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Zoologisch-Botanische Datenbank/Zoological-Botanical Database

Digitale Literatur/Digital Literature

Zeitschrift/Journal: Rudolfinum- Jahrbuch des Landesmuseums für Kärnten

Jahr/Year: 2014

Band/Volume: 2014

Autor(en)/Author(s): Wlattnig Robert, Ponta-Zitterer Brigitte

Artikel/Article: Kunstgeschichte 305-372 © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at

Kunstgeschichte

MAG. ROBERT WLATTNIG UND MAG. BRIGITTE PONTA-ZITTERER © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at

In der kunsthistorischen Abteilung des Landes- Grund der sehr beengten Depot- und Arbeits- museums Kärnten lag der Schwerpunkt der wis- platzsituation und der nun in großen Teilen unzu- senschaftlichen Arbeit des Berichtszeitraumes gänglichen wissenschaftlichen Biblio thek auf die 2014 vor allem im Bereich der Dokumentation Katalogisierung der wichtigsten Per sonen- und und Aufbereitung der reichen Sammlungs- Künstlerstammdaten sowie auf die Eingabe bestände, die vom frühen Mittelalter bis ins 21. wichtiger landesspezifischer Themenblöcke. Mit Jahrhundert reichen. Diese sehr zeitintensiven Hilfe einer professionellen und rationellen Forschungstätigkeiten konnten nach der im vol- Inventarführung konnten in der letzten Zeit len Umfang einsetzenden baulichen Generalsa - diverse Anfragen zur Provenienzforschung sowie nierung des Klagenfurter Stammhauses Rudol - zur Regionalgeschichte relativ rasch und unbü- finum am zentralen Depotstandort wieder im rokratisch beantwortet werden. Im Sinne einer Normalbetrieb aufgenommen werden. Einige möglichst benutzerfreundlichen Verwaltung ist Literaturprojekte mussten aber auf Grund des man trotz der ungünstigen äußerlichen Um- plötzlichen Wassereintritts am 26. Juli 2014 in stände darüber hinaus bestrebt, eine alphabeti- der Bibliothek des Haupthauses in der Museum- sche Ortsansichten- und Künstlersuchkartei von gasse und wegen der dadurch vorzeitig unbe- A bis Z aufzubauen. Bei der häufig sehr aufwän- dingt notwendig gewordenen Ausräum- und digen Bearbeitung der Künstlerdaten, die sicher- Verpackungsarbeiten zahlreicher Buchbestände lich noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird, zum Teil reduziert beziehungsweise stillgelegt war es notwendig, kunsthistorische Fachbiblio - werden. Trotz der sehr beengten räumlichen theken und Archive u. a. in und in Wien zu Verhältnisse im Ausweichquartier wurde nach benützen. Diese sehr umfangreichen Recherchen Maßgabe der relativ bescheidenen Mittel und mit dienten in erster Linie zur Datenergänzung für einem enormen persönlichen Arbeitsaufwand den Inventarbestand sowie für die in Arbeit ver sucht, die laufenden großen Forschungsvor - befindliche alphabetische Kärntner Küns tler- haben der kunsthistorischen Abteilung zur mit- monographie, die zum Teil auch für das Allge- telalterlichen und barocken Skulptur und Malerei meine Künstlerlexikon im Walter de Gruyter-Ver- zumindest punktuell fortzusetzen. Verschiedene lag Verwendung findet, wo im Jahr 2014 wieder Objektlisten mit umfangreichen Bilddaten und einige wichtige Forschungsergebnisse im Druck wissenschaftlichen Textbeiträgen sind etwa für erschienen sind. Die topographische Aufarbei- die Ausstattung der im Jahr 2014 an verschiede- tung aller Kunstdenkmäler in Kärnten erfolgt mit nen Standorten in ganz Kärnten stattfindenden einem Kulturkataster von West nach Ost in Form hauseigenen Transportkisten-Schau „Museum ist einer selektiven Bilddatenbank. Es werden neben …“ dennoch termingerecht zusammengestellt den zahlreichen Profanbauten, Burgen und worden. In diversen Workshops, Strategiesitzun- Flurdenkmälern natürlich auch die vielen gen und Kick-Off-Veranstaltungen wurde ge- Kärntner Kirchen und Kapellen erfasst, die durch meinsam mit der Museumsleitung und den die ständig notwendigen Restaurierungs- und Kollegen der anderen Fachabteilungen auch Konservierungsmaßnahmen ebenfalls einer star- schon laufend an der weiteren räumlichen und ken Veränderung unterzogen sind. Die dadurch inhaltlichen Neukonzeption des Landesmuseums gewonnenen kunstwissenschaftlichen Erkennt- Rudolfinum gearbeitet. nisse kann man so laufend in verschiedene Fach- Im gesamten Sammlungsbereich der kunsthisto- zeitschriften, Lexika, Kataloge und Bücher ent- rischen Abteilung wird in Hinblick auf eine sprechend ihrer Bedeutung einarbeiten. zukünftige digitale Datenbank die vollständige Im Sinne einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit Neuerfassung aller Objektdaten sowie der beteiligt sich der Sammlungsleiter aktiv am all- Aufbau eines Thesaurus für die Herkunftsorte gemeinen Kulturgeschehen im Lande und nimmt und die Ikonographie angestrebt. Im gegenwärti- so oft wie möglich an Vernissagen, Exkursionen gen Projektstadium konzentrieren wir uns auf und Fachdiskussionen teil. In diesem Zusammen-

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hang sollen vor allem die rege Mitarbeit im biografische Datenbank zu den österreichischen Vorstand des Bundes der Kärntner Museen und Frauen, in der viele aus Kärnten stammende die Mitwirkung beim gemeinnützigen Förderver- Künstlerinnen behandelt werden. Das wissen- ein Rudolfinum erwähnt werden. Wichtige gut- schaftliche Gesamtprojekt ist eine wichtige achterliche Tätigkeiten und wissenschaftliche Pionierarbeit aus unterschiedlichen Forschungs- Stellungnahmen für diverse Projektförderungen diszi plinen und wird als Internetplattform stän- aus dem Fachbereich Kunstgeschichte wurden dig erweitert und ergänzt (http://www.biogra- direkt für die Abteilung 6, dem Kompetenzzen- fia.at). Zusätzlich erscheint bis zum Sommer trum für Bildung, Generationen und Kultur, Un- 2015 im Böhlau Verlag eine vierbändige gedruck- terabteilung Kunst und Kultur beim Amt der te Ausgabe in lexikaler Form mit rund 6.400 Kärntner Landesregierung, durchgeführt. Im Be- Biografien österreichischer Frauen von der richtsjahr 2014 sind von der kunsthistorischen Römerzeit bis zur Gegenwart, in dem die hervor- Abteilung mit konkreten Dienstleistungen fol- ragenden Leistungen und das eindrucksvolle gende Institutionen und Gebietskörperschaften Wirken von Frauen in Politik, Gesellschaft, Kultur unterstützt worden: Die Österreichische Akade- und Geschichte ausführlich behandelt werden. mie der Wissenschaften und die Österreichische Wichtige kunsthistorische Hinweise bekamen Nationalbibliothek in Wien, das Bundesdenkmal - außerdem einige ausgewählte Bauforscher, amt, die Oberösterreichische Landesregierung, Denkmalpfleger und natürlich auch Restaura - die Universitäten , Graz, Wien, die toren firmen für verschiedene Aufträge in unse- Österreichische Galerie im Belvedere, das Leo- rem Bundesland, die hier allerdings nicht alle pold-Museum, das Universalmuseum Joanneum namentlich genannt werden können. Die Ab- in Graz, das Versteigerungshaus Dorotheum, die teilung für Kunstgeschichte hat darüber hinaus Diözese Gurk-Klagenfurt, das Kulturamt der viele Einzelberatungen und Telefonauskünfte u. Stadt Klagenfurt, das Klagenfurter Künstlerhaus, a. für Repräsentanten des Landes Kärnten, Ver- das Kärntner Landesarchiv, der Geschichtsverein treter der Presse, für Lehrer, Sponsoren, Studen - für Kärnten, das Kärntner Bildungswerk, die ten und Privatforscher durchgeführt. Ein allge- Kärntner Landsmannschaft, das Museum Moder- meiner Informationsaustausch zwischen Mu- ner Kunst Kärnten sowie verschiedene Ortsge- seumsvertretern und der wichtigen Behörde des meinden, Schulen und Pfarren, Buchverlage und Bundesdenkmalamtes ergab sich am Freitag, Zeitungsredaktionen. Eine besonders intensive dem 28. Februar 2014, im Rahmen der Frühjahrs- Unterstützung haben weiters das Kulturdreieck tagung des Bundes der Kärntner Museen in der Südkärnten für seine Aktivitäten im Stift Aula des Rudolfinums, an der sich die kunsthisto- Eberndorf und die Kulturinitiative Stift Griffen rische Abteilung selbstverständlich aktiv betei- sowie das Bezirksheimatmuseum Völkermarkt ligt hat. Mit Sonderführungen zu ausgewählten mit der Volksabstimmungsdokumentation 1918– Themen u. a. im Museum Moderner Kunst Kärn- 20 erhalten. Mit verschiedenen Texten, Literatur- ten oder in den Räumlichkeiten des Kärntner hinweisen und Abbildungsmaterial versorgt Landhauses etwa zur Barockkunst Josef wurde auch die vorjährige Schau „Die Hälfte des Ferdinand Fromillers beziehungsweise über die Himmels. Protestantische Impulse zur Gleichbe- Landschafts-, Porträt- und Historienmalerei des rechti gung der Frauen“ von 26. April bis 31. 19. und 20. Jahrhunderts gelang es, neue Oktober 2014 im Evangelischen Kulturzentrum in Publikumsschichten für kunstwissenschaftliche Fresach (siehe den gleichnamigen Ausstellungs- Inhalte zu begeistern. ka talog, hrsg. von Alexander Hanisch-Wolfram, Die Abteilung für Kunstgeschichte hat im Laufe Klagenfurt am Wörthersee 2014, Kat. Nr. 2.1.7). des vergangenen Betriebsjahres 2014 an einigen Diverses wissenschaftliches Material erhielt auf wichtigen museumspädagogischen Projekten dem Wege der Amtshilfe auch Dr. Ilse Korotin des Landesmuseums am Rande mitgewirkt: So von der Universität Wien für ihre umfangreiche wurden z. B. spezielle Unterrichtseinheiten mit

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Original objekten in einer Partnerschule unseres Bereitstellung des äußerst wertvollen Totentanz- Museums abgehalten oder man hat Gruppen- bildes aus dem Jahre 1914 von Albin Egger-Lienz führungen durch die zeitgeschichtliche Themen- (Kasein auf Leinwand, Maße: Höhe 243 x Breite aus stellung „Verdrängte Jahre. Bahn und Natio - 274,5 cm; Inv. Nr. K 8) für die beiden großen nalsozialismus in Österreich 1938–1945“, die vom Sonderausstellungen unter dem Titel „Totentanz. 3. Juni bis 13. August 2014 in den ehemaligen Egger-Lienz und der Krieg“ vom 7. März bis 9. Schauräumen im zweiten Stock des Landes - Juni im Belvedere in Wien und vom 15. Juni bis museums Kärnten zu sehen war, geleitet. Dem 26. Oktober 2014 auf Schloss Bruck in Lienz ver- Zweck der Öffentlichkeitsarbeit und Bewusst- ursacht. Für die mehrmals verschobene Aus- seinsschärfung diente z. B. auch die von der stellung über die kirchliche Kunst des 12.–13. Fachabteilung für den Förderverein Landes- Jahrhunderts im Patriarchat von Aquileia, die museum Rudolfinum am Samstag, dem 20. schließlich mit großem Erfolg vom 12. Juli bis 12. September 2014, persönlich geleitete Besichti- Oktober 2014 im Palazzo de Nordis in Cividale gungstour zur Sonderausstellung unter dem Titel stattfand, mussten termingerecht auch die ent- „Körperbilder. Expressive Figuralik in Slowenien sprechenden Transportbegleitungs- und Kurier- und Kärnten“ im Werner-Berg-Museum in Blei- fahrten durchgeführt und zusätzlich ein längerer burg, wo auch noch zusätzlich Skulpturen des wissenschaftlicher Textbeitrag über die einzige international bekannten chinesischen Künstler - repräsentative Leihgabe aus Kärnten (Bronze- paares Wu Shaoxiang und zu sehen kruzifix aus dem Gurktal, um 1160/1170, Inv. Nr. K waren. Am Freitag dem 17. Oktober 2014, fand 67) aus dem Bestand des Landesmuseums Ru- außerdem eine vom Bund der Kärntner Museen dol finum für den italienischsprachigen Ausstel - vorbildlich organisierte Exkursion nach Gurk und lungskatalog verfasst werden. auf die nahe gelegene Straßburg statt, bei der Zu den wichtigsten Aufgaben der Abteilung für viele kunstwissenschaftliche Forschungspro ble - Kunstgeschichte am Landesmuseum Kärnten me näher vermittelt und im Detail bei Fach- zählt nicht nur die konservatorische Betreuung gesprächen vor den Originalen abgehandelt der umfangreichen eigenen Museumsbestände, wurden. Auch für den Bereich der Objektresti- sondern selbstverständlich auch die aktive For- tutionen konnten im Berichtszeitraum wieder schungstätigkeit im Zusammenhang mit größe- ver schiedene dringende Anfragen der Kom- ren Restaurationsvorhaben an den zahlreichen mission für Provenienzforschung des Bundes Kulturstätten des Landes Kärnten, da solche und vom Amt der Kärntner Landesregierung Projekte fast immer eine Teilfinanzierung durch einer fristgerechten Beantwortung zugeführt die öffentliche Hand erfahren. Das Amt der werden. In der kunsthistorischen Abteilung ist im Kärntner Landesregierung unterstützte auch im Jahre 2014 auf Grund der unbedingt notwendi- Jahr 2014 mit beträchtlichen Mitteln aus ver- gen und intensivierten internen Aufarbeitung schiedenen Abteilungen die römisch-katholische von umfangreichen Altmaterialien die Anzahl der und evangelische Kirche bei unterschiedlichsten Leihgaben an andere Museen und kooperierende Bau- und Sanierungsprojekten. Als konkretes Institutionen gegenüber den vorangegangenen Beispiel soll hier exemplarisch die kostspielige Jahren stark zurückgegangen. Strikte Leihga- Instandsetzung des rund 200 Jahre alten Stein - ben absagen oder Einschränkungen ergaben sich plattldaches der Propsteipfarrkirche in Kraig allerdings in der Regel nur dort, wo der Erhal- genannt werden, die unter tatkräftiger Mithilfe tungs zustand, die Transportbedingungen und der lokalen Bevölkerung im Sommer 2014 in die konservatorischen Voraussetzungen an den Angriff genommen wurde (siehe dazu Philipp jeweiligen Ausstellungsorten für unsere klima- Novak, Eine himmlische Seilschaft für die tisch sehr empfindlichen Kunstobjekte nicht Kirchengemeinschaft, in: Kleine Zeitung, 29. Juni optimal geeignet waren. Einen hohen logisti- 2014, S. 30–31). In St. Walburgen im Görtschitztal schen Aufwand hat auf jeden Fall z. B. die erhielt das unter Denkmalschutz stehende soge-

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nannte Kernmayerkreuz wegen Gefahr in Verzug einem einheitlichen Staffelhallenbau aus der ebenfalls eine neue Steinplattldeckung. Diese zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mit Wehran- wichtigen Arbeiten am spätgotischen Nischen - lagen aus der Zeit der Türkenbedrohung um bildstock sind von Peter Zippusch, der die alte 1480. Von der reichen Innenausstattung sind vor Technik des Dachdeckens noch beherrscht, allem die gotischen Wandmalereien und der um durchgeführt worden. Dadurch werden vor allem 1520 errichtete Flügelaltar aus der Werkstatt des die äußerst wertvollen Fresken des Johannes von Jörg Lederer aus Kaufbeuren in Schwaben Laibach aus der Zeit um 1425–1430 vor einer wei- erwähnenswert (siehe: Otto Demus, Die spätgo- teren Zerstörung besser geschützt (vgl. einen tischen Altäre Kärntens, Klagenfurt 1991, S. 685ff.; entsprechenden Bericht in der Kronen Zeitung, 700 Jahre Pfarre Maria Rojach, in: Unterkärntner Mittelkärnten Extra, 29. Juli 2014, S. 38). Im Nachrichten, Nr. 49, 3. Dezember 2014, S. 8). Bereich der mittelalterlichen Burgenkunde wur- de westlich der Kärntner Landesgrenze in Aus aktuellem Anlass soll in dieser Ausgabe des Osttirol die Festungsanlage bei der Lienzer Museumsjahrbuches als besondere kulturhistori- Klause mit Hilfe von Freiwilligen und mit einer sche Kostbarkeit Kärntens das große römisch- Unterstützung von 40.000.- Euro durch die katholische Wallfahrts- und Klosterkirchenzen- öffentliche Hand einer nachhaltigen Sanierung trum in Gurk kurz beschrieben werden. Der alt- unterzogen (siehe Martina Holzer, Ein Job im ehrwürdige Gurker Dom im Bezirk St. Veit an der Dienste der Nachwelt, in: Kronen Zeitung, Glan ist zweifellos eine von Österreichs bedeu- Kärnten Ausgabe, 29. Mai 2014, S. 26). Das tendsten Sehenswürdigkeiten der Romanik und Bundesdenkmalamt hat auf seine bedeutenden wegen seiner besonders wertvollen und zahlrei- Leistungen auf dem Gebiet des Kulturgüter- chen Kunstschätze aus allen Epochen ein Kultur - schutzes auch dieses Jahr mit einem „Tag des denkmal von Weltrang. Ihre monumentale Größe Denk mals“ an 280 Orten in ganz Österreich auf- und prächtige Ausstattung verdankt die im ein- merksam gemacht. In Kärnten konnte man bei samen Gurktal gelegene Bischofskirche der über freiem Eintritt und unter sachkundiger Anleitung Jahrhunderte offen ausgetragenen Rivalität mit am 28. September 2014 insgesamt 14 Schau- dem Metropoliten von . Im Jahre 898 plätze besuchen, wobei aus museumspädagogi- hat Arnulf von Kärnten dem schwäbischen Edlen scher Sicht vor allem das Museum Carantana in Zwentibold, einem Vorfahren der heiligen Hem- Molzbichl und das Bunkermuseum in Riegersdorf ma von Gurk, Güter im Gurk- und Metnitztal bei Arnoldstein interessant waren (vgl. die rege geschenkt. 975 ist die Klosterstiftung einer Imma Berichterstattung in der Kleinen Zeitung, 24. zu Lieding erwähnt, der von Kaiser Otto II. eine Sep tember 2014, S. 66 und Kronen Zeitung, Reihe von Privilegien und Rechte gewährt wurde. Kärn ten Ausgabe, 25. September 2014, S. 25 und Nachdem Hemma die Besitztümer ihre Groß- Kronen Zeitung, Mittelkärnten Extra, 30. Septem - mutter Imma im 11. Jahrhundert geerbt hatte, ließ ber 2014, S. 29). Eine große mediale Aufmerk- sie in Gurk eine Johanneskirche erbauen, für die sam keit hat auch das 700-Jahr-Jubiläum der sie 1043 beim Salzburger Erzbischof Pfarrechte Pfarre Maria Rojach im Lavanttal erfahren, wo erwirkte. Im selben Jahr stiftete sie ein Nonnen- man am Sonntag, dem 14. Dezember 2014, kloster mit einer eigenen Marienkirche, das 1070 gemeinsam mit Diözesanbischof Dr. Alois aber wieder aufgelöst wurde. Im Jahre 1072 kam Schwarz eine Festmesse gefeiert hat. Die Marien- es unter Erzbischof Gebhard von Salzburg zur kirche in Rojach wird in einer Urkunde des Gründung eines, allerdings weiterhin ganz vom Bischof Werner vom 10. Mai 1314 im Kärntner Salzburger Erzbischof abhängigen, Eigenbis - Landesarchiv erstmals als Pfarre genannt. Die tums in Gurk. Mit dem Bischofssitz waren weder Geschichte des gleichnamigen Ortes reicht aber eine eigene Diözese, noch ein Bistumszehent noch viel weiter bis ins Frühmittelalter zurück. oder ein Domkapitel verbunden. Die Wahl, die Die stattliche Pfarrkirche besteht heute aus Weihe und die Einsetzung eines Bischofs blieben

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alleiniges Recht des Salzburger Erzbischofs. Erst liche Stiftsgebäude abgerissen, das neue unter Konrad I. von Abensberg erhielt das Bis- Kapitelhaus erbaut sowie der Propsthof im tum 1131 schließlich eine kleine Diözese zugeteilt. Barockstil umgestaltet. Eine weitere tiefergrei- Unter Roman I. (1131–1167), der 1131 zum Gurker fende Umgestaltung des Domes erfolgte unter Bischof gewählt wurde, trat die Diözese aus dem Franz Otto Kochler von Jochenstein (1715–1744). Schatten des Salzburger Erzbischofs. Roman Der kunstsinnige Propst hinterließ während sei- war Hofkaplan des Salzburger Erzbischofs und ner Amtszeit im Stift unzählige sakrale Meister- einer der einflussreichsten Kirchenmänner seiner werke. Bei einem Brand 1808 wurden die Dächer Zeit. Während seiner Amtszeit wurde 1140 mit und Teile der Bischofskapelle zerstört, aber kurz dem Neubau der Gurker Domkirche begonnen, danach wiederhergestellt. Zwischen 1924 und das kleine Bistum entscheidend ausgebaut und 1933 wurden am gesamten Stiftskomplex konsolidiert und in unmittelbarer Nähe die wehr- umfangreiche Modernisierungs- und Renovie - hafte Straßburg als bischöfliche Residenz errich- rungsarbeiten durchgeführt. Den Zweiten Welt- tet. Der Propst und das Domkapitel hatten trotz- krieg überstand der Gurker Dom durch seine dem ihre Verwaltungsstrukturen weiterhin in geo graphische Randlage zum Glück ohne Gurk. 1162 wurde das kleine Salzburger Suffra- Schaden (Literaturauswahl in chronologischer gan bistum Gurk erstmals urkundlich als Pfarre Reihenfolge: Carl Haas, Der romanische Dom zu erwähnt. Bis 1780 residierten die Gurker Bischöfe Gurk, in: Mittelalterliche Kunstdenkmale des in Straßburg, ehe sie ins neu errichtete Schloss Österreichischen Kaiserstaates, hrsg. von Gustav Pöckstein nach Zwischenwässern übersiedelten. Heider und Rudolph von Eitelberger, 2. Band, Im Zuge der josephinischen Kirchenreform ist 1860; Kleiner Gurker Domführer, hrsg. das Domkapitel säkularisiert und der Bistumssitz vom Redemptoristenpater Josef Löw, 2. Auflage, 1787 in die Landeshauptstadt nach Klagenfurt Klagenfurt 1927; Anton Kreuzer, Die Stifte und verlegt worden. Zwischen 1792 und 1797 war Klöster Kärntens, Klagenfurt 1986, S. 97–99; Gurk Zufluchtsort der Salesianerinnen, die vor Anton Fritz, Das Hemma-Buch. Gräfin Hemma der französischen Revolution aus Lyon geflüch- von Friesach und Zeltschach - Landesmutter von tet waren. 1809 als Napoleonische Truppen zum Kärnten, Klagenfurt 1992; Wilhelm Deuer und zweiten Mal den Kärntner Zentralraum erreich- Wim van der Kallen, Der Dom zu Gurk, Klagen- ten, zogen die Ursulinen aus Klagenfurt nach furt 1995 und ganz aktuell für die gesamte Gurk. Nachdem die Benediktinerinnen aus Salz- Region das Buch von Werner Sabitzer, Land der burg-Nonnberg 1890 Gurk besiedelten und das Hemma. Das Gurktal. Geschichte und Geschich- Priorat „St. Hemma“ gründeten, wurde das Klos- ten, Wien-Graz-Klagenfurt 2013; siehe dazu auch tergebäude 1922 aus wirtschaftlichen Gründen die Buchbesprechung von Ulrike Greiner, Von an die Redemptoristen verkauft, die weitreichen- Tattermandln, Pestopfern und umtriebigen de Restaurierungsarbeiten durchführten. Von Brentlern, in: Kleine Zeitung, 22. September 2013, 1932 bis 2008 war der Salvatorianerorden in S. 30–31; für die lokale Kirchen- und Verwal- Gurk ansässig. Seit dem Frühjahr 2014 befindet tungsgeschichte und die Reformbestrebungen in sich nun im Propsthof die Schatzkammer Gurk, der Seelsorge während des Spätbarock vgl. den das neue Diözesanmuseum der Diözese Gurk- umfangreichen Tagungsbericht des Symposiums Klagenfurt. Seit der legendären Gründung durch zum 300. Geburtstag von Joseph Maria Thun, Gräfin Hemma erfuhr das ehemalige Kloster eine Fürstbischof von Gurk 1741–1761, in: I, Reihe von Umbauten. Erste umfassende 205, 2014, Teilband 2, S. 503–615). Baumaßnahmen erfolgten unter Bischof Roman I., der mit dem romanischen Neubau der Dom- Auf dem hier abgebildeten Ölgemälde aus dem kirche begonnen hat und die Krypta errichten Kunstbestand des Landesmuseums für Kärnten ließ. Nach mehreren Bränden wurde unter Propst (Inv. Nr. K 465; alte Inv. Nr. 5516; Öl auf Leinwand; Georg III. von Vizdom (1617–1648) das mittelalter- Maße: 52,5 x 77 cm) ist nordöstlich der Markt-

