine relativ kurze Periode von einem oder zwei Jahrhunderten der Gemischtsprachigkeit. Nur wenn man davon ausgeht, dass das östliche Holstein vielleicht während der ganzen polabischen Zeit als gemischtsprachiges Gebiet einzustufen ist, können die slavischen Ortsnamen in einer länger andauernden synchronen Sprachkon- taktsituation in das Deutsche übernommen worden sein. Aus dem Bereich Ost- holstein können als Beispiele für rein slavische Ortsnamen z.B. Farve (< vьrba ʽWeideʼ) oder Grube (< grobъ ʽGrab, Grabenʼ) genannt werden (vgl. SCHMITZ 1981: 95 bzw. 123). Slavisch-deutsche Mischnamen scheinen hingegen ein weit- 198 Norbert Nübler aus deutlicheres Indiz für eine länger andauernde synchrone Sprachkontaktsitu- ation zu sein. Beispiele für solche Toponyme, die aus einem slavischen und ei- nem deutschen Element gebildet wurden, sind im angesprochenen Gebiet etwa Liensfeld (1215 belegt als Malinesuelde) oder Malkendorf (1322 belegt als Male- kendorpe) dar, deren Erstglied ursprünglich einen slavischen Personennamen Mal(a) bzw. einen Personennamen Malek enthält (SCHMITZ 1981: 195 bzw. 202). Die Eindeutschung rein slavischer Siedlungsnamen wie Farve oder Grube kann folglich nicht unbedingt als Zeugnis für einen längerfristigen Sprach- kontakt angesehen werden. Tatsächlich muss zwar grundsätzlich ein Sprach- kontakt für die Übernahme aus dem Polabischen in das Niederdeutsche vorge- legen haben, dieser kann aber auf ein zeitliches Minimum beschränkt gewesen sein. Die Übernahme der Bezeichnung für eine bereits bestehende Siedlung von der Ursprungssprache der Benennung, dem Polabischen, in die Zielsprache, das Deutsche, setzt nur einen minimalen Sprachkontakt voraus. Die Schnelligkeit, mit der ein Sprachwechsel eintreten kann, zeigt recht eingängig NORBERG (1996: 94) im sorbisch-deutschen Kontext des 20. Jahrhunderts. Innerhalb von nur 20 Jahren wird eine ursprünglich sorbischsprachige Gemeinde sprachlich weitgehend an das Deutsche assimiliert. Ein intensiver Sprachkontakt über ei- nen längeren Zeitraum, ein gemeinsames Agieren und eine Kooperation der verschiedenen Sprechergruppen vielleicht über Jahrhunderte hinweg – so wie dies im obigen Zitat angenommen wird ‒ ist für den Sprachwechsel und für die Übernahme von Toponymen nicht zwingend notwendig. Anders scheint die Sachlage bei den hybriden Toponymen zu sein. Gerade die slavisch-deutschen Mischnamen gelten als Beleg für eine bilinguale Sprecherkompetenz. Der Ortsnamentypus Liensfeld, Malkendorf usw. enthält schließlich lautliches Material aus zwei verschiedenen Sprachen – im konkreten Fall aus dem Polabischen und (ursprünglich) dem Niederdeutschen. Es ist of- fensichtlich, dass in der Ortsnamenforschung ebenso wie in der Sprachkontakt- forschung gerade Bezeichnungen, die aus Elementen verschiedener Sprachen zusammengesetzt sind, von besonderem Interesse sein müssen, da sie in ihrer Analyse und Interpretation über die Grenzen einer historischen Einzelphilolo- gie hinausreichen. Das Zusammenwirken zweier Sprachen scheint auf den ers- ten Blick ein klares Indiz für einen länger andauernden synchronen Sprachkon- takts zu sein. Bei einem genaueren Blick lässt sich auf der Grundlage der histori- schen Namensbelege aber nicht entscheiden, ob solche Mischnamen bereits bei der Gründung der jeweiligen Siedlung bestanden, ob also der Akt der Namen- gebung selbst bereits unter Verwendung zweier Sprachen erfolgte. Die Mehrzahl der für Ostholstein belegten Namenformen stammt aus der Zeit nach dem Be- Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 199 ginn der deutschen Kolonisation im 12. Jahrhundert. Die Gründung der meis- ten Siedlungen und damit auch die sprachlichen Umstände des Namen- gebungsaktes bleiben im Dunklen. Gleichzeitig muss in diesem Zusammenhang weiter einschränkend betont werden, dass man bei solchen Mischnamen oder hybriden Toponymen in der Regel von der heutigen Namensform ausgeht. Die historischen Belege zeigen aber, dass sich die Form eines heutigen Mischnamens im Lauf der Zeit verän- dert haben kann. Recht aufschlussreich erscheint hier beispielsweise die Beleg- reihe des Ortes Techelwitz im heutigen Kreis Ostholstein. In der modernen Form erscheint der Ortsname als eingedeutschte rein slavische Benennung. Er ist wohl auf einen patronymischen polabischen Namen Těchlovic zurück- zuführen. Der älteste Beleg für diesen Ortsnamen lautet aber interessanterweise im Jahr 1286 Techelwitzendorp, stellt also einen Mischnamen dar (vgl. SCHMITZ 1981: 335). Auch das Klosterdorf Cismar bei Lübeck, das SCHMITZ (1981: 69– 70) auf einen polabischen Personennamen Cěceměr bzw. Cěcemir zurückführt, ist im 13. Jahrhundert zunächst als Sicimeresthorp, also als Mischname, belegt. Das Zweitglied -dorp/-thorp, also die niederdeutsche Entsprechung des hoch- deutschen -dorf, scheint zumindest in einigen Belegreihen ein variabler Zusatz zu einem rein slavischen Toponym zu sein. Die Optionalität eines solchen Zu- satzes wird auch durch einige umgekehrte Fälle bestätigt. Der heutige Ortsname Sulsdorf (auf ), aus heutiger Sicht eindeutig ein Mischname, ist 1231 zunächst als villa Sullonis belegt, also ohne den späteren Zusatz -dorp oder -torp (SCHMITZ 1981: 332). Ähnlich lässt sich auch die Entwicklung des Toponyms Sierhagen interpretieren, für den im 14. und 15. Jahrhundert zunächst Namens- formen wie Syra, thor Syraven u.ä. auftauchen (SCHMITZ 1981: 309–310). Der deutsche Zusatz -hagen ʽGehölzʼ tritt erst recht spät auf, bedingt aber die heuti- ge Auffassung als slavisch-deutscher Mischname. Die offenbare Variabilität des deutschen Zweitgliedes bei solchen Misch- namen weckt gewisse Zweifel an der Verlässlichkeit der These vom synchronen Sprachkontakt zwischen dem Polabischen und dem Niederdeutschen. Vielmehr stellt sich die Frage, ob es sich bei den deutschen Zweitgliedern nicht um ver- deutlichende Zusätze handelt, die eben gerade davon zeugen, dass Schreiber und intendierte Rezipienten des Polabischen nicht mächtig waren. Die Zweit- glieder verdeutlichen offenbar, dass es sich bei einem für den Rezipienten zu- nächst unverständlichen Ausdruck um einen Ortsnamen handelt. An dieser Stelle scheint es daher sinnvoll, einige Anmerkungen eher namentheoretischer Natur einzuschieben. Man kann in der Onomastik systematisch die Namen- kunde von der Namentheorie trennen: 200 Norbert Nübler

Die Namenstheorie bildet […] die Basis, auf der die Namenkunde aufbaut. Beide Bereiche sind exakt voneinander getrennt, aber schließen nahtlos aneinander an und bilden zusammen die Namenforschung. (HANSACK 2000: 197)

Unter der Namenstheorie versteht Hansack dabei unter übereinzelsprachlichen Gesichtspunkten alle „theoretische[n] Überlegungen zu dem Thema ‚Was ist ein Name?‘“ (HANSACK 2000: 197). Unter Namenkunde hingegen möchte er „das Zurückverfolgen von Namen zu ihrem Ursprung, die Erforschung der Metho- den der Namengebung, des Gebrauchs von Namen etc.“ (HANSACK 2000: 197) verstanden wissen. Die Namenkunde ist für ihn eine einzelsprachliche Teildis- ziplin. Gerade das hier angesprochene Problem der „hybriden Namen“ oder „Mischnamen“ scheint unter dieser strengen methodischen Trennung aber ein Dilemma darzustellen, treffen sich bei der Analyse und Interpretation hybrider Toponyme doch mindestens zwei einzelsprachliche Philologien. Dennoch ge- hört die Frage nach der historischen Grundlage solcher Toponyme zweifellos zur Namenkunde. Nichtsdestoweniger können Grundgedanken der Namenthe- orie hilfreich sein, um das Funktionieren bestimmter Phänomene wie der Mischtoponyme zu erklären. Hier bedingt die für Mischnamen notwendige übereinzelsprachliche Perspektive nicht nur ganz allgemeine namentheoretische Überlegungen. Die von Hansack vorgeschlagene strenge Trennung zwischen Namentheorie und Namenkunde scheint zwar systematisch sinnvoll, gerade im Bereich von Hybridnamen aber nicht immer methodisch einzuhalten. Nichts- destoweniger kann die Namentheorie einige grundsätzliche Gedanken beitra- gen, die das Problem der Mischtoponyme und das Problem des Sprachkontakts zwischen dem Polabischen und dem (Nieder-)Deutschen etwas erhellt. Wird ein Ortsname aus einer anderen Sprache entlehnt, so ist er zunächst einmal nicht als solcher identifizierbar. Der Sprecher / Schreiber bzw. der Hörer / Leser eines deutschen (oder lateinischen) Textes, in dem Ortsnamen aus einer fremden Sprache wie dem Polabischen vorkommen, kann diesen zunächst nicht identifizieren. Er kann lediglich auf der Grundlage der syntaktischen Verwen- dung und des Kontextes schlussfolgern, dass es sich um einen Ortsnamen bzw. um ein Geonym handelt (zum Terminus „Geonym“ vgl. RZETELSKA-FELESZKO et al. 2002/2003: 41). Charakteristisch für Namen im Allgemeinen und für Orts- namen im Besonderen ist nun die Tatsache, dass man keineswegs eine konkrete Vorstellung von dem entsprechenden Ort haben muss, um einen Namen zu verstehen. Beim Rezipienten muss lediglich das Verständnis dafür eintreten, dass es sich um einen Namen, bei Toponymen eben um ein Geonym, also eine spezifische Art von Namen handelt. Deshalb sind häufig typische Signale vor- handen, um den Namentypus zu signalisieren: Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 201

Das ist der Grund, warum man einen Namen (dessen Merkmalmenge gegen Un- endlich geht) durch Appellativa (mit einer endlichen Merkmalmenge) beschreiben kann […]: Sobald die Anzahl der durch die Beschreibung vermittelten Merkmale ausreicht, damit Verständnis eintritt, kann man sich die Rezeption der übrigen (unendlich vielen) Merkmale eines Namens schenken […]. (Hansack 2000: 228)

Um Verständnis zu erreichen, auch wenn die jeweilige Siedlung dem Rezi- pienten nicht aus eigener Anschaung bekannt ist, sind beschreibende Appelativa sinnvoll. Nun kann man die Zweitglieder slavisch-deutscher Mischtoponyme, also Elemente wie -felde, -dorf, -hagen u.a. gerade als Appellativa verstehen, die einen Namen beschreiben. Man bringt also zum Ausdruck, dass es sich bei Ma- lek um ein Dorf handelt und bezeichnet dieses deshalb mit Malkendorf. Der Zu- satz -dorf hat die Funktion eines in der Merkmalhierarchie „niedriger“ einge- stuften Appellativums: Die Basis bilden die Seme und die Spitze bildet die Merkmalmenge eines Namens […]. Der Begriff eines Einzelobjekts muß durch Merkmale soweit charakterisiert werden, daß er sich aus der Menge der niedriger eingestuften Begriffe abhebt. Die Merkmalmenge eines Namens enthält sowohl die Merkmale aller niedriger einge- stuften Begriffe als auch zusätzlich noch individuelle Merkmale. (Hansack 1990: 45)

Namentheoretisch kann man die Zweitglieder wie -felde, -dorf, -hagen usw. zu- nächst als den Garanten der zum Verständnis notwendigen Merkmalmenge an- sehen. Solche beschreibenden Appellativa bekommen mit der Zeit schließlich den Status von Signalen, d.h. ihre ursprüngliche Bedeutung verblasst so weit, dass sie nur noch als Kennzeichen eines bestimmten Namentyps – nämlich Ortsname bzw. geographischer Name – wahrgenommen werden. Insofern gilt es bei entlehnten Toponymen zu unterscheiden zwischen denjenigen, die nur aufgrund der syntaktischen Verwendung und/oder des Kontextes als Toponyme identifiziert werden können und solchen, die unabhängig vom Kontext durch ein toponymisches Signal eindeutig als Ortsnamen erkennbar sind. Im Falle der toponymischen Signale des Typs -felde, -dorf, -hagen usw. handelt es sich kon- sequenterweise um Elemente aus der Zielsprache, also dem Deutschen. Dieses Element kann zunächst durchaus optional verwendet werden, um die Ver- ständnis für die Merkmalmenge „Geonym“ sicher zu stellen. In diesem Sinne wären „Mischtoponyme“ keineswegs ein deutliches Indiz für einen länger an- dauernden intensiven synchronen Sprachkontakt oder gar für eine weit verbrei- tete Zweisprachigkeit. Wenn man den Begriff „Mischtoponym“ oder „Hybridtoponym“ aber unter Gesichtspunkten des sukzessiven Sprachkontakts angeht, so kann man im 202 Norbert Nübler

Grunde von der Feststellung ausgehen, dass ein gewisser Grad an „Hybridizität“ bei jedem Toponym verhanden ist, das in eine andere Sprache übernommen wird. Wenn heute ein Sprecher des Deutschen den polnischen Grenzort Słupice als Slupice ausspricht, so stellt diese Aussprache bereits eine Angleichung an das phonologische System des Deutschen dar. Das im Deutschen verwendete Topo- nym hat damit hybriden Charakter. Genau diese phonetisch-phonologische Hybridizit konstatiert implizit etwa WULF (2000: 33–48) für die hier behandel- ten Toponyme, wenn sie die „phonemische Integration“ der altpolabischen Be- zeichnungen in das Niederdeutsche untersucht. Von dieser Feststellung ausgehend ist ein hybrider Ortsname also jedes To- ponym, das in seiner gesamten lautlichen Gestalt oder auch nur in einem Teil davon seinen Ursprung in einer fremden Sprache hat. Die geringste „Hybri- dizität“ der ursprünglich slavischen Toponyme im heutigen deutschsprachigen Gebiet weisen dann diejenigen Bezeichnungen auf, die ausschließlich auf pho- netischer Ebene an das Deutsche angeglichen wurden. Dies sind in der Regel diejenigen Toponyme, die oben als „eingedeutschte“ rein slavische Benennun- gen bezeichnet wurden. Sie weisen keine für den deutschen Rezipienten er- kennbaren toponymischen Signale auf, können also lediglich durch ihre syntak- tische Verwendung oder durch den Kontext als Toponyme erkannt werden, wenn man den betreffenden Ort nicht aus eigener Anschauung kennt. Aber auch hier lassen sich gewisse Unterscheidungen treffen. Einerseits existieren Ortsnamen, die nicht verändert wurden bzw. die lediglich die lautgesetzlichen Veränderungen der Zielsprache nach der Übernahme mit durchliefen. Dazu ge- hören Ortsnamen wie Dargow < Darg-ov ʽOrt des Dargʽ (SCHMITZ 1990: 93–94) oder Jasen < jasen ʽEscheʽ (SCHMITZ 1981: 146), die gegenüber den rekonstru- ierten polabischen Formen keine oder nur minimale phonetische Veränderun- gen aufweisen, wobei sich diese Veränderungen über deutsche Regularitäten er- klären lassen, wie der Verlust des auslautenden -w in Dargow. Im Falle von Jasen ist die einzige phonetische Veränderung gegenüber der rekonstruierten Form jasen‘ ʽEscheʼ (< jasen + jь) der eventuelle Verlust der Palatalität des Aus- lauts, wobei hier die Veränderung bereits in der Ursprungssprache durch Aus- lautverhärtung angelegt sein konnte. Unter der Voraussetzung, dass die Palatali- tät zum Zeitpunkt der Übernahme in das Deutsche noch im Polabischen vor- handen war, handelt es sich um eine obligatorische phonetische Veränderung. Das Niederdeutsche besaß keine palatalen Konsonantenphoneme. Anders zu bewerten sind phonetische Veränderungen, die keinen unmittel- bar erkennbaren Grund in der Entwicklung der phonologischen Systeme der Ursprungssprache oder Zielsprache besitzen. Zu denken ist in diesem Zusam- menhang etwa an den Abfall des auslautenden Vokals beim sehr häufigen Suf- Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 203 fix -ica, im Bereich Ostholsteins etwa vertreten durch die Wüstung Farwitz < v(e)rbica (SCHMITZ 1981: 96), die Ortschaften Görnitz < gorьnica (SCHMITZ 1986: 61) oder Grömitz < grobьnica (SCHMITZ 1981: 121). Es gibt keinen unmit- telbar ersichtlichen Grund, warum dieses ursprünglich slavische Suffix zu -itz verkürzt und evtl. vereinheitlicht wurde: „-ici, -ica und -(e)c […] fielen im Deutschen zu -itz zusammen.“ (SCHMITZ 1981: 467). Hier wäre sicher noch zu untersuchen, wann diese Vereinheitlichung und Veränderung stattfand. Zu- mindest in Ostholstein scheint nämlich das auslautende -a des Suffixes zunächst durch -e substituiert zu sein. Dies kann bereits auf pluralische Ortsbenennungen im Polabischen zurückgehen. Möglicherweise handelt es sich auch um eine morphologische Angleichung an deutsche Feminina. Für das erwähnte Grömitz ist der älteste Beleg von 1198/99 nämlich noch Grobnize, auch im Zweitbeleg von 1237 „qui Grobenezze dicitur“ ist das -e gut erkennbar. Und noch in einem Beleg von 1652 finden wir einen Reflex des auslautenden -e als Groembsee neben Groems aus demselben Jahr (vgl. SCHMITZ 1981: 121). Der Ersatz von auslau- tendem -a durch -e kann auch außerhalb dieses Suffixes aufgetreten sein, er könnte auch für den recht unklaren Ortsnamen Eutin vorliegen, der um 1200 als Utine belegt ist (SCHMITZ 1981: 91). Hier fällt der auslautende Vokal aber schon in den Belegen des 13. Jahrhunderts weg. Geht man trotzdem von einem ursprünglichen *utina aus, so könnte hier die Wurzel -tyn- ʽbefestigter Ortʼ zu- grunde liegen. Dies entspricht den archäologischen Befunden, die in Eutin einen slavischen Burgwall nachweisen. Der Ortsname wäre also anders zu interpretie- ren als bisher angenommen. Es läge keineswegs ein Suffix -in zu einer unklaren Wurzel vor, vielmehr ließe sich der Ortsname auf das Syntagma u tyna ʽbei der Befestigungʼ zurückführen. Eine Unterteilung dieser zumindest zur Zeit der Übernahme in das Nieder- deutsche kaum oder nur geringfügig veränderten Toponyme wäre also nach obli- gatorischen lautlichen Veränderungen aufgrund unterschiedlicher phonolo- gischer Systeme und nach eventuell gesetzmäßigen, aber nicht durch unterschied- liche phonologische Systeme erzwungenen Veränderungen zu treffen. Eine dritte Gruppe bilden Ortsnamen, in der lautliche Veränderungen schein- bar völlig unsystematisch erfolgt sind. Als Beispiel möchte ich hier den Ort Hob- stin benennen, der 1280 als Pustin, 1304 als Postyn belegt ist. SCHMITZ (1981: 137) führt den Ortsnamen auf postĕnь ʽschattiger Ortʼ zurück. Das anlautende heutige Ho- ist ein mittelniederdeutscher Zusatz mit der Bedeutung Hoch-, Ober-. Das ehemalige slavische Präfix po- müsste dann zu einem -b- verkümmert sein, was keineswegs regelhaft ist. In dieser dritten Gruppe spielen aber wohl sogenannte „Volksetymologien“ eine Rolle. Der Ortsname dürfte hier als Hob-stin reinterpre- tiert worden sein, mit dem scheinbaren Erstglied von heben, gehoben und dem 204 Norbert Nübler

