<<

Plenarprotokoll 15/79

Deutscher

Stenografischer Bericht

79. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Inhalt:

Bestellung von Mitgliedern des Verwaltungs- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN rates der Kreditanstalt für Wiederaufbau 6867 A eingebrachten Entwurfs eines Drit- ten Gesetzes zur Änderung der Entsendung der Abgeordneten Gisela Piltz in Handwerksordnung und ande- den Beirat des Bundesbeauftragten für die rer handwerksrechtlicher Vor- Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der schriften ehemaligen DDR ...... 6867 B (Drucksachen 15/1206, 15/2083) . . 6867 D Benennung des Abgeordneten Dr. Jürgen – Zweite und dritte Beratung des von Gehb als stellvertretendes Mitglied sowohl der Bundesregierung eingebrach- im Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes als auch in den Kontroll- ten Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung der Hand- ausschuss beim Bundesausgleichsamt ...... 6867 B werksordnung und anderer Änderung der Tagesordnung ...... 6867 C handwerksrechtlicher Vorschrif- ten (Drucksachen 15/1481, 15/2083) . . 6868 A Tagesordnungspunkt I: (Fortsetzung) a) Zweite Beratung des von der Bundes- in Verbindung mit regierung eingebrachten Entwurfs ei- c) Beschlussempfehlung und Bericht des nes Gesetzes über die Feststellung Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 (Haushaltsge- – zu dem Antrag der Abgeordneten setz 2004) Ernst Hinsken, Dagmar Wöhrl, (Drucksachen 15/1500, 15/1670) . . . . 6867 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Hand- b) Beschlussempfehlung des Haushalts- werk mit Zukunft ausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanz- – zu dem Antrag der Abgeordneten plan des Bundes 2003 bis 2007 Rainer Brüderle, Angelika (Drucksachen 15/1501, 15/1670, Brunkhorst, weiterer Abgeordne- 15/1924) ...... 6867 C ter und der Fraktion der FDP: Meisterbrief erhalten und Hand- 12. a) Einzelplan 09 werksordnung zukunftsfest ma- chen Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (Drucksachen 15/1107, 15/1108, (Drucksachen 15/1909, 15/1921) . . . . 6867 D 15/2083) ...... 6868 A CDU/CSU ...... 6868 B in Verbindung mit Volker Kröning SPD ...... 6872 D b) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des Rainer Brüderle FDP ...... 6877 A II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Fritz Kuhn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . 6879 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos ...... 6938 B Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 6880 B , Bundesministerin BMGS . . . . 6939 B Dagmar Wöhrl CDU/CSU ...... 6883 D Dr. Heinrich L. Kolb FDP ...... 6941 A Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 6885 D fraktionslos ...... 6944 C Friedrich Merz CDU/CSU ...... 6891 B Annette Widmann-Mauz CDU/CSU ...... 6945 A Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 6892 A FDP ...... 6893 A Werner Schulz (Berlin) BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt III: DIE GRÜNEN ...... 6894 A a) Erste Beratung des von der Bundesre- Carl-Ludwig Thiele FDP ...... 6895 C gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Carl-Ludwig Thiele FDP ...... 6896 C auf Grund von Art. K.3 des Vertrags Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU ...... 6897 B über die Europäische Union vom Klaus Brandner SPD ...... 6899 C 26. Juli 1995 über den Einsatz der Informationstechnologie im Zollbe- Petra Pau fraktionslos ...... 6902 B reich Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 6903 C (Drucksache 15/1969) ...... 6947 C Klaus Brandner SPD ...... 6904 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- Rainer Brüderle FDP ...... 6904 D nes Gesetzes zur Ausführung des Ernst Hinsken CDU/CSU ...... 6906 D Übereinkommens auf Grund von Christian Lange (Backnang) SPD ...... 6908 D Art. K.3 des Vertrags über die Euro- päische Union vom 26. Juli 1995 Rainer Brüderle FDP ...... 6910 C über den Einsatz der Informa- Dr. Michael Fuchs CDU/CSU ...... 6911 C tionstechnologie im Zollbereich, zu dem Protokoll gemäß Art. 34 des Karl-Josef Laumann CDU/CSU Vertrags über die Europäische (Erklärung nach § 31 GO) ...... 6912 D Union vom 8. Mai 2003 zur Ände- rung des Übereinkommens über den Namentliche Abstimmung ...... 6914 A Einsatz der Informationstechnologie Ergebnis ...... 6914 C im Zollbereich hinsichtlich der Ein- richtung eines Aktennachweissys- tems für Zollzwecke sowie zur Ver- 13. Einzelplan 15 ordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates Bundesministerium für Gesundheit und vom 13. März 1997 über die gegen- Soziale Sicherung seitige Amtshilfe zwischen Verwal- (Drucksachen 15/1913, 15/1921) ...... 6916 B tungsbehörden der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit dieser Dr. Michael Luther CDU/CSU ...... 6916 D Behörde mit der Kommission im Waltraud Lehn SPD ...... 6919 C Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und Agrarre- Dr. Heinrich L. Kolb FDP ...... 6923 C gelung (ZIS-Ausführungsgesetz) BÜNDNIS 90/ (Drucksache 15/1970) ...... 6947 D DIE GRÜNEN ...... 6925 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- Dr. Heinrich L. Kolb FDP ...... 6927 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Wolfgang Zöller CDU/CSU ...... 6928 A Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Euro- Helga Kühn-Mengel SPD ...... 6930 A päischen Haftbefehl und die Über- FDP ...... 6931 D gabeverfahren zwischen den Mit- gliedstaaten der Europäischen BÜNDNIS 90/ Union (Europäisches Haftbefehlsge- DIE GRÜNEN ...... 6932 B setz – EuHbG) Markus Kurth BÜNDNIS 90/ (Drucksache 15/1718) ...... 6948 A DIE GRÜNEN ...... 6934 A d) Bericht des Ausschusses für Bildung, Andreas Storm CDU/CSU ...... 6935 C Forschung und Technikfolgenabschät- Anja Hajduk BÜNDNIS 90/ zung gemäß § 56 a der Geschäftsord- DIE GRÜNEN ...... 6937 A nung: Technikfolgenabschätzung; Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 III

hier: Vorstudie „Folgen von Um- f)–h) Beschlussempfehlungen des Petitions- welt- und Ressourcenschutz für ausschusses: Sammelübersichten 78, Ausbildung, Qualifikation und Be- 79 und 80 zu Petitionen schäftigung“ (Drucksachen 15/1997, 15/1998, (Drucksache 14/9459) ...... 6948 A 15/1999) ...... 6949 C

14. Einzelplan 12 Tagesordnungspunkt IV: Bundesministerium für Verkehr, a) Zweite und dritte Beratung des von der Bau- und Wohnungswesen Bundesregierung eingebrachten Ent- (Drucksachen 15/1911, 15/1921) ...... 6949 D wurfs eines Fünfunddreißigsten Bartholomäus Kalb CDU/CSU ...... 6950 A Strafrechtsänderungsgesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses Gunter Weißgerber SPD ...... 6952 A des Rates der Europäischen Union (Bayreuth) FDP ...... 6953 D vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zu- Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ sammenhang mit unbaren Zah- DIE GRÜNEN ...... 6955 B lungsmitteln (35. StrÄndG) Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU ...... 6957 B (Drucksachen 15/1720, 15/2046) . . . . 6948 B Lena Strothmann CDU/CSU ...... 6959 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Uwe Göllner SPD ...... 6960 A Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung Joachim Günther (Plauen) FDP ...... 6961 D des Internationalen Übereinkom- Albert Schmidt (Ingolstadt) BÜNDNIS 90/ mens von 1974 zum Schutz des DIE GRÜNEN ...... 6963 B menschlichen Lebens auf See und zum Internationalen Code für die Bartholomäus Kalb CDU/CSU ...... 6964 A Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Eduard Lintner CDU/CSU ...... 6964 D Hafenanlagen (Drucksachen 15/1780, 15/1989, CDU/CSU ...... 6965 B 15/2081) ...... 6948 C Reinhard Weis (Stendal) SPD ...... 6966 D c) Zweite und dritte Beratung des von der Horst Friedrich (Bayreuth) FDP ...... 6969 C Bundesregierung eingebrachten Ent- Reinhard Weis (Stendal) SPD ...... 6969 D wurfs eines Gesetzes zur Neuord- nung der Statistiken der Rohstoff- Klaus Minkel CDU/CSU ...... 6969 D und Produktionswirtschaft einzelner Dr. h. c. , Wirtschaftszweige (Rohstoffstatis- Bundesminister BMVBW ...... 6971 C tikgesetz – RohstoffStatG) (Drucksachen 15/1849, 15/2080) . . . . 6948 D CDU/CSU ...... 6973 C CDU/CSU ...... 6974 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN ...... 6975 D Eckhardt Barthel (Berlin), Arnold Vaatz CDU/CSU ...... 6976 B (Neuruppin), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der (Zingst) CDU/CSU ...... 6976 C Abgeordneten Dr. , Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter 15. a) Einzelplan 16 und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den Deutschen Bundesministerium für Umwelt, Musikrat stärken Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 15/1914, 15/1921) . . . . (Drucksachen 15/48, 15/266) ...... 6949 A 6978 B

e) Beschlussempfehlung und Bericht des in Verbindung mit Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit b) Zweite und dritte Beratung des von zu der Verordnung der Bundesregie- den Fraktionen der SPD und des rung: Sechzigste Verordnung zur BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ein- Änderung der Außenwirtschaftsver- gebrachten Entwurfs eines Zweiten ordnung (AWV) Gesetzes zur Änderung des Erneu- (Drucksachen 15/1499, 15/1546 Nr. 2.1, erbare-Energien-Gesetzes (EEG) 15/2012) ...... 6949 B (Drucksachen 15/1974, 15/2084) . . . . 6978 C IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Albrecht Feibel CDU/CSU ...... 6978 D Norbert Barthle CDU/CSU ...... 7002 D Elke Ferner SPD ...... 6980 B Dr. Heinz Köhler SPD ...... 7003 D FDP ...... 6982 D Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU ...... 7004 D BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 6985 A FDP ...... 7005 C Michael Kauch FDP ...... 6986 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 7006 C Albrecht Feibel CDU/CSU ...... 6987 B SPD ...... 7007 A Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU ...... 6988 A Andrea Astrid Voßhoff CDU/CSU ...... 7008 D Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/ Hans-Joachim Hacker SPD ...... 7010 C DIE GRÜNEN ...... 6990 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU ...... 7011 C Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) , Bundesministerin BMJ . . . . 7014 A CDU/CSU ...... 6990 D Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) SPD ...... 6991 B CDU/CSU ...... 7015 D Albrecht Feibel CDU/CSU ...... 6993 B 17. a) Einzelplan 06 Ulrich Kelber SPD ...... 6994 A Bundesministerium des Innern Dr. Peter Paziorek CDU/CSU ...... 6994 B (Drucksachen 15/1906, 15/1921) . . . . 7016 C Hans-Josef Fell BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 6995 D in Verbindung mit Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 6997 A b) Einzelplan 33 Dr. CDU/CSU ...... 6997 D Versorgung Doris Meyer (Tapfheim) CDU/CSU ...... 6998 D (Drucksache 15/1921) ...... 7016 D Marco Bülow SPD ...... 6999 D Susanne Jaffke CDU/CSU ...... 7016 D Klaus Hagemann SPD ...... 7019 A 16. a) Einzelplan 07 CDU/CSU ...... 7019 C Bundesministerium der Justiz (Drucksachen 15/1907, 15/1921) . . . . 7002 B Ralf Göbel CDU/CSU ...... 7020 C Otto Fricke FDP ...... 7022 B in Verbindung mit BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 7024 A b) Einzelplan 19 CDU/CSU ...... 7025 C Bundesverfassungsgericht , Bundesminister BMI ...... 7027 C (Drucksachen 15/1916, 15/1921) . . . . 7002 B Hartmut Koschyk CDU/CSU ...... 7031 A in Verbindung mit c) – Zweite und dritte Beratung des von 18. Einzelplan 32 den Fraktionen der SPD, der CDU/ Bundesschuld CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE (Drucksache 15/1919) ...... 7033 B GRÜNEN und der FDP einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung rehabilitierungs- 19. Einzelplan 60 rechtlicher Vorschriften Allgemeine Finanzverwaltung (Drucksachen 15/1975, 15/2082) . . 7002 B (Drucksache 15/1920) ...... 7033 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Ent- 20. Haushaltsgesetz 2004 wurfs eines Gesetzes zur Ände- (Drucksachen 15/1922, 15/1923) ...... 7033 C rung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 15/1467, 15/2082) . . 7002 C Nächste Sitzung ...... 7033 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 V

Anlage 1 Einzelplan 09 – Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 7035 A (Tagesordnungspunkt I. 12 a) ...... 7035 A

Anlage 2 Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Günter Baumann, , Klaus Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Brähmig, Dr. , Robert Hochbaum, (Münster), Michael Kauch und Manfred Kolbe, Michael Kretschmer, Markus Löning (alle FDP) zur namentlichen Dr. Michael Luther, , Christa Abstimmung über den Entwurf eines Dritten Reichard (Dresden), Arnold Vaatz, Marco Gesetzes zur Änderung der Handwerks- Wanderwitz, , Dr. Angela ordnung und anderer handwerksrechtli- Merkel, Susanne Jaffke, Werner Kuhn cher Vorschriften (Zingst), Verena Butalikakis, , (Tagesordnungspunkt I. 12 b) ...... 7035 D Siegfried Helias, Günter Nooke, Peter Rzepka, Edeltraut Töpfer, , , Michael Stübgen, Andrea Anlage 4 Astrid Voßhoff, Dr. , Hartmut Büttner (Schönebeck), Uda Carmen Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Freia Heller, , Peter , Peter H. Carstensen (Nord- Letzgus, Ulrich Petzold, , strand), Ernst Hinsken, , Josef Bernward Müller (Gera), Volkmar Uwe Vogel Göppel, und Heinrich-Wilhelm und (alle CDU/CSU) zur Ab- Ronsöhr (alle CDU/CSU) über den Entwurf stimmung über den Entwurf eines Gesetzes eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des über die Feststellung des Bundeshaushalts- Erneuerbare-Energien-Gesetzes plans für das Haushaltsjahr 2004; hier: (Tagesordnungspunkt I .15 b) ...... 7036 A

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6867

(A) (C) Redetext

79. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Wir setzen die Haushaltsberatungen – Punkt I – fort. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung Sitzung ist eröffnet. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Das am 22. August 2003 in Kraft getretene Gesetz zur Haushaltsjahr 2004 Neustrukturierung der Förderbanken des Bundes sieht vor, den Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederauf- (Haushaltsgesetz 2004) bau um sieben Mitglieder zu erweitern, die vom Deut- – Drucksachen 15/1500, 15/1670 – schen Bundestag bestellt werden. Hierfür werden vorge- schlagen von der Fraktion der SPD die Kollegin (Erste Beratung 61. Sitzung) Waltraut Lehn sowie die Kollegen b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus- und Klaus Brandner, von der Fraktion der CDU/CSU haltsausschusses (8. Ausschuss) zu der Unterrich- die Kollegen , Bartholomäus (B) tung durch die Bundesregierung (D) Kalb und Friedrich Merz, von der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen die Kollegin Christine Scheel. Finanzplan des Bundes 2003 bis 2007 Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider- – Drucksachen 15/1501, 15/1670, 15/1924 – spruch. Damit sind die genannten Kollegen als Mitglie- der des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wieder- Berichterstattung: aufbau bestellt. Abgeordnete Dietrich Austermann Walter Schöler Durch Änderung des § 39 des Stasi-Unterlagen-Ge- Antje Hermenau setzes vom 14. August 2003 können nun acht statt bisher Dr. Günter Rexrodt sieben Mitglieder des Deutschen Bundestages in den Ich rufe dazu Punkt I.12 auf: Beirat des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR entsandt a) Einzelplan 09 werden. Die FDP-Fraktion kann somit ein Mitglied für Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit den Beirat nachbenennen. Sie schlägt die Kollegin Gisela Piltz vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich – Drucksachen 15/1909, 15/1921 – höre keinen Widerspruch. Dann ist die Kollegin Gisela Berichterstattung: Piltz gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Abgeordnete Volker Kröning in den Beirat gewählt. Hans-Joachim Fuchtel Die Fraktion der CDU/CSU teilt mit, dass der Kollege Kurt J. Rossmanith sowohl aus dem Gemeinsamen Aus- Anja Hajduk schuss gemäß Art. 53 a des Grundgesetzes als auch aus Dr. Günter Rexrodt dem Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt als Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP stellvertretendes Mitglied ausscheidet. Für beide Gre- vor, über den wir später namentlich abstimmen werden. mien schlägt die Fraktion der CDU/CSU den Kollegen Dr. Jürgen Gehb als neues stellvertretendes Mitglied Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte I.12 b vor. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wi- und c auf: derspruch. Dann ist der Kollege Gehb jeweils als stellver- b) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tretendes Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt tionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ und in den Kontrollausschuss beim Bundesausgleichsamt DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines gewählt. Dritten Gesetzes zur Änderung der 6868 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Präsident Wolfgang Thierse (A) Handwerksordnung und anderer hand- vom vergangenen Dienstag hatten, sind mehr als nur be- (C) werksrechtlicher Vorschriften stätigt worden; sie werden übertroffen. Die Europäische Union steckt erkennbar in einer sich verschärfenden – Drucksache 15/1206 – Krise. Anders kann man es nicht ausdrücken. (Erste Beratung 54. Sitzung) Ich will an die Debatte anknüpfen, die wir dazu ges- – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- tern und vorgestern an dieser Stelle gehabt haben. Was desregierung eingebrachten Entwurfs eines die Regierung der Bundesregierung Deutschland in Dritten Gesetzes zur Änderung der Hand- Brüssel zu verantworten hat, wird uns noch über einen werksordnung und anderer handwerksrechtli- sehr langen Zeitraum beschäftigen. Es haben Krisensit- cher Vorschriften zungen des EZB-Rates und der EU-Kommission stattge- funden. Es herrscht eine schwere Verstimmung zwischen – Drucksache 15/1481 – den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Mittler- (Erste Beratung 58. Sitzung) weile hat Frankreich das Begehren geäußert, den gesam- ten Stabilitätspakt im übernächsten Jahr zu verändern. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Aus- Unsere Voraussagen und meine persönliche Einschät- schuss) zung werden sich bewahrheiten. Es wird einen zuneh- menden Druck auf die Währungsstabilität geben. Ange- – Drucksache 15/2083 – sichts dessen, was auch von Vertretern der Regierung in Berichterstattung: den letzten 48 Stunden zu diesem Thema gesagt worden Abgeordneter Ernst Hinsken ist, kann einem nur angst und bange werden. c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit Wir werden mit dem Hinweis konfrontiert, es sei (9. Ausschuss) doch alles in Ordnung. Ein Wechselkurs des Euro zum – zu dem Antrag der Abgeordneten Ernst Dollar von 1,18 Euro sei sozusagen der Beleg dafür, wie Hinsken, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef stark der Euro sei und wie wenig er gefährdet sei. Wer Laumann, weiterer Abgeordneter und der die Währungsgeschichte der D-Mark einigermaßen Fraktion der CDU/CSU kennt, der weiß, dass diese Argumente falsch sind. Handwerk mit Zukunft Es gab bei uns in den 80er-Jahren zum Teil stark stei- gende Wechselkurse bei rapide sinkenden Inflationsra- – zu dem Antrag der Abgeordneten Rainer ten. Im Jahre 1981 lag der Dollarkurs bei 1,80 DM und Brüderle, , Ernst (B) die Inflationsrate bei 6 Prozent. Drei Jahre später betrug (D) Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der der Dollarkurs 3,20 DM und die Inflation in Deutschland Fraktion der FDP ging gegen null. Drei Jahre nachdem die Sozialdemokra- Meisterbrief erhalten und Handwerksord- ten in Deutschland erstmalig die Regierung übernom- nung zukunftsfest machen men hatten, lag der Dollarkurs ebenfalls bei 3,20 DM, aber die Inflationsrate betrug über 6 Prozent. – Drucksachen 15/1107, 15/1108, 15/2083 – Ich sage Ihnen das, um Sie von vornherein vor Fehl- Berichterstattung: einschätzungen in den nächsten Tagen und Wochen zu Abgeordneter Ernst Hinsken bewahren. Der Außenwert einer Währung hat nicht im- Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und mer unmittelbar etwas mit seiner Binnenstabilität zu tun. des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung der Hand- Das glatte Gegenteil kann der Fall sein. Im Augenblick werksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vor- profitieren wir in Europa mehr von der Schwäche des schriften liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der Dollar als von der Stärke der eigenen Währung. FDP vor. Der gleich lautende Gesetzentwurf der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) desregierung soll abgesetzt werden. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Die Debatte am heutigen Tag bietet auch Gelegenheit, nach einem Jahr Amtszeit von Bundeswirtschaftsminis- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ter Wolfgang Clement Bilanz zu ziehen. Herr Clement, Nein, wir sind nicht einverstanden!) Sie sind vor gut einem Jahr mit sehr viel Elan, auch mit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sehr vielen Vorschusslorbeeren, mit sehr viel Vertrauen die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei- und hohen Erwartungen gegenüber Ihnen – auch von den nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Koalitionsfraktionen – hier in Berlin angetreten. Wie sieht nun die Bilanz ein Jahr später aus? Es folgt keine Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Schwarzmalerei und kein Gerede der Opposition. Nein, Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. es sind nüchterne Zahlen über die Volkswirtschaft der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesrepublik Deutschland, ein Jahr nach dem Amts- antritt eines neuen Ministers, der richtigerweise nicht nur die Zuständigkeit für die Wirtschaftspolitik, sondern Friedrich Merz (CDU/CSU): auch für die Arbeitsmarktpolitik hat. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- ren! Die Befürchtungen, die wir am Anfang dieser Wo- (Franz Müntefering [SPD]: Keine Schwarzma- che im Hinblick auf die Entscheidung des Ecofin-Rates lerei! Das muss ich mir merken!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6869

Friedrich Merz (A) – Herr Müntefering, die Zahl der Arbeitslosen ist inner- Lassen wir an vier Beispielen Revue passieren, was da- (C) halb dieses einen Jahres im Durchschnitt um über raus geworden ist. 200 000 gestiegen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen Erstens. Sie haben angekündigt, es sei jetzt an der in Deutschland ist ebenfalls um deutlich über 200 000 Zeit, das Kündigungsschutzrecht zu lockern. Ich sage gestiegen. Die Zahl der Beschäftigten in unserem Land dazu vorweg: Ich weiß, dass viele Bürgerinnen und Bür- ist in gut einem Jahr um mehr als 600 000 zurückgegan- ger in diesem Land – darunter auch viele, die in Arbeit gen. und Brot sind – Angst davor haben, dass ihnen ein Teil ( [CDU/CSU]: Hört! Hört!) des Schutzes genommen wird. Von dieser Angst müssen sie befreit werden, indem man darauf hinweist, dass in Ich will die Lage nicht dramatisieren; aber die Ar- den Ländern, in denen der Kündigungsschutz nicht so beitsmarktstatistik bringt die Lage weniger gut zum Aus- weit geht wie in Deutschland, ein höheres Maß an Be- druck als die Beschäftigtenzahl. Die Tatsache, dass schäftigung besteht und die Rückkehr in den Arbeits- Deutschland mit 82 Millionen Einwohnern jetzt nur markt einfacher ist als in der Bundesrepublik Deutsch- noch etwas über 26 Millionen sozialversicherungspflich- land. Das haben Sie richtig gesehen, Herr Clement. tige Beschäftigte hat, ist das eigentliche Symptom für die Krise unserer Volkswirtschaft. Aber nachdem Sie angekündigt hatten, dass der Kün- digungsschutz in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tigten gelockert werden soll, und daraufhin von Ihren ei- genen Leuten zurückgepfiffen worden sind, haben Sie Darüber können Sie nicht einfach leichtfertig hinwegge- darauf hingewirkt, dass wenigstens Kleinbetriebe mit bis hen. zu fünf Beschäftigten künftig unbegrenzt befristet Be- schäftigte zusätzlich einstellen können, ohne dass der Wir sind vor gut einem Jahr von Ihnen, Herr Clement, Kündigungsschutz greift. Dabei haben Sie jedoch über- mit großen Ankündigungen konfrontiert worden. Sie ha- sehen, dass aufgrund einer EU-Richtlinie die Zahl der ben die Koalitionsfraktionen mit Ankündigungen darü- befristet Beschäftigten nicht größer sein darf als die Zahl ber begeistert, wie die Bundesanstalt für Arbeit jetzt der unbefristet Beschäftigten. Deshalb mussten Sie die endlich auf den richtigen Weg gebracht werden soll, um Zahl der befristet Beschäftigten auf fünf reduzieren. die Vermittlungstätigkeit so zu verbessern, dass sie einen nachhaltigen Beitrag zur Beseitigung der Arbeitslosig- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Toll!) keit leistet. Auch dazu eine kurze Jahresbilanz. Im Okto- In Zukunft dürfen also fünf befristet Beschäftigte zu- ber 2003 sind insgesamt knapp 750 000 Menschen aus sätzlich eingestellt werden, die dem Kündigungsschutz der Arbeitslosigkeit ausgeschieden. Von diesen 750 000 nicht unterliegen. Das ist aus Wolfgang Clements großer hat die Bundesanstalt für Arbeit aber nur 67 000 erfolg- (B) Reform des Kündigungsschutzgesetzes geworden! (D) reich vermittelt. Das sind nicht einmal 9 Prozent. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kurt Im gleichen Zeitraum, innerhalb von Jahresfrist, hat J. Rossmanith [CDU/CSU]: Peinlich!) sich aber die Zahl derer, die in den Vorruhestand einge- treten sind, also ein Instrument des Sozialgesetzbuches III Bitte tun Sie sich selbst und uns den Gefallen, dieses in Anspruch genommen haben, fast verdreifacht. Über Thema heute Morgen am besten gar nicht mehr zu er- 200 000 haben auch auf Drängen der Bundesanstalt für wähnen, wenn Sie sich nicht selber der Lächerlichkeit Arbeit von diesem Instrument Gebrauch gemacht, ob- preisgeben wollen. wohl der Präsident der Bundesanstalt bei seinem Amtsan- (Beifall bei der CDU/CSU) tritt genau das Gegenteil gefordert hat, nämlich dieses In- strument solle nicht weiter in Anspruch genommen Ein zweites Beispiel: Sie haben auch angekündigt, werden, weil es ein falsches Instrument sei. dass künftig jede Arbeit zumutbar sein solle, damit die Menschen einen Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden. Herr Clement, man sieht alleine an diesen Zahlen: Sie Dies hat immer unsere Zustimmung gefunden. Wir wa- sind nicht an einer einzigen Stelle in der Lage gewesen, ren auch in früheren Jahren der Auffassung, dass eine die Strukturprobleme unseres Arbeitsmarktes zu lösen. geringfügige Beschäftigung immer noch besser ist, als Sie haben sich weiter verfestigt, weil Sie zu Beginn Ihrer weiter in der Arbeitslosigkeit zu verbleiben. Amtszeit von einer fundamentalen Fehleinschätzung der Lage ausgegangen sind und sich mit Ihren wenigen gu- Was ist daraus geworden? Nach Herrn Clement müs- ten Ansätzen in Ihrer eigenen Fraktion nicht haben sen jetzt Arbeitslosengeldempfänger, also diejenigen, durchsetzen können. die eine Versicherungsleistung bekommen, für die sie vorher Beiträge eingezahlt haben, in Zukunft jede zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mutbare Beschäftigung annehmen. Die Zumutbarkeits- regelungen sind richtigerweise geändert worden. Aber Ich will das an einigen Beispielen deutlich machen. denjenigen, die in Zukunft – nach der Zusammenlegung Sie haben uns im Frühjahr 2003 mit der Ankündigung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – Anspruch auf das aufgerüttelt, künftig werde Ihr Haus jeden Monat eine Arbeitslosengeld II haben, muss jetzt der ortsübliche neue Reform auf den Weg bringen. Lohn gezahlt werden. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Alles Schall Herr Clement, es wäre gut gewesen, wenn Sie diese und Rauch! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE Regelung in der Schlussphase der Verhandlungen mit Ih- GRÜNEN]: Es waren schon zwei pro Monat!) ren eigenen Leuten verhindert hätten. Sie hätten dabei 6870 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Friedrich Merz (A) auch auf das Sachverständigengutachten Bezug nehmen – Dieser Zwischenruf ist aufschlussreich: Es sei eine Be- (C) können. Der Sachverständigenrat hat mit nicht zu über- leidigung, die christlichen Gewerkschaften als Konkur- bietender Klarheit festgestellt: renten der IG Metall zu bezeichnen. Das ist bezeichnend für das Denken, das in Ihren Reihen bis zum heutigen Die beschäftigungsfeindliche Wirkung von staatli- Tage vorherrscht. chen Mindestlöhnen ist gut belegt. Deshalb muss auf diese generelle Mindestlohnregelung verzichtet (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden. Meine Damen und Herren, es sind Tarifverträge mit Wenn Sie Ihrem eigenen Sachverständigenrat nicht der Christlichen Gewerkschaft Metall abgeschlossen glauben, dann werfen Sie einen Blick nach Frankreich! worden. Dagegen klagt die IG Metall. Sie klagt nicht ge- In Frankreich gibt es seit einigen Jahrzehnten einen gen die Tarifverträge, sondern sie versucht, auf dem Kla- staatlichen Mindestlohn, wie Sie ihn jetzt in Deutsch- gewege der CGM die Eigenschaft als Gewerkschaft land faktisch einführen wollen. Ein staatlicher Mindest- streitig zu machen, was die fatale Folge hat, dass in vie- lohn klingt zunächst gut. Viele Bürgerinnen und Bürger len Betrieben die dort bestehenden Tarifverträge gar sind der Meinung, dass es eine Untergrenze geben muss nicht angewandt werden, weil man überall Angst davor und dass der Staat dies zu regeln hat. Das ist in der Tat hat, dass sich die IG Metall mit ihren Klagen durchsetzt. auch ein zusätzlicher Schutz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. (Klaus Brandner [SPD]: So mächtig ist die CGM! Deshalb ist das eine Beleidigung! – In Frankreich können Sie aber die tatsächliche Wir- Weitere Zurufe von der SPD) kung solcher Regelungen besichtigen. Die Tatsache, dass in Frankreich die Jugendarbeitslosigkeit überpro- – Auch diese Zwischenrufe sind bezeichnend. – Die fa- portional hoch ist, hat etwas damit zu tun, dass den tale Folge dessen ist, dass die Zeitarbeitsbranche in schlecht qualifizierten Jugendlichen der Zugang zum Ar- Deutschland zur Lösung der Probleme praktisch keinen beitsmarkt durch den staatlich festgesetzten Mindestlohn Beitrag mehr leisten wird; dies verhindern die Funktio- verweigert und auf diese Weise Jugendarbeitslosigkeit in näre der IG Metall. einer Größenordnung verfestigt wird, die wir in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutschland Gott sei Dank bis heute nicht zu beklagen haben. Ich komme zu einem vierten großen Bereich, den Sie zum Thema gemacht haben und bei dem Sie in den Wenn Sie aber zulassen, dass dieses Vorhaben in jüngsten Tagen – hat gestern schon dar- Deutschland weiter verfolgt wird, dann – das sage ich auf hingewiesen – total gescheitert sind, nämlich dem Ihnen voraus – werden in Deutschland in wenigen Jah- (B) Thema Ausbildungsplatzabgabe. Herr Clement, Sie ha- (D) ren gerade bei der Jugendarbeitslosigkeit ähnlich hohe ben völlig zu Recht bis in die jüngsten Tagen hinein auch Zuwachsraten zu verzeichnen sein wie in Frankreich. in Ihren eigenen Reihen gesagt, dass eine solche Abgabe Lassen Sie das! Es hat keinen Sinn, diesen Weg zu ge- schädlich und falsch sei. Trotzdem ist sie auf dem Bun- hen. desparteitag der SPD gegen Ihren erklärten Willen be- Ein drittes Beispiel: Herr Clement, wir haben vor fast schlossen worden. Die Tatsache, dass Sie einen relativ genau einem Jahr im Zuge der Beratungen des Haushalts kleinen Delegiertenschlüssel haben und viele Mitglieder 2003 in diesem Hause sehr darüber gestritten, wie wir der SPD-Bundestagsfraktion Delegierte auf Bundespar- die Zeitarbeitsbranche in Zukunft tarifpolitisch behan- teitagen sind, zeigt, dass Sie offensichtlich in Ihrer eige- deln wollen. Ich habe Ihnen damals dringend geraten, nen Fraktion keine Mehrheit für das gefunden haben, bei dem zu bleiben, was Sie für richtig gehalten haben, was Sie für richtig halten. und die Zeitarbeit nicht vom ersten Tage an gesetzlich in (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der der Weise zu regeln, dass dort gleicher Lohn zu gleichen SPD – Gegenruf des Abg. Bedingungen gezahlt werden muss. Ferner haben wir Ih- [CDU/CSU]: Wer war denn von Ihnen nicht nen dringend geraten, nicht die gesetzliche Verpflich- da? Die sollen sich mal melden! Es waren tung aufzunehmen, dies an entsprechende Tarifverträge doch alle da!) zu binden. – Entschuldigung, es ist doch offensichtlich so, wie ich Was in diesen Tagen, ein Jahr später, in der Zeitar- es dargelegt habe: Das Thema Ausbildungsplatzabgabe beitsbranche auch im Hinblick auf das Datum 1. Januar wird auf der Regierungsbank anders als in den Regie- 2004 passiert – Sie haben damals eine Frist von etwas rungsfraktionen, insbesondere in der SPD-Fraktion, ge- über einem Jahr in das Gesetz hineingeschrieben –, sehen. zeigt, dass es weit schlimmer gekommen ist, als wir es vor einem Jahr befürchtet hatten. Es gibt nämlich nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nur Tarifverträge, die als solche nicht zu kritisieren sind, Jetzt lese ich Ihnen etwas vor, was vor einigen Wo- sondern es gibt auch eine massive Konkurrenz der IG chen ein betroffener Arbeitgeber in einem Leserbrief ge- Metall insbesondere gegen die christlichen Gewerk- schrieben hat. schaften. (Unruhe bei der SPD) (Klaus Brandner [SPD]: Es ist ja eine Beleidi- gung, die christlichen Gewerkschaften als – Das mögen Sie nicht gern hören. Ich lese es Ihnen Konkurrenz darzustellen!) trotzdem vor. Er beschreibt seine Erfahrungen, wie es Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6871

Friedrich Merz (A) ist, wenn er Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt und Aber Tatsache ist doch – wenn Sie genau hinschauen, (C) anschließend Bewerber in sein Unternehmen kommen dann müssten auch Sie das wissen –, dass ein großer Teil und sich vorstellen. der Ausbildungsplätze in Deutschland nicht deswegen nicht besetzt werden kann, weil es nicht genügend Be- … auf reines Grundwissen zielende Testaufgaben triebe gibt, die ausbilden, sondern weil die Betriebe und Fragen können nicht einmal in Ansatz und Ten- kaum noch qualifizierte Bewerber für die vorhandenen denz richtig gelöst und beantwortet werden, zum Ausbildungsplätze bekommen. Vor diesem Hintergrund Teil kommen „weiße Blätter“ zurück. Verstehen ist eine Ausbildungsplatzabgabe doch Unfug. Denn die und Erklären einfachster Konstruktionszeichnun- Betriebe, die ausbilden wollen und die hohe Anforderun- gen – Fehlanzeige. Mal die Homepage unseres Un- gen stellen bzw. stellen müssen, werden durch eine sol- ternehmens angeschaut? Nein, nicht dran gedacht. che Abgabe doppelt bestraft: Ausbildungsplätze bleiben Totaler Blackout beim Versuch eines Gesprächs mangels qualifizierter Bewerber unbesetzt und gleich- über Themen der Allgemeinbildung oder des aktu- zeitig muss eine Ausbildungsplatzabgabe entrichtet wer- ellen Tagesgeschehens; Geschichte, Geographie, den. Europa, simple weltpolitische Zusammenhänge – nicht der Schimmer einer Ahnung. Schulterzucken (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auf die Frage nach Berufs- und Lebenszielen. Dies alles gepaart mit einem Sprachstil, der in Phonetik Herr Clement, wenn Sie noch einen Rest an Durchset- und Aussagesinn weithin unverständlich bleibt, und zungsvermögen in der Regierungskoalition haben, dann mit einem Auftreten, das oft die elementarsten Be- sorgen Sie bitte dafür, dass der entsprechende Gesetzent- nimm-Regeln vermissen lässt. wurf, der offenbar die Handschrift von Herrn Müntefering trägt, im nächsten Jahr erst gar nicht in den (Zurufe von der SPD) Deutschen Bundestag eingebracht wird. – Was ich Ihnen vorlese, sind die Erfahrungen eines Un- ternehmers. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Ich möchte noch etwas zu dem momentanen Vermitt- sind meilenweit davon entfernt, überhaupt noch zu wis- lungsverfahren sagen – der Meinungsbildungsprozess sen, was in den Betrieben heute passiert. ist sicherlich sehr schwierig –, das große Teile Ihrer Ge- setzgebung betrifft und das das größte der letzten Jahre, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – wenn nicht sogar des letzten Jahrzehnts ist. Der Bundes- Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das Zitat kanzler hat mehrfach eingewandt, der Zusammenhang, trifft auch für die SPD-Fraktion zu! – Wider- den die Union zwischen den Reformgesetzen betreffend spruch bei der SPD) den Arbeitsmarkt und seinem Wunsch, die Steuern zum (B) – Wenn man diese Zwischenrufe hört – leider können die 1. Januar 2004 zu senken, herstellt, sei unzulässig. Ich (D) Fernsehzuschauer nicht alles hören, was Sie dazwi- möchte Ihnen sehr deutlich sagen: Wenn die geplante schenrufen –, dann könnte man annehmen, das Zitat, das Steuersenkung, die zumindest teilweise kreditfinanziert ich hier gerade vortrage, stelle eine Situationsbeschrei- werden muss, überhaupt eine Chance auf unsere Zustim- bung der SPD-Bundestagsfraktion dar. mung haben soll, dann müssen gleichzeitig Arbeits- marktreformgesetze verabschiedet werden, die im (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und nächsten Jahr in Deutschland zumindest ein so großes der FDP) Maß an Wachstum und Beschäftigung ermöglichen, dass Der Unternehmer schreibt weiter: die mit der Steuersenkung verbundenen Steuerausfälle schnell kompensiert werden. Sonst macht das Ganze kei- Solange Computerspiele, Disco und Designerkla- nen Sinn. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass es ei- motten die Kernkompetenzen vieler unserer 18 bis nen inneren Zusammenhang zwischen Steuergesetzge- 20 Jahre alten Schulabgänger sind und das fatale bung und Arbeitsmarktgesetzgebung gibt. Wer dies Motto „Erst der Spaß, dann das Vergnügen“ ihr Da- bestreitet, der legt selbst den Keim für das Scheitern des sein prägt, ist tiefste Besorgnis angesagt, dass diese Vermittlungsverfahrens. Das ist so. – Herr Clement, Sie hochprozentig ignorante Generation wählen darf lachen jetzt darüber. Das Lachen wird Ihnen am Ende und die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesell- dieses Jahres – möglicherweise – vergehen, wenn Sie so schaft gestalten soll. weitermachen. (Zuruf von der SPD: Machen Sie doch nicht (Widerspruch bei der SPD) die Jugendlichen schlecht!) Jetzt kommt der entscheidende Satz: Wir legen Wert darauf, dass hier Gesetze verabschie- det werden, die wenigstens den Hauch einer Chance er- Die geschilderten Erfahrungen aus der betriebli- öffnen, dass wir im nächsten Jahr aus der Wachstums- chen Praxis beweisen zugleich den ganzen und Beschäftigungskrise herauskommen. Dazu gehört Schwachsinn einer Ausbildungsplatzabgabe. das, was nicht wir zuerst thematisiert haben, sondern Dies ist sicherlich eine Momentaufnahme. Hier ist je- was der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mand an die Öffentlichkeit gegangen, der sehr frustriert am 14. März dieses Jahres ausdrücklich angesprochen ist und der Erfahrungen mit jungen Menschen gemacht hat, nämlich das Thema betriebliche Bündnisse für Ar- hat, die sicherlich nicht repräsentativ sind. beit. (Zurufe von der SPD: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 6872 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Friedrich Merz (A) Ich erwähne das deshalb, weil uns die Gewerkschaften, Zum Ende des Jahres 2003 stehen wir in der Tat vor (C) aber auch die Regierung ständig vorwerfen, es gebe sehr schwierigen Beratungen. Unsere Vorsitzende hat nicht einen einzigen Fall in Deutschland, anhand dessen gestern sehr klar und deutlich zum Ausdruck gebracht: man nachweisen könne, dass die Gewerkschaften nicht Wir sind weiterhin bereit, mit Ihnen Kompromisse aus- vernünftig genug seien, trotz bestehender Tarifverträge zuhandeln. Das erfordert der Föderalismus. Dass der betriebliche Bündnisse für Arbeit mit ihrer Zustimmung Bundesrat vielen Gesetzen, die der Bundestag verab- zu ermöglichen. Ich möchte Ihnen ein konkretes Beispiel schiedet hat, zustimmen muss, ist nun einmal so; wir aus jüngster Zeit nennen, das das genaue Gegenteil be- können das – jedenfalls kurzfristig – nicht ändern. legt – das kann man zurzeit jeden Tag überall in Deutschland, ob im Norden, im Süden, im Westen oder Diese Kompromisse sind aber keine Kompromisse im Osten, beobachten –: In der schönen Stadt Murrhardt, um ihrer selbst willen; es müssen vielmehr Kompro- nördlich von Stuttgart, lässt die Firma Soehnle Küchen- misse sein, die uns in Deutschland aus der anhaltenden waagen produzieren. In diesem Unternehmen ist ein Ab- strukturbedingten Wachstums- und Beschäftigungskrise änderungstarifvertrag mit Zustimmung der Belegschaft, wenigstens ein Stück weit herausführen. Herr Clement der Geschäftsleitung und des Betriebsrates, auch der dort – ich hätte beinahe „Herr Gerster“ gesagt; ich kann gut vertretenen IG-Metall-Mitglieder, abgeschlossen wor- verstehen, dass Sie bei diesem Namen nicht gern zuhö- den. Mit diesem Tarifvertrag sollten die Streichung einer ren; diese Angelegenheit ist mittlerweile eine Belastung fünfminütigen Pause und die Senkung der Zuschläge bei für die ganze Regierung geworden –, Akkordlöhnen von 127 Prozent auf 113 Prozent ermög- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) licht werden. Alle Beteiligten waren sich einig. Aber dann hat die stellvertretende Bevollmächtigte der IG einen Weg in die andere Richtung – eine Verfestigung Metall dagegen interveniert. Sie hat Folgendes geschrie- der Arbeitsmarktstrukturen; eine Verfestigung bestimm- ben: ter Gesetze; noch mehr Bürokratie; die Einstellung von zusätzlichen 10 000 oder 12 000 Beschäftigten bei der Wenn es zu wenig Arbeit in Murrhardt gibt, schla- gen wir Kurzarbeit oder eine Betriebsvereinbarung Bundesanstalt für Arbeit, was bedeutet, dass diese Per- … vor. Dabei gibt es auch Lohn- und Gehaltseinbu- sonen eine Aufgabe übernehmen, die heutzutage in die ßen …, aber im Gegenzug mehr Freizeit und eine Zuständigkeit der Kommunen fallen; eine Regelung, die bessere Absicherung ihres Arbeitsplatzes durch die mehr oder weniger erfolgreich ist – werden wir nicht verkürzte Arbeitszeit für alle. mitgehen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Unglaub- Ich sage von dieser Stelle aus: Wenn Sie einen Weg in lich!) die andere Richtung einschlagen wollen, dann ist es bes- (B) ser, es so zu belassen, wie es ist, so schlecht es auch sein (D) Das, was diese Dame schreibt, unterliegt der Mei- mag. Aber der noch schlechtere Weg, die staatliche Bü- nungsfreiheit in Deutschland und niemand bestreitet ihr rokratie weiter auszudehnen, um damit die Bewirtschaf- das Recht, so etwas zu schreiben. Aber von einem sol- tung der Arbeitslosigkeit auf einem noch höheren admi- chen Unsinn darf sich doch nicht ein ganzer Betrieb auf nistrativen Niveau in Deutschland zu ermöglichen, ist dem Weg aufhalten lassen, eine vom Tarifvertrag abwei- nicht nur für uns, sondern auch für die Arbeitslosen in chende Vereinbarung zu treffen, die regelt, dass Beschäf- Deutschland unzumutbar. tigung gesichert werden kann. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nicht nur diejenigen von Ihnen, die aus Baden-Württem- berg kommen, können sich das an Ort und Stelle anse- hen. Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun Kollege Volker Kröning, SPD- Das Ergebnis dieser Intervention ist, dass diese Pro- Fraktion. duktionslinie dorthin nicht vergeben worden ist und dass dieser Standort wahrscheinlich mittelfristig geschlossen (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Noch so ein wird. Dahinter steht die Ignoranz von IG-Metall-Funkti- Wahlsieger!) onären außerhalb der Betriebe. Dieser Fall dokumentiert gleichzeitig das hohe Maß an Vernunft von IG-Metall- Volker Kröning (SPD): Mitgliedern und -Betriebsräten in den Betrieben. Herr Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Clement, es muss einen Weg geben, wie mit von Tarif- Herren! Herr Merz, wir befinden uns in der zweiten und verträgen abweichenden Vereinbarungen betriebliche dritten Lesung des Bundeshaushaltes. Sie haben zu al- Bündnisse für Arbeit möglich werden. Wenn Sie unse- lem geredet, nur nicht zum Einzelplan 09, der heute ren Weg nicht für richtig halten, aber gemeinsam mit Morgen aufgerufen worden ist. dem Bundeskanzler der Auffassung sind, dass dieses Ziel erreicht werden muss, dann zeigen Sie uns einen an- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – deren Weg auf. Ohne einen solchen Weg kommen wir in Dr. [FDP]: Kriegt der jetzt Deutschland aus der Beschäftigungskrise nicht heraus. einen Eintrag ins Klassenbuch?) Dieser Weg muss jetzt gemeinsam mit Ihnen beschritten Es ist ganz deutlich – ich glaube, niemand ist verstimmt, werden. wenn er diese Absicht erkennt –, dass Sie nicht zum (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Haushalt, sondern zum Vermittlungsverfahren gespro- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6873

Volker Kröning (A) chen haben. Wenn man Ihnen genau zugehört hat, dann (Lachen bei der CDU/CSU – Dietrich (C) musste man den Eindruck bekommen, dass Sie weder Austermann [CDU/CSU]: Uns auch! – die Bereitschaft noch die Fähigkeit zum Kompromiss, Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie stören nie- den wir dringend brauchen, aufbringen. manden mit der Rede! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir lassen uns nicht stören!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Aber die Bürger und Bürgerinnen interessieren sich für die Leistungen, die wir mit dem Bundeshaushalt für sie Der Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft erbringen, gerade auf den Gebieten Arbeitsmarkt und und Arbeit sieht nach der Bereinigungssitzung des Haus- Wirtschaft. haltsausschusses für das Jahr 2004 Gesamtausgaben in Höhe von 32,95 Milliarden Euro vor. Dies sind rund (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 8 Milliarden Euro mehr, als im Regierungsentwurf vorge- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sehen. Dieser Aufwuchs beruht darauf, dass im parlamen- Die Kalkulation der arbeitsmarktbezogenen Ansätze tarischen Verfahren Haushaltsmittel zur Umsetzung der beruht auf den aktualisierten gesamtwirtschaftlichen neuen Leistung veranschlagt worden sind, die nach dem Eckwerten der Bundesregierung und setzt voraus, dass vom Deutschen Bundestag beschlossenen Vierten Gesetz die mit den Gesetzen Hartz I und Hartz II beschlosse- für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die bishe- nen Konsolidierungsmaßnahmen im kommenden Jahr rigen Leistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur ihre volle Wirksamkeit auf der Ausgabenseite entfalten. Mitte des nächsten Jahres ablösen soll. Auf der Einnahmeseite ist der nach Hartz IV von der Bundesagentur an den Bund zu zahlende Aussteuerungs- Außerdem sind in der Bereinigungssitzung die haus- betrag veranschlagt. haltswirtschaftlichen Voraussetzungen für die An- schlussregelung zum Kohlekompromiss von 1997 für Von dem verbleibenden Teil des BMWA-Haushalts in die Zeit ab 2006 geschaffen worden. Höhe von rund 5,4 Milliarden Euro entfallen rund 2,2 Milliarden Euro auf die Kohlehilfen. Das ist gegen- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wie viel über dem Ansatz 2003 ein Rückgang – ein Rückgang! – waren das noch gleich zusätzlich? Herr Kol- um 460 Millionen Euro, also mehr, als der Abbauschritt lege Kröning, wie viel zusätzlich?) 2004 nach dem geltenden Kohlekompromiss vorsieht. – Herr Austermann, Sie kommen heute offenbar nicht zu (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es wird Wort und deshalb müssen Sie Zwischenrufe machen. aber noch was draufgelegt! 16 Milliarden!) Mit der Veranschlagung einer neuen Verpflichtungser- (B) Schließlich haben wir im Rahmen des haushaltswirt- (D) schaftlich Möglichen zukunftsorientierte Maßnahmen mächtigung in Höhe von 6,079 Milliarden Euro wird der verstärkt, unter anderem durch zusätzliche Mittel für die Anschlussregelung ab 2006 Rechnung getragen, Energieforschung und die Unterstützung des Exports im (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Gilt die Bereich erneuerbarer Energien, für die Verbesserung der denn schon?) Materialeffizienz und für das Vorhaben Innovationsregi- onen im Rahmen des Bürokratieabbaus und der Deregu- damit schon 2004 entsprechende Finanzierungszusagen lierung. gegeben werden können. In seiner Struktur wird dieser Haushalt weiterhin (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Und dann durch die arbeitsmarktbezogenen Leistungen domi- geht es wie weiter? – Weitere Zurufe) niert. Dafür werden rund 27,6 Milliarden Euro bereitge- Der Bund leistet seinen Beitrag unter der Voraussetzung, stellt. 14,7 Milliarden Euro davon entfallen auf die dass mit den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland Grundsicherung für Arbeitsuchende. Im Gegenzug ist eine Verständigung über die Anschlussregelung erzielt der im Regierungsentwurf eingestellte Ansatz für Ar- wird. beitslosenhilfe halbiert worden. Die Leistungen für die Grundsicherung verteilen sich auf Leistungen zur Ein- (Anhaltende Zurufe – Dirk Niebel [FDP]: Hört gliederung in Arbeit mit rund 2,6 Milliarden Euro, auf doch mal lieber zu!) das Arbeitslosengeld II mit rund 10,6 Milliarden Euro Dabei soll der Rückgang der Hilfen so flankiert werden, und auf die Erstattung der Verwaltungskosten mit rund dass der unvermeidliche Personalabbau weiterhin sozial- 1,5 Milliarden Euro. Für die Arbeitslosenhilfe sind rund verträglich stattfindet. 6,7 Milliarden Euro und für den Zuschuss an die Bun- desagentur für Arbeit rund 5,2 Milliarden Euro veran- Weitere 900 Millionen Euro entfallen auf die Ge- schlagt. Das Haushaltsgesetz ermächtigt den Bund, der meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Bundesagentur Liquiditätsdarlehen von bis zu 7 Milliar- Wirtschaftsstruktur“. Neben den Baransätzen für die den Euro zu gewähren. Für Maßnahmen der aktiven Ar- GA-Ost und -West hatte der Regierungsentwurf Ver- beitsmarktpolitik, im Wesentlichen JUMP-Plus und Son- pflichtungsermächtigungen nur noch für die GA-Ost in derprogramm gegen Langzeitarbeitslosigkeit, werden Höhe von 700 Millionen Euro vorgesehen. Da eine Er- rund 970 Millionen Euro bereitgestellt. höhung dieses Volumens zulasten des übrigen Haushalts dieses Ressorts oder zulasten des Gesamthaushalts aus- Es tut mir Leid, dass ich Sie mit diesen Einzelangaben schied, hat der Haushaltsausschuss beschlossen, dass im in Ihrer Kampfeslust offenbar gestört habe. nächsten Jahr bis zu 100 Millionen Euro für die Jahre 6874 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Volker Kröning (A) 2005 bis 2007 für die GA-West in Anspruch genommen Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich besonders (C) werden können. Dafür bleibt der Planungsausschuss ver- auf die Rating-Anforderungen der Kreditinstitute aus antwortlich, der für die Gemeinschaftsaufgabe insge- dem Basel-II-Abkommen einstellen. samt eine Klammer zwischen Ost und West bildet. Wenn Deshalb erwähne ich gerne auch, dass zum Jahr 2004 der Wille des Haushaltsgesetzgebers erfüllt werden soll, das Gesamtkonzept der Mittelstandsförderung gestrafft sollte der Bund seine Stimmen für eine strukturgerechte wird; übrigens nach konstruktiver Mitwirkung des Bun- Verteilung der Mittel sowohl in Ost als auch in West ein- desrechnungshofes. Dazu gehören so wichtige Elemente setzen. Es wäre gut, wenn der zuständige Unteraus- wie der Beteiligungskapitaldachfonds, die Kooperation schuss des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit diese zwischen Wirtschaft und Forschung und die Förderung Entwicklung weiterhin begleiten würde, gerade auch im von Wachstumsträgern in benachteiligten Regionen. Der Hinblick auf die Zukunft der Strukturpolitik auf EU- und finanzielle Kern der Mittelstandsförderung ist inzwi- Länderebene. schen bei der Mittelstandsbank gebündelt worden. Die (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) KfW berichtet darüber in ihrem jüngst erschienenen drit- ten Quartalsbericht. Nun zum weiteren Förderungskatalog in der Reihen- folge der Titelgruppen, wobei die quantitativen Größen- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Der Mittel- ordnungen nichts über die qualitative Bedeutung bzw. stand wird doch von Ihnen geplündert!) die Schwerpunktsetzung aussagen. Es wird höchste Zeit, dass sich die privaten Banken wie die öffentlichen Hände an der Lösung der Finanzkrise (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nicht jede des Mittelstandes beteiligen. Titelgruppe vorlesen! – Zuruf des Abg. Dirk Niebel [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Herr Austermann, leider kann man das draußen nicht Ich kann jedenfalls für die Bundesregierung und die Ko- hören. alition sagen: Mittelstands- und Innovationsförderung sind keine Lippenbekenntnisse, sondern Schwerpunkte (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ich sagte: unserer Politik. Nicht alle Titelgruppen vorlesen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dietrich Ich kann Ihnen nur entgegnen: Sie haben sich überhaupt Austermann [CDU/CSU]: Der brennt ja hier nicht beteiligt, ein rhetorisches Feuerwerk ab! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist der Witz des (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Darum ist Monats!) (B) das Ergebnis auch entsprechend!) (D) Dem Mittelstand dient insbesondere die Außenwirt- deshalb sind Sie gar nicht fähig, über die Bereinigungs- schaftsförderung, die im Regierungsentwurf von sitzung des Haushaltsausschusses zu berichten. 121 Millionen Euro im Vorjahr auf knapp 170 Millionen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Euro aufgestockt wurde. Der Haushaltsausschuss hat da- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ran festgehalten. Im Vordergrund steht die Außenwirt- schaftsoffensive der Bundesregierung mit der neuen Für die Energieforschung sind rund 131 Millionen Invest in GmbH, mit dem Auslandsmessepro- Euro vorgesehen, mehr als im Jahre 2003. Für Maßnah- gramm, dem Netz der Auslandshandelskammern und men zur Förderung der rationellen und sparsamen Ener- dem Korrespondentennetz der Bundesagentur für Au- gieverwendung stehen nach dem Übergang der Zustän- ßenwirtschaft. Die Rolle des Exports bei der Stabilisie- digkeit für das Marktanreizprogramm und für das rung und Belebung der Konjunktur kann gar nicht ernst 100 000-Dächer-Programm auf das Bundesumweltmi- genug genommen werden; gerade das Engagement klei- nisterium noch Mittel in Höhe von 25,6 Millionen Euro ner und mittlerer Unternehmen auf Auslandsmärkten zur Verfügung. Der Ansatz für die 2003 begonnene Ex- dient dem Standort Deutschland. portinitiative für erneuerbare Energien wird gegenüber (Unruhe bei der CDU/CSU) dem Regierungsentwurf auf 18 Millionen Euro verstärkt. Für die Bereiche Luftfahrtforschung und -techno- Die Mittel für Forschung und Entwicklung und für logie stehen 2004 fast dieselben Mittel wie 2003 zur Innovation im Mittelstandsbereich erhöhen sich auf Verfügung, nämlich rund 74 Millionen Euro. Zur Ver- 432 Millionen Euro; nicht berücksichtigt ist dabei die besserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Abwicklung der Altfälle aus dem Programm Beteili- Werften wird ein Innovationshilfeprogramm aufgelegt, gungskapital für kleine Technologieunternehmen. Die in- das mit jeweils 15 Millionen Euro zwischen 2004 und dustrielle Gemeinschaftsforschung, das Projekt Multime- 2007 ausgestattet wird. Mit dem Programm sollen an- dia und das Programm Netzwerkmanagement Ost werden stelle der klassischen Produktionshilfe anwendungsnahe auf hohem Niveau fortgeführt. Auf gleichem Niveau wie Innovationen der Branche gefördert werden. Um die He- im Vorjahr wird auch die Förderung der Leistungs- und reinnahme einer großen Zahl von Aufträgen noch in die- Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unter- sem Jahr sicherzustellen, kann auf die Mittel der Innova- nehmen fortgeführt; die Beratung und Schulung von tionshilfe zugegriffen werden; doch dies darf nicht die Existenzgründern wird sogar gegenüber 2003 verstärkt. Umstrukturierung der Werfthilfe gefährden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Aufhören!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6875

Volker Kröning (A) – Ich freue mich ja, dass Sie im Saal bleiben und nicht Wirkung dieser Netzwerkbildung informiert. Ich bitte (C) rauslaufen. Herrn Minister Clement und sein Ministerium, diese Ak- tivität mit Elan fortzusetzen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es fällt schwer!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Elan vor allem!) Offenbar interessiert Sie doch, worüber ich spreche. Sie hat viel Vertrauen bei den örtlichen Akteuren ge- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) schaffen; das kann ich aus Bremen und aus anderen Re- Schließlich berichte ich aus der Bereinigungssitzung, gionen belegen. dass die Regulierungsbehörde für Telekommunika- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) tion und Post im Laufe des kommenden Jahres neue Zu- ständigkeiten, und zwar für die Bereiche Strom und Gas, Mit demselben Ansatz werden auch unterstützende erhalten soll. Dafür werden 60 neue Stellen vorgesehen, Aktionen zum Bürokratieabbau fortgesetzt. Der Mas- allerdings werden 42 Stellen gesperrt, von denen 15 aus terplan der Bundesregierung ist zu wesentlichen Teilen Personalüberhängen aus anderen Bundesbehörden be- von dem Ressort BMWA umzusetzen. Ich kann nicht er- setzt werden. kennen, dass der Minister und sein Haus ihre Grundlinie verlassen hätten, wie uns Teile der Presse und der Oppo- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was ist sition in letzter Zeit glauben machen wollen. mit den anderen 39?) (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unglaublich!) Der Haushaltsausschuss wird sich über verbleibende Fragen, die von der Aufstellung zum Vollzug hinüberrei- Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine An- chen, informieren lassen. frage der Kollegen Bosbach und Röttgen widerlegt sol- che Behauptungen. Natürlich fällt der Abbau überflüssi- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Bitte gebt uns ger Bürokratie schwer; zu Recht wird die Sorge Müntefering!) geäußert, dass der Saldo von Abbau alter und Aufbau Er hat Berichtsaufträge von der endgültigen Einigung neuer Bürokratie negativ bleiben könnte. zur Kohlehilfe über die Entscheidung des Planungsaus- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) schusses für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsstruktur“ bis zum Fortgang des Rechtsstreites Deshalb hält die Koalition auch an dem Vorhaben der über die Werfthilfe, der zwischen der EU und Südkorea Innovationsregionen fest. Auf der Basis der Erfahrun- geführt wird, beschlossen. Anfang bis Mitte 2004 wird gen mit den drei Testregionen Ostwestfalen-Lippe, west- liches Mecklenburg-Vorpommern und Bremen soll 2004 (B) darüber zu berichten sein. (D) ein bundesweites Auswahlverfahren stattfinden. Ich (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ein biss- hoffe, dass alle Teile dieses Hauses und auch der Bun- chen genauer!) desrat daran interessiert bleiben, dafür die gesetzgeberi- Weitere Einzelheiten des Haushaltsentwurfes erspare schen Voraussetzungen zu schaffen. ich Ihnen jetzt gerne; ich habe die Ergebnisse der Berei- Zur Innovationspolitik gehört auch das Vorhaben zur nigungssitzung mitgeteilt. Verbesserung der Materialeffizienz, das zunächst mit ei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nem Baransatz von 1 Million Euro und einer Verpflich- tungsermächtigung über 2 Millionen Euro ausgestattet – Sie reden alle von Reparlamentarisierung, auch im Zu- wird. Die Vergabe der Studie und die Implementierung sammenhang mit der Föderalismuskommission, aber Sie dieses Ansatzes will und muss der Haushaltsausschuss leisten keinen Beitrag zu einem vernünftigen Parlamen- dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit überlassen. tarismusverständnis, Wir würden es begrüßen, wenn das Vorhaben von vorn- (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) herein mit der Industrie gemeinsam angegangen werden könnte. wenn Sie sich hier nicht über die Ergebnisse der Haus- (Unruhe bei der CDU/CSU) haltsberatungen berichten lassen wollen. Ich muss noch auf das BTU-Programm eingehen. Wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 2003 und 2002 ist Mehrbedarf gegenüber dem Ansatz des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf offenbar geworden. Ursache ist die Krise der Unterneh- von der CDU/CSU: Bravo!) men des so genannten Neuen Marktes. Mit den 14 Millionen Euro für die kommunikative (Zuruf von der CDU/CSU: Und das als Ent- Begleitung und die Evaluation wirtschafts- und arbeits- gegnung auf Friedrich Merz!) marktpolitischer Vorhaben, die das Ressort neben den allgemeinen Mitteln für Öffentlichkeitsarbeit auch im Doch die Ausfälle bei den Beteiligungen der Förderban- kommenden Jahr erhält, soll die Initiative „Teamarbeit ken, die sich lange einer Schätzung entzogen hatten, ha- für Deutschland“ fortgesetzt werden. Gerade die Ver- ben sich unerwartet beruhigt. Kürzlich ist ein Artikel in netzung von zentralen und dezentralen Anstrengungen der „Zeit“ erschienen – ein Vorabdruck aus einem neuen auf dem Arbeitsmarkt und auch die Aktivitäten für mehr Buch mit dem Titel „Next Economy“ –, der den Hinter- Ausbildung erfordern solche Teamarbeit. Der Haushalts- grund illustriert hat. Wir müssen und können uns zur Lö- ausschuss wird regelmäßig über die Effizienz und die sung des Problems auf einen Vermerk beschränken, der 6876 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Volker Kröning (A) es erlaubt, die Ausgaben von bis zu 60 Millionen Euro Es geht um Kürzungen von bis zu 235 Millionen Euro, (C) durch Einsparungen an anderer Stelle des Einzelplans zu wenn das BTU-Risiko in voller Höhe eintritt und wenn ^ decken. Ich hoffe, dass dieser Rahmen nicht ausge- von der restlichen globalen Minderausgabe prozentual schöpft werden wird. genauso viel auf das Ressort entfällt wie von der bereits ressortweise aufgeteilten Minderausgabe. (Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wir wollen Nimmt man aus dem Plafond die bisher am meisten Frau Pau hören!) diskutierten Ausgaben, nämlich für die Leistungen nach Diese Notlösung offenbart allerdings ein Problem, dem SGB III und dem SGB II und für die übrigen Ar- das mehr politischer als rechtlicher Natur ist. Im Einzel- beitsmarktausgaben, die Ausgaben für Steinkohlenhilfe, plan des Ministeriums ist eine globale Minderausgabe die Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung und in Höhe von 49,5 Millionen Euro vorgesehen, auch die Werfthilfe, heraus, bleiben als Bemessungs- grundlage für die Erwirtschaftung der zusätzlichen Ein- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Waren das sparungen nur 1,5 Milliarden Euro. Davon müssen rund nicht Komma 6! – Heiterkeit bei Abgeordne- 15 Prozent gekürzt werden. Wie viele Ausgaben bereits ten der CDU/CSU) rechtlich gebunden sind, lässt die Betrachtung dabei noch offen. die im Haushaltsvollzug erwirtschaftet werden muss. 65,7 Millionen Euro kommen als Ressortbeitrag zu der Dies wird eine schwere Aufgabe sein, und ich biete, im Einzelplan 60 veranschlagten globalen Minderaus- jedenfalls namens der Koalition – denn ich kann nicht gabe von 1 Milliarde Euro hinzu, und der Ressortbeitrag erkennen, ob die Opposition ihre Arbeitsverweigerung zu der weiteren im Einzelplan 60 veranschlagten globa- der letzten Wochen, die auch heute besonders deutlich len Minderausgabe in Höhe von 600 Millionen Euro ist wird, fortsetzen will oder nicht –, noch offen. (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist eine Darum ein generelles Wort zum Verhältnis von Redeverweigerung, was Sie hier machen!) Haushaltsaufstellung und Haushaltsvollzug: Die Ar- beitsmarktausgaben sind scharf kalkuliert und unaus- dem Minister und seiner Verwaltung für die Lösung die- weichlich. Die Arbeitsmarktreform dient, ebenso wie die ser schwierigen Aufgabe weiterhin eine gewissenhafte Arbeitsrechtsreform, der Senkung der so genannten Be- Zusammenarbeit an. schäftigungsschwelle in Zeiten geringen Wachstums und Ich erwarte allerdings auch, dass zusammen mit dem ist, wie die Reform der anderen sozialen Sicherungssys- Bundesfinanzministerium über den Subventionsbegriff teme, Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum. Da- Klarheit geschaffen wird, nicht nur auf der Ausgaben-, (B) rum sind die Spielräume in diesem Bereich extrem eng. sondern auch auf der Einnahmenseite, und vor allen Din- (D) (Zurufe von der CDU/CSU: Mehr Solidarität! gen über eine Strategie, die nicht nur die Staatsausgaben – Klatscht doch mal!) reduziert, sondern auch ihre Qualität verbessert. Auch bei der Linie der Steinkohlenhilfe lassen sich Die beiden Fälle der Grundversorgung mit Steinkohle nur schwer weitergehende Einsparungen ansetzen. Ins- und des Umbaus der Werftindustrie zeigen, dass Subven- gesamt wird sie sich nach dem Kohlekompromiss zwi- tionsabbau kein Selbstzweck ist und dass es vor allem schen 1998 und 2005 von 4,7 Milliarden auf darum geht, die Schwerpunkte von Finanzhilfen ebenso 2,7 Milliarden Euro reduziert haben, nach der An- wie von Steuervergünstigungen in zukunftsorientierte schlussregelung zwischen 2006 und 2012 von 2,6 Milli- Bereiche zu verlagern. Auch die Wirtschaftsförderung arden auf voraussichtlich 1,8 Milliarden Euro, alles in dient zentral wie dezentral, in den Ländern und Gemein- jährlichen Schritten. den, dem Strukturwandel. Das müssen die Planken für die Erwirtschaftung der Minderausgaben nicht zuletzt in Meine Damen und Herren, auch wenn der Haushalts- diesem Ressort sein. Wahrscheinlich müssen auch zu- ausschuss die Verpflichtungsermächtigung für die Stein- sätzliche Bewirtschaftungsmaßnahmen über das Jahr kohlenhilfe gesperrt hat, weil wir uns bei der Kurzfris- hinweg stattfinden. Ich wiederhole: Dabei kann kein Be- tigkeit der Entscheidungen vorbehalten mussten, noch reich tabu sein. Einzelfragen zu klären, will ich vor dem aktuellen Hin- tergrund dieses Themas sagen: Diese Sperre ist keine Die Auseinandersetzung um den Stabilitäts- und Reißleine für den neuen Kohlekompromiss. Wachstumspakt hat jenseits aller politischen und fachli- chen Differenzen gelehrt: Auch 2005 wird eisern zu spa- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sondern?) ren sein; weitere Veränderungen in der Haushaltsstruktur Ich sage im Übrigen zu der globalen Minderausgabe bleiben auch dem Einzelplan 09 nicht erspart. Haushalts- auch deshalb noch einiges, weil das Vermittlungsverfah- vollzug und Haushaltsaufstellung werden deshalb auch ren, vor allen Dingen über das Haushaltsbegleitgesetz, in Zukunft viel Arbeit machen. die Frage aufwirft, wo überhaupt in diesem Haushalt Ich danke zum Schluss beiden Ressorts, dem Ressort noch Kürzungen vorzunehmen sind. Das Problem ver- Wirtschaft und Arbeit sowie dem Ressort Finanzen, für schärft sich dadurch, dass diese Aufgabe nicht mehr in die die gute Zusammenarbeit. Ich danke meinen Kollegin- Phase der Haushaltsgesetzgebung fällt, sondern der Exe- nen und Kollegen – besonders hebe ich meine Kollegin kutive und dem Haushaltsausschuss überlassen bleibt. Anja Hajduk hervor – für die Zusammenarbeit in der Be- (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unglaublich!) richterstatterrunde. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6877

Volker Kröning (A) Ich kann zum Trost sagen: Die Zusammenarbeit mit haben. Wir haben die größte Pleitenzahl. Die Staats- (C) der Opposition ist intern besser, als sie sich nach außen schulden erreichen ständig neue Rekordhöhen. Jetzt darstellt. Ein Grund für den Politikverdruss im Lande ist, weiß ich auch, weshalb Sie sich im Verfassungsentwurf dass man Ihnen Ihre Reaktionen in diesem Hause nicht nicht um klare Formulierungen hinsichtlich Preisstabili- mehr abnimmt. Man erwartet, dass die Zusammenarbeit tät und Wahrung der Unabhängigkeit der Europäischen intern besser funktioniert, als sich gerade bei Ihren Kin- Zentralbank bemüht haben. Sie wollen das gar nicht. Auf dereien gezeigt hat. Ihre lockere, hedonistische Schuldenpolitik soll eine po- litisierte, laxe Geldpolitik folgen. Wenn das so weiter- Ich bitte um Zustimmung zum Einzelplan 09. geht, kann man nur sagen: Tschüss, Euro. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) [CDU/CSU]: Zugabe! – Eckart von Klaeden Das Vertrauen in den Euro wird damit kaputtgemacht. [CDU/CSU]: Das war ein Feuerwerk!) Ihre Realitätsverweigerung wird hier sehr deutlich. In Amerika gibt es ein Wachstum von 8,2 Prozent. Bei einer Präsident Wolfgang Thierse: Steigerung des Wachstums um 1 oder 2 Zehntel Prozent- Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Brüderle, FDP- punkte gibt es schon Hurrameldungen des Wirtschaftsmi- Fraktion. nisters: Die Wirtschaft zieht an; es geht aufwärts. Aber (Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ diese Steigerung ist jenseits der Messgenauigkeit. Auch CSU: Gott sei Dank! – Dirk Niebel [FDP]: der Ifo-Index spiegelt nur die Erwartungen wider. Sie Weck uns auf, Rainer!) müssen sich erst noch erfüllen. Selbst wenn sie sich erfül- len würden, wäre das höchst bescheiden. Rainer Brüderle (FDP): Deutschland ist schlecht vorbereitet auf exogene Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute Schocks. Die sich abzeichnende kleine Erholung ist so- können wir in den Zeitungen lesen: Ermahnung der zusagen von der Weltwirtschaft geliehen. Sie ist nicht OECD: Deutschland braucht mehr Reformen. Deutsch- hausgemacht. Die hausgemachten Probleme sind nicht land hängt zu einseitig vom Export ab. gelöst. Das Kernproblem ist, dass das Potenzialwachs- Wir kommen nicht voran. Das muss doch unser tum, das den Wachstumspfad der deutschen Wirtschaft Thema sein. Lieber Herr Kollege Kröning, was ist das charakterisiert, entschieden zu niedrig ist. Es hat eine für ein Politikverständnis, wenn man hier nur die Titel- Größenordnung von 1 bis 1,5 Prozent. Damit kommen gruppen des Haushalts buchhalterisch einsortiert? Wir wir nicht aus den Arbeitsmarktproblemen heraus. Ja- pan, das sich gerade langsam erholt, lehrt, was die Folge (B) müssen doch die Wirtschaftspolitik, die Sie betreiben, (D) politisch bewerten. ist, wenn man Strukturprobleme – wenn es dort auch andere sind – nicht löst: Man wird eine lange Zeit miese (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wachstumsraten haben. Das ist „jobless growth“. Sie Wenn Sie Wirtschaftspolitik auf die Art und Weise be- werden es im nächsten Jahr wieder erleben: Dieses biss- treiben, wie Sie hier reden, dokumentieren Sie doch nur chen Wachstum wird am Arbeitsmarkt nichts verbessern. Ihr Desinteresse an der Lösung der Probleme dieses Lan- Sie müssen an die Kartelle herangehen. Das Tarif- des. Es als „Kinderei“ zu bezeichnen, dass wir eine poli- kartell muss aufgebrochen werden. Der Sachverständi- tische Bewertung durchführen wollen, ist falsch; denn genrat der Bundesregierung sagt es eindeutig: Die letz- dazu ist das Parlament doch da. Ihre Rede führt dazu, ten fünf Jahre hat das Kartell „den Verteilungsspielraum dass draußen abgeschaltet wird. markant überzogen“. (Jörg van Essen [FDP]: So ist es!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir wollen aber, dass mehr Menschen anschalten, sich Wenn Sie nicht mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt er- mit der Politik beschäftigen, teilhaben und nicht vor der möglichen, geben Sie den Arbeitslosen, denen, die drau- Politik weglaufen. ßen stehen, keine Chance. Sie sichern nur das Kartell ab. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das genügt nicht. Nur wenn mehr Menschen in Arbeit der CDU/CSU) sind, entsteht mehr Wachstum. Der vorliegende Haushaltstorso ist – wir haben das Deshalb brauchen wir die betrieblichen Bündnisse schon deutlich gesagt – nicht beratungsfähig. Er ist ver- für Arbeit. Wir müssen Einstellungshemmnisse weg- fassungswidrig und verstößt gegen internationale Ver- räumen. Wenn die kleinen Betriebe jemanden einstellen, einbarungen. Heute können Sie in den Zeitungen lesen: haben sie Angst, sich von ihm nicht wieder trennen zu Frankreich fordert einen neuen Stabilitäts- und Wachs- können, wenn Aufträge ausbleiben. Deshalb muss der tumspakt. Der italienische Finanzminister sagt: Der Vermittlungsausschuss, damit Deutschland vorankommt, Pakt I ist am Ende. Jetzt muss etwas ganz anderes kom- neben der Entlastung im steuerlichen Bereich auch hier men. Reformen zustande bringen. Sonst wird wieder eine Chance vertan, sonst versündigen wir uns geradezu an Sie haben mit Ihrem Vorgehen den Stabilitäts- und der Politik. Wachstumspakt gekillt. Mein Freund Guido Westerwelle hat gestern deutlich gesagt, dass wir die (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten längste Wirtschaftskrise in der Nachkriegsgeschichte der CDU/CSU) 6878 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Rainer Brüderle (A) Nach dem Genossenparteitag in hat sich der Eon und Ruhrgas schön bei der Ruhrkohle AG unterge- (C) Zickzackkurs in der Wirtschaftspolitik noch verschlim- bracht hat, 16 Milliarden Euro zu. Was ist das für eine mert. Ich kann Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie Karl Politik? Beim Parteitag kommen dann die Jubelperser Marx im Museum in Trier! Der Wirtschaftspolitik fehlt mit Schildern: Danke, Gerd! – Diese Schilder haben Sie die Linie. Sie hat keinen Charakter. Sie wird kein Ver- mit 16 Milliarden Euro teuer bezahlt. trauen schaffen. Auf dem Parteitag der SPD wurde den Linken Valium gegeben. Die Dosis war offenbar falsch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Verlängerung der Steinkohlesubventionen, die Aus- Hier hat die rote Kumpelwirtschaft wieder einmal bildungsplatzabgabe und wiederentdeckte Arbeiterlieder prächtig funktioniert. Holzmann lässt grüßen! Gleichzei- werden es nicht bringen. tig kürzt die Bundesregierung die Ausgaben für die Bil- Kollege Müntefering sagt wörtlich: Der liebe Gott ist dung. Wir brauchen mehr Kohle für Bildung, nicht mehr mit uns. – Vorsicht! „Gott mit uns“ gab es schon einmal. Kohle für Kohle. Das ist eine völlig falsche Politik. Ich habe dort nur den Erzengel Gabriel gesehen. Wenn Die Grünen haben am Montag, großartig formuliert, ich Ihre Beschlüsse betrachte, muss ich sagen: Der Teu- der Presse vorgetragen, dass „angesichts der fehlenden fel hat Sie geritten. Mittel in den Bereichen Bildung, Forschung und Innova- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – tionspolitik nicht zu rechtfertigen“ sei, einen Steinkohle- Franz Müntefering [SPD]: Was wissen Sie sockel zu finanzieren. Sie sind wie immer platt; Sie tra- denn vom Teufel?) gen es mit, Sie nicken es ab, weil Sie in Ihren Sesseln bleiben wollen. Herr Kuhn, heute machen wir aber den Herr Clement, Sie mussten erneut eine herbe Heim- Ernsthaftigkeitstest. Wir wollen eine namentliche Ab- niederlage einstecken. Beim Ökostrom hat Herr Trittin stimmung über die Kohlesubventionen. So können Sie Sie eingedost. Beim Kündigungsschutz waren es die Ge- einmal zeigen, wo Sie stehen. werkschaften und Ihre Fraktion. Die Ausbildungsplatz- abgabe kommt auf den Tisch. Wann ist eigentlich die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Grenze Ihrer Selbstachtung erreicht? Was sagen Sie Ih- Frau Sager, diese ökonomische Visionärin, behaup- ren Töchtern, wenn Sie ständig als Tiger losspringen und tete hier gestern, die FDP habe die Kohlesubventionen als Bettvorleger landen? Was ist das für eine Politik? Wo nicht gekürzt. Das zeugt entweder von Unkenntnis oder liegt die Grenze der Selbstachtung? Was machen Sie ist eine glatte Lüge. Günter Rexrodt war es, der damals noch mit? die Steinkohlesubventionen gekürzt hat. Der frühere (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Fritz Kommandeur der Putztruppe, Joseph Fischer, (B) Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist (D) aber peinlich! Lassen Sie die Töchter aus dem (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Spiel!) Ein guter Mann!) Ich sage ganz offen und ehrlich: Sie haben bei vielen und sind damals mit den Kumpels Dingen richtig gelegen. Aber Sie haben nichts durchge- marschiert und haben vor der FDP-Zentrale Randale ge- setzt. Wahrscheinlich sind Sie in der falschen Partei. macht. Sie haben sich damals für die Steinkohlesubven- tionen eingesetzt. Frau Sager, was Sie hier vorführen, ist (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Will die der Gipfel der Scheinheiligkeit. FDP ihn haben, Herr Brüderle?) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Ausbildungsplatzabgabe haben Sie als Verstaatli- chung der Berufsausbildung bezeichnet. Sie haben völlig Die Grünen machen immer nur Symbolpolitik. Recht. Nur haben Sie sie nicht verhindert. Frau Dückert Manchmal wird eine Zeche stillgelegt oder Sie feiern zu- spricht von einer Strafsteuer. Diese grün-rote Lehrlings- lasten der Steuerzahler eine geschmacklose Party wegen steuer wird keine Ausbildungsplätze bringen, sondern der Stilllegung des Kernkraftwerks Stade. Eine energie- Ausbildungsplätze kosten. Sie ist ein völlig falscher An- politische Konzeption liegt aber bis heute nicht auf dem satz. Tisch. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Richtig!) Auch die SPD-Wirtschaftsminister sehen es ähnlich. Es ist utopisch und gefährlich, allein auf erneuerbare Herr Schartau hat sich gleich zu Wort gemeldet. Auch er Energien zu setzen. Für jede Kilowattstunde Windener- hält sie für falsch. Aber die Experten haben bei dieser gie muss eine Kilowattstunde Atom- oder Kohlestrom Anwandlung kollektiver Unvernunft offenbar keine vorgehalten werden. Wenn wir das nicht selbst tun, ge- Chance. schieht das in Frankreich oder in Ländern in Osteuropa. Das ist die Wahrheit. Bei den Steinkohlesubventionen wird die individu- elle Unvernunft des Bundeskanzlers kollektiviert. Er hat Der Bundeskanzler schickt seinen Lieblingsgewerk- der Ruhrkohle nach Gutsherrenart 16 Milliarden Euro schafter Schmoldt vor, der wieder einmal anregen darf, versprochen. Das ist ein Stück aus dem Tollhaus. Wir ob man über Kernenergie nicht neu nachdenken müsse. diskutieren und ringen hier miteinander über Subven- Ohne einen anderen Energiemix werden Sie die Import- tionsabbau; gleichzeitig schustert der Bundeskanzler sei- abhängigkeit Deutschlands in der Energiepolitik auf nem früheren Wirtschaftsminister, den er beim Deal mit Dauer nicht beseitigen können. Mit den Milliardensub- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6879

Rainer Brüderle (A) ventionen für die Windkraft und für die Kohle machen Herr Schartau, in Nordrhein-Westfalen sind die Ge- (C) Sie lupenreine grüne und rote Klientelpolitik. nossen zu Hause offenbar vernünftiger – dort fordern sie exakt das Gleiche –, als wenn sie in Berlin herumturnen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Bewegen Sie sich zugunsten einer guten Lösung, damit Angesichts dessen ist es regelrecht eine Frechheit, uns wir auf diesem Gebiet endlich Klarheit schaffen können! bei der Handwerksordnung Klientelpolitik vorzuwer- Daneben wollen wir vieles verändern. Wir wollen das fen. Inhaberprinzip abschaffen. Wir wollen eine Altgesellen- regelung. Wenn jemand sieben Jahre Berufspraxis hat (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und auf seinem Berufsweg die betriebliche Qualifikation Aber sicher! Wem denn sonst?) erlangt hat, quasi durch seinen Lebenslauf, sollte man Wir wollen keine müde Mark, keinen Euro für das Hand- ihm eine Chance geben. werk. Wir wollen nur eine Reform, eine Chance für mit- (Klaus Brandner [SPD]: Passen Sie gut auf!) telständische Strukturen. Der Grund für Ihr Vorgehen ist doch, dass Sie von nur wenigen Vertretern des Hand- Wir wollen das öffnen. Wir schlagen vor, dass jemand, werks gewählt werden. Sie wollen das deutsche Hand- der sich selbstständig machen will, auf das Meister- werk dafür abstrafen, dass es nicht Grün-Rot wählt. Das BAföG verzichten kann, um sich eine Existenz aufzu- ist die Absicht, die hinter Ihrem Handeln steht. bauen. Gehen Sie diesen Weg. Wir haben nicht das Problem, dass es zu wenig Meister gäbe. Es gibt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Klaus 130 000 ausgebildete Meister, die nicht in die Selbst- Brandner [SPD]: Die Apotheker auch!) ständigkeit gehen, weil die Rahmenbedingungen dafür nicht stimmen. Das sind die Probleme. Sie betreiben Wir wollen keine Unternehmenslandschaft, die nur doch ein Ablenkungsmanöver von Ihrer miesen Politik. aus hoch subventionierten Ich-AGs und wenigen Groß- konzernen besteht. Wir wollen auch eine mittelständisch (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) geprägte Wirtschaft. Sie schieben das Handwerk vor, prügeln darauf ein, weil (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Sie nicht die Kraft haben, das Richtige zu entscheiden. Hier brauchen wir mehr Bewegung. Wir wollen, dass die Hunderttausende von Handwerks- betrieben endlich von ihrer Unsicherheit befreit werden. Ich möchte mit einem Bild schließen. Die Zeiten sind Deshalb unterbreiten wir heute einen Vorschlag, auf den stürmisch. Wir befinden uns angesichts der gewaltigen wir uns alle einigen können. Veränderungen sozusagen mitten in einem Gezeiten- (B) wechsel, mitten in Stromschnellen. Aber Sie mit dem (D) Was die Beibehaltung des Meisterbriefs, der in Bundeskanzler an der Spitze der Regierung erwecken Wahrheit der Doktortitel der beruflichen Praxis ist, an- die Illusion, Sie könnten mit Pfahlbauten ohne Funda- langt, wollen wir neben der unbestrittenen Gefahrenge- ment, grün-rot angestrichen, die Schwierigkeiten meis- neigtheit noch ein zweites Segment hinzufügen. Nach tern, also die Probleme lösen. Nein, wir brauchen eine der PISA-Studie der OECD reden wir alle von der Not- feste Brücke mit festen Fundamenten, die langfristig wendigkeit, auf hohem fachlichen Niveau auszubilden trägt, und kein Kartenhaus. Die potemkinschen Dörfer, und dieses Niveau zu sichern. Deshalb sollten wir die die Sie aufbauen, werden bei einer Flut weggespült. vorbildliche Ausbildungsleistung des Handwerks – im Handwerk wird dreimal so viel ausgebildet wie im Rest Damit das Ansehen deutscher Politik nicht weiter der deutschen Wirtschaft – auch anerkennen. Wir schla- schwindet, wird es höchste Zeit, dass wir tragfähige Lö- gen deshalb ganz konkret vor: Ein Handwerkszweig, der sungen finden. Wir müssen vernünftige Vorhaben auf mehr als 50 Prozent der Gesamtwirtschaft ausbildet, soll den Weg bringen. Nur so wird Politik Akzeptanz finden diese fachlich hoch stehende Ausbildung weiterhin und nicht, indem wir über die einzelnen Haushaltstitel durch den Meisterbrief legitimieren. Das wäre ein gutes streiten, Herr Kröning. Denn das führt dazu, dass die Kriterium. Wir entbinden damit 50 Prozent vom Meis- Bürger abschalten. Wir möchten aber, dass sie einschal- terbrief als Ausbildungsvoraussetzung. Gleichzeitig si- ten. chern wir aber das hohe fachliche Niveau. Wir erkennen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – gesellschaftlich an, was auf diesem Gebiet geleistet Volker Kröning [SPD]: Das Parlament ist kein wird. Dieses Konzept ist eine tragfähige Brücke, über Kabarett!) die alle gehen können. Ich hoffe sehr, dass Sie bereit sind, im Vermittlungsausschuss diesen Weg zu gehen. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich erteile das Wort Kollegen Fritz Kuhn, Fraktion der CDU/CSU) Bündnis 90/Die Grünen.

An die Adresse der Union sage ich, dass ein weiteres Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aufsatteln von Kriterien wie Verbraucher- oder Umwelt- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schutzbelangen kontraproduktiv ist. Wir setzen auf den Kollegen! Herr Merz, in Ihrer Rede gab es eine Stelle, mündigen Verbraucher und die Rahmenregelungen. Es die ich perfide fand. ist ein guter Weg, die Ausbildungsleistung des Hand- werks anzuerkennen. (Zuruf von der SPD: Eine?) 6880 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Fritz Kuhn (A) Darauf will ich am Anfang meiner Rede kurz eingehen. Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) Sie haben von diesem Platz aus in Bezug auf das Pro- Lieber Herr Schauerte, wir haben uns über dieses blem der fehlenden Lehrstellen – versteckt hinter einem Thema schon einmal auseinander gesetzt. Ich glaube, Leserbrief – das allgemeine Vorurteil bedient, die Schuld dass Sie mit dem Versuch, den Sie unternehmen, die not- hätten im Großen und Ganzen die jungen Menschen, die wendige Deregulierung beim Handwerk – die heutige nicht lesen und rechnen könnten. Das ist eine pauschale Handwerksordnung ist aus ökonomischer Sicht nichts Diskriminierung derjenigen jungen Menschen, die eine anderes als eine Zugangsbeschränkung zur Berufsausbil- Lehrstelle suchen. dung – verhindern. Über alle vernünftigen Vorschläge zur Ausbildung können und werden wir in der Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gruppe des Vermittlungsausschusses reden. Das ist doch und bei der SPD – Widerspruch bei der CDU/ logisch. Aber machen Sie es nicht so billig, mit der Me- CSU) thode der Ausweitung – Frau Merkel will auch noch den Umweltschutz in die Verhandlungsmasse aufnehmen – Sie haben gesagt, dass Sie nicht generalisieren wollen. die ganze Reform zu verhindern. Das ist Ihr Ziel, wenn Dadurch, dass Sie diesen Leserbrief verlesen haben, ha- ich das richtig verstehe. ben Sie auf eine Art und Weise generalisiert, die ich nicht akzeptieren kann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD – Dr. Andreas Schockenhoff Wir müssen in der Debatte über folgende einfache [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört! – Ge- Frage reden: Wie kann man den Aufschwung, der sich genruf von der SPD: Doch!) abzeichnet, durch unsere Politik in Deutschland und Wir müssen natürlich in unserem Bildungssystem et- durch die Entscheidungen im Vermittlungsausschuss was tun. Sie haben aber nicht gesagt, was mit den Ju- verstärken? Was muss geschehen, damit dies geschieht? gendlichen geschehen soll, die in diesen Tagen noch Die „Financial Times“ hat gestern getitelt, Deutschland keine Lehrstelle haben. Sie mahnen immer nur, so gehe setze zum Aufschwung an. Sie alle kennen die Parame- es nicht. Das ist Ihr Credo. Sie machen aber keinen prä- ter. Einen großen Teil verdanken wir dem Export. Un- zisen Vorschlag, was geschehen soll. sere Aufgabe ist es nun, alles zu tun, damit im Binnen- markt Belebung entsteht. (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Stimmt doch überhaupt nicht! Lügen Sie doch nicht!) Deswegen fordere ich Sie von der Union noch einmal ganz klar auf: Sie müssen dem Vorziehen der Steuerre- Dabei gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder schafft formstufe 2005 zustimmen, weil erstens der Konsum (B) die Wirtschaft bis März nächsten Jahres die Lehrstellen, dadurch belebt werden kann und weil es sich zweitens (D) die noch fehlen, oder wir werden eine klug ausgestaltete um die Steuerreform für die Personengesellschaften han- Abgabe einführen. Dabei schwebt uns eine Stiftungslö- delt, die Sie seit langem angemahnt haben. sung vor; das haben wir ja vorgeschlagen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Lesen Sie die SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Anträge durch!) Sie haben beklagt, dass die körperschaftsteuerpflichtigen Präsident Wolfgang Thierse: Betriebe zuerst entlastet wurden. Stehen Sie jetzt, da es Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des um die Handwerksbetriebe und die kleinen und mittel- Kollegen Schauerte? ständischen Betriebe geht, nicht auf der Bremse! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und bei der SPD) Ja, Herr Schauerte, bitte. Frau Merkel, wenn Sie etwas für das Weihnachtsge- schäft tun wollen, dann müssen Sie jetzt und nicht erst Hartmut Schauerte (CDU/CSU): am 10. Dezember 2003 oder sonst irgendwann ein Si- Herr Kollege Kuhn, Sie haben gerade gefordert, dass gnal für das Vorziehen setzen. Gehen Sie herunter von wir Ihnen sagen sollen, wie man zusätzliche Lehrstellen der Bremse und tun Sie hier das Notwendige für die schaffen kann. Es gibt einen ganz zentralen Ansatz. Wir Konjunktur! diskutieren ja, wie Sie wissen, über die Reform der Handwerksordnung. Lassen Sie die Handwerker, die (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir sollen heute überproportional ausbilden, im Anhang A zur Ihren Unfug absegnen? – Eckart von Klaeden Handwerksordnung. Schaffen Sie einen solchen Anreiz, [CDU/CSU]: Sie als Weihnachtsmann!) werden Sie eine hohe Ausbildungsbereitschaft vorfin- Herr Merz, wir müssen die konsequent den. Wenn Sie sie aber alle aus dem Anhang A heraus- umsetzen. Ich habe in Ihrer Rede kein konkretes Signal nehmen wollen – wie Sie das vorhaben –, dann wird die gehört. Sie haben keinen der in der Union vorhandenen Ausbildungsbereitschaft dramatisch abnehmen. Über Widersprüche aufgelöst und keinen konkreten Vorschlag diese Sorgen müssen wir miteinander reden. Öffnen Sie in Richtung der Koalition gemacht. Ich kann Ihnen nur sich einem solchen modernen Ansatz! sagen: Es ist kein Patriotismus, wenn man dem Auf- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schwung nicht hilft, sondern auf der Bremse steht, wenn Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6881

Fritz Kuhn (A) es um Aufschwung geht. Wir haben gestern ja eine De- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) batte darüber geführt, was der richtige Patriotismus ist. und bei der SPD – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sie kürzen die Renten jedes Der größte gemeinsame Nenner bei der Union ist bis- Jahr! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie her doch nur Ihre Vereinigung bei der Suche nach der haben die Wirtschaft fünf Jahre lang ganz mas- Antwort auf die Frage, welche Vorschläge von Ihnen der siv in den Graben gefahren!) SPD am meisten wehtun. Ihre konkrete Linie nennen Sie aber nicht. Ich will Ihnen einige Beispiele dafür nennen. Herr Merz, ich komme zur Zumutbarkeit der Mini- jobs gemäß dem Hartz-Paket, die Sie kritisieren. Sie sa- Erstes Beispiel. Seit Monaten sagen Sie ständig, die gen ganz elegant, was nicht geht, machen aber keinen Gemeinden sollten entlastet werden. Sie stehen aber auf konkreten Vorschlag dafür, wie man verhindern kann, der Bremse, wenn es darum geht, den Gemeinden mit ei- dass jemand, dem ein 400-Euro-Job zugemutet wird, ner kommunalen Finanzreform jetzt zu helfen, damit 30 oder 35 Stunden pro Woche dafür arbeiten soll. Dies sie 5 Milliarden Euro mehr erhalten; das steht in der Dis- muss doch verhindert werden. Hier liegt der Ursprung kussion. Hier stellt sich die Frage, ob Sie blockieren oder für die Änderungen, die wir durchgeführt haben. Sie mitmachen. wissen es doch: Wenn wir es nicht verhindern können, dann wird es einen flächendeckenden Niedriglohn- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sektor geben. Sagen Sie, dass Sie das wollen. Herr Koch und bei der SPD – Dietrich Austermann sagt mit seinem Modell, das er aus Amerika abgekupfert [CDU/CSU]: Das schadet doch mehr, als dass hat, dass er das will. es nutzt!) Hier besteht eine politische Differenz. Wir halten ei- Zweites Beispiel. Sie kritisieren den Haushalt 2004, nen breiten Niedriglohnsektor für falsch. Wir wollen die der jetzt verabschiedet wird, und sagen, es werde zu we- Brücken in die Erwerbsarbeit gangbarer machen. Des- nig gespart. Sie wollen noch 6 Milliarden Euro mehr wegen haben wir die Möglichkeiten dafür verstärkt, dass sparen – siehe Europäische Kommission –, machen aber Menschen zusätzliche Mittel erhalten, wenn sie einen keine konkreten Vorschläge, wie dies geschehen soll, Job aufnehmen. Hierhinter stecken unterschiedliche Phi- und lehnen alle Einsparungen und Subventionskürzun- losophien. gen der Regierung pauschal ab. Soll das, was Sie hier betreiben, Politik sein oder ist das Verweigerung? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dietrich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Austermann [CDU/CSU]: Wir sitzen doch und bei der SPD – Dietrich Austermann nicht im Kreistag! Was soll das Gerede hier!) (B) [CDU/CSU]: Wer gewährt denn neue Subven- (D) tionen? Das ist doch gelogen!) Sagen Sie den vielen Millionen Beschäftigten doch we- nigstens, dass Sie einen Niedriglohnsektor wollen, und Herr Merz, Sie machen Vorschläge für Steuersen- sagen Sie dann auch dazu, welche Auswirkungen dies kungen und sind damit sehr populär. Sie vergessen aber, auf die Löhne hätte. Dann kann man ganz konkret darü- dass die Vorschläge, die Sie in der Sozialpolitik – Stich- ber reden, was die bessere Alternative ist. wort: Herzog-Kommission – etwa bei der Kopfpau- schale machen, einfach nicht finanziert werden können. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wollen Sie Die Deckungslücken betragen 20 bis 30 Milliarden sie lieber in der Arbeitslosigkeit haben?) Euro. Das sind wirklich sehr komfortable Vorschläge für Sie schlagen gemeinsam mit Herrn Koch vor, dass die Steuersenkungen. Wir können auch welche machen, Gemeinden 1,5 Millionen Arbeitsplätze schaffen, in wenn Sie uns gestatten, mit solchen Deckungslücken zu die die Bezieher des Arbeitslosengeldes II zwangsweise operieren. vermittelt werden. Die Gemeinden hingegen haben er- klärt, dass sie dies weder können noch wollen, weil diese (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das haben Maßnahmen zulasten des Handwerks vor Ort gehen wür- Sie ja seit 1983 15 Jahre lang getan!) den. Das ist logisch und kann auch nicht anders sein. Sie Drittes Beispiel. Sie betreiben eine gefährliche Politik operieren mit einem Konzept, das niemand will, und ver- im Rentenbereich. Dass es bei den Renten im nächsten kaufen es noch als kommunalfreundlich. Das ist Blind- Jahr zu einer Nullrunde kommen wird, lehnen Sie ab. fliegerpolitik, liebe Frau Merkel, und hat nichts mit der Lösung der konkreten Probleme in der Bundesrepublik (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Null- Deutschland zu tun. runde? Sie sinken!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie sagen der Bevölkerung aber nicht laut und deutlich sowie bei Abgeordneten der SPD) dazu, dass als Alternative die Rentenversicherungsbei- Sie müssen bis zum 10. Dezember konkreter werden, träge und die Lohnkosten steigen würden und die Ar- Frau Merkel. Gestern haben Sie sich nicht klar geäußert. beitslosen somit noch weniger Chancen hätten, in der Sie haben nicht gesagt, was Sie machen wollen. Sie ha- Bundesrepublik Deutschland einen neuen Job zu bekom- ben allgemein über Patriotismus philosophiert, aber men. Das ist eine einfache Politik: Sie sagen, was Sie ab- keine konkreten Vorschläge gemacht. lehnen, aber nicht, was Sie stattdessen machen würden. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit einer solch unkonstrukti- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sagen Sie ven Politik können Sie keine Arbeitsplätze schaffen. doch lieber, was Sie machen!) 6882 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Fritz Kuhn (A) Wir müssen in Deutschland Folgendes machen: Wir einem reinen Schauantrag, wie Sie ihn gestellt haben, (C) müssen im Sozialstaat mehr Flexibilität mit der Sicher- zuzustimmen. heit, die die Menschen brauchen, verbinden. (Lachen bei der FDP) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist Blabla!) Sie können sich also der Ablehnung meiner Fraktion si- cher sein. Auf diese Suche begeben wir uns. Ich glaube, dass mit (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- den Hartz-Gesetzen gute Vorschläge auf dem Tisch lie- SES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann gen. [CDU/CSU]: Mehr CO2!) Wir müssen die Lohnnebenkosten stabil halten bzw. Ich will vier Punkte nennen, bei denen wir von der weiter senken. Regierung den Druck erhöhen müssen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Weiter senken?) Präsident Wolfgang Thierse: Wer es angesichts größter Arbeitslosigkeit und der aktu- Kollege Kuhn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ellen großen Wirtschaftskrise schafft, dass die Renten- Kollegen Thiele? versicherungsbeiträge nicht steigen, der hat für den Auf- schwung viel mehr als diejenigen getan, die immer nur Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): alles ablehnen. Das müssen Sie uns einmal nachmachen. Nein, das ist nicht nötig. Ich möchte jetzt meine Aus- Wenn Sie sich die Geschichte der Lohnnebenkosten in führungen fortsetzen. Deutschland anschauen, werden Sie feststellen, dass diese in Wirtschaftskrisen unter Ihrer Führung immer ( [CDU/CSU]: Ein ganzer gestiegen sind. Wir haben den ersten Schritt getan, damit Kerl! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: mehr investiert wird. Feige! – Zurufe von der FDP: Oh!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo Erster Punkt. Die Bildungsreform in Deutschland denn?) geht auch aus wirtschaftlichen Gründen nach Auffas- sung meiner Fraktion viel zu langsam voran. Wenn wir Sie haben populistisch im Interesse der Rentnerinnen ernsthaft darüber reden, wie man am Standort Deutsch- und Rentner argumentiert, dass dies nicht möglich sei. land mehr Qualität im Sinne von Innovationen schaffen kann, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) sowie bei Abgeordneten der SPD) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dann (D) müssen die Grünen aus der Regierung!) Wir reagieren auf die demographische Entwicklung. Wir bauen die Bürokratie ab. In diesem Zusammenhang dann ist die Reform auf allen Stufen der Bildung, von möchte ich darauf verweisen: Bei der Handwerksord- der Vorschule bis zur Weiterbildung, das A und O. Die nung wird und muss etwas passieren; denn man kann ganzen Konsequenzen aus der PISA-Studie dauern aus nicht von Entbürokratisierung in Deutschland reden und wirtschaftlichen Gründen – ich betrachte das Ganze nur die Handwerksordnung dabei außer Acht lassen. Das unter diesem Aspekt – vor dem Hintergrund von Bil- funktioniert nicht. dungsplänen der Kultusministerkonferenz viel zu lange. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer weiß, dass im Jahr 2010 die geburtenstarken sowie bei Abgeordneten der SPD) Jahrgänge nach und nach in Rente gehen werden, wer weiß, welches Qualifikationsproblem wir dann in Ich will einige Punkte ansprechen, mit denen ich noch Deutschland haben werden, der muss wirklich konse- nicht zufrieden bin. quent auf allen Ebenen der Bildung den Turbo einschal- (Dirk Niebel [FDP]: Steinkohle!) ten, um Qualifikation, Weiterbildung und die schulische Erstausbildung unserer Kinder zu verbessern. Wirt- – Das Thema Kohle können wir sofort abhandeln. Dass schaftliche Entwicklung mit mittelfristiger Perspektive wir bei diesem Thema anderer Meinung als unser Koali- ist nur möglich, wenn wir Bildungsreformen anpacken. tionspartner sind, ist offensichtlich. Wenn wir sie nicht machen, sondern die Probleme aus- (Dirk Niebel [FDP]: Aha!) sitzen, wird es ein böses Erwachen geben. Wir schätzen die Notwendigkeit der Kohleversorgung in Zweiter Punkt. Wir brauchen ein klares Signal in der Deutschland langfristig anders als unser Koalitionspart- Finanz- und Steuerpolitik. Ich bin froh, dass die Finanz- ner ein. Durch die Haushaltssperre bei den Verpflich- politik kohärenter wird. Unser Ziel ist, sie systematisch tungsermächtigungen haben wir klar gemacht, wohin die zu gestalten und die Bürger zu entlasten. Dies ist auch Reise geht. Hier sind bestimmte Fragen noch zu klären. hinsichtlich der Steuersätze eine wichtige Botschaft. Wir Das werden wir im Ausschuss zusammen beraten. Aber diskutieren über denselben Punkt. Denn es zeichnet sich was wir nicht machen werden, liebe Kolleginnen und ein Konsens ab, dass ein einfaches Steuersystem auch Kollegen von der FDP, ist, ein gerechteres Steuersystem ist. Das ist doch eine rich- tige Erkenntnis, die wir in die Diskussion der nächsten (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Zustimmen!) Wochen und Monate einbringen müssen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6883

Fritz Kuhn (A) In der Finanzpolitik wird auch klar, dass wir eine anti- merkelschen Sinne des Patriotismus alles dafür tun, dass (C) zyklische Konsolidierungspolitik betreiben müssen. der Aufschwung in Deutschland verstärkt wird. Wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist, muss man (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Wir haben andere Beträge für die Tilgung der Schulden aufbringen, doch keinen Aufschwung!) als wenn sie besser ist. Die große Stunde der Wahrheit für die Koalition und für Sie kommt dann, wenn die Das ist die Pflicht und die Aufgabe auch der Opposition. Wirtschaft wieder wächst. Dann stellt sich die Frage, ob Hören Sie dann aber auf, in jeder Rede, wie es Herr man bereit ist, Schulden in größerem Umfang zu tilgen Merz vorhin getan hat, zu sagen, in Deutschland sei alles und den Haushalt zu konsolidieren, als es in einer Zeit Mist! Wenn man Sie, Herr Merz, im Fernsehen hört, möglich ist, in der sich die Wirtschaft in der Talsohle be- dann hat man den Eindruck, an diesem Standort könne findet. man überhaupt nicht mehr investieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nein, das gilt nur für die Regierung!) Der dritte Punkt. Die Entbürokratisierung geht uns zu langsam. Der Masterplan des Wirtschaftsministe- Abgeordnete des Bundesparlaments sollten nicht so über riums ist okay, aber an den Schnittstellen zwischen Deutschland reden, wie Sie es tun. Hören Sie auf, Herr Bund, Ländern und Gemeinden durch eine konkrete Merz, die Arbeitslosen in Geiselhaft für Ihre strategi- Aufgabenkritik klar zu machen, was wir konsequent las- schen und taktischen Spielchen zu nehmen! sen können und wo sich der Staat zurückziehen kann, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit es weniger Bürokratie gibt, ist eine Aufgabe, die und bei der SPD) mit mehr Druck und mehr Konsequenz angegangen wer- den muss, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ich sage das Tragen Sie vielmehr dazu bei, dass der Aufschwung ver- ganz offen. Wir sagen nicht, dass alles immer prima sei. stärkt wird! Dann haben Sie Ihren Job gut gemacht. Die kleinen und mittleren Betriebe, die bei uns neue Ar- Ich danke Ihnen. beitsplätze schaffen – da spielt in wirtschaftlicher Hin- sicht die Musik – leiden am meisten unter der Bürokra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tie, weil sie Kosten verursacht, weil der Umgang mit ihr und bei der SPD – Dietrich Austermann frustrierend ist und weil sie die Entwicklung der Be- [CDU/CSU]: Dürftig! Noch schlechter, als ich triebe hemmt. Deswegen möchte ich dazu auffordern, gedacht habe!) dass mehr in Richtung Bürokratieabbau geschieht. (Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Wer ist denn an Präsident Wolfgang Thierse: (B) der Regierung? – Weiterer Zuruf von der Ich erteile das Wort Kollegin Dagmar Wöhrl, CDU/ (D) CDU/CSU: Die meisten leiden unter euch!) CSU-Fraktion.