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Abb. 1: Das ehemalige Domstift Gurk mit Wehrmauern und der Wallfahrtskirche Mariae Himmelfahrt, historische Ansicht aus der Zeit zwischen 1598 und 1638, Ölgemälde von einem unbekannten Maler aus dem 19. Jahrhundert, LMK. Aufn. K. Allesch

siedlung von Gurk eine historische Ansicht von der Stiftsanlage an einem stark verwitterten der noch zur Gänze ummauerten Klosteranlage Fres ko in der Hauptapsis des Domes, das wahr- mit dem doppeltürmigen Mariendom zu sehen scheinlich im Jahre 1598 entstanden ist und dem (Abb. 1). Das Bild war bis zur Wiederer öffnung Villacher Landschaftsmaler Anton Blumenthal des Landesmuseums Rudolfinum nach dem zugeschrieben wird (Abbildung in: Siegfried Zweiten Weltkrieg in der kulturgeschichtlichen Hartwagner, Der Dom zu Gurk, Klagenfurt-Wien- Schausammlung ständig ausgestellt (siehe Frankfurt am Main 1963, Abb. 2; vgl. weiters den Führer im historischen Museum des kärntneri- Text der Bilderläuterung bei Abb. 3 mit einem schen Geschicht=Vereines, Klagenfurt 1877, S. 62; jüngeren Stich von Matthäus Merian aus dem Führer durch das Museum des Geschichtsver - Jahre 1649, wobei hier auch fälschlicherweise eines für Kärnten und dessen Monumentenhalle das Gemälde des Landesmuseums erwähnt wird; im Landesmuseum zu Klagenfurt, 11. Auflage, siehe zum konkreten Vergleich die entsprechen- Kla genfurt 1927, S. 65). Das Gemälde stammt de Farbabbildung des Blumenthal-Freskos in: vermutlich von einem unbekannten Maler des 19. Das goldene Buch von Gurk, Klagenfurt 1998, S. Jahrhunderts und zeigt die ehemalige bischöfli- 102). Die Datierung des auf dem Gemälde des che Kathedralkirche mit Kapitelhaus, Propsthof Landesmuseums wiedergegebenen Bauzustan- sowie einzelnen Häusern des Marktes Gurk. Es des des Gurker Stiftskomplexes kann demnach handelt sich hierbei eindeutig um eine gemalte zwischen 1598 und dem urkundlich für 1637 Nachahmung der ältesten bekannten Ansicht nachweisbaren Abbruch des alten Kapitelhauses

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eingegrenzt werden. Die in ihrer Gesamtheit von nen. Nach schweren Beschädigungen während einer intakten Wehrummauerung ausreichend der Türkeneinfälle 1476 und 1478 hat man das geschützte Klosteranlage wird von zwei Baukör- repräsentative Gebäude im Jahre 1490 unter pern beherrscht. Im Süden vom mächtigen und Propst Wilhelm Welzer von Eberstein vollendet. lang gestreckten, aus der Hochromanik stam- Wegen einem Großbrand 1525, bei dem Teile des menden Dom mit seiner Doppelturmfassade und Domes und des Propsthofes zerstört wurden, hat dem hohen Querhaus sowie im Norden und Propst Christoph Galler (1525–1549) beide Ge- Westen vom ausgedehnten Stiftsbau. Die mäch- bäude sanieren lassen. Aufschluss über den tigen Türme an der ungegliederten Westfassade Baufortschritt gibt die Datierung von 1528 bei der dreischiffigen Basilika werden von steilen der wappengeschmückten Sonnenuhr an der mittelalterlichen Pyramidendächern bekrönt und südlichen Außenwand des Propsteigebäudes sind allgemein als signifikantes Symbol der wie- links über dem Südportal (siehe Friedrich W. dererstarkten Kirche nach dem Investiturstreit zu Leitner, Anmerkungen zu den Inschriftenträgern sehen. Diese beiden Westtürme erhielten erst um im Bezirk St. Veit an der Glan – Inschriften an 1680 die im ostalpinen Raum so typischen baro- Gebäuden, kirchlichen Ausstattung und Geräten, cken Zwiebelhelme. Die dreiteiligen Rundbogen- Rechtsdenkmälern – Flurdenkmälern, in: Rudol- fenster im Turmobergeschoss und die Maueröff - finum. Jahrbuch des Landesmuseums Kärnten nungen in Form von Schießscharten, die heute 2004, Klagenfurt 2005, S. 298). Die gesamte noch zu sehen sind, verleihen den Türmen einen Gurker Stiftsanlage ist, wie auf Abb. 1 deutlich zu bergfriedartigen Charakter. Zwischen dem Turm- sehen, von einem Wehrgang, der offensichtlich paar befindet sich im Inneren die Westempore, mit einem vorgelagerten Graben im späten 15. die hier von einem dachgaubenförmigen Aufbau Jahrhundert angelegt wurde, umgeben. Deutlich abgeschlossen wird. Das die beiden Seitenschiffe sichtbar sind auch mehrere moderne Schalen- überragende Mittelschiff ist mit einem Sattel- türme aus der frühen Neuzeit zur Aufnahme von dach gedeckt und wird bei der Vierung noch von schweren Kanonen und Mörsern. Beim mittleren einem schlanken Dachreiter überragt. An den Turm westlich des Hauptein ganges erkennt man nördlichen Fassadenturm schließt zu dieser Zeit deutlich eine Zugbrücke über einem Wasser- unmittelbar der sogenannte Kapitel- oder graben und auf der Südseite unterbricht ein Nonnen trakt an und verbindet die Stiftskirche so Rundturm mit Kegeldach und Schießscharten direkt mit dem spätgotischen Propsthof. Dieser die Wehrmauer, die im Osten an einem dem zweigeschossige Verbindungstrakt wurde 1637 Querhaus vorgelagerten Gebäude, das heute gemeinsam mit dem mittelalterlichen Kreuzgang allerdings nicht mehr besteht, anschließt. abgetragen. Stattdessen wurde unter der Lei - Südöstlich außerhalb der Mauer ist auch noch tung des Tessiner Architekten Peter Franz Car - die von Gräfin Hemma gestiftete, der heiligen lone ungefähr gleichzeitig etwas weiter östlich Maria Magdalena geweihte Pfarrkirche, die 1778 beim Nordquerhaus mit dem Bau des neuen Kapitelhauses begonnen, das sich später eben- falls mit der älteren Propstei baulich verbinden sollte. Die vierflügelige Anlage des zwischen 1468 und 1490 errichteten Propsthofes ist ein schlichter, massiver, dreigeschossiger Bau mit Walm dach über annähernd quadratischem Grundriss mit Innenhof und lukenförmigen Fens- tern. Kleine Erker mit Kegeldächern zur Basilika Abb. 2: Sophie von Moro (1844–1915), Romanisches hin verleihen ihm durchaus einen wehrhaften Westportal im Dom zu Gurk, um 1910–12, Grisailleaquarell auf Charakter. Mit dem Bau des Propsthofs wurde Kartonpapier, LMK, Neuerwerbung, Inv. Nr. K 724. Aufn. K. unter Propst Lorenz von Freiberg 1468 begon- Allesch

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profaniert und 1899 abgebrochen wurde, wieder- 2015 in der Kunstkammer des Kunsthistorischen gegeben. Daneben, mit der Kirche zu einem Museums in Wien in einer kleinen Sonderaus- Komplex vereint, liegt das von Propst Wilhelm stellung einer breiten und internationalen Öffent- Welzer von Eberstein zu Beginn des 16. lichkeit präsentiert. In ganz Europa sind nur ganz Jahrhunderts neu errichtete und ebenfalls nicht wenige Beispiele figural geschmückter Holztüren mehr existierende Armenspital. aus dem Hochmittelalter überhaupt erhalten geblieben, da an den meisten Standorten das Einen guten Eindruck von der reichen Pracht und verarbeitete Material in der Regel gegenüber hohen künstlerischen Qualität der Kunstschätze Witterungseinflüssen, Feuer und mechanischen in Gurk vermittelt eine historische Ansicht der Beschädigungen zu empfindlich war. Beim Westportalvorhalle der Domkirche (Abb. 2). Das Gurker Dom ergab sich durch den zusätzlichen Aquarell aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt Einbau einer geschlossenen Vorhalle im frühen das siebenfach abgestufte, fast zwei Meter in die 14. Jahrhundert sehr bald ein gegenüber den Tiefe zurückspringende Trichterportal aus der Unwettern verbesserter Schutz für die empfind- Zeit um 1200, das beinahe die gesamte Breite lichen Holzreliefs am Westportal. Erstmals auf der Vorhalle einnimmt. Das Tympanon, an dem dieses äußerst seltene romanische Kunsthand- die sonst für die Romanik üblichen Skulpturen werk in Gurk aufmerksam wurde die kunstwis- fehlen, dürfte ursprünglich mit einer Heiligen- senschaftliche Forschung durch die sogar gra- figur bemalt gewesen sein. Die Portalgewände fisch illustrierte, frühe Publikation in der gliedern sich in eine Sockelzone mit leicht aus- Kunsttopographie des Herzogthums Kärnten, schwingenden Plinthen und attischen profilierten Wien 1889, S. 474–476. Daraufhin folgten bis in Basen, die mit teilweise umgeschlagenen die heutigen Tage zahlreiche, vor allem hinsicht- Eckblättern oder Knospen verziert sind. Schlanke lich der unterschiedlichen Datierungsansätze, und eng zusammengestellte Säulen mit sehr kontroversielle Detailuntersuchungen zu Knollenkapitellen wechseln mit Pfosten, die mit den Reliefs (siehe in der Literaturauswahl: Karl Palmetten, Rosetten oder Rundstäben ge- Ginhart, in: Katalog zur Ausstellung Romanische schmückt sind. Diese ausschließlich vegetabile Kunst in Österreich, Krems an der Donau, 1964, S. Ornamentik wird von den Archivolten übernom- 143–145, Kat. Nr. 91, Abb. 19; Gottfried Bieder- men, sodass sich ein symmetrischer Aufbau der mann, Romanik in Kärnten, Klagenfurt 1994, S. Portalgliederung ergibt. Eine gewisse Feinglied- 122–128; Geschichte der bildenden Kunst in rig keit und rasche Abfolge von schlanken Pfos- Österreich, Früh- und Hochmittelalter, Band 1, tenflächen und Säulchen verrät oberitalienische hrsg. von Hermann Fillitz, München u. a. 1998, S. Stileinflüsse, während die Ausführung der Orna - 408–410, Nr. 150). Eine erste Restaurierung der mentik eher an heimische Künstler denken lässt. Türreliefs in den Werkstätten des Wiener Bun - Die letzten Reste der ursprünglich farbigen des denkmalamtes erfolgte demnach bereits Fassung des Portals wurden leider im Jahre 1912 1963 bis 1964 für die große Romanikschau in der zur Gänze entfernt und sind auch auf dem Minoritenkirche von Krems-Stein in Niederöster - Grisailleaquarell der Sophie von Moro nicht mehr reich. Danach sind die Reliefs wieder in ihrer ori- eindeutig feststellbar. Sehr wohl erkennt man auf ginalen Szenenabfolge auf den Holzträgern in der skizzenhaften Studie aber die spärlichen Gurk montiert und mit einem Plexiglas-Schutz Reste der berühmten romanischen Türreliefs auf versehen worden. Nachdem vor einigen Jahren den beiden Flügeln des Hauptportales. Diese lei- eine neuerliche Verschmutzung und Beschädi- der nur fragmentarisch erhalten gebliebenen gung an den wertvollen Kunstwerken immer Gurker Türreliefs wurden nach zweijähriger deutlicher sichtbar wurde, musste das Bundes- Restaurierung und eingehender wissenschaftli- denkmalamt unter der Leitung ihres Fachdirek- cher Untersuchung im Bundesdenkmalamt tors Dr. Bernd Euler-Rolle die Reliefs im Frühjahr schließlich vom 30. September 2014 bis 14. April 2013 zu Forschungs- und Konservierungs -

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zwecken zeitlich befristet nach Wien holen. einander angeordnete Medaillons mit folgenden Daraufhin haben die beiden Spezialistinnen für Darstellungen: Oben die thronende Madonna, polychrome Holzfassung Julia Amann und den Stifter des Graduales und unten den Monika Mager nach vielen Voruntersuchungen Künstler, wie er soeben am Einband arbeitet. Das schließlich mit ihrer Restaurierungsarbeit an den Motiv der Medaillons mit Ranken und Blättern einzelnen Reliefteilen begonnen. Im Rahmen der sowie die Idee der Vergoldung als Hintergrund aktuellen Maßnahmen zur Erhaltung und für die Holzschnitzereien weisen gewisse Sicherung der materiellen Substanz der Reliefs Parallelen zu den Reliefs an den Gurker wurde seitens des Denkmalamtes zugleich ein Domtüren auf. Kelch und Patene aus Stift Wilten Forschungsprojekt initiiert, das Fragestellungen versinnbildlichen wie in Gurk ebenfalls ein sehr aus den Bereichen der Natur- und Konser - komplexes Bildprogramm, das von den Ereig- vierungswissenschaften sowie der Kunstge- nissen des Alten Testaments am Kelchfuß, zu schichte miteinander verband. Damit sollten die Szenen aus dem Leben Jesu auf der Kuppa führt Kenntnisse zum Erscheinungsbild der Türen in und schließlich in der Darstellung der Kreuzigung der Entstehungszeit, zum material- und werk- Christi und seiner Auferstehung auf der Patene technischen Aufbau sowie zu formalen und kulminiert. Die Bildszenen sind ähnlich wie bei inhaltlichen Aspekten vertieft werden. Die den Gurker Reliefs in einem System von mitei- Forschungsergebnisse dieser Arbeit standen nander verbundenen Medaillons eingefügt. Diese auch im Mittelpunkt der wirklich sehenswerten zeigen jedoch nicht die für Gurk inhaltlich Dokumentationsausstellung im Kunsthistori - bedeutsame Ausformung als pflanzliche Ranken schen Museum in Wien, die am 26. März 2015 im mit Blütenmotiven. Die sehr filigranen Gurker Rahmen einer Fachexkursion vom Förderverein Holzreliefs sind auf den Außenseiten der über des Landesmuseums Kärnten exklusiv besichtigt vier Meter hohen hölzernen Türflügel des roma- wurde. Mit modernen Dokumentationsmethoden nischen Trichterportals appliziert. Von den früher wie 3D-Scans, Touchscreens und einem Film die ganzen Türflächen bedeckenden Reliefs wurden Einblicke in den Entstehungsprozess, haben sich links sechzehn und rechts zwölf das Material und den überlieferten Zustand der Medaillons erhalten. Doch selbst in der fragmen- Kunstwerke gegeben. Dies bot einem kunst- und tierten Form lassen die Reliefs die einprägsame denkmalinteressierten Publikum die einmalige Struktur der Gesamtkomposition, den Detail- Gelegenheit, den Detailreichtum der szenischen reichtum an Figuren und Ornamenten, die leuch- Darstellungen und die umfangreichen Reste der tende Farbigkeit sowie die Komplexität des gotischen Zweitfassung der Rankenmedaillons inhaltlichen Programms erkennen. Zur Entsteh- dieses einzigartigen Holzbildwerkes aus der ungszeit des Trichterportals um 1200 waren Nähe zu betrachten, was bekanntlich an seinem große Teile der ursprünglich zur Gänze mit Per - angestammten Platz in der Vorhalle des Domes gament überzogenen hölzernen Türflügel silber- von Gurk wegen der erhöhten Montage der farben getönt und sollten offensichtlich einen Reliefs nur sehr eingeschränkt möglich ist. Als Metalleffekt vortäuschen. Die applizierten Ran- konkrete Vergleichsbeispiele für die Gurker ken leuchteten in kräftigem Rot und Grün mit Türreliefs wurden bei der Präsentation im schwarzen Konturen und die Figuren trugen ein Kunsthistorischen Museum ein Graduale aus der hellrosa Inkarnat mit dunkler Binnenzeichnung. Abtei Weingarten (Schwaben, um 1217/35) und Das gesamte Schnitzwerk erhielt um 1340 eine eine Kelchgarnitur aus Stift Wilten bei Innsbruck völlig neue hochgotische Fassung, die in wesent- (Niedersachsen, um 1160/70) herangezogen. lichen Teilen noch heute zu sehen ist. Auch hin- Beim hölzernen Einband der Pergamenthand- sichtlich ihrer seltenen Ikonographie sind die schrift hat sich auf der Rückseite eine geschnitz- Gurker Reliefs als hervorragende Beispiele der te und zum Teil noch farbig gefasste Bilder- und Glaubenswelt des Mittelalters anzu- Durchbruchsarbeit erhalten. Sie zeigt drei über- sprechen und stellen eine Besonderheit der

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romanischen Schnitzkunst in Österreich dar. Den Türflügels von oben. Das Rechteckfeld wird von inhaltlichen Wesenskern des gesamten religiösen einer schmalen hölzernen Randleiste umrahmt, Bildprogramms bildet Christus selbst, der sich wobei von kleinen applizierten Metallrosetten als Erlöser der Menschheit selbst als die Tür jedoch nur mehr vereinzelte Stücke erhalten bezeichnet hat, durch die sich dem Gläubigen geblieben sind. Den Mittelpunkt der Darstellung der Weg zum Heil öffnet (Evangelium nach bilden die Kreuzigung und Auferstehung Christi Johannes 10,9). Im Vergleich zu anderen figural in Rankenfeldern. Von der Mitte zweigen jeweils dekorierten Kirchenportalen des Hochmittel - zwei horizontal angeordnete Kreisfelder ab: Als alters wurde dieser zentrale katholische typologische Vorstufen für die Kreuzigung ste- Heilsgedanke an den Türen des Gurker Doms hen die Opferung Isaaks und die Eherne besonders prägnant bildlich zum Ausdruck Schlange. Samson mit den Toren von Gaza und gebracht. Die einzelnen Medaillons sind in zwei die Errettung des Jonas aus dem Walfisch wer- Achsen angeordnet und von unten nach oben zu den als Prototypen sinnbildlich der Auferstehung lesen. Mit den stilisierten Rankenstämmen ver- Christi zugeordnet. Dieses Prinzip der sogenann- wachsene, vielgestaltige Palmetten- und ten Typologie fand bereits 1181 im Emailwerk des Blütengebilde füllen die Zwischenräume. Das Nikolaus von Verdun in Stift Klosterneuburg bei dicht gesponnene biblische Bildprogramm zeigt Wien seine großartigste künstlerische Umset- am linken Flügel Darstellungen der Wurzel Jesse, zung. Einzelne Szenen von der Domtür in Gurk den auf König David und dessen Vater Jesse nehmen darauf unmittelbar Bezug. Archivalische zurückgeführten Stammbaum Jesu. Erhalten Angaben über die Entstehung und über die aus- geblieben sind acht Propheten und vier von ehe- führenden Künstler der Gurker Türreliefs gibt es mals sieben Tauben als Sinnbild der sieben leider keine. Als Auftraggeber und Entwerfer des Gaben des Heiligen Geistes. In der Mitte thront theologisch höchst anspruchsvollen Bildpro - Christus in der Mandorla, flankiert von den vier grammes vermutet man den 1195 verstorbenen apokalyptischen Wesen, womit hier bereits auf Bischof Wernher von Gurk, der einige Jahre seine Wiederkunft als Weltenrichter Bezug zuvor als kunstsinniger Propst im Augustiner genommen wird. Begleitet wird die Gruppe um Chorherrnstift Klosterneuburg auch den Jesus von Propheten mit Schriftrollen seitlich berühmten Verduner Altar gestiftet hat. Die Aus - und in den unteren Registern. Für die fehlenden führung dieses sehr ambitionierten Kunstpro- Teile wäre Maria, weitere gekrönte Vorfahren und jektes an der Gurker Domtür muss sich aber aus im untersten Feld der schlafende Jesse zu ergän- unbekannten Gründen um zirka drei Jahrzehnte zen. Die Reliefteile am rechten Türflügel sind verzögert haben. Zur stilistischen Beurteilung typologisch aufeinander bezogen, das bedeutet, der Gurker Reliefs werden von der Kunst- dass die bekannten Ereignisse aus der Vita wissenschaft heute in erster Linie süddeutsche Christi auf Basis des Alten Testaments interpre- Vorbilder aus der Buch- und Glasmalerei heran- tiert werden. In der vertikalen Mittelachse sind gezogen. Obwohl die Domtüren in Gurk seit Episoden aus dem Leben Jesu jeweils zwei mehr als einem Jahrhundert im Blickpunkt kunst- Szenen aus dem Alten Testament gegenüberge- historischen Interesses standen, förderten die stellt, um so eine zeitliche und inhaltliche anhand originaler Materialproben im Herbst 2014 Beziehung besser zu verdeutlichen. Das durch- abgeschlossenen naturwissenschaftlichen Unter - gehende Motiv der vegetabilen Ranken verbin- suchungen jetzt ganz neue Erkenntnisse zur det die Reliefs beider Flügel zu einer Sinneinheit. Kunsttechnologie und Datierung zu Tage. Mit Bildhaften Ausdruck findet dies z. B. im Tondo Hilfe innovativer und interdisziplinärer Techno- mit der Kreuzigung Christi auf der rechten Seite, logien, mikroskopischen sowie labor- und strah- das als ein Trieb der Wurzel Jesse verstanden lungsdiagnostischen Verfahren konnte u. a. werden soll. Der hier abgebildete Ausschnitt herausgefunden werden, wie viele Holzteile auf (Abb. 3) zeigt das zweite Register des rechten welche Art und Weise miteinander verbunden

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Abb. 3: Holzreliefs am Westportal von Gurk, Detailsegment vom rechten Türflügel mit typologischen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, süddeutsch um 1225. Aufn. R. Wlattnig

wurden. Die einzelnen Reliefteile sind aus mehre- flächen wurde exakt und sehr fein ausgeführt. An ren Lindenholzbrettern gearbeitet und mit beiden Türflügeln befinden sich paarweise auf- Holzdübel in einer Art Stecksystem zusammen- tretende Einstichspuren, welche in Zusammen- gefügt worden. Einspannspuren von der hang mit der ursprünglichen Montage stehen Bearbeitung auf der Werkbank, wie sie häufig an könnten und vielleicht auf kleine Eisenbänder Einzelskulpturen beziehungsweise an Reliefs von hinweisen, mit denen die Reliefs vielleicht ange- größerem Ausmaß zu finden sind, lassen sich an klammert waren. Solche entstehungszeitlichen den Gurker Reliefs ebenso wenig feststellen, wie Befestigungsspuren konnten in der europäischen Ritzungen oder Passmarken, die oftmals zur Kunstgeschichte sonst nur sehr selten konkret Erleichterung der Montage vor Ort dienten. Die nachgewiesen werden. Die Reliefs befinden sich, schnitztechnische Ausführung der Reliefs erfolg- abgesehen vom Verlust ganzer Segmente, auch te sehr professionell und detailliert, zeigt aller- in einem insgesamt relativ guten Erhaltungs - dings auch deutliche Unterschiede an den bei- zustand. Aufgrund der guten Qualität des ver- den Türseiten. Dies könnte auf eine Anfertigung wendeten Holzes gibt es an den Einzelstücken des Gesamtwerkes in einer größeren, vielleicht kaum Verformungen und Verwerfungen. Bei den sogar lokal verankerten Werkstatt hinweisen, die vorhandenen Oberflächenschäden handelt es allerdings mit Sicherheit von einem aus sich vor allem um das Resultat von alterungs- Süddeutschland stammenden Hauptmeister und klimabedingten Materialveränderungen geleitet wurde. Die Gestaltung der Holzober- sowie um jüngere Eingriffe in die Substanz. Die

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bunte Farbfassung ist in Anbetracht ihres Alters ebenfalls außergewöhnlich gut erhalten. Ein bedeutendes Ergebnis für die kunstgeschichtli- che Forschung brachte die dendrochronologi- sche Untersuchung der beiden Türflügel aus Tannenholz. Mit Hilfe der Datierung der Jahres- ringe konnte das Schlägerungsdatum der für die Flügel verwendeten Bäume auf einen Zeitraum um, beziehungsweise knapp nach, 1221 ange- nommen werden. Daraus ergibt sich nach Annahme einer kurzen Trocknungszeit des Holzes ein ungefähres Fertigungsdatum für die Reliefs in der Zeit um 1225. Weiters konnte im Zuge der Untersuchung der verschiedenen Fassungen des Gurker Domportals im naturwis- senschaftlichen Labor der Nachweis einer sehr frühen und seltenen Blaupigmentverwendung erbracht werden, der den Kenntnisstand zur Polychromie von Holzskulpturen um einen wich- tigen Puzzlestein erweitert. Andere wichtige Neuentdeckungen auf den Türflügeln und Reliefs wie beispielsweise ein eingeritztes Papstkreuz, ein Winkel, eine das Bildprogramm erläuternde Inschrift und mehrere isolierte Großbuchstaben (Namensinitialen von Dombesuchern?) haben völlig neue Fragen aufgeworfen (zur Ausstellung im Kunsthistorischen Museum siehe: Bernd Euler-Rolle (Hrsg.), Die romanischen Portalreliefs aus dem Dom zu Gurk, Wien 2014; Erwin Hirtenfelder, Meisterwerke auf Augenhöhe. Das Kunsthistorische Museum in Wien schmückt sich mit den Portalreliefs vom Gurker Dom, in: Kleine Zeitung, 1. Oktober 2014, S. 65; Geraldine Klever, denk.mal. Die romanischen Portalreliefs aus Gurk, in: Die Brücke. Kärnten-Kunst-Kultur, Nr. 161/162, Februar/März 2015, S. 9). In der Vorhalle des Gurker Domes befindet sich noch ein weiteres mittelalterliches Gesamtkunst- werk von europäischem Rang, nämlich die male- rische Ausstattung mit einem umfangreichen Fresken- und Glasmalereizyklus kurz vor der Breite geöffnete Vorhalle, wurde unter dem Mitte des 14. Jahrhunderts. Vor allem die noch Domherrn und späteren Propst Heinrich Rötel nahezu vollständig erhaltene Wandmalereiaus - kurz nach 1337/1338 mit einer Füllmauer und stattung zählt zu den bedeutendsten und am spitzbogigen Maßwerkfenstern geschlossen und besten erforschten Fresken Österreichs. Die zwi- zur Gänze mit Fresken ausgestattet. Vermutlich schen den zwei mächtigen Westtürmen einge- konnte der schon im frühen 13. Jahrhundert mit fügte, ursprünglich nach Westen in gesamter einem eigenen Altar ausgestattete Vorhallen-