Zweitglied von der niederdeutschen Form von Stein. Aus heutiger Sicht kann man diesen Ortsnamen jedoch kaum noch als hybrides Toponym im Sinne eines toponymischen Signals interpretieren. Hier wird ein weiteres Problem der hol- steinischen Ortsnamen ersichtlich: die Toponyme werden zu einem großen Teil aus dem Niederdeutschen in das Hochdeutsche überführt. Geschieht das nicht, so gehen u.U. auch toponymische Signale verloren. Gerade bei volksetymologischen Umdeutungen wie dem zuletzt genannten Beispiel möchte ich noch einmal zurück verweisen auf den Hinweis auf die Na- mentheorie. Mit der Reinterpretation des Ortsnamens entsteht nämlich – zu- mindest in niederdeutscher Zeit – in Hobstin ein toponymisches Signal: das Zweitglied -stein ist in deutschen Ortsnamen durchaus häufig vertreten. Man denke nur an Orte wie Königstein, Warstein, Kufstein usw. Man darf gegen- wärtig davon ausgehen, dass zumindest eine akzeptierte Theorie über Namen besagt, dass sie ein Maximum an Bedeutung haben: Da die Menge der Objekte beim Namen gleich Eins ist, es sich also um die kleinstmögliche Menge von Objekten handelt, ist auf Begriffsebene die Menge der Merkmale die größtmögliche […]. (HANSACK 2000: 220)

Die größtmögliche Menge semantischer (oder begrifflicher) Merkmale schließt aber – wie oben bereits angedeutet ‒ auch Merkmale einer tieferen oder all- gemeineren Ebene ein: Wenn man von einem mit einem Namen bezeichneten Objekt nur Teilkenntnisse hat, beschränkt sich der Geltungsbereich des Namens auf diese Teilkenntnisse. (HANSACK 2000: 221)

Für die Toponyme kann man eben nun annehmen, dass die Merkmalsmenge „Ortsname“ Bestandteil der Merkmalsmenge jedes individuellen Ortsnamens ist. Hervorzuheben ist am obigen Zitat, dass Hansack davon ausgeht, dass eine Kommunikation auch ohne Kenntnis der individuellen Merkmale eines Na- mens möglich ist. Ein Satz wie „In XY herrscht heute Verkehrschaos“ ist mög- lich und verständlich, auch wenn der Rezipient noch nie in XY war, die indivi- duellen Merkmale von XY also nicht kennt. Dieser Satz (bzw. Kommu- nikationsakt) wird möglich, weil der Rezipient die Merkmalsmenge „Ortsname“ oder zumindest „Geonym“ kennt und XY durch kontextuelle und syntaktische Kennzeichen als solchen identifiziert. Dabei spielen syntaktische Signale eine tragende Rolle, also etwa die Präposition „in“. Es können aber auch lexikalische Signale kodiert werden, die die Identifikation eines Ortsnamens kontext- unabhängig ermöglicht. Solche Signale richten sich in der Regel nach der Spra- che, die dem Rezipienten unterstellt wird. Für unsere Belange also das Deutsche Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 205 in seinen Varietäten. Insofern lässt sich Hubstin als eine niederdeutsche Rein- terpretation im Sinne eines Ortsnamensignals (hochdeutsch -stein) deuten. Un- systematische phonetische Veränderungen treffen sich hier also mit Fragen der Lexik und der Namentheorie. Eine solche Feststellung bedeutet aber, dass eine Klassifikation der hybriden Ortsnamen auch unter dem Unterscheidungskriterium möglich ist, dass nur syntaktisch bzw. kontextuell identifizierbare Ortsnamen von denjenigen unter- schieden werden können, die lexikalisch durch ein bestimmtes Signal identifi- zierbar sind. Toponyme wie Reeke < rĕka ʽFlussʼ (SCHMITZ 1990: 261) oder Sü- sel < žužel‘ ʽKäfer, Insektʼ (SCHMITZ 1981: 328–329) sind ebenso wie die schon genannten Farve oder Grube nur durch den konkreten syntaktischen Gebrauch als Toponyme im Deutschen zu identifizieren. Die klassischen „Mischnamen“ wie das schon erwähnte Liensfeld, Malkendorf oder auch Walksfelde < Voligost + felde (SCHMITZ: 1990: 313–314) besitzen hingegen ein im Deutschen funktionie- rendes Signal, das auf der lexikalischen Ebene das Toponym oder Geonym iden- tifizierbar macht. Bei Liensfeld, Malkendorf oder Walksfelde wurden diese topo- nymischen Signale ergänzt. Sie lassen sich nicht als eine Reinterpretation wie bei Hub-stin auffassen. Das Entstehen eines toponymischen Signals durch die Reinterpretation eines ursprünglich bereits vorhandenen polabischen Elements ist allerdings keines- wegs eine Seltenheit. Als Reinterpretation lässt sich auch die Umwandlung des slavischen Suffixes -ov zu dem deutschen -au im Sinne von ʽGewässer, feuchte Wieseʼ einstufen. Bei den ostholsteinischen Ortsnamen finden sich hierfür Bei- spiele wie Garkau < gork-ov zu polabisch gorka ʽkleiner Bergʼ (SCHMITZ 1981: 105) oder Warnau > varn-ov zu polabisch varn ʽRabeʼ (SCHMITZ 1986: 165– 166) u.v.m. Ob man diese Reinterpretationen des slavischen Suffixes einfach mit den Ortsnamen zusammenlegen darf, die die Schreibung -ow bewahren (so wie WOLF 2000: XLII) ist unter den hier skizzierten Gesichtspunkten anzuzweifeln. Die Schreibung -ow bzw. die Aussprache als -ō erlaubt aus heutiger Sicht kei- neswegs die deutsche Reinterpretation des Suffixes. Man findet das Verfahren der Reinterpretation aber auch für andere ursprünglich slavische Suffixe. Auf der Grundlage eines slavischen Personennamens Grǫbek entsteht im Sinne des niederdeutschen bek(e) ʽBachʼ ein Ortsname wie Grambek (SCHMITZ 1990: 129– 130). Zudem stellt WOLF (2000: XLII) auch Lübeck hierher, für das am Ende des 12. Jahrhunderts die Formen Lubike und Lubeke < polabisch L‘ubky (Plural zu einem Personennamen L’ubek o.ä.) belegt sind (vgl. SCHMITZ 1990: 205–217). Hier zeigt sich allerdings erneut die Komplexität der sprachlichen Beziehungen in Holstein. Der zunächst auf der Basis des Niederdeutschen erfolgten Reinter- pretation des Wurzelauslauts -b mit dem folgenden slavischen Suffix -(e)k im 206 Norbert Nübler

Sinne von bek(e) ʽBachʼ dürfte beim Ortsnamen Lübeck eine zweite, diesmal hochdeutsche Reinterpretation des niederdeutschen -bek im Sinne von -eck ʽBurgʼ nachgefolgt sein. Im Zusammenhang mit toponymischen Signalen stellt sich schließlich erneut die Frage nach dem bereits angesprochenen Suffix -itz. Dessen Herkunft aus dem Slavischen ist unbestritten. Die Häufigkeit von Toponymen mit diesem Suffix könnte aber schon recht früh auch im Deutschen dazu geführt haben, dass – zu- mindest regional – dieses Element als toponymisches Signal verstanden wurde. Daraus ließe sich nun auch eine Begründung für die Vereinheitlichung der ur- sprünglich verschiedenen Suffixe -ica, -ice und -(e)c gewinnen. Im Deutschen entwickelte sich die vereinheitlichte Form -itz zu einem toponymisches Signal. Dies kann man in den Zusammenhang mit dem Verblassen des appelativischen Charakters von anderen, ursprünglich deutschen Signalen des Typs -fel- de, -dorf, -hagen usw. stellen. Man könnte im Fall von -itz dann von einem „Lehn- signal“ sprechen, das aus dem Slavischen in das Deutsche übernommen wurde. Ähnliches gilt aufgrund der Häufigkeit bei Ortsnamen wohl auch für das fix -ow, soweit dieses nicht als -au reinterpretiert wurde. Auch das slavische Suffix -in kann vielleicht als Lehnsignal eingestuft werden. Um den Status von topony- mischen Signalen insgesamt und von solchen Lehnsignalen im Besonderen zu klären, müssten aber weitere und v.a. großflächigere Untersuchungen im deutsch- slavischen Kontaktgebiet durchgeführt werden. Als Lehnsignale lassen sich ur- sprünglich slavische Elemente wie -itz, -ow oder -in aber nur in einer monolingu- al-deutschen Sprachsituation begreifen. In einer slavischsprachigen Sprecherge- meinschaft können sie zwar ebenfalls als toponymische Signale funktionieren, sie sind aber selbstverständlich nicht entlehnt. Mit Ausnahme des Beispiels Hobstin, bei dem im Anlaut ein ursprüngliches diffenzierender Zusatz im Sinne von ʽHoch-ʼ vorhanden war, stellen alle bisher besprochenen toponymischen Signale die Zweitglieder bzw. im Falle der als „Lehnsignale“ interpretierbaren Suffixe die Endelemente von Toponymen dar. Grundsätzlich kann man auch differenzierende Zusätze am Beginn eines Orts- namens zu den toponymischen Signalen rechnen: man vgl. aus dem hier be- sprochenen Gebiet etwa Mischnamen wie Großenbrode < groß + brod ʽFurtʼ (SCHMITZ 1981: 61–62). Deren differenzierende Funktion soll dabei nicht be- stritten werden. Aber auch hier ist zumindest teilweise mit dem Verblassen die- ser Funktion zu rechnen. Möglicherweise fungieren entsprechende Zusätze da- her sekundär ebenfalls als toponymische Signale.

Eine systematische Betrachtung der aus dem Polabischen übernommenen Orts- namen in Holstein kann auf verschiedenen Kriterien basieren. Die Unter- Hybride Toponyme und Sprachkontakt in Ostholstein 207 scheidung zwischen rein slavischen „eingedeutschten“ Ortsnamen wie Farve, Grube, Dargow oder Jasen von hybriden Toponymen bzw. Mischnamen des Typs Liensfeld oder Malkendorf scheint insofern nicht sinnvoll, als bei dem zweiten Typ unklar bleibt, ob bereits im ursprünglichen Namensgebungsakt Elemente aus zwei verschiedenen Sprachen beteiligt waren. Manches spricht aber dafür, dass die deutschen Elemente toponymische Signale von ursprünglich appelativischem Charakter darstellen, die für deutschsprachige Rezipienten das notwendige Ver- ständnis für ein Toponym bzw. Geonym sicherstellen sollen. In diesem Sinne wä- ren Zweitglieder wie -felde, -dorf, -hagen usw. analog zu den phonetischen Anglei- chungen als ein Element der „Eindeutschung“ zu verstehen. Sie beruhen dann nicht auf einer verbreiteten Zweisprachigkeit bzw. einem länger andauernden synchronen Sprachkontakt, sondern sind im Gegenteil Indizien für einen sukzes- siven Sprachkontakt, bei dem das Polabische relativ schnell vom (Nie- der-)Deutschen abgelöst wurde. Für die Annahme der im Deutschen wirksamen toponymischen Signale spricht auch die Entwicklung entsprechender Elemente durch die Reinterpretation ursprünglich slavisch-polabischer Elemente eines Ortsnamens. Die in diesem Zusammenhang angesprochene Erscheinung der to- ponymischen Lehnsignale erfordert allerdings eine Untersuchung mit einer brei- teren Basis, da das Funktionieren der Elemente -itz, -ow oder -in für ein sehr viel breiteres Gebiet als das östliche Holstein konstatiert werden müsste. Unter Einbeziehung namentheoretischer Argumente sprechen die oben be- handelten toponymischen Signale somit eher gegen einen intensiven deutsch- polabischen Sprachkontakt bzw. sie eignen sich nicht als Indizien für einen in- tensiven Sprachkontakt über längere Zeit hinweg, der evtl. sogar durch eine weit verbreitete Zweisprachigkeit gegeben war. Die Reinterpretation ursprünglich slavischer Ortsnamen findet ganz klar in einer Zeit statt, in der keine Kenntnisse des ursprünglichen Polabisch mehr vorhanden waren. Sie sind jedoch ein Indiz dafür, dass Toponyme auch in einer einsprachig-deutschen Kommunikationssi- tuation dazu tendieren, deutliche Signale zu entwickeln, die sie als Toponyme identifizierbar machen. In diesem Sinne lassen sich auch die sog. „Mischnamen" interpretieren. In einer synchronen Sprachkontaktsituation, in der Zweispra- chigkeit weit verbreitet ist, sind typisch deutsche toponymische Signale wie -dorp, -felde etc. weniger oder gar nicht notwendig. Sie sind andererseits aber auch im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Die aus dem Polabischen in das Deutsche übernommenen Toponyme im östlichen Holstein sind daher sicher ein Zeugnis für den sukzessiven Sprachkontakt. Sie bieten aber keine sicheren Anhaltspunkte für einen synchronen Sprachkontakt oder eine verbreitete Zwei- sprachigkeit der Bevölkerung über einen längeren Zeitraum hinweg. 208 Norbert Nübler

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Ulrich Müller / Donat Wehner Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung

0. Einleitung Schleswig-Holstein, 1946 als eigenes Bundesland entstanden, wird gerne als Dreh- scheibe zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd und vor allem als Land zwischen den Meeren charakterisiert (Abb. 1). Die frühmittelalterliche Historie scheint insbesondere in der außerwissenschaftlichen Wahrnehmung weitgehend durch die Skandinavier geschrieben worden zu sein, die als Wikinger an Plätzen wie Haithabu und mit dem Danewerk Geschichte schrieben und mit denen sich nach wie vor Geschichten schreiben lassen (RÜDIGER 2008). Im Gefüge der slawi- schen Welt kommt Schleswig-Holstein in der Tat eine Randlage zu, die aber kei- neswegs mit Peripherie gleichzusetzen ist. Ganz im Gegenteil: die Nähe zum karo- lingischen bzw. ottonisch-salischen Reich, den skandinavischen Herrschafts- gebieten und Königreichen, aber auch seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert zur civitas Schinesghe als eine fortbestehende slawische Reichsbildung, haben dem Raum zwischen Kieler Förde und Oder eine ganz eigene Geschichte beschert. Die Geschichte und Archäologie dieses auf den ersten Blick recht einheitlichen, bei differenzierter Betrachtung aber höchst heterogenen Raumes ist in zahlreichen Abhandlungen mit unterschiedlichen Fragestellungen, Ansätzen und Ergebnissen dargestellt worden. Aktuelle Übersichten zur Archäologie und Geschichte, die den obodritisch-polabischen Raum behandeln, finden sich neben der bekannten Einführung durch S. BRATHER (2008) in Beiträgen von M. DULINICZ (2006), T. KEMPKE (2007), den gesammelten Aufsätzen von M. MÜLLER-WILLE (2011a) und der jüngsten Übersicht zu den nordwestlichen Slawen durch F. BIERMANN (2014). In der historischen Forschung wurde die Geschichte der nordwestlichen Slawen weiträumig eingeordnet durch die Forschungen von Chr. LÜBKE (z.B. 2001; 2014a) und mit Detailstudien ergänzt.1 Wagrien, das westliche Siedelgebiet der Slawen in Ostholstein, ist in mehr- facher Hinsicht von Interesse: So ist Wagrien Teil des „Obodritenreiches“, wel- ches sich vom „limes Saxoniae“ in Ostholstein bis ungefähr in das östliche Meck-

