Folge 47 Vom 20.11.1965
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Organ der Landsmannschaft Ostpreußen e. V. Jahrgang 16 / Folge 47 Hamburg 13, Parkallee 86 / 20. November 1965 3 J 5524 C Von nun an Gedanken zum Totensonntag 1965 In drei Worten ist hier eine Grenze gesetzt löscht werden, unser Denken umgeschult wer• Es sind kurze Worte, und haben in ihrem Zu• den. Von nun an hungernder, frierender, ständig sammenhang doch ein schweres Gewicht. Sie überforderter Gefangener, Zwangsarbeiter mit sind von einer testen Bestimmtheit und lassen der Aussicht, aut einem froststarren Leichen• spuren, daß der, welcher sie spricht, eine ein• hügel zu enden nackt und bloß am Ende der malige Entscheidung iällt. Er steht mit seiner Welt, an den Grenzen der Menschheit und Entscheidung über der Grenze, die er setzt Er Menschlichkeit. ordnet die Zeit und ihre Ereignisse nach seinem Plan und Willen. V o n n u n a n — da ist eine * Zeit abgelaufen und vorbei, zu neuer Stunde schlägt die Weltenuhr, und alles Sein wendet Aber gerade da ist es nicht nur einmal ge• sich zu neuer Schau und zu einer neuen Bestim• schehen, daß an dei Grenze des Todes das mung. Von nun an — alles Leben wird in einen Leben in einer neuen Weise sichtbar wurde. neuen Herrschaftsbereich hineingenommen, der Mir persönlich widerfuhr es in jener unvergeß• total anders ist als alle Reiche, die wir kennen. lichen Naclit, in welcher ich viermal zum Ge• Von nun an — die es hören, spannen sich dem nickschuß an eine gekachelte Wand gestellt Kommenden entgegen in herzklopfender Erwar• wurde und in der Todesbereitschaft den Anrul tung. zu einem neuen Leben erfuhr. Unter dem Anruf wurde der Blick geöffnet über die Todesgrenze Dieser wuchtige Satz trifft uns am Ende des hinweg in neue Räume. Eine Gemeinschaft war Kirchenjahrs zum Sonntag der Toten da, welche auch die Todesnacht nicht aufheben und des ewigen Lebens. Viele dunkle konnte mit ihren Schrecken. Hellauf strahlte in Stimmen bedrängen uns an diesem Tage. Klage der dunkelsten Stunde Leben, das der Tod nicht und Frage sind in ihnen, und sie suchen Hei• zu töten vermochte. Wo das letzte Stoßgebet ge• mat in der Heimatlosigkeit, Weg im Weglosen, betet wurde, war Antwort da, die eine ewige Frieden nach aufwühlenden Kämpfen und Lei• Geborgenheit verhieß. Das alles kam in unsere den. Wo sind unsere Toten? Was haben wir Welt des Vergehens und Sterbens durch Jesus an ihnen versäumt? Mit bebender Lippe wird Christus herein. Sein Wort geht nicht totzu• bekannt: über den Hügel der Wind nun weht, schweigen und die Spur seiner Erdentage unter es ist zu spät! Ein gutes Wort wurde nicht ge• uns kann nicht ausgelöscht werden. Es ist uns sagt, ein letzter Brief nicht beantwortet, eine bitter schwer zu wissen, wie die Kirchen unserer Liebe zeigende Tat kam nicht mehr an — zu Heimat verwüstet wurden, die Kreuze auf spät! Hart ward die Grenze gezogen und oft so unseren Friedhöien zerbrachen, unsere schnell, daß wir es gar nicht fassen konnten und Gräber geschändet wurden, die wir so sorglich lange Zeit wie betäubt unsere Straße gingen pflegten als die Stätten, an welchen ein liebes und die Beziehung zu dem uns umflutenden Leben hier unten zu seiner letzten Ruhe kam. Leben nur mühsam landen. Wir, die man aus Aber die Botschaft ewigen Lebens vergeht nicht. de r H e i m a t jagte durch allen Jammer und Sie geht mit uns aut allen Wegen, wie er mit alle Schrecken, haben das in besonderer Weise