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Abb. 4: Vorhallenfresko im Dom zu Gurk, Ausschnitt aus der Kindheit und Passion Christi, Kärnten um 1340. Aufn. R. Wlattnig

raum so besser als Andachtsraum genutzt wer- tiven Zugang zum Dom. Aufgrund einer Urkunde den. Die an dieser Stelle lokalisierte Dreifaltig - aus dem Jahr 1339, die sich auf die Neuaus- keits kapelle bot den zahlreichen Kirchenbe - stattung der „nova capella sanctae Trinitatis“ mit suchern und Wallfahrern somit einen repräsenta- Paramenten und liturgischen Geräten bezieht

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und der Übergabe der Kapelle 1343, lässt sich die mit der Geburt Christi, und der Passions- Entstehungszeit der Fresken um 1340 eingren- geschichte, rechts unten mit der Geiselung (Abb. zen. Ein Rahmensystem aus gemalten Bordüren 4). Der charakteristische Stil dieser Malereien und Cosmatenbändern, das auch auf die westli- erweist sich sowohl im Gliederungs system mit che Fensterwand übergreift, gliedert die großen Ornamentstreifen in Cosmatentech nik und ster- geschlossenen Flächen der Nord- und Südwand. nengeschmückter Gewölbezone als auch in Rechteckige Bildfelder sind in vier horizontalen Detailformen wie der Verwendung perspekti- Streifen übereinander angeordnet, die weit in die visch gestalteter Architekturen und Möbel oder blau bemalte und sternengeschmückte Tonnen- in der genauen Differenzierung von Materialien wölbung mit dem Lamm Gottes im Zentrum wie Marmor und Holz als stark oberitalienisch hinaufragen. Bei der doch sehr spezifischen beeinflusst. Die durchwegs labilen Stand- und Farbgebung dominieren die kontrastreichen Bewegungsmotive und die expressiv-realistisch Gegensatzpaare Rot-Grün und Blau-Gelb, wobei gehaltenen Gesichtszüge der Figuren verraten auffällig viele Gewandpartien in deckenden jedoch, dass die primäre Prägung des Malers im Weißtönen gehalten sind. An der zur Gänze vom deutschsprachigen Norden erfolgt sein muss. romanischen Trichterportal eingenommenen Beim Schöpfer der Vorhallenfresken von Gurk Ostwand sind im schmalen Streifen zwischen dürfte es sich somit um einen österreichischen Archivoltenbogen und Gewölbeansatz gemalte Maler aus dem Alpenraum handeln, der versucht Medaillons mit den Halbfiguren des lehrenden hat, das Dekor, die Gestaltungsmittel und die Christus und den ihn flankierenden zwölf Stilprinzipien des italienischen Trecento so gut Aposteln angebracht. Die beiden Längswände wie möglich nachzuahmen. Aufgrund aktueller zeigen in typologischer Gegenüberstellung das massiver Malschicht verluste im unteren Bereich biblische Geschehen laut der chronologischen der Fresken hat das Bundesdenkmalamt im Überlieferungen im Neuen und Alten Testament. Jahre 2005 konservatorische Untersuchungen Die Bildszenen aus dem Alten Testament, bei eingeleitet, auf die sofortige Notsicherungen denen es sich vorwiegend um Illustrationen der folgten. Bis 2007 sind im Inneren und außerhalb Schöpfungsgeschichte handelt, beginnen auf des Domes kontinuierliche Klimamessungen der Westwand mit drei Bildstreifen und setzen durchgeführt worden, auf deren Grundlage dann sich auf der Nordwand in vier Bildstreifen mit 16 in den Jahren 2010 und 2011 Maßnahmen zur Bildern fort. Die 36 alttestamentlichen Szenen Konservierung der wertvollen Wandmalereisub - sind meist paarweise ohne konkrete inhaltliche stanz in der Vorhalle angeordnet wurden, womit Bezugsmomente in den Bildfeldern zusammen- die Fresken vor noch größeren Schäden bewahrt gefasst. Neben den gängigen Themen finden werden konnten. Damit die klimatischen sich seltene Illustrationen wie Gottvater, der die Bedingungen in der Vorhalle zukünftig möglichst Arche Noahs verschließt, oder Moses, der als konstant bleiben, haben die Entscheidungsträger Knabe die Krone des Pharao zertrümmert. Zum vor Ort den Eingang zum Dom schließlich an die besseren Verständnis sind manchen Szenen westliche Seite der nördlichen Seitenschiffwand erklärende Schriftbänder und Beschriftungen verlegt, sodass das Hauptportal nur mehr zu hinzugefügt. Auf der Südseite werden in vier festlichen Anlässen oder anderen wichtigen Bildreihen mit 23 Bildern Szenen aus der kirchlichen Ereignissen geöffnet werden muss. Kindheit und der Passion Christi vorgestellt, die Das Klagenfurter Architektenteam Winkler+ auf der Westwand mit drei Bildstreifen und drei Ruck, das für die bauliche Gestaltung der Bildern fortgesetzt werden. Dieser Teil des Schatzkammer Gurk im Propsthof verantwortlich Bilderzyklus beinhaltet die üblichen Darstellun- zeichnet, hat auch das Seitenportal zum Dom gen von der Verkündigung an Maria bis zum und den Stiftshof neu gestaltet. Dazu musste der Pfingstfest. Der hier abgebildete Ausschnitt alte kapellenartige Vorbau mit Kegeldach beim zeigt Szenen aus der Kindheit Jesu, links oben ehemaligen Kapiteltor abgetragen und durch

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eine moderne und schlichte Türöffnung, die nun Hönel (um 1590–1654). Nachdem der in Klagen- einen barrierefreien Zugang in den Dom ermög- furt ansässige italienische Steinmetz und Bild - licht, ersetzt werden (Literaturauswahl: Bruno hauer Martin Paccobello den Vertrag für einen Grimschitz, Die Entstehungszeit der Fresken- Altar, der die dahinterliegenden Fresken in den folge in der Vorhalle des Domes zu Gurk, in: Apsiden von Anton Blumenthal durch ein offe- Carinthia I, 107, 1917, S. 150–155; Simon Fössel, nes Säulengerüst miteinbeziehen sollte, nicht zur Alttestamentliche und apokryphe Motive in der Zufriedenheit des Propstes Georg III. Vizdom Gurker Kunst, theologische Diss., Graz 1954; erfüllen konnte, wurde im Jahre 1626 Hönel mit Hannelore Stein-Kaiser, Der alttestamentliche diesem großen Altarprojekt beauftragt. Der die Freskenzyklus in der Vorhalle des Domes zu gesamte Mittelapsis füllende Hochaltar wurde Gurk unter Berücksichtigung seiner Ikonografie, 1632 fertiggestellt, aber erst 1654–1655 von phil. Diss. Wien 1975; Ernst Bacher, Glasmalerei, Johann Seitlinger, Ratsbürger und Maler zu Gurk, Wandmalerei und Architektur. Zur Frage von in Gold gefasst. Die triumphbogenartig in vier Autonomie und Zusammenhang der Kunst- Geschosse gegliederte Altararchitektur von gattungen im Mittelalter, in: Bau- und Bildkunst Hönel zeigt in der Mitte als zentrales Thema die im Spiegel internationaler Forschung, Festschrift Himmelfahrt Mariens. Die Mondsichelmadonna E. Lehmann, 1989, S. 14–26; Gudrun mit Strahlenkranz wird vor den Augen der Faulborn, Der Gurker Freskenzyklus der Vorhalle Apostelgruppe durch die heilige Dreifaltigkeit aus der Sicht des Rezipienten. Narrative gekrönt. Ein Engelkonzert und zahlreiche Strukturen-Interaktion von Wort und Bild, Cherubköpfe begleiten die Szene. Inmitten der Diplomarbeit Graz 1993; Geschichte der bilden- Apostelgruppe befindet sich ein offener den Kunst in Österreich, Gotik, Band II, hrsg. von Tempietto mit der Darstellung einer Pieta. Im Günter Brucher, München--New York Sockelgeschoss sind Opfergangsportale ange- 2000, Kat. Nr. 199; Markus Santner u. a., Die goti- bracht, die von den frei am Boden stehenden schen Wandmalereien in der Vorhalle des Gurker Evangelisten mit ihren Attributen flankiert wer- Doms. Technologie, Schäden und Klima, in: den. Unter den Apostel trägt Lukas, der zweite Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denk - von rechts, individuelle und porträthafte Züge, malpflege, Jg. LXVIII, Heft 1–2, Horn-Wien 2014, möglicherweise die des Künstlers. Optisch schei- S. 60–75). nen sie die Konsolen des zweiten Geschosses mit den vier lateinischen Kirchenvätern in Bischofs - Steht man im Mittelschiff vor der inneren ornaten zu stützen. Die gedrehten mit Weinlaub Westwand des Gurker Domes mit Blick nach umrankten Säulen bilden Nischen für Kaiser Osten, dann bietet sich dem Besucher ein impo- Heinrich II., dem Stifter des Bistums Bamberg, santer Raumeindruck, der von einem lichtdurch- und Graf Wilhelm, dem Gemahl der Heiligen fluteten Querhaus, den romanischen Langhaus- Hemma. Im dritten Altargeschoss sind außen die pfeilern, spätgotischen Gewölben und großarti- Ritterheiligen Georg und Florian und innen die gen barocken Ausstattungsstücken beherrscht Heiligen Thomas von Canterbury und Papst Leo wird (Abb. 5). Die langgestreckte, dreischiffige der Große angebracht. Unmittelbar unter der Pfeilerbasilika aus der zweiten Hälfte des 12. Dreifaltigkeit präsentieren Kunigunde, die Frau Jahrhunderts besteht funktional aus einem von Heinrich II., und Gräfin Hemma in voller sechsjochigen Langhaus, einer für die hohe Nonnentracht die Modelle der von ihnen gestifte- Geistlichkeit reservierten Oberkirche, und aus ten Kirchen Bamberg und Gurk. Bekrönt wird der der für die Laienwelt bestimmte Krypta mit dem Altar von den gegen den Satan kämpfenden legendären Hemmagrab. Der Blick durch das Erzengeln Gabriel, Michael und Raphael. Die seit- Mittelschiff richtet sich direkt auf den mehrstö- lichen Aufbauten mit tragenden und lastenden ckigen und zur Gänze vergoldeten Hochaltar des Bauteilen sind einer frei gestalteten mittleren aus Sachsen stammenden Bildhauers Michael Zone mit der Himmelfahrt als zentrales Thema

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Abb. 5: Innenansicht des Gurker Domes mit Blick auf die barocke Kanzel, den Hochaltar und die berühmte Pieta von Georg Raphael Donner. Aufn. R. Wlattnig

gegenübergestellt. Die blockhaften Figuren, mit zigartige Ausführung der Beweinungsgruppe. 72 Vollfiguren und 82 Engelsköpfen, sind in hie- Entstanden ist die Kanzel in den Jahren 1740–1741 ratischer Strenge angeordnet. Neben dem für die nach Entwürfen der aus Parma stammenden und Gegenreformation typischen Marienprogramm in Wien tätigen Theaterarchitekten Antonio und fällt an der Ikonographie die Betonung der loka- Giuseppe Bibiena. Die konkrete Ausführung len Stiftertradition auf, welche die Eigenständig- übernahmen Kaspar Eckhard und Leopold keit des Bistums Gurk gegenüber Salzburg ver- Wasserbauer. Der ausschwingende Kanzelkörper deutlichen sollte. An dieser Stelle muss man im ist mit reichem Golddekor versehen. Vom südli- Langhausmittelschiff des Gurker Domes noch chen Seitenschiff führt ein mit geschnitzten zwei weitere der bedeutendsten Werke des Wangen versehener Treppenaufgang auf die österreichischen Barock in Kärnten erwähnen: profilierte, nach unten ausgeschwungene Brüs- Die prachtvolle Kanzel und die künstlerisch ein- tung. Der 1767 gefasste Kanzelkorb stellt ein

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bemerkenswertes Beispiel gegenreformatori- Klagenfurt 1986, S. 84–86, 291–292; Barock in scher Programmatik dar. Über der Kanzel Kärnten, hrsg. von Barbara Neubauer-Kienzl, schwebt der Heilige Geist als Symbol der Wilhelm Deuer, Eduard Mahlknecht, Klagenfurt Wahrheit und Erleuchtung. Auf dem Schalldeckel 2000, S. 10–11, 102–103; Geschichte der bildenden darunter sitzt das allegorische Dreigespann – Kunst in Österreich. Barock, Band IV, hrsg. von Kirche, Glaube und Hoffnung. Ein Putto trägt die Helmut Lorenz, München-London-New York päpstliche Tiara, während ein zweiter mit der 1999, Kat. Nr. 237, S. 459, 521, Tafel S. 172). Kreuzlanze den Satan sowie eine Ketzerbücher speiende Schlange trifft. Ein altmodisch geklei- Nachdem das ehemalige Diözesanmuseum in deter Mann mit weißer Halskrause, vermutlich die der Lidmanskygasse in Klagenfurt neben dem Darstellung eines Ketzers, stürzt rücklings in die Dom allmählich für die große Zahl an Exponaten Tiefe. Auf der reich verzierten Kanzelrückwand räumlich zu eng wurde, hat man nach einem sind Personifikationen der Tugenden Liebe mit neuen, atmosphärisch geeigneten und dauerhaf- dem Herz in der Hand und Buße mit der Geißel ten Aufstellungsort für die wertvollen sakralen dargestellt. Dazwischen am Kanzelpfeiler ist ein Objekte aus den Kärntner Gotteshäusern Bleirelief mit einer Darstellung des Guten Hirten gesucht. Ein solcher bot sich mit dem Propsthof angebracht. An der Brüstung des Kanzelkorbs im ehemaligen Kloster in Gurk an, der nach dem befinden sich sechs trapezförmige Bleireliefs von Abzug der Salvatorianer seit 2008 leer stand. Ein der Hand des berühmten Wiener Barockbild- erstes inhaltliches und logistisches Konzept für hauers Georg Raphael Donner (1693–1741): die Übersiedlung der reichhaltigen Kunstbe- Belohnung des Guten, Predigt Johannes des stände von Klagenfurt nach Gurk wurde darauf- Täufers, Gesetzgebung am Berg Sinai, Himmel- hin von Diözesankonservator Dr. Eduard Mahl - fahrt des Elias, Paulussturz und Bestrafung des knecht im Jahre 2010 vorgelegt und fand inner- Bösen. Zweifellos eines der bedeutendsten halb der Kirchenverwaltung und bei den zustän- Hauptwerke von Donner in Österreich ist die digen Bundes- und Landesstellen allgemeine überlebensgroße Pieta am Gurker Kreuzaltar aus Zustimmung. Es folgte ein baukünstlerischer dem Jahre 1740. Dieser Kreuzaltar sollte am Ende Architekturwettbewerb, den die beiden Klagen- des Langhauses vor dem Aufgang zum Hoch- furter Architekten Roland Winkler und Klaudia schiff den älteren manieristischen Flügelaltar aus Ruck mit einem sehr behutsamen und qualitativ dem Jahr 1585 ersetzen, der den Blick auf den hochwertigen Raum- und Funktionskonzept Hochaltar behindert hat. Die ergreifende Szene schließlich für sich entscheiden konnten. Bei den zeigt wie Maria um den vor ihr liegenden toten im Jahre 2012 voll einsetzenden Renovierungs - Sohn trauernd von einem jünglingshaften Engel arbeiten in den zum Großteil spätgotischen gestützt wird. Die in Schmerzen versunkene Wirtschaftsräumen im Erdgeschoss der Propstei Muttergottes steht dabei im spannungsreichen hat man die bestehende wertvolle Bausubstanz formalen Kontrast zum tröstenden Engel. vor allem mit dem großflächigen Einsatz von hei- Zusätzlich untermalt wird das dramatische mischem Lärchenholz und mit vor Ort gefertig- Ereignis durch die unterschiedlichen Nuancen ten Vitrinen und Schautafeln aus Eisen neu des Materials. Im hellen Licht erscheinen die belebt. Als spirituelle Stimmungsträger sind Figurenoberflächen fast marmorhaft glatt, wäh- dabei sämtliche alten Gewölbe und zum Teil die rend die Schattenpartien einen weichen Material- ursprünglichen Bodenplatten aus Stein erhalten glanz erzeugen. Die aus 18 Tonnen Blei gegosse- geblieben, was auch eine große denkmalpflege- ne Skulptur wurde von Dompropst Franz Otto rische Leistung darstellt. Als erster Eröffnungs- Kochler von Jochenstein in Auftrag gegeben und termin für das neue Museum wäre der 27. Juni gilt als letztes Werk von Donner, das er erst kurz 2013 anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der vor seinem Tod vollendet hat (Literaturhinweise: Heiligsprechung der Hemma von Gurk vorgese- Barbara Kienzl, Die barocken Kanzeln in Kärnten, hen gewesen. Auf Grund von unvorhersehbaren

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Abb. 6: Eingang zum neuen Kärntner Diözesanmuseum im Propsthof von Gurk: Begrüßung der Mitglieder des Bundes der Kärntner Museen mit Präsident Univ. Prof. Dr. Franz Glaser durch Diözesankonservator Dr. Eduard Mahlknecht. Aufn. R. Wlattnig © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at

Abb. 7: Schatzkammer Gurk, Innenansicht eines Ausstellungsraumes mit Gewölben und Hauptwerken aus dem Zeitalter der Gotik. Aufn. R. Wlattnig

baulichen Verzögerungen konnte dieser Termin Sakrale Schätze in neuem Licht, in: Kleine allerdings nicht eingehalten werden. Das neue Zeitung, 29. Oktober 2014, S. 62–63; Christina N. Diözesanmuseum, nunmehr unter der Bezeich- Kogler, Architektur für Bad, Sport, Kunst, in: nung „Schatzkammer Gurk“, wurde offiziell Kronen Zeitung, Kärnten Ausgabe, 10. Dezember schließlich am 30. April 2014 von Diözesan - 2014, S. 53; Karin Tschavgova, Dicke Mauern für bischof Dr. Alois Schwarz feierlich eingeweiht. alte Schätze, in: Die Presse, Spectrum, 31. Jänner Das Architektenteam Winckler+Ruck wurden für 2015, S. IX; Astrid Meyer, Mehrfach „ausgezeich- ihre innovative Arbeit noch im Jahr 2014 mit dem nete“ Schatzkammer Gurk und Gabriele Russ- bundesweiten Bauherrenpreis der Zentralver- wurm-Biró, Sporthalle und Badehaus in Polepo- einigung der Architekten Österreichs und dem sition. Kärntner Landesbaupreis setzt Akzente, Anerkennungspreis des Landes Kärnten ausge- in: Die Brücke. Kärnten-Kunst-Kultur Nr. 161/162, zeichnet. Der wissenschaftliche Museumsdirek- Feber/März 2015, S. 2 und 23). tor Eduard Mahlknecht und Ing. Herbert Mikula, Der Propsthof wurde laut einer Bauinschrift an der für die technische Bauausführung verant- der Westfassade zum Großteil unter den wortlich zeichnete, sind vom Bischöflichen Ordi - Dompröpsten Lorenz von Freiberg (1459–1487) nariat in Klagenfurt nachträglich am 16. April und Wilhelm Welzer von Eberstein (1487–1518) 2015 mit den Würdigungspreisen für Verdienste errichtet und im 17. Jahrhundert umfassend baro- um das Diözesanmuseum geehrt worden (siehe ckisiert. Das Südportal (Abb. 6) besitzt im Kern die entsprechenden Publikationen dazu in chro- noch seine spätgotischen Gewände, die jedoch nologischer Reihenfolge: Erwin Hirtenfelder, im Barock an der Außenseite mit Pilastern, die

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Abb. 8: Schatzkammer Gurk, Innenansicht eines Schauraumes mit dem ursprünglichen Steinplattenboden und ausgestellten Textilobjekten und Glasgemälden. Aufn. R. Wlattnig

ein Gebälk und eine Überdachung tragen, ver- Kies füllt die Zwischenräume der unbehandelten kleidet wurden. Die Inschriftentafel über dem Holzböden aus Lärchenbohlen. Als Präsenta- Portal informiert vom Renovierungsabschluss tionsflächen für die Ausstellungobjekte dienen unter Propst Johann Georg von Miller im Jahr Sockel und Vitrinen aus Lärchenholz, das gesta- 1658. Bei der Adaptierung der Erdgeschosszone pelt und mit Zinken zusammengesteckt ist. Das des gotisch-barocken Propsthofes, legten die subtile und fein ausgearbeitete Baukastensystem Architekten einen neuen Eingang für den lässt die Exponate in den Mittelpunkt rücken, Museumsbereich fest. Um das einzigartige drängt aber auch die Dominanz der alten Ambiente des alten Klosterareals beizubehalten, Gemäuer nicht zurück (Abb. 7–8). Die neue kam es zu einer eher unkonventionellen An- inhaltliche Zusammenstellung bietet in zehn sig- ordnung der insgesamt zehn Ausstellungsräume, nifikanten Epochenabschnitten einen repräsen- indem die Besucher die chronologisch und the- tativen Querschnitt durch die sakrale Kunst matisch gegliederten Schauräume jeweils über Kärntens, wobei etliche reizvolle Schwerpunkte die Arkadengänge einzeln betreten müssen. Die mit unterschiedlichen Spezialthemen und architektonische Grundstruktur der unterschied- Disziplinen wie Skulptur, Tafelmalerei, Glasmale- lichen Gewölberäume konnte so ohne neue reien, Textilien (Messkleider), liturgische Geräte Durchbrüche weitgehend erhalten bleiben. Dabei (Kelche und Monstranzen) und Buchmalerei wurden die spätgotischen Säulen, Wandflächen, gesetzt werden. Ein wesentliches Merkmal der Gewölbe und Bodenplatten substanzerhaltend Neuaufstellung ist die stilistische und inhaltliche saniert ohne sie äußerlich zu verändern. Dunkler Rückbeziehung auf den Gurker Dom als Wiege

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der Diözese, wobei die dominierende Epoche auf Gestaltung wurde zugunsten der formalen Grund der hohen Anzahl der ausgestellten Wirkung verzichtet. Die originale Polychro - Objekte zweifellos die Gotik ist. Wesentliche ver- mierung ist mit hellorangem Inkarnat, scheiben- tiefende Einblicke gibt es auch in die Kunst der förmig aufgesetztes Wangenrot, Haar, Augen- Romanik, des Barock und der Renaissance sowie braun und Bart in dunkelbrauner Farbe und grü- der Volksfrömmigkeit und wallfahrtsmäßigen nem Lendentuch mit blau-schwarzem Innen- Hemmaverehrung. Die Schatzkammer Gurk futter weitgehend erhalten geblieben. Vereinzelt beherbergt rund 300 sakrale Exponate auf 920 sind Spuren einer Vergoldung zu sehen. Das aus Quadratmeter Ausstellungsfläche. Zu den inte- der kleinen Fillialkirche St. Leonhard „in der Höll“ ressantesten Kostbarkeiten zählt u. a. die romani- stammende Werk ist für das Bundesland Kärnten sche Magdalenenscheibe aus der kleinen einzigartig und kann aus konservatorischen Filialkirche St. Magdalena in Weitensfeld, nicht Gründen nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zuletzt deshalb, weil dieses Objekt schon einmal verborgt werden. Aus diesem Grund war das im Jahre 1930 aus der Kirche gestohlen und ille- Kreuz im Original auch nicht in der internationa- gal nach Berlin verbracht wurde. Die Heilige len Kirchenkunstausstellung im Palazzo de steht auf einem rankengeschmückten Halbkreis- Nordis in Cividale vertreten, sondern wurde, bogen. In einem kräftigen Farbdreiklang von obwohl ausführlich im wissenschaftlichen Blau grün, Rubinrot und Goldgelb hebt sich die Katalog beschrieben, dort nur als Fotorepro- hieratisch schlanke und zarte Gestalt vom wei- duktion gezeigt. Als Ersatz für dieses repräsenta- ßen Grund ab. Nur die Schrägstellung der axial tive Objekt war in der Ausstellung in Cividale übereinander angeordneten Hände sowie die dafür das kleine Bronzekruzifix aus dem Gurktal über dem Knie eingefügte rote Borte deuten eine (schwäbisch, um 1160/70) aus dem Bestand des geringe körperliche Bewegung der Figur an. Das Landesmuseums für Kärnten im Original zu vergoldete Weihrauchfass in der Hand der sehen (siehe Robert Wlattnig, Bericht der Heiligen ist ein Hinweis auf den Gang zum Grab Abteilung für Kunstgeschichte, in: Rudolfinum. am Ostermorgen und damit zur Auferstehung Jahrbuch des Landesmuseums für Kärnten 2012, Christi. Diese Magdalenenscheibe kann mit einer Klagenfurt 2013, S. 124–126, Abb. 1; Ausstellungs- Datierung um 1160/1170 als das einzige erhaltene katalog, Il Crocifisso di Cividale e la scultura Glasgemälde aus der Frühzeit der Romanik in lignea nel Patriarcato di Aquileia al tempo di Österreich bezeichnet werden. In diesem Zu- Pellegrino II (secoli XII–XIII), hrsg. von Luca Mor, sammenhang erwähnenswert ist auch die älteste Torino-Londra-New York 2014, Kat. Nrr. 5 und 6, Glocke Kärntens aus der Pfarr- und Wallfahrts- S. 154–157 mit Abbildungen). kirche Maria Sieben Schmerzen am Freudenberg, Im Zuge der Museumsneuerrichtung wurde auch die aus dem 11. Jahrhundert stammt. Ebenfalls in die im Osttrakt der Propstei befindliche gotische der neuen Aufstellung enthalten ist das berühm- Kapelle, die im Rahmen der Barockisierung im 17. te Holzkruzifix aus Höllein, das zeitlich um Jahrhundert die ursprünglich in den Hof ragende 1170/1180 eingeordnet werden kann. Das expres- Westfassade verloren hat, einer kompletten siv gestaltete, leicht unterlebensgroße Kruzifix zeigt Christus in streng frontaler Haltung mit geschwungenen Armen, die in den Ellbogen und Handwurzeln geknickt sind. Der Oberkörper schwingt nach rechts, die Hüfte in die Gegen- richtung. Die parallel geführten Beine mit den etwas zu groß wirkenden Füßen sind schrägge- stellt und vermitteln den Eindruck zu schweben. Abb. 9: Fastentuch des Konrad von Friesach mit Szenen aus Das Haupt neigt sich zur Seite und ist beinahe im der Passionsgeschichte Jesu und dem Weltgericht rechts Profil gegeben. Auf anatomisch korrekte unten, 1458. Aufn. R. Wlattnig