–––––––— 1 Z.B. GLÄSER 1983; TURASIEWICZ 2004; RUCHHÖFT 2008; 2011. Zur zeitlichen Glie- derung wird im Folgenden entsprechend KEMPKE (1984) zwischen frühslawisch (8./9. Jh.), mittelslawisch (10. Jh.) und spätslawisch (11./12. Jh.) unterschieden, wo- bei gewisse zeitliche Überlappungen bestehen. 210 Ulrich Müller / Donat Wehner lenburg erstreckte (Abb. 2). Auch wenn es im „Obodritenreich“ zu keiner dau- erhaften Reichsbildung kam, ist es durchaus mit größeren slawischen Herr- schaftsbildungen vergleichbar: der megalé Morabia (Groß- oder Altmähren und Böhmen) sowie die civitas Schinesghe und dem daraus folgenden Piastenreich. In den Regionen des „Obodritenlandes“ zwischen Kieler Förde und Warnow lassen sich nach F. RUCHHÖFT (2008) im 10. Jahrhundert ein westlicher und ein östlicher Kernraum unterscheiden. Die Ausbildung der obodritischen Samt- herrschaft ab der Mitte des 10. Jahrhunderts bleibt nebulös und auch die herr- schaftliche Durchdringung der einzelnen Teilstämme ist schwer zu erfassen. F. RUCHHÖFT (2008: 123f.) stellt heraus, dass „die obodritische Samtherrschaft ... eine Fassade [blieb] ... weil sie ein Garant für die Ausbreitung des Christentums sein sollte...“. In der Tat deuten sowohl die andauernden innerobodritischen Aus- einandersetzungen als auch die Konflikte mit den Teilstämmen sowie die varian- tenreichen Koalitionen auf ein eher instabiles Gebilde. Im Folgenden soll daher der Versuch gewagt werden, alte und neue Themen der Forschung zu umreißen. Hierzu wird der Blickwinkel nochmals verkleinert und „nur“ die Region zwischen Kieler Förde und der Lübecker Bucht betrachtet (Abb. 1). Was zunächst als unzu- lässige Verkleinerung erscheinen mag, bietet Chancen. Viele Aspekte, die nach- folgend thematisiert werden, spiegeln sich in der nationalen und transnationalen Forschung wider (vgl. SIKORA 2014).

1. „150 Jahre Slawen“ – Die Entdeckung und Perspektivierung der slawischen Frühgeschichte in Schleswig-Holstein

Die Erforschung der slawischen Frühgeschichte zwischen Kieler Förde und Trave bis an die untere Elbe kann auf eine mehr als 150jährige Tradition zurückblicken. So problematisch es im Kern ist, die Geschichte des Faches und bestimmter Fach- bereiche in zeitliche Blöcke zu unterteilen, erscheint es im Sinne einer Strukturie- rung doch hilfreich. Im Folgenden sollen daher verschiedene Phasen der archäologischen For- schung in Ostholstein und Lauenburg unterschieden werden. Am Beginn steht (1) die Professionalisierung und Konsolidierung der Archäologie im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie deren zunehmende Instrumentalisierung als „nationale Wissenschaft“ einschließlich der nationalsozialistischen Zeit. Mit der unmittelbaren Nachkriegszeit wird eine Phase (2) greifbar, die bis etwas in die 1960er Jahre reichte. Der Umbruch (3) seit den späten 1960er wird in Schleswig- Holstein durch die Einrichtung eines Sonderforschungsbereiches fassbar, der ent- scheidend durch die archäologische Forschung initiiert und getragen wurde. Ge- gen Ende der 1980er Jahre und vor dem Hintergrund der neuen politischen Ent- Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 211 wicklungen wird eine neuerliche Phase (4) eingeläutet, die sich ihrerseits durch veränderte personelle und forschungspolitische Rahmenbedingungen bis in die frühen 2000er Jahre erstreckt.

1.1. Professionalisierung und Konsolidierung der Archäologie im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sowie Nationalisierung und National- sozialismus

Die Beschäftigung mit der materiellen Kultur der slawischen Stämme und Stam- mesgruppen folgt auch in Schleswig-Holstein den Entwicklungslinien der Ar- chäologie (BRATHER 2001). In der Frühzeit waren es gelehrte Gesellschaften und Privatsammler, die Interesse an den frühgeschichtlichen Denkmälern in Schles- wig-Holstein zeigten (STEIGERWALD 2014). Durch das Engagement von Johanna Mestorf und anderen, sowie den Kontakten mit den Berliner Archäologen um Rudolf Virchow wurde das Interesse der gelehrten Welt in der preußischen Pro- vinz Holstein am Ende des 19. Jahrhunderts auch auf die Hinterlassenschaften der Slawen gelenkt (LUBER 2010). Ganz dem Denkmalverständnis der Zeit entspre- chend und dem fachwissenschaftlichen Paradigmen folgend, standen in der Zeit vor allem die Burgen und Befestigungen im Vordergrund. Es war der Direktor des „Museums für Vaterländische Alterthümer“, Henrich Handelmann, welcher in den 1870er Jahren auf die Bedeutung der slawischen Alterthümer am Beispiel des Limes Saxoniae hinwies (HANDELMANN 1875). Rund 30 Jahre später verglich R. STRUCK (1906) das Danewerk mit dem Limes Saxonie auf der Grundlage der Geländemorphologie und Geologie, wobei er die Geofaktoren mit einer ethni- schen Interpretation der „Siedellandschaft“ verband. In den Jahren 1852 und 1882 waren bereits erste Ausgrabungen in Alt-Lübeck erfolgt, die dann 1906 bis 1908 fortgesetzt wurden (GRABOWSKI 2002). Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts waren Untersuchungen an Burgwällen im Umfeld des Limes Saxoniae durchgeführt worden, doch erst mit dem Burgwallprogramm des Archäologen Carl SCHUCHHARDT wurde die ur- und frühgeschichtliche Archäologie zu einem erstzunehmenden Partner für die zunehmend nationalistisch argumentierenden Geschichts- und Sprachwissenschaften (GRUNWALD/REICHENBACH 2009: 73–75). Die Burgwallforschung in Schleswig-Holstein wurde von Carl Schuchhardt im Rahmen seiner Vorarbeiten zum Atlas vorgeschichtlicher Burgwälle in Nieder- sachsen betrieben, und gleichsam ein Nebenprodukt seiner Arbeiten bildeten die Aufmessungen und Sondagen an Plätzen westlich und östlich des Limes Saxoniae in den Jahren zwischen 1904 und 1911. Neben den Arbeiten von HOFMEISTER (1917) bildeten diese Untersuchungen auch eine Ausgangsbasis für die Anfang der 1920er Jahre begonnene Landesaufnahme durch A. TODE (ICKERODT 2013: 9– 212 Ulrich Müller / Donat Wehner

15; ICKERODT 2014: 12–13), dessen Arbeiten wiederum die Grundlage für eine vergleichende siedlungsarchäologische Analyse durch K. HUCKE (1938) bildeten. In der Studie legt er das keramische Fundmaterial insbesondere der Grabungen aus Alt-Lübeck und Scharstorf vor und ordnet es siedlungsgeschichtlich ein. Auch wenn zehn Burgwälle und 33 offene Siedlungen mit meist fehlender Stratigrafie aus heutiger Sicht methodisch zweifelhaft wirken, bleibt die Arbeit bis weit in die 1960er Jahre ein Standardwerk. In mehrerlei Hinsicht prominent ist die Studie von H. HOFMEISTER zum Li- mes Saxonie, da sie nicht nur die Diskussion zum Verlauf über Jahrzehnte hinweg bestimmte, sondern sie die Grundlage für eine nationale und ethnische Interpre- tation bereitete (MÜLLER 2012). „Wir stehen vor dem Bilde, dass eine deutsche Grenze durch slavisches Gebiet gezogen wurde. Natürlich sollte diese Grenze, zumal wir sie als eine bewehrte kennen gelernt haben, deutsche Bevölkerung schützen (...) Vor die alten Grenzgaue mit ihrem natürlichen Schutz wurde eine neue Sicherung gelegt (...) ein den Nachbarn abgewonnenes Gebiet, das dem ei- gentlichen Reichsboden als Vorhut diente“ (HOFMEISTER 1927: 124) formuliert der Historiker und Archäologe und trug damit entscheidend zu einer Nationali- sierung und Ideologisierung bei. Die aus dem Kaiserreich übernommene Slawen- feindlichkeit wurde im Nationalsozialismus Teil der Ideologie und der archäologi- sche Nachweis eines genuin germanischen Kultur- und Lebensraum im Osten ei- ne zentrale Aufgabe der frühgeschichtlichen Archäologie und Mediävistik. In der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie allgemein und in Schleswig-Holstein insbesondere, spielten die Slawen in den späten 1920er und 1930er Jahren dem- entsprechend eine untergeordnete Rolle. Auch hatte der Aufbau des Seminares in Kiel und die Ausrichtung der Christian-Albrechts-Universität zur Grenzlanduni- versität (CORNELIßEN/MISH 2009) eine Orientierung zur Folge, die sowohl ver- meintlich germanische Denkmäler wie Haithabu ins Zentrum von Lehre und For- schung rückten, als auch um den Nachweis eines „germanischen Lebensraumes“ bemüht waren (MÜLLER 2010a). Der Kieler Archäologie kam dabei eine entschei- dende Bedeutung zu, denn Forscher wie H. JANKUHN oder P. PAULSEN bemühten sich mit ihren Forschungen um den Nachweis eines genuin germanischen Sied- lungsgebietes bis ins Baltikum hinein.2 Die slawische Besiedlung Ostholsteins und Lauenburgs war angesichts dieser „globalpolitischen Zielsetzungen“ kein Thema, denn es verstand sich von selbst, dass es sich hier um genuin „deutsches Territo- rium“ handelte. Die Interpretation des Limes und der östlich anschließenden Ge- biete hatte damit eine neue Qualität gewonnen und die Ergebnisse der Archäolo-

–––––––— 2 FOCKE-MUSEUM 2013; MAHSARSKI 2009; MÜLLER 2010a. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 213 gie dienten Personen wie A. BRACKMANN, Historiker und graue Eminenz der Ostforschung, zur Legitimierung ihrer Ideologien.

1.2. Die Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre

Dass das Jahr 1945 weder personell noch inhaltlich für die archäologischen Wis- senschaften einen nennenswerten Bruch darstellt, ist bekannt. Auch thematisch folgte man – von einigen Ausnahmen angesehen – den Paradigmen der Jahrzehn- te zuvor. Nach wie vor standen ethnische Fragen und die politisch-militärische Organisation (Burgenbau) im Vordergrund der frühgeschichtlichen Archäologie. Dies bot allerdings auch Chancen, denn durch die archäologischen Landesauf- nahmen waren seit den 1920er Jahren in Ostholstein und dem Herzogtum-Lau- enburg zahlreiche slawische Siedlungsplätze, insbesondere Burgwälle, erfasst wor- den. Sie lieferten die Grundlage für vergleichende Untersuchungen, die seit den 1950er Jahren insbesondere von K.W. Struve vorangetrieben wurden. Die Ergeb- nisse zu einzelnen Anlagen, aber auch grundlegende und zusammenfassende Ge- danken zur Siedlungsentwicklung und Stammesbildung in den Gebieten östlich des Limes Saxoniae, legte er wiederholt vor (STRUVE 1961; 1981). Weiterhin ist für Ostholstein auf Alt-Lübeck hinzuweisen, wo unmittelbar nach dem Krieg die pol- nische Archäologin A. KARPINSKA sowie der aus Ostpreußen geflohene Archäo- loge W. NEUGEBAUER umfangreiche Grabungen initiierten (GRABOWSKI 2002). Mit den Arbeiten von Struve und anderen wurde das Fundament für die For- schungsprojekte nicht nur der 1970er Jahre gelegt, sondern Grundlagen für Kar- tierungen bis in die 1990er Jahre hinein geschaffen. Die systematische Aufnahme von Wallanlagen und das geborgene Fundmaterial führten in einer vergleichswei- se kleinen Region zu einem enormen Erkenntniszuwachs. So konnten in den nachfolgenden Jahrzehnten wichtige Fragen wie diejenige nach der „slawischen Westausbreitung“ sowie Beginn und Ablauf der slawischen Besiedlung des östli- chen Holsteins angegangen werden. Auch wenn sich zahlreiche Interpretationen an den Schriftquellen und den damit verbundenen, aus heutiger Sicht kritisch ge- sehenen ethnischen, ereignisgeschichtlichen oder politisch-verfassungsrechtlichen Diskursen orientierten, so lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die „Sla- wenforschung“ in Schleswig-Holstein der Nachkriegszeit über hohen fachlichen Standard verfügte. Über diese lokale Perspektive hinaus spiegelt sich in der „Sla- wenforschung“ Schleswig-Holsteins aber auch die politische Situation des Nach- kriegsdeutschland und der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre wieder. Nach 1945 genoss die Slawenforschung im östlichen Mitteleuropa eine umfassen- de politische Förderung und wurde finanziell wie personell insbesondere im Rahmen prestigeträchtiger Projekte unterstützt. Die Geschichte und Kultur des 214 Ulrich Müller / Donat Wehner frühmittelalterlichen Ostmitteleuropas war ein zentraler Baustein für das histori- sche Selbstverständnis der DDR. Es wäre eine Untersuchung wert, ob in der Bun- desrepublik zur Zeit des Kalten Krieges ein geringes forschungspolitisches Inte- resse an „slawischen“ Themen bestand oder diese gerade als Gegengewicht zur „Slawischen Archäologie“ des Ostblocks förderungswürdig waren.

1.3. Die Zeit der späten 1960er bis in die Mitte der 1980er Jahre

In den späten 1960er Jahren rückte die Archäologie der nordwestlichen Slawen zunehmend in das Interesse der Forschung in der BRD. Dies hatte ganz unter- schiedliche Gründe. So begünstigte der gesellschaftliche Wandel sozial- und wirt- schaftsgeschichtliche Themen und die gesellschaftlichen Auf- und Umbrüche stigmatisierten eine Beschäftigung mit der Geschichte des östlichen Mitteleuropas nicht mehr. Nicht nur ein Generationenwechsel innerhalb der frühgeschichtli- chen Archäologie in der Bundesrepublik allgemein bot den Raum für neue Per- spektiven, auch forschungspolitische Veränderungen in Schleswig-Holstein tru- gen dazu bei. Im Zuge der Einrichtung von Sonderforschungsbereichen an bun- desdeutschen Hochschulen wurde in Kiel 1969 der Sonderforschungsbereich 17 (Skandinavien- und Ostseeraumforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel) gegründet. Innerhalb dieses Sonderforschungsbereichs (SFB) sollten in Teil- projekten die Besiedlungsvorgänge von der späten germanischen Zeit über die slawisch-wagrische Periode bis zur sogenannten deutschen Kolonisation in Ost- holstein diachron und synchron untersucht werden. Unter dem Titel „Ländliche Siedlung, Burg und Stadt vom 9. bis zum 15. Jahrhundert in der Kontaktzone zwi- schen Skandinaviern, Slawen und Deutschen“ konzentrierten sich die Teilprojekte A1 (Bosau), A2 (Oldenburg, Warder, Scharstorf) und A3 (Burgwallkorpus) auf die slawische Besiedlung; weitere Projekte in Schleswig und Alt-Lübeck / Lübeck berührten ebenfalls Fragen der früh- und hochmittelalterlichen Zeit. Neben der archäologischen Forschung wurden in großem Umfang auch die historischen und sprachlichen Quellen des hohen und späten Mittelalters erschlossen, wobei gerade aus sprachwissenschaftlicher Perspektive heraus ein tieferes Verständnis von Sprachkontakt und kulturellem Austausch erzielt wurde. Mit der Siedlungskammer Bosau sowie den Burgwällen von Warder, Schars- torf und Oldenburg wurden Kleinregionen ausgewählt, die bereits seit dem frü- hen 20. Jahrhundert im Interesse der Forschung standen und für die nunmehr in- terdisziplinär Zugänge entwickelt wurden.3 Die Ausweisung von Untersuchungs- fenstern konnte nur auf der Grundlage der Vorarbeiten geschehen, die insbeson- –––––––—