Der vierte Punkt betrifft die Banken. Die heutige Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): Krise der Finanzierung vor allem kleinerer und mittlerer Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Betriebe ist zuvorderst eine Bankenkrise, weil die Ban- Kollegen Kuhn gehört hat, hat fast das Gefühl, Herr ken, anders als vor zwei oder drei Jahren, nicht mehr be- Kuhn ist nicht in der Regierung, sondern in der Opposi- reit oder in der Lage sind, die Kredite zu geben, die not- tion. wendig sind, um das Eigenkapital zu verstärken bzw. überhaupt einen Betrieb zu gründen. Deswegen sage ich (Rainer Brüderle [FDP]: Er will Außen- ganz deutlich: Es ist positiv, dass die Regierung über die minister werden!) KfW einen neuen Dachfonds für innovative Finanzie- rung aufgelegt hat. Es ist aber auch notwendig, dass wir Herr Kuhn, wenn ich Ihre Aussagen höre, dann kom- den Kreditinstituten, in denen wir Einflussmöglichkeiten men Sie mir vor wie der kleine Fritz, der die Wirtschafts- haben – hier sind viele Kommunalpolitiker, die in Auf- politik erklärt. sichtsgremien der Sparkassen sitzen –, sagen, dass sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kurt die Bremse lösen und die Wirtschaft durch Kredite för- J. Rossmanith [CDU/CSU]: So stellt er sie sich dern müssen. Herr Minister Clement, ich bin gespannt, auch vor!) welche Vorschläge Sie in den nächsten Wochen und Mo- naten vorlegen, um die Finanzierungskrise des Mittel- Sie gehören einer Regierung an, die par ordre du mufti standes und der Kleinbetriebe zu mildern. Die Politik erklärt hat, neue Subventionen in Höhe von 16 Milliar- kann die Probleme nicht alleine lösen, aber sie kann hel- den Euro zu gewähren. Das geschah so nebenbei in einer fen und Programme auflegen, mit denen diese Probleme Rede, und das noch für einen Sektor, der keine Zukunft insgesamt reduziert werden. hat. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damit haben Sie jede Glaubwürdigkeit verloren, über- Ich komme zum Schluss. Ich habe einen Appell an die haupt noch über Subventionsabbau zu reden. Union. Sie haben zwei verschiedene Möglichkeiten. Sie können darauf setzen, die Regierung in den Verhandlun- Noch nie war eine Reform der Reformfähigkeit so gen im Vermittlungsausschuss vorzuführen. Ich glaube notwendig wie jetzt. Noch nie wurden so viele negative nicht, dass Ihnen das gelingen wird. Oder Sie können im Botschaften über die deutsche Wirtschaftspolitik, die 6884 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dagmar Wöhrl (A) Sozialpolitik und über die Finanzpolitik wie in den letz- Müntefering, Sie haben gefordert: Weniger für den pri- (C) ten Tagen, ja sogar in den letzten Stunden verkündet. vaten Konsum, mehr für den Staat. Ist das der richtige Kurs? Nein, dieser Kurs ist falsch. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Wo denn?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Ich möchte mich mit nur zwei Themen befassen: Sta- bilitätspakt und Ausbildungsplatzabgabe. Wir, die Sie vernichten mit dieser Maßnahme die Ausbil- Deutschen, waren doch diejenigen, die mit Vehemenz dungschancen sehr vieler junger Menschen. und Kraft für diesen Pakt gekämpft haben. Er wird mitt- lerweile von Ihnen mit Füßen getreten. Herr Eichel hat Ich sage Ihnen aber auch: Die momentane Lehrstel- dieses Kernstück europäischer Wirtschaftsverfassung lensituation ist zwar bedauerlich, aber die Situation an mit dem Segen des Kanzlers Schröder zu Grabe getra- einer anderen Stelle, am Arbeitsmarkt, ist viel schlim- gen. mer. Was nützt einem Jugendlichen eine gute Ausbil- dung, wenn er danach keinen Arbeitsplatz findet? Mo- Ich warne davor, die Tragweite der entsprechenden mentan ist eine halbe Million junger Menschen unter 25 Brüsseler Beschlüsse zu unterschätzen. Ich habe manch- Jahren in Deutschland arbeitslos. Davon sind 300 000 mal das Gefühl, dass vielen die Tragweite dieser Brüsse- gut ausgebildet. Trotzdem finden sie keinen Arbeits- ler Beschlüsse nicht klar geworden ist. Dabei geht es platz. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich eine nicht bloß um Finanzpolitik, sondern auch um eine zen- Kurskorrektur. trale Grundlage der Wirtschaftspolitik. Wir brauchen ein stabiles Preisniveau, um mehr Wachstum und mehr Be- Die erste Aufgabe muss sein, mehr Vertrauen bei den schäftigung zu erreichen. Momentan sinkt die Zahl der Konsumenten und bei den Investoren zu gewinnen. Beschäftigten jeden Monat um 50 000. Das ist eine Ka- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tastrophe. neten der FDP) Eine Währungsunion lebt von dem Vertrauen darauf, Die Investitionsausgaben sind im dritten Quartal dieses dass sich die teilnehmenden Länder untereinander eini- Jahres so drastisch eingebrochen, wie es das letzte Mal germaßen vernünftig verhalten. Was wird daraus in der in der Rezession 1993 der Fall war. Es stimmt, dass der Zukunft? In Zukunft wird doch jedes Land je nach Lust Export zunimmt. Das ist auch gut so. Man darf aber auch und Laune eine Verschuldungspolitik machen. Wen wer- nicht vergessen, dass der Export nur ein Drittel unserer den in Zukunft noch Strukturreformen interessieren? Wir Wirtschaftsleistung ausmacht. Er macht nicht die ganze werden die Quittung für die Fehler von heute nicht mor- Wirtschaftsleistung aus. Deswegen gebe ich Ihnen nur (B) gen, auch nicht übermorgen bekommen; aber wir wer- den Rat: Lesen Sie die Ihnen vorliegenden Gutachten (D) den sie langfristig bekommen, nämlich in Form einer hö- vom Sachverständigenrat und von den Instituten! Dort heren Inflation und höherer Zinsen. können Sie lesen, was der Grund für unsere Wirtschafts- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider krise ist: Ihre Politik, die Sie auch noch Wirtschaftspoli- wahr!) tik nennen. Sie ist eine reine Katastrophe und bringt uns immer mehr zurück, anstatt uns nach vorne zu bringen. Was passiert, wenn die Staatsdefizite mehrerer Länder zukünftig aus dem Ruder geraten? Die EZB wird die Wir brauchen eine Trendwende. Denken Sie an die Zinsen erhöhen. Ich bin gespannt, ob dann der Kanzler Maxime von : Die beste Sozialpolitik auch bei der EZB Druck hinsichtlich der Erhöhung der nützt nichts, wenn sich nicht Wirtschafts- und Sozialord- Zinsen ausüben wird. Die „FAZ“ hat zu Recht gesagt: nung gegenseitig ergänzen. Sozialordnung, Markt und Wirtschaft sind die Räder, die ineinander greifen müs- Wo ein Stabilitätswille fehlt, ist auf kurz oder lang sen. Das ist bei Ihrer Politik aber nicht der Fall; durch die Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr. Sie blockieren sich die Räder gegenseitig. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Die Schere zwischen Sozialleistungen und Investi- neten der FDP) tionen öffnet sich immer weiter. Anfang der 70er-Jahre Was bedeuten höhere Zinsen? Sie führen zu weniger In- floss noch ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts jeweils vestitionen. Weniger Investitionen führen wiederum zu in das soziale Netz und in die Investitionen. Gegenwär- weniger Arbeitsplätzen. Das ist doch ein Teufelskreis. tig beläuft sich die Investitionsquote auf unter 10 Pro- zent, während mehr als 32 Prozent der Wirtschaftsleis- Herr Clement, ich wundere mich darüber, wie Sie sich tung für den sozialen Bereich aufgebracht werden. Das in dieser Sache verhalten haben. Warum haben Sie hier- ist ein Missverhältnis; die Schere muss sich wieder bei nicht interveniert? Sie haben beim Euro-Stabilitäts- schließen. pakt, also an einer wirtschaftspolitisch wirklich zentra- len Stelle, versagt, weil Sie nicht aufgestanden sind und Unsere Sozialbeiträge steigen stetig an, Herr Kuhn. nicht gesagt haben: Hier werden langfristige wirtschaft- Ein Ende des Anstiegs ist nicht in Sicht. Sie schaffen es liche Chancen vertan; tut das nicht! nicht, Reformen auf den Weg zu bringen, die eine Ab- kehr von dieser steigenden Tendenz ermöglichen. Die Bei der Ausbildungsplatzabgabe konnten Sie sich sozialen Belastungen belaufen sich inzwischen auf mehr ebenfalls nicht durchsetzen. Es ist genau das eingetre- als 41 Prozent. Die Menschen haben immer weniger ten, was Herr Müntefering vorgegeben hat. Herr Geld in der Tasche. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6885

Dagmar Wöhrl (A) Die Tatsache, dass die Schwarzarbeit um weitere Gerade für die Erbschaftsteuer gilt: Wenn wir Sub- (C) 3,5 Prozent zugenommen hat – sie beträgt inzwischen stanz verteilen, dann verlieren wir alle. Wir wissen, wie mehr als 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts –, zeigt, es um die mittelständischen Betriebe steht. Sie haben dass zwar Arbeit vorhanden ist, aber nicht zu bezahlba- fast kein Eigenkapital mehr. Die Eigenkapitaldecke ist ren Preisen. Das sind Fakten, vor denen man nicht die viel zu dünn. Wenn eine Erbschaftsteuer nicht aus den Augen verschließen darf. Erträgen aufgebracht werden kann, hat das weitere Be- triebsaufgaben und einen weiteren Rückgang der Zahl Der Mittelstand steht inzwischen mit dem Rücken zur der Arbeitsplätze zur Folge. Wand und weiß nicht mehr, wie er über die Runden kommen soll. Den Betrieben fehlen Aufträge. Die rie- Hier müssen wir andere Wege beschreiten. Die Be- sige Pleitewelle spricht für sich. Angesichts der Tatsa- triebsübergaben müssen endlich erleichtert werden. che, dass inzwischen ein Drittel der mittelständischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Unternehmen keinen Gewinn mehr erwirtschaften, muss der FDP) man sich wundern, woher sie die Kraft nehmen, weiter- zuarbeiten. Statt die Erbschaftsteuer zu erhöhen, müssen wir dazu übergehen, die Erbschaftsteuer zu stunden, wenn ein Aus der neusten Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ Erbe die Firma seines Vaters oder seiner Mutter über- geht hervor, dass die KfW ihre Mittelstandsförderung nimmt, und sie nach zehn Jahren vollständig zu erlassen. drastisch zurückfahren will; Denn er hat in diesem Zeitraum mehr für die Volkswirt- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! schaft getan, als wenn er einmalig Erbschaftsteuer ge- Hört!) zahlt hätte. sie hat offenbar kein Eigenkapital mehr, weil Herr Eichel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) im Rahmen von Platzhaltergeschäften durch den Verkauf Es ist an der Zeit, dass die Belastungen nach unten ge- von Aktien der Telekom und der Deutschen Post mehr hen, anstatt mit Neidsteuern unternehmerische Initiative als 20 Milliarden Euro aus der KfW herausgezogen hat. im Keim zu ersticken. Wir brauchen die unternehmeri- In diesem Zusammenhang frage ich Sie, Herr Clement: sche Initiative; sie ist das Fundament unserer Volkswirt- Wo bleibt Ihr Aufschrei? In welcher Form intervenieren schaft, auf dem Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaf- Sie dagegen? fen werden. Wir brauchen einen leistungsstarken Mittelstand. Wir brauchen Investitionslust und Konsum- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der lust, die sich aber nicht stärken lassen, indem Sie den SPD: Da habt ihr wieder nicht zugehört!) Bürgern immer tiefer in die Taschen greifen. (B) (D) Ich appelliere an Sie mit einem Zitat von Lincoln, der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das haben die richtigen Worte gefunden hat: die so im Griff! – Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr werdet die Schwachen nicht stärken, indem ihr Schauen Sie doch mal Ihre Steuer- und Abga- die Starken schwächt. Ihr werdet Schwierigkeiten benlast an und vergleichen Sie sie mit heute! bekommen, wenn ihr mehr ausgebt, als ihr verdient. Kommen Sie mal darauf zurück, wie es 1998 Ihr werdet den Menschen nie auf Dauer helfen, war!) wenn ihr für sie tut, was sie selbst für sich tun könn- Meine Damen und Herren, vor vielen Jahren hat die ten. Union einen Wahlkampf mit dem Slogan „Freiheit oder Hängen Sie sich dieses Zitat über Ihr Bett und schauen Sozialismus“ geführt. Zu Beginn dieses Jahrhunderts Sie es sich morgens und abends an! stehen wir erneut vor dieser Grundsatzentscheidung: (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU) Das entscheiden wir selber, was wir dort sehen Wollen wir mehr Markt oder mehr Staat? Ich sage: Wir wollen!) brauchen mehr Markt. Wir sollten uns auf unsere soziale Marktwirtschaft zurückbesinnen und neu starten. Das ist die Richtschnur, nach der die Politik gestaltet werden muss. Vielen Dank. Was aber machen Sie? Auf Ihrem Parteitag ist mit der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diskussion um die Erbschaftsteuer wieder das Neidfeuer eröffnet worden – Trittin will zudem die Vermögen- Präsident Wolfgang Thierse: steuer reanimieren. Sie vergessen immer wieder eines: Ich erteile Bundesminister Wolfgang Clement das Wie wird denn Vermögen geschaffen? Vom Aufbau ei- Wort. nes Vermögens profitieren viele. Wer Vermögen schafft, zahlt Steuern. Ein Unternehmen leistet aber auch noch (Beifall bei der SPD) einen weiteren Beitrag: Es schafft Arbeitsplätze. Dass Vermögen nur mithilfe eines bereits versteuerten Ein- Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft kommens aufgebaut werden kann, scheinen Sie auch im- und Arbeit: mer wieder zu vergessen. Sie versuchen, die Leistungs- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, starken ausbluten zu lassen und eine DDR de luxe zu wir alle wissen, dass wir diese Tage und Wochen bis zum schaffen. Das ist aber keine Lösung. Jahresende nutzen müssen, weil sie eine große Bedeutung 6886 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Wolfgang Clement (A) für die Zukunft unseres Landes haben. Wir müssen in dass Sie mit solchen Diskussionsbeiträgen nicht durch- (C) Deutschland beweisen, dass wir zu Reformen fähig sind. kommen können. Wir werden dazu Besitzstandswahrung und die Neigung (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Aha! zum Kirchtumsdenken überwinden müssen, Das sind Kompromisse?) (Zustimmung bei der FDP) Wie ist die Lage in Deutschland? Die Wirtschafts- aber auch die Neigung zu Besserwisserei, Herr Kollege leistung in Deutschland ist im dritten Quartal dieses Jah- Merz. res wieder leicht um 0,2 Prozent angestiegen. Dies ist vor allen Dingen auf eine deutliche Erhöhung der Export- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ überschüsse um 1,8 Prozent zurückzuführen. Die deut- DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Das ist schen Exporte sind mit plus 3,2 Prozent gegenüber dem wohl eine Rede an die eigenen Leute?) zweiten Quartal geradezu sprunghaft angestiegen. Es Davon, dass uns dies gelingt, hängt sehr viel ab. spricht jetzt einiges dafür, dass wir die Trendwende schaffen können und dass sich der Erholungsprozess der Wir müssen ein Paket aus Strukturreformen, Wachs- deutschen Volkswirtschaft im letzten Quartal dieses Jah- tumsimpulsen und Maßnahmen zur Haushaltssanierung res fortsetzen kann, um dann in eine wirtschaftliche Be- schnüren und gemeinsam schultern. Ich bin davon über- lebung überzugehen. Die Chancen dafür stehen nicht zeugt, dass wir es schultern können. Ich bin aber ebenso schlecht. Das Geschäftsklima verbessert sich seit einem davon überzeugt, Frau Vorsitzende Merkel, dass es hier halben Jahr Monat für Monat. Die Lagebeurteilung hat eine Pflicht zum Kompromiss gibt. sich deutlich verbessert. Der Auftragseingang der Indus- (Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Nein!) trie weist einen deutlichen Aufwärtstrend auf. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hö- Diese Pflicht zum Kompromiss gibt es gerade jetzt. Sie ren wir schon seit drei Jahren!) schließt ein, dass man sich aufeinander zubewegt. Wir dürfen uns aber nicht täuschen. Die Daten des (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur mit Statistischen Bundesamtes zeigen, dass das Bruttoin- Nachteilen?) landsprodukt im ersten und zweiten Quartal rückläufig All das, was ich in den letzten Tagen und Stunden dazu war. Entgegen den ersten Zahlen und Erwartungen gab gehört habe, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, es im dritten Quartal keine Verbesserungen beim priva- um beispielsweise eine Steuerreform durchzusetzen ten Konsum und bei den Investitionen. Im Gegenteil: – einmal ist es der Arbeitsmarkt, dann ist es der Kündi- Sowohl Konsum als auch Investitionen sind noch rück- läufig. Das gilt insbesondere für die Ausrüstungsinvesti- (B) gungsschutz, dann das Tarifvertragsrecht –, ist nicht ge- (D) eignet, um zu einem Kompromiss zu kommen. tionen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Eine weitere Feststellung: Die Defizitausweitung in DIE GRÜNEN) den letzten drei Jahren war nicht etwa die Folge fehlen- der Konsolidierungsmaßnahmen, Herr Kollege Merz. Wenn ich höre, Herr Kollege Merz, wie Sie und andere Vielmehr ist für jeden, der genau hinschaut, erkennbar, Krokodilstränen über das Leid der Europäischen Kom- dass die Mindereinnahmen und die Mehrausgaben auf mission vergießen und noch ein paar Sparmaßnahmen die weltweit schwache Konjunktur zurückzuführen sind. mehr für Deutschland fordern, wenn Sie gleichzeitig An Ihre Adresse, Frau Wöhrl, die Sie starke Worte ge- mehr Gegenfinanzierung für das Vorziehen der nächsten braucht haben, sage ich deshalb deutlich: Durch die Stufe der Steuerreform fordern und im selben Atemzug Maßnahmen zur Defizitbekämpfung, die die Europäi- all das ablehnen, was von der Bundesregierung vorge- sche Kommission vorgeschlagen hat, wären eindeutig legt worden ist, um Steuervergünstigungen, Subventio- die kurzfristigen gesamtwirtschaftlichen Zusammen- nen und andere Haushaltsbelastungen abzubauen, dann hänge in der Europäischen Union, insbesondere in muss ich sagen: Was Sie machen, ist „Ball paradox“. Deutschland, vernachlässigt worden. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dietrich Austermann [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]: Kohle!) Diese Maßnahmen – es sind nicht wenige, die das bestä- Vielleicht ist das alles durch den bevorstehenden tigen – würden, wenn sie umgesetzt worden wären, in CDU-Parteitag und manche Diskussionen erklärbar, die sehr starkem Maße prozyklisch wirken. Die Phase der es auch bei Ihnen gibt. schwachen Binnennachfrage wäre also noch verlängert (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Parteitag worden und die wirtschaftliche Erholung wäre noch ist ein gutes Stichwort!) mehr erschwert worden. Deshalb ist das Konzept, das die Bundesregierung verfolgt und das der Bundesfinanzmi- Wenn wir aber zu Ergebnissen kommen wollen – wir nister in Brüssel vertreten hat, aus unserer Sicht absolut müssen bis zum 10. Dezember zu Ergebnissen kom- richtig. Wir wollen die dritte Stufe der Steuerreform – um men –, dürfen Sie die Möglichkeiten der Regierung und das ganz klar zu sagen – bei nur teilweiser Gegenfinan- der Koalition nicht unterschätzen. Wenn Sie mit uns zu zierung vorziehen. Eine Gegenfinanzierung von 75 Pro- gemeinsamen Ergebnissen kommen wollen – das ist im zent wäre falsch; denn das brächte nicht den erforderli- Interesse unseres Landes –, dann müssen Sie erkennen, chen Wachstumsimpuls, den wir benötigen. Richtig ist Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6887

Bundesminister Wolfgang Clement (A) stattdessen, auf den Subventionsabbau zu setzen und so nehmen in Deutschland. Das ist jetzt erforderlich: Wir (C) zu einer zeitversetzten, mittelfristigen Gegenfinanzie- müssen das Vertrauen stabilisieren. rung zu kommen und gleichzeitig die Agenda 2010 durchzusetzen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Herr Kollege Merz, Sie waren ja so freundlich, auf ei- DIE GRÜNEN) nige Dinge hinzuweisen, die ich in letzter Zeit getan Herr Kollege Merz und Herr Kollege Brüderle, wenn habe. Ich möchte darauf eingehen, um das einmal im Zu- Sie sich die wirtschaftlichen Bewertungen des Interna- sammenhang darzustellen. Wir haben eine Vielzahl von tionalen Währungsfonds sowie der Sachverständigen Strukturreformen auf den Weg gebracht. Dazu gehören – von Washington über Paris, Brüssel bis Berlin – an- selbstverständlich die Steuerreform sowie die grundle- schauen, dann stellen Sie fest, dass alle die Richtigkeit genden Reformen betreffend die Krankenversicherung unseres Konzeptes bestätigen. Uns werden ständig an- und die Rentenversicherung, die Sie nur teilweise – zu dere Länder als Vorbild vorgehalten. Schauen Sie sich mehr konnten Sie sich nicht durchringen – unterstützen. doch die USA an! Tatsächlich hängen die weltweite Er- Wir haben Arbeitsmarktreformen auf den Weg ge- holung und damit auch unser wirtschaftlicher Auf- bracht, Stichwort: Leih- und Zeitarbeit. Herr Kollege schwung in sehr starkem Maße von dem Erfolg der Merz, wollen Sie die Auseinandersetzung zwischen USA ab. Aber worauf ist die gegenwärtige Erholung der DGB und christlichen Gewerkschaften ernsthaft zum amerikanischen Wirtschaft zurückzuführen? Es gab eine Knackpunkt der Diskussion über Leih- und Zeitarbeit in 13-malige Zinssenkung auf 1 Prozentpunkt, massive Deutschland machen? Was Sie da betreiben, ist doch Steuerentlastungen und Ausgabenausweitungen, was zu lachhaft. dem höchsten Defizit in den USA seit Jahren geführt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hat. Dies erinnert an die Situation von 1992/93. Damals DIE GRÜNEN) hat das Staatsdefizit in den USA 5,9 Prozent betragen. Wenn man auch nur eine annähernd erfolgreiche Politik Ich empfehle Ihnen, sich einmal mit den Vertretern wie die USA machen will, dann muss man jetzt die der Zeitarbeitsunternehmen in Deutschland zu unterhal- Steuern massiv senken, Herr Kollege Brüderle – ich er- ten. Sie werden Ihnen etwas anderes sagen als das, was warte, dass uns insbesondere Ihre Fraktion dabei unter- Sie hören wollen. Man hat sich in diesen Unternehmen stützt –, und zwar ohne komplette Gegenfinanzierung. auf die rechtliche Situation, die wir geschaffen haben, längst eingestellt. Lassen Sie uns über die neuen Be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schäftigungsmöglichkeiten reden und nicht über den (B) DIE GRÜNEN) Kleinkram, den Sie erwähnt haben! Über 200 000 Ar- (D) beitslose haben in diesem Jahr den Weg in die Selbst- Frau Merkel, Sie haben einmal behauptet, dass die ständigkeit riskiert, indem sie eine Ich-AG gegründet Politik der Regierung nichts anderes bedeute, als Geld oder das Brückengeld in Anspruch genommen haben. In von der linken Tasche in die rechte Tasche zu stecken. Sonntagsreden sind Sie allesamt für diesen Weg. Aber Ihre Empfehlung – auch Herr Merz hat das in sei- ner heutigen Rede vorgeschlagen –, das Vorziehen der (Zuruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) dritten Stufe der Steuerreform müsse beinahe kom- – Herr Hinsken, Sie wollen ausschließlich für das Hand- plett gegenfinanziert werden, bedeutet nichts anderes werk tätig sein. Das verstehe ich. Ich werde Ihnen dazu und bringt nichts für die Konjunktur. Für ihre Erholung gleich noch etwas sagen. müssen wir die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen! Wer den unternehmerischen Geist in Deutschland (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirklich fördern will, der muss dankbar sein, dass es DIE GRÜNEN) Menschen gibt, die den Mut haben, sich aus der Arbeits- losigkeit heraus selbstständig zu machen. Schauen Sie sich an, was die Institute, der Sachver- ständigenrat, die Europäische Kommission und der IWF (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sagen! Verlauf und Stärke der wirtschaftlichen Erholung DIE GRÜNEN) in Deutschland werden davon beeinflusst, wie konse- Herr Kollege Hinsken, ich werde über die Reform des quent wir die Reformmaßnahmen umsetzen und insbe- Handwerkrechts gleich noch reden. sondere ob und, wenn ja, wie wir die dritte Stufe der Steuerreform vorziehen. Darauf können wir jetzt nicht Wir haben der Schwäche des Kreditmarkts entgegen- verzichten. Das Vorziehen der letzten Stufe der Steuerre- gewirkt, indem wir die Gründung der KfW-Mittelstands- form stärkt sowohl die Nachfrage- als auch die Ange- bank auf den Weg gebracht haben. Außerdem haben wir botsseite. Herr Kollege Merz, lesen Sie einmal nach, was einiges getan, um den Bürokratieabbau voranzubrin- das ZEW gesagt hat. Es sagt voraus – Sie verweisen gen. Herr Kollege Kuhn, ich bin für jeden geeigneten doch immer gerne auf die Unternehmen –: Die dritte konkreten Vorschlag zum weiteren Bürokratieabbau Stufe der Steuerreform reduziert die Steuerbelastung der – nicht für pauschale Reden; die kenne ich zur Genüge – Unternehmen bei der Beschäftigung von hoch qualifi- dankbar. Wir sitzen an der Reform der Arbeitsstättenver- zierten Arbeitskräften um 5 Prozent der durchschnittli- ordnung und wir haben die Verpflichtungen der Unter- chen Steuer- und Abgabenbelastungen und verbessert nehmen zur Erstellung von Statistiken verringert. Die selbstverständlich die Standortbedingungen der Unter- bürokratischen Regelungen im Bereich der Ausbildung 6888 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Wolfgang Clement (A) haben wir schon vereinfacht. Ich erinnere auch an das, Ich empfehle, diese etwas oberflächliche und selbstge- (C) was wir beim Kleinunternehmerförderungsgesetz getan fällige Kritik zurückzunehmen. haben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Wir haben die Weiterentwicklung der Netze Telekom- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) munikation, Strom und Gas teilweise auf den Weg ge- bracht. Diese Veränderungen sind voll im Gang. Wir ha- Um es hier und heute klar zu sagen: Das gilt auch für ben neue Strukturen der Energiewirtschaft entwickelt. den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit. Das, was Wir werden diesen Prozess fortsetzen. man in dieser gewaltigen Einrichtung – es handelt sich um eine Bürokratie, die sich über Jahrzehnte entwickelt Herr Kollege Merz, ich habe Sie extra ins Wirt- hat – nach wenigen Monaten zuwege gebracht hat, um schaftsministerium eingeladen. Ich habe gedacht, Sie die Arbeitsweise und die Arbeitsmethodik des Hauses hätten dort ein bisschen gelernt. Heute haben Sie alles umzustellen – man hat versucht, von Administration und ignoriert, was Sie von mir dort erfahren haben. von der Finanzierung von Arbeitslosigkeit wegzukom- men und die Vermittlung in Arbeit zu verbessern –, finde (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ich gut. Dieser Weg wird fortgesetzt. DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordne- ten der CDU/CSU) Ich werde mich demjenigen mit aller Kraft entgegen- stellen, der glaubt, die Arbeit dieser Einrichtung auf- Verbuchen Sie das unter „Arroganz“; das ist in Ordnung. grund möglicherweise begangener einzelner Fehler ins- Vollziehen Sie einmal sämtliche dringend notwendi- gesamt diskreditieren zu können. gen Reformen in Deutschland, die wir zuwege gebracht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haben, nach! Wenn Sie das tun, dann können Sie nicht DIE GRÜNEN) bestreiten, dass wir das, was notwendig ist, um die Wachstumsdynamik in Deutschland zu stärken und die Diejenigen, die den Job übernommen haben, diese Ein- Beschäftigungsintensität zu erhöhen, ein Stück weit richtung zu reformieren, haben eine verdammt schwere vorangebracht haben. Aufgabe. Der Kanzler hat völlig Recht: Das ist die här- teste Baustelle, die es in Deutschland zurzeit gibt. Ich Ich habe nie verkündet, dass es irgendwelche Patent- bin denjenigen, die diesen Job machen, dankbar. Ich rezepte gibt, um den Arbeitsmarkt in Ordnung zu brin- empfehle uns im Interesse des großen Ganzen, das, was gen. Sie werden mich nicht los. Sie müssen sich darauf in der Bundesanstalt für Arbeit geschieht, um ihre etwa verlassen, dass ich den Prozess der Arbeitsmarktreform 100 000 Beschäftigten auf das neue Ziel – Arbeitslose in mit aller Energie fortsetzen werde. Arbeit zu vermitteln – hin auszurichten, nicht zu zerre- (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den. Das gelingt sehr viel besser, als es in manchen Dis- (D) DIE GRÜNEN) kussionsbeiträgen und übrigens auch in manchen öffent- lichen Bewertungen zu hören ist. Ich will die Diskussionen, die im Vermittlungsaus- schuss und in den einschlägigen Arbeitsgruppen geführt Wir müssen doch sehen, was in der Kommunikation werden, hier nicht aufgreifen. Sie haben auf all das ver- alles notwendig ist. Wir alle feiern die Unternehmen, die wiesen, was Sie tun wollen, um die Bundesanstalt für mit Marketingmaßnahmen im Markt Erfolg haben, Arbeit von bestimmten Aufgaben zu entlasten und um aber wenn eine solche Bundesanstalt endlich das Image, den Kommunen diese Aufgaben – sie wollen diese Auf- den Makel von ein paar Jahrzehnten abschütteln soll und gaben, zum Beispiel die Verantwortung für alle Lang- ein neues Bild entwickeln muss, zeitarbeitslosen, gar nicht haben, weil sie zu deren Be- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die soll wältigung gar nicht in der Lage sind – zu übertragen. besser arbeiten, nicht neue Bilder malen!) Das, was Sie vorhaben, finde ich nicht besonders hilf- reich. Ich hoffe noch, dass wir in diesem Bereich zu Er- Vermittlungsarbeit leisten muss und dafür Geld einsetzt, gebnissen kommen können. dann wird das in Bausch und Bogen verurteilt. Das ist doch lachhaft. Was dort stattfindet, hat mit sachlicher Bei dieser Gelegenheit sage ich eines ganz deutlich: Kritik nichts mehr zu tun. Die Kritik, die es an der Bundesanstalt für Arbeit gibt – – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist berechtigt!) CSU]: Geldverschwendung! – Volker Kauder – Herr Kauder, an der Entstehung und an der Entwick- [CDU/CSU]: Bleiben Sie ganz ruhig, Herr lung der Bundesanstalt für Arbeit waren die CDU, die Clement!) CSU, die FDP und die SPD maßgeblich beteiligt. Für die Wir werden noch weiter über das zu diskutieren ha- Arbeitsweise dieser gigantischen Bürokratie tragen in ben, was im Bereich des Arbeitsrechts und des Tarifver- erster Linie nicht diejenigen die Verantwortung, die dort tragsrechts geschehen soll. Das gehört mit in das Ver- tätig sind, sondern der Gesetzgeber und diejenigen, die mittlungsverfahren. politisch verantwortlich sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ganz ruhig!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir haben das Büro nicht umgebaut! Wir haben die Spesen Wir werden das noch im Einzelnen erörtern. Wir werden nicht erhöht!) uns dabei, so hoffe ich, auch bewegen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6889

Bundesminister Wolfgang Clement (A) Der Wissenschaftliche Beirat meines Ministeriums parteien den Vortritt lassen, wenn es um eine Lösung für (C) wird sich heute in seiner eigenen Zuständigkeit für Öff- die notwendige Flexibilität am Arbeitsmarkt geht. nungsklauseln in Tarifverträgen aussprechen. In der Ver- Es geht natürlich auch um harte Einschnitte in traditi- öffentlichung wird es heißen: in unbedingter Form und onelle Besitzstände. Das gilt nicht zuletzt für mein Mi- von Gesetzes wegen. Ich will gleich sagen, dass ich mir nisterium. Das gilt übrigens auch – das will ich an dieser das nicht zu Eigen mache. Ich fürchte nämlich, dass dies Stelle sehr deutlich sagen – bei der Steinkohle. das Ende von Flächentarifverträgen und auf längere Sicht auch das Ende der Tarifautonomie wäre. Solche (Dirk Niebel [FDP]: 16 Milliarden!) Ansätze kann man entwickeln, aber man muss sie zu dem in Beziehung setzen, was in unserer Volkswirtschaft Ich will dazu ein paar Bemerkungen machen, auch an bisher geschehen ist, und das war, wenn ich das Ganze Ihre Adresse, Herr Kollege Kuhn. nehme, außerordentlich erfolgreich. Wir führen die Subventionen selbstverständlich wei- ter zurück. Wir tun das allerdings nicht mit der Brech- Unbestritten ist, dass das System der Tarifautonomie stange, sondern in sozialverträglichen Schritten. Um es unter hohem Anpassungsdruck steht, ökonomisch, aber klar zu sagen: Was vorgelegt worden ist und was Gegen- auch im Hinblick auf die Sicherung der Akzeptanz der stand der Haushaltsberatungen ist, ist ein sehr überlegter Unternehmen und Arbeitnehmer. Unbestritten ist auch, Weg zum Rückbau der Steinkohleförderung – in einer dass sich die Tarifautonomie weiterentwickeln muss, noch so eben sozialverträglichen Form; wir bewegen uns dass wir Raum für Flexibilität und Differenzierung brau- hart am Rande betriebsbedingter Kündigungen –, der es chen und dass sich die Verbände auf beiden Seiten stär- gleichzeitig erlaubt, sämtliche erforderlichen ökologi- ker zu Serviceeinrichtungen entwickeln müssen. schen Rücksichten zu nehmen. Ich sage das sehr bewusst Ich setze aber darauf – da bin ich offensichtlich ande- vor dem Hintergrund von Diskussionen über einzelne rer Meinung als manche, nicht alle, von Ihnen –, dass die Schachtanlagen, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, Tarifparteien die Zeichen der Zeit erkennen und selbst und die ökologischen Fragestellungen, die damit verbun- einer vernünftigen Weiterentwicklung der Tarifautono- den sind. Mit dem Weg, den wir vorgeschlagen haben mie den Weg bahnen werden. Ich möchte gern, dass wir und im Haushalt vorsehen, schaffen wir meines Erach- diesem Weg den Vorzug geben. Hier sind die Verbände tens die Voraussetzungen, um sowohl die sozialen As- auf beiden Seiten gefordert, sich zu bewegen. pekte als auch die ökologischen Aspekte als auch die energiepolitischen Zielsetzungen, das heißt die Fragen Herr Kollege Merz, Sie haben dieses Beispiel eines der Energieversorgungssicherheit und der Technologie- einzelnen Unternehmens aus Baden-Württemberg ge- führerschaft im Bergbau und bei der Kohlenutzung, be- nannt. Ich kann Ihnen Hunderte von Unternehmen nen- rücksichtigen zu können. (B) nen, (D) Ich wünschte mir manchmal, dass bei manchen Dis- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wo das kussionen über neue Kraftwerke oder die Entwicklung genauso ist!) von Kraftwerkparks – wir werden ja ein Drittel der übrigens auch im Bereich der Metallindustrie, in denen Kraftwerkskapazität innerhalb der nächsten gut 15 Jahre solche betrieblichen Vereinbarungen zum Wohl der ersetzen müssen – all diejenigen, die sich über die Kohle Unternehmen zustande gekommen sind. Im Tarifbereich auslassen, dabei wären und hören könnten, was es be- gibt es – wie Sie wissen – auf beiden Seiten Bewegung, deutet, wenn wir heimische Kohle ersetzten. Ich werde die sehr viel weiter geht, als man gemeinhin annimmt. Sie, Herr Kollege Brüderle, nicht davon abbringen, im- Sie wissen auch, dass es auf beiden Seiten sehr vernünf- mer wieder etwas über die Kohle zu sagen. Selbst wenn tige Persönlichkeiten gibt, die den Flächentarifvertrag Sie regierten und den Beschluss fassten, alle Schachtan- außerordentlich hoch achten und wenig von gesetzlichen lagen stillzulegen, wäre es aber illusorisch zu glauben, Eingriffen halten, solche Eingriffe allenfalls als die aller- Sie könnten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die letzte Möglichkeit betrachten. öffentlichen Subventionen streichen. Insofern erwecken Sie ununterbrochen einen falschen Eindruck. Auch Der Vorschlag, der vonseiten der CDU/CSU und der durch Stilllegungen werden massive Kosten erzeugt. FDP eingebracht worden ist, ist aus meiner Sicht – das Weit über das Jahr 2012 hinaus werden wir noch auf habe ich schon mehrfach gesagt – verfassungsrechtlich Jahrzehnte 0,5 Milliarden investieren müssen, um die nicht haltbar. Er ist aus meiner Sicht verfassungswidrig. geologischen Folgen des Bergbaus und auch die sozialen Anpassungsmaßnahmen zu finanzieren. Dazu haben wir (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Krista uns ja rechtlich verpflichtet. Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch an- (Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ dere Meinungen!) CSU]) Deshalb glaube ich nicht, dass Sie damit Erfolg haben – Es tut mir Leid, Herr Kollege, ich weiß, dass dieser können. Herr Kollege Merz, wenn ich das richtig verfolgt Gesichtspunkt in Bayern nur schwer vermittelbar ist. Ich habe, haben Sie selbst schon Kritik aufgenommen, bei- bitte Sie aber dabei um Hilfe, dass endlich deutlich wird, spielsweise die, die vom früheren Präsidenten des Bun- dass wir im Saarland und in Nordrhein-Westfalen mit desarbeitsgerichts geäußert worden ist. Ich empfehle, der Steinkohle nicht nur einiges für den Aufbau dass wir von den Schlagworten wegkommen, uns der Re- Deutschlands getan haben, sondern dort auch Technolo- alität zuwenden und vor allem den Verbänden, den Tarif- gien entwickelt haben und bis auf den heutigen Tag 6890 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Wolfgang Clement (A) entwickeln, die auf dem Weltmarkt eine sehr viel grö- tun. Wir sind bereit – das haben wir ja im Rahmen des (C) ßere Rolle spielen werden, als es manchem von uns be- Vermittlungsverfahrens deutlich gemacht –, sowohl über wusst ist. Das sage ich auch an die Adresse der Grünen, Neuregelungen für einfache handwerkliche Tätigkeiten Herr Kollege Kuhn. als auch über eine große Handwerksreform miteinander zu sprechen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Machen Sie sich aber nichts vor, meine Damen und Was wir an Kraftwerkskompetenz bis hin zum CO2- Herren: Seit Mitte der 90er-Jahre befindet sich das freien Kraftwerk entwickeln, kann übrigens, wenn das Handwerk in einer Krise, die sehr viel tief greifender ist vernünftig eingesetzt wird, dazu beitragen, dass wir kos- als die wirtschaftliche Schwächephase, die wir gegen- tengünstiger mehr für den Umwelt- und Klimaschutz wärtig durchlaufen. Die Umsätze, die Zahl der Meister- leisten als mit manchen Investitionen in erneuerbare prüfungen – ohne dass hier schon durch eine gesetzliche Energien. Ich will das keineswegs gegeneinander aus- Regelung eingegriffen wurde –, die Beschäftigung und spielen, aber das muss klar gesehen werden: Wir müssen die Ausbildungsleistungen gehen spürbar zurück, und alle Möglichkeiten im Prozess der energiewirtschaftli- zwar deutlich über das Maß der allgemeinen wirtschaft- chen und -politischen Steuerung einsetzen. Daran arbei- lichen Schwächephase hinaus. Ich bin überzeugt, dass ten wir; vonseiten der Opposition hören wir dazu aller- unsere Novellen einen Impuls für Neugründungen, für dings, wie ich finde, erstaunlich wenig. Dieses Thema mehr Wettbewerb und für mehr Innovationsfähigkeit des scheinen Sie offensichtlich zurzeit ausgeblendet zu ha- Handwerks geben und es auf diese Weise gelingt, das ben. Handwerk zu stärken, damit die Zahl der Beschäftigten Ich kann und will jetzt nicht zu den Einzelmaßnah- und der Auszubildenden wieder steigt. men und den einzelnen Bereichen, in denen das Wirt- Wir müssen das Handwerk europafest machen: Wir schaftsministerium tätig ist und die sich alle im Haushalt widerspiegeln, etwas sagen, also zur Energieforschung, müssen das Handwerk vor Inländerdiskriminierung zu Forschung und Entwicklung, zu Innovationen im Mit- schützen. Ich sage Ihnen das freimütig, Herr Kollege telstand, zur Förderung der Leistungs- und Wettbewerbs- Hinsken, Ihnen allen, auch Ihnen, Herr Kollege fähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen, zur Brüderle, der Sie das Handwerk so tapfer zu verteidigen Luftfahrtforschung, zur Außenwirtschaftsförderung und meinen: Sie machen einen Fehler dabei. zu Ähnlichem. (Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Lassen Sie mich nur anmerken – ich habe das schon Kastner) gesagt, Herr Kollege Kuhn –: Die KfW-Mittelstands- Die so genannten einfachen handwerklichen Tätigkeiten bank, die wir aufgebaut haben, hat schon all das vorbe- sind inzwischen schon höchstrichterlich definiert als Tä- (D) (B) reitet und teilweise auf den Weg gebracht, was aus mei- tigkeiten, die man binnen eines Vierteljahres lernen ner Sicht geschehen muss, um vor allen Dingen die kann. kleinen und mittleren Unternehmen sowohl auf dem Kreditmarkt wie bei der Eigenkapitalbildung als auch Wenn Sie verfolgen, wie der Streit und die Diskussion bei der Akquirierung von Beteiligungskapital zu unter- zwischen dem ZDH, dem Zentralverband des Deutschen stützen. Es gibt Pakete, die teilweise am 1. Januar in Handwerks, und dem DIHK, dem Deutschen Industrie- Kraft treten werden. Ich nenne die Unternehmerkredite, und Handelskammertag, verlaufen, dann sehen Sie, wo- die so kostengünstig wie möglich angeboten werden, die ran wir leiden: Wir haben dort eine Menge an Bürokra- Eigenkapitalstärkung durch Nachrangdarlehen, also die tie, die kaum zu überwinden ist, Verkrustungen und Förderung durch mezzanine Mittel, und das Paket für mangelnde Beweglichkeit. Beteiligungskapital in Höhe von 500 Millionen Euro, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des das wir gemeinsam mit der Europäischen Investitions- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) bank und unserem ERP-Fonds auf den Markt bringen, um nicht nur technologieorientierte, sondern mittelstän- Sie werden nicht im Ernst annehmen, dass wir uns damit dische Unternehmen insgesamt in ihren Bemühungen zu abfinden. Wir werden dort zu Bewegung kommen müs- unterstützen, auf dem Markt Kapital zu akquirieren. Hier sen. Sie kritisieren ja meine „mangelnde Durchsetzungs- muss die Situation in Deutschland deutlich verbessert fähigkeit“ – das mag ja sein –, aber unterschätzen Sie werden. Ich gebe Ihnen Recht: Die Hausbanken müssen nicht meine Zähigkeit. Ich werde an diesem Thema dran- ihrer Aufgabe, den Mittelstand ausreichend mit Krediten bleiben wie an allen anderen, etwa an der Ausbildung. auszustatten, gerecht werden und sich, wenn erforderlich Herr Merz, der Kollege Kuhn hat doch Recht: Ihre und möglich, stärker engagieren. Charakterisierung der jungen Leute ist doch absurd. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das hat er des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) doch erklärt!) Lassen Sie mich weiter über Bürokratieabbau reden: Dass es im Bildungsbereich Schwächen gibt, darauf hat Hierzu gehört das, was sich auch die Europäische Kom- Herr Kuhn zu Recht hingewiesen; diese Diskussion ist mission vorgenommen hat, nämlich eine Novellierung eigentlich wichtiger als die, die wir im wirtschaftspoliti- des Handwerksrechts und des Rechts der Berufsstände schen Bereich an manchen Stellen führen. sowie der Honorarordnungen. Sie wissen doch, dass das vonseiten der Europäischen Kommission ohnehin einge- Aber ich würde Ihnen sehr gerne einmal von den gu- fordert werden wird und wir gezwungen werden, das zu ten Erfahrungen berichten, die ich mache, wenn ich Un- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6891

Bundesminister Wolfgang Clement (A) ternehmen besuche: Ich stelle fest, dass es hervorra- ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C) gende junge Leute in Deutschland gibt, hervorragend Nein! Lieber nicht!) qualifizierte Leute, was ich in meiner Rede gesagt habe – das geht auch an (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das be- Ihre Adresse –: Es fällt auf Sie selbst zurück, wie Sie streitet doch niemand!) sich verhalten. die an ihrer Karriere, ihrer beruflichen Entwicklung inte- (Volker Kröning [SPD]: Das müssen Sie ge- ressiert sind. Das trifft immer noch auf die große Mehr- rade sagen!) heit der jungen Leute zu. Ich würde sie gerne darin un- terstützen und mit Ihnen und vielen anderen dafür Ich sage das auch an die Adresse des Kollegen Kuhn: Ich sorgen, dass sie eine vernünftige berufliche Ausbildung habe aus einem Leserbrief zitiert und ausdrücklich ge- bekommen. sagt, dass ich dies so nicht verallgemeinere, dass es aber ein Schlaglicht wirft auf die häufig anzutreffende man- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gelnde Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ um Ausbildungsplätze. Ich bleibe dabei, dass dies ein CSU]: Das hat er auch nicht moniert!) Problem ist, ein größeres Problem als in anderen Berei- chen. Das Problem mit der Ausbildungsplatzabgabe se- Herr Schleyer – das ist der Generalsekretär des Zen- hen offensichtlich wir beide, Herr Clement, gleicherma- tralverbands des Deutschen Handwerks, wie Sie wis- ßen. sen – hat sich kürzlich über unsere Reformfähigkeit in Deutschland wie folgt geäußert: In der Reformwerkstatt Zweitens zur Person des Präsidenten der Bundesan- darf nicht nur an Detaillösungen gewerkelt werden. Wir stalt für Arbeit: Ich habe sehr wohl registriert, dass Sie brauchen dringend einen Befreiungsschlag! Ärmel hoch- hier zunehmend dünnhäutig reagieren, wenn dieses krempeln – so lösen wir im Handwerk Probleme. So Thema angesprochen wird; das kann ich sehr gut verste- funktioniert es auch in der Politik! hen. Herr Clement, wir kritisieren nicht, dass die Bun- desanstalt für Arbeit PR-Kampagnen macht – das ist si- (Rainer Brüderle [FDP]: Öffnungsklauseln!) cherlich auch notwendig für diese Institution. Aber wir kritisieren die Art und Weise, wie dies gemacht worden Ich lasse einmal dahingestellt, ob die Diskussion im ist; wir stellen die Frage, ob eine Ausschreibung stattge- Handwerk diesem eigenen Anspruch gerecht wird, funden hat. Die Tatsache, dass der Beratervertrag jetzt (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was sagt aufgelöst wird, zeigt doch, dass unsere Kritik – jeden- falls in Teilen – berechtigt gewesen ist. (B) er zur Reform des Handwerks? Was sagt Herr (D) Schleyer zur Handwerksordnung?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- aber Recht in der Sache hat er. neten der FDP) Meine Damen und Herren, wir sind gehalten, diesen Beklagen Sie als Dienstherr dieser Institution sich im Übrigen nicht, dass Sie hier zur Rechenschaft gezogen Befreiungsschlag zu machen, indem wir über die Refor- werden. Einerseits erklärt der Präsident der Bundesan- menvorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen – zu de- nen es von Ihnen teilweise Gegenentwürfe gibt –, zu ge- stalt für Arbeit öffentlich, dass er dem Deutschen Bun- destag gegenüber keine Rechenschaft abzulegen habe. meinsamen Lösungen kommen. Ich gehöre immer noch Andererseits befremdet es doch sehr, wenn derselbe Herr zu denen, die der Meinung sind: Wir können das schaf- dann am Ende des Jahres 5 bis 10 Milliarden Euro Zu- fen. Meine Zuversicht ist allerdings in den letzten Tagen nicht gewachsen, um das sehr deutlich zu sagen. Ich schuss für diese Bundesanstalt für Arbeit haben will, weil er mit dem Geld nicht auskommt. Wir können ihn setze darauf, dass sich das in den nächsten Tagen und nicht zwingen, hier anzutreten, aber wir können Sie, erst recht nach dem CDU-Parteitag verändern wird. Wir stehen nämlich unter massivstem Zeitdruck. Ich werde Herr Clement, um Rede und Antwort bitten. Deshalb bitte ich doch herzlich darum, dass Sie dann nicht so re- anschließend aber auch nicht anstehen, ebenso deutlich agieren, wie Sie das gerade hier am Rednerpult getan ha- zu sagen, woran es liegt, wenn wir scheitern sollten. Ich tue alles, um einen Erfolg möglich zu machen. ben. Sie jedenfalls sind dem Deutschen Bundestag Re- chenschaft schuldig. Ich danke Ihnen. Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht so schnell loswer- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den, dann beschwert mich das bei Ihnen weniger als bei DIE GRÜNEN) anderen, die dort auf der Regierungsbank sitzen. Aber umgekehrt werden auch Sie uns nicht los in unserer par- lamentarischen Verpflichtung, nachzufragen, was da ei- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: gentlich stattgefunden hat. Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Friedrich Merz. (Beifall bei der CDU/CSU)

Friedrich Merz (CDU/CSU): Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Clement, ich will zunächst einmal wiederholen, Herr Minister, Sie haben das Wort. 6892 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft kurze Zeit im Amt. Es ist sehr schwer, eine solche Ver- (C) und Arbeit: änderung, die dort durchzuführen ist, hinzubekommen. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Merz, Aus meiner Sicht leistet dieser Vorstand gute Arbeit. zunächst zur Ausbildung. Herr Kollege Kuhn hat die Das ändert nichts daran, dass in einem solchen Unter- Sorge geäußert, die ich auch habe, dass Sie, wenn Sie ei- nehmen – wir wollen, dass es wirklich ein Unternehmen nen solchen Brief verlesen, damit einen Eindruck über wird – auch Fehler begangen werden. Es gibt kein unter- die Auszubildenden und die Situation am Ausbildungs- nehmerisches Handeln, ohne Fehler. Fehler begeht man markt erwecken, der unrichtig ist. nur dann nicht, wenn man alles hundertprozentig absi- (Zuruf von der CDU/CSU: Quatsch!) chert. Das kostet Zeit und Dynamik und ist eines der Probleme unserer Bürokratie. Deshalb habe ich Ihnen so widersprochen und ich tue das mit einer gewissen Leidenschaft, die Sie mit Dünn- Es kann sein, dass bei dem Ausschreibungsverfahren häutigkeit verwechseln. Dann kann ich viel schlimmer ein Fehler begangen worden ist. Das werden wir feststel- werden; das sollten Sie nicht falsch einschätzen. len und klären und dann ist dazu Stellung zu nehmen. Aber wenn versucht werden sollte – von wem auch im- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mer, von innen aus der Anstalt heraus oder von außen –, Ich engagiere mich bei diesem Thema seit vielen Jah- damit die Reformarbeit, die dort geleistet wird und die ren. Andere tun das auch; ich reklamiere da keineswegs zwingend notwendig ist, zu stoppen oder aufzuhalten einen Exklusivanspruch für mich. Ich sage Ihnen aber: oder zu diskreditieren, dann stehe ich dem entgegen. Die Lage der Ausbildung ist sehr differenziert zu sehen Deshalb habe ich überall deutlich zu machen ver- und sie verlangt sehr differenzierte Antworten. Es reicht sucht, auch bei den gegenwärtigen Veröffentlichungen, nicht, einen solchen Brief vorzulesen, der einen falschen dass Herr Gerster und seine Vorstandskollegen mein Eindruck erweckt. Darum geht es. Vertrauen haben und dass die Mitarbeiterinnen und Mit- Natürlich haben wir Probleme. Natürlich gibt es das arbeiter der Bundesanstalt meine Unterstützung haben. Problem, dass 10 000 junge Leute, die schon einen Aus- Es ist für sie nicht einfach, sich umzustellen. Dort müs- bildungsplatz hatten, inzwischen die Ausbildung schon sen und werden wirklich ein neues Denken und eine an- wieder abgebrochen oder teilweise den Ausbildungs- dere Vermittlungskultur Platz greifen. Das ist meine platz gar nicht angetreten haben. Es gibt gravierende fa- Antwort an Sie. miliäre, familienpolitische und gesellschaftliche Pro- Um es noch etwas konkreter zu sagen: Soweit ich zur- bleme. zeit informiert bin, hat Herr Gerster seinen Vorstand und den Verwaltungsrat und auch mich Anfang des Jahres (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (D) darüber informiert, dass er beabsichtigt, die Agentur zu Deshalb nutze ich von hier aus die Möglichkeit, wie beauftragen. Das war ein Satz, mit dem ich informiert ich das ständig tue, nicht wie Sie „Hört! Hört!“ zu rufen, worden bin. Herr Gerster hat durch seine Justizabteilung sondern an diejenigen zu appellieren, die ausbilden kön- bescheinigt bekommen, dass er den Auftrag freihändig nen und ausbilden wollen – auch an die Initiativen, von vergeben könne. Das ist mein Informationsstand. Das ist denen es Hunderte oder Tausende gibt –, in ihren Bemü- das eine, was man sehen muss. hungen nicht nachzulassen, damit wir in diesem Jahr die notwendige Zahl von Ausbildungsplätzen zusammenbe- Das andere ist dies: Dass jetzt die beiden Seiten sa- kommen. gen, man sollte vielleicht diesen Vertrag aufheben, hat natürlich damit zu tun, dass man sich der gegenwärtigen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kampagne stellen muss und dass man, wenn man Kom- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) munikationsarbeit leisten will, natürlich darauf angewie- Es wäre sehr gut, wenn das gelänge. Das würde viele an- sen ist, dass man nicht gegen eine öffentliche Wand dere Probleme lösen und viele Fragen beantworten. läuft, sondern dass man, wenn irgend möglich, Zustim- mung findet. Das würde jedes Unternehmen tun. Auch Zu Herrn Gerster. Auch da reagiere ich nicht dünn- diese PR-Agentur wird das tun. häutig, um das klar zu sagen. Wenn Sie sagen, dass wir Sie nicht loswerden, dann (Zuruf von der CDU/CSU: Och!) muss ich sagen, dass ich das befürchtet habe. Es wäre mir am liebsten, wenn wir alle die gegenwärtigen Rollen – Ich will Ihnen jetzt ja keine Charakteristik von mir ge- beibehalten würden. ben, wie ich wann reagiere. Ich will Ihnen nur sagen: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Erstens. Ich verteidige es und ich stehe dafür ein. Wenn Sie wollen, dass ich dazu Rede und Antwort stehe, Was das Loswerden ansonsten angeht, muss ich sa- stehe ich selbstverständlich jederzeit Rede und Antwort. gen: Sie werden uns natürlich auch nicht los, was unsere Herr Gerster wird aber morgen im Ausschuss für Wirt- Erwartung angeht, zu gemeinsamen Lösungen zu kom- schaft und Arbeit Rede und Antwort stehen. Wenn Sie men. Dazu müssen Sie sich bewegen und dürfen nicht wollen, dass ich irgendwo zu den Vorgängen Stellung ständig neue Bedingungen stellen, nach dem Motto: nehme: sehr gern. Wenn dieses nicht passiert, dann findet jenes nicht statt. – So wird man nicht zu Ergebnissen kommen. Zweitens. Dieser Vorstand hat eine gewaltige Auf- gabe. Das wissen auch Sie. Dieser Vorstand ist erst sehr (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6893

Bundesminister Wolfgang Clement (A) Meine dringende Bitte ist deshalb, dass sich beide Herr Gerster mit dem Argument, er sei dem Parlament (C) Seiten bewegen. nicht rechenschaftspflichtig, weil diese Zahlungen nicht aus Steuer-, sondern aus Beitragsmitteln erfolgt seien, Schönen Dank. die Aussage verweigert. Das unterstützt meine Forde- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rung, dass wir dringend eine Redemokratisierung der DIE GRÜNEN) Arbeitsmarktpolitik brauchen. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hans- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Joachim Fuchtel [CDU/CSU]) Das Wort hat der Kollege Dirk Niebel, FDP-Fraktion. Wir diskutieren Ihren Haushalt für Arbeitslosenhilfe und Steinkohlesubventionen. Aber der Bereich, in dem Dirk Niebel (FDP): wirklich die Musik spielt – das ist der Haushalt der Bun- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und desanstalt für Arbeit mit einem Volumen von Herren! Herr Minister Clement, ich habe zwar nicht von 53 Milliarden Euro –, ist dem Zugriff des Parlaments Anfang an mitgezählt, aber ich meine, Sie hätten in Ihrer gänzlich entzogen. Rede den Kollegen Kuhn von den Grünen mindestens siebenmal namentlich angesprochen, davon fünfmal in (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: werbender Form, dass er doch bitte Ihre Politik unter- Wollen Sie das denn ändern?) stützen möchte. Diese Redezeit hätten Sie sich sparen Dieser Haushalt wird nämlich vom Vorstand der Bundes- können. Sie werden nachher bei der namentlichen Ab- anstalt für Arbeit aufgestellt. Er wird festgestellt von den stimmung über die Erweiterung der Steinkohlesubventio- Selbstverwaltungsgremien, unter anderem von Frau nen um 16 Milliarden Euro feststellen, dass die Grünen Engelen-Kefer, und genehmigt von der Bundesregierung. sowieso zustimmen werden, weil sie keinerlei eigene Überzeugungen in diesen Politikfeldern haben. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht konsequent!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Parlament hat also keinen Einfluss. Wir sind tat- sächlich außen vor. Aber angesichts der hohen Summen Wir diskutieren in dieser Woche einen von Ihnen vor- und der Art und Weise, wie mit diesen Geldern umge- gelegten Haushalt, der dem Deutschen Bundestag von gangen wird, ist es skandalös und politisch in höchstem Anfang an vorsätzlich in verfassungswidriger Form zu- Maße instinktlos, wenn man hier nicht endlich zu einer geleitet worden ist. Auch der Haushalt Ihres Ressorts Redemokratisierung der Arbeitsmarktpolitik kommt. weist einige Gefahrenpotenziale auf. Ich möchte nur in (B) Erinnerung rufen, dass Sie auch in diesem Haushaltsjahr (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Herbert (D) sukzessive die Erwartungen bezüglich des Wirtschafts- Frankenhauser [CDU/CSU]) wachstums nach unten bis zu einer rot-grünen Null kor- Ich kritisiere die Auftragsvergabe, weil ich sie poli- rigieren mussten und dass die Zahlen der Arbeitslosen tisch für instinktlos halte und den Menschen angesichts doch höher waren, als Sie sie eingeschätzt haben. Auch der notwendigen Sozialreformen nicht vermittelbar ist, Ihre Prognose für das nächste Jahr leistet nur das, was was da passiert ist. Aber weil das Leben manchmal viel- man von einer Prognose erwarten kann, und hängt zu- schichtiger ist, frage ich nach: Wem nützt es denn? – dem unmittelbar von den politischen Rahmenbedingun- Wenn Sie sagen, der Reformprozess dürfe weder von au- gen ab, die wir in diesem Hause beschließen. ßen noch von innen angegriffen werden, dann wird diese Darüber hinaus haben Sie in Ihrem Haushalt immer Frage noch viel berechtigter. noch vorgesehen, die neue Leistung Arbeitslosengeld II in der dem Vermittlungsausschuss zugeleiteten Fassung, Der Bundeskanzler hat – wörtliches Zitat – seinen also mit allen haushälterischen Risiken, die das mit sich „besten Mann“ auf seine „wichtigste Baustelle“ ge- bringt, einzuführen. Dabei wissen Sie erstens gar nicht, schickt. Wenn ich aber sehe, dass er auf dieser Baustelle ob es das Gesetz überhaupt geben wird. Bei allem kon- gleich einzementiert worden ist zwischen dem Hauptper- struktiven Verhalten der Opposition hängt es auch sehr sonalrat, der kaum bereit ist, einer wirklichen Reform von Ihrer Bewegungsfähigkeit ab. Zweitens wissen Sie zuzustimmen, der paritätischen Selbstverwaltung zu je- nicht, unter welchen Voraussetzungen das Gesetz in weils einem Drittel aus Gewerkschaftsfunktionären, Ar- Kraft tritt. Denn die Diskussion der letzten Tage zeigt beitgeberfunktionären und denen, die, mit Frau Engelen- ganz deutlich: Die Bundesanstalt für Arbeit ist wahr- Kefer an der Spitze, ihre öffentlichen Hände meistens in scheinlich die ungeeignetste Institution, um diese neue den Taschen der Bürger haben, sowie einer SPD-Bun- Leistung zu administrieren. destagsfraktion, die die Reformwilligkeit nun wirklich nicht mit Löffeln gegessen hat, dann muss ich angesichts (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten eines Wustes von Gesetzen, Vorschriften und Verord- der CDU/CSU) nungen schon sagen, dass es für ihn sehr schwierig ist. Wir diskutieren hier heute also über nicht mehr und Die ersten kleinen Reformschritte haben dazu geführt, nicht weniger als über einen Haushalt für Arbeitslosen- dass die Gelder in der Weiterbildungsindustrie effizienter hilfe und Steinkohlesubventionen. Das bringt mich zu eingesetzt werden. Von diesen Reformbemühungen wirk- dem, was Sie vorhin angesprochen haben. In der letzten lich schmerzhaft getroffen wurde die Arbeitslosenindus- Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit hat trie. Die Deutsche Angestellten-Akademie – sie gehört 6894 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dirk Niebel (A) dem grünen Gewerkschafter Bsirske von Verdi –, das Konjunkturaufschwung in Aussicht. Das hat nicht nur (C) BFW des DGB – es gehört Frau Engelen-Kefer – und das damit zu tun, dass im nächsten Jahr länger gearbeitet Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft sind die größ- wird, weil Feiertage aufs Wochenende fallen, sondern ten Bildungsträger in der Bundesrepublik Deutschland. ausdrücklich auch mit der Reformpolitik der rot-grünen Es wundert mich daher nicht, dass es intern offenkundig Bundesregierung. eine große Anzahl von Personen gibt, die Herrn Gerster Sicher, keiner der vorgesehenen Schritte ist unum- entweder loswerden oder zumindest so beschädigen wol- stritten. Der Sachverständigenrat weist auf den imma- len, dass er ihnen nicht weiter wehtut. nenten Widerspruch der vorgezogenen Steuerreform Aber der Bundeskanzler wird ihn gar nicht fallen las- hin, bei hoher Staatsverschuldung und defizitärer Haus- sen können. Denn wenn einer seinen „besten Mann“ fal- haltslage die Steuern zu senken. Dennoch kommt er zu len lässt, dann fällt dieser ihm gleich auf die Füße. Ich dem Schluss, dass es vernünftig ist, diesen Schritt zu tun, bin sehr gespannt, wie es morgen weitergeht. weil hier Erwartungen aufgebaut worden sind – übrigens auch von der Opposition. Denn diese Position hatten Sie Vielen Dank. genau bis zu dem Zeitpunkt, als die Regierung be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schloss, die Steuerreform vorzuziehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: sowie bei Abgeordneten der SPD) Nächster Redner ist der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen. Ein solcher Positionswechsel von Schwarz auf Weiß ge- lingt einem sonst nur, wenn man gegen sich selber Schach spielt. Das tun Sie momentan im Vermittlungs- Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausschuss. NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Es ist offensichtlich wichtig, Zuversicht zu verbreiten. Niebel, nur keinen Neid, weil Sie in der Rede des Minis- Für viele ist entscheidend, dass sich überhaupt etwas be- ters nicht genannt worden sind! wegt. Sie merken, dass nichts mehr weitergeht, wenn al- les so weiterläuft wie bisher. Es geht um den Rückge- Es ist nicht nur Usus, sondern äußerst vernünftig, dass winn von Vertrauen, Zuverlässigkeit der Politik und wir bei der Debatte des Einzelplans 09 einen Ausblick sicherlich auch um Planungssicherheit, die in den letzten auf das künftige Wirtschaftsgeschehen geben und eine Jahren infrage stand. Bilanz des laufenden Wirtschaftsjahres ziehen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist zum siebten Mal in Wir bewegen uns jetzt aus der Stagnation heraus. (B) Folge gestiegen. Auch das ist ein deutliches Zeichen, (D) Diese Wirtschaftsflaute war nicht nur ein deutsches Phä- dass dieses Vertrauen sich langsam wieder aufbaut. Si- nomen. Sie hatte den gesamten europäischen Raum er- cher, diese Konjunktur bekommt ihren Treibstoff vor al- fasst. Ich erinnere an den Irakkrieg, an die SARS-Epide- lem aus Übersee und wir hoffen, dass der Binnenmarkt mie und an die Unsicherheiten der amerikanischen und ebenfalls anspringt. Hier macht mir weniger der Stabili- der japanischen Konjunktur, die den Attentismus der In- tätspakt als vielmehr das Leistungsbilanzdefizit der USA vestoren und die Zurückhaltung der Verbraucher ver- Sorgen. Wir wissen genau, dass die Märkte es mögli- stärkt haben. cherweise sehr schnell durch eine deutliche Abschwä- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Warum chung des Dollars korrigieren werden. Dann haben wir nur in Deutschland?) beim Export ein Problem. – In Deutschland besonders stark. Aber wir haben auch Die Aufregung um den europäischen Stabilitätspakt seit 1990 besondere Bedingungen zu schultern. ist eigentlich nicht zu verstehen, weil es sich internatio- nal durchaus bewährt hat, in der Geld- und Finanzpolitik (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schlechte antizyklisch zu handeln. Im Übrigen haben die Geld- Regierung!) und Finanzmärkte sehr cool darauf reagiert. Der Euro ist Herr Austermann, Sie wissen das bestens. Sie plagen stabil geblieben. Im Stabilitätspakt sind im Übrigen auch sich damit im Haushaltsausschuss herum. Wir haben uns solche Möglichkeiten vorgesehen. Die Haltung von darüber oft genug unterhalten. Pedro Solbes, dem Währungskommissar, ist kaum nach- vollziehbar, der ja, Herr Austermann, immer wieder da- Mittlerweile ist Deutschland wieder Exportweltmeis- rauf hinweist, dass wir infolge der deutschen Einheit ter. Aber Ihnen, Herr Austermann, genügt das offenbar besondere Lasten zu tragen haben, die eine Ausnahme- nicht. Sie möchten auch Weltmeister im Lamentieren behandlung rechtfertigen. Wenn wir diese aber in An- werden. Dieses Nationaltheater der Selbstzerfleischung, spruch nehmen, reagiert man plötzlich restriktiv. Das in dem man die Wirtschaftsbelebung klein- und den passt irgendwie nicht zusammen. Standort schlechtredet, bringt uns überhaupt nicht wei- ter, sondern macht uns zunehmend zu schaffen. Dennoch ist Vorsicht geboten, weil es doch sehr frag- würdig ist, ob allein ein wirtschaftlicher Aufschwung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alle Probleme lösen kann. Es gibt noch sehr viele, die und bei der SPD) diesen Glauben an den Wirtschaftsaufschwung haben. Sowohl die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute Ich empfehle Ihnen, sich im Jahresgutachten das Kapitel als auch der Sachverständigenrat stellen einen deutlichen zur Entwicklung des Produktionspotenzials anzu- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6895

Werner Schulz (Berlin) (A) schauen. Wir haben seit etwa 15 Jahren einen Rückgang wird den sozialen Frieden in diesem Land kräftig schädi- (C) des Potenzials – gemeint ist das Anlagenpotenzial, das gen. Die Bereitschaft zur Flexibilität bei den Gewerk- Humankapital sowie Forschung und Entwicklung – zu schaften ist wesentlich höher, als durch die öffentliche verzeichnen. Diesen Trend werden wir nicht durch kurz- Stigmatisierung ständig unterstellt wird. Die Gewerk- fristige Konjunkturimpulse auffangen können. Diese schaftsvertreter wissen auch, dass die Berechtigung der sehr interessante Analyse muss uns zu ganz anderen Tarifverträge in der Flexibilität liegt. Es gibt diese be- Schlussfolgerungen führen, nämlich dazu, dass wir trotz trieblichen Bündnisse für Arbeit. Die Frage ist nur, ob der relativ geringen durchschnittlichen Wachstumsraten, sie von oben, von der Politik, verkündet werden oder ob die wir übrigens seit Jahrzehnten haben, eine hohe Be- sie unten zustande kommen und damit Tragfähigkeit be- schäftigungsquote erreichen müssen. Das wird die große weisen. Aufgabe sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein, wir brauchen mehr Wachstum!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Das ist ein Schwerpunkt, den wir auch auf der Agenda Herr Kollege Schulz, gestatten Sie eine Zwischen- wesentlich weiter nach vorn rücken müssen. Hier gibt es frage des Kollegen Thiele?` enorme Potenziale. Ich denke vor allen Dingen an die Po- tenziale in der Material- und Energieökonomie. Es ist Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- relativ einfach, Leute zu entlassen, also die Kosten in den NEN): Betrieben durch Personalabbau zu reduzieren. Ein Top- Ja. manager hat unlängst gesagt: Wer so etwas tut, lässt Rückschlüsse auf das schlechte Management zu. Carl-Ludwig Thiele (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herzlichen Dank, Herr Kollege Schulz. – Sie haben auf Versäumnisse in der Vergangenheit hingewiesen, Die Wirtschaftsinstitute haben ausgerechnet, dass das wobei Rot-Grün jetzt schon fünf Jahre an der Regierung Potenzial, das in der Material- und Energieeffizienz ist. Es geht nicht immer nur um die Bewältigung der liegt, etwa 180 Milliarden Euro ausmacht. Diesem Kapi- Vergangenheit, sondern auch um die Gestaltung der Zu- tel werden wir uns nähern müssen. kunft. Oder schauen wir uns die Lohnnebenkosten an. Ich (Dr. [SPD]: Natürlich!) empfehle Ihnen, sich bei der Auseinandersetzung mit nicht nur mit den Punkten zu beschäfti- Am Ende der Debatte werden wir über einen Ände- (B) gen, für die ihm offenbar das Gespür fehlt, sondern auch rungsantrag der FDP eine namentliche Abstimmung (D) damit, wo er die wunden Punkte trifft. In der letzten durchführen. Im Haushaltsplan des Wirtschaftsministers Sonntagsausgabe der „FAZ“ hat er zum Beispiel gesagt, wurde in Bezug auf diesen Punkt in der Ziffer 5 der ver- das Sozialbudget sei überproportional erhöht worden. bindlichen Erläuterungen festgehalten, dass für den Eine Folge daraus sei der Weg in die Verschuldung, vor deutschen Steinkohlebergbau im Zeitraum 2006 bis allem aber hätten wir die Abgaben auf Arbeit drastisch 2012 bis zu 15 870 Millionen Euro, also fast 16 Milliar- erhöht. Allein vier Prozentpunkte des Gesamtbeitrages den Euro, zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein Zu- zur Sozialversicherung seien auf die systemwidrige Fi- kunftsprojekt. nanzierung der Folgen der deutschen Einheit zurückzu- (Franz Müntefering [SPD]: Wo ist denn jetzt führen. Wenn wir über Patriotismus reden, sollten wir die Frage?) uns diesen großen Brocken vornehmen. Ich höre Stimmen aus den Reihen von Rot-Grün, dass Ich frage Sie: Wo ist eigentlich der Beitrag des natio- sie diese Regelung so nicht mittragen wollen. Ich frage nalen Kapitals in unserem Land geblieben, dessen Pul- Sie: Wie stehen Sie zu dem Antrag der FDP? Die Aus- ver in den 90er-Jahren unter der Kohl-Regierung noch rede des Kollegen Kuhn, dies sei gesperrt, ist nicht zu- durch hochrentierliche Staatsanleihen vergoldet worden treffend. ist? Darüber sollten wir kritisch diskutieren. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Doch! Das stimmt!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das wird aber lang- Es steht im Haushaltsplan, dass die Verpflichtungser- sam fad! Sie sind seit fünf Jahren dran!) mächtigung gesperrt ist. Die Verpflichtungsermächti- gung hat aber nichts damit zu tun; denn dies ist nach den – Nein, Sie haben uns riesige Probleme hinterlassen. Das Verpflichtungsermächtigungen und nach der Sperre als ist das Problem. verbindliche Erläuterung des Haushaltstextes angege- ben. Ich möchte Sie vor allen Dingen davor warnen, den Vermittlungsausschuss zu missbrauchen, die Tarifauto- (Franz Müntefering [SPD]: So ein Quatsch!) nomie aufzubrechen, was Sie offensichtlich vorhaben. Was ich von dem Kollegen Brüderle höre – Tarifkartell Ich möchte wissen, wie die Grünen zu dieser verbind- kaputtmachen oder Einbruch in die Tarifautonomie –, lichen Erklärung stehen. Das wird auch die Öffentlich- keit interessieren. Sie machen es sich immer sehr ein- (Rainer Brüderle [FDP]: Beirat!) fach, wenn Sie sagen: Wir stimmen dem nicht zu, was 6896 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Carl-Ludwig Thiele (A) die SPD macht. – Wir zwingen Sie heute durch die Ab- Eine große Aufgabe ist – das haben Sie angespro- (C) stimmung über diesen Antrag, Farbe zu bekennen. Aber chen –, die Folgekosten der Steinkohleproduktion in vorher interessiert mich, mit welcher Begründung Sie Deutschland zu ermitteln. Darum bemühen wir uns. Wir dem Antrag der FDP zustimmen werden. Denn anders haben diesen Sperrvermerk vorgesehen. Daran arbeiten können Sie gar nicht vorgehen, wenn Sie 16 Milliarden wir, weil wir wissen, dass in Deutschland die Zukunft Euro von 2006 bis 2012 für die Steinkohle nicht bereit- der Energie nicht unter Tage liegt. Diese Idee wird von stellen wollen. uns schon seit langem in der Politik verfolgt. Wir haben alles dafür getan, dass die erneuerbaren Energien und die (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Photovoltaik einen Schub bekommen. Was in den letzten Zeitschinderei ist das hier! – Franz Jahren in dieser Richtung geleistet worden ist, ist enorm. Müntefering [SPD]: Ab ins Haus der Ge- Trotzdem werden Sie es nicht schaffen, mit einem Hand- schichte!) schlag die Steinkohleproduktion in Deutschland einfach zu beenden, so wie Ihnen das vorschwebt. Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das will ja auch keiner!) Herr Kollege Thiele, ich freue mich darüber, dass sich nun auch die FDP ernsthaft vorgenommen hat, die Stein- Das entscheidende Problem, das wir bei der Arbeitslo- kohlesubventionen zurückzufahren. Das ist löblich. sigkeit haben, ist die geringe Qualifizierung. Die meis- ten Arbeitslosen haben eine mangelhafte oder gar keine (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Qualifizierung. Das ist ein Problem, das wir durch ver- Das haben sie ja früher nicht gekonnt!) stärkte Investitionen in Bildung und Umschulungen lö- Ihr Antrag ist aber ein Vorführantrag. Solche Vorführan- sen müssen. Die Vorschläge zum Niedriglohnsektor, wie träge kenne ich zur Genüge: Sie werden im Grunde ge- Sie sie vorgelegt haben, oder der Vorschlag, den Roland nommen nur zu dem Zweck geschrieben, um die Partner Koch gemacht hat, der glaubt, mit Stundenlöhnen von der Regierungskoalition in Verlegenheit zu bringen. 2,50 Euro die Textilindustrie aus Asien nach Deutschland zurückbringen zu können, sind der falsche Weg. Das wird Ihnen bei uns nicht gelingen. Wir haben in dieser Frage seit vielen Jahren einen festen Standpunkt Dazu gehört auch, zu sagen, wo der Rest des Einkom- und kämpfen sehr energisch dafür, die Steinkohlesub- mens herkommen soll, dass man in Deutschland mit ei- ventionen zu reduzieren. Das ist unglaublich schwierig. ner solchen Tätigkeit leben kann. Wenn die Orientierung Sie helfen uns nicht, indem Sie immer wieder das legen- auf den globalen Wettbewerb so aussieht – rumänische däre Beispiel bringen – Herr Brüderle hat das heute wie- Facharbeiterlöhne, amerikanische Vorstandsbezüge und (B) der genannt –, dass den Steinkohlekum- chinesisches Arbeitsrecht –, bringt uns das mit Sicher- (D) peln angeblich zur Hilfe geeilt sein soll. heit nicht weiter, sondern erhöht im Gegenteil die sozia- len Spannungen. (Rainer Brüderle [FDP]: Natürlich!) Wir sind uns sicher und verfolgen den Weg, dass der Ich war glücklicherweise dabei, als die Kumpel in gesellschaftliche Wandel in unserem Land mit Sicherheit demonstriert haben. Wir haben uns ihre Sorgen angehört, und vor allen Dingen mit sozialer Gerechtigkeit gestaltet weil sich das für Vertreter der Politik einfach gehört. werden muss. (Rainer Brüderle [FDP]: Aufhetzen tut ihr! Ich danke Ihnen. Hetze war das!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich hätte mir nur gewünscht – das ist die andere Seite und bei der SPD) der Medaille, Kollege Brüderle –, dass Ihr Kollege Rexrodt zu der Zeit, als er Wirtschaftsminister war, den Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Kohlepfennig, der von den Verbrauchern bis dahin zur Ich gebe dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele das Wort Steinkohlesubvention aufgebracht werden musste, abge- zu einer Kurzintervention. schafft hätte, anstatt ihn für den Staatshaushalt zu nut- zen. Sie haben die Steinkohlesubventionen doch erst (Franz Müntefering [SPD]: Er kann ja noch ei- noch hochgefahren! Das war die Politik der FDP. nen Antrag stellen!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Gudrun Carl-Ludwig Thiele (FDP): Kopp [FDP]: Wie votieren Sie denn nun? – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich kann hier nur fest- Weiterer Zuruf des Abg. Rainer Brüderle stellen, dass die FDP beantragt hat, die Streichung dieser [FDP]) nicht ordnungsgemäß beschlossenen Erklärung, die durch einen Umdruck ins Haushaltsverfahren einge- – Das ist Tatsache, Kollege Brüderle. Sie müssen sich bracht worden ist, zur namentlichen Abstimmung zu nur schlau machen. Ich weiß aber nicht, ob das bei Ihnen stellen, und dass ich auf die Frage, wie die Grünen votie- noch geht. ren werden, keine Antwort vom Kollegen Schulz erhal- ten habe. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lohnt sich nicht mehr bei Herrn Brüderle! (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Anja Auslaufmodell!) Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6897

Carl-Ludwig Thiele (A) können Sie nachher bei der Abstimmung se- gensteuer oder sonstige Dinge diskutieren, brauchen Sie (C) hen! Das ist ganz einfach!) sich überhaupt nicht zu wundern, dass die Banken nur wenige Chancen haben, sich gut zu refinanzieren, weil Ich finde es bedauerlich, dass unser Antrag, eine kon- ihnen die Substanz entzogen wird. krete Passage des Haushaltsgesetzes, welches wir heute beraten und über dessen Einzelpläne wir einzeln abstim- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. men, zu streichen, als Schaufensterantrag bezeichnet Rainer Brüderle [FDP]) wird. Das ist kein vernünftiger Umgang mit einem Ge- Zweitens. Ihre Gesetze und Vorschläge sind sehr kurzle- setz, das Sie ja immerhin wollen. Das ist kein Schaufens- big. Deshalb fehlt die Verlässlichkeit, die ein wesentli- terantrag, sondern ein sehr konkreter Antrag. ches Element ist, um Vertrauen zu erwirtschaften, wel- Die Sperre – ich sage das hier noch einmal, weil diese ches Voraussetzung für ein größeres Engagement ist. Ausflucht überhaupt nicht gelten kann – bezieht sich auf Drittens. Durch die Rekordpleitenwelle wird den kleine- die Verpflichtungsermächtigung. Die Verpflichtungser- ren Banken die Substanz dafür entzogen, dass sie sich mächtigung hat aber nichts mit der verbindlichen Erklä- dort weiter engagieren können. rung zu tun. In der verbindlichen Erklärung wurde zuge- Bringen Sie das alles in Ordnung! Dann können Sie sagt, dass die deutsche Steinkohle zwischen 2006 und über dieses Thema wieder ernsthaft mitsprechen. 2012 mit weiteren 16 Milliarden Euro gefördert werden soll. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Minister Clement, wenn ich mich richtig erin- der CDU/CSU) nere, sind Sie mal als Superminister geholt worden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Man hat Ihnen wirk- Das finde ich skandalös: Wir beraten hier einen Haushalt lich sämtliche Kompetenzen gegeben, damit Sie diese und die Bundesregierung erklärt, sie könne nicht mehr Aufgabe angehen können. sparen. Bei der Bildung, der Forschung und in anderen Bereichen fehlen Gelder und hier kommt es zu einer (Wolfgang Clement, Bundesminister: Ja!) Vorfestlegung der Bundesregierung, nach der in sechs – Ich sehe, Sie bestätigen das. Aber ich muss Sie fragen: Jahren 16 Milliarden Euro gezahlt werden. Das ist nicht Was haben Sie daraus gemacht? vermittelbar. Deshalb muss hierzu eine namentliche Ab- stimmung stattfinden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nichts!) Ich bitte diejenigen, die nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft unseres Landes investieren wol- Eine Rekordarbeitslosigkeit haben Sie daraus gemacht, (B) len, dieser Streichung zuzustimmen. Um es deutlich zu obwohl Sie alle Kompetenzen besitzen, um entspre- (D) sagen: Mit der Streichung würde noch nicht festgelegt chend durchzugreifen. Leider sind Sie mit Ihrem Etat werden, was in dem Zeitraum passiert. Dass hier von nur bei der Schuldenmacherei Superminister. heute auf morgen nicht alles auf null gefahren werden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kann, ist auch für uns Liberale vollkommen klar. Wie Rot-Grün aber in der heutigen Situation dazu kommt, Am Anfang dieses Jahres hat man festgelegt, dass es diese Zahlen für verbindlich zu erklären, ist mir unbe- keine neuen Zuschüsse für die Bundesanstalt für Ar- greiflich. Das halte ich für skandalös. Wir hoffen, dass beit gibt. Als es dann anders kam, hat man dies mit dem der eine oder andere von Rot-Grün dieser Argumenta- Hartz-Konzept verteidigt. Der Kollege Kröning lächelt tion in der namentlichen Abstimmung folgen wird. ein wenig; er kennt offensichtlich einige Interna. Der Kollege Schulz hat selbst im Ausschuss angemahnt, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten es zu einem Argumentationsbruch bei der Koalition der CDU/CSU) kommen könnte. Am Ende des Jahres wurde nicht mehr das Hartz-Konzept als Argument für die Zuschüsse an- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: geführt, auf einmal war die schlechte Konjunktur aus- Herr Kollege Schulz verzichtet auf eine Erwide- schlaggebend. Wer soll einem solchen Wirtschaftsminis- rung. – Der Kollege Hans-Joachim Fuchtel, CDU/CSU- ter noch glauben? Wer soll dessen Argumente und Fraktion, hat das Wort. Zahlen noch ernst nehmen? Wer erwartet von diesem Wirtschaftsminister noch die Verlässlichkeit, die not- (Beifall bei der CDU/CSU) wendig ist, um die Wirtschaft in Gang zu bringen?

Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Das Problem ist: Der Haushalt dieses Arbeits- und Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Fast je- Wirtschaftsministers beinhaltet Risiken von mehreren der Redner der Koalition hat die Verpflichtung der Haus- Milliarden Euro. Darüber ist heute gar nicht gesprochen banken angemahnt. Diese sollen mehr tun, um die Wirt- worden. Am Ende des Jahres werden Sie mit einem un- schuldigen Augenaufschlag wieder ein paar Milliarden schaft zu fördern. Aus dem Mund von Rot-Grün kann Euro für die Bundesanstalt für Arbeit überweisen. Das man das nicht mehr akzeptieren. hilft niemandem. Am wenigsten hilft es den nächsten (Beifall bei der CDU/CSU) Generationen. Um sie müssen wir uns sorgen. Für sie müssen wir Politik machen. Ich nenne drei Argumente – man könnte noch viel mehr nennen –: Erstens. Kapital ist so scheu wie ein (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Reh. Solange Sie ständig über Erbschaftsteuer, Vermö- der FDP) 6898 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Hans-Joachim Fuchtel (A) Die zu erwartenden Einspareffekte sind nicht so Was hilft es, die Statistik zu schönen? Herausgekommen (C) spektakulär, wie sie manchmal dargestellt werden. Man sind trotz dieser Veränderungen bei der Statistik nur im- könnte fast den Eindruck gewinnen, dass das Rad neu er- mer mehr Arbeitslose. Wie wir nun hören und lesen, funden worden ist. Ich kann Ihnen, ohne zu tief einstei- wollen Sie damit nächstes Jahr weitermachen. Wir wer- gen zu müssen, sagen: Mit der Union wären diese Ein- den uns zu gegebener Zeit dazu äußern. sparungen schon vor einigen Jahren erzielt worden. Die einzig wirkliche Veränderung war die Einführung Wenn wir dies getan hätten, wären wir heute weiter. der Minijobs. Dafür aber haben Sie im Vermittlungsaus- (Beifall bei der CDU/CSU – Fritz Kuhn schuss die Vorgaben von Union und FDP benötigt, um [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben eine wirkliche Wende herbeizuführen. Deswegen, Herr Sie doch selber nicht! – Lachen bei Abgeord- Minister Clement, sollten Sie nicht so arrogant auf das neten der SPD) reagieren, was der Kollege Merz gesagt hat. Ein politi- scher Kompromiss ist immer das Ergebnis politischer – Sie lachen, Herr Brandner – wie immer! 4,5 Millionen Möglichkeiten. Wenn die Union der Meinung ist, dass Arbeitslose, das kann Sie offenbar nicht erschüttern. Deregulierung ein entscheidender Schritt auf dem richti- (Klaus Brandner [SPD]: Sie haben uns fast gen Weg ist, dann sollten Sie das nicht einfach oberleh- rerhaft wegwischen, sondern dies als Anregung verste- 5 Millionen Arbeitslose hinterlassen!) hen, über die man ernsthaft verhandeln kann. Nur so Sie sollten über diese Dinge ein wenig ernster mit uns kann man zu Kompromissen kommen. sprechen. Was muss denn noch alles in diesem Land ge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) schehen, damit Sie mit Ihrer arroganten Art aufhören? Dann ist noch einiges zur Bundesanstalt für Arbeit (Beifall bei der CDU/CSU) zu sagen. Sie haben doch die Zumutbarkeitsregeln wieder zu- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh, jetzt wird rückgeschraubt es teuer!) (Klaus Brandner [SPD]: Zu Recht!) Zunächst einmal: Es ist nicht so gewesen, dass der Herr und dann vier Jahre nichts getan. Erst jetzt fangen Sie Minister und sein Staatssekretär überrascht wurden. Man mit ersten Maßnahmen an. Das ist zu wenig, um wirklich hat uns trotz dreimaliger Intervention dreimal abblitzen lassen und uns keine Information gegeben. Wenn gestern erfolgreich zu sein. in der Zeitung zu lesen war „Clement wundert sich über (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gerster“, dann ist die Information falsch. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (B) (Wolfgang Clement, Bundesminister: (D) Fuchteln Sie doch nicht so herum!) Richtig!) Ein anderes Stichwort sind die Meldekontrollen. Sie Ihr Haus hat alle diese Dinge vorher gewusst. Sie sollten haben diese Meldekontrollen bis aufs Messer bekämpft. das zugeben und sich nicht davonstehlen, Jetzt brauchen Sie zur Umsetzung dieser Maßnahme viel Personal. Trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit auf Re- ( [SPD]: Hat er doch gar nicht!) kordniveau. Das können wir doch nicht als Leistung an- wie Sie es gerade mit Ihrer Zwischenintervention ver- erkennen. sucht haben, in der Sie gesagt haben, das habe die (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rechtsabteilung geprüft und da diese das für gut emp- Sie platzen ja gleich!) funden habe, hätten Sie keine Einwände erhoben. – Herr Kuhn, Sie waren doch damals noch im Landtag. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Er hat offen- Sie können gar nicht mitreden. sichtlich keine Kenntnis, was in seinem Hause läuft!) Damals hat bei Ihnen jede Leistungseinschränkung Wir haben bei anderer Gelegenheit – da ging es um ein sofort eine Grundsatzdiskussion über Armut in Deutsch- europäisches Thema – schon einmal feststellen müssen, land ausgelöst. Jetzt gelten bei Ihnen diese Argumente dass Ihr Haus informiert war, woraufhin schließlich ein nicht mehr. Nun ist es an uns, sich der Armen in diesem Staatssekretär gehen musste. Lande stärker als bisher anzunehmen. Das ist die Wahr- heit. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich bis jetzt noch nicht über diese Bundesanstalt gewundert haben, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dann nehmen Sie noch einige Punkte mit, über die Sie Die Union ist die Partei, die die soziale Marktwirtschaft sich künftig noch mehr wundern können. Mir ist ein In- verteidigt, weil Sie mit Ihren Maßnahmen das soziale serat der Bundesanstalt für Arbeit in die Hand gefallen. Gleichgewicht durcheinander bringen. Es ist ordentlich groß; man könnte denken, sie suche ei- nen Generaldirektor. Sie sucht aber einen Universitäts- Ich frage Sie: Was ist das für eine Leistung, wenn absolventen, nämlich einen Diplom-Informatiker. Wir man die Bundesanstalt für Arbeit auf jetzt 90 000 Mitar- haben 4,5 Millionen Arbeitslose. Trotzdem muss die beiter aufbläht? Bundesanstalt für Arbeit eine Agentur einschalten, (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist Sie sollten nicht von aufblähen reden!) unglaublich!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6899

Hans-Joachim Fuchtel (A) die ein Inserat in der Zeitung aufgibt, mit dem ein Di- Klaus Brandner (SPD): (C) plom-Informatiker gesucht wird. Wo ist die Kompetenz Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten, dieser Behörde, in der so etwas vorkommt? Es sind an lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade ge- die 10 000 Euro, die alleine für dieses Inserat ausgege- dacht, als ich Ihre Rede überstanden hatte: Viele Pfunde ben werden. am Pult, aber wenig Gewicht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD – Dietrich Austermann Dafür müssen 300 Beitragszahler ihren Monatsbeitrag [CDU/CSU]: So viel wiegen Sie doch gar abliefern. Ich habe versucht, dies einmal in Gedichtform nicht!) zu kommentieren: „Bei schlechter politischer Figur be- schäftigen wir eine Agentur.“ So kommt mir das vor. Die wirtschaftliche Lage ist schwierig, das wissen wir, aber unser Minister hat gesagt, wir können sie Der Kollege Kröning hat hier zwar als Berichterstat- schultern. Das ist so. Die Opposition diskutiert, als wenn ter im wahrsten Sinne des Wortes Bericht erstattet – in- sie die Veränderungen des letzten halben Jahres über- sofern möchte ich ihn in Schutz nehmen; auch das muss haupt nicht mitbekommen hätte. Merz spricht von in einer Haushaltsdebatte noch möglich sein –, nicht schweren Verstimmungen, es wird ihm angst und bange. aber über den Öffentlichkeitsetat. Lieber Kollege Dabei ist die Stimmung in diesem Land deutlich besser, Kröning, warum sind Sie denn eigentlich über diese als Sie uns glauben machen wollen. Position hinweggeglitten? Das ist doch sonst nicht Ihre Art. Wenn unsere Partei betroffen gewesen wäre, hätten (Beifall bei der SPD) Sie eine halbe Stunde darüber referiert und eine Verlän- Um es deutlich zu sagen: Der Ifo-Index ist vorgestern gerung der Redezeit verlangt. zum achten Mal in Folge angestiegen. Die Beurteilung (Volker Kröning [SPD]: Habe ich klar der wirtschaftlichen Lage ist zum zweiten Mal positiv, erwähnt!) das heißt: Festigung der konjunkturpolitischen Erwar- tungen. Auch die realwirtschaftlichen Indikatoren zei- Dieses Ministerium hat sich im Bereich der Öffent- gen nach oben. Im dritten Quartal verzeichneten das lichkeitsarbeit einen Mittelaufwuchs von 300 Prozent Bruttoinlandsprodukt ein Plus von 0,2 Prozent und die genehmigt. Auftragseingänge der Industrie ein Plus von 1,2 Prozent. (Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das zeigt: Deutschland ist auf gutem Weg und wir soll- ten aus pessimistischen Debatten herauskommen. Nur macht man es da etwas anders als die anderen; man sagt einfach: Das Hartz-Konzept erfordert eine eigene Dass Deutschland auf gutem Weg ist, hat auch der (B) Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. Kanzler in New York zu spüren bekommen, als die Top- (D) manager wichtiger US-Unternehmen ihm verkündeten: (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das gibt Germany is back. es doch nicht!) Dafür allein werden 15 Millionen Euro im Jahr ausgege- (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter ben. Wenn Sie nicht sensibel genug sind, um zu merken, [CDU/CSU]: Das ist die anglizistische Form dass das Volk von einer solchen Politik langsam genug von Patriotismus gewesen!) hat, dann tun Sie uns Leid. Hören Sie auf, eine solche Auch die neue Chip-Fabrik in Dresden ist ein gutes Zei- Politik zu machen, damit die politische Landschaft nicht chen. Ihr Schlechtreden nutzt dem Lande nicht, sondern noch mehr an Vertrauen verliert. Machen Sie mit uns schadet eher. Sie führen uns Wirklichkeitsverweigerung Sachpolitik und versuchen Sie nicht, den abgeplatzten vor; mit geschlossenen Augen kann man keine Politik Lack durch zusätzliche Kosmetik zulasten der Steuer- für die Zukunft gestalten. zahler zu polieren. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) In dem Sinne hoffe ich, dass Sie nach dem Erlebnis mit Herr Brüderle bezog sich in diesem Zusammenhang Gerster wenigstens in diesem Bereich etwas mehr Sorg- auf die letzten OECD-Studien. Die Ticker meldeten falt walten lassen. gerade gestern erst: OECD sieht Konjunkturwende, Deutschland vor verhaltenem Aufschwung, Lob für Vielen Dank. Strukturreformen der Bundesregierung. – Das ist die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Wahrheit, Herr Brüderle. neten der FDP) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas über das Defizit 2005!) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Nächster Redner ist der Kollege Klaus Brandner, Weiter heißt es in dieser Meldung: SPD-Fraktion. „Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagt OECD- (Franz Müntefering [SPD]: Jetzt kommt wie- Ökonom Eckhard Wurzel. „Ein Vorziehen der Steu- der etwas Gescheites! – Steffen Kampeter erreform auf das nächste Jahr könnte der Konjunk- [CDU/CSU]: Die IG Metall muss jetzt auch et- tur ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkte brin- was sagen!) gen.“ 6900 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Klaus Brandner (A) Übernehmen Sie endlich Verantwortung, beenden Sie gezeigt haben. Ihr Verhalten war jedenfalls aus meiner (C) Ihre Blockadepolitik! Damit helfen Sie den Menschen Sicht jämmerlich. und ganz besonders der Wirtschaft in unserem Land. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ CSU]: Der ist kein Gewerkschaftler, der ist Für den Mittelstand ist das Vorziehen der Steuer- Oberlehrer! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: reform ein eminent wichtiger Schritt. Allein der Mittel- Es ist eine Frechheit, was Sie hier sagen!) stand würde in einer wirtschaftlich schwierigen Situation um 10 Milliarden Euro entlastet. Das ist ein klares Si- Nun haben Sie angemahnt: „Ein Jahr Clement, jeden gnal für weniger Steuern, mehr Investitionen und mehr Monat eine neue Reform!“ Wann hat es eigentlich mehr Beschäftigung. Das muss die Botschaft der Zeit sein. Reformen gegeben als in diesem Jahr, wann sind mehr Reformen auf den Weg gebracht worden? Wir müssen mit der Steuerreform dem Mittelstand die Gelegenheit geben, seine Eigenkapitaldecke zu stärken. Ich habe den Eindruck, Sie haben die Übersicht verlo- Das bringt Sicherheit auch in schwierigen Zeiten und ren. Wenn Sie nicht den Reformprozess in wesentlichen wird dazu beitragen, dass die Insolvenzquote in diesem Punkten – zum Beispiel das Gesetz zur Novelle im Land deutlich gesenkt werden kann. Ich frage mich, wa- Handwerk und das Kleinunternehmergesetz – blockieren rum Sie die Signale nicht hören: Die Führungskräfte in würden, unserem Land haben sich gestern zu Wort gemeldet und (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nennen Sie uns gesagt, sie erwarteten von der Union jetzt endlich ein wenigstens ein Vorhaben, das überzeugt!) Einlenken zum Vorziehen der Steuerreform. Recht haben sie; dort versteht man mehr von Wirtschaft als Sie mit dann würde die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Ihrer taktikbezogenen Politik. Jahr noch besser verlaufen, als es bedingt durch die poli- tischen Veränderungen, die durch unsere Politik einge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten leitet worden sind, ohnehin der Fall ist. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter Die Prognosen der Bundesregierung für das Wirt- [CDU/CSU]: Das haben Ihnen doch Ihre Ge- schaftswachstum 2004 liegen bei 1,7 Prozent. Das ist werkschaftssekretäre aufgeschrieben!) aus meiner Sicht im unteren Schätzspektrum; internatio- nale Banken gehen von höheren Werten aus. Deshalb Wir wissen, dass wir unser Land nur durch Innova- können wir zu Recht annehmen, dass Deutschland im tionen nach vorne bringen können. Notwendig ist eine hohe Konzentration auf Innovationen. Trotz aller Spar- (B) nächsten Jahr im Mittelfeld der EU-Wachstumsraten lie- (D) gen wird. anstrengungen haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung im Haushalt erhöhen können. Auch Exis- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war tenzgründer und der Mittelstand werden stärker geför- vor einem Jahr genauso und vor zwei und drei dert als im Vorjahr. Unser Ziel ist es, eine Gründungs- Jahren auch!) welle auszulösen. Der Arbeitsmarkt folgt der positiven Entwicklung wie (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben nur üblich mit Verzögerung. Schon jetzt sind die ersten Si- eine Pleitewelle ausgelöst! Das ist das Pro- gnale deutlich zu vernehmen. Im Oktober gab es saison- blem! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sa- bereinigt 12 000 Arbeitslose weniger. Das bestätigt, dass gen Sie einmal etwas zu den 41 000 Pleiten!) die Maßnahmen, die wir durch Hartz I und II auf den Wir wollen den Aufbruch hin zu einem stärkeren Unter- Weg gebracht haben, greifen. Diese Zahlen spiegeln sich nehmergeist erreichen. In diesem Zusammenhang muss auch im Haushalt des Bundesministeriums für Wirt- Herr Merz zur Kenntnis nehmen, dass zwar die Beschäf- schaft und Arbeit wider, tigung auf der Stelle tritt, (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Waren das (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Auf der die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr?) Stelle tritt? 600 000 weniger!) in dem zum Beispiel der Bundeszuschuss in Höhe von dass aber die Zahl der Existenzgründungen steigt. Das 7 Milliarden Euro in 2003 auf 5,2 Milliarden Euro in ist unser Ziel: Wir wollen in diesem Land die wirtschaft- 2004 reduziert wird. liche Dynamik erhöhen. Die Strukturreformen wirken und weisen auch in der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Haushaltsdebatte in die richtige Richtung. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Damit unterstützen wir die Innovation in der deutschen DIE GRÜNEN) Wirtschaft. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Dank an un- Auch mit den Ich-AGs haben wir – wie Sie zu Recht seren Haushälter richten, der zwar nicht so spaßig wie festgestellt haben – sehr erfolgreich Veränderungen auf Herr Fuchtel vorgetragen hat, dafür aber sehr konkret den Weg gebracht und das Unternehmertum aus kleinen war. Ich hatte während seiner sachlich vorgetragenen Verhältnissen nach vorne gebracht. Wir haben damit un- Rede den Eindruck, dass Sie sich arrogant und dumm ter anderem das hervorragende Potenzial zur Innovation Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6901

Klaus Brandner (A) in unserem Land genutzt, um mehr Beschäftigung zu Ich baue darauf, dass die Opposition im Vermittlungs- (C) schaffen, den Verbrauchern mehr und bessere Produkte ausschuss endlich konstruktiv mitarbeitet. Denn die Ge- anbieten zu können und zu einem geringeren Verbrauch setze zu Hartz III und IV bringen immerhin einen Effi- von Ressourcen beizutragen. Das muss das Ziel der In- zienzgewinn in Höhe von 5 Milliarden Euro. Wer kann novationspolitik sein. sich einem solchen Effizienzgewinn verweigern? Innovationspolitik wird zum Motor der Agenda 2010. Ich nenne ein weiteres Stichwort: die Personal- Wir können uns auf die Innovationsfähigkeit der Men- Service-Agenturen, die im Mai/Juni dieses Jahres ange- schen und der Unternehmen in unserem Land verlassen. laufen sind. Bis Oktober – also vier bis fünf Monate spä- Dafür haben wir mit unserem Reformprojekt die Wei- ter – haben 952 Agenturen mit 42 695 Plätzen ihre Tä- chen gestellt. Die Agenda 2010 sorgt für eine positive tigkeit aufgenommen. Wer kann denn da von Misserfolg Dynamik. Es geht dabei um grundsätzliche Weichenstel- sprechen? Es ist eine beachtliche Leistung, das anvi- lungen und weit reichende Umstrukturierungen in den sierte Ziel von 50 000 Plätzen in den Personal-Service- Bereichen Finanzen, Wirtschaft und Arbeit und in den Agenturen in noch nicht einmal einem halben Jahr zu er- sozialen Sicherungssystemen. Das Ziel ist eine neue Ba- reichen. Zerreden Sie doch nicht immer die ansonsten lance zwischen ökonomischer Notwendigkeit, sozialem positiven arbeitsmarktpolitischen Instrumente, helfen Zusammenhalt und gesellschaftlichem Aufbruch. Es Sie mit, dass sie in der Gesellschaft akzeptiert werden, geht um die Modernisierung unserer Wirtschaft, ohne meine Damen und Herren! soziale Gerechtigkeit preiszugeben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Erfolge von Hartz I und Hartz II – ich habe es be- DIE GRÜNEN) reits angesprochen – sind bereits jetzt deutlich erkenn- bar: mehr als 200 000 Existenzgründungen mit arbeits- Erhebliche Vorteile werden den Kommunen auch da- marktpolitischen Förderinstrumenten in diesem Jahr! durch erwachsen, dass sie durch die Hartz-IV-Reform fi- Das ist ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. nanziell entlastet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie werden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rund 2 Milliarden weniger haben!) Auch die Minijobs leisten einen erheblichen Beitrag zur Flexibilisierung, ohne die sozialen Sicherungssys- Wir stehen zu unserem Wort, auch wenn es zu einer an- teme zu belasten. deren als der ursprünglich geplanten Finanzierung kom- men kann: Entlastungen in Höhe von 2,5 Milliarden (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer hat die Euro sollen bei den deutschen Kommunen ankommen. (B) denn beschlossen? Das mussten wir Ihnen (D) doch beibringen!) Wichtig ist, dass die neuen Bundesländer bei uns nicht hinten runterfallen. Der Schwerpunkt der aktiven – Herr Schauerte, ich habe doch an den Gesprächen in Arbeitsmarktpolitik liegt weiterhin eindeutig im Osten. der Arbeitsgruppe teilgenommen. Wir haben dafür ge- Die Vorschläge des bayerischen Ministerpräsidenten, sorgt, dass Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wer- ABM zu streichen, kommen für uns nicht infrage. den, damit die Sozialkassen nicht geplündert werden. Sie hingegen haben einen allgemeinen Steuerbeitrag befür- (Beifall bei der SPD) wortet. Insofern müssten Sie uns dafür dankbar sein, dass wir im Vermittlungsverfahren diese Position bezo- Auch Friedrich Merz macht Schnellschüsse, wenn er gen haben: einfaches Verfahren, Sozialkassen nicht be- erhebliche Einsparungen bei der BA fordert. Arbeits- lasten, Flexibilität gewährleisten! marktpolitik ist keine Manövriermasse. Das Streichen von ABM bringt übrigens keine Einsparungen von Mil- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Wer hat sie liarden, wie es öffentlich dargestellt wird, sondern ge- denn kaputtgemacht?) rade einmal 100 Millionen. Sofort mehr Geld in Lohn- Das ist allenfalls unser gemeinsames Werk, aber Sie ersatzleistungen, Löcher auf der einen Seite zustopfen, können den Erfolg nicht für sich allein beanspruchen. auf der anderen Seite aufreißen – das ist keine konti- nuierliche Politik und deshalb mit uns auch nicht zu ma- (Beifall bei der SPD) chen. Mit Hartz III und IV runden wir die Reformen ab. (Beifall bei der SPD – Steffen Kampeter Jetzt geht es um das Kernstück, nämlich erhebliche Effi- [CDU/CSU]: Das ist doch aber das, was Sie zienzsteigerungen, die wir zum Beispiel dadurch errei- immer machen, Herr Brandner!) chen wollen, dass in den Jobcentern die Betreuung aus einer Hand sichergestellt wird. Anstelle von Verschiebe- Die Kommunen wollen wir noch stärker einbinden, bahnhöfen soll es klare Zuständigkeiten und aktivie- und zwar nicht nur rechtlich. Es geht dabei nicht nur um rende Maßnahmen in einer Hand geben. Fördern und Zusammenarbeit, sondern auch darum, durch die Über- Fordern ist unser Prinzip für eine aktivierende Sozial- nahme finanzieller Verpflichtungen einen Anreiz auch politik. Das wollen wir mit Hartz III und IV umsetzen. für die Kommunen zu schaffen, aktiv etwas zur Be- Dafür muss die Bundesanstalt für Arbeit zu einem mo- kämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun. dernen und kundenorientierten Dienstleister für Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer wie auch für die Arbeit- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ihnen steht das geber umgebaut werden. Wasser bis zum Hals! Das ist Ihr Anreiz!) 6902 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Klaus Brandner (A) Das bringen wir im Vermittlungsausschuss auf den Weg. merhaven erlebt. Saarländer schreiben mir und auch aus (C) Wir gehen auf die Union zu. Sie haben keinen Grund Bayern habe ich in dieser Woche solche Notrufe bekom- mehr, sich zu verweigern, meine Damen und Herren. men. (Beifall bei der SPD) Ich stelle dies voran, damit wir hier nicht nur Haus- Zu der Frage der Arbeitsmarktreform als eines eigen- haltstitel deklinieren, die außerhalb des Bundestages nie- ständigen Projekts erinnere ich daran, dass selbst der mand versteht. Wir reden hier über mehr als 4 Millionen Sachverständigenrat Ihr politisches Junktim zwischen Arbeitslose. Wir sprechen über Tausende von Jugendli- Steuerreform und Arbeitsmarktreform für abwegig hält. chen ohne Lehrstelle. Wir diskutieren über Wege aus der Wo ist der Zusammenhang zwischen Steuerreform, Ungerechtigkeit; jedenfalls ist das der Anspruch der Handwerksordnung und Tarifautonomie? Oder ist Ihr PDS. Blockademanöver ein taktisches Manöver? Dann sollten (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Sie es offen zugeben. Jedenfalls lassen wir Sie damit tionslos]) nicht einfach durchkommen. Ich weiß sehr wohl, dass ich hier gegen eine große (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Mehrheit rede. Die Opposition zur Rechten liegt im DIE GRÜNEN) Streit mit sich selbst. Sie sucht ihren Superstar. Merkel, Stoiber, Koch oder Merz? Mit sozialer Gerechtigkeit hat Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: das, was Sie aufführen, nichts zu tun. Allerdings lauert Herr Kollege Brandner, Ihre Redezeit ist abgelaufen. dahinter die Frage: Wie verdeckt oder offen lässt sich der Sozialstaat entsorgen? Frau Merkel steht für die ver- Klaus Brandner (SPD): deckte Variante, Herr Koch für die brutale und Herr Ich komme zum Schluss. Stoiber für die egoistische. Der Rest des ganzen Spekta- kels ist Parteitaktik. Sie hilft aber niemandem ohne Ar- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind am beit oder ohne Lehrstelle. Ende! – Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Herr Brandner, Sie haben hier geschwindelt, (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- was die OECD anbetrifft!) tionslos]) Für taktische Manöver im Rahmen der Tarifautono- Früher bot die SPD dazu das Kontrastprogramm. Nun mie haben wir in der Tat keinen Raum. Wir sind dank- hat sie aber in Bochum getagt und grünes Licht für die bar, dass der zuständige Minister hierzu eine klare Aus- Agenda 2010 gegeben, die unsozial und auch ungerecht sage im Parlament gemacht hat. Dies zeigt, dass sich ist. Es war – leider – nichts anderes zu erwarten. Span- (B) (D) unsere Fraktion zu diesem Thema politisch eindeutig nend war für mich nur das Rahmenprogramm des SPD- verhält. Parteitages in Bochum. „Das Wichtige tun“ hieß die Par- teitagslosung. So habe ich immerhin gelernt: Die SPD Mein Fazit: Deutschland ist auf dem Weg nach vorn. versteht sich als Partei der Wichtigtuer. Dies wird durch die konjunkturellen Daten und durch die Wissenschaft belegt. Internationale Institute loben die (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Reformpolitik. Alle Indikatoren zeigen nach oben. Das tionslos]) Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wir dürfen nicht über die Dann wurde auf diesem Parteitag auch gewählt. Wer die geflickten Löcher lamentieren, sondern sollten uns über Agenda 2010 verbrochen hatte, wurde bestraft, wer da- die neuen, besseren Segel freuen, die wir durch die Re- gegen war, ebenso. Zum Schluss wurde auch noch ge- formpolitik gesetzt haben. Wir haben im Vermittlungs- sungen. Etwas kläglich, aber drohend kündigten Sie an: ausschuss die Verantwortung und bitten Sie, sie auch Mit uns zieht die neue Zeit! wahrzunehmen. Nehmen Sie sie gemeinsam mit uns wahr, damit Deutschland im Reformprozess wieder nach Der Kardinalfehler der Agenda 2010 ist: Sie machen vorne kommt. 4 Millionen Arbeitslose dafür verantwortlich, dass es 4 Millionen Arbeitslose gibt. Das Wesen Ihrer Agenda (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ besteht darin, die Betroffenen zu ermitteln, anzuklagen DIE GRÜNEN) und abzustrafen. Arbeitslosen wird die Hilfe gekappt. Kranke werden abkassiert. Alten wird die Rente gekürzt. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: „Damit machen wir“ – so meinte der Bundeskanzler in Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau. der gestrigen Debatte – „Ressourcen frei für wesentliche Zukunftsaufgaben.“ Mir fällt dabei das Märchen vom Petra Pau (fraktionslos): Kaiser mit den neuen Kleidern ein, die kein anderer se- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hen kann. Für die PDS im Bundestag gehören die Arbeitsmarkt-, (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Sozial- und Wirtschaftspolitik zu den zentralen aktuellen tionslos]) Politikbereichen. Dies sind zugleich die Themen, die ne- ben der Friedensfrage nahezu jeden bewegen und sehr Die PDS im Bundestag hat nie behauptet, sie habe viele Menschen betreffen. Jüngst war ich in Erfurt, Thü- den Stein der Weisen gefunden. Wir haben immer ge- ringen. Dort ist jeder Fünfte arbeitslos und nicht wenige sagt: Es muss grundlegende Reformen geben. Das haben sind inzwischen hoffnungslos. Dasselbe habe ich in Bre- wir übrigens schon gesagt, als sich die offizielle Altbun- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6903

Petra Pau (A) desrepublik noch für den letzten Schluss aller Ge- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): (C) schichte hielt. Bereits damals war die Arbeitslosigkeit Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und extrem hoch und die Staatsverschuldung mehr als be- Herren! Deutschland erlebt eine sehr negative und denklich. Auch andere Fragen, etwa die demographische schlimme Woche: Entwicklung, drängten längst. Dass die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert anders sein wird als im 19. Jahrhundert, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt! wusste – mit Verlaub – schon Karl Marx. Insofern wün- Leider wahr!) sche ich mir, dass er morgen im ZDF zum „besten Deut- Wahrscheinlich wird der Bundestag diese Haushaltsvor- schen“ gewählt wird. lage heute in zweiter und morgen in dritter Lesung ver- abschieden und damit einen Verfassungsbruch begehen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Dazu kommt das, was Bundesminister Eichel in Brüssel tionslos]) Europa und unserem Land, Deutschland, angetan hat. Die eigentliche Frage ist also nicht, ob etwas verän- Holger Steltzner hat dies vorgestern in der „FAZ“ zu dert werden muss. Die spannende Frage ist vielmehr, Recht mit den Worten „Verspielen des letzten Vertrau- welchem Ziel die Reformen dienen sollen. Ihre Refor- ens“ betitelt. men brechen mit den guten sozialdemokratischen Wer- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten wie Solidarität und Gerechtigkeit. Das Schlimme ist, dass Sie das wissen. Es ist doch kein Zufall, wenn die Wir erleben dergleichen praktisch seit 1998 – also seit Bundesanstalt für Arbeit Millionen für PR-Arbeit zum Jahren –, als man angetreten ist, ganz Deutschland neu Fenster hinauswirft. Die Bundesregierung macht doch zu gestalten. Thomas Wels schreibt in der „Rheinischen nichts anderes. Sie lässt landauf, landab Großplakate Post“: „Deutschland zertrümmert den Euro“ und kleben, um die Agenda 2010 schönzumalen. Keine Bür- „Deutschlands Verhalten ist ein Skandal“. Leider Gottes gerin und kein Bürger hat sie bestellt. Aber alle müssen muss ich sagen: Beide, Steltzner und Wels, haben Recht. sie bezahlen, und zwar sowohl die Plakate als auch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Agenda 2010. Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Schröder hangelt sich von einer Unwahrheit zur nächs- tionslos]) ten. Zahlen werden erst einmal geschönt; wenn die Fak- ten dann auf dem Tisch liegen, wird das, was man vorher Geradezu obszön wird es, wenn die neuen Bundes- präsentiert hat, in immer kürzeren Intervallen als Lüge länder zum gelobten Land gekürt werden. Allein der entlarvt. Glaube, mehr Billigjobs seien gut gegen die Arbeitslo- (B) (D) sigkeit, ist absurd. Der Osten ist bereits ein Billiglohn- Herr Kollege Klaus Brandner, vor dem Mut, den Sie land. Die Forderungen nach längeren Arbeitszeiten wer- hier gezeigt haben, muss man fast Respekt haben. den immer lauter. Aber im Osten wird schon länger (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war gearbeitet. Sie fordern außerdem eine Lockerung des Ta- Dreistigkeit!) rifrechts. Im Osten ist es bereits so locker wie nirgendwo sonst in Deutschland. All diese Heilslehren werden in – Ich wollte es nicht ganz so drastisch sagen; aber an den neuen Bundesländern also längst praktiziert. Die sich müsste man es so formulieren. – Sie haben nämlich neuen Bundesländer belegen aber beispielhaft: Diese gesagt, die OECD verlange von uns, die Steuersenkung Heilslehren machen nicht gesünder, sondern kränker. vorzuziehen. Vielleicht hatten Sie heute noch nicht die Deshalb lehnt die PDS im Bundestag die Agenda 2010 Möglichkeit, die Zeitung zu lesen; das sehe ich Ihnen ab. nach. Allerdings ging schon gestern über den Ticker, dass die OECD vor einer Steuersenkung auf Pump – et- (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- was anderes fällt Ihnen ja nicht ein – warnt. tionslos]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Hinzu kommt: Arbeitsbeschaffungs- sowie Ausbil- – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr! – dungsmaßnahmen sollen abgebaut und Fördermittel ge- Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Dann hat kürzt werden. Das verschärft die Lage auf dem Arbeits- er ja gelogen, der Brandner! Der läuft ja auf markt und der strukturschwachen Regionen. der Schädeldecke!) Fazit: Die PDS im Bundestag wird auch diesen Teil Sie schwadronieren von diesem und jenem. Was machen des Haushaltes ablehnen müssen. Sie? – Pump, Pump, Pump und noch einmal mehr Schul- den. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- tionslos]) Ein weiterer Beweis dafür, dass Lügen kurze Beine haben, ist Folgendes: Als diese Bundesregierung am 2. Juli dieses Jahres den Haushaltsentwurf für das Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Jahr 2004 beschlossen hat, wurde noch großspurig ver- Nächster Redner ist der Kollege Kurt Rossmanith, kündet, das Wirtschaftswachstum im Jahr 2003 liege CDU/CSU-Fraktion. bei 1 Prozent und im Jahr 2004 bei 2,5 Prozent. Das Herbstgutachten, das vor wenigen Wochen veröffentlicht (Beifall bei der CDU/CSU) wurde – seit dem 2. Juli waren kaum mehr als drei 6904 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Kurt J. Rossmanith (A) Monate vergangen –, besagt, Herr Bundeswirtschaftsmi- Heute steht dazu etwas in der „Welt“. Gestern ist es (C) nister, dass das Wirtschaftswachstum dieses Jahres bei im Wortlaut über den Ticker gelaufen – ich zitiere –: Die 0 Prozent und im kommenden Jahr, 2004, bei maximal OECD warnt vor Steuersenkung auf Pump. 1,7 Prozent liegen wird. Man muss wissen, dass (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ja!) 0,5 Prozentpunkte bis 0,6 Prozentpunkte dieser 1,7 Pro- zent Wachstum dadurch zustande kommen, dass im Geplante Entlastung kann Wachstum nur um 0,25 Pro- Jahr 2004 mehr Feiertage auf das Wochenende fallen zentpunkte steigern. Subventionsabbau geboten. – Das ist werden. wieder ein Beispiel für das, was Sie ständig vorführen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Um wahr zu sprechen, muss man die ganze Wahrheit sa- Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine Zwi- gen und darf nicht selektiv nur irgendeinen Satz heraus- schenfrage des Kollegen Brandner? ziehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Aber selbstverständlich, sehr gern. Ich habe gar nicht Wir müssen Ihnen vorwerfen, dass Sie nur immer Sätze gesehen, dass er eine Zwischenfrage stellen möchte. zitieren, aber nicht den Gesamtzusammenhang darstel- len. Damit vermitteln Sie nach außen das Bild, dass Sie handlungsfähig und handlungswillig sind. Sie haben ja Klaus Brandner (SPD): auch vorhin gesagt: Wir wollen dies, wir wollen dies, Sie haben gerade davon gesprochen, dass Lügen ver- wir wollen dies. breitet werden. Die AP schreibt am 26. November 2003 – wollen Sie das bestreiten? –: (Klaus Brandner [SPD]: Wir machen das auch!) Die OECD sieht Deutschland vor einem verhalte- Tatsächlich muss man aber den Eindruck haben, dass Sie nen Aufschwung und hat die Bundesregierung zu sich – Herr Brandner, damit meine ich Ihre Partei, nicht weiteren Strukturreformen ermuntert. Sie persönlich – der 4,5 Millionen Arbeitslosen mehr Diese Reformen nehmen wir gerade vor. Etwas weiter oder weniger überhaupt nicht annehmen, dass Sie sich unten heißt es: für sie mehr oder weniger gar nicht interessieren. Die Maßnahmen, die notwendig wären, um den Arbeitsplatz- „Wir glauben, dass die Wende da ist“, sagte OECD- abbau zu stoppen, um wieder mehr Beschäftigung zu Ökonom Eckhard Wurzel. Ein Vorziehen der Steu- schaffen, um wieder Menschen in Arbeit und Brot zu (B) erreform auf nächstes Jahr könne der Konjunktur bringen, werden nicht getroffen. Es geht dabei nicht al- (D) ein weiteres Plus bis 0,3 Prozentpunkten bringen. lein um die, die jetzt im Arbeitsprozess sind, auch wenn die ebenfalls Angst um ihren Arbeitsplatz haben, son- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weiterlesen!) dern um die 4,5 Millionen Arbeitslosen, die wieder eine – Im Weiteren ist zu lesen, dass der Reformprozess, den Beschäftigung brauchen. Um diese Menschen müssen die Bundesregierung in Angriff genommen hat, richtig wir uns genauso sorgen, vielleicht noch mehr als um je- manden, der einen sicheren Arbeitsplatz als Präsident ir- ist, dass aber noch weitere Anstrengungen notwendig gendeiner riesigen Anstalt mit 80 000 Mitarbeitern hat. sind, beispielsweise zur Verlängerung der Lebensarbeits- zeit. – Alles das sind Maßnahmen, die in der Rentenge- (Beifall bei der CDU/CSU– Steffen Kampeter setzgebung jetzt ganz konkret angegangen werden. [CDU/CSU]: Sehr gute Antwort!) Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Erstens. Wol- len Sie unterstellen, dass ich Lügen vorgetragen habe? Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Zweitens. Wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Herr Kollege Rossmanith, gestatten Sie eine weitere OECD davon ausgeht, dass das Vorziehen der Steuerre- Zwischenfrage, nämlich des Kollegen Brüderle? form dringend notwendig ist, um mehr wirtschaftliches Wachstum in diesem Land zu erzeugen? Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Aber selbstverständlich, Herr Kollege. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Rainer Brüderle (FDP): Kollege Rossmanith, sind Sie bereit, mir darin zuzu- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): stimmen, dass diese OECD-Studie, auf die sich Herr Herr Kollege Brandner, ich bleibe bei meiner Aus- Brandner beruft, noch ganz andere markante Sätze bein- sage; haltet? Ich zitiere einmal: Der Chefökonom der OECD warnt vor überzogenen Erwartungen. Wurzel bezweifelt (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- etwa, dass das Vorziehen der Steuersenkung 2004 einen NEN]: Nicht lernfähig!) positiven konjunkturellen Effekt hat, wenn sie nicht voll durch Ausgabenkürzungen, etwa Subventionsabbau, denn ich habe Ihnen ja zugehört. Sie haben gesagt: Die kompensiert wird. OECD verlangt von Deutschland, die Steuerreform vor- zuziehen. – Das ist falsch. (Beifall der Abg. Gudrun Kopp [FDP]) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6905

Rainer Brüderle (A) Hundertprozentige Kompensation durch Ausgabenkür- Ihn interessieren ja kaum seine Regierungskollegen und (C) zung ist also die Forderung der OECD. Das unterschla- noch viel weniger das Parlament. gen Sie! Frau Präsidentin, ich bin noch bei der Antwort auf die Es heißt da weiter: Für einen nachhaltigen Auf- Frage des Kollegen Brüderle, doch Sie haben mir jetzt schwung braucht Deutschland nach Ansicht der OECD eine ganze Minute abgezogen. – alles wörtliches Zitat – eine dauerhafte Stärkung der Binnennachfrage. – Sie haben gehört, was Herr Clement Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: dazu gesagt hat. – Dafür seien die Reformen unerlässlich Nein, Herr Kollege Rossmanith, nicht die ganze Mi- und müssten unbedingt weitergeführt werden, auf dem nute. Da Sie jetzt nicht mehr konkret auf die Frage ant- Arbeitsmarkt wie bei der gesetzlichen Renten- und worten, habe ich die Redezeit weiterlaufen lassen. Da Krankenversicherung. kann der Kollege Brüderle ruhig die ganze Debatte ste- hen bleiben. Damit, Herr Kollege, wird durch Herrn Brandner doch ein völlig falscher Eindruck erweckt; er will von (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wahren Lage ablenken. Kommen Sie doch endlich in des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Realität an! (Beifall bei der FDP) Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Liebe Frau Präsidentin, Sie sind mir lieb und teuer. Ich mag Sie persönlich auch sehr. Ich kritisiere Sie nicht, Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: möchte aber feststellen, dass ich noch bei der Antwort Herr Kollege Brüderle, haben Sie eine Frage an Herrn war. Ich sage damit nur, was ich getan habe. – Ich danke Rossmanith gestellt? Ihnen, Herr Brüderle, noch einmal sehr herzlich. (Rainer Brüderle [FDP]: Ja, natürlich die, ob (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) er das teilt!) Herr Kollege Brandner, erinnern Sie sich noch an den Wahlkampf 2002? Sie haben eine geradezu kultische Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Weihehandlung im Deutschen Dom am Gendarmen- Frau Präsidentin, ich habe die Frage sehr wohl ver- markt vollzogen, als Sie das Hartz-Konzept vorstellten. standen. Ich habe mich gewundert, dass so viele Medien darauf hereingefallen sind und dabei mitgemacht haben. Denn (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜND- was kam heraus? – Nichts. Von einer Eins-zu-eins-Um- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP) setzung von Hartz spricht keiner mehr. (D) Ich bin dem Kollegen sehr dankbar dafür, dass er es mir (Ute Kumpf [SPD]: Das ist längst erledigt! Wa- abgenommen hat, weite Teile der OECD-Studie vorzule- rum sollten wir noch darüber sprechen?) sen. Ich wollte die Debatte hier nicht unnötig verlängern. Ich möchte hier Bundesminister Clement fast etwas in Herr Kollege Rainer Brüderle, ich kann Ihnen unein- Schutz nehmen. Er bemüht sich ja ernsthaft. Zwar geschränkt zustimmen. Genau das ist es, was ich dem schafft er außer Ankündigungen auch nichts, doch sei- Kollegen Klaus Brandner und vielen seiner Parteigenos- nen Genossen geht es selbst noch zu weit, dass er über- sinnen und Parteigenossen vorwerfe, nämlich dass sie haupt Ankündigungen macht. Denn wie verfahren sie eine Politik der Beliebigkeit betreiben, dass sie sich Stu- mit ihm? Auf dem Parteitag in Bochum straften sie ihn dien immer zurechtbiegen, ab. 44 Prozent der Parteigenossen sagten Nein zu dem eigenen amtierenden Wirtschaftsminister. (Klaus Brandner [SPD]: Bleibe bei der Wahr- heit, Rossmanith!) (Ute Kumpf [SPD]: Wie lernt man denn in Bay- ern das Rechnen, Kollege Rossmanith?) so wie sich der Herr Bundesminister Eichel den Haushalt so zurechtbiegt, wie er ihn gerade haben will. Wir kön- Man muss sich wohl wirklich Gedanken darüber ma- nen dann im Januar sofort am Nachtragshaushalt für das chen, welche Stellung er noch in dieser Regierung und in Jahr 2004 zu arbeiten beginnen. Diesen Haushalt jetzt in dieser Partei hat, die er mitvertreten soll. zweiter und morgen in dritter Lesung zu beschließen ist Der Haushaltsansatz Ihres Hauses, der am 2. Juli be- geradezu hanebüchen. schlossen wurde – der Kollege Fuchtel ist ja schon da- (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter rauf eingegangen –, betrug 25 Milliarden Euro. Dann [CDU/CSU]: Eine gute Antwort!) wurden so einfach mir nichts, dir nichts 8 Milliarden hinzugefügt. Jetzt haben wir fast 33 Milliarden – ein Wer sich damit befasst, der müsste über dieses Parlament enormer Zuwachs innerhalb von ganz wenigen Wochen. lachen. In dieser Debatte deutlich zu machen, was insbe- sondere Bundeskanzler Schröder von sich gibt, der sich Auch der Kanzler nimmt Sie überhaupt nicht mehr gleichsam als neuer Ludwig XIV. aufführt und nach dem ernst. Ich habe vorhin gesagt, dass er sich wie ein zweiter Motto „Der Staat bin ich“ handelt, entspricht ja auch un- Ludwig XIV. verhält und nach dem Motto „Der Staat bin serem Auftrag. ich“ verfährt. Er schüttelt nämlich am Steinkohletag ein- fach so 16 Milliarden Euro aus dem Ärmel und sagt sie (Ute Kumpf [SPD]: Was?) dem Steinkohlebergbau zu. Das sind über 31 Milliarden 6906 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Kurt J. Rossmanith (A) Deutsche Mark, um das auch noch einmal in der alten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) Währung zu sagen. Damit sollen 20 000 Arbeitsplätze Herr Kollege, auch Sie sind deutlich im Minus. gesichert werden. Es wird niemand gefragt, weder Sie noch das Parlament, das ja dies beschließen muss und da- Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): für auch Verantwortung trägt. Es ist keine Vereinbarung oder irgendetwas anderes beschlossen worden; es liegt Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. noch nichts auf dem Tisch, aber der Genosse der Bosse Der Kollege Müntefering – er ist im Moment nicht sagt schlicht und einfach schnell 16 Milliarden Euro zu. da – hat gestern gesagt, Deutschland solle wieder der Zugleich nimmt er dem Mittelstand die Luft weg. Wirtschaftsmotor Europas werden. Der Kreditversicherer Euler Hermes rechnet für das (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kommende Jahr – dazu haben Sie überhaupt nichts ge- „Letzter Satz“! Das ist doch kein Satz!) sagt, Herr Bundesminister Clement – mit 43 000 Insol- venzen. Wir haben in diesem Jahr schon netto Immerhin erkennt er damit an, dass wir im Moment die 600 000 Arbeitsplätze verloren. Das interessiert Sie bzw. Letzten in Europa sind und alles tun müssen, um wieder diesen Bundeskanzler aber überhaupt nicht. in die Spitzenklasse Europas zu gelangen. Für vieles andere haben Sie aber Geld. Ich will nur (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: ein kleines Beispiel nennen; Sie mögen es als Petitesse Jetzt reicht es!) abtun, aber 200 000 Euro sind immerhin auch schon et- was; dafür kann man sich durchaus ein kleines Häuschen Dazu ist es notwendig, eine verantwortungsvolle Politik hinstellen. zu gestalten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese Bundesregierung ihre Arbeit schleunigst beendet. (Ute Kumpf [SPD]: Ein kleines Häuschen? Wir müssen den Einzelplan 09 zu unserem großen Ei!) Bedauern ablehnen. – Bei mir im Allgäu ist das halt so. Da sind die Grund- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) stückpreise etwas höher.

