Plenarprotokoll 19/192

Deutscher

Stenografischer Bericht

192. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Inhalt:

Begrüßung der neuen Abgeordneten e) Beschlussempfehlung und Bericht des Dr. und Christian Ausschusses für Bildung, Forschung und Natterer ...... 24187 A Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag Wahl des Abgeordneten der Abgeordneten als Schriftführer ...... 24187 B (Südpfalz), , , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Änderungen der Tagesordnung ...... 24187 B der FDP: Holographie als Zukunftstech- nologie fördern Drucksachen 19/8491, 19/23752 ...... 24188 A , Bundesministerin BMBF . . . . 24188 A Tagesordnungspunkt 9: Dr. (AfD) ...... 24189 C a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung und Innova- Bärbel Bas (SPD) ...... 24190 B tion 2020 Dr. h. c. (FDP) ...... 24191 B Drucksache 19/19310 ...... 24187 B Dr. (DIE LINKE) ...... 24192 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . 24193 D und technologischer Leistungsfähigkeit (CDU/CSU) ...... 24194 C Deutschlands 2020 Norbert Kleinwächter (AfD) ...... 24195 D Drucksache 19/23070 ...... 24187 D (SPD) ...... 24196 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung Dr. (BÜNDNIS 90/ und Technikfolgenabschätzung zu dem DIE GRÜNEN) ...... 24197 C Antrag der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas Dr. (CDU/CSU) ...... 24198 A Sattelberger, Nicola Beer, Dr. Jens René Röspel (SPD) ...... 24199 B Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gründung einer Agentur für radikale Innovation Zusatzpunkt 7: Drucksachen 19/2671, 19/10448 ...... 24187 D Antrag der Abgeordneten Mario Brandenburg d) Beschlussempfehlung und Bericht des (Südpfalz), Katja Suding, Dr. Jens Ausschusses für Bildung, Forschung und Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Ab- Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag geordneter und der Fraktion der FDP: Aus der Abgeordneten Dr. h. c. Thomas BioNTech-Erfolg lernen – Aktionspro- Sattelberger, Katja Suding, Nicola Beer, gramm für den Gentechnik-Standort weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutschland vorlegen der FDP: Hightech-Strategie 2025 – Stra- Drucksache 19/24365 ...... 24200 C tegisch ausrichten Drucksachen 19/7118, 19/11412 ...... 24187 D in Verbindung mit II Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. , Donnerstag, den 19. November 2020

Zusatzpunkt 8: Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Ein- richtung einer oder eines SED-Opfer- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- beauftragten schusses für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 19/23709, 19/24484 ...... 24215 C – zu dem Antrag der Abgeordneten Carina b) Antrag der Abgeordneten Dr. Götz Konrad, , Dr. Gero Clemens Frömming, Dr. , Martin Erwin Hocker, weiterer Abgeordneter und der Renner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Chancen neuer Zücht- Fraktion der AfD: Das Erbe der Friedli- ungsmethoden erkennen – Für ein tech- chen Revolution bewahren – Den Ge- nologieoffenes Gentechnikrecht setzentwurf zur Auflösung der Stasi- – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Unterlagen-Behörde zurückziehen und Ebner, Renate Künast, Friedrich grundlegend überarbeiten Ostendorff, weiterer Abgeordneter und Drucksache 19/24420 ...... 24215 D der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Agrarwende statt Gentechnik – in Verbindung mit Neue Gentechniken im Sinne des Vor- sorgeprinzips regulieren und ökologi- sche Landwirtschaft fördern Zusatzpunkt 10: Drucksachen 19/10166, 19/13072, 19/16565 . . 24200 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Inneres und Heimat zu dem An- in Verbindung mit trag der Abgeordneten Roman Johannes Reusch, , Marcus Bühl, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Zusatzpunkt 9: Gedenktag für die Opfer der politischen Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Verfolgung während der SED-Diktatur schusses für Ernährung und Landwirtschaft Drucksachen 19/14348, 19/22295 ...... 24215 D zu dem Antrag der Abgeordneten Carina Monika Grütters, Staatsministerin BK ...... 24216 A Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 24217 A Hocker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Einsatz neuer Züchtungsme- (SPD) ...... 24218 C thoden ermöglichen (FDP) ...... 24220 A Drucksachen 19/23694, 19/24182 ...... 24200 D (DIE LINKE) ...... 24221 A Dr. , Staatsminister (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24222 B (Rheinland-Pfalz) ...... 24200 D (CDU/CSU) ...... 24223 C Dr. (CDU/CSU) ...... 24202 B (FDP) ...... 24225 A (AfD) ...... 24203 C (SPD) ...... 24225 C René Röspel (SPD) ...... 24204 B (CDU/CSU) ...... 24226 B Dr. (DIE LINKE) ...... 24205 B (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24206 C Tagesordnungspunkt 12: Dr. (FDP) ...... 24207 B a) Antrag der Abgeordneten Agnieszka Julia Klöckner, Bundesministerin BMEL . . . . . 24208 A Brugger, (Augsburg), Ottmar Dr. Michael Espendiller (AfD) ...... 24209 D von Holtz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (SPD) ...... 24210 D Koloniales Unrecht anerkennen, aufar- (BÜNDNIS 90/ beiten und der eigenen Verantwortung DIE GRÜNEN) ...... 24211 D international gerecht werden (CDU/CSU) ...... 24212 C Drucksache 19/24381 ...... 24228 A (SPD) ...... 24213 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, , Stephan (CDU/CSU) ...... 24214 B Brandner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Restitution von Samm- lungsgut aus kolonialem Kontext stop- Tagesordnungspunkt 11: pen a) Zweite und dritte Beratung des von den Drucksache 19/19914 ...... 24228 B Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und c) Beschlussempfehlung und Bericht des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- Ausschusses für Kultur und Medien zu ten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marc derung des Bundesarchivgesetzes, des Jongen, Dr. Götz Frömming, Martin Erwin Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 III

Renner, weiterer Abgeordneter und der e) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Fraktion der AfD: Die deutsche Kolonial- SPD: Produktivität, Klimaresilienz und zeit kulturpolitisch differenziert aufar- Biodiversität steigern – Agroforstwirt- beiten schaft fördern Drucksachen 19/15784, 19/21345 Buch- Drucksache 19/24389 ...... 24243 A stabe a ...... 24228 B g) Antrag der Abgeordneten , (BÜNDNIS 90/ , Dr. Michael Espendiller, wei- DIE GRÜNEN) ...... 24228 B terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD: Jährlicher Bericht der Bundesre- (CDU/CSU) ...... 24229 D gierung über digitalpolitisch relevante Dr. Marc Jongen (AfD) ...... 24230 D Haushaltsposten Drucksache 19/24402 ...... 24243 A Michelle Müntefering, Staatsministerin AA . . 24232 A h) Antrag der Abgeordneten Dr. Bruno (FDP) ...... 24233 C Hollnagel, , , weiterer Abgeordneter und der (DIE LINKE) ...... 24234 C Fraktion der AfD: Keine deutschen Haf- (CDU/CSU) ...... 24235 B tungen für Kredite aus Next Generation EU (AfD) ...... 24236 C Drucksache 19/24391 ...... 24243 B (SPD) ...... 24237 C i) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 24238 C terer Abgeordneter und der Fraktion der (FDP) ...... 24239 C AfD: Planungsbeschleunigung – Ausbau von Gigabit-Netzen vorantreiben (CDU/CSU) ...... 24240 A Drucksache 19/24419 ...... 24243 B Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE) ...... 24240 D k) Antrag der Abgeordneten , Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) ...... 24241 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verbot von Grünlandumbruch streichen Drucksache 19/24326 ...... 24243 B Tagesordnungspunkt 31: a) Erste Beratung des von der Bundesre- in Verbindung mit gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom Zusatzpunkt 11: 10. September 2010 über die Bekämp- fung widerrechtlicher Handlungen mit a) Antrag der Abgeordneten , Bezug auf die internationale Zivilluft- Alexander Graf Lambsdorff, Johannes fahrt und zu dem Zusatzprotokoll vom Vogel (Olpe), weiterer Abgeordneter und 10. September 2010 zum Übereinkom- der Fraktion der FDP: Deutsche EU-Rats- men vom 16. Dezember 1970 zur präsidentschaft nutzen, Ankündigungen Bekämpfung der widerrechtlichen Inbe- umsetzen – Errichtung einer Europä- sitznahme von Luftfahrzeugen ischen Bank für nachhaltige Entwick- Drucksache 19/24223 ...... 24242 D lung und internationalen Klimaschutz Drucksache 19/24327 ...... 24243 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- b) Antrag der Abgeordneten , zes zu dem Abkommen vom 2. Mai 2019 Christian Dürr, Frank Schäffler, weiterer zur Änderung des Abkommens vom Abgeordneter und der Fraktion der FDP: 8. März 1967 zwischen der Bundesrepu- Bürokratieaufwand in der Unterneh- blik Deutschland und den Vereinigten merkette verringern Mexikanischen Staaten über den Luft- Drucksache 19/24371 ...... 24243 C verkehr c) Antrag der Abgeordneten Till Mansmann, Drucksache 19/24224 ...... 24242 D Christian Dürr, Frank Schäffler, weiterer c) Erste Beratung des von der Bundesre- Abgeordneter und der Fraktion der FDP: gierung eingebrachten Entwurfs eines Reform der Stromsteuer zur Entlastung Gesetzes zur Änderung des Umwelt- der Bürger schadensgesetzes, des Umweltinforma- Drucksache 19/24366 ...... 24243 D tionsgesetzes und weiterer umweltrecht- d) Antrag der Abgeordneten , licher Vorschriften Dr. (Rhein-Neckar), Drucksache 19/24230 ...... 24243 A Nicole Bauer, weiterer Abgeordneter und IV Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

der Fraktion der FDP: Polen – Erosion des GRÜNEN: Alkoholpräventionsstrategie Rechtsstaates, der Frauen- und LSBTI- entwickeln und europäisch voranbrin- Rechte klar verurteilen gen Drucksache 19/24367 ...... 24243 D Drucksache 19/24386 ...... 24244 D e) Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, n) Antrag der Abgeordneten Dr. Irene , Alexander Graf Mihalic, Dr. , Luise Lambsdorff, weiterer Abgeordneter und Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der der Fraktion der FDP: Deutscher Vorsitz Fraktion BÜNDNIS 90/DIE: Islamischen in Krisenzeiten – Deutschen Vorsitz Terror entschlossen bekämpfen – Null- im Ministerkomitee des Europarats nut- Toleranz gegenüber Gefährdern zen und den europaweiten Schutz der Drucksache 19/24383 ...... 24244 D Menschenrechte und Rechtsstaatlich- keit stärken in Verbindung mit Drucksache 19/24368 ...... 24244 A f) Antrag der Abgeordneten Gyde Jensen, Tagesordnungspunkt 31: Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios d) Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der , Gökay Akbulut, weite- Fraktion der FDP: Menschenrechtsverlet- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE zungen in Saudi-Arabien verurteilen – LINKE: Öffentlich finanzierte Grabpfle- Pressefreiheit, Frauenrechte und Frei- ge für KZ Kommandanten und andere lassung politischer Gefangener fordern NS-Verbrecher beenden Drucksache 19/24372 ...... 24244 A Drucksache 19/23996 ...... 24245 A g) Antrag der Abgeordneten Dr. , , Grigorios in Verbindung mit Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Allergien und Unver- träglichkeiten wirksam vorbeugen und Tagesordnungspunkt 31: Therapien und Aufklärung verbessern f) Antrag der Abgeordneten Joana Cotar, Drucksache 19/24373 ...... 24244 B Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, h) Antrag der Abgeordneten , weiterer Abgeordneter und der Fraktion Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Hocker, der AfD: Ausarbeitung und Durchfüh- weiterer Abgeordneter und der Fraktion rung einer Informations- und Aufklä- der FDP: Notfallzulassung für Neoniko- rungskampagne für die Bevölkerung zu tinoide ermöglichen den Funktions- und Wirkmechanismen Drucksache 19/24374 ...... 24244 B Künstlicher Intelligenz durch die Bun- desregierung j) Antrag der Abgeordneten Stephan Drucksache 19/24421 ...... 24245 B Thomae, , , weiterer Abgeordneter und der in Verbindung mit Fraktion der FDP: Kampf gegen Islamis- mus entschieden vorantreiben Drucksache 19/24369 ...... 24244 B Zusatzpunkt 11: k) Antrag der Abgeordneten Alexander i) Antrag der Abgeordneten Roman Müller- Ulrich, , Heike Hänsel, wei- Böhm, Michael Theurer, Grigorios terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der LINKE: Für eine sozialverträgliche EU- Fraktion der FDP: Pflicht zur digitalen Klimapolitik – Fonds für einen gerech- Einreiseanmeldung nachvollziehbar ten Übergang aufstocken und demokra- und datenschutzkonform ausgestalten tisch ausgestalten Drucksache 19/24376 ...... 24245 C Drucksache 19/23734 ...... 24244 C l) Antrag der Abgeordneten , Tagesordnungspunkt 32: Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- des von der Bundesregierung einge- KE: Gesundheitsschutz für Geflüchtete brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem in Zeiten der Pandemie sicherstellen Übereinkommen vom 5. Mai 2020 zur Drucksache 19/24364 ...... 24244 C Beendigung bilateraler Investitions- m) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten schutzverträge zwischen den Mitglied- Kappert-Gonther, Maria Klein-Schmeink, staaten der Europäischen Union Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- Drucksachen 19/23485, 19/24222, neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE 19/24471 ...... 24246 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 V b)–p) Beratung der Beschlussempfehlungen (DIE LINKE) ...... 24268 B des Petitionsausschusses: Sammelüber- Dr. (BÜNDNIS 90/ sichten 670, 671, 672, 673, 675, 676, DIE GRÜNEN) ...... 24269 A 677, 678, 679, 680, 681, 682, 683, 684 und 685 zu Petitionen (CDU/CSU) ...... 24269 D Drucksachen 19/24010, 19/24011, Dr. (CDU/CSU) ...... 24270 B 19/24012, 19/24013, 19/24015, 19/24016, 19/24017, 19/24018, 19/24019, 19/24020, 19/24021, 19/24022, 19/24023, 19/24024, Tagesordnungspunkt 14: 19/24025 ...... 24246 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie Zusatzpunkt 15: zu dem Antrag der Abgeordneten Leif- Erik Holm, , Dr. Heiko Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU Heßenkemper, weiterer Abgeordneter und und SPD: Wahl der Mitglieder des Stif- der Fraktion der AfD: Energiesicherheit tungsrates der „Stiftung Haus der kleinen gewährleisten – Nord Stream 2 unter- Forscher“ stützen Drucksache 19/24429 ...... 24247 C Drucksachen 19/22552, 19/23404 ...... 24271 C (CDU/CSU) ...... 24271 C Zusatzpunkt 16: Leif-Erik Holm (AfD) ...... 24272 C Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion (SPD) ...... 24273 B DIE LINKE: SOS Klassenzimmer – Wirksa- me Hilfen für Schulen in der Pandemie Dr. (FDP) ...... 24274 B Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE) ...... 24247 D (DIE LINKE) ...... 24275 A , Parl. Staatssekretär BMBF . . 24248 C Leif-Erik Holm (AfD) ...... 24275 D Dr. Götz Frömming (AfD) ...... 24250 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24276 C (SPD) ...... 24251 A Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 24277 A Katja Suding (FDP) ...... 24252 A (CDU/CSU) ...... 24278 B (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24253 B Steffen Kotré (AfD) ...... 24278 D Dr. (CDU/CSU) ...... 24254 B (SPD) ...... 24279 C Dr. (AfD) ...... 24255 B (CDU/CSU) ...... 24280 C (SPD) ...... 24256 B Namentliche Abstimmung ...... 24281 B Dr. (CDU/CSU) ...... 24257 B (DIE LINKE) ...... 24258 A Ergebnis ...... 24289 A (CDU/CSU) ...... 24259 A Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 24260 B Tagesordnungspunkt 15: Andreas Steier (CDU/CSU) ...... 24261 C a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung Tagesordnungspunkt 13: der Transparenz in der Alterssiche- rung und der Rehabilitation sowie Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- zur Modernisierung der Sozialversi- teidigungsausschusses zu der Unterrich- cherungswahlen (Gesetz Digitale Ren- tung durch den Wehrbeauftragten: Jahres- tenübersicht) bericht 2019 (61. Bericht) Drucksachen 19/23550, 19/24487 (neu) 24281 B Drucksachen 19/16500, 19/23857 ...... 24262 C – Bericht des Haushaltsausschusses Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen gemäß § 96 der Geschäftsordnung Bundestages ...... 24262 D Drucksache 19/24491 ...... 24281 C Annegret Kramp-Karrenbauer, b) Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesministerin BMVg ...... 24264 C Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Berengar Elsner von Gronow (AfD) ...... 24265 C dem Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Maria Klein-Schmeink, Anja Dr. (SPD) ...... 24266 B Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) . 24267 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: VI Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Sozialversicherungswahlen reformie- und der Fraktion der AfD: Häusliche ren – Demokratische Beteiligung sicher- Gewalt – Hilfe auch in der Corona-Zeit stellen gewährleisten Drucksachen 19/22560, 19/24487 (neu) . . . 24281 C Drucksache 19/24395 ...... 24298 B Dr. (SPD) ...... 24281 D d) Antrag der Abgeordneten Nicole Bauer, Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) ...... 24282 C Katja Suding, Matthias Seestern-Pauly, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (CDU/CSU) ...... 24283 B der FDP: Infrastruktur für Betroffene Johannes Vogel (Olpe) (FDP) ...... 24284 C häuslicher Gewalt in Deutschland kri- senfest aufstellen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) ...... 24285 B Drucksache 19/19726 ...... 24298 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24286 A e) Antrag der Abgeordneten Dr. Irene (SPD) ...... 24286 D Mihalic, , Renate Künast, (CDU/CSU) ...... 24287 C weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hasskri- minalität und andere Formen von Tagesordnungspunkt 16: Gewalt gegen Frauen endlich erfassen und wirksam bekämpfen Zweite und dritte Beratung des von der Drucksache 19/24382 ...... 24298 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Ver- Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 24298 C ordnung (EU) 2019/1148 des Europäischen (CDU/CSU) ...... 24299 B Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über die Vermarktung und Verwen- Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD) ...... 24300 C dung von Ausgangsstoffen für Explosiv- Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE) ...... 24301 C stoffe, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD) ...... 24301 D der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 Gülistan Yüksel (SPD) ...... 24302 A Drucksachen 19/23565, 19/24122 ...... 24292 A Nicole Bauer (FDP) ...... 24302 C (CDU/CSU) ...... 24292 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24303 B (AfD) ...... 24293 A (CDU/CSU) ...... 24304 A Helge Lindh (SPD) ...... 24293 D (SPD) ...... 24305 A Konstantin Kuhle (FDP) ...... 24295 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 24295 D Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU) ...... 24296 C Tagesordnungspunkt 18: (CDU/CSU) ...... 24297 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung des Son- Tagesordnungspunkt 17: dervermögens „Ausbau ganztägiger Bil- dungs- und Betreuungsangebote für a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Kinder im Grundschulalter“ (Ganztags- Möhring, Doris Achelwilm, Gökay finanzierungsgesetz – GaFG) Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Drucksachen 19/17294, 19/18735, Fraktion DIE LINKE: Femizide in 19/19066 Nr. 3, 19/24478 ...... 24305 D Deutschland untersuchen, benennen und verhindern – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Drucksache 19/23999 ...... 24298 A § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 19/24479 ...... 24305 D b) Antrag der Abgeordneten Nicole Höchst, , Mariana Iris Harder- Marja-Liisa Völlers (SPD) ...... 24305 D Kühnel, weiterer Abgeordneter und der Martin Reichardt (AfD) ...... 24306 C Fraktion der AfD: Umsetzung des Über- einkommens des Europarats zur Verhü- (CDU/CSU) ...... 24307 D tung und Bekämpfung von Gewalt Matthias Seestern-Pauly (FDP) ...... 24308 C gegen Frauen und häuslicher Gewalt bei Zwangsheiraten von Frauen in der Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . . 24309 A Bundesrepublik Deutschland Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24310 A Drucksache 19/24397 ...... 24298 A (SPD) ...... 24310 D c) Antrag der Abgeordneten Mariana Iris Harder-Kühnel, Martin Reichardt, Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU) ...... 24311 C , weiterer Abgeordneter () (CDU/CSU) . . . 24312 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 VII

Zusatzpunkt 12: Claudia Müller (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Armin-Paulus DIE GRÜNEN) ...... 24331 A Hampel, Dr. , Paul Viktor Mark Hauptmann (CDU/CSU) ...... 24331 D Podolay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der AfD: Eine ressortübergreifende, nationale Sicherheitsstrategie erarbeiten – Den Bundessicherheitsrat zum Nationalen Tagesordnungspunkt 22: Sicherheitsrat ausbauen Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Drucksache 19/24393 ...... 24313 B desregierung eingebrachten Entwurfs eines Armin-Paulus Hampel (AfD) ...... 24313 C Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bun- desmeldegesetzes (2. BMGÄndG) (CDU/CSU) ...... 24314 C Drucksachen 19/22774, 19/24472 ...... 24333 A Alexander Graf Lambsdorff (FDP) ...... 24315 B Philipp Amthor (CDU/CSU) ...... 24333 A Dr. (SPD) ...... 24316 A Joana Cotar (AfD) ...... 24333 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) ...... 24316 D Helge Lindh (SPD) ...... 24334 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24317 D Manuel Höferlin (FDP) ...... 24335 C (CDU/CSU) ...... 24318 C (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 24336 B Dr. (SPD) ...... 24319 A (CDU/CSU) ...... 24319 C Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung Tagesordnungspunkt 20: eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Einführung und Verwendung einer Iden- desregierung eingebrachten Entwurfs eines tifikationsnummer in der öffentlichen Gesetzes zur Anpassung der Ergänzungszu- Verwaltung und zur Änderung weiterer weisungen des Bundes nach § 11 Absatz 4 Gesetze (Registermodernisierungsgesetz – des Finanzausgleichsgesetzes und zur Be- RegMoG) teiligung des Bundes an den flüchtlingsbe- Drucksache 19/24226 ...... 24337 B zogenen Kosten der Länder Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . 24337 C Drucksachen 19/23481, 19/24233, 19/24482 . . 24320 C Uwe Schulz (AfD) ...... 24338 B (SPD) ...... 24320 C Peter Boehringer (AfD) ...... 24321 B Helge Lindh (SPD) ...... 24339 A Dr. André Berghegger (CDU/CSU) ...... 24322 A Manuel Höferlin (FDP) ...... 24340 A (FDP) ...... 24323 C Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24340 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) ...... 24324 B Marc Henrichmann (CDU/CSU) ...... 24341 C Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24325 A Nadine Schön (CDU/CSU) ...... 24342 C

Nächste Sitzung ...... 24343 C Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten , Michael Theurer, Dr. , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Mit Anlage 1 Gründergeist aus der Krise – Neue Chan- Entschuldigte Abgeordnete ...... 24355 A cen für junge Unternehmer Drucksache 19/23860 ...... 24326 A

Reinhard Houben (FDP) ...... 24326 B Anlage 2 (FDP) (zur Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Geschäftsordnung) ...... 24327 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zu der Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) ...... 24327 C Abstimmung über die Beschlussempfehlung (AfD) ...... 24328 C des Petitionsausschusses – Sammelübersicht 672 zu Petitionen, Beschlussempfehlung 3, (SPD) ...... 24329 B lfd. Nr. 13 bis 57 (Rentenanpassung) (DIE LINKE) ...... 24330 B (Tagesordnungspunkt 32 d) ...... 24355 D VIII Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Anlage 3 Sonja Amalie Steffen (SPD) ...... 24358 A Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Anlage 5 wurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/1148 des Europä- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung ischen Parlaments und des Rates vom des von der Bundesregierung eingebrach- 20. Juni 2019 über die Vermarktung und Ver- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes wendung von Ausgangsstoffen für Explosiv- zur Änderung des Bundesmeldegesetzes stoffe, zur Änderung der Verordnung (EG) (2. BMGÄndG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung der Verord- (Tagesordnungspunkt 22) ...... 24358 C nung (EU) Nr. 98/2013 Marc Henrichmann (CDU/CSU) ...... 24358 C (Tagesordnungspunkt 16) ...... 24356 C (CDU/CSU) ...... 24359 A Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 24356 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) ...... 24359 D

Anlage 4 Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des des von der Bundesregierung eingebrachten von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der wurfs eines Gesetzes zur Einführung und Ver- Ergänzungszuweisungen des Bundes nach wendung einer Identifikationsnummer in der § 11 Absatz 4 des Finanzausgleichsgesetzes öffentlichen Verwaltung und zur Änderung und zur Beteiligung des Bundes an den flücht- weiterer Gesetze (Registermodernisierungsge- lingsbezogenen Kosten der Länder setz – RegMoG) (Tagesordnungspunkt 20) ...... 24357 B (Tagesordnungspunkt 23) ...... 24360 C (CDU/CSU) ...... 24357 B (DIE LINKE) ...... 24360 C Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24187

(A) (C)

192. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Sportausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte Ausschuss für Arbeit und Soziales nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröffnet. Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Für die ausgeschiedene Kollegin Katja Dörner ist der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Kollege Dr. Janosch Dahmen als Mitglied des Deut- Ausschuss Digitale Agenda schen Bundestages nachgerückt. Für den ausgeschiede- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen nen Kollegen ist der Kollege Christian b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- Natterer als Mitglied des Deutschen Bundestages nach- desregierung gerückt. Gutachten zu Forschung, Innovation (Beifall) und technologischer Leistungsfähigkeit (B) Ich begrüße beide Kollegen im Namen des ganzen Deutschlands 2020 (D) Hauses und wünsche gute Zusammenarbeit. Drucksache 19/23070 (Beifall) Überweisungsvorschlag: Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU soll der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Kollege Christian Natterer – das ist eine schnelle Kar- zung (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz riere – als Nachfolger für die Kollegin Ausschuss Digitale Agenda zum Schriftführer gewählt werden. Sind Sie damit ein- Haushaltsausschuss verstanden? – Das ist der Fall. – Herzlichen Glück- c) Beratung der Beschlussempfehlung und wunsch, Sie sind als Schriftführer gewählt. des Berichts des Ausschusses für Bildung, (Beifall) Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- Interfraktionell sind folgende Änderungen der Tages- neten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Nicola ordnung vereinbart worden: Nach den Ohne-Debatte- Beer, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Punkten soll ein Wahlvorschlag der Fraktionen der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU und SPD zur Wahl von Mitgliedern des Stif- FDP tungsrates der Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ auf- gesetzt werden. Danach wird die von der Fraktion Die Gründung einer Agentur für radikale Linke verlangte Aktuelle Stunde zum Thema „SOS Klas- Innovation senzimmer – Wirksame Hilfen für Schulen in der Pande- mie“ aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich Drucksachen 19/2671, 19/10448 höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. d) Beratung der Beschlussempfehlung und Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 e auf: des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung a) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- desregierung neten Dr. h. c. Thomas Sattelberger, Katja Bundesbericht Forschung und Innovation Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter 2020 und der Fraktion der FDP Drucksache 19/19310 Hightech-Strategie 2025 – Strategisch aus- Überweisungsvorschlag: richten Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) Drucksachen 19/7118, 19/11412 24188 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble (A) e) Beratung der Beschlussempfehlung und Impfstoffentwicklung. Im Laufe der Jahre haben Özlem (C) des Berichts des Ausschusses für Bildung, Türeci und Ugur Sahin und ihre Mitstreiter Forschung Forschung und Technikfolgenabschätzung und Entwicklung mit langem Atem betrieben. Das zahlt (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- sich jetzt aus. Nur weil wir uns in Deutschland diesen neten Mario Brandenburg (Südpfalz), Katja langen Atem auch in finanziell schwierigen Zeiten leis- Suding, Nicola Beer, weiterer Abgeordneter ten, haben wir solche Erfolge mit Unternehmen wie und der Fraktion der FDP BioNTech. Holographie als Zukunftstechnologie för- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dern Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel für die Stärke unseres Drucksachen 19/8491, 19/23752 Innovationslandes: Bereits im Januar – da hat hier noch Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten niemand von Pandemie gesprochen – haben Wissen- beschlossen. schaftler um Professor Christian Drosten an der Charité einen PCR-Test entwickelt und gehörten damit weltweit Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der zu den Pionieren. Dieser Test hat uns geholfen, besser Bundesministerin Anja Karliczek. durch die erste Welle der Pandemie zu kommen als ande- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- re – eine kleine, schnelle Innovation mit großer Wirkung. ordneten der SPD) Aber wir sind auch in anderen Innovationsfeldern Spit- ze. Ich will ein paar Beispiele nennen: Gerade hat ein Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und deutsches Institut im weltweiten Computer Science Ran- Forschung: king Platz eins in der Cybersicherheit erreicht, nämlich Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolle- CISPA in Saarbrücken, ein Helmholtz-Institut, das – noch ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und jung an Jahren – von uns gegründet worden ist, um Herren! Hoffnung ist das Wort, das die Menschen in Sicherheitslösungen in digitalen Systemen zu entwickeln. unserem Land derzeit mit Innovation und Forschung ver- Oder auch unsere Gauß-Rechner: Auf der gerade veröf- binden, Hoffnung, dass wir dieses Virus und seinen fentlichten Liste der 500 schnellsten Supercomputer der Schrecken schnellstmöglich in den Griff bekommen. Welt stehen Supercomputer aus Deutschland auf den vor- Aber auch ohne die Pandemie, die die Welt in Atem dersten Plätzen. Wir spielen auch dort, in der Weltliga der hält, würden wir heute über die Bedeutung von Innova- Supercomputer, ganz vorne mit. tionen, über den Bundesbericht Forschung und Innova- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tion und auch über das EFI-Gutachten debattieren. Nur (B) (D) eines war vorher anders: Selten verbanden sich mit For- So, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen relevante schung und Innovation so konkrete Hoffnungen für die und kraftvolle Antworten auf gesellschaftliche Heraus- Menschen und ihre Gesundheit. Alle Welt hofft auf den forderungen aus. Deswegen lassen Sie uns einen Moment Impfstoff, einen Impfstoff, der unter anderem in innovati- innehalten und stolz sein auf unseren Innovationsstand- ven, forschenden Unternehmen in Deutschland entwi- ort, auf das, was bis zum heutigen Tag schon geschafft ckelt wird, von Unternehmen, die aktuell vielverspre- worden ist. Lassen Sie uns einmal genießen, was wir bis chende Impfstoffkandidaten in der Pipeline haben. heute geschafft haben. Daran zeigt sich: Deutschland kann Innovation, Deutsch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und land kann Biotechnologie, und Deutschland kann Start- der Abg. Bärbel Bas [SPD] – Katrin Göring- up. Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Rauschender Beifall!) der SPD) Natürlich muss das, was heute schon gut ist, noch Aber all das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist kein besser werden: noch innovativer, noch agiler, noch Selbstläufer. Dass wir diese Erfolgsgeschichten haben, ist schneller. Denn der Wettbewerb mit Asien und Amerika das Ergebnis technologieoffener und kluger Forschungs- ist hart und schnell. Aber, liebe Kolleginnen und Kol- förderung. Diese Bundesregierung setzt auf die Kraft von legen aus der Opposition, das unterscheidet uns: Wir Fortschritt und Innovation. Wir investieren seit Jahren in sehen die Erfolgsgeschichten aus Saarbrücken, Mainz, Forschung und Innovation. Gute Forschung, erfolgreiche Dessau, Tübingen und Berlin als Ansporn, kraftvoll Innovation braucht einen langen Atem. Und genau dieses weiterzumachen und mit langem Atem zu investieren. Fundament ist es, das uns jetzt in dieser Krise stärker Ja, liebe FDP, lassen Sie uns gerne darüber reden, wie macht als andere, worauf wir aktuell aufbauen und damit wir einen guten Biotechstandort noch besser machen. auch erfolgreich sind. BioNTech ist das beste Beispiel Es freut mich, wenn Sie unsere Anstrengungen unterstüt- dafür. zen. Dazu gehört dann auch, dass wir ohne ideologische Scheuklappen über den Rechtsrahmen für neuartige BioNTech ist ein Start-up. Mittlerweile kennt jeder Technologien wie die Genschere CRISPR/Cas9 reden; dieses Unternehmen. In unserer Forschungsförderung denn wir wollen dieses Instrument zum Wohle der Men- ist dieses Unternehmen eine alte Bekannte. Wir, das schen nutzen. BMBF, fördern dieses Unternehmen seit seiner Gründ- ungsphase 2007: zu Beginn mit GO-Bio, unserer Gründ- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Marco ungsoffensive Biotechnologie, dann über den Spitzen- Buschmann [FDP]: Dann müssen Sie darüber cluster-Wettbewerb und jetzt im Sonderprogramm zur gucken, nicht zu uns! Falsche Regieanwei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24189