3 U.a. HINZ 1983, 1996; MEIER 1990. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 215 dere von K.W. Struve geleistete worden waren. Dass die Auswahl der Plätze und der Forschungen aber auch durch die historische Überlieferung entscheidend mitgeprägt wurde, zeigt sich insbesondere an dem tradierten Bild der terrae bzw. der Zentrumsburgen (RUCHHÖFT 2008: 139ff.). Zentrale Forschungsfragen, die auch im SFB zielführend werden sollten, for- mulierte der Archäologe V. VOGEL (1972: 56–57.). Sie betrafen neben einer ge- naueren typochronologischen Fixierung der Keramik vor allem den Zeitpunkt und Ablauf der slawischen Landnahme sowie der sogenannten deutschen Koloni- sation, die funktionale Interpretation von Burgwällen und die Funktionsanalyse von Siedlungskammern. Während mit Plätzen wie Bosau oder Oldenburg Sied- lungskammern mit den Methoden der Siedlungsarchäologie untersucht wurden, arbeitete das Teilprojekt „Burgwallcorpus“ dagegen an der historisch-archäolo- gischen und kartografischen Gesamterfassung sämtlicher frühgeschichtlicher und mittelalterlicher Befestigungsanlagen im Lande (STRUVE 1984). Über die Archäo- logie hinaus wurden durch naturwissenschaftliche Untersuchungen – insbeson- dere durch die Dendrochronologie und die Pollenanalyse – wichtige Erkenntnisse erzielt. Durch den Einsatz moderner Grabungstechniken und Datierungs- methoden konnten insbesondere die frühslawische Besiedlung sowie die Struk- turen slawischer Herrschaftssitze genauer beschrieben werden. Den Untersu- chungen ist es zu verdanken, dass weniger der Limes Saxoniae als Grenze im Blickpunk stand, sondern die Siedellandschaft an der Peripherie zum karolingi- schen bzw. ottonisch-salischen Reich. Damit waren Fragen nach der ethnischen Deutung und der militärisch-politischen Funktion der Burgwälle zwar nicht obso- let geworden, traten aber stark in den Hintergrund. Darüber hinaus erfolgten grundlegende Arbeiten zu Material- und Gegen- standsgruppen (Keramik, Waffen). So wurde z.B. durch Th. KEMPKE (1984) eine Typochronologie slawischer Keramik etabliert, die bis heute Bestand hat und über Ostholstein hinaus Referenzfunktion zur Periodisierung nordwestslawischer Kul- turen besitzt (KEMPKE 2001). Weiterhin bemühte man sich bereits früh um abso- lute Datierungen durch die Dendrochronologie oder die 14C-Methode. Die Daten, die insbesondere an Plätzen wie Bosau und Alt-Lübeck gewonnen wurden, haben auch die spätere Diskussion um Datierungsfragen nachhaltig befruchtet (DULI- NICZ 2006). Mit dem SFB 17 war die westdeutsche Slawenforschung anschlussfähig gewor- den. Forschungspolitisch bildete er zugleich einen zwar nicht ideologiefreien, je- doch weniger ideologisierten Gegenpol zur staatsgetragenen Slawenforschung der DDR. Die archäologischen Teilprojekte wurden 1981 beendet, und der SFB 1984 offiziell aufgelöst; einige Projekte erhielten dann eine Förderung im Normalver- fahren der DFG oder wurden anderweitig fortgesetzt. Das „Wagrierland“ hatte in 216 Ulrich Müller / Donat Wehner der nationalen wie internationalen Forschung Referenzfunktion – es war und ist aber nicht die einzige Region, in der vor der Wende zur slawischen Besiedlung in der BRD geforscht worden ist. Zwei weitere „hot-spots“ waren die Regionen süd- lich der Elbe von Lauenburg, hier vor allem das Wendland (WILLROTH 2011), so- wie die sogenannte Bavaria Slavica in Nordostbayern (LOSERT 1993).

1.4. Die 1990er Jahre

Die späten 1980er Jahre und die 1990er Jahre bescherten den archäologischen Wissenschaften durch die gesellschaftspolitischen Umbrüche in Ostmittel- und Osteuropa neue Perspektiven und ebneten neue Wege. Hiervon war die Archäo- logie der Slawen in besonderem Maße im negativen wie im positiven Sinne be- troffen. Traditionelle Einschätzungen zur slawischen Landnahme, der Funktion der Burgen, der Datierung von Fundplätzen und Objekten sowie den hochmittel- alterlichen Transformationsprozessen wurden einer kritischen Analyse unterzo- gen und so manches Bild grundlegend revidiert. Es liegt auf der Hand, dass dies vor allem anhand von Fundplätzen in Ostdeutschland erfolgte. Für interdiszipli- näre Ansätze sei stellvertretend das „Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschich- te und Kultur Ostmitteleuropas“ (GWZO) in Leipzig genannt, wo unter Chr. Lübke im Sinne der „Germania Slavica“-Forschung historische und sprach- wissenschaftliche Studien mit archäologischen Analysen verbunden wurden (LÜBKE 1998). Für die Archäologie in Wagrien bot dies die Chance, ihren „Sonderweg“ zu verlassen und die immer wieder bestehenden informellen Netzwerke in For- schungsprojekte zu überführen. Hier erweiterte insbesondere der Kieler Lehrstuhl unter der Leitung von M. Müller-Wille sein wissenschaftliches Portfolio, indem über das etablierte Forschungsfeld „Skandinavien“ hinaus der Ostseeraum als grenzüberschreitender Verkehrs- und Kommunikationsraum verstanden wurde (zusammenfassend: MÜLLER-WILLE 2011a). An die international ausgerichteten Forschungen, die von Struve in Starigard initiiert worden waren, knüpfte M. Mül- ler-Wille an. So konnte das Starigard/Oldenburg Projekt nach dem Tode von Struve unter Kieler Leitung und durch langfristige Finanzierungen der DFG sowie der Akademie der Wissenschaften Mainz weitergeführt werden. Als besonders bedeutsam ist das Projekt „Starigard/ Oldenburg – Wolin – Novgorod: Besied- lung und Siedlungen im Umland slawischer Herrschaftszentren“ herauszustellen, welches erstmalig länderübergreifend mit einem vergleichende Ansatz und unter konsequenter Einbeziehung von Naturwissenschaften (Botanik) und Onomastik insbesondere das Verhältnis von Zentrum und Umland thematisierte (DEBUS 2010; MÜLLER-WILLE 2011b; 2011d). Neben Starigard/Oldenburg erfolgten nicht Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 217 nur neuerliche Grabungen in Alt-Lübeck, sondern eine systematische und ver- gleichende Auswertung der bislang durchgeführten Untersuchungen (GRABOW- SKI 2002; 2010). Von der Mitte bis Ende der 1990er Jahre bot sich darüber hinaus die Gelegenheit, den Seehandelsplatz „Groß-Strömkendorf“ an der Wismarer Bucht zu untersuchen.4 Mit dem Kooperationsprojekt zwischen der Universität Kiel und der Landesarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern griff man das Thema „Seehandelsplätze“ an der südlichen Ostseeküste auf, welches bereits zu DDR-Zeiten mit Ausgrabungen an Plätzen wie Rostock-Dierkow, Ralswiek und Menzlin hoch im Kurs stand (KLEINGÄRTNER 2014: 21–36) und aktuell wieder in den Fokus der Forschung gerückt ist (JÖNS/KARLE/MESSAL 2014). Die langjähri- gen Grabungen und Auswertungsprojekte haben zu einem neuen Verständnis der slawischen Seehandelsplätze an der südlichen Ostseeküste geführt. Weiterhin gelang es, die regionale Forschung im Rahmen des 1990 ins Leben gerufenen Instituts für Landesforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zu bündeln. Anknüpfend an Ideen des SFB 17 wurden es als fachübergreifen- des Zentrum etabliert, in dem Forschungsfelder aus dem Bereich der Sprach- und Geschichtswissenschaften in einem als „europäische Regionalgeschichte“ be- zeichneten Rahmen konzentriert werden sollten. Die engen Kooperationen mit dem GWZO, das seinerseits die „Germania Slavica Forschungen“ unter neuen Vorzeichen aufgriff, bescherte darüber hinaus einen „grenzüberschreitenden“ Blick, der Wagrien als ein Teil des Obodritenreiches ansah, und der sich somit auch nach Mecklenburg richtete (KEMPKE 2007; MÜLLER-WILLE 2011c). Über diese Großprojekte hinaus erfolgten Auswertungen und Publikationen, die sich einzelnen Fundplätze (z.B. MEIER 1990), Siedlungskammern und Regionen (SCHMID-HECKLAU 2003; SCHNIEK 2003) oder Themen (WIECHMANN 1996) widmeten. Insbesondere war die Archäologie interdisziplinär ausgerichtet, wobei neben der Paläobotanik insbesondere der Onomastik eine große Bedeutung zu- kam (MÜLLER-WILLE 2011c).

1.5. Die Zeit ab 2000

Die 2000er Jahre haben für die slawische Archäologie in Schleswig-Holstein einen Wandel gebracht. Langjährige Projekte und Finanzierungen liefen aus, und die Forschungsförderung zur slawischen Archäologie konzentrierte sich eher auf Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Zwei Anfang 2000 von M. Mül- ler-Wille veröffentlichte Beiträge zur „Archäologie der Obodriten“ und zur „Ar- chäologie, Onomastik, Dendrochronologie und Paläobotanik“ fassen das bislang –––––––— 4 GERDS 2000; PÖCHE 2005; TUMMUSCHEIT 2011; WIETRZICHOWSKI 1991. 218 Ulrich Müller / Donat Wehner

Erzielte zusammen (MÜLLER-WILLE 2011c; 2011d). Mit den in den Folgejahren geleisteten Arbeiten wurden sowohl alte Fragen aufgegriffen, als auch neue auf- geworfen. Für Wagrien rückte mit den Untersuchungen auf der Insel Olsborg (FRIEDLAND 2013a) eine bis dato vernachlässigte Komponente der Siedlungsland- schaft in den Blick: die insularen und limnischen Standorte (BLEILE 2010). In ei- nem diachronen landschaftsarchäologischen Forschungsprojekt stand die osthol- steinische Seenplatte im Mittelpunkt der Analysen, wobei auch die slawische Be- siedlung insbesondere vor dem Hintergrund verschiedener Geofaktoren unter- sucht wurde (LÜTH 2012). Mit ähnlich gelagerten Fragestellungen und einer ver- gleichbaren Datenbasis untersuchte A. KLAMMT (2011a) die slawische Besiedlung in Ostholstein. Beide Studien benutzten Geoinformationssysteme als Werkzeuge und berücksichtigten zudem die geofaktorielle Ausstattung. Sie folgten damit landschaftsarchäologischen Ansätzen, die vielfach die siedlungsarchäologische Forschung abgelöst hatten und für das nordwestslawische Gebiet beispielsweise durch Th. SAILE (2007) eingeführt worden waren. Mit der synchronen Studie zu den Seehandelsplätzen an der südlichen Ostseeküste zwischen Kieler Förde und Stettiner Haff setzte sich S. KLEINGÄRTNER (2014) dezidiert mit der Genese dieser Emporien sowie den Kulturkontakten zwischen „Skandinaviern“ und „Slawen“ auseinander. Weiterhin führte der Einsatz von Detektorgängern sowie die Aus- wertung von Laserscans (LIDAR) nicht nur zur Verdichtung der Information zu bestehenden Plätzen, sondern auch zu deren Neubewertung und zur Entdeckung neuer Plätze (MEINHARDT 2013; zu LIDAR Daten auch LÜTH 2012: 27–28). Auch die „monsters-sites“ Starigard/Oldenburg, Alt-Lübeck/Lübeck und Hammaburg/Hamburg ließen die Forschung nicht los. So gelang es, die Aus- wertungen zu den Gräberfeldern (GABRIEL/KEMPKE 2011) zu publizieren und Arbeiten zum Eisen- und Buntmetallhandwerk zu initiieren (PETRI 2013). In Alt-Lübeck konnten kleinere Grabungen vorgenommen werden, die jedoch wichtige Ergebnisse brachten und die Ausgrabungen in Lübeck (Burgkloster und sogenanntes Gründungsviertel) bescherten der Forschung wichtige Befun- de und Daten zur Frage der slawischen Vorbesiedlung.5 Aufgrund der Auswer- tung der Altgrabungen (BUSCH/HARCK 2002) sowie den neuen Untersuchungen auf dem Domplatz (WEISS/KLAMMT 2014) in Hamburg konnten wichtige und stellenweise auch neue Erkenntnisse zur Rolle dieses Platzes im Gefüge der ka- rolingisch-sächsischen und slawischen Herrschaften gewonnen werden. Dies betraf auch den Kulturkontakt zwischen Sachsen und Slawen, der insbesondere anhand der Keramik durch Th. Kempke aufgearbeitet worden ist. Mit den Ar-

–––––––— 5 DUBISCH/HÄHN/MÜLLER/ROHLAND/SIEGFRIED 2014; RADIS 2014; RIEGER 2014. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 219 beiten von Th. LEMM (2013) zur sächsischen Besiedlung rückte eine über Jahr- zehnte vernachlässigte Region wieder in den Blick der Forschung, die auch das Verhältnis von „sächsischen“ zu „slawischen“ Burgen thematisierte und dem „Limes Saxoniae“ eingehend behandelte. Neben Wagrien wurden im Zuge des „Linonenprojektes“ auch Siedlungsplätze im Grenzbereich von Schleswig-Hol- stein und Niedersachsen erforscht, so dass auch für diese historisch bedeutsame Region wichtige Erkenntnisse erzielt werden konnten (WILLROTH/BEUG/LÜTH /SCHOPPER 2013).

2. Themen der Forschung

Im Blickpunkt der folgenden Auseinandersetzung sollen alte Wege und neue Strömungen der Forschung im polabisch-obodritischen Raum stehen. Dabei wird sich zeigen, dass diese ausgewählte Region gleichsam ein Brennglas darstellt, in dem sich aktuelle Forschungsfragen und -entwicklungen der Archäologie der Nordwestslawen widerspiegeln.

2.1. Frühe Slawen und die Landnahme

Die slawische Ethnogenese als auch der Beginn der frühslawischen Besiedlung sind nach wie vor ein „Top-Thema“ der Archäologie der Slawen.6 Nicht mehr diskutabel ist das Konzept einer geschlossenen Einwanderung von Stammesgrup- pen, wie es die frühere Forschung vertreten hat. Der wagrisch-polabische Raum ist dabei von Bedeutung, denn er liegt am räumlichen „Ende“ des slawischen Mig- rationsprozesses. Demgegenüber wird man im Havelland, in der Zauche und in anderen Teilen des heutigen Brandenburgs mit slawischer Besiedlung bereits im fortgeschrittenen 7. Jahrhundert rechnen können. Von daher sind Fragen der Kontinuität und Diskontinuität in der Vorbesied- lung sowie des Kulturkontaktes von großer Bedeutung. Generell lässt sich an der südlichen Ostseeküste zwischen der Mitte des 5. und dem Ende des 7. Jahrhun- derts ein Hiatus in der archäologischen Überlieferung fassen, der als „völkerwan- derungszeitliche Siedlungslücke“ bezeichnet und mit der Einwanderung slawi- scher Bevölkerungsgruppen beendet wird. Völkerwanderungszeitliche Siedlungsstellen sind in Schleswig-Holstein dünn gesät. Für das Plöner Seengebiet hat Th. Michel (2005: 182f.) eine Studie auf der Grundlage der Grabfunde vorgelegt, die ein Abbrechen der Besiedlung im 5. Jahrhundert erkennt. Die Ausgrabung einer völkerwanderungszeitlichen Siedlung –––––––—

6 Zu den Nordwestslawen vgl. BIERMANN 2014; DULINICZ 2006; HARDT 2014. 220 Ulrich Müller / Donat Wehner bei Wittenborn, Kr. Segeberg hat Hinweise auf das 6. Jahrhundert erbracht (LÜT- JENS 2010).