(Ute Kumpf [SPD]: Was? – Fritz Kuhn Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beim Allgäu Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken, CDU/ werde ich allergisch!) CSU-Fraktion. – Und die Allgäuer werden allergisch, wenn Sie kom- (B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (D) men, Herr Kuhn. Klaus Brandner [SPD]: Überziehen Sie jetzt (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nicht! Denken Sie daran: Wir wollen uns eini- Vorsicht! Ich bin aus dem Allgäu!) gen!) Deshalb bleiben Sie lieber weg und verschonen Sie uns Ernst Hinsken (CDU/CSU): mit Ihrer politischen Anwesenheit. Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und (Zurufe von der SPD: Oh! – Ute Kumpf Kollegen! Ein wesentlicher Teil der heutigen Debatte [SPD]: Das ist aber kein guter Stil! – Fritz und der Abstimmungen ist dem Handwerksrecht gewid- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, met. Deshalb möchte ich mich insbesondere der Novelle aus Kaufbeuren ist er!) der Handwerksordnung zuwenden; denn kein anderes Thema hat das Handwerk in den letzten Wochen und Die Grünen stellen einen Antrag auf 200 000 Euro Monaten mehr beschäftigt als die Novellierung dieses für nachhaltigen Tourismus. Die Frage, was das eigent- Gesetzes. lich sein solle, konnte niemand beantworten. Allerdings wurde dann erklärt, man wisse, wer wisse, was nachhal- Die Änderung der Handwerksordnung ist derzeit in tiger Tourismus sei. Aber beschlossen musste es werden. vieler Munde, besonders in Handwerkskreisen. Noch nie ist in den Medien so viel Unfug über die Rolle des Hand- Dass es bei der Gemeinschaftsaufgabe etwas Bewe- werks und über das Handwerk als Wirtschaftsgruppe in gung gegeben hat, will ich positiv erwähnen, lieber Kol- Wort, Schrift und Bild publiziert worden wie in den letz- lege Kröning. Auch die Wettbewerbshilfe für die ten Wochen. Schiffswerften ist ein wesentlicher Punkt. Ebenso will ich die Luftfahrtförderung positiv erwähnen, auch wenn Eines möchte ich in aller Deutlichkeit gleich eingangs es mehr hätte sein können. Sie wird ja gegenüber den feststellen: Wir von der CDU/CSU sehen auch beim vergangenen Jahren leicht zurückgefahren. Handwerksrecht dringenden Handlungsbedarf. Aber wir wollen gemeinsam mit dem Handwerk eine Änderung Herr Bundesminister Clement, Sie haben den Export der Handwerksordnung herbeiführen, die die Selbststän- angesprochen. Weltweit steigt der Export um 7,4 Pro- digkeit fördert, den Zugang zum Handwerk europataug- zent. Bei uns wird die Steigerung deutlich unter der lich macht, die Ausbildung sichert, die Verbraucher 5-Prozent-Marke liegen. Das heißt, auch hier sind wir schützt und die Qualität in den Vordergrund stellt. mehr oder weniger im Minus, und das in einem Bereich, der uns noch einigermaßen über Wasser gehalten hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6907

Ernst Hinsken (A) Wir wollen eine Modernisierung der Handwerksordnung wärtssog. Seit Jahren sinkt die Eigenkapitalquote, die (C) mit Verstand, Maß und Ziel, Herr Minister Clement. jetzt bei nur noch 17 Prozent und bei kleineren Betrieben Qualität, Flexibilität und Nachhaltigkeit wollen wir glei- bei sage und schreibe nur noch 6 Prozent liegt. Das ist chermaßen sichern. Wir wenden uns deshalb massiv ge- das Problem, das unsere Betriebe haben und das unsere gen einen Kahlschlag in der Handwerksordnung. Denn Wirtschaft hat, nicht die Handwerksordnung. was Sie von Rot-Grün und von der Bundesregierung pla- nen, sind in der Tat keine Nadelstiche mehr, sondern (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Dolchstöße, die für das Handwerk lebensgefährlich sind. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, Bundeskanzler Schröder wäre gut beraten, den Mittelstand und das Handwerk so Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Regierungs- ins Herz zu schließen, wie er das bei Holzmann, bei Bab- entwurf zur Änderung der Handwerksordnung ist wahr- cock und bei Mobilcom getan hat. Beim Mittelstand lich keine Meisterleistung, sondern ein ausgemachter hätte er zumindest mehr Erfolg. Aber leider redet man Pfusch. Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie damit über den Mittelstand nur und tut für ihn zu guter Letzt Ihren eigenen Pfusch zum Standard erklären möchten. nichts. Ein Blick auf die LKW-Maut und das Dosenpfand zei- gen dies ganz deutlich. Lassen Sie mich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auf die aktuelle Lage bei der Novellierung der Hand- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werksordnung eingehen. Dabei geht es um das Gesetz zu den Ich-AGs und die große Novelle zur Handwerksord- Jetzt ist die Handwerksordnung dran. Meine Damen nung. Beide Gesetze müssen in einem engen Gesamtzu- und Herren, hierzu gibt es nur ein Fazit: Diese Bundesre- sammenhang betrachtet werden. Deshalb begrüße ich, gierung denkt nichts richtig an, denkt nichts richtig Herr Minister Clement, dass man bereit ist, die beiden durch, denkt auch nicht richtig zu Ende und denkt schon Gesetze, zum einen die Handwerksordnung und zum an- gar nicht an die Folgen. Meine Damen und Herren von deren das Kleinunternehmergesetz, zusammen im Ver- der Bundesregierung, Sie machen schon beim Denken mittlungsausschuss zu beraten. Ich gehe davon aus, dass Denkfehler. hier vernünftige Grundlagen geschaffen werden, die dem (Lachen bei der SPD) Handwerk das Leben nicht erschweren, sondern ihm das Leben erleichtern, damit die Betriebe in Zukunft besser Sie, meine Damen und Herren, sind selbst die Fehler, die über die Runden kommen. wir in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen haben. Ich meine, dass gerade bei den Ich-AGs darauf ver- (B) wiesen werden muss, dass sie bei weitem nicht das in (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sich bergen, was vielfach behauptet wird. Herr Minister Verehrte Kolleginnen und Kollegen, eine richtige Clement, ich prophezeie Ihnen, dass wir im kommenden Handwerksreform – ja. Ein europafester Meisterbrief – Jahr Tausende und Abertausende von Ich-AGs bekom- auch ja. Viele wettbewerbsfähige Betriebe – ebenso ja. men werden, aber ich prophezeie Ihnen in diesem Zu- Goldener Boden für das Handwerk, wie es früher hieß – sammenhang auch, dass sie in drei Jahren, wenn sie auch ja. Aber das Kind mit dem Bade ausschütten und staatlich nicht mehr subventioniert werden, wenn sie den Meistertitel über Bord werfen – grundsätzlich nein. Steuern zahlen müssen und verschiedene andere Belas- tungen wie die Normalbetriebe zu tragen haben, genauso (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schnell wieder von der Bildfläche verschwinden, wie sie Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr ist mit jetzt ins Leben gerufen werden. 43 000 Firmenpleiten mit einem neuen Pleitenrekord (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beim Mittelstand zu rechnen. Darunter sind über 10 000 neten der FDP) Handwerksbetriebe. Das ist katastrophal. Die Bundesre- gierung verschließt davor die Augen. Diese 43 000 Be- Ich frage Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen: triebe können auch nicht mehr ausbilden. Dadurch sind Wie soll zum Beispiel ein Friseur- oder ein Steinmetz- wiederum 80 000 Ausbildungsplätze flöten gegangen, meister animiert werden, mehr Lehrlinge auszubilden, wie mir Kollege Feibel noch einmal sagte. wenn er weiß, dass diese nach der Ausbildung als Ich- AGler seine größten Konkurrenten werden? Sie brau- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – chen keine Meisterprüfung mehr, werden dafür aber Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Leider, lei- noch durch den Staat subventioniert. der wahr! – Klaus Brandner [SPD]: Nur 30 Prozent bilden aus!) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Unsinn!) Die Bundesregierung nimmt das einfach nicht zur Kenntnis. Wenn Mittelständler, die vor Jahren noch Damit wird das Handwerksrecht systematisch durch die zwölf Beschäftigte hatten, nunmehr nur noch zwei ha- Hintertür ausgehöhlt. Deshalb müssen die Ich-AGs auf ben, dann ist Feuer auf dem Dach. Der deutsche Mittel- den Bereich der bisherigen Anlage B beschränkt werden. stand ist nach über fünf Jahren Rot-Grün völlig ausge- Bei in Anlage A befindlichen Berufen darf es keine ein- blutet und steht mit dem Rücken zur Wand. Jetzt geraten fachen Tätigkeiten in Teilbereichen geben. Denn, Herr auch gestandene Firmen, die sich zum Teil jahrzehnte- Minister Clement: Wie wollen Sie diese Teilbereiche lang im harten Wettbewerb bewährt haben, in den Ab- überhaupt abgrenzen? Wie wollen Sie überprüfen, ob 6908 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Ernst Hinsken (A) solche Arbeiten, die in Zukunft nach drei Monaten aus- Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, an (C) geführt werden dürfen, erlernt wurden und das Erlernte dem sich die Bundesregierung wirtschaftspolitisch gese- ausreicht? hen verrennt. Es geht um die vorgesehene Sonderrege- lung für Altgesellen, die sich nach zehnjähriger Berufs- (Wolfgang Clement, Bundesminister: Ihr wollt erfahrung und fünfjähriger Tätigkeit in herausgehobener, doch nachprüfen!) verantwortlicher oder leitender Stellung auch ohne Zudem ist klarzustellen, dass die Gewerke des Hand- Meisterbrief in Gewerken der Anlage A selbstständig werks nicht atomisiert werden dürfen. Es ist deshalb ein machen dürfen. Kumulationsverbot bei den einfachen Tätigkeiten er- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: forderlich. Wenn die Position des Handwerks durch die Was spricht dagegen? Es ist doch gut!) Ich-AG systematisch untergraben wird, dann ist die ge- samte HwO-Novelle nur noch eine Farce. Unsere Devise Im Interesse des Erhalts und des Ausbaus der wirtschaft- lautet immer: Nicht gegen, sondern mit dem Handwerk lichen Leistungsfähigkeit und der Ausbildungsfähigkeit wollen wir den modernen, dynamischen, zukunftstaugli- der Handwerksbetriebe kann nicht auf die Forderung chen und europafesten Meister schaffen. verzichtet werden – das ist der entscheidende Punkt, (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Herr Kollege Kuhn –, dass ein solcher Geselle, der die Rainer Brüderle [FDP] – Kurt J. Rossmanith Voraussetzungen erfüllt, wenigstens den Nachweis er- [CDU/CSU]: Wir brauchen das Handwerk!) bringen muss, dass er etwas von Ausbildung und von Betriebsleitung versteht. Ich möchte an dieser Stelle noch einige wenige wich- tige Punkte ansprechen. Der Vorschlag der Bundesregie- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: rung, für eine Einstufung in die Anlage A nur das Krite- Herr Kollege, schauen Sie bitte einmal auf die Uhr. rium „Gefahrengeneigtheit“ heranzuziehen, bedeutet Sie haben Ihre Redezeit deutlich überzogen. die Abschaffung des Meisterbriefs und das Ende seiner einzigartigen Erfolgsgeschichte. Zudem wird einer der bedeutendsten Ausbildungsmotoren unserer Wirtschaft Ernst Hinsken (CDU/CSU): brutal abgewürgt und das duale System, um das uns die Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzent- ganze Welt beneidet, völlig an die Wand gefahren. Das wurf, eingebracht von der Bundesregierung, kann unter machen wir nicht mit. keinen Umständen unsere Unterstützung finden. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rainer Brüderle [FDP]) Keine Ahnung!) (B) Für die Union ist es deshalb unverzichtbar, weitere Wir werden im Vermittlungsausschuss versuchen, dass (D) Kriterien für die Einstufung der Gewerke in die die Regierenden – momentan sind es die Roten und die Anlage A zuzulassen. An erster Stelle sind hier zusätz- Grünen –, die in diesem Gremium sitzen, auf den Pfad lich die Ausbildungsleistung und der Schutz wichtiger der Tugend zurückgeführt werden – Gemeinschaftsgüter zu nennen. – Herr Kollege Brüderle, ich bedanke mich, dass Ihre Ausführungen in die gleiche Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Richtung gingen. – Nur damit ist das Handwerk auch Herr Kollege, Sie sprechen auf Kosten Ihres Frak- weiterhin noch in der Lage, die dringend benötigten tionskollegen, der nach Ihnen noch spricht. Ausbildungsplätze für unsere Jugendlichen anzubieten. Wir dürfen doch nicht übersehen, dass das Handwerk Ernst Hinsken (CDU/CSU): derzeit rund 527 000 jungen Menschen den Einstieg in – und dass somit sichergestellt wird, dass sich das ihre berufliche Zukunft bietet. Das Handwerk ist der Handwerk weiterhin behaupten kann. Ausbildungsmotor Nummer eins in der Bundesrepublik Herzlichen Dank. Deutschland. Dafür sollten wir dankbar sein. Wir sollten aber nicht das Handwerk bestrafen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Lobbyismus!) neten der FDP) Ich fordere Sie, verehrter Herr Bundesminister Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Clement, und ebenso die Fraktionen von SPD und Grü- Nächster Redner ist der Kollege Christian Lange, nen auf, im Interesse der Ausbildung unserer Jugend den SPD-Fraktion. hier eingeschlagenen falschen Weg zu verlassen und um- zukehren. Noch ist es nicht zu spät. Mit einem Kahl- Christian Lange (Backnang) (SPD): schlag bei den Meisterberufen, wie er bisher von Rot- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Grün geplant ist, wird sich die wirtschaftliche Talfahrt Herren! Ich glaube, es ist kein Zufall, dass wir heute Deutschlands weiter beschleunigen. Wer glaubt, nach ei- über den Haushalt des Bundeswirtschaftsministers spre- ner Zerstörung handwerklicher Strukturen werde es ein chen und dass gleichzeitig die zweite und dritte Lesung höheres Wirtschaftswachstum geben, der ist völlig auf der Novelle zur Handwerksordnung auf der Tagesord- dem Holzweg. nung steht. Im Mittelpunkt muss dabei stehen: Was kann (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt!) die aufkeimenden konjunkturellen Besserungen unter- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6909

Christian Lange (Backnang) (A) stützen und was nicht? Verehrter Herr Kollege Hinsken, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) was das Handwerk noch mehr umtreibt als die Hand- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werksordnung, ist die Frage: Wie können wir die Bin- nenkonjunktur in Deutschland ankurbeln, damit es mehr Damit bin ich beim Kern der Novelle zur Handwerks- Aufträge für das Handwerk gibt? ordnung, die wir heute in zweiter und dritter Lesung be- schließen werden. Unser Ziel ist es, die Handwerksord- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nung zukunftssicher und europafest zu machen. Bei BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) diesem Punkt muss ich mich auch einmal der kleineren Opposition zuwenden, verehrter Herr Kollege Brüderle. Meine Damen und Herren von der Opposition, Herr Ich weiß nicht, ob Sie die Beschlusslagen in Ihren Lan- Hinsken, wenn Sie schon den Wirtschaftsinstituten nicht desverbänden oder gar die Ihres Parteivorsitzenden ken- glauben, dann sollten Sie zumindest dem Zentralverband nen. Ich will einmal mit der Beschlusslage in Hessen be- des Deutschen Handwerks glauben. Lassen Sie mich ginnen. Auf dem hessischen Landesparteitag wurde am deshalb eine Presseerklärung von Herrn Philipp vom 15. November dieses Jahres beschlossen: 12. November 2003 zitieren. Er sagt: Die FDP Hessen schätzt den Meisterbrief als Aus- Ein Scheitern der noch im parlamentarischen Ent- druck hohen Ausbildungsstands und Qualität im scheidungsprozess befindlichen Reformen hätte in- deutschen Handwerk. Dieses Qualitätsniveau ist so sofern katastrophale Folgen. Dies gilt insbesondere hoch, dass es keiner wettbewerbshemmenden Vor- für das Vorziehen der Steuerentlastungsstufe 2005 schriften bedarf. Die FDP Hessen fordert deshalb als ersten Schritt in eine grundlegende Steuerreform eine weitestmögliche Liberalisierung der deutschen mit weiteren Entlastungen und Vereinfachungen. Handwerksordnung. Grundsätzlich abzuschaffen ist Ich sage Ihnen: Herr Philipp und das deutsche Hand- der Zwang zum Meisterbrief für einen selbstständi- werk haben Recht. Deswegen hätte ich von Ihnen erwar- gen deutschen Handwerker, dessen in Deutschland tet, dass Sie hier ein klares Bekenntnis zum Vorziehen tätiger EU-Kollege den Meisterbrief nicht benötigt. der Steuerreform ablegen. Genau in diese Richtung versuchen wir das Hand- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werk mitzunehmen und es europafest zu machen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das Falsche Deutschland ist zwar Exportweltmeister. Aber um die mit dem Falschen beantworten!) Binnenkaufkraft zu stimulieren, müssen wir es errei- Denn wenn wir das nicht täten – das wissen Sie ganz ge- chen, dass ein Familienvater mit zwei Kindern – der (B) nau –, wird der Europäische Gerichtshof beim Meister- (D) Bundeskanzler hat dies in seiner Regierungserklärung brief einen Strich durch die Rechnung machen. Das wol- deutlich gemacht – erst ab einem Einkommen von len wir nicht; denn er hat sich im Kern bewährt. Deshalb 37 500 Euro den ersten Euro zu versteuern hat. Sie alle brauchen wir eine Novelle zur Handwerksordnung. wissen: Wenn wir über das Handwerk reden, dann spre- chen wir über Personengesellschaften und damit über (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unternehmen, die nach dem Einkommensteuerrecht ver- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anlagt werden. Sie warten darauf, dass sie erst ab einem Einkommen von 37 500 Euro den ersten Euro versteuern müssen. Das ist Politik für das Handwerk. Wir erwarten Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: von Ihnen, dass Sie dem zustimmen. Herr Kollege Lange, einen kleinen Augenblick bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach dem Kollegen (Beifall bei der SPD) Lange spricht noch ein Redner. Sie können Ihre Gesprä- Sie nehmen zwar die Auffassungen der Institute nicht che also durchaus noch in die Lobby vor dem Plenarsaal zur Kenntnis; aber zumindest Folgendes muss ich Ihnen verlegen. Dann könnten wir in Ruhe dem Herrn Lange vorhalten dürfen: Das Zentrum für Europäische Wirt- und dem Herrn Fuchs zuhören. schaftsforschung hat den Fokus auf das Handwerk ge- richtet und festgestellt: Die Entwicklung der Unterneh- Christian Lange (Backnang) (SPD): mensgründungen im Handwerk bleibt deutlich hinter Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich hoffe, dass ich der Entwicklung der Unternehmensgründungen im trotz des Geräuschpegels durchdringe. Nichthandwerk zurück. Dies gilt für alle hier betrachte- ten Wirtschaftszweige, unabhängig vom Technolo- Herr Kollege Brüderle, ich will Ihnen noch ein zwei- giegrad und unabhängig davon, ob die Branchen der In- tes Zitat – aus Ihrer eigenen Fraktion – vorhalten, das dustrie oder dem Dienstleistungssektor zuzurechnen des Kollegen Westerwelle, der in seiner Positionsschrift sind. Es ist kein Zufall, dass wir im Handwerk leider nur „Für die freie und faire Gesellschaft“ einen interessanten eine Gründungsquote von 4 Prozent und in anderen Be- Beitrag zum Handwerk geleistet hat. Darin schreibt er: reichen von 13 Prozent haben. Deshalb brauchen wir mehr Luft und etwas mehr Freiheit in der Handwerks- Es ist unfair, wenn jeder einen Laden aufmachen ordnung. Unsere Novelle ist daher ein Beitrag zur Förde- kann, um Computer zu reparieren, aber derjenige, rung des Handwerks in Deutschland und nicht das Ge- der einen Laden aufmacht, um Schuhe herzustellen, genteil. einen Meisterbrief braucht. 6910 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Christian Lange (Backnang) (A) Wenn das kein Widerspruch ist, dann fordere ich die Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: (C) FDP-Fraktion auf, der Novelle der Handwerksordnung Herr Kollege Lange, der Herr Kollege Brüderle zuzustimmen. Genau das ist unser Ansatz. würde gerne eine Zwischenfrage stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dietrich Christian Lange (Backnang) (SPD): Austermann [CDU/CSU]: Der ist doch nicht Aber gerne. Der Kollege Brüderle immer. ganz richtig im Kopf!) Rainer Brüderle (FDP): Der Meister wird übrigens in Zukunft nicht nur ge- Herr Kollege Lange, können Sie mir den Widerspruch stärkt, sondern er wird in Deutschland auch häufiger erklären, dass Sie beim Handwerk für Veränderungen vorkommen. Kern der Novelle der Handwerksordnung plädieren, aber strikt gegen Öffnungsklauseln in der ist es, den Meisterbrief als Qualitätssiegel Nummer eins Tarifpolitik sind? Es bedeutet auch ein Stück Freiheit, in Deutschland zu etablieren. Das ist das Ziel dieser No- wenn die Mitarbeiter im Betrieb über die Rahmenrege- vellierung. Deshalb wird es in Deutschland durch diese lungen entscheiden dürfen. Denen verweigern Sie diese Novelle am Ende mehr Meister geben als je zuvor. Freiheit. Können Sie das erklären? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Christian Lange (Backnang) (SPD): Wir werden dafür sorgen, dass nicht nur diejenigen, Herr Kollege Brüderle, Ihre Frage zeugt davon, dass die unter Anlage A der Handwerksordnung fallen, einen Sie die betriebliche Wirklichkeit in Deutschland nicht Meisterbrief machen können, sondern auch all diejeni- kennen. gen, die unter Anlage B fallen und ihn heute nicht ma- chen können. Der Verbraucher wartet darauf, ein Signal (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dafür zu bekommen, wer gute und wer schlechte Arbeit des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) leistet. Genau das machen wir. Ich sage Ihnen: Mein Bundesland Baden-Württem- (Beifall bei der SPD) berg – und allen voran die IG-Metall – sorgt dafür, dass wir für jedes betriebliche Problem eine passgenaue Lö- Deshalb wundere ich mich, dass Sie, Herr Kollege sung finden. Hinsken, den langjährigen Gesellinnen und Gesellen (Lachen bei der FDP) ein solch starkes Misstrauen entgegenbringen. Verehrter Herr Kollege Hinsken, Sie kennen offensichtlich die be- Deswegen sage ich Ihnen: Wer für immer weniger (B) rufliche Praxis in Ihrem eigenen Laden nicht. Ich weiß Staat sorgen will, der muss bitte schön zur Kenntnis neh- (D) ja, dass Sie Bäckermeister sind. men, dass die Tarifautonomie Deutschland stark ge- macht hat. Sie ist staatsfrei und muss diesen Status auch Diejenigen, die eine mehr als 10-jährige Berufserfah- in Zukunft behalten. Sie ist ein Erfolgsrezept für die rung haben – und das womöglich auch noch in herausge- deutsche Wirtschaft. hobener Stellung – bilden das Rückgrat der kleinen Handwerksbetriebe. Diesen wollen wir es ermöglichen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass sie, statt ein Leben lang Angestellte bleiben zu müs- DIE GRÜNEN) sen, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich Ich war beim Thema Ausbildung stehen geblieben. selbstständig machen können. Diese sind heute das Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten liegt Rückgrat der Meisterbetriebe. die Qualität der Ausbildung ganz besonders am Her- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist zen. Körperverletzung, was Sie hier machen! Ein (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das glauben Brüllaffe!) Sie doch nicht wirklich!) Diese sollen auch in Zukunft selbstständig sein können. Deshalb ist mir wichtig, in dieser Debatte zu sagen, dass Ich glaube, auf diesem Gebiet brauchen wir in Deutsch- durch die Novellierung der Handwerksordnung an der land dringend mehr Dynamik. Qualität der Ausbildung nicht gerüttelt wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die bilden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) überhaupt nicht mehr aus! Das ist das Ergeb- nis!) Deshalb ist es Sinn und Zweck unseres Gesetzentwur- fes, von den ursprünglich 94 Handwerken in Zukunft nur Das ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Quali- noch 29 der Anlage A zu unterwerfen. Das sind 414 300 tät der Ausbildung im Handwerk durch das Berufsbil- Betriebe. 62 Prozent davon sind Handwerksbetriebe und dungsgesetz sichergestellt wird. Wir – das wissen Sie ge- handwerksähnliche Betriebe. Diese werden auch zu- nau – ändern an § 76 des Berufsbildungsgesetzes, der die künftig der Anlage A unterliegen. Voraussetzungen für die Berechtigung zur Ausbildung festlegt, nichts. Wir haben das auch nicht vor. Deshalb Unserer sozialdemokratischen Fraktion ist die Quali- stellen Sie bitte schön Ihre Propaganda ein. Denn die tät der Ausbildung ein ganz besonderes Anliegen. Sie Ausbildungsbetriebe im Handwerk werden nicht durch sind darauf eingegangen. den Gesetzentwurf verunsichert, sondern durch Ihr Ge- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6911

Christian Lange (Backnang) (A) rede wider besseres Wissen. Ich bitte Sie in unserem ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) meinsamen Interesse, damit endlich aufzuhören. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich sage dies auch deshalb, weil wir es in Bezug auf Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege die Ausbildung in den nächsten drei bis fünf Jahren mit Dr. Michael Fuchs, CDU/CSU-Fraktion. geburtenstarken Jahrgängen zu tun haben werden. Da- nach wird die Welt anders aussehen; das wissen Sie. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Betriebe werden um jeden Auszubildenden froh sein, neten der FDP) weil diese dafür sorgen können, dass der Betrieb weiter- hin bestehen bleibt. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Dann habt ihr Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- lauter Ich-AGs!) gen! Die heutige Debatte über den Haushalt für Wirt- schaft und Arbeit kann man so zusammenfassen: Der Auszubildende sind also ein wichtiger wirtschaftlicher Haushalt ist genauso katastrophal wie die Arbeitslosen- Vorteil für jedes Unternehmen. Deshalb bitte ich Sie, zahlen, die Sie mit Ihren Haushalten, Herr Bundesminis- Ihre Propaganda einzustellen. Sie ist weder im Interesse ter, produziert haben. der Jugendlichen in Deutschland, noch der Unternehme- rinnen und Unternehmer. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Bundesminister, lieber Herr Clement, in vielen Zum Schluss möchte ich, Herr Kollege Hinsken, das Bereichen wollten Sie Besseres erreichen – das wissen Thema Ich-AG aufgreifen. Ich wundere mich sehr, auf wir –, man hat Sie nur nicht gelassen. Das haben Sie welche Weise Sie versuchen, die Kleinunternehmer in eben in Ihrer Rede dadurch deutlich gemacht, dass Sie unserem Land zu diffamieren. mehrmals den Oppositionspolitiker Kuhn erwähnt ha- ben. Man sieht, wo die wahre Opposition gegen Ihre (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das stimmt Ideen ist. Aber auch das, was Ihre Partei seit einiger Zeit doch gar nicht!) mit Ihnen macht, finde ich nicht besonders nett. Der Die meisten Unternehmer in Deutschland haben klein Juso-Vorsitzende Annen zum Beispiel hat Sie als Su- angefangen. Darüber, dass diejenigen, die aus der Lang- perankündigungsminister bezeichnet. zeitarbeitslosigkeit herauskommen wollen, es ganz be- Am 7. November 2002 haben Sie gesagt: Es ist das sonders schwer haben, brauchen wir uns doch wohl nicht (B) erste große Gesetz, – es ging um Hartz I und Hartz II –, (D) zu unterhalten. Sie aber äußern sich über diese Men- das zu tief greifender Strukturveränderung des Arbeits- schen schlecht. In den Redebeiträgen heute war das nicht marktes in Deutschland führen wird. Ich muss Sie fra- der Fall, aber ich erinnere mich an Ihre Veranstaltung gen: Wo sind denn die tief greifenden Strukturverände- unweit von hier. Auf dieser Veranstaltung haben Sie die- rungen? Was hat sich denn verändert? Was mussten wir jenigen, die eine Ich-AG gegründet haben, als Unterneh- in diesem Jahr alles erleben: Die Arbeitslosenzahlen merproletariat bezeichnet. Diese Menschen haben all ih- steigen in die Höhe. Der Haushaltsentwurf für das ren Mut zusammennehmen müssen und Unterstützung Jahr 2004 wird mit Sicherheit nicht einzuhalten sein. Sie erfahren, um ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen zu haben 13,4 Milliarden Euro für die Arbeitslosenhilfe können. Solche Sprüche sind schon happig. eingeplant. Diesen Betrag werden Sie wie schon in die- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sem Jahr auch im nächsten Jahr überschreiten. Es sollte DIE GRÜNEN) 2003 keinen Bundeszuschuss zur Bundesanstalt für Ar- beit geben, jetzt wird er bei 8 Milliarden Euro liegen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ludwig Erhard eine solche Das wird auch im nächsten Jahr so sein. Position seiner Partei unterstützt hätte. Ludwig Erhard würde sich im Grabe umdrehen, wenn er mitbekommen Von einer Belebung des Arbeitsmarktes können wir würde, wie Sie mit Leuten umgehen, die den Mut auf- nicht mehr sprechen. Die Beschäftigungsschwelle liegt bringen, sich selbstständig zu machen. nach wie vor bei über 2 Prozent Wachstum. Es wird also keine Bewegung in den Arbeitsmarkt kommen, schließ- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des lich wird das Wachstum, wie Sie selbst sagen, bei BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 1,7 Prozent liegen. Ich komme zum Schluss. Wir werden mit der so ge- Die Situation bei der Entwicklung der Arbeitsplätze nannten kleinen Handwerksnovelle sicherstellen, dass ist ziemlich dramatisch. Die Präsidentin hat mir acht Mi- die Ich-AG auf einem guten Weg ist. Wir werden dafür nuten Redezeit zugestanden. In diesen acht Minuten ge- sorgen – ich greife auf, was Sie zu den anstehenden Ver- hen in Deutschland acht Arbeitsplätze verloren, pro Mi- handlungen im Vermittlungsausschuss gesagt haben –, nute einer. Das ist der Erfolg Ihrer Politik. dass wir bei der großen Novelle zu einem Kompromiss kommen. Dabei haben wir immer fest im Auge, dass wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr Wachstum und mehr Dynamik in der deutschen der FDP) Wirtschaft brauchen. Und was macht Ihre Partei, Herr Clement? Fundamental Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. wichtige Reformen am Arbeitsmarkt, wie die Eröffnung 6912 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Michael Fuchs (A) der Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit oder 44. Woche sagte Herr Eichel: Die Mehrwertsteuer muss (C) ausreichende Änderungen beim Kündigungsschutz, wer- erhöht werden, falls die Union im Bundesrat blockiert. den von den gewerkschaftshörigen Traditions- und Ver- In der 45. Woche beschloss die Regierungskoalition, hinderungsbataillonen bis zum heutigen Tag blockiert. Rentenkürzungen in Form einer Nullrunde verbunden mit der Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge vor- (Beifall des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ zunehmen. In der 46. Woche beschloss die SPD-Frak- CSU]) tion, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen. In der Deswegen werden wir nicht mitmachen, falls Sie nur die 47. Woche sagte die Linke der SPD: Die Erbschaftsteuer Steuerreform durchführen wollen. Nein, gerade auf dem muss erhöht und die Vermögensteuer wieder eingeführt Arbeitsmarkt müssen Sie Veränderungen schaffen. werden. In der 48. Woche waren dann die Stromversor- ger an der Reihe. In dieser Woche haben wir von Frau (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Caspers-Merk gehört, dass die Alkopopsteuer erhöht Permanente Ankündigungen gibt es auch beim werden muss. Auch Herr Trittin hat sich in dieser Woche Thema Bürokratieabbau, das Sie als Erfolgsstory vor- mal wieder geäußert, und zwar zur Vermögensteuer. Das hin ein wenig katalogisiert haben. Ich bin etwas tiefer hi- waren die letzten vier Wochen. In diesen gab es nur De- neingegangen. Bei der Arbeitsstättenverordnung haben batten und Informationen über Steuererhöhungen. Sie beispielsweise etwas getan, jawohl. Sie haben 58 Pa- Glauben Sie, dass dabei noch irgendeiner investiert? Das ragraphen auf zehn reduziert. Trickreich, wie Sie sind, ist der Grund, weshalb wir kaum noch Wachstum haben. haben Sie den Inhalt dieser 58 Paragraphen anschließend (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aber ganz einfach in Verordnungen hinübergeschoben. Es hat sich also gar nichts verändert. Sie können heilfroh sein, dass im nächsten Jahr vier Feiertage wegfallen; denn allein dadurch wird das (Ute Kumpf [SPD]: Das haben Sie schon vor Wachstum um 0,6 Prozent steigen. Nebenbei bemerkt: zwei Wochen erzählt!) Das ist eine ganz interessante Information. Diese vier Daneben wollen Sie einen Ausschuss für Arbeitsstät- wegfallenden Feiertage führen aufgrund der Mehrarbeit ten aus Vertretern der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, zu mehr Wachstum. Das heißt, wenn wir in Deutschland der Länder und noch weiteren Personen bilden. Wir ha- mehr arbeiten, dann wächst die Wirtschaft auch wieder. ben ja noch nicht genug Ausschüsse in diesem Lande! Also sollten wir umdenken und das Ganze umstellen. Dieser soll Regeln für Arbeitsstätten aufstellen. Schaffen Das ist natürlich eine Forderung an die Gewerkschaften, wir so Bürokratie ab oder bauen wir neue auf? Nichts an- die sich bei solchen Gedanken abwenden. Das kennen deres, als neue aufzubauen, tun wir. wir von Herrn Brandner. Wir müssen in Deutschland wieder mehr arbeiten. Ohne diese Mehrarbeit kommen (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) wir nicht aus der Krise heraus. Das sollten wir sehr deut- neten der FDP) lich machen. Meine Damen und Herren, ich muss noch einmal auf die Sparquote in Deutschland zu sprechen kommen. Meine Damen und Herren, es ist bekannt, dass ich Wir haben in unserem Land eine nie gekannte Privat- Unternehmer bin. Wenn mein Geschäftsführer Schröder sparquote. Sie ist von 2000 bis 2003 von 9,8 Prozent auf und mein Oberbuchhalter Eichel in meinem Unterneh- 11,0 Prozent gestiegen. Zum Vergleich sollte man sich men einen Jahreswirtschaftsplan – ein Budget –, der so die letzte Legislaturperiode unter Kohl anschauen; Sie aussähe wie der vorliegende Haushaltsplan, aufgestellt tun das sonst immer besonders gerne. Von 1992 bis 1998 und ihn mir vorgelegt hätten, dann hätte ich die beiden ist die Sparquote von 13 Prozent auf 10,3 Prozent gesun- sofort entlassen. ken. Wissen Sie, warum das so war? Das war so, weil die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Menschen damals noch Zutrauen in die Regierung hat- neten der FDP) ten, Dem will ich nur noch hinzufügen: Ich hätte sie gar nicht (Lachen bei der SPD) erst eingestellt. weil sie gewusst haben, dass etwas passiert und dass sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ihr Geld ausgeben konnten, ohne Angst haben zu müs- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ein kluger sen. Mann, der Fuchs! – Dietrich Austermann (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. [CDU/CSU]: Ein schlauer Fuchs!) Dirk Niebel [FDP]) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Ich will Ihnen das belegen. Ich kann jeden Bürger, jede Bürgerin, jeden Unternehmer und jede Unternehme- Ich schließe die Aussprache. rin verstehen, wenn nicht investiert und kein Geld ausge- Für eine persönliche Erklärung nach § 31 unserer Ge- geben wird. Schauen wir uns – ich mache es mir jetzt schäftsordnung gebe ich dem Kollegen Laumann das ganz einfach – nur die letzten vier Wochen an: Wort. In der 43. Woche sagte Herr Eichel: Die Renten müs- sen besteuert werden. In der 44. Woche sagte Herr Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): Schily: Auch bei Beamten wird es zu Rentenkürzungen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und in Form von erhöhten Pflegebeiträgen kommen. In der Herren! Nach § 31 unserer Geschäftsordnung erkläre ich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6913

Karl-Josef Laumann (A) zugleich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich er- (C) zu unserem Abstimmungsverhalten zum Antrag der FDP öffne die Abstimmung. auf Drucksache 15/2088 zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Wirtschaft und Arbeit Folgendes: Ich mache darauf aufmerksam, dass nach der nament- lichen Abstimmung noch weitere Abstimmungen zu täti- Die von der Bundesregierung und den Koalitionsfrak- gen sind und dass die Kolleginnen und Kollegen zu die- tionen vorgesehenen Festlegungen für eine Anschlussre- sen Abstimmungen dableiben mögen. gelung zur Förderung der Steinkohle sind weder im Ver- fahren noch in der Höhe akzeptabel. Für die festgelegte – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung Größenordnung der Anschlussregelung hat es weder die und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit notwendige parlamentarische Beratung gegeben, der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament- lichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. (Zuruf von der SPD: Falsch!) Wir setzen die Abstimmungen fort. Ich bitte die Kol- noch liegen die Finanzierungszusagen der betroffenen leginnen und Kollegen, ihre Plätze wieder einzunehmen. Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Saarland in den angegebenen Größenordnungen vor. Wir lehnen diese Wir kommen zur Abstimmung über den von den Festlegungen ab und stimmen daher dem Änderungsan- Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen trag der FDP zu. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Hand- werksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vor- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- schriften auf Drucksache 15/1206. Der Ausschuss für wie bei der FDP) Wirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a sei- Zugleich weisen wir darauf hin, ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2083, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- DIE GRÜNEN]: Wieso „wir“?) schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. dass wir selbstverständlich eine Anschlussregelung für – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- die Förderung der Steinkohle nach Auslaufen der derzei- entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko- tigen Regelung 2005 für notwendig halten und unterstüt- alition gegen die Stimmen der CDU/CSU und der FDP zen. angenommen. (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dritte Beratung DIE GRÜNEN) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem (B) – Hören Sie doch einmal zu! Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (D) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: wurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- Herr Kollege Laumann, Sie geben eine persönliche men der CDU/CSU und der FDP angenommen. Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung ab. Sie Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- sollten sich an eine persönliche Erklärung zur Abstim- schließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache mung halten. 15/2085. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie- Karl-Josef Laumann (CDU/CSU): ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Ent- Genau das ist es. Es ist eine Anschlussregelung not- haltung der CDU/CSU und bei Zustimmung der FDP ab- wendig, mit der die bisherige Degressionslinie der För- gelehnt. derung der Steinkohle in den letzten Jahren auch für ei- nen nächsten überschaubaren Zeitraum festgelegt wird. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Schönen Dank. Arbeit auf Drucksache 15/2083. Der Ausschuss emp- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 15/1107 mit dem Titel „Handwerk mit Zu- Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: kunft“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, in der lung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- Ausschussfassung. Dazu liegen persönliche Erklärungen men der CDU/CSU bei Enthaltung der FDP angenom- 1) von 36 Abgeordneten vor. men. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- auf Drucksache 15/2088 vor, über den wir zuerst abstim- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der men. Die Fraktion der FDP verlangt namentliche Ab- Fraktion der FDP auf Drucksache 15/1108 mit dem Titel stimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- „Meisterbrief erhalten und Handwerksordnung zukunfts- führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind die fest machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschluss- 1) Anlage 2 empfehlung ist mit den Stimmen der Koalition bei 6914 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner (A) Gegenstimmen der FDP und Enthaltung der CDU/CSU Abstimmung zu Tagesordnungspunkt I.12, zum Dritten (C) angenommen. Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung, abgege- ben haben, wonach sie sich der Stimme enthalten ha- Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der na- ben.1) mentlichen Abstimmung vorliegt. Ich gebe Ihnen nun das von den Schriftführerinnen (Unterbrechung von 13.03 bis 13.06 Uhr) und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen 588. Mit Ja Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: haben gestimmt 286, mit Nein haben gestimmt 302, es Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene gab keine Enthaltungen. Der Änderungsantrag der Frak- Sitzung ist wieder eröffnet. tion der FDP ist somit abgelehnt. Zunächst einmal gebe ich zu Protokoll, dass die Ab- geordneten Bahr, Kauch und Löning eine Erklärung zur 1) Anlage 3

Endgültiges Ergebnis Thomas Dörflinger Siegfried Helias Dr. Michael Luther Abgegebenen Stimmen: 588; Marie-Luise Dött Uda Carmen Freia Heller Dorothee Mantel davon Maria Eichhorn (Altötting) Rainer Eppelmann Jürgen Herrmann Conny Mayer (Baiersbronn) ja: 286 (Lübeck) Ernst Hinsken Dr. Martin Mayer nein: 302 (Siegertsbrunn) Robert Hochbaum Wolfgang Meckelburg Ja Dr. Hans Georg Faust Klaus Hofbauer Dr. Albrecht Feibel Joachim Hörster Dr. Angela Merkel CDU/CSU Ingrid Fischbach Hubert Hüppe Friedrich Merz Hartwig Fischer (Göttingen) Susanne Jaffke (Hamm) Ulrich Adam Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Peter Jahr Doris Meyer (Tapfheim) Maria Michalk Axel E. Fischer (Karlsruhe- Prof. Dr. Egon Jüttner Dietrich Austermann Land) Bartholomäus Kalb Hans Michelbach Norbert Barthle Dr. Steffen Kampeter Klaus Minkel Dr. Klaus-Peter Flosbach Irmgard Karwatzki (B) Günter Baumann Bernhard Kaster Stefan Müller (Erlangen) (D) Ernst-Reinhard Beck Dr. Hans-Peter Friedrich Siegfried Kauder (Bad Bernward Müller (Gera) (Reutlingen) (Hof) Dürrheim) Dr. Gerd Müller Veronika Bellmann Erich G. Fritz Volker Kauder Hildegard Müller Jochen-Konrad Fromme Gerlinde Kaupa (Bremen) Prof. Dr. Dr. Michael Fuchs Eckart von Klaeden Clemens Binninger Hans-Joachim Fuchtel Jürgen Klimke Günter Nooke Dr. Julia Klöckner Dr. Georg Nüßlein Peter Bleser Dr. Jürgen Gehb Kristina Köhler (Wiesbaden) Franz Obermeier Manfred Kolbe Prof. Dr. Maria Böhmer Roland Gewalt Hartmut Koschyk Melanie Oßwald Thomas Kossendey Rita Pawelski Wolfgang Börnsen Georg Girisch Rudolf Kraus Dr. Peter Paziorek (Bönstrup) Michael Kretschmer Ulrich Petzold Ralf Göbel Günther Krichbaum Dr. Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Reinhard Göhner Günter Krings Sibylle Pfeiffer Klaus Brähmig Tanja Gönner Dr. Martina Krogmann Dr. Friedbert Pflüger Dr. Peter Götz Dr. Hermann Kues Beatrix Philipp Dr. Wolfgang Götzer Werner Kuhn (Zingst) Monika Brüning Dr. Karl A. Lamers Kurt-Dieter Grill (Heidelberg) Daniela Raab Verena Butalikakis Dr. Hartmut Büttner Hermann Gröhe Helmut Lamp Hans Raidel (Schönebeck) Michael Grosse-Brömer Barbara Lanzinger Dr. Peter Ramsauer Cajus Caesar Markus Grübel Karl-Josef Laumann Helmut Rauber (Emstek) Manfred Grund Vera Lengsfeld Peter Rauen Peter H. Carstensen Karl-Theodor Freiherr von Werner Lensing Christa Reichard (Dresden) (Nordstrand) und zu Guttenberg Peter Letzgus Katherina Reiche Ursula Lietz Hans-Peter Repnik Holger-Heinrich Haibach Walter Link (Diepholz) Klaus Riegert Eduard Lintner Prof. Dr. Albert Deß Klaus-Jürgen Hedrich Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Franz-Xaver Romer Vera Dominke Ursula Heinen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6915

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Dr. Klaus Rose Otto Fricke Gerd Höfer (C) Kurt J. Rossmanith Horst Friedrich (Bayreuth) Jelena Hoffmann (Chemnitz) Dr. Norbert Röttgen Rainer Funke (Heidelberg) Walter Hoffmann Dr. Christian Ruck Dr. (Darmstadt) (Weiden) Hans-Michael Goldmann Gerd Friedrich Bollmann Frank Hofmann (Volkach) Peter Rzepka Joachim Günther (Plauen) Klaus Brandner Eike Hovermann Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Klaas Hübner Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Christel Happach-Kasan Christel Humme Hartmut Schauerte (Hildesheim) Lothar Ibrügger (Homburg) Hans-Günter Bruckmann Brunhilde Irber Norbert Schindler Klaus Haupt Renate Jäger Georg Schirmbeck Ulrich Heinrich Marco Bülow Jann-Peter Janssen Birgit Homburger Klaus-Werner Jonas Christian Schmidt (Fürth) Dr. Dr. Michael Bürsch Johannes Kahrs Andreas Schmidt (Mülheim) Michael Kauch Hans Martin Bury Ulrich Kasparick Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Heinrich L. Kolb Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. h.c. Susanne Kastner Dr. Ole Schröder Gudrun Kopp Marion Caspers-Merk Ulrich Kelber Bernhard Schulte-Drüggelte Jürgen Koppelin Dr. Hans-Peter Kemper Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Kirschner Wilhelm Josef Sebastian Harald Leibrecht Hans-Ulrich Klose Horst Seehofer Ina Lenke Martin Dörmann Astrid Klug Kurt Segner Sabine Leutheusser- Peter Dreßen Dr. Heinz Köhler (Coburg) Matthias Sehling Schnarrenberger Detlef Dzembritzki Marion Seib Markus Löning Fritz Rudolf Körper Heinz Seiffert Dirk Niebel Siegmund Ehrmann Karin Kortmann Bernd Siebert Günther Friedrich Nolting Rolf Kramer Hans-Joachim Otto Marga Elser (Frankfurt) Ernst Kranz Eberhard Otto (Godern) Petra Ernstberger Nicolette Kressl Detlef Parr Karin Evers-Meyer Volker Kröning Annette Faße Angelika Krüger-Leißner Gisela Piltz Elke Ferner Dr. Hans-Ulrich Krüger Andreas Storm Prof. Dr. Horst Kubatschka Dr. Günter Rexrodt Rainer Fornahl Ernst Küchler Matthäus Strebl (B) Marita Sehn Gabriele Frechen Helga Kühn-Mengel (D) (Heilbronn) Dr. Ute Kumpf Lena Strothmann Dr. Lilo Friedrich (Mettmann) Dr. Uwe Küster Michael Stübgen Dr. Rainer Stinner Iris Gleicke Carl-Ludwig Thiele Günter Gloser Christian Lange (Backnang) Edeltraut Töpfer Dr. Dieter Thomae Uwe Göllner Christine Lehder Dr. Hans-Peter Uhl Jürgen Türk Renate Gradistanac Waltraud Lehn Arnold Vaatz Dr. Guido Westerwelle Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Elke Leonhard Volkmar Uwe Vogel Dr. Claudia Winterstein Dieter Grasedieck Eckhart Lewering Andrea Astrid Voßhoff Götz-Peter Lohmann Gerhard Wächter Fraktionslose Abgeordnete Gabriele Lösekrug-Möller Marko Wanderwitz Martin Hohmann Gabriele Groneberg Erika Lotz Peter Weiß (Emmendingen) Achim Großmann Dr. Gerald Weiß (Groß-Gerau) Wolfgang Grotthaus Dirk Manzewski Nein Karl-Hermann Haack Tobias Marhold Annette Widmann-Mauz (Extertal) Lothar Mark Klaus-Peter Willsch SPD Hans-Joachim Hacker Willy Wimmer (Neuss) Dr. Lale Akgün Klaus Hagemann Werner Wittlich Ingrid Arndt-Brauer Alfred Hartenbach Dagmar Wöhrl Michael Hartmann Ulrike Mehl Elke Wülfing Hermann Bachmaier (Wackernheim) Petra-Evelyne Merkel Wolfgang Zeitlmann Ernst Bahr (Neuruppin) Anke Hartnagel Ulrike Merten Wolfgang Zöller Doris Barnett Nina Hauer Willi Zylajew Dr. Hans-Peter Bartels Ursula Mogg Eckhardt Barthel (Berlin) Reinhold Hemker Michael Müller (Düsseldorf) FDP (Starnberg) Rolf Hempelmann Christian Müller (Zittau) Daniel Bahr (Münster) Sören Bartol Dr. Barbara Hendricks Gesine Multhaupt Rainer Brüderle Sabine Bätzing Franz Müntefering Angelika Brunkhorst Petra Heß Dr. Rolf Mützenich Klaus Uwe Benneter Monika Heubaum Volker Neumann (Bramsche) Helga Daub Dr. Gisela Hilbrecht Jörg van Essen Gabriele Hiller-Ohm Dr. Erika Ober Ulrike Flach Hans-Werner Bertl Stephan Hilsberg Holger Ortel 6916 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Heinz Paula Gerhard Schröder Dr. Ernst Ulrich von Antje Hermenau (C) Joachim Poß Brigitte Schulte (Hameln) Weizsäcker Peter Hettlich Dr. Wilhelm Priesmeier Reinhard Schultz Jochen Welt Ulrike Höfken (Everswinkel) Dr. Rainer Wend Thilo Hoppe Dr. (Spandau) Lydia Westrich Michaele Hustedt Karin Rehbock-Zureich Dr. Angelica Schwall-Düren Inge Wettig-Danielmeier Fritz Kuhn Gerold Reichenbach Dr. Martin Schwanholz Dr. Renate Künast Dr. Carola Reimann Andrea Wicklein Undine Kurth (Quedlinburg) Christel Riemann- Erika Simm Jürgen Wieczorek (Böhlen) Markus Kurth Hanewinckel Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Reinhard Loske Dr. Cornelie Sonntag- Dr. Dieter Wiefelspütz Anna Lührmann Reinhold Robbe Wolgast Brigitte Wimmer (Karlsruhe) René Röspel Wolfgang Spanier Engelbert Wistuba Kerstin Müller (Köln) Dr. Dr. Margrit Spielmann Barbara Wittig Dr. Karin Roth (Esslingen) Jörg-Otto Spiller Christa Nickels Verena Wohlleben Michael Roth (Heringen) Dr. Ditmar Staffelt Waltraud Wolff Gerhard Rübenkönig Ludwig Stiegler Simone Probst (Wolmirstedt) (Augsburg) Rolf Stöckel Heidi Wright Marlene Rupprecht Christoph Strässer Krista Sager (Tuchenbach) Rita Streb-Hesse Christine Scheel Thomas Sauer Manfred Helmut Zöllmer Dr. Peter Struck Irmingard Schewe-Gerigk Anton Schaaf Dr. Christoph Zöpel Joachim Stünker Rezzo Schlauch Axel Schäfer (Bochum) Jörg Tauss Albert Schmidt (Ingolstadt) Gudrun Schaich-Walch BÜNDNIS 90/DIE Dr. Gerald Thalheim GRÜNEN Werner Schulz (Berlin) Petra Selg Bernd Scheelen Wolfgang Thierse Franz Thönnes Ursula Sowa Dr. (Bremen) Hans-Jürgen Uhl Rainder Steenblock Siegfried Scheffler (Köln) Rüdiger Veit Silke Stokar von Neuforn Horst Schild Hans-Christian Ströbele Horst Schmidbauer Simone Violka Birgitt Bender Jörg Vogelsänger Jürgen Trittin (Nürnberg) Marianne Tritz Ulla Schmidt (Aachen) (Pforzheim) Grietje Bettin Dr. Marlies Volkmer Hubert Ulrich Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Antje Vogel-Sperl (Meschede) Hans Georg Wagner Ekin Deligöz Dr. Antje Vollmer Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Hedi Wegener (B) Dr. Thea Dückert Dr. Ludger Volmer (D) Heinz Schmitt (Landau) Andreas Weigel Jutta Dümpe-Krüger Josef Philip Winkler Reinhard Weis (Stendal) Franziska Eichstädt-Bohlig Margareta Wolf (Frankfurt) Walter Schöler Petra Weis Dr. Uschi Eid Gunter Weißgerber Hans-Josef Fell Fraktionslose Abgeordnete Karsten Schönfeld Matthias Weisheit Joseph Fischer (Frankfurt) Wilfried Schreck Prof. Anja Hajduk Dr. Gesine Lötzsch (Wiesloch) Winfried Hermann Petra Pau

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für plan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für den die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre Einzelplan 09 in der Ausschussfassung? – Gegenstim- keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. men? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 09 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst von CDU/CSU und FDP und gegen die Stimme des Ab- der Abgeordnete Dr. Michael Luther. geordneten Hubert Ulrich, Bündnis 90/Die Grünen, an- (Beifall bei der CDU/CSU) genommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt I.13 auf: Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Einzelplan 15 Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe am Wochenende mit meiner Frau darüber ge- Bundesministerium für Gesundheit und Soziale sprochen, dass ich heute zum Einzelplan 15 reden Sicherung werde. – Drucksachen 15/1913, 15/1921 – (Walter Schöler [SPD]: Landesverrat!) Berichterstattung: Ich habe sie gefragt, was sie zum Inhalt dieses Einzel- Abgeordnete Waltraud Lehn plans sagen würde. Dr. Michael Luther Anja Hajduk (Dr. Heinrich L. Kob [FDP]: Ja, was sagt Frau Otto Fricke Luther?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6917

Dr. Michael Luther (A) Sie hat geantwortet: Wenn es sich nicht lohnt, darüber zu Ein Blick auf den unterjährigen Schwankungsverlauf (C) reden, weil der Haushalt in sich nicht stimmig ist, dann für dieses Jahr zeigt, dass eine Spannbreite von ungefähr sag das doch bitte auch so. 20 Prozent benötigt wird. Der Bestand der Rentenkassen sinkt damit wahrscheinlich im nächsten Jahr auf null. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich nehme die Re- Damit besteht die große Gefahr – das gilt schon für den dezeit! – Zuruf von der SPD: Geh doch!) Bundeshaushalt 2004 –, dass der Haushalt dafür ein- Ich denke, meine Frau hat Recht: springen muss. Dafür ist aber keine Vorsorge getroffen. (Beifall bei der CDU/CSU – Walter Schöler (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [SPD]: Michael, das war eine gute Rede! – [CDU/CSU]: Unglaublich! – Birgitt Bender Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war geliehene Be- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na und? Was troffenheit!) wäre daran dramatisch?) Es lohnt sich nicht, über den Haushalt zu reden, weil der Die Gefahr, dass das passiert, ist real, schon weil Sie Haushalt eigentlich das Papier nicht wert ist, auf dem er bei dieser Rechnung von einem Wirtschaftswachstum steht. von 1,7 Prozent und 4,3 Millionen Arbeitslosen im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nächsten Jahr ausgehen. Der Sachverständigenrat des Bundeswirtschaftsministers hat aber schon zu diesem In einem Haushalt sind normalerweise die zu erwar- Zeitpunkt festgestellt, dass nur mit einem Wirtschafts- tenden Soll-Einnahmen und -Ausgaben aufgeführt. Der wachstum von 1,5 Prozent bei einer größeren Zahl von Haushalt 2004 aber enthält Wunschzahlen, die mit der Arbeitslosen, nämlich 4,4 Millionen, zu rechnen ist. Realität wenig zu tun haben. Aus diesem Grund werden die im Haushalt 2004 zur (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Beim Christ- Verfügung stehenden Mittel wahrscheinlich nicht ausrei- kind geht es solider zu!) chen, sodass die Bundesgarantie greifen muss. Deshalb Ich will Ihnen gern an dem Beispiel des Einzelplan 15 meine ich, dass das Kap. 15/13 das Papier, auf dem die aufzeigen, warum das so ist. In diesem Einzelplan ist eine Zahlen stehen, nicht wert ist. Eine globale Minderaus- globale Minderausgabe in Höhe von 157,7 Millionen gabe ist an dieser Stelle nicht aufzulösen. Euro ausgewiesen. Ich frage Sie, Frau Ministerin und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frau Lehn als Hauptberichterstatterin: Wie sollen diese 157,7 Millionen Euro aufgelöst werden? Otto Fricke [FDP]) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was hat Ihre Frau Im Übrigen ist Folgendes interessant – das will ich an dazu gesagt?) dieser Stelle erwähnen –: Das Haushaltsbegleitgesetz, (B) das zurzeit dem Bundesrat zur Beratung vorliegt, enthält (D) Das scheint auf den ersten Blick kein Problem zu die Vorschrift, dass der Bundeszuschuss um sein. Denn gemessen am gesamten Haushalt des Bun- 2 Milliarden Euro gesenkt wird. desministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, der 83,65 Milliarden Euro umfasst, entsprechen die (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!) 157,7 Millionen Euro einem Anteil von lediglich Ich frage mich, was passiert, wenn der Bundesrat 0,19 Prozent. Das aufzulösen scheint einfach zu sein. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dem zu stimmt! – (Waltraud Lehn [SPD]: Weil es so einfach ist, Gegenruf der Abg. Waltraud Lehn [SPD]) machen wir es ja!) dem Wunsch von Rot-Grün folgt. Aber vielleicht sollte man einen genaueren Blick auf die Struktur des Haushaltes werfen. Ich beginne bei dem Im Übrigen fand ich es im Verlauf dieses Jahres span- größten Posten, dem Kap. 15/13 – Sozialversicherung – nend, dass die Abgeordnete Ulla Schmidt, ihres Zei- mit einem Volumen von 79,1 Milliarden Euro. Hierbei chens auch Bundesministerin, noch an dem bewussten handelt es sich im Wesentlichen um die Zuschüsse an die Freitag namentlich der Senkung zugestimmt, aber am Rentenkasse und zukünftig auch an die Krankenkassen. darauf folgenden Montag in der Klausurtagung dagegen Die Titelausgaben in diesem großen Kapitel stehen im gearbeitet hat. Wissen Sie überhaupt, was Sie wollen? Wesentlichen fest, sodass mir die Auflösung einer globa- len Minderausgabe an dieser Stelle nicht möglich er- (Beifall bei der CDU/CSU) scheint. Ich komme zum nächsten großen Haushaltskapitel, Im Gegenteil: Gerade bei diesem Kapitel bestehen er- Kriegsopferfürsorge, das ein Volumen von 3,4 Milliar- hebliche Haushaltsrisiken. Bei Umsetzung der politi- den Euro aufweist. Ich habe in den letzten Jahren erlebt, schen Zielsetzung eines Rentenbeitragssatzes von 19,5 dass Sie dieses Kapitel immer als Sparbüchse benutzen, Prozent fehlen den Rentenkassen 2004 8 Milliarden in der Regel mit dem Argument, alle Titel in diesem Ka- Euro. Zur Gegenfinanzierung soll wieder einmal – zum pitel seien gegenseitig deckungsfähig, weswegen es dritten Mal in Folge – auf die Schwankungsreserve zu- nicht so schlimm sei, wenn ein Titel, anders als geplant, rückgegriffen werden, die nun auf einen Zielwert von überschritten werde. Im Jahre 2002 führte dies zu dem 20 Prozent der Monatsausgabe einer Rentenzahlung ge- Ergebnis, dass ein Haushaltstitel um 61 Millionen Euro senkt wird. überschritten worden ist. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann ist da ja (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: kaum noch was drin! Das ist doch unsolide!) Auch unsolide!) 6918 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Michael Luther (A) Sie haben dann aber im letzten Jahr, um die Pockenimpf- Verantwortung für die Krankheitskontrolle und Gesund- (C) stoffe zu finanzieren, aus diesem Kapitel einfach einmal heitsprävention in Deutschland. Wir haben den Institu- 13 Millionen Euro herausgekürzt, was irgendwie ging ten, auch dem RKI, in den letzten Jahren immer wieder und nicht weiter auffiel. neue Aufgaben übertragen, ohne dies adäquat mit Perso- nal zu untersetzen. Im Gegenteil, sie müssen wie alle (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist doch Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung Personal ab- nicht solide!) specken. Das Volumen dieses Kapitels ist relativ groß. Was So können wir nicht weiter verfahren. Wir müssen sind da schon 13 Millionen Euro? Im Jahre 2003 und – dies richte ich an alle Fachpolitiker im Hause – im vermutlich auch im Jahre 2004 werden die wesentlich zu Sinne einer Aufgabenkritik darüber nachdenken, welche niedrigen Ansätze nicht ausreichen, sodass es hier zu weniger wichtigen Aufgaben den Instituten weggenom- überplanmäßigen Ausgaben kommen wird. Aus diesem men werden können, damit sie die Aufgaben, die bei ih- Grunde kann man auch an dieser Stelle keine globale nen verbleiben, im Interesse unseres Landes gut erfüllen Mehrausgabe auflösen. können. Man kann zum Beispiel beim BfArM und beim Dieses Beispiel für den Umgang mit dem Haushalt Paul-Ehrlich-Institut darüber nachdenken, wie man macht sehr deutlich, dass Rot-Grün etwas unter Reali- eine bessere Gebührenfinanzierung und eine selbststän- tätsverlust leidet. dige Finanzverantwortung hinbekommt. Dafür gibt es in Deutschland mittlerweile genügend gute Beispiele. Dies (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bedarf allerdings sicherlich einer längerfristigen Kon- Etwas! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE zeption und entsprechender gesetzlicher Grundlagen, die GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: erst noch zu schaffen sind. Was aber den Haushalt 2004 „Etwas“ ist noch geschmeichelt! Das kann angeht, so sind die Bedingungen geschaffen. Das Geld, man auch härter ausdrücken!) das in den Haushalt eingestellt wird, brauchen die Insti- Der Haushaltsplan ist nichts weiter als eine Wunschvor- tute tatsächlich. Auch hier halte ich es für unmöglich, stellung von Rot-Grün. Dies lässt sich im Hinblick auf eine globale Minderausgabe aufzulösen. den gesamten Haushalt damit dokumentieren, dass Sie noch im Frühjahr 2003 einen Haushalt mit einer Neuver- (Beifall bei der CDU/CSU) schuldung von 18,9 Milliarden Euro aufgestellt haben. Ich komme nun zu den Kapiteln 15 01 und 15 02. Ein halbes Jahr später müssen wir feststellen, dass Sie Hier fallen mir allerdings einige Einsparvorschläge ein, sich um 24,5 Milliarden Euro verschätzt haben. (Walter Schöler [SPD]: Haben Sie das bean- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Haarscharf tragt?) (B) an der Wirklichkeit vorbei!) (D) Beispiel Öffentlichkeitsarbeit: Im Vergleich zum Haus- Wer so Haushaltspolitik betreibt, dem braucht man haltstitel im Jahr 2003 werden die Mittel für die Öffent- nichts zu glauben. lichkeitsarbeit im Jahr 2004 um 21 Prozent aufgestockt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich meine, dass hier ein schrödersches Politikprinzip sichtbar wird: Je schlechter die Politik, desto mehr Öf- Unter diesen Umständen war der Haushaltsentwurf für fentlichkeitsarbeit! das Jahr 2003 nichts wert. Genauso ist es mit dem Haus- haltsentwurf für 2004; auch er wird nichts wert sein. (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider auch wahr!) (Walter Schöler [SPD]: Und das hast du jetzt deiner Frau so erklärt?) Frau Schmidt, halten Sie die Menschen eigentlich für dumm? Sie sollten lieber gute Politik machen. Dann – Das Schöne dabei ist, dass meine Frau im Gegensatz können die Menschen selber erkennen, was ihnen die zu Ihnen das, was ich hier sage, versteht. Sie sagt auch, Politik in ihrem täglichen Leben bringt, und dann kön- dass man das so nicht machen kann. nen Sie die Öffentlichkeitsarbeit getrost den Medien (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und überlassen, die das, was wir hier tun, intensiv begleiten. der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Brin- (Beifall bei der CDU/CSU – Walter Schöler gen Sie Ihre Frau doch mal mit! – Walter [SPD]: Wie viele Änderungsanträge sind denn Schöler [SPD]: Da bin ich ja froh, dass es ei- von Ihnen dazu gekommen?) nen Menschen gibt, der dich versteht.) Nach meiner Meinung kann man sich auch den ge- Auch bei diesem Kapitel wird es also schwierig sein, planten Neubau in Bonn ersparen. Die Begründung lau- eine globale Minderausgabe seriös aufzulösen. tet nämlich – hören Sie einmal aufmerksam zu – : Er ist Zum Bundesministerium gehört noch eine Reihe von nötig, weil der Büroraum in Bonn nach dem Umzug Instituten: das BfArM, die Bundeszentrale für gesund- nach Berlin nicht mehr ausreicht. heitliche Aufklärung, das Paul-Ehrlich-Institut, das (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Robert-Koch-Institut, das DIMDI, das Bundesversi- cherungsamt und das Bundessozialgericht. Das Budget Wenn es in Zeiten knapper Kassen gelingen würde, den dieser Institute beträgt insgesamt 206 Millionen Euro. Büroraum in Berlin effektiver zu nutzen, dann könnte Ich warne nachdrücklich davor, hier eine globale Min- man sich – erstens – den Neubau ersparen und würde – derausgabe auflösen zu wollen. Das RKI hat eine große zweitens – im Titel Dienstreisen, der in Folge des Dop- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6919

Dr. Michael Luther (A) pelstandorts des Ministeriums in Bonn und Berlin stän- vielmehr das beschließen, was das Beste für Deutsch- (C) dig anwächst, etwas einsparen. land ist. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da wird doch (Beifall bei der CDU/CSU) wieder jemand geschummelt haben!) Noch besser wäre natürlich ein Regierungswechsel. Be- Einsparen kann die Ministerin ebenfalls bei den Mo- vor jedenfalls die Ergebnisse des Vermittlungsausschus- dellprojekten. Wozu braucht Deutschland Erkenntnisse ses nicht vorliegen, brauchen wir über den Haushalt über die „Wirkungskontrolle im Rahmen der Armut- und 2004 eigentlich gar nicht zu reden. Das wäre zum jetzi- Reichtumsberichterstattung“ oder über die „soziale Aus- gen Zeitpunkt nämlich unseriös. grenzung im internationalen Kontext“? Das ist mir im Ich komme zum Schluss. Die Aufstellung des Einzel- Berichterstattergespräch nicht deutlich geworden. plans 15 ist unseriös. Dieser Einzelplan ist das Papier, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da musst du auf dem er steht, nicht wert; deswegen hat meine Frau deine Frau noch mal fragen!) Recht, wenn sie der Auffassung ist, es lohne sich nicht, darüber zu reden. Ich meine, dass man in Zeiten knapper Kassen bei ein (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und paar solcher Modellprojekte einsparen kann. der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: In den Kapiteln 15 01 und 15 02 sind, wie gesagt, große Das Wort hat jetzt die Kollegin Waltraud Lehn. Einsparpotenziale vorhanden. Bei einem Gesamtvolumen (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt wollen von 755 Millionen Euro muss aber berücksichtigt werden, wir mal wissen, Frau Lehn, was Ihr Mann ge- dass gesetzliche Leistungen, wie die Erstattung von sagt hat!) Fahrgeldausfällen gemäß §§ 145 ff. SGB IX in Höhe von 220 Millionen Euro oder die vertraglich gebundenen Waltraud Lehn (SPD): Pflegeeinrichtungsinvestitionen in Höhe von 221 Millio- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nen Euro, fest gebunden sind. Bei dem jetzt noch nicht Herr Luther, ich stimme Ihrer Rede in einem Punkt voll weiter spezifizierten Teil von 314 Millionen Euro kön- und ganz zu: Frauen sind in der Tat gute Rechnerinnen nen vor diesem Hintergrund vielleicht 10 Prozent, mög- und für die Stabilisierung vieler Männer unverzichtbar. licherweise sogar 20 Prozent, nicht aber 157 Millionen Euro eingespart werden. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) (B) (D) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dann ist diese Ich glaube, damit sind die Gemeinsamkeiten zwischen Ministerin am Ende! – Walter Schöler [SPD]: uns aber weitgehend erschöpft. Ist das deine Meinung oder die deiner Frau? – (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wahrschein- Dr. Uwe Küster [SPD]: Also, Ihre Frau hat lich kriegen Sie keinen Beifall mehr von uns, ganz schön was zu sagen!) Frau Lehn!) – Meine Frau kann offensichtlich besser rechnen als Sie. Der Haushalt 2004 des Bundesministeriums für Ge- sundheit und Soziale Sicherung ist vor dem Hintergrund (Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU sowie schwieriger sozialpolitischer Entscheidungen beraten bei Abgeordneten der SPD) worden. Gleich vorweg: Das Ergebnis kann sich sehen – Frau Lehn, ich finde es interessant, dass Sie soeben lassen. Selten wurde ein Ergebnis so schnell, so effizient dem Satz zugestimmt haben: Meine Frau kann besser und unter dem Strich so sozial ausgewogen präsentiert. rechnen als Sie. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das glauben Sie (Waltraud Lehn [SPD]: Als eine Frau!) selber nicht!) Mit einem Gesamtvolumen von gut 83 Milliarden – Nein, meine Frau. Euro ist dieser Einzelplan der mit Abstand größte Haus- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Luther, als in der halt. Wir geben für keinen anderen Bereich so viel Geld Schule Mengenlehre dran war, mussten Sie aus wie für die Sicherung der Renten; doch immer Kreide holen!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Leider Das, was ich vorgerechnet habe, ist beeindruckend kommt sehr wenig dabei raus!) und zeigt, wie die Haushaltssituation tatsächlich ist. dies macht allein 78 Milliarden Euro aus. Ich stelle fest: Nicht nur der Einzelplan 15, sondern (Peter Dreßen [SPD]: Sehr gut!) der gesamte Bundeshaushalt 2004 ist nicht in Ordnung. Dafür ist die rot-grüne Politik der letzten fünf Jahre ver- Das ist bei den so genannten Fremdleistungen, bei- antwortlich zu machen. Wir brauchen grundsätzliche spielsweise bei der Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, politisch gewollt. Unter an- Strukturreformen in diesem Land; das ist klar. Die derem dafür haben wir die Ökosteuer eingeführt. CDU und die CSU werden die Strukturreformen – über einen Teil dieser Reformen wurde ja bereits heute ver- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Tanken für handelt – im Bundesrat nicht blockieren. Wir werden die Rente!) 6920 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Waltraud Lehn (A) Man stelle sich nur einmal vor, wo der Rentenversiche- Riester-Rente eine strukturelle Veränderung vorgenom- (C) rungsbeitrag heute ohne die 54 Milliarden Euro, die seit men der Einführung der Ökosteuer in die Rentenversicherung (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na ja!) geflossen sind, stehen würde. und wir werden den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bundeszuschuss zur Rentenversicherung sollte ursprüng- DIE GRÜNEN – Steffen Kampeter [CDU/ lich – darauf hat Herr Luther hingewiesen – um 2 Milliar- CSU]: Sie hätten einfach nur besser wirtschaf- den Euro gekürzt werden. Tatsächlich haben wir die ten müssen!) Leistungen für die Rentenversicherung mittlerweile um Aber es gibt auch einen Zuwachs bei Kap. 15 13, also 1,5 Milliarden Euro auf dann insgesamt 77,85 Milliarden bei der Rentenversicherung, der ungewollt ist. Drei Jahre Euro erhöht. Wachstumsschwäche haben die Finanzsituation der ge- Warum hat es diese Änderung gegeben? – Die Ausga- setzlichen Rentenversicherung auf das Äußerste ange- ben der gesetzlichen Rentenversicherung sind seit spannt. So besteht allein für 2004 ein rechnerisches De- 1992 um rund 90 Milliarden Euro und damit um mehr fizit von rund 8 Milliarden Euro. als 60 Prozent gestiegen. Nun wäre das nicht besonders (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Weil Sie die besorgniserregend, wenn in der gleichen Zeit die Ein- Wirtschaft ruinieren!) nahmen in gleicher Weise gewachsen wären. Das ist aber nicht der Fall. Das ist vor allem auf erhebliche Beitragsausfälle auf- grund der übergroßen Arbeitslosigkeit zurückzuführen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist aber keine Erkenntnis von heute!) Wir standen vor der schwierigen Aufgabe, den Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer und Um diese Lücke zwischen den Einnahmen auf der ei- der Arbeitgeber auf über 20 Prozent zu verhindern; denn nen Seite und den Ausgaben auf der anderen Seite nicht dies hätte die dringend benötigte Konjunkturbelebung in nur durch höhere Beiträge zu schließen, hat der Bund die Deutschland erschwert. Es musste also ein Weg gefun- fehlenden Mittel aus Steuergeldern bereitgestellt. In den den werden, mit dem man die langfristigen Finanzpro- letzten elf Jahren sind die dadurch entstandenen zusätzli- bleme der Rentenversicherung in den Griff bekommt, chen Belastungen für den Bund ständig gestiegen. Der ohne dass die arbeitenden Menschen in Deutschland mit Bundesanteil an den Rentenausgaben, der 1992 noch immer mehr Abgaben belastet werden. bei etwa 20 Prozent gelegen hat, beträgt heute nahezu 33 Prozent. Das bedeutet, dass die Rente jedes Rentners Wir arbeiten zurzeit in einem ungeheuren Kraftakt und jeder Rentnerin heute zu mehr als einem Drittel (B) darauf hin, die letzte Stufe der Steuerreform auf den Be- nicht mehr durch Beiträge, sondern durch Steuern finan- (D) ginn des Jahres 2004 vorzuziehen, damit mehr Geld in ziert wird. Es ist völlig klar, dass sich dieser Trend nicht die Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einfach weiter fortsetzen darf – auf 36, 37, 40, 45 oder fließt. gar 50 Prozent Bundesanteil in absehbarer Zeit. Er muss (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das mit dem also gestoppt werden. Kraftakt nehme ich Ihnen ab!) Neben der Sicherstellung der Renten brauchen wir Zu diesem Vorziehen wird es allerdings nur dann kom- nämlich Handlungsspielräume für die Zukunft men, wenn sich auch die rechte Seite dieses Hauses dazu Deutschlands. Ich nenne hier beispielhaft Bildung, For- durchringen kann, diesen Schritt im Interesse der Wirt- schung und auch Infrastruktur. Dieser Wille zur Ge- schaft und im Interesse der Menschen dieses Landes zu staltung der Zukunft wird trotz der schwierigen finan- unterstützen. ziellen Lage bereits in diesem Haushalt für das Jahr 2004 deutlich. Bei den großen Forschungseinrichtungen gibt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ es ein Plus, zwar nur von 3 Prozent, aber eben ein Plus. DIE GRÜNEN) Die Erfolgsgeschichte des BAföG wird fortgesetzt. Die Es wäre in einer solchen Situation fatal, wenn das ganze Ansatzerhöhung beträgt 61 Millionen Euro. zusätzliche Geld durch den Anstieg der Sozialausgaben (Beifall bei der SPD) gleich wieder einkassiert würde. Das würde keinen Sinn machen und deswegen darf es nicht so weit kommen. Das Investitionsprogramm zum Ausbau der Ganztagsbe- treuung an Schulen wird ohne Abstriche fortgesetzt. So Um die Alterssicherung zu stabilisieren, braucht die könnte ich noch vieles nennen. Wenn aber 77,85 Milliar- Rentenversicherung ein finanzierbares Fundament. den Euro – ich nenne die Zahl noch einmal; das ist gut (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist wohl ein Drittel vom Gesamthaushalt – allein für die Rente wahr! Aber jetzt werden Sie doch mal kon- ausgegeben werden, dann bleibt für andere wichtige kret!) Aufgaben eben nicht so viel, wie wir eigentlich investie- ren wollen und auch investieren müssen. Gleichzeitig muss der Grundsatz der Generationenge- rechtigkeit gewahrt bleiben: Wir dürfen weder die Jun- Da bereits jetzt absehbar ist, dass für das nächste Jahr gen noch die Alten übermäßig belasten. 8 Milliarden Euro in der Rentenkasse fehlen, konnten und wollten wir die eigentlich notwendige Einsparung Um dem Rechnung zu tragen, haben wir – auch das von 2 Milliarden Euro im Bundeshaushalt in dieser will ich in Erinnerung rufen – mit der Einführung der schwierigen Lage nicht noch zusätzlich obendrauf legen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6921

Waltraud Lehn (A) Deshalb haben wir auf eine Kürzung des Bundeszu- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Wolfgang (C) schusses verzichtet. Zöller [CDU/CSU]: Die Nettolohnbezogenheit war aber ehrlicher!) Stattdessen hat die Bundesregierung zwei Gesetzent- würfe vorgelegt, mit denen der Beitragssatz bei Das Aussetzen der nächsten Rentenerhöhung, also das, 19,5 Prozent stabilisiert werden kann. Dies ist aber nicht was wir vorhaben, bedeutet für einen Rentner, der möglich – das muss man klar sagen – ohne eine aktive 700 Euro im Monat bekommt, dagegen einen Verzicht Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner. Dieser auf 3,65 Euro monatlich. Schritt war für uns schmerzhaft, aber er war nicht zu ver- meiden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja nur eine Maßnahme!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Doch, wenn 3,65 Euro hat ein Rentner aufgrund des Aussetzens der Sie rechtzeitig gehandelt hätten!) Rentenerhöhung weniger, wenn er 700 Euro Rente be- Wir müssen den Jüngeren wie auch den Älteren sa- kommt. gen: Die Sicherung der Rente ist eine gemeinsame Auf- Eine weitere Maßnahme, die uns nicht leicht gefallen gabe, die jeden und jede etwas angeht. ist, die aber ebenfalls notwendig war, ist die vollständige (Beifall bei der SPD) Übernahme des Beitrags zur Pflegeversicherung durch die Rentnerinnen und Rentner ab dem 1. April Um diese Aufgabe zu erfüllen, waren kurzfristige Maß- 2004. Bislang war es in der gesetzlichen Rentenversi- nahmen ebenso notwendig wie strukturelle, in die Zu- cherung so geregelt, dass dieser Beitrag je zur Hälfte von kunft hineinwirkende Maßnahmen. den Rentnerinnen und Rentnern und von der Rentenver- (Zuruf von der CDU/CSU: Wann kommen die sicherung aufzubringen war. Wer kritisiert, dass zukünf- denn?) tig der gesamte Betrag von den Rentnerinnen und Rent- nern aufgebracht werden soll, der sollte bedenken, dass – Wenn Sie fragen: „Wann kommen die denn?“, dann die Generation der heutigen Rentnerinnen und Rentner zeigt das, dass Sie sich noch nicht einmal die Mühe ge- zum großen Teil von den Leistungen der Pflegeversiche- macht haben, die in den letzten Wochen behandelten Ge- rung profitiert, obwohl sie in diese 1995 eingeführte Ver- setze zu lesen, und das finde ich durchaus blamabel. sicherung nur kurz bzw. überwiegend gar nicht einge- zahlt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Was macht das nun aus? Was bedeutet das in Euro und Cent? Es bedeutet, dass bei einer monatlichen Rente (D) (B) Um den Beitragssatz im nächsten Jahr bei 19,5 Pro- von 700 Euro ab 1. April 2004 monatlich 5,95 Euro we- zent stabil zu halten, wird die Rentenanpassung zum niger zur Verfügung stehen. 1. Juli 2004 ausgesetzt. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Damit sind wir (Zuruf von der CDU/CSU: Welche langfristi- schon bei 10 Euro!) gen Maßnahmen haben Sie denn gemacht?) – Das sind 10 Euro, aber immer noch keine 38 Euro. Ich bin sicher, dass die Mehrzahl der Rentnerinnen und Rentner dafür Verständnis hat. Nicht zuletzt dient das ih- Im Gegenzug zu diesen Belastungen durch die Über- ren Kindern und ihren Enkeln. Aber es ist nicht nur für nahme der vollen Beiträge zur Pflegeversicherung wer- die gut, sondern schon mittelfristig auch für die Rentne- den die Rentnerinnen und Rentner Beitragsentlastun- rinnen und Rentner selbst. Je mehr Menschen in Arbeit gen bei der Krankenversicherung schneller als bisher sind und je höher die Einnahmen in der Sozialversiche- spüren. Darüber hinaus soll der Zeitpunkt der Renten- rung sind, desto stärker werden die Rente und der Zu- auszahlung für zukünftige Rentnerinnen und Rentner wachs der Rente gesichert. Also ist das ein Beitrag nicht auf das Monatsende verlegt werden. Das ist eine ver- nur für die Zukunft der Kinder und Enkel, sondern auch tretbare Regelung, weil diejenigen, die in Zukunft in für die Zukunft derjenigen, die heute Rente erhalten. Rente gehen – und nur für die gilt das ja –, damit so be- handelt werden wie viele Erwerbstätige die ihre Leis- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tungen in der Regel ohnehin erst am Monatsende erhal- ten. Nun empört sich, wie wir ja gerade gehört haben, die Opposition darüber und vergisst dabei völlig, dass wäh- Als letzte kurzfristige Maßnahme haben wir vorgese- rend der letzten sechs Jahre ihrer Regierung, also zwi- hen, die Mindestschwankungsreserve – darüber hat schen 1992 und 1998, die Renten insgesamt geringer als sich ja Herr Luther so aufgeregt – von 50 Prozent auf die Inflationsrate gestiegen sind. 20 Prozent einer Monatsausgabe zu senken. Was um al- les in der Welt ist daran so schlimm? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war aber ehrlicher!) (Andreas Storm [CDU/CSU]: Es spricht Bände, dass Sie das immer noch nicht begrif- Der Durchschnittsrentner hat in den letzten Jahren der fen haben!) Kohl-Regierung monatlich gegenüber einem Arbeitneh- mer bzw. einer Arbeitnehmerin durchschnittlich 38 Euro Im schlimmsten Fall muss der Bund eine Monatsrate Zu- verloren. schuss an die Rentenversicherung eher auszahlen, als er 6922 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Waltraud Lehn (A) es eingeplant hat. Kein Rentner wartet eine Stunde län- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ja, Gott sei (C) ger auf seine Rente, als das heute der Fall ist. Dank! – Otto Fricke [FDP]: Wie lange wissen wir das schon?) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dass das neue Antworten verlangt, muss doch jedem Sie konstruieren da einen Konflikt, den es in der Realität klar sein! überhaupt nicht gibt. (Andreas Storm [CDU/CSU]: Es hat aber ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dauert, bis Sie das gemerkt haben!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nach dieser Ar- Hinzu kommt – das ist eine Entwicklung, die sich lei- gumentation könnten Sie sie ja ganz abschaf- der negativ fortsetzt –, dass in Deutschland immer weni- fen!) ger Kinder geboren werden und immer weniger Bei- tragszahler immer mehr Rentnern gegenüberstehen. Trotzdem sage ich: Das kann nur eine vorübergehende Maßnahme sein. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lange wis- sen wir das schon?) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum denn? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Wir haben uns deshalb entschlossen, die Rentenanpas- Aha! – Ach so!) sungsformel zu ändern und einen Nachhaltigkeitsfak- tor einzuführen. Ich räume gerne ein, dass das bereits – Aber selbstverständlich, und zwar deswegen, weil man unter Ihrem Minister Blüm angegangen wurde. nur einmal den Effekt erzielt, also ihn in den nachfolgen- den Jahren nicht mehr erzielen kann. Deswegen haben (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aha!) wir, und zwar mit Erfolg, darüber diskutiert, ob wir die Aber ich denke, dass unser Nachhaltigkeitsfaktor mehr Schwankungsreserve umbauen und ihr in Zukunft auch gerechte Elemente enthält als der, den Sie ursprünglich eine Bedeutung für die Stabilisierung der Rentenversi- eingeführt haben. cherungsbeiträge angesichts konjunktureller Schwan- kungen zusprechen sollen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Storm [CDU/CSU]: (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Warum ha- Das müssen Sie uns jetzt aber mal erklären!) ben Sie sie dann nicht erhalten?) Wir brauchen derzeit keine Diskussion über eine Er- Ich glaube, dass es eine ausgesprochen gute Regelung höhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Was wir ist, eine Nachhaltigkeitsrücklage aufzubauen und uns derzeit brauchen – und was genau in diese Richtung (B) von der alten Schwankungsrücklage zu trennen. geht –, ist, dass die Menschen zukünftig tatsächlich bis (D) zu ihrem 65. Lebensjahr arbeiten. Im Einzelnen – ich fasse es zusammen – konnten die 0,8 Prozentpunkte folgendermaßen eingespart werden: Das Alter, in dem Berufstätige bei uns in Rente ge- Die Absenkung des unteren Zielwertes der Schwan- hen, ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesun- kungsreserve bringt 0,5 Prozentpunkte. Die Aussetzung ken. 1960 lag es noch bei 64,7 Jahren. Noch mehr Men- der Rentenanpassung zum 1. Juli 2004 bringt 0,1 Pro- schen als heute haben damals 40, 45 oder sogar 50 Jahre zentpunkte. Die Übernahme des vollen Beitragssatzes gearbeitet. der Pflegeversicherung durch die Rentner bringt 0,1 Pro- (Zuruf der SPD: Und bei längerer Wochenar- zentpunkte. Die Verschiebung des Rentenauszahlungs- beitszeit!) termins auf das Monatsende – für die neuen Rentner, ab April 2004 – bringt ebenfalls 0,1 Prozentpunkte. Heute gehen die Menschen im Durchschnitt mit 62,4 Jahren in Rente und eigentlich stimmt selbst diese (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo sind da Zahl nicht, denn wenn man die Renten wegen vermin- langfristige Maßnahmen? Wie sehen die denn derter Erwerbsfähigkeit hinzunimmt, liegt das durch- aus? Sie sind ja eine Märchenerzählerin!) schnittliche Eintrittsalter sogar bei nur 60,2 Jahren. Neben diesen kurzfristigen Maßnahmen müssen und (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wenn Sie werden wir aber auch langfristige Maßnahmen ergreifen. die vorausgehende Arbeitslosigkeit mit hinzu- Ich habe es schon gesagt: Einen Meilenstein haben wir nehmen, ist es noch früher!) mit der Riester-Rente gesetzt. Nach Angaben des VDR sind von den knapp Erfreulicherweise leben die Menschen heute immer 20 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in diesem länger. Allein das garantiert uns heute eine im Durch- Land rund 2,4 Millionen Frührentner. Wir können es uns schnitt acht Jahre längere Rentenbezugsdauer, als sie einfach nicht länger leisten, wenn zum Beispiel im öf- etwa noch die Generation unserer Eltern oder Großeltern fentlichen Dienst noch nicht einmal 6 Prozent der Be- hatte. Der Rentenbezug verlängert sich nochmals um schäftigten bis zum Alter von 65 Jahren arbeiten, noch drei bis fünf Jahre, weil die Mehrzahl der Arbeitnehme- dazu in einem Bereich, der von Kündigung nicht bedroht rinnen und Arbeitnehmer heute weit vor ihrem ist, in dem es also nicht um die Regulierung von Arbeits- 65. Lebensjahr in Rente geht. 1960 – so lange ist das ja losigkeit geht. Die Politik der Frühverrentung, die noch nicht her – bezog ein Rentner in Deutschland im viele Unternehmen bisher benutzt haben, um ihre Beleg- Durchschnitt sechs Jahre lang Rente. Heute sind es schaft zu verjüngen, wird zu Recht kritisiert. Hinzu 14 Jahre bei den Männern und 18 Jahre bei den Frauen. kommt noch eine veränderte Haltung der Menschen. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6923

Waltraud Lehn (A) Viele sehen es als selbstverständlich an, nicht mehr bis Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): (C) zum Alter von 65 Jahren zu arbeiten. Wer es trotzdem Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tut, wird von seinen Kollegen durchaus als Exot angese- Herr Luther, schönen Gruß an Ihre Frau. Sagen Sie ihr: hen. Das ist etwas, was man im Bewusstsein der Men- Es ist wirklich dringend erforderlich, dass wir hier eine schen mit den Menschen verändern muss. Wir müssen intensive Debatte über Sozialpolitik führen, den Menschen klar machen, dass diese weit verbreitete Einstellung auf Kosten der Kinder und Enkel, aber auch (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auf Kosten der eigenen Rente geht. Die Kinder und En- Richtig!) kel werden später die Rechnung für die Annehmlichkeit denn das ist die bittere Wahrheit in Deutschland im No- eines frühen Ruhestandes bezahlen müssen. vember 2003: Die Systeme der sozialen Sicherung in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ihrer tradierten umlagefinanzierten Form tragen nicht mehr, und das nicht nur wegen der aktuellen Probleme Würde sich das tatsächliche Renteneintrittsalter um ein auf der Einnahmeseite, Jahr erhöhen, könnten die Rentenausgaben kurzfristig um bis zu 10 Milliarden Euro jährlich gesenkt werden. (Peter Dreßen [SPD]: Von Ihnen übernom- men!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Schon wieder kurz- fristig!) die konjunkturell bedingt sind, sondern mehr noch we- gen der absehbaren, ungleich schwerer wiegenden de- Der VDR hat außerdem ausgerechnet und deutlich ge- mographischen Probleme, die wir ab 2010 haben wer- sagt, dass mit jedem Jahr, um das das durchschnittliche den. Renteneintrittsalter erhöht wird, der Beitragssatz um 0,8 Prozentpunkte verringert werden könnte. Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der müssen und werden wir hier etwas tun. CDU/CSU) Damit niemand von dieser Neuregelung kalt erwischt Die Beiträge können nur noch mit Mühe stabilisiert wird, muss er sich darauf einstellen können. Wir werden werden. Aufwändig erarbeitete Reformgesetze im Be- für rentennahe Jahrgänge besondere Vertrauensschutzre- reich der Gesundheit entfalten nicht die Wirkung, die gelungen erarbeiten und ins Verfahren geben. sich die Beteiligten erhofft hatten, sondern verschaffen (Zuruf von der SPD: So ist es!) nur eine kurze Atempause. Alle wissen eigentlich, dass etwas geschehen muss, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: aber die rot-grüne Koalition ist nicht bereit bzw. hat we- Liebe Frau Kollegin, Sie haben noch viel zu sagen, gen innerparteilicher Rücksichtnahmen – das konnte (B) aber nur noch ganz wenig Zeit. Die Zeit ist sogar schon man auf dem SPD-Parteitag sehr deutlich beobachten – (D) überschritten. (Erika Lotz [SPD]: Das ist Ihnen ja fremd!)

Waltraud Lehn (SPD): nicht die Kraft, die notwendigen Reformen durchzuset- Das ist bedauerlicherweise wahr. Ich kann es aber zen. zum Schluss kurz machen, weil ich weiß, dass die Nach- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rednerinnen meiner Fraktion der CDU/CSU) (Detlef Parr [FDP]: Das alles wiederholen!) Die Sozialpolitik in Deutschland steht an einer Weg- – man beachte an dieser Stelle die Stärke der Frauen – scheide. Ich will an einigen Beispielen deutlich machen, wohin nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Reise gehen muss. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung zum noch auf die wichtigen Bereiche Gesundheit und Pflege Thema „soziale Gerechtigkeit“. Sie, liebe Kolleginnen eingehen werden. Deshalb kann ich darauf verzichten. und Kollegen von Rot-Grün, lassen sich ja immer von Lassen Sie mich zum Schluss der Frau Ministerin, dem Anspruch einer sozial gerechten Politik leiten und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Hauses und glauben offensichtlich, eine gerechte Sozialpolitik sei des Finanzministeriums sowie den Kolleginnen und Kol- vor allem eine Frage von größtmöglicher Umverteilung. legen, die mit mir gemeinsam den Haushalt beraten ha- Ich halte es diesbezüglich eher mit dem Nobelpreisträger ben, herzlich danken. Milton Friedman, der gesagt hat: Vielen Dank für Ihre Geduld. Ich glaube nicht, dass es so etwas wie soziale Ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rechtigkeit gibt. Gerechtigkeit hat etwas mit dem DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Individuum zu tun und nicht mit der Gesellschaft Zöller [CDU/CSU]) als Ganzes. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: der CDU/CSU) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinrich Kolb. Gerecht aus Sicht der Individuen ist eine Sozialpoli- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und was sagt tik, die die notwendigen Reformen mutig vorantreibt, die deine Frau dazu?) auf Verantwortung, Freiheit und Transparenz ohne 6924 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Heinrich L. Kolb (A) bürokratische Fallstricke setzt und die sich auch darum Drittens. Die Kopfprämie nach den Vorstellungen (C) sorgt, dass die nachwachsenden Generationen nicht die von Herzog-Kommission und Frau Merkel hat zwar den Zeche einer verfehlten Volksbeglückung zu zahlen ha- Charme der Entkoppelung der Krankenversicherungs- ben. beiträge von den Löhnen. Es ist aber schlechterdings nicht vorstellbar, weitere hohe zweistellige Milliarden- (Peter Dreßen [SPD]: Kurzum: alles privatisie- beträge für die Krankenversicherung aus dem Bundes- ren!) haushalt darzustellen. Schon jetzt werden fast 50 Prozent Was heißt das jetzt konkret für die Handlungsfelder, des Bundeshaushaltes für Soziales aufgewendet. Ein zu- Gesundheitspolitik als erstes? Die FDP lehnt eine Bür- sätzlicher Transfer konkurriert zudem mit dem für die gerversicherung ab. Sie ist eine Zwangsversicherung FDP prioritären Ziel einer deutlichen Steuersenkung; sozialistischer Machart und löst keines der Probleme der denn das ist die unabdingbare Voraussetzung für eine gesetzlichen Krankenversicherung. wirtschaftliche Belebung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Handlungsfeld Rentenpolitik: Hier muss ich der von Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr richtig! – der SPD in Bochum beschlossenen Erwerbstätigenver- Waltraud Lehn [SPD]: Das ist ja ganz neu!) sicherung eine klare Absage erteilen. Die Zwangsrekru- tierung von Beamten, Selbstständigen und Freiberuflern Allerdings hüllen Sie das sehr geschickt in das Deck- löst keines der Probleme. mäntelchen eines wohlklingenden Begriffs und versehen es auch noch mit einem Etikett der Solidarität. Aber es (Beifall bei der FDP) ist nach unserer Auffassung alles andere als solidarisch, Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es Ihnen eigent- immer mehr Menschen in ein marodes System zu zwin- lich vor allem um das Kapital der berufsständischen Ver- gen. sorgungswerke geht. Psychologisch gesehen ist es wahrscheinlich ein Akt (Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!) der Verdrängung, wenn Sie sich trotz der Tatsache, dass Sie nicht einmal die Kraft haben, die aktuellen Probleme In der Realität lösen Sie damit kein Problem. Die Aus- der GKV zu lösen, jetzt daran machen wollen, eine weitung des Versichertenkreises hat zeitversetzt eine grundlegende Systemumstellung in Richtung Bürgerver- größere Zahl von Leistungsberechtigten zur Folge. Das sicherung zu wagen, nach dem Motto: Wenn wir schon geht aber zulasten nachfolgender Generationen und ist nicht auf den Hügel kommen, dann besteigen wir eben alles andere als nachhaltig. einen Berg. Man muss sehr deutlich sagen, dass das, was (Beifall bei der FDP) (B) Sie hier machen, Traumtänzerei ist. (D) Die FDP will die Stärkung der Beitragsbezogenheit (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Rentenversicherung. Ich möchte einen neuen Vor- der CDU/CSU) schlag in die Diskussion einbringen. Wir wollen, dass Zweitens. Wir wollen den unverzüglichen System- eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte wechsel, also weg von der umlagefinanzierten hin zu künftig dann möglich wird, wenn ein Versicherter ent- mehr privater kapitalgedeckter Sicherung. weder 45 Jahre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversi- cherung gezahlt hat – diesen Vorschlag hat man schon (Peter Dreßen [SPD]: Wusste ich es doch! von verschiedenen Seiten gehört – oder wenn Alles privatisieren!) 45 Entgeltpunkte aus Beiträgen erworben worden sind. Sie, Frau Ministerin, wollten die Beitragssätze in der (Peter Dreßen [SPD]: Wie finanzieren Sie GKV auf 13,6 Prozent senken; das haben Sie jedenfalls das?) vollmundig angekündigt. Wir haben Ihnen schon im Au- gust gesagt, dass Sie das nicht schaffen werden, weil Sie Ich denke, dass das – ebenso wie die Abschaffung der nicht den Mut für die notwendige Einsparung von Frühverrentung – eine wichtige Weiterentwicklung des 20 Milliarden Euro hatten. Rentensystems ist. Man muss es allerdings richtig ma- chen, Herr Dreßen, und nicht so, wie Sie es mit Ihrem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Entwurf eines Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsge- setzes vorgesehen haben. Was Sie machen, ist nichts Jetzt steht die groß-grüne Gesundheitskoalition kleinlaut Halbes und nichts Ganzes. Sie beenden nicht die Mög- vor dem Scherbenhaufen und muss erkennen, dass im lichkeit, Ansprüche zu begründen. Das ist weder ein Zei- günstigsten aller Fälle der Beitragssatz von heute chen von klarer Konzeption noch von Berechenbarkeit. 14,3 Prozent im Durchschnitt auf 14 Prozent sinken wird, und das wahrscheinlich erst im Laufe des nächsten (Beifall bei der FDP – Peter Dreßen [SPD]: Jahres. Sind Sie bei der Grundrente?) (Zuruf von der FDP: Eine Mogelpackung!) Letzter Punkt: Die FDP-Bundestagsfraktion will die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit verbes- Sie haben in Gesprächen mit den Krankenkassen fest- sern, die Erwerbsquote von Frauen erhöhen stellen müssen, dass selbst Sie, Frau Ministerin, die Grundrechenarten nicht außer Kraft setzen können. Das (Erika Lotz [SPD]: Sagen Sie mal etwas zur ist auch gut so. Finanzierung!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6925

Dr. Heinrich L. Kolb (A) und durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das steht doch (C) Familien positiv auf die Geburtenentwicklung einwir- alles gar nicht auf der Tagesordnung!) ken. Denn: Wir brauchen zur Stabilisierung der Systeme der sozialen Sicherung wieder mehr Kinder. Diese För- Sie schlagen als Ergebnis der Herzog-Kommission derung muss aber nach unserer Auffassung im Steuer- vor, die Gesundheitsversorgung auf ein Kopfgeldsystem recht erfolgen und darf nicht auf spätere Rentenzahlun- umzustellen. Erst einmal werden Leistungen gestrichen. gen vertagt werden. Deswegen erteilen wir den Diese werden nicht mehr sozialstaatlich bezahlt; die Vorschlägen des Ministerpräsidenten Stoiber eine klare Menschen müssen sie vielmehr privat aus ihrem Geld- Absage. beutel bezahlen. Hinzu kommt ein Kopfgeld von – je nachdem – 200 bis 260 Euro. Die Beträge ändern sich ja (Beifall bei der FDP) jede Woche; in der Tendenz werden sie immer niedriger, Wir wollen den vollen Grundfreibetrag von (Hildegard Müller [CDU/CSU]: Weil Sie nicht 7 500 Euro auch für Kinder, einen Rechtsanspruch auf wissen, worum es geht!) einen kostenlosen Kindergartenplatz – halbtags ab dem dritten Lebensjahr – und auch die steuerliche Absetzbar- weil Sie merken, dass Sie da ein Vermittlungsproblem keit der Aufwendungen für die Kinderbetreuung. Man haben. Dabei kommt eine Entlastung der Besserverdie- muss ehrlicherweise sagen, Herr Dreßen: Hier können nenden viele Arbeitsplätze neu geschaffen werden. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wie bei Ihrer (Zuruf von SPD: Das ist ja ganz neu!) Bürgerversicherung!) Durch diese Maßnahmen werden Frauen in die Lage ver- und eine Belastung der Geringverdienenden, insbeson- setzt, Karriere und Beruf mit Familie und Kindern zu dere der Familien, heraus, die bisher sehr viel geringere vereinbaren. Krankenkassenbeiträge zahlen. Weil das die Leute natür- (Beifall bei der FDP) lich merken, sagen Sie anschließend, dass ein sozialer Ausgleich aus Steuermitteln vorgesehen ist. Dafür Schlussbemerkung: Der von der rot-grünen Koalition bräuchten Sie 10 Milliarden Euro. Im Herzog-Konzept vorgelegte Haushalt ist verfassungswidrig. Mehr als das: haben Sie offen gelassen, woher diese Milliarden kom- Er ist auch extrem auf Kante genäht. Die Systeme der men sollen. sozialen Sicherung in Deutschland stehen vor einem äu- ßerst schwierigen Jahr 2004. Ohne eine wirtschaftliche (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Frau Belebung kann und wird es keine Entspannung geben. Bender, Sie waren schon besser!) (B) Die Prognosen der Bundesregierung sind meines Erach- (D) tens in jeder Hinsicht optimistisch. Erfüllen sie sich Frau Merkel spricht zwar auf den Regionalkonferen- nicht, wird der Druck auf die Beiträge in allen Zweigen zen von einem sozialen Ausgleich. Aber Herr Merz, Ihr der Sozialversicherung dramatisch anwachsen. Finanzexperte, Vielen Dank. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wären froh, wenn Sie so einen hätten! – Annette (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Den Oswald Metzger haben Sie ja in die Wüste geschickt!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgitt Bender. singt zugleich das Lied von der Steuersenkung. Ich will gar nicht darauf eingehen, ob sein Konzept in sich schlüssig ist. Fest steht aber: Die für den sozialen Aus- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gleich notwendigen 10 Milliarden Euro finden sich nir- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gendwo in diesem Steuerkonzept. möchte die Haushaltsdebatte zum Anlass nehmen, über die Modernisierung der sozialen Sicherungssysteme (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- und die unterschiedlichen Vorstellungen zu sprechen, die SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – dazu auf der einen Seite Rot-Grün und auf der anderen Andreas Storm [CDU/CSU]: Erstens, nachle- Seite die Union hat. Es ist ja als solches nicht drama- sen! Zweitens, reden Sie mit dem Oswald tisch, festzustellen, dass die Regierungsparteien bzw. die Metzger!) Grünen eine andere Vorstellung haben als die Union. Das heißt, die Union redet mit gespaltener Zunge. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie redet nicht zur Tagesordnung! Das ist doch eigent- (Zuruf von der CDU/CSU: Realitätsverlust!) lich nicht zulässig, oder?) Auf der einen Seite versprechen Sie den Leuten, dass sie Aber es lohnt schon, die Vorstellungen der Union einmal weniger Steuern zu zahlen brauchen. Auf der anderen unter die Lupe zu nehmen. Denn meine These ist, liebe Seite schlagen Sie ein Modell vor, von dem Sie sagen, Kolleginnen und Kollegen von der Union, dass Sie, so dass es zwar für etliche sozial nicht verkraftbar sei, es wie Sie die Modernisierung des Sozialstaates angehen, aber den großen Steuertopf gebe, aus dem der soziale jegliche Reformbereitschaft der Menschen ersticken. Ausgleich bezahlt werden könne. Wer soll Ihnen so et- Ich will Ihnen sagen, warum. was noch glauben? 6926 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Birgitt Bender (A) Dann laufen noch so marodierende Sozialstaatszersä- (Heiterkeit der Abg. Anja Hajduk [BÜND- (C) ger wie der Herr Mißfelder herum, der den alten Men- NIS 90/DIE GRÜNEN]) schen keine neuen Hüftgelenke gewähren will. Es hat nur einen anderen Nachteil; das meine ich ganz (Zurufe von der CDU/CSU: Oje! – Steffen ernst. Sie beginnen damit eine gnadenlose Sozialneidde- Kampeter [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, sie batte. Die nützt niemandem, am allerwenigsten den Kin- spricht nicht zur Tagesordnung!) dern. Was soll dabei herauskommen? Das Ergebnis ist: Sie (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollten ein- machen den Leuten Angst. Damit entstehen Reformblo- mal das Bundesverfassungsgerichtsurteil dazu ckaden und keine Reformbereitschaft; das sollte sich lesen!) auch eine Opposition einmal überlegen. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie das damit weiter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN machen wollen. sowie bei Abgeordneten der SPD – Annette (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Nichts gelernt!) und bei der SPD – Andreas Storm [CDU/ In der Wirkung ist das, was Sie bei der Rente tun, CSU]: Es ist schon peinlich, dass Ihnen zum nicht sehr viel anders. Thema „Familie“ gar nichts einfällt!) (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Be- So, wie Sie vorgehen, nimmt man die Menschen bei schäftigen Sie sich doch einmal mit Ihrer Poli- den Reformen nicht mit, die wir brauchen, um die sozi- tik! Das scheint Ihnen ja nicht einmal einen ale Sicherung zukunftsfest zu machen. Man darf den Satz wert zu sein! Sie regieren doch! Was ma- Leuten keine Wohltaten versprechen – das tun wir auch chen Sie denn gerade?) nicht –, die nicht zu finanzieren sind. Sie fordern im Herzog-Konzept, das Rentenniveau solle (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie sinken, und zwar 10 Prozent unter das Niveau, das Herr haben ja auch keine!) Rürup vorgeschlagen hat. Darüber könnte man ja disku- Man muss ihnen hingegen die Reformschritte vermit- tieren. Aber anschließend sagen Sie: Wer 45 Jahre Bei- teln, die jetzt notwendig sind, und ihnen zeigen, wie die träge eingezahlt hat, bekommt sowieso die volle Rente. längerfristigen Perspektiven aussehen. Das heißt, Sie schaffen eine Ungleichbehandlung, je nachdem, wann jemand in das Berufsleben eingetreten (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ihre ist, und benachteiligen dabei insbesondere die Frauen. längerfristige Perspektive ist die Nullrunde (B) nächstes Jahr bei den Rentnern!) (D) (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat doch gar nichts mit dem Haushalt zu tun!) Wir gehen diesen Weg etwa bei der Rente. Die Kolle- gin Lehn hat die kurz- und mittelfristigen Reform- Dann kündigen Sie an, die Kindererziehung werde schritte, die wir anvisieren, ausführlich erläutert. Ich will besser gestellt, als es im bisherigen Recht der Fall ist. nur sagen, dass so etwas wie der Nachhaltigkeitsfaktor Nun mag es ja sein, dass Sie die bisherige Förderung der oder auch der Abbau der Frühverrentung Strukturele- Kindererziehung in der Rentenversicherung, die uns im- mente sind, die einen fairen Ausgleich zwischen den Ge- merhin 12 Milliarden Euro kostet, für nicht ausreichend nerationen gewährleisten, weil es immer auch darauf an- halten; das sollten Sie dann begründen. Aber Sie sollten kommt, wie hoch die Beitragsbelastungen in der Zukunft vor allem darstellen, woher jetzt die nächsten Steuermit- sind. Deswegen halten wir das für richtige und vermittel- tel in Höhe von 10 Milliarden Euro kommen sollen, bare Schritte. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Ich Wir werden auch die Riester-Rente vereinfachen, würde mich mal um die 43 Milliarden Euro Schulden kümmern!) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Na endlich!) mit denen Sie dies finanzieren wollen. Ich sage nur: Herr damit die Menschen stärker motiviert werden, eine pri- Merz lässt grüßen. Das Motto der Union lautet: Steuer- vate Vorsorge aufzubauen. Das ist der Weg zur Alterssi- senkung. Wo sind diese nächsten 10 Milliarden Euro, die cherung, der nicht in die Altersarmut führt, aber auch die Sie hier versprechen? Ich kann sie nirgends entdecken. Beiträge in diesem System bezahlbar hält. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Die sowie bei Abgeordneten der SPD) werden Sie auch nicht im Haushaltsplan fin- Die Grünen sagen auch, wie wir uns die weitere Zu- den!) kunft vorstellen. Nur nebenbei zum Streit zwischen CDU und CSU; (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Oh das mutet beinahe schon kurios an. Die CSU fordert: Gott! Zwangskollektivierung!) Weniger einzahlen, mehr herausbekommen! Bezahlen sollen dies die bösen Kinderlosen. Immerhin, von den Insbesondere bei der Gesundheitsversorgung setzen wir Grundrechenarten her, ist dies fast überzeugender als das auf das Modell Bürgerversicherung. Frau Kollegin, das Konzept der Union. heißt, alle zahlen ein und alle Einkommensarten werden Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6927

Birgitt Bender (A) berücksichtigt. Das bedeutet, dass Gesundheitsleistun- grund – ich setze voraus, dass Sie die Beitragsbemes- (C) gen auch in Zukunft für alle finanzierbar sind. sungsgrenze nicht anheben wollen – Ihre Lösung mit der Bürgerversicherung höchst unsozial ist? (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Für alle wird es schlechter! – Detlef Parr [FDP]: Was sagt die Verfassung dazu?) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist richtig, dass wir die Beitragsbemessungsgrenze – Das ist mit der Verfassung vereinbar. Fragen Sie dazu nicht anheben wollen. Ich bestreite aber, dass unser Mo- einmal Ihre Juristen. Sie haben ja auch welche. dell unsozial ist. Sie nennen ja selber einen Fall, in dem Das bedeutet auch Gerechtigkeit, weil es dann gleiche jemand zusätzliche Einkünfte über das Lohneinkommen Spielregeln für alle gibt. Wir wollen keine Zweiklassen- hinaus bezieht. medizin, bei der sich die Besserverdienenden in die pri- (Otto Fricke [FDP]: Dann ist das ein Besser- vate Versicherung verabschieden und dann Ärzten ge- verdienender?) genübersitzen, die mit ihrer Behandlung mehr als mit der Behandlung von Kassenpatienten verdienen. Das kann Wir konnten in den letzten Jahrzehnten beobachten, nicht richtig sein. dass der Anteil der Lohneinkünfte am Volkseinkommen abnimmt, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat mit der Frage nichts zu tun!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: hingegen Mieterträge und Erträge aus Kapitaleinkünften Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des immer mehr an Bedeutung gewinnen. Kollegen Kolb? (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Besserverdie- Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nenden müssen das bei Ihnen mitbezahlen!) Nein, denn meine Redezeit ist leider schon fast abge- Was soll denn daran richtig sein, dass beispielsweise ein laufen. reicher Erbe, der nur noch einer Teilzeitarbeit nachgeht, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wird nicht nur die dementsprechend niedrigeren Beiträge bezahlt, angerechnet!) auf den Rest seiner Einkünfte aber nicht, – Gut, dann stellen Sie Ihre Frage. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der zahlt doch nicht mehr, wenn er über der Beitragsbemes- (B) sungsgrenze liegt! Das ist unlogisch!) (D) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich bedanke mich, Frau Kollegin Bender, dass ich die obwohl er leistungsfähig ist? Uns geht es um eine Bei- Zwischenfrage stellen darf. Jetzt habe ich allerdings den tragsleistung nach der Leistungsfähigkeit. Das nenne ich Faden verloren. soziale Gerechtigkeit. Aber darunter verstehe ich auch etwas anderes als die FDP. (Heiterkeit) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Davon muss man leider ausge- Jetzt haben Sie vergessen, was Sie fragen wollten? hen!)