Bundesministerin Anja Karliczek (A) sung! – Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Dr. Michael Espendiller (AfD): (C) Darüber gucken!) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer im Saal und bei YouTube! Wir debattie- Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten ren heute, inwiefern der Bund in Sachen Forschung und Damen und Herren, auch an den Bildschirmen, Wider- Innovation seine Hausaufgaben gemacht hat. Frau standsfähigkeit stärken und technologisch souveräner Karliczek hat uns wieder mal weismachen wollen, wie werden, das sind die beiden Ziele, für die wir in dieser toll diese Bundesregierung und ihre Leistungen sind. Krise und auch danach die Maxime hochhalten, nicht nur Auf ihre kühle und leidenschaftslose Art hat sie uns wie- in der Gesundheitsforschung. Wir haben gerade im Kabi- der mal erzählt, dass der Bund hier Geld ausgibt, da Geld nett beschlossen, die Mikroelektronik mit 400 Millionen ausgibt und auch dort noch mehr Geld ausgibt. Frau Euro zu fördern. Es geht dabei um nichts weniger als die Karliczek ist offenbar die Meisterin im Geldausgeben. Frage, wie wir in der digitalen Welt wettbewerbsfähig bleiben und eigene Standards setzen. Die Mikroelektro- Aber inwiefern profitiert eigentlich Deutschland als nik ist die Schlüsseltechnologie in der digitalen Welt: Forschungsstandort wirklich davon? Ganze 19,6 Milliar- Sensoren in autonom fahrenden Autos, selbststeuernde den Euro hat der Bund für Forschung und Entwicklung Industrieproduktionen, die Kommunikationsinfrastruktur ausgegeben. Zugegeben, 19,6 Milliarden Euro sind eine der Zukunft: All das braucht Chips und Prozessoren. Wir ganze Menge Geld. 22 Milliarden Euro sind aber noch brauchen souveräne Kompetenz auf diesem Feld, um die mehr Geld. 22 Milliarden Euro hat allein die amerika- Mikroelektronik aktiv mitzugestalten, und das möglichst nische Firma Alphabet im Jahr 2019 für Forschung und nachhaltig und energieeffizient. Entwicklung ausgegeben. Auch der Forschungsetat von Google ist größer als der der Bundesregierung. (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) (Zuruf von der LINKEN: Das ist auch nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann es nur noch Steuergeld!) einmal wiederholen: Der weltweite Wettbewerb ist hart Und das ist nicht das einzige Beispiel. Samsung Elect- und schnell. Und wir wollen und werden in diesem Wett- ronics: 14,8 Milliarden Euro, Microsoft: 14,7 Milliarden bewerb bestehen, wenn wir auf Agilität und Flexibilität, Euro, Volkswagen: 13,6 Milliarden Euro. Und wissen gute Netzwerke, auf zügigen Transfer aus der Forschung Sie, was alle diese Investitionen gemeinsam haben? in die wirtschaftliche Anwendung setzen. Damit können Jemand muss für sie geradestehen, und sie müssen sich wir dieses Land an der Spitze halten, und damit können am Markt behaupten. wir den Wohlstand unseres Landes bewahren und aus- bauen. (Beifall bei der AfD) (B) (Beifall bei der CDU/CSU) Und was macht diese Regierung? Die verteilt das Geld (D) mit der Gießkanne, und der Bund will sich auf Biegen Wir haben die Fachkräfte dafür. Wir haben das Innova- und Brechen als Unternehmer betätigen. Doch er versagt tionspotenzial. Wir müssen mutig, kontinuierlich und dabei jedes Mal. Eines der neuesten Lieblingsprojekte optimistisch weiter daran arbeiten. Wir können das! Wir dieser politischen Möchtegernunternehmer ist Gaia-X. sind das Innovationsland Deutschland, und wir wollen es Auf dem amerikanisch und chinesisch dominierten Markt bleiben. Dafür bitte ich ganz herzlich um Ihrer aller von Cloud-Dienstleistern soll Gaia-X die europäische Unterstützung. Antwort sein, wo alles viel besser und schöner währt. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Erstens ist festzustellen, dass das ohne den Breitband- Dr. [FDP]: Fangfrage: Nen- ausbau sowieso nichts wird. Ohne Internetanschluss kei- nen Sie eine konkrete Maßnahme, die die ne Cloud. Zweitens. Gaia-X wird – und das ist bittere Ministerin genannt hat! – Gegenruf des Abg. Realität – nicht laufen. Gaia-X wird eine weitere staat- [CDU/CSU]: Forschungsmit- liche Geldverbrennungsmaschine sein, die mit Getöse tel für die nächsten zehn Jahre, um die uns die und Feuerwerk angekündigt wird und dann sang- und ganze Welt beneiden kann! – Gegenruf des klanglos im Erdboden verschwindet. Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP]: Das hat 2007 wollten Sie mit Theseus die europäische Antwort sie gesagt? Das können wir ja im Protokoll auf die Suchmaschine Google geben. Was wurde daraus? nachlesen! Dann können wir sehen, ob Sie Genauso wie in der griechischen Mythologie musste lesen können! – Gegenruf des Abg. Ralph Theseus sterben, und er riss Steuergelder in dreistelliger Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein bisschen Grund- Millionenhöhe mit sich in den Abgrund. wissen ist ja wohl vorausgesetzt, Herr Buschmann! Mein Gott, ihr seid völlig von (Beifall bei der AfD) der Rolle! Völlig von der Rolle! – Gegenruf Was will ich hier wieder mal sagen? des Abg. Dr. Marco Buschmann [FDP]: Auf eurer Rolle steht dafür nichts!) ( [SPD]: Das fragen wir uns auch! – Dr. [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie anscheinend Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: selber nicht!) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Espendiller, AfD. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Lassen Sie die Finger von Dingen, von denen Sie keine Ahnung (Beifall bei der AfD) haben. 24190 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Michael Espendiller (A) Und bitte, achten Sie auch darauf, von wem Sie sich (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph (C) beraten lassen. Sie lassen sich jedes Jahr von den soge- Brinkhaus [CDU/CSU]) nannten Wissenschaftsweisen den EFI-Bericht vorlegen. Der liest sich ja regelmäßig wie ein planwirtschaftliches Gesundheitsforschung generell liefert uns Erkenntnis- Pamphlet aus der sozialistischen Hölle. se über Gesundheit und Krankheit. Sie entwickelt neue Präventionsansätze und auch innovative Therapieverfah- (Lachen bei Abgeordneten der SPD) ren. Das sehen wir, und deshalb ist sie auch zu Recht ein Aber dann hat dieses Gremium mit Uwe Cantner jetzt Schwerpunkt unserer Hightech-Strategie. Diese hat zum auch noch einen Vorsitzenden, der ganz offen gegen Ziel, dass die Erfolge der Gesundheitsforschung irgend- unsere Kernindustrien hetzt. In einem Interview dieses wann auch in die Versorgungspraxis übergehen. Auch die Jahr war Herr Cantner der Meinung, dass die Bürger gesamte Hightech-Strategie ist darauf ausgerichtet, Ant- kein eigenes Auto bräuchten; es gäbe ja Carsharing. worten auf genau diese gesellschaftlichen Herausforde- Unsere Automobilindustrie war bestimmt begeistert, das rungen zu finden. zu hören. In Bezug auf unsere Autoindustrie äußerte er 105 Milliarden Euro investierten Staat und Wirtschaft sich auch noch arrogant und verächtlich über deren Chef- 2018 gemeinsam, Herr Espendiller, 19,6 Milliarden Euro etagen und verkündete mal eben das Ende des Verbren- davon der Bund. Unser Anteil hat sich damit seit 2005 nungsmotors. Da ist er voll auf dem Holzweg. Liebe Frau mehr als verdoppelt, und er steigt weiter. Das ist auch Karliczek, wenn Sie sich von solchen Leuten beraten wichtig für die Zukunftspakete Wasserstofftechnologie, lassen, dann muss man sich nicht wundern, dass dieses KI und auch Quantentechnologie. Land den Bach runtergeht. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD – Dr. Michael Espendiller [AfD]: Wir brauchen die Unternehmer, Frau Ihre einzige wirkliche Errungenschaft in der For- Bas, nicht den Staat! Das ist ein Tropfen auf schungspolitik ist die steuerliche Forschungsförderung. den heißen Stein!) Geben Sie den Unternehmen Luft zum Atmen. Befreien Sie sie von der Bürokratie und von aberwitzigen Steuern Meine Damen und Herren, mit Wasserstoff aus CO2- und Lohnabgaben, und dann werden Sie sehen, wie freier Herstellung kann unsere Industrie ihre Treibhaus- Deutschland wieder zurück an die Forschungsspitze fin- gasemissionen deutlich reduzieren. Ich selbst komme aus det. Aber nur Geld aus dem Fenster zu werfen für dieses Duisburg. Dort steht ein Stahlwerk von thyssenkrupp, oder jenes Projekt, das wird nicht funktionieren. Die eine Industrieanlage mit dem höchsten CO2-Ausstoß in Unternehmer brauchen Freiheit. Innovation braucht Frei- Deutschland. Dort steht aber auch der erste Hochofen, der heit. mit Wasserstoff statt Kohle arbeitet. Solche Technolo- (B) gien – und deshalb stützen wir die Industrie damit – brau- (D) (Yasmin Fahimi [SPD]: Dann brauchen sie chen wir, und solche Technologien fördern wir auch. auch keine Subventionen, wenn sie so toll sind!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. der CDU/CSU) (Beifall bei der AfD) Es geht darum, den Klimawandel zu bekämpfen. Erneuerbare Energien und die Nutzung von Wasserstoff gehören dazu, übrigens genauso wie auch innovative Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Mobilitätskonzepte. Nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Bas, SPD. Ein weiterer Schwerpunkt der Hightech-Strategie ist (Beifall bei der SPD) die Digitalisierung der Arbeitswelt. Vorrangig sollten Produktions- und Dienstleistungsprozesse effizient, Bärbel Bas (SPD): umweltgerecht weiterentwickelt und die Rahmenbedin- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit März gungen der Datenökonomie angepasst werden. Die High- forschen Institute und Unternehmen weltweit zum neuen tech-Strategie will die Gesellschaft dabei stärker einbe- Coronavirus. Die Erfolge sind schon jetzt verlässliche ziehen; auch das ist wichtig. Das ist gerade bei der Testverfahren und auch bessere Therapien. Auf dem Digitalisierung der Arbeitswelt notwendig. Weg sind jetzt auch Impfungen und weitere Schnelltests, die wir sogar bald zu Hause machen können. Die Angst, dass mit der Digitalisierung massiv Jobs wegfallen, ist größtenteils unbegründet, wie ich finde. Wir müssen zurzeit unser gesellschaftliches Leben sehr Es wird aber einen stark spürbaren Strukturwandel geben. einschränken. Die Forschung kann uns aber dabei helfen. Deshalb sind auch neue Qualifikationen nötig. Die Sie gibt uns die berechtigte Hoffnung, dass wir bald mit Arbeitsformen müssen wir uns ansehen. Wir müssen klä- dem Virus besser leben können. Dafür brauchen wir die ren, welche Aus- und Weiterbildungsstrategien wir brau- Forschung. Wir unterstützen diese Forschung unter ande- chen und wie sie sich verändern. rem mit bis zu 320 Millionen Euro für die internationale Impfstoffinitiative CEPI und mit bis zu 750 Millionen Wir müssen auch darüber reden, wie sich im Zusam- Euro für die nationale Impfstoffentwicklung. 15 Millio- menhang mit dem Strukturwandel unsere Sozialversiche- nen Euro stellen wir für die Forschung an Arzneimitteln rungen verändern. Das Bundesministerium für Arbeit und Therapieverfahren bereit. Das sind wichtige Schritte, und Soziales hat dazu sowohl unter als die wir jetzt brauchen, und das zeigt deutlich, dass For- auch unter gute Vorschläge vorgelegt. schung und Innovation in der Wirtschaft wichtig sind. Daran sollten wir arbeiten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24191

Bärbel Bas (A) Meine Damen und Herren, wir können auf viele Erfol- „Die reinste Form des Wahnsinns ist es,“ – ich zitiere (C) ge in unserer Politik für Forschung und Innovation bli- Albert Einstein – „alles beim Alten zu lassen und gleich- cken; das ist richtig. Wir wollen aber auch noch besser zeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ werden. Wir wollen bis 2025 3,5 Prozent des Bruttoin- landsproduktes in Forschung und Entwicklung investie- (Beifall bei der FDP) ren. Das ist wichtig, wenn wir unsere gute Position auch im weltweiten Vergleich halten wollen. In Ihrem Bericht, liebe Frau Karliczek, steht auch nichts Substanzielles zum Transfer – Ihr großes Thema Haupttreiber für diesen Anstieg der Bundesausgaben und Ihr großes Trauma! Kühl abserviert haben Sie unsere für Forschung ist der Pakt für Forschung und Innovation. Idee einer deutschen Transfergemeinschaft für die vielen Er garantiert regelmäßige Aufwüchse von 3 Prozent pro anwendungsorientierten Fachhochschulen. Und was die Jahr. Initiiert wurde er von ; daran will geringere Anzahl grundlagenforschungsstarker Hoch- ich erinnern. Die ehemalige Forschungsministerin hat schulen für angewandte Wissenschaften angeht: Die übrigens auch die Exzellenzstrategie auf den Weg Deutsche Forschungsgemeinschaft ist nach wie vor unfä- gebracht. Diese sozialdemokratisch geprägten Entschei- hig, sie in ihre Förderung zu integrieren. Ihre vollmundig dungen bestimmen bis heute maßgeblich auch die Struk- angekündigten KI-Professuren – 100 an der Zahl –, da tur unserer ganzen Forschungslandschaft. erzählen Sie uns, Sie hätten bereits über 20. In Wirklich- (Beifall bei der SPD) keit haben sie erst 4 der 30 Alexander-von-Humboldt- Damit nicht genug: Zuletzt hat auch die Professuren besetzt und 2 der restlichen 70. Ihre Rech- lang geforderte steuerliche Forschungsförderung durch- nung klingt arg nach Trump-University. Stop the count, gesetzt, um noch mehr Potenzial für Innovation zu heben. Frau Karliczek! Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch noch insge- samt bedanken. Sie sehen: Die Sozialdemokratie steht zu (Beifall bei der FDP) diesem Forschungsstandort. Ich wünsche mir deshalb Die Biotechnologie haben Sie jahrzehntelang drei weitere Beratungen. Der heute vorliegende Bericht zeigt, wagemutigen Investoren überlassen: den Gebrüdern dass wir auf einem guten Weg sind. Strüngmann und Dietmar Hopp. Falls es jetzt hoffentlich Herzlichen Dank. einen Impfstoff aus Deutschland gibt, dann nicht wegen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan dieser Bundesregierung, sondern trotz dieser Bundesre- Kaufmann [CDU/CSU]) gierung. (Beifall bei der FDP – Dr. Anton Hofreiter (B) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen das (D) Nächster Redner ist der Kollege Dr. Thomas nicht peinlich? Eine Schande! – Oliver Sattelberger, FDP. Kaczmarek [SPD]: Jetzt aber!) (Beifall bei der FDP) Die Agentur für Sprunginnovation, für die ich mich verkämpfe, kann nicht einmal GmbHs mit Minderheits- Dr. h. c. Thomas Sattelberger (FDP): beteiligung gründen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner GRÜNEN]: Was schickt ihr hier für Redner!) überzeugt werden …, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben … Sie krebst vor sich hin ohne Bein- und Gedankenfrei- heit, genauso wie die gegängelten Ausgründungen von Max Plancks Worte für all jene, die Technologie einen- Fraunhofer und Kompanie. Dann, Frau Karliczek, Ihre gen, aus dem Land getrieben haben und noch immer völlig chaotische Standortentscheidung Batteriezellen- treiben – die hier links sitzen –, statt für Technologieof- forschung! Haben Sie Ihre Abteilungsleiter auch auf die fenheit einzutreten! Nicht der einzige Bremsklotz deut- Trump-University geschickt? Dann können wir ja dank- scher Forschung: überkomplexe Regelwerke, unzählige bar sein, dass der neue Batteriestandort Münster heißt Projektanträge, Bürokratie, die allem Forschergeist den und nicht Mar-a-Lago. Atem abschnürt. Derweil gerieren sich die Granden von Wissenschaft und Regierung wie Kleopatra auf dem Nil: Selbst jetzt, in Coronazeiten, fehlt Ihnen der Mut, Egal wie viel Transformation zu Lande passiert, sie Deutschlands Digitalschwäche bei den Hörnern zu ziehen in majestätischen Galeeren träge vorbei und packen und den Ausbau von 5 G zu beschleunigen. Statt- genießen – Asterix lässt grüßen – ein paar Perlen in dessen immer noch das Gerede von den Milchkannen! Essigwasser. Das, liebe Frau Karliczek, ist Ihre Genuss- Ihnen fehlt der Mut zur Veränderungsdynamik im Inno- freude. Derweil steigt Deutschland ab in allen vier rele- vationssystem durch Wildcards und Wettbewerb, durch vanten internationalen Rankings zur Wettbewerbsfähig- Key-Performance-Indikatoren, die man nicht nur errei- keit, auch im Ranking des Weltwirtschaftsforums, des chen möchte, sondern übertreffen möchte, damit aus fet- letzten, dessen sich die Unionschristen, hier vor mir sit- ten Katzen endlich agile Geparden werden. zend, noch 2019 gerühmt hatten. Das alles steht nicht in Ihrem Bericht, Frau Karliczek. (Beifall bei der FDP – Oliver Kaczmarek (René Röspel [SPD]: Kommt da noch was?) [SPD]: Schade um die schöne Redezeit!) 24192 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. h. c. Thomas Sattelberger (A) „Neugierde ist ein verletzliches Pflänzchen,“ – so (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brömer (C) Albert Einstein – „das nicht nur Anregung, sondern vor [CDU/CSU]: Das mit dem Staudamm habe ich allem Freiheit braucht.“ Sobald wir Freien Demokraten in nicht verstanden! – Katrin Göring-Eckardt Deutschland verantwortlich sind für Innovation und For- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es schung, geschafft, dass ich mich mit Frau Karliczek (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: solidarisch fühle!) Bitte nicht!) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: werden wir der Bürokratie den Garaus machen. Dr. Petra Sitte, Die Linke, ist die nächste Rednerin. (Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht man bei der (Beifall bei der LINKEN) Schulministerin in NRW!) Frische Luft, neuer Geist ins System, lieber Herr Brinkhaus! Ist es Ihnen übrigens schon mal aufgefallen, Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): dass wir Deutschen, wenn wir über Innovation sprechen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Forschung, zuerst an Forschungseinrichtungen denken? Überall Innovation und technische Neuerung prägen immer mehr sonst auf der Welt denken die Menschen an Gründer unser Leben. Sie verändern Arbeitsplätze, Arbeitsabläufe und an Unternehmerinnen und Unternehmer, wie auch unsere Möglichkeiten, mit der Welt in Kontakt zu treten und umgekehrt. Daher ist uns Linken For- (Beifall bei der FDP) schungspolitik auch so wichtig. Wir wollen Forschung und die brauchen innovative Freiheitszonen. Frankreich, im Interesse der Menschen gestalten, statt das Leben Polen, Großbritannien nutzen seit Jahrzehnten die Hebel- durch Technik steuern zu lassen. Die Berichte, die wir effekte von Free Enterprise Zones. heute diskutieren, folgen jedoch weitgehend einer tech- nikfixierten und exportorientierten Sicht auf Forschung. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Auf Schaut man nämlich in die Berichte, dann findet man so nach Polen, weil dort alles besser ist!) schicke Schlagworte wie „Anteil am Weltmarkt“, „Paten- Start-ups wachsen so zu Scale-ups, Hochschulen zu te pro Kopf“, „Ausgaben, anteilig am Inlandsprodukt“. Transferzentren. Sozialentrepreneure befruchten die Meine Damen und Herren, das verstehen wir nicht unter Zivilgesellschaft. Kommunen werden E-Service-Anbie- Forschungspolitik. ter für Bürger – agil, unbürokratisch, steuerbegünstigt und innovativ. Natürlich brauchen wir wieder system- (Beifall bei der LINKEN) relevante Industrien made in Europe bei Medizintechnik, (B) Wir fragen vielmehr: Wenn wir schon öffentliche Gel- (D) Biotech, digitaler Basistechnologie, mit attraktiver der ausgeben, was fließt von diesen öffentlichen Geldern Standortpolitik, Wagniskapital und Ausgründungen aus an die Gesellschaft zurück, an die Menschen und an das dem Wissenschaftssystem. Gemeinwesen? Das müssen wir uns doch gerade im Zuge (Beifall bei der FDP) der Coronapandemie fragen: Soll denn im Grundsatz Meine Damen und Herren, wir brauchen einen New wirklich alles so weitergehen wie bisher, so wie es Herr Deal für einen deutschen digitalen Hoover-Staudamm, Sattelberger gerade beschrieben hat? Epochale Ziele wie Bewältigung des Klimawandels, Biodiversität, Ressour- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wel- censchutz, Verteilungsgerechtigkeit, soziale und demo- cher Staudamm?) kratische Teilhabe, nachhaltige Wirtschaftsformen und E-Schooling, E-Health, E-Government. Ein Megaprojekt Lebensstile, Mobilitätskonzepte, Gesundheitsforschung, für europäische Start-ups und Mittelständler, mit dem Digitalisierung – es ließe sich beliebig fortsetzen –, all Staat als erstem Kunden! Die USA haben uns das in der das sind Felder, die unser Leben heute und in Zukunft Great Depression vor 100 Jahren erfolgreich vorgemacht. existenziell bestimmen. Aber mit Technologie alleine meistern wir die digitale Ära nicht, sondern nur begleitet von sozialer Innovation. Und der Bericht der Bundesregierung? Der atmet den Geist der 50er-Jahre: exportieren, konkurrieren. Was da- (Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE bei entwickelt und verkauft wird, ist relativ unwichtig. Es GRÜNEN]: Was ist eigentlich mit der FDP bleibt bei Ihrer Wachstumsphilosophie der letzten Jahr- los?) zehnte. Das ist auch durchaus im Sinne der Global Player. Sie ist der Zwilling des technologischen Fortschritts. Aber für die sind wir ja eben nur ein Standort, und das ist Unsere Gesellschaft – Herr Brinkhaus, hören Sie zu –, uns zu wenig. vor allem unsere soziale Marktwirtschaft braucht ein Update, und das muss sich an den künftigen Bedürfnissen (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai der Menschen orientieren, nicht an der eigenen Komfort- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zone, liebe Schwarze, oder an gentechnikfeindlicher Es sind doch oft genug gerade die kleineren Unterneh- Ideologie, liebe Grüne. Nein, „Klarheit in den Worten, men, die viel innovativer sind: kommunale Unternehmen, Brauchbarkeit in den Sachen“, das hat schon Gottfried Sozialunternehmen oder die Social Entrepreneurs. Sie Wilhelm Leibniz gefordert. Und ceterum censeo füge sind eben einfach näher dran an den Bedürfnissen von ich hinzu: Ran an den Speck, Frau Karliczek! Menschen oder beispielsweise auch an den Bedürfnissen Danke schön. von kommunalen Verwaltungen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24193