Für die slawische Besiedlung in Wagrien liegen die bislang ältesten Daten aus Bo- sau ‘Slawendorfʼ (beginnend mit „um/nach 726“) und Alt Lübeck, Wall (um 730) (DULINICZ 2006: 46. Tab. 5). Hölzer des Bohlenweges (Phase 1a) aus dem Klem- pauer Moor werden in die Zeit 760/61 gesetzt (u.a. mit Waldkanten) und Brun- nenholz aus der Vorburgsiedlung von Alt-Lübeck datiert 769+14/-1 (STARK 2003; DULINICZ 2006: 46, Tab. 5). Ein Holz ohne Befundzusammenhang in sekundärer Lage des Jahres 770 stammt aus Scharstorf (DULINICZ 2006: 46, Tab. 5). Auch die 14C-Daten fügen sich weitgehend in das Bild des mittleren 8. bis frühen 9. Jahr- hunderts. ein, lassen aber auch die Probleme dieser Datierungsmethode für das frühe Mittelalter erkennen. So wurde ein dendrochronologisch auf das Jahr 837 (Fälljahr) datiertes Holz aus Bosau-Bischofswarder mittels 14C-in die Zeit 599+-53 datiert, da hier ein älterer Jahrringbereich beprobt wurde (DULINICZ 2006: 51). Ferner liegt für Starigard/Oldenburg eine 14C-Datierung in die Zeit um 700 vor, die mittlerweile kritisch bewertet wird.7 Insgesamt setzt also die archäologische Überlieferung, die mit den Slawen verbunden wird, in Schleswig-Holstein frühes- tens in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein. In jüngster Zeit konnte ein Pfahl vor der Insel Probstenwarder im Lanker See, Kr. Plön, in das Jahr 700 (Waldkan- te) datiert werden. Ob er Teil einer mutmaßlichen Brücke ist, die ansonsten in das frühe bis mittlere 9. Jahrhundert gehört, bliebe ebenso zu diskutieren wie die Be- funde von der Halbinsel Grotwarder am Behler See. Die dendrochronologischen Datierungen wiesen die Hölzer in die Jahre um/nach 649 und 763 ± 10 (LÜTH 2012: 125–142). So wertvoll die absoluten Daten sind, so schwierig bleibt ihre Interpretation in der Fläche und damit der Rekonstruktion des Besiedlungsablaufes. Leider helfen weder Keramikfunde aus offenen Siedlungen noch Grabfunde deutlich weiter. Die frühslawische Keramik ist chronologisch wenig signifikant und die vor- herrschende Brandbestattung (PADDENBERG 2000) überliefert ebenfalls kaum chronologisch relevante Objekte. Abseits dieser Daten aus bekannten Kontexten gibt es aus dem nordelbischen Gebiet noch eine Reihe von Funden, die kontinen- taler und skandinavischer Herkunft sind, oder in Form von Münzen aus dem by- zantinischen Raum stammen (KLEINGÄRTNER 2014: 24ff.). Ihre zeitliche Anspra- che (6./7. Jahrhundert) und Kontextualisierung (Slawen) ist umstritten (vgl. BIERMANN 2009). Einerseits werden sie als Hinweis auf eine ältere ansässige Be- –––––––— 7 GABRIEL 1984: 18–33; GRABOWSKI 2007: 192; RUCHHÖFT 2008: 45 f.; WILLKOMM 1984. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 221 völkerung gedeutet, andererseits als Altstücke angesprochen, welche die slawische Bevölkerung in das Land brachte. S. KLEINGÄRTNER (2014: 27f., 231, Abb. 5) stell- te jüngst heraus, dass sich aufgrund des Verbreitungsbildes diese Objekte durch- aus mit küstenfern gelegenen Burgwällen in Verbindung bringen lassen. Dies könnte den Schluss erlauben (ebd. 33), dass zum Zeitpunkt der einsetzenden ar- chäologischen Überlieferung in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts von bereits existierenden lokalen „Eliten“ ausgegangen werden muss, welche die wichtigen Handelswege kontrollierten. Wichtige Ergebnisse zur Frage der slawischen Landnahme hat auch die Palä- oökologie geliefert. Bereits sehr früh wurde der Wert vegetationsgeschichtlicher Quellen erkannt. K. HUCKE (1938) und nachfolgende Forscher verglichen dabei die Verbreitung von Fundstellen mit der frühneuzeitlichen Waldbedeckung. Seit den 1960er Jahren wurden dann vermehrt pollenanalytische Untersuchungen durchgeführt, die einerseits verlässliche und gut datierte Daten liefern, anderseits als Punktdaten zunächst lokal betrachtet werden müssen (KLAMMT 2009). Nach wie vor als Referenz gilt das Profil aus dem Belauer See, dessen Analyse durch J. WIETHOLD (1998), welches zwischen 508 bis 724 n.Chr. ein fast vollständiges Fehlen von Siedlungsanzeigern aufweist. Dies wird als ein starker Hinweis für eine Landnahme zu Beginn des 8. Jahrhunderts angesehen. Die paläoökologischen Da- ten passten hervorragend zu den Ergebnissen der Ausgrabungen in Alt-Lübeck, Bosau-Bischofswarder, Oldenburg und Scharstorf, wo ebenfalls paläoökologische Untersuchungen erfolgten. Drei neuere Pollendiagramme wurden von M. Wie- ckowska aus dem Großen Eutiner See sowie von den rund 10km voneinander entfernten Inseln Groter Warder im Trammer See und Probstenwerder im Lan- ker See entnommen.8 Die Profile datieren den „Siedlungsabbruch“ (genauer Sied- lungsausdünnung) um 530, 430 und 580 n. Chr. Interessant sind die Daten zum Beginn der „Wiederbesiedlung“. Das Wiedereinsetzen der Besiedlung ist am Probstenwarder um das Jahr 560 mit Holzkohle und mit Nachweise für landwirt- schaftliche Aktivitäten (Getreidekultivierung) ab ca. 590 fassbar. Später, in die Zeit um 670 bzw. um 790 n. Chr. gehören die Hinweise aus dem Eutiner See. Wie sind diese Unterschiede zu erklären? Bei den Profilen aus dem Belauer See und dem Großen Eutiner See handelt es sich um Regionalprofile, während bei Daten aus dem Trammer und Lanker See lokale Pollenprofile darstellen, die kleinräumig erhebliche zeitliche Unterschiede abbilden.

–––––––— 8 WIECKOWSKA-LÜTHDÖRFLER/KIRLEIS 2010/2011 (2013/2014); WIECKOWSKA-LÜTH 2013. 222 Ulrich Müller / Donat Wehner

Man kann festhalten, dass anhand der Pollenanalysen ein Ausdünnen der Be- siedlung im 6. Jahrhundert zu erkennen ist, dem sich ein Wiedereinsetzen zwi- schen der Mitte des 7. bis zum Beginn des 8. Jahrhunderts anschließt. Der Prozess der volkerwanderungszeitlichen̈ Abwanderung und der erneuten Landnahme lief also in sehr komplexer Form ab, und so wird man mit einem länger andauernden Nebeneinander von ansässigen und neuen Kulturgruppen rechnen dürfen. Aller- dings bleiben die Umstände der Einwanderung nach wie vor im Dunklen und auch die Konsolidierungsprozesse sind unklar.

2.2. Limes Saxoniae

Grenzen rückten seit den 1990er Jahren wieder in den Blickpunkt der Mediävistik und werden dementsprechend auch in der schleswig-holsteinischen Landesfor- schung thematisiert (zuletzt KRIEGER/LUBOWITZ/FRANDSEN 2013). Schleswig- Holstein als Land zwischen den Meeren sowie zwischen Skandinavien und Mit- teleuropa ist ein Grenzland per se und mit dem Danewerk und dem Limes Saxo- nie besitzt es zwei frühmittelalterliche Grenzen bzw. Grenzregionen, die auch heutige Diskurse prägen (MÜLLER 2013). Der Limes Saxoniae allerdings im Ge- gensatz zum Danewerk ist kein Geländedenkmal, sondern wir erfahren von seiner Existenz aus der berühmten Passage der „Hamburger Kirchengeschichte“, die Adam von Bremen um 1075 verfasste und in der er den Grenzverlauf unter Beru- fung auf eine Urkunde aus der Zeit Karls des Großen zurückdatierte. Diese wirk- mächtige Beschreibung hat seit dem 19. Jahrhundert immer wieder dazu geführt, entsprechende Geländedenkmäler – vor allem Burgen – mit dem Limes in Ver- bindung zu bringen. Am Limes haben sich Historiker, Archäologen und Sprach- forscher abgearbeitet und dementsprechend komplex ist das entstandenen Narra- tiv (MÜLLER 2012). Über die Diskussion um die Linearität des Limes, um Grenz- säume oder Marken hinausgehend, hat die jüngste historische Forschung (BOCK 2013) den karolingerzeitlichen Limes als Konstrukt des hohen Mittelalters ent- larvt, der vor allem der Rechtfertigung der Diözesangrenze galt. Auf mehr als 150 Jahre Limes-Forschungen zurückblickend, kann erstaunlicherweise festgestellt werden, dass der archäologische Anteil daran sehr gering ist. Zwar wurden die sächsischen, karolingischen und slawischen Burgen immer wieder mit dem Limes in Verbindung gebracht und die westliche Verbreitung slawischer Kulturgüter ebenso wie Ortsnamen als Indikatoren herangezogen (Abb. 3), doch ist mit T. KEMPKE (1998: 373) festzustellen, dass das Geschichtsbild zum Limes Saxoniae „durch eine Kombination von historischen Nachrichten und archäologischen Er- kenntnissen“ entstanden ist. Kartierungen zum Verlauf des Limes, der (kerami- schen) Fundüberlieferung, der Burgen und der Toponyme werden immer wieder Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 223 abgebildet. Die jüngste archäologische Forschung hat sich über räumlich- statistische Verfahren wie Wegeberechnungen (LEMM 2013: 297–319), Netzwerk- analysen (FRIEDLAND 2013b) und Dichtekartierungen (LÜTH 2012: 144–152) auch dem Phänomen Limes Saxoniae angenähert, doch fehlt es an Surveys und Grabungen insbesondere zu den Burgen im Umfeld des Limes. Verlässliche Da- tierungen liegen zu kaum einer der Burgen im Grenzbereich vor und die Erfor- schung offener Siedlungsstellen ist nach wie vor ein Desiderat. Die Ergebnisse von betreffenden Flächengrabungen von Siedlungen in Högersdorf und Kükels, Kr. Segeberg, liegen bislang nur in Form von kurzen Vorberichten vor (IRKENS 2011; 2013). Da die archäologische wie historische Forschung den Limes von seiner aus- schließlichen militärpolitischen Funktion befreit hat und die ethnische Interpreta- tion als Kulturgrenze zwischen Germanen und Slawen keine Rolle mehr spielen sollte, ist der Raum geöffnet, um sich der Dynamik von Landschaft und Siedlung am Limes Saxoniae zu widmen. An dem „Grenzraum Limes Saxoniae“ könnten Austausch und Kommunikation ebenso wie Konflikte exemplarisch untersucht werden. Beispielhaft steht hier etwa das detaillierte Bild, das Jens SCHNEEWEIß (2011) über die wechselhafte Geschichte in einer Grenzregion am Höhbeck an der unteren Mittelelbe entwerfen konnte.

2.3. Burgwälle und Zentralplätze Wie in anderen Regionen auch, bilden Burgen meist Mittelpunkte von Siedlungs- kammern und Herrschaftsmittelpunkte. Sie waren meist als Ringwälle angelegt, und die Entwicklung der Burgen entspricht denjenigen anderer Regionen. Typo- logisch und funktional lassen sich aus der Zeit des 10. bis 11./12. Jahrhunderts große und kleine Anlagen fassen, die von Herrschaften unterschiedlicher Reich- weite zeugen. Dabei dominieren Niederungsbefestigungen, während Höhenbur- gen eher selten anzutreffen sind. R. BLEILE (2010) konstatiert für die spätslawische Zeit eine Zunahme an natürlich geschützten Inselsiedlungen und -burgen und bringt dies mit gesellschaftlichem Veränderungen innerhalb der Slawen, aber auch äußeren Einflüssen in einen Zusammenhang. Von alt- zur jungslawischen Zeit lässt sich eine Abnahme der Anlagen beobachten, was als ein Indiz für eine zunehmende gesellschaftliche Differenzierung und Territorialisierung interpre- tiert wird (BIERMANN 2014: 176ff.). Die verschiedenen Herrschaften besaßen al- lerdings unterschiedliche Organisationsformen und werden von C. LÜBKE (2001: 23) als „Verharren in einer archaisch anmutenden gentilen Vielgestaltigkeit“ cha- rakterisiert. Auf die heterogene Struktur, die weniger als „obodritisches Stammes- fürstentum“ denn als eine „Akkumulation einer Fürstenherrschaft über mehrere 224 Ulrich Müller / Donat Wehner

Teilfürstentümer“ zu deuten ist, weisen nach F. RUCHHÖFT (2008: 123) die zahl- reichen Fürstenburgen hin. Es braucht hier eigentlich nicht betont zu werden, dass insbesondere Stari- gard/Oldenburg und Alt-Lübeck als die herausragenden Zentralplätze die For- schung nachhaltig beeinflussten. Andere gut untersuchte Plätze wie Scharstorf und Bosau prägten und prägen das Bild slawischer Siedlungskammern und ihrer Dynamik ebenso. So konnte anhand der Grabungen an verschiedenen Plätzen in Bosau die räumliche und zeitliche Abfolge von befestigten und offenen Siedlun- gen der frühslawischen Zeit bis in die Phase des hochmittelalterlichen Landesaus- baues nachgezeichnet werden. Daran anknüpfend ist die Verlagerung der Zent- ralplätze und ihrer Funktionen von Bosau (frühslawisch) über Scharstorf (mittel- slawisch) zur Olsborg (mittel- bis spätslawisch) diskutiert worden (KLEINGÄRT- NER/MÜLLER 2009; FRIEDLAND 2013a). Der Einsatz von Laserscandaten (LIDAR) sowie die flächendeckende Begehung mit zertifizierten Metalldetektorgängern haben nicht nur zu einem Anwachsen der Fundstellen und Funde geführt, son- dern den Blick auf die Diskussion „Zentralplatz“ gelenkt. Dieser Begriff ist verhältnismäßig spät, Anfang der 1990er Jahre, in der Archä- ologie der Slawen rezipiert worden (GRINGMUTH-DALLMER 1993). Er besitzt eine lange und differenzierte Rezeptionsgeschichte (NAKOINZ 2010), und er geht letzt- lich auf den geografischen Zentralortbegriff zurück. Die Bezeichnung „Zentral- platz“ möchte dabei die ursprüngliche enge Bindung an die „Theorie der zentra- len Orte“ von W. Christaller zugunsten von archäologischen Kriterien modifi- zieren. Anhand sogenannter Zentralplatzindikatoren wird mit qualitativen wie auch quantitativen Methoden versucht, die zentralen Funktionen, d.h. den Bedeu- tungsüberschuss eines Platzes zu erfassen und in Bezug auf das Umland sowie vergleichbarer Plätze zu bewerten. So bedeutsam das Konzept des Zentralplatzes für vormoderne Gesellschaften ist, so hat sich der Blick in jüngster Zeit auf die Beziehungen zwischen den Plätzen verschoben, und es wird nach ihrer Rolle als Teil von Netzwerken gefragt. Der Netzwerkbegriff und die Methoden der Netz- werkanalyse erweitern die Perspektive enorm, denn sie fokussieren sowohl stark auf die Multiskalität und Multidimensionalität beispielsweise von „Zentralplät- zen“ als auch die Dynamik und eben die Vernetzung. Aufgrund der relationalen Betrachtungsweise ist die Analyse von Netzwerken mit rein archäologischen Da- ten aber auch mit Problemen verbunden. So lassen sich Beziehungen zwischen Fundplätzen oder Artefakten meist nur indirekt über Ähnlichkeiten oder Distan- zen wahrscheinlich machen (z.B. FRIEDLAND 2013b; SINDBÆK 2007). Von Interes- se wären zudem komplementäre modellierende Ansätze von Netzwerken und zentralörtlichen Indikatoren (vgl. WEHNER 2012: 67–74). Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 225

Starigard/Oldenburg und Alt-Lübeck können zugleich stellvertretend für Er- folge wie Desiderate der Zentralplatzforschung stehen. Die Ausgrabungen haben recht deutlich gezeigt, welche zentralen Funktionen gerade für frühmittelalterli- che Anlagen prägend sind bzw. welche mit archäologischen Methoden erfasst werden (hierzu auch WEHNER 2007a; 2007b). Einschränkend wirkt sich aus, dass Grabungen in den Vorburgbereichen kaum erfolgt oder vorgelegt (Lübeck) sind und auch der Burginnenbereich häufig nur in Ausschnitten erfasst ist. Weiterhin liegen kaum Studien zu Siedlungen im Umland vor. Diese stützen sich meist auf Oberflächenfunde (WILLROTH 1985) oder beruhen auf naturwissenschaftlichen (botanischen oder archäozoologischen) Analysen (SCHMÖLCKE/JÖNS 2013). Im Rahmen des Forschungsprojektes „Starigard/Oldenburg – Wolin – Novgorod: Besiedlung und Siedlungen im Umland slawischer Herrschaftszentren“ (DEBUS 2010; MÜLLER-WILLE 2011b) und von Metalldetektorbegehungen (MEINHARDT 2013) wurden im Umfeld von Starigard/Oldenburg slawische Siedlungen pros- pektiert und ergraben, doch eine vergleichende Auswertung steht noch aus. Das Potential deutet bereits die Vorlage des keramischen Fundguts aus einer etwa 5 km südöstlich von Starigard/Oldenburg gelegenen Siedlung von Göhl, Kr. Ost- holstein an. Ulrike Pöhlmann konnte feststellen, dass aus Starigard/Oldenburg bekannte, hochwertige Keramik der altslawischen Zeit, wie die polierte Ware, die sogenannte Oldenburger Prachtkeramik oder qualitätvolle Feldberger Wulst- randtöpfe, zwar nicht in der Siedlung genutzt, dafür aber z.T. in den Mustern und in der Profilierung nachgeahmt wurde. Für die jungslawische Zeit findet sich schließlich Gurtfurchenware die in Starigard/Oldenburg gefertigt wurde (PÖHL- MANN 2013).