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Restaurierung unterzogen, dabei sind umfangrei- gewählt, dass sie im Sinne von Typus-Antitypus che Wand- und Dekormalereien aus der Spätre- nur in der Gegenüberstellung mit der entspre- naissance, dem 17. und späten 19. Jahrhundert chenden Szene aus dem Neuen Testament sinn- freigelegt worden. In dieser Dreifaltigkeitskapelle voll gelesen werden können. Bei der Mehrheit der wird nun auf zwei großen Rollen das berühmte Bildmotive tritt aber an die Stelle der Typologie Fastentuch des Konrad von Friesach den eine chronologische Abfolge der biblischen Museumsbesuchern erstmals allgemein zugäng- Heilsgeschichte. Dem Alten Testament wurde lich gemacht. Das quadratische Fastentuch beim Fastentuch des Konrad von Friesach noch besteht aus zwei Teilen und zeigt auf der linken eine gleich große Fläche wie dem Neuen Seite 50 Szenen aus dem Alten Testament und Testament eingeräumt, während bei etwas jün- auf der rechten Seite 49 Szenen aus dem Neuen geren und neuzeitlichen Hungertüchern auch in Testament. Die 99 Felder zeigen 108 Dar - Kärnten schon eine deutliche Zurückdrängung stellungen aus der Heilsgeschichte. Die beiden der alttestamentlichen Inhalte erfolgt. Formalsti- Stoffbahnen des Fastentuches waren immer listisch ist das Gurker Fastentuch mit den flä- schon getrennt ausgeführt, sodass das Tuch wie chenhaft gedrungenen Figuren, die das Bildfeld ein Vorhang geöffnet werden konnte. Die mit dominieren, und einer rudimentären Land- Temperafarben auf eine ungrundierte Leinwand schafts gestaltung sowie der ausdrucksstarken gemalten Einzelszenen sind durch schmale rote Er zählweise noch den überholten Formen des Streifen vertikal und horizontal voneinander späten Weichen Stils verpflichtet. Damals wie separiert. Einzelne Bilder sind sogar mit inschrif- heute besticht das Fastentuch durch seine tenartigen Erklärungen, sogenannten Tituli, ver- Fernwirkung. Auf Grund seiner enormen Größe sehen. Die vorherrschenden Farben am Hunger- (zirka 8,87 x 8,87 Meter) war es für die Gläubigen tuch sind Zinnoberrot, Schwefelgelb und natürlich nicht möglich, die oberen Reihen des Schwarzblau. Während der Fastenzeit wird das Gurker Fastentuchs im Detail zu erkennen oder Velum vor den Altar gehängt und füllt dabei die gar die Tituli in gotischen Minuskeln zu entzif- ganze Breite und Höhe des Presbyteriums aus, fern. Laut Inschrift unten rechts wurde das woraus zu schließen ist, dass es von Beginn an Fastentuch am 8. April 1458 von Meister Konrad für den Dom bestimmt war. Das Alte Testament von Friesach vollendet und von Propst Johannes beginnt mit der Schöpfungsgeschichte und III. Hinderkircher für den Gurker Dom erworben. reicht bis zu Mariä Geburt und Opferung. Die Zur Zeit der Entstehung des Fastentuches rechte Seite des Gurker Fastentuches mit den bekleidete Johann Schallermann aus Soest in Darstellungen aus dem Neuen Testament setzt Westfalen das Amt eines Bischofs von Gurk. Von mit der Verkündigung an Maria ein, schildert die Meister Konrad von Friesach stammt auch eine Kindheits- und Leidensgeschichte Christi und gotische Tafel mit der Darstellung einer Thro- endet mit dem Weltgericht, das über zwei Felder nenden Muttergottes mit Kind und dem Stifter reicht. Dabei umfasst der sehr ausführlich bebil- Dompropst Johannes III. Hinderkircher in der derte Passionszyklus beinahe die Hälfte des neu- Mittelaltersammlung in der Österreichischen testamentlichen Teils, was im europäischen Galerie im Unteren Belvedere in Wien. Die Vergleich eine ikonographische Besonderheit Marientafel zeigt allerdings Hinderkircher noch in darstellt (Abb. 9). Am Gurker Fastentuch sind Kanonikertracht, sodass die Tafel vor 1445, dem auch im Abschnitt mit dem Alten Testament eini- Jahr seiner Einsetzung zum Propst, entstanden ge seltene Motive zu sehen. Einzelne Themen wie sein dürfte. Beim Marienbild handelt sich hierbei Alexander der Große, Caesar und Augustus sind wohl um das Mittelbild eines Altarretabels, das der Profangeschichte entnommen, andere gän- ursprünglich für den Gurker Dom geschaffen gige alttestamentarische Darstellungen wie der wurde. Die zugehörigen Flügel zeigten vermut- Sündenfall fehlen hingegen zur Gänze. Vereinzelt lich Hemma von Gurk und Graf Wilhelm. Von die- sind die Bilder aus dem Alten Testament so sen Bildern ist heute nur noch die Wilhelm-Tafel

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im Kunsthandel zugänglich. Der Kärntner Wand- 1650 und der Vernachlässigung der Festung und Tafelmaler Konrad von Friesach war um durch die Gurker Bischöfe Sigismund Franz Erz- 1440–60 im nördlichen Mittelkärnten und der herzog von Österreich (1653–1665) und Wenzes - Obersteiermark tätig und führte offensichtlich in laus Graf Thun (1665–1673) bedurfte es einer Friesach eine eigene Werkstatt, wo er 1474 als dringenden Restaurierung der Anlage. Dieser verstorben verzeichnet wird. Neben seinem Aufgabe kam der kunstsinnige Fürstbischof von Hauptwerk, dem Fastentuch für den Dom zu Gurk, Kardinal Johannes VIII. Freiherr von Goess Gurk, schufen er und seine Mitarbeiter wahr- (1675–1696) nach, der das Schloss zu einer schein lich den Freskenzyklus in der Filialkirche prächtigen barocken Residenz ausbaute. Für von St. Ulrich in Seiz bei Kammern und mehrere diese umfassende Neugestaltung stellte er den Tafelgemälde, die heute u. a. im Stadtmuseum Steinmetz und Bildhauer Johannes Payr aus dem von Friesach und in der Kunstsammlung von Stift St. Lamprecht ein, der zwischen 1680 und Stift Sankt Lambrecht aufbewahrt werden (siehe 1690 umfangreiche Zu- und Umbauten durchge- dazu folgende Literaturauswahl: Ausstellungs - führt hat. Bis auf die Südseite ist die gesamte katalog, Kärntner Kunst des Mittelalters aus dem polygonale Anlage der Straßburg von einer teil- Diözesanmuseum Klagenfurt, Belvedere Wien weise bis zu 9 Meter hohen Mauer aus Bruch- und Kärntner Landesgalerie Klagenfurt 1970– steinen umgeben. Das äußere, reich geschmück- 1971, Kat. Nr. 8, S. 109–110, Abb. 9; Elfriede Baum, te Burgtor führt in den Zwinger. Nach Plänen des Sammlungskatalog des Museums mittelalterli- Stuckateurs Gabriel Wittini hat sein Künstler - cher Österreichischer Kunst, Wien 1971, Kat. Nr. kollege Johannes Payr dieses altarähnlich aufge- 115–16, S. 156–157; Otto Rainer, das Gurker baute Barockportal ausgeführt. In dem von Volu- Fastentuch, Gurk 1984; Janez Höfler, Tafelmalerei ten eingefassten Aufsatz über dem Tor, konnte der Gotik in Kärnten (1420–1500), Klagenfurt sich der Auftraggeber, Bischof Johannes VIII. 1987, S. 39–44, Kat. Nrr. 6–7; Reiner Sörries, Die Kar di nal Goess mittels einer Nischenstatue samt alpenländischen Fastentücher, Klagen furt 1988, Inschrift verewigen lassen. Zwei Säulen auf S. 37ff.; Othmar Stary und Wim van der Kallen, hohen Sockeln flankieren das Tor und tragen den Das Fastentuch im Dom zu Gurk. Bilder aus der gesprengten Giebel. Über dem Bogenscheitel Geschichte Gottes mit dem Menschen, befindet sich ein Doppelschild, der links das Klagenfurt 1994; Gottfried Biedermann und Karin Wappen der Bischöfe von Gurk und rechts das Leitner, Gotik in Kärnten, Klagenfurt 2001, S. 236; persönliche Wappen von Kardinal Graf Goess Helga Hensle-Wlasak, Konrad von Friesach, in: wiedergibt. Bekrönt wird das heraldische Em- Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden blem von einem Bischofshut mit Quasten. Das Künstler aller Zeiten und Völker, Band 81, Berlin- Wappen stammt von Johann Claus, Bürger und Boston, 2014, S. 271–272). Bildhauer in Klagenfurt, und ist neben der Marienstatue am Domplatz in Klagenfurt die ein- Die hoch über dem Gurktal gelegene Burg (Abb. zige bekannte Steinplastik des Künstlers (siehe 10) wurde unter Bischof Roman I. (1131–1167), dem Barbara Neubauer-Kienzl, Wilhelm Deuer, vierten Bischof von Gurk, errichtet und 1147 als Eduard Mahlknecht, Barock in Kärnten, Klagen- „Strazburch“ erstmals urkundlich erwähnt. Nach- furt 2000, S. 241–242; eine Abbildung des äuße- dem die ersten Bischöfe der kleinen Diözese ren Burgtores nach einem Aquarell von F. B. noch im Gebäude des Nonnenklosters residier- Hauser aus dem Bestand der Grafikabteilung des ten, ließ Roman I. ab 1147 ein paar Kilometer öst- Landesmuseums Kärnten befindet sich in: lich von Gurk die Straßburg als neue Bischofs - Rudolfinum. Jahrbuch des Landesmuseums für residenz erbauen. Sie diente den Gurker Bischö- Kärnten 2000, Klagenfurt 2001, S. 196). Johan- fen 640 Jahre als Regierungssitz und Verwal- nes Payr hat neben dem reich geschmückten tungsmittelpunkt für den gesamten Bistums - äußeren Burgtor auch das innere Burgtor (Abb. besitz. Nach Bränden in den Jahren 1638 und 11) gestaltet. Über der niedrigen Gebälkzone mit

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Abb. 10: Südwestansicht der Straßburg, vom 12. Jahrhundert bis zum Jahre 1780 Residenz der Bischöfe des Bistums Gurk. Aufn. R. Wlattnig © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at

einem Segmentbogengiebel und eingeschriebe- burg vor dem Verfall zu retten, blieben damals ner Dreiecksform ist mit 1686 die Datierung der mehr oder weniger erfolglos. Trotz der Fertigstellung des Hauptportals vermerkt. Das in Errichtung von Notdächern 1859 unter dem da - Spätrenaissanceformen konzipierte Rundbogen- maligen Konservator Gottfried Freiherr von portal mit der reichen Rustizierung (Quaderung) Ankershofen setzte sich der schlechte bauliche an den Pilastern und am Türsturz führt weiter Zustand über die Jahre hinweg fort. Immer wie- zum großen unregelmäßig gestalteten Innenhof der gab es große Rückschläge, so machte z. B. mit den umlaufenden zweigeschossigen Arka- ein Blitzschlag und der dadurch ausgelöste den. Die als selbständiger Baukörper den älteren Brand im Jahre 1904 erste Bemühungen zur mittelalterlichen Gebäudeteilen vorgelagerten Erhaltung der Burg zunichte. 1915 stürzte der Arkadengänge wurden ebenfalls von Payr zwi- Südturm ein und wurde mitsamt dem Palas fast schen 1686 und 1689 errichtet (Abb. 12). Rund - zur Gänze zerstört. Eine Fotografie aus dem frü- bogige Pfeilerarkaden im Erdgeschoss mit darü- hen 20. Jahrhundert, die den Stiegenaufgang ber liegenden halb so hohen toskanischen und die nordseitigen Arkaden im Obergeschoss Säulenarkaden zeigen das ursprüngliche Gliede- zeigt, vermittelt einen guten Eindruck vom bau- rungsschema der Hofarkaden, das heute nur fälligen Zustand der ehemaligen Bischofsresi- mehr an der Nordseite unversehrt erhalten denz (Abb. 13). Nach weiteren Notsicherungsar- geblieben ist, wobei die Erdgeschosszone durch bei ten 1920 konnte die Diözese Gurk schließlich Quaderungen, Bogenrahmungen und Kämpfer- mit Unterstützung des Landes Kärnten und der ge simse besonders akzentuiert wurde. Auf das Stadtgemeinde Straßburg im Jahre 1956 mit der ursprüngliche Gliederungssystem, bei dem je großen Generalsanierung, die in erster Linie vom zwei Bögen des Obergeschosses einem Bogen gemeinnützigen Verein der Freunde zur Erhal- des Untergeschosses entsprachen, wurde bei tung der Straßburg initiiert wurde, beginnen. der Wiederaufstellung der süd- und westseitigen Diese nun wirksamen Rettungsmaßnahmen um- Ober geschossarkaden 1962 leider zum Teil ver- fassten neben der statischen Stabilisierung der zichtet. Im Hintergrund ist der sechsgeschossige Anlage, die Beseitigung der Mauerschäden sogenannte Faulturm, der Bergfried aus der Zeit sowie die Neueindeckung der Dächer und die um 1200 zu sehen, der den nordwestlichen Zwin- Wie dererrichtung der teilweise eingestürzten ger abschnitt beherrscht. Er war einerseits Wehr- Arkaden. Ein letzter und wesentlicher Abschnitt bau und andererseits Wohnsitz von Ministerialen in der Geschichte der Rettung und Erhaltung der der Gurker Bischöfe, die bestimmte Aufgaben Straßburg setzte mit der baulichen Sanierung wie z. B. die militärische Bewachung der Burg zu der Innenräume und der Neubestimmung der erfüllen hatten. Der Turm war ursprünglich nur Burg als Ort für die wirkungsvolle Präsentation viergeschossig, wurde aber im Spätmittelalter von kulturgeschichtlich ausgerichteten Aus - aufgestockt und mit einem auskragenden höl- stellungen ein. In den darauffolgenden Jahren zernen Wehrgang versehen, von dem heute nur hat auch das Landesmuseum für Kärnten dieses noch Reste vorhanden sind. Nach schweren große Kultursicherungsprojekt nach Kräften Schäden durch ein Erdbeben im Jahre 1767 immer wieder unterstützt und viele wertvolle wurde der Bischofsitz unter Joseph II. Anton Leihgaben für Ausstellungszwecke zur Ver- Graf von Auersberg (1772–1783) in das neu fügung gestellt. Im Zuge der von der Kulturab - errichtete Schloss Pöckstein in Zwischenwässern teilung des Landes Kärnten mitfinanzierten gro- und 1787 im Zuge der josephinischen Kirchen- ßen Sonderausstellung „Hemma von Gurk“ auf reform nach Klagenfurt verlegt. Durch einen Schloss Straßburg im Jahre 1988 hat der Brand Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Dach Klagenfurter Architekt Franz Freytag den der Straßburg leider völlig zerstört und das ehe- Osttrakt des Schlosses in Stand gesetzt und zwi- malige Schloss daraufhin als Steinbruch verwen- schen den Etagen ein neues Stockwerk einge- det worden. Alle Bemühungen Schloss Straß - baut. Unter dem Episkopat von Diözesanbischof

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Abb. 11: Volkskundler Dr. Heimo Schinnerl mit den Exkursionsteilnehmern des Kärntner Museumsbundes vor dem Haupttor zum inneren Bering der Straßburg. Aufn. R. Wlattnig

Dr. Egon Kapellari fanden auch noch weitere kundliche Dauerausstellung einzurichten. Eine interessante Diözesanausstellungen auf der erste Schau über das bäuerliche Leben in der Straßburg statt: Die überwiegend mit ikonogra- Region konnte man bereits 1991 in sieben eigens phischen Themen befasste Sonderschau „Ver- dafür adaptierten Räumen unterbringen. Vor bor gene Kunst“ des Jahres 1989, die Ausstellung einigen Jahren hat der Volkskundler und Ob - im Jahr 1990 unter dem Titel „Zerstören-Be- mann der Kärntner Landsmannschaft Dr. Heimo wahren-Retten: Kunst in Kärnten“, die sich vor Schinnerl schließlich im Nordwesttrakt der Straß - allem mit der Thematik der kirchlichen Denkmal- burg auf drei Etagen ein neues Landwirtschafts - pflege befasste, und 2000 eine umfassende museum konzipiert, das den bäuerliche Alltag im Ausstellung mit Arbeiten zeitgenössischer Kunst, Gurktal, die Sozialgeschichte, die Volksfrömmig- die ganz bewusst ausgewählten Werken der keit und das lebendige Brauchtum umfassend alten Sakralkunst gegenübergestellt wurden. Im ab handelt. Ein eigener Sektor ist auch der Doku- Zuge dieser zeitlich befristeten Sonderaus- men tation der wechselvollen Entstehungs- und stellun gen erfolgten ständig zusätzliche Umbau - Bau geschichte der Burg gewidmet. Der hier ab- ar beiten im Nord- und Südwesttrakt des Schlos- gebildete Schauraum gibt Einblick in die be- ses mit dem erklärten Ziel, im Inneren eine volks- scheidene Wohnkultur der bäuerlichen Bevöl-

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Abb. 12: Der im Auftrag von Kardinal Johannes VIII. von Goess 1689 fertiggestellte imposante Arkadenhof und der mittelalterliche Bergfried auf der Straßburg. Aufn. R. Wlattnig © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at © Landesmuseum für Kärnten; download unter www.zobodat.at

Abb. 13: Fotodokumentation von der akuten kerung, wie sie bis weit ins 20. Jahrhundert im Einsturzgefahr im Obergeschoss der nordseitigen gan zen Alpenraum noch üblich war (Abb. 14). In Hofarkaden der Straßburg, Anfang 20. Jahrhundert, einer Fensterecke der Rauch- beziehungsweise LMK, Reproduktion im digitalen Archiv der kunsthisto- Kachelstube befand sich in der Regel die rischen Abteilung. Aufn. R. Wlattnig Tischecke, der zentrale Versammlungsort der Fami lie, wo man sich zu gemeinsamen Mahl- zeiten, Gesprächen, Unterhaltungen und zum Ge bet traf. Stühle und Bänke (Fürbänke und wand feste Bänke), eine Schüsselrehm fürs Ge- schirr und ein großer stabiler Tisch, an dem die Hausleute in streng festgelegter Sitzordnung Platz nahmen, gehörten zum fixen Bestand einer solchen Stube. Überhöht und in einer Ecknische angeordnet bildete der Herrgottswinkel den reli- giösen Mittelpunkt des Raumes. Er setzt sich zumindest aus einem derb geschnitzten Kruzifix, gemalten oder gezeichneten Heiligendarstellun - gen, Hinterglasbildern und anderen Zeichen der Alltagsfrömmigkeit zusammen und war somit Ausdruck dafür, dass der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil des bäuerlichen Lebens war. Weitere Einrichtungsmöbel einer solchen Stube waren eine blumenverzierte Barocktruhe aus der Mitte des 18. Jahrhunderts und ein eben- falls dekorativ bemalter einfacher Kasten zur Aufbewahrung der Kleider (Literaturauswahl: Claudia Fräss-Ehrfeld-Kromer, Straßburg in der Geschichte, in: Festgabe für Gotbert Moro, Klagenfurt 1972, S. 85–97; Hermann Wiessner, Gerhard Seebach und Margareta Vyoral- Tschapka, Burgen und Schlösser in Kärnten. Burgen und Schlösser um Wolfsberg, Friesach, St. Veit, 2. Erweiterte Auflage, Wien 1977, S. 120ff.; Albrecht Wendel, Die Straßburg. Eine bauanaly- tische Betrachtung, in: Ausstellungskatalog, Hemma von Gurk. Ausstellung auf Schloss Straß - burg, 14. Mai bis 26. Oktober 1988, Klagenfurt 1988, S. 315–323; Wilhelm Deuer, Burgen und Schlösser in Kärnten, Klagenfurt 2008, S. 92–94; Georg Lux und Helmut Weichselbraun, Kärntens geheimnisvolle Unterwelt. Stollen-Höhlen- Verborgene Gänge, Wien-Graz-Klagenfurt 2013, S. 136–140). Auf der Straßburg untergebracht sind heute auch ein kleines Jagdmuseum und weitere Son- der ausstellungsräume u. a. zur Präsentation zeit- genössischer Kunst sowie ein Restaurant zur

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Abb. 14: Schauraum im Volkskundemuseums auf der Straßburg: Rekonstruierte Bauernstube mit Tischecke, Herrgottswinkel, Kleiderkasten sowie einer bemalten Truhe aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Aufn. R. Wlattnig

Bewirtung der Tagesgäste. Wirklich sehenswert auch am 1650 datierten Wappen seines jüngeren sind weiters die Kellerräumlichkeiten der Burg Bruders und Nachfolgers als Bischof von Gurk, mit bis zu 7 Meter hohen und z. T. schiefen Säu- Franz Graf von Lodron, über dem Eingang zur len, das Lapidarium in den Arkaden und die Wallfahrtskapelle Maria Loretto auf halbem Weg dekorative Ausstattung der ehemaligen Schloss - zwischen der gleichnamigen Stadtsiedlung und kapelle. Im Untergeschoss der nördlichen Hofar- der Burg, die heute als Aufbahrungshalle genützt kaden ist das Lapidarium der Straßburg mit einer wird (siehe: Friedrich W. Leitner, Die Inschriften bemerkenswerten Sammlung an Wappengrab - des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan, in: platten vom Mittelalter bis zur Neuzeit unterge- Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten, Teil 2, bracht. Dort findet man u. a. einen eigenartig Wien 2008, Kat. Nr. 765, Abb. 262). frag mentierten Wappenstein des Gurker Bi- Für Personen mit einem regen Interesse an Kunst schofs Sebastian Graf von Lodron (1630–1643) und Kultur lohnt sich auch ein Besuch der dem (Abb. 15). Der hochovale Schild am barockem heiligen Mauritius geweihten Kapelle in der Reliefwappen zeigt unten den Löwen der Grafen Südostecke der Hauptburg. Die bereits im Jahre von Lodron mit einem kunstvoll gewickelten 1228 urkundlich genannte romanische Kapelle Schweif, das obere Feld ist gespalten und sollte wurde bereits zur Zeit der Gotik mehrmals bau- wohl Gurk darstellen: Vorne ist ein rechtsaufstei- lich erweitert und um 1682 schließlich aufge- gender Löwe zu sehen, hinten aber anstelle eines stockt. Bischof Johannes VIII. Kardinal Goess rot-silber geteilten Feldes ein L-förmiger Winkel. legte ein besonderes Augenmerk auf die künstle- Eine formal ganz ähnliche heraldische Gliede- rische Ausstattung dieser Kapelle und hat die rung befindet sich in Form einer Bauinschrift besten Künstler seiner Zeit damit beauftragt

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Abb. 15: Wappenstein des Gurker Bischofs Sebastian Graf von Lodron (1630–1643), Lapidarium im Arkadenhof der Straßburg. Aufn. R. Wlattnig

(Abb. 16–17). Der sehr plastisch wirkende Stuckdekor, ein hervorragendes Beispiel für die Übergangsphase vom Knorpelwerkstil zu den rein naturalistischen Ornamentformen der Zeit um 1700, wurde vom landschaftlichen Stuckateur Gabriel Wittini geschaffen. In dem durch ein weit ausladendes Gesims in zwei Zonen geteilten Raum sieht man neben aus- schweifenden Akanthusranken und Girlanden auch einige geflügelte Puttenköpfe. Die gleich- zeitigen Wandmalereien in den stuckgerahmten Feldern und in den Kartuschen stammen vom Klagenfurter Maler Adam Claus, dem Bruder des Bildhauers Johann Claus. Sie zeigen Dar- stellungen aus dem Marienleben, da die Kapelle im späten 17. Jahrhundert zusätzlich ein Marienpatrozinium erhielt, und im Scheitel des Gewölbes die Darstellung des heiligen Geistes. Der Maler hat die christlichen Szenen in schlich- Bestand an Grafiken nach italienischen Vorbil- ter und klarer Zeichnung vor einem hell getönten dern, sodass seine Wandmalereien den damals Landschafts- oder Interieurhintergrund gestellt. besonders starken Einfluss der römischen Claus, der in vielen anderen Kärntner Kirchen Maltraditionen wiedergeben. Vor allem in den und Schlössern oft gemeinsam mit Wittini tätig idealen Landschaftsdarstellungen kommen die war, verfügte offensichtlich über einen großen italienischen Stileinflüsse deutlich zum Ausdruck

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Abb. 16: Sophie von Moro, Innenansicht der Schlosskapelle von Straßburg, 1907, Grisailleaquarell auf Kartonpapier, Museum Moderner Kunst Kärnten. Reproduktion aus Architektonische Bilder aus Kärnten, Bd. II, München, ohne Jahr.