Dr. Petra Sitte (A) Gerade als ostdeutsche Abgeordnete muss ich noch Dabei brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissen- (C) mal sagen: Ich erlebe immer wieder, wie wichtig und schaftler aber auch selber aktive Unterstützung. Ich frage wie innovativ kleine und mittelständische Unternehmen mich, ehrlich gesagt, immer wieder: Was um Himmels im Osten wirken und arbeiten. Deshalb vertrete ich auch willen bringt die Bundesregierung und ihre Beratungs- seit Jahren die Position, dass genau die beispielsweise aus gremien bloß auf die Idee, dass verlässliche und den dem Innovationsprogramm Mittelstand viel stärker und Leistungen entsprechende Karrierechancen Wissen- viel verlässlicher gefördert werden sollten, statt mit der schaft, Forschung und Kreativität behindern könnten? Gießkanne über Steuern letztlich doch bloß die Großen Da hangelt man sich von befristetem Vertrag zu befriste- zu begünstigen. tem Vertrag. Deutschland liegt weit hinter anderen Industrieländern, was den Anteil dauerhafter Beschäfti- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- gung im Wissenschaftsbereich betrifft. Davon sind nicht NIS 90/DIE GRÜNEN) nur die Hochschulen betroffen, sondern zunehmend auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Ich sage Nah dran sind natürlich mit ihrer Alltagskompetenz mal: Kein Wirtschaftsunternehmen dieser Welt würde und ihrem Alltagswissen die Menschen selbst. Sie müs- eine solche Personalpolitik betreiben. sen viel mehr direkte Mitsprache bei der Forschungsstra- tegie bekommen. Die bisherigen Bemühungen der Bun- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- desregierung sind eher enttäuschend. Auch Gruppen und NIS 90/DIE GRÜNEN) Organisationen, die hier wertvollen Input geben könnten, werden nicht wirklich ernsthaft eingebunden oder eben Wir sollten stattdessen alles tun, um Nachwuchswis- viel zu wenig. Sie sind fast immer eine verschwindende senschaftlerinnen und -wissenschaftler zu unterstützen. Minderheit in Beratungsgremien. Wenn Sie es also wirk- Wir sollten uns hier immer wieder fragen: Was braucht lich ernst meinen mit Forschungspolitik, die am Gemein- die Gesellschaft? Was brauchen die Menschen? Was wohl orientiert ist, dann beteiligen Sie doch endlich diese brauchen vor allem jene, die zu den am meisten Benach- Unternehmen, diese Verbände gleichberechtigt neben teiligten in dieser Gesellschaft gehören? Jede Entschei- Wirtschaftsverbänden oder auch freie Forschungsverbün- dung, die wir hier treffen und die deren Situation weiter de, die Sie mit ihrem Wissen beraten könnten. Ich habe verschlechtert, ist eine inakzeptable Entscheidung. Des- das Gefühl: Was Sie derzeit betreiben, ist so eine Art halb sind soziale Innovationen so wichtig. Particitainment. So verlieren sie eben auch Unterstützung (Beifall bei der LINKEN) in der Gesellschaft. Schließlich wünsche ich mir, dass die Ministerin nicht Erst unlängst haben wir hier den Bericht der Enquete- nur den Horizont der Forschungsbemühungen des Minis- (B) Kommission „Künstliche Intelligenz“ beraten. Auch da teriums erweitert, sondern eben auch den Kreis der Betei- (D) wurde die Gesellschaft während der Erarbeitung des ligten. Zukunft ist zu spannend, als sie Ihnen überlassen Berichtes nicht beteiligt, sondern erst, als die Ergebnisse zu können. Wir sollten alle daran beteiligt werden, hier da waren. Die Koalitionsfraktionen haben diese Beteili- im Bundestag genauso wie in der Gesellschaft. gung verhindert. Dabei wäre doch gerade diese Perspek- tive so wichtig gewesen. Was ermöglichen denn neue (Beifall bei der LINKEN) Technologien wie künstliche Intelligenz an Anwendun- gen und Praktiken, die uns als Gemeinwesen wirklich Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: weiterbringen? Da neue Impulse zu suchen und aufzu- Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, hat als Nächster nehmen, das verstehe ich unter erfolgreicher Forschungs- das Wort. politik. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Anna Christmann [BÜNDNIS 90/DIE Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): GRÜNEN]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei alldem können Wissenschaftlerinnen und Wissen- Aktuell erleben wir alle, wie sehr Forschung und Innova- schaftler aber auch hervorragende Erklärer ihrer eigenen tion im Interesse der Menschheit und unseres Planeten Forschung sein. Sie können hervorragend Dialoge füh- liegen. Kluge Forschungs- und Innovationspolitik baut ren. Sie können auch helfen, die Akzeptanz zu erhöhen. vor, sonst wird sie von der Realität überrollt. Die Coronakrise hat uns doch gerade gezeigt, wie extrem Wir erleben eine wirklich außergewöhnliche Realität, wichtig es ist, dass Wissenschaft und Gesellschaft an eine Jahrhundertpandemie. Seit Monaten richten sich alle einem Strang ziehen und gemeinsam Fakten prüfen, Fak- Augen auf die Wissenschaft. Sie forscht mit Hochdruck ten diskutieren und dann Maßnahmen anregen. an Impfstoffen und Medikamenten. Wir können uns über drei Impfstoffkandidaten made in Germany freuen. Ich Am Montag dieser Woche – das werden sicher viele kann aber nicht erkennen, dass die Forschungsministerin gesehen haben – lief im öffentlich-rechtlichen Fernsehen klug vorgebaut hätte. Täglich sind wir damit konfrontiert, ein Film über die größte Polarexpedition aller Zeiten. welche Forschungslücken zum Coronavirus noch beste- Auch da erklärten uns Wissenschaftlerinnen und Wissen- hen, von der Erforschung von Übertragungswegen bis schaftler, was sie tun, und vor allem, warum sie es tun. zu Präventionsstrategien. Warum lassen Sie diese For- Ich fand das großartig, weil dort coram publico das Ange- schungslücken offen, Frau Forschungsministerin? bot gemacht wurde, mit dem Bundestag, mit der Gesell- schaft über die Fragen des Klimawandels zu reden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 24194 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Kai Gehring (A) Wir Grüne fordern seit Monaten einen interdisziplinä- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) ren, wissenschaftlichen Pandemierat, der Antworten auf ordneten der SPD) offene Fragen liefert, Erkenntnisse bündelt, Maßnahmen monitort und Politik berät. Anstatt sich jede Woche in Andreas Steier (CDU/CSU): Pressegesprächen mit Topforschern zu sonnen, wäre der Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Pandemierat die richtige Antwort einer Bundesfor- Kollegen! Es gibt wohl kaum ein Jahr in unserer Ge- schungsministerin auf die Coronakrise. schichte, in dem so stark auf Wissenschaft und Forschung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geblickt wurde. Daher freue ich mich, dass wir heute über sowie bei Abgeordneten der LINKEN) den Bundesbericht Forschung und Innovation der Bun- desregierung sprechen. Jeder, der den Bericht liest, Uns sorgt, dass Sie die Hochschulen in dieser Krise bekommt ein gutes Gefühl dafür, warum ein starker For- offenbar komplett vergessen. Für die außeruniversitäre schungsstandort hier in Deutschland so wichtig ist. Gera- Forschung gibt es dieses Jahr 400 Millionen Euro mehr, de die Coronapandemie zeigt uns deutlich, wie wichtig damit Kooperationen mit der Wirtschaft aufrechterhalten gute Forschungspolitik ist, die im Notfall schnell funk- werden. Gut so! Aber die Hochschulen schauen in die tioniert, die nicht erst viel Zeit braucht, um Forschungs- Röhre, obwohl auch hier herausragende Forschung statt- labore aufzubauen, Personal anzuwerben, sondern sofort findet. Ebenso verhält es sich mit der Digitalisierung der einsatzfähig ist und gute Lösungen auf der Höhe der Hochschulen. Vor Jahren hat Ihre eigene Expertenkom- wissenschaftlichen Erkenntnis aufzeigt. mission Forschung und Innovation eine Digitalisierungs- pauschale vorgeschlagen. Wir haben sie beantragt. Im Ohne gute Forschungspolitik in der Vergangenheit Lockdown hätten die Hochschulen diese Mittel so drin- wären wir heute nicht so glimpflich durch die Krise ge- gend gebraucht. Aber selbst während der Onlinesemester kommen, und das zeigt, dass wir hier gute Arbeit geleistet kommt da nichts von Frau Karliczek. haben. Wenn Sie die Herzkammer unseres Wissenschaftssys- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. tems weiter derart geringschätzen, untergraben Sie die René Röspel [SPD]) Einheit von Forschung und Lehre. Die Hochschulen Wir haben Topinstitute, herausragende Wissenschaftler, machen unser Land schlauer und kreativer und damit und wir haben das nötige Forschungsumfeld vor Ort. Der zukunftsfest. weltweit erste seriöse Coronaimpfstoff kommt aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland – wir haben es eben gehört –, von der Firma BioNTech mit Sitz in Mainz, gefördert vom Bund; das Dasselbe gilt beim wissenschaftlichen Nachwuchs. Ehepaar ist türkischstämmig. Der Partner ist die US-Fir- Der aktuelle „Hochschulreport“ des DGB zeigt die pre- (B) ma Pfizer. Wir haben Menschen aus aller Welt, die diesen (D) käre Lage: Vier von fünf wissenschaftlichen Stellen sind Impfstoff entwickelt haben, befristet, Überstunden und Unsicherheit sind an der Tagesordnung. Damit vergraulen Sie die klügsten Köpfe. (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Tolle Solche Zustände sind niemandem zuzumuten. Damit Unternehmer!) bleibt die Wissenschaft nicht konkurrenzfähig mit der sowohl hier bei uns als auch auf der anderen Seite des Wirtschaft. Atlantiks. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Aber auch abseits von Corona bekommt unser For- und bei der LINKEN) schungsstandort vielfach ein gutes Zeugnis. Der Bericht Kluge Politik baut vor, Ministerin Karliczek leider der Expertenkommission Forschung und Innovation nicht. Die Wissenschaft zehrt vielerorts längst von der bescheinigt der deutschen Forschungs- und Innovations- Substanz. Statt moderner Forschungsbauten haben wir politik in den letzten Jahren eine positive Dynamik. teils baufällige Hörsäle, in die es reinregnet und die digi- Deutschland gehört zu den Volkswirtschaften in der tal, im Sinne der Klimaneutralität und energetisch nicht Welt, die am meisten in Forschung investieren. Über auf der Höhe der Zeit sind. Das ist wirklich nicht 3,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird bei uns in zukunftsgerecht! Denn Klimakrise, Artensterben und Forschung investiert. Ressourcenknappheit werden uns noch sehr lange (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und beschäftigten, auch wenn Corona vielleicht längst kein des Abg. René Röspel [SPD]) Thema mehr ist. Das ist auf der einen Seite erfreulich. Für mich ist es Darum brauchen wir schon jetzt eine Forschungspoli- gleichzeitig aber auch Ansporn, dort weiterzumachen, wo tik, die diese Krisen ernst nimmt und eine Green Econo- wir aufgehört haben, und weiterhin in die Bereiche zu my gestaltet. Eine Forschungspolitik, die Krisen als Inno- investieren, wo unsere Zukunft liegt. Dazu liefert der vationstreiber für ein besseres und nachhaltigeres Leben Bericht Antworten. Wenn man ihn genau liest, stellt für alle nutzt. Es kann uns gelingen, wenn wir es jetzt man fest, dass man in gewissen Bereichen weiter Tempo wirklich anpacken! aufnehmen muss, um ebendiese Bereiche gezielt weiter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zuentwickeln. Ich will drei Beispiele nennen: Erstens: die Finanzen. Wir investieren viel Geld in Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Forschungseinrichtungen und Hochschulen und fördern Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Steier, Forschungsprojekte in der freien Wirtschaft. Über CDU/CSU. 104 Milliarden Euro haben wir in 2018 in diesen Bereich Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24195

Andreas Steier (A) investiert. Die Ausgaben des Bundes für Forschung und Hochschulbildung stärkt und wissenschaftliche Exzel- (C) Innovation – Frau Bas hat sie eben aufgeführt – haben lenz hervorbringt. Die Bundesregierung setzt dabei auf sich gegenüber 2006 mehr als verdoppelt. Der Haushalt Profilbildung und Exzellenzförderung. des Forschungsministeriums für das Jahr 2021 spricht Wir als Union stehen klar für Wissenschaftsfreiheit. eine klare Sprache. Zum Beispiel werden die geplanten Wir stärken die Wissenschaft mit einer guten Infrastruk- Mittel für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur tur. Gerade in der Pandemiezeit haben wir erlebt, dass wir von 25 auf 55 Millionen Euro erhöht. Die Mittel für die hier eine sehr gute Infrastruktur vorhalten. Und wir rüsten Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen werden diese Infrastruktur auch mit einer guten finanziellen Aus- von 18 auf 49 Millionen Euro erhöht. Und wir steigern stattung aus. Wir wissen zwar nicht, ob und wann welche die Investitionen in die Digitalisierung der Hochschul- Erfindung, welche Innovation für uns Nutzen bringt, aber bildung, in die Forschung an Fachhochschulen, aber wir wissen, dass es ohne Innovation keinen Fortschritt auch in die berufliche Bildung. Das Ziel bis 2025 ist, und keine Zukunft gibt. Deshalb investieren wir von der den Anteil der Investitionen in Forschung und Entwick- Union gerade in diese Bereiche. lung bis auf eine Höhe von 3,5 Prozent des Bruttoinlands- produkts zu steigern. Mein Fazit: Erstens. Deutschland ist auf einem guten Weg, bis 2025 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Zweites Beispiel: der Pakt für Forschung und Innova- Forschung und Innovation auszugeben. Zweitens. Wir tion. Wir schreiben den Pakt für Forschung und Innova- schütten das Geld nicht mit der Gießkanne aus, sondern tion fort. Wir investieren jährlich 3 Prozent mehr in die- investieren zielgerichtet, und zwar in die Zukunftsfelder, sen Pakt. Über zehn Jahre investieren wir in der Summe die nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis eine 120 Milliarden Euro. Wichtig dabei ist auch der Transfer Lösung für die drängendsten Fragen der Zukunft bieten aus Forschung und Innovation in Wirtschaft und Gesell- können. Von daher ist der Bericht gut. Wir unterstützen schaft. Hier brauchen wir mehr Dynamik. Deshalb wurde diesen Bericht. der Transfer auch als Kernziel in diesem Pakt festge- schrieben. Zentrale Säule dabei ist eine gute Grundlagen- Danke. forschung. Wir schaffen Planungssicherheit und gute (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Rahmenbedingungen, um kluge Köpfe in Deutschland ordneten der SPD) zu halten und neue für Deutschland zu gewinnen. Nur mit klugen Köpfen können wir auch weiterhin die Herausforderungen der Zukunft meistern. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Nächster Redner ist der Kollege Norbert Kleinwächter, Drittens: die steuerliche Forschungsförderung. Gerade AfD. (B) die Innovationskraft unserer kleinen und mittelständi- (D) (Beifall bei der AfD) schen Unternehmen ist besonders wichtig. Gerade die Familienunternehmen haben ein sehr hohes Innovations- potenzial. Durch eine steuerliche Forschungsförderung Norbert Kleinwächter (AfD): wollen wir dieses Potenzial gezielt heben. Das entspre- Werter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- chende Gesetz wurde von der CDU/CSU zusammen mit ren! Die Strategie der Bundesregierung zu Forschung und der SPD im Jahr 2018 auf den Weg gebracht, und am Innovation ist wirklich geprägt vom Fehlen dessen, was 1. Januar 2020 trat es in Kraft. Dadurch können 25 Pro- gute wissenschaftliche Arbeit auszeichnet: gründliche zent der förderfähigen Ausgaben im Bereich „Forschung Recherche etwa und ein fundiertes Verständnis, eine und Innovation“ von den Unternehmen abgesetzt werden. ordentliche Abwägung oder klare Zielsetzungen. Und wir haben in der Krise im letzten Sommer die Mittel Die Forschungsstrategie der Bundesregierung lässt von 500 000 Euro auf über 1 Million Euro gesteigert. Das sich vielmehr am besten vergleichen mit dem Einkaufs- ist gezielte Forschungspolitik und für uns Standard, um verhalten eines unbeaufsichtigten Teenagers im Shop- auch hier eine neue Dynamik zu erwirken. pingcenter: Die Hightech-Strategie bündelt all diese Maßnahmen, (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie die man hier nur exemplarisch aufführen kann, unter wissen wahrscheinlich, wovon Sie reden, einem zentralen Dach. Wir haben schon frühzeitig, in oder?) 2018, darauf hingewirkt, dass wir die Hightech-Strategie für 2025 fortschreiben und ebendiese Maßnahmen in der Das Budget legt man schon mal fest, relativ früh – Forschungspolitik weiter vorantreiben. 3,5 Prozent des BIP will man erreichen –, und dann rennt man jedem Modetrend hinterher: Hightech, künstliche Wir brauchen Mut für die Zukunft. Wir müssen Intelligenz, disruptive Innovationen. Das alles wollen schauen, wo es Innovationsfelder gibt. Wir müssen Sie haben; Sie kaufen wild ein. Das Geld ist am Ende schauen, wo Innovation notwendig ist. Wir müssen uns ausgegeben, und wir haben nichts davon. auch fragen, wo wir dies weiterentwickeln können, wo (Beifall bei der AfD) das von Nutzen ist und wie wir dafür sorgen können, dass es uns hier in Deutschland und auch in der Welt weiterhin Wir sehen doch die Resultate: Bei den Hightechentwick- gut geht. Antwort auf diese entscheidende Frage wird lungen sind uns USA und China weit voraus, in der künst- sein, wie wir die Grundlagenforschung mit der Anwen- lichen Intelligenz findet Deutschland den Anschluss dungsforschung verknüpfen können. Wichtig dafür ist ein nicht, und die disruptiven Innovationen lassen auch auf leistungsfähiges Wissenschaftssystem, das Lehre und sich warten. Es gibt nun mal keine neuen Erfindungen in 24196 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Norbert Kleinwächter (A) der Größenordnung des Internets, die sich in Deutschland Meine Damen und Herren, der Staat darf keine Luft- (C) einstellen mögen. Disruptiv ist hier allein die Politik der schlösser bauen, so wie es die Bundesregierung vorhat Regierung Merkel. und wie es auch die Science-Fiction-Fraktion FDP hier beantragt, die haptische Holografie im Klassenzimmer (Beifall bei der AfD) fordert. Ich frage mich, wann Sie zum letzten Mal eine Ich sage es deutlich: Die Erfolge in Forschung und Schule von innen gesehen haben. Entwicklung haben wir vor allem der Wirtschaft zu ver- danken und den Hochschulen und Universitäten, die die- (Heiterkeit bei der AfD) se Erfolge meist trotz und nicht wegen der Regierung Vielmehr müssen wir die Infrastruktur ausbauen und die erzielen. Deswegen an dieser Stelle: Herzlichen Dank! Rahmenbedingungen schaffen für eine optimale Grund- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lagenforschung an den Universitäten und eine Spitzen- Was sagen Sie denn zu Ihrem Video zum Infek- entwicklung in Unternehmen. Das wäre der richtige tionsschutzgesetz?) Ansatz. Innovationen funktionieren halt nicht wie ein Thermo- Haben Sie vielen Dank. mix. Da kann ich nicht einfach Geld reinwerfen, ein biss- (Beifall bei der AfD – Dr. h. c. Thomas chen warten, und dann kommt am Ende ein bahnbrechen- Sattelberger [FDP]: Sie müssen noch zur des Produkt raus. Schule gehen, oder?) (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Vielmehr ist es Aufgabe und auch Pflicht der Politik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, und genau darüber lese Nächster Redner ist der Kollege Markus Paschke, ich in dem Bericht der Bundesregierung nichts. Der Staat SPD. hat die Aufgabe, die Grundlagenforschung zu ermögli- (Beifall bei der SPD) chen, sie gut auszufinanzieren und den Rahmen zu schaf- fen. Und die Unternehmen betreiben dann die Anwen- Markus Paschke (SPD): dungsforschung und können Produkte entwickeln, die Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und letztendlich auch marktfähig sind. So wäre die Auftei- Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich lung. Das durchbrechen Sie völlig. kann es mir nicht verkneifen, Herrn Sattelberger noch (Beifall bei der AfD) eine Weisheit mitzugeben. Wir als AfD fordern drei Hauptpunkte in diesem (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Bitte! (B) Zusammenhang: Wir warten darauf!) (D) Erstens. Wir fordern eine bessere Grundausstattung der Herr Sattelberger, Sie wissen ja: Wer zu viel zitiert, der Hochschulen, damit sie bessere Arbeitsbedingungen bie- wird selber nie zitiert. ten, besseres Personal rekrutieren können und unabhän- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – gig von Ideologieprojekten mehr Freiheit für Grundla- Dr. Marco Buschmann [FDP]: Einige Mitglie- genforschung haben. der dieser Bundesregierung haben vergessen, (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richtig zu zitieren! Zitieren und SPD, das ist Sie sind doch so wissenschaftsfeindlich! Sie ein dünnes Eis, auf das Sie sich begeben im wollen die Klimaforschung nicht umsetzen!) Zusammenhang mit Forschung!) Zweitens. Wir brauchen optimale Rahmenbedingun- Zu dem, was die AfD als Abbruchunternehmen der gen für Unternehmen. Das hat mit Regulierung und Forschung hier beigetragen hat, brauche ich, glaube ich, Steuern zu tun, aber auch mit einer Vereinfachung von nicht allzu viel zu sagen. Unternehmensgründungen. Im Doing Business Report Wann sind Forschung und Innovation denn erfolg- der Weltbank steht Deutschland bei der Einfachheit von reich? Gemessen an der Zahl der Patente und Entwick- Unternehmensgründungen auf Platz 125 in direkter Kon- lungen sind wir sehr erfolgreich. Im Jahr 2017 haben wir kurrenz zu Dschibuti. Ja herzlichen Glückwunsch! Bis in Deutschland 398 weltmarktrelevante Patente pro 1 Mil- bei uns ein Bauantrag bewilligt wurde, ist das Produkt lion Einwohner angemeldet. Das ist zum Beispiel doppelt veraltet, das man dort produzieren wollte. so viel wie in den USA. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Und zum Dritten müssen wir die Infrastruktur aus- Deutschland gehört zu den führenden Innovationsna- bauen, damit wir die Spitzenforschung bündeln können. tionen und zu den attraktivsten Wissenschaftsstandorten. Die Bundesregierung träumt von einem Ökosystem mit Damit das so bleibt, müssen wir sicherstellen, dass – bild- 100 Professoren im Bereich der künstlichen Intelligenz, lich gesprochen – die Erkenntnisse vom Gipfel der For- die irgendwo rekrutiert werden. Wir sagen: Nein, wir schung zu den Menschen auf das flache Land gelangen. brauchen einen zentralen KI-Campus, der junge Wissen- Ich möchte diesen Prozess an einem Beispiel deutlich schaftler anzieht, die dort netzwerken können und wo machen: Es gibt viele positive Entwicklungen und Inno- sich auch Unternehmen ansiedeln können. vationen im Bereich der Vermeidung von Tierversuchen. (René Röspel [SPD]: Wir haben schon sechs Solche tierversuchsfreien Alternativmethoden basieren starke Zentren!) zum Beispiel auf Computermodellen, auf Zell- und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24197

Markus Paschke (A) Gewebekulturen sowie auf der Verwendung von alterna- Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) tiven Organismen. Paradox ist aber die Situation, dass NEN): solche Verfahren häufig nicht oder nur sehr langsam in Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und die breite Anwendung gelangen. Kollegen! Ich staune schon etwas, Frau Karliczek, wie Sie sich hier feiern mit den Worten: „Wir investieren seit Am Beispiel der tierversuchsfreien Alternativmetho- Jahren in F und E“ und vor allem: Wir genießen jetzt, was den wird eines deutlich: Es gibt sie, aber nicht jeder kennt wir geschafft haben. Da frage ich mich doch: Ist jetzt der sie oder kann sie einsetzen. Neue Methoden müssen bes- Zeitpunkt, sich darauf auszuruhen, was zum Glück gera- ser validiert werden und über Translationsplattformen de mit der Impfstoffentwicklung ganz gut vorangeht? allgemein zugänglich und anwendbar sein. Hier braucht es eine Veränderung der bisherigen Forschungs- und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Innovationspolitik. Wissenschaftlicher Erfolg darf sich sind unterschiedliche Paar Schuhe!) nicht nur an der Anzahl der Veröffentlichungen messen Wir haben, glaube ich, noch eine ganze Menge Aufgaben lassen. zu erledigen. Ich hätte mir gewünscht, heute von Ihnen zu erfahren, was Sie alles noch bis zur nächsten Wahl anpa- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) cken, und nicht so sehr, was Sie in der letzten Zeit gemacht haben. Wir brauchen eine veränderte Reputationslogik; denn für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler muss auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – anwendungsorientierte Forschung attraktiv sein. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Man kann auch beim Arbeiten genießen!) (Beifall bei der SPD) Ich glaube, auch diejenigen, die die nötige Förderung für ihre Innovationstätigkeit so dringend brauchen, hätten Forschung und Innovation sind besonders erfolgreich, sich ein paar konkrete Antworten gewünscht. Ein Bei- wenn wir Spitzenforschung und anwendungsorientierte spiel: Wir haben ja nicht nur BioNTech, wir haben auch Forschung nicht trennen, sondern zusammenbringen, CureVac. Man muss sich nur einmal vom Gründer anhö- und das von Anfang an. Mit der Hightech-Strategie haben ren, wie schwierig es in den letzten Jahren war, Kapital zu wir erste wichtige Weichen gestellt, um Ideen-, Wissens- generieren. Das war kein deutsches, kein europäisches und Technologietransfer voranzutreiben. Dabei müssen Kapital; das war in der Regel amerikanisches Kapital. wir das Potenzial nichttechnischer und sozialer Innova- Wir haben noch einen weiten Weg zu gehen bei der För- tionen berücksichtigen, um die zukünftigen gesellschaft- derung unserer Gründerinnen und Gründer, bei der För- lichen Herausforderungen anzugehen. derung von Innovationen. Da braucht es weit mehr, als (B) Erfolge zu genießen. (D) Deutlich wird dies, wenn wir uns vor Augen führen, welche Auswirkung die digitale Transformation hat. Der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundesbericht Forschung und Innovation zeigt, dass sich sowie bei Abgeordneten der FDP) die Wertschöpfung zunehmend in die Datenwelt verla- Wir machen dazu Vorschläge. Wir beantragen zum gert. Diese Veränderung betrifft neben Produkten und Beispiel mehr Mittel für das EXIST-Programm. Es Dienstleistungen auch Produktions- und Arbeitsprozesse braucht aber auch ganz neue Formen von Innovations- und vor allem die Menschen in unserer Gesellschaft. ökosystemen, die wir in Deutschland fördern müssen. Es gibt einen Zukunftscluster-Wettbewerb; der reicht (Beifall bei der SPD) uns bei Weitem nicht. Uns geht es vielmehr darum, inno- vative Regionen zu schaffen, in denen Wirtschaft, Wis- Daher ist es uns ein wichtiges Anliegen, führende senschaft und Zivilgesellschaft zusammenkommen, Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammenzubringen und gemeinsam innovative Lö- (Dr. Marco Buschmann [FDP]: Freiheitszone!) sungsansätze weiterzuentwickeln. in denen Ideen für nachhaltiges Wirtschaften vor Ort ent- wickelt werden. Es geht um Ideen, die wir brauchen, um Schon 2016 hat die damalige Arbeitsministerin Andrea die Pandemie, aber auch die Klimakrise zu bekämpfen; Nahles mit dem Weißbuch „Arbeiten 4.0“ die Diskussion denn diese Krise darf uns jetzt nicht aus den Augen gera- eröffnet, wie wir die Zukunft gestalten können. Sozial- ten. Konkrete Vorschläge und Ideen für solche neuen demokratische Bildungs- und Forschungspolitik ist Innovationsförderungsmaßnahmen, für solche regionalen erfolgreich, und wir werden sie zukünftig weiterentwi- Innovationsökosysteme vermisse ich von der Ministerin. ckeln. Wir legen solche vor, zum Beispiel mit unserem Antrag Vielen Dank. „Vom Labor in die Praxis“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Es zeigt sich jetzt so deutlich wie nie: Wer nicht klug investiert, den erwischt die Krise am Ende doppelt. Des- Vizepräsidentin Petra Pau: wegen ist jetzt die Zeit, hier strategisch richtig zu inves- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die tieren und keine Zeit zu vergeuden. Das Thema Batterie- Kollegin Dr. Anna Christmann das Wort. forschungszentrum ist rauf- und runterdiskutiert worden. Im Ergebnis verlieren wir auch dort viel Zeit in einer sehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wichtigen Branche. Wir müssten doch der Standort sein, 24198 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Anna Christmann (A) der die Mobilität der Zukunft entwickelt. Stattdessen Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es auch (C) warten wir jetzt jahrelang, bis dort die erste Batterie gut und richtig, dass sich die Bundesregierung weltweit vom Band geht, während Tesla und andere in dem Be- für die Freiheit der Wissenschaft einsetzt und mit der reich viel weiter sind. Solche Zeitverzögerungen bei der Strategie zur Internationalisierung von Bildung, Wissen- Innovationsförderung dürfen wir uns einfach nicht leis- schaft und Forschung strategische Schwerpunkte der ten. internationalen Forschungskooperation setzt. Welches Land, wenn nicht Deutschland, profitiert massiv von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) offenen Märkten, vom internationalen Wissensaustausch Deswegen möchte ich hier noch einmal sagen: Ich und vom freien Handel? Deshalb ist es auch gut, dass wir erwarte, dass wir einen sehr viel strategischeren Ansatz jetzt während der EU-Ratspräsidentschaft eine Neuaus- fahren, wenn es um Technologien wie Quantentechnolo- richtung des europäischen Forschungsraums diskutiert gie geht, eines der großen neuen Felder neben KI. Es ist und hier auch Verbesserungen der Rahmenbedingungen noch nicht ganz klar, wofür wir das alles werden einset- auf den Weg gebracht haben. zen können, und eben deswegen ist es so wichtig, dass Es geht uns um die Stärkung des Transfers von For- wir jetzt dort strategisch wichtige Standorte stärken. Das schungsergebnissen in die Gesellschaft und die Wirt- ist bisher nicht der Fall, sondern hier passiert ein bisschen schaft. Es geht hier um Zukunftsthemen beispielsweise was, da passiert ein bisschen was. Frau Karliczek, wir im Bereich Mobilität, im Bereich der Energiegewinnung, brauchen einen strategischen Plan für die Stärkung unse- im Bereich der Ressourcenknappheit oder auch, liebe rer Forschungs- und Innovationsstandorte. Nur so werden Kolleginnen und Kollegen, im Bereich Gesundheit, im wir die Krisen der Zukunft bewältigen können und eine Bereich der Krebsforschung. Wie viele Familien in unse- krisenfeste Gesellschaft sein. Wir sehen jetzt, wie drin- rem Land sind von diesem Thema betroffen! Alleine in gend wir das brauchen. Europa erkranken jährlich 2,7 Millionen Menschen an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Krankheit. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir hier auch auf europäischer Ebene noch stärker zusam- menarbeiten. Vizepräsidentin Petra Pau: Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Wolfgang Ich möchte aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, Stefinger das Wort. ein Augenmerk auf die Zusammenarbeit mit unserem Nachbarkontinent Afrika legen. Warum? Weil gerade in (Beifall bei der CDU/CSU) Afrika die Kooperationen besonders wichtig und auch nachhaltig sind. Wenn wir uns den Energie- und Klima- bereich anschauen, wenn wir die Gesundheitsforschung (B) Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU): (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und anschauen oder auch den Bereich Ernährung und Land- Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich gefreut, wirtschaft, so ergeben sich hier Win-win-Situationen für als dieser Tage die Schlagzeilen waren „Hoffnung made beide Seiten, für die afrikanischen Länder, aber auch für in Germany“, ein Impfstoff sei gefunden bzw. es gebe Deutschland, für Europa. mehrere Kandidaten. Das ist ein Forschungserfolg von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- internationaler Kooperation, und es ist auch – das sage ordneten der SPD und der FDP) ich in aller Deutlichkeit – ein Erfolg dieser Regierung. Wasserstoff und Sonnenenergie bieten eine große Chance (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Oh! – und sind in Afrika in Hülle und Fülle vorhanden. Des- Weiterer Zuruf von der FDP: Trotz der Regie- wegen haben wir hier die große Chance auf eine Energie- rung!) partnerschaft auf Augenhöhe. Denn wir uns anschauen, dass wir allein in der ersten Auch bei der Gesundheitsforschung können wir mas- Welle im Frühjahr 140 Millionen Euro und im Mai siv von den Netzwerken mit den afrikanischen Staaten noch mal 750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt profitieren, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Infek- haben, dann ist es ein Erfolg dieser Bundesregierung, tionskrankheiten, und können aus deren Erkenntnissen dass wir einen Impfstoffkandidaten oder mehrere haben. auch lernen. Wenn wir uns die Ebolaforschung anschau- en, dann war sie auch wirklich maßgebend und wichtig (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für den Bereich Corona, für die Impfstoffentwicklung. Es ist außerdem ein Erfolg, weil es nämlich ein Sinn- Die Länder Afrikas, liebe Kolleginnen und Kollegen, bild für die internationale Forschungskooperation ist. Wir haben bereits viele Erfahrungen mit dem Klimawandel können nur gemeinsam international die Herausforderun- machen müssen. Deswegen ist auch die Forschung zum gen unserer Zeit bewältigen, beispielsweise den Klima- Thema Saatgut gerade für unsere Landwirtschaft hier wandel, den Erhalt der Lebensgrundlagen. Auch das The- extrem wichtig. ma „Flucht und Migration“ ist nur international zu lösen, das Thema „Ressourcen und deren Verteilung“ oder auch Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte aber auch das Thema „Regulierung neuer Technologien“, Stich- noch einen anderen großen Player ansprechen, nämlich wort: Genforschung und künstliche Intelligenz. All diese China. China ist ein wichtiger Partner für Wirtschaft und Themen müssen wir international lösen. Handel, aber zunehmend auch bei der Wissenschaft. Dass die Partnerschaft nicht immer einfach ist, das wissen wir. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Es gibt große kulturelle Unterschiede. Es gibt ein ver- Rainer Spiering [SPD]) schiedenes Werteverständnis und auch ein anderes Ver- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24199