den Menschen ging. Sein erstes Wort, von dem erlebt und tausendlach miterlebt im Treck, aut wir wissen, kündet vom Anbruch der Herr• den Bergungsschiffen, in den Zügen mit einer schaft Gottes und setzt einen mächtigen neuen vom Sterben gezeichneten Menscheniracht. Kin• Anfang: von nun an! der starrten wortlos und ohne Träne in das tote In diesen Anfang sind auch die Toten hlnetn- Angesicht der geschändeten Mutter oder Schwe• genommen, er wurde dem Tode zum Tode, da er ster, vor ihren Füßen lag der erschlagene Vater, starb und von dem lebendigen Gott zum Leben der zu ihrem Schutze noch die Arme ausbreiten gebracht wurde. Von nun an ist der Tod ver• konnte. Für ganze Familien kam das Ende, und schlungen in den Sieg. Die Siegerkraft des Le- alles warme Leben erlosch im Wintersturm, aut benstürsten trägt alle, die mit ihm sterben, in brechender Scholle in eisiger Flut. Von nun an die Seligkeit und Leben hinein. Es erzählte einer — das konnte damals nicht anders verstanden vom Sterben des Kameraden an seiner Seite. werden als ein Zustand des Grauens und des Der Sterbende röchelte: „Ich hab Angst, schreck• Unterganges. Ähnlich ging es uns, als sich die liche Angst." „Wovor hast du Angst?" „Ich bin Tore der Gefängnisse, der Keller und dann der ja so allein." „Aber ich bleibe doch bei dir." Lager hinter uns geschlossen hatten. Wir sahen „Ja, ja, aber du kannst mir doch nicht helfen, uns fremden Gewalten ausgeliefert und einer ich muß allein sterben, ich will doch nicht und Ordnung unterstellt, die wir nicht verstehen ich kann noch nicht." „Bist du im reinen mit dei• Friedhot bei der Ordensbuig Lochstädt \utn. Mauritius konnten. Unser bisheriges Leben sollte ausge- nem Gott?" Er schüttelte schwach den Kopf: „Bete du für mich." „Nein, das mußt du selber tun." Leise und stoßweise flüsterte er fort und fort die Bitte um Vergebung der Schuld in dem TOTENSONNTAG Reiche der Kraft und der Herrlichkeit. Dann Erik Blumenfeld und der Verzicht wurde er ganz still, der Herr, in dessen Namen Ihr sanften Schatten, der Kirchhotskränze nicht er betete, war gegenwärtig. Die sich in Christus wie Blumen stumm! besitz' ich euch: T. Als die Heimatvertriebenen in Hamburg bergen, sind nie mehr allein, und der Friede Ihr spiecht nicht, ihr seid. Doch jetzt und hier vor einigen Monaten mit dem CDU-Landesvor• Gottes krönt ihren letzten Kampi. Und tragen Ihr weilt nicht, ihr schwebt. im Spinnweb des Erinnerns sitzenden Erik Blume n f e 1 d darüber debat• wir bange, wie wohl das letzte Wort, der letzte draut diamantne Tropfen zittern. tierten, ob er sich im Sinne eines politischen Gedanke derer war, die fern von uns das Leben Wie ein Kind am Fenster Verzichtes auf die heute polnisch und sowjetisch ließen, dann befehlen wir sie der Barmherzig• nicht draußen den dunklen Wald, Kurze Frist nur. Da seid ihr. keit Gottes und wissen sie i n seiner Hand. besetzten deutschen Ostprovinzen geäußert sondern sein Antlitz drin Zwei Schatten — du und ich, habe, hat Blumenield diesen Vorwurf zurück• im Glase gespiegelt hndet — der ich lebe. gewiesen und betont, er werde und wolle sich Vor mir liegen die schönen Bildbände der so wird mein Bild Doch nun: Wie kommt's daß ich nie in diesem Sinne äußern. Anfang November Heimat. Da sind unsere Städte und Dörfer. Da im Spiegel zu eurem Bild, mich selber sehe 1965 hat sich nun Herr Blumenfeld in einem ist rauschende See und schweigender Wald. ihr Freunde am schwarzen Fluß! mit dir, in