(siehe dazu Eduard Mahlknecht, Die Malerei des Der Porträtierte sitzt in Dreiviertelprofil vor 17. Jahrhunderts, in: Barock in Kärnten, hrsg. von einem neutralen und geschlossenen Hintergrund, Barbara Neubauer-Kienzl, Wilhelm Deuer, seinen eindringlichen Blick hat er dem Betrach- Eduard Mahlknecht, Klagenfurt 2000, S. 114). ter zugewandt. Die etwas müde wirkende Phy- Im Bilderdepot des Rudolfinums befindet sich sio gnomie mit der charakteristisch großen Nase ein wichtiges Porträt des Gurker Bischofs Jo - und hohen Stirn mit schütterem Haupthaar ent- hannes VIII. Kardinal Goess (Inv. Nr. K 286; alte spricht dem fortgeschrittenen Alter des Geist- Inv. Nr. 5626, Maße: 128 x 87 cm), das laut Auf- lichen mit fast 80 Jahren, der in scharlachroter zeichnungen des Geschichtsvereines für Kärnten Kleidung und dem roten Pileolus (Scheitel- eine Schenkung des Klagenfurter Priesters und käppchen) als hoher päpstlicher Würdenträger Publizisten Simon Martin Mayer (1788–1872) dar- wiedergegeben ist. Der innerbildliche Ovalrah- stellt, und das laut einer Inventarnotiz von 1972 men aus Holz, der knapp den Bildrand anschnei- bis 1994 als Leihgabe des Landesmuseums auf det, und die sehr prägnante und ausschnitthafte der Straßburg ausgestellt war (Abb. 18). Das Öl- Darstellungsweise des Kardinals, geben dem ge mälde zeigt den mächtigen Kirchenmann in Porträt einen durchaus repräsentativen Charak - einem Bruststück anlässlich der 1689 auf der ter. In der linken oberen Ecke ist das persönliche Straß burg abgehaltenen päpstlichen Synode. Wappen des Kardinals angebracht. Das Bild ist

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Abb. 17: Details der Barockausstattung mit Akanthusstuck und Fresken in der Kapelle auf Schloss Straßburg aus dem späten 17. Jahrhundert. Aufn. R. Wlattnig

am unteren Bildrand mit einer dreizeiligen weislich im Jahre 1739 geschaffen hat (siehe Legen de ausführlich beschriftet. Diese Porträt - Robert Wlattnig, Josef Ferdinand Fromiller dar stellung von Baron Goess wird heute ver- (1693–1760). Aktueller Forschungsstand und suchsweise dem berühmten Barockmaler Josef Neuankäufe für das Landesmuseum. Eine kunst- Ferdinand Fromiller zugeschrieben, der das Bild - historische Würdigung zum 250. Todesjahr des nis erst posthum rund 50 Jahre nach dem Tod berühmten Kärntner Barockmalers, in: Die Kärnt - des Kardinals in der Zeit um 1740 nach einer älte- ner Landsmannschaft, Heft 5/6, 2010, S. 11–22; ren Vorlage gemalt haben soll. Das lässt sich Josef Ferdinand Fromiller. Barockkunst in Kärn- auch deshalb vermuten, weil der Kirchenfürst ten, Katalog zur Sonderausstellung, hrsg. von hier mit dem ihn umgebenden ovalen Rahmen Friedrich W. Leitner, Klagenfurt 2005, S. 116, Abb. vom ursprünglichen Gemälde dargestellt ist. 8). Johann Freiherr Kardinal von Goess wurde Stilistisch vergleichbar ist das Goess-Porträt mit 1611 in Brüssel geboren und ist am 19. Oktober dem offiziellen Standesporträt des Christoph 1696 in Rom gestorben. Nach seiner militärischen Andreas Graf von Kronegg aus dem Gemäldebe - Laufbahn wurde er Diplomat und stand im stand des Landesmuseums, das Fromiller nach- Dienste von Kaiser Ferdinand III. und Kaiser

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Leopold I., der ihn 1675 zum Bischof von Gurk er- sammlung, die heute unter den Namen „Eben- nannt hat. Im selben Jahr hat man Goess in Wien thaler Manuskripte“ weltweit bekannt ist. Am 26. zum Priester geweiht, im Jahr darauf wurde er und 27. September 2014 fanden im Schloss vom Salzburger Erzbischof Maximilian Gandolf Eben thal ein Symposion und festliche Konzerte von Kuenburg als Johannes VIII. konfirmiert und für Barockmusik statt, die von einem umfangrei- bei den Jesuiten in Wien ins Bischofsamt erho- chen kulturellen Rahmenprogramm begleitet ben. Papst Innozenz XI. verlieh Goess schließlich wurden (Literaturhinweise: Jakob Obersteiner, im Jahre 1686 in Rom die Kardinalswürde. Da Die Bischöfe von Gurk. 1072–1822, in: Aus For- Goess im Dienst des Kaisers blieb und weiterhin schung und Kunst, Band 5, Klagenfurt 1969, S. für diplomatische Missionen eingesetzt wurde, 404–419; Peter G. Tropper, Vom Missionsgebiet hat er seinen Prokurator Johann Stieff von zum Landesbistum. Organisation und Admini - Kränzen, den späteren Propst von Kraig, als stration der katholischen Kirche in Kärnten von Generalvikar und zum Weihbischof, der eigent- Chorbischof Modestus bis zu Bischof Köstner, lich das Bistum verwaltet, bestimmt. Auch in Klagenfurt 1996, S. 204–206; Werner Sabitzer, kirchlichen Angelegenheiten weilte er über län- Adel im Gurktal (18). Offizier, Diplomat und gere Zeit im Ausland, demnach reiste er 1689 zu Kardinal, in: Weitensfelder Kulturbote 4, 2014, S. einem Konklave nach Rom und blieb bis zum 12–16). nächsten Konklave 1691 dort. Bischof Goess, der sich sehr um die innere Reform des Klerus Vom 18. Mai bis zum 31. Oktober 2014 fand an bemühte und auf der Straßburg, die er zu einem verschiedenen Standorten in ganz Kärnten die barocken Fürstensitz ausbauen ließ, alljährlich abteilungsübergreifende Jahresausstellung un- seine Pfarrer aus der Region zu internen Be- se res Landesmuseums statt. Diese sehr innovativ ratungen versammelte, hielt dort vermutlich 1689 gestaltete Sonderpräsentation unter dem Titel seine letzte Gurker Diözesansynode ab. Vor „Museum ist …“ hat in Form von einsehbaren allem im ersten Jahrzehnt seiner Amtstätigkeit Transportkisten verschiedene Module ausge- wurde viel Geld für Sanierungen von Gebäuden, wählter kultur- und naturgeschichtlicher Themen Kirchen und Wirtschaftsbetrieben aufgewendet. zusammengefasst. Aus dem Bestand der kunst- Ab 1695 weilte er in Vertretung des kaiserlichen historischen Abteilung waren in Klagenfurt fol- Hofes in Rom, wo er schließlich 1696 verstarb. gende Objekte zu sehen: Im Kärntner Landes- Der Leichnam des Kardinals wurde in Rom bei- archiv der auch international beachtete Minne- gesetzt, sein Herz hat man jedoch in die Kolle- kästchendeckel aus dem Kloster St. Paul im giatskirche St. Nikolai nach Straßburg überführt. Lavanttal, um 1340–60 (Inv. Nr. K 68); im Mu- Johannes Freiherr von Goess brachte aus den seum Moderner Kunst ein Jugendporträt von Niederlanden, aus der näheren Umgebung seiner Maxi milian Daublebsky Freiherr von Sterneck zu Heimat, Kompositionen mit, die den Grundstein Ehrenstein, um 1846 (Inv. Nr. K 596); im für einen einzigartigen Musikschatz legten und Haupthaus Rudolfinum das posthum 1891 gemal- heute in Schloss Ebenthal bei Klagenfurt am te Ovalbild des Architekten Gustav Gugitz (Inv. Wörthersee, dem Kärntner Stammschloss der Nr. K 47) und eine ganzfigurige Porträtreproduk - Grafen Goess verwahrt werden. Diese Musik- tion vom Diktator des nationalsozialistischen stücke, darunter viele Unikate für Laute, Viola da Regimes Adolf Hitler aus dem Jahre 1933 (Inv. Nr. Gamba, Theorbe und Barockgitarre, stammen K 336). Das Themenmodul „Entdeckung der meist von berühmten Interpreten. Ein zweiter Teil Welt“ im Museum Moderner Kunst wurde der Ebenthaler Musikmanuskripte entstand schwer punktartig dem großartigen militärischen direkt im Schloss durch diverse einheimische Wirken und der ehemaligen Kunst- und Natur - Hauskomponisten und Lehrer der Familie Goess. kundesammlung des Admiral von Sterneck ge - Auch die jüngeren Nachfahren des Baron Goess widmet. So waren z. B. im Inneren der Museums- erweiterten in weiterer Folge diese Musikalien- kiste unter dem kleinformatigen Porträt des

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Abb. 18: Porträt von Kardinal Johannes VIII. Freiherr von Goess anlässlich der auf der Straßburg abgehaltenen päpstlichen Synode im Jahre 1689, posthumes Ölgemälde vermutlich aus der Werkstatt des Josef F. Fromiller, um 1740, LMK. Aufn. K. Allesch

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Admirals auf einem Tisch folgende Bestände aus schlacht von Lissa am 20. Juli 1866 hat ihn das unterschiedlichen Abteilungen des Landesmu- österreichische Kaiserhaus mit der höchsten mili- seums exemplarisch ausgebreitet: Eine histori- tärischen Auszeichnung, dem Maria-Theresien- sche Landkarte mit der Wiedergabe der oberen Orden, geehrt und ihm am 1. Dezember 1868 die Adria, zwei an Sterneck gerichtete Briefe und ein Leitung und Aufsicht über sämtliche Schulschiffe Telegramm des berühmten Wilhelm von Te - der k. k. Marine im Hafen von Pola übertragen. getthoff sowie das aus botanischer Sicht beson- Gemeinsam mit Johann Nepomuk Graf Wilczek ders kostbare in Buchform gebundene Meeres- bereitete er durch eine Erkundungsfahrt ins algen-Herbar, wobei ein herausgenommenes Nördliche Eismeer 1872 außerdem die österrei- Einlageblatt mit fünf Einzelbelegen (zwei Braun - chisch-ungarische Nordpolarexpedition von algen sowie drei Belege von Tieren aus der Julius Payer und Carl Weyprecht vor. Auf Grund Klasse der Hydrozoen) separat zu sehen war. seiner hohen allgemeinen Verdienste ist Sterneck Maximilian Anton Sterneck wurde in einer wohl- am 17. November 1883 sogar zum Marine - habenden Familie am 14. Februar 1829 in der kommandanten des gesamten Seekriegswesens Villacher Vorstadt Nr. 90 in Klagenfurt geboren. der österreichisch-ungarischen Monarchie er- Als Taufpate trat der bekannte Viktringer Tuch - nannt worden. Am 1. November 1888 wurde er fabrikant Anton Ritter von Moro in Erscheinung. zum Admiral befördert und erhielt vom Kaiser Bereits im Jahre 1843 kam der jugendliche Max am 15. September 1897 noch das Großkreuz des von Sterneck in das kaiserlich-königliche Marine- königlich ungarischen St. Stephansordens. Am 5. Kollegium nach Venedig, wo er bis 1847 eine fun- Dezember 1897 ist Maximilian von Sterneck dierte Offiziersausbildung erhielt. In Venedig schließlich überraschend in Wien an einer erlebte Max von Sterneck die Wirren des Revolu - Herzmuskelentzündung verstorben. Sternecks tionsjahres 1848, die mit der Ermordung des Leichnam ist daraufhin laut testamentarischer Kommandanten des Seearsenals während des Verfügung in der von ihm gestifteten katholi- Aufstandes der dortigen Zivilarbeiter einen schen Garnisonskirche in Pola bestattet worden. Höhepunkt fanden. Ende April beziehungsweise Eine Urne mit dem Herz des Admirals kam am 10. Anfang Mai desselben Jahres verstarb sein Vater Dezember 1897 in die Gruft der Kirche St. Ulrich Joseph Freiherr von Sterneck, der von 1834–1848 bei Schloss Krastowitz nordöstlich von Klagen- in Klagenfurt als Landeshauptmann und Präsi- furt (siehe Christian Steeb, Neue For schungs - dent der Stände des Herzogtums Kärnten am- ergebnisse zur Besitzgeschichte des Schlosses tierte (über dessen großzügige Bücherschen- Krastowitz bei Klagenfurt, in: Carinthia I, 204, kungen an das Klagenfurter Museum siehe den Teilband 1, 2014, S. 197ff., besonders S. 203–207; Artikel von Prof. Dr. Claudia Fräss-Ehrfeld, in: Christian Steeb und Tomáš Sterneck, Die Bulletin des Geschichtsvereines für Kärnten, ers- Daublebsky Freiherrn von Sterneck zu Ehren - tes Halbjahr 2015, Klagenfurt 2015, S. 98). Im stein. Zur Genealogie der seit fast zweihundert aktiven Marinedienst an der Adria stieg Maxi- Jahren in Kärnten beheimateten Linie einer böh- milian von Sterneck 1849 schnell zum Linien - mischen Adelsfamilie, Klagenfurt 2011, S. 59ff., schiffs fähnrich und 1859 zum Korvettenkapitän besonders S. 64). auf. Entspannung und Erholung vom anstren- Die wichtigsten archivalischen Unterlagen zur genden und gefährlichen Dienst fand Schiffs- Lebensgeschichte des Maximilian Freiherrn von kommandant Sterneck während dieser Zeit Sterneck befinden sich heute im Österrei- immer wieder in seinem heimatlichen, geliebten chischen Staatsarchiv in der Nottendorfergasse Kärnten, wo ihn seine Mutter und Geschwister im im dritten Bezirk in Wien. Dort sind sämtliche noblen Wohnsitz der Familie in Schloss Krasto- Materialien des ehemaligen Kriegsarchivs und witz bei Klagenfurt liebevoll umsorgten. Auf der Marineabteilung sowie die Personal- und Grund seiner großen Tapferkeit im Krieg gegen Ordensunterlagen erhalten geblieben. Aus dem die italienische Flotte in der siegreichen See- umfangreichen Nachlass des Admirals gelangten

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Abb. 19: Ida von Culoz, Maximilian von Sterneck als Kadett zu Ehrenstein im k. u. k. Marinekollegium von Venedig, Ölbild auf Karton, 1846, LMK. Aufn. K. Allesch

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schon um 1900 die bedeutendsten Objekte in besprechung mit zwei Farbabbildungen in: Ger- das Marinemuseum nach Pola. Aber auch das not Piccottini (Hrsg.), Das Landesmuseum für Heeresgeschichtliche Museum in Wien verwahrt Kärn ten, Klagenfurt 1984, S. 216–219; Erwin einige ausgewählte Sammlungsexponate: So z. Schatz, Ein Leben für die Marine. Maximilian Frei- B. den Marinehut des Admirals, sein 1866 erwor- herr von Sterneck - Der Admiral aus Klagenfurt, benes Ritterkreuz des Maria-Theresien-Ordens Klagenfurt 1997, S. 248ff., wo auch alle verfügba- samt der diesbezüglichen Verleihungsurkunde, ren anderen Sterneck-Erinnerungen aufgelistet ein Porträtgemälde des Klagenfurter Malers und bildlich wiedergegeben werden). In der Michael Oggertschnig (Jg. 1846) sowie die 1895 Möbelsammlung des Landmuseums befindet datierte Porträtbüste der Bildhauerin Melanie sich außerdem ein um 1880 gefertigter großer Horsetzky von Hornthal (1852–1931). Über ein Schreibtisch mit Familienwappen des Admirals, großzügiges Legat der wiederverheirateten Wit - dessen Tischplatte von zwei mächtigen Elefanten we des Admirals, Lydia Baronin von Hammer- getragen wird. Aus diesem umfangreichen Fun- stein (gestorben 1923), sind im Jahre 1911 zum dus erwähnenswert ist etwa auch das vom Glück auch einige persönliche Familienbilder, Wiener Maler Viktor Stauffer (1852–1934) im Briefe, eine Admiralsflagge, diverse Möbel und Auftrag des habsburgischen Hofstaates um 1895 viele andere Gegenstände sowie ausgewählte geschaffene Porträtgemälde, das Sterneck in naturwissenschaftliche Objekte in den Besitz des einem Kniestück als hoch dekorierten Marine- Kärntner Geschichtsvereines gekommen. Ein offizier in seiner Paradeuniform mit Säbel an Groß teil dieser umfangreichen Schenkungen einem Quai stehend zeigt (Öl auf Leinwand, 150 wurde vermutlich kurz danach tatsächlich im 2. x 100 cm, Inv. Nr. K 278). Das leicht unterlebens- Obergeschoss des Landesmuseums Rudolfinum große im realistisch-sachlichen Stil des Historis - im Saal VII als Ausstellungsexponate dem inte- mus gemalte Porträt hat Kaiser Franz Joseph ressierten Klagenfurter Publikum präsentiert anlässlich seines Kondolenzbesuches der Witwe (siehe Führer durch das Museum des Ge- des Admirals zum Geschenk gemacht. Auch das schichts vereines für Kärnten und dessen Monu - viel ältere Ölbild auf Karton, das den jungen mentenhalle im Landesmuseum zu Klagenfurt, 11. Maximilian von Sterneck als Kadett zu Ehrenstein Auflage, Klagenfurt 1927, S. 61 und Führer durch 1846 in Venedig zeigt, kam damals ins Klagen- das Landesmuseum für Kärnten, Klagenfurt 1953, furter Museum (Inv. Nr. K 596, Maße: 30 x 25,5 S. 44). Von den übergebenen Naturalien aus der cm, mit Rahmen: 48 x 43 cm) (Abb. 19). Das klei- Sammlung Sterneck am bekanntesten ist das ne Ölgemälde wird laut rückseitiger Beschriftung Meeresalgen-Herbar, das vor allem Belege aus der Kärntner Malerin Ida von Culoz zugeschrie- den dalmatinischen Gewässern zeigt und im Auf - ben und ist offensichtlich in der Lagunenstadt trag des Admirals zwischen 1855 bis 1863 in gemalt worden. Zugleich mit einem Brief vom 10. Buchform angelegt worden war. Die dort enthal- Juli 1847 an seinen Vater, hatte der junge Max tenen Rot- und Braunalgen bestechen auch nämlich das Porträt mit einem entsprechendem heute noch wegen der enormen Leuchtkraft Kommentar von Venedig aus mit der Post nach ihrer Farben und durch eine ungeheure Vielfalt Hause nach Klagenfurt geschickt. In diesem breit an dekorativen Formen. Dieses wertvolle Herbar- gerahmten Brustbild erscheint der siebzehnjähri- buch ist eine Art Gemeinschaftsarbeit, an der ge Offiziersanwärter in der blauen Sonn- und mehrere naturwissenschaftlich interessierte Feiertagsuniform der Zöglinge des Marinekolle- Sammler, wie etwa der Minoritenpater Pius Titius giums in einem Dreiviertelporträt mit einem aus Piran oder die Botanikerin Maria Cattani aus freund lichen Blick, hoher Stirn und mit Seiten - Split ihren Hauptanteil hatten. Admiral Sterneck scheitel. Die Künstlerin Ida von Culoz wurde ver- selbst entwickelte bei der wissenschaftlichen Zu- mutlich im Jahre 1827 in Klagenfurt geboren und sammenstellung des Herbars lediglich als Mäzen verstarb zu einem unbekannten Zeitpunkt in eine Art koordinierende Tätigkeit (vgl. die Kurz- Laibach. Ihr Vater war als Oberst des k. u. k.

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Infanterieregimentes Graf von Khevenhüller Nr. 7 der bekannt. Eine Spezialität des Künstlers in Kärnten stationiert und stand mit seiner waren seine mit naturwissenschaftlichem Inter - Truppe 1848 und 1859 in Oberitalien in Kampf - esse und im Stil des strengen Historismus ge - einsatz. Ida von Culoz war während ihrer länge- schaffenen Hochgebirgspanoramen, wobei die ren Aufenthalte in Venedig unter dem Pseudo- zentralen Motive sich leicht in der Höhe überstei- nym Claudio nebenbei auch schriftstellerisch gert weitwinkelig im Vordergrund ausbreiten, tätig. Als Malerin künstlerisch ausgebildet wurde während die Berge der Umgebung stark verklei- Ida von Culoz durch Giacomo Antonio Pedrazzi nert wiedergegeben werden. Die Tiefenausdeh - (1810–1879) in Mailand. Sie schuf später vor- nung wird zusätzlich durch Farbabstufungen be - nehmlich Porträts und religiöse Szenen, u. a. im ziehungsweise durch die Darstellung von Dunst Jahre 1843 für die Marienkirche am Benediktiner - und Nebel verunklärt. Gerade Markus Pernhart, platz in Klagenfurt eine Heilige Familie als der es gewohnt war, sachlich detailgetreu und Seitenaltarbild. Ihrer Mailänder Ausbildung ent- realistisch zu zeichnen, schien für dieses Genre sprechend vertrat Culoz mit ihren Kirchenbildern geradezu prädestiniert zu sein. Obwohl die den damals vorherrschenden Stil im retardierten Panoramen in der Regel auf Fernsicht ausgelegt Neobarock. Für ihre weitere künstlerische Ent- sind, malte er diese mit dem Feinpinsel, sodass wicklung waren zwischen 1860 bis 1880 vor man bei den Ortschaften und Häusergruppen im allem die engen persönlichen Kontakte zum Vordergrund auch noch kleinste Dinge erkennen Jüngeren Viktringer Künstlerkreis entscheidend. kann. Ein gutes Beispiel für diese faszinierende Im Jahre 1869 unternahm sie gemeinsam mit Art der Malerei ist z. B. das Gebirgspanorama mit Johanna von Moro eine Studienreise nach Vene - einer Darstellung des bekannten Wallfahrtsortes dig (siehe Robert Wlattnig, Culoz, Ida von, in: von Maria Luschari südwestlich von Tarvis, einer Saur. Allgemeines Künstlerlexikon, Band 23, Mün- kleinen Kärntner Grenzstadt im Kanaltal, die seit chen u. a. 1999, S. 69; Ders., Frauen. Kunst. Kärnt- dem Verlust nach dem Ende des Ersten Welt- ner Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts, in: Die krieges in Italien liegt (Abb. 20). Dieses relativ Brücke 13, 2000, S. 18–19; Dehio-Kärnten, bear- schmale und breitformatige Gemälde aus dem beitet von Gabriele Russwurm-Biró, Wien 2001, Altbestand des Landesmuseums gehörte ur - S. 362). sprünglich zu einem mehrteiligen Bergpano rama und entstand um 1860 (Maße: 59 x 144 cm, Inv. Die Entwicklung der bildenden Kunst des 19. Nr. K 219). Es zeigt den Blick vom Luschariberg Jahrhunderts im Herzogtum Kärnten ist in der aus nach Osten ins Dreiländereck mit der Landeshauptstadt Klagenfurt sehr eng mit dem Mangartspitze in den Karawanken in Slowenien sogenannten Viktringer Künstlerkreis verbunden. sowie mit dem Dobratschmassiv und Villacher Als Begründer der Kärntner Landschaftsmalerei Becken im Norden auf der österreichischen Seite. des Biedermeier gilt Eduard von Moro (1790– Im Original präsentiert wurde das in topographi- 1846), der in den Sommermonaten zahlreiche scher Hinsicht interessante Gemälde als Teil einer akademisch ausgebildete Künstler zu Studien- umfangreicheren Leihgabe aus dem Kunstbesitz und Lehrzwecken in sein Schloss nach Viktring des Landes Kärnten zuletzt vom 26. Juni bis 31. südlich von Klagenfurt eingeladen hat. Sein eif- August 2014 bei einer Sonderausstellung anläss- rigster Schüler war der aus dem zweisprachigen lich des 140-Jahr-Jubiläums des regionalen Kärntner Unterland stammende Markus Pernhart Alpenvereins im Wolfsberger Schloss (siehe die (1824–1871), der mit finanzieller Unterstützung Besprechung von Gerlinde Schager, Kunstaus- der Familie Moro in den Jahren 1846 und 1848 stellung zum Jubiläum, in: Kronen Zeitung, Son- sogar die Kunstakademie in München besuchen der teil Unterkärnten Extra, 5. Juli 2014, S. 48; zur konnte. In seiner Hauptschaffensperiode um Bilddokumentation vlg. den 10 Jahre alten 1850–1860 wurde Pernhart vor allem durch seine Ausstellungskatalog, Markus Pernhart. Land- spätromantischen Burgen- und Landschafts bil- schaft und Gesellschaft, hrsg. von Friedrich W.