Angesichts neuer Grabungen und Methoden stellen sich aber neue Fragen zu den Siedlungsstrukturen und den Siedlungshierarchien. Sind die Bilder der zeitlichen und funktionalen Abfolge in Kleinräumen wie dem Plöner Seen Gebiet oder dem Lübecker Becken korrekt? Gerade mit Blick auf die sehr gut untersuchten Sied- lungskammern ist festzustellen, dass über den Zentralplatz hinaus weitere Anla- gen kaum untersucht worden sind. So bleibt die zentrale Funktion des Burgwalles von Pöppendorf für das Lübecker Becken ebenso offen, wie die Bedeutung des Burgwalls von Farve oder der mutmaßlichen Befestigungsanlage am Gut Gaarz im Oldenburger Umland. Andere Siedlungskammern wie die Region um den Se- lenter See oder den Großen Binnensee sind ebenfalls kaum untersucht. Durch die Detektorgänger ist auch für vermeintlich kleine oder unbedeutende Anlagen ein Fundreichtum und eine Fundqualität erzielt worden, die vermutlich zu einer ver- änderten Sicht dessen führen wird, was Zentralität und damit Bedeutung aus- macht. Dies gilt für die im Umfeld von Starigard/Oldenburg ebenso wie für das 226 Ulrich Müller / Donat Wehner

Lübecker Becken. Die systematische Begehung von Plätzen durch Detektorgänger ist in Skandinavien mit großem Erfolg eingesetzt worden und hat auch in Schles- wig-Holstein zu überraschen Ergebnissen geführt (MEINHARDT 2013). Pointiert formuliert, führt der Fundreichtum dieser prospektierten Plätze insbesondere an Bunt- und Edelmetallfunden auch zur Frage, wie brauchbar eigentlich die bisheri- gen Zentralplatzindikatoren sind. Neben einer systematischen Begehung bieten zudem die Laserscandaten häufig neue Einsichten. In den LIDAR-Scans treten Anlagen in Erscheinung, die im Gelände bislang nicht bekannt waren und die durchaus auch slawischer Zeitstellung sein könnten. So sind im Bereich der ost- holsteinischen Seenplatte eine Vielzahl bis dato unbekannter Anlagen ‘aufge- tauchtʼ (z.B. LÜTH 2012: 140–142, Abb. 103), deren gründliche Untersuchung si- cherlich auch bisherige Vorstellungen von Siedlungskammern und Zentralplätzen hinterfragen. An der südlichen Ostseeküste erscheinen ab dem 8. Jahrhundert nicht-agra- rische Siedlungen mit deutlich maritimer Ausrichtung an Küsten oder im küsten- nahen Bereich (Groß-Strömkendorf, Rostok-Dierkow, Ralswiek, Menzlin). Sie sind Bestandteil eines den ganzen Ostseeraum umspannenden Netzes von Plätzen die in der Literatur als „emporia“, „Seehandelsplätze“, „ports of trade“ oder „früh- städtische Siedlungen“ bezeichnet werden. An diesen Plätzen wird eine „multikul- turelle“ Bevölkerung fassbar, die primär auf Fernhandel ausgerichtet war und oftmals spezialisierte handwerkliche Produktion betrieben. Wenig weiß man in- des über die administrative Struktur und die Einbindung in territoriale Systeme. S. KLEINGÄRTNER (2014) hat in ihrer umfassenden Analyse die Plätze aktuell wie- der als „Emporien“ bezeichnet und sie als maritim orientierte, im Kern aber auf das Binnenland ausgerichtete Scharniere des Kulturkontaktes zwischen den skan- dinavischen und slawischen Gesellschaften interpretiert. Mit Blick auf die mecklenburgisch-vorpommerische Ostseeküste und den dort bekannten „Emporien“ wie Groß-Strömkendorf oder Menzlin stellt sich die Frage nach der Existenz solcher Plätze im Raum zwischen Kieler Förde und Lübecker Bucht. S. KLEINGÄRTNER hat jüngst (2014: 251–274) Kriterien für derartige Plätze zusammengestellt, die deutlich zeigen, dass über Oldenburg hinaus mit weiteren Plätzen gerechnet werden muss (Abb. 4). Interessant sind die Beziehungssysteme zwischen diesen Plätzen und dem „Hinterland“ bzw. Binnenland. Für die südliche Ostseeküste zwischen Kieler För- de und Stettiner Haff scheint eine „duale Struktur“ der Zentralplätze fassbar (KLEINGÄRTNER 2014; JÖNS/KARLE/MESSAL 2014). Als maritim orientierte Zen- tren sind es einerseits die Seehandelsplätze („Emporien“), andererseits die eher binnenländisch ausgerichteten herrschaftlichen Burgen. Die aktuelle Forschung erkennt einen deutlichen räumlichen Abstand zwischen herrschaftlichen Burgen Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 227 und Handelssiedlungen, was mitunter als ein „Beleg für eine weitgehende politi- sche Autonomie der Seehandelsplätze gewertet werden“ (BIERMANN 2014: 167) kann.

2.4. (Klein)räume

Neben der Zentrum-Peripherie-Problematik steht bislang die Erforschung von Kleinräumen im Mittelpunkt der Betrachtung. Diese konzentriert sich auf die Un- tersuchung von durch Waldgürteln getrennten Siedlungsarealen, den sogenann- ten Siedlungskammern. Der typische methodische Ansatz der Analyse einer Sied- lungskammer besteht in der Regel aus einer mehr oder minder umfassende Aus- grabung eines Siedlungsplatzes mit begleitenden naturwissenschaftlichen Analy- sen (z.B. Botanik). Die Fragestellungen sind ebenso vielfältig, wie die Methoden und letztlich die Datengrundlage. Eine wichtige Grundlage der Datengewinnung stellen neben Ausgrabungen auch prospektive Verfahren wie Geomagnetik oder Oberflächenbegehungen dar. Letztere liefern meist umfangreiche, aber zeitlich wie funktional nicht immer einfach zu bewertende Fundstellen (KLAMMT 2011a; LÜTH 2012: 120–121). Naturwissenschaftliche Daten wiederum können als on- site Daten vorliegen, wie die Datierung von Bauhölzern oder Tierknochen, aber auch als off-site Daten, wenn durch Pollenanalyse ein Moor in der Nähe der Sied- lung untersucht worden ist. Diese Vielfältigkeit zeigt sich auch in Schleswig- Holstein. So konnten die Bearbeiter für das Lübecker Becken (WILLROTH 1985) und das Herzogtum Lauenburg (SCHMID-HECKLAU 2003) fast nur auf Oberflä- chenfunde zurückgreifen. Das Plöner Gebiet und der Oldenburger Graben sind durch eine Vielzahl von durchaus flächendeckenden, aber eben auch „punktuel- len“ Grabungen erschlossen. Beispiele für solche Studien auf der Grundlage von größeren Grabungen sind die Arbeiten zu den Kleinräumen von Bosau und Fut- terkamp. Das bereits mehrfach genannte Bosau ist in Hinblick auf die frühe slawi- sche Besiedlung ebenso von Bedeutung wie als frühe Region des hochmittelalterli- chen Landesausbaues (HINZ 1983: 96). Der umfassende Einsatz naturwissen- schaftlicher Verfahren hat Erkenntnisse zur naturräumlichen Ausstattung und Dynamik eines Kleinraumes geliefert, die bis heute die Forschung prägen. Mit Futterkamp wiederum, einer Siedlungskammer am Rande des Großen Binnen- sees, standen die hochmittelalterlichen Transformationsprozesse im Vordergrund (ERICSSON 1981). Die Analyse des Überganges von spätslawischer zur hochmittel- alterlichen Besiedlung stützte sich hier weitgehend auf den slawischen Burgwall und die hochmittelalterlichen Motten. Weiterhin zu nennen sind die Arbeiten im Umfeld zum Herrschersitz Starigard/Oldenburg. Diese sind aber nicht abschlie- ßend publiziert, lediglich die botanischen Daten sind vergleichend ausgewertet 228 Ulrich Müller / Donat Wehner

(ALSLEBEN u.a. 1993; KROLL/WILLERDING 2004). Während für Bosau und Futter- kamp sowie Starigard/Oldenburg die durchaus umfangreichen Ausgrabungen die Basis für die siedlungsarchäologischen Analysen bildete, handelt es sich bei den Studien von K.-H. WILLROTH (1985) zum Lübecker Becken, von A. SCHMID- HECKLAU (2002) zum Herzogtum Lauenburg und von R. SCHNIEK (2003) zur nachslawischen Besiedlung nicht nur um Analysen, die sich vor allem auf Ober- flächenfunde und kleinere Grabungen stützten, sondern größere räumliche Ein- heiten untersuchten. Die Rezeption landschaftsarchäologischer Ansätze und Methoden der Geo- statistik wurde in der slawischen Archäologie im deutschsprachigen Raum vor al- lem von Th. SAILE (2007) vollzogen. In seiner Analyse kommen dezidiert Metho- den der Geostatistik zum Einsatz.9 Weiterhin wird ein Schwerpunkt auf die ge- ofaktorielle Parameter gelegt. Hierunter sind z.B. Hangneigung oder Entfernung der Siedlungsplätze zu Gewässern, aber auch Bodengüte oder Mikroklima zu ver- stehen.10 Auch wenn damit „weiche“ sozioökonomische oder kulturelle Parameter zugunsten dieser ‘hartenʼ Parameter deutlich in den Hintergrund treten, werden Aussagen erzielt, die über punktuelle Daten hinaus zu einer raumbezogenen Ana- lyse der Fläche übergehen. In der Folgezeit ist eine Reihe von Studien entstanden, die diese Ansätze aufgreifen und weiterführen. Für Ostholstein hat A. KLAMMT (2011a: 92–107; 205–230) eine Studie vorgelegt; Kleinräume wurden darüber hin- aus von Ph. LÜTH (2012) und N. FRIEDLAND (2013a) bearbeitet. Von großem In- teresse ist auch die Frage nach den standortbeeinflussenden Geofaktoren. Welche Lagen werden bevorzugt aufgesucht, welche Rolle spielen Wassernähe oder Bo- dengüte? Insbesondere A. KLAMMT (2011a), Ph. LÜTH (2012) haben sich den Ein- flüssen der Geofaktoren eingehend gewidmet. Dabei zeigt es sich, dass die slawi- schen offenen Siedlungen sich an spezifische Gegebenheiten anpassen. Insbeson- dere die Gewässernähe als auch die Bodengüte und Hangneigung scheinen die Wahl des Siedlungsstandortes stark zu beeinflussen. So beträgt die Gewässerent- fernung in der Regel weniger als 100m und weiterhin werden – zumindest für Burgen – die Insel- und Halbinsellagen besonders ab dem 10. Jahrhundert bevor- zugt. Dabei sind auch klimatische Einflüsse, die beispielsweise sich in Verände- rungen des Wasserstandes niederschlagen (DÖRFLER 2009; BLEILE 2010), in letzter

–––––––— 9 Diese Verfahren sind stochastische Methoden und Modelle auf der Grundlage räumlich korrelierter georeferenzierter Daten (z.B. Fundplätze). Dabei werden die punkthaft vorliegenden Daten für eine räumliche Interpolation genutzt. 10 Nach wie vor kontrovers diskutiert wird die Möglichkeit der Rückschreibung rezen- ter Daten wie Bodengüte, Temperatur oder Hydrologie auf vormoderne Zeiten. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 229

Zeit in den Fokus gerückt. Die geringe Gewässernähe bedeutet aber nun nicht die Bevorzugung feuchter Standorte, denn überwiegend wurden kiesig-sandige Plätze gewählt. Mit seinen räumlich-statistischen Analysen im Plöner Seengebiet konnte Ph. LÜTH (2012) die Dynamik eines Kleinraumes von der frühslawischen Zeit bis in das Mittelalter hinein aufzeigen.11 So sind für die frühe Phase kleinere Sied- lungskammern fassbar, wobei die Burganlagen kaum eine durchgehende Bele- gung bis in die späte Slawenzeit hinein besitzen. Für die spätslawische Zeit wird eine Ausweitung der offenen (ländlichen) Siedlungen bei einer gleichzeitigen Konzentration an Herrschaftsmittelpunkten (Burgen) erkennbar (Abb. 5). Kleinräume wollen auch verbunden sein. Die Frage nach dem Wegenetz – ob zu Wasser oder zu Lande – ist auch für das slawische Wagrien verschiedentlich diskutiert worden. Ältere Arbeiten stützten ihre Aussagen meist auf historisches Kartenmaterial, die Rückschreibung historischer Altwege oder einfach mehr oder minder willkürlich gezogener Verbindungen zwischen bekannten Fundstellen. In jüngster Zeit haben auch hier statistische Verfahren das Terrain erobert. Gerade im Zusammenspiel mit digitalen Geländemodellen erlauben sie eine tragfähige Diskussion um Wegeverläufe. Für Schleswig-Holstein hat Th. LEMM (2012) eine derartige Analyse vorgelegt, die zwar Schwerpunkte auf das sächsische Siedelge- biet legt, aber auch in das slawische Ostholstein ausgreift. Mittels sogenannter „least cost path“-Verfahren werden unter Hinzuziehung zahlreicher Parameter (Hangneigungen, Gewässer etc.) Wege rekonstruiert.12 Die Analysen von Th. LEMM (2012: 297–307) zeigen für Wagrien einen infrastrukturell erschlos- senen Raum, der durch die Nutzung der Seen und Flüsse sicherlich verdichteter war, als die Landwege alleine vermuten lassen (Abb. 6).13 Trotz aller Unterschiede ist den genannten Studien gemein, dass sie (1) die Geofaktoren dezidiert berücksichtigen, (2) konsequent räumlich statistische Ver- fahren anwenden und (3) auf eine flächendeckende Analyse unter Berück- sichtigung und Evaluation sämtlicher Fundstellen abzielen. Es wäre indes geo- deterministisch, wenn man die erkennbare Dynamik der Standortwahl und -Ver- lagerung zwischen altslawischer und jungslawischer Zeit allein auf solche Fakto- ren zurückführen würde, denn auch frühgeschichtliche Gesellschaften sind zu –––––––— 11 Die methodischen Grundlagen und die statistischen Verfahren, insbesondere die „Kerndichteschätzung“ sollen hier nicht diskutiert werden; vgl. hierzu LÜTH 2012. 12 Zu tragfähigen Algorithmen, Funktionen und Herangehensweisen von „least cost path“-Analysen speziell für archäologische Belange siehe HERZOG 2014. 13 GLÄSER 1983: 267f.; Tafel XII stützt sich vor allem auf die Danckwerth’sche Karte aus dem 17. Jahrhundert; FRIEDLAND 2013a: 150–153 benutzt netzwerkanalytische Ver- fahren. 230 Ulrich Müller / Donat Wehner komplex, als dass sich ihre Handlungsspielräume lediglich auf das Einwirken der „Natur“ reduzieren ließe. Dies konnte etwa in einer Studie zum westlichen Bran- denburg deutlich gezeigt werden (WEHNER 2012); ebenso verweisen darauf z.B. Th. MEIER und P. TILLESEN (2011) in ihren grundsätzlichen Überlegungen zu Mensch-Umwelt Beziehungen.

2.5. Kulturkontakte und „Elitenkommunikation“

Zahlreiche Arbeiten – insbesondere aus der Feder von Müller-Wille – widmeten sich dem Import und Fremdgut und stellten Wagrien in seinen „internationalen“ Bezügen dar (MÜLLER-WILLE 2011a). Aus der scheinbaren Peripherie wurde ein Raum, dessen Akteure entscheidend durch Prozesse des Kulturkontaktes und Kulturtransfers geprägt wurden bzw. diesen prägten. Die vielfach exzeptionellen Funde aus Siedlungen, Gräbern und Depots haben bereits früh den Blick auf jene Personen gelenkt, die mit diesen Objekten in Verbindung standen. Wer waren diese Personen und welche Rolle spielten sie in der frühmittelalterlichen Gesell- schaft? Für das frühe Mittelalter in den nordwestslawischen Siedelgebieten spielt zudem die Frage nach dem skandinavischen Einfluss eine Rolle. Die Diskussion ist nicht neu (ROHNER 2012), wurde aber insbesondere durch die Ausgrabungen in Groß-Strömkendorf neu entfacht. Die oben erwähnte duale Struktur der Zent- ralplätze mit Emporien einerseits und davon abgesetzten Burgen andererseits hat zur Frage nach der Anlagegründung und der Struktur der Emporien geführt und wiederholt den skandinavischen Einfluss herausgestellt. Die Frage nach den sozialen Strukturen der slawischen Stämme und Stam- mesgruppen wird seit mehr als 100 Jahren aufgrund unterschiedlichster Quellen, Methoden und Wissenschaftsschulen diskutiert (KLAMMT/ROSSIGNOL 2009; KLAMMT 2013). Neben den Herrschafts- und Gesellschaftsformen und der ethni- schen Zuweisungen im Sinne von Stämmen fragen die Archäologen zudem nach sozialen Gruppen. Die jüngere archäologische Forschung rezipiert neben ge- schichtswissenschaftlichen Quellen und Ansätzen inzwischen auch vielfach sozial- und kulturwissenschaftliche Ansätze und stützt sich auf naturwissenschaftliche Daten. Mit der Rezeption von elitensoziologischen Ansätzen wird zunehmend die Frage auf die transformativen Kräfte innerhalb hierarchischer Gesellschaften ver- lagert, so dass Themen wie Kommunikation und Interaktion der Eliten, Elite- netzwerke oder die Suche nach Mechanismen zur sozialen Verbundenheit in den Vordergrund rücken. Ein grundlegendes Problem ist und bleibt die Ableitung der Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen aus den archäologischen Daten und die Dynamik der innerslawischen Gesellschaftsentwicklungen zwischen dem 7./8. und 11./12. Jahrhundert auch in Bezug auf Einflüsse von außen. Sozialarchäologi- Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 231 sche Modelle, die letztlich aus der Ethnologie entlehnt worden sind und über die prähistorische Archäologie in die Frühgeschichte drängten, betonen „big man“ und „chief“-Systeme, werden aber inzwischen ebenso kritisch gesehen wie punk- tuelle schriftliche Nachrichten, die tendenziell rückgeschrieben werden. Während für die frühslawischen Gruppen und Stämme generell von einem geringen Grad sozialer Organisation ausgegangen wird (z.B. BIERMANN 2014: 161), ist seit der mittelslawischen Zeit eine zunehmende gesellschaftliche Komplexität erkennbar, die ihren Ausdruck im Burgenbau, Zentralplätzen und Bestattungssitten findet. Die sozialarchäologischen Analysen stützen sich nach wie vor stark auf Gräber und „Repräsentativbauten“ und spiegeln die Sozialstruktur ab dem 10. Jahr- hundert wieder. Aus den wagrischen Herrschaftsgebieten liegen mit Stari- gard/Oldenburg und Alt-Lübeck herausragende Belege für beides vor. Die Grä- berfelder der beiden Kirchbauten I und II von Starigard/Oldenburg sind aufgrund ihrer Lage, ihres Grabbaues und der Beigabenstruktur ebenso Ausdruck der obodritischen Elite wie die Beisetzungen in den Kirchen von Alt-Lübeck. Die bei- den Männer, die vermutlich in Altarlage in Starigard/Oldenburg beigesetzt wur- den, hat I. Gabriel vor dem Hintergrund des Modell einer „imitatio imperii“ als ʽFürstʼ und ʽSteigbügelhalterʼ (GABRIEL 1986) interpretiert. Abseits dieser Zu- schreibung ist mit Beigaben wie dem Langschwert, der Bronzeschüssel, einem Hnefataflspiel und dem mutmaßlichen Reliquienbeutel ein Horizont einer „Eli- tenkommunikation“ fassbar, in deren Materialität „transnationale“ Praxen fassbar werden. Die nur noch durch ihre Funde bekannten Bestattungen aus der Holz- und Steinkirche von Alt-Lübeck hat M. MÜLLER-WILLE (2011e) in ihrem räumli- chen, zeitlichen und insbesondere sozialen Kontext vorgestellt. Deutlich werden insbesondere durch die persönlichen Beigaben Verbindungen in die westeuropäi- schen Regionen ebenso wie nach Skandinavien oder das Piastenreich bzw. Ost- mitteleuropa sichtbar. Die Gruppe, die dort zu Zeiten der Nakonidenherrscher Gottschalk (*etwa um 1000; †7. Juni 1066 in Lenzen) oder Heinrich (*vor 1066; †22. März 1127) bestattete und eine dynastische Grablege nach den Vorbildern der Königs- und Fürstengräber einrichtete, war mit den Eliten dieser Zeit bestens vernetzt, was nicht zuletzt auch die historischen Quellen eindringlich belegen. Ebenso wie die Grablegen in und um die Kirchen von Oldenburg markieren die Grablegen aus den Holz- und Steinkirche von Alt-Lübeck eine Elite, die mit dem Übertritt zum Christentum und seiner aktiven Durchsetzung Herrschaftsinteres- sen absicherte. Über die Grablegen hinaus markieren die Großbauten aus Starigard/Ol- denburg, die als „Fürstenhallen“ identifiziert werden, ebenso Merkmale, Reprä- sentationsformen und Interaktionen der Elite wie das vielfältige Fundmaterial. Die eindrucksvolle, wenngleich selektive Vorlage ausgewählter Funde durch 232 Ulrich Müller / Donat Wehner

