Geschichtsverein Aalen E.V
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Aalener Jahrbuch Online Geschichtsverein Aalen e.V. Bearbeitet von Georg Wendt ©2018 Geschichtsverein Aalen e.V. Bildnachweis: Soweit nicht anders vermerkt, wurden die Fotos und Illustrationen vom Stadtarchiv Aalen zur Verfügung gestellt. Umsiedlergräber auf dem St. Johann- Friedhof: Spurensuche in Neresheim von Martin Grasmannsdorf Vorbemerkung 1941 wurden vier Frauen und ein Mann aus dem Baltikum, 1942 zwei Frauen, Auf dem Sankt-Johann-Friedhof in ein Mann und ein Neugeborenes aus Aalen stößt man in der südwestli- Slowenien in Aalen beigesetzt.1 chen Ecke auf zehn verstreut stehen- (Abb. 1) de Grabsteine, die auf den ersten Blick an dort zur Ruhe gebettete Soldaten Es konnte trotz intensiver Recher- denken lassen, denn der Form der chen in Stadt- und Kreisarchiv nicht Grabsteine liegt das Eiserne Kreuz zu- ermittelt werden, aus welchen Grün- grunde. Auf einen zweiten Blick ent- den diese Beisetzungen in Aalen ver- hüllt sich jedoch, dass auf den meisten anlasst wurden, noch die Frage geklärt Steinen weibliche Vornamen stehen, werden, wer für die Kosten für Über- dazu keine Lebensdaten, sondern nur führung, Bestattung und Grabstein das Bestattungsjahr, zumeist 1941 und aufkam. Die folgende Arbeit unter- 1942. Es liegen hier also keine Opfer nimmt den Versuch nachzuzeichnen, von Kampfhandlungen. welche Bewandtnis es mit dem „Lager Neresheim“ hatte. Ein Blick in die Kriegsgräberakten im Stadtarchiv enthüllt, dass es sich hier Die baltendeutschen Umsied- vor allem um Bestattungen von „Um- ler in Neresheim siedlern vom Lager Neresheim“ han- delt. Zwischen dem 25. Oktober und dem 24. November 1940 reiste der NSD- AP-Kreisleiter von Heilbronn, Richard Drauz2, im Auftrag des SS Hauptam- tes 11, der „Volksdeutschen Mittel- stelle“ (VoMi)3 durch den Gau Würt- temberg-Hohenzollern und verfügte mehr als 30 Beschlagnahmungen zur Unterbringung von Volksdeutschen aus Bessarabien4. In erster Linie steu- erte Drauz katholische Klöster und Einrichtungen an.5 Am 9. November fuhr Drauz in Neres- heim vor und musste erleben, dass er die Hand nicht auf klösterlichen Be- sitz, sondern auf Eigentum des Hau- ses Thurn und Taxis legen wollte. Die Abb. 1: Einzelgrab auf dem Sankt-Johann-Friedhof in Aalen. (Privataufnahme). fideikommissrechtliche Bestätigung 1 der Schenkung des Klosters durch den räumlich auch sehr beengt, weiter be- Fürsten von Thurn und Taxis an die stehen konnte.8 (Abb. 2) Benediktiner war 1940 noch nicht ab- geschlossen. Die Klosterbibliothek wurde, nicht zu- letzt durch seine Bemühungen, von Dies bedeutete, die Schenkung war der Beschlagnahmung ausgenom- noch nicht wirksam, da die Eintra- men9 und von ihm persönlich bis gung in das Grundbuch noch nicht zum Ende der Lagerzeit bewacht.10 erfolgt war.6 Der Fürst blieb also wei- Die Klosterkirche konnte weiterhin terhin „Hausherr“.7 Das Mitglied des uneingeschränkt genutzt werden. Die Konvents, S.D. Prinz Max Emanuel von gesamte Bauaufsicht verblieb bei der Thurn und Taxis - Pater Emmeram, O. Fürstlichen Domänenkammer. S. B.