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Leitner, Klagenfurt 2004, Kat. Nr. 65, Abb. 59). den vielen Studienfahrten während der Sommer- Über die ereignisreiche Geschichte des Wall- frische in Stift Viktring nachhaltig geprägt. Nach fahrts ortes am Monte Santo di Lussari auf 1766 einer missglückten kurzen Ehe mit einem ungari- Meter Seehöhe mit der seit der Mitte des 14. schen Adeligen kehrte Sophie von Moro 1869 Jahrhunderts bezeugten Marienkirche informiert nach Viktring zurück und freundete sich mit dem ein neues und vielfach preisgekröntes Buch von Klagenfurter Zeichenlehrer Ignatz Preisegger Michael Kopetz, Pilgern ohne Grenzen. 24 Tages - (1824–1881) an, der sie in die Technik der ausflüge zu Wallfahrtskirchen in Friaul, Kärnten Aquarellmalerei einführte. 1873 lernte sie den von und Slowenien, S. 50ff., das im Verlag der Galerie ihrem Vater sehr geförderten akademischen Magnet in Völkermarkt im Jahr 2013 erschienen Maler Ludwig Willroider (1845–1910) aus Villach ist. Am Pfingstsonntag, dem 8. Juni 2014, wurde kennen, mit dem sie fortan eine lebenslange und von Professor Wilfried Magnet sogar ein eigener auch persönliche Freundschaft pflegte, und der Pilgerausflug auf den Monte Lussari mit Pilger- ihre weitere künstlerische Laufbahn wesentlich messe in drei Sprachen und anschließender mit beeinflussen sollte. Bei gemeinsamen Exkur- Buchsegnung und Signierstunde durch den sio nen vorwiegend im Frühjahr und Sommer Autor organisiert. An dieser Stelle muss erwähnt dokumentierte das Künstlerpaar jede Verände- werden, dass auch noch viele andere Pilgerwege rung der Kärntner Landschaft und ihrer histori- aus Salzburg, der Steiermark und Kärnten auf schen Monumente und Denkmäler. Sophie dürfte den Luschariberg führen, so z. B. marschieren von Ludwig Willroider dabei immer wieder ent- seit über 100 Jahren zu Pfingsten die Wallfahrer scheidende kompositorische und maltechnische aus Metnitz zu Fuß über mehrere Tage zur Anregungen erhalten haben. Vor allem ihre idyl- Lussari-Kirche (siehe Karl und Fritzi Lukan, lischen Ortsansichten und Gebäudestudien rund Kärnten. Verborgenes-Seltsames-Unbekanntes, um das Stift Viktring aus dieser frühen Schaf - Wien 2001, S. 75ff.; vgl. dazu den aktuellen fensperiode zeigen schon die neue Richtung Zeitungs bericht von Christina N. Kogler, Mit einer sehr gefühlsbetonten und subjektiv gefärb- Tantes Rosenkranz, in: Kronen Zeitung, Kärnten ten spätimpressionistischen Kunstauffassung, Ausgabe, 15. Juli 2014, S. 46–47). der sie Zeit ihres Lebens treu blieb. Den moder- Als zentrale Persönlichkeit innerhalb der Jün - nen Stilströmungen und Modeerscheinungen geren Viktringer Malerschule trat im letzten nach 1900 hat sie sich hingegen beharrlich Drittel des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des widersetzt. Professor Ludwig und sein älterer 20. Jahrhunderts vor allem Sophie von Moro in Bruder Josef Willroider (1838–1915) halfen Sophie Erscheinung. Sie wurde am 8. Februar 1844 in von Moro auch bei der Konzeption und Viktring als älteste der drei Töchter von Max und Ausführung der zwischen 1905 und 1914 von ihr Caroline von Moro geboren und verstarb ebenda in München im Verlag Meisenbach Riffarth & Co. am 20. September 1915. Gemeinsam mit ihren herausgegebenen vierbändigen Ansichtenserie Schwestern Hermine (1846–1860) und der eben- „Architektonische Bilder aus Kärnten“, eine falls erfolgreich künstlerisch tätigen Johanna Grisailleaquarellfolge von historisch bedeuten- (1849–1925) genoss sie in der wohlhabenden den Ortschaften, Klöstern, Kirchen, Burgen und Industriellen- und Mäzenatenfamilie Moro eine Schlössern, die sich an der um 1850/60 entstan- musisch-humanistische Erziehung und konnte denen älteren Zeichenkunst von Markus Pernhart schon sehr früh ihren künstlerischen Neigungen orientierte. Im Gegensatz zu Pernhart wählte nachgehen. Den ersten Zeichen- und Malunter- Sophie von Moro aber kaum Gesamtansichten richt erhielt sie als Kind von ihrer eigenen Mutter von Gebäuden, sondern konzentrierte sich auf und durch Markus Pernhart. Ihr bereits in der stimmungsvolle Ausschnitte und architektoni- Jugendzeit voll entwickeltes großes Talent für sche Glanzpunkte wie Portalanlagen, Arkaden- die Landschafts- und Architekturzeichnung höfe, Innenansichten von Kapellen und Vorhallen. wurde sicherlich vom regen Künstlerbesuch und Bemerkenswert ist weiters die Wahl der Technik,

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da Sophie auch die Vorstudien zu ihren topgra- Landesmuseum neu erworbenen Blatt identisch phischen Ansichten nicht immer detailgetreu mit (Literaturhinweise in chronologischer Reihen - spitzem Bleistift festhielt, sondern sie bevorzug- folge: Dieter Pleschiutschnig, Der Viktringer te in der Regel fragmenthafte Skizzen in Künstlerkreis. 4. Sophie von Moro, in: Die Tuschezeichnung und mit Kohle. Oft malte sie Kärntner Landsmannschaft, Heft 5, 1976, S. 6–7; vor Ort direkt in Aquarellfarben und hier nur in Ders., Sophie von Moro (1844–1915). Architekto - Grautönen, die sie lediglich mit einigen Weiß- nische Bilder aus Kärnten, Ausstellungskatalog höhungen belebte. An einigen prominenten und der Galerie am Lendhafen, Klagenfurt 1990, vgl. zentralen Geschichtsstätten wie in Gurk war die Gurker Motive auf den Seiten 22–24; Robert Sophie vom Sommer 1910 bis zum Herbst 1912 in Wlattnig, Die Jüngere Viktringer Malerschule, in: Begleitung von Familienmitgliedern und Freun- Die Kärntner Landsmannschaft, Heft 12, 1995, S. den sicherlich mehrmals zu Dokumenta tions- 33-35; Ute Liepold, Kärnten weiblich. 150 Frauen; zwecken tätig und hat ihre zahlreichen Vor- Kurzporträts, Klagenfurt 2011, S. 43). studien zu einzelnen Motiven offensichtlich bei unterschiedlichen Tageszeiten und dadurch Zu einer völligen Erneuerung der Kunst kam es immer mit veränderten Lichtverhältnissen durch- um die Jahrhundertwende als sich in der Wiener geführt. Ungefähr in diesem Zeitraum entstand Metropole der Jugendstil allgemein durchzuset- auch jener von Direktor Mag. Thomas Jerger bei zen begann. Die in Kärnten verbliebenen jungen einer öffentlichen Auktion im Klagenfurter Künstler bildeten zunächst die Vereinigung Dorotheum am 3. Dezember 2014 zu einem sehr „Jung-Kärnten“, aus der sich 1907 in Klagenfurt günstigen Rufpreis von 1500.- Euro ersteigerte bald ein eigener Kunstverein formierte. In Erman- Originalentwurf der Sophie von Moro, der das gelung eines geeigneten Ausstellunghauses prächtige Westportal im Gurker Dom zeigt (Abb. wollte man ein entsprechendes Gebäude zu- 2, vgl. Abb. 16) (Versteigerung, Dorotheum nächst in der Nähe des Landesmuseums an der Klagenfurt, Lot Nr. 2: Aquarell auf Kartonpapier; damals noch unverbauten Ecke Bahnhofstraße - Blattmaße: 60,6 x 52-52,4 cm - Ausschnitt: 58,5 Viktringer Ring errichten. Später einigte man sich x 51,5 cm; ohne Signatur und Datierung; Inv. Nr. K nach einigen Diskussionen auf einen Bauplatz in 724). Diese Neuerwerbung war vor allem deshalb der Reitschulgasse gegenüber dem 1905 neu wichtig, da sich bis auf das hier reproduzierte angelegten Schillerpark, wo die Radetzkystraße Blatt sämtliche Hauptansichten des Gurker in den Villacher Ring mündet (Abb. 21). Bereits Domes der Künstlerin wie z. B. die Chorapsiden, im Jahre 1910 wurde ein Architektenwettbewerb das Querhaus, die mit Fresken vollständig beschlossen und für ganz Österreich ausge- bemalte Kapelle in der Westempore bereits seit schrieben. 64 Entwürfe langten ein, das preisge- Jahrzehnten im Besitz des Museums Moderner krönte Projekt erwies sich aber als zu teuer. Es Kunst Kärnten befinden (Inv. Nrr. LG 128–131; vgl. kam zu einem neuen, eingeschränkten Wettbe- dazu die Wiedergabe sämtlicher im Besitz des werb und ein gebürtiger Wiener, der in Villach an Landes Kärnten befindlicher Motive aus Gurk in der Staatsgewerbeschule lehrende Architekt der großformatigen Publikation „Architektoni - Franz Baumgartner, bekam schließlich den sche Bilder aus Kärnten“, Band IV, München, mit Auftrag. Der Kostenvoranschlag für das Künstler- einem Vorwort der Sophie von Moro datiert mit haus nannte eine stolze Bausumme von rund „Juni 1914“ und Widmung an ihre Schwester 70.000 Kronen (in heutiger Währung zirka Gräfin Johanna von Morozzo-Moro. Jene in die- 275.000.- Euro), wobei die Stadt Klagenfurt sem Band abgedruckte und voll signierte zusätzlich den Baugrund stiftete. 45.000.- Kro- Aquarellvariante der Westportalvorhalle zeigt nen sollten die Kärntner Sparkasse und private zwar einen ähnlichen Ausschnitt von derselben Förderer vorstrecken, den Rest hoffte der Ansicht mit Blick auf das romanische Säulen- Kunstverein durch weitere Spenden aufzubrin- portal nach Osten, ist aber nicht mit dem vom gen. Die Arbeiten am Bauwerk schritten zügig

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voran, sodass der Begründer und erste Vereins- rige Herbert Boeckl als Autodidakt. Ernst präsident Ferdinand Freiherr von Helldorff am 1. Riederer erhielt für die hohe Qualität seiner August des Jahres 1914 das Künstlerhaus mit Werke bei dieser Gelegenheit von der Aus - einer repräsentativen Ausstellung eröffnen konn- stellungsjury eine Goldene, Sebastian Isepp aus te. Die wichtigsten Kärntner Maler der damaligen Nötsch bekam die Silberne Medaille verliehen. Zeit waren bei der Vernissage vollzählig vertre- Für diese offizielle Eröffnungsfeier war Anfang ten, u. a. Gilbert von Canal, Josef Willroider, An- August in Klagenfurt aber kein hochrangiges ton Gregoritsch, aber auch der erst zwanzigjäh- Mitglied des österreichischen Kaiserhauses ver-

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Abb. 20: Markus Pernhart (1824–1871), Gebirgspanorama mit der Wallfahrtskirche von Maria Luschari bei Tarvis, Ölgemälde, um 1860, LMK. Aufn. K. Allesch

fügbar, da es unmittelbar davor am 28. Juli 1914 ler haus Klagenfurt 1986). Die heute zum Großteil zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam im Kärntner Landesarchiv aufbewahrten Vorent- (siehe Friedrich Achleitner, Moderne - noch auf- würfe Baumgartners zum Bau des Klagenfurter zuarbeitende Kärntner Jugendstil-Architektur, in: Künstlerhauses aus dem Jahre 1913 erinnern Die Brücke. Kärntner Kulturzeitschrift, 7. Jg., H. 1, durchaus noch an die Wiener Schule Otto Wag- 1981, S. 28ff.; Ulrich Harb, Architekt Franz Baum- ners (Abb. 22). Der Jugendstil ist hier allerdings gartner (1876–1946), Ausstellungskatalog, Künst- bereits eine Synthese mit der regionalromanti-

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schen Heimatschutzbewegung eingegangen, ohne jedoch ins Provinzielle abzusinken. Be- sonders auffallend für die architektonische Außenwirkung des Prachtbaues sind das mehr- mals leicht abgestufte Mansardendach mit der bekrönenden zierlichen Laterne und die noch ganz vom Jugendstil geprägten Fensterteilun - gen. In der Mitte der monumentalisierten Portal- front tragen zwei Dreiviertelsäulen einen ge- schwungenen Giebel, in dem ursprünglich fol- gende offizielle Gebäudebezeichnung in Block- buchstaben zentral angebracht war: KUNSTVER- EIN F. KÄRNTEN. Das im Stil des Neobarock oval geschwungene Foyer dient zur Erschließung der weiteren Räume. Mittig ober dem Eingangsbe - reich zur großen Ausstellunghalle ist ein Stein - relief mit einer halbfigürlichen Darstellung der Pallas Athene, der Schutzpatronin der Weisheit und der schönen Künste, angebracht, das dem Kärntner Künstler Friedrich Gornik (1877–1943) zugeschrieben wird. Gestalterische und künstle- rische Details, vom Terrazzoboden über die Metallbehandlung bis zu den Tischler- Glas- und Stuckarbeiten, sollten das gesamte Haus zum Ausdruck einer gehobenen Bauhandwerkskultur machen. Tatsächlich wurden für die eigentliche Bauausführung vor Ort fast ausschließlich einhei- mische Betriebe beschäftigt. Das Klagenfurter Künstlerhaus zählt heute zweifellos noch immer zu den schönsten spätsezessionistischen Bauten Kärntens (siehe: Elisabeth Reichmann-Endres, Der Zeit ihre Kunst. Eine Skizze zur Bildenden Kunst um 1900 in Kärnten, in: Claudia Fräss- Ehrfeld, Lebenschancen in Kärnten 1900–2000 - Ein Vergleich, Klagenfurt 1999, S. 361–368, besonders S. 362 und 365–366; vgl. auch Robert Wlattnig, Global-Lokal oder Flucht in die Distanz.

Abb. 21: Ausstellungsgebäude des Kunstvereins für Kärnten im Goethepark am Villacher-Ring in Klagenfurt. Aufn. R. Wlattnig

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Künstlerschicksale zwischen Provinz und Metro- Privatvillen in Velden und Pörtschach am pole. Ein Beitrag zur bildenden Kunst und Archi- Wörthersee. In jüngster Zeit sind viele Bauten tek tur des 20. Jahrhunderts in Kärnten, in: Clau- Baumgartners mit Recht unter staatlichen dia Fräss-Ehrfeld und Helmut Rumpler (Hrsg.), Denkmalschutz gestellt worden (Literaturhin- Kärnten und Wien. Zwischen Staatsidee und weise: Friedrich Achleitner, Österreichische Lan des bewusstsein. Teilprojekt der Forschungs- Architektur im 20. Jahrhundert, Bd. II: Kärnten, initiative „Kärnten und die nationale Frage in Steiermark, Burgenland. Salzburg-Wien 1983; Kärnten”, Stefan Karner (Hrsg.), Bd. 4, Klagenfurt Peter H. Schurz, Die Architektur am Wörthersee 2005, S. 268–269). Professor Franz Baumgartner in Kärnten. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahr- (1876–1946) hat im Laufe seines schaffensreichen hunderts bis heute, phil. Diss. Graz 1983; Christian Lebens allein in Kärnten über 100 Wohngebäude, Brugger, Karin Leitner-Ruhe und Gottfried Hotelbauten, Schulen, Kirchen, Seehäuser, Bade- Biedermann, Moderne in Kärnten, Wien-Graz- anstalten, Gemeindeämter und Kraftwerke ge- Klagenfurt 2009, S. 66ff., 90ff.). plant und zum Teil auch die Inneneinrichtung Das 100-Jahr-Jubiläum des Klagenfurter Künst- dazu konzipiert. Der gebürtige Wiener studierte ler hauses hat der Kunstverein für Kärnten gegen an der Akademie der Bildenden Künste am Jahresende 2014 unter dem vom heimischen Schillerplatz und machte sein Praktikum im Büro Maler und Grafiker Reimo Wukounig (Jg. 1943) von Fellner und Helmer. 1906–1911 wirkte Baum- beigesteuerten Motto „Vom Kopf zur Hand …“ mit gartner zunächst als Fachlehrer für Gebäude - einem wissenschaftlichen Symposium, einer ein- kunde und Zeichnen an der Handwerkerschule in drucksvollen Mitgliederausstellung und am 20. Klagenfurt und ab 1912 an der Staats gewerbe- November 2014 mit einem großen Festakt unter schule in Villach. 1930 wurde er sogar zum Anwesenheit des Landeshauptmannes Dr. Peter Direktor der zur Bundeslehranstalt für Bau- und Kaiser und des Kulturreferenten DI Christian Kunstgewerbe und Frauenberufe umgebildeten Benger würdig gefeiert. Der gemeinnützig tätige Schule ernannt. Baumgartners eigenwilliger Vereinsvorstand hat sich bei dieser Gelegenheit Baustil wurzelt in der Spätphase des romanti- auch dazu entschlossen, einen 422 Seiten star- schen Historismus und in der Tradition der engli- ken Jubiläumskatalog mit einem aktuellen schen Landhausarchitektur. Er hatte eine gewis- Mitgliederverzeichnis der 206 zeitgenössischen se Vorliebe für die kombinierte Anwendung von Künstlerinnen und Künstler von A–Z sowie mit Bauelementen verschiedenster Epochen, die in vorangestellten kurzen historischen Beiträgen der Gesamtwirkung einen uneinheitlichen eklek- von Dipl. Ing. Eckhard Küttler, Karl Vouk und tischen Baustil ergaben. Baumgartner kreierte in Irmgard Bohunovsky-Bärnthaler herauszubrin- weiterer Folge eine lokale Variante des soge- gen (siehe 100 Jahre Künstlerhaus Klagenfurt, nannten Heimatstils und der Nationalromantik Klagenfurt/Celovec November 2014). Das Künst - und befriedigte damit den provinziellen Ge - lerhaus wurde vor allem in den letzten Jahr- schmack seiner Auftraggeber. Durch seinen zehnten seinem Namen auch dadurch gerecht, eigenwilligen und lokal geprägten Individualstil dass es nicht nur bildenden Künstlern zugänglich wurde Baumgartner zum erklärten Gegner der war, sondern immer eine lebendige Plattform für globalen Industrialisierung in der Bauwirtschaft viele andere Kunstsparten darstellte, wo Theater- und zum Inspirator der sogenannten Wörther - und Ballettaufführungen, Lesungen und Musik- see-Architektur, die allgemein als Kärntens einzi- dar bietungen, aber auch kulturpolitische Dis- ger großer Beitrag zur Architekturgeschichte kussionen stattfanden. Ein besonderes Anliegen Österreichs in der ersten Hälfte des 20. sind für den Kunstverein vor allem die zahlrei- Jahrhunderts gilt. Zu seinen wichtigsten Bauten chen grenzüberschreitenden Ausstellungspro- zählen das Stauderhaus und das Gutenberghaus jek te mit den Nachbarländern Slowenien und Ita- in Klagenfurt, das Grand Hotel in Bled lien. Im Gegensatz zu allen anderen vergleichba- (Slowenien) und die vielen Hotelbauten und ren Institutionen in Österreich wird das Klagen-

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Abb. 22: Franz Baumgartner (1876–1946), Planentwurf der Seiten- und Rückansicht zum Bau des Künstlerhauses in Klagenfurt, 1913, Kärntner Landesarchiv. Aufn. R. Wlattnig

furter Künstlerhaus mit relativ geringen finanziel- Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor 100 len Mitteln von den Kulturschaffenden noch Jahren hat wie kaum ein anderes historisches selbst verwaltet. Entsprechend positiv gesinnt Ereignis zuvor im Jahre 2014 die internationale waren auch die offiziellen Grußbotschaften, Medienlandschaft dominiert. Diese Urkatastro- Glückwünsche und Berichte in den lokalen phe des 20. Jahrhunderts mit rund 17 Millionen Kulturzeitschriften und Zeitungen (vgl. Die Toten, die schließlich zum völligen Zerfall und zur Brücke. Kärnten-Kunst-Kultur 159/160, Dezem - Auflösung der k. u. k. Monarchie führte, wurde in ber 2014, S. 14; Klagenfurt. Die Stadtzeitung mit ganz Europa vor allem in der universitären und amtlichen Nachrichten Nr. 20, 3. Dezember 1914, musealen Forschung behandelt. In Österreich S. 40 (1056); Sonntag. Kirchenzeitung-Katho- konnten zu dieser Thematik termingerecht meh- lische Kirche Kärnten Nr. 50, 14. Dezember 2014, rere Großprojekte in Wien, in den Landeshaupt- S. 22–23). städten und auf der Schallaburg in Niederöster- reich verwirklicht werden, aber auch viele kleine

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Bezirks- und Stadtmuseen haben in Sonderaus - stützung durch das Heeresgeschichtliche Muse- stellungen das Thema gerne aufgegriffen. Es um in Wien eine eigene Sonderausstellung auf- würde hier zu weit führen, wenn man versuchen gebaut, die 2014 unter dem Motto „1914 – Der würde, die vielen unterschiedlichen historischen Anfang vom Ende“ stand (siehe die Zeitschrift Schwerpunktsetzungen in den einzelnen Bun- „Der Dolomitenfreund Nr. 1, 2014, S. 12–15). Das desländern aufzuzählen und ausgewogen zu Museum im Lavanthaus in Wolfsberg zeigte von kommentieren, weshalb wir uns bei folgenden Mitte April bis Ende Oktober als Teil einer größe- Ausführungen auf die wichtigsten Kärntner ren Ausstellung über die Lagerstadt Wolfsberg Schauplätze und Beiträge konzentrieren wollen vor allem historische Fotografien des sogenann- (siehe für alle übrigen Sonderausstellungen „Das ten Ruthenenlagers in Reding, wo zwischen 1914 Museum und der Große Krieg“ mit einem und 1917 bis zu 7.500 Kriegsflüchtlinge aus Kalendarium und unterschiedlichen Textbeiträge Galizien und der Bukowina untergebracht waren. in: Neues Museum. Die österreichische Museums- Eine ganz andere neuartige Form der Ge - zeitschrift 2/3, Juni 2014, Graz 2014, S. 8–77). Mit schichtsbewältigung fand hingegen vom 28. Juli einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen bis 4. Oktober unter dem Ausstellungstitel „Slow! setzte auch das Amt der Kärntner Landesre- Erster Weltkrieg Dada“ im neu gegründeten gierung einen speziellen Erinnerungsschwer- Museum am Bach in einer ehemaligen Mühle im punkt zum Gedenkjahr 1914/2014. So wurde z. B. Lippitzgraben bei Ruden statt. Es handelt sich vom Volksgruppenbüro am 29. September im dabei um ein Systemkundemuseum, das sozial- Konzerthaus Klagenfurt eine Podiumsdiskussion geschichtliche Utopien und Lebensmodelle sam- über die politische und kulturelle Entwicklung melt und künstlerisch beziehungsweise multiper- des Balkanraumes abgehalten und im Verwal- spektivisch erforscht. In der Landeshauptstadt tungszentrum konnte eine Fotoausstellung mit Klagenfurt am Wörthersee kam es auf dem Werken von Raimund Stillfried und Max Au- Ausstellungssektor im Zusammenhang mit dem fischer eröffnet werden. Am 30. September fand Weltkriegsgedenkjahr ebenfalls zu einigen im Kärntner Landesarchiv außerdem eine histori- zusätzlichen und nachhaltigen Aktivitäten: So sche Gedenkenquete unter dem Leitspruch hat z. B. die Kammer für Arbeiter und Ange- „Vergangenheit verstehen – Zukunft gestalten“ stellte für Kärnten im Bildungsforum ihres Haupt- statt. Der XXV. Europäische Volksgruppen kon - gebäudes am Bahnhofplatz 3 von Juli bis gress ging diesmal am 1. Oktober 2014 im Casi- November 2014 eine kleine Wanderausstellung neum Velden über die Bühne (vgl. den Aufsatz mit der Bezeichnung „1914. Frauen im Ersten von Peter Karpf und Werner Platzer im Son - Weltkrieg“ präsentiert, wobei die gleichnamige derheft „Zeit des Erinnerns“ der Kärntner und reich bebilderte Broschüre im Umfang von Kulturzeitschrift Die Brücke. Kärnten-Kunst- 18 Seiten auch vom Frauenreferat der Landes- Kultur, Nr. 155/156, August/September 2014, S. regierung mitfinanziert wurde. Vom 8. Sep- 21). Den größten Informationsgehalt und das tember bis 2. November wurde im Museum meiste Originalmaterial zum Thema Erster Moderner Kunst in Klagenfurt das internationale Weltkrieg vermittelt in Kärnten seit Jahrzehnten Kunstprojekt „SHARE - Too Much History. MORE das Friedensmuseum „1915–18. Vom Ortler bis zur Future“ der Kunstsektion des Bundeskanzler- Adria“ im Rathaus von Kötschach-Mauthen, an amtes Wien vorgestellt, das u. a. auch in Sara- das auch ein Freilichtmuseum des Gebirgskrie - jevo, Belgrad, Zagreb, Ljubljana, Wien, Mons und ges 1915–1917 am Plöckenpass mit rekonstruier- Straßburg Station macht. Die Ausstellung ten Weg- und Stellungsanlagen und Mann - umfasst zeitgenössische Videoarbeiten von schafts baracken angegliedert ist. Jedes Jahr Künstlerinnen und Künstlern aus Bosnien-Herze- wird von Anfang Mai bis Mitte Oktober mit zahl- gowina und Österreich, die auf unterschiedliche reichen ehrenamtlichen Mitarbeitern des Ver- Weise persönliche und kollektive Erinnerungen eines der Dolomitenfreunde und mit Unter- thematisieren und Fragen nach Vergangenheit,