I. GABRIEL (1988) zeichnet die Netzwerke des Austausches und Handels im frühmittelalterlichen Europa in vielen Facetten nach. Zusammenfassend werden anhand der archäologischen Daten die Funktions- logiken und das performative Handeln von Gruppen und Gemeinschaften sicht- bar. Der wagrische Raum ist aufgrund seiner Nähe zum Karolingerreich bzw. dem salisch-ottonischen Reich von Bedeutung. Umbrüche in den slawischen Gesell- schaften können auch als „bedrohte Ordnungen“ (PATZOLD 2014) angesehen werden. Ob in der Elite aus Starigard/Oldenburg wirklich eine Gruppe fassbar wird, die Herrschaft im gesamten obodritischen Raum ausübte, bleibt fraglich. Deutlicher scheint dies in Alt-Lübeck der Fall, wo unter den Nakoniden „Ansätze einer Staatsbildung“ und eine „obodritische Staatsidee […] in der Samtherrschaft“ (RUCHHÖFT 2011: 175) unterstellt werden.

Anders als „Elitenkommunikation“ wird der (archäologische) Begriff des Kultur- kontaktes schon seit langem benutzt. Es liegt auf der Hand, dass er dementspre- chend einem starken Wandel unterworfen war. Die Frage der „Kulturkontakte“ wurde zunächst stark aus der Perspektive eines Kulturgefälles diskutiert, welches zwar nicht explizit herausgestellt, durchaus aber implizit vorhanden war. In den jüngeren Studien finden sich eher Ansätze aus den post-colonial studies oder den transkulturalitäts-Debatten. Angesichts aktueller Diskussion um Akkulturation (HÄRTEL 2014), aber auch Interkulturalität oder Hybridisierung in mittelalterli- chen Gesellschaften (LOHSE/SCHELLER 2014) wäre es sinnvoll, diese Begriffe und Konzepte auf die Materialitäten archäologischer Funde und Befunde anzuwen- den. Dabei ist in jedem Falle zu berücksichtigen, dass die materiellen Praxen nur einen Teil eines Prozesses wiedergeben und er in seiner Komplexität nur interdis- ziplinär erschlossen werden kann. Die von außen wie innen angestoßenen Prozes- se führen in der Tat zu einem Kulturwandel, den Chr. LÜBKE (2014a) jüngst ein- gehend diskutiert hat. Die Kulturkontakte in der hier betrachteten Region manifestieren sich in der Rezeption westlicher Kulturmuster, den Einflüssen aus dem skandinavischen Raum und den Umbrüchen im hohen Mittelalter (siehe unten). Die Orientierung der slawischen Eliten an Habitus und Lebensstilen der verschiedenen sozialen Gruppen der westeuropäischen Königreiche ist nicht nur fassbar anhand der viel- fältigen Import- und Fremdgüter, die von scheinbaren Alltagsgegenständen wie Keramik und Glas bis hin zu exzeptionellen Objekten wie vergoldeten Fibeln oder Bronzeschüsseln reichen, sondern auch Bauweisen usw. betreffen. Berührt wer- den nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche, wenngleich Studien zum „Behar- rungsvermögen“ oder zur „Persistenz“ fehlen und eher der Wandel im Blick steht. Vor allem die „Fürstenhallen“ aus Starigard/Oldenburg, aber auch die zahlreichen Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 233

Funde sind als Ausdruck einer „imitatio imperii“ und einer „Hofkultur“ (GABRIEL 1988) interpretiert worden, die sich an Lebensstilen der westlichen Eliten orien- tiert. Dies wird man sicherlich differenzierter interpretieren müssen. Zum einen können die Einflüsse nicht allein auf das karolingisch-deutsche Reich reduziert, sondern müssen auch in Skandinavien oder dem östlichen Europa gesucht wer- den. Zum anderen folgt das Modell einer „imitatio“ einer unidirektionalen Sicht- weise, welche die slawischen Eliten auf reine Empfänger reduziert. Der Einfluss skandinavischer Gruppen ist insbesondere anhand der Grabfun- de an der südlichen Ostseeküste kontrovers diskutiert worden (ROHNER 2012). Hierbei spielten die Seehandelsplätze eine wichtige Rolle. Die frühe Datierung (erstes Drittel 8. bis frühes 9. Jahrhundert) und historische Kontextualisierung („Reric“) des westmecklenburgischen Handelsplatzes Groß-Strömkendorf hat die Diskussion neu entfacht (zuletzt KLEINGÄRTNER 2014: 305–315). Kann man die- sen Platz und unter Umständen auch vergleichbare Orte als eine skandinavische Gründung ansehen oder zumindest eine skandinavische Initiative erkennen? Momentan scheint es so, als ob sich die slawischen Zentralplätze (Burgen) dieser frühen Zeit eher im Binnenland konzentrieren, während die multiethnisch er- scheinenden, aber ein deutliches skandinavisches Gepräge aufweisenden Empo- rien eben an der Küste liegen. Im Sinne eines „gates“ fungieren sie vor allem als Schnittstelle mit vielfältigen, vor allem aber ökonomischen Funktionen. Gegen- wärtig wird von S. KLEINGÄRTNER (2014), aber auch F. BIERMANN (2014: 167) von einer gewissen Unabhängigkeit der „Emporien“ ausgegangen, die aber durch die lokalen Stammesmächte gewährt wurde. Ein Abgaben- und Austauschnetz- werk von Zöllen, Zugriff auf Fernhandelsgüter und sicherlich auch Gabendistri- bution bescherten den Plätzen quasi den Status einer „Sonderwirtschaftszone“ mit einer gewissen Selbstverwaltung.

2.6. Glaubenswandel und Konversion

Die gentil-religiöse Struktur („Mythologie“) der nordwestlichen Slawen sowie die gesellschaftlichen Veränderungen durch den Kontakt mit der christlich-abend- ländischen und orthodoxen Welt sind Kernthemen der frühgeschichtlichen Ar- chäologie des östlichen Mitteleuropas (HARDT 2013). Hierzu gibt es bekannter- maßen eine Vielzahl von Quellen mit sehr unterschiedlichen Überlieferungs- strängen. Fragen nach den sozio-religiösen Strukturen der Slawen in ihren zeit- lichen und räumlichen Kontexten werden daher sehr unterschiedlich beantwortet. Verlässliche archäologische Quellen erscheinen im Raum zwischen Elbe und Oder allerdings erst im 10. Jahrhundert. Dabei scheint sich diese Region durch einen religiösen „Sonderweg“ auszuzeichnen (BRATHER 2008: 320 f.), der durch 234 Ulrich Müller / Donat Wehner

Kultbauten und Götterfiguren erkennbar wird. Die Schwierigkeiten der Identifi- kation bzw. Ansprache archäologisch nachweisbarer Strukturen als Kultbau sind bekannt (WESULS 2006) und gerade vor dem Hintergrund der schriftlichen Über- lieferung (MÜLLER-WILLE 1989) entstehen oftmals Zirkelschlüsse. Weiterhin stellt sich die Frage, ob die Tendenz zu anthropomorphen Darstellungen (Stelen, Figu- ren) und die spezifischen Kultbauten aus dem Kontakt bzw. dem Einwirken der christlichen Religion zu erklären sind (LÜBKE 2009). Neben den gentil-religiösen Strukturen sind die Mission und der Konver- sionsprozess ein zentrales, aber immer wieder kontrovers diskutiertes Thema der slawischen Archäologie. Weit über den wagrischen Raum hinaus besitzen Stari- gard/Oldenburg sowie Alt-Lübeck als Missionskirchen und Bestattungsplätze ei- ner konvertierten Elite Bedeutung (RUCHÖFT 2011; MÜLLER 2016). Aus Stari- gard/Oldenburg stammen nicht nur die bislang ältesten Holzkirchen des frühen bzw. mittleren 10. Jahrhunderts im nordwestslawischen Raum, sondern der Nachweis eines gentil-religiösen Kultplatzes des 11. Jahrhunderts (GAB- RIEL/KEMPKE 2011). Die Holz- und Steinbauten in Lübeck datieren in das mittlere oder späte 11. bis frühe 12. Jahrhundert und sind Ausdruck der veränderten Rahmenbedingungen einer Gesellschaft, die sich zunehmend an den christlichen Werten orientiert. Grablegen der Elite in Starigard (ebd.) und die Tendenz zu dynastischen Grä- bern in Alt-Lübeck (MÜLLER-WILLE 2011e) zeichnen ein Bild, dass weniger von einer „imitatio imperii“ geprägt ist, wohl aber Handlungsmuster und Handlungs- spielräume der international vernetzten Eliten deutlich werden lässt. Die Einrich- tung des Bistums Oldenburg um 972 ist Teil der „Slawenmission“ im östlichen Mitteleuropa und auch vor dem Hintergrund der kirchen- sowie reichspolitischen Entwicklungen zu sehen (MÜLLER-WILLE 2011f; BOCK 2014). Die Kirchen mögen den Anfang eines umfassenden Missionsprogrammes markieren, sind aber zu- nächst als „capelle palatina“ zu identifizieren. Unter den zahlreichen Bestattungen des mittleren bis späten 10. Jahrhunderts in Starigard/Oldenburg sind es vor al- lem die Grablegen christlichen Gepräges inner- und außerhalb der Kirchen, die in der Forschung verschiedentlich diskutiert wurden (GABRIEL/KEMPKE 2011). In- nerhalb der Kirchbauten ist der Lagebezug auf mögliche Reliquienstandorte und/oder einen Altar erkennbar. Bemerkenswert ist der hohe Anteil an Kinder- gräbern. Die Breiten- und Tiefenwirkung blieb nach Ausweis der, allerdings sehr spärli- chen, archäologischen Zeugnisse beschränkt, und der „Slawenaufstand“ tat sein Übriges, um einen flächendeckenden Glaubenswandel zu verhindern. Die Missi- onierung der Mitte und zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts erscheint als „top- down“-Mission, die zumindest rückblickend nur punktuell Orte „besetzt“ und Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 235 zunächst wirkmächtige Zentren schaffen möchte. Zugleich zeigen die archäologi- schen Daten, dass der nordwestslawische Raum nicht grundlegend umstrukturiert wurde, denn der neue Glaube bleibt im Wesentlichen auf Oldenburg beschränkt. Das 11. und 12. Jahrhundert steht im Ododritenland für eine Phase vielfältiger re- ligiöser und politischer Auseinandersetzungen. T. Kempke konstatiert, dass „bis weit in das 12. Jahrhundert [hinein der obodritische Machtbereich] durch die Spannungen zwischen Heidentum und Christentum innerlich zerrissen“ war (KEMPKE 2002: 24). Weit über das Obodritenland hinaus sind die beiden Kirchen aus dem Burgwall von /Alt-Lübeck wichtig. Die Bauten aus Holz und Stein sowie die Grabfunde sind ausführlich gewürdigt (GRABOWSKI 2010; MÜLLER- WILLE 2011e). Alt-Lübeck sollte als Herrschaftsresidenz auch mit dynastischen Grablegen ausgestattet werden und war somit auf Kontinuität angelegt. Hierzu kam es aber nicht, denn der Tod Heinrichs von Lübeck (1127) führte zu einer neuerlichen Phase der Destabilisierung, die letztlich zur Eingliederung des obodritischen Stammesgebietes in das sächsische Herzogtum führten. Auch wenn Alt-Lübeck als geistliches und dynastisches Zentrum kein langfristiger Erfolg be- schieden war, steht es am Anfang einer Hinwendung zu einem flächendeckenden Ausbau. Dieser erfolgt dann verstärkt seit dem zweiten Drittel des 12. Jahrhun- derts und zeichnet sich schon allein in seiner Raumwirkung durch eine neue Qua- lität aus. Die nun einsetzenden Veränderungen – städtische Großbauten, klöster- liche Durchdringung und ländliches Pfarrkirchensystem – vollzogen sich im Zeit- raum von einer bis zwei Generationen (Abb. 7). Im Unterschied zu den vorheri- gen Bemühungen sind diese jedoch nicht unbedingt Ausdruck eines bischöflichen „Masterplans“, sondern zeigen das Zusammenspiel (landes-)herrschaftlicher Kräfte und lokaler Siedlungsentwicklungen im Zuge des Landesausbaues (MÜL- LER 2016).