- war als Mitglied der Fürstenfa- milie vor Ort daher der Ansprechpart- Das Herrichten des Lagers ner und Mittelsmann und blieb es bis 1945. Schon am 15. November 1940 wur- de ein Lagerführer dienstverpflichtet, Er bemühte sich nach Kräften, die der die Geschicke des Lagers bis Ende Interessen des Konvents und die An- 1943 lenken sollte.11 Ein Lagerverwal- sprüche des Fürstenhauses zu ver- tungsführer wurde ihm zur Seite ge- treten und die Last der Beschlagnah- stellt. Beide wurden durch die Kreislei- mung zu mildern. So ist es wohl ihm tung der NSDAP rekrutiert und durch zu verdanken, dass dem Konvent ein das Landratsamt notdienstverpflich- Teil des Ostflügels sowie das Kloster- tet. Eine besondere Qualifikation - au- gut blieben und der Konvent, wenn ßer eine längere Parteimitgliedschaft Abb. 2: Meldung über die Quartiernehmung von Pater Emmeram, O.S.B. (©Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv). 2 Abb. 3: Briefkopf des Lagers (©Stadtarchiv Aalen). und ein Parteiamt - wurde nicht vor- Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt von ausgesetzt.12 1939 sollte sich jedoch bis in das noch leer stehende Lager auswirken. In einem ersten Schritt wurden die beschlagnahmten Gebäude und Räu- Die Baltennachumsiedlung me ausgemessen und in einer Liste erfasst. Insgesamt 7.364,77 Quadrat- Am 11. März 1941 traf in Aalen ein Son- meter, davon 3.823,38 Quadratmeter derzug ein. Ihm entstiegen „Balten- reine Wohnfläche, verteilt auf 126 Räu- nachumsiedler“, die wenige Tage zu- me, waren nun der Nutzung durch das vor Estland verlassen hatten. Sie hatten 13 Kloster entzogen. von der „diktierten Option“ Gebrauch gemacht, ihre Ende 1940 im Zuge des In der Folgezeit wurden die beschlag- Hitler-Stalin-Paktes von der Sowjet- nahmten Räumlichkeiten für die union okkupierte Heimat zu verlas- Bedürfnisse der erwarteten Neuan- sen und nach Deutschland überzusie- kömmlinge hergerichtet. Zur Ausstat- deln.20 Um sie - wie auch Umsiedler tung gehörten neben einfach gezim- aus Lettland - provisorisch unterzu- 14 15 merte(n) Bettstellen mit Strohsäcken bringen, griff man auf die Lagerkapa- auch Tische und Stühle, die zum Teil zitäten der Volksdeutschen Mittelstelle auch aus Aalen herangeschafft wur- zurück und damit auch auf das noch 16 den. Auch die Lagerführung wurde leer stehende Lager Neresheim.21 für ihre Aufgaben ausgestattet Tele- fonanschluss und Bankverbindung Im Umsiedlungslager, das nun als wurden eingerichtet. (Abb. 3) „Lager Nummer 18, Neresheim, Gau Württemberg“ geführt wurde, nahm Die Möblierung stammte aus Be- das Alltagsleben der rund 400 An- 17 ständen des Klosters. Aus Heilbronn kömmlinge seinen Lauf. trafen von der dortigen Gaueinsatz- führung eine Anzahl von Verwal- Abt Dr. Bernhard Durst meldete an das tungsvorschriften ein, die natürlich bischöfliche Ordinariat:Die Gäste ver- erst greifen konnten, nachdem das hielten sich bisher sehr ruhig22. Der 18 Lager belegt war. Abt verwies durch die Verwendung des Wortes „Gast“ darauf, dass er sich In Neresheim wartete man indes ungeachtet der Beschlagnahmung vergeblich auf die angekündigten weiterhin als Hausherr sah. In Befol- Volksdeutschen aus Bessarabien. gung der Ordensregeln des Hl. Be- Sie wurden nicht im Gau Württem- nedikt musste er natürlich Gäste auf- 19 berg-Hohenzollern untergebracht. nehmen und sie den Regeln gemäß behandeln.23 3 Die Berichterstattung