Siedlung Und Verfassung Der Slawen Zwischen Eibe, Saale Und Oder
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I, :// Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen EIbe, Saale und Oder In Verbindung mit H. JANKUHN, \V. SCHLESINGER und E. SCHWARZ hera usgegeben von HERBERT LUDAT 1960 WILHELM SCHMITZ VERLAG GIESSEN (-:lU- r '"152) \VOLFGANG H. FRITZE Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat GIlederung: Vorbemerkung. 1. Die abodritischen Teilstammgehiete tics 11. und 12. Jhs. 2. Das Abudritcn- reich und seine innere Gliederung im 8. und 9. Jh. 3. Das Ahodritenreich lind seine Tcil stü mnu- VOIll l ü, his zum 12. Jh. 4. Samtherrscher und Adel, Die Entwicklung ihres Verhältuissos Y0111 \I. his ZUIIl 12. Jh. 5. Die drei Hauptperioden der abodritischen Verfassungsgeschichle und die sie charuk tortstercnden 'I'ypen potittsehcr Organisation. Excurse I-IV. Eine Geschichte des Abodritenstammes und seines Reiches wird sich wohl nie schreiben lassen - dazu ist ihre Überlieferung zu dürftig. Auch für eine Gesamtdarstellung seiner Verfassungsgeschichte reicht unser Quellenmaterial nicht aus, vor allem infolge des Umstun- des, daß der gesamte Urkundenbestand des Hochstifts Oldenburg in Holstein, des l\lillcl- punktes der alten ahodritischen Diözese Oldenburg, uns verloren ist. Der Versuch der iiltercn Forschung, diese Lücke mit Hilfe der Fürstenurkunden des 12. und l:i. Jahrhunderts, und zwar vorzugsweise der pommersehen, zu schließen, ist in der Form, in der er vorgenommen worden ist, nicht zulässig 1). Dennoch bietet der Abodritenstamm für einige Grundfragen der allslawischen Stammesverfassung und ihrer Entwicklung in gewisser Weise verhältnismüüig günstige Voraussetzungen. Die Abodriten sind der einzige slawische Verband, der nicht nur vom 8. bis zu seiner Germanisierung im 12. und 13. Jahrhundert durchgehend als solcher bezeugt ist, sondern der auch in dieser ganzen Zeit eine gewisse politische Geschlossenheit bewahrt hat. Zudem fließen wenigstens erzählende Quellen zur Geschichte der Abodriten verhältnismäßig reichlich, und kurz vor ihrem Aufgehen im Deutschtum haben sie in lIelmold von Bosau einen Geschichtsschreiber gefunden, der eine gewisse Kenntnis von Land und Leuten besaß und dem auch Interesse am Gegenstand nicht abgesprochen werden kann, wenngleich seine Fragen andere waren als die unseren. Die folgende Untersuchung la) beschränkt sich für die Bearbeitung dieses Themas weit- gehend auf die zeitgenössischen Quellen, obwohl es sich dabei fast nur um solche der er- zählenden Gattung handelt, und verwendet die Methode der Rückschlüsse aus den früh- deutschen Zuständen nur mit Vorsicht. Dagegen wird in Füllen, in denen das abodritische Material Fragen aufwirft, die sich aus ihm allein nicht lösen lassen, auf verwandte Er- scheinungen aus anderen slawischen Bereichen verwiesen, um auf diese Weise mögliche Modelle zur Ergänzung solcher Lücken zu gewinnen. Auch die Ergebnisse der indirekten Forschungszweige wie der Siedlungsarchiiologie und Ortsnamenkunde werden verwertet. soweit der derzeitige Forschungsstand das bereits erlaubt. Mehr als ein hypothetischer Ent- wurf vom Gange der Entwicklung läßt sich bei der Dürftigkeit des Materials freilich kaum erreichen. Ein Fortschritt unserer Erkenntnis ist in erster Linie wohl von der weiteren Arbeit der mit indirekten Methoden arbeitenden Disziplinen zu erhoffen. 