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Gegenwart und Zukunft formulieren. Der blikationen und eine Soldatenuniform aus dem Kärntner Landesverband des Österreichischen Bestand des Landesmuseums ausgestellt. Ge- Kameradschaftsbundes hat vom 1. bis 9. Oktober meinsam mit der Abteilung für Landesge- 2014 im Klagenfurter Landesarchiv eine sehens- schichte sind im Laufe des Kalenderjahres 2014 werte Ausstellung mit rund 250 Exponaten auch einige Schülergruppen bei Projektarbeiten gezeigt. Neben eindrucksvollen Fotos und Pro- für den öffentlichen Wettbewerb der Kleinen pa gandamaterial waren auch viele Gegenstände Zeitung anlässlich des Weltkriegsjubiläums mit des soldatischen Alltags in Stellungen und Literaturhinweisen und Bildmaterial betreut wor- Kavernen aus Privatbesitz zu sehen. Der Ge - den. Die besten Schulprojekte mit den von den schichtsverein für Kärnten konnte schließlich am Schülern selbst aufgezeichneten „Geschichten 3. Dezember 2014 zur Eröffnung einer großen zum Ersten Weltkrieg“ sind dann anschließend in Ausstellung über Propaganda- und Kriegsgrafik einer Jury bewertet und vom 13. Juni bis 31. in das Klagenfurter Landesarchiv laden, wo man Oktober im zweiten Stock des Landesmuseums das neue von Erik Eybl und Stephan Knott ge- Rudolfinum präsentiert worden (siehe den staltete Buch „Krieg an der Wand. Der Erste detaillierten Bericht von Thomas Macher, Wenn Weltkrieg im Spiegel der Plakate“ erstmals Schüler vom Krieg erzählen, in: Kleine Zeitung, öffentlich vorgestellt hat (siehe Bulletin des 14. Juni 2014, S. 29). Eine besondere Unterstüt- Geschichtsvereins für Kärnten, zweites Halbjahr zung seitens der kunsthistorischen Abteilung des 2014, S. 40, vgl. zur Weltkriegsthematik auch S. Landesmuseums erhielt dabei ein Projektteam 70ff.; Erik Eybl, Der Krieg der Bilder, in: Zeitreise der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Österreich. Menschen-Gesellschaft-Geschichte, Mössingerstraße in Klagenfurt, indem man für Sonderausgabe „Der Erste Weltkrieg“, Wien eine Schulausstellung über den Ersten Weltkrieg 2014, S. 52–54). Auch im Landesmuseum Rudol - das sehr bekannte Bildmotiv mit der Darstellung finum sind die verschiedenen geisteswissen- der Vision von Kaiser Franz Joseph aus der Zeit schaftlichen Fachabteilungen im Weltkriegs- als Fotoreproduktion zur Verfügung stellte. Das Gedenkjahr 2014 nicht untätig gewesen, aller- Originalgemälde ist rechts unten mit „Fec. Kais. dings musste man alle Aktivitäten wegen der Rat Charles Scolik Wien VIII 1914“ voll signiert laufenden Generalsanierung des Haupthauses an und datiert und trägt an dieser Stelle zusätzlich die beschränkten räumlichen und logistischen den Vermerk: „Jede Art Vervielfältigung verbo- Begebenheiten anpassen. In der Aula des Rudol- ten“ (Abb. 23) (Öl auf Leinwand, Maße: 114 x 74 fi nums in der Museumgasse fand am 5. Februar cm, Inv. Nr. K 302). Diese Angaben sind aller- 2014 um 18 Uhr eine sehr gut besuchte Buch - dings im Detail etwas irreführend, da Charles präsentation des Kärntner Schriftstellers Janko Scolik in der kunstwissenschaftlichen Forschung Ferk statt, wobei der Autor auch selbst aus sei- nicht als ausgebildeter Maler, sondern ab 1892 nem neuesten Werk „Der Kaiser schickt Soldaten lediglich als k. u. k. Hofphotograph überliefert ist. aus. Ein Sarajevo-Roman“ Textteile vorgetragen Wir gehen also von der berechtigten Annahme hat. Auf der Basis von Originalquellen konnte der aus, dass Scolik hier kurz nach dem Kriegs- Literaturwissenschaftler und Jurist die dramati- ausbruch im Sommer 1914 einen unbekannten schen Ereignisse am 28. Juni 1914, dem Tag des Maler damit beauftragt hat, eine etwas ältere Attentates auf den österreichischen Thronfolger Originalfotografie von seiner Hand, die er vom Franz Ferdinand, detailgetreu nacherzählen. Um Kaiser vermutlich während einer Fronleichnam - den Hintergrund der Lesung etwas lebendiger zu sprozession gemacht hat, mit einer fiktiven gestalten, haben wir in der Aula kurzfristig in Kriegsdarstellung zu Propagandazwecken in Vitrinen und auf einer Staffelei einige bekannte einem Gemälde zu verbinden. Da Scolik über die Bilder aus der Zeit des Ersten Weltkrieges mit alleinigen Urheberrechte der Fotografie verfügte einer Kaiser Franz Joseph-Darstellung und und offensichtlich auch die kreative Idee zur Kampfszenen, zeitgenössische Weltkriegspu- Umsetzung dieser Bildidee hatte, konnte er mit

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Abb. 23: Kaisers Franz Joseph im Gebet für die verbündeten Armeen. Vision und Allegorie auf den Ersten Weltkrieg, Ölge- mälde nach einer Fotografie von Charles Scolik, 1914, LMK. Aufn. K. Allesch

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Recht das Vervielfältigungsrecht dann für sich Betschemel ist damals z. B. auch in ganz kleinem alleine beanspruchen ohne den eigentlichen Format zu einem Emailmedaillon umgearbeitet Maler des Gemäldes namentlich zu nennen. Es ist worden, das man auf einer Kette ständig bei sich aber in diesem Zusammenhang nicht gänzlich tragen konnte (siehe den Ausstellungskatalog, auszuschließen, dass Scolik als Autodidakt selbst An meine Völker. Der erste Weltkrieg 1914–1918, den Pinsel führte oder bei der Ausführung viel- hrsg. von Manfried Rauchensteiner, Prunksaal leicht gemeinsam mit einem Malergehilfen in der der Österreichischen Nationalbibliothek 13. März Werkstatt bei diesem Bild an einigen Passagen bis 2. November 2014, Wien 2014, Kat. Nrr. 6.4 selbst Hand angelegt hat. Auf dem in feiner und 6.7). Charles Scolik wurde am 16. März 1854 Ölmalerei ausgeführten Gemälde wird der alte in Wien geboren und ist in der Bundes haupt- österreichische Kaiser Franz Joseph I. (1830– stadt am 1. Juni 1928 verstorben. Nach seiner 1916) im Gebet versunken auf einem Betschemel Aus bildung ab 1867 beim Fotografen Carl kniend wiedergegeben. Der Kaiser trägt hier die Wrabetz und beim Chemiker Emil Hornig über- Galauniform eines k. u. k. Feldmarschalls in deut- nahm er 1876 das Atelier von F. Kohler in Wien. scher Adjustierung. In den dunklen Wolken über Scolik führte das Studio eine Zeitlang unter der seinem Haupt ist als alptraumhafte Vision allego- Bezeichnung „Atelier Amelie“ weiter, ging dann risch eine große Schlacht des Ersten Weltkrieges aber als Operateur zu dem damals sehr bekann- angedeutet, wobei neben der deutschen und ten Fotografen Carl Kroh. 1885–1888 betrieb er österreichisch-ungarischen Infanterie jeweils mit gemeinsam mit Friedrich Mallmann ein „Photo- ihren stilisierten Kriegsflaggen auch Kanonen che misches Versuchs-Laboratorium“, 1886 grün- zum Einsatz kamen. Möglicherweise gibt es wei- dete er ein eigenes Fotoatelier im achten Wiener ters einen Zusammenhang zwischen diesem Gemeindebezirk und erweiterte dieses auf Grund Bildmotiv und dem Kaiser Franz Joseph in einem seines großen Erfolges im Jahre 1900 sogar anderen Zusammenhang zugeschriebenen Aus- durch eine Zweigstelle. Neben der Studiotätig - spruch „Mir bleibt doch nichts erspart“. Des keit fotografierte Scolik ab den 1890er Jahren Kaisers persönliche religiöse Fürbitte wird in zusätzlich bei öffentlichen Ereignissen und publi- einer inhaltlich etwas abgeänderten Form im zierte seine Fotos auch in der Tagespresse. Auf Gemälde des Landesmuseums zu einer Erinne- dem Spezialgebiet der „Momentphotographie“ rung an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen uminterpretiert. Das Scolik-Gemälde ist ein in guten Namen gemacht. Zwischen 1889 und 1893 jener Zeit der wechselseitigen aggressiven trat er zusätzlich als Redakteur beziehungsweise Feindbildpropaganda ganz bewusst gewähltes als Herausgeber der „Photographischen Rund- versöhnliches Motiv, das vermitteln soll, dass der schau“ in Erscheinung. Er wandte sich auch an Kaiser die Sorgen seiner Völker und der verbün- fotografische Amateure und erteilte ihnen ab deten Armeen selbstverständlich teilt und sie in 1891 Unterricht. Nach der Jahrhundertwende sein tagtägliches Gebet miteinschließt. Eine ähn- ent stand die später sehr populär gewordene liche Darstellung existiert im Historischen Postkartenserie „Aus dem Wiener Leben“, wobei Museum der Stadt Wien vom Wiener Maler Josef Scolik hier ausgewählte Charaktertypen aus dem Kränzle (1874–1937) aus dem Jahre 1915, die den Volksleben in vorfabrizierte Landschaftsaufnah - Kaiser ebenfalls im Gebet vor einem Marien- men hineinkopierte. Zu seinen Neuschöpfungen gnadenbild zeigt. Das Gemälde von Scolik dien- zählten vor allem Porträts von Künstlern in deren te im Ersten Weltkrieg zunächst als Vorlagen für häuslicher Umgebung, aufgenommen bei Mag- Feldpostkarten in Kombination mit propagandis- nesium licht, und Platindrucke, die Scolik im tischen Durchhalteparolen und pseudoreligiösen Atelier oft noch zusätzlich übermalte oder bes- Sprüchen und wurde später in diverse Welt - ser gesagt durch Angestellte und Gehilfen über- kriegs-Erinnerungsalben aufgenommen. Das malen ließ. Im Jahre 1908 brachte Charles Scolik herausgelöste Motiv des knienden Kaisers am in Wien einen von Alois Unger kommentierten

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und viel beachteten Fotozyklus über das Leben stellungs katalog, Eremiten-Kosmopoliten. Moder - von Kaiser Franz Joseph heraus mit seltenen ne Malerei in Kärnten 1900–1955. Museum Mo- Bildern aus den ersten Kinderjahren bis in die derner Kunst Kärnten, Klagenfurt - Stadtgalerie Gegenwart. Als k. u. k. Hoffotograf gehörte Scolik Klagenfurt - Werner-Berg-Galerie-Bleiburg, Mu- bis knapp vor dem Ersten Weltkrieg zu Wiens seum des Nötscher Kreises, Nötsch, 16. Mai bis 17. führenden Porträtfotografen und konnte Oktober 2004, hrsg. von Agnes Husslein-Arco Prominente aus dem In- und Ausland zu seinen und Matthias Boeckl, Wien 2004, S. 71–102). Mit Kunden zählen. Er bekam noch in seiner aktiven Euphorie waren im August 1914 viele bedeutende Zeit zahlreiche Auszeichnungen und Würdigun - europäische Maler, Bildhauer und Architekten gen verliehen und zählte gegen Lebensende zu freiwillig in einen Krieg gezogen, von dem man den höchstdekorierten Fotografen Europas annahm, er werde maximal ein paar Wochen (siehe Geschichte der Fotografie in Österreich, dauern. Der deutsche Maler Franz Marc, als Sol- hrsg. von Otto Hochreiter und Timm Starl, Bad dat gefallen vor Verdun 1916, begrüßte den gro- Ischl 1983, S. 179). ßen Krieg als reinigendes Gewitter oder der Bild- Unter der großen Anzahl der Jubiläumsausstel - hauer Ernst Barlach bezeichnete das Massen- lungen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges in morden 1914 noch ganz im Sinne des Hurra- den anderen Bundesländern Österreichs haben Patriotismus als Heiligen Krieg. Die italienischen wir uns aus kunsthistorischer Sicht vordringlich Futuristen betrieben ebenfalls eine destruktive für Präsentationen mit speziellen Kunst- und Ästhetisierung der Gewalt und propagierten den Kultur themen interessiert, wobei hier in erster Krieg als aktionistisch-ekstatisches Erlebnis. Linie die Sonderausstellungen im Salzburg Auch viele Kärntner Künstler haben sich zu Museum, in der Landesgalerie Linz und im Stadt- Beginn des Krieges von der allgemeinen Kriegs- museum Graz besonders hervorzuheben sind. begeisterung anstecken lassen und sind zu- Eine umfassende Kriegsbilderschau mit einem nächst mit vollem Optimismus in die Kampf- eigenen wissenschaftlichen Symposium zum handlungen eingetreten. Im weiteren Verlauf des Thema „Krieg, Propaganda und Kunst“ fand am Krieges folgte mit den ersten großen Nieder- 16. Mai 2014 im Leopold Museum in Wien statt, lagen der eigenen Armee rasch eine Phase der wobei hier auch einige bekannte Maler mit Bezug Ernüchterung und viele Künstler versuchten, in zu Kärnten wie z. B. Albin Egger-Lienz, Anton der sogenannten Kunstgruppe des k. u. k. Kriegs- Kolig und Herbert Boeckl zu sehen waren. Viele pressequartiers unterzukommen. Das Kriegs- Kärntner Künstler, die im Ersten Weltkrieg offi- pressequartier war eine dem Obersten Armee - ziell als Berichterstatter für das k. u. k. Kriegs- kommando Österreich-Ungarns unterstellte Pro- pressequartier in Wien gearbeitet haben, oder pagandaabteilung, in der Schriftsteller, Maler, solche, die neben dem normalen Dienst mit der Bildhauer und Fotografen zu einer eigenen mili- Waffe in ihrer Freizeit künstlerisch tätig waren, tärischen Einheit zusammengefasst wurden. Die wurden von der kunsthistorischen Abteilung des Zuteilung zu dieser Sondereinheit war sehr Landesmuseums Rudolfinum schon bei früheren begehrt, bot sie doch Künstlern die Gelegenheit, Ausstellungen in Kärnten eingehend behandelt in ihrem Metier zu arbeiten und ihre Kriegs- (siehe: Robert Wlattnig, Der Soldat im Bild. dienstleistung unter weniger gefährlichen und Kriegsmaler und Kriegsberichterstatter zwischen angesichts der oft langen Heimaturlaube gera- den Fronten. Künstlerbiographien von der Süd- dezu angenehmen Bedingungen zu absolvieren. westfront, Sonderausstellung im Landesmuseum Jeder Künstler musste jedoch eine Mindestan- Kärnten, 8. Mai bis 31. Oktober 1991, in: Die Kärnt - zahl von Werken für national-ideologisch ausge- ner Landsmannschaft 10, 1991, S. 11–30; Robert richtete Kriegsbilderausstellungen zur Verfügung Wlattnig, Repräsentation und Engagement. stellen. Bei offiziellen Auftragsbildern waren die Kärntner Künstler im Ersten Weltkrieg und zur Künstler an vorgeschriebene Bildinhalte gebun- Zeit der Kärntner Volksabstimmung, in: Aus- den. Es gibt eine Reihe von Darstellungen, die

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Abb. 24: Albin Egger-Lienz (1868–1926), Tote Soldaten (Entwurf zu „Totenopfer“), Mischtechnik, 1918–23, Kunstsammlung des Landes Kärnten/Museum Moderner Kunst. Aufn. Ferdinand Neumüller

mit besonders affektbesetzten Bildthemen wie z. 2013; Ausstellungskatalog, 1914. Die Avantgarden B. „Weihnachten an der Front“ oder „Im Feindes- im Kampf, Bundeskunsthalle Bonn 8. November land“ an die kollektiven Gefühle der Zivilbe- – 23. Februar 2014, Köln 2013; Ursula Storch, „An völkerung im Hinterland appellierten. Aus den den Nutzen des Krieges für die Kunst glaube ich fertigen künstlerischen Produkten entstanden nicht“. Kunst und Künstler 1914–1918, in: Im dann in weiterer Folge qualitätsvolle Farbre pro - Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im duk tionen und Beilagen für die Kriegszeitungen, Ersten Weltkrieg, hrsg. von Alfred Pfoser und Feldpostkarten und diverse Erinnerungsmappen Andreas Weigl, Wien 2013, S. 394–403). Von den für Wohlfahrts- und Kriegsfürsorgezwecke. Nur aus Kärnten stammenden Kriegsmalern kann im Selbstporträt und in der reinen Landschafts - man an dieser Stelle nur einige wenige aufzählen. malerei konnte sich der Künstler der militäri- Als hoch dekorierter und erfolgreicher Offiziers- schen Zensur entziehen (siehe zur allgemeinen maler an der Ostfront hatte z. B. Karl Truppe Thematik neuerdings Klaus Jürgen Bremm, (1887–1959) sogar die Ehre, den letzten österrei- Propaganda im Ersten Weltkrieg, Darmstadt chischen Kaiser Karl von Habsburg-Lothringen

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zu porträtieren. Eine Ausnahmeerscheinung war des Krieges und das soziale Elend zu Beginn der sicherlich auch der gebürtige Klagenfurter Leo- Ersten Republik auf wenig bis gar kein Interesse. pold Kainradl (1872–1949), der als akademischer Eine im eigentlichen Sinn des Wortes anklagen- Maler und Hauptmann im Herbst 1916 in der de Kriegsgegnerschaft und pazifistische Kunstgruppe der 59. Gebirgsbrigade an der Kunstauffassung, die sich entschieden gegen Kärntner Front diente und damals in der ihm jede Form von Krieg und Gewalt wendete, ent- eigenen Farbstifttechnik zahlreiche physiogno- stand auch in der deutschen Malerei bei Otto Dix, mische Studien und detailgetreue Landschaften Max Beckmann oder George Grosz zum Großteil schuf. An der Kunstgewerbeschule in Wien und erst in den frühen zwanziger Jahren des 20. in München wurde der bekannte Klagenfurter Jahrhunderts. Kriegsmaler Eduard Manhart (1880–1945) ausge- Albin Egger-Lienz wurde am 29. Jänner 1868 in bildet. Etliche seiner naturalistischen Arbeiten der kleinen Ortschaft Stribach in der Gemeinde fanden in der Karnisch-Julischen Kriegszeitung Dölsach bei Lienz in Osttirol als uneheliches Kind Verwendung und schmückten die Festschriften der Maria Trojer geborgen und verstarb am 4. der Kärntner Freiwilligen Schützen (1916) und November 1926 in St. Justina bei Bozen in des Khevenhüller-Regimentes (1917). Bei den Südtirol. Da sein Vater, der Kirchenmaler und Kriegsbilderausstellungen der 10. Armee im Fotograf Georg Egger, aus Oberdrauburg Künstlerhaus Klagenfurt war Manhart mit seinen stammte, ergibt sich für den Künstler ein starker Hochgebirgslandschaften stets vertreten. Am 16. Kärnten-Bezug, weshalb sich in der Kunst- August 1917 wurde auch der Wahlkärntner Anton sammlung des Landes Kärnten seit Jahrzehnten Kolig (1886–1950) offiziell in das Kriegspresse- zu Dokumentationszwecken auch einige wichti- quar tier aufgenommen. Koligs Werke aus der ge Hauptwerke des Künstlers befinden (siehe damaligen Zeit weisen weder Schilderungen von Wilfried Kirschl, Albin Egger-Lienz 1868–926. Kampfsituationen noch von den Kriegsschau - Das Gesamtwerk. Wien 1996; Gert Ammann, plätzen auf, was darauf hindeutet, dass ihm der Egger-Lienz, Albin, in: Saur. Allgemeines Anblick der Gefechte und von Menschenopfern Künstlerlexikon, Bd. 32, München-Leipzig 2002, erspart blieb. Als die allgemeine Kriegseuphorie S. 337–338; Ausstellungskatalog, Begegnungen in der Bevölkerung nachließ und die ersten Opfer in Wien, Museum der Stadt Lienz Schloss Bruck, unter den Malerkollegen zu beklagen waren, Lienz 2002). Nach dem Besuch der Volksschule begannen auch anfänglich durchaus heimatpa- in Lienz erhält Albin Egger-Lienz eine erste triotisch eingestellte Künstler wie z. B. der künstlerische Ausbildung bei seinem Vater und Osttiroler Maler Albin Egger-Lienz (1868–1926) beim Maler Hugo Engl. Von 1884 bis 1893 studier- den Krieg mit anderen Augen zu sehen. Viele sei- te Egger-Lienz an der Akademie der Bildenden ner späten Kriegsbilder sind aus dem wahren Künste in München, wo er auch Franz von Erleben gewonnen und zeigen nun die Greul der Defregger kennenlernte, der ihn in seiner Schlachtfelder und das unmittelbare Leiden der Kunstauffassung stark beeinflusst hat. Wegen menschlichen Kreatur. Egger-Lienz ist allerdings seiner Heirat mit Laura von Möllwald war Egger- der einzige Vertreter des Österreichischen Lienz zwischen 1899 und 1911 in Wien ansässig, Expressionismus geblieben, in dessen Werk sich blieb aber innerhalb der großstädtischen der Erste Weltkrieg und seine negativen Kunstszene stets ein Einzelgänger. Um seine Auswirkungen auf das weitere menschliche Isolation aufzubrechen wurde Egger-Lienz ab Zusammenleben sowohl inhaltlich als auch stilis- 1900 Mitglied der Genossenschaft bildender tisch unmittelbar manifestierten. Bei allen übri- Künstler Wiens und Gründungsmitglied des gen österreichischen Künstlern von Oskar Hagenbundes. Er besuchte regelmäßig die Kokoschka über Egon Schiele bis Alfred Ausstellungen in der Wiener Secession, wo er die Wickenburg und Alfons Walde stießen gesell- Werke von Rodin, Meunier, van Gogh, Segantini schaftspolitische Themen über die Schrecken und Hodler studieren konnte. Das naturalistische

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Frühwerk von Egger-Lienz umfasst hauptsäch- abkommandiert. Dort entwarf Egger-Lienz die lich Landschaften, religiöse und bäuerliche im Sinne der österreichisch-ungarischen Kriegs- Motive, Porträts und Genreszenen. Die Grenze propaganda verharmlosenden Kriegsdarstellun - von der volkstümlichen Heimatkunst zur Moder - gen, die als Feldpostkarten und Illustra tio nen für ne überschritt Egger-Lienz durch den Verzicht die Tiroler Soldatenzeitung sowie als Farbre pro - auf Detailgenauigkeit und Vereinfachung seiner duktionen zugunsten des Roten Kreuzes und Formensprache zu monumentaler Expressivität. anderer Kriegshilfswerke weite Verbreitung in Im Jahre 1906 erhielt er von der „Modernen der Doppelmonarchie fanden. Im ersten Halbjahr Galerie“ im Unteren Belvedere in Wien den 1916 war Albin Egger-Lienz als Kriegsmaler in Auftrag eine historische Episode aus den Tiroler Zivil an verschiedenen Abschnitten der Befreiungskriegen von 1809 zu malen und pünkt- Südwestfront, von Mitte Jänner bis Mitte Februar lich zum 60-jährigen Thronjubiläum Kaiser Franz in Folgaria und bis Mai in Trient, stationiert und Josephs präsentierte er im Jahre 1908 seine besichtigte viele hochgelegene Gebirgsstellun- erste Version vom „Totentanz Anno Neun“. Diese gen in den Dolomiten. Ungefähr in dieser Zeit in der Öffentlichkeit heftig umstrittene und entstand auch das berühmte Kolossalgemälde angeblich pietätlose Totentanzthematik ist spä- mit dem Titel „Den Namenlosen 1914“, das im ter vom Künstler zu einem universellen Motiv für Jubiläumsjahr 2014 in der völlig neu adaptierten die Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit eines Abteilung zum Ersten Weltkrieg des Heeres- jeden Krieges umfunktioniert worden. Eine in geschichtlichen Museums in ein neues Licht Aussicht gestellte Professur für den Osttiroler gerückt wurde (siehe Liselotte Popelka, Albin Maler und Grafiker an der Wiener Akademie Egger-Lienz 1868–1926, Ausstellungska talog, wurde 1910 ganz gezielt von Erzherzog Franz Heeresgeschichtliches Museum Wien, Wien 1976; Ferdinand vereitelt. Egger-Lienz erhielt ab die- Carl Kraus, Den Namenlosen, in: Ausstellungs- sem Zeitpunkt auch keinerlei öffentliche katalog, Trotzdem Kunst! Österreich 1914–1918, Aufträge und Ankäufe durch das Kaiserhaus Leopoldmuseum Wien, Wien 2014, S. 38ff., vgl. mehr. Daraufhin trat der Künstler aus der Wiener zu Egger-Lienz auch S. 22–23 und 94–95). Die Secession aus und begann eine langjährige pole- von Egger-Lienz schon relativ früh zur Erinne - mische Auseinandersetzung mit Kunstkritikern rung an die großen Verluste der Tiroler und Kollegen. 1911 übersiedelte Egger-Lienz nach Kaiserjäger an der Ostfront gegen Russland Hall in Tirol und übernahm 1912 bis 1913 eine geschaffenen Schlachtenbilder und Druckgrafi- Lehrtätigkeit an der Hochschule für Bildende ken aus der Zeit um 1915–1916 entsprechen noch Kunst in Weimar. Kurz vor Ausbruch des Ersten ganz dem militanten Optimismus der ersten Weltkrieges wurde er schließlich in St. Justina bei Kriegsjahre. Die zum Sturm vorschreitenden Bozen ansässig. Ende April 1915, noch kurz vor Soldaten, aber auch einzelne Wachposten wer- dem Kriegseintritt Italiens gegen Österreich- den hier als unbeugsame Einzelkämpfer nordi- Ungarn, meldete sich Professor Egger-Lienz im scher Prägung charakterisiert. Diese Soldaten- Alter von 47 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst. bilder thematisieren den opferbereiten Kampf an Er rückte nach der Angelobung am 20. Mai 1915 sich und stilisieren den Krieg zu einem individu- mit den Bozener Standschützen ins Feld und ellen Erlebnis. Das Heldentum in der Masse und erlebte zunächst als einfacher Soldat in der Nähe im persönlichen Alleinsein im Angesicht des des Gardasees in der Bergfestung Tombio bei Todes sollte zu propagandistischen Zwecken den Riva del Garda den modernen Grabenkrieg Menschen zu Hause an der Heimatfront vorge- gegen die Italiener. Nach zwei Wochen Front- führt werden. Bei Egger-Lienz wird der sieghaft- einsatz hat der Festungsarzt beim Künstler zum heroische Bildinhalt jedoch bereits durch die Glück eine leichte Herzschwäche festgestellt und Wiedergabe von einzelnen Leichen oder von er wurde in weiterer Folge als künstlerischer betont realistisch aufgefassten Einzelheiten wie Beirat zum Kriegsfürsorgeamt nach Bozen z. B. den offensichtlich frischen Kopfverbänden