polnischer Sprache über Radio Free Elche stehen und lauschen in die Ewigkeit. Der von mir her über mich, Europe verbreiteten Interview für eine An• große Himmel spannt sich über Düne und frucht• Ach, nicht bei windgepeitschter als sei ich schon betrachtbai erkennung einer Oder-Neiße-Grenze ausge• bares Land. Die Türme der Kirchen prägen das Fackel des Schmerzes, wie du. sprochen, wenn dafür eine „deutsche Wieder• Bild der Stadt und unserer Dörfer. Ich suche die beim strengen Ruch Martin A Borrmann vereinigung" (also Mittel- und Westdeutsch• Friedhöie, jenen Dünenfriedhof, ausgesetzt dem lands) geboten werde. Blumenfeld meinte, wenn wehenden Sande. Und seine schlichte Pforte Korrekturen der „gegenwärtigen Ostgrenze" am trägt doch die Überschrift: Hier ruhen sie und sind im Frieden! Der das mit ungelenken Buch• Widersland der polnischen Regierung und des staben schrieb, schrieb es gegen alle zerstören• heißen, allen Trauernden will sie zu Trost und denen große Nationen anderen Staaten selbst• polnischen Volkes scheiterten, müsse man einer den Gewalten. Er schrieb es aus dem Frieden Hoffnung werden. Sie erfüllt sich in dem Herrn los Freiheit und Einheit zurückschenken, in der Grenze an der Oder und Neiße zustimmen. mit Gott und aus der Ruhe, die vorhanden ist über Leben und Tod — von nun an. Geschichte höchst selten, zwischen größeren Völkern so gut wie nie vorkommen. Es ist be• dem Volke Gottes. Allen Sterbenden ist sie ver- Kirchenrat Lei l ner Daß Erik Blumenield manch lobendes Wort zeichnend für die politische Weltfremdheit man• für die evangelische Kirchendenkschritt zu Ver- cher Deutscher, wenn sie sich ernstlich darüber triebenentragen gefunden hat, wird unsere Le• wundern, daß etwa der Präsident de Gaulle — ser kaum überraschen. Es liegt auf der Linie wie übrigens alle seine Vorgänger auch — bei seiner Bemühungen um engere Kontakte mit Unsere eigene Sache seiner Politik nur an die Interessen Frankreichs, dem Warschauer Regime. Es sollte gerade ihm wie er sie versteht, denkt, daß der Herr des EK. Es hat bei uns wieder einmal politische französischen Verbündeten noch inzwischen klargeworden sein, daß weder Mos• Weißen Hauses in Washington zuerst vor allem und publizistische Schlaumeier gegeben, die nur daran zweifeln, daß die deutsche Außenpolitik kau noch Ost-Berlin daran denken, eine Aner• auf die Belange der Vereinigten Staaten zu ach• überlegen lächelten, als der fast neunzigjährige vor sehr schwerwiegenden Entschlüssen steht kennung der Oder-Neiße-Linie mit einer deut• ten hat. Oft genug haben wir in den vergan• Altbundeskanzler Konrad Adenauer vor und daß sie sehr zielsicher und überzeugend schen Wiedervereinigung zu honorieren. genen Jahren die Versicherung gehört, eine der Fahrt nach seinem Urlaubsort in Oberitalien operieren muß, wenn wir nicht zwischen die nationale Außenpolitik könne es Die Äußerungen Erik Blumenields über die von der sehr bedrohten weltpolitischen Situation Mühlsteine geraten sollen. Daß wir mit einer nun, da man schon mit europäischen Maßstäben Oder-Neiße-Linie widersprechen nach Ansicht der Bundesrepublik und von der Gefahr einer seit Jahren geübten Gefälligkeitsdiplomatie rechnen müsse, für die Völkei unseres Erdteiles, des Berliner CDU-Bundestagsabgeordneten Jo• neuen Einkreisung durch Moskau und mit Stillschweigen und Wohlverhalten nach allen vor allem aber für uns Deutsche überhaupt sef Stingl eindeutig dem Auftrag des Grund• Paris sprach.