Dr. Wolfgang Stefinger (A) ständnis von der Freiheit der Wissenschaft und der For- ten die Bundesregierung und die Länder die Möglichkeit, (C) schung. Aber: China ist ein zentraler Player bei der sich ein bisschen selbst darzustellen und selbst zu bewer- Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit. Schauen Sie ten. Ich finde es richtig, dass ausdrücklich ein externes sich den Elektronikbereich, den Technikbereich und Instrument geschaffen und die Expertenkommission For- zunehmend den medizinischen Bereich an. Deswegen schung und Innovation eingerichtet worden ist, um von ist es richtig und auch wichtig, dass wir gemeinsame außen der Regierungspolitik und dem Handeln der Politik Kompetenzzentren aufbauen, gemeinsame Studienpro- einen Spiegel vorzuhalten und nicht nur auf Selbstdar- gramme auf den Weg bringen und ein kontinuierlicher stellung zu setzen. Vielleicht wäre das auch ein Vor- Austausch stattfindet. schlag, der der FDP ganz guttun würde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Forschung und Inno- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vationen sollen den Menschen dienen. CDU und CSU der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE haben sich auf die Fahne geschrieben, das Leben der GRÜNEN) Menschen Tag für Tag, Stück für Stück besser zu machen. Und ich finde, wir sollten mehr über diesen Experten- (Zuruf von der AfD: Davon sind Sie weit ent- kommissionsbericht reden, als das bislang heute gemacht fernt!) worden ist. Da sind viele Punkte drin, die auch lobend Das geht miteinander besser als gegeneinander. Deswe- sind. Ich finde, wenn Kritik erlaubt ist und ausdrücklich gen muss ich ganz deutlich auch hier an die rechte Seite gewünscht wird, kann man auch das Lob erwähnen. des Hauses sagen: Wer sein Land hasst, der macht es Ausdrücklich freut es uns, dass die Expertenkommis- regelmäßig schlecht und hetzt die Leute auf. sion den Pakt für Forschung und Innovation weiterhin als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ganz wichtig empfindet. Ich glaube, das ist zusammen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) mit dem ehemaligen Hochschulpakt und dem Zukunfts- Aber wer sein Land liebt, so wie wir, der macht es krisen- vertrag „Studium und Lehre stärken“ eine der zentra- fest und entwickelt es weiter. In diesem Sinne arbeiten len Leitplanken oder Handgriffe, die die deutsche For- wir daran, das Leben der Menschen Tag für Tag, Stück schungs- und Wissenschaftspolitik seit langen Jahren für Stück besser zu machen. kontinuierlich zu einem größeren Erfolg auch im inter- nationalen Vergleich bringt. Ich freue mich, dass die EFI Vielen Dank. ausdrücklich sagt, dass dieser Zukunftsvertrag künftig (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – dauerhaft vom Bund mitfinanziert wird. Das ist ein groß- Dr. [AfD]: Nur, die Men- er Schritt nach vorne und wichtig für alle Menschen, die daran beteiligt sind. (B) schen merken nicht, dass ihr das macht!) (D) (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Es ist sicherlich nach jahrelangem Drängen und Vor- Das Wort hat der Kollege René Röspel für die SPD- schlagen auch ein Erfolg der EFI, dass es nunmehr eine Fraktion. steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung oder (Beifall bei der SPD) die SprinD-Agentur gibt, die jetzt eingerichtet wird. Wir werden die Evaluierung abwarten, und es ist auch richtig, René Röspel (SPD): dann Kritik aufzunehmen und umzusetzen. Es ist ebenso Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und richtig, wenn die Kommission deutlich daran appelliert – Herren! Erlauben Sie vielleicht, zu Beginn einen Verfah- das ist übrigens auch meine Erwartung als ehemaliger rensvorschlag zu machen: dass nämlich zu Beginn eines Enquete-Mitarbeiter –, dass im Bereich der KI-Strategie jeden Tages für die ersten Tagesordnungspunkte Schoko- der Bundesregierung nicht nur die Vorschläge der EFI lade an die Abgeordneten verteilt wird – das hebt nämlich berücksichtigt werden, Frau Ministerin, sondern aus- den Serotoninspiegel und macht glücklicher –, und bitte drücklich auch die Arbeit der Enquete-Kommission des die doppelte Portion an Sattelbergerix. Es ist manchmal Deutschen Bundestages und deren Handlungsempfehlun- schwer erträglich, morgens eine solche von Missmut – gen. tatsächlich habe ich das so empfunden – geprägte Rede Ich finde, man kann sich diesen EFI-Bericht auch ein- zu ertragen. mal anschauen, weil in ihm gute Themen angerissen wer- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jan den. Ganz spannend und lesenswert fand ich die Beur- Korte [DIE LINKE]: Schokolade reicht nicht!) teilung Ostdeutschlands als Innovationsstandort und die Aussage, dass man künftig nicht mehr auf die Länder- Ich darf Ihnen auch gleich einen inhaltlichen Punkt grenzen schauen sollte, sondern sich die strukturschwa- entgegenstellen, weil auch in Ihrem Antrag erwähnt chen Regionen, und zwar länderübergreifend, anschauen wird, dass Sie ausdrücklich dafür plädieren, dass das Gut- sollte und der Staat dort unterstützend wirken sollte. achten der EFI oder dass der BuFI einen internationalen Vergleich der Forschungskapazitäten von Deutschland Ein wichtiger Punkt und für mich sehr interessant war mit aufnimmt. Ich darf vielleicht daran erinnern, dass es das Kapitel über die Zusammenarbeit mit China. Ich 2006, glaube ich, unter der damaligen Regierung aus- wusste zum Beispiel nicht, dass in China achtmal mehr drücklich eine Trennung der Berichterstattung gegeben deutsche Investoren oder Repräsentanzen existieren als hat. Bis dahin gab es nämlich den Bundesbericht For- umgekehrt. Man hat mitunter einen anderen Eindruck. schung und das technologische Gutachten, und darin hat- Aber lesenswert ist auch die Empfehlung, die Wissen- 24200 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

René Röspel (A) schaftskooperation mit China auszubauen und zu stimmt für die Beschlussempfehlung? – Die Koalitions- (C) schauen, an welchen Stellen strategische Investitionen fraktionen, die AfD-Fraktion und die Fraktion Bünd- seitens Chinas stattfinden. nis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die FDP- Ich will am Ende ein Zitat des Kommissionsberichtes Fraktion. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. nennen, das mir sehr gut gefallen hat. Dort steht: Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Innovation ist kein Selbstzweck. Sie soll den Wohl- Ich rufe die Zusatzpunkte 7 bis 9 auf: stand und Zusammenhalt der Gesellschaft im Ein- ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Mario klang mit ökologischer Nachhaltigkeit stärken. Brandenburg (Südpfalz), Katja Suding, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), weiterer Abgeord- Es geht weiter: neter und der Fraktion der FDP Auch können bestehende Nachhaltigkeitsziele nur Aus BioNTech-Erfolg lernen – Aktionspro- dann erreicht werden, wenn eine Abkehr von bisher gramm für den Gentechnik-Standort Deutsch- prägenden Technologien und Verhaltensweisen land vorlegen erfolgt und die gesellschaftlichen Folgen sozial abgefedert werden. Drucksache 19/24365 Besser, meine Damen und Herren, kann man sozialdemo- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) kratische Innovationspolitik nicht zusammenfassen. Ausschuss für Wirtschaft und Energie Vielen Dank. Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft ZP 8 Beratung der Beschlussempfehlung und des (Beifall bei der SPD) Berichts des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft (10. Ausschuss) Vizepräsidentin Petra Pau: – zu dem Antrag der Abgeordneten Carina Ich schließe die Aussprache. Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Hocker, weiterer Abgeordneter und der Frak- den Drucksachen 19/19310 und 19/23070 an die in der tion der FDP Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Chancen neuer Züchtungsmethoden er- Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht kennen – Für ein technologieoffenes Gen- der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. technikrecht Tagesordnungspunkt 9 c. Wir kommen zur Beschluss- – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald (B) empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Ebner, Renate Künast, , (D) Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktion weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP mit dem Titel „Gründung einer Agentur für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN radikale Innovation“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/10448, den An- Agrarwende statt Gentechnik – Neue Gen- trag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/2671 abzu- techniken im Sinne des Vorsorgeprinzips lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – regulieren und ökologische Landwirt- CDU/CSU-Fraktion, SPD-Fraktion und AfD-Fraktion. schaft fördern Wer stimmt dagegen? – Die FDP. Wer enthält sich? – Drucksachen 19/10166, 19/13072, 19/16565 Die Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen. ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Berichts des Ausschusses für Ernährung und Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des Landwirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolge- der Abgeordneten Carina Konrad, Frank Sitta, nabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit Dr. Gero Clemens Hocker, weiterer Abgeordne- dem Titel „Hightech-Strategie 2025 – Strategisch aus- ter und der Fraktion der FDP richten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- Einsatz neuer Züchtungsmethoden ermögli- empfehlung auf Drucksache 19/11412, den Antrag der chen Fraktion der FDP auf Drucksache 19/7118 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Drucksachen 19/23694, 19/24182 stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- beschlossen. nen, der Fraktion Die Linke und der AfD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung der Grü- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Staats- nen angenommen. minister Dr. Volker Wissing. Tagesordnungspunkt 9 e. Beschlussempfehlung des (Beifall bei der FDP) Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolge- nabschätzung zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit Dr. Volker Wissing, Staatsminister (Rheinland- dem Titel „Holographie als Zukunftstechnologie för- Pfalz): dern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten fehlung auf Drucksache 19/23752, den Antrag der Frak- Damen und Herren! Gerade dunkle Zeiten brauchen tion der FDP auf Drucksache 19/8491 abzulehnen. Wer Licht. In diesen dunklen Zeiten der Coronapandemie ist Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24201

Staatsminister Dr. Volker Wissing (Rheinland-Pfalz) (A) der vom Mainzer Biotechnologieunternehmen BioNTech bei uns in diesem Bereich kaum noch geforscht wird. Den (C) entwickelte Impfstoff Licht, Hoffnung und Zuversicht. Rest an Forschung sollten wir allerdings nicht aus dem Seine Entwicklung zeigt eindrucksvoll die stetig wach- Land vertreiben. senden Möglichkeiten der Biotechnologie und hier ganz besonders auch der Gentechnik. (Beifall bei der FDP) Für mich steht außer Frage, wir müssen in Deutschland Meine Damen und Herren, wer beim Klimaschutz eine die mannigfaltigen Möglichkeiten der Biotechnologie wissenschaftsbasierte Debatte einfordert, der muss die stärker in den Blick nehmen, und das gilt für Grüne, wissenschaftsbasierte Debatte auch bei der Gentechnik Rote und Weiße Gentechnik. akzeptieren. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wir brauchen dazu eine breite gesellschaftliche Dis- In diesem Hohen Haus wurden einmal ernsthaft ein kussion, die nicht auf die Risiken verengt ist, sondern Verbot der Digitalisierung des Fernsprechnetzes, ein Ver- ganz klar auch die Chancen benennt. Jetzt, wo ganz bot der Glasfaserverkabelung und ein Verbot der Dienste- aktuell sichtbar ist, welches Potenzial in der Gentechnik und Netzintegration im Fernsprechnetz, bekannt als steckt, ist genau der richtige Zeitpunkt für eine breite ISDN, gefordert. Meine Damen und Herren, ich mache öffentliche Debatte. mich nicht lustig über die Skepsis derjenigen, die das damals beantragt haben. Gute Entscheidungen entstehen (Beifall bei der FDP) nur dort, wo abgewogen hinterfragt und auch diskutiert wird. Bei der Digitalisierung gibt es durchaus auch Meine Damen und Herren, neue Technologien sind Gründe, Entwicklungen kritisch abzuwägen. Aber, meine eine Herausforderung, sie schüren Ängste, sie wecken Damen und Herren, die Haltung von Technologieverwei- aber auch Hoffnungen. Umso wichtiger ist es, dass wir gerern einzubeziehen, gehört zwar zu einem umfassen- zu guten Abwägungen kommen. Ein vorauseilendes Ver- den Abwägungsprozess, sie ist auch nicht wirklich schäd- bot ist genauso fahrlässig wie blinde Fortschrittsgläubig- lich, solange sie nicht die Debatte dominiert. Wir haben keit. Besonders fatal ist es aber, wenn Forschung und heute moderne digitale Kommunikationsmöglichkeiten, Wissenschaft dem politischen Zeitgeist unterworfen wer- weil die falsche Position damals nicht mehrheitlich den. Politisch veranlasste Forschungsverbote sind fahr- durchgesetzt wurde. Wir haben heute einen Impfstoff lässig. Wissenschaft und Forschung brauchen Kreativität, gegen Covid-19 in Sicht, weil die Mehrheit für Gentech- und Kreativität braucht Freiheit. nik offen war, als BioNTech in Mainz gegründet wurde. (Beifall bei der FDP) (B) (Beifall bei der FDP) (D) Das gilt auch für die Gentechnik. Spätestens der Erfolg Heute müssen wir dafür sorgen, dass Wissenschaft und von BioNTech sollte jedem gezeigt haben, welches Po- Forschung in der Gentechnik ihre Freiheit behalten, sonst tenzial diese Technologie mit sich bringt. Corona ist weiß werden wir nicht das Land der Innovation und der Lösun- Gott leider nicht die einzige Herausforderung, vor der die gen globaler Probleme bleiben. Deutschland ist eine Menschheit steht und noch stehen wird. Der Klimawan- Exportnation. Die gut bezahlten Arbeitsplätze in der del, die demografischen Entwicklungen in vielen Län- Exportwirtschaft sind das Fundament eines leistungsfähi- dern der Erde, der globale Artenschwund, das sind nur gen Sozialstaates. Das eigentliche Exportgut unseres einige der großen Aufgaben, denen wir nicht nur als Landes sind Innovationen. Mit Produkten und Technolo- Land, sondern als Menschheit insgesamt gegenüberste- gien von gestern werden wir die Menschen weltweit nicht hen. beeindrucken können. Deshalb sind für Deutschland eine Ob die Biotechnologie Beiträge zur Lösung leisten freie Wissenschaft, eine freie Forschung noch wichtiger kann, vermag heute keiner sicher zu sagen. Weil wir als für andere Länder. Weil wir nicht wissen, mit welchen das nicht wissen, wäre und ist es grob fahrlässig, weitere Herausforderungen wir künftig konfrontiert sein werden, Forschung in diesem Bereich einzuschränken oder gar sollten wir uns nicht fahrlässig irgendwelcher Optionen darauf zu verzichten. berauben. Heute wissen wir: Das gilt insbesondere für die Gentechnik. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Ohne Frage: Auch diejenigen, die direkt an der For- schung und der Veränderung von Erbgut von Organismen Dass mit BioNTech ein deutsches Unternehmen als arbeiten, tragen große Verantwortung. Aber gleicherma- erstes einen Impfstoff in Aussicht stellt, darf uns freuen. ßen groß ist auch die Verantwortung derjenigen, die in Aber es darf uns nicht selbstzufrieden machen. Es darf Deutschland Gentechnikforschung erschweren wollen uns stolz machen, weil hier in Deutschland hervorragen- oder sie gar aus dem Land vertreiben wollen. Sie tragen de Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet wird. nämlich Verantwortung für den Fall, dass wir vor neuen Für Selbstzufriedenheit gibt es aber keinen Grund. Problemen stehen und nicht rechtzeitig eine Lösung fin- Denn BioNTech ist ein Ausnahmeunternehmen. Wir den. In einer Welt mit zunehmenden Umweltproblemen, bräuchten mehr von diesen Ausnahmeunternehmen; die sich auf immer neue Herausforderungen einstellen denn die erfolgreichen Gründungen von heute sind der muss, wäre es grob fahrlässig, vorschnell Technologien starke Mittelstand von morgen. Der starke Mittelstand abzutun. Das Verbot der Gentechnik – in Deutschland in von morgen ist wiederum die Grundlage für den Erhalt Teilen schon vollzogen – mag dazu geführt haben, dass unseres Wohlstands. 24202 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Staatsminister Dr. Volker Wissing (Rheinland-Pfalz) (A) Damit mehr Gründungen den Sprung von der guten (Zuruf von der FDP: Weil es zu kompliziert (C) Idee zum erfolgreichen Unternehmen schaffen, brauchen ist!) wir in Deutschland bessere Bedingungen für Wagniska- und daraus im Grunde genommen ein eigenes Geschäfts- pital. BioNTech wurde in seiner Gründungsphase durch konzept entwickelt haben. das Land Rheinland-Pfalz gefördert, und die Umsetzung der Idee wäre nicht möglich gewesen, hätten wir nicht ein (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Das liegt hervorragendes Netz an wissenschaftlichen Einrichtun- an der Bürokratie, die ihr aufbaut!) gen, mit denen eng kooperiert wurde und heute noch Es mag sein, dass die FDP gerne auch diese Unternehmen kooperiert wird. stützen würde, aber den eigentlichen Unternehmen, die Die Phase der Gründung ist in Deutschland relativ gut wir fördern wollen, nützt das nicht so richtig. Folgt man begleitet. Problematisch ist aber die Finanzierung der der Logik dieses Antrages, dann müsste bald auch die sich anschließenden Wachstumsphase. Hier gibt es in Forderung nach einem Förderfonds für Förderberater Deutschland erhebliche Defizite. Wir schaffen es zwar, und die Einführung eines neuen Studiengangs für Förder- aus guten Ideen Unternehmen entstehen zu lassen, aber es berater folgen. fällt uns schwer, diese Unternehmen groß werden zu las- (Zuruf von der FDP: Da sind Sie spezialisiert sen. drin!) (Beifall bei der FDP) Der vorliegende Antrag geht sogar noch ein bisschen In Deutschland will immer noch kaum jemand Einzel- weiter. Sie wollen die Studienangebote für Gentechnik an investitionen von 50 Millionen Euro oder mehr wagen. die neuen Verfahren der Biotechnologie anpassen. Wir Die Folge ist: Junge Unternehmen in der Gründ- haben in Deutschland 18 000 Studiengänge. Für das spe- ungsphase werden zwar mit Steuergeldern unterstützt, zielle Fach der Biotechnologie sind das allein 70. Noch kommen dann aber oft in ausländischen Besitz. Die Wert- nicht einmal eingerechnet sind dabei die Fächer Medizin schöpfung beim Erfolg findet zu selten in Deutschland oder Agrarwissenschaften. Ich dachte, ich wäre mir mit statt. der FDP immer darüber einig, dass sich der Staat aus der Ausgestaltung der wissenschaftlichen Forschung strikt Deswegen darf man bei aller Begeisterung – auch über raushalten sollte. Dabei geht es nicht nur um die Freiheit die Beteiligung des Staates – beim Erfolg von BioNTech von Forschung und Lehre, sondern es geht auch um die nicht übersehen: Ohne privates Kapital würde es dieses Autonomie der Hochschulen. Wenn wir eine optimale Unternehmen heute in dieser Form wahrscheinlich nicht Forschung wollen, dann müssen wir es auch denjenigen geben. überlassen, die es eigentlich viel besser wissen und viel besser können, meine Damen und Herren. (B) ( [DIE LINKE]: Ohne staatliche (D) Unterstützung auch nicht!) Nach dem Antrag sollen nun künftig auch noch Ge- setzestexte um ein Kapitel zum Innovationsprinzip Bei aller Begeisterung für den Erfolg dieses Unterneh- verlängert werden. Das finde ich, ehrlich gesagt, wenig mens: Wir müssen in Deutschland dafür sorgen, dass sich innovativ. Herr Sattelberger, das wäre leider wieder privates Kapital auch in anderen Bereichen so stark mobi- Bürokratieaufbau. lisiert, wie es bei BioNTech der Fall war. Da haben wir große Aufgaben vor uns, insbesondere auch noch im (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und deutschen Steuerrecht. der SPD) Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Vermutlich würden solche Zeilen mit ähnlicher Heißluft- prosa gefüllt werden wie der wenig gehaltvolle Teil des (Beifall bei der FDP) Antrages zum Transfer von Forschungsergebnissen. Hier finden sich die üblichen Füllwörter – die kennen Sie Vizepräsidentin Petra Pau: alle –: „Vernetzung“, „Synergieeffekte“, „Cluster“, Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Michael von „Translationspunkte“ usw. Ich bin mir sicher, im Aus- Abercron das Wort. schuss könnte man da ein bisschen Konkreteres liefern. (Beifall bei der CDU/CSU) Als Nächstes fordert die FDP-Fraktion Steuererleich- terungen für Geber von Wagniskapital.

Dr. Michael von Abercron (CDU/CSU): (Beifall bei der FDP) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Man benötigt keine steuerlichen Anreize, um Wagniska- Kollegen! In dem vor uns liegenden Antrag der FDP- pital anzulegen. Der Anreiz für Wagniskapital ist doch in Fraktion gibt es sicherlich einige wertvolle Punkte, über Wahrheit eine dreistellige Renditechance. Da muss doch die es sich zu diskutieren lohnt. Aber das heißt noch lange nicht die KfW mit Steuergeld die Ausfallrisiken überneh- nicht, dass – auch mit der besten Gentechnik – alle gelben men. Forderungen gleich zu goldenen Worten werden. Wir haben in diesem Hause jüngst die steuerliche För- Die ersten Forderungen dieses Antrags beziehen sich derung von Forschungsvorhaben beschlossen. Warten Sie auf einen neuen Förderfonds für Gentechnologie. Der doch mal ab, was uns das am Ende bringt. Im Übrigen – deutsche und europäische Förderdschungel ist inzwi- das ist hier schon angeklungen – stehen wir mit den schen schon so groß, dass es Unternehmen gibt, die sich F-und-E-Ausgaben im weltweiten Vergleich nicht gerade damit beschäftigen, andere zu beraten, schlecht da. In Deutschland beträgt ihr Anteil am BIP Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24203