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Zur Bürgerversicherung will ich nur sagen: Ich kann Geben Sie mir bitte noch einmal das Stichwort dazu. Ihnen versichern, dass die Halbwertszeit unseres Kon- zepts länger ist als die bei manch anderem in diesem Hause. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich war bei der Bürgerversicherung. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wie oft haben Sie denn Ihr Modell geändert?) Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Wir Grüne werden nicht sagen: Das war ja nur so eine Ja, die Besserverdienenden. Jetzt habe ich es. Idee von uns. Wir wollen vielmehr eine Grundentschei- dung bis zum Ende der Legislaturperiode. Es ist doch so, Frau Kollegin Bender, dass Sie – wenn ich Sie richtig verstanden habe – die Beitragsbemes- Danke schön. sungsgrenze nicht anheben wollen. Stimmen Sie mir dann zu, dass bei Ihrem Modell zukünftig vor allem die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mittelschicht stärker belastet wird, also die Lohnemp- sowie bei Abgeordneten der SPD) fänger, die ein wenig Kapital auf die Seite gelegt haben, möglicherweise eine Eigentumswohnung vermietet ha- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: ben und dann auf diese zusätzlichen Einkünfte einen Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Zöller. Beitrag leisten müssen und damit höher belastet werden als bisher? Stimmen Sie mir zu, dass vor diesem Hinter- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 6928 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Wolfgang Zöller (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) Grüß Gott, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und neten der FDP) Kollegen! Was wir hier erleben, ist schon mehr als selt- Wenn man Insider danach fragt, sagen sie einem, dass sam. Da stellt sich Rot-Grün über Monate hin und hält es den Großteil dieser Regelungen, dieser Formalitäten der Opposition vor, sie habe keine Konzepte. Frau nicht deswegen gibt, um die Qualität der Versorgung der Bender, Sie haben jetzt 90 Prozent Ihrer Redezeit darauf chronisch Kranken zu verbessern, verwendet, über die Konzepte der Union zu diskutieren. Das ist ein leichter Widerspruch. (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: sondern weil diese bei der Verwaltung im Risikostruk- Alles, was Sie schaffen, ist Ängste zu erzeu- turausgleich berücksichtigt werden müssen. Wir geben gen!) Geld an der verkehrten Stelle aus, nämlich mehr Geld für die Verwaltung und weniger Geld für die Behandlung Nachdem hier schon Abgeordnete – und deren Fami- von Kranken. Das kann nicht unser Ziel sein. lienangehörige – das Notwendige zu den Eckdaten des Haushaltsplans gesagt haben, möchte ich einen Punkt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ansprechen, und zwar die Öffentlichkeitsarbeit, sprich neten der FDP) Werbung. Ich kritisiere nicht die Höhe des Titels für Öf- fentlichkeitsarbeit, sondern das Verfahren, wie er zu- Ich möchte Ihnen nun aber auch ein Beispiel nennen, stande gekommen ist. wie man es mustergültig machen kann. Wir haben gemein- sam § 65 a SGB V – Bonus für gesundheitsbewusstes (Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ich kritisiere auch Verhalten – erarbeitet. Es steht im Gesetz: die Höhe!) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung bestim- Wenn ich ein Gesetz verabschiede, das die Menschen im men, unter welchen Voraussetzungen Versicherte ... Lande nicht verstehen, dann muss ich mich nicht wun- Anspruch auf einen Bonus haben. dern, dass sehr viel Aufklärungsarbeit betrieben werden muss, um ihnen den Sinn zu vermitteln. Aufgrund dieser einfachen Botschaft sind Ideen entstan- den, von denen wir vor einigen Jahren nur träumen Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir dieses konnten. Es gab fast schon einen Ideenwettbewerb. Die Gesetz im Konsens erarbeitet haben, sind wir im Ansatz Kassen bieten nun Individualtarife, maßgeschneiderte unterschiedlicher Auffassung: Rot-Grün ist nach wie vor Pakete für Versicherte an, was versorgungspolitisch sinn- (B) der Meinung, man könnte mehr über Reglementierung voll ist. Bisher konkurrierten sie fast ausschließlich durch (D) erreichen; niedrige Beitragssätze. Jetzt wird eine Konkurrenz durch (Peter Dreßen [SPD]: Nein!) die besonderen Leistungspakete hinzukommen. Dadurch kommen wir – auch das ist ein wichtiger Punkt – von der wir dagegen sind fest davon überzeugt, dass Ziele durch Vollkaskomentalität weg hin zu der Stärkung der Gedan- mehr Wettbewerb wesentlich besser erreicht werden ken der Prävention und der Eigenverantwortung. Dieser können. jetzt entstehende Wettbewerb beweist, dass freiheitliche Elemente einer starren Reglementierung eindeutig über- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: legen sind. Wie bei den Apotheken, sage ich nur!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen – ich habe ge- Dr. Dieter Thomae [FDP]: Könnten Sie das hofft, dass Sie an dieser Stelle einen Zwischenruf ma- bitte wiederholen?) chen –, an dem die verschiedenen Auffassungen deutlich werden. Bei der Versorgung chronisch Kranker waren Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, wir alle der Auffassung, dass die Versorgung verbessert der die gegenwärtig geführten Diskussionen zur werden muss und die Finanzmittel gerechter verteilt Gesundheitsreform betrifft. Ich sage unumwunden: Ich werden müssen. Doch was kommt auf die Ärzte zu? halte diese Diskussionen zum jetzigen Zeitpunkt für – Das will ich Ihnen zeigen: Dies ist der Strukturvertrag kontraproduktiv. Das Gesetz, das erst zum 1. Januar für die Behandlung chronisch kranker Diabetiker. Es 2004 in Kraft treten wird, weist immerhin einen Umfang kommt aber noch dicker. Die Ärzte müssen bei der Be- von über 20 Milliarden Euro auf. Wenn dieses Gesetz handlung eines jeden Patienten acht Seiten ausfüllen. nicht richtig umgesetzt wird, wird die Reformfähigkeit und die Reformwilligkeit in Deutschland abnehmen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es fehlt noch Wenn das Reformgesetz, das die großen Parteien be- eine Seite!) schlossen haben, nicht zum Ziel führt, werden sich viele Das führt dazu, dass viele Ärzte dies nicht mehr anbie- zurücklehnen und sich fragen, warum sie die Regelun- ten. gen dieses Gesetzes umsetzen sollten, schließlich komme bald sowieso ein neues. Wenn wir so verfahren, (Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!) machen wir über alle Parteigrenzen hinweg einen ent- scheidenden strategischen Fehler. Im Ziel war es gut gemeint, in der Praxis ist es aber nicht umsetzbar. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6929

Wolfgang Zöller (A) Wir können über die verschiedenen Systeme streiten. zur Begrenzung der Lohnnebenkosten und zur Generati- (C) Ich sage Ihnen: Wir müssen ganz anders vorgehen. Wir onengerechtigkeit. müssen uns auf Grundsätze verständigen, anhand deren Zweitens. Was ist mit dem Rentenniveau? Das Ni- wir diese Modelle beurteilen und messen. Ein neues und veau muss so gestaltet werden, dass die Rentenzahlung zukunftssicheres Finanzierungssystem muss für meine als Lohn für die Lebensarbeitszeit ersichtlich bleibt. Der Begriffe folgenden Punkten gerecht werden: demographische Faktor ist unerlässlich. Er hätte schon Erstens. Realisierung des Prinzips der Nachhaltigkeit seit etlichen Jahren wirken können, wenn Rot-Grün ihn in der Finanzierung. nicht verhindert hätte. Zweitens. Entkopplung von den Lohnkosten, um den Ungeachtet der verschiedenen Modelle, über die wir Faktor Arbeit zu entlasten. diskutieren, glaube ich, dass wir alle – insbesondere, wenn es um die Rente geht – mit Zahlen ehrlicher umge- Drittens. Langfristige Berücksichtigung der demogra- hen sollten. Nach den Prognosen aller wissenschaftli- phischen Entwicklung. chen Experten wird die gesetzliche Rente die ursprüngli- Viertens. Sicherung der Solidarität zwischen Jung und che Funktion der Sicherung des Lebensstandards nicht Alt sowie Arm und Reich. Dabei muss auch die Famili- mehr voll erfüllen können. Das heißt aber auch: Wir nä- enkomponente berücksichtigt werden. hern uns langsam dem Sozialhilfeniveau. Wenn jemand, der 40 Jahre in das Rentensystem eingezahlt hat, durch Fünftens. Keine weitere Bürokratisierung. Im Gegen- Abschläge plötzlich in die Nähe des Sozialhilfeniveaus teil: Es muss ein Abbau solcher Hemmnisse erfolgen. kommt, dann stellt sich die Legitimationsfrage für die Rente im Prinzip von allein. Wir müssen sehr darauf auf- (Otto Fricke [FDP]: Und dann macht ihr ein passen, wie wir mit den Zahlen umgehen. solches Gesetz!) Drittens. Welche Regelungen treffen wir bezüglich Nicht nur in der gesetzlichen, sondern auch in der pri- des Renteneintrittsalters? Auch hier sage ich klipp und vaten Krankenversicherung brauchen wir mehr Spiel- klar: Wir müssen uns als Erstes an das tatsächliche Ren- raum. Zurzeit ist ein Wechsel von einer privaten Kran- teneintrittsalter heranwagen. Ich glaube, die Diskussion kenversicherung zur anderen kaum möglich, weil die über eine Anhebung auf 67 Jahre wird von der Bevölke- Übertragbarkeit der Altersrückstellungen nicht gewähr- rung zum jetzigen Zeitpunkt nicht verstanden. Sie sagen: leistet ist. Auch hier sollten wir eine realitätsbezogene Versuchen Sie einmal, einen 55- oder 58-Jährigen zu gemeinsame Lösung anstreben. vermitteln. Das heißt, für die Menschen ist das ange- (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: strebte Ziel viel zu weit von der tatsächlichen Situation (B) So ist es!) entfernt. 50 Prozent der Betriebe in Deutschland haben (D) keine Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind. Dennoch sage ich: Wir müssen zeigen, dass aufgrund dieser aktuellen Reform die Chance besteht, das Finan- Wir verunsichern die Menschen. Wir müssen die zierungsproblem mittelfristig zu lösen, sodass wir die Menschen wesentlich mehr in die Diskussion einbinden. langfristige Finanzierungsproblematik in dem jetzt gege- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) benen Zeitfenster bis 2006 fachlich sauber lösen können. Ich halte es daher zum jetzigen Zeitpunkt für notwendig, Das Gleiche gilt auch für die Rentenreform. Auch dass Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker ge- hier warne ich vor unsachlichen Debatten. Wir sollten meinsam versuchen, die Chancen für ältere Mitarbeiter versuchen, uns darüber zu einigen, was durch diese Re- zu verbessern, damit sie länger in Arbeit bleiben können. form eigentlich geleistet werden soll. Hier müssen wir ehrlich sagen: Die Wahrung des Besitzstandes darf nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) höher geschätzt werden als das Streben nach Gerechtig- Jetzt habe ich leider das Problem, dass mir meine Re- keit – ganz speziell bezogen auf die Familien. Frau Kol- dezeit davongelaufen ist. Daher werde ich einiges nur legin Bender, man muss das Urteil des Bundesverfas- noch stichpunktartig anführen. Bei der Familienkompo- sungsgerichts nur richtig deuten. Bezüglich der nente muss die Kinderrente als Kinderbonus primär als Pflegeversicherung heißt es dort nämlich: Nachteilsausgleich angesehen und dementsprechend Beitragszahler, die zusätzlich Kinder erziehen, sind ausgestaltet werden. Die Regelung, nach 45 Arbeitsjah- gegenüber jenen benachteiligt, die keine Kinder er- ren ohne Abschläge in Rente gehen zu können, bezieht ziehen. Dies muss im Beitragssystem ausgeglichen sich für mich auf die Leistung. Dies muss bei der Rente werden. erkennbar sein. Die Riester-Rente – ich glaube, darin sind wir einer Meinung – muss vereinfacht werden. (Waltraud Lehn [SPD]: Machen wir doch!) Ich komme zu meinem letzten Satz. Was wir brau- Bevor wir jetzt weiter über ein System A, B und C chen, ist eine offene und ideologiefreie Debatte. In die- diskutieren, sollten wir vielleicht versuchen, folgende ser Debatte darf nicht schon vorher das Ergebnis festste- Fragen gemeinsam zu beantworten: Erstens. Wie sieht hen. Wir sollten die Zeit nicht damit vergeuden, uns die die Gestaltung der Beitragshöhe aus? Es ist doch unum- Schwächen unseres Systems gegenseitig vorzuhalten, stritten, dass ein stabiler Beitragssatz den Spielraum der sondern wir sollten die Frage beantworten – das erfor- jungen Generation für mehr private Vorsorge vergrößert. dert viel Arbeit –, mit welchen Maßnahmen wir das Ziel Der stabile Beitragssatz ist gleichzeitig auch ein Beitrag erreichen können. 6930 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Wolfgang Zöller (A) Vielen Dank. lich Schwachen in unserem Lande zu verbessern. Auf (C) diesem Gebiet haben wir eine Menge vorzuweisen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP) Herr Dr. Kolb, Sie haben uns einiges vorgeworfen, (Detlef Parr [FDP]: Zu Recht!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Helga Kühn- über das ich mich wirklich nur wundern kann. Waren Sie Mengel. nicht fast drei Jahrzehnte an den Regierungen beteiligt? Sie beklagen heute, dass Frauen nicht die Möglichkeit (Beifall bei der SPD) haben, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wie war das Helga Kühn-Mengel (SPD): denn von 1969 bis 1982?) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- legen! Herr Kollege Zöller, aus dem, was Sie gerade vor- Sie beklagen ein marodes Gesundheitssystem, ob- getragen haben, kann ich nur eines schließen: dass Sie wohl Sie immer nur Vorschläge zur Kostendämpfung ge- im Bundesrat unseren Reformpaketen zustimmen wer- macht haben. Sie haben niemals Veränderungen an der den. Struktur und der Qualität im Sinne einer besseren Ver- sorgung vorgenommen. Sie haben sehr viel versäumt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andreas Storm [CDU/CSU]: Da haben Sie aber nicht (Beifall bei der SPD – Peter Dreßen [SPD]: zugehört!) Vorruhestandsregelung hat er gemacht! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ihr habt alles Wir haben in den letzten Monaten wirklich einiges abgelehnt!) geleistet, um unsere sozialen Sicherungssysteme, die wir erhaltenswert finden, zu stabilisieren und zukunftsfest zu Die Investitionen in Innovationen, die Investitionen in machen. Sie hingegen wurden sich in der Zwischenzeit Bildung, die Investitionen in Kinder und ihre Zukunft, mit Ihren vielen unterschiedlichen Konzepten nicht ei- all dies leisten wir mit den unterschiedlichen Gesetzen. nig. Sie haben sich darum entschlossen, davon abzulen- (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie ken und den Karren im Bundesrat gegen die Wand fah- haben doch die geringsten Investitionen seit ren zu lassen, Jahren im Bundeshaushalt!) (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie Auch versuchen wir, die Erosion des Arbeitsmarktes haben doch den Karren Bundesrepublik gegen durch die Hartz-Gesetzgebung zu kompensieren. (B) die Wand gefahren!) (D) (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb indem Sie blockieren und Reformen verhindern, um am [FDP]: Ihr Gedächtnis ist kurz!) Ende wie ein Phönix aus der Asche zu steigen. Ihre Politik hat dafür gesorgt, dass ältere Arbeitnehmer (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das war nicht und Arbeitnehmerinnen mit öffentlichen, steuerfinan- meine Rede! – Andreas Storm [CDU/CSU]: zierten und beitragsfinanzierten Geldern weggefegt wur- Das war die Rede von Oskar Lafontaine von den. 1997!) (Peter Dreßen [SPD]: Genauso ist es!) Dies wird Ihnen aber nicht gelingen; denn die Menschen spüren, dass dies reines Machtkalkül ist. Wir werden den All dies wird jetzt durch unsere Gesetze wieder geän- Menschen im Land sagen, wie es sich wirklich verhält. dert. Es wird Zeit, dass das endlich geschieht. Insofern kann ich sie nur noch einmal auffordern, diesen Reform- Wir haben Deutschlands Zukunft mit der Agenda paketen zuzustimmen. 2010 auf starke Säulen gestellt. Wir senden mit den Re- formen eine ehrliche Botschaft aus: Wer den Sozialstaat (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten erhalten will, der muss dafür sorgen, dass den Menschen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) auch in Zukunft Schutz vor den großen Lebensrisiken Die CDU/CSU will das individuelle Risiko bei der zugute kommt. Keiner darf sich um die Frage der Finan- Rente und der Gesundheit stärker berücksichtigen. Sie zierbarkeit von sozialen Leistungen drücken. plädiert für die Kopfpauschale. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Diese lehnen wir ab. Es kann doch nicht wahr sein, dass Das gilt für unser Gesundheitssystem und die Rentenver- Chefärztin und Pfleger das gleiche Risiko haben, das sicherung. Die Rente ist nicht per se sicher, sondern nur Gleiche zahlen dann, wenn sie bezahlbar bleibt. (Lachen bei der CDU/CSU – Steffen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!) Kampeter [CDU/CSU]: Das sind Klassen- kampfparolen! Lassen Sie die bleiben!) Wir Gesundheitspolitiker und Gesundheitspolitikerinnen von Rot-Grün haben aus tiefster Überzeugung dafür ge- und der Staat die Mindereinnahmen mit zweistelligen kämpft, die Chancen und die Rechte auch der wirtschaft- Milliardensummen kompensieren muss. Das belastet die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6931

Helga Kühn-Mengel (A) einkommensschwachen Familien und die Steuerzahler. (Otto Fricke [FDP]: Da blickt keiner mehr (C) Wir lehnen das ab. durch! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Stell dir vor, die Tür ist offen und keiner geht durch!) (Beifall bei der SPD) Weiterhin bringen wir mehr Ordnung in den Arznei- Wir wollen, dass auch in Zukunft die breiteren Schultern mittelmarkt. Insofern setzen wir uns deutlich von Ihrer mehr tragen als die schmaleren und das Band der Solida- Kritik ab. Sie wollen den Wettbewerb nur, wenn er Ar- rität in den Sozialsystemen weiterhin gilt. Gleichzeitig beitnehmerinnen und Arbeitnehmer betrifft. Wenn es um achten wir darauf, dass die Systeme bezahlbar bleiben. die Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt geht, dann sind (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sind alles Sie ohne Rücksicht auf Verluste dafür, aber mehr Wett- Worthülsen! Werden Sie konkreter!) bewerb zwischen Ärzten und Apothekern bezeichnen Sie als sozialistische Verirrungen. Zur Gesundheitsreform. Herr Kollege Zöller, ich habe mich gewundert, dass Sie sagen, die Disease-Manage- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ment-Programme, die strukturierten Behandlungspro- DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: gramme erforderten so viel Bürokratie. Diese Pro- Wenn er fair ist, machen wir mit! Fair muss er gramme waren uns sehr wichtig. sein!) (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Vor al- Ja, wir wollen die Bürgerversicherung. Sie ist ein Ele- len Dingen den Krankenkassen!) ment der nachhaltigen Finanzierung. Den Ärzten war es wichtig, dabei sehr viele Aspekte zu (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das berücksichtigen. Vielleicht hatten sie sogar die Hoff- sehen die Sachverständigen anders!) nung, dass die Bürokratie diese Programme ersticken würde. Wir werden dafür sorgen, dass die Disease-Ma- Wir lehnen die Individualisierung und den Vorschlag nagement-Programme, wo es möglich ist, verschlankt der CDU/CSU betreffend eine risikobezogene Kopfprä- werden. Aber sie haben ihren Sinn und werden Qualität mie ab. Wir wollen den Weg gehen, dass jeder Mann, und Wirtschaftlichkeit in das System bringen. jede Frau und jedes Kind in diesem Land versichert ist und die Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähig- (Beifall bei der SPD – Annette Widmann- keit Beiträge zahlen. Dabei achten wir auf die Finanzie- Mauz [CDU/CSU]: Das Bundesversicherungs- rung des Systems und auch auf die strukturellen Ele- amt kommt mit dem Kontrollieren gar nicht mente. mehr nach!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Achten Sie auch (B) Der FDP als Gralshüter der freien Berufe und des noch auf die Redezeit! Dann stellen Sie fest, (D) Wettbewerbs kann ich nur sagen: dass sie zu Ende ist!) (Otto Fricke [FDP]: Sie haben beides aufgege- Wir werden die Prävention stärken. Das wird eine nati- ben!) onale Aufgabe werden. Wir wissen, dass die Prävention Ich kann mich daran erinnern, dass die FDP in der kur- eine Antwort auf die demographische Entwicklung ist. zen Zeit, in der sie bei den Kompromissrunden beteiligt Deswegen hat diese Regierung nicht nur die Prävention war, für eine Gruppe von Leistungsanbietern ein Reser- wieder im SGB V verankert –, die Sie gestrichen vat, einen Schutzraum errichten wollte. Sie wollte über- hatten –, sondern wir werden mit einem großen eigenen haupt keinen Wettbewerb. Wir waren diejenigen, die Präventionsgesetz diesem Bereich endlich die Aufmerk- mehr Wettbewerb haben wollten. Wir wollten die Ein- samkeit geben, die ihm zukommt. zelverträge und wir wollten das Monopol der Kassen- Meine Redezeit ist leider um. Ich fordere Sie auf, ärztlichen Vereinigungen zumindest modifizieren. nicht Ihrem Kollegen Kauder zu folgen, der angekündigt (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Zu- hat, die Reform der Rente, auch die kurzfristigen Maß- gunsten neuer Monopole der Krankenkas- nahmen, komplett abzulehnen. Damit zieht die Union sen!) den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes den Bo- den unter den Füßen weg und verspielt unsere Zukunfts- Wir wollten noch mehr Bewegung in den Gesundheits- fähigkeit. Verlassen Sie diesen Weg! Unterstützen Sie markt bringen. Sie haben dies verhindert. uns bei den Reformpaketen! Wir haben einen Kompromiss geschlossen und dieser (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kompromiss ist besser, als häufig dargestellt wird. Wir DIE GRÜNEN) werden im nächsten Jahr sehen: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir werden Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nächstes Jahr sehen, wie sich die Beiträge Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto Fricke. entwickeln!) mehr Transparenz, mehr Qualität. Wir stärken die Pati- Otto Fricke (FDP): entenrechte und wir haben die Tür weiter für die inte- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und grierte Versorgung und die ambulante Versorgung in Herren! Frau Kühn-Mengel und auch Frau Bender haben Krankenhäusern geöffnet. in ihrer Rede – ich bin sicher, wir werden das gleich 6932 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Otto Fricke (A) auch in der Rede von Herrn Kurth erleben – nichts über mit ich nicht missverstanden werde, möchte ich hier sa- (C) den Haushalt gesagt. gen, dass die Kollegin Lehn überhaupt nicht gemeint war; denn ihre Rede bezog sich klar auf den Haushalt. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Kollegin Bender hat sich allerdings nur mit der NEN]: Lesen Sie uns die Zahlen vor?) CDU/CSU, in erster Linie mit Herrn Seehofer, der in ei- Über den Haushalt zu reden muss ganz schrecklich für ner hinteren Reihe ganz ruhig und entspannt sitzt, aber Sie sein, deshalb suchen Sie sich lieber etwas anderes, konzentriert zuhört, auseinander gesetzt. das Sie angreifen können. Als Haushälter sage ich Ihnen: (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie müssen sich mit dem Ist auseinander setzen; denn NEN]: Die FDP ist eben nicht so wichtig! Das nur auf dieser Grundlage können Sie etwas Besseres für tut mir Leid!) die Zukunft schaffen. Sie wissen, dass ich es nicht schätze, über Inhalte der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Berichterstattergespräche in der Öffentlichkeit zu disku- der CDU/CSU) tieren. Aber von Frau Bender wurde über Detailfragen Eine kleine Anmerkung zu Ihnen, Herr Luther. Es ist – um wie viele Milliarden geht es? – überhaupt nicht ge- sicherlich gut, dass Sie mit Ihrer Frau über den Haushalt redet. reden. Da Sie wie ich Vater dreier Kinder sind, sollten (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass Sie die Sie auch einmal mit Ihren Kindern darüber reden. Der Bundesgarantie erstmals ziehen müssen, ist Kern des Problems, mit dem wir uns beschäftigen müs- der Skandal!) sen, ist doch, dass wir die Zukunft unserer Kinder heute und insbesondere in diesem Haushalt verfrühstücken. Die Schwankungsreserve wurde nicht angesprochen. Auch über die Frage, welche Rentengesetze beschlossen (Beifall bei der FDP) wurden, die noch nicht in Kraft gesetzt worden sind, Als Haushälter möchte ich ausdrücklich sagen, dass aber dennoch Einfluss auf den Haushalt haben werden, wir sachliche Beratungen durchgeführt haben. Wir ha- wurde von ihr nicht geredet. Das war mein Ansatz. Im ben uns mit vielen Aspekten detailliert beschäftigt. Übrigen gebe ich Ihnen Recht: Es besteht ein Zusam- menhang. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk? Wir haben beim Bundessozialgericht etwas erreicht. In diesem Zusammenhang möchte ich meine Mitbericht- erstatter loben. Wir haben es geschafft, die Ausgabe ei- (B) Otto Fricke (FDP): (D) nes hohen Millionenbetrages um ein Jahr zu verschie- Selbstverständlich, besonders gern von der Kollegin ben, weil wir gesagt haben, wir warten ab, wie die Hajduk. Renovierung des Bundessozialgerichts läuft. Das ist ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD – kleiner Punkt, den ich aber ansprechen wollte. Denn Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann haben Sie wenn man auf der einen Seite Kritik übt, muss man auf es hinter sich!) der anderen Seite auch die Dinge loben, die in Ordnung sind. – Wir arbeiten kollegial zusammen, Herr Kollege, das heißt aber nicht, dass wir in der Sache gleicher Meinung Der Bericht des Bundesrechnungshofes zum Robert- sein müssen. Koch-Institut ist nicht in Ordnung, Frau Ministerin. Wir befinden uns ja schon in der Karnevalszeit und daher Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kann ich sagen: Es ist bemerkenswert, wenn Geld für das Herr Kollege Fricke, Sie haben darauf angespielt, Büro eines Vizepräsidenten, den es noch gar nicht gibt, dass die Kollegen meiner Fraktion nicht über den Haus- ausgegeben wird. Das ist schon ein Treppenwitz. halt des Gesundheitsministeriums reden wollten. Ich Der Einzelplan 15 hat das größte Budget. Im Jahr möchte Sie daher fragen: Ist Ihnen eigentlich klar, dass 2004 wird das zu einem großen Risiko werden. die Diskussion über die Rente in einem engen Zusam- menhang mit dem Haushalt des Gesundheitsministeri- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr!) ums – der Bund hat die Garantiefunktion inne – und im Eines kann ich Ihnen garantieren, Frau Ministerin: In weiteren Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt steht diesem Jahr war der Haushalt des Wirtschaftsministers und die Beiträge der Kolleginnen Waltraud Lehn und das größte Risiko. Er hat für einen Nachtragshaushalt Birgitt Bender daher sogar den Kern der Problematik in gesorgt. Im kommenden Jahr werden Sie es sein. Ich will der Haushaltspolitik und Rentenversicherung herausar- damit nicht unterstellen, dass Sie das wollen beiten? Ist Ihnen dieser Zusammenhang bekannt? (Widerspruch der Bundesministerin Ulla (Lachen bei der CDU/CSU) Schmidt) – nein, dann würden Sie mich missverstehen –, aber es Otto Fricke (FDP): wird genau darauf hinauslaufen. Liebe Kollegin Hajduk, Sie werden überrascht sein, aber mir ist der Zusammenhang durchaus bekannt. Das Ich begründe das gerne. Wir haben gesehen, wie Sie wissen Sie auch aus den Berichterstattergesprächen. Da- hinsichtlich der globalen Minderausgabe vorgegangen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6933

Otto Fricke (A) sind, und wir haben in den Berichterstattergesprächen Das ist eine schlechte Voraussetzung, wenn wir ihn bei (C) erlebt, liebe Kollegin Hajduk, dass uns die Ministerin anderen Reformvorhaben mitnehmen wollen. und die Staatssekretärin auf unsere Bitte um konkrete Angaben zu der Frage, wie die 1 Milliarde Euro einge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spart werden soll, eine entsprechende Auskunft zugesagt der CDU/CSU) haben. Am Montag darauf war das aber alles perdu. Zu Für mich zeigt sich bei der Rente, dass hier sozusagen diesem Zeitpunkt war klar, dass die Einsparvorschläge mit Verschiebebahnhöfen gearbeitet wird: Mal ist es der nicht vorgelegt werden müssen, sondern dass der Fi- Südbahnhof, mal der Nordbahnhof, mal der Ostbahnhof. nanzstaatssekretär Diller fleißig nach anderen Einspar- Was aber fehlt, Frau Ministerin, ist, möglichkeiten im Haushalt suchen muss. (Ulla Schmidt, Bundesministerin: Der West- Ich will nicht alles aufzählen. Das wäre eine Wieder- bahnhof! – Heiterkeit) holung und damit höchst kritisch einzuschätzen. Ich möchte aber einen Punkt ansprechen und die Kollegen dass Sie endlich einmal den Hauptbahnhof erreichen. von der CDU/CSU bitten, über die Frage nachzudenken, wie wir Kinderlose davon überzeugen können, diejeni- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP – gen zu unterstützen, die Kinder haben. Es kann doch Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nicht sein, liebe Kollegen von der CDU/CSU, dass durch DIE GRÜNEN) eine falsche Prononcierung bei Kinderlosen das Gefühl Was das Thema Prävention angeht, bin ich gespannt, wie entsteht, sie seien die Melkkühe der Nation. Wir müssen Sie Ihre Vorhaben finanzieren wollen. diese Leute bei den Reformen mitnehmen. Das ist mei- ner Ansicht nach nicht möglich, wenn Kinderlose höhere (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Beiträge zahlen müssen. Ich glaube, wir alle – das gilt für das ganze Haus – müssen vielmehr verstärkt darauf Ich komme zu einem letzten Punkt. Ein weiteres Ri- achten, die Leute mitzunehmen und zu zeigen, dass wir siko in Ihrem Haushalt ergibt sich aus dem AAÜG hin- bereit sind, andere zu unterstützen, die im Sinne der So- sichtlich der Sonderrenten Ost. Frau Lehn, Sie haben es lidarität – wie es die SPD so schätzt – etwas für unsere zu Recht immer wieder im Haushaltsausschuss ange- Altersvorsorge tun. sprochen: Die Sonderrenten Ost stellen ein riesiges Pro- blem dar. Ich möchte davor warnen, dass die Bundesre- Ich komme nun zur Rentenreform. Frau Ministerin, gierung im Vermittlungsausschuss das AAÜG und die ob 1,5, 1,3 oder 1,2 Prozentpunkte – ich bin sehr ge- Zahlungen der Länder sozusagen als Köder benutzt, da- spannt darauf, auf welchen Prozentsatz die Beiträge mit der Fisch zuschnappt, indem sich die neuen Länder (B) schließlich hinauslaufen werden und zu welchem Zeit- bereit erklären mitzumachen, weil sie sich davon Entlas- (D) punkt die Frage geklärt wird, wann und in welcher Form tungen versprechen. Es geht auf keinen Fall an, dass es die Renten angepasst werden. in diesem Bereich zu weiteren Zahlungen kommt. Be- reits jetzt drohen Zahlungen, die durch die Gerichte ver- Jetzt zu der Aussage, dass die Absenkung der anlasst werden. Schwankungsreserve nicht so schlimm sei, Frau Lehn. Herr Diller wird zwar auch dafür eine Lösung finden Ich komme zum letzten Punkt: Gesundheitsreform – das ist auch im Nachtragshaushalt möglich –, aber ei- und Tabaksteuer. nem Rentner kommt es nicht nur darauf an, ob er am Monatsanfang oder -ende sein Geld bekommt. Wir soll- ten vielmehr vermeiden, immer wieder den Eindruck zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: erwecken, dass wir uns ständig mit der Frage befassen, Herr Kollege! woher wir dieses Geld eigentlich nehmen sollen. (Waltraud Lehn [SPD]: Aber dann reden Sie es Otto Fricke (FDP): ihnen doch nicht ein!) Ich komme zum Schluss. – Dass es nicht sehr konse- quent ist, sich auf der einen Seite an der Gesundheitsre- – Das tun wir auch nicht. Die Meldung lautet doch nicht: form beteiligen zu wollen und auf der anderen Seite die Die FDP und die CDU/CSU reden dem Bürger etwas Tabaksteuerreform zu blockieren, ist eines. Aber ein. schlimm ist, dass die Umsetzung der Tabaksteuer nicht so funktioniert wie vorgesehen. Das hat der Kollege (Waltraud Lehn [SPD]: Doch! Genau darum Diller inzwischen auch bestätigt. Darin liegt ein weiteres geht’s!) hohes Risiko. Die deutschen Journalisten – insofern habe ich ein star- Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung. kes Vertrauen zu ihnen – werden vielmehr feststellen: Während früher das Geld aus der Schwankungsreserve zur Verfügung stand, muss der Staat jetzt schon so weit Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gehen, seine stillen Reserven zu verbrauchen. Nein, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Ich war schon bei Ihrem Kollegen sehr großzügig. Es nützt Für uns als Haushälter mag es dabei zunächst einmal nichts, immer wieder mit der Präsidentin zu verhandeln. nur um die Verrechnung von Posten gehen. Aber dem Rentner draußen im Lande macht dieser Zustand Angst. (Heiterkeit) 6934 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Otto Fricke (FDP): zusätzliche Einnahmeausfälle für die öffentliche Hand (C) Erlauben Sie mir noch einen letzten Satz zur Gesund- bedeutete. heitsreform und zur Tabaksteuer und zwar ein abgewan- deltes Zitat von Wilhelm Busch: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Zwei Wochen war der Bürger krank. Jetzt raucht er CSU]: Sie machen ja beim Lesen Fehler! – wieder, Gott sei Dank. Zuruf der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]) (Beifall bei der FDP) – Wir schaffen einen neuen Freibetrag für die Alleiner- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: ziehenden; das wissen Sie ganz genau. Ob das jeder versteht? Das Wort hat jetzt der Abge- Ich wundere mich auch nicht über das Kopfpauscha- ordnete Markus Kurth. lenmodell Ihrer Herzog-Kommission, das äußerst frag- würdige Verteilungswirkungen hätte und darüber hinaus Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ein enormes Umverteilungsvolumen über Steuermittel Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und erforderte. Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich könnte jetzt (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wun- mit einem Busch-Zitat fortsetzen: „Ach, was muss man dern Sie sich doch mal über die oft von bösen Buben hören oder lesen.“ Dieses Zitat 43 Milliarden Euro Neuverschuldung! – drängt sich einem in der Tat auf. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ich bin einmal (Heiterkeit – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE gespannt, was von Ihnen kommt!) GRÜNEN und bei der SPD) Wenn ich diese Kakophonie verschiedener Vor- Wenn man die gesamte Haushaltsdebatte Revue pas- schläge höre, dann wundere ich mich aber sehr darüber, sieren lässt, dann fällt vor allen Dingen mit Blick auf die dass Sie nicht zu sehen scheinen, dass sich die Vor- CDU/CSU die Beliebigkeit auf, mit der Sie in den De- schläge in der Gesamtschau widersprechen und zu einem batten über die verschiedenen Einzelpläne haushalts- gewaltigen Defizit auftürmen, das bei EU-Kommissar wirksame Forderungen ohne jeden Bezug zur prekären Solbes mit Sicherheit zu einer Herzattacke führte. Reden Haushaltssituation des Bundes stellen. Sie denn gar nicht miteinander? Bestellt bei Ihnen jeder seinen eigenen Vorgarten? Macht in dieser Debatte jeder (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Zum seine Vorschläge nach eigenem Gutdünken? Beispiel?) (B) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So wie in der Koa- (D) In der Finanzdebatte klagen Sie über die Totengräber des lition müssen Sie sich das vorstellen!) Stabilitätspakts; hier aber und in den Debatten in Ihrer Partei stellen Sie politische Forderungen, die zum Teil Auf der einen Seite klagen Sie uns in der Haushaltsde- Ausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe zur Folge hät- batte an, auf der anderen Seite machen Sie Vorschläge, ten. Das passt nicht zusammen. die viel Geld erfordern. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wo denn?) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt kommen wir mal zur Sache!) – Ich sage Ihnen gleich, wo. Sie haben nicht nur ein Puzzle, Sie werfen verschiedene Ich wundere mich nicht über inhaltliche Unterschiede Puzzles ineinander. Sie verzichten wohl bedacht darauf, zwischen Regierung und Opposition in den Einzelvor- den Versuch zu machen, ein Gesamtbild zu zeichnen schlägen. Ich wundere mich nicht darüber, dass die Kol- legin Maria Eichhorn gestern in der familienpolitischen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie lief das Debatte ein Erziehungsgeld in Höhe von monatlich denn mit der Steinkohlensubvention, Herr 500 Euro bis zum dritten Lebensjahr fordert. Man kann Kollege?) es einerseits als „Heim- und Herdprämie“ sehen, weil es für Frauen negative Beschäftigungsanreize setzt, ande- und sich miteinander ins Benehmen zu setzen, weil Sie rerseits kostet es zig Milliarden Euro. wissen, dass die verschiedenen Vorschläge, über die Sie sich zum Teil auch untereinander streiten, einfach nicht (Widerspruch bei der CDU/CSU – zusammenpassen. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann hätten Sie besser Karl Marx zitiert als Wilhelm Busch!) In diesem Zusammenhang will ich noch kurz auf den Rentenvorschlag von Herrn Stoiber eingehen: Bei ihm Ich wundere mich nicht, dass der Abgeordnete Michael fällt auf, wie sehr Sie eigentlich noch in der Verteilungs- Meister kurzerhand Kürzungen bei der Jugendhilfe, Ein- politik stecken, die Herr Kolb beinahe zu Recht ange- gliederungshilfe und Grundsicherung fordert. Ich wun- prangert hat, und wie wenig Sie Strukturfragen in den dere mich schon gar nicht über den Abgeordneten Merz, Vordergrund stellen. der ein Steuerkonzept vorlegt, das auf den ersten Blick relativ einfach und charming zu sein scheint, das aber (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Re- etwa die allein erziehende Krankenschwester im Ver- den Sie doch mal über Nachhaltigkeit! Was ist gleich zu heute erheblich benachteiligte und außerdem denn mit den 43 Milliarden Euro?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6935

Markus Kurth (A) Sie wollen die Kinderlosen belasten, Sie wollen die Fa- beitsgelegenheiten, wie das Ihr Entwurf eines Existenz- (C) milien fördern. grundlagengesetzes vorsieht. Wir versuchen vielmehr, die Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Darauf zielt auch – das (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Was betrifft den Geltungsbereich des SGB IX – unser jüngst sagen Sie denn den Kindern?) eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der – Bitte, Frau Widmann-Mauz, unterlassen Sie diesen Beschäftigung Schwerbehinderter ab. permanenten Geräuschhintergrund! Seien Sie einfach Entscheidend ist nicht allein die Verteilungspolitik. die restlichen drei Minuten meiner Redezeit still und hö- Wir versuchen vielmehr – das tun wir auch –, Struktur- ren Sie meiner Rede zu! entscheidungen und Verteilungsentscheidungen zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ verbinden. Wir warten nicht mit einem Sammelsurium DIE GRÜNEN) verschiedener, sich widersprechender Verteilungsent- scheidungen auf. Ist denjenigen Frauen, die keinen Arbeitsplatz haben können, weil es ihnen an Betreuungsmöglichkeiten für Danke schön. Kinder im Alter von null bis drei Jahren – nicht erst ab (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN drei Jahren, wie Herr Kolb sagt – fehlt, und bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) denn wirklich damit geholfen, wenn sie weniger Renten- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: beiträge zahlen sollen? Wo setzen wir denn gezielt un- Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Andreas Storm. sere Mittel ein? (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: Machen Sie doch mal! Sie sind doch an der Regierung!) Andreas Storm (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe In diesem Punkt unterscheiden sich die Regierung heute manchmal den Eindruck, auf der falschen Veran- und diese Seite des Parlaments von Ihnen sehr, weil wir staltung zu sein. Frau Kollegin Bender, Herr Kollege hier vernetzt denken. Wenn wir zum Beispiel über die Kurth, ich lade Sie ganz herzlich zu unserem Parteitag Regelsätze in der Sozialhilfe nachdenken, dann realisie- am kommenden Montag und Dienstag in Leipzig ein. ren wir den Mehrbedarf bei den Alleinerziehenden im Wenn Sie an ihm teilnehmen, dann werden Sie vielleicht Arbeitslosengeld II. Gleichzeitig gibt es den Erwerbstä- in Zukunft nicht mehr so viel Unfug über unser Partei- tigenzuschlag vonseiten des Familienministeriums für programm reden. Es ist aber bezeichnend, dass Sie beide diejenigen, die im Bereich des Arbeitslosengeldes II er- (B) fast kein Wort über das eigentliche Thema dieses Nach- (D) werbstätig sind, und wir verbessern die Kinderbetreuung mittags verloren haben, nämlich den Sozialhaushalt der für die Null- bis Dreijährigen, um die Erwerbstätigkeit rot-grünen Bundesregierung. Das kommt sicherlich zu steigern. Diese vernetzte, verschiedene Ressorts über- nicht von ungefähr. greifende Politik führt zu einer Steigerung des Erwerbs- tätigkeitsniveaus und legt das Fundament für eine nach- (Beifall bei der CDU/CSU) haltige Sozialpolitik. Einen Fortschritt gibt es: Nach derzeitigem Stand (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird die zuständige Fachministerin, Frau Schmidt, heute DIE GRÜNEN) das Wort ergreifen. Bei der zweiten und der dritten Le- sung der Rentenreform, die vor wenigen Wochen statt- Das könnte ich noch für eine ganze Reihe anderer fand, hat die Fachministerin – das war ein Novum in der Themenbereiche durchdeklinieren. Da ich leider nicht Parlamentsgeschichte – nicht zu diesem wichtigen mehr so viel Redezeit habe, möchte ich nur noch kurz Thema gesprochen, das vor allem die Rentnerinnen und auf zwei Bereiche eingehen, in denen die eben geschil- Rentner betrifft; denn zum ersten Mal in der Geschichte derten Zusammenhänge deutlich werden. Nach der der Rentenversicherung werden die Renten im nächsten jüngsten Studie des Statistischen Bundesamtes mit dem Jahr effektiv gekürzt. Titel „40 Jahre Sozialhilfe in Deutschland“ ist der Anteil der Sozialhilfebezieher bei den Migrantinnen und Mig- (Erika Lotz [SPD]: Das wird durch Wiederho- ranten, also den ausländischen Mitbürgern der zweiten lungen nicht besser!) Generation, überproportional hoch. Insgesamt liegt der Bei der Verabschiedung des Haushalts 2001 haben Anteil der Ausländer an den Sozialhilfebeziehern bei Sie in diesem Haus erklärt, beim Thema Rente hätten Sie 22 Prozent. Natürlich kann man angesichts dessen wie Ihre Hausaufgaben gemacht. Wenige Monate zuvor hat- Herr Beckstein sagen, dass wir mehr Menschen brau- ten Sie nämlich die riestersche Rentenreform be- chen, die uns nutzen, als solche, die uns ausnutzen. schlossen. Heute, zwei Jahre später, müssen wir aber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) feststellen, dass sich die Sozialversicherung in der schwersten Finanzierungskrise ihrer Geschichte befin- – Mir war klar, dass Sie an der falschen Stelle klatschen det. werden. (Beifall bei der CDU/CSU) Man kann aber auch zielgruppengerechte Programme auflegen, um diese Menschen in das Erwerbsleben zu in- Im zweiten Jahr hintereinander weist die gesetzliche tegrieren. Dafür braucht man keine kommunalen Ar- Krankenversicherung ein Defizit von 3 Milliarden 6936 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Andreas Storm (A) Euro auf. Ohne unsere Bereitschaft im Sommer dieses Bei der Anhörung des Sozialausschusses des Bundesta- (C) Jahres, die dringendsten Finanzierungsprobleme der ges haben die Rentenversicherungsträger übereinstim- Krankenkassen gemeinsam zu lösen, würde sich die Bei- mend deutlich gemacht, dass sie noch bis zum Sommer tragsspirale im kommenden Jahr unverändert weiterdre- über die Runden kommen, indem früher auf den Bundes- hen und würde sich der Beitragssatz auf die 15-Prozent- zuschuss für die Rentenkasse zurückgegriffen wird; Marke zubewegen. In wenigen Wochen werden Sie ein diese Maßnahme reiche aber allerspätestens im Novem- neues Rekorddefizit – es wird wahrscheinlich bei über ber nicht mehr aus. Das bedeutet, dass der Bundesfi- 700 Millionen Euro liegen – in der Pflegeversicherung nanzminister einen zinslosen Kredit geben muss, damit bekannt geben müssen. die Renten pünktlich gezahlt werden können. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Skandal!) hoch ist der Beitragssatz?) Nun fragen Sie: Was soll denn das? Schließlich be- Sie mussten ja bereits vor sechseinhalb Wochen, als Sie kommen die Rentnerinnen und Rentner weiterhin ihre auf dem Krisengipfel im Kanzleramt nach einer Lösung Rente. – Die Gewährung eines zinslosen Kredites durch gesucht haben, das größte Loch in der Geschichte der den Bundesfinanzminister ist aber ein dramatischer Ein- Rentenversicherung – 8 Milliarden Euro – bekannt ge- schnitt in die Sozialgeschichte: ben. Erstens. Der Bundesfinanzminister muss mehr Schul- (Peter Dreßen [SPD]: Bei Blüm waren es den aufnehmen, damit die Renten nächstes Jahr im No- noch 12 Milliarden! – Gegenruf des Abg. vember pünktlich gezahlt werden können. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da waren es Zweitens. Die Rentenversicherung muss das Darlehen aber D-Mark!) im folgenden Jahr an den Finanzminister zurückzahlen. Dies alles verschärft die Probleme der öffentlichen Das heißt, die nächste Erhöhung der Beiträge zur Ren- Haushalte gewaltig. Den meisten ist es nicht bewusst, tenversicherung ist schon vorprogrammiert. aber das deutsche Haushaltsdefizit wird allein durch die (Erika Lotz [SPD]: Es kann auch sein, dass die Finanzmisere der Sozialversicherung um 6,4 Milliarden Konjunktur anspringt! Dann nehmen Sie alles Euro in diesem Jahr vergrößert. Dafür sind Sie verant- zurück!) wortlich, Frau Schmidt. Drittens. Die Rentenpolitik wird gewissermaßen im- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mer kurzatmiger. Deshalb muss bald möglicherweise neten der FDP) nicht nur im Herbst, sondern auch unterjährig entschie- (B) den werden, ob der Beitrag zur Rentenversicherung nach (D) Wie absurd die Renten- und die Sozialpolitik von oben angepasst wird. Rot-Grün ist, zeigt sich daran, dass der Bundesfinanzmi- nister das Rekordloch in der Rentenversicherung noch (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: vergrößern wollte. Auch das ist einmalig. Sie erinnern Das ist doch Unsinn und das wissen Sie auch!) sich vielleicht an Folgendes: – Frau Bender, Sie fragen immer wieder: Was bedeutet (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr ungern!) denn das? Am Freitag vor sechs Wochen hat Rot-Grün mit seiner (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehrheit ein Haushaltsbegleitgesetz beschlossen, das Ich frage nicht! Ich sage Ihnen etwas!) vorsah, dass der Bundeszuschuss im kommenden Jahr Viertens. Wenn der Finanzminister seine Finger bei um 2 Milliarden Euro reduziert wird. der Rentenauszahlung direkt im Spiel hat, dann bringen (Waltraud Lehn [SPD]: Da hätten Sie einmal Sie – das ist völlig klar – die Rentenkasse an das Gängel- zuhören sollen!) band des Finanzministers. Diese Entscheidung haben Sie zwei Tage später beim Wenn wir im kommenden November die gleiche Situ- Kanzlergipfel rückgängig gemacht. ation wie in diesem Jahr vorfinden, dann brauchen wir uns über eine neue Rentenformel, über einen Nachhal- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hü und hott!) tigkeitsfaktor oder über einen Demographiefaktor nicht mehr zu unterhalten, dann entscheidet nämlich nicht Das ist kabarettreif und hat nichts mehr mit einer ernst- mehr die Rentenformel darüber, ob die Rentnerinnen haften Renten- und Sozialpolitik zu tun. und Rentner eine Rentenerhöhung erhalten, sondern der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Finanzminister. (Peter Dreßen [SPD]: Er ist aber auch im Par- Eine Verbesserung der Finanzlage der Rentenkasse ist lament verantwortlich!) nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Jahr 2004 wird die Ren- tenkasse vor Problemen stehen, die sie in ihrer Ge- Eine Rente nach Kassenlage wollen wir nicht. Das Er- schichte noch nicht hatte. gebnis von sechs Jahren rot-grüner Rentenpolitik wird die Ablösung der Rente nach Kassenlage durch eine (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Durch Rente auf Pump sein. Ihre Blockadepolitik im Vermittlungsausschuss wird das nicht besser!) (Waltraud Lehn [SPD]: So ein dummes Zeug!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6937

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Zum Thema (C) Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schwankungsreserve rudern die doch wieder Hajduk? zurück!) Wenn dies nicht Gegenstand einer großen Rentenreform Andreas Storm (CDU/CSU): wird, dann kann eine solche Rentenreform am Ende Aber gerne. nicht erfolgreich sein. (Waltraud Lehn [SPD]: Das ist immer noch Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): keine Lösung!) Herr Kollege, Sie sind ein Experte Ihrer Fraktion für Jetzt komme ich zum SPD-Parteitag. die Rentenfinanzierung. (Erika Lotz [SPD]: Ich dachte, Sie wollten (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine sehr rich- über den Haushalt reden!) tige Feststellung! – Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das ist wahr!) Sie haben offenbar gegen den Willen des Bundeskanzlers einen Lösungsweg aufgezeigt, der die Probleme weiter ver- Sie greifen in Ihrer Rede die Finanzierungsprobleme schärft, anstatt auch nur näherungsweise für Abhilfe zu sor- auf und machen uns den Vorwurf, dass es – ich denke, gen. Sie haben nämlich vorgeschlagen, die Rentenversiche- ich habe das richtig verstanden – unterjährig zu Beitrags- rung zu einer Erwerbstätigenversicherung auszuweiten. satzschwankungen kommen könnte. Sie reden von den Belastungen, haben aber noch keine Lösungen angebo- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Schreck- ten. Darf ich Sie fragen, ob Sie uns empfohlen hätten, lich!) den Beitragssatz in einem Zuge um knapp einen Prozent- Sie wollen die Beamten und die Freiberufler in die ge- punkt anzuheben? Wie hätten Sie sich verhalten? setzliche Rentenversicherung aufnehmen. (Otto Fricke [FDP]: Zwängen!) Andreas Storm (CDU/CSU): Frau Hajduk, als Sie hier vor zwei Jahren die Riester- Auf diesen Gedanken ist auch schon der Deutsche Rente beschlossen haben, erklärten Sie, der Rentenbei- Gewerkschaftsbund gekommen. Er hat vor zwei Jahren trag werde im darauf folgenden Jahr 18,7 Prozent betra- die Hans-Böckler-Stiftung prüfen lassen, was passiert, gen. Ohne diese Notmaßnahmen wäre der Rentenbeitrag wenn die Beamten und die Freiberufler aufgenommen nun bei 20,3 Prozent. Dies ist das Ergebnis einer verfehl- werden. Ergebnis ist, dass es dann in der kritischen ten rot-grünen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Phase der Rentenversicherung, nach dem Jahr 2030, so- (B) gar höhere Beiträge gibt, als wenn diese Gruppen außen (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vor sind. All diese Erkenntnisse lagen vor. neten der FDP – Waltraud Lehn [SPD]: Ant- worten!) So hat auch der Bundeskanzler im „Spiegel“-Inter- view dieser Woche erklärt – ich zitiere wörtlich –: Deswegen ist es für die Lösung der Rentenprobleme ent- Wenn man eine vernünftige Lösung will, muss man scheidend, dass die Arbeitsmarktprobleme gelöst wer- abwägen zwischen dem Geld, das durch das Einbe- den. ziehen neuer Gruppen in die Kasse kommt, und den Zum Thema Schwankungsreserve will ich Ihnen ei- Ansprüchen, die daraus entstehen. Bei dieser Ab- nes ganz deutlich sagen, weil Sie damit im Moment ja wägung könnte herauskommen, dass das bisherige noch nicht klarkommen. Die Kollegen aus der SPD- System sehr viel effektiver ist als das neue. Fraktion sagen: Wir wissen gar nicht so recht, warum Das bedeutet: Der Bundeskanzler hat sich bereits drei das Ministerium eigentlich will, dass diese Rücklage Tage nach Ihrem Parteitag von Ihrem Parteitagsbe- wieder aufgebaut wird. schluss verabschiedet. Nun könnte man aufatmen und (Peter Dreßen [SPD]: Unterstellung!) sagen: Das klingt nach Beerdigung dritter Klasse. Nur, man kann sich bei der derzeitigen Verfasstheit von Rot- Es ist entscheidend, dass die Rentenkasse in den nächs- Grün eben nicht sicher sein. ten Jahren wieder eine Rücklage von mindestens zwei Monatsausgaben bekommt. Deswegen ist die ehrliche (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein, das kann Antwort, dass wir in diesem Jahrzehnt wahrscheinlich nächste Woche schon wieder anders ausse- keinen Spielraum mehr für die Senkung der Rentenbei- hen!) träge haben werden. Wenn Sie die ideologischen Scheuklappen bereits auf dem Parteitag beiseite gelegt hätten, wenn Sie diese Er- Wenn es ein ganz großes Problem bei der Finanzierung kenntnisse, die sogar den Gewerkschaften vorliegen, ge- der Rentenversicherung gibt, dann ist es die permanente nutzt hätten, wären Sie nie auf den Gedanken gekom- Abhängigkeit der Rentenbeiträge von der Konjunktur- men, eine Erwerbstätigenversicherung zu fordern. entwicklung mit der Folge, dass steigende Rentenbei- träge die Arbeitsmarktmisere verschärfen. Deswegen ist Wir brauchen also eine Sozialreform, die das Übel bei der Abbau der Rücklage der größte Fehler. Sie müssen den Wurzeln packt. Die Frage ist: Welches sind denn die die Rücklage in den nächsten Jahren wieder auf mindes- entscheidenden Probleme bei den sozialen Sicherungs- tens zwei Monatsausgaben erhöhen. systemen? Wenn Sie sich einmal einen Vergleich mit 6938 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Andreas Storm (A) unseren europäischen Nachbarn anschauen, dann stellen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – (C) Sie fest: Es gibt kein anderes Land, das in dem Umfang Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ein Aufruf wie Deutschland soziale Sicherheit über lohnbezogene zu Neuwahlen!) Sozialabgaben finanziert. Ich glaube, dass man mit Werbung viel erreichen kann, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) aber man kann den Menschen nicht dauerhaft ein X für ein U vormachen. Die von einer ganz großen Koalition, Bei uns wird ein großer Teil der Arbeitskosten für so- von SPD, CDU/CSU und Grünen konstruierten Gesetze ziale Sicherung aufgewendet. zur Gesundheitspolitik Deshalb ist ein Kernpunkt für die Lösung des Problems, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir waschen un- zumindest für einen großen Teilbereich – das ist in erster sere Hände in Unschuld!) Linie das Gesundheitswesen – eine Abkopplung von den Arbeitskosten zu erreichen. Das bedeutet auch – ehrliche sind der Abschied von einer solidarischen Krankenver- Antwort –, dass wir soziale Sicherheit ein Stück weit sorgung. mehr als bisher aus Steuermitteln finanzieren müssen. (Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!) Eine ehrliche Antwort zum Rentensystem ist auch, Ob Sie nun von Kopfpauschale oder Bürgerversiche- dass wir eine offene Flanke des Generationenvertrags rung sprechen – Sie wollen nur eines, nämlich den Aus- von 1957 schließen müssen. Dieser Generationenvertrag stieg aus der paritätischen Finanzierung der Kranken- zur Rente war nur ein Zweigenerationenvertrag. Er hat versicherung. Die ersten Schritte haben Sie mit den die aktive Generation und die Rentnergeneration um- Reformen beim Krankengeld und beim Zahnersatz fasst. Jetzt müssen wir die Aufgabe bewältigen, auch die schon gemacht. Weitere Schritte werden folgen. dritte Generation einzubeziehen und die Beitragsleis- tung, die jemand dadurch erbringt, dass er Kinder er- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die PDS zieht, mit zu honorieren. Dass man dabei nicht über das stimmt im Bundesrat zu!) Ziel hinausschießen darf und dass dabei keine einseitige Die Grünen denken laut über das Einfrieren des Arbeit- Belastung der Kinderlosen infrage kommt, ist richtig. geberanteils nach, die CDU möchte die Arbeitgeber Aber ohne Schließen dieser offenen Flanke der Renten- ganz aus der Verantwortung entlassen. Wir als PDS sind reform von 1957 werden Sie eine tragfähige Sozialre- gegen den CDU-Vorschlag einer Kopfpauschale form nicht schaffen. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die CDU hat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) keine Kopfpauschalen!) (B) Deswegen, meine Damen und Herren, dürfen wir und warnen die SPD und die Grünen vor einem Etiket- (D) keine Zeit mehr verlieren. Wir sind bereit, an einer tenschwindel: Führen Sie nicht über die Bürgerversiche- grundlegenden Erneuerung unserer sozialen Sicherungs- rung eine verkappte Kopfpauschale ein! systeme mitzuwirken. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die tut Not!) Meine Damen und Herren, Sie reden von mehr Eigen- Mit Schlagworten wie Bürgerversicherung oder Er- verantwortung werbstätigenversicherung lösen Sie kein einziges Pro- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie stimmen blem der Rentenversicherung. doch im Bundesrat zu!) (Peter Dreßen [SPD]: Wer spricht denn davon?) – wir stimmen im Bundesrat natürlich nicht zu, mein lie- Aber nach wie vor hängt die Erwerbstätigenversicherung ber Kollege Kampeter –, meinen aber mehr Zuzahlun- als Damoklesschwert über der künftigen Rentenreform. gen, und schröpfen die Bürger, ohne dass sie dafür mehr Das sind Vorzeichen, die nichts Gutes erwarten lassen. Gesundheitsleistungen bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Natürlich ha- ben Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat zugestimmt!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gesine Lötzsch. – Weder Berlin noch Mecklenburg-Vorpommern haben der Gesundheitsreform im Bundesrat zugestimmt. Ihre Behauptung entspricht nicht der Sachlage. Sie können Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): das im Protokoll des Bundesrates nachlesen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge- ehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS. Im nächsten Jahr sollen die Krankenkassen um 10 Milliarden Euro entlastet werden, 8,5 Milliarden sol- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der len die Versicherten selber finanzieren. Durch Eintritts- CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE geld beim Arzt oder Zuzahlungen bei Medikamenten GRÜNEN) werden die Kranken immer mehr zur Kasse gebeten. Alle Abgeordneten haben von der Gesundheitsminis- Meine Damen und Herren, hoch spezialisierte Medi- terin eine dicke Werbemappe bekommen mit der roten zintechnologien und die Neuentwicklung von Medika- Aufschrift: Damit Deutschland gesund bleibt. menten treiben die Gesundheitsausgaben in den Indus- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6939

Dr. Gesine Lötzsch (A) triestaaten in die Höhe. Deutschland gehört seit Jahren ket „Damit Deutschland gesund bleibt“ angesprochen (C) bei den Gesundheitsausgaben zur Spitze, ohne dass Ge- und kritisiert. Viele Kollegen in diesem Haus haben sich sundheitszustand sowie Lebenserwartung ebenso Spitze demgegenüber bedankt, sind. Die Österreicher zum Beispiel haben eine höhere Lebenserwartung als die Deutschen und trotzdem ein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) preiswerteres Gesundheitssystem als wir. Der Beitrags- unter anderem Ihre Kollegin von der PDS: Sie könne satz beträgt dort nur 7,3 Prozent einschließlich Arbeitge- dieses Paket gut auf ihren Veranstaltungen nutzen. beranteil und ist damit nur halb so hoch wie hier. In Ös- terreich zahlen allerdings alle in das Solidarsystem ein, (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto also auch Minister, Beamte und Selbstständige. Dass alle Solms) einzahlen ist des Rätsels Lösung. Der Bundestag und der Bundesrat haben ein Gesetz (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) beschlossen, das viele Veränderungen für die Menschen bringt. Da ist es nur richtig, Material zur Verfügung zu Ich will ein kleines Beispiel dafür nennen, wie Sie mit stellen, damit alle Abgeordneten in ihren Wahlkreisen Ihrer so genannten Gesundheitsreform Arbeitsplätze ver- Auskunft geben können. Weil das Gesetz nämlich fast nichten, ohne letztendlich wirklich Geld einzusparen. Ich 500 Seiten stark ist; ist Öffentlichkeitsarbeit notwendig, denke an die Fahrtkosten für Taxis, die zukünftig bei ambu- Herr Kollege Zöller. lanter Versorgung grundsätzlich nicht mehr erstattet wer- den. Bezahlt werden nur noch Fahrten zur stationären Wir beraten heute über den Haushalt des Bundesmi- Behandlung. Diese Pläne bedrohen besonders die Exis- nisteriums für Gesundheit und Soziale Sicherung, den tenz von Unternehmen im ländlichen Raum. Billiger größten Einzelplan im Bundeshaushalt. Wir könnten wird es aber trotzdem nicht. Die Gesundheitsökonomen heute über viele Einzelheiten reden, etwa darüber, dass müssten hier eigentlich Protest anmelden; denn die Re- wir den Neubau auf dem Gelände in der Rochusstraße gelung führt zu einer Verlagerung von der vergleichs- durchführen, weil sich dort bundeseigene Liegenschaf- weise preiswerten Beförderung mit Taxiunternehmen ten befinden. Es ist allemal wirtschaftlicher, bundesei- hin zu Krankentransporten bzw. der Beförderung durch gene Liegenschaften zu nutzen und die Mitarbeiterinnen Rettungsdienste. Nach dem Wegfall zahlreicher Bus- und Mitarbeiter zusammenzuführen, als weiterhin hohe und Bahnverbindungen, insbesondere in den Flächenlän- Mieten zu zahlen, die im Übrigen von Verträgen herrüh- dern, ist für ältere Menschen das Taxi oftmals die ein- ren, die von der alten Regierung abgeschlossen wurden. zige Möglichkeit, zum Arzt zu kommen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sind eine Hört!) (B) Großstadtpflanze! Sie haben doch überhaupt Ich könnte ferner etwas sagen über den Bericht des (D) keine Ahnung!) Bundesrechnungshofes zum Ausbau der Büros des Prä- Ich könnte Ihnen noch weitere Beispiele dafür nennen, sidenten des Robert-Koch-Institutes. Dann müsste ich dass durch Ihre Gesundheitsreform nicht nur Nachteile allerdings darauf hinweisen, dass die Beschlüsse im für Patienten entstehen, sondern auch Arbeitsplätze ver- Jahre 1997 gefasst wurden. nichtet werden. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr in- An diesen wenigen Beispielen wird deutlich: Ihre Ge- teressant!) sundheitsreform zieht nicht nur den Patientinnen und Pa- Man tut also immer gut daran, sich in Debatten, in de- tienten das Geld aus der Tasche; sie vernichtet auch Ar- nen man glaubt, der Regierung alles vor die Füße werfen beitsplätze und wird das Gesundheitssystem nicht zu können, daran zu erinnern, dass es noch nicht so lange billiger, sondern teurer machen. her ist, dass CDU/CSU und FDP Verantwortung in die- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wofür ist denn sem Lande getragen haben und mit ihrer Mehrheit die die PDS? Dagegen sein reicht nicht!) Beschlüsse gefasst haben. Die schwerwiegendste Folge ist aber: Ihre Reform führt (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es ist nicht mehr nicht zu mehr, sondern zu weniger Gesundheit bei den so lange hin! Das geht schnell!) Menschen. Dazu zählte auch der Beschluss über Baumaßnahmen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. des Robert-Koch-Institutes. Zu Einzelheiten will ich mich jetzt gar nicht weiter äußern. (Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos]) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt die Frau Bundesministerin Ulla Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, aber Sie haben mit Schmidt. Ihren Vorwürfen danebengegriffen. Sprechen wir über den Haushalt. Der größte Teil des Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit und Haushaltes wird für die Sozialversicherung und die Sta- Soziale Sicherung: bilisierung der Rentenversicherung aufgewendet. Eben Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist gesagt worden: Es muss aufhören, dass so viele Steu- Frau Kollegin Lötzsch, Sie haben unser Informationspa- ergelder in die Rentenversicherung fließen. – Dann 6940 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) müssen wir uns entscheiden; wir lassen nämlich keinen Sonst sind das Scheindebatten, die auch nicht dadurch (C) einzigen Steuereuro in die Rentenversicherung fließen, besser werden, dass die Forderung bei jeder Debatte um etwa Beitragsausfälle auszugleichen. über die Sozialpolitik wieder aufgegriffen wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich erwähne das nur, Herr Kollege Kolb, weil es mich erschüttert hat, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, Wir haben in diesem Hause vor vielen Jahren einen der November 2003 ist ein grauer Monat – das kann man Bundeszuschuss für die Rentenversicherung vielmehr ja sehen –, deshalb beschlossen, weil die Rentenversicherung Auf- gaben wahrnehmen muss, die nicht zu ihren originären (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist eine dra- Aufgaben gehören, sondern die die gesamte Gesellschaft matische Bilanz!) betreffen. in dem wir feststellen müssen, dass die sozialen Siche- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rungssysteme in Deutschland nicht mehr tragen. DIE GRÜNEN) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass sie nicht Es kann nicht allein Aufgabe der Beitragszahler und Bei- mehr tragen, genau!) tragszahlerinnen sein, für diese Aufgaben aufzukom- Dazu sage ich Ihnen: Sie irren sehr, men. Stattdessen müssen alle – über die Steuer – an der Finanzierung dieser Leistungen beteiligt werden. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie sind nicht in der Realität!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn Sie sagen, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr tragen. Es ist eine Mär, dass der Bundeszuschuss deshalb ständig steige, etwa weil die Einnahmen in der gesetzli- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn das Geld nicht chen Rentenversicherung zurückgingen; das wird auch mehr reicht, dann tragen sie nicht mehr!) durch noch so vieles Wiederholen – von allen Seiten – Ich leugne nicht, dass wir einen dringenden Reformbe- nicht wahr. Der Bundeszuschuss ist von 1960 bis 1989 darf haben. gesunken, und zwar von 25 auf 20 Prozent. Er wurde an- gehoben, damit die Rentenversicherung gesamtdeutsche (Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Aha!) Aufgaben wahrnehmen konnte: Aber Sie sind im Unrecht, wenn Sie behaupten, die sozia- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ len Sicherungssysteme tragen nicht mehr, weil wir die DIE GRÜNEN) demographischen Probleme nicht lösen können und weil (B) es konjunkturelle Schwierigkeiten gibt. (D) Die Rentenversicherung musste die Zusammenführung zweier Systeme leisten, das der Menschen in Ost- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nicht mehr in deutschland mit ihren berechtigten Rentenansprüchen der umlagefinanzierten Form!) und das der Menschen in Westdeutschland. Die deutsche Rentenversicherung leistet Jahr für Jahr (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das bestreitet mit einem Transfer von 10 Milliarden Euro, die vom doch keiner!) Westen in den Osten fließen, einen Beitrag zur Anglei- chung der Lebensverhältnisse. Als der Zuschuss 1997 angehoben werden musste, ha- ben wir gemeinsam – Bund und Länder – beschlossen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt zu erhöhen, und DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: zwar um Fremdrenten und einigungsbedingte Leistun- Jetzt müssen Sie nur noch dazu sagen: Die gen erbringen zu können sowie der Forderung des Bun- Rente ist sicher!) desverfassungsgerichts nach einer Höherbewertung von Die sozialen Sicherungssysteme haben den gesamten Kindererziehungszeiten nachzukommen. Prozess der deutschen Vereinigung mit getragen. Sie (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nächstes wissen, dass es ein elementarer Fehler Ihrer Regierung Thema!) war, Aufgaben im Zusammenhang mit der deutschen Einheit über die Sozialversicherungssysteme anstatt Wir finanzieren mit Einnahmen aus der Ökosteuer über Steuern zu finanzieren. weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben, weil wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ möchten, dass Kindererziehung berücksichtigt wird und DIE GRÜNEN) nicht derjenige einen Vorteil hat, der in der Lage ist, er- werbstätig zu sein, weil er keine Kinder erzieht, und ein Wenn wir in unseren sozialen Sicherungssystemen diese durchschnittliches Einkommen erzielt. Dahin fließen die Aufgaben nicht mehr wahrnehmen müssten, hätten wir zusätzlichen Einnahmen aus der Ökosteuer. Wer darüber um 4 Prozentpunkte niedrigere allgemeine Beitragssätze redet, dass der Bundeszuschuss zurückgeführt werden und kein Mensch würde in diesem Hause darüber reden, muss, der muss auch sagen, welche Leistungen der Ren- dass diese Systeme vor dem Kollaps stehen oder nicht tenversicherung demnächst gestrichen werden sollen. mehr tragen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann wäre der DIE GRÜNEN) Bundeszuschuss geringer!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6941

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) Herr Kollege Kolb, Sie sagen, diese Systeme tragen (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat (C) nicht mehr, und fordern Privatisierung anstelle der soli- doch gar keiner gesagt!) darischen Umlagefinanzierung. Dem halte ich entgegen: Wo wären wir denn, wenn wir ein rein kapitalgedecktes Das gilt in ähnlicher Weise auch für den Gesundheitsbe- System hätten? Wäre es bei uns dann so wie in den Ver- reich. einigten Staaten? Dort müssen wegen der Börsenverluste (Zurufe von der SPD: Frage! – Wilhelm auch Menschen über 70 wieder arbeiten gehen. Ich Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Präsi- nenne als Beispiel nur General Motors mit 19,3 Milliar- dent!) den Dollar Verlusten in der Pensionskasse. In der Schweiz hat die Regierung 20 Milliarden Euro nach- Ich frage, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen. schießen müssen. Bei den rein kapitalgestützten Pensi- Mich erschreckt, dass Sie die Tragweite der Probleme im onsfonds gab es im Jahr 2002 weltweit insgesamt System der sozialen Sicherung entweder nicht erkannt 1 400 Milliarden Dollar Verluste als Folge der Schwie- haben oder sie verdrängen. Zu diesen Problemen hätte rigkeiten im Börsengeschäft. Da soll jemand sagen, ein ich gerne Ihre Einschätzung gehört. solches System sei besser als die Reform des umlage- (Walter Schöler [SPD]: Jetzt muss er lange ste- finanzierten solidarischen Systems, das wir hier in hen bleiben!) Deutschland haben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit und DIE GRÜNEN) Soziale Sicherung: Herr Kollege Kolb, es ist entscheidend, festzuhalten, und um das uns, Kollege Kolb, die Mehrheit der Men- dass wir eine Diskussion über Reformen innerhalb eines schen auf dieser Welt beneidet! Die hätten gern unser funktionierenden Systems führen, in dem bis heute jeden Sozialsystem, dann würden sie nämlich wesentlich bes- Monat allen Rentnern und Rentnerinnen ihre Rente aus- ser leben. gezahlt wird. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ein Blick nach Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: vorne!) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb? – Bitte schön, Herr Kolb. – Ich schaue nach vorne. Bleiben Sie nur stehen! (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich stehe doch! Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Ich wanke nicht!) (B) Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich sage schon ein- – Sich zwischendurch zu bewegen ist gesund. Wir sitzen (D) mal voraus: Wir werden im nächsten Jahr im November viel zu viel. an dieser Stelle wieder eine Debatte führen und ich werde Ihnen das, was Sie heute hier gesagt haben, vor- Es hat nach der staatlichen Vereinigung, die sehr halten. Das als Vorbemerkung. kompliziert war, keinen einzigen Tag gegeben, an dem auch nur ein Rentner oder eine Rentnerin in den neuen (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ländern seine bzw. ihre Rente nicht erhalten hätte. NEN]: Das kennen wir ja schon!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie gucken in Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich da- den Rückspiegel! So fährt man gegen die von gesprochen habe, dass die Systeme in ihrer bisheri- Wand!) gen umlagefinanzierten Form nicht mehr tragen? Sind – Sie müssen ein bisschen mehr Geduld haben, sonst Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass man das können Sie an dem Punktesammeln im Rahmen der Bo- am Beispiel der Rente sehr gut belegen kann? nusprogramme in der gesetzlichen Krankenversicherung Sie haben mit dem Vorschaltgesetz alle Stellschrau- nicht teilnehmen, Herr Kollege Kolb. ben im System der umlagefinanzierten gesetzlichen Ren- (Heiterkeit bei der SPD – Steffen Kampeter tenversicherung bis zum Anschlag angezogen. [CDU/CSU]: Mit Klamauk kann man die (Erika Lotz [SPD]: Nicht alle! Einige haben Rente nicht reformieren!) wir nicht gedreht!) Sie haben davon gesprochen, dass das System marode Sie setzen mit Ihren wirtschaftlichen Prognosen auf das ist. Ich sage Ihnen, das System ist nicht marode; es trägt. Prinzip Hoffnung. Ich sage Ihnen voraus: Wenn sich ein Es ist unverantwortlich, die Menschen zu verunsichern, Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent im nächsten Jahr indem man behauptet, das System würde nicht mehr tra- nicht einstellen wird und es nur bei 0,8 oder 1,0 Prozent gen. liegt, dann wird das zutreffen, was der Kollege Fricke (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ihnen prophezeit hat, nämlich dass Ihr Ministerium An- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lass für einen Nachtragshaushalt geben wird. Herr Kollege Storm, Sie waren bei meiner Rede wäh- Ich verstehe nicht, wie Sie in dieser Situation so tun rend der ersten Lesung anwesend. Ich werde in Zukunft können, als wenn wir in der umlagefinanzierten gesetzli- berücksichtigen, dass Sie mich bei jeder Debatte reden chen Rentenversicherung keine Probleme hätten. hören wollen, weil es Ihnen anscheinend so viel Spaß 6942 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) macht. Ich habe bei dieser Gelegenheit gesagt, dass wir Ansonsten kann keine Gesellschaft – auch nicht unsere, (C) uns dafür entschieden haben, eine Beitragssatzanhebung die immer noch sehr reich ist – den Schutz gegen be- zu vermeiden. Selbstverständlich setzen wir damit voll stimmte Lebensrisiken für all ihre Bürger organisieren. auf Wachstum. Deshalb werden wir mit diesem System weiterarbeiten. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Apropos Setzen: Ich sage Ihnen eines: Man sollte sich seine Vorschläge Ich setze mich jetzt!) genau überlegen. Wenn ich Ihrem Vorschlag von vorhin – Ich bin noch nicht mit meiner Antwort fertig, Herr folgen würde, der dahin geht, dass man nicht nur nach Kollege Kolb. Bleiben Sie bitte stehen! 45 Beitragsjahren, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer so (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wollen Sie eine unsinnige Frage stellt, der muss auch doch auch!) lange stehen bleiben!) sondern auch mit 45 Entgeltpunkten ohne Abschläge in Wir setzen auf die Karte Wachstum. Es gibt immer Rente gehen kann, dann würde das System schnell ma- mehr belastbare Anzeichen dafür, dass Wachstum ein- rode. Denn diese 45 Entgeltpunkte hat ein Gutverdienen- setzt und der Aufschwung kommt. Dieses Wirtschafts- der schon nach 25 Beitragsjahren erreicht. Dann stimmt wachstum will ich nicht durch eine Beitragssatzerhö- in der Folge das Verhältnis zwischen dem Eingezahlten hung gefährden. und der Anzahl der Jahre, in denen Leistungen bezogen werden, nicht mehr. Keine Sozialversicherung kann die Probleme lösen, die sich ergeben würden, wenn das Wachstum in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Deutschland im vierten Jahr hintereinander bei null lie- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – gen würde. Dann müssten wir ganz andere Maßnahmen Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das haben Sie in diesem Haus diskutieren. Wir setzen auf Wachstum vollkommen falsch dargestellt!) und haben daher diesen Weg gewählt. Ich vertrete in die- sem Zusammenhang auch die Einschnitte bei der älteren Wir haben einen großen Informations- und Diskussions- Generation, die niemand gerne macht, die aber notwen- bedarf. Dem werden wir Rechnung tragen. dig sind. Das, was Kollege Zöller vorgetragen hat, ist eine gute (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn Sie Basis, über die nächsten Schritte zur langfristigen Siche- Einschnitte machen, dann trägt das System rung der gesetzlichen Rentenversicherung zu reden. nicht!) Ich weiß, dass Sie bei den Kurzfristmaßnahmen nicht mitmachen; die beschließen wir allein. Aber wir sollten (B) Sie müssen sein, weil wir sonst die notwendige Finanz- uns überlegen, ob es für das Vertrauen der Menschen in (D) kraft nicht aufbringen können. die gesetzliche Rentenversicherung gut ist, wenn wir uns Ich setzte auf Wachstum, Aufschwung und darauf, wie die Kesselflicker streiten. Ich halte es für besser, dass es mehr Beschäftigung in diesem Land gibt. Eines wenn wir versuchen, unsere gemeinsamen Ziele in eine ist unbestritten: Ohne Beschäftigte, die in die Sozialkas- gemeinsame Politik münden zu lassen. Wir verfolgen, sen einzahlen, ist kein System tragfähig. wenn ich Sie richtig verstanden habe, gemeinsam das Ziel, das System der umlagefinanzierten Rente zu erhal- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ten. Wir wissen, dass die umlagefinanzierte Rente der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) heutigen jungen Generation nicht mehr die Lebensstan- dardsicherung bietet, wie es bei der jetzigen Rentnerge- Unbestritten ist aber auch: Ein kapitalgestütztes System neration der Fall ist. würde noch schneller an seine Grenzen stoßen. Herr Kollege Kolb, Sie müssen unterscheiden, ob ein (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt kritisie- System reformbedürftig oder marode ist. Man muss sich ren Sie das System, das Sie gerade verteidigt gut überlegen, ob man von der Umlagefinanzierung und haben! – Zuruf der Abg. Annette Widmann- der solidarischen Finanzierung weg und hin zu Eigen- Mauz [CDU/CSU]) verantwortung und zu privater Absicherung geht. Das ist Deshalb haben wir den Mut gehabt, Frau Widmann- ja auch das Motto Ihres Vorsitzenden: Wenn jeder an Mauz, neben der umlagefinanzierten Rente eine kapital- sich selber denkt, dann ist an alle gedacht. – Das ist nicht gestützte Säule aufzubauen. unser Weg in der Politik. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie haben (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wirklich den Überblick verloren!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Das ist auch nicht unser!) – Ich habe das System verteidigt. Es wäre mir neu, dass Wir wollen vielmehr Sozialsysteme, in denen der Starke die CDU/CSU ein rein kapitalgestütztes System fordert. für den Schwachen, der Gesunde für den Kranken, Wir haben in der letzten Legislaturperiode festgelegt: Singles für Familien und diejenigen, die mehr Geld ha- Die umlagefinanzierte Rente ist die Hauptsäule. Die ben, für diejenigen, die weniger Geld haben, einstehen. junge Generation braucht aber zusätzlich eine betriebli- che oder eine private Vorsorge. Nur in einer Kombina- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist keine tion zwischen Umlagefinanzierung und zusätzlicher pri- Sozialreform! Das ist Klassenkampf!) vater kapitalgestützter Säule wird die junge Generation Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6943

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) die notwendige Sicherheit erreichen können, in gebe Ihnen aber darin Recht, dass es in einer Zeit, in der (C) 30 Jahren ihren Lebensabend finanzieren zu können. über 55-Jährige kaum eine Chance auf dem Arbeits- markt haben, schwierig ist, den Menschen zu vermitteln, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass im Jahre 2035 eine Anhebung des Renteneintrittsal- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ters notwendig wird. Deshalb gehen wir schrittweise vor. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie geben dem Kollegen Kolb gerade Recht! Sie haben den Lassen Sie uns in diesem Jahrzehnt dafür sorgen, die Überblick verloren!) Beschäftigungschancen der älteren Menschen zu erhö- hen. Denn Sie haben unverzichtbare Fähigkeiten. Es – Nein, die FDP will nur eine private Rente. gibt sehr viele Menschen, die bis zum 60. oder auch bis (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! – Weitere zum 64. Lebensjahr erwerbstätig sein möchten. Sie kön- Zurufe von der CDU/CSU) nen es nicht, weil die Unternehmen ihnen keine Chance geben. Wir haben dafür gesorgt, dass die betriebliche Altersvorsorge eine Renaissance erlebt. Mittlerweile Deshalb teile ich Ihre Auffassung, dass der Deutsche haben 57 Prozent aller Beschäftigten eine betriebliche Bundestag gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien, Altersvorsorge abgeschlossen. Unsere gemeinsame Auf- aber auch mit den Unternehmerinnen und Unternehmern gabe wird es sein, dafür zu werben, dass jeder und jede für Weiterbildungsmaßnahmen und Beschäftigungsför- so etwas macht. In den letzten zwei Jahren hat es hier Er- derung sorgen muss. Wir müssen die Hemmnisse dafür, folge gegeben. Sie stellen uns zwar nicht zufrieden; aber dass ältere Menschen im Erwerbsleben bleiben, beseiti- immerhin ist der Anteil der Frauen, die eine betriebliche gen. Ich sage das so deutlich, weil die Unternehmer- Altersvorsorge abschließen, auf 29 Prozent gestiegen. In schaft immer fordert, das Renteneintrittsalter zu erhö- den neuen Bundesländern gibt es einen Anstieg von hen. Unsere Antwort auf diese Forderung muss sein: Die 19 auf 27 Prozent. Dieser Aufgabe müssen wir uns ge- Arbeitgeber haben dafür zu sorgen, dass die Menschen, meinsam widmen. die bis zum 65. Lebensjahr arbeiten wollen, auch eine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Erst dann macht es Herr Kollege Zöller, ich teile Ihre Auffassung, dass Sinn, über eine Anhebung des Renteneintrittsalters für derjenige, der ein Leben lang gearbeitet und Beiträge ge- heute 30-Jährige zu diskutieren. zahlt hat, und zwar in der Kombination aus umlagefinan- zierter und privater Säule, am Ende eine Rente erhalten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ muss, die höher ist als die Sozialhilfe, die jemand im Al- DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: ter bekommt, weil er – aus welchen Gründen auch im- Aber Sie setzen die Rahmenbedingungen!) mer – keine Beiträge zahlen konnte. (B) Das werden wir alles auf den Weg bringen. (D) Vor diesem Hintergrund müsste man einmal überle- gen, wohin die Begrenzung auf einen Beitragssatz von (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Schauen wir 20 Prozent führt, die ja auch die CSU fordert. Alle mal!) Wege, die wir gehen – sei es die Einführung eines Nach- haltigkeitsfaktors oder auch die verlangsamte Anpas- Zur Schwankungsreserve ist zu sagen: Wir möchten sung der Renten –, führen zu einer langsameren Absen- die Schwankungsreserve als eine Nachhaltigkeitsreserve kung des Niveaus, was bei den Jüngeren durch eine auffüllen. höhere kapitalgestützte Säule ausgeglichen werden soll. (Otto Fricke [FDP]: Auf wie viel? – Jens In der gesetzlichen Rentenversicherung müssen die Spahn [CDU/CSU]: Sie haben sie gerade erst Beiträge gerade für die jüngere Generation bezahlbar gesenkt!) bleiben und muss ein gewisses Rentenniveau gesichert – Ja, natürlich. Wir haben sie gesenkt. Meine Herren, ich werden. Ansonsten funktioniert der Generationenvertrag habe heute schon ein paar Mal erlebt, dass das Gedächt- nicht mehr. Dieser Aufgabe müssen wir uns alle stellen. nis bei Ihnen manchmal nachlässt. Von 1992 bis 1996 ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Schwankungsreserve von 2,6 Monatsraten auf DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Das ist 0,6 Monatsraten gesenkt worden. heute schon der Fall!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wissen Man muss sich die Frage stellen, ob ein Rentenniveau aber auch, warum!) ausreicht, das unter 40 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens liegt, oder ob wir hier gemeinsam zu 1998 haben wir sie wieder etwas aufgefüllt. Wenn aber neuen Lösungen kommen müssen. die Kassen leer sind, kann man nicht aus dem Vollen schöpfen. Wir wollen noch in diesem Jahr unseren Gesetzent- wurf zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungs- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wollen Sie 1,5 grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung in den Monatsraten, 1,2 oder 1,0?) Deutschen Bundestag einbringen. Wir wollen die Ren- Dann muss man die Schwankungsreserve vielleicht auch tenanpassungsformel verändern. Dazu haben Koalition auf 0,2 Monatsraten reduzieren. Ich stehe zu dieser Ent- und Opposition ähnliche Vorstellungen. Wir wollen in scheidung, diesem Jahrzehnt das tatsächliche Renteneintrittsalter an das gesetzliche Renteneintrittsalter anpassen. Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 6944 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) denn vor die Wahl gestellt, die Beitragssätze anzuheben Vielen Dank. (C) oder zusätzliche 4,8 Milliarden Euro bei den Rentnerin- nen und Rentnern einzusparen, entscheide ich mich da- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ für, die Schwankungsreserve zu senken. DIE GRÜNEN) Herr Kollege Storm, selbst wenn es so wäre, dass der Bundesfinanzminister den Bundeszuschuss im kommen- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Jahr einen Monat vorziehen müsste, wäre dies kein Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Problem. Das Gleiche hat 1985 auch Minister Kollegin Petra Pau. Stoltenberg getan. Es war auch damals kein Problem. So viel dazu, wann in dieser Republik welche Entscheidung (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die war doch zum ersten Mal gefällt worden ist. gar nicht da! Über was will sie reden?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Petra Pau (fraktionslos): Wie viel? Wo wollen Sie hin?) Frau Ministerin, Sie haben mir Informationsmaterial zukommen lassen, wofür ich mich bedankt habe. Außer- Damals ist die Rente auch über Steuern finanziert dem habe ich Sie darum gebeten, mir noch weitere Infor- worden. Das tut niemandem weh. Aber weitere mationsmappen zu übersenden. 4,8 Milliarden Euro bei den Rentnerinnen und Rentnern einzusparen hätte wehgetan. Es wäre auch schmerzhaft Das Grundverständnis der PDS im Bundestag ist, dass gewesen, die Beitragssätze zu erhöhen, um die wir als Bundestagsabgeordnete nicht nur die Aufgabe 4,8 Milliarden Euro einzunehmen. Deshalb stehe ich zu haben, Gesetzesvorlagen zuzustimmen oder sie abzuleh- der Entscheidung. nen, sondern dass wir die Menschen im Lande auch über die Risiken und Nebenwirkungen wie auch über die Sobald der Konjunkturmotor anspringt und sich die Auswirkungen unseres Tuns aufklären müssen. So habe Einnahmesitutation bei der Rentenversicherung verbes- ich die erste Informationsmappe meiner Hausärztin ge- sert, werden wir die Schwankungsreserve auf 1,5 Mo- schenkt, die diese in ihrem Wartezimmer ausgelegt hat. natsraten auffüllen – so steht es im Referentenentwurf. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber der soll Sollten Sie mir die gewünschten weiteren Materialien jetzt geändert werden, oder? 1,0 oder 1,3?) übersenden, werde ich eine Informationsmappe in mei- ner Wahlkreissprechstunde für die Information der Bür- Ob diese Entscheidung im Laufe der Beratungen geän- gerinnen und Bürger nutzen. Eine Informationsmappe (B) dert wird, wird man sehen. werde ich immer in der Tasche haben, um den Bürgerin- (D) (Andreas Storm [CDU/CSU]: Gestern lag er nen und Bürgern, die mich danach fragen, was auf sie bei 1,2!) zukommt, zu erklären, dass ab Januar pro Quartal 10 Euro Eintrittsgebühr für die Arztpraxis fällig werden, Wir haben einen Vorschlag gemacht. dass sie ab Januar bei Arznei- und Verbandsmitteln min- destens 5 Euro pro Verordnung zuzahlen müssen, dass Zum Abschluss möchte ich auf die von Ihnen, Herr sie auch bei Heil- und Hilfsmitteln wie zum Beispiel Kollege Storm, verbreitete Mär zu sprechen kommen. Es Rollstühlen zuzahlen müssen – das ist in Ihrem Geset- ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Rent- zespaket vorgesehen –, und um zu erklären, welche Leis- nerinnen und Rentner weniger Geld ausbezahlt bekom- tungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkasse men. Zum 1. Januar 1995 haben Sie die Pflegeversiche- gestrichen werden; meine Kollegin Lötzsch hat das rung eingeführt. Auch die Rentnerinnen und Rentner schon aufgezählt. haben einen Beitrag dazu leisten müssen. (Zuruf von der FDP: Wer hat das denn mitge- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was soll das macht?) denn jetzt?) – Das werfe ich niemandem vor. – Mit Formulierungen Eine Antwort auf die wohl wichtigste Frage findet wie „zum ersten Mal“ sollte man aber vorsichtig sein. sich allerdings weder in Ihrem Werbematerial noch auf den Werbeplakaten zur Agenda 2010, die uns in dieser (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ehrlich Stadt und im Rest der Republik belästigen, nämlich wie bleiben!) wir dem Trend zur Aufsplittung der Sozialkassen in Teil- Wir haben damals die Einführung der Pflegeversiche- kaskoversicherungen endlich entgegentreten und uns auf rung unterstützt. Der Weg war richtig. den Sinn des solidarischen Sicherungssystems zurückbe- sinnen können. Der Gedanke, der dahinter steht, lautet: Wir müssen nun Entscheidungen treffen, um die Bei- Gesunde helfen Kranken, materiell Stärkere helfen mate- tragssätze stabil zu halten. Nur so eröffnen wir den jun- riell Schwächeren. Denn das schafft Zusammenhalt in gen Menschen Perspektiven und schaffen Beschäfti- unserer Gesellschaft. Diese Antwort bleiben Sie uns gung. Auf Dauer sind die Renten nur dann sicher, wenn schuldig. Deswegen werden wir mit Ihnen auch weiter- sie bezahlbar sind. Wir müssen dafür sorgen, dass die hin darüber streiten. Arbeitslosigkeit bekämpft wird und die Menschen Be- schäftigung haben. Dann werden die Rentnerinnen und (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frakti- Rentner auch wieder am Wachstum teilhaben können. onslos]) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6945

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: cherungssysteme zur Ergänzung, zum Aufbau und zur (C) Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle- Gewährleistung der Sicherung des Lebensstandards im gin Annette Widmann-Mauz von der CDU/CSU-Frak- Alter haben. tion. (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – NEN]: Dafür haben wir gesorgt!) Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Denken Sie an Ihre Kinderstube!) Frau Ministerin Schmidt, durch das, was Sie heute hier abgeliefert haben, bestätigen Sie die Bevölkerung Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): unseres Landes, in der eine enorme Verunsicherung herrscht. Die Menschen wissen doch überhaupt nicht Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin Schmidt, ich habe Sie in diesem Hause mehr, woran sie sind. Das Ziel, das mit der Umsetzung schon häufiger reden hören, aber so widersprüchlich wie der Agenda 2010 in Angriff genommen werden soll, ist am heutigen Nachmittag war Ihre Rede selten. draußen überhaupt nicht erkennbar. Das Warum und Wozu der Reformen bleibt unklar. Deutschland steht nun Als wir in den 90er-Jahren die Pflegeversicherung einmal am Scheideweg: Zwingen wir die Menschen wei- eingeführt haben, haben die Rentnerinnen und Rentner ter in Systeme, die nicht länger zukunftsweisend sind, im Juli vor der Einführung und im Juli nach der Einfüh- oder wagen wir Reformen, die von Verantwortung und rung Rentenerhöhungen erhalten; Nachhaltigkeit geprägt sind? (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die ha- (Zuruf von der SPD: Und von Privatisierung!) ben doch damit nicht zusammengehangen! Das ist doch Unsinn!) Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie können das Wort „Nachhaltigkeit“ noch so häufig im das wissen Sie ganz genau. Außerdem stehen hinter den Munde führen: Die Finanz- und Haushaltspolitik dieser Beiträgen für die Pflegeversicherung, die natürlich eine Bundesregierung ist sicher nicht von Nachhaltigkeit ge- Belastung darstellen, auch Leistungen. prägt. Sie schaffen diese Tatsache nicht damit aus der (Beifall bei der CDU/CSU) Welt, dass Sie sie einfach ignorieren. Lieber Kollege Kurth, eine schmerzliche Wahrheit ist manchmal besser Das, was Sie vorhaben, bedeutet Nullrunden mit Mehr- als das Verdrängen. Machen wir uns doch nichts vor: Es belastungen für die Rentnerinnen und Rentner. Es han- gibt eigentlich nur zwei Gründe, warum Hans Eichel am delt sich also um reale Rentenkürzungen. heutigen Tag noch im Amt ist: erstens, weil Sie nieman- (Andreas Storm [CDU/CSU]: So ist es!) den haben, der aus diesem Job etwas machen könnte, (B) (D) Ich war gespannt, ob ich heute von Ihnen etwas zur (Otto Fricke [FDP]: Gabriel! Der kann alles!) Erwerbstätigenversicherung zu hören bekomme, die die SPD auf dem Bundesparteitag beschlossen hat. Dass Sie und zweitens, weil wir von der Union in diesem Sommer nichts dazu gesagt haben, bestärkt mich in meiner Hal- mit dem GMG unseren kleinen Beitrag zu einem Sparpa- tung, dass Sie nichts davon halten und damit der glei- ket geleistet haben. Durch uns hat Hans Eichel zumin- chen Meinung sind wie der Bundeskanzler. dest kurzfristig ein klein wenig Luft bekommen. Sie behaupten hier ständig, dass unsere Systeme in Sie werden sich fragen, warum: Die Defizite und Ordnung seien und alles wunderbar funktioniere. Warum Schulden der Krankenkassen von insgesamt 9 Milliar- aber funktioniert denn scheinbar noch alles? Das ist doch den Euro gehen in die Gesamtverschuldung des Staates nur deshalb der Fall, weil Sie Monat für Monat, Jahr für ein. Sie sind für die Einhaltung der Kriterien von Jahr und in immer stärkerem Maße Zuschüsse aus dem Maastricht also relevant. Darauf haben wir von der Bundeshaushalt in Anspruch nehmen. Deshalb: Für die Union schon in der vergangenen Legislaturperiode im- Zukunft ist noch kein Problem gelöst; im Gegenteil, es mer wieder hingewiesen. Frau Schmidt, Sie wollten da- wird von Jahr zu Jahr schlimmer. von nichts wissen. Ich erinnere mich an spannende Dis- (Erika Lotz [SPD]: Ach was!) kussionen hier im Haus. Sie sagen: Wenn in der Kasse nichts drin ist – Sie haben In diesem Sommer haben wir die Gesundheitsreform das auf die Schwankungsreserve bezogen –, dann kann mit einem Einsparvolumen von 20 Milliarden Euro be- man auch nicht aus dem Vollen schöpfen. Warum schöp- schlossen. Eine so gewaltige Summe wurde in der ge- fen Sie denn dann noch einmal und senken die Schwan- setzlichen Krankenversicherung noch niemals zuvor ein- kungsreserve in diesem Umfang ab, obwohl ohnehin gespart. Die Kraftanstrengung war notwendig, und zwar schon so wenig drin ist? zum einen, um die aufgelaufenen Defizite und Schulden der Kassen abbauen zu können, und zum anderen, um Im Übrigen war ich total darüber verwundert, wie Sie die Beiträge in Richtung von 13 Prozent drücken zu kön- sich – es war im Mittelteil Ihrer Rede – zu kapitalge- nen. Alleine hätten Sie das nicht gepackt; das wissen Sie deckten Systemen geäußert haben. Ich dachte schon, Sie auch. Sie brauchen die Kraft der Union. wollten die Riester-Rente glatt wieder abschaffen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU) Walter Schöler [SPD]: Klatscht doch mal! – Mann konnte fast den Eindruck gewinnen, das Grund- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer war übel sei, dass wir in unserem Land kapitalgedeckte Si- denn jetzt der Beifallbeauftragte?) 6946 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Annette Widmann-Mauz (A) Hohe Sozialversicherungsbeiträge sind Gift für die Die Schwierigkeit Ihrer Politik liegt darin, dass Sie (C) Wirtschaft. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile sogar keine Probleme lösen, sondern im Grunde nur neue in Ihren Reihen zum Allgemeingut entwickelt. Allein schaffen. Sie glauben, alles, was Sie machen, sei ver- seit September dieses Jahres nünftig, weil Sie es mit einem ernsthaften Gesicht tun. Aber eigentlich sind Sie ratlos. Sie wissen nicht mehr (Unruhe bei der SPD) weiter. Die Menschen in unserem Land haben dies längst – Sie müssen aufpassen – sind die Einnahmen in der ge- durchschaut; denn sie haben kein Vertauen mehr in Ihre setzlichen Krankenversicherung um 0,9 Prozent zurück- Politik. Wir haben ein Finanzproblem, ein Effizienzpro- gegangen. Das entspricht 1,2 Milliarden Euro. Verglei- blem und ein Gerechtigkeitsproblem. chen wir einmal die beitragspflichtigen Einnahmen: Im (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und ein Regie- Oktober dieses Jahres liegen sie um 8,2 Milliarden Euro rungsproblem!) unter denen des Vergleichsmonats im Vorjahr. Was wir brauchen, sind keine schönen neuen Begriffe Am 4. Dezember wird der Schätzerkreis wieder ein- wie Bürgerversicherung. mal tagen. Die Tendenz wird lauten: Es wird noch schlechter werden. Frau Schmidt, rechnet man alleine (Erika Lotz [SPD]: Kopfpauschale!) das hoch, was wir in den letzten zwei Monaten erlebt ha- Was wir brauchen, ist ein System, das die Einnahmen ben, dann kann man wahrlich nicht davon sprechen, dass stabilisiert, die Abhängigkeit der Einnahmeentwicklung unsere Systeme funktionieren. Insbesondere für die ge- der gesetzlichen Krankenversicherung von Löhnen und setzliche Krankenversicherung ist die Lage bedrohlich. Gehältern reduziert und für einen zielgenaueren sozialen (Beifall bei der CDU/CSU) Ausgleich zwischen Personen mit einem hohen Einkom- men und Personen mit einem geringeren Einkommen Damit wird einmal mehr deutlich, was der Grund für sorgt. diese Krise in der gesetzlichen Krankenversicherung ist. Der Grund ist die zunehmende Arbeitslosigkeit auf- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grund der strukturellen wirtschaftlichen Schwäche, der NEN]: Wo kommen denn die Steuermittel her? lahmenden Konjunktur und Ihrer falschen Wirtschafts- Steuererhöhungen!) und Sozialpolitik in unserem Land. Die Ausgaben stei- Anders als von den Anhängern der Bürgerversiche- gen und die Einnahmen brechen weg, weil die Beiträge rung – Sie alle schreien wieder laut durcheinander – be- an Löhne und Gehälter gekoppelt sind. Die höheren Bei- hauptet wird, ist der Solidarausgleich in der gesetzlichen träge drücken wieder auf die Arbeitskosten und heizen Krankenversicherung alles andere als gerecht. Ich würde so die Spirale der Arbeitslosigkeit weiter an. mich freuen, wenn Sie darüber einmal Klage führen (B) (D) Aus dieser vertrackten Situation führt eine bloße Er- würden. So zahlt zum Beispiel ein berufstätiges Ehepaar weiterung des Versichertenkreises auch dann nicht in der Summe wesentlich höhere Beiträge als ein Ehe- heraus, wenn sie um eine Verbreiterung der Bemessungs- paar mit nur einem Verdiener und demselben Gesamtein- grundlage ergänzt wird. Dies wird das Finanzierungspro- kommen. Noch besser stellt sich derjenige in der gesetz- blem allenfalls etwas abmildern, aber im Kern auf keinen lichen Krankenversicherung, der ein geringes Gehalt, Fall lösen. Mit Ihren Ankündigungen geben Sie keine aber hohe Kapitaleinkünfte hat. Antwort auf den demographischen Wandel in Verbin- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dung mit dem medizinisch-technischen Fortschritt. Wir NEN]: Bürgerversicherung! – Markus Kurth kommen um wirkliche Reformen nicht herum. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass (Beifall bei der CDU/CSU) Sie das Problem erkannt haben!) Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge- Er zahlt den geringsten Beitrag, weil er nur mit seiner samtwirtschaftlichen Entwicklung teilt unsere Einschät- Rente oder seinem Gehalt veranschlagt wird. Die weite- zung. Er befürchtet, dass bei Einführung einer kollekti- ren Einkünfte bleiben also außen vor. ven Bürgerzwangsversicherung Wachstum und weitere (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 1 Million Arbeitsplätze verloren gehen. Er führt aus: NEN]: Bürgerversicherung! Das sage ich Eine Bürgerversicherung dagegen ist mit einem doch!) deutlichen Beschäftigungsrückgang von bis – Frau Bender, Sie müssen jetzt aufpassen. Hören Sie 3,0 v. H. verbunden. auch bei meinem nächsten Punkt zu. Dann werden Sie (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- merken, dass Sie mit Ihren Vorschlägen völlig falsch lie- NEN]: Unsinn!) gen. Wie erwartet wirkt vor allem die Anhebung der Ein steuerfinanzierter Ausgleich sorgt an dieser Stelle Beitragsbemessungsgrenze und die Einbeziehung für mehr Gerechtigkeit; das wissen Sie doch auch. von Vermögenseinkommen in die Bemessungs- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum grundlage besonders beschäftigungsfeindlich. hört Ihnen nicht einmal Herr Seehofer zu?) Das sollten Sie sich einmal durchlesen. Sie würden wirk- Aufgrund der Steuerprogression findet eine zielgenauere liche Erkenntnisse gewinnen. Umverteilung zwischen Arm und Reich statt. Auch wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den dann die Beamten und Selbstständigen an dem Soli- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6947

Annette Widmann-Mauz (A) darausgleich nach ihrer Leistungsfähigkeit und nicht nur und die Verantwortung für die kleinen Risiken, wenn es (C) bis zur Beitragsbemessungsgrenze beteiligt. vertretbar und zumutbar ist, wieder dem Einzelnen zu überlassen. (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Theoretisch ja!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Deshalb ist ein Prämienmodell einer Bürgerversicherung Das war ein schöner Schlusssatz. eindeutig überlegen. (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Keine Zukunft vermag gutzumachen, was in der Ge- Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): genwart versäumt wird. Die Bundesregierung muss um- Okay. – Ich bedanke mich, Herr Präsident. denken und handeln. Sie muss in zukunftsträchtige Technologien, in Medizin und Gentechnik, in Bildung, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Forschung, Infrastruktur und den Dienstleistungssektor investieren und nicht nur das Marketing einer ohnehin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schon miserablen Politik betreiben. Ich schließe die Aussprache. Es ist schon erstaunlich, wie erfinderisch Sie sein Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- können, wenn es gilt, Ihre Dummheiten vor sich selbst plan 15 Bundesministerium für Gesundheit und Soziale zu rechtfertigen. Sicherung in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Na, na, Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- na! Mäßigen Sie sich!) nen gegen die Stimmen der CDU/CSU, der FDP und der Allein die Vermarktung der Gesundheitsreform lässt sich fraktionslosen Abgeordneten angenommen. die Bundesregierung 3,5 Millionen Euro kosten. Ich rufe die Tagesordnungspunkte III a bis d auf. Es (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Ver- NEN]: Das ist doch auch Ihre Gesundheitsre- fahren ohne Debatte. form!) a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Das festzustellen ist wichtig, wenn den Bürgern sachge- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem rechte Informationen vermittelt werden sollen. Aber Sie Übereinkommen aufgrund von Art. K.3 des haben mit der Vermarktung schon im Juli begonnen – zu Vertrags über die Europäische Union vom (B) einer Zeit, als wir noch nicht einmal den Verhandlungs- 26. Juli 1995 über den Einsatz der Informa- (D) raum verlassen hatten und überhaupt noch nicht die tionstechnologie im Zollbereich Rede von Ergebnissen und konkreter und seriöser Infor- – Drucksache 15/1969 – mation sein konnte. Es ist sehr grotesk, etwas zu verkau- fen, was es noch gar nicht gibt. Eine solche Werbekam- Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) pagne schmeckt nicht jedem. Und: Sie hilft auch nicht. Innenausschuss (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Frau Schmidt, es ist der Öffentlichkeit im Grunde b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- nicht zu vermitteln, dass Sie in Ihrem Haushalt insge- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausfüh- samt für Öffentlichkeitsarbeit so viel Geld ausgeben rung des Übereinkommens aufgrund von Art. K.3 wie für Forschung. Sparen Sie bei der Werbung und in- des Vertrags über die Europäische Union vom vestieren Sie in die Zukunft! Das wäre das Beste für die 26. Juli 1995 über den Einsatz der Informati- zukünftigen Generationen. onstechnologie im Zollbereich, zu dem Protokoll gemäß Art. 34 des Vertrags über die Europäische (Beifall bei der CDU/CSU) Union vom 8. Mai 2003 zur Änderung des Über- einkommens über den Einsatz der Informati- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: onstechnologie im Zollbereich hinsichtlich der Bedenken Sie Ihre Redezeit bitte, Frau Kollegin! Einrichtung eines Aktennachweissystems für Zoll- zwecke sowie zur Verordnung (EG) Nr. 515/97 des Rates vom 13. März 1997 über die gegensei- Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): tige Amtshilfe zwischen Verwaltungsbehörden Ja. – Wir haben die Aufgabe, unser über 100 Jahre al- der Mitgliedstaaten und die Zusammenarbeit die- tes Sozialsystem unter völlig veränderten ökonomischen ser Behörde mit der Kommission im Hinblick auf Verhältnissen neu zu gestalten, und zwar so, dass wir die ordnungsgemäße Anwendung der Zoll- und wettbewerbsfähig bleiben und es auch in den kommen- Agrarregelung (ZIS-Ausführungsgesetz) den Jahren seine wichtigsten Aufgaben erfüllen kann, nämlich die großen Risiken solidarisch abzusichern – Drucksache 15/1970 – Überweisungsvorschlag: (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Finanzausschuss (f) DIE GRÜNEN]: Bei Ihnen ist gar nichts mehr Innenausschuss solidarisch!) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit 6948 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- (C) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- empfehlung auf Drucksache 15/2046, den Gesetzent- setzung des Rahmenbeschlusses über den Euro- wurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte päischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas- zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen sung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegen- Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – stimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf EuHbG) in zweiter Beratung einstimmig angenommen. – Drucksache 15/1718 – Dritte Beratung Überweisungsvorschlag: und Schlussabstimmung: Wer zustimmen will, möge Rechtsausschuss (f) sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Innenausschuss Tagesordnungspunkt IV b: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (19. Ausschuss) gemäß § 56 a der Geschäftsord- zur Änderung des Internationalen Überein- nung kommens von 1974 zum Schutz des menschli- chen Lebens auf See und zum Internationalen Technikfolgenabschätzung Code für die Gefahrenabwehr auf Schiffen hier: Vorstudie „Folgen von Umwelt- und Res- und in Hafenanlagen sourcenschutz für Ausbildung, Qualifikation und Beschäftigung“ – Drucksachen 15/1780, 15/1989 – – Drucksache 14/9459 – (Erste Beratung 69. Sitzung) Überweisungsvorschlag: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für Bildung, Forschung und ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Technikfolgenabschätzung (f) (14. Ausschuss) Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und – Drucksache 15/2081 – Landwirtschaft Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Berichterstattung: (B) Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (D) Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswe- überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der sen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. auf Drucksache 15/2081, den Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Wir kommen nun zu den Beschlussfassungen zu dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- Tagesordnungspunkt IV a: haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Fünfund- Dritte Beratung dreißigsten Strafrechtsänderungsgesetzes zur und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim- Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal- der Europäischen Union vom 28. Mai 2001 zur tungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenom- Bekämpfung von Betrug und Fälschung im men. Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmit- teln (35. StrÄndG) Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 15/2081 empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer – Drucksache 15/1720 – Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- (Erste Beratung 69. Sitzung) lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- schusses (6. Ausschuss) Tagesordnungspunkt IV c: – Drucksache 15/2046 – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Berichterstattung: Neuordnung der Statistiken der Rohstoff- und Pro- Abgeordnete Dirk Manzewski duktionswirtschaft einzelner Wirtschaftszweige Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (Rohstoffstatistikgesetz – RohstoffStatG) Hans-Christian Ströbele Jörg van Essen – Drucksache 15/1849 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6949

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) (Erste Beratung 75. Sitzung) empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die (C) Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- ses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe- titionsausschusses. – Drucksache 15/2080 – Tagesordnungspunkt IV f: Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2080, Sammelübersicht 78 zu Petitionen den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die – Drucksache 15/1997 – zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- ter Beratung einstimmig angenommen. hält sich? – Sammelübersicht 78 ist einstimmig ange- nommen. Dritte Beratung Tagesordnungspunkt IV g: und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim- men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- tungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenom- ausschusses (2. Ausschuss) men. Sammelübersicht 79 zu Petitionen Tagesordnungspunkt IV d: – Drucksache 15/1998 – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- richts des Ausschusses für Kultur und Medien hält sich? – Sammelübersicht 79 ist ebenfalls einstimmig (21. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- angenommen. ten Eckhardt Barthel (Berlin), Ernst Bahr (Neu- Tagesordnungspunkt IV h: ruppin), Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD sowie der Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Abgeordneten Dr. Antje Vollmer, Grietje Bettin, ausschusses (2. Ausschuss) Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Sammelübersicht 80 zu Petitionen (B) NEN – Drucksache 15/1999 – (D) Den Deutschen Musikrat stärken Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- hält sich? – Die Sammelübersicht 80 ist angenommen. – Drucksachen 15/48, 15/266 – Darf ich das Stimmverhalten der CDU/CSU-Fraktion als Berichterstattung: Zustimmung verstehen? Abgeordnete Erika Steinbach (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein! Wir Dr. Antje Vollmer haben das abgelehnt!) Hans-Joachim Otto (Frankfurt) – Das Stimmverhalten war unterschiedlich. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Druck- sache 15/48 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU DU/CSU]: empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- Das kommt manchmal vor! – Heiterkeit) schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- – Die CDU/CSU hat also abgelehnt. fraktionen und der FDP-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Die FDP auch!) Tagesordnungspunkt IV e: – Die FDP auch. – Die Sammelübersicht 80 ist also mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- men der CDU/CSU und FDP angenommen. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesre- Wir setzen die Haushaltsberatungen fort. gierung Ich rufe Einzelplan 12 auf: Sechzigste Verordnung zur Änderung der Au- Einzelplan 12 ßenwirtschaftsverordnung (AWV) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und – Drucksachen 15/1499, 15/1546 Nr. 2.1, 15/2012 – Wohnungswesen Berichterstattung: – Drucksachen 15/1911, 15/1921 – Abgeordneter Werner Schulz (Berlin) Berichterstattung: Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord- Abgeordnete Bartholomäus Kalb nung nicht zu verlangen. Wer stimmt für diese Beschluss- Norbert Barthle 6950 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Gunter Weißgerber im Jahr 2004 und einen sofortigen Vergabestopp für alle (C) Uwe Göllner größeren Unterhaltungsmaßnahmen einschließlich der Franziska Eichstädt-Bohlig Hochwasserschutzmaßnahmen an der Donau. Dr. Günter Rexrodt Bei den Schienenwegen soll eine Kürzung um wei- Es liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten tere 513 Millionen Euro erfolgen. Das bedeutet: kein Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Baubeginn im Jahr 2004. Des Weiteren soll bei den Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Bundesfernstraßen in laufende Maßnahmen eingegrif- die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre fen werden. Bezug nehmend auf die Liste, die angeblich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. nicht existiert, ist eine weitere Kürzung um 685 Millio- nen vorgesehen. Auch dies hätte zur Folge, dass 2004 Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das kein Baubeginn möglich ist. Wort der Kollege Bartholomäus Kalb von der CDU/CSU- Fraktion. Bitte schön, Herr Kalb. Ich fasse zusammen: Vorgesehen sind Kürzungen der Erhaltungsmittel, Eingriffe in laufende Maßnahmen, Stre- (Beifall bei der CDU/CSU) ckenbaustillstände und der Stopp von Projekten, selbst wenn dadurch die „So-da-Brücken“ – dabei handelt es Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): sich um Brücken, die ohne Anbindung dastehen – entste- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- hen. ren! Ich hätte es vorgezogen, nicht zu Beginn dieser De- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Eine Tragödie!) batte zu sprechen, weil ich vor meiner Rede gern gehört hätte, was die Koalitionsabgeordneten zu den neuesten Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit trei- Entwicklungen im Verkehrsetat zu sagen haben. Wenn es ben Sie die deutsche Bauwirtschaft in die größte Exis- eines Beweises bedurft hätte, dass wir Recht damit ha- tenzkrise der Nachkriegszeit. Sie treiben auch die Infra- ben, dass dieser Haushalt nicht seriös ist und nicht or- struktur Deutschlands ins Abseits. Die Qualität unserer dentlich beratungsfähig war, dann zeigen dies die Vor- Verkehrsinfrastruktur ist im Begriff, auf das Niveau ei- gänge um den Verkehrsetat. nes Entwicklungslandes zu sinken, Während wir den Haushalt beraten, laufen Meldungen (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Im Schlecht- über die Medien, dass im Verkehrsetat bei den Investitionen reden waren Sie immer gut!) eine zusätzliche Kürzung in Höhe von 1,35 Milliarden Euro erfolgen soll. obwohl die Verkehrsteilnehmer noch nie zuvor so stark belastet worden sind wie zurzeit. (B) Die „Süddeutsche Zeitung“ titelt in ihrer heutigen (D) Ausgabe: Wir müssen über den Bundesverkehrswegeplan in diesem Hause nicht mehr diskutieren, wenn schon der Neue Kredite für neue Bahnlinien und Straßen – Stolpe Einstieg in die Finanzierung so grundlegend falsch ist, sucht nach Auswegen aus dem Desaster bei der LKW- wie es derzeit der Fall ist. Dies alles ist eine Katastrophe Maut – Beckenbauer warnt vor Folgen für WM 2006 für die Bauwirtschaft und die dort beschäftigten Men- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: schen. Es ist auch eine Katastrophe im Hinblick auf die Das ist wichtig!) Zukunft unseres Landes. Das war auch gestern schon auf der Internetseite der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) „SZ“ zu lesen. Nicht einmal die im Haushaltsentwurf zunächst gege- „Der neue Tag“ hat berichtet, dass Geld für den Bau bene Zusage, wonach die Mehreinnahmen aus der Maut der A 6 bereitsteht. Das war aber schon 2002 und ist auf zusätzlich für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zur Ver- Initiative von Herrn Eichel erfolgt. Heute schreibt „Der fügung gestellt werden, war man bereit einzuhalten. neue Tag“, dass der Bau der A 6 stark gefährdet sei, und Noch im Juli – mit Schreiben vom 31. Juli 2003 – hat die zwar wegen des Desasters bei der LKW-Maut. In dem Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanz- Artikel ist des Weiteren zu lesen, dass Herr Zirpel, der minister, Frau Dr. Barbara Hendricks, bestätigt: Sprecher des Bundesverkehrsministeriums, von „keiner Gemäß § 11 ABMG werden Ausgaben für Betrieb, offiziellen Liste“ und einer „Momentaufnahme auf Ar- Überwachung und Kontrolle des Mautsystems aus beitsebene“ spricht. dem Mautaufkommen geleistet. Das verbleibende Im Grunde bestätigt Herr Zirpel damit, dass entspre- Mautaufkommen wird zusätzlich dem Verkehrshaus- chende Listen existieren und ihre Wirkung entfalten. halt zugeführt und in vollem Umfang zweckgebun- den für die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur, Was sich in diesem Bereich abspielt, ist eine einzige überwiegend für den Bundesfernstraßenbau, verwen- Tragödie. det. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Eduard Nichts davon wurde eingehalten. Selbst wenn die Oswald [CDU/CSU]: Heulen müsst ihr!) Maut eingeführt worden wäre, hätten Sie die Investi- Bei den Bundeswasserstraßen soll eine Kürzung in tionsmittel für die Verkehrsträger um 300 Millionen Höhe von weiteren 150 Millionen Euro erfolgen. Das Euro gekürzt. Wie weit die Kluft jetzt auseinander geht, bedeutet einen sofortigen Baustopp, keinen Baubeginn habe ich bereits dargestellt. Das ist eine Politik gegen Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6951