1. Die erste Frage, die sich jede Untersuchung der Abodriten als einer historischen Gesamt- erscheinung stellen muß, ist die nach dem geogrnphischen und ethnographischen Bezug, den unsere Quellen dem Verbandsnamen der Abodriten geben. Ihre Aussagen hierzu sind nicht eindeutig; doch wird sich zeigen, daß gerade die Untersuchung ihrer Widersprüche mitten in Grundprobleme der abodritischen Stammesverfassung hineinführt. Zwar geht man von 1) Vg!. die Kritik, die an diesem Versuch L. Giesehrechts (I, 46 ff.) schon 11. Ernst, Die Cnlonisutiou Mecklenburgs im 12. u. 13. Jh., in: Beitr. z. Gesch. Mccklenhurgs vornehmlich im 1:1. u. 14. Jh., hrsg. v. Fr. Schirrmacher 11 (1875), 2 f., geübt hat. - Das Verzeichnis der AhkürZl~ngen s. S. 218 f. la) Die Arbeit ist in der vorliegenden Form - von geringfügigen Änderungen abgesehen - von der Pllilosoph. Fakultät der Freien Uni". Berlin als Hahil.-Schrift angenommen worden. 142 WOLFGANG H. FRITZE: den Zeugnissen des 11. und 12. Jahrhunderts aus, so liegen die Dinge verhältnismäßig klar. Waigri, Obodriti, Polobituji, Litujones, Warnabi, Cliizzini und Circipani nennt Adam von Bremen als die populi Sclaoorum, die zur Hamburger Kirchenprovinz gehören 2). Obotriti, Kicini, Polabi, Wayiri gehören nach Helmold von Bosau um 1021 zur Oldenburger Diözese 3). Kessiner und Circipunen sind lutizische Stämme und daher hier nicht mitzubehandeln. Die übrigen werden gewöhnlich außer den Linanen in der Prignitz als abodritische Teilstämme angeseherr'}, und so sollen sie auch hier vorläufig benannt werden, wenngleich die Berechtigung dieser Bezeichnung erst noch zu erweisen sein wird. Die genannten abodrilischen Teil- verbünde nehmen offenbar mehr oder weniger fest umschreibbare Gebiete ein; von der term Polaborum, der terra Obotritorum usw. ist bei Helmold des öfteren die Rede 5), der auch die Trave als Grenzfluß zwischen Wagriern und Polaben angibt 6). Ein pagus Po/abi wird in der Urkunde Heinrichs IV. für den Sachsenherzog Ordulf von lOG2 erwähnt 7). Nähere Angaben über die Grenzen dieser Stammesgebiete machen uns die slawenzeitlichen Quellen kaum. Nach ihnen sitzen die Wagrier in Ostholstein zwischen Schwentine und Trave östlich des limes Saxoniac, die Polaben südlich der Trave um Hatzeburg, die Ahodriten im engeren Sinne, der Teilstamm der Abodritcn also, östlich von den Polaben um den Schweriner See herum. Für die \Varnower fehlen uns entsprechende Angaben, sie sind im Raum der früh- deutschen terra Warnowa zu suchen, zwischen Warnow, Eide und Mildenitz 8). An Abodriten und Warnewer schließen sich östlich die Kessiner und Circipanen an 9). Die Versuche, die abodritischen Teilstammgebiete mit Hilfe der frühdeutschen terrae geographisch genauer zu bestimmen, stoßen auf methodische Bedenken 10). Bessere Einsicht vermitteln uns die Er- gelmisse der siedlungskundlichen, ortsnamenkundliehen und archäologischen Forschung 11). Nach Adam und Helmold wird also, wie sich ergibt, das heutige Mecklenburg und Ost- holstein von einer Reihe von slawischen Stämmen bewohnt, die als Größen gleicher