Dr. Michael von Abercron (A) 3,1 Prozent; im Vergleich: USA nur 2,8 Prozent, China Stephan Protschka (AfD): (C) 2,0 Prozent. Dabei liegt die private Wirtschaft mit immer- Habe die Ehre! Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Ja, hin 76 Milliarden Euro und einem Anstieg von fast 5 Pro- gut, Sie sind meistens anwesend, wenn wir reden, Res- zent pro Jahr auf einem extrem hohen Niveau. pekt dafür; das muss man auch mal sagen. Liebe Kolle- ginnen und Kollegen, Gott zum Gruße! Liebe Gäste im Richtig ist es, bessere Möglichkeiten für Sparer zu Hohen Haus! In ihren Anträgen verspricht die FDP der schaffen, damit sie an den Renditechancen der Märkte Landwirtschaft neue Chancen und Zukunftsperspektiven besser partizipieren können. Das kann über bessere durch den Einsatz fortschrittlicher Gentechnik, zum Bei- Anreize für Versicherungs- und Pensionsfonds erreicht spiel durch das sogenannte Genome Editing bzw. die werden, damit sie mehr in Venturecapital investieren kön- Genschere. Aber, liebe FDP, das sind billige Heilsver- nen. sprechen und nicht mehr. Es ist geradezu unlauter, wie Eindeutig richtig ist Ihre Einschätzung zur Forderung, Sie jetzt versuchen, bei den Landwirten falsche Hoffnun- dass die Gesetzgebung gerade in Bezug auf das Genome gen zu wecken. Ja, die neuen Züchtungstechniken sind Editing und die neuen Züchtungstechniken einer dringen- ein wissenschaftlicher Durchbruch; dafür gab es auch den Überarbeitung bedarf. einen Nobelpreis. Und ja, damit werden wir landwirt- (Zuruf von der FDP: Aha!) schaftliche Kulturpflanzen in Zukunft deutlich schneller und präziser züchten können. Und ja, damit könnte es uns Auch das Patentrecht muss geändert werden. Es kann sogar gelingen, in Zukunft widerstandsfähige Sorten zu nicht sein, dass Unternehmen ihre Patente nicht durch- züchten. bringen und ihre Produkte damit wertlos sind. Auf der anderen Seite darf es auch nicht passieren, dass die Land- Was Sie aber bewusst verschweigen, ist, dass die wirtschaft eine Ernte einfährt, die Patenten und Lizenzen Genschere kein Wunderwerkzeug ist, mit dem Sie auf unterliegt. einen Schlag alle Probleme in der Pflanzenzucht beseiti- gen können. Denn auch bei dieser Methode schließen (Beifall bei der CDU/CSU – Rainer Spiering sich nach Erreichen des Editierziels mehrere Jahre Züch- [SPD]: Richtig! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ tungsarbeit an, in denen die Pflanze auf ihre veränderten DIE GRÜNEN]: Die Quadratur des Kreises!) Eigenschaften hin überprüft werden muss. Komplexe Die geradezu dogmatisch-religiöse Ablehnung von Pflanzeneigenschaften, die Sie in Ihrem Antrag groß Gentechnik im Allgemeinen und neuen Züchtungsmetho- anpreisen, wie beispielsweise Salz- und Hitzeresistenzen, den im Speziellen ist nicht nur brandgefährlich, sondern lassen sich auch mit der Genschere nicht ohne Weiteres in sie ist auch unehrlich, weil wir in der Medizin längst die Pflanze hineinzaubern. Sie wissen ganz genau, dass Beispiele haben, wo gentechnische Verfahren Menschen- an solchen Eigenschaften mehrere Gene beteiligt sind. (B) leben retten. Hier ist noch erheblicher Forschungsbedarf vonnöten. (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es geht NEN]: Herr Gauland hört nicht mal seinem um offene Systeme!) eigenen Redner zu! – Oliver Krischer [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Er liest Zeitung!) Am Ende stellen sich aber sehr wohl die Fragen: Wol- len wir diese Techniken nicht nutzen, um den Hunger in – Was schimpfen Sie denn schon wieder, Frau Künast? der Welt zu bekämpfen oder den Klimawandel aufzuhal- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten? Können wir noch länger ernsthaft behaupten, unser NEN]: Haben Sie kein Frühstück zu Hause, Land sei frei von gentechnischen Erzeugnissen? Ist es oder was, Herr Gauland? Lesen Sie ruhig wei- möglich, uns von solchen Produkten dauerhaft abzu- ter!) schotten? Können wir es uns dauerhaft leisten, diese Hochtechnologie in dieser Weise zu diskriminieren und Wir stimmen Ihnen zu, dass wir diese wichtige Grund- damit auf einen kaum zu unterschätzenden Zuwachs an lagenforschung in Deutschland auf keinen Fall verschla- Innovationskraft zu verzichten? Sollte es so weit kom- fen dürfen, so wie wir zuvor dank der Altparteien – dazu men, bewahre die Vernunft dieses Hauses uns wirklich gehören auch Sie, und Ihr Minister hat ja gesprochen – davor. schon viele neue Technologien verschlafen haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir dürfen uns in Europa auch nicht durch übertriebe- ne Regulierungen dieser neuen Züchtungsmethoden von Dann werden wir sehr teuer dafür auch mit Wohlstand der internationalen Forschung abschotten bzw. abhängen bezahlen müssen. lassen. Besonders wichtig ist uns, dass eine umfangreiche Ganz herzlichen Dank. Risikoabschätzung dieses Verfahrens durchgeführt wird und mögliche unerwünschte Nebenwirkungen auf die (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner Umwelt erforscht werden. Außerdem müssen wir eine [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Technik entwickeln, mit der sich der Einsatz der gerade nicht Fisch, nicht Fleisch!) Genschere bei Pflanzen und/oder Tieren zurückverfolgen lässt. Vizepräsidentin Petra Pau: Zwei Drittel der Bevölkerung wünschen sich gentech- Das Wort hat der Abgeordnete Stephan Protschka für nikfrei erzeugte Lebensmittel. Es ist deshalb unerlässlich, die AfD-Fraktion. dass wir gentechnisch veränderte Lebensmittel aus dem (Beifall bei der AfD) Ausland schnellstmöglich transparent kennzeichnen kön- 24204 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Stephan Protschka (A) nen und/oder deren Import vielleicht sogar verbieten, um Gentechnologie wird in einigen Bereichen – da, wo (C) den Bürgern gentechnikfreie Nahrungsmittel zu ermögli- Gene verändert werden – von uns kritisch gesehen. Über- chen. all da, wo es um sogenannte Rote Gentechnologie, also Sehr geehrte Damen und Herren, wir lehnen die fort- Gentechnologie am Menschen, geht, gibt es Bereiche, wo schrittsfeindlichen Forderungen der Grünen in diesem entweder ethische Grenzen überschritten werden oder Bereich ab. Wir lehnen aber auch die Forderung der tatsächlich eine Gefährdung des Individuums vorliegen FDP ab, die Genschere sofort und fahrlässig in Deutsch- kann. Dagegen ist gegen somatische Gentherapie zum land freizugeben und in die Umwelt auszubringen. Das Beispiel nichts einzuwenden, wenn sie denn sicher für ist nicht gut. den Patienten ist. (Beifall bei der AfD) Wo wir tatsächlich Probleme sehen, ist im Bereich der sogenannten Grünen Gentechnik oder Agrogentechnik, Die AfD ist eine Bürgerpartei und respektiert die Wün- da nämlich, wo Organismen verändert und ausgebracht sche des Volkes. Deswegen haben wir gestern auch das werden, also in Verkehr gebracht werden, und wir nicht Infektionsschutzgesetz abgelehnt. Wir setzen uns deshalb wissen können, ob das reversibel ist. Einer der Grund- auch weiterhin für gentechnikfrei erzeugte Lebensmittel sätze, die ich jedenfalls mit ins Parlament genommen ein. habe, ist, Entscheidungen zu treffen, die reversibel sind. Gleichzeitig wollen wir aber, dass der kontrollierte Die Rente mit 67 oder was auch immer kann die nächste Einsatz der Gentechnik in Forschung und Wissenschaft Generation zurücknehmen, aber hier geht es um die Ent- erlaubt bleibt. Wir haben noch erheblichen Bedarf an scheidung – möglicherweise fahrlässig getroffen oder Grundlagenforschung bei den neuen Züchtungsmethoden nicht ausdrücklich oder nur einem Innovationsprinzip und dürfen uns hier nicht abhängen lassen. Politik und folgend –, gentechnisch veränderte Pflanzen auszubrin- Vernunft gehen nur mit der AfD. gen – man sieht ja viele Beispiele weltweit –, ohne zu wissen, wie man das vielleicht in 20 Jahren wieder rück- (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und gängig machen kann, wenn eben Nachteile entstehen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) oder sichtbar werden. Das ist für uns eine Entscheidung, Vielen Dank und einen schönen Tag noch. die wohlüberlegt sein muss. Es ist aus unserer Sicht (Beifall bei der AfD – Michael Grosse-Brömer gerechtfertigt, das Vorsorgeprinzip, also genau zu [CDU/CSU]: Schöner Gag zum Schluss! – schauen und Risiken abzuwägen, weiter gelten zu lassen Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: und nicht durch ein Innovationsprinzip, das ja leider auch Ist denn schon wieder Fasching?) in Teilen der Bundesregierung vertreten wird, verwässern zu lassen. (B) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege René Röspel der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE das Wort. GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Worum geht es denn? Diese neuen Genscheren oder die neuen gentechnischen Technologien sind in der René Röspel (SPD): Lage, präziser als alles, was wir bislang kannten, aber Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten eben auch nicht zu 100,00 Prozent präzise und sensitiv, Damen und Herren! Herr Minister, Sie haben gerade, Gene oder Genome zu verändern. Wir glauben, von eini- wenn ich das richtig mitbekommen habe, gesagt, welche gen Pflanzen oder Organismen die Gensequenzen zu ken- Möglichkeiten die Biotechnologie für die Gesellschaft nen – das ist relativ einfach – und sie zu verstehen. Von künftig haben werde, sei noch ziemlich offen. Ich will den meisten wissen wir relativ wenig oder gar nichts. Da ausdrücklich sagen – wenn ich das so richtig verstanden sehen wir nur eine Reihenfolge von Buchstaben. habe –: Das ist längst beantwortet. Ich glaube, dass Bio- Ich habe von Herrn Professor Fehse mal ein schönes technologie große Chancen hat, und zwar schon seit Jahr- Beispiel gelernt. Er ist nämlich auf eine Canstein-Bibel zehnten und Jahrhunderten. Ich trinke gerne Bier, und von 1731 gestoßen, eine Bibel mit mehreren Hundert Bierbrauen ist Biotechnologie. Wir brauchen Zitronen- Seiten, Tausenden von Wörtern und Zehntausenden von säure; die wird in einem biotechnologischen Verfahren Buchstaben. Das haben die Mönche brav abgeschrieben hergestellt. Es gibt ganz viel Biotechnologie bis hin zu oder, genauer gesagt, gedruckt, aber tatsächlich fehlt ein BioNTech mit dem Übergang zur Gentechnologie, und Wort. Da steht nämlich drin: „Du sollst ehebrechen“, weil das ist aus meiner Sicht sogar unumstritten. Bei uns in das „nicht“ vergessen worden ist. Nun, das kann für einen der Fraktion jedenfalls gibt es damit keine Probleme. eine Handlungsanleitung sein, gibt aber zu Hause Ärger. (Beifall bei der SPD) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der Was tatsächlich ein Problem darstellen kann, ist die LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Verwendung von Gentechnologie. Das ist nämlich ein GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Kommt Unterschied. Es heißt ja heute in der Tagesordnung drauf an!) „Gentechnikstandort Deutschland“ und nicht „Bio- Wer diese Bibel liest und den Text im Kontext versteht, technologiedebatte“. wird vielleicht merken, dass das „nicht“ fehlt – vielleicht (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind andere Stellen auch interessanter –, und sich sagen: NEN]: Ach so!) Okay, ich verstehe den Kontext und weiß, dass diese Aus- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24205

René Röspel (A) sage „Du sollst ehebrechen“ falsch ist, weil gemeint ist: (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Bis Sie (C) „Du sollst nicht ehebrechen“. Wer nur Deutsch kann, bessere Politik machen!) ohne Kontexte zu verstehen – ein Kind zum Beispiel, Da ich mir aber die Erlösung durch Einsicht bei der FDP das zum ersten Mal liest „Du sollst ehebrechen“ –, wird nicht vorstellen kann, dauert das bedauerlicherweise das als Information und als Handlungsanweisung wahr- wahrscheinlich noch bis in alle Ewigkeit. nehmen, versteht also tatsächlich nicht den Sinn. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dabei sind die Versprechen doch längst gebrochen. NEN]: Kann aber noch nicht heiraten!) Gentechnisch veränderte Pflanzen haben vor allen Din- gen Saatgut- und Chemiemultis reich gemacht; Wer vor dieser Bibel steht und nur die Reihenfolge von Buchstaben sieht, der wird weder den Kontext noch den ( [DIE LINKE]: Richtig! Inhalt verstehen. Und das ist genau der Punkt: Wenn wir So ist es! – Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) vor einem Genom mit ganz vielen Buchstaben stehen und diese haben aber nicht den versprochenen essenziellen glauben, den einen oder anderen ersetzen zu können und Beitrag zur weltweiten Ernährungssicherung durch weni- zu wissen, was passiert, handeln wir so wie derjenige, der ger Pestizide oder weniger Düngemittel geleistet. Das die Canstein-Bibel von 1731 zum ersten Mal liest. Und Risiko und die Folgeschäden tragen meist nur die Betrof- ich finde, das ist ein sehr bemerkenswerter Punkt. fenen, ob die Baumwollbauern in Indien oder wir als Wir haben eine Verantwortung auch gegenüber künfti- ganze Gesellschaft. Und was in manchem innovativen gen Generationen, nicht leichtfertig mit solchen Techno- Start-up beginnt, endet leider zu oft doch wieder bei den- logien umzugehen, überall da, wo der Umgang damit selben großen Konzernen. nicht in geschlossenen Systemen stattfindet, sondern wo es um Freisetzung geht. Wir jedenfalls halten es für wich- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tig, eine solche Verfahrensweise an den Tag zu legen. Genau so ist es!) Deswegen halten wir es auch für richtig, was der Europä- Aber gerade bei Lebensmitteln sollten nicht Bayer und ische Gerichtshof zu diesen neuen Methoden entschieden Co entscheiden, was auf unserem Acker oder später auf hat. dem Teller landet, sondern der Agrarbetrieb nebenan. Übrigens, Emmanuelle Charpentier, die Erfinderin (Beifall bei der LINKEN) unter anderem von CRISPR/Cas9, hat uns gesagt, sie arbeitet und forscht gerne in Deutschland. Das heißt, Die Linke ist nicht technologiefeindlich, aber eben die Bedingungen können so schlecht gar nicht sein. Vie- auch nicht technologiegläubig. Die diesjährige Nobel- les ist möglich im Bereich der Gentechnik; bei der Frei- preisträgerin Emmanuelle Charpentier, Erfinderin der (B) setzung gentechnisch veränderter Pflanzen allerdings Genschere, hat laut „Ärzteblatt“ schon 2018 gefordert: (D) sind wir nach wie vor sehr zurückhaltend. „Wir brauchen eine verstärkte Debatte und internationale Herzlichen Dank. Regularien zu den potenziellen Risiken von CRISPR/ Cas9 als Gen-Editing-Technik.“ Da hat sie vollkommen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten recht. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Rainer Spiering [SPD] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat Dr. Kirsten Tackmann für die Fraktion Sie ist im Übrigen auch gänzlich ungeeignet als Kron- Die Linke. zeugin der FDP. (Beifall bei der LINKEN) Eine Technologie selbst kann nichts dafür, wenn sie unvorsichtig ge- oder gar missbraucht wird. Aber wir Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): als Gesetzgeber haben umso mehr Verantwortung, dafür Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In zu sorgen, dass das nicht geschieht. Genau deshalb ist das dieser Debatte geht es auch um Anträge der FDP zu soge- Vorsorgeprinzip so fundamental im EU-Recht verankert; nannten neuen Methoden in der Pflanzenzüchtung. Ich und das ist auch gut so. sage „sogenannt“, weil es eigentlich nur um neue Formen (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der Gentechnik geht. Das sagen nicht nur ich oder Die der Abg. Dr. Bettina Hoffmann [BÜNDNIS 90/ Linke, sondern das sagt auch der Europäische Gerichts- DIE GRÜNEN]) hof. Und er hat recht; denn da, wo das Genom direkt technisch verändert wird, ist es Gentechnik. Umso entlarvender ist es, wenn die FDP auch heute wie- (Zuruf von der LINKEN: Richtig!) der fordert, dass ein sogenanntes Innovationsprinzip mit dem Vorsorgeprinzip gleichrangig sein soll. Beim Lesen der Anträge fiel mir unwillkürlich einer meiner Lieblingsfilme ein: „Und täglich grüßt das Mur- (Beifall des Abg. Mario Brandenburg [Süd- meltier“. In diesem Film erlebt Hauptdarsteller Bill pfalz] [FDP]) Murray einen bestimmten Tag immer wieder neu, bis er Das ist ja nichts anders als eine Relativierung des Vorsor- ein besserer Mensch geworden ist. Wie lange die FDP ihr geprinzips – Mantra von den Heilsversprechen gentechnisch verän- derter Pflanzen noch wiederholt, weiß ich nicht. (Zuruf von der LINKEN: Richtig!) 24206 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Kirsten Tackmann (A) und das hat in der EU Verfassungsrang –; mal abgesehen Es gibt also aus Sicht der Linken viele gute Gründe, am (C) von der Frage: Was ist innovativ, und wer entscheidet Vorsorgeprinzip gerade bei gentechnisch veränderten darüber? Pflanzen festzuhalten. Auch die sogenannten neuen Züchtungsmethoden müssen nach strengem Gentechnik- Als Linke verneinen wir nicht die Chancen durch neue recht reguliert werden. biotechnische Verfahren, aber die Frage, wie mit Gefah- ren umgegangen wird, muss ernsthaft beantwortet wer- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. den. Es geht auch um die Frage: Wem nutzt es? Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Nun wird oft behauptet, die sogenannten neuen Züch- Zum Abschluss möchte ich der FDP ein paar weise tungsmethoden würden viel gezielter ins Genom eingrei- Worte des Weihbischofs Anton Losinger aus Augsburg, fen als bisherige agrogentechnische Verfahren. Nur kann einem langjährigen Mitglied des Deutschen Ethikrats, ins man es inzwischen besser wissen, weil neue Studien auf Stammbuch schreiben. Er empfahl im Oktober im Dom- entsprechende Risiken hinweisen. Das Genom funktio- radio einen verantwortungsvollen Umgang und eine niert nämlich nicht so linear, wie auch ich das in der gesellschaftliche Debatte, die für die neuen Fragen sensi- Schule und im Veterinärmedizinstudium gelernt habe. bilisiert und nicht von ökonomischen Interessen Eine bestimmte Gensequenz führt eben nicht immer bestimmt wird. Vielleicht kann man die FDP doch noch zum gleichen Ergebnis. Deshalb ist die gefahrlose Verän- erlösen, und die Union gleich mit. derung des Genoms ein Mythos. Vielen Dank. Studien zeigen Kollateralschäden auf, und zwar nicht (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – nur an der Stelle der beabsichtigten Veränderung des Zurufe von der CDU/CSU und der FDP) Genoms – „on target“ nennt man das –, sondern auch weit weg – nämlich „off target“ –, und das ist erst viel Vizepräsidentin Petra Pau: später zu erkennen. Bei Gentherapien tödlich verlaufen- Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Frak- der Erkrankungen zum Beispiel mag man dieses Risiko tion Bündnis 90/Die Grünen. berechtigterweise in Kauf nehmen. Aber in der Pflanzen- züchtung sollen diese Merkmale vererbt, also vervielfäl- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tigt werden. Da geht es eben nicht nur um diese eine gentechnisch veränderte Pflanze. Die Gefahr der Verviel- Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): fältigung ungewollter Fehler im Genom zu relativieren, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und ist einfach unverantwortlich. Kollegen! Die FDP betreibt im Fahrwasser von Corona (B) billige Polemik statt einer seriösen Debatte. Sie werfen (D) (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Anwendungen der Gentechnik in geschlossenen Syste- Dr. Bettina Hoffmann [BÜNDNIS 90/DIE men im Agrarbereich und in der Medizin schmerzfrei in GRÜNEN]) einen Topf. Das ist nicht sachgerecht. Nun wird gerne behauptet, man könne den Anbau gen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN technisch veränderter Pflanzen kontrollieren. Ich will sowie bei Abgeordneten der SPD) vier Gegenbeispiele bringen. Vor einigen Jahren ist unge- wollt eine gentechnisch veränderte Petunie im Blumen- Vorneweg: Die Entwicklung von Impfstoffen gegen handel aufgetaucht. Aufgefallen ist das nur durch ihre Covid-19 ist eine herausragende Leistung. Dass mindes- orange Blütenfarbe, die nicht natürlich erzeugbar ist. tens drei deutsche Unternehmen ganz vorne mit dabei Ähnlich war es beim ungewollten Anbau einer gentech- sind, das zeigt, wie gut wir auf diesem Feld aufgestellt nisch veränderten Kartoffel in Schweden. Auch das ist sind, ob in Rheinland-Pfalz oder in Baden-Württemberg. nur wegen einer anderen Blütenfarbe aufgefallen. Aber wir müssen die Debatten auseinanderhalten. Wäh- rend bei der Herstellung von Insulin oder den genannten (Mario Brandenburg [Südpfalz] [FDP]: Reden Impfstoffen Gentechnik in geschlossenen Systemen wir jetzt über Kartoffeln?) angewandt wird, geht es im Bereich der Agrogentechnik um etwas völlig anderes, nämlich um deren Freisetzung: Der gentechnisch veränderte Reis LL 601 aus einem um Freisetzung von vermehrungsfähigen gentechnisch kleinen Forschungsanbau in Georgia, USA, tauchte veränderten Lebewesen in unsere Ökosysteme. Das ist plötzlich weltweit in Supermarktregalen auf; er ist nie ein grundlegender Unterschied. zugelassen worden. Im mexikanischen Ursprungsgebiet des Mais wurden gentechnische Veränderungen nachge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wiesen, obwohl dort ein solcher Anbau offiziell nie statt- sowie bei Abgeordneten der SPD) gefunden hat. Das sollte zu denken geben. Aber Sie suggerieren den Menschen, das wäre vergleich- bar. Das ist es aber nicht. Hinzu kommt das ökologische Risiko. Eine gentech- nisch veränderte Pflanze kann ihre genetische Verände- Impfstoffe durchlaufen umfassende Risikoprüfungen, rung auf wildlebende Verwandte auskreuzen, und das selbst in verkürzten Verfahren. Sicherheit und Verträg- wäre dann definitiv nicht rückholbar. lichkeit haben dabei Vorrang, und das ist gut so. Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sind Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dann gegen eine Risikoprüfung bei der Freisetzung von neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE lebendigen, vermehrungsfähigen Organismen? Das ist GRÜNEN) doch scheinheilig. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24207

Harald Ebner (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP – Amira Mohamed Ali (C) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- [DIE LINKE]: Sie haben es noch nicht verstan- KEN – Widerspruch der Abg. Carina Konrad den, Herr Hocker! – Dr. Kirsten Tackmann [FDP]) [DIE LINKE]: Nicht zugehört!) Sie wollen das europäische Vorsorgeprinzip aushebeln und ihm ein Innovationsprinzip zur Seite stellen. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Hocker, genau diesen Unterschied, den (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: ich Ihnen gerade zu erläutern versuche, haben Sie in der Genau!) Hinsicht noch nicht verstanden, indem Sie an der Stelle Aber „ein bisschen Vorsorgeprinzip“ geht genauso wenig die Debatte wieder darauf verengen, ob jemand etwas wie „ein bisschen schwanger“. Wer, wie die FDP, meint, ablehnt oder verbietet oder nicht. die Risiken schon vor ihrer Prüfung zu kennen, der setzt (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der fahrlässig die Gesundheit von Umwelt und Mensch aufs LINKEN – Widerspruch bei der FDP) Spiel. Es geht darum, dass wir die Wahlfreiheit der Menschen Die Menschen da draußen verstehen den Unterschied. respektieren, gentechnikfrei erzeugte Lebensmittel zu Mehr als 80 Prozent von ihnen wollen Gentechnik weder kaufen oder nicht. Wir wollen, dass die Menschen das auf dem Acker noch auf dem Teller. Wir respektieren das am Regal entscheiden können. Das können sie nur, im Gegensatz zu Ihnen; denn wir haben nicht zu bewer- wenn eine Kennzeichnung erfolgt. Und diese Kennzeich- ten, warum die Menschen keine Gentechnik wollen. Wir nung, die verpflichtende Kennzeichnung, haben ihre Wahlfreiheit zu sichern und das Vorsorgeprin- zip zu respektieren, und wir werden das tun. ( [FDP]: Das war nicht die Frage! Antworten Sie auf die Frage! – Weitere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zurufe von der FDP) bekommen wir nur, Herr Kollege – wie ich auf die Frage Vizepräsidentin Petra Pau: antworte, ist im Übrigen meine Sache und nicht Ihre –, Kollege Ebner, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- kung von Dr. Höcke? (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN)

Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wenn wir ordentliche Zulassungsverfahren beibehalten. Gerne. Das ist genau das, was Sie jetzt aushebeln wollen; das ist das, was Sie abschaffen wollen. Sie wollen den Men- (B) (Jan Korte [DIE LINKE]: Höcke nicht! Das (D) schen ihre Wahlfreiheit nehmen, und das machen weder geht zu weit!) ich noch die Kollegin Bauer mit.

Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank, Herr Kollege Ebner, dass Sie meine Zwi- sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE schenfrage zulassen und dass Sie eben noch mal die grüne LINKE]) Position zu diesem Themenbereich sehr eindringlich Ich habe es schon gesagt: Sie wollen genau an der skizziert haben. Stelle deregulieren. (Grigorios Aggelidis [FDP]: Nein, das machen Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie!) Ich war doch noch gar nicht fertig. Sie wollen den Menschen ihr Recht auf Wahlfreiheit neh- men, wenn Sie Pflanzen aus neuer Gentechnik aus den Dr. Gero Clemens Hocker (FDP): Zulassungsverfahren und damit aus der Kennzeichnung Ich möchte Sie gerne mit einem Zitat Ihrer Parteifreun- nehmen. Es muss auch künftig draufstehen, was drin ist. din aus Baden-Württemberg, von Theresia Bauer, Minis- terin für Wissenschaft und Forschung in Baden-Württem- (Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Merken Sie berg, konfrontieren. Frau Bauer lässt sich mit den Worten gar nicht, wie Sie sich gerade blamieren, Herr zitieren: Kollege?) Deshalb stehen wir auch voll und ganz hinter dem Urteil Grünen und Umweltaktivisten wurde … vorgewor- des Europäischen Gerichtshofs von 2018, das besagt: fen, dass Kritik an neuen gentechnischen Verfahren Auch neue Gentechnik ist Gentechnik, und sie muss nicht sachlich sei. Nicht … zu Unrecht, meine ich. In genauso reguliert werden. der Debatte werden Fakten nicht … anerkannt. Die Grünen sollten den Stand der Wissenschaft anerken- Unser Antrag zeigt auf, was dazu notwendig ist. Wir nen. Und … Gentechnik eine Chance geben. wollen den Gesetzesvollzug durch Entwicklung geeigne- ter Nachweisverfahren, Förderung der Risikoforschung (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Stephan und Führen europäischer Register gewährleisten. Nur so Protschka [AfD]) kann gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft auch künf- Ich möchte von Ihnen gerne wissen, ob Sie sich der Mei- tig gentechnikfrei bleiben. Es gilt, mehr öffentliche Gel- nung Ihrer Parteifreundin aus Baden-Württemberg der in die Stärkung und Weiterentwicklung klassischer anschließen oder ob sie nach Ihrer Meinung unrecht hat. Pflanzenzüchtung und Entwicklung besserer agrarökolo- 24208 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Harald Ebner (A) gischer Anbausysteme weltweit zu stecken. So stellen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C) uns den Herausforderungen der Klimakrise, statt auf eine Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gute Wundertechnologie zu hoffen. Idee!) Danke schön. Warum? Weil es gerade immer wieder die Grünen sind, die aus der städtischen Sicht heraus in den ländlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Raum hinein Forderungen an die Landwirtschaft haben: (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Petra Pau: NEN]: Immer die alte Leier!) Zuerst mal Entschuldigung, Herr Hocker, ich hatte es phonetisch nicht richtig verstanden, als mir Ihre Meldung Sie soll weniger Pflanzenschutzmittel verwenden, sie soll übergeben wurde. Ich wollte Ihren Namen nicht in aber bitte regional produzieren und keine Ressourcen ver- irgendeiner Weise falsch aussprechen. brauchen. Lebensmittelverschwendung soll reduziert werden, und vor allen Dingen sollen Pflanzen angebaut Ansonsten: Ich habe die zweite Zwischenfrage nicht werden, die für den Boden gut sind – und das angesichts zugelassen, weil Herr Ebner erkennbar am Ende seiner eines sich verändernden Klimas. Aber das Instrument, Redezeit war. Da müssen Sie sich das nächste Mal bitte das die Landwirte dafür brauchen, wollen Sie ihnen nicht etwas früher bemerkbar machen. geben, und selber Bauern werden wollen die wenigsten (Widerspruch bei der FDP – Jan Korte [DIE von Ihnen. LINKE]: Weitermachen!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Das Wort hat die Bundesministerin für Ernährung und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Landwirtschaft, Julia Klöckner. Gibt es denn nur eines, Frau Ministerin? Gibt es denn nur ein Instrument?) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der Das ist doch die Herausforderung für eine verantwor- CDU/CSU: Jetzt wird es wieder sachlich!) tungsvolle Politik. Wenn man sich in der Debatte die Bandbreite zwischen Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und FDP und Grünen anschaut, muss man sagen: Das ist Landwirtschaft: wirklich sehr interessant, sehr schön. Deshalb sucht der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Landesminister Volker Wissing auch diese Bühne. Es war und Herren Abgeordnete! Lieber Herr Landesminister ja ein besonderes Schauspiel hier. Er braucht die Bundes- Volker Wissing! Forschung und Innovation können unser (B) bühne, um seine Meinung dort zu äußern, wo die FDP in (D) Leben besser, gesünder und auch nachhaltiger machen. der Opposition ist. Das könnte er eigentlich auf der Lan- (Beifall des Abg. René Röspel [SPD]) desbühne tun, weil er dort in der Regierung ist; aber da macht er es nicht. Ich will wieder mehr Sachlichkeit in die Debatte bringen und mit Beispielen kommen: Kartoffeln mit einer gerin- (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse- geren Acrylamidbildung – Acrylamid, das heißt krebs- Brömer [CDU/CSU]: Ja, wieso das denn erregend. Salat mit einem höheren Vitamin-C-Gehalt, nicht?) Pilzresistenzen unter anderem von Mais, Weizen oder Und warum macht er es dort nicht? Ich möchte Ihnen Bananen, um Pflanzenschutzmittel einzusparen, oder einen kurzen Auszug aus dem Koalitionsvertrag vorle- Trockentoleranz von Mais, um den Wasserverbrauch zu sen, den Herr Wissing unterschrieben hat. reduzieren. (Carina Konrad [FDP]: Wer hat denn Bio- Warum erwähne ich das? Schon seit Beginn der Land- NTech gefördert? Das war er!) wirtschaft hat die Wissenschaft besonders geeignete Pflanzenexemplare ausgewählt und vermehrt. Ohne dies Dort heißt es: „Die rheinland-pfälzische Landwirtschaft gäbe es unsere heutige Ernährung nicht; ohne Züchtung arbeitet im Anbau gentechnikfrei; daran werden wir wäre das nicht denkbar. Seit Jahrzehnten werden zufälli- nichts ändern.“ Das ist die FDP, wenn sie regieren darf. ge Veränderungen beispielsweise durch Bestrahlung for- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ciert und nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“ einge- neten der SPD – Michael Grosse-Brömer setzt. Das ist wie ein Suchen nach der Nadel im [CDU/CSU]: Weiß das die Bundestagsfrak- Heuhaufen. tion?) Aber es gibt neue Züchtungstechnologien, die uns Insofern will ich auch sagen: Der Aufsichtsratschef unglaublich viel Zeit sparen und die im Übrigen von von BioNTech, Helmut Jeggle, sagte in Richtung der spontanen Zufallsmutationen überhaupt nicht zu unter- rheinland-pfälzischen Landesregierung, wo die FDP mit- scheiden sind. regiert: Ein solches Bemühen wie zum Beispiel in Bran- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: denburg um andere Unternehmen können wir leider Falsch, Frau Ministerin!) bisher in Rheinland-Pfalz nicht feststellen. Initiativen in diese Richtung seitens der Regierungskoalition aus SPD, Ich plädiere zusammen mit der Union dafür, dass wir hier FDP und Grünen kann man da nicht wahrnehmen. – Des- offen sind und ideologische Scheuklappen endlich able- halb braucht man also die Bundesbühne: um die Wünsche gen. zu äußern, die man selber nicht umsetzen will. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24209