Bartholomäus Kalb (A) Treu und Glauben und gegen alle sachlichen Notwendig- haushalt ist riesig und für den Ruf deutscher Unterneh- (C) keiten. men und deutscher Technologie nicht ganz gering. (Beifall bei der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein paar Worte zum Transrapid. Er darf nicht den grünen Ideolo- Viele, die der LKW-Maut zugestimmt haben, haben gen zum Opfer fallen. dies getan, weil sie sich darauf verlassen haben, dass da- mit auch mehr Investitionen in die Verkehrswege mög- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich würden. Es ist schlicht und einfach unverantwortlich, mit Steuer- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) mitteln in Milliardenhöhe eine Hochtechnologie zu ent- wickeln, dann aber die nutzbringende Anwendung hier- Jetzt stellt sich die Maut als eine branchenbezogene Son- zulande zu verhindern. Man kann nicht ständig davon dersteuer dar. Ich hoffe nur, dass sie nicht dasselbe reden, wie wichtig Investitionen für Bildung und For- Schicksal wie der Kohlepfennig erleiden wird, sofern je- schung sind, wenn man nicht bereit ist, die Ergebnisse mand auf die Idee kommen sollte, diese Frage vor dem von Forschung und Entwicklung dann auch im Lande Bundesverfassungsgericht klären zu lassen. zur Anwendung und zur Marktreife zu bringen. Das Thema Maut ist mittlerweile ein einziges Trauer- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr wahr!) spiel und gerät zur Blamage für die beteiligten Unterneh- Aber das ist bei den Grünen immer das Gleiche. Einige – wie men, aber auch für ganz Deutschland. Niemand weiß Oswald Metzger, Frau Hermenau oder Frau Scheel – geben zurzeit, wann das System wirklich funktionieren wird. sich hier als die neuen Wirtschaftsliberalen, Es ist keine Frage, dass es sich um eine anspruchsvolle Technologie handelt; ich möchte sie auch nicht schlecht- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nein, libe- reden. Aber sie müsste dann auch zu dem vertraglich ral sind sie nicht!) vereinbarten Termin funktionieren. Wenn Termine nicht die anderen pflegen das grüne Gemüt, am besten durch gehalten werden können, wäre es unter seriösen Ge- Ablehnung von Technologie- und Verkehrsprojekten. schäftspartnern üblich, dass sich der Auftragnehmer mit Sie sind gegen Autobahnbaumaßnahmen, gegen Schie- dem Auftraggeber auseinander setzt und klärt, welche nenneubaustrecken, gegen den Ausbau von Binnenwas- Maßnahmen ergriffen werden können, um Schaden ab- serstraßen und gegen den Transrapid. zuwenden. (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert CSU]) Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) NEN]: Sehr richtig!) Es war die Entscheidung dieser Bundesregierung, die (D) Strecke Hamburg–Berlin aufzugeben, gleichzeitig aber Ich gehe davon aus, dass Toll Collect sehr lange festzulegen, dass die Mittel für die Anwendung der – auch Ihnen, Herr Bundesminister – nicht die volle Transrapidtechnologie erhalten blieben. Die Länder wa- Wahrheit gesagt hat, ren aufgefordert, Alternativstrecken zu entwickeln und (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ vorzuschlagen. Am Ende blieb nur noch das Projekt DIE GRÜNEN]: Bis heute nicht!) München, nämlich die Strecke vom Hauptbahnhof zum Flughafen, übrig. Dies macht auch Sinn, weil so die dort zumindest nach all dem nicht, was öffentlich zu verneh- fehlende Eisenbahnanbindung des Flughafens München men war. Das war nach meiner Überzeugung kein seriö- substituiert werden kann. ses Geschäftsgebaren. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Nach dem Vertrag hätte das System am 21. Mai funk- Zu welchem Preis?) tionsfähig sein müssen; am 16. Juni hätte der Probebe- Alle die, die sich darum bemühen, müssen sich aber da- trieb beginnen sollen. Beide Termine wurden nicht ge- rauf verlassen können, dass ein einmal vereinbarter Weg halten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste jedem gemeinsam zu Ende gegangen wird. Insbesondere die klar gewesen sein, dass die Maut nie und nimmer zum beteiligten Unternehmen und der Freistaat Bayern brau- ursprünglich gesetzten Termin erhoben werden könnte. chen Verlässlichkeit, wenn sie sich weiterhin engagieren Ich will jetzt gar nicht die Frage stellen, was Ihren Amts- sollen. vorgänger Bodewig bewogen hat, wenige Tage vor der Bundestagswahl einen solchen Vertrag zu unterzeichnen. Ich hoffe, dass durch gemeinsame Anstrengungen – ich registriere wohlwollend die sehr enge Abstimmung (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Unterzeichnen zwischen Ihnen, Herr Bundesminister Stolpe, und dem zu lassen!) bayerischen Wirtschaftsminister, Herrn Dr. Otto Jedenfalls wäre es notwendig gewesen, ein strenges Pro- Wiesheu – die Transrapidtechnologie in Deutschland jekt- und Zeitmanagement einzuführen, um den Schaden realisiert werden kann. Deutschland und insbesondere so gering wie möglich zu halten. die deutsche Wirtschaft brauchen den Erfolg dieser Technologie. Jetzt haben wir den Schaden. Ich habe vorhin davon Ich danke Ihnen. gesprochen, wo uns das Geld fehlt. Der entstandene Schaden für die Verkehrsinvestitionen und den Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 6952 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: davon aus, dass die Mauteinnahmen noch in diesem Jahr (C) Das Wort hat jetzt der Kollege Gunter Weißgerber fließen werden. Unser Haushalt ist also solide finanziert. von der SPD-Fraktion. Wir haben bei den Verkehrsprojekten eine Sperre ver- (Beifall bei der SPD) hängt, was nicht bedeutet, dass nicht investiert und ge- baut wird. Über diese Sperre sollte auch die Opposition Gunter Weißgerber (SPD): glücklich sein; denn so haben die Abgeordneten aller Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fraktionen die Hand im Spiel Bartholomäus Kalb, das war starker Tobak. Es gibt na- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ich habe lieber türlich Risiken im Verkehrshaushalt, Stichwort „Maut“. Geld im Spiel!) Darum braucht man erst gar nicht herumzureden. Aber der Weltuntergang – diesen Eindruck hatte ich, als ich und können kontrollieren. Mit dieser Sperre sind wir deine Rede gehört habe – ist das noch nicht. Angesichts also parlamentarisch weiterhin im Spiel. Das ist auch deiner Ausführungen erstaunt es mich schon, dass wir vernünftig. überhaupt in der Lage sind, dem Transrapid in München auf die Beine zu helfen. So schlimm scheint es also nicht Momentan gibt es eine Diskussion über die Wieder- zu sein. einführung der Vignette. Inzwischen müssten auch die Letzten wissen, dass diese neun Monate vor Einführung (Beifall bei der SPD) der Maut gekündigt werden musste. Die Wiedereinfüh- Für den Einzelplan 12 – Verkehr, Bau- und Woh- rung dauert etwa ein Jahr. Wir befinden uns quasi in ei- nungswesen – sind insgesamt 25,6 Milliarden Euro an- ner Falle. Aber angesichts eines Zeitraums von einem gesetzt. Im Vergleich zum Regierungsentwurf ist das Jahr – davon ist definitiv auszugehen – ist es nicht ver- eine leichte Senkung. nünftig, die Wiedereinführung der Vignette zu fordern, es sei denn, dass es möglich ist, die Wiedereinführung zu (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: 900 Millio- beschleunigen. Das halte ich allerdings für ziemlich aus- nen weniger sind keine leichte Senkung!) geschlossen. Die Investitionssumme für den Verkehr beträgt Nun wird behauptet, dass die Olympiaprojekte ge- 20,743 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von fährdet seien. Das halte ich für eine Phantomdiskussion. 176,1 Millionen Euro. Der Investitionsanteil im Ver- Für das IOC ist lediglich wichtig, dass die Bewerbung kehrsetat liegt bei 54,92 Prozent. Damit haben wir trotz bis zum 15. Januar nächsten Jahres erfolgt und dass klar der Senkung des Gesamtetats den Investitionsanteil im wird, wie die Bundesregierung zu den Projekten steht. (B) Bereich des Verkehrs erhöht. Das bitte ich doch wenigs- Wir werden ein entsprechendes Konzept entwickeln, aus (D) tens anzuerkennen. dem deutlich hervorgeht, dass die Bundesregierung die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Projekte unterstützt. Alles andere interessiert das IOC DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] nicht. Bis zur WM wird auch die A 38 fertig gestellt [FDP]: Aber mit Maut, Herr Kollege!) sein. Für viele Projekte sind unter der Regierung Kohl – dafür ist die A 38 ein Beispiel – überhaupt keine Mittel – Auch Sie würden die Mauteinnahmen einrechnen, eingestellt worden. Dafür haben erst wir gesorgt. wenn Sie dafür verantwortlich wären. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie haben sie aber nicht! Das ist eine Luftbuchung!) Es ist nur verkauft worden, finanziert wurde nichts. Wir halten also die Investitionen weiterhin auf hohem (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Niveau. Leichter würde es uns allerdings fallen, wenn Wer hat denn die A 14 gebaut?) die Opposition den Entwurf eines Steuervergünstigungs- abbaugesetzes unterstützt hätte. Auch die Milliarden, die Zur Schiene, ebenfalls ein Schwerpunkt in diesem durch dieses Gesetz hätten erzielt werden sollen, fehlen Haushalt. Wir legen mit dem Gleisanschlussprogramm uns sehr. ein neues Pilotprojekt auf, für das im nächsten Jahr 6 Millionen Euro bereitgestellt werden. Für den kombi- (Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] nierten Verkehr und die Förderung neuer Verkehre stel- [FDP]: Ich breche gleich in Tränen aus!) len wir 5 Millionen Euro zur Verfügung. Das ist reine Wirtschaftsförderung. Die Baukostenzuschüsse für In- Natürlich stellen die eingeplanten Mauteinnahmen in vestitionen in die Schienenwege erhöhen wir um Höhe von 2,8 Milliarden Euro ein Risiko dar. Die Betrei- 22 Millionen Euro. Damit – das ist unerhört wichtig – ber des Mautsystems sind momentan nicht in der Lage, kommen wir über die magische 4-Milliarden-Euro- die Maut einzutreiben. Das ist das Verschulden der Be- Grenze beim Investitionsanteil des Bundes. Allerdings treiber und nicht der Bundesregierung. ist zu bedenken, dass von den Aufwendungen für die (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist nur Schiene inzwischen ungefähr die Hälfte in die Erhaltung die halbe Wahrheit!) des vorhandenen Netzes fließt. Dafür muss also ein enormer Aufwand getätigt werden. Die Betreiber haben ihre Fähigkeiten überschätzt, als sie den Vertrag unterschrieben haben. Wir haben bereits Zum Transrapid. Nach dem Wegfall des Metrorapid Druck auf die Betreiber ausgeübt. Wir gehen jedenfalls in NRW ist das Münchener Projekt das einzige Magnet- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6953

Gunter Weißgerber (A) schwebebahnprojekt in Deutschland. Die Koalition steht tun, dass der pawlowsche Reflex in diesem Land beson- (C) zu diesem Projekt. ders wichtig ist. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die grünen Nicht zu verschweigen ist, dass die CDU/CSU in die Töne lauten aber anders!) Haushaltsberatungen auch Anträge eingebracht hat; al- lerdings waren sie hochgradig unseriös. Deshalb verstehe ich die Beschimpfung der Grünen an dieser Stelle nicht ganz. Ohne die Grünen hätten wir die- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt gehen Sie ses Projekt nicht zustande gebracht, Kollege Kalb. aber zu weit!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Diese Anträge enthielten keine Zahlen, sondern immer DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] wieder das Wort „Erörterungsbedarf“. Mit solchen An- [FDP]: Eine Runde Mitleid für die Grünen!) trägen können wir nichts anfangen; das ist auch nicht konstruktiv. Dem hätte man nicht zustimmen können. Im nächsten Jahr fließen Mittel in Höhe von 40 Millio- nen Euro nach Bayern. Für die VE sind 510 Millionen (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie haben Euro veranschlagt. Insgesamt fließen also 550 Millionen auch mit konkreten Anträgen nichts anderes Euro in dieses Projekt. Diese Zahl hat Otto Wiesheu in gemacht, als sie abzubügeln!) mehreren Gesprächen mit verschiedenen Haushältern im Zum Schluss bedanke ich mich bei den Kollegen, die Mai dieses Jahres genannt. Umso befremdlicher ist es in den Gesprächen sehr engagiert mitgearbeitet haben. für mich, dass er jetzt mehr Geld haben will. Wir haben Dieser Dank richtet sich ebenfalls an die Kollegen von uns genau an das gehalten, was er im Mai dieses Jahres der Union, auch wenn ihre Anträge wirklich nichts wert verlangt hat. waren. Ich danke auch dem Minister und seinen Mitar- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Der Minis- beitern. Die Freunde von der Opposition möchte ich auf- ter hat ihm bei der Einweihung des Flughafens fordern, mitzumachen und nicht zu blockieren. Dem mehr versprochen! Der muss mal seine Zusage Land kann das nur gut tun. einhalten!) Danke. Jetzt sind die Bayern am Zuge; wir werden sehen, was (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dabei herauskommt. Jedenfalls bekommen sie vom DIE GRÜNEN) Bund das Geld, das für das Gelingen dieses Projektes nötig ist. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von (D) der FDP-Fraktion. Das Münchener Projekt allein sichert die Magnet- bahntechnik natürlich nicht; deshalb fördern wir auch (Beifall des Abg. Klaus Minkel [CDU/CSU]) das Programm zur Weiterentwicklung des Transrapid in Kassel und Lathen im Emsland mit 40 Millionen Euro. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Uns ist schließlich klar, dass niemand auf der Welt den Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Transrapid kauft, wenn wir das Werk in Kassel schlie- ren! Herr Kollege Weißgerber, die Koalitionsfraktionen ßen. Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass die machen offensichtlich den Fehler, ihren Wunsch mit der Koalition zu ihren Zusagen steht. Die Grünen sind dabei, Realität gleichzusetzen; das haben die von Ihnen ge- Kollege Kalb. nannten Zahlen deutlich gezeigt. Vor diesem Hinter- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das wollen wir grund überrascht es nicht, dass Sie versuchen, einen schon von denen selber hören!) Haushalt für das Jahr 2004 zu beschließen, der weder dem Kriterium der Klarheit noch dem der Wahrheit ent- An dieser Stelle möchte ich ein paar persönliche An- spricht noch die Kriterien der Verfassungsmäßigkeit an- merkungen zum Transrapid machen. Ich habe ein techni- nähernd erfüllt. Sie legen einen Haushalt vor, der nicht sches Studium absolviert und komme aus dem Osten; ich zustimmungsfähig ist, weil er gegen die elementaren Vo- weiß, welche Technik besonders stinkt, ich weiß, welche raussetzungen der Verfassung verstößt. Das wird nir- Technik besonders viel Krach macht und besonders um- gendwo so deutlich wie beim Verkehrshaushalt. Herr weltschädlich ist. Der Transrapid gehört mit Sicherheit Kollege, ich werde darauf im Einzelnen zu sprechen nicht dazu. kommen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Sie haben die Differenz zum Regierungsentwurf – es CSU und der FDP) handelt sich um 900 Millionen Euro – als eine geringfü- Auch deswegen bin ich froh, dass wir diese Technik för- gige Reduzierung bezeichnet. Wer so spricht, der zeigt dern. eigentlich, dass er entweder nur mit großen Zahlen – ab 1 Milliarde aufwärts – rechnen kann oder nicht weiß, Aus meiner Sicht steht der Transrapid symbolisch für was 900 Millionen Euro bedeuten. Dass Sie im Ver- ein Dilemma unseres Staates: Es muss immer das Ge- kehrshaushalt auch noch 250 Millionen Euro im Zuge genteil von dem behauptet werden, was die Konkurrenz des Rentenkompromisses und im Rahmen der globalen gerade sagt. Das ist ein Stück Impotenz in unserem Sys- Minderausgabe erwirtschaften müssen, haben Sie gar tem. Das bisherige Scheitern des Transrapid hat damit zu nicht mehr angesprochen. 6954 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) Wie groß Ihre Not ist, wenn es darum geht, aus dem die Maut kommt. Am 25. August 2003 gab es die regie- (C) Mautdebakel herauszukommen, zeigt die vom Minister rungsamtliche Antwort: öffentlich verkündete Botschaft, die Verkehrsinfra- strukturfinanzierungsgesellschaft möge Zwischenkre- Die LKW-Maut wird am 31. August 2003 einge- dite aufnehmen. führt. (Renate Blank [CDU/CSU]: Kann sie gar (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE nicht!) GRÜNEN]: Das steht auch im Vertrag!) Wissen Sie eigentlich, Herr Kollege, was in Ihrem Es wird dann eingeschränkt: Entwurf des Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- Aus diesem Grund und zur Sicherstellung eines schaftsgesetzes vom 17. Dezember 2002 steht? – In nutzerfreundlichen Betriebs mit einer erhöhten An- § 2 – Gegenstand der Gesellschaft – heißt es unter ande- zahl an On-Board-Units … hat sich die Bundesre- rem: gierung mit TC darauf verständigt, dass dieser Start Die Gesellschaft ist nicht berechtigt, mit einer zweimonatigen aktiven Einführungsphase verbunden werden soll, in der keine Mautgebühren – ich betone: nicht berechtigt – erhoben werden. Anleihen und Kredite aufzunehmen, Bürgschaften, Ich stelle also fest: Wir sind immer noch in der so ge- Garantien oder ähnliche Haftungen zu übernehmen nannten aktiven Einführungsphase. Allerdings dauert sie oder Kredite zu gewähren. nun schon etwas länger als beabsichtigt. Entweder weiß der Minister nicht, was im Gesetz steht, oder er glaubt, er könne uns davon überzeugen, in- Noch interessanter: Unsere Frage 7 lautet: soweit eine Änderung vorzunehmen. Wie hoch sind die Einnahmeausfälle … und wie be- (Renate Blank [CDU/CSU]: Dann muss er absichtigt die Bundesregierung diese Ausfälle zu eine Änderung vorlegen!) kompensieren? Ich fühle mich bestätigt, weil die Kollegin Eichstädt- Ist geplant, Infrastrukturvorhaben zu verschieben, Bohlig gegenüber Reuters erklärt hat: Das ist mit uns Mittel aus dem Schienenbereich in den Straßenbe- nicht zu machen. – Das hat sie schon mehrfach erklärt; reich umzuschichten oder die Kreditaufnahme zu meist hat sie es dann doch gemacht. erhöhen? (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Antwort – man höre und staune –: (B) DIE GRÜNEN]: Wo, wann, was?) (D) Es ist nicht geplant, Infrastrukturvorhaben zu ver- Das würde uns in diesem Fall nicht stören. schieben, Mittel aus dem Schienenbereich in den Straßenbereich umzuschichten oder die Kreditauf- Das Problem ist ziemlich deutlich. Der Präsident der nahme zu erhöhen. Bauindustrie meint, damit den Königsweg aufgezeigt zu haben. Es wird auch dadurch nicht besser. Sicherlich: (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das haben Die Bauindustrie hat Probleme. Aber wir haben vor Ver- wir nicht gemacht! Das wollen wir auch abschiedung des Gesetzes darauf hingewiesen, dass hier nicht!) ordnungspolitisch nicht sauber gearbeitet wird Wie die Realität aussieht, kann man selber feststellen. (Joachim Günther [Plauen] [FDP]: So ist es!) Nun gibt es ja eine Liste, die es angeblich nicht gibt. und dass Sie diese Gesellschaft ganz bewusst nur zu ei- Aus meinem Bereich kann ich da nur die A6 nennen. nem Zweck gründen: Einsammeln von Geld, Abliefern Der Bundeskanzler war in der Oberpfalz mit Ludwig beim Finanzminister, Warten in devoter Haltung mit Stiegler. Der Minister war am 1. September dieses Jah- Händen an der Hosennaht, bis die Liste aus dem Minis- res dort – ein Schelm, der Böses dabei denkt; es ist ja terium und das Geld vom Finanzminister kommen, kein Wahlkampf gewesen – und hat erklärt: Selbstver- Bauen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger sollte diese ständlich, die A 6 wird im Jahr 2004 begonnen. Gesellschaft machen. Das Gegenteil davon brauchten Sie eigentlich jetzt. Sie haben sich selbst dieser Instru- (Ludwig Stiegler [SPD]: Die A 6 ist im Bau!) mentarien beraubt. Das zeigt, dass Sie gar nicht willens Was lesen wir als erstes in der Liste, die nicht existent sind, ordnungspolitisch über das Thema zu diskutieren. ist? – Der Baubeginn ist gestrichen. Das betrifft genau Deswegen stehen Sie jetzt auch vor dem Problem. die Lücke – Herr Kollege Stiegler, damit nehme ich Ih- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ren Zwischenruf auf – zwischen Amberg-Ost und Pfreimd. Das Stück ist eben noch nicht im Bau. Nun kommen wir zur Maut. Das wird im Endeffekt auch dadurch nicht besser, (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Die unendliche dass sich Herr Staatssekretär Nagel am 16. November Geschichte!) dieses Jahres bei der Jahresversammlung des Deutschen Das ist schon interessant. Die FDP-Fraktion hat im Som- Speditions- und Logistikverbandes auf das Podium stellt mer dieses Jahres – wohlgemerkt: dieses Jahres, nicht und erklärt – wortwörtlich –, trotz Mautdebakel werde des letzten Jahres – die Regierung gefragt, wann denn kein Verkehrsprojekt verschoben. Das steht so nicht nur Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6955

Horst Friedrich (Bayreuth) (A) in der Zeitung; ich kann das bestätigen, weil ich dabei Ich freue mich, wie der Kollege Kalb das vorhin dar- (C) war. Ich habe schon da den Kopf geschüttelt. gestellt hat, und sage es selbst auch noch einmal an die Adresse derjenigen, die meinen, so ein Verhalten mit Noch schlimmer wird es, wenn man sich anschaut, Rücktrittsforderungen an den Minister sanktionieren zu was die Bahn im Endeffekt zu gewärtigen hat. Herr Kol- müssen: Zeigen Sie auf die, die tatsächlich den Fehler lege Weißgerber, die „vier“ bei den Milliarden ist wahr- gemacht haben. Das Toll-Collect-Konsortium hat sich ja scheinlich nicht realistisch. Gehen Sie doch einmal von nun wirklich in einer dramatischen Weise übernommen. ungefähr 3,3 Milliarden aus, die Sie überhaupt noch zur Niemand von uns kann sich darüber freuen. Wir müssen Verfügung haben, und planen Sie das in Ihre Systematik aber ganz klar sagen: Bei ihnen liegt die Verantwortung; ein! sie haben Schuld. Ich hoffe, dass wir das inzwischen Eines wird deutlich: Ohne die Sondereinnahmen aus auch gemeinsam so sehen. der UMTS-Lizenz-Versteigerung wären Sie mit Ihren In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vestitionen sowohl in die Schiene als auch in die Straße und bei der SPD) weit hinter den Ansätzen, die wir zu unserer Regierungs- zeit hatten, zurückgeblieben. Nachdem wir den Vertrag eingesehen haben, wissen wir, dass ab 1. Dezember eine geringe Sanktionszahlung (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ pro Tag zu leisten ist – wir erwarten, dass das Ministe- DIE GRÜNEN]: Dann sagt doch einmal rium diese Tag für Tag einfordert –, der frühestmögliche Danke schön dafür, dass wir das gemacht ha- Kündigungstermin jedoch der 15. Dezember ist. Vor die- ben!) sem Hintergrund erheben wir Grüne zwei konkrete For- Die Folgen davon zeigen sich jetzt: Sie können die An- derungen: Entweder ist Toll Collect bis zum 15. Dezem- sätze nicht mehr halten und stehen jetzt mit leeren Ho- ber in der Lage, ein ganz klares Datum zu nennen, an sentaschen da dem die Einführung dann auch wirklich klappt, oder der Einnahmeausfall, den letztendlich der Steuerzahler zu (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Löcher in den verkraften hat, muss, falls das nicht der Fall sein sollte, Taschen!) mit höheren Entschädigungsleistungen sanktioniert wer- und wissen nicht mehr, wie es weitergehen soll. den. Falls Toll Collect sich darauf nicht einlässt, muss nach unserer Ansicht der Bund diesen Vertrag aufkündi- Vor diesem Hintergrund können wir dem verkehrspo- gen, so hart, wie das dann auch in der Folge ist. Wir hal- litischen Teil dieses Haushaltes sicherlich nicht zustim- ten es für nicht verantwortbar, dass weiterhin wir alle, men. Wir werden ihn ablehnen. Wir sind nach wie vor die Regierung und das Parlament insgesamt, also Koali- der Meinung: Dieser Haushalt war, ist und wird nicht tionsfraktionen und Opposition, von Toll Collect an der (B) (D) verfassungskonform sein. Nase herumgeführt werden. Ich hoffe, dass wir uns hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen können. Statt uns gegenseitig zu beschimpfen sollten wir gemein- sam darauf hinarbeiten, dass endlich auf vernünftige Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Weise Mauteinnahmen realisiert werden. Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch ein Zweites zum Thema Maut. Es ist so, dass Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE wir bei den Ausgaben, die durch Mauteinnahmen ge- GRÜNEN): deckt werden sollten, erst einmal Sperrvermerke anbrin- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gen mussten. Natürlich sind wir in großer Sorge, in wel- will nicht drum herum reden: Es ist tatsächlich so, dass cher Höhe diese Ansätze gehalten werden können. Wir der Verkehrs- und Bauetat einige Risiken enthält, und hoffen sehr, dass es gelingt, jeweils die maximalen An- zwar nicht nur aufgrund der Situation bei der Maut, son- sätze freizugeben; sicher können wir da zu dieser Stunde dern vor allen Dingen auch aufgrund der Vorschläge von natürlich nicht sein. Koch und Steinbrück, die ja im Vermittlungsausschuss verhandelt werden. Auch darüber muss hier gesprochen (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Auf Hoff- werden. nung kann man keinen Haushalt aufbauen!) Trotzdem vorab einige Aussagen zum Thema Maut. – Dazu macht man Sperrvermerke, lieber Kollege. Das Als ich endlich Einblick in das berühmte Last-and-final- ist nun einfach einmal im Haushaltsrecht so. Wenn man Angebot von dem entsprechenden Konsortium hatte, sich in Sachen Ausgaben oder Einnahmen nicht sicher stieß ich als Erstes auf das Anschreiben. Das enthält den ist, dann muss da auf diese Weise nachgeholfen werden. Satz: „möchten wir ankündigen, dass wir zu einem frü- Als Nächstes möchte ich zu Investitionen in Schiene, heren Systemstart durchaus in der Lage sind“. Unter- Straße und Wasserstraße sprechen. Wir haben die An- schrieben war es von sehr namhaften Firmenbossen. sätze tatsächlich auf einem hohen Stand gehalten, wie es Kollege Weißgerber eben schon dargestellt hat. Das (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ halte ich für richtig. Allerdings gibt es eine globale Min- DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Alles Lügner!) derausgabe von 293 Millionen Euro, teilweise im Ein- Heute warten wir immer noch auf einen verbindlichen zelplan 60, teilweise im Einzelplan 12. Ich habe die drin- Einstiegstermin. gende Bitte an das Ministerium, dass zur Deckung dieser 6956 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) globalen Minderausgabe wirklich ein Maximum im kon- lisierungsgesetz soll um 1,625 Milliarden Euro gekürzt (C) sumtiven Bereich geholt wird und die Zuwendungen und werden, bei den Bahninvestitionen um 640 Millionen die Zuschüsse im nicht investiven Bereich noch einmal Euro und beim Bundeseisenbahnvermögen um 1,378 Mil- geprüft werden. Ich bin der Meinung, dass hier ein klei- liarden Euro. Wir haben glücklicherweise einen Sperr- ner bescheidener Rasenmäher von 2 Prozent bei den vermerk zwischen Bundeseisenbahnvermögen und den Sachmitteln und 2 Prozent bei den nicht investiven Zu- Investivmaßnahmen erreicht. Trotzdem wissen wir schüssen und Zuwendungen sehr wohl reicht, denn das nicht, wie das alles geleistet werden soll. bringt über 200 Millionen. Man braucht also nicht auf Von daher noch einmal dringend die Bitte: Werben die von Koch und Steinbrück vorgeschlagene Rasenmä- Sie auch in Ihren Parteien, in den von Ihnen geführten hermethode zurückzugreifen. Auf diese Weise könnte Ländern und bei all denen, die im Vermittlungsausschuss der Investivbereich deutlich geschont werden. Ich werbe aktiv zu tun haben, dafür, dass Kürzungen nicht in einer sehr dafür, sich die Etatansätze sehr genau anzuschauen. solchen Schieflage vorgenommen werden, sondern dass Kollegen von Ihnen aus dem Haushaltsausschuss haben Kürzungen vorgenommen werden, die sinnvoll und nö- Anträge gestellt, die zwar nicht dem Rasenmäherprinzip tig sind. Aus unserer Sicht ist da die Entfernungspau- entsprechen, sondern mehr oder weniger willkürlich schale, eine konsumtive Ausgabe, wirklich besser geeig- sind, aber sie sind schon ein Stück weit der Versuch, et- net. Es bringt auch sehr viel mehr Geld, wenn sie so was einzusparen. gekürzt wird, wie wir es vorschlagen. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Welche denn? Aus dem Verkehrshaushalt gab es nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sinnvolle Vorschläge, und zwar von mir!) Ein paar Sätze zum baupolitischen Bereich. Ich fange Als Zweites sagen wir ganz deutlich: Wenn bei Inves- auch hier mit Koch/Steinbrück an. In diesem Bereich ist titionen schon gekürzt werden muss, dann dürfen keine eine weitere Schieflage zu beobachten: Während an die einseitigen Kürzungen zulasten der Schiene gemacht Eigenheimzulage so sanft – mit den dreimal 4 Prozent- werden, dann müssen Straße, Schiene und Wasserstraße punkten – herangegangen wird, soll auch das Wohngeld anteilig belastet werden; anders ist das nicht zu machen. dreimal um jeweils 4 Prozentpunkte gekürzt werden. Gerade in einer Zeit, in der wir gemäß Hartz IV Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN losen- und Sozialhilfe zusammenlegen und damit einer und bei der SPD) großen Bevölkerungsgruppe soziale Zumutungen in Als Nächstes möchte ich auf den sehr schwierigen neuer Form aufbürden, ist es nicht verantwortbar, zu- Bereich „Koch/Steinbrück-Rasenmäher“ eingehen. Er sätzlich an das Wohngeld zu gehen. Ich sage das hier birgt nämlich eine Reihe von Risiken für genau unseren ganz deutlich, obwohl ich an anderen Stellen sehr wohl (B) Etat. Wir haben in den Bereichen, die den Einzelplan 12 für die Anwendung von Koch/Steinbrück’schen Maß- (D) betreffen, zwei sehr wichtige Kürzungen vorgeschlagen: nahmen bin. Das eine ist die Entfernungspauschale, und zwar die Auch hier sage ich wieder: Lasst uns an die Eigen- Absenkung der Pendlerpauschale auf einheitliche heimzulage gehen. Wir befinden uns zurzeit in einer 15 Cent pro Kilometer. Wir werben nachdrücklich dafür. Lage, in der wir so viele Schulden haben, dass wir für Natürlich wissen wir, dass das für die Pendler hart ist. die Vermögensbildung privater Haushalte keine Verant- Dennoch ist es gerecht; außerdem erfolgen die Einspa- wortung übernehmen können, erst recht nicht, wenn über rungen im konsumtiven Bereich. den Vermittlungsausschuss droht, dass das Wohngeld für Der zweite Punkt betrifft die Eigenheimzulage. Die wirklich bedürftige Gruppen gekürzt wird. Kürzung der Mittel bringt Bund, Ländern und Kommu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen à la longue 8,5 Milliarden Euro. Jeder Jahrgang, in sowie bei Abgeordneten der SPD) dem die Eigenheimzulage gewährt wird, bindet für acht Jahre Mittel in diesem Volumen. Das ist Geld, das wir Doch noch ein paar Ausführungen zur Eigenheimzu- dringend brauchen könnten, gerade dort, wo uns Investi- lage, weil ich schon wieder dieses genüssliche Nicken tionsmittel fehlen. sehe. Da Sie uns ideologische Politik unterstellen, kann ich an dieser Stelle nur immer wieder sagen: Wenn Sie Ich spreche diesen Punkt deswegen an, weil nach dem trotz aller öffentlicher Verschuldung und trotz der großen Koch/Steinbrück-Modell nicht Straße, nicht Luftverkehr, Maastricht-Inszenierung, die der Kollege Merz Anfang nicht Binnenschifffahrt, aber Schiene und gemeindlicher der Woche gemacht hat, Ihre Forderung für den Erhalt und regionaler ÖPNV drastisch gekürzt werden sollen: der Eigenheimzulage jeden Tag wie eine Monstranz wei- 27 Prozent des gesamten Einsparvolumens des Koch- ter vor sich hertragen, dann ist das wirklich unverant- Steinbrück-Modells sollen aus diesem Bereich geholt wortlich. Es ist sozial ungerecht gegenüber jedem Ar- werden. Ich sage ganz deutlich: Ich bin sehr dafür, dass beitslosen in unserem Land. Es ist sozial ungerecht wir überall da kürzen, wo Sparmaßnahmen sinnvoll und gegenüber all denen, die Steuern zahlen, damit irgend- vertretbar sind. Wir brauchen aber dringend eine öffent- welche Zahnärzte und andere ihr Häusle gefördert be- liche Infrastruktur, die in der Lage ist, das Verkehrsvolu- kommen. Das ist ungerecht in Zeiten, in denen wir das men aufzunehmen und gerecht zwischen Straße und aus Schulden bezahlen und die Finanzierung der nachfol- Schiene zu verteilen. Bei den Leistungen nach dem genden Generation auflasten. Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz soll nach Koch/ Steinbrück um 120 Millionen Euro in drei Schritten um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jeweils 4 Prozentpunkte gekürzt werden. Beim Regiona- und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6957

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) Obendrein ist das Ganze städtebaulich absurd, denn Die Einnahmen aus der LKW-Maut kommen zu- (C) die Kommunen ertrinken schon heute in den Lasten und sätzlich zu den Verkehrsinvestitionen. Damit errei- Kosten der Infrastruktur. Mit jeder neuen Siedlung wer- chen wir eine langfristige Verstetigung des hohen den den Kommunen trotz einer zukünftig rückläufigen Investitionsniveaus und sichern die Finanzierung Bevölkerung praktisch mehr Infrastrukturkosten aufge- des Bundesverkehrswegeplans bis 2015. bürdet, die in zehn, 20, 30 oder 40 Jahren niemand mehr (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Genau! Ja, bezahlen kann. Von daher ist es auch eine Sache der öko- das klingt gut!) nomischen volkswirtschaftlichen Vernunft, dass wir un- sere Siedlungsräume nicht ständig erweitern, sondern So Minister Stolpe am 11. September 2003 in der ersten lieber den vorhandenen Städtebau und Siedlungsbereich Lesung des Bundeshaushalts 2004. Dieses, so darf man stärken. wohl feststellen, war eine grobe Falschdarstellung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Georg sowie bei Abgeordneten der SPD) Brunnhuber [CDU/CSU]: „Irrtum“!) Von daher möchte ich noch einmal eindeutig für das Die Bundesregierung und Herr Verkehrsminister Konzept der Bundesregierung werben. Stolpe haben im Vermittlungsverfahren zwar die Ver- wendung der Mauteinnahmen gemäß § 11 Mautgesetz Jetzt sage ich es noch einmal in Bezug auf unseren zusätzlich zu den bestehenden Haushaltsansätzen für In- Haushalt – das möchte ich retten und ich werbe dafür –: vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur zugesagt, davon 25 Prozent des Einsparvolumens bei der Eigenheimzu- überwiegend in den Straßenbau, aber bei der ersten An- lage gehen in die Stärkung der Städte, in den Stadtumbau wendung des gerade von Bundestag und Bundesrat be- Ost, in die Städtebauförderung vor allem in West- schlossenen Gesetzes haben sie dieses neue Recht ver- deutschland, in die Stärkung von Eigentumsbildung in letzt. den Städten und – auch das haben wir im Haushaltsver- fahren erreicht – in Zukunft mit 315 Millionen auch in (Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Pfui!) die Altschuldenentlastung der Wohnungswirtschaft im Sie haben das Gesetz gebrochen. Mit diesen Äußerungen Osten, die enorm unter dem Leerstand und den Schul- haben Sie, Herr Minister Stolpe, doch versucht, Rechts- den, die auf dem Leerstand lasten, leidet. Dafür werbe verletzung und Wortbruch zu kaschieren, denn von An- ich. fang an waren im Entwurf für 2004 mit vollständig ein- geplanten Mauteinnahmen über das ganze Jahr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 111 Millionen Euro weniger für Verkehrsinfrastruktur Frau Kollegin – – eingeplant als 2003 weitgehend ohne Mauteinnahmen. (B) (D) Dieser Umgang der Bundesregierung mit dem, was Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE der Gesetzgeber entschieden hat, erfordert nach meiner GRÜNEN): Meinung allerhöchste Verurteilung. So kann es nicht ge- Ich komme zum Schluss. – Ich bitte Sie – – hen, dass wir hier Gesetze machen und dort die Regie- rung sitzt und sagt: Was juckt uns, was der Gesetzgeber Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: entscheidet? Das ist für uns nicht maßgebend; wir ma- Nein, Sie kommen bitte gleich zum Schluss, weil Sie chen andere Entwürfe. Ihre Redezeit schon weit überzogen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Nur Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE kannst du per Gesetz keine Mauteinnahmen GRÜNEN): beschließen!) Ich komme zum Schluss. – Ich bitte Sie, das mit zu unterstützen, statt immer wieder andersherum zu sagen, – Herr Kollege Weis, es würde Sie ehren, wenn Sie die es müsse alles aufrechterhalten werden, was bisher ge- Bedeutung des Parlaments auch gegenüber einer Regie- golten hat. Das ist Vergangenheit, aber nicht Zukunft. rung verteidigen würden, die mit Ihnen ja auch so um- geht, als hätten Sie hier nichts zu sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Quatsch!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Auch Sie sollten einfordern, dass die Regierung die Ge- Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Fischer von der setze, die wir verabschieden, zu respektieren und danach CDU/CSU-Fraktion. zu verfahren hat. (Beifall bei der CDU/CSU – Reinhard Weis (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [Stendal] [SPD]: Wissen die schon, was du sa- neten der FDP – Walter Schöler [SPD]: Wel- gen willst, oder warum klatschen die?) che Anträge haben Sie gestellt?) Ungeachtet dessen ist heute, elf Wochen später, das Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Mautdesaster größer und der Kahlschlag bei den Infra- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! strukturinvestitionen sehr viel weitreichender als jemals Ein Zitat: zuvor angenommen. Die Folge der Mautkatastrophe ist: 6958 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dirk Fischer (Hamburg) (A) eine Haushaltssperre für Verkehrsinvestitionen in Höhe An dieser Stelle, Herr Minister Dr. Stolpe, fordere ich (C) von über 1 Milliarde Euro plus nicht aufgefangene Ein- Sie auf: Hören Sie endlich auf, das wahre Ausmaß der nahmeausfälle aus 2003 und die globale Minderausgabe Probleme gegenüber Parlament und Öffentlichkeit zu aufgrund der Einsparungen für die Rente in Höhe von verschleiern und kleinzureden! fast 300 Millionen Euro, die noch zusätzlich von Ihrem Haus aufgebracht werden müssen. Ein derartiges Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) haltschaos hatten wir noch nie. Ich will ein paar Beispiele nennen. Gemäß dem Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) trag – wir konnten ihn später einsehen – hätte am 21. Mai 2003 – zu dieser Zeit saßen wir gemeinsam im Alle Zahlen, über die wir bisher diskutiert haben und Vermittlungsverfahren zu den Mautverordnungen – das die der Haushaltsausschuss bei dem Erlass der Haus- Mautsystem betriebsbereit sein müssen. Das war aber haltssperre zugrunde gelegt hat, basieren darauf, dass nicht der Fall. Warum haben Sie uns damals verschwie- das System am 1. Juli 2004 betriebsbereit ist und Maut- gen, dass Sie deshalb, wie Sie uns hinterher erklärt ha- einnahmen fließen werden. Das ist aber heute unter den ben, „vom Hocker gefallen“ sind? Sie haben während Experten eine ausgesprochen optimistische Annahme. des Vermittlungsverfahrens kein Wort darüber gesagt. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Eine Lach- Sie haben den Ausschuss und die Öffentlichkeit nicht in- nummer!) formiert. Sie haben es uns verschwiegen. Wenn dieser Termin nicht eingehalten werden kann, (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Der Vermitt- wird sich das Problem immer weiter zuspitzen. lungsgegenstand war etwas anderes! Vergiss das nicht!) Aber Minister Dr. Stolpe fühlt sich offenbar nicht zu- ständig. Er sagt, der Starttermin sei Sache des Industrie- Man kann die Öffentlichkeit auch täuschen, indem man konsortiums, das Controlling sei Sache des BAG, über die wesentlichen Tatsachen verschweigt. Das ist hier ge- Harmonisierungsfragen werde in Brüssel entschieden schehen; das kritisiere ich. – auch heute kam er nicht mit einem Ergebnis nach Hause – und zusätzliches Geld für die Infrastruktur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) müsse schließlich Hans Eichel besorgen. Stolpe spielt Am 29. Juli 2003 haben Sie Ihren Pressesprecher er- offenbar die Rolle des Hohepriesters nach dem Motto: klären lassen, dass die Maut, wie geplant, zum Seid friedlich und mehret euch! 31. August 2003 starten würde. Auf Rückfrage von Jour- (Lachen des Abg. Albrecht Feibel [CDU/ nalisten, ob es Überlegungen gebe, die Einführung zu CSU]) verschieben, haben Sie gesagt: Nein, im Ministerium (B) gibt es solche Überlegungen nicht. Einen Tag später ha- (D) So kann es nach meiner Überzeugung nicht weitergehen. ben Sie das Eckpunktepapier unterschrieben und den Die Schadensbilanz ist erschreckend. 2003 betrug Start auf den 2. November 2003 verschoben. der Schaden 718 Millionen Euro. Die monatlichen Ein- Von Toll Collect erfuhren wir später, dass man bereits nahmeausfälle von Januar bis März 2004 werden jeweils am 20. Juli 2003 mit Ihnen im Ministerium zusammen- bei 175,5 Millionen Euro und die monatlichen Einnah- gesessen hat, um über eine Verschiebung zu beraten. meausfälle ab April 2004 werden jeweils bei 168 Millio- Hier ist also die Öffentlichkeit wiederum falsch infor- nen Euro liegen. Wenn das System tatsächlich am 1. Juli miert worden. Diesen Täuschungsakt kritisiere ich. Ich 2004 in Betrieb ist und die Mauteinnahmen fließen, dann glaube, dieses unwürdige Verwirrspiel, das inszeniert beträgt der Gesamtschaden 1,8 Milliarden Euro. Sollte worden ist, fällt auf Sie zurück. die Mauterhebung 2004 überhaupt nicht gelingen, Sie haben Ihre Grundsatzabteilung wegen des Haus- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das ist haltsdesasters um eine Streichliste für Infrastrukturpro- wahrscheinlich!) jekte gebeten. Das ist im Anschreiben, wie Sie wissen, wäre der Gesamtschaden sogar über 2,8 Milliarden Euro. ausdrücklich enthalten. Als wir diese bei der „Süddeut- schen Zeitung“ nachlesen konnten, ließen Sie Ihr Haus (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Davon erklären, es handele sich nur um eine Momentaufnahme sollten wir ausgehen!) und nicht um eine Streichliste. Warum erneut diese Irre- Nicht unberücksichtigt bleiben darf die Tatsache, dass führung, wenn es denn in diesem Papier unter anderem eine Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft sinnloser- ausdrücklich heißt: „Keine Baubeginne in 2004!“? weise etabliert wurde, die über viele Monate überhaupt keine Einnahmen haben wird, aber Kosten verursacht, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Richtig!) Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Stroth- mann? und dass sich beim BAG in Köln 1 000 zusätzliche Mit- arbeiter, die für die Kontrollen zuständig sind, immer (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Gefäl- mehr im Däumchen drehen und Skat spielen werden ligkeitsfrage!) üben müssen. So sind locker Ausgaben von 50 Millionen Euro für die Katz. Das ist die Realität. Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ja, gerne. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6959

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Hier sind das Anti-Stau-Programm und Projekte im (C) Bitte schön. Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006 zu nennen. Man kann gar nicht alle Projekte aufzählen; nur einige (Gunter Weißgerber [SPD]: Die ist doch be- Beispiele in diesem Zusammenhang: A 1 bei Osnabrück, stellt!) A 7 bei Göttingen und Hannover, A 10 westlicher Berli- ner Ring, Ausbau des Eisenbahnknotens Berlin, die Lena Strothmann (CDU/CSU): Eisenbahnverbindung Berlin–Rostock, VDE 8.1: Ebens- feld–Erfurt sowie VDE 9: Eisenbahnverbindung von Herr Kollege Fischer, können Sie mir die Frage be- Leipzig nach Dresden. Dies hat auch Auswirkungen auf antworten, warum mir die Bundesregierung meine An- die Bundeswasserstraßen. frage, ob es bei der Planung von Bauprojekten in NRW Streichungen, Verlegungen oder Veränderungen gibt, am Es erfolgt ein sofortiger Vergabestopp für alle Aus- 3. November dieses Jahres mit einem klaren Nein beant- bau- und Ersatzinvestitionen sowie für alle größeren Un- wortet hat? terhaltungsmaßnahmen. Betroffen sind dabei die Pro- jekte VDE 17: Magdeburg–Berlin, das westdeutsche Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Kanalnetz, also der Mittellandkanal, der Elbe-Seitenka- nal und der -Ems-Kanal, Das überrascht mich. In dem Papier an den Minister heißt es unter anderem ausdrücklich zu Nordrhein-West- (Gunter Weißgerber [SPD]: Wollen wir das falen: Streichung folgender Maßnahmen: A 1 Einhau- Telefonbuch vorlesen?) sung bei Lövenich für die WM 2006, A 1 Landesgrenze Niedersachsen/Nordrhein-Westfalen, Kreuz Lotte. Baggerungen zur Erhaltung der erforderlichen Fahrwas- sertiefen in den seewärtigen Zufahrten zu den deutschen (Lachen bei der SPD – Gunter Weißgerber Seehäfen sowie Aufwendungen für die maritime Notfall- [SPD]: Schmierentheater! – Wilhelm Schmidt versorgung. – Das alles sind nur einzelne Beispiele. [Salzgitter] [SPD]: Ganz überraschende Frage! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Tolle (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Du verschwen- Choreographie! – Wilhelm Schmidt [Salzgit- dest deine Zeit für eine Zeitungsente!) ter] [SPD]: Das ist wie im Schmierentheater!) Dabei sagten Sie, Herr Dr. Stolpe, noch am 8. September 2003 vor dem Verkehrsausschuss, dass die Die Kollegin Strothmann ist also eindeutig in einer abso- Mittel für das Anti-Stau-Programm in diesem Jahr nicht lut unzutreffenden Weise informiert worden. Ich kann gekürzt werden sollen und dass der Bundesfinanzminis- dazu nur sagen: Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass ter einem finanziellen Ausgleich bis 2006 zugestimmt (B) Parlament und Öffentlichkeit brutal belogen worden (D) habe. sind, was wir nicht weiter hinnehmen dürfen. (Gunter Weißgerber [SPD]: Das Hamburger (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Telefonbuch ist recht interessant!) Kollege Horst Friedrich hat schon darauf verwiesen, Ich kann dazu nur sagen: Viele Tiefbaufirmen mit Zehn- dass der Verkehrshaushalt allen Haushaltsgrundsätzen tausenden von Arbeitsplätzen sind in Gefahr, wenn ein widerspricht. Er ist nicht zustimmungsfähig. Er ist der derart hohes Auftragsvolumen ausfällt. Sie werden das große Steinbruch schröderscher und eichelscher Haus- nicht überstehen. haltspolitik. Man fragt sich: Wann endlich will Minister Stolpe Gegenwehr leisten? Denn es gibt massive Ein- Herr Dr. Stolpe, ich kann nur feststellen: Sie haben schnitte in die Verkehrsinfrastruktur bzw. eine gewaltige Bundeskanzler Schröder einmal als einen Helden der Po- Streichliste. Auf Deutsch gesagt, Herr Minister Stolpe: litik bezeichnet. Sie sind heute für mich ein ganz beson- Jetzt ist die Katze aus dem Sack gelassen worden; jetzt derer, quasi unüberbietbarer Held der Maut. Am Ende wissen wir, was kommt. frage ich mich wirklich: Wo bleiben Ihre Erfolge? Es gibt sie nicht bei der Maut, nicht bei der Bahn, nicht im Sie müssen rund 1,4 Milliarden Euro streichen: bei Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung oder dem der Straße 685 Millionen Euro, bei der Schiene Flughafen Schönefeld. Ein bundesweites Luftverkehrs- 513 Millionen Euro und bei den Wasserstraßen 155 Mil- konzept lässt auf sich warten. Sie haben ein regelrechtes lionen Euro – und dies immer unter der sehr optimisti- Infrastrukturdesaster zu verantworten. Wo ist die ange- schen Annahme, dass ab 1. Juli Geld fließt. Es soll im kündigte Fluglärmschutznovelle? Man könnte diese Jahr 2004 bei Straße, Schiene und Bundeswasserstraße Liste endlos verlängern. keinerlei Baubeginne geben. Es kommt zu massiven Eingriffen in laufende Bauvorhaben bei Straße und Wir sind gespannt, ob Sie bis 2006 überhaupt noch ei- Schiene. Verkehrsfreigaben verzögern sich. Projekte sol- nen Erfolg zu vermelden haben. Bisher hat immer nur len stillgelegt, andere ganz gestoppt werden. Im Straßen- gegolten: Viel versprochen und alles gebrochen! bau ist eine Kürzung der Erhaltungsmittel um rund ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittel vorgesehen. Die Folge ist: noch schlechtere Stra- ßen und damit verbunden dramatisch zunehmende Ver- kehrsbeeinträchtigungen. Betroffen sind insbesondere Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Projekte von volkswirtschaftlicher und standortpoliti- Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Göllner von der scher Bedeutung. SPD. 6960 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Uwe Göllner (SPD): Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich (C) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! schließe mich ausdrücklich dem Dank an das Haus an, Der Umgang der Regierung mit dem Parlament, den den vorhin der Kollege Weißgerber hier abgestattet hat; Herr Kollege Fischer gerade festgestellt hat, muss ein denn die Zusammenarbeit war gut. Ich will in diesen sehr subjektiver sein; Dank die Mitberichterstatter der anderen Parteien ein- schließen; denn im Gegensatz zu dem Klima, Herr Kol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lege Kalb, das während der heutigen Debatte herüber- denn die Regierungsmitglieder haben durch die Bank im kam, ist die Zusammenarbeit meist friedlich und Haushaltsausschuss einen sehr fairen Umgang mit dem ausgesprochen angenehm. Parlament attestiert bekommen. Das ist doch auch die Trotz der Haushaltslage ist der Einzelplan 12, also der Erfahrung, die wir alle durchweg machen. des Ministers Stolpe, immer noch der drittgrößte Einzel- etat im Haushalt und der mit Abstand größte Investi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tionshaushalt des Bundes überhaupt; denn über die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hälfte der gesamten investiven Ausgaben des Bundes Herr Kollege Fischer, gestatten Sie mir einen persön- liegen in diesem Einzelplan. Schon dadurch wird deut- lichen Hinweis: Es heißt in der Bibel nicht „Seid wach- lich, welche Bedeutung die Bundesregierung auch in sam und mehret euch“, sondern „Seid fruchtsam und konjunkturell schwierigen Zeiten dem Erhalt und dem mehret euch“. Ausbau der Infrastruktur und dem Aufbau Ost beimisst. Wir sind nicht etwa dabei – wie vorhin gesagt wurde –, (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP): Hat er uns der Infrastruktur in den Entwicklungsländern anzu- auch gesagt! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/ nähern – ganz im Gegenteil. CSU]: Ich habe „friedlich“ gesagt! – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Er hat (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das „friedlich“ gesagt!) Schlimme ist, dass Sie das auch noch glau- ben!) Das sagte auch kein Hohepriester, sondern Gott persön- lich. Wir haben die Städtebauförderung kräftig aufge- stockt. Die Einsparungen bei der Umgestaltung der Ei- (Heiterkeit bei der SPD) genheimzulage wollen wir nutzen, um die Städtebauför- derung für die alten Länder und die Finanzhilfen im Der Kollege Friedrich begann seinen Redebeitrag da- Rahmen des überaus erfolgreichen Programms „Soziale mit, dass er uns erzählte, er glaube zu träumen. Kollege Stadt“ zu erhöhen. Insgesamt stellen wir hierfür Friedrich, ich gratuliere Ihnen dazu; denn nur wer (B) 458 Millionen Euro zur Verfügung. (D) träumt, der lebt noch. Ich habe auch geträumt. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Es gab (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie neh- Zeiten, da haben Sie 1,5 Milliarden als Zumu- men den Traum aber als Realität! Das ist Ihr tung bezeichnet!) Problem!) Wir unterstützen damit die Anpassung der Städte an die Herr Friedrich, ich habe heute Morgen geträumt, die Erfordernisse der Zukunft und leisten einen nachhaltigen Union und die FDP hätten im Frühjahr dieses Jahres Beitrag zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik sowie zur dem Steuervergünstigungsabbaugesetz zugestimmt. Schaffung von Ausbildungsplätzen im Baugewerbe und (Heiterkeit bei der SPD – Horst Friedrich im Handwerk. [Bayreuth] [FDP]: Das ist offensichtlich ein Wir haben die Neuorientierung der Städtebau- und Albtraum gewesen!) Wohnungspolitik eingeleitet und werden diese intensiv Dann hätten wir manche Haushaltsprobleme, um die wir weiterentwickeln. Unsere Städtebau- und Wohnungspo- uns heute schlagen, nicht. litik konzentriert sich stärker auf den Erhalt, auf die Sa- nierung und auf die Modernisierung des Wohnungsbe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stands, als es früher der Fall war. Wir verbinden DIE GRÜNEN) Städtebau- und Wohnungspolitik. Wir unterstützen inte- grative Ansätze, die die wichtigen Bereiche der Arbeits- Dass wir diese Probleme haben, Herr Kollege Friedrich, marktpolitik und der Wirtschaftsförderung einbeziehen. hat viele Gründe. Ein Grund ist, dass wir uns gerade da- Wir fördern insbesondere die Wohneigentumsbildung in ranmachen, den 33. Bundeshaushalt in Folge zu verab- innerstädtischen Altbauquartieren, um die Bildung von schieden, der nur durch Schulden gedeckt wird. Wohneigentum stärker in die Innenstädte zu verlagern. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Noch nie Diese Politik bremst die Zersiedelung unserer Land- war ein Haushalt so schlecht wie dieser!) schaft und soll das Abwandern aus den Großstädten ins Umland stoppen. Schauen Sie sich die Stadt Berlin an, Die Zahl 33 zeigt, dass wir alle nicht mehr im Zustand wenn Sie Zeit dazu haben, liebe Kolleginnen und Kolle- der Unschuld sind. Ihre Partei hat von den 33 Jahren die gen. Hier stehen 140 000 Wohnungen leer. meiste Zeit mitregiert. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Bei der (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Qualität dieser Regierung haben wir leider BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) keine Zeit dafür!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6961

Uwe Göllner (A) Das ist nicht allein ein Berliner Problem; das kann Ihnen Schritt zur Stabilisierung der Städte und Siedlungen so- (C) in allen Großstädten unserer Republik auffallen. Unsere wie der Wohnungswirtschaft bewertet worden. Städtebau- und Wohnungspolitik hat zum Ziel, diesen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Trend aufzuhalten. Unsere Politik ist nachhaltig. Sie soll DIE GRÜNEN) erreichen, dass unsere Innenstädte an Lebens-, Wohn- und Aufenthaltsqualität gewinnen. Der Verpflichtungsrahmen des Programms wird auf dem bisherigen Niveau von circa 153 Millionen Euro festge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten setzt. Insbesondere Städte und Gemeinden in Ost- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) deutschland, die besonders vom Leerstand betroffen Gleichzeitig setzen wir die bisherige Städtebauförde- sind, bekommen Finanzhilfen des Bundes, zum einen, rung auf dem in der mittelfristigen Finanzplanung ausge- um leerstehende und langfristig nicht mehr benötigte wiesenen relativ hohen Niveau fort. Mit diesen Finanzhil- Wohngebäude zurückzubauen, und zum anderen, um in fen fördern wir städtebauliche Sanierungs- und die Aufwertung der betroffenen Stadtteile zu investieren. Entwicklungsmaßnahmen sowie in den neuen Ländern Darüber hinaus werden wir das Programm „Stadtum- zusätzlich den städtebaulichen Denkmalschutz. 215 Mil- bau Ost“ und die Altschuldenhilfe stärker aufeinander lionen Euro dieser klassischen Städtebauförderung flie- abstimmen und so die Handlungsspielräume der Länder ßen in die neuen Länder, 40 Millionen Euro in die alten. zur Unterstützung in ihrer Existenz gefährdeter Woh- Im Zuge des Auslaufens der Eigenheimzulage wollen wir nungsunternehmen erheblich erweitern. die Finanzmittel für die alten Länder kräftig anheben, Mit der Härtefallregelung auf Grundlage des Alt- nämlich insgesamt auf rund 212 Millionen Euro. Mit die- schuldenhilfe-Gesetzes gewähren wir gefährdeten Woh- sen Mitteln unterstützen wir insbesondere die Kommu- nungsunternehmen in den neuen Ländern zusätzliche nen. Entlastungen von Altschulden. Die starke Inanspruch- Das von der Bundesregierung 1999 aufgelegte Pro- nahme zeigt, wie wirkungsvoll diese Hilfe ist. Sie ist gramm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“ eine wirksame Ergänzung des Programms „Stadtumbau – kurz: „Soziale Stadt“ – ist überaus erfolgreich. Die Fi- Ost“ und wird sowohl den Wohnungsmarkt als auch die nanzhilfen des Bundes werden für Investitionen zur in- Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland stabilisieren. novativen und nachhaltigen Stadtentwicklung eingesetzt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Programm „Soziale Stadt“ ist aber nicht nur ein DIE GRÜNEN) städtebauliches Investitionsprogramm, sondern auch ein Wir haben das Finanzvolumen von bisher 658 Millionen zukunftsweisendes integratives Förderkonzept zur Stabi- Euro im Rahmen dieser Haushaltsberatungen daher um (B) lisierung sozialer Brennpunkte. Einzelne Stadtteile, in 350 Millionen Euro aufgestockt. Jedoch ist diese Erhö- (D) denen sich soziale, wirtschaftliche und städtebauliche hung abhängig von den Einsparungen bei der Eigen- Probleme verschärfen, werden durch die Vernetzung der heimzulage und damit vom Vermittlungsergebnis zum vielfältigen finanziellen und organisatorischen Ressourcen Haushaltsbegleitgesetz. aller Politikbereiche auf Bundes-, Landes- und Gemeinde- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Aufschie- ebene gezielt gefördert. Die Integration unterschiedlicher bend bedingt! Und darauf bauen Sie den Haus- Politikfelder wie Wohnungsbau, Arbeitsmarkt und Wirt- halt auf!) schaftsförderung sowie Jugend- und Sozialpolitik leistet einen wirksamen Beitrag zur nachhaltigen Steigerung Meine Damen und Herren von der Opposition, nun der Wohn- und Lebensqualität in den betroffenen Stadt- sind Sie in der Verantwortung, schließlich gibt es ein Ver- teilen. Im Rahmen dieses Programms werden Eigeniniti- mittlungsverfahren. Ich hoffe, dass Sie – anders als in den ative und Selbsthilfepotenziale aktiviert, ein gemeinsa- Beratungen in den Ausschüssen – im Vermittlungsverfah- mes Bewusstsein entwickelt und die nachbarschaftlichen ren Ihrer Verantwortung gerecht werden und Ihre Zustim- Beziehungen gefestigt. mung geben, um so unser Land nach vorne zu bringen. Wegen des großen Erfolges des Programms haben wir Danke schön. die Finanzhilfen des Bundes bereits im laufenden Jahr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ von 76 Millionen Euro auf 80 Millionen Euro erhöht. So DIE GRÜNEN) konnten neue Vorhaben in das Bundesprogramm aufge- nommen werden und die Förderung laufender Maßnah- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: men auf hohem Niveau fortgesetzt werden. Im Rahmen Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Günther von der mittelfristigen Finanzplanung wird für das Programm der FDP-Fraktion. „Soziale Stadt“ ein Verpflichtungsrahmen von 50 Millio- nen Euro bereitgestellt. Wir wollen den sozialen Zusam- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) menhalt noch weiter stärken und die Entwicklung sozia- ler Brennpunkte frühzeitig stoppen. Deshalb sollen diese Joachim Günther (Plauen) (FDP): Mittel bei Auslaufen der Eigenheimzulage um weitere Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! knapp 86 Millionen Euro aufgestockt werden. Kollege Friedrich und die Kollegen von der CDU haben bereits auf die Ausfälle bei der Maut hingewiesen. Das im Jahr 2002 von der Bundesregierung gestartete Programm „Stadtumbau Ost“ ist von den fachlich und (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Vergessen Sie politisch Beteiligten als wichtiger und notwendiger nicht die CSU! So viel Zeit muss sein!) 6962 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Joachim Günther (Plauen) (A) Ich möchte nun ein anderes Beispiel bringen und da- Man muss ja den Eindruck gewinnen, dass Sie nicht (C) bei den Blick auf die EU-Osterweiterung richten. nur über den Haushalt, sondern auch darüber, wie die Bundesmittel in den Ländern verwendet werden, keine Herr Minister Stolpe, Sie haben am 11. September Übersicht mehr haben. 2003 hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die Ver- stärkung der Verkehrsinfrastruktur Hauptaufgabe der Po- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: litik ist. Das ist richtig. In dem Jahreshaushaltsplan sehen Hört! Hört!) wir aber genau das Gegenteil davon. Die Verkehrsinfra- Hier muss Einfluss genommen werden, sodass sie richtig struktur ist eine Lebensader der Wirtschaft. Sie ist aber verwendet werden. auch eine Voraussetzung für die anstehende EU-Oster- weiterung. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gunter Weißgerber [SPD]: Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten müssen die Länder besetzen! Mit der Reichs- der CDU/CSU) wehr!) Hier sehe ich eine große Gefahr auf uns zukommen. Vor dem Hintergrund des nach wie vor bestehenden Aufgrund der monatlichen Ausfälle von circa 160 Mil- Nachholbedarfs bezüglich der Infrastruktur in den neuen lionen Euro wird nicht nur die so genannte Streichliste Ländern ist es deshalb besonders wichtig, dass auch der betroffen sein, sondern es werden auch unbedingt not- Solidarpakt näher betrachtet wird und auch diese Mittel wendige Verbindungen in Richtung Osteuropa unbe- so eingesetzt werden, wie es im Gesetz vorgesehen ist. rücksichtigt bleiben. Wir alle sind uns darüber im Klaren, dass mit der EU- (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist doch Osterweiterung im Jahre 2004 neue Anforderungen an nur eine Behauptung!) uns gestellt werden. Auch hier sind die neuen Länder und Bayern besonders betroffen. Bislang gibt es von Ih- Wer in den Zweiten Fortschrittsbericht über die wirt- rer Regierung kein Konzept, wie die Anschlüsse erfol- schaftliche Entwicklung in Ostdeutschland schaut – auch gen werden. Ich mache mir vor allem um den grenzna- das ist interessant –, der wird sehen, dass sich Ausfälle hen Raum Sorgen. Auf tschechischer Seite werden zum im Bereich der Verkehrsinfrastruktur im Osten unseres Beispiel Straßen gebaut, während bei uns noch nicht ein- Landes besonders katastrophal auswirken und dass sie in mal die Planung durchgeführt wurde. Ein besonderes den gesamtwirtschaftlichen Kreislauf eingreifen. Des- Beispiel ist die Sachsen-Franken-Magistrale der Deut- halb fordere ich die Bundesregierung auf – dies wurde schen Bahn AG. Hier gibt es wiederum eine sehr inten- hier entsprechend vorgetragen und früher auch immer sive Diskussion. Auf Ihrer indirekten Streichliste befin- (B) versichert –, an dieser Verkehrsinfrastruktur keinerlei det sich eine der traditionsreichsten Strecken, die von (D) Abstriche zuzulassen. München oder Stuttgart über Nürnberg und Dresden bis nach Breslau verläuft. Das ist also wirklich eine Schiene Ich bin diesbezüglich auch deshalb misstrauisch ge- in Richtung der EU-Osterweiterung. Wer eine solche worden, weil ich im Fortschrittsbericht 2002 der neuen Strecke auf die Streichliste setzt, der blickt in Europa po- Länder, der jährlich anzufertigen und vorzulegen ist, auf litisch nicht nach vorn. etwas Interessantes gestoßen bin. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Nächste Wo- der CDU/CSU) che haben wir ihn im Ausschuss!) Lassen Sie mich noch einige Worte zur Baupolitik – Ja, dort können wir darüber sprechen. – Schauen Sie und zum Städtebau sagen. Nach wie vor ist die Lage in sich zum Beispiel die Berichte der Länder Berlin und den ost- und inzwischen zum Teil auch in den norddeut- Sachsen-Anhalt an. Die Sonderbedarfszuweisungen schen Ländern durch einen hohen Wohnungsleerstand wurden hier häufig eben nicht, wie vorgeschrieben, für gekennzeichnet. Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich gebe Ih- Infrastrukturmaßnahmen verwendet, sondern sie sind in nen Recht: Das Programm Aufbau Ost ist angekommen den allgemeinen Haushalt geflossen. Auf meine Nach- und wird auch umgesetzt. Es ist aber unzureichend, frage im Ministerium der Finanzen – Herr Diller, Ihre wenn man an die Geschwindigkeit der Abwanderung Kollegin hat sie beantwortet – wurde mir Folgendes ge- aus den ostdeutschen Ländern denkt. Das heißt, im Prin- sagt: zip laufen wir mit diesem Programm hinterher. Meines (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist doch Erachtens sind wir uns darüber auch einig. schon mal was!) (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Welches Land hat die letzte Verwaltungsvereinbarung Die Bundesregierung ist in ihrer Stellungnahme zu denn erst im Sommer unterschrieben? Das war den Fortschrittsberichten der Länder zwar auch zu dem Bayern!) Ergebnis gekommen, dass die Mittel in einigen Ländern zu großen Teilen in den allgemeinen Haushalt geflossen 2002 sind 80 000 Einwohner aus den neuen Bundes- und eben nicht für Investitionen verwendet wurden. Es ländern abgewandert. Das entspricht der Größe einer hat sich aber nachträglich herausgestellt, dass dieses Er- mittleren Stadt. Wenn es uns in solchen Städten, in denen gebnis wegen unterschiedlicher methodischer und statis- die Abwanderung hoch ist, nicht gelingt, Stadtquartiere tischer Ansätze bei der Erstellung der Berichte zustande attraktiv zu erhalten und den Bürgern eine Perspektive gekommen ist. zu geben, sodass sie nicht immer im Hinterkopf haben Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6963

Joachim Günther (Plauen) (A) müssen, wann das Theater geschlossen und das Erstens. Zur Konsolidierung der Rentenversicherung (C) Schwimmbad zugemacht wird, dann wird sich dieser muss bekanntlich der Einzelplan 12 im Rahmen einer Prozess weiter verselbstständigen; er wird voranschrei- globalen Minderausgabe mindestens 244 Millionen Euro ten. Hier muss ein Durchbruch erzielt werden. an Einsparungen erbringen. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Korrekt!) DIE GRÜNEN]: Was wollt ihr denn eigentlich konkret?) Zweitens. Als Folge aus den Mauteinnahmeausfällen in diesem Jahr 2003, die der Finanzminister in dankens- Eine Chance dafür wäre zum Beispiel – darüber werter Weise überbrückt hat, werden in den nächsten müsste diskutiert werden –, die im Rahmen des Alt- Jahren bis zu 600 Millionen Euro im Einzelplan 12 zu schuldenhilfe-Gesetzes vom Bund zur Verfügung ge- erwirtschaften sein. stellten Mittel für die Jahre 2005 ff. vorzuziehen – Kol- lege Göllner hat es vorhin angesprochen –, damit der Drittens. Wegen der heute bereits absehbaren Einnah- Abriss schneller vonstatten gehen kann; denn mit dem meausfälle bei der LKW-Maut im nächsten Jahr werden Abriss erhalten wir ein attraktives Stadtbild und außer- allein im ersten Halbjahr mehr als 1 Milliarde Euro an dem – dies ist im Osten Deutschlands dringend notwen- Einnahmen fehlen. Im Worst-Case-Szenario, also wenn dig – endlich wieder eine Struktur im Wohnungsbereich, das System überhaupt nicht in Gang kommt, würden bis durch die die Immobilienwirtschaft wieder auf einiger- zum Ende nächsten Jahres 2,1 Milliarden Euro nur auf maßen gesunde Beine gestellt werden kann. dieser Ursache basierend fehlen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Unglaublich! der CDU/CSU) Sie halten ja die Reden der Opposition!) Um zu zeigen, dass es hierzu tolle Ideen gibt, möchte Viertens. Über all dem – dabei sollten wir zusammen- ich auf einen Artikel im „Spiegel“ vom 17. November arbeiten – schwebt als Damoklesschwert im Vermittlungs- dieses Jahres verweisen. Er ist eindrucksvoll. Darin wird ausschuss die Bedrohung durch die Koch-Steinbrück- bewiesen, dass man mit unternehmerischen Findigkeiten Vorschläge, deren Umsetzung alleine und ausschließlich einiges erreichen kann. Ein holländischer Unterneh- beim Verkehrsträger Schiene in den kommenden drei mer kauft im großen Stil abbruchreife Platten in den ost- Jahren über 2 Milliarden Euro an Kürzungen beim Zug- deutschen Kommunen und bringt diese als neues Pro- angebot – dies wird durch Kürzung der Regionalisie- dukt in ost- und südosteuropäischen Ländern auf den rungsmittel erreicht – und beim Streckenausbau mit sich Markt. Auch in einem solchen Bereich kann man Fort- bringen würde. schritte erzielen. Wir unterstützen diese Privatinitiativen, (B) Wer so etwas will, bringt keinen Rasenmäher in Stellung, (D) die im Endeffekt effektiver und schneller Wirkung erzie- sondern er legt die Axt an die Wurzeln der Bahnreform. Er len. gefährdet den Erfolg der Bahnreform und das Bundesun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ternehmen Deutsche Bahn AG mitten in einer schwieri- der CDU/CSU) gen Sanierungsphase. Zum Schluss möchte ich meine Hoffnung zum Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN druck bringen, dass sich an den Ergebnissen des Haus- sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate halts durch die Verhandlungen im Vermittlungsaus- Blank [CDU/CSU]: Das macht Herr Mehdorn schuss einiges ändert; denn mit seinen Geisterzahlen ist doch schon selber!) er jetzt nicht nur verfassungswidrig, sondern auch beim besten Willen nicht anzunehmen. Deshalb lehnen wir ihn Diese Kürzungsvorschläge träfen ausschließlich und bru- ab. tal allein die Schiene. Dies wäre übrigens ein Rückfall in die letzten Amtsjahre von Wissmann und Waigel – ich er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) innere mich sehr gut, mein Gedächtnis reicht so weit –, (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Nein!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Albert Schmidt von Bünd- als nämlich die Bahn – das haben Sie ganz ohne Mautde- nis 90/Die Grünen. bakel hinbekommen – Jahr für Jahr als Steinbruch zur Haushaltskonsolidierung herhalten musste. Dies wäre eine Wende rückwärts in der Verkehrspolitik, die jeden- Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- falls mit unserer Fraktion nicht zu machen sein wird. NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kein anderer Haushalt ist mit derart vielen und großen sowie bei Abgeordneten der SPD – Horst Risiken wie der Einzelplan 12 belastet, den wir heute Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Schauen wir uns diskutieren. Es hilft nichts, darum herumzureden. mal an, wie der Haushalt nächstes Jahr aus- sieht!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Na, da schau her! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das – Das unterscheidet uns, Kollege. Sie haben ganz ohne sollte der Kollege Göllner einmal zur Kenntnis die Mautprobleme die Kürzung des Bahnetats fertig ge- nehmen!) bracht. 6964 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Albert Schmidt (Ingolstadt) (A) Wie ernst und dramatisch die Lage nun ist, hat in der Dazu höre ich von Toll Collect bis heute nichts. Toll (C) Tat die Liste aus dem Bundesverkehrsministerium deut- Collect schweigt wie eine große, nicht funktionierende lich gemacht, die in diesen Tagen durch die Presse ging. On Board Unit. Solch einen Skandal in der Industriege- schichte habe ich bisher noch nicht erlebt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischen- und bei der SPD) frage des Kollegen Kalb? Das ist nicht mehr lustig. Für mich verdichtet sich der Eindruck, dass die Industrie offenbar einen Vertrag un- terschrieben hat, obwohl es nicht den Hauch einer Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE Chance gab, die zugesagten Termine einzuhalten. Das GRÜNEN): grenzt für mich an Betrug. Aber gerne. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer hat denn den Vertrag vorgelegt?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kalb, bitte. Das kann und darf in einem Rechtsstaat nicht folgenlos bleiben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): und bei der SPD) Herr Kollege Schmidt, Ihre Befürchtungen im Hin- blick auf die Zukunft der Investitionsmittel für die Bahn Die Maut sollte ein Projekt der öffentlich-privaten teile ich. Aber wären Sie bitte bereit, zur Kenntnis zu Partnerschaft sein. Die Privaten haben das Blaue vom nehmen, dass in den zurückliegenden Jahren, von 1995 Himmel versprochen. Aber kaum versagen sie – jetzt bis 2000, der Bahn jeweils mehr Investitionsmittel zur wird es spannend –, kommt die Bauindustrie, aus ver- Verfügung standen, als sie verbauen konnte? ständlicher Sorge übrigens, und verlangt Ersatzzahlun- gen nicht etwa von Toll Collect, sondern – so Ignaz Walter in seinem Brief an den Bundeskanzler – Steuermil- Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE liarden. Diese öffentlich-private Partnerschaft funktio- GRÜNEN): niert nach dem Motto: Klappt es mit der Maut, dann ma- Lieber Herr Kollege Kalb, ich konstatiere gerne, dass chen wir ein Geschäft, klappt es nicht, muss eben der die Bahn in den letzten drei Jahren alle Mühe hatte und Bund einen neuen Milliarden-Euro-Scheck auf den (B) es manchmal gar nicht geschafft hat, die von uns großzü- Tisch legen und neue Schulden machen. Auf diese Art (D) gigerweise massiv erhöhten Mittel für Investitionen auch von öffentlich-privater Partnerschaft können wir in Zu- tatsächlich zweckgerecht und bestimmungsgemäß abzu- kunft verzichten. rufen. Als wir allerdings die Regierungsverantwortung 1998 übernommen haben, da lagen die Bahninvestitio- nen unter 5 Milliarden DM. Heute sind wir bei 4 Milliar- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: den Euro. Das ist der Unterschied zwischen unserer Poli- Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischen- tik und Ihrer Politik. frage des Kollegen Lintner? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie dramatisch die Lage ist, hat diese Liste, die jetzt Gerne. durch die Presse geistert, in der Tat deutlich gemacht. Es drohen – da hilft kein Drumherumreden – die Verschie- bung, die Streckung und die Streichung von Projekten Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bis hin zur Stilllegung von Baustellen. Das ist der Ernst Bitte schön. der Situation.

Der Hauptverursacher dieser Misere hat einen Na- Eduard Lintner (CDU/CSU): men: Toll Collect. Um dies festzustellen, braucht man Herr Kollege Schmidt, würden Sie mir bestätigen, keinen Untersuchungsausschuss. Da genügt ein Blick in dass selbst dann, wenn das System von Toll Collect tech- die Tageszeitungen. Wenn dieses Konsortium weiterhin nisch funktionieren würde, die Durchsetzung der Maut nicht in der Lage ist, das vertraglich zugesicherte Maut- gegenüber ausländischen Fahrzeughaltern deshalb nicht system auf die Beine zu stellen, und wenn es noch nicht gesichert wäre, weil das Ministerium es versäumt hat, einmal in der Lage ist, einen verbindlichen Zeit- und Ar- rechtlich verbindliche Zusagen aus dem Ausland einzu- beitsplan bis zum Funktionieren vorzulegen, dann ver- holen? Es gibt also zwei wichtige Faktoren für das sündigt sich die Industrie am Standort Deutschland. Scheitern: die technische Seite, aber leider auch die Denn 2 Milliarden Euro weniger im nächsten Jahr be- mangelnde vertragliche Vorsorge seitens des Bundesver- deuten Zigtausende von Arbeitsplätzen weniger in kehrsministeriums. Deutschland mit all den Folgekosten für die Arbeitslo- senversicherung und die Rentenkasse. (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6965

(A) Albert Schmidt (Ingolstadt) (BÜNDNIS 90/DIE Das, was für den gesamten Haushalt gilt, gilt natür- (C) GRÜNEN): lich auch im besonderen Maße für den Einzelplan 12. Das kann ich nicht bestätigen, Herr Kollege Lintner. Dazu habe ich überhaupt keine Veranlassung, im Gegen- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Leider wahr!) teil. Seit dieser Bundesverkehrsminister im Amt ist, hat Denn die Risiken sind unabsehbar. Ich möchte nicht nä- er permanent gegenüber der Europäischen Kommission her auf die Maut eingehen, aber, Herr Stolpe, eines fällt und den europäischen Nachbarn deutlich gemacht, was mir schon auf: Noch vor wenigen Tagen haben Sie im wir wollen, wohin wir wollen, Haushaltsausschuss treuherzig versichert, dass die Aus- (Eduard Lintner [CDU/CSU]: Aber er hat fälle nicht zulasten der Investitionen gehen würden. nichts in der Hand!) Mich interessiert, was sich seit diesem Zeitpunkt bis heute fundamental so verändert hat, dass Sie diesen welchen Stand der Realisierung wir erreicht bzw. noch Salto rückwärts machen. nicht erreicht haben und welche Bedingungen das aus- ländische Speditionsgewerbe künftig hier vorfindet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Diese Sorge, Herr Kollege Lintner, ist im Moment meine allergeringste. Ich habe ganz andere Sorgen, wie ich vor- Jetzt komme ich zu dem Bereich, über den ich zu be- hin dargestellt habe. richten habe, nämlich zum Wohnungswesen und Städte- bau. Ihr Haushalt, Herr Stolpe, verzeichnet Einnahmen Ich möchte zum Schluss kommen. Wenn Toll Collect in Höhe von 671 Millionen Euro. Dagegen stehen Aus- – das sage ich in allem Ernst – bis Mitte Dezember, dem gaben in Höhe von 4,34 Milliarden Euro. Das sind frühestmöglichen Kündigungstermin, nicht bereit oder 644 Millionen Euro weniger als im Soll 2003. Allein bei nicht in der Lage ist, einen verbindlichen Starttermin für den Investitionen sinkt der Ansatz um 56 Millionen dieses Mautsystem zu benennen und Schadensersatz- Euro. pflicht zu garantieren, und wenn Toll Collect weiterhin nicht bereit sein sollte, für bereits entstandene giganti- Herr Stolpe, Ihr Haushalt ist der investitionsintensivste. sche Einnahmeverluste mit einzustehen, dann muss der Sie haben entscheidenden Anteil an der Investitionsrate Bund, ob er will oder nicht, die rote Karte ziehen. Nie- des Gesamthaushaltes, die ja leider auch rückläufig ist. mand kann diese Entwicklung wollen, aber der Bund Allein im Wohnungswesen und Städtebau gehen die In- kann sich nicht ewig auf der Nase herumtanzen lassen. vestitionen um 56 Millionen Euro zurück. Ich hätte mir Wenn es bei diesem Projekt keine Chance auf Vertrauen im Einsatz für diesen wichtigen Bereich etwas mehr und Erfolg mehr gibt, dann ist mir ein Ende mit Schre- Kampf und Leidenschaft erwartet, Herr Minister. cken lieber als ein Schrecken ohne Ende. Wenn man sich nur ein wenig mit Volkswirtschaft be- (B) (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert) schäftigt, dann weiß man, dass von öffentlichen Investi- (D) tionen ein Multiplikatoreffekt ausgeht. So entsteht nach Denn dann müssen schleunigst alternative Lösungen groben Schätzungen bei der Städtebauförderung aus und Übergangslösungen gesucht werden und es darf Fördergeldern des Bundes in Höhe von 100 000 Euro ein nicht länger auf vertragsbrüchige Partner gewartet wer- tatsächliches Investitionsvolumen von 600 000 Euro. den. Das heißt, würden wir ein Fördervolumen in Höhe von In jedem Fall aber werden die Probleme für die Ver- 500 Millionen Euro vom Bund annehmen, wären daraus kehrsfinanzierung im nächsten Jahr und in den darauffol- 2 Milliarden Euro und mehr an Investitionen zu erwar- genden Jahren gewaltig sein. Wir werden sie gemeinsam ten. Das wiederum schafft 25 000 Arbeitsplätze und im lösen müssen, auch wenn andere die Hauptverursacher selben Umfang nochmals Arbeitsplätze in den dem Bau- sind. Ich hoffe hier auf das Zusammenstehen aller Ver- gewerbe vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsbereichen. kehrspolitiker, besonders wenn es jetzt darum geht, die Koch-Steinbrück-Attacke auf den Schienenverkehr ge- Dass das deutsche Bauhauptgewerbe jede Hilfe meinsam abzuwehren. braucht, das wissen wir. Der Auftragseingang ging im dritten Quartal 2003 um nominal 7,4 Prozent zurück. Ich danke Ihnen. Von Januar bis September lag das Auftragsniveau um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11,4 Prozent unter dem Vorjahreswert. Das ist der und bei der SPD) höchste Rückgang seit Ende des Einheitsbooms von 1995. Dieser anhaltende Nachfragerückgang bleibt na- türlich nicht ohne Auswirkungen auf das Bauhauptge- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: werbe. Arbeitsplatzabbau ist die Folge. Im Durchschnitt Ich erteile das Wort dem Kollegen Norbert Barthle, der ersten neun Monate dieses Jahres waren nur noch CDU/CSU-Fraktion. 793 100 Arbeitnehmer im Bauhauptgewerbe beschäftigt; das sind 90 800 weniger als noch vor einem Jahr. Norbert Barthle (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen Im vorliegenden Haushalt sind annähernd 16 Milliar- und Kollegen! Die Rede des Kollegen Schmidt war die den Euro für neue Subventionen vorgesehen: für 37 000 beste Argumentation dafür, dass die Aussage gilt: Dieser Steinkohlekumpel. Das spricht eine deutliche Sprache. Haushalt ist weder beratungsfähig noch beschlussfähig Die Botschaft lautet: neue Subventionen statt Investitio- und bestätigt uns in voller Linie. nen. Das ist fatal. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 6966 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Norbert Barthle (A) Denn wir wissen: Jeder Euro weniger Investitionen kos- Der neue Titel umfasst die Zuschüsse des Bundes (C) tet direkt Arbeitsplätze. Dafür, Herr Stolpe, tragen Sie nach der Verordnung zum Altschuldenhilfe-Gesetz, für Mitverantwortung. Sie stoßen den so sehnlichst erwarte- die der Ansatz von 95 Millionen Euro auf 143 Millionen ten Aufschwung mit dem Körperteil wieder um, der da- Euro erhöht wurde. Das ist zwar in Ordnung, Herr für zuständig ist. Stolpe, aber ausgerechnet Sie statten den Wohnungs- rückbau im Osten zulasten der Wohneigentumsförde- Lassen Sie mich noch auf einen Vorwurf eingehen, rung im Westen mit zusätzlichen Mitteln aus. Das ist den auch der Kollege Weißgerber wieder erhoben hat. Er durchaus delikat. Ich halte das nicht für angebracht. An meint, wir, die Union, hätten uns der Beratung verwei- dieser Stelle hätten Sie besser und gezielter auf die un- gert. Ich will diesen unsinnigen Vorwurf an einem Bei- terschiedlichen Situationen eingehen können. spiel verdeutlichen. Bei der Vorlage des Gesetzentwurfs wurde ein neuer Titel ausgewiesen: Zuweisungen zur För- Da auch diese Maßnahme unter dem Vorbehalt der derung des Wohnens in städtischen Quartieren. 25 Prozent Entscheidungen des Vermittlungsausschusses steht, der durch die Streichung der Eigenheimzulage eingespar- ist zu diesem Punkt keine seriöse Beratung möglich. Das ten Mittel sollten gezielt für ein Zuschussprogramm zur zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten Haus- Strukturverbesserung in den Städten bereitgestellt haltsberatungen: Alles, was wir anpacken, ist sozusagen werden. Auf lange Sicht gesehen hätten sogar mit den auf Sand gebaut. entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen bis zum Lassen Sie mich – wie es auch der Kollege getan hat – Jahr 2011 4,4 Milliarden Euro für dieses Programm zur in diesem Zusammenhang die Bibel zitieren. Verfügung gestanden. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Die Intention dieses Titels fand und findet – mit eini- DIE GRÜNEN]: Er hat das aber falsch gen kleinen Einschränkungen – unsere Zustimmung. gemacht! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Denn gerade in den süddeutschen Ballungsräumen gibt Hoffentlich sind Sie bibelfest!) es schon wieder Engpässe. Die Mieten steigen und viele einkommensschwächere Familien werden ins Umland Es heißt bei Matthäus, Kapitel 7, Vers 26 und 27: verdrängt. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Viele Oberbürgermeister beklagen die alarmierende Sand baute. Situation auf dem Wohnungsmarkt. Der Stuttgarter Oberbürgermeister appelliert dringend an die Bundesre- (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ gierung, die Investitionsbedingungen für den Wohnungs- DIE GRÜNEN]: Ganz ohne Eigenheimzulage (B) bau freundlicher zu gestalten. Die „Stuttgarter Zeitung“ übrigens!) (D) hat in ihrer gestrigen Ausgabe einen Kommentar mit der Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen Überschrift „Wachsender Wohnungsmangel alarmie- und die Winde wehten und stießen an das Haus, da rend“ veröffentlicht. fiel es ein, und sein Fall war groß. Das ist das disparate Bild, das sich in Deutschland (Zuruf von der SPD: Amen!) zeigt und das zur Kenntnis genommen werden muss. Ein zielgerichtetes Vorgehen gegen diese Situation hätte un- Meine Damen und Herren, das Wasser kam; die seren Beifall gefunden. Winde wehten. Sie stießen an Ihren Haushalt und er fiel um. Das werden wir schon in wenigen Tagen feststellen Dumm ist nur, dass Sie den zusätzlichen Titel mit müssen. Deswegen stimmen wir diesem Unsinn nicht zu. dem völligen Abbau der Eigenheimzulage finanzieren wollten. Dass wir dem angesichts einer Wohneigentums- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) quote in Deutschland von nur 41,5 Prozent nicht zustim- men konnten und können, wussten Sie vorher. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das Wort hat nun der Kollege Reinhard Weis, SPD- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Fraktion. Was ist die Folge? Es ist wieder alles offen. Sie haben sicherlich gemerkt, dass ich eben den Konjunktiv ge- Reinhard Weis (Stendal) (SPD): braucht habe. Der aktuelle Haushalt verzeichnet bei dem Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und sinnvollen neuen Titel nur einen kleinen, einsamen Kollegen! Es hat weiß Gott schon einmal mehr Spaß ge- Strich. Der Ansatz dafür ist nämlich auf null gestellt macht, im Plenum zum Einzelplan 12 zu sprechen. worden. Im Änderungsantrag von Rot-Grün wird dafür (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Bis 1998!) folgende Begründung genannt: Eine Reihe von Risiken werfen ihre Schatten auf das Verschiebung des Programmbeginns auf 2005. Die Zahlenwerk. Das ist ein gefundenes Fressen für all dieje- frei werdenden Mittel werden als Gegenfinanzie- nigen, die auf eine Katastrophenstimmung aus sind. rung der Verpflichtungsermächtigung bei Titel … verwendet. Das Wehklagen von Herrn Barthle über die verringer- ten Haushaltsansätze ist meiner Ansicht nach heuchle- Herr Stolpe, Sie sind der Verschiebe-Minister des risch. Denn es gab – wie Gunter Weißgerber schon fest- Jahres 2003! gestellt hat – seitens der CDU/CSU keine Anträge auf Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6967

Reinhard Weis (Stendal) (A) Erhöhung von Haushaltsansätzen. Da Ihrerseits keine dass die zusätzlich eingestellten Mitarbeiter nicht dort (C) konstruktiven Vorschläge vorgelegt wurden, dürfen Sie sitzen und Däumchen drehen, wie es Herr Fischer unter- jetzt auch nicht beklagen, dass die Haushaltsansätze zu stellt hat. niedrig sind. Um es noch einmal zu sagen: Hier liegt kein Fehler (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Ministeriums und seiner Fachleitung vor. Auch im des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundesamt für Güterverkehr wird professionelle Arbeit auf bestem Ingenieurstand erbracht. Für das Ausmaß der Was die Schatten angeht, die auf unseren Haushalt Pannen trägt allein die Industrie die Verantwortung. fallen, so stellen die Unsicherheiten bei der Mautein- führung sozusagen einen großen Brocken dar, der noch (Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bay- nicht weggeräumt worden ist. Das ist zwar richtig, aber, reuth] [FDP]: Das ist aber ein bisschen arg ein- meine Damen und Herren von der Opposition, das sollte fach!) für Sie kein Anlass zur Häme sein. Es ist übrigens auch ein Märchen, die Bundesregie- (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig rung habe der Industrie Daumenschrauben angelegt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Horst – entsprechende Zwischenrufe hat es hier ja schon gege- Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das entscheiden ben – und sie auf die Festlegung eines unrealistisch kur- wir immer noch alleine!) zen Zeitplans verpflichtet. Richtig ist vielmehr, dass dem Industriekonsortium die Einführung der Maut gar nicht Es gibt noch andere Unwägbarkeiten, für die Sie un- schnell genug gehen konnte. Man kann nicht oft genug mittelbar verantwortlich sind. wiederholen, was Franziska Eichstädt-Bohlig hier schon (Beifall bei Abgeordneten der SPD) zitiert hat. Im April 2002 schrieb das Konsortium bei der Übersendung des endgültigen Angebots der Bieterge- Ihre Verhinderungs- und Verzögerungsstrategie im Ver- meinschaft ETC in nicht zu überbietendem Optimismus mittlungsausschuss, die Chaotisierung des Vermittlungs- an den Minister: verfahrens ist durchaus Teil dieser Unsicherheiten, die Sie jetzt mit Krokodilstränen beweinen. … möchten wir Ihnen gleichwohl ankündigen, dass wir zu einem früheren Systemstart aufgrund unserer (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Am Vorarbeiten durchaus in der Lage sind. besten beantragen Sie die Abschaffung von Bundestag und Bundesrat! – Horst Friedrich (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ [Bayreuth] [FDP]: Wer hat denn den Vertrag DIE GRÜNEN]: Eine bodenlose Lüge!) unterschrieben? Das war doch nicht der Ver- (B) Damals konnten die Herren von der Telekom, von Daim- (D) mittlungsausschuss!) ler Chrysler Services und von Cofiroute offensichtlich Die Unsicherheiten hinsichtlich der Mauteinführung vor Kraft kaum laufen. Mir ist wichtig, dies hier noch sind nicht ausgeräumt. In der Öffentlichkeit wird bereits einmal klar zu machen, weil sich immer wieder das Ge- darüber spekuliert, ob das Mautkonsortium selbst über- rücht hält, der damalige Bundesminister Bodewig habe haupt noch Interesse an dem gemeinsamen Projekt hat. das Konsortium in einen selbstmörderischen Zeitplan Jedem ist inzwischen offenkundig, dass die Industrie gehetzt. sich übernommen hat. Sie hat einen Vertrag unterschrie- (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ben, den sie nicht eingehalten hat. Sie hat Produkte aus- behauptet das Konsortium!) geliefert, die nicht funktionieren und die offensichtlich auch nicht ausgereift waren. Sie hat sich auf Terminket- Das ist schlicht falsch; das von mir eben vorgetragene ten verpflichtet, die sich inzwischen als reine Luftnum- Zitat widerlegt diese Behauptung ebenfalls. mern erwiesen haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Wer hat DIE GRÜNEN) denn die Ausschreibung gemacht?) Ich sage dies übrigens ohne Häme gegenüber der In- Das weiß auch die Opposition. Deshalb ist es in dustrie. Vielleicht müssen wir alle unsere Gläubigkeit in höchstem Maß unredlich, nun Bundesminister Stolpe für die Technik und die Schnelligkeit, mit der wir techni- das Versagen der Industrie verantwortlich machen zu sches Neuland erobern können, grundsätzlich infrage wollen. stellen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!) Auch ist es sachlich falsch und unredlich, über das Mi- Auch die Damen und Herren von der Opposition haben nisterium sowie das Bundesamt für Güterverkehr und sich blenden lassen. Ich erinnere an die Demonstration die dort Verantwortung tragenden Mitarbeiter herzufal- von Toll Collect kurz vor der Sommerpause im Aus- len. Dort wird, wie die Opposition weiß, buchstäblich schuss. Wir müssen ferner bedenken, dass Telekom und bis zur Erschöpfung gearbeitet, um ein dichtes Control- Daimler Chrysler Services bisher nicht dafür bekannt ling sicherzustellen, allen möglichen Fehlern auf die waren, in hohem Maße leichtfertig zu sein. Es handelt Spur zu kommen und das Mautsystem so zügig wie ir- sich immerhin um zwei der Flaggschiffe der deutschen gend möglich einzuführen. Ich bin davon überzeugt, Industrie. Auch sie haben sich geirrt. 6968 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Reinhard Weis (Stendal) (A) All dies gilt es zu bedenken, wenn nun manche voll- Die Realisierung der A-Modelle im Rahmen der Public (C) mundig über Vertragskündigungen schwadronieren. Ich Private Partnership hängt natürlich von den Mauteinnah- sage in eure Richtung, Franziska und Ali, dass ich euren men ab. Das ist ein riesiges Problem. Aber öffentlich- Vorschlag, zum 15. Dezember ein Ultimatum zu setzen, private Partnerschaften und ein effizienteres Projektma- nicht nachvollziehen kann. Sicherlich ist es nicht nur le- nagement können uns natürlich Spielräume eröffnen, die gitim, sondern auch notwendig, sich Vorstellungen über uns den drohenden Schaden minimieren helfen. Wir alle Optionen sowie über klare Kosten-Nutzen-Analysen wollen uns den Kopf auch für solche Überlegungen frei- zu verschaffen. Dazu gehört auch die Option der Kündi- halten und nicht nur – wie das Kaninchen auf die gung. Schließlich muss aber sehr sorgfältig abgewogen Schlange – auf die Mautausfälle schauen. werden, welche der möglichen Optionen den Schaden für die Bundesrepublik am geringsten hält. Aus heutiger Zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesell- Sicht spricht eher alles dafür, mit aller Energie weiterzu- schaft, die bereits Horst Friedrich angesprochen hat: Ich machen und mit dem bisherigen Vertragspartner das halte es angesichts der neuen Umstände für richtig und Mautprojekt zu realisieren. vernünftig, zu untersuchen, ob diese Gesellschaft befä- higt werden soll, für einen begrenzten Zeitraum einen Ein Wort zur FDP und einem ihrer Lieblingsthemen, begrenzten Kredit aufzunehmen. Eine Voraussetzung da- der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. für ist aber ein verlässlicher Arbeits- und Realisierungs- Heute hast du, Horst, diese Forderung ja verschämt ver- plan für das Mauterfassungssystem, damit die Refinan- schwiegen, die am vergangenen Wochenende noch zierung aus Mauteinnahmen erfolgen kann. hochaktuell war. Vielleicht habt ihr in der Zwischenzeit eingesehen, dass daraus kein Problemlösungsansatz er- (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Ein Schat- wächst, abgesehen davon, dass die Industrie bei ihrem tenhaushalt!) Besuch bei Frau Merkel möglicherweise sehr deutlich Auch dies ist für mich eher ein Grund dafür, an den bis- gemacht hat, dass sie kein Interesse an einem Untersu- herigen Vertragspartnern festzuhalten, als ihnen sofort chungsausschuss hat. zu kündigen. Letzteres wäre ein Schnellschuss. (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das sollte mich Ich möchte den Einzelplan 12 auch in Verbindung mit aber nicht hindern, einen zu beantragen!) der großen Aufgabe Aufbau Ost bringen. Mit dem Natürlich machen wir uns Sorgen über die Mautaus- Einzelplan 12 werden wichtige finanzielle Akzente auf fälle und deren Auswirkung auf unseren Haushalt und entscheidenden Politikfeldern gesetzt. Heute fand in insbesondere auf die Verkehrsinvestitionen. Ich nehme Berlin ein Kongress zum Austausch von Erfahrungen deshalb Bezug auf die angebliche Streichliste. Niemand mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ statt. Die Woh- (B) kann heute eine belastbare Liste vorlegen oder konkrete nungswirtschaft hat dort die Botschaft formuliert: Stadt- (D) Projekte benennen, und zwar auch deshalb nicht, weil umbau Ost ist Aufbau Ost. Allen ist sicherlich klar, dass wegen Ihrer destruktiven Haltung im Vermittlungsaus- das nicht der einzige Aspekt ist. Aber es wurde deutlich schuss noch nicht abschätzbar ist, welche Probleme auf gemacht, dass der Aufbau Ost scheitert, wenn der Stadt- den Einzelplan 12 tatsächlich zukommen. Hier sind auch umbau Ost nicht gelingt. Angesichts der Wichtigkeit die- Sie in der Verantwortung. ses Themas frage ich mich, warum die Wohnungspoliti- ker der CDU/CSU-Fraktion an diesem Kongress nicht (Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig teilgenommen haben. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Eine Forderung von Herrn Günther geht ebenfalls ins Ich sehe diese Liste als Mahnung an den Vermitt- Leere. Auf dem Kongress hat nämlich die Wohnungs- lungsausschuss, die Länder und an Sie, die Sie die Mehr- wirtschaft gefordert, die Jahresquote für die Mittel, die heit im Bundesrat haben. der Bund für das Abrissprogramm zu Verfügung stellt, (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ signifikant zu erhöhen. Diese Forderung wird erfüllt, ge- DIE GRÜNEN]: Und auch an den Finanz- nauso wie die nach Finanzierung gemäß Altschulden- minister!) hilfe-Gesetz. Wir, das Parlament, sind heute Morgen von den Vertretern der Wohnungswirtschaft ausdrücklich da- – Richtig, auch an den Finanzminister. – Denn wegen für gelobt worden, dass wir den Haushaltsansatz – des- der großen Bedeutung, die die Investitionsausgaben un- sen Verdoppelung wurde schon in diesem Jahr erreicht – seres Etats für den Gesamthaushalt haben, muss über ei- so erhöht haben, dass zusätzlich 315 Millionen Euro zur nen fiskalischen Ausgleich möglicher gravierender Aus- Verfügung gestellt werden können. fälle nachgedacht werden. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, den bislang niemand angesprochen hat. Nun schaue ich wieder in Ihre Richtung. Jetzt trägt Wir unterstützen ausdrücklich Bundesminister Stolpe bei der Bundesrat – Sie haben dort eine Mehrheit – eine seinen Verhandlungen mit Toll Collect über Schadener- große Verantwortung. satzzahlungen. Diese würden natürlich als Kompensa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tion der Mautausfälle zur Verfügung stehen. DIE GRÜNEN) Wir müssen uns aber auch Gedanken über neue Fi- Der Haushaltsansatz kann nur umgesetzt werden, wenn nanzierungsformen machen, um unsere Spielräume zu Sie über Einsparungen, zum Beispiel bei der Eigenheim- erweitern. zulage, nicht nur schwadronieren, sondern auch dafür (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Zum Beispiel?) sorgen, dass Butter bei die Fische kommt und Nägel mit Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6969

Reinhard Weis (Stendal) (A) Köpfen gemacht werden. Nur so können die Erwartun- Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): (C) gen der ostdeutschen Wohnungswirtschaft erfüllt wer- Vielen Dank, Herr Präsident! – Lieber Kollege den. Reinhard Weis, ich bin auf das Thema Untersuchungs- ausschuss angesprochen worden. Ich habe das in der Im Zusammenhang mit dem Stadtumbau Ost und mit Zeitung selbstverständlich nicht angekündigt, ohne die dem Städtebau allgemein begrüße ich ganz ausdrücklich, Rückendeckung des Vorstandes der FDP-Fraktion zu ha- dass eine Möglichkeit geschaffen wird, das Instrumenta- ben. Da ich die Regeln dieses Hauses kenne, weiß ich al- rium, mit dem bei der Sanierung der ostdeutschen lerdings, dass wir nicht über die nötige Stimmenzahl Braunkohlereviere positive Erfahrungen gemacht wur- verfügen, um die Einsetzung eines Untersuchungsaus- den – mit Arbeitsförderungsmitteln wurden wichtige schusses durchsetzen zu können. strukturverbessernde Maßnahmen realisiert –, auch im Städtebaubereich anzuwenden. Es ist eine zusätzliche (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Möglichkeit, Mittel aus der Arbeitsförderung zielgerich- DIE GRÜNEN]: Knapp unter 18!) tet einzusetzen. Ich muss also darauf hoffen, dass die Union irgend- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wann einmal zu der Überzeugung kommt, dass es wegen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der großen Probleme richtig ist, sich uns anzuschließen. Diesbezüglich bin ich relativ zuversichtlich: Mit jedem Dieses Instrumentarium spielt bei der Beseitigung der Tag, den der Herrgott werden lässt, werden die Probleme Defizite auf dem Arbeitsmarkt in den neuen Bundeslän- um die Maut größer und das Desaster schlimmer. dern eine ganz wichtige Rolle. (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und Ich komme auf die Leerstandsproblematik zu spre- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der heutigen Opposition, eine wichtige Ursache dieser ausufernden Aus diesem Grund bin ich relativ zuversichtlich, dass Problematik stammt aus der Zeit, in der Sie Regierungs- wir uns zu gegebener Zeit wieder mit diesem Thema verantwortung trugen: Viel zu lange haben Sie an der un- auseinander setzen werden. Die Kollegin Hustedt meint, sinnigen Förderung des Geschosswohnungsbaus festge- sie müsse meine Äußerungen etwas ins Lächerliche halten und im Osten auf Halde bauen lassen. Das war ziehen; aber auch bei den Liberalen ist immer noch ein nicht nur eine Verschwendung von Steuermitteln, son- bisschen Christlichkeit vorhanden. Ich habe mich also dern führte auch zu einer Verschärfung der Leerstands- aus gutem Grund so geäußert. problematik, die wir heute mit großem Aufwand be- Danke sehr. kämpfen müssen. (Beifall bei der FDP) (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich möchte nun einige Gedanken zum Wohnraum- Ich erteile dem Kollegen Weis das Wort zur Erwide- modernisierungsprogramm für Kommunen in struk- rung. turschwachen Regionen – es umfasst zinsverbilligte Kre- dite – äußern. Ich erinnere mich, dass große Skepsis Reinhard Weis (Stendal) (SPD): herrschte, als dieses Programm auf den Weg gebracht In Kenntnis der Begleitumstände, die es euch nicht er- wurde. Man war sich nicht sicher, ob die Mittel abgeru- möglichen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, fen werden können. Ihr Beitrag beschränkte sich auf bin ich der Meinung, dass die Meldung nur eine vorder- Schwarzmalerei und die Formulierung von Bedenken. gründige Effekthascherei war, um eine Pressemitteilung Das Programm war aber so attraktiv, dass die Mittel in veröffentlichen zu können. Höhe von 1 Milliarde Euro inzwischen abgerufen wor- den sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die ostdeutsche Landesgruppe unserer Fraktion hat sich deshalb mit der Bitte, die Mittel aufzustocken, an den Minister gewandt, um den Kommunen verstärkt zu Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: helfen. Ich freue mich, dass Minister Stolpe uns mittei- Nun hat der Kollege Klaus Minkel, CDU/CSU-Frak- len konnte, dass tatsächlich zusätzlich 1 Milliarde Euro tion, das Wort. bei der KfW zum Abruf bereit steht. Ich denke, damit (Beifall bei der CDU/CSU) setzen wir ein richtiges Signal, auch um den Aufbau Ost voranzubringen. Klaus Minkel (CDU/CSU): Danke. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ehrlicher Haushalt vom Bundesfinanzminister wäre eine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Rarität wie das Wunder von Bern oder die Auferstehung DIE GRÜNEN) des Lazarus.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Der Kollege Horst Friedrich erhält das Wort zu einer Wir alle wissen, dass dieser Haushalt grottenschlecht ist. Kurzintervention. Wenn der Gesamthaushalt so schlecht ist, dann kann 6970 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Klaus Minkel (A) auch der Ressortminister nicht mit seinem Haushalt Zahnarztprämie schlechtredet. Millionen Familien in (C) glänzen, vor allem dann nicht, wenn auch noch hausge- diesem Land haben die Eigenheimförderung erhalten. machte Fehler hinzukommen. (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ Das Volumen des Wohnungshaushalts ist im nächsten DIE GRÜNEN]: Aber jetzt doch nicht mehr! Jahr erstmals seit langem wieder rückläufig. Das hängt Jetzt reicht es! Es reicht mit neuem Wohn- damit zusammen, dass die Mittel für das Wohngeld auf- raum!) grund der Hartz-Gesetze aus dem Wohnungshaushalt he- rausgenommen werden. So viele Zahnärzte gibt es in diesem Land nicht. Es gibt weitere Millionen Familien, die noch in den Genuss der Für die Unionsfraktionen ist es sehr erfreulich, dass die Eigenheimförderung kommen wollen. Mittel für die Altschuldenhilfe von 45 Millionen Euro auf 143 Millionen Euro aufgestockt werden. Ein weiterer schwerwiegender Eingriff, dessen Be- deutung Sie wahrscheinlich überhaupt nicht verstanden (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Ohne Ihren haben, ist die vollständige Abschaffung der Bauspar- Antrag!) prämie. Sie treffen damit nicht 33 Millionäre, sondern Das haben wir an dieser Stelle schon vor einem Jahr ge- ein Kollektiv von 33 Millionen Bausparern. fordert. Es hat also ein Jahr gedauert, bis auch Sie end- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich so weit waren. Auch wenn wir uns über dieses Er- gebnis freuen, können wir dem Finanzierungsweg nicht Es gehört zum Bausparprinzip, dass ständig neue Mit- in vollem Umfang zustimmen. Sie brauchten dazu näm- tel nachfließen müssen, damit die Verträge auch einmal lich einen Notabort, eine Notabtreibung: Sie haben das zugeteilt werden können, damit unsere Bürger auch ein- Programm „Wohnen in städtischen Quartieren“ mit ei- mal bauen können. Wenn dieser Zufluss gestört wird, nem Umfang von 43 Millionen Euro eingestampft, be- weil Sie die Eigenheimförderung abschaffen, weil Sie die vor es das Licht der Welt erblicken konnte. Bausparprämie abschaffen, dann werden die Bausparer auf die Zuteilung warten müssen, bis sie schwarz wer- Die Mittel für die Städtebauförderung steigen von den, und dann wird das ganze System, das ein Drittel al- 374 Millionen Euro auf 522 Millionen Euro. Das sieht ler privaten Baufinanzierungen trägt, zusammenbrechen. besser aus, als es ist. 77 Millionen Euro dieser Aufsto- Ich frage mich, ob die Kürzung um 500 Millionen Euro ckung stammen aus der Eingliederung des Programms überhaupt in einem vernünftigen Verhältnis zu dem „Soziale Stadt“. Schaden steht, den Sie für unsere Wirtschaft anrichten Sehr betrüblich ist der starke Rückgang der Mittel für werden. die soziale Wohnraumförderung. Statt 595 Millio- (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der (D) nen Euro sind es nur noch 450,8 Millionen Euro. FDP – Eduard Oswald [CDU/CSU]: Eine sehr Die Mittel für das Neubauprogramm 2004 belaufen gute Argumentation!) sich auf 230Millionen Euro statt zuvor 280 Millio- Ein weiterer Punkt: nen Euro. Das ist die Mindestförderung. Das zeigt mehr als viele Worte, dass diese Bundesregierung mit der sozia- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sprachlosigkeit len Wohnraumförderung nichts mehr am Hut hat. auf der linken Seite!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie tun hier so, als ob Sie die Protagonisten der Innen- Man könnte damit leben, wenn die eigentlichen stadtsanierung wären. Aber wenn es um Taten geht, Schlechtigkeiten nicht außerhalb des Wohnungshaus- dann verhalten Sie sich ganz anders. Sie wollen nämlich halts stattfänden. Der Fachminister, Minister Stolpe, hat die Möglichkeit, Sanierungsaufwendungen von der es entweder nicht vermocht oder nicht gewollt, diesen Steuer abzusetzen, verschlechtern. Auch das ist in der Eingriffen entgegenzutreten. Das zeigt, dass erstmals in Paketlösung Ihres Steueränderungsgesetzes vorgesehen. der Nachkriegsgeschichte die Bauwirtschaft wie auch (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ die Bauhandwerker und die Bauarbeiter in der Regie- DIE GRÜNEN]: Das ist ein Vorschlag von rung keinen Fürsprecher mehr haben. Koch und Steinbrück!) (Beifall des Abg. Michael Kretschmer [CDU/ Es ist vor allem auf den Widerstand von Union und FDP CSU]) zurückzuführen, dass der Finanzminister an dieser Stelle Der schwerwiegendste Eingriff ist die gänzliche Strei- inzwischen zurückrudert. chung der Eigenheimzulage. Die Eigenheimzulage ist Ein weiterer Punkt: Sie wärmen die unselige Begren- unverzichtbar, solange die Belastung der Arbeitnehmer- zung der Verlustabzugsmöglichkeiten für die Bauwirt- löhne in diesem Land so hoch ist, wie sie ist. schaft wieder auf. Die Bauwirtschaft wäre davon wegen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ihrer Spezialität, in Form von Arbeitsgemeinschaften Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ oder Projektgesellschaften zu agieren, besonders betrof- DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Was hat das fen. Sie wollen also wieder zur Substanzbesteuerung damit zu tun?) zurück, die nicht nur ich als unsittlich empfinde. Es ist eine grobe Verfälschung der Tatsachen, wenn die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das mit Kollegin Eichstädt-Bohlig die Eigenheimförderung als der Bibel war auch schon so eine Sache!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6971