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und anderen Verwundungen bei einigen Körper sind in einer matten grauen Farbe gehal- Kämpfern deutlich abgeschwächt. Da Egger- ten und in waagrechten Reihen übereinander Lienz das unmittelbare Kriegsgeschehen an der angeordnet. Entsetzlich und visionär wirkt der italienischen Front in Südtirol aus nächster Nähe Anblick dieser menschlichen Leichenberge. Die selbst miterlebt hat, gelang es ihm in den letzten mit deformierten Gliedmaßen dargestellten Kriegsmonaten wie kaum einem anderen Leichen heben sich farblich kaum vom trostlosen Künstler in Österreich, in seinen drastischen braunen Erduntergrund ab. Ein solcherart depri- Spätwerken eine kritische und differenzierte mierendes Kriegsbild ist offensichtlich bei Egger- Haltung zum Thema und eine deutliche Anklage Lienz in den letzten beiden Kriegsjahren durch gegen den Krieg zum Ausdruck zu bringen. Ein persönliche Erlebnisse und aus den Berichten besonders gutes Beispiel dafür ist die zwischen von den fürchterlichen Gaseinsätzen an der 1918 und 1923 entstandene Entwurfsstudie des Südfront entstanden, wo das Massensterben Meisters mit dem Titel „Tote Soldaten“ (Abb. 24) praktisch auf der Tagesordnung stand. Die aus der Kunstsammlung des Landes Kärnten, die Verkürzungen und Verzerrungen der Opfer und zuletzt 2014 bei den Totentanzausstellungen in die mitleiderregenden Schrecken der Leichen- Wien und in Lienz zu sehen war (Museum felder des Ersten Weltkrieges zeigen so eine un- Moderner Kunst Kärnten Tempera auf Papier auf mittelbare menschliche Tragik. Dieses eindrucks- Leinwand, 107 x 152 cm. In älteren Verzeichnissen volle Werk kann wie das bereits ebenfalls im wird diese Papierarbeit auch als Entwurf I zu Laufe des letzten Kriegsjahres 1918 entstandene einem geplanten Fresko mit dem Titel Gemälde mit dem Titel „Finale“ der Sammlung „Totenopfer“ bezeichnet und mit dem Zyklus Leopold II durchaus als Antikriegsbild par excel- „Missa Eroica“ aus der Zeit um 1918–1919 in lence angesprochen werden. Albin Egger-Lienz Zusammenhang gebracht, der laut Quellen von knüpft mit diesen pazifistischen Bildern unmittel- Egger-Lienz später eigenhändig zerschnitten bar bei den Errungenschaften des deutschen wurde (siehe dazu Robert Wlattnig, Biographi- Expressionismus an und wird wie Max Beckmann sches zu Anton Kolig und Albin Egger-Lienz als zu einem großen Mahner gegen den Krieg. Eine Kriegsmaler an der Südwestfront, in: Die Brücke stark religiöse Überhöhung erhielt diese Thema - 2, 1991, S. 39; Nora Leitgeb, Verwundbar und tik des Totengedenkens bei Egger-Lienz dann in Vergänglich, in: Ausstellungskatalog, fokus dem zwischen 1923 und 1925 entstandenen sammlung 02. ANSICHTSSACHEN. Menschen- Fresko mit der Darstellung der Auferstehung bilder, hrsg. von Christine Wetzlinger-Grundnig, Christi in der Kriegergedächtniskapelle in Lienz, Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt die dadurch sogar zu einem Mahnmal für den 2011, S. 54–55; Ausstellungskatalog, TOTEN- Weltfrieden wurde. TANZ. Egger-Lienz und der Krieg, 7. März bis 9. An einem Dienstagabend am 6. Mai 2014 ver- Juni. Unteres Belvedere Wien und 15. Juni bis 26. starb nach längerem Leiden in einem Wiener Oktober 2014 Schloss Bruck Lienz, hrsg. von Krankenhaus die wohl bedeutendste Kärntner Agnes Husslein-Arco, Wien 2014, Kat. Nr. 57). Die Malerin und Medienkünstlerin des 20. Jahrhun- hier wiedergegebene querformatige Darstellung derts Maria Lassnig im hohen Alter von 94 eines treppenförmigen Leichenhügels zeigt in Jahren. Entsprechend würdevoll waren die Bei- symbolhafter Form mit stilisierten (göttlichen?) leidsbekundungen bei ihrer Beisetzung in einem Sonnenstrahlen an der Spitze auf erschütternde Ehrengrab der Stadt Wien am Zentralfriedhof Weise die vielen namenlosen Toten des Ersten (Reihe 33G), an der zahlreiche Trauergäste aus Weltkrieges. Es sind die unzähligen auf den dem In- und Ausland wie z. B. Künstlerkollegen, Schlachtfeldern umgekommenen Männer und Museumsdirektoren, Galeristen und der Bürger- Söhne, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkeh- meister ihrer Kärntner Heimatgemeinde Anton ren konnten. Die völlig ihrer Individualität Engel-Wurzer aus Metnitz teilnahmen. In weite- beraubten, plastisch-voluminösen menschlichen rer Folge gab es auch eine umfangreiche Be-

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richterstattung zum außergewöhnlichen Le ben handlung am Alten Platz eine Art Refugium für und Wirken dieser österreichischen Weltklasse - die moderne Kunst und surrealistische Experi- künstlerin in den aktuellen Tageszeitungen und in mente. Hier hatte etwa Maria Lassnig 1948 ihre diversen Kulturjournalen. Maria Lassnig wurde erste Einzelausstellung und sorgte mit einer als uneheliches Kind am 9. September 1919 in Aktstudie von Michael Guttenbrunner für einen Garzern bei Kappel am Krappfeld im Bezirk St. lokalen Skandal, da das Bild von einigen konser- Veit an der Glan geboren und übersiedelte mit vativen Kritikern als pornografisches Machwerk ihrer Mutter nach Klagenfurt, wo sie die empfunden wurde. Damit begann für Maria Ursulinen-Klosterschule besuchte und am Real- Lassnig der dornige Weg einer Außenseiterin mit gymnasium maturierte. 1939 bis 1940 erfolgte vielen Entbehrungen und Zurücksetzungen, da ihre Ausbildung zur Volksschullehrerin und sie sie schon in jungen Jahren nicht mehr bereit war, war danach einige Zeit als Pädagogin an ver- Konzessionen an den Geschmack des zum schiedenen kleinen Bergschulen im Metnitztal Großteil reaktionär orientierten Publikums in der tätig. Im Jahre 1941 begann Lassnig ihr Studium Provinz zu machen (siehe dazu Christina Murken, an der Wiener Akademie der bildenden Künste Maria Lassnig. Ihr Leben und ihr malerisches bei den Professoren Wilhelm Dachauer, Ferdi- Werk. Ihre kunsthistorische Stellung in der nand Andri und Herbert Boeckl, das sie noch vor Malerei des 20. Jahrhunderts, Herzogenrath dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit einem 1990, S. 96ff.; Ausstellungskatalog, Maria Lassnig, Diplom abschloss. 1945 kehrte Maria Lassnig Museum moderner Kunst Wien 1999, S. 17ff.; nach Kärnten zurück und bezog ein eigenes Maria Lassnig, Die Feder ist die Schwester des Atelier in der Klostergasse in der Nähe des Pinsels. Tagebücher 1943 bis 1997, hrsg. von Hans Heiligen-Geist-Platzes im Stadtzentrum von Ulrich Obrist, Köln 2000). Gemeinsam mit Arnulf Klagenfurt. Hier entstand in den Folgejahren ein Rainer (Jg. 1929) hat Maria Lassnig im Anschluss erster wichtiger Treffpunkt von Avantgarde- an eine Studienreise nach Paris, wo sie mit den künstlern und Schriftstellern. Lassnigs Anfänge neuesten französischen und amerikanischen als freischaffende Künstlerin waren in dieser Zeit Kunstrichtungen konfrontiert wurden, im zum Teil noch durch den expressiven Kolorismus November 1951 im Klagenfurter Künstlerhaus die der Nötscher Schule und im Speziellen von der überhaupt erste Ausstellung informeller Kunst in persönlichen Bekanntschaft mit Franz Wiegele Österreich organisiert. Lassnig selbst hat das beeinflusst. Die Künstlerin setzte sich aber bald Informel nie als bloß äußeren motorischen Ablauf im Detail mit den ganz modernen Stilströmun - der spontanen Gestik im künstlerischen Schöp- gen ihrer Zeit wie dem Surrealismus und dem fungsprozess begriffen, sondern sie versuchte Informel auseinander. Da das Künstlerhaus in auch in ihren abstrakten Frühwerken immer ihren Klagenfurt damals von der britischen Besat- eigenen Körper und seine Empfindungen mit zungsmacht beschlagnahmt war, hat der Kunst - einzubeziehen und schlug damit einen völlig verein für Kärnten seine erste repräsentative eigenständigen Weg ein. Die damit völlig über- Ausstellung im März 1946 im Großen Wappen- forderte Klagenfurter Öffentlichkeit reagierte saal des Landhauses veranstaltet. Mit dieser darauf natürlich negativ und sprach im Zu- Gruppenschau erfolgte eine Art Bestandsauf - sammenhang mit der Ausstellung unfigurativer nahme der Kärntner Künstler, wobei neben den Arbeiten von einem „großstädtischen Snobis- bekannten Altmeistern auch einige Neuent- mus“. Das Künstlerpaar verabschiedete sich deckungen vorgestellt wurden. Unter den jungen damit von Kärnten und ging nach Wien, das Künstlern sorgten vor allem die innovativen durch die Öffnung der Besatzungszonen wieder Arbeiten von Maria Lassnig für Aufregung bei zum einzigen bedeutenden Zentrum der Kunst in den Ausstellungsbesuchern. Im Klagenfurt der Österreich wurde. In der Bundeshauptstadt ersten Nachkriegsjahre bildete die Galerie dominierten in den 50er und 60er Jahren die Kleinmayr oberhalb der gleichnamigen Buch- Mitglieder des Art Clubs und der Galerie nächst

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St. Stephan unter Monsignore Otto Mauer das nicht die Darstellung eines bestimmten Schön- künstlerische Geschehen (siehe Arnulf Rohs - heitsideals, von Liebe und Tod gesucht, sondern mann, Die Neuorientierung der österreichischen eine äußerst subjektive und selbstkritische Sicht Kunst nach 1945 und der Konflikt von Zentrum auf den eigenen Körper erfolgte. In einem nie und Peripherie, in: Patrick Werkner (Hrsg.), Kunst abbrechenden Dialog mit sich selbst ertastete in Österreich 1945–1995, Wien 1996, S. 200-209; Maria Lassnig so fortlaufend ihre Herkunfts- Ausstellungskatalog, aufBrüche. Österreichische wurzeln und Identität als Frau. In New York, wo Malerei und Plastik der 50er Jahre, Österrei- Maria Lassnig ab 1968 lebte, nannte sie, um sich chische Galerie im Belvedere, Wien 1995, S. 158ff. besser verständlich zu machen, die nun entste- Otto Breicha, Die Anfänge des Informel in Öster- henden Bilder „Body awareness paintings“. In reich, 1949-1954. Maria Lassnig, Oswald Ober- dieser neuen Stilphase hat Lassnig die Dar - huber, Arnulf Rainer, Graz 1997). Nachdem Maria stellung der eigenen Körpererfahrung nun stär- Lassnig bereits im Jahre 1961 für insgesamt sie- ker mit Elementen der sichtbaren Realität ver- ben Jahre nach Paris übersiedelt war, kommt es bunden und es erfolgte zunehmend eine nochmals zu einer wichtigen Personale in bewusste Gegenüberstellung von ihrer persönli- Klagenfurt, wo sie vom 29. August bis 13. Sep- chen physischen Empfindungswelt mit der tember im Landesmuseum für Kärnten ihre fremdbestimmten Außenwelt. Damals entstan- tachistischen Aquarelle zur Schau stellte. den zahlreiche an der vordergründigen Ästhetik Kuratiert wurde diese für die damalige Zeit inno- der amerikanischen Pop Art orientierte Selbst- vative Ausstellung von der aus Wien zugezoge- porträts der Malerin, z. B. auch jenes bekannte ne Kunsthistorikerin Leopoldine (Lee) Spring- Bild mit Regenschirm aus dem Jahre 1971 im schitz, die vor ihrer festen Anstellung im Landes - Kunstbestand des Landes Kärnten, das heute museum bereits für den Klagenfurter Kleinmayr- zweifellos zu den klassischen Hauptwerken der Verlag gearbeitet hat und dann später 1965 die Künstlerin zählt. In diesem Bild wird der Vorgang Leitung der wiedereröffneten Kärntner Landes- der Introspektion noch zusätzlich verstärkt mit galerie übernahm. Die ausgestellten abstrakt- dem surrealen Motiv einer transparenten dünnen amorphen Kunstwerke beschreibt Springschitz Plastikfolie über dem Gesicht der Künstlerin, was im Begleittext zur Lassnig-Ausstellung im einen eigenartigen und ganz spezifischen Klagenfurter Landesmuseum wie folgt: „Und Schwe bezustand zwischen körperlicher Nähe doch ist das Glücksspiel mit der Assoziation und geistiger Fremdheit bewirkt. Trotz dieser nicht das einzige, zu dem uns Maria Lassnig - extremen Konzentration auf die eigene Körper- halb widerwillig - herausfordert. Sie hat in sich wahrnehmung sind die bildlichen Selbstdar- hineingehorcht und „innere Porträts“ erlauscht: stellungen von Maria Lassnig nicht narzisstisch, keine Bildnisse und deren Schatten, sondern sondern schonungslos ehrlich, untheatralisch Vorgänge und deren Ursprung. Ihre Bilder sind und distanziert (siehe Karl Newole (Hrsg.), weder mitteilsam noch werben sie um Ver - Kärntner Landesgalerie Klagenfurt. Aufsätze- ständnis. Sie haben einfach Ausstrahlung, Selbstzeugnisse-Daten, Klagenfurt 1987, S. 75ff., Körperwärme, Atem und Puls.“ Während der Pariser Zeit malt Lassnig viele solcher Körper- bewusstseinsaquarelle sowie bis zu zwei Meter hohe Körpergefühls-, Stich- und Spannungs - figurationen, die allerdings damals nie ausgestellt wurden. Nach dem unerwartet frühen Tod der Mutter, der einzigen und zentralen Bezugsperson im Leben der Künstlerin, kam es im Jahre 1964 zu Abb. 25: Maria Lassnig (1919–2014), Krieg in Rumänien, 1989, einer Reihe von poetisch-lyrischen Klage-, Öl auf Leinwand, Kunstsammlung des Landes Schmerz- und Beweinungsbildern, wobei dabei Kärnten/Museum Moderner Kunst. Aufn. R. Wlattnig

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94ff., Abb. S. 105; Wieland Schmied (Hrsg.), auch den Einfluss des weiblichen Körpers auf Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. Lebensentwurf und Biografie einer Künstlerin 20. Jahrhundert, München-London-New York drastisch und offen darstellt. Auf Betreiben der 2002, S. 136ff.; Robert Wlattnig, Begegnungs- Österreichischen Bundesministerin Hertha Firn- geschichten Kärnten-Wien. Künstlerschicksale berg wird Maria Lassnig schließlich 1980 im Alter zwischen Provinz und Metropole. Ein For- von 60 Jahren als erste Professorin für Malerei an schungs- und Ausstellungsprojekt zur bildenden eine Kunstakademie im deutschsprachigen Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts in Kulturraum berufen. An dem für Lassnig einge- Kärnten, in: Rudolfinum. Jahrbuch des Landes - richteten Lehrstuhl an der Hochschule für ange- museums Kärnten 2001, Klagenfurt 2002, S. 326, wandte Kunst in Wien stand ein eigenes Studio Abb. 11). Maria Lassnig hat damit eine sehr für experimentellen Animationsfilm zur Ver - selbstbezogene Richtung in ihrer Malerei entwi- fügung, das von ihrem aus Kärnten stammenden ckelt, die vor allem den eigenen Erlebnisraum Assistenten Hubert Sielecki (Jg. 1946) geleitet und die persönliche innere Gefühlswelt zum zen- wurde. Damals intensivierten sich für Maria tralen Bildgegenstand macht, indem leiblich-kör- Lassnig auch wieder die Kontakte zu ihrer perliche Seinszustände als sinnliche Erkenntnis- Heimat Kärnten. In einem ehemaligen Schul - prozesse unter Umgehung des sprachlich artiku- gebäude in Feistritz ob Grades, einem Luftkurort lierbaren Denkens unmittelbar ins Bildliche über- auf den Mödringer Bergen der Marktgemeinde setzt werden. In einem endlosen Dialog mit sich Metnitz in den Gurktaler Alpen, verfügte die selbst versucht die Künstlerin die eigene Künstlerin über ein eigenes Wohnhaus mit Identität in all ihren Facetten immer wieder neu Atelier. Einige Sommer lang fand auch ein außer- zu ertasten und bildlich zu objektivieren. Völlig ordentlicher Kunstunterricht der Wiener Lassnig- unabhängig von stilistisch unterschiedlichen Klasse im damals noch zum Teil leer stehenden Ansätzen, die Maria Lassnig selbstverständlich Stift Eberndorf in Unterkärnten statt. Eigentlich parallel zu den gesellschaftspolitischen Ereig- war das der hoffnungsvolle Beginn einer Art nissen ihrer Zeit wie jede andere Künstlerper - Kärntner Sommerakademie für bildende Kunst sönlichkeit in ihrem Werk ebenfalls reflektiert, hat und moderne Medien, der leider später nicht wei- sie am wesentlichen Prinzip des Erspürens der tergeführt werden konnte. Im Jahre 1985 erhielt eigenen Körpergefühle und Vergänglichkeit stets Maria Lassnig auf Grund ihrer außergewöhnli- festgehalten. Aus diesem Grund sind zahlreiche chen künstlerischen Leistungen von der Landes- Zeichnungen und Malereien Maria Lassnigs vor- regierung den Großen Kärntner Kulturpreis ver- dergründig unter dem Aspekt der persönlichen liehen. Im selben Jahr fand eine erste große Innenschau im Sinne einer philosophischen Retrospektive der Gemälde der Künstlerin in der Erkenntnissuche und visualisierten Wahrhaftig- Kärntner Landesgalerie in Klagenfurt statt, die keit zu interpretieren. Der wahre Kern ihrer Kunst auch in Wien, Düsseldorf und Nürnberg mit gro- wurde nie von der Kurzlebigkeit der kommerziel- ßem Erfolg gezeigt wurde. In den 80er Jahren len Moden und vom ständig wechselnden hatte Lassnig eine gewisse Vorbildrolle für die Zeitgeschmack erfasst. Während ihres langjähri- figurative-expressive Malerei der Neuen Wilden gen Aufenthaltes in Amerika konnte Maria in Österreich inne. In diese reife Stilphase gehört Lassnig die moderne Technik der Zeichentrick- ein zeitgeschichtlich interessantes Bild aus der filme für sich entdecken und hat später diese Kunstsammlung des Landes Kärnten, das zu Kunstform auch in Österreich salonfähig ge- Weihnachten 1989 entstanden ist und den macht. In diesen Trickfilmen hat Lassnig viele all- Volksaufstand und den fürchterlichen Bürger- gemeine gesellschaftskritische Fragen themati- krieg in Rumänien schildert (Abb. 25). Maria siert und einen wesentlichen Beitrag zum Lassnig war mit ihren Arbeiten auch mehrmals Feminismus geleistet, indem sie die weibliche auf der Documenta in Kassl und auf der Biennale Position in der Kunstwelt reflektiert und gerade in Venedig prominent vertreten. Als erste bilden-

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de Künstlerin erhielt Lassnig 1988 den Großen Großteil der Bestände aus dem Fundus des Österreichischen Staatspreis und 1998 den Klosterneuburger Essl-Museums übernommen begehrten Oskar-Kokoschka-Preis. Seither folg- wurde. Die Künstlerin war in die Ausstellungs- ten zahlreiche weitere große Ausstellungen im konzeption leider nicht näher eingebunden und In- und Ausland sowie viele Auszeichnungen und nahm auch aus kulturpolitischen Gründen Würdigungen, die man hier allerdings nicht alle demonstrativ an der Ausstellungseröffnung nicht aufzählen kann. Erwähnenswert ist aus Kärntner teil (siehe Ausstellungskatalog, Maria Lassnig. Sicht eine einmalige Sonderschau unter dem Körperbilder - Body awareness painting, hrsg. Titel „Landleute“ vom 17. Juni bis 22. August von Andrea Madesta, Museum Moderner Kunst 2004 in den Kulturräumen auf Schloss Straßburg Kärnten, Klagenfurt 2006; vgl. dazu die kriti- im Gurktal, die von Bischof Dr. Alois Schwarz schen Zeitungsartikel vom 15. Februar 2006 in persönlich eröffnet wurde. Zwischen 1996 und der Kärntner Tageszeitung, S. 28–29 unter der 2003 entstand dieser ganz spezielle 32-teilige Schlagzeile „Maria Lassnig bleibt ihrer Aus- Porträtzyklus über die Dorfnachbarn, die in der stellung fern!“ und in der Kleinen Zeitung, S. 58– unmittelbaren Umgebung ihres Kärntner Ateliers 59 unter dem Titel „Sanfte Ironie und Selbst - leben. Maria Lassnig hat von fast allen ihr näher behauptung“). Maria Lassnigs künstlerischer bekannten Personen auf der Alm – zum Großteil Werdegang ist erst im letzten Lebensabschnitt Bauern und Landarbeiter – realistisch gezeichne- eine wahre Erfolgsgeschichte geworden, die sie te Einzelporträts geschaffen und z. T. mit Aqua - zum Glück auch noch selbst aktiv miterlebte, weil relltechnik meisterhaft verfeinert. Die Malerin es ihr vergönnt war, mit über 90 Jahren ein so geht in einigen karikaturhaft wirkenden Halb- hohes Alter zu erreichen. Besonders beeindru- figurenporträts und Kopfstudien auch detailliert ckend war in diesem Zusammenhang ihr umfas- auf die Physiognomien, Gemütszustände und sendes Spätwerk aus den letzten beiden andere Erkennungsmerkmale der Dargestellten Lebensjahrzehnten, in dem sie in selbstironischer ein. Auf einem querrechteckigen in Mischtechnik und humorvoller Art und Weise ihren eigenen ausgeführten Blatt dieses Zyklus mit der eigen- alternden Körper oft in Kombination mit Tier - händigen Bezeichnung „Die Dorfgemeinschaft“ darstellungen schonungslos und realistisch dar- zeigt sie mehrere Vertreter des Ortes nach dem stellte. Die charismatische Einzelkämpferin hat in Geschlecht in zwei Gruppen getrennt in ihren ihrer Kunst als aufmerksame und kritische ländlichen Trachten wie Vögel auf einem dürren Beobachterin natürlich auch viele existenzielle Baum sitzend. Dieses sicherlich in Bezug auf die Missstände unserer Konsumgesellschaft wie die starren Traditionen und Bräuche des tagtägli- Umweltzerstörung, den Kindesmissbrauch oder chen Lebens im entlegenen Bergland ironisch den Krieg aufgezeigt. Ihr internationaler Aufstieg gemeinte Werk wird heute im Privatmuseum der in die Sphäre der Weltkunst vor allem als Malerin aus Kärnten stammenden Familie des in der jüngsten Zeit war so gewaltig, dass ihre Kunstsammlers Karlheinz Essl in Klosterneuburg Bilder auf dem internationalen Kunstmarkt regel- verwahrt (siehe Maria Lassnig, Landleute, mäßig Höchstpreise erzielten. Im Mai des Jahres Katalog der Ausstellung auf Schloss Straßburg in 2013 wurde sie in Abwesenheit mit dem Kärnten, Klagenfurt-Klosterneuburg 2004; K08 „Goldenen Löwen“ für ihr Lebenswerk auf der Emanzipation und Konfrontation. Kunst aus Kunstbiennale von Venedig geehrt und im Kärnten 1945 bis heute, hrsg. von Silvie Aigner, Dezember 2013 nahm sie mit Freuden auch noch Wien-New York 2008, S. 62–64). Eine letzte das Ehrendoktorat der Alpen-Adria-Universität große Werkschau vor allem mit Gemälden, selten von Klagenfurt am Wörthersee persönlich entge- gezeigten hybriden und anthropoiden gen, das ihr schon im Jahre 1999 angeboten wor- Skulpturen und ausgewählten Filmcollagen fand den war und das sie auf Grund der damaligen in Klagenfurt im Museum Moderner Kunst politischen Verhältnisse in Kärnten aber dezidiert Kärnten im Frühjahr 2006 statt, wobei ein ablehnte, um so ein wirksames Zeichen gegen

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den kolportierten Plan zur Errichtung eines Maria 70 repräsentativen Werken aus allen Schaffens - Lassnig Museums in Schloss Reifnitz am perioden fand vom 9. März bis 25. Mai 2014 in Wörthersee beziehungsweise im Stadtzentrum Ko operation mit der Neuen Galerie des Univer- von Klagenfurt zu setzen (siehe dazu die aus- salmuseums Joanneum in Graz statt, wo man führlichen Zeitungsberichte mit Fotos der Über- sich seit einigen Jahren auch um die wissen- bringung der Ehrenurkunde nach Wien von schaftliche Erstellung eines neuen Werkverzeich - Uschi Loigge am 17. Dezember 2013 in der nisses kümmert. Mit ihrem wachen Blick, der Kleinen Zeitung, S. 57 und von Irina Lino in der Kreativität und enormen Schaffenskraft wurde Kronen Zeitung, Kärnten Ausgabe, 18. Dezember Maria Lassnig außerdem zum großen Vorbild 2013, S. 45). Die große Kärntner Malerin hat bis und Idol für nachfolgende Generationen vieler ins letzte Lebensjahr zum Teil auch noch künstle- junger Künstler und Künstlerinnen und wird in risch gearbeitet, konnte allerdings auf Grund der der Kunstwelt unvergessen bleiben. Nach dem Erkrankung und altersbedingten Erschöpfung plötzlichen Ableben der Grande Dame der öster- ihre wirklich sehenswerte Einzelausstellung in reichischen Malerei am 6. Mai 2014 war die einer Außenstelle des Museums Moderner Kunst Betroffenheit vor allem in der heimischen in New York in Long Island City leider nicht mehr Kunstszene groß und es gab zahlreiche sponta- persönlich besichtigen, war aber selbstverständ- ne Trauerbekundungen und Nachrufe. lich mächtig stolz darauf. Diese Schau mit über

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