Bundesministerin Julia Klöckner (A) Aber lassen Sie mich zu den Grünen kommen. Es ist wir die Ziele der Nachhaltigkeit erreichen, aber auch (C) schon hoch spannend, was die Grünen von sich geben. das Menschenrecht auf Nahrung. Und es ist meiner Mei- Sie haben ja den BASF-Standort in Rheinland-Pfalz nung nach arrogant von unserer Seite aus, wo die Lebens- als gentechnikfrei erklärt, was intellektuell schon sehr mittelregale im Supermarkt voll sind, anderen Ländern, anspruchsvoll ist, die massiv unter dem Klimawandel leiden, die keine Ern- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tesicherung haben, nicht diese Forschung hier bei uns zu ermöglichen, um ihnen zu helfen, dass ihre Landwirt- Anbau! Anbau, Frau Ministerin! Sie unter- schlagen das bewusst, und das ist nicht fair!) schaft überleben kann. als gentechnikfrei gefeiert und sogar darauf angestoßen, (Beifall bei Abgeordneten der FDP) als diese Forschungssparte von BASF in die USA abge- Deshalb frage ich, wenn wir über „Farm to Fork“ spre- wandert ist. chen, die Strategie „Vom Hof auf den Teller“, die Sie ja (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: immer vor sich hertragen: Warum lassen Sie immer einen Sie verschaukeln die Menschen doch!) Aspekt von „Farm to Fork“ bzw. des Green Deal aus? Weil dort von der Gentechnik und von CRISPR/Cas die Ich will ganz deutlich sagen: Ich fand die Frage von Rede ist. Dr. Hocker zu Baden-Württemberg überhaupt nicht miss- verständlich; sie war vielleicht anspruchsvoll für Sie. (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Genau darüber reden wir doch!) der FDP und des Abg. Stephan Protschka Die Grünen sind sehr flexibel: Sie sind für Kennzeich- [AfD] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE nung – ja – bei Grüner Gentechnik. Aber so genau neh- GRÜNEN]: Ui! Jetzt geht es aber los! Das soll- men sie es natürlich nicht, wenn gentechnisch hergestell- te doch unter Ihrem Niveau sein! – Gegenruf te Vitamine in den Lebensmitteln oder den Arzneimitteln der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE sind. GRÜNEN]: Leider ist nichts unter ihrem Niveau! Nichts!) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber ich muss Ihnen bei dieser Frage sagen: In Baden- NEN]: Was denn jetzt? – Harald Ebner Württemberg sollten 5 Millionen Euro eingesetzt werden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?) für die Genforschung, Stichwort auch „CRISPR/Cas“, Da wollen sie nicht, dass das draufsteht. Warum? Weil um der Landwirtschaft zu helfen, die Ziele zu erreichen, sich die Bürger dann daran gewöhnen würden. Sie brau- die Sie immer vor sich hertragen. Sie haben Ihre Minis- chen nur ein Thema für den Wahlkampf. Das ist unseriös. (B) terin ausgebremst. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich werde (D) Teile dieser Forschung mit Geldern aus meinem Haus Herzlichen Dank. fördern. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU) Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir fördern übrigens auch andere Methoden der Pflan- Ich will Ihnen auch noch den Unterschied zenzüchtung, vor allem die Forschung in diesem Bereich. erklären! Das machen wir gerne noch mal! Natürlich ist CRISPR/Cas oder ist Grüne Gentechnik Irgendwann verstehen Sie es vielleicht!) kein Allheilmittel. Aber Offenheit ist eine Möglichkeit, um nicht von anderen überholt zu werden und sich nach- Vizepräsidentin Petra Pau: her nicht die Frage stellen zu müssen, warum der Wissen- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Michael Espendiller schaftsstandort Deutschland nicht nach vorne kommt und für die AfD-Fraktion. andere Länder uns überholen. (Beifall bei der AfD) Deshalb, liebe Grüne, würde ich Ihnen schon nahele- gen, den offenen Brief von über 100 Wissenschaftlern an Sie ernst zu nehmen. Mit Sorge beobachten wir Falsch- Dr. Michael Espendiller (AfD): informationen über vermeintliche gesundheitliche und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! ökologische Risiken bis hin zu angeblichen wirtschaft- Liebe Zuschauer im Saal und bei YouTube! In der heuti- lichen Nachteilen im globalen Süden. Das wird dort kriti- gen Debatte geht es um den Gentechnikstandort Deutsch- siert. In Zeiten von Fake News ist es unanständig, wenn land. Hintergrund ist, dass mit der Firma BioNTech ein die Grünen das tun. deutsches Unternehmen den ersten Coronaimpfstoff ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wickelt hat. Die Magentasozialisten von der FDP haben der FDP) sich da gedacht: Mensch, da setzen wir doch mal einen drauf und springen irgendwie dadrüber. Professor Wilfried Wackernagel vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften an der Universität Oldenburg (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: ist keiner, der Fake News verbreitet, er ist Wissenschaft- Oh, das war aber lustig! – Alexander Graf ler. Lambsdorff [FDP]: Dämlich!) Deshalb sage ich Ihnen: Kommen Sie aus Ihrer ideo- Im Ergebnis legen Sie, liebe Kollegen von der FDP, dann logischen Ecke, aus den Grabenkämpfen heraus! Denn aber einen Antrag vor, der zeigt, dass Sie wieder mal am Ende geht es um Folgendes: Es geht darum, dass nichts verstanden haben. 24210 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Michael Espendiller (A) Der Reihe nach. Sie fordern also, von dem Erfolg der die rechtlichen Rahmenbedingungen ungünstig sind. Und (C) Firma BioNTech zu lernen und ein Aktionsprogramm für dann kommen Sie mit der Lösung um die Ecke, dass der den Gentechnikstandort Deutschland vorzulegen. Und in Staat einen Fonds schaffen soll und dass der Staat neue der Tat, man kann aus dem Erfolg der Firma so manches Konzepte für Wagniskapital für forschende Unternehmen lernen. entwickeln soll. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Migration (Beifall bei der AfD – Mario Brandenburg ist gut, kann man lernen! Migration ist super!) [Südpfalz] [FDP]: Privates Kapital!) Erstens. Die Firma BioNTech hat das wissenschaftli- Sie haben hier nichts verstanden. Dieses Problem löst che Know-how mitgebracht. Um die Impfstoffentwick- nämlich nicht der Staat. Die Aufgabe des Staates ist es, lung so richtig ans Laufen zu bringen, brauchte BioNTech produktive Menschen in Ruhe zu lassen und ihnen aus aber Hilfe. Anfang März ging die Firma deshalb eine dem Weg zu gehen, damit die ihre Arbeit ordentlich Kooperation mit dem amerikanischen Pharmariesen Pfi- machen können. zer ein. Aber warum mit einem Investor aus dem Aus- land? Warum hat man das in Deutschland nicht selber auf (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Reihe gekriegt? NEN]: Wo waren Sie gestern? Was haben Sie gestern gemacht! Dass Sie sich überhaupt hier- (Beifall bei der AfD) hertrauen!) Alle mit einem guten Gedächtnis mögen sich erinnern: Die Aufgabe der Bundesregierung wäre es, das völlig Im Frühjahr war noch zu sehr mit seiner veraltete Gentechnikrecht von EU und Deutschland platt- Kanzlerkandidatur beschäftigt und hat Corona so richtig zumachen. Dann könnte Deutschland nämlich wieder verpennt. Glücklicherweise machten andere sich da zum attraktiven Forschungsstandort auf diesem Gebiet schon auf die Socken. Die erste Lektion ist also: Wenn werden. Aber bitte – das schreiben Sie sich mal hinter es richtig brenzlig wird, dann lässt Sie diese Bundesre- die Ohren, auch Sie, Frau Künast –, lassen Sie die Finger gierung alleine, und Sie müssen sich an ausländische weg von der Wirtschaft. Investoren wenden, wenn das hier was werden soll. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lektion Nummer zwei. Wenn diese Bundesregierung NEN]: Lassen Sie die Finger weg vom Deut- einmal aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist und zur schen Bundestag! Den zu zerstören! ) Tat schreitet, dann kann man ziemlich sicher sein, dass am Ende ein Misserfolg rauskommt. Denn was hat diese Sie können es einfach nicht. Bundesregierung gemacht? Diese Pandemie hat die Bun- Vielen herzlichen Dank. (B) desregierung kalt erwischt. Man war völlig planlos und (D) frei von Sachkenntnis. (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Stephan Protschka [AfD], an die Abg. Renate Künast (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt – NEN]: Die AfD weiß noch nicht mal, dass die Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜND- Pandemie existiert!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach Sie, Sie trauen Wenn man die Berichterstattung in den ersten Monaten sich ja heute nicht mal mit einem T-Shirt hier verfolgt hat, hätte man meinen können, im Gesundheits- rein! Dann werden Sie rausgeschmissen! – ministerium werden noch nicht mal E-Mails gelesen. Gegenruf des Abg. Stephan Protschka [AfD]: Sie träumen ja heute schon davon, dass Sie die Also: Was passiert immer dann, wenn sich Politiker nächste Landwirtschaftsministerin sind! – beweisen wollen und ihre Handlungsfähigkeit demonst- Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜND- rieren müssen? Sie geben das Geld anderer Leute aus. Die NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe kein Wort Bundesregierung ging also hin und investierte Steuergeld verstanden! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ in eine andere Firma. 300 Millionen Euro gingen an die DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Stephan Firma CureVac, und man erwarb damit Unternehmensan- Protschka [AfD]: Geh hoam!) teile. Wieso und warum ausgerechnet diese Firma? Das werden wir vermutlich nie erfahren. Am Ende steht nur, dass die Firma BioNTech diejenige war, die zuerst den Vizepräsidentin Petra Pau: Impfstoff hatte. Was lernen wir daraus? Dass der Staat Das Wort hat die Kollegin Yasmin Fahimi für die SPD- kein guter Unternehmer ist. Fraktion. (Beifall bei der AfD – Dr. Jens Brandenburg (Beifall bei der SPD) [Rhein-Neckar] [FDP]: Sie hätten die Gründer doch gar nicht ins Land gelassen! – Alexander Yasmin Fahimi (SPD): Graf Lambsdorff [FDP]: Sie hätten die Gründer Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gar nicht erst ins Land gelassen!) Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer an den Monitoren! Neben vielen weiteren Dingen lernen wir noch eine Wir reden hier heute über den FDP-Antrag, der ein wichtige dritte Sache. Die Kollegen von der FDP sind Aktionsprogramm für den Gentechnikstandort Deutsch- oft gar nicht so schlecht in der Analyse von Problemen; land fordert. Jetzt könnte man ja meinen, wir freuen uns aber wenn es zu den Lösungen kommt, versagen sie total. darauf, ganz viele tolle neue Ideen zu bekommen. Aber Sie arbeiten hier völlig richtig heraus, dass der Unterneh- der Leser wird bitter enttäuscht; denn der Antrag macht mergeist in Deutschland schwach ausgeprägt ist und dass erst mal eins: Er redet den Standort Deutschland schlecht; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24211

Yasmin Fahimi (A) es ist so dramatisch hier, dass man sich fragen kann, wie Zweitens: „Neue Konzepte für Wagniskapital“ und (C) es Deutschland eigentlich schafft, immer noch die viert- „weitere steuerliche Anreize“. Ja welche denn, bitte größte Volkswirtschaft weltweit zu sein. schön? Wir haben die steuerlichen Forschungsförderun- (Carina Konrad [FDP]: Trotz SPD! – Stephan gen gerade eingeführt. Daran können Sie sich doch abar- Protschka [AfD]: Trotz SPD!) beiten. Da müssen Sie sich schon ein bisschen mehr Mühe machen und klar sagen, was Sie genau wollen. Sie müssen ein bisschen aufpassen, dass Sie sich nicht die AfD-Manier angewöhnen, alles erst mal in katastropha- (Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer len, düsteren Bildern zu zeichnen, um sich dann als Retter [CDU/CSU]: Kann man die nicht bündeln?) aufzuschwingen. – Wie das alles zusammenpassen soll, das weiß kein (Beifall bei der SPD – Stephan Protschka Mensch, aber das ist ja egal. [AfD]: Das sagt die Richtige!) Drittens. Sie wollen einen Zukunftsfonds für junge Aber ich will mir ja trotzdem mal anschauen, was Sie Unternehmen schaffen. Da denkt man auch: Toll, was da so geschrieben haben. Über CRISPR/Cas ist ja hier für eine klasse Idee. – Dieser Zukunftsfonds soll aber schon viel gesagt worden; natürlich hängen Sie sich daran als Dachfonds konzipiert werden, der in Venturecapital- auf. Ich will hier noch mal deutlich unterstreichen: Es Fonds investiert, die ihrerseits wiederum in Start-ups geht gar nicht um CRISPR/Cas. Das ist ein Verfahren, investieren sollen. Da fragt man sich: Welchen Sinn hat das in Deutschland inzwischen als Standard in den Labo- das eigentlich? Aber das erschließt sich einem durchaus ren der Pharmaindustrie etc. angewendet wird. Das hat beim Weiterlesen; denn der Zukunftsfonds richtet sich auch niemand verboten. Es ist ein durchaus bewährtes vor allem an institutionelle Anleger, also Versicherungen, Verfahren, um, vereinfacht gesagt, mit großer Präzision Pensionsfonds und Ähnliches. Und jetzt wird es klar: Sie eine Mutation zu erzwingen. wollen eine neue Geschäftsidee für Großinvestoren, die mit ihren Lebensversicherungen keinen Gewinn mehr Worum es Ihnen stattdessen geht, sind die Produkte, machen. Also, nach der Mövenpick-Schenkungsteuer die daraus resultieren. Die Produkte wollen Sie, wie hier nun also den Supersubventionsfonds für Versicherungen. schon gesagt wurde, nun nicht mehr allein nach dem Vor- sorgeprinzip bewertet wissen – das heißt, vorsorgend zu (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem schauen, welche Risiken vielleicht mit den Produkten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel verbunden sein könnten, insbesondere wenn sie in offe- [SPD]: Aha! – Rainer Spiering [SPD]: Hört! nen Systemen ausgesetzt werden sollen –, sondern Sie Hört!) wollen es gleichrangig setzen mit dem Innovationsprin- Sehr geehrte Damen und Herren, Überschriften in Tür- (B) zip. Das heißt, die Risikoabschätzung soll parallel zu (D) einer Chancenbetrachtung erfolgen. Das hört sich ja erst kis und Magenta sind halt kein Ersatz für kluge Politik. mal nett an, Was Sie hier betreiben, ist zunehmend einfach nur Fake Policy. Dieser Antrag strotzt vor Worthülsen und unspe- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Ist auch zifischen Forderungen. Deswegen muss ein aufmerksa- gut! Sehr gute Idee!) mer Leser diesen Antrag ablehnen, was wir hier auch tun heißt aber de facto nur: Wenn beides gleichrangig zu werden. bewerten ist, dann kann man sich die Risikoabschätzung (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan eigentlich gleich sparen. Albani [CDU/CSU] – Rainer Spiering [SPD]: (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Abwägen Gut gebrüllt, Löwin!) heißt das!) Dann heißt es im Zweifelsfall: Wenn wir morgen eine Vizepräsidentin Petra Pau: Substanz gefunden haben, um das CO2 aus der Atmo- Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer für die Frak- sphäre zu holen, dann ist das auf jeden Fall zulassungs- tion Bündnis 90/Die Grünen. fähig. Wenn deswegen anschließend der Planet explo- diert, haben wir halt Pech gehabt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Was ist denn das für ein Schwachsinn?) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht Ihnen in Ihrem Antrag gar nicht um eine kluge Frau Ministerin Klöckner, Sie haben Ihre Rede mit der Strategie für einen nachhaltigen, verantwortlichen Inno- Aussage begonnen, zu sagen, dass Sie mehr Sachlichkeit vationsstandort, sondern um etwas ganz anderes. Worum in die Debatte bringen wollen. Dann haben Sie sechs es Ihnen geht, das liest man in der Folge: um zahlreiche Minuten lang – sechs Minuten lang! – jede Fraktion – Fonds und Begünstigungen, die Sie einfordern, natürlich außer Ihre eigene – in diesem Haus beschimpft, und das alles unspezifisch und ohne jegliche Hinterlegung von in einer Art und Weise – mit Ideologievorwürfen, mit irgendwelchen Finanzvolumina. dem Vorwurf, Fake News zu verbreiten –: Meine Damen Erstens: Fonds „Innovation durch Gentechnologie“. und Herren, ich finde, es ist einer Ministerin unwürdig, Wow, was ist das? – Dann steht dort: Es sollen Bemühun- hier so aufzutreten. gen gebündelt werden. Punkt! Mehr steht da nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Heiterkeit bei der SPD – Michael Grosse- Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Heute sind Brömer [CDU/CSU]: Super!) Sie aber empfindlich!) 24212 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Oliver Krischer (A) Ganz offensichtlich scheint es Ihnen beim Niveaulimbo Vizepräsidentin Petra Pau: (C) im Kabinett darum zu gehen, Andi Scheuer noch zu Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kees de Vries das unterbieten. Wort. (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das geht (Beifall bei der CDU/CSU) gar nicht! Das wissen Sie auch! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das schafft keiner!) Kees de Vries (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin- Jedenfalls so war der Auftritt, den wir an der Stelle gerade nen und Kollegen! Vorab möchte ich den Damen Doudna erlebt haben. und Charpentier zur Entdeckung der CRISPR/Cas9- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schere gratulieren. Dafür haben sie zweifelsfrei den Che- mienobelpreis verdient. Aber auch dem Agrarwissen- Was diese Bundesregierung will und was sie vertritt, schaftler Norman Borlaug, ebenfalls Nobelpreisträger, das habe ich von Frau Klöckner nicht gehört. Ich habe möchte ich hier meine Hochachtung aussprechen. Er hat Attacken gegen den politischen Gegner gehört, ich habe als Vater der Grünen Revolution im Jahr 1970 den Frie- Beschimpfungen gehört. Aber sonst ist da gar nichts; das densnobelpreis bekommen, ist eine einzige Blackbox. Eine Agrarministerin, die ein Totalausfall ist und die hier auch noch die Verbraucher (Zuruf von der AfD: Den hat Obama auch be- beschimpft – das war nämlich auch noch ein Teil ihrer kommen!) Rede –, das kann so nicht angehen. und zwar mit der Begründung – ich zitiere –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mehr als jede andere Person unserer Epoche hat er geholfen, Brot für eine hungrige Welt herbeizu- Damit komme ich zur FDP. Herr Wissing, bei Ihrem schaffen. professoralen Vortrag am Anfang habe ich über einen Satz gestaunt: Die Rolle der Biotechnologie in Deutsch- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: land sei offen. Also, ich kann für meine Fraktion hier Das Brot ist jetzt versalzen!) ganz klar sagen: Die Biotechnologie in geschlossenen Ungeachtet aller unbegründeten Horrorszenarien, wel- Systemen ist eine wesentliche Technologie, von der unse- che die Grünen in Endlosschleife im Zusammenhang mit re Wirtschaft abhängt. Da müssen wir Forschung betrei- den neuen Züchtungstechniken verbreiten, werde ich ben, da müssen wir investieren, und daran müssen wir in nicht müde, den Menschen in unserem Land zu erklären, Zukunft arbeiten. Ich staune, dass das bei der FDP unklar dass es genau jene neuen Züchtungstechniken sind, die (B) ist. Das, was Sie da von sich gegeben haben, hat alles eine große Chance für eine zweite grüne Welle bieten. (D) nichts mit dem zu tun, was Sie in Ihrem Antrag geschrie- Wir in Deutschland kennen diese Probleme nicht. Wir ben haben. In dem Antrag der FDP – da kann ich der leben in einem Schlaraffenland; unsere Regale sind Kollegin der SPD nur zustimmen – fehlt nur noch der immer voll. Satz – es tut mir leid, das sagen zu müssen –: Wir fordern Wenn Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. – Den haben den Grünen – und leider muss ich hier auch die Kollegen Sie diesmal in Ihrer Phrasendreschmaschine vergessen. von der SPD und viele andere nennen –, unseren For- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ schern und Pflanzenzüchtern endlich mal etwas Auf- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der merksamkeit und einen Funken Vertrauen schenken wür- SPD – Zurufe von der FDP) den, verstünden Sie die Technik auch. Leider haben Sie die Einladung des gläsernen Labors, diese Technik ken- Wenn hier die Erfolge eines deutschen Unternehmens nenzulernen, nicht wahrgenommen. im Bereich Impfstoff – so schlecht kann der Standort hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) also nicht sein – benutzt werden – auch von der Ministe- rin –, um die Agrogentechnik zu promoten, ist das, ehr- Nur CDU/CSU- und FDP-Vertreter waren da. Sie aber lich gesagt, schäbig. Das sind zwei völlig verschiedene glänzten durch Abwesenheit. Systeme. Gentechnik und Biotechnologie in geschlosse- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) nen Systemen, damit hat niemand ein Problem. Die Frage ist doch nur: Setzen wir es am Ende frei, und öffnen wir Aber ja, es hätte natürlich passieren können, dass Sie Ihre unkontrollierbare Risiken? Das sind zwei völlig verschie- Blockadehaltung hätten aufgeben müssen. dene Dinge, die in Ihren Reden, in Ihrem Antrag und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- anderswo kunterbunt durcheinandergehen. NEN]: Dürfen wir nicht allein irgendwo hin- (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Sie ver- gehen? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE treiben seit Jahren die Forscher aus dem Land!) GRÜNEN]: Sollen wir an der Hand von Herrn de Vries irgendwo hingehen, oder was?) Beschäftigen Sie sich damit mal seriös, anstatt hier nur Damit bin ich bei der FDP und ihrem Antrag. Leider ist Phrasen von sich zu geben! Das ist ein Niveau, das hier es so, liebe Kollegen der FDP-Fraktion, dass wir jetzt nicht hinpasst. eine durch Sie angestoßene Scheindebatte ohne neue Danke schön. Erkenntnisse führen, in der Sie sich gerne als Anwalt der neuen Züchtungstechniken präsentieren wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Inhaltlich tragen Sie heute wieder alle CDU/CSU-Argu- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24213

Kees de Vries (A) mente vor. Gemeinsam mit Julia Klöckner fordern wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) schon lange, die neuen Züchtungstechniken für die der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Züchtungshäuser nutzbar zu machen. Deshalb lehnen SES 90/DIE GRÜNEN) wir den Antrag ab. Ich bin zutiefst dankbar; denn es zeigt, dass dieses Land Wir alle wissen, dass aktuell ein Gutachten der EU- den freien und intellektuellen Geist wesentlich höher Kommission zu den neuen Züchtungstechniken erstellt bewertet als Volks- und Nationalzugehörigkeit. Insofern wird. Ich bin mir sicher, dass wir mit diesem Gutachten können wir dankbar für die Freiheit in unserem Land im Rücken wieder zum Rest der Welt aufschließen und sein. das Gentechnikrecht endlich dem aktuellen Stand anpas- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sen werden. der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- Dem anfangs genannten Wissenschaftler Norman SES 90/DIE GRÜNEN) Borlaug wird nachgesagt, mit seiner Grünen Revolution Im Übrigen: Egal wie man zu Pfizer steht, ist das auch 1 Milliarde Menschen das Leben gerettet zu haben. Dabei ein Zeichen internationaler Kooperation, die die Welt war er nicht mal ein echter Biotechnologieanhänger. Aber beim Zusammenwachsen braucht. Wenn ich dem Welt- er war ein Modernisierer, der überzeugt war, dass 9 bis bild der AfD einigermaßen folgen kann, dann ist klar: Es 10 Milliarden Menschen auf dieser Welt nur umweltscho- bestünde die Gefahr, dass wir, wenn man die AfD einfach nend und ausreichend ernährt werden können, wenn alle mal machen lassen würde, in den Zustand Nordkoreas pflanzenzüchterischen Möglichkeiten genutzt werden. gelangen. Darum bin ich mir auch sicher, dass langfristig die wis- senschaftlichen Fakten dazu führen werden, dass wir ( [AfD]: Das war so flach, auch die Möglichkeiten neuer Züchtungstechniken ein- da klatschen noch nicht mal Ihre eigenen Leu- setzen dürfen. te!) Liebe Gegner der Modernisierung, im Interesse der Ich komme zur Frage der Gentechnik. Ich habe sehr Umwelt und der hungernden Menschen auf unserer deutlich erlebt, wie wir die Atomdebatte geführt haben. Welt: Springen Sie über Ihren Schatten, und lassen Sie Übrigens bin ich selber ein Verfechter der Atomtechnik uns diese Chancen nicht verpassen. gewesen. Aber im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass sich dabei Risiken einstellen, die wir vorher überhaupt Vielen Dank. nicht beurteilen konnten. Wenn Sie mal darüber nachden- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner ken, was die Lagerhaltung von Restatommüll so alles [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts ver- beinhaltet, dann wissen Sie, mit welchen Gefahren wir (B) standen, was Modernisierung angeht! Pein- es zu tun haben. (D) lich! – Gegenruf des Abg. Jan Korte [DIE LIN- An dieser Stelle wage ich darauf hinzuweisen: Wenn KE]: Schwarz-Grün wird echt ein Knaller!) wir operativ ins Genom eingreifen, dann könnte das – das hat mir gegenüber bis jetzt noch kein Wissenschaftler Vizepräsidentin Petra Pau: bestritten – ähnliche Folgen wie die Atomindustrie Das Wort hat der Kollege Rainer Spiering für die SPD- haben. Deswegen bin ich im Hinblick auf operative Ein- Fraktion. griffe ins Genom – und zwar nicht im Bereich der Roten Gentechnik, sondern der Grünen Gentechnik – sehr, sehr Rainer Spiering (SPD): vorsichtig. Ich würde uns allen anraten: Wenn wir die Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Kolleginnen und Wissenschaft bemühen, dann sollten wir an dieser Stelle Kollegen! Vorab: Ich möchte mich – das ist heute auch auch die Theologen, den Ethikrat, Soziologen und auch schon angesprochen worden – bei den Gründern von die Zukunftsforscher bemühen, um sie zu fragen: Können BioNTech bedanken, dass sie hier in Deutschland einen wir das verantworten? Impfstoff entwickelt haben, der der Welt hilft, und zwar Die nächste Frage, die sich mir stellt, lautet: Ist wirklich hilft. CRISPR/Cas und Ähnliches als Technologie überhaupt zukunftsweisend? (Beifall der Abg. René Röspel [SPD] und Dr. Wolfgang Stefinger [CDU/CSU] – Harald (Lachen bei Abgeordneten der FDP) Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Es gibt mittlerweile Verfahren, die auf der Macht von was ist mit CureVac?) Algorithmen beruhen, Was für mich ganz besonders wichtig ist – das bereitet (Carina Konrad [FDP]: Zum Beispiel CRISPR/ mir eine riesengroße Freude –: Bei den Gründern von Cas!) BioNTech handelt es sich um junge Menschen, die als Kinder aus der Türkei gekommen sind. Das sind genau zum Beispiel SMART Breeding, die ohne den operativen die Menschen, die die AfD hier nicht haben will. Eingriff funktionieren. Mit die größten Geflügelzüchter der Welt verwenden dieses Verfahren und züchten inner- (Stephan Protschka [AfD]: Das stimmt doch halb kürzester Fristen neue Populationen ohne den Zu- nicht!) griff auf oder den Einschnitt in das Genom. Was nutzen Das sind aber genau die Menschen, die wir in diesem sie? Diese Algorithmen nutzen die natürlichen Genome Land brauchen für die Fortentwicklung eines freien Geis- und zeigen, mit welcher Kombination von natürlichen tes. Genomen Fortschritt zu erzielen ist. Und das ist doch 24214 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Rainer Spiering (A) der Weg bei der Grünen Gentechnik: Nicht dem lieben mRNA unsere eigenen Körperzellen zu kleinen Fabriken (C) Gott ins Handwerk zu pfuschen, sondern mithilfe von machen. Diese Fabriken produzieren dann Arzneimittel, Algorithmen das, was uns die Natur zur Verfügung stellt, die helfen, Krankheiten zu heilen, an denen man selber zu nutzen. Das wäre doch mal ein zukunftsweisender erkrankt ist. Wir können durch mRNA unserem Immun- Ansatz, der uns gut zu Gesichte stehen würde. Das sollten system den Bauplan für Antigene geben, sodass das wir fördern. Immunsystem dann dafür sorgen kann, dass Infektions- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten krankheiten effektiv bekämpft werden können oder – das des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – finde ich eigentlich fast noch viel besser – dass durch die Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Sie haben Immunreaktion zum Beispiel Tumorzellen angegriffen ja noch weniger Ahnung, als ich dachte!) und abgetötet werden und wir im optimalen Fall mithilfe dieser Technologie Krebs heilen können. Abschließend zu dem Vortrag der FDP. Ich bin froh und glücklich, an einem der besten Wissenschaftsstan- Ich weiß, das klingt alles ein Stück weit nach Science- dorte der Welt leben zu dürfen und auch einem Parlament Fiction; aber in den letzten Monaten sind all diese Dinge, anzugehören, das diese Wissenschaft massiv fördert. von denen ich da beispielhaft gesprochen habe, greifbar (Carina Konrad [FDP]: Dann handeln Sie doch geworden. So verrückt es vielleicht klingen mag: Wir mal!) stehen in ganz, ganz vielen Bereichen der Medizin vor einer großen Revolution. Deswegen sage ich ganz klar: Nur der freie Geist und der freie Intellekt von Wissen- Natürlich müssen wir diese Entwicklungen unterstützen. schaftlern in einem freien Land wie Deutschland, das Natürlich müssen wir dafür Sorge tragen, dass wir die vorwärtsgerichtet ist, können diese Wissenschaft wirk- Spitzenposition, die wir im Moment ein Stück weit lich zielgerichtet einsetzen. Sie braucht unsere Unterstüt- haben, nicht nur über die Ziellinie retten; vielmehr geht zung und unsere Betreuung. Die SPD steht dafür seit es darum, Strategien zu entwickeln, die es uns erlauben, 150 Jahren. den Vorsprung, den wir im Moment haben, auszubauen. Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD – Stephan Protschka Um ehrlich zu sein, liebe Kolleginnen und Kollegen [AfD]: Ich habe Sie immer geschätzt, aber das von der FDP, mir scheint, Sie haben den Antrag, den Sie war so was von verlogen und abartig!) dazu heute vorgelegt haben, auf die Schnelle aus dem Ärmel geschüttelt. Der Aktionsplan ist sicherlich gut gemeint. Mir ist das aber, ehrlich gesagt, ein bisschen Vizepräsidentin Petra Pau: zu viel Aktionismus, ein bisschen zu wenig Plan, zu Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin (B) wenig Strategie, zu wenig roter Faden. Aus meiner Sicht (D) Katrin Staffler das Wort. geht es nämlich nicht darum, dass wir so schnell wie (Beifall bei der CDU/CSU) möglich so viel Geld wie möglich in irgendwelche Pro- gramme hineinstecken, die uns gerade so in den Sinn Katrin Staffler (CDU/CSU): kommen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Biochemikerin würde ich am allerliebsten ganz laut Ich wünsche mir mehr: Ich wünsche mir ein Pro- jubeln, wenn es darum geht, dass man medizinische Bio- gramm, das alle Bereiche in diesem Zusammenhang technologie in Deutschland stärker unterstützt und stärker umfänglich im Blick hat, das von der Grundlagenfor- fördert; denn ich weiß, wie wichtig sie für die Zukunft der schung bis zur Anwendung reicht, das auch die Ausbil- Medizin sein kann. Gerade auch die medizinischen Ein- dung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissen- satzmöglichkeiten der sogenannten mRNA-Technolo- schaftlern vorantreibt usw. usf. Wenn uns all das gelingt, gien sind ja de facto fast grenzenlos. dann brauchen wir immer noch eine gute Strategie im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Denn wie Im Übrigen unterstützt die Bundesregierung sie auch wollen wir den Menschen erklären, dass es wichtig ist, schon. Ich möchte jetzt nur ein kleines Beispiel nennen, eine Menge Geld in einen Bereich zu investieren, den weil ich es bemerkenswert fand, was der Minister am kaum einer in Gänze verstehen kann und der die Men- Anfang der Debatte dazu gesagt hat: Die Bundesregie- schen, ehrlich gesagt, manchmal auch ein Stück weit ver- rung fördert BioNTech bei der Impfstoffentwicklung mit unsichert? Wir merken doch jetzt schon bei dem Impf- fast 400 Millionen Euro. – 400 Millionen Euro! Minister stoff zu Covid-19, dass wir unglaublich viel erklären Wissing hat gerade eindrucksvoll gefordert, wie wichtig müssen, um die diffusen Ängste, die in Teilen der Bevöl- es sei, dass man diese Technologien auch finanziell unter- kerung vorhanden sind, abbauen zu können. stützt. Laut einer Landtagsanfrage fördert das Land Rheinland-Pfalz BioNTech mit 500 000 Euro. Ich würde Genau deswegen müssen wir diesen Bereich in einer sagen: An dieser Stelle sprechen Worte und Taten unter- umfangreichen Strategie mitdenken; denn nur mit einer schiedliche Sprachen. breiten Akzeptanz kann das Ergebnis zu einem medizin- Kommen wir zurück zur „messenger RNA“. Hinter ischen, aber auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg wer- dem zugegebenermaßen etwas sperrigen Begriff steckt den; der Kollege Mario Brandenburg müsste das eigent- nämlich zum Beispiel die Möglichkeit, dass man be- lich auch wissen. Es ist wichtig – das ist gerade schon von stimmte genetische Krankheiten behandelt, ohne dass Kees de Vries angesprochen worden –, dass solche wir – das ist ja das Spannende an dem Thema – in die Methoden für jedermann erfahrbar werden, damit es DNA, also in unser Erbgut, eingreifen. Wir können mit auch verstanden werden kann. Wir haben gerade diesen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24215