Ordnung nebeneinander zu leben scheinen und deren einen die Abodriteri bilden, im mittleren Meek- Jenburg um den Schweriner See herum angesiedelt. Ganz aus dieser Vorstellung heraus ist etwa der Bericht formuliert, den Helmold über die slawische Reaktion auf die Errichtung des Kastells Segeberg durch Kaiser Lothar ca. 1135 gibt 12). Da prophezeit einer der diesem Akt beiwohnenden slawischen principes einem Genossen das Ende der slawischen Freiheit, denn von hier aus würden die Sachsen erst die wagrisehen Festen bezwingen, deinde transgressi Trabenam Racesburq et omni Polaborum terra abutentur, Sed tieque Obotritorum terra e/lugiet manus eorum. Als der Abodritenfürst Heinrich ca. 1113 gegen die Rügenslawen zieht, überschreiten die ihm Waffenhilfe leistenden Sachsen nach Helmold die Trave und abierutit per lonqissimos fines Polaborum et eorum, qui dicuntur Obotriti 13). Der Bischof \Vago von Oldenburg oliquomdiu apud Obotritos commoratus '" in terrom lVagirorum reoersus est ... ,. nach einiger Zeit begibt sich der Bischof erneut in prooinciatn Obotritorum+), Nur gelegentlich scheint Hehnold den Abodriten-Namen in einem weiteren Sinne zu ge- brauchen: In seinem Bericht über die Gründung des Bistums Oldenburg nennt er als Sprengel des Oldenburger Bischofs omnem Obotritorunz prooinciam usque ad Penem [luuium et urbem 2) Ad. Brem. II 21, S. 76f.; III 20, S. 162; vgl. Helm. I 2, S. 8. Aus welchem Grunde Adam in diesem Zusammenhange von der Hammaburgensis parrochia bzw, dyocesis spricht statt von provinciu, ist hier nicht zu erörtern. 3) Helm. I 18, S. 38. 4) Zu den Linanen s. u. Excurs I, S. 208 f. 5) So etwa I 52, S. 102; I 53, S. 104. 11) I 2, S. 9; I 53, S. 104. 7) DIl IV 87; die Schreibung Palobi ist eines der zahlreichen Schreibversehen im Original, s. die Vor. bemerkung des Herausgebers zur Edition der MGH, D. v. Gladiss. 8) S. F. \Vigger, Annalen. 108 f. Zur Lokalisierung d. Stämme allgemein zuletzt J. Pellens, Die Slaven. politik d. Billunger im 10. und H. Jh., phil. Diss. (masch.) Kiel 1950, S. 47 ff. g) Zu ihrer Lokalisierung s. W. Brüske, 130 Cf. 10) Ein solcher Versuch bei F. Wigger, Ann., 106 ff. Die methodischen Bedenken dagegen bespricllt F. Engel in diesem Bande S. 125 f. 11) S. dazu S. 148 f. 12) I 53, S. 104. 13) I 38, S. 74. 14) Helm. I 14, S. 28 f. Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung Dimine 15), doch präzisiert er diese Angabe noch im gleichen Kapitel, wenn er feststellt, daß omnis Wagirorum, Obotritorum sive Kycinorum provincia sich mit Kirchen gefüllt habe 16). Bemerkenswert ist die Art, auf die Helmaid den Geltungsbereich des Königstitels umschreibt, der dem Abodritenfürsten Heinrich gegeben wurde: vocatus '" est rex in otuni Slavorum Nordalbingorum prooincia 17), nachdem er unmittelbar zuvor die Stämme unter Heinrichs Herrschaft aufgezählt hat: Servieruntque Ranorum populi Heinrico sub tribute, queniad- modum 'Vagiri, Polabi, Obotriti, Kycini, Cyrcipani, Lutici, Pomerani et nnioersae Slaoorum naciones quae sunt inter Albiam et mare Baltbicum et longissimo tractu portenduntut usque ad terram Polonotum, Hier schien ihm der Abodriten-Narne die Ausdehnung der Herrschaft Heinrichs nicht genügend deutlich zu machen. Entsprechend nennt