in der in etwa zeitgleich erfolgte, Zeitungs- Kocher-und Nationalzeitung berichte vorliegen. In Schwäbisch Gmünd wurde im Dezember 1940 in Eine größere Zahl von Zeitungsbe- der „Schwäbischen Rundschau“ be- richten warf nach dem Eintreffen richtet, Volksdeutsche aus der Buko- der Umsiedler immer wieder Schlag- wina (Buchenland) seien willkommen 25 lichter auf die „Volksdeutschen“ und geheißen worden. Aus Sießen liegt das Bemühen von Lagerführung und ebenfalls ein Artikel über „Buchen- 26 Kreisleitung der NSDAP, die Neuan- landdeutsche“ vor. kömmlinge zu guten Volksgenossen zu erziehen und auch bei Laune zu Auch in UFA-Wochenschauen finden halten. sich von 1939 bis 1941 einige Filmbei- träge im Stil der Zeit.27 Die Berichte Die Grundlage hierfür könnte in ei- über das Lager Neresheim stehen, was ner direkten Weisung Himmlers zu Zahl und Umfang betrifft, für den Au- suchen sein.24 Eine Berichterstat- genblick einzigartig da. tung in den Tageszeitungen des Gaus Württemberg-Hohenzollern erfolgte Beginnend mit dem 12. März 1941 er- jedoch nicht flächendeckend. Über schienen bis zum 16. Dezember 1941 die Ankunft der Umsiedler in Schwä- in der Kocher-und Nationalzeitung bisch Hall und Heilbronn finden sich (KNZ) insgesamt 21 Artikel mit einem in der dortigen Presse keine Artikel. deutlichen Schwerpunkt zwischen Man kann jedoch feststellen, dass über April und Mai 1941 (13 Artikel). eine andere Umsiedlungsaktion, die Abb. 4: Bildbericht in der Kocher- und Nationalzeitung (©Stadtarchiv Aalen). 4 Am 12. März schrieb der Aalener Chef- Fotografen der KNZ dokumentierten redakteur Dr. Edenhofer unter der die Heimkehr ins Reich. Auch Kreis- Überschrift „Heim ins Reich“, dass leiter Kölle wurde als Kreiseinsatzfüh- etwa 400 Umsiedler […] mit Sonderzug rer ins Bild gerückt. Das vielbewegte hier ankamen, um nach etwa einstün- Treiben von Soldaten, Mitgliedern der digem Aufenthalt die Weiterfahrt nach NS–Frauenschaft, Helferinnen und Neresheim anzutreten.28 Helfern des DRK wurde im Bild fest- gehalten, der Gang über die Schienen Er führte aus, dass der Kreisleiter Köl- zur Härtsfeldbahn war zu sehen sowie le selbst vor Ort war, die Wehrmacht Beispiele für junge Mütter mit dem Mannschaften zum Gepäcktransport Kind, den rüstigen bärtigen Mann, gestellt habe und der SS-Musikzug die ganze Familie. Wichtig erschien aus Ellwangen die Ankommenden dem Redakteur nochmals darauf hin- mit flotten Märschen erfreut habe. Die zuweisen: Charakteristisch für unsere Sprechweise der Ankömmlinge er- Umsiedler waren die hohen Pelzmüt- schien ihm fremd anmutend. Ihm fiel zen, die wir auf den Bildern sehen. auf, dass die meisten Frauen Pelzmän- (Abb. 4) tel und Pelzkappen trugen. Die vielen Kinder waren blauäugig und blond, An dieser Stelle muss die Frage erlaubt alte, gebrechliche Leute waren in grö- sein, weshalb eine derart umfangrei- ßerer Zahl unter den Ankömmlingen. che Berichterstattung gerade in Aalen Edenhofer wünschte, daß sie im Rei- einsetzte. Da keine zusammenhän- che Adolf Hitlers als Menschen deut- gende Akten der Kreisleitung der NS- schen Blutes willkommen sind. DAP den Krieg überdauert haben und daher auch kein Schriftverkehr zur Ab- Am 13. März 1941 ging die Berichter- wicklung der Ankunft der Volksdeut-