Katrin Staffler (A) Laborkurs zu CRISPR/Cas gemacht und haben gesehen, und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält (C) dass gerade durch die praktische Arbeit das Verständnis sich? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist ange- für diese neuen Technologien wächst. nommen. Wir müssen daran arbeiten, dass mehr Bürgerinnen Zusatzpunkt 9. Beschlussempfehlung des Ausschusses und Bürger die Chance bekommen, einen besseren Ein- für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der blick in diese Technologien zu erhalten. Deswegen würde Fraktion der FDP mit dem Titel „Einsatz neuer Züch- es mich freuen, wenn auch einige Kollegen diesen Kurs tungsmethoden ermöglichen“. Der Ausschuss empfiehlt irgendwann noch nachholen und dabei ein tieferes Ver- in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/24182 ständnis für diese Technologien bekommen; denn wenn , den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache wir wichtige Entscheidungen in diesem Bereich treffen 19/23694 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss- wollen, dann sollten wir auch ein grundlegendes Ver- empfehlung? – Die Koalitionsfraktionen, die Fraktion ständnis davon haben. Bei der einen oder anderen Rede, Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. die wir heute gehört haben, war ich mir da, ehrlich gesagt, Wer stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion und die nicht so sicher. FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Die Be- schlussempfehlung ist angenommen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b sowie den Zusatzpunkt 10 auf: Vizepräsidentin Petra Pau: a) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Kollegin Staffler, achten Sie bitte auf die Zeit. tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Katrin Staffler (CDU/CSU): Bundesarchivgesetzes, des Stasi-Unterla- Letzter Absatz. – Die FDP hat mit ihrem Antrag etwas gen-Gesetzes und zur Einrichtung einer vorgelegt, was in die richtige Richtung geht. Ich freue oder eines mich darauf, wenn wir das Thema künftig so weiterent- SED-Opferbeauftragten wickeln, dass daraus ein großer Erfolg wird für unsere Gesundheit, für unseren Wissenschaftsstandort und vor Drucksache 19/23709 allem für unsere Zukunft. Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien (22. Aus- Danke schön. schuss) (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Drucksache 19/24484 (D) [Erfurt] [SPD]) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Götz Frömming, Dr. Marc Jongen, Vizepräsidentin Petra Pau: Martin Erwin Renner, weiterer Abgeordneter Ich schließe die Aussprache. und der Fraktion der AfD Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Das Erbe der Friedlichen Revolution Drucksache 19/24365 an die in der Tagesordnung aufge- bewahren – Den Gesetzentwurf zur Auf- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- lösung der Stasi-Unterlagen-Behörde weisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ver- zurückziehen und grundlegend überarbei- fahren wir wie vorgeschlagen. ten Zusatzpunkt 8. Beschlussempfehlung des Ausschusses Drucksache 19/24420 für Ernährung und Landwirtschaft auf Drucksache ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des 19/16565. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a Berichts des Ausschusses für Inneres und Heimat seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags (4. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/10166 mit dem Roman Johannes Reusch, Peter Boehringer, Titel „Chancen neuer Züchtungsmethoden erkennen – Marcus Bühl, weiterer Abgeordneter und der Für ein technologieoffenes Gentechnikrecht“. Wer Fraktion der AfD stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die Fraktion Die Linke und die Gedenktag für die Opfer der politischen Ver- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – folgung während der SED-Diktatur Die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – Die AfD-Fraktion. Drucksachen 19/14348, 19/22295 Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh- und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent- nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurf liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion der auf Drucksache 19/13072 mit dem Titel „Agrarwende AfD vor. statt Gentechnik – Neue Gentechniken im Sinne des Vor- sorgeprinzips regulieren und ökologische Landwirtschaft Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten fördern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – beschlossen. Die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP- Ich bitte, die Plätze zügig einzunehmen und die not- Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke wendige Aufmerksamkeit herzustellen. 24216 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Staats- sehbar sein werden. Die im Gesetz vorgesehene Ombuds- (C) ministerin Professor Monika Grütters. person für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag wird sich für die Belange genau dieser Men- (Beifall bei der CDU/CSU) schen einsetzen.

Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- Aber nicht minder wichtig als die vorgesehenen Neu- kanzlerin: regelungen ist der breite politische und gesellschaftliche Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol- Konsens, der diese Neuregelungen trägt. Sie sind das legen! Am 15. Januar 1990 stürmten Bürgerinnen und Ergebnis eines langen Prozesses politischer und gesell- Bürger die Zentrale der Staatssicherheit der ehemaligen schaftlicher Verständigung mit kontroversen, teilweise DDR in der Berliner Normannenstraße und bewahrten natürlich auch emotional geführten Debatten. damit unzählige Stasiakten vor der Vernichtung. Zwei Konflikte zuzulassen und auszutragen, ist Teil der Auf- Jahre später öffnete der Bundesbeauftragte für die Unter- arbeitung leidvoller Diktaturerfahrungen in einer Demo- lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut- kratie. Das ist mühsam, und das kann gerade für die schen Demokratischen Republik – so der genaue Titel –, Betroffenen auch sehr schmerzhaft sein. Umso mehr kurz: BStU, seine Pforten. Weltweit – weltweit! – zum freue ich mich über das breite Bündnis für die Zukunft ersten Mal hatten Menschen damit die Möglichkeit, nach der Aufarbeitung der SED-Diktatur, das heute hinter die- dem Sturz einer Diktatur nachzuvollziehen, welche Infor- sem Gesetzentwurf steht. Es ist auf der Grundlage eines mationen die Geheimpolizei über sie gesammelt hatte gemeinsamen Konzepts des BStU und des Bundesarchivs und wer die Spitzel waren. Die rechtssichere Grundlage entstanden, das der Bundestag 2019 mit den Stimmen dafür hatte der Deutsche Bundestag Ende 1991 mit der von Union, SPD, FDP und Grünen gebilligt hat. Es wurde Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes geschaf- aus der Mitte des Bundestages eingebracht. Es wurde fen. unter anderem mit den Opferverbänden beraten und Wenn wir heute, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, wird von ihnen unterstützt. Und heute können wir es die Eingliederung der Stasiakten in die Verantwortung hoffentlich mit breiter Mehrheit verabschieden, liebe des Bundesarchivs und die Einsetzung einer oder eines Kolleginnen und Kollegen. SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag Die Stasiunterlagen bleiben unverzichtbar für die beschließen, ist dies keinesfalls ein Schlusspunkt, son- umfassende Aufarbeitung des SED-Unrechts. Sie können dern – ganz im Gegenteil – es ist die Fortsetzung der uns helfen, das Bewusstsein für den Wert eines demo- Aufarbeitung unter gesamtdeutschem Vorzeichen, kratischen Rechtsstaats auch in künftigen Generationen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lebendig zu halten. Denn sie dokumentieren, was es (B) (D) eine späte deutsch-deutsche Vereinigung, wie es vor ein bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Menschen, die man paar Tagen in einer Sonntagszeitung so treffend formu- bis in die intimsten Bereiche ihres Lebens hinein bespit- liert war. zelte, wurden zermürbt durch Schikanen im Alltag, durch willkürliche Inhaftierungen, durch Verunsicherung und In den vergangenen drei Jahrzehnten hat der BStU im Isolation. Sie wurden gedemütigt, entwürdigt, misshan- Umgang mit den Schicksalen der Stasiopfer und den delt oder kamen sogar zu Tode. Lebenswege wurden ver- gesammelten Informationen stets ein sehr hohes Maß an hindert, Familien zerstört. Die Denunzianten waren Verantwortungsbewusstsein in diesem sehr sensiblen Bekannte, Nachbarn, manchmal engste Freunde. Mit die- Aufgabenbereich bewiesen. Dafür danke ich insbesonde- sem engmaschigen Netz der Beobachtung, unter dem re den Bundesbeauftragten Joachim Gauck, Marianne Misstrauen und Angst gediehen, unterhöhlte der Staats- Birthler und Roland Jahn. sicherheitsdienst das Beziehungsgefüge einer ganzen (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Gesellschaft. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Die Stasiakten offenbaren aber auch den unbeugsamen bei Abgeordneten der AfD) Widerstandsgeist der Gegnerinnen und Gegner des SED- Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz wollen wir die Sta- Regimes und die Zivilcourage vieler Menschen in der siunterlagen dauerhaft und für künftige Generationen DDR, die den Machthabern im Streben nach Freiheit bewahren, als Teil unseres gesamtstaatlichen Gedächtnis- und Demokratie die Stirn boten. Der Schriftsteller Reiner ses unter dem juristischen Dach des Bundesarchivs und Kunze hat die knapp 3 500 Seiten seiner Stasiakte zu im Kontext weiterer Archivbestände, die einen Bezug zur einer Dokumentation mit dem Titel „Deckname ‚Lyrikʼ“ ehemaligen DDR und zur Zeit der deutschen Teilung verarbeitet und in seinem „Vers zur Jahrtausendwende“ haben. Wir führen die Kompetenzen und Erfahrungen die Haltung formuliert, mit der er selbst dem SED- des Bundesarchivs und des Stasi-Unterlagen-Archivs Regime bis zu seiner Ausbürgerung standhielt – ich zitie- zusammen, deren Beschäftigte künftig formal in einer re –: Behörde tätig sein werden. Wir haben immer eine wahl, Die Zugänglichkeit der Stasiakten – das ist ganz wich- tig – an den jetzigen Standorten und die besonderen und sei’s, uns denen nicht zu beugen, gesetzlichen Regelungen zur Akteneinsicht bleiben die sie uns nahmen. unverändert erhalten. Zugleich verbessert sich der Zu- gang zu den Akten, die künftig deutschlandweit auch an (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sämtlichen Standorten des Bundesarchivs und digital ein- ordneten der SPD und der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24217

Staatsministerin Monika Grütters bei der Bundeskanzlerin (A) Im Gegensatz zu einer Diktatur ist Demokratie korrek- Nun hören wir im Ausschuss, daran werde sich gar (C) tur- und lernfähig und eröffnet Handlungs- und Mitge- nicht viel ändern. Die Akten werden eben einfach in das staltungsspielräume. Meine Hoffnung ist, dass die Aus- Bundesarchiv eingegliedert, und statt eines Bundesbeauf- einandersetzung mit den Stasiunterlagen den Blick eben tragten für die Stasiunterlagen soll es 30 Jahre nach der dafür schärft und auf diese Weise die gesellschaftlichen Wende nun erstmals einen Opferbeauftragten geben. Widerstandskräfte gegen totalitäre Ideologien und gegen (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: „Wende“ ist populistische Demokratieverächter stärkt. In diesem Sin- SED-Sprech!) ne bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für die Eingliede- rung des Stasi-Unterlagen-Archivs in die Verantwortung Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie dafür des Bundesarchivs. heute tatsächlich Beifall erwarten. 30 Jahre nach der Wende einen Opferbeauftragten zu installieren, ist kein Vielen Dank. Ruhmesblatt. Das ist ein Armutszeugnis. Das hätte viel, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- viel früher kommen müssen. ordneten der SPD und der FDP) (Beifall bei der AfD) Sprechen wir es doch deutlich aus: Der sogenannte Vizepräsidentin Petra Pau: Opferbeauftragte ist in Wahrheit natürlich eine Kompen- Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz Frömming für sation für den Wegfall des Bundesbeauftragten, ein Fei- die AfD-Fraktion. genblatt, um Kritiker und Opferverbände zu besänftigen (Beifall bei der AfD) und von der eigentlichen Sache abzulenken. Die AfD- Fraktion hat deshalb in einem Antrag, der Ihnen heute vorliegt, gefordert, einen Bundesbeauftragten mit erwei- Dr. Götz Frömming (AfD): terten Kompetenzen einzusetzen. Er soll nach unserer Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Vorstellung nicht nur für die Opfer da sein, sondern und Herren! „... ich gestehe, dass ich enttäuscht bin …“. auch die Funktion eines Bundesbeauftragten für die Auf- (Christoph Bernstiel [CDU/CSU]: Von Ihrer arbeitung der SED-Diktatur wahrnehmen; denn, meine Partei!) Damen und Herren, nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter sind ja noch unter uns. Wer wirklich etwas für Mit diesen Worten beendete Marianne Birthler, die früh- die Opfer tun will, der sollte nicht gleichzeitig seinen ere Bürgerrechtlerin und ehemalige Bundesbeauftragte Frieden mit den Tätern schließen und die real juristisch für die Stasiunterlagen, ihre Stellungnahme während noch existierende SED in Regierungsbündnisse holen. einer Anhörung zur geplanten Auflösung der Bundesbe- (B) hörde hier im Deutschen Bundestag. Und sie fährt fort – (Beifall bei der AfD – Monika Lazar [BÜND- (D) ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –: Ich NIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck mal in eure habe auf einen Aufbruch gehofft. Aber was uns hier vor- rein!) liegt, ist eher eine Nachlassverwaltung. – Das, meine Um nicht missverstanden zu werden: Ja, auch die DDR Damen und Herren, war vor vier Jahren. war natürlich ein deutscher Staat, die zweite deutsche Und wenn wir heute auf den vor uns liegenden Gesetz- Diktatur im 20. Jahrhundert. Natürlich gehören die entwurf blicken, dann müssen wir feststellen: Viel hat urkundlichen Zeugnisse, Behördenakten und sonstige sich nicht geändert. Mit dem Gesetz, das heute eine Dokumente dieses Staates früher oder später ins Bundes- Mehrheit in diesem Haus beschließen wird, beerdigt der archiv. Aber, meine Damen und Herren, es gab keinerlei Deutsche Bundestag eine der herausragendsten Errun- zwingende Notwendigkeit, das jetzt schon zu tun. genschaften, wenn nicht die herausragende Errungen- (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Christoph schaft, ein weltweit einmaliges Erbe der Friedlichen Bernstiel [CDU/CSU]: Natürlich!) Revolution. Die Begründung für dieses Gesetz – und auch das ist in (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehreren Anhörungen gesagt worden – ist äußerst dürf- NEN]: Es wird nicht besser, wenn man es wie- tig. Alle beschriebenen Probleme, die Sie mit diesem derholt!) Gesetz lösen wollen, hätten auch auf anderem Wege Die Bundesbehörde für die Stasiunterlagen verdankt gelöst werden können. Ich nenne nur die wesentlichen: ihre Existenz – wir haben es eben schon gehört – eigent- Die Sicherung der Akten, so sagen Sie, könne so nicht mehr vollzogen werden. Das wäre natürlich auch durch lich einem revolutionären Akt: der Besetzung der Räume des Ministeriums für Staatssicherheit am 15. Januar 1990 eine Kooperation mit dem Bundesarchiv zu erreichen durch aufgebrachte Bürger. Das ist vielleicht eine deut- gewesen oder durch eine bessere Ausstattung der Unter- lagenbehörde selbst. Eine Ombudsperson für die Opfer – sche Besonderheit und vielleicht gar keine schlechte, dass ein revolutionärer Akt in die Gründung einer Behörde ich hatte es eben schon angedeutet – hätte man natürlich mündete. Diese Behörde war und ist insofern eben auch auch ganz unabhängig von der Frage der Akten schon ein Denkmal, ein lebendes Mahnmal, in dem rund 1 500 längst einsetzen können. Menschen an insgesamt zwölf Standorten arbeiten. Zu Auf der anderen Seite bietet das Gesetz für die tatsäch- diesem merkwürdigen Denkmal, das eine Behörde ist, lich existierenden Probleme gar keine Lösung an. Wie gehören die vor der Vernichtung bewahrten Akten der und wann werden zum Beispiel die rund 15 000 Säcke Staatssicherheit ebenso wie auch der Bundesbeauftragte mit zerrissenen Stasiakten endlich rekonstruiert und gesi- als Hüter dieser Akten. chert? Seit 2016 ist offenbar keine einzige Akte mehr 24218 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Götz Frömming (A) elektronisch zusammengefügt worden. Dazu schreibt das Katrin Budde (SPD): (C) Bürgerkomitee „15. Januar“ auf seiner Internetpräsenz – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Anfang ich zitiere mit Erlaubnis –: Dezember 1989, also vor fast 31 Jahren, wurde die Zent- rale der Staatssicherheit in Magdeburg im Kroatenweg „Die Jahn-Behörde täuscht die Öffentlichkeit und besetzt. Das war natürlich nicht nur in Magdeburg so, das Parlament seit Jahren über den faktischen Still- sondern das war überall in der ehemaligen DDR um die stand der virtuellen Rekonstruktion.“ Inzwischen Tage herum ab dem 4. Dezember so. Wir haben die haben fast alle Projektexperten beim Fraunhofer Dienststellen der Stasi besetzt, um zu verhindern, dass Institut … mit ihrem Spezialwissen das Team ver- Akten vernichtet werden. Damit war dann der Grundstein lassen, am Jahresende geht der langjährige Projekt- gelegt, dass eben nicht noch mehr Akten vernichtet wer- leiter und Initiator in den Ruhestand. den konnten und dass nicht noch mehr Verbrechen Meine Damen und Herren, wie soll dieses Problem gelöst verschleiert werden konnten. Der Apparat hatte danach werden? Kein Wort dazu in Ihrem Gesetz. keine Macht mehr über die Menschen. Das war so etwas (Beifall bei der AfD) wie der endgültige Niedergang eines der wichtigsten Machtinstrumente der SED. Das Ende war auch unum- Wie sieht es nun aus mit der Forschungstätigkeit und kehrbar, weil die Auflösung dann unter ziviler Kontrolle mit der pädagogischen Aufklärungsarbeit? Hier wird in begann. Zukunft etwas Merkwürdiges entstehen; denn ein Bun- desarchiv ist natürlich erst mal, wie der Name schon sagt, In den Stasidienststellen machte das ganz vielen Angst. ein Archiv. Deshalb ist hier ein Schub, ein wirklicher Ein Stasioffizier hat das mal so formuliert: Man wusste, Aufbruch, wie Marianne Birthler sich das zu Recht ge- die kommen irgendwann ins Haus; das sind wahrschein- wünscht hat, nicht zu erwarten. Denn ein Archiv stellt in lich auch die, über die etwas in den Akten steht, und dann erster Linie Quellen für die Forschung zur Verfügung. ist es besser, die Akten sind nicht mehr da. – Allerdings Seine Hauptaufgabe ist es nicht, selbstständig eigene For- war damit noch lange nicht geklärt, wie dieser zivile Auf- schung zu betreiben. lösungsprozess vonstattengehen würde, wer wie Einsicht bekommt. Man muss auch sagen: Der Anfang vom Ende Meine Damen und Herren, 30 Jahre sind kein Grund, des Stasiapparates war auch der Anfang der Diskussion: einen Schlussstrich zu ziehen. Sie wollen das ja auch Wie weiter mit den Hinterlassenschaften? – Die Mein- nicht. 30 Jahre, das ist für Historiker nur ein Wimpern- ungen gingen damals wie heute weit auseinander. Über schlag. Nach 30 Jahren beginnt für Historiker erst die die Debatte am 28. September 1990 in der frei gewählten eigentliche Arbeit. Und ich ergänze: Auch für Pädago- Volkskammer lassen Sie sich lieber von Augenzeuginnen gen, für die Lehrer beginnt erst die eigentliche Arbeit. und Augenzeugen berichten. (B) Fragen Sie mal Jugendliche, was sie heute noch über (D) die DDR wissen! – Erschreckend wenig! Das hat zu tun Was aber mit dem nahen Ende der DDR und der mit Ihrer Bildungspolitik, mit Ihrer ausgesetzten Aufklä- kommenden Wiedervereinigung auch immer deutlicher rungspolitik, die Sie seit Jahren hier betreiben. wurde, war, dass es keine Einigkeit gab, ob die Akten über den 3. Oktober 1990 hinaus überhaupt zugänglich (Beifall bei der AfD) sein würden. Dies, meine Damen und Herren, mussten Wir bräuchten einen Aufbruch, wir bräuchten einen wir uns mit einer zweiten Besetzung der Stasizentralen Schub für die Erforschung der SED-Diktatur. Wir erkämpfen, und zwar im September 1990. Eine solche bräuchten eine Stärkung der existierenden Forschungs- Öffnung der Akten eines Unterdrückungsapparates, wie verbünde, zum Beispiel hier an der FU, und anderes wir sie dann doch erstritten haben, ist in der Tat bis heute mehr. Auch dazu lässt das Gesetz nichts Gutes hoffen. weltweit einmalig – ein einmaliger und guter Vorgang. Meine Damen und Herren, es ist doch merkwürdig – so (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP schloss Marianne Birthler –, dass wir in Deutschland und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie zwar einen Lehrstuhl für die Geschichte Aserbaidschans der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) haben, aber wir haben 30 Jahre nach Ende der DDR noch Es gab auch ganz unterschiedliche Motivationen, ver- keinen einzigen Lehrstuhl für die Geschichte der SED- schiedene Gründe, warum auch hochrangige Persönlich- Diktatur oder die kommunistische Gewaltherrschaft in keiten auf beiden Seiten, in Ost und West, das nicht woll- Osteuropa. Das, meine Damen und Herren, ist ein ten. Ich erinnere mich gut an die Zeit; denn es war keine Armutszeugnis. Wir bräuchten das dringend, ebenso Bezeichnung dramatisch genug, um vor der Öffnung der wie einen Gedenktag für die Opfer der kommunistischen Akten zu warnen und zu fordern, dass sie einbehalten Diktatur. Unsere Anträge dazu liegen Ihnen vor. Sie müs- bleiben sollten: „Siegerjustiz“ die einen, „Hexenjagd“ sen ihnen nur noch zustimmen. die anderen, „Racheakte“ – das waren gerne in der Vielen Dank. Öffentlichkeit benutzte Begriffe. (Beifall bei der AfD) Persönlich habe ich ja auch verstanden, dass die eins- tigen Täter und Verantwortlichen im Osten gar kein Inte- Vizepräsidentin Petra Pau: resse daran hatten, dass ihre Untaten öffentlich würden. Aber als 25-Jährige mit immer noch genug Adrenalin im Das Wort hat die Kollegin Katrin Budde für die SPD- Blut von der erfolgreichen Revolution und der Freude Fraktion. über die erkämpfte und auf die errungene Demokratie (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta war ich doch das erste Mal auch erschreckt über Argu- Connemann [CDU/CSU]) mente mancher altbundesrepublikanischer Politiker. Da Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24219