Klaus Minkel (A) Wenn Sie mit dem Wort Substanzbesteuerung nichts an- Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver- (C) fangen können, dann sei es Ihnen an einem Beispiel ver- kehr, Bau- und Wohnungswesen: deutlicht: Sie wollen die willige Kuh nicht nur melken, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sondern ihr anschließend auch noch das Euter abschnei- Herren! Herr Abgeordneter Minkel, ich stimme Ihnen den. voll und ganz zu, dass man sich in der derzeitigen Situa- tion schon richtig Sorgen um die Bauwirtschaft machen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – muss. Die Bauwirtschaft ist mir ein Anliegen; sie be- Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist ja bru- scheinigt mir seit Monaten, dass wir uns ernsthaft um die tal! Tierquälerei! – Albert Schmidt [Ingol- Beseitigung ihrer Probleme kümmern. Wir haben zum stadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unap- Beispiel mehrere wichtige Veranstaltungen zum Ausbau petitlich! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] von Public Private Partnership durchgeführt. Dafür ha- [SPD]: Sie können ja alles mit uns machen, ben wir breite Zustimmung erfahren. Wir werden Mo- aber Tierquälerei können Sie uns nicht unter- dellvorhaben in diesem Bereich auf den Weg bringen. stellen!) Das wird die Bauwirtschaft beleben. – Ich hoffe, dass durch die Unruhe nicht meine Redezeit Heute haben wir einen, wie ich glaube, sehr wichtigen verkürzt wird. Kongress durchgeführt, in dem wir Erfahrungen mit dem Programm „Stadtumbau Ost“ ausgetauscht haben. (Zuruf von der SPD: Natürlich!) Dabei haben wir festgestellt, dass unser Programm greift Die Union ist bereit, die Eigenheimzulage angemes- und es durchaus Sinn macht, dieses Modellprogramm sen zu kürzen, wenn auch an anderen Stellen gekürzt auf Städte im Westen und im Süden Deutschlands, wo wird. Wir sind auch zu einer Reform und Schärfung die- vergleichbare Probleme zum Beispiel in Form von Woh- ses Förderinstruments bereit. Unsere Vorschläge sind nungsleerständen durch Abbau von Industrie, Verlust beim Vermittlungsausschuss hinterlegt. von Arbeitsplätzen und Abwanderung herrschen, auszu- dehnen. Wir wollen das weiterführen. (Zurufe von der SPD: Hinterlegt? – Wilhelm Wir wollen uns allerdings auch bemühen, durch eine Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das nützt uns nur Umgestaltung der jetzigen Eigenheimzulage zu einer nichts!) Wohneigentumszulage die Möglichkeiten zu erschlie- Bei der Abschaffung der Zulage, wie Sie es wollen, han- ßen, die wir noch brauchen. delt es sich jedoch um keine Reform, sondern um das (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Gegenteil. Das möchte ich einmal festhalten. Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]) (D) (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es!) Ich bin – wie Sie – der Meinung, dass wir die bestehende Wir sind der Auffassung, dass die Eigenheimzulage Eigenheimzulage nicht restlos wegfegen sollten. und die Bausparförderung in der heutigen Zeit nötiger denn je sind; (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist doch von uns gekommen! Sie wollten strei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) chen!) denn ab dem 1. Januar 2004 wird Basel II probeweise – Ja, ich höre Ihnen ja auch immer brav zu; das haben angewendet. Das hat zur Folge, dass die Baufinanzie- Sie im Verlaufe des letzten Jahres gemerkt. rung für die Reichen leichter wird, aber Ärmere künftig Wir wollen, dass die Zulage effizienter wird, wir wol- mehr zahlen müssen. Wenn die Ärmeren schon bei den len sie zu einer Wohneigentumszulage erweitern, die freien Krediten mehr zahlen müssen, dann dürfen Sie ih- auch für den Wohnungsbestand gilt. Wir wollen Mög- nen nicht noch weitere Finanzierungssäulen wie die Ei- lichkeiten erschließen, durch den Städtebau – nach Be- genheimzulage und die Bausparförderung wegschlagen. darf und nach Notwendigkeiten, gerade auch in struktur- Im Ergebnis führte Ihre verfehlte Politik dazu, dass sich schwachen Regionen – Städte gesund zu machen. in diesem Lande künftig nur noch Reiche ein Eigenheim leisten können, aber nicht mehr Ärmere. Das ist mit der Wir haben viele strukturschwache Regionen im Os- Union nicht zu machen. ten Deutschlands, aber längst nicht nur im Osten. Auch für die anderen strukturschwachen Regionen wollen wir Vielen Dank. Verantwortung tragen. Über Fördermöglichkeiten kann nicht allein nach der Himmelsrichtung entschieden wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – den. Maßgeblich sein muss der Bedarf; das ist meine Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha- feste Überzeugung. ben überhaupt nichts verstanden!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und Hier ist schon angesprochen worden, was wir in die- Wohnungswesen, Manfred Stolpe, das Wort. sem Zusammenhang neu angedacht haben, nämlich dass wir bei der Altschuldenhilfe noch einiges tun wollen. Ich (Beifall bei der SPD) hoffe, dass wir bei den bevorstehenden diesbezüglichen 6972 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zu Lösungen Möglichkeiten des Schienenverkehrs zu verbessern. Ich (C) kommen werden, die der Breite der Aufgaben durchaus sehe hierin auch für uns eine ganz entscheidende He- auch im Interesse der Bauwirtschaft gerecht werden. Ich rausforderung. will an dieser Stelle meine Erwartung zum Ausdruck Der Ihnen jetzt vorliegende Haushalt wird uns die bringen, dass gerade die Fachleute, die sich im Bereich Möglichkeit geben, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir wer- von Bau, Wohnen und Verkehr seit Jahren engagieren, im den in der Lage sein, die vorgesehene globale Minder- Hinblick auf die Verhandlungen, die im Vermittlungsaus- ausgabe in Höhe von 244 Millionen Euro, die sehr weh- schuss stattfinden werden, ein Wörtchen mitreden wer- tut, so zu erwirtschaften, dass wir keine Eingriffe in den. Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen vornehmen müssen. Natürlich haben wir auch darüber nachgedacht, was Natürlich – Sie alle haben es hier laut gesagt – ist zusätzlich aktiviert werden kann. Sie wissen, dass wir „Held der Maut“ ein Titel, den man sehr gern hört, aber Ende April dieses Jahres Kreditprogramme im Umfang ich sage Ihnen: Abgerechnet wird zum Schluss. von 15 Milliarden Euro aufgelegt haben. Wir mussten den Haushalt dafür kaum belasten, sondern konnten die (Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] Mittel über die KfW erschließen. Diese Mittel werden in [FDP]: Der Ball ist rund und wer kein Tor zu- erheblichem Maße abgerufen: Gerade der Kreditrahmen lässt, kann nicht hoch verlieren!) mit den günstigsten Bedingungen im Umfang von 1 Milliarde Euro, der für die Kommunen in struktur- Die Verschiebung der Einführung der Maut ist ein Pro- schwachen Regionen – wiederum quer durch Deutsch- blem. Es birgt ohne Zweifel Haushaltsrisiken in sich, land – gedacht ist, ist bereits völlig ausgeschöpft. aber diese Haushaltsrisiken – das ist meine feste Über- zeugung – dürfen nicht zulasten von Verkehrsinfrastruk- Es gab deshalb Anstöße, hier noch etwas draufzule- tur gehen. Natürlich macht man sich quer durchs Land gen. Sie haben vielleicht gemerkt, dass auch der Abge- Sorgen, wie Sie unter Hinweis auf Papiere, die erstellt ordnete Siegfried Scheffler eine entsprechende Initiative worden sind, heute hier artikuliert haben. ergriffen hat. Wir haben mit dem Finanzminister kurz- fristig aushandeln können – Sie könnten ruhig einmal (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Jetzt müssen fröhlich gucken, Herr Staatssekretär –, dass eine weitere Sie nur noch sagen, wie das Ganze geht!) Milliarde dazukommt, die ab sofort für Kommunen in Das Problem geistert seit Wochen im Lande herum. Je- solchen Regionen zur Verfügung steht und sicher schnell der sieht die Mautausfälle, befürchtet, dass das Geld abgerufen werden wird. vielleicht irgendwo im Haushalt fehlt, und fragt sich, Wir wollen, dass die Möglichkeiten für die Sanierung was man da machen kann. Hier sind Angstlisten zusam- mengestellt worden. Man ist besorgt und fragt sich, was (B) von Städten, für die Verbesserung von Wohnwert, aber (D) auch – ich sage das aus ehrlichem Herzen, Herr Minkel – passieren könnte, wenn der Super-GAU eintritt. Diesen als Hilfen für die Bauwirtschaft, die diese wirklich Super-GAU können wir allerdings alle gemeinsam ver- braucht, genutzt werden. hindern, davon bin ich fest überzeugt. Es darf nicht dazu kommen, dass entsprechende Regelungen Platz greifen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ müssen. DIE GRÜNEN) Ich habe jedenfalls die feste Absicht, alles mir Mögliche Wir haben uns darüber hinaus verständigen können zu tun – dafür brauche ich natürlich viele Verbündete –, um – auch mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und die geplanten Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen zu reali- Arbeit –, dass wir das im Sozialgesetzbuch vorgesehene sieren. Das Land braucht sie. Versäumnisse bei der Ver- arbeitsmarktpolitische Instrument der Beschäftigung bei kehrsinfrastruktur schaden der Wirtschaft und sie scha- Infrastrukturmaßnahmen im Bereich der städtischen den damit uns allen. Das will ich hier noch einmal Infrastruktur nutzen können. Das ist ein Instrument, das deutlich sagen. sich bereits über Jahre bei der Sanierung der Braunkoh- legebiete bewährt hat; und hier insbesondere bei der Sa- (Beifall bei der SPD – Eduard Oswald [CDU/ nierung der Braunkohlegebiete in Sachsen, Brandenburg CSU]: Schade, dass Herr Eichel das nicht und Sachsen-Anhalt. Wir haben jetzt die Möglichkeit, hört!) dieses Instrument auch zu nutzen, um in strukturschwa- Insofern betrachte ich den zurzeit im Einzelplan 12 chen Regionen Arbeit zu schaffen; das wird zusammen vorgehaltenen Sperrvermerk tatsächlich als einen Erin- mit der Bauwirtschaft möglich sein. Wir haben zu dieser nerungsposten, Idee Zustimmung von der Bauwirtschaft erfahren, der dadurch weitere Aufträge, aber auch die Sicherung und (Lachen des Abg. Horst Friedrich Schaffung von Arbeitsplätzen ermöglicht werden. Wir [Bayreuth] [FDP]) wollen solche Möglichkeiten erschließen. als eine Mahnung, dass wir hier etwas tun müssen und (Beifall bei der SPD) dass wir, wenn wir eine vertretbare Verkehrspolitik in Deutschland betreiben wollen, in jedem Fall und um je- Natürlich ist – das ist in dieser Aussprache sehr deut- den Preis Einbrüche bei unverzichtbaren Maßnahmen im lich geworden – der größte Posten im Einzelplan 12 der Bereich der Verkehrsinfrastruktur verhindern müssen. Verkehrsbereich; durchaus mit Recht: Daran hängt die Mobilität, daran hängt die wirtschaftliche Entwicklung (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Was muss unseres Landes. Wir müssen alles daransetzen, Überlas- eigentlich noch passieren, damit Sie endlich tungen im Bereich des Straßenverkehrs abzubauen und aufwachen, Herr Minister?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6973

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) Dass wir in dem Zusammenhang nicht nur die Ängste jetzt auf dem Tisch liegen, umgesetzt werden. Zum ei- (C) zusammentragen und diese nach dem Motto: „Ruhig nem müssen wir die Unternehmen anhalten, einen be- bleiben, hier darf es keine Debatte geben“ unterdrücken, lastbaren Zeitplan vorzulegen. Zum anderen muss es sondern durchaus auch einmal einen Super-GAU illus- eine Ausgleichsregelung auch für die Monate geben, in trieren, liegt auf der Hand. Genauso müssen wir uns na- denen uns der Betreiber keine Mauteinnahmen abliefert. türlich auch darüber Gedanken machen, wie wir trotz der angespannten Finanzsituation die Erfüllung der Aufga- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ben sicherstellen können. Herr Minister, darf Ihnen der Kollege Kretschmer Ich will es hier noch einmal sagen: Von der Versteti- eine Zwischenfrage stellen? gung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen auf einen Betrag zwischen 10 und 11 Milliarden Euro jährlich wird Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver- Entscheidendes abhängen. Gelingt diese Verstetigung kehr, Bau- und Wohnungswesen: nicht, wird ein wirtschaftlicher Rückgang die Strafe sein. Aber mit Vergnügen, Herr Kretschmer. Davon darf nicht abgewichen werden. Ich bitte Sie alle herzlich, dabei mitzuhelfen, dass wir wirklich durchhal- Michael Kretschmer (CDU/CSU): ten. Im Etat steht dieser Betrag jetzt und den können wir Herr Bundesminister, da in Ihrem Haus alles so wun- halten. Mit dem Sperrvermerk für die 244 Millionen Euro derbar läuft, sind Sie, wie wir vor einem Jahr erfahren ha- können wir umgehen und wir können diese Verkehrsin- ben, auch für Wirtschaft und Kultur zuständig. Sie wollen frastruktur sichern. ein Osteuropazentrum für Wirtschaft und Kultur (Beifall bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] gründen. Die Frau Staatssekretär Mertens hat uns am [CDU/CSU]: Das ist kein Sperrvermerk, das 12. Februar dieses Jahres mitgeteilt, dass dieses Projekt ist globale Minderausgabe! Der Sperrvermerk in Ihrem Haushalt ressortieren wird. Daraufhin gab es gilt für 1,06 Millionen Euro!) viele Bewerbungen beispielsweise aus Greifswald, Leip- zig, Berlin und Frankfurt/Oder. – Sie werden mich dann auch wieder zitieren können. Ich hoffe, zum Guten. Ich möchte Sie gerne fragen: Erstens. Wo ist der ent- sprechende Haushaltstitel? Zweitens. Was ist die Auf- Meine Damen und Herren, trotz der deutlichen Ver- gabe dieses Zentrums? Drittens. Welches Profil soll es zögerung stehen wir aber auch dazu, dass das mit Toll haben und wann wird es gegründet? Wir machen uns ge- Collect vereinbarte Mautsystem aufgebaut werden kann meinsam mit den Menschen, die viel Arbeit in dieses und auch aufgebaut werden sollte. Ich habe heute bei Projekt investieren, Sorgen, dass am Ende nicht viel he- sehr konstruktiven Gesprächen in Brüssel wieder her- (B) rauskommen wird. Können Sie uns etwas zu dem Stand (D) ausfinden können, dass die Satellitenortung, ein satelli- des Projektes sagen? tengestütztes Mauterfassungs- und -abrechnungssys- tem, wirklich als die zukunftsweisende Technik in Europa angesehen wird, als eine Möglichkeit, die in ei- Dr. h. c. Manfred Stolpe, Bundesminister für Ver- nigen Jahren dann auch mit „Galileo“ kombiniert wer- kehr, Bau- und Wohnungswesen: den kann. Aber gerne, Herr Abgeordneter. Es gibt eine klare Entscheidung der Bundesregierung, dass ein solches (Beifall des Abg. Reinhard Weis Zentrum eingerichtet werden soll. Wir haben, wie Sie [Stendal] [SPD]) schon dargestellt haben, eine Vielzahl von durchaus Wenn nun allerdings Toll Collect dieses System nicht ernst zu nehmenden Bewerbern aus ganz Deutschland. errichten kann, dann haften die Unternehmen – das ist Wir müssen eine Auswahl treffen. Im Moment gehen wir ganz eindeutig und unzweifelhaft – bis zur Höhe der ent- davon aus, dass etwa zwei bis drei Bewerber in die en- gangenen Mautgebühren. gere Auswahl kommen. Wir haben eine parteiübergrei- fende Gruppe gebildet, die sich die Bewerbungen an- (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Dann sollte schauen wird. Sobald es Klarheit gibt, werden wir man den Vertrag nicht kündigen!) darüber berichten. Zunächst wollen wir aber mit denen, von denen wir glauben, dass sie die Aufgabe gut erfüllen Der Aufbau des Systems dauert offenkundig erheblich können, in Gespräche eintreten, um herauszufinden, wie länger, als die Unternehmen im Vertrag zugesagt haben. das Projekt gestaltet werden kann und welchen Anteil Die Unternehmen haben sich übernommen, das ist deut- die Länder übernehmen können. Ich will kein Luft- lich. Sie sind im Vorfeld zu sehr unrealistischen Ein- schloss bauen. Ich bleibe aber an dem Vorhaben dran. schätzungen gekommen. Deshalb war es übrigens auch Sie können mich gerne daran erinnern. richtig, dass wir die Projektleitung beim Bundesamt für Güterverkehr und die Experten unseres Hauses für ein (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sehr kritisches Controlling eingesetzt haben. Dieses Vor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg gehen bewährte sich in den letzten Wochen. Ich habe das Brunnhuber [CDU/CSU]: Wo ist der Haus- Gefühl, dass man auf einem sehr vernünftigen Weg in haltstitel? – Gegenruf des Abg. Reinhard Weis Richtung eines weiteren Fortschritts ist. [Stendal] [SPD]: Der gehört nicht zu uns!) Ich werde keine Prognosen hinsichtlich der Termine Ich komme zurück zur Maut. Wir haben parallel zu abgeben. Ich werde mich aber ganz stark dafür einset- dem Verhandlungsprozess, in dem wir uns zurzeit befin- zen, dass die Maßnahmen zur Erreichung der Ziele, die den, natürlich auch die Alternativen zu prüfen: Was ist 6974 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Dr. h. c. Manfred Stolpe (A) zu tun, wenn das Projekt nicht vorankommt? Wir haben nach und nach wieder einigermaßen auf die Reihe brin- (C) dem Bundestag bereits über die Überlegungen zur Wie- gen wollen. Eine Sache sollten Sie uns aber erklären: dereinführung der Eurovignette berichtet. Es geht aber Wieso sollen wir Ihren Ankündigungen überhaupt glau- auch darum, Alternativen zum geplanten System und ben? den entsprechenden Partnerschaften zu entwickeln. Ich bleibe aber dabei, dass wir das Projekt mit Toll Collect (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – realisieren wollen, wenn sich Toll Collect in der Lage Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Weil ihr sieht, eine zeitnahe Lösung für das Mautsystem in Christen seid!) Deutschland zu erarbeiten. Sie haben in den letzten Monaten bei einer Fülle von Ich muss Ihnen sagen, dass uns das Thema Maut noch Dingen eine Lösung angekündigt und gesagt, dass Sie einige Zeit erhalten bleiben wird. Wir werden uns sicher auf einem guten Wege seien. Am Ende müssen wir im- noch einige Male darüber streiten. Ich verspreche Ihnen mer wieder feststellen: Nichts von dem ist wahr. aber, dass wir die Zahlen offen legen und dass wir nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Versteck spielen wollen. Wir haben schon gesagt, dass sich ganz erhebliche Probleme ergeben können, wenn all Mit dem Papier, auf das Sie Ihre Ankündigungen schrei- die Schwierigkeiten, die sich abzeichnen, auch wirklich ben, können Sie vielleicht im Winter Ihre nassen Stiefel eintreten würden. Wir werden die Probleme entschlossen ausstopfen; aber mehr können Sie damit nicht anfangen. angehen. So werden wir die Maut voranbringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir brauchen die Maut. Europa schaut auf uns. Nun zum Thema Wohnungswirtschaft. Das soll kein (Lachen bei der CDU/CSU) zusätzlicher Kritikpunkt, sondern nur ein Beispiel dafür sein, wie Sie mit den Dingen, die Ihnen aufgetragen wor- Unsere Erwartungen mit Blick auf die deutsche Industrie den sind, in Wirklichkeit umgehen. Über die Krise in der sind sehr groß. Wohnungswirtschaft sprechen wir seit mindestens einem (Lachen des Abg. Horst Friedrich Jahr. Wir haben Vorschläge dazu gemacht, wie man die- [Bayreuth] [FDP]) ser Krise beikommen kann. – Lachen Sie, wenn Sie mit Vertretern der Firmen zu- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Wie denn?) sammentreffen. Wir haben zum Beispiel vor einiger Zeit den Vor- (Beifall bei der SPD – Horst Friedrich [Bayreuth] schlag gemacht, bei Fusionen von Wohnungsbaugesell- (B) [FDP]: Dann lachen wir auch!) schaften eine befristete Grunderwerbsteuerbefreiung (D) auszusprechen. Die Firmen brauchen den Druck von der politischen Ebene. Ich glaube aber, dass wir das Mautsystem auf die (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie Reihe bekommen werden. wollen Sie das finanzieren?) Wir haben in der Verkehrspolitik eine genauso große – Herr Schmidt, Sie haben gerade gefragt, wie wir das fi- Verantwortung wie für die Erhaltung der Städte. Nicht nanzieren wollen. Ich will Ihnen Folgendes erklären: Die zuletzt haben wir auch eine Verantwortung für die struk- Mindereinnahme, die durch diese befristete Steuerbefrei- turschwachen Regionen, insbesondere in Ostdeutsch- ung entstehen würde, ist fiktiv, weil gerade deswegen, land. Ich werde das mir Mögliche in diesem Feld mit Be- weil diese Steuerpflicht besteht, keine Fusionen stattfin- harrlichkeit und langem Atem tun. Ich sage es noch den. einmal: Abgerechnet wird später und nicht mitten im Getöse. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schönen Dank. Aus diesem Grunde beantragen alle fünf ostdeutschen Länder eine solche Grunderwerbsteuerbefreiung. Das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wären die Nutznießer; denn dies ist eine Ländersteuer. DIE GRÜNEN) Sie haben sich diesem Thema aber erst dann genähert, als der Druck so stark war, dass Sie nicht mehr anders Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: handeln konnten. Wir brauchen kein Ministerium Stolpe, Das Wort hat nun der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ das zu Weihnachten begreift, was man ihm Allerheiligen CSU-Fraktion. gesagt hat, und das dann am Ende doch noch das Falsche tut. (Beifall bei der CDU/CSU) (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Von Allerheili- gen bis Weihnachten ist nicht viel Zeit!) Arnold Vaatz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ein nächster Punkt in diesem Zusammenhang. Herr Herren! Herr Minister Stolpe, Sie haben uns jetzt ange- Weis, Sie haben gesagt, Sie hätten mit den 315 Millionen kündigt, wie Sie eine Vielzahl der Dinge, die hier kriti- Euro, die immer im Haushalt – auch im letzten – gestan- siert worden sind, den haben (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sie nörgeln!) (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Nein!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6975

Arnold Vaatz (A) – natürlich –, das Altschuldenproblem gelöst. Das zeigt, krumme, rostige Nägel gerade geklopft hat. An diese (C) dass Sie nichts verstanden haben. Haltung erinnert mich die Haltung unseres Ministers für Ostdeutschland. Das Problem ist folgendes: Sie müssen die Wohnungs- unternehmen von ihren Altschulden entlasten, weil Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sonst keine Marktbereinigung erreichen werden; das ist die der FDP – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/ Tatsache. Dazu müssen Sie das Altschuldenhilfe-Gesetz CSU]: Ein sehr guter Vergleich!) novellieren und diese Gelder in den Erblastentilgungsfonds Das wird im Übrigen aus Ihren eigenen Reihen bestätigt. einstellen. Das haben Sie bisher aber nicht getan. Deshalb Herr Hilsberg hat deutlich gesagt: Dieser Mann verwal- ist das, was Sie da tun, wieder nur Stückwerk. Dies wird die tet den Status quo. Von Herrn Stolpe sind tatsächlich null Wohnungsbaukrise in Ostdeutschland nicht beenden. Ideen gekommen. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, stehen wir vor einer In- solvenzwelle, die eine veritable Bankenkrise nach sich Das wirft natürlich die Frage auf: Wo ist denn die ziehen kann. Qualifikation dieses Ministers für sein Amt? Nun will ich nicht mit Rücktrittsforderungen kommen, aber ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – will Ihnen sagen: Mittlerweile häuft Herr Stolpe eine Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜND- Erblast für einen eventuellen Nachfolger auf, die jedem NIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer vernünftigen Menschen den Mut nehmen könnte, ein Zwischenfrage) solches Erbe jemals anzutreten. – Später. Ich möchte meine Ausführungen zu diesem (Dr. Peter Danckert [SPD]: Können Sie einmal Thema zunächst fortsetzen. etwas Konkretes sagen?) Ich frage mich manchmal, ob es sich überhaupt lohnt, Deshalb fordere ich Sie auf: Ändern Sie prinzipiell ihre die Fehlleistungen Ihres Ministeriums und Ihre persönli- Haltung zu den Problemen in Ostdeutschland. Rufen Sie chen Fehlleistungen, Herr Minister Stolpe, zu kritisieren. den Ausschuss für Aufbau Ost wieder ins Leben! Denn am meisten Angst macht mir die provozierende Fröhlichkeit, mit der Sie Dinge quittieren, die dieses (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Den hatten Land, wenn sie sich fortsetzen, in den Ruin treiben wer- wir gar nicht!) den. Sorgen Sie dafür, dass sich jemand um diese Angelegen- (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber Weiner- heit kümmert! Das Ministerium selbst ist dazu nicht in lichkeit bringt einen auch nicht weiter!) der Lage. Ihr Kollege Meckel hat das selbst vorgeschla- gen. Dies ist eine Angelegenheit, die mich zutiefst entmutigt. (B) (D) Viele sehen bei Ihnen einen Mangel an Fähigkeit zur Vielen Dank. Selbstkritik, einen Mangel an kritischem Verhalten ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- genüber den eigenen Fehlleistungen. Wenn die Leute in neten der FDP) Ostdeutschland ausdrücken wollen: „Das ist mir egal“ bzw. „Das ist mir gleichgültig“, dann sagen sie neuer- dings: Das ist mir „stolpe“. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Eichstädt-Bohlig das Wort. CDU/CSU) Sie meinen damit, dass dem Minister sein Aufgabenbe- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE reich relativ gleichgültig ist. GRÜNEN): (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Be- Herr Kollege Vaatz, ich bin doch etwas irritiert, dass scheuert ist das! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Sie offenbar nicht ganz auf der Höhe der Zeit sind. Das ist ja töricht! Sie kommen doch überhaupt (Beifall bei der SPD) nicht rum im Land! Sie haben überhaupt keine Ahnung!) Erstens zum Thema Grunderwerbsteuerbefreiung. Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist dem Parlament – Ich habe lediglich etwas wiedergegeben, was mir des von der Regierung zugeleitet worden, und zwar mit der Öfteren begegnet ist. Aufgabe, ein entsprechendes Gesetz mit Blick auf das Beihilferecht europatauglich zu machen. Das ist zurzeit (Widerspruch bei der SPD) in Arbeit; von daher gibt es da überhaupt keinen Dis- Diese Gleichgültigkeit und diese Selbstgenügsamkeit sens. Das muss aber erst konkret geklärt werden, weil beim Verharren in unnützem Tun ist das, was ich an Ih- wir über das Thema nicht erst endlos in Brüssel diskutie- nen kritisiere. ren wollen; denn es geht ja um eine befristete Grunder- werbsteuerbefreiung. Dabei sind auch der Ost-West- Ich will dazu einmal ein einfaches Beispiel nennen. Ausgleich, die Gewerbewohnungswirtschaft und so wei- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Das wird nicht so ter zu berücksichtigen. einfach sein!) Zweitens zum Thema Altschuldenhilfe. Wir haben Ich hatte früher einmal einen älteren Nachbarn, der jahr- mit dem § 6 a seit längerer Zeit die Regelung, die wir aus, jahrein seine Zeit damit zugebracht hat, dass er alte, brauchen, um der ostdeutschen Wohnungswirtschaft bei 6976 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Franziska Eichstädt-Bohlig (A) leer stehenden Wohnungen zu helfen. Der Erblastentil- Wohnungsunternehmen sind mit der gegenwärtigen Lö- (C) gungsfonds wird, seit Rot-Grün an der Regierung ist, sung noch keinesfalls zufrieden – Herr Weis hat das hier nicht mehr als Schattenhaushalt geführt, sondern ist in anders dargestellt – und haben das auch zum Ausdruck den allgemeinen Haushalt integriert. Für die Altschul- gebracht. Das müssen wir ernst nehmen. Anderenfalls denhilfe hatten wir im Regierungsentwurf bereits begeben wir uns in die Gefahr, dass eine Insolvenzwelle 95 Millionen Euro an Barmitteln vorgesehen, haben un- auf uns zukommt, die Ostdeutschland überrollt. sererseits noch 48 Millionen Euro draufgesattelt und ha- ben 266 Millionen Euro an Verpflichtungsermächtigun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen vorgesehen. Das ist unabhängig von dem Geld, das neten der FDP) im Bereich Altschuldenhilfe bisher abgeflossen ist. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Allerdings – auch das haben sachkundige Kollegen Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege sowohl von der Opposition als auch von der Koalition Werner Kuhn für die CDU/CSU-Fraktion. hier dargelegt – hängt dieser Aufwuchs bei der Altschul- denhilfe davon ab, wie es mit der Eigenheimzulage wei- (Beifall bei der CDU/CSU – Eduard Oswald tergeht; denn bei uns pflegt man Geld nicht einfach im [CDU/CSU]: Jetzt geht’s los!) Keller schwarz zu drucken, sondern man muss es erwirt- schaften und durch Ausgabenkürzungen an anderer Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU): Stelle gegenfinanzieren. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Vielen Dank. Herren! Die Zielbestimmung dieses Einzelplans mit sei- ner finanziellen Veranlagung für die Bereiche Verkehr, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bau- und Wohnungswesen liegt in ureigener Weise im und bei der SPD) Umbau der ost- und mitteldeutschen Länder. Ich denke, es ist von allen in diesem Hause unbestritten, dass die Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Menschen in der ehemaligen DDR, aber auch die Men- Zur Erwiderung, Herr Kollege Vaatz. schen in Westdeutschland mit der Wiedervereinigung eine Herausforderung angenommen haben, die ihresglei- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Der versteht das chen sucht. Wir aus diesem Fachausschuss, der sehr doch sowieso nicht!) technisch ausgerichtet ist, können das Thema „Aufbau Ost“ auch in dieser Haushaltsdebatte nur im Rahmen der Arnold Vaatz (CDU/CSU): gesamten Diskussion behandeln und nicht als eigenstän- Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, ich habe Ihnen nicht diges Thema. Das habe ich schon oft kritisiert. (B) vorgeworfen, dass Sie die Grunderwerbsteuerbefreiung (D) Wir reden darüber, was wir in den Jahren seit der nicht durchführen wollen. Vielmehr habe ich Ihnen vor- Wiedervereinigung geschafft haben, und das natürlich geworfen, dass Sie nicht agiert, sondern reagiert haben. auch dank der klugen Weichenstellung Ihrer Vorgänger- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist regierung unter der Führung von . Das falsch! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Seit muss immer aufs Neue wiederholt werden. Denn Sie wann fordern das denn überhaupt die Länder?) werfen uns nur den Schuldenberg vor, auf dem wir sit- zen. Sie haben eben nicht von sich aus die Initiative ergriffen. Es musste erst – das hat sehr viel Mühe gemacht – die (Eduard Oswald [CDU/CSU]: So ist es! Das Initiative der Länder her, bevor Sie überhaupt bereit wa- ist die Wahrheit!) ren, sich mit diesem Thema zu befassen. Darüber ist ein Was ist denn mit den Verkehrsprojekten „Deutsche Ein- Jahr vergangen. heit“, mit der Städtebausanierung und Investpauschalen (Beifall bei der CDU/CSU) für Krankenhäuser, Schulen und Altenheime? Das alles haben wir befördert, damit in Ostdeutschland auch die Der zweite Punkt ist, dass das per Bundesgesetz geän- weichen Standortfaktoren für den Wettbewerb vernünf- dert werden muss; das wissen Sie. tig sind. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!) DIE GRÜNEN]: Aber Sie wissen doch, dass das eine Ländersteuer ist!) Die DDR hat von der Substanz gelebt. Deshalb sind wir so weit ins Hintertreffen gekommen. – Ich habe vorhin von diesem Pult aus erwähnt, dass das eine Ländersteuer ist. Ich habe auch erwähnt, dass von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Ländern selbst die Bitte an den Bund herangetragen Wir müssen heute feststellen, dass der Aufbau Ost worden ist, diese Ländersteuer befristet auszusetzen. mittlerweile ins Stocken geraten ist. Seit 1991 sind wir Demzufolge verstehe ich Ihren Einwand nicht. zum ersten Mal in einer Rezession, die Wirtschaft Was die Altschuldenhilfe betrifft, müssen wir uns na- schrumpft. Die Arbeitslosigkeit – über dieses Thema ist türlich über die Größenordnung klar werden. Wir müs- heute noch gar nicht gesprochen worden – liegt bei sen fragen, ob mit den Maßnahmen, die Sie vorgesehen 20 Prozent. Das ist hochdramatisch. Die Auftragslage ist haben, das Problem tatsächlich gelöst werden kann. Hier sehr schlecht, und zwar nicht nur in Ostdeutschland, son- besteht ein schwerwiegender Dissens. Die Mehrzahl der dern in Deutschland insgesamt. Das liegt daran, dass po- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6977

Werner Kuhn (Zingst) (A) tenzielle Auftraggeber nicht in der Lage sind, Aufträge zu vor GA-Mittel, damit sie ihren Standort herrichten kön- (C) vergeben. Sehen Sie sich nur den öffentlichen Sektor an. nen. Wir als CDU/CSU-Fraktion werden es nicht zulas- sen, dass man die strukturschwachen Regionen in Ost Aber auch bei den Privathaushalten ist das zurzeit der und West gegeneinander ausspielt. Deshalb wollen wir Fall. Sie richten ihre Blicke auf die Bundesregierung, um eine gemeinschaftliche und differenzierte Förderung für zu erfahren, wann sie mit den strukturellen Reformen bei die einzelnen Dinge. der Kranken- und der Rentenversicherung endlich fertig ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der FDP – Reinhard Weis [Stendal] (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das machen [SPD]: Das war nicht ganz logisch!) wir mit unserer Steuerreform!) Die Investitionszulage spielt natürlich nach wie vor Denn sie wollen wissen, wie viel sie zukünftig für pri- eine Rolle. Wenn man die Wirtschaft nämlich tatsächlich vate Vorsorge zahlen müssen. So lange behalten sie ihr aufbauen will, dann braucht man eine Anschubfinanzie- Geld für sich. Die Folge: Die Spareinlagen steigen, die rung, die einen steuerlichen Vorteil bringt. Dies muss Banken sitzen auf Geld, die Leitzinsen sind so niedrig – darauf möchte ich hinweisen – zukünftig in Kombina- wie noch nie. Es ist also ausreichend Kapital vorhanden. tion mit der Gemeinschaftsaufgabe geschehen, damit Aber Sie sind nicht in der Lage, den Impuls zu geben nicht nur flächendeckend gefördert wird. Wir müssen die und einen Aufschwung zu generieren, damit wir in Clusterbildung auch in Ostdeutschland in Angriff neh- Deutschland wieder vorwärts kommen. men. Das bedeutet, der Umbau der alten Industriegesell- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft in eine Wissens- und Servicegesellschaft darf nicht dazu führen, dass wir überhaupt keine Industriestandorte Folgenden Punkt muss ich kritisch ansprechen. Die mehr haben und nur noch im Servicebereich arbeiten. Wir Finanzzuweisungen für den Solidarpakt von 2005 bis brauchen das Call-Business und wir brauchen nach wie 2019 sind vernünftig angelegt. Er hat ein Gesamtvolu- vor unsere Technologieführerschaft, sodass wir Produkte men von über 100 Milliarden Euro. Er ist aber so ange- entwickeln können. Dies müssen wir universitär beglei- legt, dass die Mittel für Infrastrukturmaßnahmen, also ten. Daneben brauchen wir auch die außeruniversitäre sozusagen für die Hardware, verwendet werden müssen. Forschung, zum Beispiel die der Leibniz-Institute. Sachsen ist das einzige Land – das können Sie in der „FAZ“ vom 24. November dieses Jahres nachlesen –, In der letzten Zeit habe ich das interessante Wort Ent- das die Mittel dem Zweck entsprechend eingesetzt hat. flechtungsdebatte gelesen. In anderen Bundesländern – Brandenburg und Berlin (Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sind wir hier sind schon angesprochen worden, aber auch mein Hei- in einer Generaldebatte oder beim Einzel- (B) matland Mecklenburg-Vorpommern zählt dazu – waren plan 12?) (D) das nur 50 Prozent. Die restlichen Mittel sind in den konsumtiven Bereich geflossen. Das muss ich hier kri- Man könnte sich ja vorstellen, dass die Entflechtungsde- tisch anmerken. Ich fordere die Bundesregierung des- batte etwas mit Bürokratieabbau, Durchschaubarkeit und halb auf, dass sie vernünftige Verwendungsnachweise Erleichterung zu tun hat. Nein, es handelt sich um einen für diese Mittel erbringt. Diese Mittel sind nämlich Hilfe plumpen Rückzug: Der Bund zieht sich aus der außer- zur Selbsthilfe. Nur so bekommen wir die Wirtschaft universitären Förderung zurück. Im 21. Jahrhundert, in wieder flott. dem wir die alte Industriegesellschaft umbauen und In- novationen nach Deutschland holen wollen, wollen Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der die Mittel komplett den Ländern, die ohnehin nicht mehr FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die genug Mittel zur Verfügung haben, aufs Auge drücken. Länder müssen doch wohl die Verwendungs- Das kann doch wohl nicht die Zukunft sein. nachweise bringen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ein Synonym für den Aufbau Ost ist die Gemein- schaftsaufgabe – dieses Thema betrifft nicht direkt Ih- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ren Haushalt, Herr Stolpe –, über die wir heute Vormit- tag schon einiges gehört haben. Wenn man für die Herr Kollege Kuhn, wir könnten Ihnen noch stunden- Bereiche Infrastruktur oder Städtebausanierung verant- lang zuhören, wortlich ist und auch dafür, einen Standortwettbewerb (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sehr rich- herbeizuführen, dann muss ich natürlich auch die Wirt- tig! Jawohl, Herr Präsident! – Eduard Oswald schaftsförderung im Auge behalten. Man muss sich doch [CDU/CSU]: Das ist wahr, Herr Präsident!) einfach einmal klar machen, dass Milliarden für die In- frastruktur ausgegeben werden. Wo ist denn die Rendite nur lässt Ihre Redezeit das bedauerlicherweise nicht zu. dabei? Das muss für die gesamte Volkswirtschaft hoch- gerechnet werden. Wir müssen die Wirtschaftsförder- Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU): instrumente nach wie vor funktionsfähig halten. Es ist sicher bedauerlich, dass ich Ihnen diese wirt- schaftlichen Zusammenhänge nur ansatzweise vortragen Die 700 Millionen Euro, die für die Gemeinschafts- kann. aufgabe Aufbau Ost verwendet werden, müssen für den Osten auch weiterhin zur Verfügung stehen. Auch die (Beifall bei der CDU/CSU und der schwachen Regionen in den alten Bundesländern – ob FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜND- das Ostfriesland oder Ostbayern ist – brauchen nach wie NIS 90/DIE GRÜNEN) 6978 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Werner Kuhn (Zingst) (A) Sie vergessen tatsächlich, dass es nicht nur Hardware, Berichterstattung: (C) also Straßen, Umgehungsstraßen und Bundesverkehrs- Abgeordnete Elke Ferner wege gibt. Hier muss Leben rein. Es muss zur wirt- Albrecht Feibel schaftlichen Entwicklung kommen, wenn wir den Auf- Franziska Eichstädt-Bohlig bau Ost tatsächlich verwirklichen wollen. Otto Fricke (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wir müssen ihn b) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- häufiger reden lassen, das ist wahr!) nen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare- Das wäre ein wunderschöner Schlusssatz gewesen, Energien-Gesetzes (EEG) Herr Kollege Kuhn. – Drucksache 15/1974 – (Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- (Erste Beratung 75. Sitzung) NIS 90/DIE GRÜNEN) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Werner Kuhn (Zingst) (CDU/CSU): ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Wir brauchen eine Aufbruchstimmung, die von der heit (15. Ausschuss) Bundesregierung ausgeht. Sie darf nicht nur mit einem – Drucksache 15/2084 – offenen Mantel aus Brüssel zurückkommen und sagen, dass sie dort einen Sieg errungen hat. Berichterstattung: Abgeordnete Marco Bülow (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Außer Doris Meyer (Tapfheim) Spesen nichts gewesen!) Michaele Hustedt Es war ein Pyrrhussieg, durch den die Stabilität der euro- Birgit Homburger päischen Währung beeinflusst wird. Wolkenschieberei Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für alleine reicht nicht. die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU – Beifall keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. bei der FDP) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Kollege Albrecht Feibel für die CDU/CSU-Fraktion. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (B) Herr Kollege Kuhn, ich halte meine Vermutung auf- (D) Albrecht Feibel (CDU/CSU): recht, dass der vorletzte Satz als Schluss mindestens so gut geeignet gewesen wäre wie der letzte. Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen! Diese Bundesregierung wird in das Guinnessbuch (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des der Rekorde eingehen; denn es ist die erste Regierung, in BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der jeder Minister ohne Ausnahme alle Energie darauf Ich komme nun zur Abstimmung über den verwendet, den europäischen Stabilitäts- und Wachs- Einzelplan 12, Bundesministerium für Verkehr, Bau- tumspakt auszuhebeln, so gut er nur kann. und Wohnungswesen, in der Ausschussfassung. Dazu Umweltminister Trittin – wenn er auch nur einen rela- liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Gesine tiv kleinen Etat verwaltet – ist dabei besonders erfolg- Lötzsch und Petra Pau vor, über den wir zuerst abstim- reich. Respekt vor den Steuergeldern, die ihm treuhände- men. Sie finden diesen Änderungsantrag auf der Druck- risch anvertraut sind, ist ihm offensichtlich fremd. Das sache 15/2072. Wer stimmt für diesen Änderungsan- Haushaltsrecht besagt unmissverständlich, wie mit dem trag? – Geld der Bürger umzugehen ist. Deshalb gibt es den (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Niemand!) Grundsatz von Haushaltsklarheit und Haushaltswahr- heit. Aber es gibt auch die Grundsätze von Wirtschaft- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – lichkeit und Sparsamkeit. Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt. Hier einige Beispiele, wie der Minister gegen diese Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 12 in der Aus- Grundsätze des Haushalts handelt. Das Bundesumwelt- schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- ministerium bläht seine Verwaltung ständig auf. Die gegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist der vom Finanzminister geforderte Einsparung bei den Per- Einzelplan 12 mit den Stimmen der Koalition gegen die sonalkosten wird zwar vordergründig bei den regulären Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Beschäftigten erbracht. Parallel dazu werden aber rei- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 15 a und b auf: henweise Aushilfskräfte eingestellt, die dann bis zum Jahresende erhebliche Mehrkosten produzieren. Wenn a) Einzelplan 16 auch im Haushalt für das Jahr 2004 geringere Ansätze für die Aushilfskräfte vorgesehen sind, so wissen wir aus Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz der Praxis des laufenden Jahres und der vorangegange- und Reaktorsicherheit nen Jahre, dass an den Personalkosten nicht gespart – Drucksachen 15/1914, 15/1921 – wird. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6979

Albrecht Feibel (A) Zu diesem eigenen Personal im Ministerium kommen Bei dieser Position könnte viel Geld gespart werden, (C) dann noch externe Fachleute hinzu, beispielsweise Ver- ohne dass der Minister und seine Mitarbeiter die Mobili- bandsvertreter. Sie werden kostenaufwendig beschäftigt, tät auch nur in geringem Maße einschränken müssten. um die Gesetze vorzubereiten, von denen sie selbst be- troffen sind. Wie demotivierend muss es für die Mitar- Ich nenne ein Beispiel. Der Minister reiste mit einer beiter im Ministerium sein, wenn sie für solche Aufga- stattlichen Delegation von immerhin 30 Personen der ben offensichtlich nicht geeignet zu sein scheinen. Umwelt wegen nach Brasilien. In seiner Begleitung wa- ren unter anderen Vertreter von BUND, DNR, NABU, Das Ministerium unterhält nicht nur ein Umweltbun- Germanwatch usw. desamt, sondern zusätzlich ein Bundesamt für Natur- schutz. Letzteres hat die Aufgabe, abweichend von den (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sachlichen Notwendigkeiten des Ministers, ideologiebe- NEN]: Ist das verwerflich?) frachtete Politik umzusetzen. Angeblich, so der Minister vor dem Haushaltsaus- (Ulrich Kelber [SPD]: Na, na!) schuss des Bundestages, war die Abwicklung dieser Reise mit Linienmaschinen geplant. Trotzdem bestellte So wandert die Zuständigkeit für die Gentechnik, die ei- Herr Trittin parallel noch ein Flugzeug der Bundesluft- gentlich zu Recht und der Kompetenz wegen beim Um- waffe, das leer nach Brasilien fliegen und mit dem dort weltbundesamtes angesiedelt war, zum Bundesamt für Na- die innerbrasilianischen Flüge abgewickelt werden soll- turschutz. Diese Änderung wird durchgezogen – koste es, ten. Aus dieser Geldverschwendungsaktion ergeben sich was es wolle –, weil dort die Parteigänger des Ministers eine Reihe von Fragen. sitzen. An eine Verschlankung dieser Behörden denkt der Minister keinen Augenblick. Dabei hat ihm der Warum sollte die Bundeswehr-Challenger ohne Pas- Bundesrechnungshof eine Zusammenlegung der Ämter sagiere nach Brasilien fliegen und nicht schon einige De- dringend empfohlen, um erhebliche Synergieeffekte zu legationsmitglieder mitnehmen, die für viel Geld mit Li- nutzen, Aufgaben effizienter wahrzunehmen und gleich- nienmaschinen fliegen mussten? Warum haben Sie, Herr zeitig deutliche Einsparungen bei Haushaltsmitteln und Minister, nicht von Anfang an alle Flüge mit Linienma- Personal zu erzielen. schinen gebucht und Mitte August bei der Flugbereit- schaft die Challenger zusätzlich angefordert? Diese Ma- Auch die Gelder für die Öffentlichkeitsarbeit unter- schine wurde dann kurzfristig erst am 23. Oktober liegen im Umweltministerium offensichtlich keinerlei abbestellt, war aber, weil sie als Mittelstreckenflugzeug Kontrolle. Sie, Herr Minister, verfolgen wohl die Strate- zwischenlanden muss, bereits zwischen den Kanaren gie der gesamten Bundesregierung: Wenn man schon und den Kapverden unterwegs, musste umkehren und (B) eine schlechte Politik macht, soll man sie wenigstens gut unverrichteter Dinge wieder nach Deutschland zurück- (D) verkaufen. fliegen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Ulrich Kelber [SPD]: Kommen Sie doch mal Aber das hilft nicht den Bürgern und löst auch keine Pro- zur Umweltpolitik! – Gegenruf des Abg. bleme. Für das Verkaufen der so genannten Umweltpoli- Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Ja, das ist Ihre tik gibt der Minister das Geld mit vollen Händen aus, Umweltbilanz!) zum Beispiel beim Dosenpfand, im Volksmund auch schon Doofenpfand genannt. Diese unselige trittinsche – Wenn das nicht zur Umweltpolitik gehört, lieber Herr Aktivität hat er in einer teuren Anzeigenaktion feiern Kollege, dann weiß ich nicht, was sonst. Hören Sie ge- lassen. Die Aktion „Dosenpfand wirkt“, die in ihrer Ge- nau zu! Dann werden Sie merken, was das für eine Um- staltung kaum von grüner Parteiwerbung zu unterschei- weltpolitik ist. den ist, kostete den Steuerzahler und pfandbelasteten Warum wurde diese außerordentlich kostenaufwen- Bürger rund 112 000 Euro. dige Reiseart gewählt, obwohl klar war, dass der ganze Der kostenträchtigen Anzeigenkampagne nicht ge- Umwelttrip alleine für die Challenger Kosten von nug, musste auch noch der verschwenderische Kinospot 250 000 Euro verursacht hätte, wäre die Maschine „Blechstunde mit Dr. Trittin und Team“ – offensichtlich durchgeflogen? Was man da einsparen kann, kann man wurde da viel Blech geredet – her. Er verschlang an Pro- wirklich für sinnvollere Umweltprojekte nutzen. duktions- und Schaltkosten rund 85 000 Euro. Die Ak- (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber tion Dosenpfand hätte, wäre sie professionell durchge- [SPD]: Das war jetzt aber gekünstelt!) führt worden, ausreichend für sich selbst gesprochen und gewirkt. Eigentlich ließe sich die Aufzählung endlos Warum haben Sie nicht in Erwägung gezogen, für mögli- fortsetzen, allein die begrenzte Redezeit verbietet dies. che problematische Inlandsflüge in Brasilien dort eine Ich möchte aber noch kurz auf die Reisekosten zu Maschine zu chartern? Die Strecken wären zu einem sprechen kommen, weil hier offensichtlich sehr ver- Preis von etwa 48 000 Euro beflogen worden. Man hätte schwenderisch mit Steuergeldern umgegangen wird. rund 200 000 Euro von vornherein einsparen können. Warum haben Sie, Herr Minister, dem Haushaltsaus- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schuss bei Ihrem Bericht ganz wesentliche Informatio- NEN]: Das ist eine echt ökologische Rede, die nen zu dieser Reise verschwiegen, wie beispielsweise Sie halten!) das Bestelldatum für die Challenger? 6980 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Albrecht Feibel (A) Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, Herr blockiert worden ist, sagen Sie Nein. Sie geben sich auch (C) Minister Trittin, dass Sie sehr gerne anderen Menschen keine Mühe, wenigstens ein paar Vorschläge zu machen. vorschreiben, wie diese umweltbewusst reisen sollen, Im März denunzieren Sie das Steuervergünstigungs- während Sie, wie das Beispiel Brasilien zeigt, genau das abbaugesetz als Steuererhöhungsgesetz und nun will Gegenteil davon zu tun pflegen. Sie predigen jahraus Herr Merz Steuervergünstigungen streichen, um einen und jahrein, dass der Luftverkehr eine der am schnells- Teil seines Steuermodells zu finanzieren. ten wachsenden Quellen von Treibhausgasen sei. Trotz- dem wollten Sie einen Jet leer von Köln nach São Paulo (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wir sind und wieder zurück nach Köln fliegen lassen, nicht beim Steuerbereich! Wir sind bei der Umweltpolitik!) (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Mit dem Paddelboot nach Brasilien!) – Wir sind beim Haushalt, werter Herr Paziorek, falls Sie das noch nicht begriffen haben. Dazu zählen die Einnah- obwohl Sie wussten, dass Sie damit die Atmosphäre mit men und die Ausgaben. Aber das scheint bei Ihnen noch mindestens 20 Tonnen Kerosin zusätzlich belasten wür- nicht angekommen zu sein. den, ganz zu schweigen von der absolut unnötigen Geld- verschwendung. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist die falsche Rede! – Gegenruf des Abg. Michael Offen bleibt natürlich auch die Frage, was Ihr Trip Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sie kommen im- nach Südamerika für die Umwelt – außer einer unnöti- mer mit demselben Text an! Was soll der gen Luftbelastung – überhaupt gebracht hat. Quatsch?) (Beifall bei der CDU/CSU) Hinsichtlich der Steuervergünstigungen, die Sie in Einer solchen Umweltpolitik und einer solchen Geld- Ihrem Modell abschaffen wollen, ist natürlich keine verschwendung kann man in der Tat nicht zustimmen. Steuererhöhung enthalten. (Elke Ferner [SPD]: Das ist ja billig!) (Unruhe) Deshalb lehnen wir den Einzelplan des Umweltministers Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ab. Frau Kollegin Ferner, ich habe den Eindruck, dass Danke schön. zwischen den Kollegen der Koalition wie auch der Op- position dringender Klärungsbedarf besteht. Ich wollte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ihnen anbieten, dass ich die Uhr so lange anhalte, bis sie neten der FDP – Winfried Hermann [BÜND- das geklärt haben. (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein grundsätzlicher (D) Beitrag zur Umweltpolitik!) (Heiterkeit)

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Elke Ferner (SPD): Ich erteile das Wort der Kollegin Elke Ferner, SPD- Vielen Dank, Herr Präsident. Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Jetzt können Sie weiterreden, bitte schön. Elke Ferner (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Ei- Elke Ferner (SPD): gentlich dienen die Haushaltsberatungen dazu, Darüber hinaus wollen Sie noch weitere Steuerver- günstigungen abbauen, die insbesondere die Arbeitneh- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mer und Arbeitnehmerinnen treffen und letztendlich be- NEN]: Über Politik zu reden!) wirken, dass trotz niedrigerer Steuersätze nachher mehr die unterschiedlichen Schwerpunkte zwischen Regie- Steuern gezahlt werden müssen. rung und Opposition deutlich zu machen, insbesondere Sie lehnen das Vorziehen der letzten Stufe der Steuer- gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Aber die reform von 2005 auf 2004 ab, obwohl sich einige Ihrer größte Oppositionsfraktion hat sich dieser Aufgabe in Länder schon überlegt haben, vielleicht zuzustimmen. dieser Haushaltsberatung komplett verweigert. Ich hoffe nur, dass Sie im Vermittlungsausschuss noch (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nicht zur Besinnung kommen und das Vorziehen der Steuerre- nur jetzt! Schon seit einiger Zeit!) form, das Impulse für die Wirtschaft geben könnte, mög- lich machen. Sie lassen für dieses Jahr die Leitlinie gelten: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Denn Sie blockie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: ren im Bundestag – das gilt allerdings nur bedingt, weil Wird die Ökosteuer abgeschafft?) Sie da keine Mehrheit haben – und im Bundesrat alle Vorhaben, die unser Land voranbringen können. In – Zur Ökosteuer, werte Kollegin, liegt im Moment in Sonntagsreden fordern Sie Subventionsabbau, aber keinem Gremium, weder im Bundesrat noch im Bundes- wenn es dann konkret wird, zum Beispiel beim Steuer- tag, eine Gesetzesinitiative von Ihnen oder einem CDU/ vergünstigungsabbaugesetz, das von Ihnen im Bundesrat CSU-regierten Land vor, die zum Ziel hat, die Ökosteuer Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6981

Elke Ferner (A) abzuschaffen. Im Übrigen müssten Sie dann auch erklä- Gönner [CDU/CSU]: Auf dem Haushalt (C) ren, ob Sie die Renten kürzen wollen oder ob Sie die stünde „ungenügend“!) Rentenversicherungsbeiträge erhöhen wollen. Das wäre – Das glaube ich nicht. Sie hätten schließlich Ihre Vor- nämlich die Konsequenz aus so einer Operation. schläge einbringen können. Aber dazu waren Sie nicht in (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Aber viel Geld der Lage. davon fließt nicht in die Rente!) Wir haben einen Haushalt vorgelegt. Wir haben un- Sie beklagen die schlechten Steuereinnahmen auf al- sere Aufgaben erfüllt. len staatlichen Ebenen und gleichzeitig verhindern Sie (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Aber unge- eine Verbesserung der Steuereinnahmen von Gemein- den, Ländern und auch des Bundes durch die Ablehnung nügend!) des Steuervergünstigungsabbaugesetzes, durch die Ab- Wir haben uns als Koalitionsfraktionen in den Haus- lehnung der Gemeindefinanzreform, durch die Ableh- haltsberatungen eingebracht. Wir konsolidieren weiter. nung der Reformgesetze für den Arbeitsmarkt und durch Wir gehen die notwendigen Reformen an und setzen die die Ablehnung des Haushaltsbegleitgesetzes. Sie sagen richtigen Schwerpunkte. Wir halten die Investitionen des Nein, aber Sie zeigen keine Alternativen auf. Trotzdem Bundes mit 24,6 Milliarden Euro auf einem nach wie beklagen Sie, dass kein Geld da ist. Das ist nicht ehrlich; vor hohen Niveau und setzen auch mit unserem Ganz- das ist feige, vor allen Dingen, weil Sie keine eigenen tagsschulprogramm, in der Forschungsförderung, bei der Vorschläge machen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie im Umwelt- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haushalt die richtigen Prioritäten. DIE GRÜNEN) Wir haben das Marktanreizprogramm für erneuer- Sie blockieren damit aber auch aus parteitaktischen bare Energien auf nunmehr 200 Millionen Euro aufge- Erwägungen die notwendigen Wachstumsimpulse, die stockt. Seitens der Koalitionsfraktionen haben wir die Binnennachfrage und auch die Investitionstätigkeit gleichzeitig dafür gesorgt, dass bis zu 15 Millionen Euro der Gemeinden wieder ankurbeln und damit auch die dieses Betrags für die Bereiche Geothermie, Biomasse deutsche Wirtschaft in Schwung bringen könnten. und Offshorewindanlagen eingesetzt werden können. Dadurch werden die nach dem Auslaufen des Zukunfts- Sie verweigern sich jeglicher Verantwortung für unser investitionsprogramms fehlenden Mittel teilweise kom- Land. Wenn es um konkrete Sachfragen geht, dann sa- pensiert. gen Sie immer nur, was Sie nicht wollen, aber nie, was Sie anders machen wollen. Das ist unverantwortlich. An die Regierung gewandt, wünsche ich mir, dass diese 15 Millionen Euro im Haushalt 2005 komplett in (B) (Beifall bei der SPD – Albrecht Feibel [CDU/ den Energieforschungstitel umgeschichtet werden, damit (D) CSU]: Doch! Wir wollen, dass gespart wird! aus diesen Mitteln auch auf Dauer angelegte, mehrjäh- Man muss nicht immer nur Steuern erhöhen, rige Projekte finanziert werden können. Das werden wir sondern man kann auch sparen!) im Zusammenhang mit dem Haushalt 2005 zu diskutie- – Sie hatten in den vergangenen Wochen bei den Bera- ren haben. tungen im Haushaltsausschuss die Gelegenheit, Ihre (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Franziska Sparvorschläge einzubringen. Stattdessen haben Sie Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Berge von Papier vorgelegt. Das scheint Ihr persönlicher NEN]) Beitrag zum Umweltschutz zu sein. Dieses Papier, das über eine ganze Wahlperiode als Schmierpapier reicht, Wir haben 1998 den Ausstieg aus der Kernenergie war Ihr Beitrag zu den Haushaltsberatungen. Auf diesem versprochen. In der vergangenen Woche ist das erste Papier war das Wort „Erörterungsbedarf“ zu lesen. Als AKW nach dem Zustandekommen des Atomkonsenses Sie diese Peinlichkeit bemerkt haben, haben Sie die Pa- abgeschaltet worden. pierstapel am nächsten Morgen schnell wieder zurückge- (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: zogen. Skandal!) Das sind Haushaltsberatungen à la CDU/CSU: ohne Weitere werden folgen. Substanz, eigene Vorschläge und Perspektive. Das ist dieses Hohen Hauses unwürdig. Sie kommen Ihrer Auf- Die FDP hat in der Beratung des Bundeshaushalts gabe damit nicht nach. wenigstens noch Anträge gestellt, wenn auch aus unserer Sicht die falschen. Die Union hat auf Anträge verzichtet. (Beifall bei der SPD – Dr. Peter Paziorek Die FDP hat mit ihren Anträgen deutlich gemacht, dass [CDU/CSU]: Der vorgelegte Haushalt ist ohne sie nicht an dem Ausstieg aus der Atomenergie festhal- Substanz! Das ist das Problem!) ten will. Sie möchte den Wiedereinstieg in die Atom- Wenn Ihre Leistungen in den diesjährigen Haushalts- energie erreichen. beratungen in einem Schulzeugnis zu bewerten wären, (Zuruf von der FDP: Das ist Quatsch!) dann würden Sie nicht versetzt werden. In einem Ar- beitszeugnis würde Ihnen noch nicht einmal bescheinigt, Das ist nicht nur energiepolitischer Unsinn, sondern dass Sie sich bemüht haben, Ihre Aufgaben zu erfüllen. auch rückwärts gewandt statt zukunftsorientiert. (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Zur Umwelt (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des wird hier auch nicht viel geredet! – Tanja BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 6982 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Elke Ferner (A) Sie finden – das wissen Sie auch genau – weder in der Es nützte dem Weltklima auch nichts, wenn unsere (C) Bevölkerung noch im Parlament eine Mehrheit für die modernste Kraftwerkstechnologie nicht auch dort ein- Rückkehr zur Kernenergie. gesetzt würde, wo in Zukunft der steigende Energiebe- darf durch den Einsatz von Kohle gedeckt wird. Was (Birgit Homburger [FDP]: Wann haben wir nützt es, wenn in China mehr Kohle verfeuert wird, da- denn diese Anträge gestellt?) bei aber unmoderne Kraftwerkstechnik zum Einsatz – Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrem Kollegen, der das kommt? Daher wäre es nicht zielführend, hier alles still- im Haushaltsausschuss ausdrücklich begründet hat! zulegen und CO2-Emissionen an anderer Stelle in Kauf Dann klappen Ihre internen Absprachen vielleicht ein zu nehmen, anstatt hier moderne Hightech-Kraftwerke bisschen besser, als es derzeit offenbar der Fall ist. weiterzuentwickeln, die exportfähig sind und einen Bei- trag zum Klimaschutz leisten. (Birgit Homburger [FDP]: Sie sind ja wunder- bar, aber Sie haben es nicht verstanden!) Es ist unehrlich, wenn suggeriert wird, man könne die Kohlebeihilfen ab dem Jahre 2006 streichen oder sehr Wir haben dagegen den Anteil der erneuerbaren Ener- stark kürzen, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen gien um fast 30 Prozent seit dem Jahr 2000 erhöht. Wir käme – man muss dann sagen, dass man solche Verwer- wollen den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum fungen in Kauf nimmt – und ohne dass es in Zukunft et- Jahr 2010 verdoppeln. Damit haben wir nicht nur eine was kostete. Wir alle wissen, dass es Stilllegungskosten Wende in der Energiepolitik erreicht, sondern auch viele gibt und dass vor allen Dingen weit darüber hinausge- Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen ge- hende zusätzliche Kosten entstehen. schaffen. Die Beschäftigungseffekte im Bereich der er- neuerbaren Energien sind enorm; im Jahr 2001 lagen sie Wir haben dafür gesorgt, dass im nächsten Jahr beim bei circa 130 000 Beschäftigten. Sie aber wollen, wie Umweltbundesamt die Emissionshandelsstelle einge- man hört, dies alles wieder zurückdrehen. richtet werden kann, sodass ab 2005 deren volle Arbeits- fähigkeit gegeben sein wird, wenn der Emissionshandel Bis wir unsere Energieversorgung grundlegend umge- beginnt. Außerdem haben wir den Umzug des Umwelt- stellt haben werden, brauchen wir Übergänge. Wir müs- bundesamtes personell abgefedert. Ich hoffe, dass die sen die vorhandenen Energieeinsparpotenziale mobili- anderen Bundesbehörden und Ministerien in Berlin ihren sieren, die erneuerbaren Energien konsequent ausbauen Beitrag leisten, Probleme bei der Stellenbeschaffung zu und die fossilen Energieträger so umweltschonend wie lösen. möglich und mit der größtmöglichen Effizienz zur Ener- Mit dem Umwelthaushalt haben wir den Grundstein gieerzeugung einsetzen. für eine zukunftsorientierte Politik gelegt. Mit dem (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marktanreizprogramm, der Energieforschung, dem Ver- (D) Zuruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]) tragsnaturschutz auf nach wie vor hohem Niveau und vielen anderen Maßnahmen stellen wir die Weichen in – Ja, jetzt kommen wir zur Kohle, Frau Homburger; Sie die richtige Richtung. Wir haben unsere Aufgaben ge- haben es richtig erkannt. macht; Sie haben sich Ihrer Aufgabe verweigert. Ich Aus Gründen der nationalen Versorgungssicherheit, hoffe, dass dies im Vermittlungsausschuss anders wird, aber auch wegen der Exportchancen für die Bergbauzu- damit im nächsten Jahr die notwendigen Impulse für liefererindustrie und die Kraftwerksindustrie brauchen Wachstum und Beschäftigung Platz greifen können. wir auch weiterhin einen Sockel an heimischer Stein- Letztendlich hilft es niemandem, wenn wir aus kurzsich- kohle in der Energieerzeugung. Ich habe bisher von nie- tigen parteitaktischen Erwägungen heraus Spielchen mandem hier im Hause gehört, dass man auf den Einsatz machten. Wir alle müssen unserer Verantwortung ge- von Steinkohle – egal ob einheimische oder Import- recht werden, damit es wieder aufwärts geht und unser kohle – sofort komplett verzichten möchte. Deshalb aller Zukunftschancen besser werden. zieht auch das CO2-Argument überhaupt nicht; denn In diesem Sinne bedanke ich mich beim Umweltmi- – das können Sie sich auch in vielen Bereichen an- nisterium für die gute Zusammenarbeit, auch wenn sie schauen, falls es Sie interessiert – in der Kraftwerkstech- nicht in Anträge seitens der Union gemündet ist, beim nik wie in der Fördertechnik sind in der Vergangenheit Finanzministerium für die Zuarbeit und bei Ihnen für enorme Fortschritte gemacht worden. Der deutsche Ihre Aufmerksamkeit. Bergbau repräsentiert eine moderne Spitzentechnologie, die große Chancen auf dem Weltmarkt hat. – Es freut (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mich, dass der Kollege Feibel nickt; im Saarland tut DIE GRÜNEN) seine eigene Landesregierung ja so, als wolle sie nichts mehr mit dem Bergbau zu tun haben. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Kauch, (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist etwas FDP-Fraktion. ganz anderes!) (Beifall bei der FDP) – Dies ist sehr erhellend. Wir werden darüber in den kommenden Monaten im Kommunalwahlkampf wie im Landtagswahlkampf miteinander zu diskutieren haben. Michael Kauch (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Grün (Ulrich Kelber [SPD]: Doppelstrategie!) macht schlapp“ – so titelte die „Zeit“ in ihrer Ausgabe Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6983

Michael Kauch (A) vom 3. November dieses Jahres. Antiöko, sagt Frau Die FDP will erneuerbare Energien wirksam för- (C) Zahrnt, die Vorsitzende des BUND, sei die Stimmung im dern. Land. Umweltschutz wird zunehmend als Last empfun- den, und das unter einem grünen Umweltminister! (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Bundesministers (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin – Michaele Hustedt [BÜND- Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Das ist auch NIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lachen ja die Hüh- kein Wunder!) ner!) In parteipolitischer Hinsicht könnten wir uns kurzfristig Darin sind wir uns einig. Wenn wir das Erneuerbare- vielleicht darüber freuen, dass sich der Umweltminister Energien-Gesetz, das EEG, in seiner heutigen Fassung mit Ökosteuerfrust und Dosenchaos diskreditiert. Aber ablehnen, dann nicht, weil wir gegen erneuerbare Ener- langfristig schadet es den künftigen Generationen, wenn gien sind. Wir, die FDP, wollen Windkraft, Solarenergie, Ökologie von den Menschen nur noch als Last empfun- Geothermie, Biomasse und Wasserkraft. Aber wir sind den wird und wenn die Menschen nachhaltige Politik auch der Auffassung, dass die bisherige Förderung mit- nicht mehr akzeptieren. tels garantierter Einspeisungspreise der in ordnungspoli- tischer Hinsicht krasseste Eingriff in den Markt ist. Die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Überförderung der Windenergie hat gezeigt – ich hoffe, Wenn wir weiterhin die Umwelt schützen wollen dass Sie mir zustimmen –: Bei technischem Fortschritt – das wollen wir alle in diesem Haus –, dann muss der werden garantierte Preise zur Lizenz zum Gelddrucken. Umweltschutz billiger und wirtschaftlicher werden. Herr Trittin, Sie machen unentwegt das Gegenteil. Sie betrei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben Umweltpolitik nach dem Motto „Koste es, was es wolle“, und seien es Arbeitsplätze oder die ökologische Für die FDP als Partei des Eigentums ist der Bestands- Vernunft. schutz für die Förderung bestehender Anlagen nach dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) EEG selbstverständlich. Aber in Zukunft setzt die FDP dem EEG, das die Preise garantiert, ein eigenes markt- Nehmen wir als Beispiel die Mülltrennung. Die Re- wirtschaftliches Modell entgegen. gierung aus Union und FDP hat Anfang der 90er-Jahre das duale System mit Mülltrennung zu Hause und per (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Hand eingeführt. Das war zum damaligen Zeitpunkt eine der CDU/CSU) sinnvolle Entscheidung. Doch heute gibt es neue Tech- Wir werden das Photovoltaikgesetz ablehnen, weil (B) nologien, die die Mülltrennung im Haushalt überflüssig wir seine Grundlage, das EEG, für verfehlt halten. Die (D) machen. Sie könnten nicht nur dafür sorgen, dass die Kollegen von der Union möchte ich an dieser Stelle war- Mülltrennung billiger und einfacher wird. Diese Techno- nen: Legen Sie mit der Zustimmung zu diesem Gesetz logien scheinen vielmehr auch in ökologischer Hinsicht nicht den Grundstein für eine neue Überförderung à la sinnvoller zu sein. Graue und gelbe Tonnen in einer Windkraft, der Steinkohle der Zukunft. Fuhre abzufahren spart Geld und CO2. Die Qualität der automatischen Mülltrennung ist heute weit besser als (Beifall bei der FDP – Dr. Peter Paziorek die, die die Haushalte per Handsortierung erreichen. [CDU/CSU]: Diese Sorge ist unberech- tigt!) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, 42 Prozent des Inhalts der gelben Tonnen sind laut Bun- das Potenzial der erneuerbaren Energien liegt nicht nur desregierung heute nicht verwertbar. Das Bayerische in der Stromeinspeisung. Ich frage mich schon sehr Landesamt für Umweltschutz stellte in einer kürzlich ernsthaft, warum Sie unseren Antrag, in dem wir mehr durchgeführten Erhebung fest, dass fast 50 Prozent des- Geld für Speichertechnologien fordern, abgelehnt ha- sen, was in den Hausmülltonnen ist, Wertstoffe sind. ben. Diese Technologien könnte man nutzen, wenn die Doch welche Konsequenzen ziehen Sie daraus, Herr Mi- Sonne nicht scheint und wenn der Wind nicht weht. Die nister? – Keine! In Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage Antwort lautet wahrscheinlich: weil dieser Antrag von der FDP-Fraktion lehnten Sie jede Veränderung von der FDP kam. vornherein ab. Schließlich haben wir alle jahrelang die Bürger zum Mülltrennen angehalten. Das ist für Sie of- (Elke Ferner [SPD]: Nein, weil die Deckelung fenbar zu schön, als dass Sie das aufgeben wollen. absurd war!) Sehr geehrter Herr Trittin, in guter alter 68er-Manier Ich habe deshalb die Bitte: Stehlen Sie im nächsten Jahr wollen Sie die Menschen zu besseren Menschen erzie- unsere Idee – damit tun Sie etwas für die kommenden hen. Wenn Sie aber der Umwelt und den nachfolgenden Generationen – und beschließen Sie den entsprechenden, Generationen gerecht werden und ihnen einen Dienst er- dann von Ihnen eingebrachten Antrag! Damit haben Sie weisen wollen, dann sollten Sie endlich der ökonomi- ja Erfahrung; schließlich machen Sie es bei der schen und der ökologischen Vernunft folgen. Die Men- Agenda 2010 genauso. schen haben die Nase voll davon, dass Sie Deutschland als Besserungsanstalt organisieren wollen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Dann (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) können Sie ja zustimmen!) 6984 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Michael Kauch (A) Sie haben unsere Haushaltsanträge, wie üblich, abge- Herr Minister, einen Ihrer wenigen Erfolge habe ich (C) lehnt. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir fast vergessen: das Dosenpfand. Dieses Desaster welche gestellt haben. In diesen Anträgen ging es um braucht man nicht wirklich zu kommentieren. Reaktorsicherheit, um Endlagerung und nicht um den Ausstieg aus dem Ausstieg. Unabhängig davon, wie (Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Do- lange Kernspaltung zur Energieerzeugung genutzt wer- senmaut!) den soll, gilt: Wir brauchen die Forschung zur weiteren Die Befragung von Prognos und FU Berlin im Umwelt- Verbesserung des sicheren Betriebs der Kernkraft- ausschuss hat gezeigt, dass Sie aus journalistischen Re- werke – auch Sie wollen sie bis 2032 laufen lassen – cherchen Studien machen, Ergebnisse abenteuerlich und zur überfälligen Lösung des Endlagerproblems. Das hochrechnen und die Wahrheit so lange verdrehen, bis sind wir den kommenden Generationen schuldig. Ihnen die Zahlen passen. Das Prognos-Gutachten hat er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) geben: Verlierer sind 10 000 Menschen, die ihren Ar- beitsplatz verloren haben. Apropos Kernenergie: Es ist schon drollig, dass der Minister das Abschalten eines Kraftwerks in Zeitungsan- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zeigen feiert, obwohl es sowieso, also auch ohne Rot- der CDU/CSU) Grün, abgeschaltet worden wäre. Ich war selbst bei der Betriebsversammlung einer (Heiterkeit des Abg. Albrecht Feibel [CDU/ Brauerei in meinem Wahlkreis. Dort mussten Arbeiter CSU]) auf Teile ihres Lohns verzichten, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten, weil das Dosenpfand die Umsätze hat ein- Weniger drollig ist, dass der Minister Geld des Steuer- brechen lassen. Ich empfehle Ihnen, einmal zu solchen zahlers für Anzeigen und Siegesfeiern mit alten Wegge- Veranstaltungen zu gehen oder Ihren Staatssekretär dort- fährten verpulvert. Herr Trittin, wenn Sie mit Freunden hin zu schicken. Die Kollegen von Rot-Grün aus mei- feiern wollen, dann zahlen Sie die Party doch demnächst selbst! nem Wahlkreis sind jedenfalls der Einladung von Be- triebsrat und Gewerkschaft nicht gefolgt. Sie wussten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wohl, warum: weil sie Sie nicht verteidigen wollten. Was hat der Minister außer EEG und Atomausstiegs- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten feiern noch zu bieten? – Nicht mehr so viel. der CDU/CSU) Stichwort Lärm. Das 32 Jahre alte Lärmschutzgesetz Dieser Haushalt ist verfassungswidrig, wir werden ist so aktuell, dass der Schallpegel auf dem Flughafen ihn deshalb ablehnen. Wir, die FDP, werden Ihnen auch (B) meines Wahlkreises in Dortmund gerade einmal auf der weiterhin Ihre umweltpolitische Untätigkeit – außerhalb (D) Startbahn erreicht wird. Dort ist die Schutzzone I nach von Dosenpfand und EEG – nicht durchgehen lassen. dem Fluglärmgesetz. Rot-Grün verspricht den Men- schen, die in der Einflugschneise wohnen, seit fünf Jah- Sie experimentieren mit Steuern und Abgaben und ren ein neues Fluglärmgesetz. Dieses Gesetz gibt es bis Zuschüssen, ohne zu wissen, welche ökologische Wir- heute nicht. kung das hat. Wir setzen auf ökologische Treffsicherheit durch Mengensteuerung. Wir wollen Umweltschutz (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Schweinerei!) preiswerter und unbürokratischer machen. Die FDP setzt Stichwort Mobilfunk. Der Verbraucher sollte beim neue Akzente in der Umweltpolitik. Wir befinden uns im Kauf eines Handys informiert sein, ob das Gerät strah- programmatischen Aufbruch, während Sie von der pro- lungsarm ist oder nicht. Sie, Herr Trittin, haben vor ei- grammatischen Substanz leben. „Grün macht schlapp“, nem Jahr ein Gütesiegel eingeführt. Die Hersteller boy- Herr Minister; die erneuerte FDP wird die Lücke füllen, kottieren es bis heute und Sie nehmen das hin. Verändert die Sie hinterlassen. hat sich auch hierbei nichts. Vielen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Das ist (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Marktwirtschaft, aber egal!) der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stichwort Hochwasserschutz. Die FDP hat im Juli einen umfassenden Antrag zum Hochwasserschutz ein- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: gebracht. Statt darauf mit einer Rede oder mit der Ein- bringung eines Gesetzentwurfs zu reagieren, haben Sie Herr Kollege Kauch, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers- der Öffentlichkeit am Jahrestag des Hochwassers in ten Rede im Plenum des Deutschen Bundestages und Dresden, quasi auf dem Deich, einen Gesetzentwurf an- verbinde das mit allen guten Wünschen für die weitere gekündigt. parlamentarische Arbeit. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Reiner Popu- (Beifall) lismus!) Nun hat der Kollege Winfried Hermann, Bündnis 90/ Diesen Gesetzentwurf gibt es bis heute nicht. Bringen Die Grünen, das Wort. Sie ihn bitte in den Deutschen Bundestag ein! (Zuruf von der FDP: Das kann nur schlechter (Beifall bei der FDP) werden!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6985

(A) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sind. Das ist nur ein Beispiel. Wenn man ausgewogen (C) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und sein will, muss man in jede Richtung denken. Herren! So viel Optimismus macht Freude. Mich erin- nert das an das Projekt 18. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Ökologische Politik muss aber auch die Belastungs- grenzen für die Umwelt in den Mittelpunkt stellen. Öko- Wenn die FDP die Grünen ökologisch überholen will, logische Politik muss darauf hinweisen, dass es solche dann muss sie allerdings noch früher aufstehen. Grenzen gibt und dass wir als Politiker und Politikerin- Herr Kauch, ich werde mich im Laufe meiner Rede nen reagieren müssen, wahrscheinlich mehr reagieren auch auf Sie beziehen, aber gestatten Sie zunächst ein müssen, als es bisher geschehen ist. paar grundsätzliche Bemerkungen; Sie sehen dann auch Beispiel Flutkatastrophe. Hierbei ist klar geworden: gleich den Bezug. Wenn wir Flusssysteme weiter wie Kanalsysteme oder Umweltpolitik tut sich in Zeiten von Wirtschaftskrise, wie große Straßen behandeln, dann können sie im Falle von hoher Arbeitslosigkeit, von Krisen überall auf der von hohen Niederschlägen die Mengen nicht mehr auf- Welt ausgesprochen schwer. Immer häufiger werden An- nehmen. würfe vorgebracht, die wir von früher kennen. Von der Beispiel Klimaschutz. Wir wissen es schon lange, FDP haben wir eben die Variante gehört, Umweltschutz aber der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung sei zu teuer, Umweltschutz schade der Wirtschaft, „Globale Umweltveränderungen“ hat es erneut sehr (Michael Kauch [FDP]: Ihr Umweltschutz! – deutlich gesagt: Wir sind auf einem hochgefährlichen Norbert Schindler [CDU/CSU]: Umweltschutz Weg. Es ist völlig klar, dass das oberste Ziel moderner verschwendet Geld!) Umweltpolitik eine konsequente Klimaschutzpolitik sein muss. gefährde den Standort – nein, diese Plattitüde haben Sie heute nicht gebracht –, gefährde Arbeitsplätze – diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Plattitüde haben Sie gebracht. und bei der SPD) Sozusagen als Krönung sagen Sie, Sie wollten eine Die beiden Parlamentsfraktionen von Rot-Grün haben effiziente Umweltpolitik, eine preiswerte Umweltpolitik, mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, mit dem Vor- die eigentlich nichts kostet, eine Umweltpolitik mit an- schaltgesetz zur Photovoltaik und jetzt mit der Novelle deren Instrumenten. Wenn man dann fragt: „Was ist Ihr Umwelt- und Klimaschutzpolitik in diesem Sinne voran- (B) Instrument?“, erhält man keine Antwort. getrieben. Sie haben immer nur marktwirtschaftliche (D) Einwendungen vorgebracht, aber keinen substanziellen (Birgit Homburger [FDP]: Ach, Herr Vorschlag gehabt, der deutlich gemacht hätte, wie man Hermann!) auf anderem Wege erfolgreich sein könnte. Entweder empfehlen Sie etwas, was nachweislich nicht Ich möchte an einigen Beispielen zeigen, was nach funktioniert, oder Sie empfehlen Ihr Dauerinstrument: unserem Verständnis moderne, nachhaltigkeitsorientierte Markt, Markt, Markt. Der Markt soll es richten. Dabei Umweltpolitik ist. wissen wir aus der Geschichte: Er hat es nie gerichtet, al- lenfalls falsch gerichtet, jedenfalls nie ökologisch ge- Beispiel eins – ich habe es schon erwähnt –: Hoch- richtet. wasserschutz. Hochwasserschutz ist ein klassisches (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Querschnittsfeld, schwierig, weil man in die Bau-, in die und bei der SPD) Verkehrs-, aber auch in die Agrarpolitik eingreifen muss. Der Umweltminister hat in Zusammenarbeit mit den Es ist ein Totschlagsargument, eines dieser Argumente Fraktionen – Sie haben das eingeklagt – einen ambitio- also, die die Debatte nicht weiterbringen. nierten Gesetzentwurf erarbeitet, der sich gerade in der Alle Umweltpolitiker – da appelliere ich durchaus Abstimmung mit den anderen Ressorts befindet. Darin auch an die Opposition – sollten sich diesem neuen sind Bebauungsverbote, Maßnahmen zum naturnahen Trend, der eigentlich ein alter Trend ist, entgegenstellen, Hochwasserschutz, Vorschläge zur Nutzungsbeschrän- nämlich dem Trend, dass gesagt wird, Umweltschutz kung usw. vorgesehen. Das heißt, wir haben gearbeitet. schade der Wirtschaft. Dabei ist doch offenkundig, dass Ich bin gespannt, welche Vorschläge die FDP und die gerade moderne Umweltpolitik im Sinne einer nachhal- CDU/CSU zum Beispiel zum Thema Hochwasserschutz tigen Umweltpolitik sozial und ökologisch ausgewogen bringen. Es genügt nicht, zu sagen, man müsse etwas ist und auch Arbeitsmarktfragen berücksichtigt. In Ihrer tun. Legen Sie doch einmal etwas vor! Rede habe ich zum Beispiel eine Aussage dazu vermisst, was Ihr Ziel ist, was Sie wirklich erreichen wollen, wen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Sie schützen wollen. Herr Kollege Hermann, darf der Kollege Kauch eine Zwischenfrage stellen? Es ist schon ziemlich scheinheilig, wenn Sie über ver- loren gegangene Arbeitsplätze in der Dosenwirtschaft Tränen vergießen, aber nicht danach fragen, welche Ar- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beitsplätze etwa im Bereich von Mehrweg gefährdet Ja. 6986 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Michael Kauch (FDP): Mitverbrennung von Gewerbemüll und bei Großfeue- (C) Herr Kollege Hermann, stimmen Sie mir zu, dass das rungsanlagen in der Raffinerieindustrie, für die es Aus- Bundesumweltministerium schon im Jahr 2000 einen nahmen hinsichtlich der Grenzwerte gibt, Probleme. Sie Entwurf zu einem Fluglärmgesetz auf seiner Internet- machen große Augen – offensichtlich können Sie es seite veröffentlicht hat, dieser Entwurf aber in der Res- nicht nachvollziehen. Wir haben entsprechende Maßnah- sortabstimmung, offensichtlich insbesondere vonseiten men im Umweltausschuss verabschiedet. Da zu einem des Bundesverkehrsministeriums, nicht befürwortet Teil noch der Bundesrat seine Zustimmung geben muss, wurde, Sie dann jahrelang nichts getan haben und erst können Sie dazu beitragen, dass unsere anspruchsvolle jetzt, da die FDP eine Kleine Anfrage zum Fluglärm ge- Schadstoffbegrenzungspolitik, die das klare Ziel ver- stellt hat, den Entwurf ganz schnell aus der Schublade folgt, die Schadstoffausstöße zu minimieren, von Erfolg geholt haben gekrönt wird. (Elke Ferner [SPD]: Lächerlich! Sie haben Dritter Bereich: Umweltschutz und nachhaltiges 20 Jahre Zeit gehabt!) Wirtschaften im Bereich der Chemieindustrie. Ich finde dieses Projekt wirklich spannend und frage mich, ob es und am heutigen Tag, also am Tag dieser Debatte, mit wirklich so, wie es angelegt ist, gelingt. Vor einigen Jah- der Ressortabstimmung begonnen haben? ren haben sowohl die Gewerkschaften als auch die Um- weltpolitiker und selbst die Wirtschaft ein neues Regis- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trierungs- und Überprüfungsverfahren für chemische Herr Kollege, ich sehe Ihnen nach, dass Sie nicht alles Stoffe gefordert. Daraufhin ist auf EU-Ebene ein sehr wissen, weil Sie noch nicht so lange dabei sind. In der ambitioniertes Konzept entwickelt worden. Natürlich ist Tat gab es in der letzten Legislaturperiode einen ambitio- auch dieses ambitionierte Projekt im Moment im Sperr- nierten Entwurf vonseiten des Bundesumweltministeri- feuer der Wirtschaftspolitiker, die darauf drängen, dass ums. Dieser ambitionierte Entwurf wurde von beiden das nicht zu viel kostet. Ich bin wirklich gespannt, auf Koalitionsfraktionen unterstützt, aber im Bundesrat welche Seite Sie sich stellen. Vielleicht kommen Sie ja schwer bekämpft. dazu, wie wir zu sagen, dass moderne und nachhaltige (Elke Ferner [SPD]: So ist das!) Umweltpolitik natürlich arbeitsmarkt- und industriepoli- tische Fragen berücksichtigen muss, aber am Schluss Die Bundesländer als Eigner von Flughäfen haben uns nicht Umwelt-, Gesundheits- und Naturschutz auf der signalisiert, dass sie da nicht mitmachen, da das zu viel Strecke bleiben dürfen, weil man letztendlich doch nur koste usw. Genau dieselben Argumente, die ich vorhin Wirtschaftsschutz im Auge hat. angeführt habe, sind gekommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von (D) NEN]: Allen voran die FDP!) der CDU/CSU: Das stimmt doch nicht, dass Aus diesen Gründen haben wir den Gesetzentwurf dann die auf der Strecke bleiben!) gar nicht erst eingebracht. Vierter Bereich: Lärmschutz. Ich habe schon Aus- Ich verspreche Ihnen aber, dass wir in dieser Legisla- führungen zum Fluglärm gemacht. Wir werden aber turperiode, und zwar im nächsten Jahr, einen neuen An- noch weiter gehen. Wir sind der Meinung, dass Lärm ein lauf unternehmen werden. Wir befinden uns in Gesprä- großes Problem ist, denn es betrifft fast alle. Der Lärm chen mit dem Umweltministerium und mit der SPD- entsteht überwiegend im Verkehrsbereich: Straßenver- Fraktion. Wir bereiten dieses Fluglärmgesetz bereits vor. kehr, Flugverkehr. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Stimmt (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Die Schiene doch jetzt zu!) nicht vergessen!) Ich werde übrigens nachher noch einmal etwas zum Wir werden zwei EU-Richtlinien, nämlich die EU-Richt- Thema Lärm sagen. Ich kann Ihnen versprechen, dass linie zu Umgebungslärm und die EU-Richtlinie zu lärm- wir mit großem Engagement daran arbeiten werden. Ich bedingten Betriebsbeschränkungen an Flughäfen, auf- bin einmal gespannt, ob die FDP zustimmt. In der Regel greifen und im nächsten Jahr für Deutschland gesetzliche stellt sich die FDP ja am Schluss immer auf die Seite de- Maßnahmen ergreifen. rer, die fragen, was das denn koste. Sie werden dann ar- gumentieren, das sei doch viel zu teuer und gefährde die (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da bin ich Arbeitsplätze in der deutschen Flugwirtschaft. mal gespannt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich verspreche Ihnen: Wir werden Ihnen ein ambitionier- und bei der SPD) tes Lärmbekämpfungspaket vorlegen. Auch in diesem Fall werde ich Ihnen die Frage stellen: Tragen Sie mit Ich mache weiter mit einem zweiten Bereich, nämlich uns gemeinsam zum Menschenschutz und Gesundheits- den Schadstoffemissionen. Wir haben einige Vor- schutz bei oder werden Sie wieder die Bedenkenträger schläge zur Verbesserung der Luftreinhaltung gemacht. sein, die sagen, dass das zu viel koste und der Wirtschaft Wir wissen, dass in den vergangenen Jahren viel gesche- schade? Das wird die Gretchenfrage an Sie sein. hen und manches besser geworden ist. In manchen Be- reichen gibt es aber noch Nachholbedarf. Beispielsweise (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gab es bei Anlagen, die Zement produzieren, bei der und bei der SPD) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6987

Winfried Hermann (A) Mein letztes Beispiel. Nachhaltigkeit heißt aus unse- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) rer Sicht auch, Risiken frühzeitig zu erkennen und sie Herr Kollege, den Grünen sind die Zahlenwerte, die rechtzeitig einzudämmen. Ein Problemfeld sind die Die- Sie gerade genannt haben, in der Tat nicht bekannt. Aber selfahrzeuge. Wir haben über Jahre hinweg – übrigens wir wissen, dass es unterschiedliche Techniken zur Be- aus Umweltschutzgründen – das Fahren von Dieselfahr- kämpfung des Dieselrußes gibt. Deswegen haben wir nie zeugen gefördert. Nun wissen wir aber aus neueren Un- auf einen Weg gesetzt, der den Rußpartikelfilter par tersuchungen, dass die neue Dieselgeneration, die in ordre du mufti vorschreibt. Deutschland sehr verbreitet ist, die nämlich etwa 30 Pro- (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Aha! Das ist zent aller Fahrzeuge ausmacht, aufgrund der Feinstparti- eine neue Erkenntnis!) kel im Ruß erhebliche Krebsrisiken birgt. Hier ist Um- weltvorsorgepolitik gefragt, hier müssen wir handeln. Was wir aber wollen und woran wir mit dem Umweltmi- Das Umweltministerium hat versucht, zusammen mit nisterium gearbeitet haben, ist die Absenkung der der Wirtschaft eine Lösung zu finden: Grenzwerte für Rußpartikel und übrigens auch für Stick- stoffverbindungen, und wir sind der Meinung, dass die (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Mit wem Automobilfirmen und ihre Zulieferer diese Grenzwerte denn?) erreichen müssen, mit welcher Technik auch immer. Auf europäischer Ebene soll die Euro-5-Norm, ein kla- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN res Bekenntnis zur Minimierung der Partikel, etabliert und bei der SPD – Albrecht Feibel [CDU/ werden, was faktisch bedeutet, dass wir eine Art Rußfil- CSU]: Einverstanden!) ter bekommen. Auch hier war der Einwand der deut- Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat übrigens ei- schen Automobilindustrie: Das ist uns zu teuer. nen Preisträger aus Karlsruhe ausgezeichnet, der eine (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: Nein! Es gibt solche Anlage herstellt. wesentlich bessere Lösungen!) (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Aus Minden im Sauer- Es ist wirklich ein Ärgernis, dass die deutsche Auto- land! – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU): Das mobilindustrie, obwohl sie über einen Rußpartikelfilter wollte ich auch gerade sagen! – Ulrich Kelber schon verfügt und ihn einbauen könnte, sich weigert, das [SPD]: Den habt ihr vertrieben!) serienmäßig zu tun. Sie wartet, bis die Politik Druck macht. Das ist eine Schande. – Okay, er hat eine Niederlassung im Sauerland, warum auch immer. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) und bei der SPD) (D) NEN) Jedenfalls gibt es Techniken; es gibt den Partikelfilter Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: und bestimmte Einspritzsysteme. Es wäre also möglich. Herr Kollege Hermann, gestatten Sie noch eine Zwi- Trotzdem hat sich unsere Automobilindustrie mit der schenfrage, und zwar des Kollegen Feibel? französischen Automobilindustrie gemein gemacht und unsere Initiative bezüglich einer schnellen Regelung auf Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): europäischer Ebene bekämpft. Sie wollten diese Techni- ken nicht, denn die Grenzwerte waren ihnen zu niedrig. Gerne; das verlängert ja meine Redezeit. Nur zu! (Vorsitz: Präsident Wolfgang Thierse) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Wir werden als Koalitionsfraktionen eine Initiative starten; denn ich finde, Umweltpolitik muss vor allem Ihre Redezeit ist im Übrigen ohnehin durch ein Strei- Gesundheitsschutzpolitik sein und Vorsorge treffen. Das ken der Uhr künstlich verlängert worden, wenn ich das wird unser Handeln bestimmen. Wir werden schon im zwischendurch einmal anmerken darf. nächsten Jahr eine gemeinsame rot-grüne Initiative star- ten, begleitet übrigens von den Umweltorganisationen. Albrecht Feibel (CDU/CSU): Wir werden es der Automobilindustrie ungemütlich ma- Ich wunderte mich schon, dass er so lange redet; ei- chen. Wir werden sie durch öffentlichen und politischen gentlich hat er wesentlich weniger Redezeit als ich, ich Druck dazu bringen, dass sie eine neue Euro-5-Norm ak- habe aber das Empfinden, er spricht länger. zeptiert, die dann auch wirklich die Möglichkeit für eine Steuerpolitik in Deutschland eröffnet, die die modernen Kollege Hermann, ist Ihnen bekannt, dass die deut- Abgastechniken fördert. Übrigens hat interessanterweise sche Automobilzulieferindustrie dabei ist, eine „Com- der Bundesrat schon einen Beschluss in dieser Richtung mon Rail“-Einspritzpumpe weiterzuentwickeln, die der- gefasst. Sie können also auch hier mit uns eine Partner- zeit mit 1 600 Bar arbeitet und später mit 2 000 Bar schaft eingehen und mit uns für einen ambitionierten und arbeiten wird, wodurch jegliche Rußpartikelfilter, die ja nachhaltigen Umweltschutz kämpfen. sehr aufwendig und auch sehr belastend sind, überflüssig Vielen Dank. werden? Ist das den Grünen überhaupt bekannt? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der SPD) 6988 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Ich will ganz deutlich sagen: Wir haben nachhaltig (C) Ich erteile das Wort Kollegen Klaus Lippold, CDU/ zur CO2-Reduktion beigetragen. Wir haben die FCKWs CSU-Fraktion. vollständig beseitigt. Wenn wir eine Politik wie dieser Bundesminister betrieben hätten, würden wir heute noch (Beifall bei der CDU/CSU) über das Ersetzen von FCKWs sprechen. Wir haben das damals kurz entschlossen durchgebracht. Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Und jetzt sagen Sie, Sie hätten das eine oder andere Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Ziel mithilfe der Ökosteuer und von Maßnahmen im Alt- Herren! Ich hoffe, Sie behandeln mich bei der Redezeit baubestand erreicht. Ich sage dazu: Das sind Täu- genauso gnädig wie den Kollegen Hermann. Das würde schungsmanöver. mir helfen. (Beifall bei der CDU/CSU) Umweltschutz ist für die Union Gesundheitsschutz und Schutz zukünftiger Generationen. Die zentralen Ihre Ökosteuer wirkt nicht. Sie verwechseln den rück- Ziele für die Union sind: Klimaschutz, Schutz der Welt- läufigen Verbrauch in der Wirtschaft und beim Konsum meere, Arterhaltung, Schutz der Wälder, Schutz vor zu- mit Maßnahmen der Ökosteuer. Richtig ist: Dadurch, nehmender Desertifikation. Soweit zu den Zielkatalo- dass Sie die Wirtschaft in den Keller fahren, ist der Ver- gen, Herr Hermann, die Sie angemahnt haben. Daran brauch geringer, als er sonst wäre. So einfach ist das. haben wir in der Vergangenheit gearbeitet; ich sage: er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) folgreicher als Sie. Wie Sie wissen, kann ich mich dabei Gott sei Dank (Beifall bei der CDU/CSU) auf die noch nicht völlig unterjochten Bundesämter stüt- Daran werden wir in Zukunft wieder arbeiten; ich sage: zen. Zum Beispiel sagt das Statistische Bundesamt ganz erfolgreicher als Sie. deutlich – einige von Ihnen haben das ja auch öffentlich zitiert –: Es gibt bei einigen Indikatoren Anzeichen für Wir müssen – das sage ich ganz deutlich – internatio- einen leichten Rückgang. – So weit wird es von Ihnen zi- nal wesentlich mehr tun. Darauf komme ich noch tiert. Im nächsten Absatz heißt es: das ist aber nur des- zurück, denn da liegt eine besondere Schwäche dieses wegen der Fall, weil die Wirtschaft stagniert und die Umweltministers. Wir müssen natürlich auch national Verbraucher sich zurückhalten. handeln, damit wir unsere internationale Glaubwürdig- keit nicht verlieren. Da fängt es an. Bei dieser Aufgabe (Beifall bei der CDU/CSU und der versagt dieser Bundesminister mit einer rückwärts ge- FDP – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: So ist es!) (B) wandten Politik, die sich auf eine veraltete Verpackungs- (D) verordnungspolitik beschränkt, Deshalb ist das keine Trendwende, sondern nur eine (Elke Ferner [SPD]: Töpfer-Verordnung!) Folge Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik, die so ruinös ist, dass die Arbeitslosigkeit in ungekannte Höhen steigt. und mit einem völlig falschen Energiekonzept, wobei Sie tun nichts dagegen und haben kein Konzept. Das ist dieses Energiekonzept im Grunde gar kein geschlosse- wirklich nicht zu verantworten. Glauben Sie doch nicht, nes Konzept ist. Das ist der eigentliche Punkt. dass Sie mit der Politik von Rentenklau und Verunsiche- rung, die Sie betreiben, den Verbrauch stabilisieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: (Elke Ferner [SPD]: Das ist ja unglaublich!) So ist es!) Wenn irgendwann einmal wieder eine Regierung die Das Klimaschutzziel, das wir uns für 2005 gemein- Wirtschaft auf Wachstumskurs bringt, dann werden wir schaftlich gesetzt haben – Reduktion um 25 Prozent – sehen, dass man ganz andere Maßnahmen braucht. wurde von Ihnen aufgegeben. Sie setzen auf Kernenergieausstieg. Wir halten das (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wohl wahr!) für falsch. Sie tun nichts für die Effizienzsteigerung von Kohle- und Ölkraftwerken. Es wird gar nicht mehr dargestellt. Dass Sie das für 2005 gesetzte Ziel nicht erreichen, verschleiern Sie jetzt ne- (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch gar belhaft durch die Ankündigung, dass Sie 2020 etwas nicht!) ganz Unheimliches erreichen wollen. Das ist doch Das, was Sie dazu andeuten, haben Sie aus unserem Pro- Quatsch. Erreichen Sie erst einmal die nahe liegenden gramm geklaut. Aber Sie bringen keine effizienten Maß- Ziele und vertrösten Sie uns nicht immer auf die Zu- nahmen auf den Weg. Damit verspielen Sie Exportchan- kunft! cen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sie haben auch kein schlüssiges Konzept zur Ener- Ich habe gerade hier Herrn Stolpe erlebt – nichts als gieeinsparung. Das ist aber eine ganz wesentliche Ankündigungen. Dann kommt Herr Hermann und sagt: Frage. Der Kollege von der FDP hat in seiner Jungfern- „Das werden wir“ und „Das wollen wir“. Sagen Sie uns rede deutlich gemacht, dass man nicht automatisch ge- doch einmal: „Das haben wir.“ gen regenerative Energien ist, wenn man gegen eine Po- litik ist, die hinsichtlich regenerativer Energien (Elke Ferner [SPD]: Was haben Sie denn?) ineffizient ist und keinen Anreiz für Innovation bietet, Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6989

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (A) weil dahinter kein Konzept steht. Das ist der Punkt, den bedarf es nachhaltiger Anstrengungen auf höchster (C) wir kritisieren. Ebene, damit in diesem Bereich etwas läuft. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Da läuft nichts! Das ist das Problem!) Aber darüber – da hat der Kollege Kauch völlig Recht – denken Sie überhaupt nicht nach. Dieser Umweltminis- Es fehlt auch der nötige Druck. Diesen Vorwurf können ter denkt in eingefahrenen Bahnen, aber nicht innovativ. wir Ihnen nicht ersparen. Das muss man ihm vorhalten. Herr Hermann hat schon viel zu den Schadstoffen ge- Deshalb sagen wir: Wir brauchen eine Wirtschafts- sagt. Wenn ich mir überlege, was wir in diesem Bereich politik, die der Wirtschaft und auch den Verbrauchern auf den Weg gebracht haben, dann muss ich sagen, dass Geld für Innovationen lässt. Mit diesen Innovationen Sie dem wenig hinzugefügt haben. Das heißt, Sie leben und Investitionen kann mehr zum Umweltschutz beige- von unseren Vorleistungen wie in der Klimaschutzpoli- tragen werden, als das sonst der Fall ist. Wer alte Ma- tik. schinen behält – Beispiel: die frühere DDR –, wird nie Mich stört auch, dass Sie immer nur an Bürokratie etwas für den Umweltschutz tun können. Nur wer in und an Verbürokratisierung, aber nicht an Kooperation neue Technologien und neue Anlagen investiert, der mit den Menschen denken. Ob es um die Landwirtschaft kann wirklich Ergebnisse erzielen. Genau das wollen oder ob es um andere Bereiche geht: Sie machen Aufla- wir. Aber mit Ihrer Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und gen und verabschieden Verordnungen, die die Menschen Steuerpolitik machen Sie das kaputt. einengen und die ihnen die Möglichkeit zum Handeln nehmen. Aber es gibt keine Kooperation, die dafür sorgt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dass man mit den Menschen eine gemeinsame Basis fin- Wir stehen vor der ganz schwierigen Frage, wie Sie det. mit dem Instrument Emissionshandel umgehen werden. (Zuruf des Abg. Winfried Hermann [BÜND- Wir wissen immer noch nicht, wie Sie Early Action ein- NIS 90/DIE GRÜNEN]) bauen wollen, wie Sie es mit der Vorleistung bei der Kli- magasreduktion halten wollen und wie Sie – umweltver- Der Waldschutz ist ein spezifisch nationaler Bereich, träglich – Flexibilität für die Wirtschaft schaffen wollen, der aber gleichzeitig zu Konsequenzen auf internationa- was dann zu Produktionserweiterungen und zu Existenz- ler Ebene führt. Sie haben sich mittlerweile sagen lassen gründungen führt. Es ist auch nicht klar, welchen Aus- müssen, dass man der Bodenversauerung durch Verkal- gleich Sie für die nach dem von Ihnen vorgesehenen kung begegnen kann. Aber was tun Sie? Sie kürzen die entsprechenden Mittel. Das ist doch keine sinnvolle Po- (B) Ausstieg fehlende Kernenergie vorsehen. Die fehlende (D) Energie werden Sie durch Energie ersetzen müssen, de- litik. Sie haben uns damals erklärt – obgleich wir für den ren Produktion CO2-haltig ist – zumindest in großen Tei- Schutz des Tropenwalds Mittel wie kein anderes Land len. der Erde zur Verfügung gestellt haben –, dass da mehr getan werden müsse. Aber jetzt kürzen Sie die Mittel für Wann bringen Sie den nationalen Allokationsplan ins die Wälder im internationalen Bereich. Das kann es doch Parlament? Wir werden nicht zulassen, dass bei einer der wohl nicht sein. wichtigsten Entscheidungen der Nachkriegszeit hinsicht- lich der Umwelt- und Wirtschaftspolitik diese Regierung (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ im Alleingang handelt. CSU]) (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber Zwischen Reden im Bundestag und der Realität klafft [SPD]: Das ist doch längst geklärt!) eine ganz erhebliche Lücke. (Beifall bei der CDU/CSU) Bei einer anderen Regierung könnte man so verfahren. Aber doch nicht bei diesem Umweltminister, der von Herr Hermann, wir setzen nicht auf Belastungen wie Lenkungsideologie, die wir ablehnen, geprägt ist. Des- Steuern, Abgaben und Gebühren, sondern wir setzen auf halb wollen wir von Ihnen eine Antwort auf diese Frage Kooperation, Selbstverpflichtung und darauf, dass haben. marktwirtschaftliche Instrumente greifen. Ich sage noch einmal: Es darf keine Selbstverpflichtung à la Baake und (Beifall des Abg. Dr. Peter Paziorek [CDU/ Trittin geben. Das würde die Denaturierung dieses In- CSU]) struments bedeuten. Sie sagen: Wenn ihr nicht macht, Was tun Sie eigentlich auf höchster Ebene, damit das was wir wollen, dann setzen wir unsere Ziele mit dem Kioto-Protokoll in Kraft tritt? Da gibt es – davon hört Ordnungsrecht um. – So läuft es bei Ihnen. Das ist die man immer wieder – diese unsägliche Achse Ber- Denaturierung eines der erfolgreichsten Umweltschutz- lin–Moskau. instrumente, die wir haben und dieses Instrument müs- sen wir weiter fördern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir werden auch in Zukunft die regenerativen Ener- Was leistet diese Achse Berlin–Moskau? Außer dass sie gien fördern, aber wir werden auch eine Deckelung ins- uns im östlichen Europa unglaubwürdig macht, leistet gesamt einführen. So wird es eine Deckelung bei der sie bislang gar nichts. Es ist nicht absehbar, dass Moskau Photovoltaik geben. Ich füge hinzu: Wir werden mit der jetzt bereit ist, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren. Jetzt Ausschreibung für mehr Innovation sorgen. Das heißt, 6990 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (A) wir wollen mehr Leistung bei gleichem Geld. Sie aber Faktor von 38. Das ist genau der Faktor, um den sich die (C) wollen mehr Geld bei weniger Leistung. Darin unter- Qualität unserer Umweltpolitik von Ihrer früheren unter- scheiden wir uns. scheidet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir wollen eine Industriepolitik, die in Zukunft auf Dauer ermöglicht, dass die Dinge effektiv gehandhabt So weit zur historischen Wahrheit. werden und es Investitionen in neue Anlagen gibt, die Zweitens. Sie haben gesagt, es werde nichts für die mehr Umweltschutz mit sich bringen. Das sollte auch für Effizienz von Gaskraftwerken getan. Fakt ist, dass die Verbraucher gelten. Denn wenn Sie den Verbrau- diese Regierung 1999 eingeführt hat, dass Erdgas, wenn chern das letzte Geld wegnehmen, kann nicht in den Alt- es in hocheffizienten Kraftwerken eingesetzt wird, jen- baubestand investiert werden. Das alles sollten Sie be- seits eines bestimmten Wirkungsgrades von der Erdgas- herzigen. steuer befreit wird. Das haben wir jetzt umgesetzt. Das Ich möchte ein Letztes feststellen – Herr Trittin, dies wird dazu führen, dass in Lubmin bei Greifswald, in habe ich Ihnen schon einmal gesagt; vor dem Hinter- Hürth bei Köln und möglicherweise auch an anderen grund der jüngsten Ereignisse sage ich es erneut –: Ich Standorten hocheffiziente, moderne Gas- und Dampftur- halte es für völlig falsch, wie die Spitze des Hauses – das binenkraftwerke gebaut werden. betrifft Sie und Herrn Baake – mit Menschen umgeht. Das heißt, diese Regierung tut auf technologiepoliti- Herr Baake sagt, die Arbeitsplatzvernichtung sei ge- schem Gebiet und im Rahmen steuerlicher Anreize sehr wollt. Sie feiern die Vernichtung von Arbeitsplätzen in viel dafür, dass neue, hocheffiziente Kraftwerke entste- Kernkraftwerken mit Sekt. Das halte ich für eine Unan- hen. Das trifft übrigens auch für Kraft-Wärme-Kopp- ständigkeit ersten Ranges. Sie geben dafür Geld aus. Das lungsanlagen zu, die wir jenseits eines Wirkungsgrades ist Steuergeld; das muss man ganz deutlich sagen. von 70 Prozent generell von der Ökosteuer freigestellt Stattdessen machen Sie Vorschläge – diese könnten haben. Kleine Anlagen, also Blockheizkraftwerke, sind einen möglichen Aufschwung ruinieren –, wie man die sogar von der Stromsteuer und der Erdgassteuer befreit. Erbschaftsteuer erhöhen und die Vermögensteuer wieder Es ist also völlig unwahr, wenn Sie sagen, es werde sei- einführen könnte. Wenn man eine solche Politik macht, tens der Regierung nichts für eine hocheffiziente Kraft- wie Sie bzw. die Bundesregierung es tun, nämlich à la werkstechnik getan. Das ist einfach falsch. Bitte nehmen Gerster in Kommunikation zu investieren, ohne dass Sie das zur Kenntnis! eine reale Leistung dahinter steht, dann bleibt auf Dauer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) nichts anderes übrig, als die Erbschaftsteuer zu erhöhen und bei der SPD) (D) und die Vermögensteuer wieder einzuführen. Aber das ist ein völlig falscher Weg. Deshalb: Hören Sie auf da- Drittens zur freiwilligen Selbstverpflichtung. – Dies ist mit, solche Feten zu feiern! Das ist unanständig. mein letzter Punkt; meine Redezeit ist gleich vorbei. – Kurz zur Historie: 1995, als die Bundesregierung unter Helmut (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Kohl die freiwillige Selbstverpflichtung eingeführt hat, hat Ferner [SPD]: Nennen Sie doch einmal Ihre sie gesagt: Wir werden darauf verzichten, das Instrument Vorschläge! – René Röspel [SPD]: Das war der Wärmenutzungsverordnung und der ökologischen ein Beitrag zur Klimaerwärmung bei der hei- Steuerreform einzuführen, wenn verbindliche freiwillige ßen Luft!) Selbstverpflichtungen eingegangen werden. – Das ist vollkommen vernünftig gewesen. Denn Freiwilligkeit Präsident Wolfgang Thierse: heißt, dass immer dann, wenn freiwillige Zusagen nicht Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle- erreicht oder nicht eingehalten werden, das Ordnungs- gen Reinhard Loske. recht greift. Das ist der tiefere Sinn. Denn als zahnloser Tiger, so wie Sie das vorhatten, sind freiwillige Selbst- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verpflichtungen ganz und gar ungeeignet. Herr Lippold, Sie haben drei Dinge angesprochen, auf Danke schön. die ich kurz replizieren möchte. Sie haben erstens ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagt, die Regierung tue nichts für die Altbausanierung und bei der SPD) und die Effizienz. Zweitens haben Sie festgestellt, sie tue nichts dafür, dass die Effizienz von Gaskraftwerken steige. Drittens haben Sie gesagt, die Bundesregierung de- Präsident Wolfgang Thierse: naturiere – so haben Sie sich, glaube ich, ausgedrückt – Kollege Lippold, bitte. das Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung. Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Dazu drei Antworten: Damit wir uns richtig verstehen, Herr Loske: Der Erstens zum Thema Altbausanierung. Als wir im erste Punkt ist, dass ich nicht von Gaskraftwerken ge- Jahre 1998 an die Regierung kamen, lag der Haushalts- sprochen habe. Ich habe generell von den fossilen Ener- ansatz der Bundesregierung für das KfW-CO2-Minde- gieträgern gesprochen. Sie wissen ganz genau, dass eine rungsprogramm bei 20 Millionen DM. Dieser Ansatz der zentralen Fragen ist, wie wir in der Grundlast von liegt heute bei 380 Millionen Euro pro anno. Das ist ein Kohle und Öl wegkommen. Wir sollten bei diesen Tech- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6991

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (A) nologien etwas tun. In den letzten Verlautbarungen der gen hat. Auch wenn Sie das nicht wussten, sollten Sie (C) Grünen zu dieser Sache habe ich gelesen, dass Sie unse- sich für das, was Sie gesagt haben, entschuldigen. ren Ideen zu folgen scheinen. Wir propagieren schon seit (Beifall bei der SPD) vielen Jahren, dass wesentlich mehr Aufwand in die Ef- fizienzverbesserung gesteckt werden müsste. Zurück zum Bundeshaushalt 2004. Wie sieht eigent- lich eine moderne und effiziente Umweltpolitik für das Der zweite Punkt, auf den ich jetzt noch einmal einge- 21. Jahrhundert aus? Wie muss ein Bundeshaushalt aus- hen will, ist, dass wir bei der KWK darauf achten müs- sehen, um eine solche Politik zu unterstützen? Was sind sen – das berücksichtigen Sie nach meinem Dafürhalten die Schwerpunkte, die man im Umweltschutz heute set- nicht hinreichend –, dass wir ausschließlich wirklich zen muss? Wie begegnet man den heute sehr viel un- wärmegeführte KWK haben, weil ansonsten die Effizi- sichtbareren, schleichenderen und oft globalen Umwelt- enz, die Sie reklamieren, nicht gegeben ist. Das ist der gefährdungen? – An solchen Fragestellungen muss sich Kernpunkt, den man im Auge haben muss. der Bundeshaushalt 2004 messen lassen. Wer ihn daran Der dritte Punkt sind die freiwilligen Selbstverpflich- misst, wird zugeben müssen, dass dieser Haushalt auch tungen. Sie wissen, dass man in der Frage des Ziels sehr im Umweltbereich die richtigen Akzente setzt. hart miteinander ringen muss. Das haben wir gemacht; (Beifall bei der SPD) wir sind ja keine Kinder, die nicht wissen, wie die Reali- tät in dieser Welt aussieht. Aber wenn Sie bezüglich der Was macht die CDU/CSU in dieser Debatte? Da er- Instrumente Überlegungen stellen und vorschreiben wol- zählt der Reisebürobesitzer Feibel uns etwas über den len, wie die vereinbarten Ziele erreicht werden müssen, Sinn oder Unsinn einer gar nicht getätigten Flugreise. bewirkt das eine Bürokratisierung und macht die Selbst- Sie werfen Nebelkerzen und beschäftigen sich mit Ne- verpflichtungen ineffizient und führt sie letztlich ad ab- benschauplätzen und spielen Theater. Was hat das mit ei- surdum. Deshalb, Herr Loske, sind wir mit der Frage der ner seriösen Diskussion über Umweltpolitik zu tun? Wirksamkeit dieses Instruments wesentlich besser um- (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind Fakten!) gegangen, als es die jetzige Regierung tut. Ich sage ja gar nicht, wie Sie es gemacht hätten. Ich erinnere mich an Sie haben hier zehn Minuten gestanden, ohne etwas über Ihre früheren Kritiken an diesem Umweltminister. Das Umweltpolitik oder die konkreten Punkte im Haushalt zu könnten wir jetzt alles noch im Detail abhandeln. Jeden- sagen. Da hätte ich mir doch etwas anderes gewünscht. falls sind wir mit diesem Instrument wesentlich besser (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und wesentlich verträglicher umgegangen, als Sie es tun. DIE GRÜNEN) Sie sagen: Wir wollen dieses Ziel mit diesen Instrumen- (B) ten auf diesem Weg und bis zu diesem Zeitpunkt errei- Organisation und Durchführung des Umweltschutzes (D) chen. Bei Ihnen ist das alles nicht mehr verhandelbar. sind in der Bundesregierung und im Bundeshaushalt mo- Wer Herrn Baake kennt, weiß, was das heißt: unter- dern geregelt. Diese Aussage kann man auch leicht bele- schreiben oder verordnet bekommen. Das ist der falsche gen. Nur 18 Prozent der Ausgaben für Umweltschutz im Weg, Herr Loske. Bundeshaushalt sind im Haushalt des BMU zu finden. Das heißt doch nichts anderes, als dass Umweltschutz (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) längst zur Querschnittsaufgabe geworden ist. Das ha- ben wir Umweltschützer uns doch immer gewünscht. Präsident Wolfgang Thierse: Wenn Sie das jetzt als Opposition kritisieren, würde ich Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Kelber, das als scheinheilig bezeichnen. SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ulrich Kelber (SPD): Die Umweltschutzausgaben im Haushalt teilen sich Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- aber nicht nur auf unterschiedliche Ressorts auf. Im Be- ren! Herr Kauch, ich würde gern noch etwas zu Ihrer reich des BMU selbst teilen sich die Ausgaben aufgaben- Rede sagen. Es war ja ihre Jungfernrede; Sie haben ge- gerecht in Projektmittel und direkte Ministeriumstitel merkt, dass wir weder Zwischenrufe gemacht noch Fra- auf. Die angeblich immer höheren Verwaltungsausgaben gen gestellt haben. sind kurz angesprochen worden. Aber was ist denn zum (Horst Kubatschka [SPD]: Obwohl es sehr Beispiel falsch daran, Experten für Naturschutz ins Mi- schwer gefallen ist!) nisterium und in ein Bundesamt zu holen, statt für viel Geld externe Aufträge zu vergeben, die in der Regel – Ja, das ist sehr schwer gefallen. – Aber auf einen sehr nicht einmal in direkter Abstimmung mit dem Ministe- wichtigen Punkt, den Sie in Ihrer Rede angesprochen ha- rium und mit der gleichen Qualität wie im Ministerium ben, muss ich noch eingehen. bearbeitet werden? Die gleiche Arbeit wird gemacht und Sie beschweren sich darüber, an welcher Stelle in ir- Sie haben gesagt, dass sich der Kollege Bülow, mein gendeiner langen Liste die Mittel dafür stehen. Auch das SPD-Parteifreund und Ihr Kollege aus Dortmund, vor ei- hat mit einer Diskussion über die Inhalte von Umweltpo- ner Betriebsversammlung in einer Brauerei in Dortmund litik überhaupt nichts zu tun. gedrückt habe. Es wäre gut gewesen, wenn Sie als Dort- munder erwähnt hätten, dass er zu diesem Zeitpunkt we- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen einer schweren Erkrankung im Krankenhaus gele- DIE GRÜNEN) 6992 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Ulrich Kelber (A) Naturschutz ist eines der Erfolgsthemen dieser Koa- zur Überwachung von Umweltdaten. Die Europäische (C) lition und des Bundeshaushalts im Umweltbereich. Trotz Union baut ein eigenes Überwachungsprogramm auf, aller Sparbemühungen können die Gelder für die Natur- das auf die Daten von Satelliten, Flugzeugen, Schiffen schutzverbände auf einem Niveau gehalten werden, das und festen Stationen setzt. 19 Millionen Euro stellt der dem des Vorjahres entspricht. Trotz aller Sparbemühun- Bund dafür zur Verfügung. Das sind geringe Kosten für gen steht auch für Naturschutzgroßprojekte sowie für Er- ein Programm, das große Potenziale birgt, wie zum Bei- probungs- und Entwicklungsmaßnahmen auf dem Ge- spiel hinsichtlich der frühzeitigen Erkennung von Um- biet des Naturschutzes weiter Geld zur Verfügung. weltgefahren, von Meeresverschmutzung oder von Hochwasser- und Waldbrandgefahren. Wir werden frü- In keinem anderen Bereich sind die Unterschiede her handeln können. zwischen den einzelnen Parteien so leicht zu erkennen wie im Naturschutz. Das möchte ich am Beispiel des so Der Einsatz moderner Technik ist an vielen Stellen genannten Vertragsnaturschutzes deutlich machen. gut für die Umweltpolitik. Beispiele sind die Beobach- CDU/CSU und FDP wollen eine bestimmte Gruppe von tung von Umweltentwicklungen – das habe ich eben ge- Landwirten und andere Personen mit Steuergeldern da- nannt –, die Nutzung neuer Technologien zur Energieer- für bezahlen, dass sie die Umwelt nicht zerstören. Wir zeugung und Energieeinsparung oder die Vermeidung sind der Meinung: Es muss doch selbstverständlich sein, von Verkehrsbewegungen durch Informationstechnolo- sich umweltgerecht zu verhalten. gie. (Zuruf von der SPD: Richtig!) Es gibt aber auch Bereiche, in denen moderne Tech- nologie Menschen Angst macht. Darauf müssen wir ein- Dafür bezahlen zu wollen grenzt an eine Veruntreuung gehen und uns mit den befürchteten Risiken beschäfti- von Steuergeldern. Richtig wäre es, Menschen dafür zu gen. Eine der größten Sorgen ist die Angst vor bezahlen, dass sie über die gute fachliche Praxis hinaus möglichen Auswirkungen des Mobilfunks. Alle Exper- etwas für die Umwelt tun, zum Beispiel bei der Land- ten wissen: Es gibt keine wissenschaftlich bestätigten schaftspflege. Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Untersuchungen, die Gesundheitsgefahren durch den (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Mobilfunk vermuten lassen. Dennoch muss die Politik BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) die Ängste der Menschen – darunter sind vor allem viele Eltern, die Angst um ihre Kinder haben – ernst nehmen Eine solche Klientelpolitik darf keinen Niederschlag im und weitere Untersuchungen veranlassen. Das sage ich Bundeshaushalt finden; sie hat dort nichts zu suchen. gerade auch als Abgeordneter der Stadt Bonn, der Stadt Deswegen folgen wir nicht den Vorschlägen der Opposi- mit den meisten Arbeitsplätzen im Telekommunikations- tion, sondern betreiben eine andere Politik. sektor in Deutschland. (B) (D) (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Aus diesem Grund ist es richtig, dass nicht nur die In- Völlig unqualifiziert!) dustrie 8,5 Millionen Euro gibt, sondern auch der Bund Ein anderer Bereich des Naturschutzes, der für den im Haushalt 8,5 Millionen Euro für die Untersuchungen Haushalt ebenfalls relevant ist, betrifft Hochwasser und im Mobilfunkbereich zur Verfügung stellt. Im Internet Flüsse. Wir geben den Flüssen wieder Raum und schaf- kann sich jeder Bürger über die untersuchten Themen fen naturnahe Flächen. Wir haben den Ausbau von Flüs- und die beteiligten Forscher informieren. Kritische Stim- sen fast zu Kanälen, den CDU/CSU und FDP betrieben men, die Vorschläge unterbreiten, was noch zu untersu- haben, beendet. So sorgen wir nicht nur für Artenviel- chen ist, sind herzlich willkommen. Auch hier setzt der falt, sondern betreiben auch vorbeugenden Hochwasser- Bundeshaushalt die richtigen Akzente. schutz. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜND- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn ich schon über die Forschung spreche, muss ich Wer noch immer glaubt, dass es sinnvoll ist, Flüsse zu als Umweltpolitiker natürlich auch auf die Energiefor- schieren Kanälen auszubauen, selbst wenn nur ein gerin- schung eingehen. Ich danke Ihnen, Frau Ferner, dass Sie ges Verkehrsaufkommen herrscht – diese Vorschläge fin- dieses Thema vorhin schon angesprochen haben. Es ist den wir in den Anträgen der Opposition immer wieder –, gut, dass die Koalition dafür gesorgt hat, dass das Aus- dem kann ich nur sagen: Jedes Kind weiß, dass sich laufen des Zukunftsinvestitionsprogramms in der Ener- durch den Ausbau von Flüssen die Hochwassergefahr er- gieforschung finanziell zumindest teilweise kompensiert höht. Nachdem Gelder für den Ausbau der Flüsse ver- wurde. Ich sage aber auch ganz offen: Dieses Geld reicht schleudert worden sind, muss meist auch Geld für nicht. Wir werden mehr Geld für Effizienztechniken, Deichbauten und irgendwann für die Beseitigung von Speicherforschung und andere Technologien, vor allem Hochwasserfolgen bereitgestellt werden. Ich sage Ihnen im Bereich der erneuerbaren Energien und des Klima- als Abgeordneter einer Stadt, durch die ein großer Fluss, schutzes, zur Verfügung stellen müssen. der Rhein, fließt: So einen Unsinn machen wir nicht mit. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Neben der Erhöhung der Gelder brauchen wir aber Wichtige Hilfen für den Naturschutz, aber auch für fast auch eine Umverteilung. Es macht keinen Sinn, weiter- alle anderen Bereiche der Umweltpolitik sind Programme hin so viel Geld wie bisher für die Fusionsforschung aus- Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6993