2.7. Hochmittelalterliche Transformationsprozesse („Landesausbau“)

Das 11. Jahrhundert ist für die spätslawischen Gesellschaften mit zahlreichen Umbrüchen verbunden, an deren vorläufigem Ende die Gesellschaften hochmit- telalterlichen Zuschnitts stehen (BOCK 2011; LÜBKE 2014b). Indes ist über den spätslawischen Horizont des 11. und 12. Jahrhunderts in Holstein erstaunlich we- nig bekannt. Dies gilt gleichermaßen für die ab dem 11. Jahrhundert vermehrt auftretenden Körpergräberfelder (POLLEX 2010) wie für die meist nur durch Le- sefunde erschlossenen ländlichen Siedlungen (SCHNIEK 2003) und das Verhältnis von spätslawischen (Fürsten)-Burgen und hochmittelalterlichen Motten (MÜLLER 2015). Generell wird zwar von einer zunehmenden Zentralisierung und Territori- alisierung ausgegangen, doch liegen zu Plätzen wie Ratzeburg, Oldenburg oder 236 Ulrich Müller / Donat Wehner

Plön kaum verwertbare Informationen vor.14 Die spätslawische Burgenlandschaft ist zwar durch Geländedenkmäler bekannt, doch fehlten auch hier genauere Un- tersuchungen. Vielfach sind die entsprechenden Kulturschichten nicht mehr vor- handen. Eine der wenigen Ausnahmen stellen die Grabungen in Alt-Lübeck dar – hier konnten die Strukturen eines spätslawischen Herrschaftssitzes erschlossen werden. Aber auch die Arbeiten auf dem nördlichen Lübecker Stadthügel erlau- ben es inzwischen, den Übergang von der spätslawischen zur landesherrlichen Burg nachzuzeichnen (GLÄSER 2010). Im Zuge des „Kolonisationsaufrufes“ Adolf II. von Schauenburg im Jahre 1143 bekamen nach Helmold (HELMOLD I, 57) von Bosau „die Holsteiner Wohnsitze an sehr sicheren Orten im Westen bei Segeberg am Travefluß“ und „auch das Ge- filde von Schwentinefeld und alles was sich von der Schwale bis nach Grimmels- berg und bis zum Plöner See erstreckt“. Weiterhin bezogen „das Darguner Land (...) die Westfalen, das Eutiner die Holländer und Süsel die Friesen. Das Plöner Land war noch unbewohnt. Oldenburg aber und Lütjenburg und die anderen Küstengegenden gab er den Slawen zu beziehen, und diese wurden ihm zins- pflichtig“. Die Quelle ist ein wichtiger Beleg für den Landesausbau und dement- sprechend nicht nur für die Regionalgeschichte von Bedeutung (BIERMANN 2010). Sie markiert eine der frühesten Phasen des hochmittelalterlichen Landesausbaus im östlichen Mitteleuropa und ist Ausdruck und Teil von gesamteuropäischen Transformationsprozessen dieser Zeit. Im Gegensatz zur sprachhistorischen For- schung, die insbesondere im Rahmen des SFB 17 und nachfolgender Projekte ge- leistet wurde, sowie verschiedenen geschichtswissenschaftlichen Arbeiten zu Teil- räumen liegen kaum nennenswerte Beiträge seitens der Archäologie zu dieser Zeit für das östliche Holstein und das Herzogtum Lauenburg vor.15 Im Vergleich zu Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern steht die Be- wertung der „Ostsiedlung“ auf einem recht schwachen, sich letztlich an histori- schen Daten orientierenden Fundament. Diese kann nur dann tiefgegründet wer- den, wenn weitere archäologische Fundplätze hinzugezogen werden. Neuere Stu- dien, die sowohl einzelne Grabungen auswerten als auch vergleichend einordnen, wurden in den letzten Jahren aus Mecklenburg, Brandenburg, Thüringen oder

–––––––— 14 RUCHHÖFT 2008; MÜLLER-WILLE 2011C; BIERMANN 2014. 15 Vgl. auch KEMPKE 2007 sowie HILL 1995. Für die Sprachwissenschaft insbesondere SCHMITZ 1981; 1990 sowie DEBUS 2010. Archäologische Analysen wurden über- regional von SCHNIEK 2003 und SCHMID-HECKLAU 2003 und regional von LÜTH 2012 sowie RÖSCH 2012 vorgenommen. Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 237

Sachsen-Anhalt vorgelegt.16 Für Schleswig-Holstein liegen ältere Beiträge zu Bo- sau sowie Futterkamp vor. Diese Arbeiten haben wichtige punktuelle Ergebnisse erbracht. Allerdings basieren sie auf kleinteilige Ausgrabungen, und haben insbe- sondere die wichtigen offenen Siedlungen kaum berücksichtigt. Dementspre- chend basiert eine vergleichende Analyse für die Region zwischen Kieler Förde und unterer Warnow, die R. SCHNIEK (2003) vorlegte, weitgehend auf Oberflä- chenfunden durch Begehungen. Hierbei bildet die sogenannte Grauware, eine lo- kal wie regional produzierte Keramik, einen wichtigen Marker. Sie wird als ein starker Hinweis auf die Veränderungen durch die neuen Siedler und den Landes- ausbau gewertet, was aber nicht mit einer ethnischen Zuweisung („Slawen“ – „Deutsche“) gleichzusetzen ist (BRATHER 2013). Die Anwendung räumlich statis- tischer Verfahren (LÜTH 2012), die neben archäologischen Daten auch Topony- me und historische Daten berücksichtigte, bietet zwar ebenfalls neue Erkenntnis- se, ändert aber kaum etwas an dem grundsätzlichen Desiderat fehlender Grabun- gen. Erst in jüngster Zeit konnten mit den Grabungen in Grellenkamp bei Malen- te (RÖSCH 2012) und Gut Rosenkrantz (LÜBKE 2013) ländliche Siedlungen er- schlossen werden, die in die Zeit des Landesausbaues datieren. Für die Transformationsprozesse zwischen Slawenzeit und Mittelalter kann wiederum die Studie von Ph. LÜTH (2012) zitiert werden. Er konnte in der Region der ostholsteinischen Seenplatte eine Konzentration der hochmittelalterlichen Siedlungen in das Binnenland nachweisen, während die spätslawischen Sied- lungsstellen sich nach wie vor eher an den Seen und Gewässern orientieren. Die Tendenz einer „Regionalisierung“ wird auch in der verstärkten Errichtung nie- deradeliger Burgen und Motten fassbar (MÜLLER 2015). Eine weitere Differenzie- rung der „slawischen“ und „deutschen“ Siedlungsgebiete unter Hinzuziehung der entsprechenden archäologischen und onomastischen Daten ist dabei nicht als ei- ne ausschließlich ethnische Segregation zu verstehen, denn die Beteiligung sla- wischer Gruppen am Landesausbau ist ebenso bekannt wie eine zunehmende Ak- kulturation, die sich beispielsweise im interethnischen Gebrauch der harten Grauware wiederfindet. Als „slawische Siedlungsgebiete“ erscheinen Siedlungs- stellen mit einem hohen Anteil spätslawischer Keramik und einem gehäuften Vorkommen slawischer Ortnamen; „deutsche“ Siedlungsgebiete treten durch nicht-slavische Ortsnamen und einem entsprechenden Anteil von hochmittelal- terlicher Grauware in Erscheinung. Dementsprechend kann das Bild auch als Verzahnung slawischer und deutscher Siedlungsräume interpretiert werden (Abb. 8). Auffällig bleiben Regionen, die sich durchaus mit den schriftlichen

–––––––— 16 Z.B. Kausche (FREY 2013), Wolkenberg (SPAZIER 2012). 238 Ulrich Müller / Donat Wehner

Quellen korrelieren lassen. Hierzu gehört die Region um Bosau, seit 1180 Bi- schofssitz oder die Regionen um Eutin und südwestlich von Bornhöved, die nach Ausweis der Quellen ab 1143 durch holsteinische und holländische Siedler er- schlossen wurden.

2.8. Urbanisierung Durch die Archäologie hat sich die Einschätzung von „Stadt“ und von „städti- schen Strukturen“ in den letzten 50 Jahren grundlegend gewandelt. Sicherlich bil- det nach wie vor die Ausbildung der hochmittelalterlichen kommunalen (Rechts-)Stadt ein paradigmatischer Marker, doch die zahlreichen präurbanen „Vorformen“ machen recht deutlich, dass die funktionale Konzentration zentraler Merkmale kein Alleinstellungsmerkmal für die kommunale Stadt ist. Die Zentra- lisierung und Urbanisierung an der südlichen Ostseeküste und im Binnenland vollzieht sich in slawischer Zeit, welche die Forschung mit unterschiedlichen An- sätzen und Methoden (WEHNER 2012; KLEINGÄRTNER 2014; BIERMANN 2014), aber durchaus ähnlichen Ergebnissen diskutiert. Für die spätslawische Zeit sind die sogenannten „Burgstädte“ ein Element der Konzentration von Macht. Hier- unter sind funktional mehrteilige Siedlungen zu verstehen, die auch als „herr- schaftlich-frühstädtischer Siedlungskomplex“ (BRATHER 2008: 148) in die Litera- tur eingegangen sind. Für die hochmittelalterlichen Städte an der südlichen Ostseeküste bzw. in den ehemals slawischen Regionen ist die Frage nach den slawischen Vorgängern und deren Bezüge zu den hochmittelalterlichen Städten wichtig (MÜLLER 2010b). Das Thema ist in der Forschung umfassend diskutiert worden; neben strukturellen Fragen wie räumliche, zeitliche und funktionale Kontinuität und Diskontinuität betrifft es nicht zuletzt auch die ethnische Interpretation der archäologischen Da- ten und damit die Identitätsbildung im urbanen Raum. Über die kommunale Stadt hinausreichend, ist von der archäologischen For- schung immer wieder der Charakter der Zentralplätze Starigard/Oldenburg und Alt-Lübeck diskutiert worden. Ersterer wird in der Regel nicht als präurbaner Platz bezeichnet. Dies mag aber weniger mit der tatsächlichen Bedeutung für den obodritischen Raum zu tun haben als vielmehr in den fehlenden Befunden zu Suburbien und vergleichbaren Strukturen. Anders Alt-Lübeck, dessen präurbaner Charakter im 11. und 12. Jahrhundert nicht bezweifelt wird, denn die frühstädti- sche Siedlung zeichnet durch komplexe Suburbien, eine differenzierte Ökonomie und einen monetären Sonderraum aus. Mit Blick auf die hochmittelalterlichen Städte erscheint Schleswig-Holstein zunächst als eine verhältnismäßig stadtarme Landschaft. Lübeck dominiert im Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 239 positiven wie negativen Sinne die Stadtforschung in Schleswig-Holstein. Dement- sprechend ist über die frühe Stadtgeschichte von Städten wie Ratzeburg, Plön, Lütjenburg oder Oldenburg sehr wenig bekannt. Die Darstellungen stützen sich weitgehend auf schriftliche Quellen. Hier wäre es notwendig, den Blick in die wei- teren Städte zu richten, um zu einem verlässlichen Bild der Stadtwerdung zu ge- langen und die Beziehungen zwischen den slawischen Zentren und den hochmit- telalterlichen „Rechtsstädten“ zu klären. Die Hansestadt Lübeck firmiert als „Gründungsstadt“ par excellence. Die langjährigen Grabungsprojekte und die sehr gute archivalische Überlieferung haben in der Forschung auch zur Diskussi- on um den Übergang von Alt-Lübeck zu Lübeck sowie den Nachweis einer slawi- schen Vorbesiedlung geführt. Der Nachweis einer spätslawischen Burganlage mit Suburbium im Norden des Stadthügels, welcher dann die landesherrliche Burg Graf Adolfs II. folgte, belegt hinreichend die administrative Dynamik zwischen dem ausgehenden 11. und dem mittleren 12. Jahrhundert (DUBISCH u.a. 2014). Inwieweit auch in den als ‘Kaufleuteviertelʼ bekannten Arealen slawische Besied- lung in situ nachgewiesen werden kann, ist durch die jüngsten Ausgrabungen wieder in die Diskussion geraten. So führt Dirk RIEDER (2014: 150) etwa einen quadratischen Pfostenbau von 4,5 x 4,5m Seitenlänge und spätslawische Keramik an, die unter stratigraphischen Gesichtspunkten vor der schriftlich erwähnten Gründung der Stadt im Jahr 1143 datieren könnten.

Zusammenfassung

Traditionelle Themen und aktuelle Tendenzen spiegeln sich wie in einem Brenn- glas in Wagrien in der rund 150jährigen Erforschung der Archäologie der nord- westlichen Slawen wider. Zu den zyklisch gleichen oder zumindest ähnlichen auf- gegriffenen Themen gehören insbesondere die Einwanderung/Migration, aber auch die Funktion der Emporien. Die gesellschaftspolitischen Veränderungen in Ostdeutschland öffneten schließlich den Raum, um archäologische Epochengren- zen zu überwinden und die Transformationsprozesse am „anderen Ende“ zu be- leuchten und die Wechselwirkungen zwischen slawischer Besiedlung und Lande- sausbau herauszustellen. Gerade für das 12./13. Jahrhundert kommt der wagri- schen Region große Bedeutung zu, denn die historisch spannende Gemengelage als auch die dichte Überlieferung insbesondere an schriftlichen und onomasti- schen Quellen ermöglicht komparative Studien zu Landesausbau und Urbanisie- rung. Der limes Saxoniae wiederum bietet die Chance, Konzepte von Grenzregio- nen und Grenzräumen auszuleuchten und nach den Vernetzungen über diese Grenzen hinweg zu fragen. Auch die seit den 1990er Jahren in der Archäologie stark rezipierten Mensch-Umweltverhältnisse sind für die slawischen Gesellschaf- 240 Ulrich Müller / Donat Wehner ten thematisiert worden: hier lässt sich gar postulieren, dass diesen Studien Refe- renzfunktion für andere frühgeschichtliche/frühmittelalterliche Gesellschaften zu- kommt. Die „alten“ wie „neuen“ Themen werden zunehmend durch die zahlreichen Methoden der Natur- und Informationswissenschaft bereichert und erschlossen. Ob Isotopenanalysen oder aDNA, ob Laserscan oder 3D-Visualisierung – das Spektrum an entsprechenden qualitativen und quantitativen Verfahren ist enorm angewachsen. Der gezielte Einsatz von Metalldetektoren und die Auswertung von digitalen Geländemodellen zur Lokalisierung und Neubewertung von Fundplät- zen hat der slawischen Archäologie nicht nur zu zahlreichen Funden und Befun- den verholfen, sondern zu einer Diskussion um ihre Funktionen (Stichwort „Zentralität“). Die raumstatistischen Verfahren und die Anwendung von Geoin- formationssystemen (GIS) zur Verarbeitung und Analyse umfangreicher Daten- sätze sind ein Schlüssel, um Siedlungsmechanismen und -strukturen zu erfassen und kenntlich zu machen. Das Aufzeigen der raum-zeitlichen Dynamik kann aber nur gelingen, wenn über die geofaktoriellen Parameter hinaus soziokulturellen Phänomenen eine stärkere Rolle beigemessen wird. Hier wären etwa auch Quel- len wie schriftliche und sprachliche „Artefakte“ mit in die Analysen einzubezie- hen. Methodologisch ist die Archäologie der nordwestlichen Slawen im Grenzbe- reich von prähistorischer und historischer Archäologie anzusiedeln. Über die Ent- wicklung archäologieeigener Theorien hinaus perspektivieren ethnologische, aber auch kulturwissenschaftliche Konzepte den Blick. Weiterhin sind es aber auch Konzepte aus anderen (historischen) Kulturwis- senschaften, die neue Sichtweisen und Bewertungen öffnen. In zukünftigen Stu- dien könnten beispielsweise die Umbrüche in den slawischen Gesellschaften unter dem Aspekt „bedrohter Ordnungen“ betrachtet und vergleichend interpretiert werden, Elitengräber als Ausdruck materieller Performanz bewertet oder die kul- turellen Beziehungen unter dem Aspekt des Wissenstransfers beleuchtet werden.

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254 Ulrich Müller / Donat Wehner

Abbildungen

Abb . 1: Sprachlandschaften in Schleswig-Holstein zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert. 1 Friesisch, 2 Dänisch, 3 Sächsisch-Deutsch, 4 Slawisch (aus MÜLLER 2013: 48, Abb. 1).

Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 255

2011c: 46, Abb. 3).

ILLE

-W

ÜLLER

Abb. 2: Slawische „Stämme“ im obodritischen Herrschaftsgebiet (aus M 256 Ulrich Müller / Donat Wehner 2013: 343, Abb. 146). EMM chsische und slawische Sprachgrenzen sowie der rekonstruierte Verlauf des limes Saxoniae und der Diözesangrenze Hamburg-Lübeck (aus L Saxoniae und der Diözesangrenze Hamburg-Lübeck Verlauf des limes

Abb. 3: Fränkisch-sächsische und frühslawische Burgwälle, sä

Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 257

Abb. 4: Hinweise auf maritime Strukturelemente im frühmittelalterlichen Ostholstein (aus KLEINGÄRTNER 2013: 253, Abb. 39).

258 Ulrich Müller / Donat Wehner

Abb. 5: Verbreitung (Kerndichtekartierung) von Fundstellen mit mittel- und spätslawischer Kera- mik im Bereich der ostholsteinischen Seenplatte (aus LÜTH 2012: 150, Abb. 113).

Wagrien im Brennpunkt der Slawenforschung 259

Abb. 6: Rekonstruiertes Wegessystem, Limesverlauf, Verbreitung slawischer Keramik und Verbrei- tung mittel- und spätslawischer Burgwälle sowie sächsischer Ringwallanlagen des 10. und 11. Jahrhunderts (aus MÜLLER 2013: 53, Abb. 4).

260 Ulrich Müller / Donat Wehner

Abb. 7: Verbreitung der Saalkirchen westliche des Limes Saxoniae, A: Saalkirchen der ersten Genera- tion, B: Saalkirchen der zweiten Generation (MÜLLER 2015a).

Abb. 8: Additive Dichteberechnung der slawischen (blau) und deutschen (braun) Siedlungsgebiete im Bereich der ostholsteinischen Seenplatte auf der Grundlage archäologischer Fundstellen und der Toponyme (aus LÜTH 2012: 186, Abb. 125,3). Autoren dieses Bandes

Dr. Hubert Bergmann Österreichische Akademie der Wissenschaften Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung Fachbereich Österreichisches Biographisches Lexikon Kegelgasse 27/2 A-1030 Wien [email protected]

Dr. phil. Inge Bily (Leipzig) [email protected]

Prof. Dr. Albrecht Greule Universität Regensburg Institut für Germanistik D-93040 Regensburg [email protected]

Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Hengst Dreiserstraße 32a 09127 Chemnitz [email protected]

Prof. Dr. Georg Holzer Institut für Slawistik Universitätcampus Hof 3 Spitalgasse 2 1090 Wien [email protected]

Dr. Wolfgang Janka Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Alfons-Goppel-Str. 11 80539 München [email protected] 262

Kristin Loga, M. A. Wilhelm-Liebknecht-Str. 13 28329 Bremen [email protected]

Kathrin Marterior, M. A. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Graduate School „Human Development in Landscapes“ Institut für Slavistik 24118 Kiel [email protected]

Prof. Dr. Ulrich Müller / Dr. Donat Wehner Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte (Frühgeschichte, Mittelalter- und Neuzeitarchäologie) Institut für Ur- und Frühgeschichte / CAU Kiel Ulrich Müller: [email protected] Donat Wehner: [email protected]

Prof. Dr. Norbert Nübler Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Slavistik Leibnizstr. 10 24118 Kiel [email protected]

Prof. Dr. Walter Wenzel Mattheuerbogen 16 04289 Leipzig [email protected]