Ulrich Kelber (A) zugeben und viel weniger Geld für die wirklich zu- nicht beratungsfähig. Wenn die Neuverschuldung höher ist (C) kunftsträchtigen neuen Techniken im Bereich der als die Ausgaben für Investitionen, dann – ich weiß nicht, erneuerbaren Energien. wie Sie die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland auslegen – entspricht ein Haushalt nicht der Verfassung. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Deshalb haben wir uns geweigert, diesen verfassungs- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) widrigen Haushaltsentwurf zu beraten. Ich hoffe hier auf mehr Gemeinsamkeit im Bundestag. Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, welche Der Bundeshaushalt 2004 ist ein schwieriger Haus- Akzente gesetzt wurden. Sie reden davon, dass es die halt. Das ist nach drei Jahren ohne nennenswertes wirt- richtigen seien. Aber wenn Sie sich den Haushalt ge- schaftliches Wachstum auch nicht verwunderlich. Wir nauer anschauen, setzen in diesem Bundeshaushalt die Akzente aber nicht (Elke Ferner [SPD]: Wir haben nur in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und For- ihn uns angeschaut!) schung, auch der Umweltschutz kommt nicht zu kurz. Vieles von der Kritik, die ich gehört habe, verrät ein um- dann werden Sie feststellen, dass nicht die richtigen Ak- weltpolitisches Denken, das schon vor 20 Jahren über- zente gesetzt worden sind, weil nicht gespart wird. Ich holt war. Die Schwerpunkte sind richtig gesetzt. Das be- habe das vorhin schon ausdrücklich gesagt: Um die Fi- stätigen für den Gesamthaushalt die Sachverständigen nanzierung eines Haushaltes sicherzustellen und das für Wirtschaft und für den Bereich der Umweltpolitik Vorziehen einer Steuerreform gegenzufinanzieren, kann die Experten für Umwelt. man überlegen, ob es nicht Positionen gibt, bei denen man Geld sparen kann. Nachher wird auch noch mein Kollege Bülow für die SPD sprechen. Er wird natürlich auf den Bereich der er- Typisch dafür, dass man nicht sparen will, ist das Ver- neuerbaren Energien eingehen. halten des Bundesumweltministers. Mir kommt meine Berufserfahrung als Reiseverkehrskaufmann sehr zu- Eines findet man in diesem Haushalt nicht: Es gibt gute. Dafür brauche ich mich auch nicht zu schämen, keine staatlichen Mittel für die Einspeisevergütung bei Herr Kelber. Ich habe in meinem Leben als Unternehmer erneuerbaren Energien. Politiker von CDU/CSU und vielleicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, als Sie je gese- FDP behaupten ja immer, dass die Einspeisevergütung hen haben. für erneuerbare Energien massiv subventioniert würde. Selbst die Spitzen wie Merkel, Stoiber, Merz und (Elke Ferner [SPD]: Jetzt reicht es aber!) Westerwelle wiederholen dies häufig, obwohl sie wis- sen, dass es inhaltlich falsch ist. Ich hätte dem Bundesumweltminister sagen können, wie (B) man Geld spart, wenn man reist. Vielleicht kann er da- (D) Um es noch einmal festzuhalten: Die Einspeisevergü- rauf noch einmal zurückkommen. Das, was im Zusam- tung zur Förderung der erneuerbaren Energien kommt menhang mit Brasilien geschehen ist, ist ein eindeutiges nicht aus Steuergeldern. Zeichen dafür, dass jemand verantwortungslos mit Geld (Birgit Homburger [FDP]: Sie kommt von den umgeht und es verantwortungslos ausgibt, weil es offen- Verbraucherinnen und Verbrauchern! Sagen sichtlich nicht aus seiner Tasche kommt. Sie das dazu!) (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das sei vielleicht auch einmal an die hinteren Reihen der NEN]: Das haben Sie schon gesagt!) Union gesagt. Es handelt sich um eine verursacherge- Dann noch zu der Frage, warum wir kein Wirtschafts- rechte Umlegung auf alle klimabelastenden Arten der wachstum haben: Wenn Sie die Wirtschaft ständig mit Energieerzeugung. weiteren Abgaben und unangemessen hohen Energie- Abschließend insbesondere noch ein Hinweis an Sie, kosten belasten, Frau Homburger: Ein Blick ins Gesetz und in den Haus- (Elke Ferner [SPD]: Sie verhindern doch die halt erleichtert die Wahrheitsfindung. Steuerreform!) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass es so viele (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Konkurse gibt, und nicht zu fragen, warum so viele Ar- DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: beits- und Ausbildungsplätze wegfallen. Das gilt für Sie aber genauso!) (Elke Ferner [SPD]: Sie blockieren doch alles!) Präsident Wolfgang Thierse: Sie sollten die Zusammenhänge erkennen. Dann wer- Ich erteile Kollegen Albrecht Feibel das Wort zu einer den Sie sagen: Der Haushalt hat nicht das hergegeben, Kurzintervention. was Sie und wir alle gerne gehabt hätten, nämlich bera- tungsfähig zu sein. Albrecht Feibel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Kollege Kelber, ich möchte gegen- (Beifall bei der CDU/CSU) über Ihnen und Ihren Vorrednern noch einmal begründen, warum wir an der Beratung des Haushaltes nicht teilge- Präsident Wolfgang Thierse: nommen haben: Ein verfassungswidriger Haushalt ist Kollege Kelber. 6994 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Ulrich Kelber (SPD): Dazu sage ich Ihnen: Sie haben alle diese Zitate nicht (C) Herr Kollege Feibel, ich kann Ihnen nur dringend richtig gelesen. Frau Merkel und viele andere haben die empfehlen, erstens in das Handbuch für Abgeordnete zu Frage aufgeworfen, was für die erneuerbaren Energien schauen und zweitens auf meine Webseite zu gehen. tatsächlich geleistet wird; neben der Stromeinspeisever- Dann hätten Sie Ihre Bemerkung bezüglich der Arbeits- gütung gibt es ja noch Abschreibungsmöglichkeiten plätze wahrscheinlich nicht gemacht. Um auf die gleiche nach der AfA. Größenordnung zu kommen, müssten Sie sich noch (Beifall bei der CDU/CSU) ziemlich anstrengen. Dazu muss man kritische Fragen stellen. Wenn ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albrecht zum Beispiel sehe, dass in meinem Haushalt ein Anlage- Feibel [CDU/CSU]: Das geht daraus nicht her- prospekt eingeworfen wird, in dem im Zusammenhang vor!) mit erneuerbaren Energien Renditen von 9 bis 10 Pro- Wir hätten uns gefreut, wenn wir Einsparvorschläge zent versprochen werden, dann ist klar, dass diese allein von Ihnen gesehen hätten. Wir hätten uns hier im Bun- über die Stromeinspeisevergütung nicht garantiert wer- destag und unsere Kollegen aus den Ländern hätten sich den könnten. Sie hängen vielmehr mit den fantastischen im Bundesrat gefreut, wenn nicht jede Einsparung von Abschreibungsmöglichkeiten zusammen. Dabei stellt Ausgaben als versteckte Steuererhöhung bezeichnet sich die Frage, was den Haushalten auf Bundes-, Länder- worden, dann aber in Ihren eigenen Papieren wieder auf- und Kommunalebene durch Abschreibungsmöglichkei- getaucht wäre. Natürlich ist es schwierig, wenn man aus ten verloren geht. Über diesen Punkt hat Frau Merkel ge- einer Partei kommt, die im Augenblick wie eine Ge- redet. Sie hatte Recht. Sie hingegen haben nicht die meinschaft unabhängiger Sprecher fungiert und jeder al- Kraft aufgebracht, nach dem ersten Satz auch den zwei- les vorschlagen darf. Denn dann weiß man gar nicht, was ten Satz zu lesen, Herr Kelber. man wirklich beantragen darf – sofern man nicht gerade Merkel, Stoiber oder Koch heißt –; schließlich will man (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich sich ja nicht seine spätere Karriere verscherzen. Vor al- Kelber [SPD]: Nein, sie hat Subventionen ge- lem wenn man aus Hessen kommt, darf man dem Herrn sagt!) Koch natürlich nicht widersprechen, obwohl er seiner- Zweitens. Sie haben gerade ganz allgemein von der seits der Frau Merkel, Ihrer Fraktionsvorsitzenden, im- Opposition in Sachen Hochwasserschutz gesprochen mer widerspricht. und uns vorgeworfen, dass wir kein richtiges Flussma- Von daher wäre es vielleicht gut, wenn Sie sich eini- nagement vorweisen können. Ich kann mich sehr gut da- gen würden, welche Kürzungen Sie wollen. Wenn Sie ran erinnern, dass wir vor einigen Wochen einen Antrag zum Hochwasserschutz eingebracht haben. Diesen An- (B) unsere nicht wollen, dann machen Sie andere Vor- (D) schläge. Aber einfach zu sagen „Sparen Sie mal, wir ma- trag werden wir erst noch beraten – das muss man der chen keine Vorschläge!“ – da nimmt Ihnen doch nie- Öffentlichkeit auch sagen –, und zwar im Ausschuss und mand Ihr ernsthaftes Bemühen ab. Oder meinen Sie, im Plenum des Bundestages. Sie aber kommen gleich zu dass das auch nur ansatzweise etwas bringt? Wenn Sie dem Ergebnis, dass wir alles ablehnen werden. die Haushaltsberatungen in den nächsten Jahren so fort- Ich habe sogar in einer Presseerklärung gesagt: Aus- setzen wollen, dann möchte ich mich schon jetzt für nahmsweise geht dieser Gesetzentwurf in die richtige diese leichte Aufgabe bedanken. Richtung. Weiterhin habe ich jedoch gefragt, Herr (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Kelber: Was passiert mit den Auflagen für die Landwirt- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schaft, zum Beispiel im Gebiet der Ems in Niedersach- sen? Dort hieß es, im Einzugsbereich der Ems könne zu- künftig keine Landwirtschaft mehr betrieben werden. Im Präsident Wolfgang Thierse: Gesetzentwurf ist aber nicht geregelt, wer die Landwirte Ich erteile das Wort Kollegen Peter Paziorek, CDU/ in dieser Sache entschädigt. Darauf hätten Sie eine Ant- CSU-Fraktion. wort geben müssen. Das haben Sie im Gesetzentwurf nicht getan. Wir sind sehr gespannt, was Sie bei der Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frage der Entschädigung auf den Tisch legen werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) lege Kelber, Sie haben gerade sehr viel und intensiv ge- redet. Aber es stellt sich wirklich die Frage, ob Sie die Drittens. Der Punkt Lärmschutz ist nicht von Herrn umweltpolitischen Probleme, die Sie angesprochen ha- Kelber, sondern spontan von Ihnen, Herr Hermann, ge- ben, richtig dargestellt haben. nannt worden. Sie haben sogar Ihr Ehrenwort gegeben, im nächsten Jahr wird es etwas in Sachen Lärmschutz (Cajus Caesar [CDU/CSU]: Kann er nicht!) geben. Ich bin schon gespannt. Seit fünf oder sechs Jah- – Das kann er auch nicht. ren warten wir auf die Einhaltung dieses Ehrenwortes, dass etwas in Sachen Fluglärmschutz gemacht wird. Erstens. Mit einem Hinweis auf Frau Merkel haben Minister Trittin hat sich da über Jahre hinweg noch nicht Sie erklärt, es werde zur Subventionierung der erneuer- durchgesetzt, egal welcher Verkehrsminister gerade im baren Energien nichts aus Haushaltsmitteln beglichen. Amt ist. Es ist erstaunlich, wie voll Herr Kelber den (Ulrich Kelber [SPD]: Zur Mund nimmt und dass auch in jeder Koalitionsvereinba- Einspeisevergütung!) rung ein Fluglärmschutzgesetz angekündigt wird, aber in Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6995

Dr. Peter Paziorek (A) Wirklichkeit nichts passiert. Das ist rot-grüne Umwelt- Das wird schon daran deutlich, dass wir hier und (C) politik: Backe voll und bei der Realisierung abtauchen! heute zwar eine konzentrierte Förderung für die Photo- voltaik vornehmen, aber wir uns alle – Sie bestimmt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch – als Mitglieder des Umweltausschusses kritische neten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Ich habe Fragen vorlegen lassen müssen, warum für Biomasse gar nichts zum Lärmschutz gesagt!) und insbesondere für Biogas nicht ebenfalls ein Vor- – Ich habe ganz bewusst Herrn Hermann angesprochen, schaltgesetz verabschiedet worden ist. Herr Kelber. Aber so läuft das bei Ihnen. Das ist ein Eines muss man in aller Deutlichkeit sagen: Nur we- Wechselspiel. gen dieser Hektik – die CDU/CSU hat das im Umwelt- ausschuss gerügt –, mit der Sie dieses Vorschaltgesetz Viertens. Auch das Naturschutzgesetz wurde spontan innerhalb von zwei Wochen durchpeitschen wollten und angesprochen. Sie meinen, es sei unredlich, Landwirten auch mussten – das gebe ich zu –, um Sicherheit für die Entschädigungen zu zahlen, wenn diese den Stand der Photovoltaikindustrie zu erreichen, gab es überhaupt Technik – in der Landwirtschaft heißt es: die gute fachliche keine Zeit und Möglichkeit mehr, die Anregungen bei- Praxis – einhalten. So haben Sie es formuliert; ob das, was spielsweise des Kollegen Helmut Lamp aufzugreifen Sie gesagt haben, richtig ist, darüber müssen wir im Detail und zu fragen, ob wir kurzfristig noch etwas für Biogas streiten. Eines aber muss man wissen: Wenn Sie das so ri- machen können. goros durchsetzen wollen, wie Sie das konkret angekündigt haben, bedeutet das, dass in anderen Staaten der EU für ver- Diese heftige Kritik ist durchaus berechtigt. Daraus gleichbare Maßnahmen Entschädigungsleistungen der muss man eine Konsequenz ziehen: Es darf zukünftig Europäischen Union für die heimische Landwirtschaft kas- auch bei der Beratung der großen Novelle zum EEG siert werden können, weil dort die Standards nicht so hoch nicht mehr zu solch einer Hektik und zu einem solchen gesetzt sind. Bei uns wird dies nicht der Fall sein, weil Sie Durchpeitschen kommen, denn dann sind die Fehler klar die Standards so hoch gesetzt haben. Die EU wird daher programmiert. Es darf nicht passieren, dass wir die Feh- die Fördermittel nach Italien und Spanien geben; denn ler wiederholen, die in den letzten Tagen und Wochen die Deutschen haben die Standards bereits so hoch fest- durch Ihre Hektik leider passiert sind. gesetzt. Diese Fragen müssen Sie den heimischen Land- wirten beantworten. Warum bekommen Landwirte in (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Spanien und Italien eine Förderung für das gleiche Ziel- NEN]: Das ist ein wunderbares Gesetz! Sie niveau? In Deutschland wird rot-grüne Umweltpolitik stimmen doch zu!) gemacht, um dem Papier Genüge zu tun. An die heimi- sche Landwirtschaft wird dabei nicht gedacht. Das wer- (B) Präsident Wolfgang Thierse: (D) fen wir Ihnen vor. Kollege Paziorek, gestatten Sie eine Zwischenfrage (Beifall bei der CDU/CSU) des Kollegen Fell? Damit ist für mich für heute das Thema Umwelt erle- digt. – Wir beraten heute ja auch noch in zweiter und Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): dritter Lesung das Vorschaltgesetz Photovoltaik zum Er- Gerne. neuerbare-Energien-Gesetz. Hier sagen wir ganz klar und deutlich: Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden diesem Vorschaltgesetz zur Photovoltaik zu- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stimmen; denn mit diesem Gesetz erhält die Photovolta- Herr Kollege Paziorek, Sie haben gerade behauptet, ikbranche in Deutschland endlich Planungs- und Investi- dass sich die deutsche Photovoltaikindustrie in einer gro- tionssicherheit. Diese Sicherheit ist durch rot-grüne ßen Krise befinde. Ist Ihnen bekannt, dass mit dem Aus- Verzögerung und Unentschlossenheit in den letzten Mo- laufen des 100 000-Dächer-Programms im Juni dieses naten leider verloren gegangen. Jahres ein unglaublicher Auftragsboom entstanden ist und die Industrie die Aufträge bis zur Stunde noch nicht (Beifall bei der CDU/CSU) abgearbeitet hat, dass sehr viele Überstunden gemacht werden müssen, um die Aufträge abzuarbeiten, und da- Ich habe dazu schon bei der ersten Lesung zu diesem von ausgegangen wird, dass erst im nächsten Jahr, in Gesetzentwurf ausgeführt, muss das aber heute wieder- dem eine neue Einspeisevergütung erwartet wird, dieser holen: Seit dem Auslaufen des 100 000-Dächer-Pro- Aufschwung der Photovoltaik weitergeht? gramms im Frühsommer dieses Jahres ist die deutsche Photovoltaikindustrie in eine große Krise geraten. Dies Wie können Sie angesichts dieser Tatsache behaup- haben Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, ten, dass die Photovoltaikindustrie aktuell wegen Rot- ganz allein zu verantworten, denn Sie haben es ver- Grün in einer Krise ist? Denn unsere Beobachtung ist, säumt, rechtzeitig eine Anschlussregelung vorzulegen. dass das glatte Gegenteil der Fall ist. Erst durch Rot- Es ist bereits das zweite Mal in diesem Jahr, dass wir Grün gab es diesen großen Aufschwung. Dadurch war es hektisch Fehler Ihrer Gesetzgebung und Ihrer Förderpo- möglich, dieses Vorschaltgesetz rechtzeitig zu bringen, litik bei den erneuerbaren Energien korrigieren müssen. wenn auch dank Ihrer Mithilfe. Sie arbeiten einfach nicht sorgfältig genug. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja (Albrecht Feibel [CDU/CSU]: So ist es!) lächerlich!) 6996 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): das Jahr 2003 geht man von einem Vergütungsvolumen (C) Sehr geehrter Herr Kollege, jetzt bin ich aber wirklich von circa 125 Millionen Euro aus, bei einem Stromwert platt. Ihre Kolleginnen und Kollegen im Umweltaus- von circa 15 bis 20 Millionen Euro. Daraus wird deut- schuss begründen die Tatsache, dass wir uns jetzt ganz lich, welche Summe wir indirekt – über Umlagen beim schnell entscheiden müssen, damit, dass feststeht, dass Verbraucher und bei der mittelständischen Wirtschaft – die Auftragsdelle schon ab dem Januar nächsten Jahres finanzieren. Wenn man dann wie Sie, Herr Kelber, sagt, da sein wird. Die Betriebsräte rufen bei uns an und sa- das seien doch gar keine Mittel aus dem Bundeshaushalt, gen, dass noch vor Weihnachten arbeitsplatzrelevante dann muss man sich über die Größenordnung klar sein Entscheidungen zu treffen sind, wenn der Deutsche Bun- und sich Augen führen, dass das Mittel der Verbraucher destag nicht heute, zwei Sitzungswochen vor der Weih- und der mittelständischen Wirtschaft sind. Ich habe die nachtspause, die entsprechenden Signale sende, wie es Zahlen genannt; schließlich muss man wissen – wir ha- ab dem 1. Januar 2004 weitergeht. Herr Fell, wie kommt ben sie lange bei uns in der Fraktion erörtert –, welche denn diese Beschreibung der Firmenchefs, des Bundes- Belastungen man ausspricht, wenn man zustimmt. Wenn verbandes Solarindustrie und auch der Betriebsräte vor wir die Förderung fortsetzen wollen, müssen wir uns dem Hintergrund Ihrer Aussage zustande? also darüber Gedanken machen, ob der Weg in dieser Form weitergegangen werden kann. (Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Klappern gehört zum Handwerk! – Ge- Ich möchte Sie auffordern, bei der Novelle des EEG genruf des Abg. Siegfried Kauder [CDU/CSU]: nicht hektisch zu beraten, uns Zeit zu geben und gleich- Unfassbar!) zeitig für alle neuen Instrumente offen zu sein, mit denen die Kostenbelastung für die mittelständische Wirtschaft Lieber Herr Fell, ich halte es für nicht hinnehmbar eventuell unter Kontrolle gehalten werden kann. Dies – als Kollege schätze ich Sie ja durchaus –, dass Sie die muss der Ausgangspunkt für die Beratungen sein; mit ei- Sorgen, die gerade aus dem Arbeitnehmerbereich der ner schlichten Fortschreibung des Systems, das zudem Solarwirtschaft in den letzten Tagen massiv geäußert sehr teuer ist, ist es nicht getan. worden sind, in dieser Art und Weise abtun wollen. Das sollte man bei aller Erfolgsbilanz, die Sie für die rot- (Beifall bei der CDU/CSU) grüne Regierungskoalition darstellen wollen – das ver- stehe ich –, nicht hinnehmen. Deshalb habe ich die Bitte, Ich komme zum letzten Punkt meiner Ausführungen. dass Sie noch einmal überlegen, ob Ihre Aussage vor Neue Märkte zu erschließen ist wichtig. Denn die hohen dem Hintergrund der wirklich großen Besorgnisse im Kosten der Photovoltaik können wir letztlich nur recht- Bereich der Photovoltaik gerechtfertigt war. fertigen, wenn wir sagen: Damit eröffnen wir Ex- portchancen. Deutschland wird auch in den nächsten (B) (Beifall bei der CDU/CSU) Jahren nicht im Sonnengürtel der Erde liegen. Aus die- (D) Eines aber stimmt, Herr Fell: Der Union wurde eine Zu- sem Grunde müssen wir uns über den Export Gedanken stimmung letztlich nur möglich, weil Sie – insofern will machen. Dazu möchte ich aus dem aktuellen Bericht der ich den kooperativen Stil durchaus erwähnen – bereit ge- Deutschen Energie-Agentur über den Handlungsbedarf wesen sind, auch über die Fördersätze im Einzelnen bei der Förderung des Exports zitieren: nachzudenken. Die Erfahrungen der Deutschen Energie-Agentur Ich muss an dieser Stelle auch der Solarindustrie ganz GmbH im Rahmen der Exportinitiative verdeutli- klar und deutlich sagen: Ich fand es sehr gut, dass man chen, dass bezüglich des Exports deutscher EE- bereit gewesen ist, mit uns kooperativ über diese Fragen Technologie erheblicher Handlungsbedarf be- zu sprechen, und dass wir geprüft haben, an welchen steht. Stellen die angedachten Fördersätze noch reduziert wer- Weiter heißt es: den konnten. Ich weiß, dass wir auch der Solarindustrie damit sehr viel zumuten und dass das eine harte Vorgabe Eine verbesserte Präsenz auf Auslandsmärkten und ist. Aber dieser Schritt war notwendig. Denn wir müssen eine deutliche Erhöhung der Exportquoten ist immer darauf achten – auch wenn man in der Fördersys- gleichzeitig die Voraussetzung für den Erhalt und tematik bleibt –, dass die Förderkosten nicht ausufern. den weiteren Ausbau der EE-Branchen in Deutsch- land. Laut Aussagen des VDMA ist es für den Be- Deshalb war es wichtig, dass wir an dieser Stelle stand der deutschen EE-Branche unabdingbar, mit- deutlich gemacht haben: Wir werden uns die Fördersätze telfristig eine Exportquote von etwa 70 Prozent zu im Einzelnen anschauen. Denn wir wollen erreichen, erreichen. dass es bei den Förderkosten einen gesamtwirtschaftli- chen Deckel gibt, und wir werden alles tun, um diesen Es kommt auch darauf an, dass wir eine Förderpolitik Spagat erfolgreich zu bewältigen, nämlich erneuerbare betreiben, die nicht nur die deutschen Verbraucher und Energien zu fördern und gleichzeitig die Förderkosten Mittelständler belastet, sondern wir müssen eine Politik unter Kontrolle zu halten. Das ist ein verantwortungsbe- mit interessanten Instrumenten betreiben. Hierbei sollten wusstes Vorgehen in diesem Bereich. die Exportchancen über das Wirtschaftsministerium und über das Umweltministerium eröffnet werden. Teilweise (Beifall bei der CDU/CSU) sagen uns die Vertreter von mittelständischen Photovol- Natürlich ist uns bekannt, dass die indirekten Sub- taikanlagenherstellern: Diese Exportunterstützung gibt ventionskosten bei der Photovoltaik – Herr Kelber, nen- es gar nicht im rot-grünen Lager. Das ist das Hauptpro- nen wir sie einfach einmal so – noch sehr hoch sind. Für blem. Sie wollen die Förderbeträge erhöhen, machen sich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6997

Dr. Peter Paziorek (A) aber nicht ausreichend Gedanken darüber, wie man den nicht, dass Sie nicht gemerkt haben, dass wir (C) Export in diesem Bereich tatsächlich fördern kann. Das einen Antrag dazu vorgelegt haben, und zwar ist ein schwerer Vorwurf, den wir zum Abschluss ma- schon den zweiten, Herr Trittin!) chen müssen. Deshalb können wir nur sagen: Auch das ist ein Grund, weshalb wir dem Haushaltsplan zum Um- Ich bin aber geneigt, solche Dinge ein bisschen humo- weltbereich in diesem Jahr nicht zustimmen können. ristisch zu betrachten. Wenn die FDP, die über Jahre hin- weg jeden Ansatz zur Förderung der erneuerbaren Ener- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gien bekämpft hat, sich nun dafür ausspricht, dann könnte ich feststellen: Hic Rhodus, hic salta! Irgend- Präsident Wolfgang Thierse: wann musste das ja kommen. Das erlaubt mir die Über- Ich erteile das Wort Bundesminister Jürgen Trittin. leitung zu dem Kollegen Lippold, der eben mit etwas säuerlicher Miene den hörenswerten Ausführungen von Herrn Paziorek gefolgt ist. Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit: Wenn Sie danach fragen, wo Deutschland internatio- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber nales Ansehen genießt, dann empfehle ich Ihnen, sich Herr Kauch, ich bin es schon gewöhnt, dass Sie vehe- einmal umzusehen. Zum Beispiel wird im World Watch ment etwas bei der Regierung einfordern, nur um es an- Report nicht nur unsere Politik im Zusammenhang mit schließend ablehnen zu können. Aber ich nehme Sie dem Atomausstieg, sondern insbesondere auch die För- jetzt beim Wort. Ich freue mich darauf, dass Sie Ihren derung der erneuerbaren Energien als weltweit vorbild- ehemaligen Fraktionskollegen Herrn Hirche und Ihren lich betrachtet. Parteifreund Herrn Bauckhage dazu bringen werden, ei- ner dann vorgelegten Novelle des Fluglärmgesetzes zu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen – auch wenn sie formal nicht zustimmungs- und bei der SPD) pflichtig sein wird. Dann werden wir die Rede, die Sie Nicht umsonst haben wir hier ja auch die größten Steige- hier gehalten haben, auch ernst nehmen. rungsraten. Aber Sie müssen denen nicht glauben; das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind ja nur „irgendwelche Ökos“. Aber glauben Sie we- nigstens Ihren Parteifreunden, den Konservativen in In der Regel empfiehlt es sich, die Artikel, aus denen Spanien und Frankreich. Jacques Chirac ist kein Sozia- man zitiert, zu Ende zu lesen. Herr Vorholtz beschreibt list; er ist auch kein Grüner. Trotzdem haben die Regie- nämlich zum Ende hin sehr zutreffend, dass gerade die rungen dieser beiden Länder unsere Einspeiseregelungen Bereiche, in denen das Umweltministerium massiv auf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz übernommen. Sie Entbürokratisierung und Verschlankung von Genehmi- (B) haben sich dafür entschieden, weil sie wissen, dass sie (D) gungsverfahren setzt, von den Lobbygruppen der Indus- kostengünstiger und effizienter sind als die Ausschrei- trie, deren position Sie sich sonst so gerne zu Eigen ma- bungsmodelle. Wir liegen mit den Einspeisevergütungen chen, blockiert werden. Darin liegt der Bürokratismus in 2 bis 3 Cent unter den Ausschreibungsmodellen, die in der Umweltverwaltung in Deutschland begründet. Großbritannien zur Anwendung kamen, und haben sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sogar noch weiter gesenkt. Das nenne ich Führungskraft sowie bei Abgeordneten der SPD) und Voranschreiten! So stellt sich eine internationale Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Umwelt- und Klima- Wenn Sie sich mit der Materie genauer beschäftigt ha- politik dar! ben, können Sie vielleicht auch Fragen beantworten. Welche Meinung vertreten Sie zum Beispiel in der Che- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN miepolitik? Teilen Sie die Position des Bundesverbandes sowie bei Abgeordneten der SPD) der Deutschen Industrie, der den neuen Ansatz in der Chemikalienpolitik rundweg und fundamentalistisch Präsident Wolfgang Thierse: ablehnt? Oder sind Sie mit der Bundesregierung, mit der Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie Kollegen Ramsauer? und dem Verband der Chemischen Industrie der Auffas- sung, dass man in der Chemikalienpolitik weitergehen Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- muss, als es die Kommission vorgeschlagen hat, dass schutz und Reaktorsicherheit: zum Beispiel auch bei Chemikalien mit weniger als 10 Jahrestonnen wenigstens ein Basisdatensatz notwen- Bitte, Herr Ramsauer. dig ist, um einschätzen zu können, ob diese Stoffe krebserzeugend oder erbgutverändernd wirken? Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Herr Bundesminister Trittin, wenn Sie uns als Oppo- (Widerspruch bei der CDU/CSU) sitionsfraktion inzidenter vorwerfen, dass wir gegen er- Auf wen zählen Sie? Auf die Fundis in den Lobbyver- neuerbare Energien sind, dann frage ich Sie: Ist Ihnen bänden oder auf die Branche, die die notwendige Fach- bekannt, dass das Vorgängergesetz des EEG, das Strom- kunde aufweist und mit der Bundesregierung zusam- einspeisungsgesetz, 1990 von der Regierung Kohl ge- menarbeitet? schaffen worden ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Birgit Homburger [FDP]: Es wundert mich NEN]: Nein, vom Parlament!) 6998 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Peter Ramsauer (A) dass die damalige Opposition aus SPD und Grünen die- Ich stimme Herrn Paziorek auch darin zu, dass wir (C) sem Gesetz nur widerwilligst zugestimmt hat und dass mehr Anstrengungen brauchen, um unsere erneuerbaren sich die CDU/CSU genau deshalb heute als erfolg- Energien im Ausland besser abzusetzen. Aber Sie – und reichste Erneuerbare-Energien-Partei bezeichnen kann, erst recht Herr Feibel – hätten sich vielleicht bei Ihrer die es in Deutschland je gegeben hat? Banknachbarin, der Kollegin Brunkhorst, erkundigen sollen, was wir in Brasilien getan haben. Wir haben un- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ter anderem eine Industriemesse in Sao Paolo eröffnet, DIE GRÜNEN) deren einziges Thema an diesem Tag die Förderung und Absatzförderung der erneuerbaren Energien war. Ent- Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- scheiden Sie sich einmal, was Sie wollen: Wollen Sie he- schutz und Reaktorsicherheit: rumkaspern mit diesem Reiseverkehrskaufmann oder Lieber Herr Kollege Ramsauer, mir ist bekannt, wie wollen Sie ernsthaft darüber reden, dass wir gemeinsam es mit dem Stromeinspeisungsgesetz anfing. Mir ist auch mehr für den Absatz deutscher Industrieprodukte tun? bekannt, dass es dringenden Veränderungsbedarf gab, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den wir dann aufgegriffen haben. Wir müssen uns an und bei der SPD) dieser Stelle doch gar nicht streiten. Ich habe ja mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die Union zumin- Eine letzte Bemerkung: Sie reden von Selbstver- dest bei der Photovoltaik die Koalition in der Opposition pflichtung und sehen als Alternative nur Sanktionen. mit den Neoliberalen aufgekündigt hat und nun tatsäch- Dieses System haben Sie doch erfunden; Kollege Loske lich mit Taten zu ihren Worten steht. Deswegen konnte hat darauf hingewiesen. Das Prinzip, im Gegenzug zur ich der Rede unseres Kollegen Paziorek mit großem Selbstverpflichtung auf die Ökosteuer und die Wärme- Wohlwollen und großer Freude folgen. Hier bildet sich verordnung zu verzichten, war bisher Konsens zwischen wieder der parteiübergreifende Konsens heraus, den es uns. Dieses Prinzip habe ich erst jüngst in einem Vortrag bei der Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes von Klaus Töpfer wieder gehört. Warum ist das, was Sie gegeben hat und der besagte, dass es notwendig ist, er- gemacht haben, verkehrt, wenn wir es machen? Aller- neuerbare Energien zu fördern. Deswegen sollten wir dings sind wir der Auffassung, dass es verkehrt wäre, dies gemeinsam machen. Selbstverpflichtungen ohne eine Sanktion bei Zielver- fehlung einzuführen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Ich nenne Ihnen dafür ein ganz praktisches Beispiel: Die europäische Automobilindustrie hat versprochen, Meine Damen und Herren, hier ist auch vom Klima- dass ihre Fahrzeuge bis zum Jahre 2010 im Flotten- schutz die Rede gewesen. Man kann nicht sagen, man (B) durchschnitt nur noch 120 Gramm CO2 pro Kilometer (D) sei für Klimaschutz, und dann von 18 Klimaschutzmaß- emittieren. Das ist eine ambitionierte Selbstverpflich- nahmen 16 ablehnen. Die FDP hat sogar – das war das tung. Da wir wollen, dass dieses Ziel erreicht wird, be- Projekt 18 – alle 18 Maßnahmen abgelehnt. Aber Sie dauere ich es sehr, dass jetzt von der Automobilindustrie werden an dieser Stelle auch zum Schwur kommen müs- das Signal gesetzt wird, sich von dieser Selbstverpflich- sen. Mit dem System des Emissionshandels wird für je- tung zu verabschieden. Ich wünsche mir, dass sie es den sichtbar, was das von uns gemeinsam verabschiedete nicht tut, weil ich dieses Instrument der Selbstverpflich- Kioto-Protokoll bedeutet: im Jahre 2010 846 Millionen tung nicht desavouiert sehen möchte. Aber über eines Tonnen CO2, keine Tonne mehr. Dann werden Sie sich sollten wir uns jetzt verständigen: Wenn diese Selbstver- dazu sehr praktisch verhalten müssen. Wie wollen Sie pflichtung aufgekündigt wird, dann möchte ich nicht, damit umgehen, dass an dieser Stelle alle Sektoren der dass die daraus zu ziehenden Konsequenzen von Ihnen Gesellschaft ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten müs- kritisiert werden; denn die Verkehrswirtschaft und insbe- sen? sondere die Autoindustrie werden wie wir alle einen Bei- Wir werden uns dann gemeinsam darüber unterhalten, trag zum Klimaschutz leisten müssen. Es wird keine ob der Zustand beibehalten werden kann, der unter Möglichkeit geben, dass sich ein Sektor zulasten eines CDU/CSU und FDP anhielt, dass zwar die Industrie- anderen einen schlanken Fuß macht. emissionen gesenkt wurden – Sie haben die Industrie ein- Vielen Dank. seitig belastet –, aber die Emissionen aus den Haushalten und aus dem Verkehr sprunghaft nach oben gegangen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind. Diese Regierung hat hier eine Wende eingeleitet und bei der SPD)

(Birgit Homburger [FDP]: Wo denn?) Präsident Wolfgang Thierse: und dafür gesorgt, dass in wenigen Jahren die Haushalte Ich erteile das Wort Kollegin Doris Meyer, CDU/ CSU-Fraktion. 18 Prozentpunkte CO2 weniger als 1998 emittieren. Wenn Sie, meine Damen und Herren, uns noch einmal (Beifall bei der CDU/CSU) etwas über Klimaschutz erzählen, dann sollten wir uns anhand von Tonnenvergleichen über die konkreten Maß- nahmen unterhalten. Doris Meyer (Tapfheim) (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Herren! „Eine fröhliche Beerdigung“ titelte vor etwa und bei der SPD) zwei Wochen eine namhafte deutsche Tageszeitung. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 6999

Doris Meyer (Tapfheim) (A) – Nein, es ging noch nicht um die rot-grüne Koalition. sens feiern können. Sie verkennen offenbar die Folgen (C) Anlass dieses so überschriebenen Berichts war vielmehr Ihres Tuns. eine Feier des Bundesumweltministers Jürgen Trittin. Sie haben beim Feiern den Haushalt Ihres eigenen Gefeiert hat er nicht etwa seinen Haushalt 2004 – dieser Ministeriums vergessen und Sie lassen die gegenwärtige gäbe eher Anlass zum Weinen, erst recht für einen Um- Situation der bundesdeutschen Wirtschaft völlig außer weltminister der Grünen –, sondern das Abschalten des Acht. Ich versuche, es einmal positiv zu sehen: Ihre Kernkraftwerkes Stade bei Hamburg. Diese Feier kos- Feier kurbelt die Wirtschaft im besten Sinne des Wortes tet die Steuerzahler rund 36 000 Euro. 36 000 Euro in an. Ich meine damit die Gastronomie in Berlin im Ham- Zeiten fehlenden wirtschaftlichen Aufschwungs, ausge- burger Bahnhof. geben von einem Minister, dessen Haushalt immer klei- ner wird. 36 000 Euro zum Feiern eines Ereignisses, zu Der Umgang Ihres Hauses mit diesem Vorgang lässt dem der Minister wenig beigetragen hat; das Kraftwerk interessante Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit Ihrer Stade wird vom Betreiber aus rein wirtschaftlichen Politik zu. In einer Erklärung Ihres Hauses zur Feier Gründen vorzeitig stillgelegt. 36 000 Euro, zu denen anlässlich der Abschaltung des AKW Stade ist zu lesen: rund 100 000 Euro hinzukommen. In einer groß angeleg- ten Kampagne wurde das Abschalten des Kernkraft- Man sollte es auch mal verknusen können, wenn werks Stade mit Anzeigen wie dieser hier gezeigten be- auf das Abschalten eines Atomkraftwerkes angesto- worben. Nach unseren Schätzungen dürften sich die ßen wird – nicht immer, aber immer öfter. Kosten für diese Aktion in mehreren bundesweit erschei- Dies zeigt: Das Bundesumweltministerium hat noch et- nenden Zeitungen auf rund 100 000 Euro belaufen. was zu lachen. Fragt sich nur, wie lange noch und ob die Wie hoch die Kosten der Kampagne zum Dosen- Bürgerinnen und Bürger diesen Sinn für Humor teilen. pfand sind, die in Kinospots beworben wurde, haben wir Ein interessanter Ansatz ist auch die These, die heute schon erfahren. Ich wiederhole die Zahlen: 83 000 36 000 Euro seien effizient eingesetzt worden: Mit Euro für die Kinospots und 112 000 Euro für die Anzei- – Zitat – „relativ geringen Mitteln konnte eine sehr gen. Ob es ein würdiger Grund zum Feiern war, wird große Medienresonanz erreicht werden“. Mir jedenfalls sich erst in der Zukunft zeigen, wenn die jetzige Regie- ist angesichts der Zahlen Ihres Haushalts das Lachen im rungskoalition zwar nicht mehr im Amt ist, aber wir alle Halse stecken geblieben. die Auswirkungen ihrer bisherigen Politik zu spüren be- kommen. Der Gesamthaushalt sinkt im Vergleich zum Vorjahr, der Verwaltungshaushalt steigt, der Programmhaushalt, (Beifall bei der CDU/CSU) aus dem eigentlich die Politik Ihres Hauses bestritten werden sollte, sinkt. Sie setzen damit ganz eindeutige (B) Herr Bundesminister, Sie haben das Abschalten als (D) Zeichen. einen „Meilenstein rot-grüner Energiepolitik“ bezeich- net. Ein Stein des Anstoßes ist dies bestimmt. Dieser (Elke Ferner [SPD]: Sie haben so viel Ahnung Stein wiegt sehr schwer und muss von den künftigen Ge- von diesem Haushalt wie eine Kuh vom Tan- nerationen erst noch getragen werden. Ich frage Sie, zen!) Herr Trittin: Wo ist Ihr Konzept für eine zukunftsfähige Energiepolitik in Deutschland für die nächsten 30 bis Die Reise geht nicht in Richtung Umwelt und Natur- 50 Jahre? schutz, sondern in Richtung Ideologie und Bürokratie. Ihre Politik verliert zusehends an Bedeutung. (Beifall bei der CDU/CSU) (Elke Ferner [SPD]: Ihr Brett vorm Kopf wird Ich vermisse es bis heute. Oder entwirft das Wirtschafts- immer dicker!) ministerium ein solches Konzept wieder einmal ohne Herr Minister Trittin, in Zeiten des Sparens Steuergel- Abstimmung mit Ihnen? Mir ist bange um die künftige der derart zu verschwenden, wie Sie es tun, und sich Energieversorgung in Deutschland. dann noch dermaßen salopp zu rechtfertigen, ist unver- Wir brauchen einen Energiemix aus herkömmlichen antwortlich. und erneuerbaren Energien. Eine einseitige Förderung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der einen und auf Kosten der anderen Energieart darf neten der FDP) nicht sein. Ökologische und ökonomische Aspekte müs- sen gleichermaßen berücksichtigt werden. Sie können Haushalten Sie effizient mit den Mitteln, die Ihnen in die doch nicht Stück für Stück ein Land von einer sicheren Hand gegeben werden! Energieversorgung abkoppeln und dabei offen lassen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wie die Versorgung in Zukunft funktionieren soll. Das ist unverantwortlich. Sie, Herr Trittin, bleiben den Wähle- rinnen und Wählern eine Antwort schuldig. Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kollegen Marco Bülow, SPD-Frak- (Beifall bei der CDU/CSU) tion, das Wort. Sie zeigen der Bevölkerung ganz deutlich, wie sehr Sie dieses Problem beschäftigt: Sie feiern trotzdem. Marco Bülow (SPD): Oder vielleicht sogar, um die eigenen Probleme zu ver- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bei- drängen. Mir ist schleierhaft, wie Sie noch guten Gewis- den heute diskutierten Punkte – der Haushalt und die 7000 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Marco Bülow (A) Förderung der erneuerbaren Energien – haben zwar kei- Nur die FDP verliert leider jedweden Anschluss. Aber (C) nen direkten Zusammenhang – Herr Kelber hat schon auch da gibt es ein positives Signal. Der Sprecher des darauf hingewiesen –; aber eine vernünftige Anschub- Umweltausschusses in Bayern sagte, er verstehe gar förderung kann den Haushalt mittelfristig entlasten. Die nicht, warum die FDP den erneuerbaren Energien so fern Förderung der erneuerbaren Energien ist vernünftig. Ich sei. Er findet die erneuerbaren Energien und das Erneu- bin mir sicher: Die Investitionen in die Zukunft werden erbare-Energien-Gesetz sehr effizient. Es wäre schön, den Haushalt irgendwann entlasten. wenn Sie sich einmal mit ihm unterhalten würden. Die Zukunft der Energieversorgung beruht meines (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Erachtens auf zwei Säulen, auf denen weiter aufgebaut des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden muss: erstens der stetigen Steigerung der Effi- Wir spüren also eine Gutwetterlage für die erneuerba- zienz und zweitens dem stetigen Ausbau der erneuerba- ren Energien – trotz aller Attacken, trotz der unfairen ren Energien. Ich bin mir sicher, dass sich auch in die- Kostendiskussion mit Halbwahrheiten, mit Übertreibun- sem Bereich die Vernunft durchsetzen wird. gen und mit Unterschlagungen. Dazu kurz drei Beispiele: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Erstens. Herr Rüttgers erstellt eine Rechnung zu den des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kosten der Windkraft, ohne einzubeziehen, dass der Dazu passen die positiven Signale und Meldungen Wert der Windkraft an sich da ist, während er bei den der letzten Zeit: Der Mineralölkonzern Total will massiv fossilen Energieträgern erst entstehen müsste. Das ver- in die Windkraft investieren. RWE hat den ersten großen schweigt er bei dieser Kostendiskussion. Offshore-Windpark Großbritanniens in Betrieb genom- (Ulrich Kelber [SPD]: So kennen wir den men. In Kalifornien werden die Ziele hochgeschraubt: Rüttgers!) Der Anteil der erneuerbaren Energien soll bis 2010 von 7 Prozent auf 20 Prozent erhöht werden. Dahinter kön- Zweitens. Es gibt den Vorwurf der explodierenden nen wir uns fast noch verstecken. Gleichzeitig wird in Dauersubvention – es gibt viele, die ihn erheben –, und den USA von renommierten Wissenschaftlern ein Weiß- zwar – damit wir uns richtig verstehen – der staatlichen buch aufgelegt, das folgende Zahlen – wir kennen sie Subvention. Dazu hat Herr Kelber gerade schon etwas schon, aber das bestätigt es noch einmal – beinhaltet: Es gesagt. Staatliche Subventionen geben wir sowieso ist locker möglich, bis 2050 einen Anteil von 50 Prozent nicht. Außerdem sieht schon die geltende Fassung des an der gesamten Energieversorgung der Welt aus erneu- EEG Degressionsstufen vor, beispielsweise bei Photo- erbaren Energien zu gewinnen. Deswegen ist es auch voltaik in Höhe von 5 Prozent. Der Förderungszeitraum hier möglich. ist auch begrenzt. Deswegen kann es keine Dauersub- (B) vention sein. (D) (Beifall bei der SPD) Insgesamt werden die erneuerbaren Energien immer Wir stehen vor der ersten Weltkonferenz für erneuerbare günstiger, während sich die fossilen Energieträger ver- Energien. Ich denke, wir werden auch dort Signale set- teuern, sodass sich die Schere irgendwann schließen zen. wird. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen. Auch wenn immer wieder Angriffe auf die erneuerba- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ren Energien gestartet werden, zeigen alle Umfragen, DIE GRÜNEN) dass ihre Akzeptanz bei 80 Prozent oder sogar bei über Drittens. Frau Brunkhorst, Sie haben uns in der letz- 90 Prozent liegt. Es gibt keine andere Energieform, die ten Sitzungswoche in diesem Haus erklärt, Photovoltaik solch hohe Werte erhält. brauche 100 Jahre, um wettbewerbsfähig zu werden. Es Es gibt eine aktuelle Umfrage vom Marktforschungs- sind zehn Jahre. Sie haben darauf verwiesen, dass das institut IRES. Dabei geht es um die Faszinationsskala. eine Zahl der Branche sei. Die Branche hat sofort eine Da liegen die erneuerbaren Energien an der Spitze – vor Pressemitteilung herausgegeben, in der steht, dass es Fußball und Formel 1. Das ist, denke ich, einen Applaus sich um zehn Jahre und nicht um 100 Jahre handelt. wert, weil das zeigt: Die Bürger haben es begriffen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – DIE GRÜNEN) Ulrich Kelber [SPD]: Leseschwäche!) In Neustadt-Glewe wurde das erste Geothermiekraft- Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. werk in Betrieb genommen. Wir werden heute das Vor- Aber selbst dann, wenn man die falschen Zahlen bei- schaltgesetz verabschieden, das ein gutes Signal an die seite lässt, gibt es noch keinen fairen Kostenvergleich. Wirtschaft ist. Auch in der Union – siehe: Vorschaltge- Viele Kosten muss die Bevölkerung tragen, auch wenn setz – wächst die Zustimmung zu den erneuerbaren sie nicht auf der Stromrechnung erscheinen. Sie werden Energien. Ich wünsche den Gutwilligen in der Unions- in die ganze Diskussion nicht einbezogen. Ein Beispiel fraktion eine Menge Kraft bei den Diskussionen. Bei- sind die externen Kosten. Wir wissen, dass die erneuer- träge wie der Beitrag von Herrn Lippold zeigen, dass da baren Energien einen Haushalt ungefähr mit 1 Euro be- noch viel zu tun ist. lasten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Pro Jahr des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) oder pro Monat?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7001

Marco Bülow (A) Das Umweltbundesamt hat eine Rechnung angestellt sondern um Fortschritt gegen Rückschritt, um Generat- (C) und festgestellt, dass die erneuerbaren Energien jeden ionengerechtigkeit gegen „nach mir die Sintflut“. Haushalt um 4 Euro entlasten. Das heißt, es gibt einen (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Warum ma- Gewinn von 3 Euro. Ich bitte Sie, auch das zur Kenntnis chen wir dann kein Energiekonzept? Das kön- zu nehmen. nen wir doch in einem Energiekonzept klären!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Die Bevölkerung hat das kapiert. Sie begreift die Faszi- DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/ nation der erneuerbaren Energien und die damit verbun- CSU]: Pro Tag oder pro Jahr oder was?) dene Perspektive. Sie will sich das nicht zerreden lassen; Hören wir also endlich damit auf, zu verschleiern, was sie sieht darin eine Chance. Wir stehen in der Pflicht. uns der Raubbau und die Verfeuerung der herkömmlichen Ein passendes Sprichwort sagt: Chancen sind wie Ressourcen kosten! Das kostet uns im Endeffekt mehr. Sonnenaufgänge. Wer zu lange wartet, verpasst sie. – (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Ist das pro Wir haben mit zahlreichen Initiativen und Gesetzen eine Tag oder pro Monat oder pro Jahr oder pro gute Grundlage geschaffen, damit der Sonnenaufgang Stunde?) nicht verpasst wird. Wir wissen aber auch – das meine ich durchaus auch als Selbstkritik –, dass das nur der An- – Pro Monat. fang war, dass wir ein umfassendes Energiekonzept (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sind Sie brauchen. Daran arbeiten wir. sich da sicher?) Wir wissen, dass wir im Bereich Effizienz noch mehr – Ich bin mir sicher. tun müssen. Wir wissen, dass wir im Bereich Verkehr, beispielsweise im Luftverkehr, erhebliche Probleme ha- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sind Sie ben. Wir wissen auch – in diesem Punkt stimme ich Ih- sich da wirklich sicher?) nen zu –, dass wir die internationale Diskussion weiter Zurück zum Kostenvergleich. Ich gebe ein paar wei- forcieren müssen. Dazu haben wir die Weltkonferenz. tere Beispiele für Kosten, die nicht auf der Stromrech- Wir brauchen aber auch eine Energieagentur, die sich um nung auftauchen. Es sind zum Beispiel die Fördersum- erneuerbare Energien kümmert. Auch das muss forciert men, die in den Atomstrom geflossen sind und noch werden. immer reichlich fließen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das ist doch BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Schnee von gestern!) Paziorek [CDU/CSU]: Ja! Machen!) (B) (D) die aber in diese Rechnungen nicht einbezogen werden. Wir haben also viel vor der Brust. Wir wissen, dass es weitere versteckte und offene Kos- (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Dann macht ten gibt, beispielsweise für Versicherungen, die nicht das doch!) richtig ausgewiesen sind, beispielsweise für die Endla- gerung, die letztlich auch die Bürgerinnen und Bürger zu Wir fangen heute mit dem Vorschaltgesetz für Photovol- zahlen haben. Wir sollten auch einmal über die Verfüg- taik an, um einen Fadenriss zu verhindern. Ich bin froh, barkeit von Ressourcen sprechen, damit klar wird, wann dass die Union das Signal gegeben hat, dem Gesetz zu- was billiger und wann was teurer wird. zustimmen. Der sicherheitspolitische Aspekt taucht nicht auf. Ich weiß, dass es im Biogasbereich ähnliche Schwie- Wir wissen aber, dass einige fossile Ressourcen, bei- rigkeiten gibt und wir auch auf diesem Gebiet einiges er- spielsweise Öl, hauptsächlich dort vorhanden sind, wo es arbeiten müssen. Ich denke, dass wir auch hierbei gut sicherheitspolitisch prekär ist. Wir wissen nicht, ob wir mit der Union zusammenarbeiten werden. in Zukunft die Ressource noch bekommen können. Wir bieten Ihnen die Zusammenarbeit bei einer No- Außerdem wird nicht einbezogen, wie hoch der Be- vellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes an. Wir schäftigungsgrad ist. Die IG Metall geht nach den sollten die einzelnen Teile dieses Gesetzes ausführlich vorliegenden Zahlen davon aus, dass die Windkraft im beraten. Mir liegt es am Herzen, dass wir die erneuerba- Vergleich zum Atom einen zehnmal höheren Beschäfti- ren Energien gemeinsam fördern. Wir sollten zusam- gungsgrad hat. Andere sprechen von einem achtmal menarbeiten. höheren Beschäftigungsgrad. Auf jeden Fall gibt es dort (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Das kommt einen höheren Beschäftigungsgrad und auch das muss darauf an!) erwähnt werden. Ich bin überzeugt, dass sich die Vernunft durchsetzen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wird. Es gibt viele ermunternde Signale. Noch haben wir SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) den Sonnenaufgang nicht verpasst. Lasst uns alle gemein- sam die Chancen nutzen, um dem Aufgang der erneuer- Natürlich geht es auch um unsere Umwelt, um unsere baren Energien zum nachhaltigen Erfolg zu verhelfen. Lebensgrundlage. Es geht um den Klimawandel. Ich danke Ihnen. Glück auf! Auch aus ökonomischen Gründen muss die effiziente Nutzung erneuerbarer Energien eine Säule unserer Poli- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tik werden. Es geht nicht um Umwelt gegen Wirtschaft, DIE GRÜNEN) 7002 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Präsident Wolfgang Thierse: SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP einge- (C) Ich schließe die Aussprache. brachten Entwurfs eines... Gesetzes zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vor- Wir kommen zur Abstimmung über den schriften Einzelplan 16 – Bundesministerium für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit – in der Ausschussfassung. – Drucksache 15/1975 – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- (Erste Beratung 75. Sitzung) gen? – Der Einzelplan 16 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat CDU/CSU und FDP angenommen. eingebrachten Entwurfs eines... Gesetzes zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vor- Tagesordnungspunkt I. 15 b: Abstimmung über den schriften von den Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des – Drucksache 15/1467 – Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Drucksache 15/1974. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- (Erste Beratung 63. Sitzung) cherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- Drucksache 15/2084, den Gesetzentwurf in der Aus- schusses schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die (6. Ausschuss) dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – –Drucksache 15/2082 – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Berichterstattung: Beratung mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Andrea Astrid Voßhoff Wir kommen zur Hans-Christian Ströbele Sibylle Laurischk dritten Beratung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die und Schlussabstimmung. Dazu liegen schriftliche Er- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen klärungen nach § 31 der Geschäftsordnung von sechs Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Kollegen der CDU/CSU-Fraktion vor.1) Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem erheben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Kollegen Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion. (B) Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie bei der (Beifall bei der CDU/CSU) (D) zweiten Beratung angenommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Norbert Barthle (CDU/CSU): DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zum Einstieg in die Beratung des Justiz- Ich rufe den Tagesordnungspunkt I. 16 auf: etats muss ich als Haushälter zunächst feststellen, dass a) Einzelplan 07 der gesamte Haushaltsentwurf 2004 im Grunde nicht be- ratungsfähig ist. Bundesministerium der Justiz (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE – Drucksachen 15/1907, 15/1921 – GRÜNEN]: Was? Aber doch nicht der Justiz- Berichterstattung: etat!) Abgeordnete Dr. Heinz Köhler Wir wissen: Es ist der unsolideste Haushalt in der Ge- Norbert Barthle schichte dieser Republik. Wenn Sie ehrlich sind, liebe Alexander Bonde Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite, dann Otto Fricke müssen Sie das auch zugeben. b) Einzelplan 19 (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bundesverfassungsgericht Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Justizetat ist doch ganz spar- –Drucksachen 15/1916, 15/1921 – sam!) Berichterstattung: Einen solchen Haushalt zu beraten macht im Grunde Abgeordnete Otto Fricke genommen wenig Vergnügen, insbesondere dann, ver- Dr. Heinz Köhler ehrte Frau Ministerin Zypries, wenn es um den Justizetat Bernhard Kaster geht; denn gerade bei dem Justizetat halten wir Haushäl- Alexander Bonde ter und Berichterstatter zusammen wie Pech und Schwe- c) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- fel. tionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNIS- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht einmal dem Verfassungsge- 1) Anlage 4 richt wollen Sie mehr geben!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7003

Norbert Barthle (A) Er nimmt eine Sonderstellung ein, wenn es darum geht, dann untergraben, wenn man durch letztlich beliebige (C) nach Sparreserven zu suchen; denn dieser Etat ist ausge- begriffliche Bedeutungsmacht vermeintliche Stufen des lutscht. Alle weiteren Einsparungen gingen an die Sub- vollgültigen Menschseins bestimmen will. Genau das stanz und wären deshalb nicht mehr zu verantworten. tun Sie, wenn Sie dem Embryo nicht mehr vom Zeit- Das können wir uns auch angesichts eines gegenüber punkt der Verschmelzung von Ei und Samenzelle an das 2003 um 5,2 Millionen Euro verminderten Gesamtvolu- volle Schutzrecht zusprechen wollen. mens nicht leisten. Wir können es uns ebenfalls ange- Einerseits das Recht auf Leben, andererseits noch sichts der Tatsache, dass die Eigenfinanzierungsquote keine Menschenwürde – das geht nicht zusammen. Das Ihres Haushalts bei über 90 Prozent liegt, nicht leisten. sieht übrigens auch der frühere SPD-Abgeordnete Dazu will ich mich nicht weiter äußern. Antretter so. Ich erwarte von Ihnen, Frau Ministerin (Zuruf von der SPD: Gut so!) Zypries, dass Sie als Verfassungsministerin dem bisheri- gen Kurs Ihres Hauses treu bleiben und die Zuerkennung Was mir allerdings etwas Sorge bereitet, ist die glo- von Menschenwürde nicht von Nützlichkeitserwägun- bale Minderausgabe in Höhe von 3 Millionen Euro, bei gen abhängig machen. Die gestrige Entscheidung im der ich mich frage, wie sie umgesetzt werden soll. Im EU-Ministerrat kann da ja ein wertvoller Anstoß sein. Grunde genommen bleibt Ihnen als einziger Steinbruch der Generalbundesanwalt, Stichwort „Entschädigungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus fonds für Opfer terroristischer Gewalt“. Da muss ich sa- Uwe Benneter [SPD]: Das ist doch eine böse gen: Wie eine Kürzung an dieser Stelle mit der derzeit Unterstellung!) steigenden Bedrohung durch den internationalen Terro- – Das ist keine Unterstellung, ich bitte Sie. Den Zwi- rismus zusammenpassen soll, ist mir nicht klar. Ich schenruf können Sie zurücknehmen. meine, hier brauchen wir einen Notgroschen. Zurück zum Haushalt. Frau Ministerin, politisch sind (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Sie natürlich auch in der Mitverantwortung für den ge- neten der FDP) samten Haushalt. Die Bundesregierung bemüht sich ja Lassen Sie mich an dieser Stelle – nach dem Motto: derzeit ständig, von einem Dreiklang aus Strukturrefor- Steter Tropfen höhlt den Stein – einen weiteren unausge- men, rigider Haushaltskonsolidierung und Wachstums- wogenen Etatposten benennen: Härteleistungen aus- impulsen zu sprechen. Wenn ich mir den Haushalt und schließlich für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe auch das Ergebnis der Haushaltsberatungen anschaue, vorzusehen ist einäugig und ungerecht, Frau Ministerin; muss ich feststellen: Dieser Dreiklang besteht aus mehr das passt nicht. Ausgaben, weniger Investitionen und drastisch steigen- der Nettokreditaufnahme. Das allerdings ist kein harmo- (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D) nisch klingender Akkord, das ist ein schiefer Akkord, neten der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ Furcht einflößend schief. DIE GRÜNEN]: Das passt sehr wohl!) Wenn man sich dann noch überlegt, was „Konsolidie- Den Opfern, Herr Ströbele, ist es nämlich egal, ob sie rung“ eigentlich heißt, nämlich etwas Bestehendes festi- von Rechts- oder Linksextremisten verletzt werden. gen und sichern, dann frage ich mich schon, ob mit die- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sem Haushalt der Marsch in immer mehr Schulden GRÜNEN]: War mir nicht egal, Herr Kol- verfestigt und verstetigt werden soll. Das kann ja wohl lege!) nicht wahr sein. Dann hätten wir schlechte Perspektiven für unser Land. Sie müssen sich die Opfer vornehmen; das ist das Ent- scheidende. Die Perspektiven haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in diese Bundesregierung Deshalb, liebe Frau Ministerin: Was spricht dagegen, und in den Finanzminister verlieren. Auch wir von der diesen Titel in „Härteleistungen für Opfer extremisti- Union haben das Vertrauen in diesen Finanzminister scher Übergriffe“ umzubenennen? Ich fordere Sie erneut längst verloren. Wir haben auch das Vertrauen in diesen auf: Setzen Sie Ihre parteipolitische Brille ab, legen Sie Haushalt verloren. Deshalb werden wir den Einzelplan 07 das parteipolitisch straffe Korsett Ihrer Vorgängerin ab ablehnen. und handeln Sie so, wie man es von einer Justizministe- rin erwarten darf. Danke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – neten der FDP – Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE DIE GRÜNEN]: Mehr haben Sie nicht zu sa- GRÜNEN]: Das ist aber unlogisch!) gen?) Einen fachlichen Aspekt möchte ich noch ansprechen, Präsident Wolfgang Thierse: der mich persönlich interessiert. Frau Ministerin Ich erteile das Wort Kollegen Heinz Köhler, SPD- Zypries, Sie haben am 29. Oktober in Brüssel zum Fraktion. Thema Embryonenforschung etwas gesagt, was für mich nicht akzeptabel ist. Menschenwürde darf nicht in- Dr. Heinz Köhler (SPD): teressengeleitet von außen zugewiesen werden. Das Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Recht auf den Schutz der Menschenwürde wird genau Kollegen! Der Bundeshaushalt symbolisiert den 7004 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Heinz Köhler (A) Dreiklang aus Strukturreformen der Agenda 2010, der Diese Personaltitel waren in den letzten Jahren regel- (C) Haushaltskonsolidierung sowie der Konjunkturstärkung mäßig unterveranschlagt. Um jedoch die zunehmende durch die vorgezogene Steuerreform. Um dieses Ziel zu Arbeit bei ungefähr gleich bleibender Personalausstat- erreichen, haben alle Einzelpläne ihren Beitrag leisten tung bewältigen zu können, wurden die Titel entspre- müssen und auch geleistet. chend aufgestockt. Damit wird der Forderung nach Klar- heit und Wahrheit entsprochen. Das war in diesem Jahr ein schwieriges Unterfangen. Ich darf mich daher ausdrücklich beim Justizministerium Erfreulich ist, dass die geforderten neuen Stellen für bedanken, das uns von Anfang an durch gute Vorarbeit das dem Bundesministerium der Justiz zugeordnete die Arbeit leicht gemacht hat. Deutsche Institut für Menschenrechte auf einen An- trag von Rot-Grün in den Haushalt aufgenommen wer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten den konnten. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rainer Das Bundesjustizministerium musste, wie bereits Funke [FDP]) 2003, eine globale Minderausgabe in Höhe von 6,6 Millionen Euro leisten, die bei den Ansätzen beim Dem Institut, das noch in der Aufbauphase ist, konnte Generalbundesanwalt, beim Bundesverwaltungsgericht hier geholfen und damit die Arbeit des Instituts unter- und beim DPMA vollständig aufgelöst wurde. Der Ein- stützt werden. zelplan 07 ist der kleinste Haushalt. Hinzu kommt: Der Für die Leistungen an Opfer rechtsextremistischer Justizhaushalt ist vornehmlich ein Personalhaushalt, was Gewalt wurden weiterhin 1 Million Euro veranschlagt. Einsparungen besonders schwierig macht. Dennoch sind die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr um 11,2 Millio- Dass dieser Titel notwendig ist, zeigt am besten die Tat- sache, dass die rechtsextreme Gewalt 2002 wieder zuge- nen Euro gestiegen, während die Ausgaben um 1 Million nommen hat. Euro niedriger sind. Damit weist der Justizhaushalt mit über 90 Prozent die mit Abstand höchste Deckungsquote (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- unter den Ressorts auf. NEN]: Richtig!) (Otto Fricke [FDP]: Das nützt ihm nur nichts!) Allein im Jahre 2002 gab es 772 – im Vorjahr waren es nur 705 – Gewalttaten bei rechtsextremen Straftaten. Mit Es war möglich, den Ausgabenansatz auf 340 Millionen diesem Haushaltstitel haben wir ein Zeichen für die Op- Euro zurückzuführen. Der Einzelplan 07 liegt somit um fer gesetzt. Herr Barthle, es stünde der CDU/CSU gut gut 4 Millionen Euro unter dem Ansatz von 2003. an, diesen Titel endlich zu akzeptieren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) Meine Damen und Herren, Haushaltspolitik ist auch DIE GRÜNEN) Konsolidierungspolitik. Konsolidierungspolitik muss und gerade jetzt nach den jüngsten Ereignissen – ich Strukturreformen dienen. Konsolidierung ist kein sage das mit Nachdruck – eine Grenze nach rechts zu Selbstzweck, sondern muss immer der Anpassung an die ziehen, waren doch 28 Gewalttaten darunter, die antise- geänderten Verhältnisse dienen und Antworten auf neue mitischer Art waren. Herausforderungen geben. Im Einzelplan 07 muss sie der Modernisierung der Justiz dienen. Dies haben wir Für den Entschädigungsfonds für die Opfer terroristi- seit 1998 getan. Ich will nur zwei herausragende Bei- scher Gewalt haben wir 4 Millionen Euro eingesetzt. spiele der letzten Legislaturperiode nennen: die Schuld- rechtsreform und die ZPO-Reform. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kollege Köhler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des DIE GRÜNEN – Rainer Funke [FDP]: Das Kollegen Siegfried Kauder? war eine schlimme Sache!) Wir werden den eingeschlagenen Weg in dieser Le- Dr. Heinz Köhler (SPD): gislaturperiode fortsetzen. Ich darf das Justizmoderni- Ja. sierungsgsetz nennen oder auch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sowie das Kostenrechts- Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (CDU/CSU): modernisierungsgesetz, das die zum Teil 120 Jahre alte Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass der Etat zur Rechtsanwaltsgebührenordnung ablösen wird. Entschädigung von Opfern terroristischer Gewalt im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) letzten Haushalt 9 Millionen Euro betrug, wovon 1,7 Millionen Euro verwendet wurden, und dass jetzt nur Alle diese Gesetze werden den Rechtsstaat modernisie- noch 1 Million Euro dafür in den Haushalt eingestellt ren und zukunftsfest machen. werden? Sind Sie der Meinung, dass es ein Fortschritt auf dem Gebiet des Opferschutzes ist, wenn man den Im Einzelplan 07 wurden wieder einige Schwer- Opfern jetzt weniger gibt, als es beim letzten Haushalt punkte gesetzt. So wurde beim BGH die bedarfsge- der Fall war? rechte Veranschlagung der Finanzierung von Hilfskräf- ten insbesondere für die aus den Ländern abgeordneten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Richter und Staatsanwälte vorgenommen. GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7005

(A) Dr. Heinz Köhler (SPD): Präsident Wolfgang Thierse: (C) Sie haben zwei Titel verwechselt. Es ist richtig, dass Ich erteile das Wort Kollegen Rainer Funke, FDP- für den Entschädigungsfonds für die Opfer terroristi- Fraktion. scher Gewalt im letzten Jahr 9 Millionen Euro eingesetzt wurden. Rainer Funke (FDP): (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das hat er Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haus- doch gesagt!) halt des Bundesministeriums der Justiz ist für unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung und für unser Ge- Dafür haben wir nun 4 Millionen Euro eingesetzt und meinwesen einer der wichtigsten Haushalte, die wir hier nicht 1 Million Euro, wie Sie gesagt haben. Die Summe zu beraten haben. Die Rechtsordnung muss sich bei aller von 1 Million Euro haben wir für die Leistungen an Op- notwendigen Kontinuität fortentwickeln, und zwar so- fer rechtsextremer Gewalt vorgesehen. wohl aufgrund der gesellschaftlichen als auch aufgrund der politischen Entwicklungen. Das gilt natürlich natio- (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Die Frage war nal wie international. Denn wir müssen ja die europa- völlig daneben!) rechtlichen Vorgaben umsetzen. Dazu bedürfen wir eines Nach den Anschlägen von New York, auf Djerba und gut funktionierenden Bundesjustizministeriums. auf Bali haben wir erfreulicherweise keine Opfer durch Ein Jahr nach der Bundestagswahl und ein Jahr nach terroristische Gewalt zu verzeichnen gehabt. Aber die der Konstituierung der Bundesregierung ist jedoch fest- Vorgänge in Istanbul zeigen deutlich, dass die Gefahr zustellen, dass sich im Jahre 2003 im Hinblick auf die allgegenwärtig ist und dass wir hier vorbeugend einen Anforderungen durch die Fortentwicklung unserer Titel aufnehmen müssen. Rechtsordnung wenig getan hat. Es wird daher im Jahre Der Schwerpunkt des Justizhaushaltes – geht man 2004 darauf ankommen, im Rahmen dieses Haushalts- von dem Einnahmevolumen aus – liegt beim Deutschen jahres umso mehr umzusetzen, damit wichtige Reform- Patent- und Markenamt. Ich stelle noch einmal fest: Das vorhaben endlich vorangetrieben werden. DPMA ist für unsere Wirtschaft und den Industriestand- (Beifall bei der FDP) ort von erheblicher Bedeutung. Deutschland ist ein Hochtechnologieland. Wir leben von unseren Erfindun- Den Ankündigungen zu Reformen im Versicherungs- gen. So sind die Patentanmeldungen von 1993 bis zum vertragsrecht, beim Recht der Wirtschaftsprüfer und zur Jahr 2001 um 54,55 Prozent gestiegen. Beim Markenamt großen Strafprozessreform müssen endlich Taten folgen. gab es eine Zunahme der Anmeldungen von 50 083 im (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (B) Jahr 1996 auf 78 300 im Jahre 2001. Prüfung und Re- (D) cherche bei der Patentanmeldung gingen aber im glei- Darüber hinaus muss die Bundesregierung endlich Vor- chen Zeitraum nur um 44 Prozent nach oben, sodass die schläge zur Reform der Telefonüberwachung vorlegen. Verfahren immer länger wurden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Es war daher ein Wendepunkt, dass die rot-grüne GRÜNEN]: Da sind wir dabei!) Bundesregierung mit dem Haushalt 2002 ein Zeichen Im Aktienrecht und im Finanzmarktrecht müssen die setzte und das auf drei Jahre begrenzte Stauabbaukon- Empfehlungen der Kommissionen zur Corporate Gover- zept in Kraft setzte. nance umgesetzt werden. (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) Frau Ministerin, am 31. Dezember 2004 läuft eine wichtige Frist im HGB ab. Dieses Programm hatte zum Ziel, dass 180 Prüfungsbeamte und 20 Markenprüfer im Zeitraum (Otto Fricke [FDP]: Aber hallo!) von drei Jahren eingestellt werden. Dieses Ziel wird im Denn dann müssen wir die Bilanzierungsregeln neu be- Haushalt 2004 mit der letztmaligen Einstellung von stimmt haben, insbesondere die für international tätige 60 Prüfern plus der Einrichtung von 20 Stellen für unter- Konzerne. Da ist bislang noch nichts geschehen. Ich stützende Dienste erreicht. Das DPMA wird jetzt endlich weiß nicht, wie Sie sich das vorstellen. Wollen Sie ge- die Bugwelle, nämlich die kohlsche Altlast, die es vor nauso arbeiten wie der Finanzminister, nämlich Gesetze sich herschiebt, abbauen können. erst am 19. Dezember im Bundestag verabschieden, die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- dann schon ab 1. Januar gelten sollen? Das geht im Bi- Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lanzrecht nicht; denn da brauchen Sie lange Vorlaufzei- NEN]) ten. Kommen Sie deswegen bitte bald mit dem Konzern- bilanzrecht über! Denn das braucht die deutsche Zum Schluss gilt mein Dank den Mitberichterstattern international tätige Wirtschaft auf jeden Fall. der anderen Fraktionen, die konstruktiv mitgewirkt ha- ben, sodass die Behandlung des Einzelplans 07 kein Pro- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten blem darstellte. der CDU/CSU) Herzlichen Dank. Generell ist auch wichtig, das Wirtschaftsrecht an die neuen technischen und europarechtlichen Entwicklun- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gen der vergangenen Jahre anzupassen. Besondere An- DIE GRÜNEN) strengungen sind von der Bundesjustizministerin auf 7006 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Rainer Funke (A) dem Weg zu einer einheitlichen europäischen Rechts- (Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist aber sehr (C) ordnung und Rechtspolitik zu erwarten. Parallel zu der uncharmant, was Sie da sagen!) Einführung eines europäischen Haftbefehls müssen ver- Wir sollten ihr wenigstens den Rücken stärken, damit sie stärkte Anstrengungen unternommen werden, um in Eu- einmal gegen verfassungswidrige Gesetze vorgeht. ropa zu einem einheitlichen Straf- und Strafprozessrecht mit einheitlichen strafprozessualen Verfahrensgarantien Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zu gelangen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es liegt doch ein Entwurf vor, Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege!) Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Ströbele, Frau Ministerin, wir haben uns in der letzten Legisla- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. turperiode – im Übrigen interfraktionell – im Zusam- menhang mit einem neuen Betreuungsrecht große Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE Mühe gemacht. Frau von Renesse von der sozialdemo- GRÜNEN): kratischen Partei ist da besonders aktiv gewesen. Ich Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! danke ihr an dieser Stelle für ihre Arbeit. Herr Kollege Barthle, Ihnen kann ich meinen Dank jetzt nicht abstatten, weil Sie sich der Diskussion dieses (Beifall im ganzen Hause) Haushalts und selbst der Diskussion des Etats des Bun- desverfassungsgerichts verweigern. Ich weiß nicht, wie Damit diese Arbeit auch umgesetzt werden kann, das Bundesverfassungsgericht im nächsten Jahr weiter braucht es ein neues Betreuungsrecht, und zwar schnell. arbeiten sollte, wenn man dem konsequent folgen würde. Der Bundesrat will zwar eine entsprechende Novellie- rung vorlegen. Diese Novellierung ist aber rein fiska- (Otto Fricke [FDP]: Es geht um die vorläufige lisch bestimmt, was man zum Beispiel an den Vollmach- Haushaltsplanung! – Norbert Barthle [CDU/ ten für Familienangehörige erkennen kann; das ist eine CSU]: Da liegen Sie offensichtlich falsch!) Zwangsvollmacht. Das kann ja wohl nicht im Sinne die- Wenn Sie sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten, ses Hohen Hauses sein. Insoweit bitte ich darum, dass dann hätten Sie beispielsweise im Haushalt des Bundes- wir hier wieder interfraktionell tätig werden, um das Be- verfassungsgerichts gefunden, dass dieses Gericht ledig- treuungsrecht zu novellieren. lich 8 000 Euro im Jahr für Öffentlichkeitsarbeit ausgibt. (B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Trotzdem ist der Ruf dieser Verfassungsinstitution in der (D) der CDU/CSU) Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland – zu Recht – ganz hervorragend. Ich bin mir auch sicher, dass wir dies hier gemeinsam (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein im Konsens schaffen können. Überhaupt hoffe ich, dass Beispiel für Gerster!) wieder mehr Gesetze im Konsens verabschiedet werden können. Dies ist in der letzten Wahlperiode aus den be- Das zeigt, dass man bei guter Sacharbeit kein Geld oder kannten Gründen leider versäumt worden. Jetzt muss die fast kein Geld für Öffentlichkeitsarbeit braucht. Chance ergriffen werden, um wichtige Reformprojekte (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – in diesem Haus gemeinsam voranzubringen. Beim Kos- Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sehr rich- tenrechtsmodernisierungsgesetz ist ein guter Anfang tig! Kommen Sie mal in den Wirtschaftsaus- gemacht worden. Zuversichtlich bin ich auch beim Op- schuss! – Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: ferschutz; da haben alle Fraktionen sehr sinnvolle Vor- Weiß das Herr Gerster? Rufen Sie einmal schläge unterbreitet. Es wäre sehr zu wünschen, wenn Herrn Gerster an!) sich dieser Stil im Bereich der Rechtspolitik in den kom- menden Jahren durchsetzen würde. Aber auch der Etat des Bundesjustizministeriums ist vorbildlich; auch das hätten Sie sehen können, wenn Sie Es verwundert aber, dass das Bundesjustizministe- sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten. rium in letzter Zeit seine Funktion als Hüter der Verfas- sung bzw. als Wahrer der Rechtsförmlichkeit bei Bun- Präsident Wolfgang Thierse: desgesetzen immer weniger wahrnimmt. Ein Beispiel ist Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des der Bundeshaushalt; denn wir werden einen Bundes- Kollegen Benneter? haushalt von Ihnen verabschiedet sehen, der verfas- sungswidrig ist. (Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU: Jetzt werden die schon unruhig – Weiterer Zuruf von der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CDU/CSU: Der ist völlig fassungslos!) der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD) Ich hätte eigentlich erwartet, dass die Bundesjustiz- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE ministerin dem Einhalt gebietet. Vielleicht ist sie aber GRÜNEN): gegenüber dem Bundesfinanzminister nicht stark genug. Ja. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7007

(A) Klaus Uwe Benneter (SPD): In § 129 a StGB beispielsweise haben wir zum ersten (C) Herr Kollege Ströbele, sehe ich das richtig, dass das Mal eine Definition dessen aufgenommen, was eine ter- Bundesverfassungsgericht nicht so umfassend umgebaut roristische Vereinigung ist, wurde wie andere Bundesbehörden? (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Wussten Sie das nicht?) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ohne uns an einem Straftatenkatalog zu orientieren. Das ist ein Fortschritt. Viele frühere Regierungen haben das Das ist richtig. Das war beim Bundesverfassungsge- versucht; es ist ihnen aber nicht gelungen. Ich glaube, richt auch nicht notwendig, weil, wie wir alle wissen, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es gibt überhaupt das Bundesverfassungsgericht unendlich viel für die Be- keinen Grund, warum Sie das Gesetzgebungsverfahren völkerung und für den Rechtsstaat leistet. Wenn man gestoppt haben, warum es im Bundesrat hängt und noch einmal in Vergleich setzt, was das Bundesverfassungsge- nicht verabschiedet werden konnte. richt die Bevölkerung kostet und was dabei heraus- kommt, dann muss man feststellen, dass das Kosten- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nutzen-Verhältnis bei dieser Institution besonders her- und bei der SPD) vorragend ist. Aufgabe der Justiz, der Justizministerin und der Koa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lition ist es, dafür zu sorgen, dass die gesellschaftlichen sowie des Abg. Klaus-Uwe Benneter [SPD] – Veränderungen in den Gesetzen Berücksichtigung finden Beifall bei der FDP) und die Gesetzeslage den gesellschaftlichen Veränderun- gen angepasst wird. Wir haben in einer ganzen Reihe Wenn Sie sich mit dem Haushalt des Bundesministe- von Bereichen Änderungen vorgenommen, wie zum riums der Justiz befasst hätten, dann hätten Sie festge- Beispiel beim Kostenrecht; das haben Sie schon ge- stellt, dass das ein ganz vorbildlicher Haushalt ist. Dieser nannt. Die Änderung beim Kostenrecht ist für die An- Haushalt ist, wenn ich das richtig überschlagen habe, der wälte, aber auch für die Justiz und die Gerichte sehr einzige Haushalt, der sich in diesem hohen Maße selbst wichtig. Gemeinsam mit Ihnen haben wir die Anwalts- finanziert. gebühren etwas angehoben und auf diese Weise ange- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Habe ich doch glichen. Das war richtig und vernünftig. Leider hängt gesagt!) auch dieser Entwurf im Bundesrat. Wir hoffen, dass die Bedenken, die vor allen Dingen von den von Ihnen re- Das geschieht in einer Weise, dass ganze Bereiche sogar gierten Bundesländern kommen, ausgeräumt werden Gewinne erwirtschaften. können, (B) (D) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das kön- (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Leider nen selbst Sie nicht verhindern!) nicht gleichmäßig von allen!) Das Bundesjustizministerium nimmt insgesamt etwa die sodass wir die von der Justiz, vor allem aber auch von Hälfte des Geldes ein, das ausgegeben wird. Insofern ist den Anwälten seit langem erwartete und benötigte neue der Haushalt dieses Ministeriums vorbildlich. Gebührenordnung endlich verabschieden und ins Ge- Aber auch die Politik, die das Bundesjustizministe- setzblatt aufnehmen können. rium gemeinsam mit den Koalisationsfraktionen macht, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- kann sich sehen lassen. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Jetzt wird Als weiteres Vorhaben der Gesetzgebung steht an die Rede schlechter!) – Herr Kollege Funke, das haben Sie bereits angespro- chen –, auch die Strafprozessordnung der veränderten Wir haben im ersten Jahr dieser Legislaturperiode Her- gesellschaftlichen Situation anzupassen. Ich hatte vor ei- vorragendes auf den Weg gebracht, Hervorragendes ge- nigen Tagen das etwas zweifelhafte Vergnügen, wieder leistet. Leider haben Sie Ihre Hauptaufgabe darin gese- einmal in einem Gerichtssaal zu sitzen. hen, das immer wieder im Bundesrat anzuhalten, wie zum Beispiel bei der sehr schwierigen Gesetzesgeburt (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Als Zeuge!) des §129aStGB. Ich gebe zu, da habe auch ich große Bei dieser Gelegenheit habe ich wieder gesehen, was ich Probleme gehabt. Wir waren von der Europäischen aus 30-jähriger Praxis als Rechtsanwalt kenne: Die Ge- Union verpflichtet, diesen Paragraphen neu zu gestalten richte haben über moderne Sachverhalte zu entscheiden. und ihn an den Vorgaben der Europäischen Union zu Dazu zählen zum Beispiel Themen wie Kommunikati- messen. Wir haben diese Aufgabe in vollem Umfange onsarten, Kommunikations- und Verhandlungsmittel erfüllt und haben darüber hinaus das Versprechen einge- – hier ist der genetische Fingerabdruck sowie dessen halten, dass wir aus den Vorgaben der Europäischen Anwendung zu nennen –, der IMSI-Catcher oder die Union nicht nur die Verschärfungen, sondern auch die Prepaid-Card, hinsichtlich der die Frage zu klären ist, ob Teile übernehmen, die mehr Rechtsstaat in die bundes- die Anwendung verfassungsgemäß ist oder nicht. deutsche Gesetzgebung hineinbringen können. Wir sind nicht so vermessen, dass wir denken, die bundesdeut- Das Verfahren vor Gericht läuft aber noch wie eh und schen Gesetze seien die vorbildlichsten Gesetze in ganz je ab. Man trifft noch immer auf eine Protokollführerin, Europa, sondern prüfen alle Vorgaben ganz genau. von der man den Eindruck hat, sie komme von Kleists 7008 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Hans-Christian Ströbele (A) Dorfrichter Adam. Sie sitzt zwar nicht mehr mit Kiel Deutschland 70 000 Menschen pro Jahr an den Folgen (C) und Tintenfass, aber doch mit dem Griffel in der Hand des Ge- und Missbrauchs von Alkohol sterben. dort und soll auf alte Weise die Gerichtsverhandlung Ich setze mich dafür ein – das gilt natürlich auch für wiedergeben und Protokoll führen. Ich denke, das ist ein meine Fraktion –, dass wir das gesellschaftliche Phäno- Beispiel dafür, dass unsere Strafprozessordnung in vie- men zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland 2 bis len Bereichen modernisierungsbedürftig ist. Moderne 3 Millionen Menschen gibt – vor allen Dingen Erwach- Kommunikationsmittel müssen Eingang in die Gerichts- sene –, die sich in anderer Weise das kleine Räuschchen säle finden. oder den kleinen Rausch am Feierabend gönnen wollen. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist eine (Zuruf von der CDU/CSU: Den großen!) Frage der Finanzausstattung! – Otto Fricke [FDP]: Die ist völlig unzureichend!) Ich sage: Ich möchte diesen Bereich der Gesellschaft aus der Kriminalität herausnehmen und den Konsum von Auch deshalb müssen wir unsere Strafprozessordnung Hanf, Cannabis oder Marihuana legalisieren, sodass verändern. Daran arbeiten wir und werden Ihnen in man sich auch auf diese Weise das verschaffen kann, Bälde den Wunsch erfüllen und einen vernünftigen Vor- was Sie sich ebenfalls verschaffen. Sie nehmen sich das schlag vorlegen. Recht dazu, gönnen es den anderen, die andere Mittel (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- konsumieren, aber nicht. Dafür treten wir ein. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, bei dem vielleicht keine so große Begeisterung aufkommen Wir wissen, dass das im Bundestag noch keine über- wird. Wir halten es für richtig, ein Antidiskriminie- wältigende Mehrheit findet. Wir setzen uns aber weiter rungsgesetz zu verabschieden. Gott sei Dank hat die dafür ein. Es gibt bereits erste ganz kleine Ansätze in un- SPD auf ihrem Parteitag dazu einen sehr vernünftigen serer Koalitionsvereinbarung. Beschluss gefasst, wonach wir ein umfassendes Antidis- kriminierungsgesetz schaffen müssen, das alle Diskrimi- Präsident Wolfgang Thierse: nierungstatbestände aufnimmt und sanktioniert. Kollege Ströbele, Sie reden so lange, dass unser Fei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- erabend, von dem Sie immerfort reden, gar nicht mehr SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) erreichbar ist. Das war dringend erforderlich. Ein solches Gesetz gibt (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) (B) es in vielen anderen Ländern der Erde, das muss es auch (D) in der Bundesrepublik Deutschland geben. Das gehört zu Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE einer fortschrittlichen Gesetzgebung einfach dazu. GRÜNEN): Dadurch kann ich vielleicht viele, die anschließend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rauchen oder trinken gehen würden, davon abhalten. sowie bei Abgeordneten der SPD) Vielleicht tue ich ihnen damit etwas Gutes. Ich komme zum Abschluss auf eine wichtige gesell- Herr Präsident, ich will damit abkürzen. Ich halte es schaftliche Entwicklung zu sprechen. Wir sind zu einer für eine der großen gesellschaftlichen Lügen und Unge- relativ späten Abendstunde hier versammelt. Ich gehe rechtigkeiten, dass diese verschiedenen Suchtmittel so davon aus, dass die eine oder der andere von denen, die ungleich behandelt werden. Die gefährlicheren Sucht- hier sitzen, anschließend ein Glas Wein oder ein Glas mittel erlaubt man und die anderen stellt man unter er- Bier trinken wird, vielleicht auch zwei oder drei Gläser. hebliche Strafe. Deren Genuss und Besitz in größeren Mengen ist verboten. Präsident Wolfgang Thierse: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gestatten Sie zuvor eine Zwischenfrage des Kollegen sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von Fricke? der CDU/CSU: Sehr temperierte Zustim- mung!) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Präsident Wolfgang Thierse: Nein, ich möchte das gerne zu Ende führen. Ich erteile Kollegin Andrea Voßhoff, CDU/CSU- Fraktion, das Wort. Wie gesagt: Ich gehe davon aus, dass der eine oder andere ein Glas Wein oder ein Glas Bier zu sich nehmen (Beifall bei der CDU/CSU) wird, um sich anschließend mit einem kleinen Räusch- chen oder einem kleinen Rausch von der anstrengenden Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Arbeit als Bundestagsabgeordneter zu entspannen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schließen Sie Herr Kollege Ströbele, bevor wir uns mit den Räusch- nicht von sich auf andere!) chen und dem Rausch beschäftigen, muss ich Ihnen sa- gen, dass ich in Ihren Ausführungen etwas vermisst Ich gönne es Ihnen, obwohl ich weiß, dass es gesund- habe. Sie haben sich und die Regierungskoalition gelobt. heitsschädlich ist und dass in der Bundesrepublik Die Politik könne sich mit dem, was sie alles auf den Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7009

Andrea Astrid Voßhoff (A) Weg gebracht hat, sehen lassen. Was ist denn mit den (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) Graffitis und der Schließung der Strafbarkeitslücke? GRÜNEN]: Seien Sie zufrieden, dass wir das gemacht haben!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Eine Verlängerung der Fristen bei der beruflichen und In einer der letzten Debatten hat der Kollege Stünker ge- verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung haben Sie als sagt, es gebe eine quälende Diskussion mit den Grünen. nicht mehr notwendig erachtet. Auf diesem Gebiet ist bei Ihnen leider noch nichts pas- siert. Die Menschen warten darauf. Sie haben deshalb unseren Antrag im Jahr 2001 im Rechtsausschuss, mit dem wir die infrage kommenden (Beifall bei der CDU/CSU) Antragsfristen generell bis 2006 verlängern wollten, ab- gelehnt. Es waren der Bundesrat und der Vermittlungs- Aus Zeitgründen verbinden wir die heutige Haus- ausschuss, Herr Kollege Hacker, die diese falsche Ent- haltsdebatte über den Einzelplan der Justiz mit der ab- scheidung, die Sie dann getroffen haben, aufgehalten schließenden Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur und eine Verlängerung auch der anderen Fristen bis 2003 Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften. Ich erreicht haben. bitte deshalb um Verständnis, dass ich nicht zum Haus- halt, sondern zu diesem, wie ich finde, nicht unwichtigen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gesetzesentwurf reden möchte. Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das ist ja histo- risch! Reden Sie doch von heute!) Es geht bei diesem Gesetz wieder einmal um die Ver- längerung von Antragsfristen zur Rehabilitierung der Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün vom Okto- Opfer der SED-Diktatur. Die Zeit drängt deshalb, weil ber 2002, also knapp ein Jahr später, haben Sie erneut die Fristen der strafrechtlichen, verwaltungs- und berufs- eine völlige Kehrtwende vollzogen. Darin war von den rechtlichen Rehabilitierung von Opfern der SED-Dikta- Antragsfristen der strafrechtlichen Rehabilitierung keine tur zum Jahresende 2003 auslaufen. Es ist ja wahrlich Rede mehr. nicht das erste Mal, dass wir kurz vor Toresschluss über (Joachim Stünker [SPD]: Loben Sie uns eine Verlängerung von Antragsfristen in diesem Hohen doch!) Hause beraten. Alle beteiligten Kollegen und auch die betroffenen Opferverbände wissen dies – leidvoll, muss Dafür sollten aber wieder die Antragsfristen der berufli- ich dazusagen. chen und der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung bis 2006 verlängert werden. Das Spannungsfeld, mit dem wir es hier konkret zu tun haben, ist auf der einen Seite die Frage nach der (Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Unglaub- (B) rechtlichen Notwendigkeit, Ausschlussfristen gesetzlich lich!) (D) festzulegen, damit ein überschaubarer Zeitrahmen für Neben dem erneuten Hin und Her bei der Frage der die Rechtsgemeinschaft erkennbar ist und auch der Fi- Verlängerung war dies auch inhaltlich ein falscher An- nanzierungsbedarf verlässlicher festgestellt werden satz; denn gerade dem Personenkreis, der durch Haft be- kann. Auf der anderen Seite stehen aber die Opfer des sonderer Verfolgung ausgesetzt war, sollte, weil nötig, SED-Regimes, deren Schicksale, denen wir gerecht wer- auch über 2003 hinaus die Möglichkeit einer Rehabilitie- den müssen, uns in besonderer Weise verpflichten. Dazu rung eingeräumt werden. gehört deshalb auch der sorgfältige Umgang mit der Frage, ob und wann wir es zulassen wollen, dass berech- (Beifall bei der CDU/CSU) tigte Ansprüche als verfristet anzusehen sind; denn mit Außerdem ist die strafrechtliche Rehabilitierung oftmals einer Verfristung droht den Opfern der dauerhafte Aus- der Einstieg für die berufliche und verwaltungsrechtliche schluss von Rehabilitierung und Ausgleichsleistung und Rehabilitierung. damit auch die Gefährdung der mit dem Rehabilitie- rungsgesetz beabsichtigten Intention. Für die Notwendigkeit sprechen die Antragszahlen in allen drei Bereichen; das wissen Sie. Diese sind in den Meine Damen und Herren Kollegen von der Regie- Jahren 2002 und 2003 nicht zurückgegangen, sondern rungskoalition, in der dazu notwendigen sensiblen Ab- kontinuierlich auf hohem Niveau geblieben. Bei den Ge- wägung kann ich es Ihnen nicht ersparen, Ihnen in Ihr richten der neuen Länder gingen allein im Jahr 2002 rechtspolitisches Stammbuch zu schreiben, dass Sie bei noch über 4 000 Anträge auf strafrechtliche Rehabilitie- den Antragsfristen in der Vergangenheit leider keine rung ein. Bei den Regulierungsbehörden der neuen klare Linie im Interesse der betroffenen Opfer haben er- Länder gingen im Jahr 2002 insgesamt noch über kennen lassen. Sie haben vielmehr einen rechtspoliti- 2 700 Anträge auf Entschädigungsleistungen nach der schen Zickzackkurs hingelegt. strafrechtlichen, über 4 500 Anträge nach der verwal- tungsrechtlichen und über 6 700 Anträge nach der beruf- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Bleiben Sie lichen Rehabilitierung ein. sachlich, Frau Kollegin!) Die Zahl derjenigen Betroffenen, die von ihren Noch vor zwei Jahren hat die SPD an dieser Stelle er- Antragsmöglichkeiten bislang noch keinen Gebrauch klärt – Herr Kollege Hacker, Sie waren das –, es bedürfe gemacht hat, ist offenbar nicht gering. So haben lediglich einer Verlängerung der Fristen zur strafrechtli- beispielsweise nach Schätzungen des thüringischen Lan- chen Rehabilitierung, und zwar nur noch bis zum desbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit Jahr 2003. allein in Thüringen 4 000 bis 5 000 SED-Opfer noch 7010 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Andrea Astrid Voßhoff (A) keinen Antrag gestellt. Die Ursachen dafür sind vielfäl- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir (C) tig. Dabei geht es nicht allein um die noch immer vor- ja!) handene Unkenntnis der Opfer ob der Gesetzeslage, der praktischen Probleme der Antragstellung oder der Frage, Präsident Wolfgang Thierse: welche Behörde zuständig ist. Es fehlt vielen Betroffe- Ich erteile das Wort Kollegen Hans-Joachim Hacker, nen auch 13 Jahre nach der Wende noch die Kraft, sich SPD-Fraktion. im Rahmen des Antragsverfahrens nochmals mit der persönlichen Vergangenheit und dem erlittenen Schick- sal auseinander zu setzen. Hans-Joachim Hacker (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen den Menschen, die bisher nicht die Kraft Liebe Frau Voßhoff, in der letzten Runde haben Sie die hatten, Anträge zu stellen, weitere Zeit geben, um sie vor Kurve gerade noch geschafft dem Verlust berechtigter Ansprüche zu bewahren. Das sind wir ihnen auch 13 Jahre nach der Wende schuldig. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ganz schön spät!) (Beifall bei der CDU/CSU) und das Ziel gefunden, auf das wir gemeinsam losgegan- Deshalb haben die Länder Sachsen, Thüringen und gen sind, nämlich in dieser Gesetzgebung einen gemein- Sachsen-Anhalt einen Bundesratsantrag in den Bundes- tag eingebracht und um erneute Verlängerung gebeten samen Standpunkt zu suchen. Das ist uns auch gelungen. bzw. sie eingefordert. Dass wir uns schließlich interfrak- Soweit Sie die Problematik, um die es hier geht, darge- tionell auf den heutigen Gesetzentwurf verständigen stellt haben, nämlich die Verlängerung der Antragsfris- konnten, begrüße ich ausdrücklich. ten in den drei Rehabilitierungsgesetzen über den 31. Dezember 2003 hinaus bis zum 31. Dezember 2007, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ist das richtig. GRÜNEN]: Eben! Seien Sie doch zufrieden! – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt loben Sie Genauso richtig ist die Bewertung, dass wir für die uns aber mal!) beruflich Rehabilitierten eine Erhöhung der Entschädi- gungsleistungen einführen. Für die Menschen, denen es Zu begrüßen ist aber insbesondere, meine Damen und heute auch in der Bundesrepublik Deutschland nicht gut Herren von den Regierungsfraktionen, dass Sie sich von geht und bei denen die Folgen der politischen Verfol- Ihren engen Befristungen lösen und zusammen mit der gung nachwirken, ist das wichtig. Wir erhöhen diese Be- CDU/CSU und der FDP die Antragsfristen in den drei träge von bisher 153 Euro auf 184 Euro pro Monat. Für Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007 diejenigen, die bereits Rente erhalten, wird der Betrag verlängern wollen. Auch ist es zu begrüßen, dass die (B) von 102 Euro auf 123 Euro pro Monat angepasst. (D) Ausgleichsleistungen für die berufliche Rehabilitierung, wenn auch nur gering, aber dennoch um den Inflations- Die Antragsfristverlängerung ist mit erheblichen fi- ausgleichsbetrag angehoben wurden. nanziellen Aufwendungen verbunden. Das ist nach unse- ren heutigen Berechnungen – die Summe kann sicherlich Mit dem vorliegenden gemeinsamen Gesetzentwurf erst anhand der eingehenden Anträge genau beziffert verbinden wir auch die Hoffnung, dass bei der dringend werden – vielleicht ein Betrag von 24 Millionen Euro. erforderlichen Pensionsanhebung für SED-Opfer ein Auch die zusätzlichen Leistungen im Rahmen der beruf- gemeinsamer Weg gefunden wird. Diese sind bekannt- lichen Rehabilitierung bewegen sich in einer Größenord- lich seit dem Rentenurteil des Bundesverfassungsge- nung von jährlich ungefähr 230 000 Euro für die von der richts gegenüber ehemaligen staatsnahen Personen bis hin zu Stasimitarbeitern erneut ins Hintertreffen geraten. SED-Diktatur verfolgten Menschen. Diese Beträge sind nicht unbedeutend. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir mit all diesen Es gilt, eine Gerechtigkeitslücke in dieser Frage – das Leistungen das Schicksal nicht ungeschehen machen wissen Sie – abzumildern. Bundespräsident Johannes können, aber wir sind gefordert, Hilfe in dem Rahmen zu Rau und der damalige Bundesratspräsident und Minis- geben, in dem wir sie leisten können. terpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, hatten sich bereits in der Feierstunde im Reichstag zur Frau Voßhoff, Sie sollten keine Legenden bilden, in- 50. Wiederkehr des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 dem Sie sagen, wir hätten die Problematik der Fristen in diesem Jahr für eine Besserbehandlung der SED-Op- nicht im Auge gehabt. Ich habe immer gesagt und tue fer ausgesprochen. das heute wieder: Leute, die ihr in der DDR verfolgt wart, stellt Anträge! Wartet nicht darauf, dass der Ge- Jedem von uns ist bewusst, dass wir dadurch das in setzgeber irgendwann neue Antragsfristen regelt! Stellt der DDR begangene Unrecht nicht ungeschehen machen eure Anträge und nehmt eure Rechte wahr! Das ist mein können. Wir können gestohlene Lebenszeit und Lebens- Appell an die Betroffenen und vor allen Dingen an die chancen nicht zurückgeben. Wir sollten aber gemeinsam Organisationen, die sich mit vielen Briefen an uns wen- versuchen, die bestehende Gerechtigkeitslücke zumin- den. Sie sollen den Menschen helfen, damit die Leute zu dest abzumildern. ihrem Recht kommen, zu einem Recht, das wir geschaf- Vielen Dank. fen haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ neten der FDP – Hans-Christian Ströbele DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7011

Hans-Joachim Hacker (A) Ich will deutlich sagen: Der heutige Gesetzentwurf, der men. Blumige Reden helfen nicht. Ich appelliere an die (C) am Ende zum Glück fraktionsübergreifend gestaltet Opfer, Anträge zu stellen. wurde, ist eine Initiative der SPD-Bundestagsfraktion und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hier im Für die SPD-Bundestagsfraktion stelle ich an dieser Parlament. Ich freue mich, dass wir am Ende zu einem Stelle fest: Im Bewusstsein um die Verantwortung ge- Ergebnis gekommen sind, das alle Fraktionen mittragen. genüber den Menschen, die unter der SED-Diktatur ver- Das sage ich insbesondere in Richtung der FDP. folgt wurden und leiden mussten, passt dieser Gesetzent- wurf in die Politik, die wir betrieben haben, nämlich den (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Menschen in ihrer heutigen Lebenssituation konkret zu BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) helfen. Der politische Streit, der bei anderen Gesetzesvorha- Soweit die Beratungen in der Berichterstatterrunde ben zum Kriegsfolgenrecht und zum SED-Unrecht ge- konstruktiv waren – Frau Voßhoff, das will ich bestäti- führt worden ist, darf nicht auf dem Rücken der Betrof- gen –, bedanke ich mich dafür und kann das Hohe Haus fenen ausgetragen werden. Wir haben kein Recht dazu, nur auffordern, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. hier unser politisches Süppchen – das brauche ich nicht Vielen Dank. zu erklären, denn das ist nicht unsere Politik – zu ko- chen, und das zulasten von Betroffenengruppen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Die Verbesserung der Situation der Opfer der SED- Diktatur – Frau Voßhoff, das will ich hier noch einmal deutlich hervorheben – hat uns von der SPD immer am Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herzen gelegen. Wir haben die Gesetzgebung in den Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer von 90er-Jahren aus Verantwortung mitgetragen. Wir alle ha- der CDU/CSU-Fraktion. ben damals den Widerstand des Finanzministers ertragen müssen. Sie, Herr Funke, haben damals die Verhandlun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen geführt. Wir wissen, dass die Rahmengesetzgebung der 90er-Jahre unbefriedigend war. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Wir haben nach der Regierungsübernahme die Zusa- Kollegen! Ich habe mit dieser Lesung ein Problem. Seit gen eingelöst und im Jahr 1999 die Defizite und deutli- der ersten Lesung im September ist im Grunde genom- chen Ungerechtigkeiten, die in der Gesetzgebung der men auf dem Gebiet der Rechtspolitik fast nichts pas- 90er-Jahre entstanden waren, abgestellt. Wir haben die (B) siert. Es gibt fast nichts Neues. Die rot-grüne Rechtspoli- (D) Kapitalentschädigung auf einheitlich 600 DM – ich tik kommt einfach nicht in Gang. Vielleicht liegt es an nenne noch die DM-Beträge, die damals im Gesetz ge- dem grünen Sand im Getriebe; ich weiß es nicht. Die Sit- standen haben – erhöht. Wir haben einer Gruppe Hilfe zungen im Rechtsausschuss werden immer kürzer. Es zuteil werden lassen, die besonders stark von Verfol- gibt kaum federführende Initiativen. Die Regierungs- gungsmaßnahmen betroffen war, nämlich den Angehöri- koalition übernimmt identisch Vorlagen von der Bundes- gen derjenigen, die in der politischen Haft umgekommen regierung als ihre Entwürfe. sind. Denjenigen, die sonst nur in Sonntagsreden be- dacht werden, haben wir 1999 geholfen. Wir haben auch (Zuruf von der SPD: Und umgekehrt!) den Angehörigen der Opfer der Mauer geholfen, die nur wenige 100 Meter von hier erschossen worden sind. Es gibt nicht allzu viele, die der Rede wert wären. 1999 haben wir erstmals eine Regelung für die Entschä- (Jörg Tauss [SPD]: Dann solltet ihr jetzt richtig digung eingeführt, eine Ausgleichsleistung für die Ange- loslegen!) hörigen. – Wir holen euch bald ein. Wenn ich einmal Bilanz Ein anderer Punkt, den Kollegen aus Ihrer Fraktion ziehe, wie viele Gesetzentwürfe die Union eingebracht hier immer wieder aufgreifen, ist die Entschädigung hat, dann sieht die Regierungskoalition ganz alt aus. Ich für die Zwangsdeportierten, die wir mit der Gesetzge- habe mich vorher darüber informiert. Sonst hätte ich das bung des Jahres 1999 geschaffen haben. Wir haben die so nicht gesagt. Leistungen deutlich verbessert. Wir haben die spärliche Summe von 300 000 DM im Jahr, die Sie, Herr Funke, (Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag eingestellt haben, auf 1,5 Millionen DM erhöht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um Quantität!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Liebe Frau Ministerin Zypries, vielleicht ist es doch wahr, dass der Bundeskanzler gesagt hat, nach den Wir haben in der Haushaltsberatung 2001 nochmals Mil- schwierigen Jahren mit Ihrer Vorgängerin möchte er erst lionenbeträge bewegt. einmal so wenig wie möglich aus dem Bundesjustizmi- nisterium hören. Liegt es daran, dass wieder Ruhe ein- Wir wissen alle, dass diese Maßnahmen vielen nicht kehrt? ausreichend erscheinen, aber das sind Zahlen, die sich sehen lassen können. Uns muss es darauf ankommen, (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dass die Menschen jetzt endlich zu ihrem Recht kom- GRÜNEN]: Wo haben Sie das denn her?) 7012 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Wolfgang Götzer (A) Oder nimmt die Lust einfach ab, wenn man sich mit Beim Sexualstrafrecht hat sich im Vermittlungsaus- (C) ideologischen Querschlägern und Grabenkämpfern der schuss überhaupt nichts bewegt. ganz alten Schule, (Zuruf von der SPD: Das Gesetz war gut!) (Jörg Tauss [SPD]: Keine Selbstkritik!) Das Vorgespräch, das wir hatten, war eine Alibiveran- Herr Kollege Ströbele, immer wieder zusammenraufen staltung. Es gab rund ein Dutzend Punkte, die zur Anru- muss, was offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt ist? fung des Vermittlungsausschusses geführt hatten. Sie ha- ben uns zwei marginale Korrekturen angeboten, die an (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sich selbstverständlich waren, sonst hätten Sie sich schä- GRÜNEN]: Vorsicht!) men müssen. Das war kein ernsthaftes Angebot, um in Ich weiß es nicht. dieser Frage zusammenzufinden. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Ich komme zum nächsten Thema, der Terrorismusbe- GRÜNEN]: Sie wissen nichts! – Heiterkeit bei kämpfung. Auch in dieser Frage wurde im Vermittlungs- der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ausschuss kein Ergebnis erzielt. NEN) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE – Ich habe es jetzt leider nicht gehört, sonst würde ich GRÜNEN]: Ja, weil Sie blockieren!) gern mit lachen, Herr Ströbele. Frau Ministerin, Sie haben in der ersten Beratung aus- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geführt: NEN]: Sie wissen nichts, darüber wurde ge- Wir haben unseren Beitrag zur Bekämpfung des in- lacht!) ternationalen Terrorismus geleistet. Liebe Frau Ministerin, ich biete Ihnen Zusammenar- Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses hätte allerdings beit an. Das hat in ein paar Bereichen schon ganz gut bereits zum 31. Dezember vergangenen Jahres erfolgen funktioniert, müssen. (Zuruf von der CDU/CSU: Ohne uns kriegen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE die gar nichts hin!) GRÜNEN]: Ja, aber Sie blockieren sie!) beispielsweise beim Kostenrechtsänderungsgesetz, ins- Was meint die Ministerin mit der Formulierung „Wir besondere beim RVG. Ich denke, es gibt ein paar Fragen, haben geleistet“? War das schon alles? Das geht doch bei (B) bei denen wir uns durchaus gut verstehen und zu guten der Bekämpfung des Terrorismus nicht an. Gerade die (D) Ergebnissen kommen können. jüngsten terroristischen Anschläge zeigen, dass die Ge- (Jörg Tauss [SPD]: Wir machen das schon al- fahr seit dem 11. September unverändert groß ist und lein!) dass wir alles tun müssen, um auch in diesem Bereich unserer Pflicht als Gesetzgeber in der Bundesrepublik Erwähnenswert wäre vielleicht seit der ersten Lesung Deutschland Genüge zu tun. im September das Opferrechtsreformgesetz. In der letzten Sitzungswoche hatten wir darüber eine Debatte. (Beifall bei der CDU/CSU) Der Kollege Dr. Röttgen hat eindrucksvoll dargelegt, Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses reicht nicht dass es in großen Teilen mit dem Entwurf der Union aus und setzt falsche Signale. Es ist keine Eins-zu-eins- identisch ist. Umsetzung in deutsches Recht erfolgt. In dem Beschluss In dem Fall möchte ich die Gelegenheit nutzen, liebe sind nämlich viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthal- Frau Zypries, etwas zum Thema Stil zu sagen. Es darf ten. Diese in Gesetzessprache umzusetzen würde bedeu- nicht einreißen, dass die Länder zur Stellungnahme nur ten, Rechtsunsicherheit zu schaffen. Wir werden erken- noch eine so kurze Frist bekommen, wie das gerade bei nen, dass dieses Gesetz nicht justiziabel ist. diesem Gesetz der Fall war. Hier hatte man in der Som- Der neue § 129 Abs. 2 StGB legt die Hürden für die merpause nur ein paar Tage Zeit, um die Sicht der Län- Strafbarkeit extrem hoch. Das führt zu einer Entkrimina- der einzubringen. Ich glaube, wenn man ernsthaft an ei- lisierung terroristischen Verhaltens. ner Zusammenarbeit interessiert ist, sollte man das ausweiten und die Frist etwas großzügiger gestalten. (Lachen des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das steht doch alles im Grundgesetz! – Außerdem besteht eine Lücke hinsichtlich der terroristi- Zurufe von der SPD: Hier ist das Parlament!) schen Einzeltäter. – Ach, da sind Sie. Schön, dass auch Sie da sind, meine Die Forderung im Rahmenbeschluss ist eindeutig. Damen und Herren von der SPD. Sie kommen ja in der Verlangt wird die Brandmarkung jedes terroristischen Rechtspolitik nicht vor. Deswegen nehmen wir Sie als Verhaltens. Nach dem Willen der Bundesregierung sol- Vertreter von Rot-Grün kaum wahr, liebe Kolleginnen len aber nur die Gründung, die Unterstützung und die und Kollegen von der SPD und vom Bündnis 90/Die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen strafbar Grünen. sein. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7013

Dr. Wolfgang Götzer (A) (Jörg Tauss [SPD]: Das habt ihr nicht ge- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) schafft!) GRÜNEN]: Das können Sie sich sparen!) Das heißt, der terroristische Einzeltäter wird nicht härter Denn dieser dringende Appell des Vorsitzenden Richters als jeder andere Straftäter bestraft. des OLG Düsseldorf spricht für sich. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Das Thema Graffiti ist heute schon kurz angespro- GRÜNEN]: Aber natürlich! Das haben Sie chen worden. Hier herrscht ein unglaublicher Zustand. nicht gelesen!) Seit Jahren drängen wir darauf, dass endlich ein griffiges Gesetz verabschiedet wird. Auch künftig bleibt es im Übrigen dabei – wir haben das immer wieder thematisiert –, dass in Deutschland (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE straffrei für Terrororganisationen geworben werden darf. GRÜNEN]: Es gibt ein Gesetz!) Ich halte das für einen unerträglichen Zustand. Wir brauchen nur eine ganz kleine Änderung. Vor kur- (Beifall bei der CDU/CSU) zem wurde uns vom Parlamentarischen Staatssekretär, glaube ich, avisiert, man könne sich mit der Bundesrats- Dieser Gesetzentwurf bringt keine Verbesserung, son- formulierung anfreunden. Was ist dann geschehen, ver- dern Verschlechterungen. Das ist auch seinerzeit in der ehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün? Seit der Sachverständigenanhörung deutlich geworden. Sommerpause hat es kein Berichterstattergespräch mehr Ich möchte noch etwas zum Thema innere Sicherheit gegeben. Hier tut sich gar nichts; das ist doch unglaub- anmerken und bitte Sie, etwas ernster zu werden; denn lich. angesichts der Bedrohung durch den Terrorismus hört (Beifall bei der CDU/CSU) bei diesem Thema der Spaß auf. Auch beim Antidiskriminierungsgesetz tut sich Sie haben sicherlich verfolgt, was gestern der Vorsit- nichts, worüber wir allerdings nicht weiter traurig sind. zende Richter Breidling anlässlich des Urteils im Pro- zess gegen ein Mitglied der islamistischen Terrorgruppe (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE al-Tawhid zur Kronzeugenregelung ausführte. Ich zi- GRÜNEN]: Das kann ich mir vorstellen! Das tiere aus dem Vorwort des gestrigen Urteilsspruchs: wundert mich bei den Tönen nicht, die man aus Ihrer Fraktion hört!) In diesem Zusammenhang sei mit allem Ernst aus der Erfahrung nun auch mit diesem Strafverfahren – Herr Kollege Ströbele, die Parteitagsbeschlüsse kön- (B) angemerkt: eine Kronzeugenregelung ist zur Be- nen Sie im Aktenordner abheften. Ich hoffe, dass sie (D) kämpfung des organisierten Terrorismus unver- nicht umgesetzt werden. Hierbei setzen wir jedenfalls zichtbar ... Die fehlende Möglichkeit der gesetzlich auf die Bundesjustizministerin. abgesicherten Zusage einer Vergünstigung er- schwert, ja behindert die Aufklärung begangener Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Sanktionen- und die Verhinderung weiterer terroristischer Straf- recht ist ein Referentenentwurf eingebracht worden, der taten … Deshalb geht der dringende Appell an den bei der Justizministerkonferenz nicht gerade auf große Gesetzgeber, sich aufgrund der Erfahrungen mit Zustimmung gestoßen ist. Angesichts der abgegebenen dem vorliegenden Strafverfahren erneut der (Wie- Stellungnahmen stehen die Chancen für eine Umsetzung der-)Einführung einer Kronzeugenregelung anzu- schlecht. nehmen. Ich möchte die vielen anderen Defizite nicht mehr an- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das ist sprechen. Mir ist es tatsächlich gelungen, meine Rede- überdeutlich. zeit nur mit dem auszufüllen, was Sie in letzter Zeit nicht geschafft haben. Ihre Bilanz ist dürftig. Es fehlt Ihnen in (Jörg Tauss [SPD]: Komödienstadel!) der Rechtspolitik an Gestaltungskraft und Gestaltungs- – Wenn Sie das als Komödienstadel bezeichnen, verehr- willen. Deswegen ter Kollege von der SPD, dann zeigt das, dass Ihnen die (Zuruf von der SPD: Komme ich zum Ende! – nötige Reife fehlt, um sich hier zu diesem Thema zu äu- Heiterkeit bei der SPD) ßern. sind wir der Meinung, dass wir die Rede, Frau Ministe- (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei rin Zypries, die Sie an der Humboldt-Universität zum der SPD) Thema Embryonenschutz und den sich aus Art. 1 und 2 Mich würde im Übrigen interessieren, was Sie zu einer des Grundgesetzes ergebenden Grundrechten gehalten rechtspolitischen Debatte sachkundig beizutragen haben. haben und die aus unserer Sicht einen völligen Kurs- wechsel an der Spitze des BMJ bedeutet, nicht nur au- (Jörg Tauss [SPD]: Nach der Vorgabe ist das ßerhalb des Parlaments diskutieren sollten. Ich bitte Sie kein Problem!) daher, dies auch im Parlament anzusprechen, damit wir Gelegenheit haben, im Rechtsausschuss darüber zu re- Wir werden unverzüglich einen erneuten Vorstoß un- den. ternehmen und einen entsprechenden Gesetzentwurf ein- bringen. (Beifall bei der CDU/CSU) 7014 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Dr. Wolfgang Götzer (A) Das Thema ist sehr wichtig. Hier gilt es, wachsam zu (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (C) sein. Ich freue mich auf eine Erörterung dieser elementa- GRÜNEN und der FDP) ren Frage. Ich bedanke mich auch dafür, dass Sie es ermöglicht Vielen Dank haben, dass wir beim Generalbundesanwalt die Kosten- und Leistungsrechnung einführen können. Dies ist ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nes der Pilotprojekte im Rahmen der Modernisierung der Verwaltung. Ich hoffe sehr, dass wir hier ebenso erfolg- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: reich wie bei anderen Projekten sein werden, die bereits Für die Bundesregierung spricht jetzt die Ministerin von Herrn Köhler genannt wurden. Brigitte Zypries. Last, but not least möchte ich mich auch für die drei Stellen für das Deutsche Institut für Menschenrechte Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: bedanken, das bei uns mit im Plan ist und mit dem wir Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten ständig im Gespräch sind. Die Mitarbeiterinnen und Mit- Damen und Herren! Herr Funke, herzlichen Dank, dass arbeiter werden es Ihnen danken. Sie die Bedeutung des Haushalts der Justiz hier so plas- tisch dargestellt haben. Sie haben Recht: Die Justiz ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wirklich ein sehr wichtiger Faktor in dieser Republik. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rainer Funke [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Sachhaushalt – darauf ist bereits hingewiesen Wir brauchen eine funktionierende Justiz, um den worden – sinkt um 1,5 Prozent und ist in der Tat der Rechtsstaat zu erhalten. kleinste unter den Ressorthaushalten. Gleichwohl hat Ich bedanke mich bei allen Berichterstattern recht das Bundesministerium der Justiz sehr viel Arbeit zu be- herzlich dafür, dass sie den Haushalt meines Bundesmi- wältigen. Wir haben zahlreiche eigene Projekte, sind an nisteriums so sachgerecht, kompetent und offen mit uns vielen Prüfungen anderer Ressorts beteiligt und haben beraten haben, sieht man einmal von ganz wenigen Aus- im Rahmen der Europäischen Union immer mehr Arbeit nahmen ab. zu leisten und uns dort verstärkt einzubringen. Deshalb bedanke ich mich an dieser Stelle bei den Mitarbeiterin- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen und Mitarbeitern, die das alles – teilweise in vielen Überstunden – möglich machen. Ich bedanke mich auch herzlich bei den Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern meines Hauses, die die entschei- (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) denden Vorarbeiten dafür geleistet haben. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Götzer, Sie haben vor allem auf das hingewie- der CDU/CSU und des Abg. Rainer Funke sen, was wir nicht tun; trotzdem sind einige unserer Pro- [FDP]) jekte bereits angesprochen worden. Aber in diesem Di- lemma befinden wir uns schon länger. Sie behaupten Dank Ihrer Beratung in der Bereinigungssitzung am ständig, die Bundesregierung habe in der letzten Legisla- 13. November, meine Damen und Herren, haben wir turperiode viel zu viel gemacht und alles sei viel zu hek- jetzt sowohl einen abgeschlossenen Sachhaushalt als tisch gewesen. Wenn wir aber jetzt mit Ihnen über die auch einen abgeschlossenen Personalhaushalt. Der Sach- Vorbereitung der Richtlinien, deren Umsetzung uns die haushalt – dies ist jetzt schon des Öfteren gesagt Kommission aufgegeben hat, diskutieren und Kompro- worden – ist klein genug, sodass ich nicht auf ihn einge- misse finden wollen, bevor wir die entsprechenden Ge- hen möchte. setzentwürfe einbringen, sagen Sie, dass alles zu lange (Bundesminister Otto Schily bespricht sich mit dauere. dem Präsidenten) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Darf ich hier noch in Ruhe reden? DIE GRÜNEN) (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist nicht gut, Es geht immer nur eines. Ich bin froh, dass wir das dass der Minister seine Kollegin stört!) Ganze in ruhiges Fahrwasser gebracht haben, was es uns ermöglicht, eine sachgerechte Justizpolitik zu machen. Ich bedanke mich dafür, dass Sie beim Deutschen Patent- und Markenamt wieder 60 Stellen für Patent- Herr Funke, ich kann Ihnen versichern, dass der Ent- prüfer in den Haushalt eingestellt haben. Die Bedeutung wurf eines Gesetzes betreffend das Versicherungsver- dessen ist in der Beratung schon gewürdigt worden. Das tragsrecht kommen wird. Sie wissen, dass sich die Ver- Deutsche Patent- und Markenamt ist – Herr Köhler hat handlungen mit der Kommission auf einem guten Weg darauf hingewiesen – die größte Behörde in unserem Ge- befinden. Die StPO-Reform ist schon von Herrn Ströbele schäftsbereich. Sie ist von großer Bedeutung für den angesprochen worden. Deshalb möchte ich nur ergän- Wirtschaftsstandort Deutschland. Nun können wir den zend sagen: § 100 a wird kommen. Wir sind hier voll im unbedingt nötigen Stauabbau mit diesen 60 Stellen und Zeitplan. Dagegen kann man überhaupt nichts sagen. Sie mit 20 weiteren Stellen in der Patentverwaltung fortfüh- kennen auch unseren Zeitplan für die Umsetzungen ren. betreffend das Aktienrecht und den Bereich Corporate Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7015

Bundesministerin Brigitte Zypries (A) Governance. Erst Anfang 2005 muss das alles gesetzlich Rechtspolitik, weil einheitliche Strafrahmen und einheit- (C) umgesetzt sein. liche Definitionen natürlich auch die grenzüberschrei- tende Verfolgung deutlich erleichtern. Daher ist der Die von Ihnen angesprochene Reform des Betreu- heute gefasste Beschluss über die Mindeststandards für ungsrechts ist eines der Projekte, die nun anstehen. Herr Strafen zur Bekämpfung des Drogenhandels ein rechts- Funke, ich stimme Ihnen zu, dass es notwendig ist, dass politischer Erfolg auf der europäischen Ebene. Ich bin wir hier über den Vorschlag, der jetzt in den Bundesrat froh, dass der italienische Kollege meiner Anregung ge- eingebracht wird, sorgfältig diskutieren. folgt ist, dieses Thema zu behandeln. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD) DIE GRÜNEN) In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, zumindest Ich persönlich habe ebenfalls erhebliche Probleme mit die Rechtspolitiker unter Ihnen, dazu auffordern, der An- einer Zwangsvollmacht für Angehörige. Wir sollten ge- regung von Herrn Ströbele zu folgen, lieber gemeinsam meinsam Zeit investieren, um darüber nachzudenken, ein Glas Wein zu trinken, als uns mit unnützen Reden zu wie wir den berechtigten Interessen der Länder, denen vergnügen. nach eigenen Angaben die Kosten davonlaufen, gerecht werden können und wie wir gleichzeitig im Sinne des (Ute Kumpf [SPD]: Herr Ströbele will was Betreuungsrechts und der Menschen rechtsstaatlich ver- anderes!) nünftig Regelungen erarbeiten können, ohne – auch da- Sie wissen, dass die Bundesrechtsanwaltskammer heute ran ist mir gelegen – die Standards zu senken. ihren parlamentarischen Abend veranstaltet. Ich denke, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dass zumindest der überwiegende Teil der Rechtspoliti- GRÜNEN und der FDP) ker noch dort hingehen wird, um gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Ich hoffe nicht, dass hier die Quadratur des Kreises not- wendig sein wird. Es wäre schön, wenn es zu einer frak- Ich möchte noch ganz kurz auf die Modernisierung tionsübergreifenden Zusammenarbeit käme. des Kostenrechts eingehen. Ich bedanke mich bei allen Fraktionen des Hauses dafür, dass es während der Som- Im Hinblick auf die Arbeit der Bundesregierung, ins- merpause gelungen ist, einen Kompromiss zustande zu besondere des Justizministeriums, in der Europäischen bringen, sodass alle Fraktionen einen gemeinsamen Ge- Union möchte ich gerne noch die Übernahmerichtlinie setzentwurf einbringen können. ansprechen. Für die Zusammenarbeit bei diesem Thema möchte ich mich bei allen Abgeordneten der CDU/CSU Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (B) bedanken. Der Kanzler hat gestern erwähnt, wie zäh und Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (D) zeitintensiv die Verhandlungen in Brüssel waren. Heute Kollegen Siegfried Kauder? gab es endlich einen politischen Kompromiss. An dieser Stelle möchte ich mich recht herzlich bei Herrn Lehne bedanken, der für die CDU im Europaparlament sitzt Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: und der sich sehr darum gekümmert hat. Es ist nun ein Aber bitte. Kompromiss gefunden worden, mit dem wir in Deutsch- land gut leben können. Die Mitgliedstaaten haben die Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (CDU/CSU): Möglichkeit, an ihren bisherigen Abwehrmaßnahmen Frau Ministerin, es ist nicht so, dass ich Ihnen das festzuhalten. Den Unternehmen wird ermöglicht, sich in- Glas Wein nicht gönne. Da ich noch nicht so lange wie dividuell einzuwählen und gleichwohl die anderen Maß- der Kollege Funke im Bundestag bin, habe ich vielleicht nahmen anzuerkennen. Dieser Kompromiss hat in der keinen Anspruch auf ein Geschenk, wie er es im Hin- Tat eine Menge Arbeit gekostet. Aber im Endeffekt ist blick auf das Handelsrecht bekommt. alles gut gelaufen. Vielleicht haben Opfer von Straftaten Anspruch auf Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen ein Geschenk. Opferschutz hat seine Grenzen da – wir – Herr Funke, Sie haben das bereits erwähnt –, das damit haben schon einmal darüber gesprochen –, wo es um das eng zusammenhängt. Wir brauchen eine einheitliche eu- Jugendstrafverfahren geht. Da ist Nachbesserungsbe- ropäische Rechtspolitik, insbesondere im Strafrecht. Wir darf vorhanden. Könnten Sie uns mitteilen, wann diese haben uns heute auch politisch auf Mindeststandards für Lücke geschlossen wird? Strafrahmen bei Drogendelikten verständigt. Das be- deutet, dass es in Zukunft in Europa nicht nur eine ein- Ich möchte noch auf eine zweite offene Flanke zu heitliche Definition der Drogenhandelsdelikte, sondern sprechen kommen. Ein Bürger hat sich an den Petitions- erstmalig auch einheitliche Mindestrahmen bei den je- ausschuss gewendet, weil er der Meinung ist, dass der weils anzudrohenden Freiheitsstrafen geben wird. Das Vollzug seiner Strafe verfassungswidrig sei. Ich bin fast bedeutet für Deutschland keine Verpflichtung zur Um- der Auffassung, dass er Recht hat; was dort stattfindet, setzung, weil es bei uns die Strafrahmen, die die EU vor- ist nämlich der Vollzug von Jugendstrafe. In namhaften sieht, bereits gibt. Das heißt, wir müssen auf diesem Ge- Kommentaren wird gerügt, dass der Vollzug der Jugend- biet nichts nacharbeiten. strafe verfassungswidrig sei, weil es an einem notwendi- gen Gesetz fehlt. Das heißt, wir tolerieren einen verfas- Wichtig erscheint mir diese Angelegenheit trotzdem, sungswidrigen Zustand, obwohl wir alle an die und zwar im Hinblick auf eine einheitliche europäische Verfassung gebunden sind. 7016 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (A) (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Seit wann tun Vorschriften, Drucksache 15/1975. Der Rechtsausschuss (C) wir das? Nicht erst seit fünf Jahren!) empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 15/2082, den Gesetzentwurf anzuneh- – Zuzuhören wäre vielleicht besser, als dazwischenzu- men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- blaffen. Auch Sie sind an die Verfassung gebunden. men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Meine Frage lautet also: Wann wollen wir diesen verfas- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- sungswidrigen Zustand beenden? tung einstimmig angenommen.

Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Dritte Beratung Herr Kauder, da dieser verfassungswidrige Zustand in und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- der Zeit, als Sie regierten, nicht geändert wurde, stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nommen. habe ich, als ich mein Ministeramt angetreten habe, den Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem Auftrag gegeben, dieses Projekt in Angriff zu nehmen. Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung rehabili- Wir sind dabei, ein Jugendstrafvollzugsgesetz zu erar- tierungsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 15/2082. beiten. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be- schlussempfehlung, den Gesetzentwurf auf Drucksache Was Ihre erste Frage anbelangt: Ich habe Ihnen schon 15/1467 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese in der letzten Debatte hier im Plenum gesagt, dass wir Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun- darüber in den Sachverständigenanhörungen diskutieren gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig ange- werden. Dabei bleibt es auch. nommen. Jetzt möchte ich noch einmal auf die Kostenrechts- Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 17 a und b auf: modernisierung zu sprechen kommen. Wie gesagt, ich danke allen Fraktionen dafür, dass wir uns in dieser An- Einzelplan 06 gelegenheit anscheinend verständigen und in der Lage sein werden, sie sachgerecht und im Konsens mit der Bundesministerium des Innern Anwaltschaft und im Wesentlichen auch mit den Versi- Drucksachen 15/1906, 15/1921 cherungsverbänden zu klären. Im Moment gibt es in der Tat nur noch Probleme bei der ARAG. Mit ihr befinden Berichterstattung: wir uns noch im Gespräch. Abgeordnete Susanne Jaffke (B) Norbert Barthle (D) In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und der an- Klaus Hagemann stehenden Teilnahme am parlamentarischen Abend, den Lothar Binding (Heidelberg) wir ernst nehmen sollten – schließlich sind die Rechtsan- Anja Hajduk wälte unsere Gesprächspartner –, möchte ich jetzt kein Otto Fricke anderes Thema mehr ansprechen. Einzelplan 33 Ich bedanke mich für die – nur mäßige – Aufmerk- samkeit. Versorgung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Drucksache 15/1921 – DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) Berichterstattung Abgeordnete Lothar Binding (Heidelberg) Georg Schirmbeck Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Anja Hajduk Ich schließe die Aussprache. Dr. Günter Rexrodt Wir kommen zu den Abstimmungen. Zu Einzelplan 06 liegt ein Änderungsantrag der Ab- Einzelplan 07 – Bundesministerium der Justiz – in der geordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau vor. Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die gegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Einzelplan 07 Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Redne- Abstimmung über den Einzelplan 19 – Bundesverfas- rin der Kollegin Susanne Jaffke von der CDU/CSU- sungsgericht – in der Ausschussfassung. Wer stimmt da- Fraktion das Wort. für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 19 ist einstimmig angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Tagesordnungspunkt I. 16 Buchstabe c: Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Susanne Jaffke (CDU/CSU): Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP eingebrachten Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesetzentwurf zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Dem Einzelplan 06 – Bundesministerium des Innern – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7017

Susanne Jaffke (A) ist das Schicksal zuteil geworden, in der Haushaltsde- Wenn man dann noch berücksichtigt, wo die GMA er- (C) batte das Schlusslicht zu sein. wirtschaftet wird, nämlich im Bereich IT, und zwar kon- kret in den Bereichen Bewirtschaftung und Beschaffung, (Otto Fricke [FDP]: Es geht morgen noch wei- dann kann ich daraus nur schließen: Entweder wird zu ter!) großzügig geplant – das will ich dem Haus und dem Mi- – Das ist korrekt. Aber morgen ist nur noch die dritte Le- nister auf keinen Fall unterstellen – oder alles wird sozu- sung. Die Debatte im Detail zu den Einzelplänen wird sagen systematisch auf Verschleiß gefahren. Das wird heute beendet. sich noch bitter rächen. (Otto Fricke [FDP]: Okay!) Wenn eine gewisse Haushaltsenge vorhanden ist, ist besondere Kreativität bei der Gestaltung gefragt. Verehr- Das trifft sicherlich jedes Ressort einmal. Ich hoffe, dass ter Herr Minister, ich kann es mir nicht verkneifen, zu in dem Fall Position und Inhalt nicht übereinstimmen. erwähnen, dass Ihre Auffassung mit der Ihrer Kollegen von den Mehrheitsfraktionen nicht ganz übereinstimmt. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Je später der Abend, desto schöner die Debatte!) (Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es dürfte Sie alle Die Opposition kann gut verstehen, dass Sie bei ei- nicht überraschen, dass ich hier wiederhole, dass der nem Etat, der überwiegend durch Personalausgaben vom Bundesfinanzminister vorgelegte Etat und auch das – mit 53 Prozent – gebunden ist, nicht glücklich darüber jetzt erreichte Ergebnis wertlos sind – das ist im Laufe sind, dass Sie eine so riesige GMA erwirtschaften müs- der Woche schon öfter gesagt worden –, weil im Dezem- sen. Dass Sie sich nun auch noch 5 Millionen Euro für ber nach Abschluss des Vermittlungsverfahrens noch den „Goldenen Plan Ost“, an dem Sie persönlich und Gesetze beschlossen werden sollen, die erhebliche Ver- politisch wohl kein Interesse haben, förmlich aus dem änderungen in den Einzelplänen zur Folge haben wer- Fleisch schneiden müssen, macht Sie nicht glücklich. den. Das durfte die Opposition in einer sehr lebendigen Dis- kussion im Haushaltsausschuss erleben. Darüber waren Verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Mehr- wir alle recht erstaunt. heitsfraktionen, Sie haben Finanzmittel in Ihren Haus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) halt eingerechnet, die in diesem Umfang nicht zur Verfü- gung stehen werden. Sie verteilen sozusagen das Fell des Dennoch bin ich fair und sage: Eine Unterstützung Bären, bevor er erlegt wurde. Das hat für mich mit seriö- des Weltjugendtages 2005 mit einer VE schon jetzt in ser Haushaltsplanung nichts zu tun. den Haushalt aufzunehmen liegt auch im Interesse der (B) Opposition. (D) (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deshalb kann ich nur wiederholen: Eine seriöse und so- der FDP) lide Beratung des Etats nach dem Vermittlungsergebnis hätte etwas mehr Sinn gemacht. Da der Etat stark durch Personalkosten geprägt ist, müssen auch dazu einige Worte gesagt werden. Herr Mi- (Beifall des Abg. Otto Fricke [FDP]) nister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede den Polizei- beamtinnen und -beamten ausdrücklich für ihre hervor- Lassen Sie mich dennoch einiges zum Zahlenwerk ragende Arbeit gedankt. Dieser Punkt ist in diesem und damit auch zu den Gestaltungsmöglichkeiten des In- Hause völlig unstrittig. Dafür haben Sie die Unterstüt- nenministers sagen. Herr Minister, in Ihrer Einbrin- zung der Unionsfraktionen erhalten. gungsrede haben Sie noch darlegen können, dass der Etat 2004 einen Aufwuchs von 168 Millionen Euro, also Der Bundestag hat auf Wunsch des Bundesrates um 4,3 Prozent, gegenüber dem Vorjahresansatz ver- – auch mit unseren Stimmen – mit dem Besoldungs- und zeichnet. Aufgrund der auferlegten Sparzwänge – über Versorgungsanpassungsgesetz die so genannten Öff- deren Ursache und Wirkung ist in dieser Woche schon nungsklauseln beschlossen. Dennoch halten wir es genügend diskutiert worden – ist in dem jetzt festge- nicht für kreativ, den Haupteinsparbeitrag des Etats über schriebenen Etat nur noch ein Aufwuchs von 3,4 Prozent die Besoldungsbezüge zu erbringen. zu verzeichnen, und das, obwohl Ihr Etat – das muss man fairerweise zugeben – ein wenig verschont wurde. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber auch dieser Betrag entspricht nicht der Realität Wir fordern, dass die Beamtinnen und Beamten sehr Wichtig ist, dass die globale Minderausgabe bei die- bald eine Antwort auf ihre Frage nach den zukünftigen sem Etat, die im Jahre 2003 noch bei rund 61 Millionen Wochenarbeitszeitstunden bekommen. Die Antwort Euro lag, bis zum Jahr 2004 auf 155 Millionen Euro ver- auf die Frage der Kollegin Hajduk im Ausschuss war dreifacht worden ist. Und das ist noch nicht das Ende der exemplarisch: Herr Minister, Sie sind sehr ausdrucks- Fahnenstange. Im Januar wird die berühmte Summe X stark! aus der zweiten Milliarde für die Rentenkassen hinzu- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) kommen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein beson- (Zuruf von der SPD: Und ihr wollt noch 4 bis deres Problem ansprechen. Mit dem Haushaltsgesetz 6 Milliarden Euro für die EU einsparen!) wird jährlich eine globale Stelleneinsparung in Höhe 7018 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Susanne Jaffke (A) von 1,5 Prozent verabschiedet. Das ist korrekt. Das ist dass sich unsere Polizisten bei Unterstützungseinsätzen (C) seit Mitte der 90er-Jahre der Fall. Das gewählte Verfah- wie zum Beispiel beim Weltwirtschaftsgipfel in der ren war durchaus erfolgreich. Weiterhin ist es korrekt, Schweiz mit Digitalfunkgeräten haben aushelfen lassen dass die Stellen im Vollzugsdienst von dieser globalen müssen. Das ist alles bekannt. Stellenkürzung ausgenommen werden. Wenn nun aber sowohl die Behördenleiter als auch der Hauptpersonalrat Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: eindringlich nachweisen, dass eine vernünftige Arbeit Frau Kollegin, bedenken Sie die Zeit, bitte. im Vollzug allmählich nicht mehr möglich ist, weil die in den so genannten vollzugsnahen Bereichen – zum Bei- spiel in den Bereichen Auswertung der Spurensicherung Susanne Jaffke (CDU/CSU): und chemische Untersuchungen – anfallenden Arbeiten Aber wir wissen auch, dass es diesbezüglich eine ner- nicht mehr zeitnah abgearbeitet werden können, dann vende Diskussion mit den Ländern gibt; denn die Län- muss die Opposition andere klare Positionierungen for- derinnenminister beziehen eine andere Position als die dern, damit die vollzugsnahen Bereiche ihre Aufgaben Länderfinanzminister. Ebenso wissen wir, dass die Fuß- verantwortungsbewusst erfüllen können. Auch Behör- ballweltmeisterschaft 2006 – den, die seit den 90er-Jahren durch Organisationsstruk- turreformen schon verschlankt wurden, sollen in Zu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: kunft anders behandelt werden. Sie müssen aber jetzt zum Schluss kommen; ich muss Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zusammenhang Sie unterbrechen, es tut mit Leid. mit dem Bereich Sicherheit lassen Sie mich auch erwäh- nen, dass Mittelkürzungen bei der Beschaffung von Susanne Jaffke (CDU/CSU): Fahrzeugen, die die Sicherheit der Bürger direkt betref- – ein sportlicher und kultureller Höhepunkt werden fen – nämlich beim THW um 1,5 Millionen Euro und und sich im Gedächtnis verankern soll. bei der Bereitschaftspolizei um 6 Millionen Euro –, von uns nicht unterstützt werden können. Deshalb bitte ich Sie, Herr Minister: So richtig es ist, dass der Bund nicht 50 Prozent der Kosten tragen kann, Ich denke, zur Ehrlichkeit gehört auch, ein Wort dazu so wichtig ist es, dass Sie sich durchsetzen, dass nicht zu sagen, dass die Ausgaben für die Bundeszentrale für der Herr Finanzminister politische Bildung um 6 Prozent steigen. Wenn es denn der Bildung hilft – meinetwegen. Aber wer ins Detail (Otto Fricke [FDP]: Ziehen Sie es beim schaut, stellt fest, dass die Gelder vor allen Dingen für Nächsten ab, Herr Präsident!) (B) Dienstwagen ausgegeben werden. Da muss doch wohl 10 Prozent diktiert. Man sollte sich am Königsteiner (D) die Gewichtung etwas anders erfolgen, indem zum Bei- Schlüssel orientieren. spiel die Mittel den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine Frau Kollegin, bitte! Ich war sehr geduldig mit Ihnen, kurze Bemerkung machen: Es war bis zum Jahre 2002 aber jetzt ist Schluss. üblich, dass die Berichterstatter eine Übersicht über die von den Zuwendungsempfängern ausgegebenen Mittel Susanne Jaffke (CDU/CSU): beifügen. Das war in diesem Jahr nicht der Fall. Auf meine Nachfragen wurde mir jetzt mitgeteilt, dass die Ich sage Ihnen auch: Minister Behrens in Nordrhein- Bundeszentrale diese Zahlen nicht mehr veröffentlichen Westfalen hat nicht das Recht, Sondersituationen auszu- wolle. Ich hoffe, Herr Minister, dass sich das noch klären nutzen. Er gehört zurückgepfiffen. lässt und ich als Oppositionsabgeordnete nicht den Ver- Herr Präsident, mit Ihrer Güte darf ich mich als dacht haben muss, dass da irgendetwas gemauschelt Hauptberichterstatterin – wird. (Zurufe: Nein!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Diskussion zum Einzelplan 06 ohne das Thema BOS-Digitalfunk. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Frau Kollegin, alle in diesem Hause haben das gleiche Otto Fricke [FDP]: Aber hoffentlich nicht Recht. Ich bitte Sie, jetzt zum Schluss zu kommen. mehr lange!) Wirklich! Ich weiß, Herr Minister, dass das allmählich ein Reizthema wird; Ihre Reaktionen in der jüngsten Vergan- Susanne Jaffke (CDU/CSU): genheit sind ein Beleg dafür. Dabei sind ja alle Fakten be- – sehr herzlich bei den Mitarbeitern des Hauses für kannt: dass die Kosten für den Analogfunk für alle Betei- die geleistete Arbeit und Unterstützung bedanken. ligten immens steigen werden, dass unsere europäischen Herzlichen Dank. Nachbarn an uns vorbeiziehen, dass beim Elbehochwas- ser Kommunikationsschwierigkeiten aufgetreten sind, (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7019

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: verwendet worden sind. Das will ich noch einmal richtig (C) Das Wort hat der Kollege Klaus Hagemann von der stellen, da ist auch nichts hineinzugeheimnissen. Ich SPD-Fraktion. möchte die erfolgreiche Arbeit, die die Bundeszentrale für politische Bildung leistet, noch einmal deutlich he- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rausstellen. Sie arbeitet jetzt jedenfalls erfolgreicher als des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vor zwei oder drei Jahren.

Klaus Hagemann (SPD): (Beifall bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und CSU]: Die haben jetzt mehr Autos!) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzie- rung der inneren Sicherheit ist der Hauptschwerpunkt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: des Einzelplans 06. Es kann sich sehen lassen, was diese Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine Zwischen- Koalition, was dieser Bundesinnenminister in den ver- frage des Kollegen Binninger? gangenen fünf Jahren in diesem Bereich geleistet hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Klaus Hagemann (SPD): DIE GRÜNEN) Die Kollegen haben zwar nicht an den Beratungen über den Haushalt im Haushaltsausschuss und im Innen- Ebenso ist auf das hinzuweisen, was wir 2004 anpa- ausschuss teilgenommen, cken wollen. (Zurufe von der CDU/CSU: Was?) Trotz der schwierigen Finanzlage, liebe Kollegin Jaffke, sind im Etat für die innere Sicherheit keine Kür- aber wenn es sein muss, Herr Binninger, dann schlagen zungen vorgesehen. Sie zu. (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Jaffke, Sie haben die globale Minderausgabe Bitte, Herr Binninger. erwähnt, die wir wieder eingestellt haben. Wir wissen aber, dass sie im Innenministerium unter Schonung des Clemens Binninger (CDU/CSU): Bereichs der inneren Sicherheit seriös aufgelöst wird. Dass ich zuschlage, werde ich Ihnen ersparen, Herr Liebe Kollegin Jaffke, auf der einen Seite beklagen Kollege. Ich frage nur. Sie haben die Öffnungsklauseln Sie die Sparzwänge, auf der anderen Seite aber – gestern angesprochen und gesagt, die Regelung des Bundes sei vorgetragen von Ihren Oberen – beklagen Sie, dass nicht sehr sozial und andere Länder gingen sehr viel weiter. (B) 6 Milliarden Euro zusätzlich eingespart werden, um sie Würden Sie mir aber Recht geben, dass die CDU- bzw. (D) der EU zuzuleiten. Ich sehe darin einen sehr großen Wi- CSU-regierten Länder Baden-Württemberg und Bayern, derspruch. obwohl sie einen sehr viel höheren Personalkostenanteil haben als der Bund – 42 Prozent im Vergleich zu (Beifall bei der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ 12 Prozent –, die Öffnungsklausel sehr viel schonender CSU]: Das haben Sie nicht verstanden!) anwenden als der Bund? – Aber Sie, Herr Kollege Koschyk. Davon gehe ich aus. Klaus Hagemann (SPD): (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Zu Recht!) Es geht hier nicht um Bayern oder Baden-Württem- – Natürlich. berg, sondern es geht darum, dass Sie hier etwas bekla- gen, was Sie in den Ländern praktizieren. Ich will noch einen anderen Punkt richtig stellen, Kol- legin Jaffke. Sie haben die Öffnungsklauseln beklagt, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das Weihnachts- und Urlaubsgeld für die Beamten DIE GRÜNEN) betreffen. Da sind Sie in Ihrer Argumentation natürlich Lieber Kollege, ich habe kürzlich ein Interview mit auch ein bisschen doppelzüngig, einem Vertreter des Deutschen Beamtenbundes aus Ba- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den-Württemberg gesehen, in dem dieser ganz kräftig DIE GRÜNEN) über die Lösung, die dort gefunden worden ist, ge- schimpft und hergezogen hat. Auch das will ich hier denn in den Ländern, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal richtig herausstellen. langen Sie in einem ganz anderen Maße zu, als Sie das hier beklagen. Das ist widersprüchlich und das finde ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hartmut so nicht in Ordnung. Koschyk [CDU/CSU]: Was macht denn Kurt Beck?) (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber in Rheinland-Pfalz am stärksten!) Hinzu kommt ja noch, dass wir eine Lösung gefunden haben, mit der wir gerade den Mitarbeiterinnen und Mit- Ein anderer Punkt betrifft die Ausgaben für die Bun- arbeitern mit den Besoldungsstufen A 1 bis A 8 entge- deszentrale für politische Bildung. Bei den Haushalts- genkommen. Auch das sollten wir in diesem Zusammen- beratungen zum Einzelplan 03 im Frühjahr dieses Jahres hang noch einmal herausstellen. wurde eine Liste vorgelegt, aus der hervorging, wofür die Mittel für die Träger, die Zuwendungsempfänger, (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD]) 7020 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Klaus Hagemann (A) Eines stimmt: Sie sind in dieser Sache doppelzüngig. Deswegen haben wir uns, Kollege Grindel, bei den (C) Was Sie hier beklagen, praktizieren Sie draußen in den Haushaltsberatungen dafür stark gemacht, dass jetzt we- Bundesländern. Da beißt die Maus keinen Faden ab. nigstens die Ausschreibung eingeleitet werden kann und dass hierfür Mittel und eine Verpflichtungsermächtigung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zur Verfügung stehen. DIE GRÜNEN – Hartmut Koschyk [CDU/ CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu Rhein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ land-Pfalz!) DIE GRÜNEN) – Sicher, da auch. Nur beklagen wir es hier nicht, son- Gerade als Berichterstatter für den Einzelplan 06 will dern wir haben es gemacht wie in Rheinland-Pfalz. Wir ich sagen: Es gilt eben nicht die Grundmelodie, die sich sind aber nicht doppelzüngig, das ist der Unterschied, die Länder vorstellen, nämlich: Wir lassen uns vom Herr Koschyk. Bund nichts sagen und lassen uns nicht hereinreden. Wir entscheiden alleine; aber die gesamte Finanzierung hat (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gefälligst der Bund zu übernehmen. – Nach dieser DIE GRÜNEN) Grundmelodie kann sich die Politik aber nicht richten. Wir haben im Bund und in den Ländern dieselbe strin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gente Argumentationslinie. Das möchte ich hier noch des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) einmal richtig herausstellen. Es ist ja wirklich gut – Frau Jaffke, da stimme ich Ih- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: nen zu –, dass der Haushalt des Bundesinnenminister- Herr Kollege Hagemann, erlauben Sie eine Zwischen- iums geschont worden ist, gerade weil dieser Einzelplan frage des Kollegen Göbel? schwerpunktmäßig die innere Sicherheit betrifft. Spätes- tens seit dem 11. September 2001 wird sichtbar, dass der Klaus Hagemann (SPD): internationale Terrorismus eine neue Herausforderung Da er schon aufgestanden ist, bevor ich zugestimmt für die Wahrung der inneren Sicherheit und für die Si- habe, bleibt mir nichts anderes übrig. cherheitsarchitektur darstellt. Es muss daran gearbeitet werden, gerade die „Privatisierung der Gewalt“, wie es Erhard Eppler gesagt hat, mit neuen Gedanken und Ralf Göbel (CDU/CSU): neuen Strukturen zu bekämpfen. Wir müssen neue Ant- Herr Kollege Hagemann, Sie haben eben gesagt, Sie worten geben. fänden das neue Verfahren richtig, dass zunächst einmal die Ausschreibung stattfindet (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN) (Zurufe von der SPD: Das hat er nicht gesagt!) Bund und Länder arbeiten gemeinsam daran. Das hat ge- und anschließend über die Finanzierung entschieden rade die letzte Innenministerkonferenz deutlich gemacht. wird. Wir haben zu Beginn dieses Jahres einen Antrag Denn kaum ein anderer Politikbereich hat nach dem eingebracht, in dem es darum ging, dass zunächst die Grundgesetz eine so große Zuständigkeitsvielfalt wie je- Ausschreibung durchgeführt wird und dass man sich ner der inneren Sicherheit. Deswegen müssen Bund und während der laufenden Ausschreibung über die Finan- Länder hier konstruktiv und zielgerichtet zusammenar- zierung Gedanken macht. beiten. Das Tempo für Entscheidungen dürfen nicht die Können Sie mir erklären, wie Sie zu Ihrer geänderten bestimmen, die die Langsamsten im Geleitzug sind. Auffassung kommen, nachdem Sie unseren Antrag zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Beginn dieses Jahres abgelehnt haben? des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Reinhard Grindel [CDU/ Entscheidungen müssen getroffen werden. CSU]) Ich will als Beispiel für etwas, bei dem wir derselben Meinung sind, verehrte Susanne Jaffke, den Aufbau ei- Klaus Hagemann (SPD): nes Digitalfunknetzes anführen. Fast überall in Europa Ihre Darstellung ist es eine Klitterung. So habe ich es sind die diesbezüglichen Entscheidungen schon getrof- natürlich nicht gesagt. fen worden. Zum großen Teil befinden sich diese Netze (Widerspruch bei der CDU/CSU) schon im Aufbau. Aber in Deutschland können keine Grundsatzentscheidungen über die Finanzierung getrof- Herr Kollege, an dieser Stelle sei erwähnt, dass zwi- fen werden. schenzeitlich einiges passiert ist. Die Fachminister, die Innenminister, die Ministerpräsidenten und der Bundes- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Warum kanzler haben sich geeinigt, mit einer Startergruppe zu wohl?) beginnen. Wir wollen Mittel zur Verfügung stellen, da- – Warum? Die Länder wollen nicht mitmachen, weil es mit man mit der Ausschreibung beginnen kann und Be- keine klare Finanzierungsregelung gibt. wegung in die Sache kommt. Die Ausschreibung wird mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen. Ich denke, (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wie gut, dass dass bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz der Sie nicht doppelzüngig sind!) Gordische Knoten durchschlagen und eine endgültige Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7021

Klaus Hagemann (A) Lösung für die Finanzierung gefunden werden kann. Das nister Anstrengungen unternommen. Wir befinden uns (C) will ich hier deutlich unterstreichen. auch hier auf einem guten Weg. Wir wollen das durch die Bereitstellung der notwendigen Mittel im Haushalt (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ unterstützen. DIE GRÜNEN) Gerade für eine Technologie der Zukunft muss Si- Im Bereich der inneren und der zivilen Sicherheit cherheit gewährleistet werden. macht der Bund Jahr für Jahr seine Hausaufgaben. Das drücken auch die Zahlen im Haushalt für das Jahr 2004 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aus. Bei einem Haushaltsvolumen von rund 4 Milliar- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Euro stehen 2,6 Milliarden Euro für die innere Si- Die innere Sicherheit bildet den Schwerpunkt meiner cherheit zur Verfügung. Wir halten nicht nur Sonntagsre- Rede. Dabei sind auch die Nachrichtendienste zu nen- den, sondern wir handeln in dieser Angelegenheit, um nen. Dank und Anerkennung gilt deren Arbeit. Wie not- die innere Sicherheit zu gewährleisten. Wir haben uns wendig diese Arbeit ist, wird gerade angesichts der Dis- nicht wie die Unionsfraktion geweigert, diesen Haushalt kussion über den Terrorismus deutlich. Während in den zu beraten. Wir haben auch keine großen Erklärungen 90er-Jahren – auch das kann ich Ihnen nicht ersparen – abgegeben. Mittel abgebaut und Stellen gestrichen worden sind, ha- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ben wir insbesondere im Rahmen des Antiterrorpro- gramms auch in diesem Bereich mehr Mittel und mehr Ein Fünftel der Investitionen fließt in die Sachausstat- Stellen zur Verfügung gestellt. tung und vier Fünftel entfallen auf die Personalkosten. Das macht deutlich, was auf uns zukommt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir wollen mit dem Bundesinnenminister und seinem Ministerium das Stellenhebungsprogramm für den Ich habe hier über die neue Sicherheitsarchitektur ge- Bundesgrenzschutz voranbringen. Nach vielen Jahren sprochen. Das gilt auch für den Zivil- und Katastro- der Stagnation in diesem Bereich ist dies dringend not- phenschutz. Auch hier ist es in Zusammenarbeit mit un- wendig. Damit bewirken wir eine stärkere Motivation serer Perle im Bereich des Bundesinnenministeriums, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wer mit den Bun- mit dem Technischen Hilfswerk, notwendig, nach innen desgrenzschutzbeamten vor Ort redet, der kann feststel- und nach außen zu wirken. Auch hier sind neue Struktu- len, dass das, was hier geleistet worden ist, Anerkennung ren und eine neue Form der Zusammenarbeit erforder- findet. lich. Denn Großschadens- oder Terrorereignisse machen nicht Halt an lokalen oder regionalen Grenzen. Sie müs- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen also sowohl national als auch europaweit bearbeitet (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des werden. Angesichts der Denkansätze, die es im Techni- Abg. Otto Fricke [FDP]) schen Hilfswerk gibt, sind wir auf einem guten Weg. Beim Stichwort „Bundesgrenzschutz“ ist zu erwäh- Hinzu kommt das neue Bundesamt für Bevölke- nen, dass der Löwenanteil von fast 2 Milliarden Euro für rungsschutz und Katastrophenhilfe, das eingerichtet den Sicherheitsbereich in den Bundesgrenzschutz fließt. wird, um neue Wege zu durchdenken, Aktivitäten voran- Damit ermöglichen wir den Ausbau einer modernen, zubringen und Entsprechendes zu bewirken. schlagkräftigen Bundespolizei. Wir kommen hier gut nach vorne. Auch andere Aktivitäten in diesem Bereich, Im Zusammenhang mit dem Antiterrorprogramm sind zum Beispiel der Schutz der EU-Außengrenzen, der erheblich mehr Mittel in die Arbeit des Technischen Schutz der Flughäfen und die Betreuung von Flugzeu- Hilfswerkes geflossen, Kollegin Jaffke. gen, sind zu nennen. Das Ausländerzentralregister ist er- (Beifall bei der SPD) neuert worden; vieles andere könnte man an dieser Stelle noch erwähnen. Während die Mittel im Jahre 1998 noch deutlich unter 100 Millionen Euro gelegen haben, sind in den letzten Ähnliche Aktivitäten gibt es beim Bundeskriminal- Jahren – Frau Jaffke, schauen Sie mich bitte einmal an, amt. Hier ist in den letzten Jahren genauso wie beim damit ich mit Ihnen kommunizieren kann – jedes Jahr Bundesgrenzschutz das Antiterrorprogramm, das vor 25 Millionen Euro draufgepackt worden. drei Jahren geschnürt worden ist, durchgeschrieben wor- den. Dieses Programm war kein einmaliges Ereignis; die (Beifall bei der SPD) hierfür vorgesehenen Mittel sind auch in den Haushalt Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum 2004 mit eingearbeitet worden. Schluss kommen. Ein wichtiger Beitrag für den inneren Frieden ist eine stärkere Integrationsarbeit im Hinblick Zur Bereitschaftspolizei der Länder: Frau Jaffke, auf die Aussiedler und die Migranten in unserem Land. Sie haben zwar kritisiert, dass hier 1 Million Euro gestri- Dazu gehört auch die Sprachförderung. chen worden ist. Aber wir haben in den letzten Jahren auch Mittel erhöht; das Antiterrorprogramm sei in die- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sem Zusammenhang erwähnt. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Auch in Bezug auf das Bundesamt für Sicherheit in Kenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln ist eine der Informationstechnologie – auch das gehört zum Si- Grundvoraussetzung, um Integration betreiben zu kön- cherheitsbereich – hat die Regierung bzw. der Innenmi- nen. Deswegen haben wir bereits im Haushalt 2003 die 7022 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Klaus Hagemann (A) Mittel deutlich erhöht. Wir haben das durchgehalten und lungen waren in der Sache fair, anstrengend und gradli- (C) haben damit deutlich gemacht, dass Integration notwen- nig. Wir hatten sicherlich in vielen Punkten Auseinander- dig ist. 125 Millionen Euro stehen für die Integration setzungen, die politisch notwendig waren. Die und die Sprachförderung zur Verfügung. Entsprechende Verhandlungen aber waren menschlich – das will ich hier Dankbriefe von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden sind ausdrücklich sagen – in Ordnung. Es gab kleine Ausnah- bereits eingetroffen. men; diese spielten sich aber nicht bei den Berichterstat- tergesprächen, sondern im Ausschuss ab – dazu komme Nur, auch hier fallen bei Ihnen Reden und Handeln ich nachher. Dennoch glaube ich, dass man nur so bei ei- deutlich auseinander. Eigentlich war vereinbart worden, nem so wichtigen Haushalt dann, wenn die Mittel knapp dass die Finanzierung der Ausländersozialberatung sind, etwas erreichen kann. hälftig bezahlt wird, und zwar vom Bund und von den Ländern je zur Hälfte. (Beifall bei der FDP) Leider ziehen sich immer mehr Bundesländer aus der Ich möchte diese Rede mit einem Gegenstand begin- Finanzierung der Ausländersozialberatung zurück; sie nen, der beim Haushalt des Innenministers immer nur leisten ihre Kofinanzierung nicht mehr. Man kann das am Rande eine Rolle spielt, und zwar mit dem THW. aber nicht nur dem Bund überlassen und hier Sonntags- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr gut!) reden halten. Das Technische Hilfswerk ist etwas, das im Bauchladen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) des Innenministers immer nur am Rande vorkommt.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Ute Kumpf [SPD]: Stimmt aber gar nicht, Kollege Fricke!) Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Damit will ich nicht sagen, dass er es nicht ernst nimmt. Klaus Hagemann (SPD): Sie müssen aber eines sehen: es gibt Veränderungen im Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. Bereich der Wehrpflicht. wir bekommen Veränderungen im Bereich des Zivildienstes. Wir müssen hier – das ist Es gibt deutliche Signale aus dem Vermittlungsaus- in diesem Haushalt nicht unwichtig; denn es ist ein aus- schuss, dass das Zuwanderungsgesetz auf einem guten gabenträchtiger Punkt – Vorkehrungen treffen. Ich bitte Wege ist. Mit diesem Gesetz sollen über das Bundesamt das Ministerium und Sie, Herr Minister, im nächsten für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Instru- Jahr – vor allem im Hinblick darauf, wie in den anderen mente für die Integration zur Verfügung gestellt werden. betroffenen Ministerien gehandelt wird – hierfür klare Hoffen wir, dass das Gesetz vor Weihnachten auf den und deutliche Vorkehrungen zu treffen; denn sonst wird (B) Weg gebracht wird, damit das Weihnachtsevangelium, der Haushalt in diesem Punkt zukünftig, wenn wir nicht (D) dessen Verkündigung vor der Tür steht, auch Realität mehr auf so viele „Freiwillige“ treffen werden, enorm werden kann, indem wir für die Migranten und die Aus- belastet werden. siedler entsprechende Integrations- und Sprachförde- rungsleistungen erbringen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Wir als FDP haben – Kollege Hagemann kann das be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stätigen – im Ausschuss auch Anträge gestellt, die selbst DIE GRÜNEN) die Unterstützung der Koalition gefunden haben. Der Minister hat das nicht immer so nett gefunden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Klaus Hagemann [SPD]: Dem Einzelplan hät- Da hat man gesehen, wie lang so ein letzter Satz sein ten Sie zustimmen können!) kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte in An- betracht der fortgeschrittenen Zeit, ab jetzt von Zwi- – Ich glaube nicht, dass man wegen eines Zustimmungs- schenfragen und Kurzinterventionen Abstand zu neh- volumens von 3 Millionen Euro einem solch großen men. Haushalt zustimmen kann, Herr Kollege Hagemann. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich möchte auch etwas zum Digitalfunk sagen. Herr sowie bei Abgeordneten der SPD) Minister, es ist unbestritten, dass Sie den Digitalfunk wollen. Es ist auch unbestritten, dass Sie ihn rechtzeitig Das Wort hat jetzt der Kollege Otto Fricke von der haben wollen. Es ist schließlich auch unbestritten, dass FDP-Fraktion. es ihn rechtzeitig geben würde, wenn es allein nach dem Bund ginge. Das Problem zu lösen ist sicherlich nicht al- Otto Fricke (FDP): lein Ihre Aufgabe; es ist aber auch Ihre Aufgabe. Ich Das finde ich sehr schade, Herr Präsident, aber ich hoffe, dass wir nach all den Debatten, die wir hier über kann das durchaus nachvollziehen. Ich hoffe, ich halte den Digitalfunk hatten, im nächsten Jahr endlich nicht die Redezeit ein – falls nicht, finde ich sicherlich ebenso mehr über diese Frage debattieren müssen, sondern dass große Toleranz wie zuvor. die 5 Millionen Euro, die es hierfür jetzt gibt, der erste Schritt in die richtige Richtung sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes richte ich ein klares Wort an die Ich will aber dennoch mahnen. Wir haben in Deutsch- Mitberichterstatter und auch an das Haus. Die Verhand- land nun einmal ein Ausschreibungsrecht – das darf ich Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7023

Otto Fricke (A) als Jurist kurz erwähnen –, das zwar vermeintlich ge- matstadt Krefeld, an. In diesen Anlagen habe ich schon (C) recht ist und der Korruption entgegenwirkt. Sie müssen in meiner Kindheit Fußball gespielt. In den letzten aber – hier sehe ich ein enormes Risiko, Herr Minister – 30 Jahren ist auch da kaum etwas passiert. Ich sage ganz auch einkalkulieren, dass es immer den lieben Konkur- ehrlich: Ich will dem Osten natürlich helfen; aber auch renten gibt, der den Rechtsweg sucht, um die Sache zu der Westen muss mitgenommen werden. Es ist falsch, verhindern. Ich kann Ihnen eines garantieren: Wenn die immer nur Programme zur Förderung des Ostens aufzu- Ausschreibung auf Konfrontationskurs läuft, dann wer- stellen. Es müssen alle Regionen einbezogen werden. den Sie auch im Jahre 2006 den Digitalfunk noch nicht Warum gibt es die globale Minderausgabe eigentlich einmal im Ansatz haben. noch? Es gibt sie deswegen noch, weil die Koalition es Ich will weiterhin in Bezug auf die Bürgerrechte et- nicht geschafft hat, sie aufzulösen. Die Koalition be- was zum Digitalfunk sagen. Es geht beim Digitalfunk hauptet, das sei nicht notwendig, weil das Haus ordent- nicht nur darum, schneller zu ermitteln, sondern auch da- lich damit umgeht. Das stimmt. Nur dann, liebe Kolle- rum, besser zu ermitteln. Man kann über den Digitalfunk ginnen und Kollegen von der Koalition, wäre es bei dem – das vergessen wir immer wieder, wenn wir sagen, dass Verständnis, das Sie von sich als Parlamentarier haben es ein modernes System ist – dem einzelnen Polizisten, und das Sie immer so hochhalten – das ist ja auch gut –, dem einzelnen Beamten, der in Bürgerrechte eingreifen primär Ihre Aufgabe, diese Minderausgabe aufzulösen will, viel mehr Hilfsmittel zur Verfügung stellen, damit und diese Aufgabe nicht dem Ministerium zu überlassen. er klären kann, ob der weitere Eingriff notwendig ist, ein (Walter Schöler [SPD]: Otto, du hast fünf wie tiefer Eingriff notwendig ist usw. Allein aus diesem Minuten dafür verschwendet!) Grund hilft der Digitalfunk, den Vollzug zu stärken, und verhindert, dass wir jedes Mal, wenn eine neue Proble- Ein weiterer Punkt. Herr Minister, Sie haben im Aus- matik in der „Bild“-Zeitung auftaucht, nach neuen Ge- schuss schon mehrfach angemahnt, dass Sie zu wenig setzen schreien. Geld in der Kasse hätten. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, dass der Gegner nicht der Aus- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schuss und schon gar nicht die Kollegin Hajduk ist. Sie der CDU/CSU) müssen sich an den Kollegen wenden, der auf der Regie- rungsbank zwei Sitze rechts von Ihnen sitzt, nämlich an Herr Minister, bevor ich auf die globale Minderaus- den Finanzminister. Wenn es intern um die Verteilung gabe selbst zu sprechen komme, möchte ich etwas zu der Mittel geht, müssen Sie ihn fragen, warum die Ver- den Gründen sagen, die dazu geführt haben, dass die glo- braucherschutzministerin für die Förderung der ökologi- bale Minderausgabe noch ein wenig gestiegen ist. schen Landwirtschaft so viel Geld bekommt (B) Zum einen ist der Anstieg auf die Bewerbung um die (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Das ist eine berech- (D) Olympischen Spiele zurückzuführen. Das ist in Ord- tigte Frage! Herr Ströbele, was meinen Sie dazu?) nung; das ist gar keine Frage. Allerdings sei die Frage erlaubt, ob es, wenn die Verantwortlichen dafür schon und der Umweltminister für Flugreisen, Kuchen und Geld des Bundes brauchen, nicht besser gewesen wäre, Ähnliches so viel Geld bekommt. Das wäre ein Ansatz. zumindest einen Sperrvermerk einzustellen, um so zu Das dem Ausschuss anzulasten ist aber sicherlich der zeigen, dass wir zwar die Olympischen Spiele wollen, falsche Weg. aber auch darauf geachtet wird, dass sie ordentlich orga- nisiert werden. Als zweiter Grund sind die 5 Millionen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Euro für den Goldenen Plan Ost zu nennen. In dieser Meine letzte Anmerkung – hier fällt mir wieder das Frage stand ich in den Ausschussberatungen das erste Beispiel des Bauchladens ein. Ein Finanzminister, der Mal auf Ihrer Seite, Herr Minister. weiß, dass der Haushalt des Innenministers so viele Ein- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Keine Anbiede- zelposten aufweist und dass das Innenministerium ein so rei! – Klaus Hagemann [SPD]: Sonst nicht?) großes Haus ist – das ist ja nicht per se falsch –, wird sich sagen, irgendwoher werde der Innenminister das – Das wird die Koalitionäre nicht verwundern. Das ist Geld schon nehmen können. Sie sollten nach meiner auch keine Anbiederei. Die Auffassung des Ministers Meinung darüber nachdenken, ob so viele Einzelposten trifft in dieser Frage einfach zu. Das darf ich an dieser bei großen Ministerien gut sind. Stelle ruhig einmal erwähnen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. Der Minister hat vollkommen Recht: Wir können auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dauer nicht so weitermachen, dass wir uns bei der Ver- Walter Schöler [SPD]: Er hat nichts zum In- gabe finanzieller Leistungen des Bundes daran orien- nenministerium gesagt!) tieren, ob sie in eine Gegend fließen, die früher zur DDR gehört hat, oder ob sie in eine Gegend fließen, die zur al- ten BRD gehört hat. Wir müssen endlich anfangen zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: fragen, welcher Grund für eine Förderung besteht, und Das Wort hat die Kollegin Silke Stokar von Neuforn, dürfen nicht mehr danach fragen, in welcher Region das Bündnis 90/Die Grünen. zu fördernde Objekt liegt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich nenne ein Beispiel. Sehen Sie sich einmal die sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von Sportanlagen in Duisburg, der Nachbarstadt meiner Hei- der CDU/CSU) 7024 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) GRÜNEN): GRÜNEN]: Die CDU/CSU ist verstaubt!) Ich finde es schön, dass Sie sich so darüber freuen, Den kannte ich schon vor meiner Zeit hier. dass ich nun zu Ihnen sprechen darf. Ich hoffe, diese Freude hält an. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber bei der GSG 9 im Irak waren wir doch gut, oder?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Diese Vorschläge sind unsinnig, weil durch deren Um- setzung kein Beitrag zur inneren Sicherheit geleistet Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem würde. ich die Auseinandersetzung zu diesem Haushalt richtig verfolgt habe – das ist auch in dem Beitrag Ihrer Bericht- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Jawohl!) erstatterin deutlich geworden –, muss ich feststellen, dass Sie auch den Haushalt für die innere Sicherheit wie Die CDU/CSU tut mit diesen alten, nicht wirkungsvol- den Gesamthaushalt blockieren, indem Sie uns erzählen, len Gesetzesvorschlägen etwas für sich, aber sie leistet was Sie alles nicht finanzieren wollen. Sie haben jedoch keinen Beitrag für die innere Sicherheit in Deutschland. weder Anträge noch Konzepte vorgelegt, wie Sie die in- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nere Sicherheit zu gewährleisten gedenken. Das ist typi- und bei der SPD – Josef Philip Winkler sche Fundamentalopposition. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schlimm!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich möchte in dieser Haushaltsdebatte die Gelegen- Das haben wir Anfang der 80er-Jahre auch schon einmal heit nutzen, ein paar Anmerkungen zu aktuellen Themen gemacht. Sie können hier von der Fraktion der Grünen der inneren Sicherheit zu machen. Ich habe keine Lust, etwas lernen. Es bringt viel mehr Spaß, wenn man sich hier noch einmal etwas zum Digitalfunk zu sagen, weil an den Debatten über die Finanzierung verantwortungs- es mich langsam langweilt. voll beteiligt. (Otto Fricke [FDP]: Oh! – Gisela Piltz [FDP]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Tja, wenn Sie dazu nichts zu sagen haben!) und bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das Ich gehe davon aus, dass Herr Minister Schily Ihnen die hatte doch zur Folge, dass Sie Ende der 80er- neuesten Beschlüsse und alles weitere Notwendige noch Jahre herausgeflogen sind!) einmal erläutern wird. (B) Meine Damen und Herren, wie ernst die Situation im Ich möchte ein anderes Thema aufgreifen, nämlich (D) Bereich der inneren Sicherheit ist, ist uns allen durch die Biometrie. Ich habe ein Foto mit einem sehr niedli- die entsetzlichen Anschläge in Istanbul noch einmal sehr chen Motiv vor mir liegen, das Sie leider nicht sehen deutlich vor Augen geführt worden. Deswegen bleibt die können. Durch dieses Foto kann gezeigt werden, wie Bekämpfung des internationalen Terrorismus für Rot- man die Technik der Biometrie, gegen die ja gar nichts Grün das zentrale Thema der inneren Sicherheit. einzuwenden ist, sehr vernünftig anwenden kann. In In- Mit diesem Haushalt und mit den Gesetzesinitiativen donesien werden zum Beispiel die Fingerabdrücke von der letzten Monate haben wir sehr deutlich gemacht: Menschenaffen biometrisch erfasst, weil es weltweit nur Dort, wo reale Sicherheitslücken erkannt werden, han- noch 15 000 dieser Menschenaffen gibt. Auch die nie- delt Rot-Grün. Wir haben die Sicherheitspakete verab- derländische Polizei baut eine solche Datenbank auf. schiedet. Erst vor kurzem haben wir das Luftsicherheits- Das ist ein gutes Mittel, um den verbotenen Handel mit gesetz auf den Weg gebracht. Menschenaffen zu unterbinden. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Oh! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vorsicht!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das könnte man auch Wir erhöhen die Sicherheit unserer Häfen und haben mit dem Rest der Koalition machen! Da gibt es – das wurde hier schon gesagt – mit dem Bundesamt für auch nicht mehr so viele! Herr Wiefelspütz, Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine zentrale was sagen Sie dazu?) Behörde geschaffen, die den Ländern und Kommunen helfen wird, den Katastrophenschutz zu modernisieren. Ich nenne Ihnen dieses Beispiel, um deutlich zu ma- Genau darum geht es. chen, dass der Unsinn, den ich manchmal in Ihren Pres- seerklärungen lese – in diesen steht, dass die Grünen die Seit einem Jahr bin ich nun die innenpolitische Spre- Biometrie behindern –, nicht stimmt. Die Einführung cherin der Fraktion der Grünen. biometrischer Merkmale haben wir bereits in der 14. Le- gislaturperiode beschlossen. (Otto Fricke [FDP]: Das wusste ich noch gar nicht! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Kein Bei der Diskussion über die Anwendung der Biome- Mensch hört auf Sie!) trie müssen natürlich auch die Unterschiede zwischen Menschenaffen Ich bin etwas enttäuscht: Die CDU/CSU-Fraktion legt alle drei Monate den gleichen verstaubten Katalog von (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Und den Gesetzesverschärfungen vor. Grünen! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU], zu Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7025

Silke Stokar von Neuforn (A) Abg. Clemens Binninger [CDU/CSU] ge- – Wir wissen die Kolleginnen und Kollegen der SPD an (C) wandt: Wo ist da der Unterschied?) unserer Seite, Herr Tauss. Gemeinsam werden wir nun die Ministerien überzeugen. Bei meiner nächsten Haus- und Menschen beachtet werden. Wir setzen uns für eine haltsrede möchte ich verkünden können: Nach diesem enge Zweckbindung ein und lehnen den Aufbau von Re- langen Kampf ist das Informationsfreiheitsgesetz end- ferenzdateien ab. Wir werden auch zur Biometrie eine lich Wirklichkeit. sehr spannende Kostendebatte führen. Danke schön. Nachdem der Bund erhebliche Mittel in den Haushalt eingestellt hat, bin ich gespannt, wie sich die Länder ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) halten werden, wenn es darum gehen wird, die Pass- und Ausweisbehörden mit biometrischer Technik auszustat- ten. Das wird aber nicht reichen. Die Länder müssen die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Landespolizei auch mit den entsprechenden Lesegeräten Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp von der ausstatten. Wenn wir über dieses Thema wie beim Digi- CDU/CSU-Fraktion. talfunk auch zehn Jahre lang diskutieren, dann freue ich (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dieter mich schon auf sehr witzige Debatten. Wiefelspütz [SPD]: Frau Philipp, ich freue (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mich auf Sie!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Beatrix Philipp (CDU/CSU): Eines werden wir als Grüne nicht mitmachen. Ich Ich weiß nicht, ob Ihre Freude auf die Dauer anhält, habe mir in Amerika ansehen müssen, dass die ganzen Herr Wiefelspütz. Kosten für die Sicherheit auf die Bürgerinnen und Bür- ger abgewälzt werden. Ein biometrischer Ausweis darf Dass ich das noch erleben durfte, Frau Stokar, mit Ih- nicht 100 Euro kosten. Es darf nicht sein, dass nur noch nen ein gemeinsames Ziel zu haben, ist schon erstaun- der reiche, biometrisch erfasste Bürger mit dem Stempel lich. Ich vermute aber, diese Einigkeit wird irgendwann „Grenzpolizeilich unbedenklich“ weltweit Reisefreiheit im Detail stecken bleiben. Ich komme gleich noch ein- mal auf diese Schnipselberge, für deren Wiederherstel- genießt. Diesen Weg werden wir nicht mitgehen. lung auch wir uns einsetzen, zurück. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich bedauere es, diese gute Atmosphäre, die vielleicht sowie bei Abgeordneten der SPD) mit der vorgerückten Stunde zu tun hat, etwas stören zu Ich möchte zu einem anderen Bereich, der mir per- müssen. Ich verstehe immer mehr, warum die Menschen (B) sönlich sehr am Herzen liegt, noch ein paar Worte sagen, diese Regierung nicht ernst nehmen. Ich mache es ein- (D) und zwar zur Auseinandersetzung mit dem DDR-Un- mal an dem Beispiel der Ausführungen von Herrn recht. Wir haben im Innenausschuss einen Bericht über Hagemann fest. Herr Hagemann, wenn Sie wie viele aus die technische Möglichkeit bekommen, Akten, die in Ihrer Fraktion heute den Eindruck erwecken, dass im Bereich der inneren Sicherheit eigentlich alles in bester den letzten Stunden des DDR-Regimes zerrissen und ge- Ordnung sei, dann muss ich Ihnen sagen, dass Ihre schreddert wurden und wichtiges Wissen enthalten, wie- Wahrnehmung von der Bevölkerung überhaupt nicht ge- derherzustellen und zu rekonstruieren. Ich möchte für teilt wird. Das ist nicht in Ordnung. meine Fraktion ganz deutlich sagen: Wir möchten die Anwendung dieser Technik. Wir möchten, dass diese (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Akten wiederhergestellt werden. Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! – Widerspruch bei der SPD) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Gut!) Ich will das an ein paar Beispielen aufzeigen. Ich – Ich sehe, dass Sie mir zustimmen. Ich hoffe, dass wir fange ganz grundsätzlich an. Herr Hagemann, der Haus- parteiübergreifend die Mittel hierfür aufbringen. halt, den Sie eingebracht haben, ist verfassungswidrig. Die Menschen merken, dass das nicht in Ordnung ist. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wir sind uns hier so einig wie bei der GSG 9 im Irak!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der inneren Si- Meine Redezeit ist fast zu Ende. Noch ein Satz zum cherheit zu tun?) Thema Akten. Es wird im nächsten Jahr nicht nur darum gehen, diese alten Akten wiederherzustellen. Diese Bundesregierung verstößt gegen internationale Vereinbarungen und verharmlost das Ganze mit der Be- (Otto Fricke [FDP]: Keinen Euro dafür einge- gründung, sie interpretiere die Regelungen nur anders. stellt! Scheinheilig!) Sie können doch nicht so tun, als ob nichts gewesen wäre. Wir haben noch einen anderen Wunsch. Wir wollen, dass (Widerspruch bei der SPD – Hartmut Koschyk die vorhandenen Akten den Bürgerinnen und Bürgern [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit!) auch zur Verfügung gestellt werden. Wir Grünen führen – Es ist auch nicht in Ordnung, dass Sie dauernd herum- jetzt seit fünf Jahren den Kampf um ein Informations- brüllen und mich nicht ausreden lassen. freiheitsgesetz. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Jörg Tauss [SPD]: Aber nicht allein!) NEN]: Wenn Sie so einen Unsinn erzählen!) 7026 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Beatrix Philipp (A) Schließlich – auch das meine ich ernst – möchte ich (Walter Schöler [SPD]: Sie haben weder einen (C) noch ein anderes Beispiel nennen. Wir alle haben eine Antrag gestellt noch sich an der Entscheidung Mail von einer Bürgerin bekommen, die sich über das beteiligt!) Niveau in diesem Hause aufregt. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer in diesen Tagen einige Mitglieder auf Darauf hat Herr Fricke eben ausführlich hingewiesen. der Regierungsbank beobachtet hat – ich habe das Ich nenne einige Beispiele. getan –, der darf sich eigentlich nicht wundern, dass Das erste ist der Zivil- und Katastrophenschutz. Herr Gottschalk nicht versteht, dass er hier nicht auftre- Herr Hagemann, Sie haben das letzte Mal schon von der ten darf. „Perle“ gesprochen. Aber die müssen Sie pflegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Klaus Hagemann [SPD]: Natürlich, es wird neten der FDP) noch einmal etwas darauf gepackt!) Da wird gefeixt und gelacht, den Rednern ein Vogel ge- Sie reduzieren auch in diesem Haushalt wieder einmal zeigt und der „Scheibenwischer“ gemacht. Ich bin nicht die Mittel. Vor Ort können sich die Ortsverbände des pingelig. Das wissen alle, die mich kennen. THW nur dadurch retten, dass sie die Anzahl der Züge massiv reduzieren. (Klaus Hagemann [SPD]: Das ist auf allen Sei- ten so!) (Klaus Hagemann [SPD]: Das stimmt nicht!) Nein, es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass die – Sagen Sie nicht, dass sei nicht wahr. Wenn Sie das tat- Menschen, die existenzielle Probleme haben, wenn sie sächlich nicht wissen, dann würde ich mich an Ihrer hier zuhören und zuschauen, nicht den Eindruck haben, Stelle nicht dazu äußern. dass sich hier erwachsene Menschen mit ihren drin- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Leider gendsten Problemen auseinander setzen. wahr! – Hans-Christian Ströbele [BÜND- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber Sie machen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt ja gar es?) nicht!) Irgendwann wird die Einsatzfähigkeit infrage gestellt. Ich nehme ausdrücklich die Herren aus, die im Augen- Diese Sorgen machen sich inzwischen die Ortsverbände blick auf der Regierungsbank sitzen. Wir tun uns alle vor Ort. Gehen Sie einmal zu ihnen. Die erzählen Ihnen keinen Gefallen, wenn wir einfach zur Tagesordnung das gerne. übergehen. (B) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (D) (Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Wir waren da!) Wissen Sie, warum wir uns keinen Gefallen tun? Weil Zweiter Punkt. Sie haben zwar das Bundesamt für Zi- wir Vertrauen zerstören. Aber das brauchen wir. vilschutz (Zuruf von der SPD: Kommen Sie jetzt zum (Jörg Tauss [SPD]: Lügen und Heuchelei!) Haushalt?) – Herr Tauss, dass Sie mir nicht zuhören, bin ich ge- – Ich komme jetzt zum Haushalt. Ich habe den Eindruck, wöhnt – unter dem neuen Namen „Bundesamt für Bevöl- dass die Leute nicht darauf vertrauen und nicht das Ge- kerungs- und Katastrophenschutz“ eingerichtet. Herr fühl haben, dass der Bereich der inneren Sicherheit, Staatssekretär Körper hat aber gesagt, es solle optisch- den Sie, Herr Hagemann, eben in den Mittelpunkt ge- organisatorisch hervorgehoben werden. Das kann man rückt haben, wirklich in besten Händen ist. Wir haben nur verstehen, wenn man weiß, dass das kostenneutral diesen Eindruck nicht. Ich will Ihnen an einigen Beispie- vonstatten gehen soll. Ich meine: Optisch reicht nicht len aufzeigen, warum das so ist. aus. Es muss nach alter Väter Sitte – „ohne Moos nix los“ – Geld in die Hand genommen werden, wenn man Ich gehe nicht intensiv auf die globale Minderaus- es denn ernst nimmt. gabe ein, weil ich nur wenig Zeit habe, aber uns würde schon interessieren, wo Sie die insgesamt 160 Millionen (Klaus Hagemann [SPD]: Deshalb machen wir Euro einsparen wollen, es doch!) (Otto Fricke [FDP]: Die müssen es nicht Wir haben in unserem Antrag die Einrichtung einer mehr! Die haben sich einen schlanken Fuß Einsatzleitstelle für Großschadensereignisse gefor- gemacht!) dert. Sie haben gemeint, dieser Antrag sei überflüssig. Ich glaube nach wie vor, dass er das nicht ist. Ich würde ganz zu schweigen von den 1,6 Milliarden Euro, die laut Ihnen empfehlen, sich den Antrag noch einmal anzu- Minister im ganzen Haushalt zusätzlich einzusparen schauen. Dann würden Sie merken, dass diese Einsatz- sind. leitstelle für Großschadensereignisse dringend notwen- dig ist. Dass eine Haushaltsplanberatung auch die Prioritä- tensetzung widerspiegelt, wissen Sie genauso gut wie Ich nenne als weiteres Thema den Einsatz der Bio- ich. Sie wissen auch, dass wir andere Prioritäten gesetzt metrie. Ich habe mich gewundert, dass Frau Stokar die haben. neueste Pressemitteilung noch nicht hatte. Ich habe sie. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7027

Beatrix Philipp (A) (Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE Beatrix Philipp (CDU/CSU): (C) GRÜNEN]: Die habe ich auch!) Schließlich stimme ich Frau Stokar zu: Es müssen Mittel für die Aufarbeitung der Geschichte der DDR, die Laut dieser Pressemitteilung haben sich die Innen- und für die Wiederherstellung der als Schnipselberge be- Justizminister in Brüssel – Herr Bundesminister, ich gra- kannten vorvernichteten Stasiakten zu verwenden sind, tuliere zu diesem Erfolg – über die Einführung biometri- ausgewiesen werden. scher Merkmale in Visa und Aufenthaltstiteln geeinigt und grünes Licht für die Europäische Grenzschutzagen- Vielen Dank. tur gegeben. In meiner Heimatstadt Düsseldorf würde (Beifall bei der CDU/CSU) man jetzt sagen: Wie ich den Laden kenne, kostet das aber auch Geld. Wir erwarten deshalb in nächster Zeit, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: dass die erforderlichen Mittel ausgewiesen werden. Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister Otto Dann werden wir sehen, wie das aussieht. Ich habe gese- Schily. hen, dass im Etat Forschungsmittel versteckt sind. Viel- leicht kann man diese für die konkrete Umsetzung ab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zwacken. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber wir sind damit nicht am Ende. Jetzt muss ich Otto Schily, Bundesminister des Innern: doch konkret werden; das habe ich schon fast befürchtet, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich Frau Stokar. Wir wollen, dass diese biometrischen Daten möchte mich, ähnlich wie der Kollege Fricke, zunächst auch gespeichert werden, damit ein besserer Austausch einmal bei den Haushältern für eine wirklich angenehme zwischen den Sicherheitsbehörden und den Landesbe- und faire Beratung meines Haushaltes ungeachtet von hörden möglich gemacht wird. Meinungsverschiedenheiten – das bringt die Natur der Sache mit sich, aber das Ganze ist in wirklich guter At- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Noch besser?) mosphäre verlaufen – bedanken. Der Dank gilt natürlich – Noch besser, Herr Wiefelspütz. Es kann immer noch in aller erster Linie den Haushältern der Koalition; denn sie haben die Mehrheit. besser werden. Dass es Defizite gegeben hat, dürfte, wie ich annehme, auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe Es gab dazu einmal von uns einen Antrag bezüglich des von der CDU/CSU: Oh!) wirksamen Schutzes vor Terroristen und Extremisten, – Jetzt kommt das Aber: Dieses Lob gilt auch den Kolle- von dem Sie ebenfalls meinten, er sei nicht notwendig. ginnen und Kollegen aus der Opposition, die sich fair (B) Wie gesagt, ich bin immer noch der Ansicht, dass er not- verhalten haben; das kann ich überhaupt nicht anders (D) wendig gewesen ist. Sie können ihn gerne nachlesen. darstellen. Schließlich unterscheiden wir uns auch in der Auffas- Ich möchte zu einigen Bemerkungen Stellung neh- sung über die Notwendigkeit eines Sicherheitspake- men, die in der Debatte zum Ausdruck gekommen sind. tes III, wie Herr Innenminister Beckstein ihn anmahnt. Ich beginne zunächst einmal mit der Frage: Wie sieht Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, weil ich sehe, denn mein Haushalt eigentlich aus? Natürlich habe ich dass die Lampe, die das Ende meiner Redezeit ankün- – das kann gar nicht anders sein –, ähnlich wie andere digt, blinkt. Ich zitiere aber noch einmal aus einer Pres- Ressorts auch, einen Solidarbeitrag leisten müssen. semitteilung der Bayerischen Staatskanzlei: Wenn ein Minister meint, sein Haushalt brauche dazu nichts beizutragen, dann verhält er sich nicht korrekt. Unsere Computer sind auf die arabische Schrift und Deshalb habe ich eine globale Minderausgabe, die sich Phonetik nicht eingestellt. auf etwa 150 Millionen Euro beläuft, zu verkraften. Für einen Haushalt, der stark von Personalausgaben in An- (Uta Zapf [SPD]: In Bayern!) spruch genommen wird und der der inneren Sicherheit dient, ist das sicherlich keine einfache Aufgabe. Islamische Fundamentalisten können sich daher hinter einem bunten Strauß von Alias-Namen, die Ich will aber darauf hinweisen, dass wir in sehr wich- alle irgendwie gleich klingen, verstecken und ab- tigen Sicherheitsbereichen gleichwohl einen Aufwuchs tauchen. Deshalb brauchen wir die Speicherung haben. Bei den Mitteln für den Bundesgrenzschutz ha- biometrischer Daten. Auch das hat die rot-grüne ben wir einen Aufwuchs um 3,6 Prozent. Die Mittel für Bundesregierung abgelehnt. das BKA konnten wir auf hohem Niveau beibehalten. Es gibt auch in anderen Sicherheitsbereichen einen Auf- Zum Technischen Hilfswerk habe ich bereits etwas wuchs, beispielsweise bei den Zuwendungen zu Europol gesagt. Ich komme deswegen nur noch ganz kurz auf das und anderen Sicherheitsinstitutionen. Defizit von 2 Millionen Euro bei der Bereitschaftspoli- Da Sie sagen, das sei alles noch nicht genug, möchte zei zu sprechen. ich auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen: Ich weiß nicht, ob Ihnen aufgefallen ist, dass der Kollege Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Austermann, der im Bundestag sehr impulsive Reden hält, Frau Kollegin, Sie kommen bitte zum Schluss und ge- hen nicht mehr auf die Bereitschaftspolizei ein. (Zurufe von der CDU/CSU: Guter Mann!) 7028 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Otto Schily (A) gefordert hat, dass wir den Vorgaben der Europäischen dem Beispiel von Hessen mit einer Arbeitszeit der Be- (C) Kommission folgen sollen. Als er dann gefragt wurde, amten von 42 Wochenstunden folgen soll. wie das geschehen soll, hat er geantwortet: Es sollten (Zuruf von der SPD: Hört! Hört!) alle Verwaltungsausgaben um 10 Prozent gekürzt wer- den. Das würde bedeuten, dass ich beim Bundesgrenz- Ich kann Ihnen schon jetzt versichern: Die Erhöhung der schutz mehr als 180 Millionen Euro einsparen müsste. Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden werde ich auf Bun- Wie ich das verkraften soll, mögen mir die Damen und desebene nicht vorschlagen. Herren von der Fraktion, die hier für die innere Sicher- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Clemens heit plädiert, verkünden. Diese Forderung ist doch Binninger [CDU/CSU]: Sondern?) schlichtweg Unsinn. – Wir haben die Überlegungen noch nicht abgeschlos- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sen. Insofern bitte ich um Verständnis dafür, dass ich DIE GRÜNEN – Dr. Dieter Wiefelspütz mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festlegen will. [SPD]: Sagen Sie das einmal Herrn Austermann!) Ein Blick auf die Einkommenssituation beim Bun- desgrenzschutz zeigt – das hat der Kollege Hagemann Frau Kollegin Jaffke, Sie sind mir immer eine sehr schon ausgeführt –, dass diese noch nie so gut war wie in angenehme Partnerin im Haushaltsausschuss. meiner Amtszeit, und zwar durch die Stellenhebungen, (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) die wir konsequent vorgenommen haben. Auch das sollte hier anerkannt werden. – Das wird man doch einmal freundlich sagen dürfen. Ich weiß zwar, dass es eher gefährlich ist, wenn man als (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Regierungsmitglied einen Oppositionsabgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lobt, aber ich kann Ihnen das Lob nicht ersparen, Frau Des Weiteren haben Sie einen Einzelfall bei der Bun- Kollegin Jaffke. deszentrale für politische Bildung dargestellt. Der (Heiterkeit) Kollege Hagemann hat mit Recht darauf hingewiesen, dass wir zusammen mit dem Präsidenten der Bundeszen- Einiges, was Sie hier dargestellt haben, ist nicht ganz trale, Krüger, diese Einrichtung modernisiert und in eine korrekt. Aber das ist eine sachliche Meinungsverschie- gute Verfassung gebracht haben. denheit, die wir freundlich miteinander austragen kön- nen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ideologi- siert! – Gegenruf von der SPD: Benehmen Sie sich! – Gegenruf des Abg. Reinhard Grindel (B) Sie haben nach der Bezahlung der Beamtinnen und (D) Beamten gefragt. In diesem Zusammenhang möchte ich [CDU/CSU]: Wer arbeitet denn da?) Sie darauf aufmerksam machen, dass in meiner Amtszeit – Nun hören Sie doch einen Moment zu, Herr Grindel! die Zahlungen für die Beamtinnen und Beamten und für Wenn Sie das Ideologisierung nennen wollen, dann tun den öffentlichen Dienst erheblich gestiegen sind, und Sie das ruhig. Sie haben mich danach gefragt, wer die zwar aufgrund der von mir geführten Tarifverhandlun- Zuwendungsempfänger sind. Zuwendungsempfänger gen und der darauf folgenden Besoldungserhöhungen. sind auch CDU-nahe Einrichtungen; sie erhalten Das ist beachtlich. 1,35 Millionen Euro. (Beifall bei der SPD – Clemens Binninger [CDU/ (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Viel zu we- CSU]: Das ist doch das Mindeste!) nig! – Gegenruf des Abg. Dr. Dieter – Nein, dabei handelt es sich um einen deutlichen Netto- Wiefelspütz [SPD]: Stimmt der Vorwurf der lohnzuwachs. Das können Sie alles nachvollziehen. Ideologisierung?) Auch dieser Personenkreis profitiert von den Besser- Insofern können Sie das ruhig als Ideologisierung be- stellungen durch die Kindergelderhöhung und die Steuer- zeichnen. erleichterungen. Das sollten Sie beachten, wenn Sie ei- Sie haben eine entsprechende Aufstellung erhalten. nen Sachverhalt korrekt und vollständig darstellen wol- Frau Jaffke, ich sage Ihnen zu, dass Sie – wenn Ihnen len. noch irgendetwas fehlt – alle Angaben im Detail bekom- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) men. Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass wir der For- (Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme derung nach mehr Flexibilisierung nachgekommen sind. [CDU/CSU]) Sie haben dem zugestimmt. Wir haben aber davon nicht Notfalls werde ich selber dafür sorgen. Ich halte es für in der Weise Gebrauch gemacht wie die Länder, nämlich selbstverständlich; denn Sie haben ein Recht dazu. bereits in diesem Jahr mit den Kürzungen der Sonder- zahlungen zu beginnen, sondern wir haben das erst für Ferner haben Sie eine Ausgabe für einen Dienstwa- das nächste Jahr, also für 2004, vorgesehen. Auch das gen beanstandet. Der Etat der Bundeszentrale für politi- bitte ich zu beachten. sche Bildung beläuft sich auf knapp 40 Millionen Euro. Bei der von Ihnen beanstandeten Position handelt es sich Die Frage der Arbeitszeit werden wir auch auf Bun- um die Kosten für einen Dienstwagen in Höhe von desebene diskutieren müssen. Aber ich frage Sie, ob ich 20 000 Euro. An dieser Stelle fehlt mir ein bisschen das Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7029

Bundesminister Otto Schily (A) Verständnis dafür, dass diese Ausgabe Gegenstand einer gen Justiz- und Innenministerkonferenz der Europäi- (C) Debatte im Deutschen Bundestag wird. schen Union ein. Sie haben zwei Erfolge erwähnt und sie auch fair begrüßt, wofür ich mich bedanke. Diese beiden (Beifall bei der SPD) Entschließungen gehen, Frau Kollegin Philipp, auf deut- Wenn Sie meinen, ich könnte die entsprechenden Fahr- sche Initiativen zurück. zeuge vom Bundeskriminalamt übernehmen, dann versi- (Beifall bei der SPD) chere ich Ihnen: Für 20 000 Euro bekommt man dort gar nichts, allenfalls ein Schrottauto. Ich bin froh, dass wir heute einen großen Schritt nach vorn gemacht haben. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Ein kleines Auto schon!) Frau Kollegin Stokar, Sie mögen sich für die Men- schenaffen interessieren; ich interessiere mich für die Herr Fricke ist auf das THW eingegangen; auch Frau Menschen. Philipp hat dazu einige Ausführungen gemacht. Weil Sie die Ausgaben beanstandet haben, Frau Kollegin Philipp, (Heiterkeit) weise ich Sie darauf hin, dass es in den Jahren 1998/99 Wir müssen die Menschen und nicht nur die Menschen- beim THW bereits einen Aufwuchs der Mittel von affen schützen. Dafür brauchen wir biometrische Merk- 10,3 Prozent und in der Zeit von 1999 bis 2003 einen male. Wir müssen mit ihrer Hilfe dafür sorgen, dass Aufwuchs von 17,5 Prozent gegeben hat. Dahinter kön- keine Menschen in das Gebiet der Europäischen Union nen Sie sich mit den Zahlen aus Ihrer alten Zeit verste- kommen, die nichts Gutes im Schilde führen. cken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten neten der SPD – Hartmut Koschyk [CDU/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) CSU]: Schwacher Beifall bei der SPD!) Beim THW sollten Sie nicht in der Weise herumre- Meine Damen und Herren, ich könnte natürlich noch den, wie Sie es hier gemacht haben. Ich weiß, dass Sie über einige Dinge reden, die wir heute mit Javier Solana manchmal versuchen, in den Helfervereinigungen für besprochen haben, der das Engagement Deutschlands schlechte Stimmung zu sorgen. Wohin auch immer ich besonders lobt, was den Einsatz für die innere Sicherheit beim THW komme, werde ich außerordentlich freund- außerhalb unserer Grenzen angeht. Ich könnte auch über lich empfangen. das sprechen, was wir heute hinsichtlich der Stärkung (Beatrix Philipp [CDU/CSU]: Das sagen die von Europol vereinbart haben. Ich beschränke mich auch immer!) stattdessen darauf, ein paar Sätze auf den von mehreren (B) angesprochenen Digitalfunk zu verwenden. (D) Man weiß dort genau, was der Bundesinnenminister für das Technische Hilfswerk tut. (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!) (Beifall bei der SPD) – Das ist wichtig. Dies haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des THWs auch verdient, weil sie hervorragende Arbeit leis- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ohne ten. Frage!) Herr Fricke hat Sorge geäußert, dass wir für diesen Entschuldigung, Herr Präsident, ich nehme damit Bereich keine jungen Menschen mehr gewinnen können. mein Vorrecht in Anspruch, als Regierungsmitglied ein wenig länger zu sprechen. (Otto Fricke [FDP]: Falls Sie die Wehrpflicht abschaffen!) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Begeiste- rung beim Präsidium!) Das stimmt für das THW nicht. Von 1999 bis 2003 hat- ten wir dort einen Zuwachs an Junghelfern – darauf bin – Ich weiß, dass Sie diesbezüglich einige Sorgen in Be- ich besonders stolz – in Höhe von 24 Prozent. Ange- zug auf meine Person haben. Aber Sie haben doch einen sichts dieses Sachverhalts sollten Sie sich auch einmal Anspruch darauf, dass ich über den neuesten Stand be- auf ein Lob für diese gute Arbeit besinnen. richte. (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Es (Beifall bei der SPD) ging um die Frage der Wehrpflicht!) Mit dem Vorsitzenden der Innenministerkonferenz der Länder, dem Kollegen Trautvetter, und dem Finanz- Ich habe zwölf Minuten Redezeit für ein, wie Sie ge- minister Baden-Württembergs, Herrn Stratthaus, habe sagt haben, großes Ministerium. Das ist immer etwas ich vor einigen Tagen zusammengesessen; die beiden merkwürdig. Daher weise ich in aller Kürze darauf hin, Herren sind auf meine Einladung hin dankenswerter- dass wir mit den Haushaltsmitteln immer gut umgehen weise nach Berlin gekommen. Wir waren uns einig, dass und große Erfolge zu verzeichnen haben. Ich kann sie wir einen modernen Digitalfunk brauchen. Das ist die jetzt nicht alle aufführen; dazu bräuchte ich ein paar gute Botschaft. Die zweite gute Botschaft war das, was Stunden. Herr Trautvetter nach diesem Gespräch auch in einer Aber ich gehe noch auf die von Frau Philipp dankens- Presseerklärung bekannt gegeben hat: Die von uns müh- werterweise angesprochenen Entscheidungen der heuti- sam auf der Arbeitsebene mit den Ländern erarbeitete 7030 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Bundesminister Otto Schily (A) Dachvereinbarung, die besagte, dass wir die Ausschrei- Ost ausgewiesen. Niemand sagt mir, wie ich das gegen- (C) bung in Gang setzen können, ist jetzt unterschriftsreif. finanzieren soll – das wird einfach in die globale Min- Ich habe das – ebenfalls in einer Presseerklärung – be- derausgabe eingestellt –, und so wird das Problem bei grüßt. Aber in einem anschließenden Gespräch mit mei- mir abgeladen. nem Staatssekretär hat der Thüringer Staatssekretär Scherer plötzlich erklärt, dass das alles nicht wahr sei Übrigens, Frau Stokar, ich verstehe und unterstütze und dass Herr Trautvetter seine Zusage zurückziehen Ihr Anliegen, die Stasiunterlagen wiederherstellen zu möchte. Das ist ein sehr ungutes Hin und Her. Das, was lassen. Aber die dafür notwendigen 58 Millionen Euro hier geschieht, ist ein Drama und geht zulasten unseres müssen Sie mir erst einmal besorgen. Nicht, dass es eine Landes. zusätzliche globale Minderausgabe in Höhe von 60 Mil- lionen Euro gibt! Das mache ich nicht mit. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter Der Bundeskanzler hat mit den Ministerpräsidenten [CDU/CSU]: Sehr gut! Schily kritisiert die Ende Juni dieses Jahres eine Vereinbarung getroffen Grünen!) – ich war zugegen –, in der die genaue Schrittfolge fest- Wir haben jedenfalls bei den Sportausgaben ein hohes gelegt worden ist: Dachvereinbarung, Ausschreibung Niveau erhalten können. Ulrich Feldhoff, der Vizepräsi- und Rahmenvertrag, der die Kostenverteilung regelt. dent des Deutschen Sportbundes, hat in Aachen aus An- Jeder kann ja für sich entscheiden, ob er die Kosten auf- lass des Zeitraums von 1 000 Tagen bis zu den Weltreiter- bringen kann bzw. will. Ich finde das, was Sie in Ihrer spielen im Jahre 2006 erklärt – das gilt für uns alle –, man Zwischenfrage im Hinblick auf Ihren Antrag gesagt ha- solle doch endlich einmal anerkennen, dass Deutschland ben, sehr interessant. Mir war das nicht mehr in Erinne- die drittstärkste Sportnation der Welt ist. rung. Ich muss ehrlich sagen, dass ich diesbezüglich eine Gedächtnislücke hatte. Mir ist aber sehr lieb, dass Sie ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nen solchen Antrag gestellt haben. Wenn das Ihr Stand- punkt ist – dieser stimmt übrigens mit meinem überein –, Das verdanken wir auch den Steuercents, die die Men- dann bitte ich Sie ganz herzlich, dementsprechend Ihren schen aufbringen. Darauf können wie sehr stolz sein. Einfluss bei den Ländern geltend zu machen. Dass wir im Jahre 2006 nicht nur Gastgeber bei der Fuß- ballweltmeisterschaft, sondern auch bei der Tischtennis- (Beifall bei der SPD) weltmeisterschaft, der Hockeyweltmeisterschaft und den Weltreiterspielen sind, bringt zum Ausdruck, welche Dann wären wir sofort einen Schritt weiter; denn über Anerkennung uns zuteil wird. die Finanzverteilung kann man viel besser sprechen, (B) wenn man die Angebote der möglichen Betreiber vorlie- Lassen Sie mich kurz auf das Thema Olympia einge- (D) gen hat und weiß, was es kosten wird. hen; ich bin darauf angesprochen worden. Können Sie mir einen Fall nennen, in dem ein Laden innerhalb so Als unverbesserlicher Optimist, der ich noch immer kurzer Zeit wieder auf Trab gebracht worden ist wie im bin, glaube ich, dass es durchaus möglich ist, zusammen Zusammenhang mit der deutschen Olympiabewerbung? mit dem Bundeskanzler auf der Ministerpräsidentenkon- Dies wurde mit wirklich guten Leuten geschafft. Dafür ferenz Ende Dezember dieses Jahres eine Perspektive konnten die Beteiligten sehr viel Lob einheimsen. Ich bei der Finanzverteilung zu konsentieren und so den Pro- glaube, ich brauche mich nicht zu verstecken. Zwar sind zess zu beschleunigen. Ich werde es jedenfalls versu- einige Dinge geschehen, die nicht schön waren – heute chen. Deutschland würde sich entsetzlich blamieren, wurde übrigens bekannt, dass eine Person zu Unrecht wenn es uns nicht gelingen sollte, das zu schaffen, was beschuldigt worden ist –; aber wir haben den Laden mitt- Finnland in relativ kurzer Zeit zustande gebracht hat, lerweile wieder aufgeräumt. und zwar zu durchaus überschaubaren Kosten. Ich bin jedenfalls dankbar, dass im Prinzip alle Fraktionen die- Ich bitte Sie alle, diese nationale Bewerbung auch ses Hauses die Einführung des Digitalfunks unterstüt- vom Bundestag aus zu unterstützen. zen. Übrigens, ich bitte, zu beachten, dass sich auch die Länder nicht einig sind, ob der Königsteiner Schlüssel (Beifall im ganzen Hause) angewendet werden soll. Wir haben mit Herrn Genscher einen wunderbaren Ver- Ich möchte ausnahmsweise – der Präsident lässt dau- treter für das Kuratorium gewonnen. Wir sollten zusam- ernd die rote Lampe leuchten menstehen, damit die Bewerbung Leipzigs, des Freistaa- tes Sachsen, Rostocks und Mecklenburgs Erfolg hat. (Heiterkeit – Otto Fricke [FDP]: Heimleuch- tung!) Vielen Dank. – Erleuchtungen brauche ich nicht; ich hatte bereits ge- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nügend – etwas zum Sportetat sagen, der bereits ange- DIE GRÜNEN) sprochen worden ist. Ich bin hier mit Herrn Fricke einer Meinung – das kann ja passieren – und teile die Auffas- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: sung meiner Koalition nicht. Diesen Konflikt müssen Herr Bundesminister, in Bezug auf Ihre Redezeit wir offen austragen. Es hat keinen Sinn, dies zu ver- möchte ich Folgendes sagen: Sie haben nach unserer schweigen. Im Sportetat wird nämlich einfach ein Posten Verfassung das Recht, jederzeit im Parlament zu reden, in Höhe von 5 Millionen Euro für den Goldenen Plan und zwar so lange, wie Sie wollen. Allerdings haben die Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7031

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Abgeordneten nicht die Verpflichtung, Ihnen so lange Sie nicht verlangen, dass sich die Länder auf solch ein fi- (C) zuzuhören. nanzpolitisches Abenteuer einlassen. (Heiterkeit im ganzen Hause) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Abgeordneten haben das aber getan; deswegen gehe Wenn man den Haushalt des Bundesministers des In- ich davon aus, dass sie an Ihrer Rede interessiert waren. nern betrachtet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass einige Positionen sehr zum Nachdenken anregen: Die Nach der Geschäftsordnung ist es so, dass auf Antrag Bundesregierung will zum Beispiel mehr als 1 Million einer Fraktion die Debatte wieder eröffnet werden Euro für Untersuchungen über die Fortentwicklung des könnte, nachdem ein Regierungsmitglied seine Redezeit öffentlichen Dienstrechts ausgeben. Herr Minister, ge- überschritten hat. Ich gehe aber davon aus, dass niemand gen solche Untersuchungen ist sicherlich grundsätzlich diesen Antrag stellt. nichts zu sagen, sofern klar ist, welches Ziel man im Be- reich des öffentlichen Dienstrechts verfolgt. Diesbezüg- Ich gebe als letztem Redner dem Kollegen Hartmut lich gibt es aber von der Bundesregierung, wenn man sie Koschyk von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. kritisch befragt, nur eine Fehlanzeige. Herr Minister, ich habe die Bundesregierung gefragt, Hartmut Koschyk (CDU/CSU): was sie etwa von Forderungen nach einem Abschied vom Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir althergebrachten Beamtentum hält, die unter anderem warten jetzt einmal ab, ob wir von diesem Recht Ge- Ihre Staatssekretärin Vogt, aber auch andere Genossen brauch machen. gestellt haben, die einen Aufruf unter dem Titel „Die neue SPD: Menschen stärken. Wege öffnen“ gestartet haben. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr Ich habe die Bundesregierung gefragt, wie sie zu dieser richtig! – Gegenruf des Abg. Walter Schöler Forderung steht, und die wegweisende Auskunft erhalten, [SPD]: Das geht nicht!) dass über diese Frage schon lange diskutiert wird. Wir wissen, dass der Bundesinnenminister in dieser (Heiterkeit und Beifall des Abg. Steffen Debatte am liebsten das letzte Wort hätte und dass er für Kampeter [CDU/CSU]) sich eigentlich gerne die meiste Redezeit in Anspruch nehmen würde. „Ach was?“, würde der erstaunte Abgeordnete nur sa- gen, wenn das nicht so traurig wäre. Die Beschäftigten, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Vor allem um die es geht, haben einen Anspruch darauf, dass ihnen möchte er länger als zwölf Minuten re- die Bundesregierung sagt, ob das eine Spaß-, Alibi- oder den!) Unterhaltungsveranstaltung von Teilen der SPD, unter (B) anderem auch von Ihrer Staatssekretärin, ist. (D) Herr Präsident, ich finde es gut, dass Sie immer wieder darauf hinweisen, dass gerade für eine Haushaltsdebatte (Dr. Max Stadler [FDP]: Richtig!) das Parlamentsrecht gilt und dass die Möglichkeiten der Sie wollen wissen, wohin die Reise geht und ob die Bun- Regierung, sich selbst darzustellen, begrenzt sind. desregierung noch zu Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes Herr Minister, ich möchte noch etwas zum Digital- steht, nach dem das Recht des öffentlichen Dienstes un- funk sagen. Wir haben vereinbart, dass die Berichter- ter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des statter aus den Fraktionen mit Ihnen reden werden. Da- Berufsbeamtentums zu regeln ist. bei soll auch überlegt werden, wie wir auf unsere Länder Nordrhein-Westfalen hat bereits gesagt, wohin es einwirken können. will. Bei der Innenministerkonferenz in Jena, so hörte man, lag schon eine Protokollnotiz von Nordrhein-West- (Jörg Tauss [SPD]: Diese Geräte werden doch falen auf dem Tisch, nach der Art. 33 Abs. 5 des Grund- in Bayern bereitgestellt!) gesetzes ersatzlos zu streichen ist. Das wurde dann wie- Herr Tauss, seien Sie vorsichtig; sonst verlängern wir die der eingesammelt und hat somit das Licht der Aussprache. Öffentlichkeit nicht erblickt. (Heiterkeit im ganzen Hause) Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, auch die Beamten, haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, Herr Minister, eines ist doch klar – die Innenminister- wohin die Reise mit dieser Bundesregierung geht. konferenz in Jena hat das wieder gezeigt –: Der Bund (Beifall bei der CDU/CSU) muss sich in der Frage der Kostenverteilung wirklich bewegen. Ich glaube, das wissen auch Sie. Sie sind zwar Mit uns wird es eine Abschaffung des Berufsbeamten- ins Haushaltskorsett eingezwängt; aber das darf nicht tums jedenfalls nicht geben. das letzte Angebot des Bundes an die Länder sein. (Beifall bei der CDU/CSU) (Otto Schily, Bundesminister: Wir haben Ihnen Im Gegenteil: Wir bekennen uns zum Berufsbeamten- doch etwas angeboten!) tum und wir sagen, dass das Beamtenrecht wesentlich flexibler ist als das Tarifrecht für die Arbeitnehmer im – Sie bieten inoffiziell etwas an. Das wurde in Jena na- öffentlichen Dienst türlich als Provokation empfunden. Das haben Länder- vertreter nach dem Treffen in Jena offen gesagt. Solange (Clemens Binninger [CDU/CSU]: So ist es! nicht zumindest der Königsteiner Schlüssel gilt, können Genau!) 7032 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

Hartmut Koschyk (A) und dass das Berufsbeamtentum und das Beamtenrecht tätigen Beschäftigten im Sicherheitsbereich gestellt wer- (C) eine effiziente, kostengünstige und vor allem auch den. Hier kommt es nicht nur auf gutes Geld für gute streikfreie öffentliche Verwaltung garantieren. Wir treten Arbeit an, sondern hier muss auch ordentliches Hand- für Reformen ein, aber anders als Teile Ihrer Partei wol- werkszeug zur Verfügung stehen. Deshalb können wir len wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. überhaupt nicht nachvollziehen, dass Sie sich in der Ko- alition so schwer tun, was die dringend erforderliche (Beifall bei der CDU/CSU) Ausweitung der DNA-Analyse anbelangt. Wir haben Ich komme zu einem Punkt, zu dem Sie, Herr Minis- zu diesem Thema eine Anhörung veranstaltet. Dabei be- ter, in Ihrer Haushaltsrede heute nichts gesagt haben. stätigten viele Sachverständige und Praktiker, dass die DNA-Analyse nicht nur ein verlässliches, effektives und (Otto Schily, Bundesminister: Es ist immer unverzichtbares Mittel zur Aufklärung von Straftaten ist, dasselbe! – Otto Schily, Bundesminister, mel- sondern auch zur Entlastung von Menschen dient, die zu det sich zu Wort – Otto Fricke [FDP]: Das war Unrecht beschuldigt werden. Wir meinen, dass dieses In- klar! – Weitere Zurufe) strument in dem Maße genutzt werden muss, wie es die Wir meinen, dass die Beschäftigten im öffentlichen Praktiker bei Polizei und Justiz fordern und wie es tech- Dienst eine langfristig tragfähige Perspektive brauchen. nisch möglich wäre. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie Vor allem können sie von der Politik verlangen, dass sie sich diesbezüglich abstimmen und als Bundesgesetzge- vor ungerechten Vorurteilen in Schutz genommen wer- ber und als Koalition das auf den Weg bringen, was der den. Sicherheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger ge- schuldet ist. Wir als CDU/CSU-Fraktion wissen sehr wohl zu wür- digen, dass gerade die Beamtinnen und Beamten im Hin- (Beifall bei der CDU/CSU) blick auf Einsparungen der öffentlichen Hand nicht Dies gilt insbesondere – das sage ich sehr deutlich – Nachzügler, sondern Vorreiter sind. So beträgt die Wo- für den Bereich der Terrorismusbekämpfung. Es reicht chenarbeitszeit der Beamten in einigen Bundesländern in nicht, wenn die Abwehr- und Schutzmaßnahmen in die- Zukunft bis zu 42 Stunden, während sie bei den Ange- sem Bereich immer nur so weit gehen, wie es der stellten und Arbeitern im öffentlichen Dienst bundesweit kleinste gemeinsame Nenner zwischen SPD und Grünen bei 38,5 Stunden liegt. Einschnitte beim Urlaubs- und zulässt. Innere Sicherheit braucht Führung durch den Weihnachtsgeld sind nur für die Beamten auf dem Weg, verantwortlichen Minister, auch durch die größere Re- nicht aber für die Tarifbeschäftigten. Auch das wird im gierungsfraktion. Mir kommt es manchmal so vor, als ob Bundesbereich mit mehreren Millionen zu Buche schla- Ihre mühsam gefällten Entscheidungen im Bereich der gen. inneren Sicherheit einem Entscheidungsprozess in (B) (D) Wir haben auch die Pflicht, der Öffentlichkeit zu Selbstfindungsgruppen gleichen. sagen, dass die Bundesbeamten gegenüber den Arbeit- nehmern seit 1999 weitere 610 Millionen Euro erwirt- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schaftet haben, die als Vorsorge für spätere Pensionszah- Herr Koschyk, kommen Sie bitte zum Schluss. lungen zur Verfügung stehen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) GRÜNEN]: Es wird nicht besser, was Sie sa- gen!) Während sich die Rentner vorerst auf eine einmalige Nullrunde einstellen müssen – ich sage bewusst: vorerst; man weiß ja nicht, was diese Regierung noch vorhat –, Hartmut Koschyk (CDU/CSU): steht bereits fest, dass sich die Bezüge der pensionier- Ja. – Ich sage sehr deutlich: Es ist nicht in Ordnung, ten Beamten für die Jahre 2002 bis 2005 entlang der dass die sagen, das Luftsicherheitsgesetz in der vorlie- Nulllinie entwickeln werden. Diese Vorleistungen der genden Form reiche aus. Herr Wiefelspütz, Sie haben in Beamten müssen bei der anstehenden Übertragung der der „Welt“ vom Montag dieser Woche gesagt, wenn man Sozialreformen berücksichtigt werden. Da werden wir bei einer Anhörung feststelle, dass „zwei Wörter unseres uns vor die Beamtinnen und Beamten stellen. Grundgesetzes“ geändert werden müssen: Na und? Dann machen wir das. (Beifall bei der CDU/CSU) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wir sagen denen im öffentlichen Dienst, vor allem GRÜNEN]: Was hat er gesagt?) den Beamtinnen und Beamten, die zurzeit nur mit Ein- sparungen konfrontiert werden, in dieser schwierigen Herr Minister, wir begrüßen, dass Sie heute in der Zeit aber trotzdem einen hervorragenden Dienst für un- „Mittelbayerischen Zeitung“ in einem Interview erklärt ser Land und für die öffentliche Verwaltung leisten, je- haben, dass Sie sich eine Klarstellung in Art. 35 des denfalls Dank für ihren engagierten Einsatz. Grundgesetzes wünschen. Wir meinen, es müsste auch über Art. 87 des Grundgesetzes nachgedacht werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Silke Stokar von Herr Minister, wir sagen Ihnen: Sicherheit kann es nicht Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheibchenweise geben. war ein gutes Schlusswort!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Wir wissen, dass zurzeit besondere Anforderungen an GRÜNEN]: Haben Sie das denn überhaupt ge- die in der Terrorismus- und Verbrechensbekämpfung lesen?) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7033

Hartmut Koschyk (A) Sortieren Sie bei Rot-Grün endlich Ihre Vorstellun- Einzelplan 32 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- (C) gen! Wenn Sie mit den Grünen nicht weiterkommen, nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP ange- dann können Sie mit uns die notwendigen grundgesetzli- nommen. chen Klarstellungen sehr schnell vornehmen, damit wir (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir sind die Bundeswehr auf einer einwandfreien verfassungs- gegen Schuld!) rechtlichen Grundlage in besonderen Gefährdungslagen dort einsetzen können, wo die Polizeikräfte des Bundes Einzelplan 60 – Allgemeine Finanzverwaltung – in und der Länder nicht ausreichen. der Ausschussfassung: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Einzelplan 60 ist mit Herzlichen Dank. dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich rufe Tagesordnungspunkt I. 20 auf:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Haushaltsgesetz 2004 Ich schließe die Aussprache. – Drucksachen 15/1922, 15/1923 – Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Berichterstattung: plan 06 – Bundesministerium des Innern – in der Aus- Abgeordnete Dietrich Austermann schussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Abge- Steffen Kampeter ordneten Dr. Gesine Lötzsch und Petra Pau auf Drucksa- Walter Schöler che 15/2071 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer Antja Hermenau stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Dr. Günter Rexrodt Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 06 in der Aus- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das wäre schussfassung ab. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- ( aber nötig!) gegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 06 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen angenommen. Wir kommen deshalb gleich zur Abstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf über die Feststellung Abstimmung über den Einzelplan 33 – Versorgung – des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2004 in in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzelplan 33 zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge- ist ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen setzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der angenommen. (B) Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte I. 18 und I. 19 auf: und FDP angenommen. Einzelplan 32 Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Un- Bundesschuld terrichtung durch die Bundesregierung über den Finanz- – Drucksache 15/1919 – plan des Bundes 2003 bis 2007, Drucksachen 15/1501 und 15/1670. Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache Berichterstattung: 15/1924 Kenntnisnahme. Abgeordnete Steffen Kampeter Walter Schöler (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das Elend Antje Hermenau müssen wir zur Kenntnis nehmen!) Dr. Günter Rexrodt Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Einzelplan 60 dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Allgemeine Finanzverwaltung Ich muss eine Aussage korrigieren: Bei der Abstim- – Drucksache 15/1920 – mung über den Haushaltsplan 2004 hat der Kollege Berichterstattung: Ulrich von Bündnis 90/Die Grünen dagegen gestimmt. Abgeordnete Steffen Kampeter (Otto Fricke [FDP]: Ein tapferer Saarländer!) Hans-Joachim Fuchtel Walter Schöler Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Antja Hermenau ordnung. Dr. Günter Rexrodt Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf morgen, Freitag, den 28. November 2003, Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen 9 Uhr, ein. deshalb gleich zur Abstimmung. Die Sitzung ist geschlossen. Einzelplan 32 – Bundesschuld –: Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der (Schluss: 23.02 Uhr)

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003 7035

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten […], Titel 882 88 (GA-Ost) ab. Wir sehen in den Ände- rungen einen Einstieg zum Ausstieg der Bundesregie- rung aus dem Solidarpakt II. Mit dieser Erklärung brin- entschuldigt bis gen wir unsere Ablehnung zum Ausdruck. Abgeordnete(r) einschließlich Der Solidarpakt II wurde vereinbart, um unter anderm den wirtschaftlichen Nachholbedarf in den neuen Län- Göppel, Josef CDU/CSU 27.11.2003 dern anzuschieben. Im Korb II sind für die Jahre 2005 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 27.11.2003 bis 2019 rund 51 Milliarden Euro vorgesehen. Die GA- DIE GRÜNEN Ost ist ein wesentlicher Bestandteil des Solidarpaktes II. Mit den jetzigen Regelungen führt die Regierungskoa- Marschewski CDU/CSU 27.11.2003 lition den Solidarpakt nicht mehr wie vereinbart fort. Ent- (Recklinghausen), schieden wurde, dass die im Regierungsentwurf vorgese- Erwin hene Verpflichtungsermächtigung ab 2005 in Höhe von 700 Millionen Euro bei der GA-Ost um bis zu 100 Millio- Nitzsche, Henry CDU/CSU 27.11.2003 nen Euro für die GA-West verwendet werden kann. Da- Nolte, Claudia CDU/CSU 27.11.2003 bei wird vorgetäuscht, dass die GA-Ost unverändert bliebe. In Wahrheit wird die GA-Ost um 100 Millionen Pflug, Johannes SPD 27.11.2003 Euro gekürzt. Gleichzeitig findet damit eine Vermi- schung zwischen GA-Ost und GA-West statt. Wir möch- Sauer, Thomas SPD 27.11.2003 ten die Bundesregierung daran erinnern, dass auch die Regierungschefs der Länder auf ihrer Jahreskonferenz Schösser, Fritz SPD 27.11.2003 am 13./14. November 2003 in München ihr Befremden über die Absicht der Bundesregierung geäußert haben, Teuchner, Jella SPD 27.11.2003 und erinnern gleichzeitig auch an die auf der Bespre- chung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 20. Dezember 2001 gegebene Zusage des Bundes, die Anlage 2 Mittelansätze nicht aus Gründen einer möglichen Aufga- ben-Überführung an die Länder zu verringern. (B) Erklärung nach § 31 GO (D) Wir sind ebenfalls gegen die in den Haushaltsberatun- der Abgeordneten Günter Baumann, Veronika gen deutlich gewordenen Planungen der Regierungskoa- Bellmann, Klaus Brähmig, Robert Hochbaum, lition, ab 2006 GA-Ost und GA-West zusammenzule- Dr. Peter Jahr, Manfred Kolbe, Michael gen. Dies widerspricht eklatant dem Solidarpakt II, in Kretschmer, Dr. Michael Luther, Maria dem ausdrücklich die Förderinstrumentarien für den Michalk, Christa Reichard (Dresden), Arnold wirtschaftlichen Aufbau bis 2019 festgeschrieben sind. Vaatz, , Ulrich Adam, Dr. Angela Merkel, Susanne Jaffke, Werner Wir wenden uns nicht gegen die GA-West. Unserer Kühn (Zingst), Verena Butalikakis, Roland Meinung nach sollte auch die GA-West als selbstständi- Gewalt, Siegfried Helias, Günter Nooke, Peter ges Wirtschaftsförderinstrument fortgesetzt werden. Bis Rzepka, Edeltraut Töpfer, Rainer Eppelmann, zum Ablauf des Solidarpakts II Ende 2019 muss aber so- Katherina Reiche, Michael Stübgen, Andrea wohl das Volumen als auch die Proportionen der GA- Astrid Voßhoff, Dr. Christoph Bergner, Hartmut Förderung in Ost und West erhalten bleiben. Büttner (Schönbeck), Uda Carmen Freia Heller, Bernd Heynemann, Peter Letzgus, Ulrich Petzold, Manfred Grund, Bernward Müller Anlage 3 (Gera), Volkmar Uwe Vogel und Vera Lengsfeld Erklärung nach § 31 GO (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Ent- wurf eines Gesetzes über die Feststellung des der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr Michael Kauch und Markus Löning (alle FDP) 2004; hier: Einzelplan 09 – Bundesministerium zur namentlichen Abstimmung über den Ent- für Wirtschaft und Arbeit (Tagesordnungs- wurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der punkt I.12 a) Handwerksordnung und anderer handwerks- rechtlicher Vorschriften (Drucksachen 15/1206) (Tagesordnungspunkt I. 12 b) Wir erklären hiermit unsere Ablehnung zum Einzel- plan 09. Insbesondere lehnen wir die geplanten Ände- Die Liberalisierung der Handwerksordnung ist über- rungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der fällig. Ziel muss der weitestgehende Verzicht auf die regionalen Wirtschaftsstruktur“; Kap. 0902, 12 bei den Meisterpflicht beim Weg in die Selbstständigkeit im Zuweisungen an Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Handwerk sein. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bun- Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Berlin desregierung deckt sich nicht vollständig mit unseren 7036 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. November 2003

(A) Vorstellungen. Wir können ihn als Schritt in Richtung Li- Ziel der laufenden EEG-Novellierung ist es unter an- (C) beralisierung aber nicht ablehnen. derem, die enormen Marktpotenziale der Bioenergie zu- künftig deutlich stärker zu erschließen. Auch wenn zur Die modifizierte Haltung der FDP-Bundestagsfrak- Höhe der Einspeisevergütungen nach wie vor Diskussi- tion, die diese am 24. November 2003 beschlossen hat, onsbedarf besteht, ist anzuerkennen, dass Wirtschafts- ist ein großer Schritt in Richtung Liberalisierung der und Umweltministerium vereinbarten, künftig die Ver- Handwerksordnung. Angesichts der Kopplung der Meis- gütungssätze im EEG für Strom aus Bioenergie anzuhe- terpflicht an die Ausbildungsleistung können wir diese ben, den Einsatz naturbelassener Biomasse und die Nut- Position aber nicht mittragen. zung innovativer Technik besonders zu vergüten. Wir respektieren die Beschlüsse des Bundespartei- Aber bei einer Gesamtbewertung der Vereinbarungen tages der FDP vom Mai 2003 und können auch daher auf Ministerebene zur EEG-Novellierung zwischen dem dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zustim- BMWA und dem BMU sind dringend notwendige Bes- men. serstellungen für die Bioenergie nicht erkennbar. Eher ist das Gegenteil der Fall: Durch die vorgesehene Verkür- In Abwägung aller Argumente haben wir uns daher zung des Förderzeitraums für Bioenergieanlagen um ein entschlossen, uns der Stimme zu enthalten. Viertel – von 20 auf 15 Jahre – und durch die Verdoppe- lung des Degressionssatzes von 1 Prozent auf 2 Prozent werden die positiven Ansätze mehr als aufgehoben! Ins- Anlage 4 gesamt gesehen stellt sich – im Vergleich zum geltenden Erklärung nach § 31 GO Recht – der gemeinsame EEG-Novellierungsvorschlag des Bundeswirtschafts- und des Bundesumweltministeri- der Abgeordneten Helmut Lamp, Peter H. ums als erhebliche Verschlechterung und Rückschritt für Carstensen (Nordstrand), Ernst Hinsken, Horst die Verstromung von Biomasse dar. Dies kann genauso Seehofer, Josef Göppel, Peter Bleser und wenig hingenommen werden, wie die sich nun schon seit Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (alle CDU/CSU) Monaten verzögernden Beratungen zum EEG. über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Mit Blick auf die lange überfällige, zukunftsgerechte (Tagesordnungspunkt I. 15 b) Umsetzung des Novellierungsvorhabens und dem daraus resultierenden, sich türmenden Investitionsstau, auf täg- lich zunehmende Entlassungen in der Bioenergiebran- Mit einem Vorschaltgesetz will das Parlament heute che, auf schwindende Exportchancen, auf den bereits ein Element der bevorstehenden Novellierung des Er- einsetzenden Niedergang eines jungen, hoffnungsvollen (B) neuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) – die Regelungen Wirtschaftszweiges hätten die Belange der Bioenergie in (D) zur Photovoltaik – vorziehen. Hierzu gibt es gute dem vorliegenden Entwurf zum EEG-Vorschaltgesetz ei- Gründe: Die Photovoltaikbranche in Deutschland sta- nen ihrer Bedeutung entsprechenden Niederschlag fin- gniert seit Auslaufen des 100 000-Dächer-Programms den müssen. und wartet dringend auf Anschlussregelungen. Wenn wir mit diesen Bedenken dem Vorschaltgesetz Doch Ähnliches, mit erheblichen Auswirkungen für zustimmen, dann ausschließlich um der Photovoltaik- mehrere tausend Arbeitsplätze, gilt für den Bioenergie- branche keine weiteren Verzögerungen zuzumuten und bereich. damit in diesem Bereich Arbeitsplätze zu gefährden.

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28 / 3 82 08 40, Telefax: 02 28 / 3 82 08 44 ISSN 0722-7980