Katrin Budde (A) wurden dann die Errungenschaften langjähriger Debatten und Neuausrichtung des Bundesbeauftragten aussehen (C) um Daten- und Personenschutz der Bundesrepublik ins soll, ist es nun heute an der Zeit, das Gesetzespaket, das Feld geführt. Man befürchtete, dass der Streit um die dies regelt, zu beschließen. Vergangenheit die innere Einheit und das Zusammen- wachsen Deutschlands belasten würde. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gitta Connemann [CDU/ Das einzige Argument, über das ich länger nachge- CSU]: Genau so!) dacht habe, war: Es war ja illegal erworbenes Wissen. – Das stimmte. Wie geht man damit um? Damit geht die Und auch wenn das Thema mir nicht fremd war, auch Bundesrepublik ganz eindeutig um. Aber wir wollten ja wenn mich niemand von der Bedeutung des Themas wissen, wer uns bespitzelt hatte. Wir wollten ja wissen, überzeugen musste, auch wenn ich aus der Landesebene wo sie in den Apparaten sitzen, und wir wollten, dass sie die Diskussion zum Beispiel um die Landesbeauftragten nicht weiter da sitzen. Und wir, die wir so aus dem Herbst und die Fortentwicklung von deren Aufgaben gut kenne 1989 kamen, hatten auch an manchen Stellen so den Ein- und auch wenn ich wusste, wie hartnäckig wir schon mal druck, man wolle gar nicht alles wissen, was da über in den Ländern gewesen waren, um den Erhalt der westdeutsche Politikerinnen und Politiker in den Akten Außenstellen zu sichern, und wie wichtig die Außenstel- steht; denn die Krake Stasi war nicht nur eine ostdeutsche len in der Fläche sind: Das Ausmaß – ich sage es noch Stasi; sie hat weit in die Bundesrepublik hineingewirkt. einmal – der Fettnäpfe, Tretminen und persönlichen Unverträglichkeiten bei diesem Thema hat mich dann Jedenfalls hat es das damals von der Volkskammer doch überrascht. Deshalb haben wir in einem langen Pro- verabschiedete Gesetz über die Sicherung und Nutzung zess versucht, so viel Einigung wie möglich herzustellen, der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/ den Blick nach hinten zu richten, zu bewahren, und nach AfNS nur durch den massiven Druck der Bürgerrechtler- vorn zu richten. innen und Bürgerrechtler, die am 4. September die Stasi- zentrale besetzten, und der Abgeordneten der frei Heute liegt ein ausgewogenes Gesetzespaket mit einer gewählten Volkskammer, die mit überwältigender Mehr- breiten Unterstützung aus dem Parlament vor, das von heit eine Erklärung dazu verabschiedeten und drohten, den Bundesländern begrüßt wird, das vom Bundesver- dem Einigungsvertrag nicht zuzustimmen, doch noch in band der Opferverbände für richtig gut befunden wird, den Einigungsvertrag geschafft, und das war gut so. das von der BStU und dem Bundesarchiv gleichermaßen unterstützt wird, das neue Möglichkeiten und Chancen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten öffnet, die Rechte an der eigenen Akte gewahrt hält. der CDU/CSU und der FDP) Durch die Anpassung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Marianne Birthler hat es mal so beschrieben: wird sichergestellt, dass auch die Persönlichkeitsrechte (B) gewahrt bleiben. Der Zugang für Wissenschaft und For- (D) Das neue Stasi-Unterlagen-Gesetz schung ist anonymisiert geregelt. Der Übergang der – das im wiedervereinigten Deutschland beschlossen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist richtig gut geregelt. worden war – Und noch einmal zum Mitschreiben, insbesondere in war dennoch nicht nur ein Ost-, sondern auch ein die rechte Richtung: Je Land gibt es eine Außenstelle mit Westkind: Aufarbeitungswille Ost traf auf Rechts- Archiv und eine Außenstelle oder mehrere Außenstellen staat West, Aktenöffnung auf Datenschutz, Leiden- ohne Archiv. Aber diese Außenstellen sind nicht nur ein schaft auf Vorsicht und Verwaltungserfahrung: Die Lesesaal, sondern sie sind auch ein Ort, der die Besonder- Gegensätze prallten während des Gesetzgebungs- heit des Systems der Staatssicherheit, dieses Instrumentes verfahrens ziemlich heftig aufeinander, aber in ihrer der Ausspähung und Unterdrückung, seine schlimmen Verbindung lag das Geheimnis des Erfolges. Auswirkungen auf Menschen und deren Familien erklärt, Drei Persönlichkeiten haben seitdem die Stasiunterla- in der Erinnerung wachhält und mahnt. Es gibt einen genbehörde geprägt, ihr Profil gegeben: Joachim Gauck, angemessenen und guten Bildungsauftrag. Marianne Birthler und Roland Jahn. Ich will ihnen an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dieser Stelle ausdrücklich danken. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP GRÜNEN) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Die Akteneinsicht wird an all diesen Standorten möglich bei Abgeordneten der LINKEN) sein, auch in Westdeutschland. Deshalb ist es ein gesamt- Aber auch den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – deutsches Gesetz. Das wird mein Kollege nachher, hoffe ein anfangs ganz kleiner Personalbestand ist auf mehrere ich jedenfalls, noch mal herausstellen. Wir ermöglichen Tausend angewachsen – will ich danken; denn sie haben auch die Einbindung in die Gedenkstättenlandschaft der überall die Arbeit vor Ort gemacht. Länder. Nachdem schon in der letzten Legislatur – ich sage es Mit der Einrichtung eines Opferbeauftragten beim immer wieder – der Beschluss gefasst worden war, die Deutschen Bundestag geben wir den Anliegen der Opfer Stasiakten in das Bundesarchiv umziehen zu lassen, übri- und Verfolgten eine Stimme, ermöglichen ihm, mit größ- gens zu überführen und nicht aufzulösen, weshalb die tmöglicher Unabhängigkeit dem Bundestag, seinen Gre- Behörde Mitte Juni nächsten Jahres ihre Arbeit beenden mien und anderen öffentlichen Stellen zu berichten, zu wird – das ist beschlossen –, und eine Expertenkommis- beraten, auf Notwendiges hinzuweisen und wenn nötig sion Empfehlungen abgegeben hatte, wie die Nachfolge auch weitere Gesetze zu veranlassen. 24220 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Katrin Budde (A) Deshalb sage ich jetzt noch einmal Dank: dem Koali- in den Akten finden können. Und: Eine Gesellschaft, die (C) tionspartner, den Miteinbringern, denen, die es möglich stark sein will gegen populistische Verführer, braucht gemacht haben, dass die Vorlage mit so einer großen Forschung über totalitäre Systeme, sie braucht Bildungs- Breite eingebracht werden konnte, den beiden Behörden, arbeit, um die Geschichte, den Terror und die Schrecken ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Herrn Jahn und auch der kommunistischen Diktatur auf deutschem Herrn Hollmann an den Spitzen der Behörden, der BKM Boden für die junge Generation zu erschließen. und den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, den Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasiun- Landesbeauftragten, dem Bundesverband der Opferver- terlagen leistet seit ihrer Gründung einen hervorragenden bände und den Arbeitnehmervertretungen. Ich sage zum Job. Lieber Herr Jahn, es ist gut, dass Sie heute hier im Schluss allen Dank, die hätten genannt werden müssen Hohen Hause anwesend sind. Ihnen, Ihren Vorgängern und die ich jetzt vielleicht vergessen habe. und Ihren Mitarbeitern unseren allerherzlichsten Dank Bitte stimmen Sie diesem Gesetzespaket zu! Es lohnt für die geleistete Arbeit! sich. Wir tun einen guten, richtigen und notwendigen Schritt. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] und bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- Simone Barrientos [DIE LINKE]) SES 90/DIE GRÜNEN) Auch beim Bundesarchiv, lieber Herr Hollmann, wird es große Herausforderungen im Umgang mit den Stasiun- Vizepräsidentin Petra Pau: terlagen geben: ob bei der Lagerung, der Einsichtnahme, Das Wort hat der Kollege Thomas Hacker für die FDP- der Bearbeitungszeit, der Forschung, der Außendarstel- Fraktion. lung oder bei der offenen Frage, wie lange die Säcke (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Katrin voller Schnipsel noch warten müssen, bis sie voll Budde [SPD]) erschlossen sind. Nach den vergangenen 23 Tagen bin ich mir umso Thomas Hacker (FDP): mehr sicher, dass die Überführung der Stasiunterlagen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und unter das Dach des Bundesarchivs der richtige Schritt Kollegen! Vor gerade einmal 20 Tagen haben wir hier im für diese besonderen historischen Vermächtnisse ist, Deutschen Bundestag in erster Lesung über unseren inter- gerade auch bei der unverzichtbaren Überführung ins fraktionellen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes- digitale Zeitalter. (B) archivgesetzes, des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Die Digitalisierung und die elektronische Akte können (D) Einrichtung einer oder eines SED-Opferbeauftragten die Standorte entlasten, Einsichtnahmen vereinfachen beraten. Die zurückliegenden Wochen haben uns gezeigt, und Bearbeitungszeiten verkürzen. Wir müssen aber dass aus einem gemeinsamen, ambitionierten Ziel nach sehr sensibel mit den Daten der Opfer umgehen. Opfer langen Diskussionen und nach langer Vorbereitung ein dürfen nicht ein zweites Mal zu Opfern werden, wenn ihr gemeinsamer Entwurf entstanden ist, der überzeugt und persönlicher Schmerz und ihr persönliches Leid zu vor- der die richtigen Akzente für die Zukunft setzt. schnell preisgegeben werden. Die Digitalisierung demo- Die Experten in der öffentlichen Anhörung des Kultur- kratisiert nicht nur unseren Zugang zur Vergangenheit, ausschusses bestätigten, dass die Überführung der Sta- sie ermöglicht auch, das lokale Papierarchiv zu einem siunterlagen mehr als 30 Jahre nach der Friedlichen globalen Informationsspeicher zu machen. Aufarbeitung, Revolution keinen Schlussstrich zieht. Die Sichtbarkeit Wissen, Forschung und Archivwesen werden von diesem dieser einzigartigen Unterlagen bleibt erhalten. Sie wer- Know-how-Transfer wesentlich profitieren. Profitieren den dauerhaft gesichert und stehen für die Opfer und ihre werden auch die im Gesetzentwurf konkret benannten Angehörigen, für die Aufarbeitung und Forschung zur Standorte. Verfügung. Der Zugang zu den Unterlagen und die Mög- Nutzen wir die hier erreichte Klarheit, um die Weichen lichkeit der Einsichtnahme an den Außenstellen bleiben für die Neuausrichtung und Zukunftsfähigkeit der Stand- erhalten. Zusätzliche Zugänge zu den Unterlagen werden orte zu stellen. Suchen wir den frühzeitigen Dialog mit an allen Standorten des Bundesarchivs ermöglicht. Opfer der Zivilgesellschaft vor Ort, um historische Orte als der Staatssicherheit leben im 30. Jahr der deutschen Ein- solche zu begreifen und diese für die Bildungsarbeit der heit in ganz Deutschland. Auch Menschen in Koblenz, Zukunft weiterzuentwickeln. Der neue Campus für Freiburg oder meiner Heimatstadt Bayreuth können dort Demokratie in Berlin und die Pläne für Leipzig, die jetzt Einsicht in die Akten nehmen. Durch die lange Dis- Hauptstadt der Friedlichen Revolution, zeigen den rich- kussion des Gesetzentwurfs konnten viele Bedenken und tigen Weg. Sorgen ausgeräumt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns heute Uns Freien Demokraten war und ist wichtig: Die Auf- die dauerhafte Sicherung der Stasiunterlagen angehen, arbeitung von vier Jahrzehnten deutsch-deutscher Tren- stellen wir den Opfern einen Opferbeauftragten an die nung, von vier Jahrzehnten kommunistischer Diktatur, Seite, und lassen Sie uns nie vergessen, welche Kraft von Verfolgung, Bespitzelung und staatlicher Repression die DDR letztendlich überwunden hat: die Sehnsucht ist nicht Vergangenheit und ist nicht erledigt. Um das der Menschen nach Freiheit. eigene Erleben zu verarbeiten, brauchen die Opfer Wis- sen. Sie brauchen – oft schmerzhafte – Gewissheit, die sie Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24221

Thomas Hacker (A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie [FDP] – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: (C) bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- Wird schon etwas dran sein!) SES 90/DIE GRÜNEN) In Zukunft wird der Zugang vielleicht sogar noch bes- ser; denn wer einmal mit dem Bundesarchiv zusammen- Vizepräsidentin Claudia Roth: gearbeitet hat, der weiß, wie professionell, unaufgeregt, Vielen Dank, Thomas Hacker. – Einen schönen – für sachlich im besten Sinne und wie verantwortungsvoll das „guten Morgen“ ist es schon zu spät – guten Tag, liebe Archiv mit seinen Akten umgeht. Kolleginnen und Kollegen, von mir! Einen guten Tag Wir schließen heute einen langen Diskussionsprozess nach dem gestrigen Tag. ab. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei all meinen Ich möchte das, was Herr Hacker schon getan hat, ein demokratischen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss bisschen erweitern; ich möchte nämlich die Gäste hier für die guten Diskussionen bedanken. Wir diskutierten recht herzlich begrüßen: auf Augenhöhe, wir hörten einander zu, wir taten das mit Respekt. Das ist bei diesem Thema nicht immer Ich begrüße im Namen des Parlaments ganz herzlich selbstverständlich gewesen. Roland Jahn, den Bundesbeauftragten für die Stasiunter- lagen. Ich begrüße recht herzlich Dr. Michael Hollmann, (Dr. Götz Frömming [AfD]: Gern geschehen!) den Präsidenten des Bundesarchivs. Ich begrüße die – Ich sprach von den demokratischen Fraktionen. – Das Vizepräsidentin des Bundesarchivs, Dr. Andrea Hänger, ist bei diesem Thema, wie gesagt, nicht immer selbstver- sowie Frau Alexandra Titze, die Direktorin beim Bun- ständlich gewesen. Ich bin gespannt, ob diese Debatte so desbeauftragten für die Stasiunterlagen. Ich begrüße bleibt; ich fände das toll. Wolfram Sello, den Berliner Beauftragten zur Aufarbei- tung der SED-Diktatur. Und ich begrüße Herrn Niels (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Schwiderski, Leiter des Leitungsbüros. Ich begrüße Sie [SPD]) von Herzen! Sie sind uns sehr willkommene Gäste! Der Diskussionsprozess ist also abgeschlossen. Aber – (Beifall) so Dr. Hollmann ganz richtig in der öffentlichen Anhö- rung vor zwei Wochen – wir stehen eigentlich am Beginn. Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Simone Der Transformationsprozess wird intensive Begleitung Barrientos. brauchen. Viele Bedarfe werden erst bei der Arbeit sicht- (Beifall bei der LINKEN) bar werden. Immer wieder betonte ich, dass wir die gesamtdeutsche Simone Barrientos (DIE LINKE): Geschichte erzählen müssen; auch das war im Ausschuss (B) Sehr geehrte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol- oft Thema. Denn die DDR existierte eben nicht im luft- (D) legen! Liebe Gäste! Als wir im Mai 2019 im Ausschuss leeren Raum. für Kultur und Medien mit dem Präsidenten des Bundes- Und noch was ist wichtig: Die Fokussierung auf Täter archivs, Dr. Michael Hollmann, mit dem Bundesbeauf- und Opfer, auf Stasi und SED ist hinderlich, wenn man tragten der Stasiunterlagen der ehemaligen DDR, Roland die DDR verstehen möchte. Wer verstehen möchte, muss Jahn, und mit dem Vorsitzenden des Beirats beim BStU, sich den Alltag anschauen; der muss wissen wollen, wie Jörn Mothes, über das Konzept zur Eingliederung der wir gelebt und geliebt haben; der muss auch um die klei- Stasiakten ins Bundesarchiv diskutierten, betonte nen Widerstände wissen; der muss begreifen wollen, wel- Dr. Hollmann – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –: Genau che Freiräume wir uns erkämpft haben. Denn viele, die dorthin gehören sie angesichts ihrer historischen Bedeu- heute gemeint sind, wenn man von Opfern spricht, wür- tung und des Willens des Gesetzgebers. – Jörn Mothes den sich selbst nicht als Opfer bezeichnen, eher als Oppo- unterstrich, dass es nicht darum ginge, einen Schluss- sition, als Betroffene, als Gegner, als Verfolgte, als pro- strich zu ziehen, sondern es ginge um die Herstellung gressiv oder einfach als renitent. von Normalität. Roland Jahn sprach von einer Brücke in die Zukunft. Und genau um das alles geht es. (Beifall bei der LINKEN) Meine Fraktion begrüßt die Eingliederung der Akten Es gibt viele, viele Facetten, die anzuerkennen sind. ins Bundesarchiv. Ich glaube, dass dieser Archivstandort zur Geschichte (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gitta der DDR, der jetzt entstehen wird und eben nicht nur die Connemann [CDU/CSU] und Martin Rabanus Akten von Stasi und SED, sondern auch Verwaltungs- [SPD]) akten, Nachlässe, das Archiv der DDR-Opposition und Die Sorge, dass der Zugang zu den Stasiakten für Betrof- auch die Akten der Stasiunterlagenbehörde, der Aufar- fene, also für Bespitzelte usw., erschwert werden könnte, beitung also, enthalten wird, dabei helfen wird, einen ist ausgeräumt. Ich habe daran übrigens auch ein persön- größeren, einen weiteren Blick auf die Sache zu bekom- liches Interesse: Ich habe im letzten Jahr erst meine Stasi- men. All diese Akten werden gleichberechtigt nebenei- akte beantragt. Da bin ich geführt als: subversiv-dekad- nanderstehen unter einem neutralen Titel, und das ist gut ente Jugendliche mit Hang zum Pazifismus. – Nichts, und richtig. Wie gesagt: Es weitet den Blick. wofür man sich schämen muss, finde ich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Leider lässt der Gesetzentwurf offen, wie die For- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schung zur DDR insgesamt in der Zukunft unterstützt GRÜNEN und des Abg. Thomas Hacker und ermöglicht werden soll. In § 32 des Stasi-Unterla- 24222 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Simone Barrientos (A) gen-Gesetzes wird Forschung nach wie vor auf Stasi und Sachverständigen der Anhörung von vor zwei Wochen, (C) SED verengt. Es wäre ein Leichtes gewesen, hier eine von deren Empfehlungen wir noch einige Aspekte mit in andere Formulierung zu finden, die klarmacht, dass es den Änderungsantrag aufnehmen konnten. um mehr geht und gehen muss. Wichtig wäre uns, dass Die Stasiakten haben mittlerweile eine bewegte Ge- nicht nur Projekte gefördert werden, sondern dass die schichte; einiges wurde hier ja schon vorgetragen. Vor Forschung verstetigt wird. Ein Lehrstuhl wäre eine super Möglichkeit – natürlich in den neuen Ländern, am besten über 31 Jahren sorgte die Friedliche Revolution für das Ende der SED-Diktatur. Die Mitarbeiterinnen und Mit- eine Frau, und zwar eine aus dem Osten. arbeiter der Stasi mussten nun fürchten, für ihre Taten zur (Beifall bei der LINKEN – Christoph Bernstiel Verantwortung gezogen zu werden. Deshalb begannen [CDU/CSU]: Am besten in Leipzig!) sie bereits im November 1989 mit der Vernichtung der Dass es in Zukunft einen Opferbeauftragten oder eine Akten. Erst die Besetzung der Stasizentrale und der Opferbeauftragte geben soll, ist prinzipiell richtig. Aller- Standorte der Kreis- und Bezirksverwaltungen stoppte dings ist der Begriff natürlich missverständlich; denn um das. die Belange der Betroffenen kümmern sich ja die Beauf- Nur dem Mut der Entschlossenheit der Besetzerinnen tragten in den Ländern. Die machen eine gute Arbeit. Es und Besetzer, der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler handelt sich ja eigentlich um eine Koordinierungsstelle, ist es zu verdanken, dass wir heute überhaupt über den die den Belangen der Opfer in diesem Hause Geltung Umgang mit den Unterlagen diskutieren können. Denn – verschaffen soll, die die Länder und die Verbände bei Katrin Budde hat es ausgeführt – die Besetzungen bedeu- ihrer Arbeit unterstützen soll. Eine Ombudsstelle wäre teten eben nicht das Ende des Streits über den Umgang vielleicht doch besser gewesen; denn so besteht, glaube mit den Akten. Erst nach langen Auseinandersetzungen ich, die Gefahr, dass der oder die Opferbeauftragte fal- entschloss man sich, die Stasiunterlagenbehörde zu sche Erwartungen weckt. Aber in der Sache finden wir schaffen. Damit konnten die überwachten und verfolgten das richtig. Menschen Einblick in ihre Akten nehmen. So kam das (Beifall bei der LINKEN) Ausmaß der paranoiden Überwachung der Gesellschaft endlich ans Licht. Es war und ist richtig und unerlässlich, Eine große Leerstelle ist die Kostenfrage. Der Gesetz- den Betroffenen wenigstens im Nachhinein die Möglich- entwurf tut so, als wäre die Eingliederung der Akten keit zur Einsichtnahme zu geben. kostenneutral. Es kommen aber Aufgaben auf das Bun- desarchiv zu, die ohne Mittelerhöhung nicht zu schaffen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sein werden. Noch immer sind Schnipsel nicht zusam- sowie der Abg. Katrin Budde [SPD] und mengesetzt, die Akten müssen konserviert werden, die Simone Barrientos [DIE LINKE]) (B) Digitalisierung wird eine Mammutaufgabe, Baumaßnah- (D) men werden nötig sein. Man kann sich um die Kosten- Was wir auch gehört haben, ist, dass es unwürdig wäre, frage nicht drücken. die Akten wie normale Akten zu behandeln. Deshalb hat das Stasi-Unterlagen-Archiv wirklich wichtige Arbeit (Beifall bei der LINKEN) geleistet, die hier ausdrücklich gewürdigt werden soll. Wir haben keinen Grund gefunden – und das finde ich wirklich gut –, gegen diesen Antrag zu sein. Wegen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Leerstellen – Kosten, Forschung usw. – wird sich meine sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Fraktion enthalten. In der Sache aber stimmen wir Ihnen FDP und der LINKEN und der Abg. Katrin grundsätzlich zu. Budde [SPD]) Vielen Dank. Nur durch den Erhalt der Außenstellen mit und ohne Archiv kann nun die Beratungs- und Auskunftsarbeit (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katrin weiter gewährleistet werden. Durch die Festschreibung Budde [SPD]) der Außenstellen im Gesetz bleiben die Entscheidungen über die Existenz und die Struktur in der Hand des Bun- Vizepräsidentin Claudia Roth: destages, was sehr wichtig ist. Vielen Dank, Simone Barrientos. – Nächste Rednerin: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Monika Lazar. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN In Anbetracht der historischen und gesellschaftlichen sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/ Relevanz der Akten wäre eine andere Regelung auch CSU] und Katrin Budde [SPD]) nicht tragbar. Besonders freut es mich, dass mit Cottbus auch eine neue Auskunfts- und Beratungsstelle in Bran- denburg hinzukommt. Dafür haben sich insbesondere die Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Brandenburgerinnen und Brandenburger sehr lange ein- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gesetzt. Lieber Roland Jahn! Liebe weitere Gäste auf der Tribüne! Nach langen Beratungen sind wir nun endlich an dem Das Recht zur Einsicht in die eigene Akte soll weiter- Punkt, das Gesetz zu verabschieden. Zuerst möchte ich hin so niedrigschwellig wie möglich wahrzunehmen sein. mich für die kollegiale Zusammenarbeit bedanken, die Deshalb ist die Anzahl der Außenstellen sehr wichtig. Als gezeigt hat, dass uns das Thema wirklich am Herzen liegt. Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ist uns Besonders möchte ich mich bei Katrin Budde von der besonders wichtig, dass die Bildungsarbeit abgesichert SPD-Fraktion bedanken. Ebenso herzlichen Dank an die bleibt. Und die Außenstellen haben sich zu wertvollen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24223

Monika Lazar (A) Partnerinnen und Partnern der regionalen Aufarbeitungs- Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) initiativen entwickelt und werden nun mit dem Gesetz auf Vielen Dank, Monika Lazar. – Die nächste Rednerin: eine neue Grundlage gestellt. für die CDU/CSU-Fraktion Gitta Connemann. Aber wir dürfen uns auch keinen Illusionen hingeben: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Der Prozess des Übergangs wird weder schnell noch ordneten der SPD) problemlos erfolgen. Von daher ist eine Begleitung des Prozesses nötig. Im Gesetz ist deshalb auch ein Bera- Gitta Connemann (CDU/CSU): tungsgremium vorgesehen. In der Anhörung wurde von Frau Präsidentin! Was macht Deutschland aus? Seine fast allen Sachverständigen der Wunsch geäußert, dass Sprache? Seine Kultur? Seine Traditionen? Alles. All das Beratungsgremium länger als fünf Jahre arbeiten dies ist das Ergebnis einer Entwicklung der Geschichte – kann. Durch den vorliegenden Änderungsantrag wird unserer Geschichte. Deshalb ist es notwendig, sie zu ken- nun die Möglichkeit eröffnet, bei Bedarf das Beratungs- nen. Aus diesem Grund haben wir in Deutschland unser gremium länger arbeiten zu lassen, was ich sehr wichtig Bundesarchiv, unser nationales Gedächtnis. In diesem und gut finde. lagern die Akten der Weimarer Republik, des Dritten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reichs und der Bundesrepublik Deutschland – bislang. sowie der Abg. Katrin Budde [SPD]) Zwischen diesen Aktendeckeln liegt die Geschichte unse- res Landes und seiner Menschen. Deshalb müssen wir die Auch das Amt der oder des Opferbeauftragten ist sinn- Unterlagen der Staatssicherheit dauerhaft in das Bundes- voll und wichtig. Als die Rehabilitierungsgesetze im letz- archiv eingliedern; denn es ist unser einzigartiges Erbe. ten Jahr reformiert wurden, ist deutlich geworden, wie wichtig und nötig die angemessene Anerkennung und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur ist. Ich hoffe neten der SPD und der Abg. Linda Teuteberg sehr, dass der oder die zukünftige Opferbeauftragte das [FDP]) Thema im Bundestag immer wieder auf die Tagesord- Meine Damen und Herren, 2020 wird als Coronajahr in nung setzen wird. Denn klar ist: Der Bundestag wird die Geschichte eingehen. Aber 2020 ist auch das Jahr, in sich auch in den nächsten Jahren mit dem Thema weiter dem wir 30 Jahre deutsche Einheit feiern durften. Aus befassen und befassen müssen. Es ist nämlich wichtig, zwei wurde damals eins – nach vier Jahrzehnten bitterer dass nicht nur wir einen Ansprechpartner haben, sondern Teilung, nach Jahrzehnten SED-Unrechtsstaat, nach Jahr- vor allem die Betroffenen, die Opfer, die Verfolgten. Vor zehnten Terror und Bespitzelung. allem dafür ist die Stelle da, und sie muss gut ausgestattet sein. Es ist die Geschichte von Tätern, Mitläufern und (B) Opfern – penibel festgehalten von der Stasi. Der Umfang (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Spitzelakten beläuft sich auf 111 Kilometer. sowie der Abg. Katrin Budde [SPD]) 111 000 Meter Geschichten über Folter, Verrat, gebroche- ne Biografien, Angst, Verzweiflung und Unfreiheit. Die- Nun bleibt abzuwarten, wie die Integration der BStU- se Akten wurden vor der Vernichtung gerettet – übrigens Behörde in das Bundesarchiv ablaufen wird und wie das von Bürgerinnen und Bürgern, von mutigen Bürgerinnen Amt des Opferbeauftragten ausgefüllt wird. Wir sollten und Bürgern in den Tagen der Friedlichen Revolution. Sie keine Angst haben, bei Bedarf nachzujustieren. haben diese Akten damals für uns alle erstritten, und des- Abschließend möchte auch ich Roland Jahn, dem der- halb sind sie ein Eigentum von uns allen und gehören zeitigen Bundesbeauftragten, und den vorherigen Beauf- auch in besonderer Weise behandelt. tragten Marianne Birthler und Joachim Gauck für ihre (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeit ganz herzlich danken. Heute stellen wir die Weichen für die dauerhafte Siche- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung dieser Stasiakten. Sie werden in das Bundesarchiv und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten überführt. Wenn die AfD dies als Beerdigung bezeichnet, der SPD und der FDP und der Abg. Simone kann dies eigentlich nur drei Gründe haben: Ignoranz, Barrientos [DIE LINKE]) Unwissenheit oder Dummheit. Auch möchte ich den vielen Mitarbeiterinnen und Mit- ( [CDU/CSU]: Oder alle drei arbeitern der Behörde für ihre bisherige und für ihre zugleich!) zukünftige Arbeit danken. Ohne deren Tätigkeit wäre Die Stasiunterlagen werden nämlich mit dieser Überfüh- die Aufarbeitung so nicht möglich gewesen. Ohne die rung Teil unseres nationalen Gedächtnisses. mutigen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, ohne die Menschen, die später die Offenlegung des SED- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Das waren sie Unrechts vorangetrieben haben, wäre die Forderung vorher schon!) „Meine Akte gehört mir“ nur eine hohle Phrase gewesen. Wir ziehen eben keinen Schlussstrich, so wie es die AfD Vielen Dank. an vielen Stellen so gerne möchte. (Dr. Götz Frömming [AfD]: Wo denn?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Denn wir wissen: Wir brauchen diese Archive, weil sie SPD und der FDP und der Abg. Simone Antworten ermöglichen, jetzt und in Zukunft. Wir brau- Barrientos [DIE LINKE]) chen diese Archive, weil die Aufarbeitung von Unrecht 24224 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Gitta Connemann (A) kein Verfallsdatum haben darf. Geschichte kennt keine Einsatz ist das Stasi-Unterlagen-Archiv nicht mehr nur (C) Schlussstriche. Das gilt für den Terror des Nationalsozia- ein Monument des Überwachungsstaates. Es ist eine lismus ebenso wie für die SED-Diktatur. Errungenschaft der deutschen Einheit geworden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bei Abgeordneten der SPD) ordneten der FDP) Wieso brauchen wir diese Archive? Und ich spreche Dir ist es nach 20 Jahren der Auseinandersetzung gelun- von Archiven; denn das Stasi-Unterlagen-Archiv bleibt gen, mit den ostdeutschen Ländern eine gemeinsame eigenständig im Bundesarchiv. Vielleicht sollte man Lösung für die zukünftige Struktur der regionalen Stand- auch dies zur Kenntnis nehmen. Wir brauchen sie, weil orte zu finden. der forschende Blick in die Unfreiheit unseren Blick für Freiheit und Demokratie schärft. Und genau diese beiden Aus Archiven werden auch außerschulische Lernorte. Werte gilt es zu schützen; denn Geschichtsvergessenheit, Damit wird die Brücke zu jüngeren Generationen Verharmlosung oder Schönfärberei sind brandgefährlich. geschlagen, und so wird auch ihr Bewusstsein für den (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Wert von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten Katrin Budde [SPD] und Michael Theurer gestärkt. Das, lieber Roland, war dir besonders wichtig. [FDP]) Viele Menschen, die unter der SED-Diktatur gelitten haben, hatten Vorbehalte, manchmal auch Angst vor die- Diese gab es übrigens auch im Westen. 1984 wollte die ser Veränderung. Meine Damen und Herren, Roland Jahn damalige Opposition die Zentrale Erfassungsstelle der hat persönlich bei den Opfern und ihren Verbänden für Landesjustizverwaltungen in Salzgitter schließen, jenen Vertrauen in unser Vorgehen geworben. – Dafür danke Ort, an dem unter anderem Beweise von politischer Ver- ich dir aufrichtig. folgung, Verschleppung und Tötung in der DDR gesam- melt und dokumentiert wurden. Am Ende wurde Salz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gitter nicht geschlossen. Bundeskanzler Kohl und die neten der FDP und der Abg. Katrin Budde Union verhinderten das. So wurden wichtige Dokumente [SPD]) zum Beispiel über die Mauerschützen gesichert, die spä- Liebe Kolleginnen und Kollegen, im nächsten Jahr ter in den entsprechenden Prozessen eine Rolle spielten; scheidet Roland Jahn aus. Aber er hat mit dafür gesorgt, und den Widerstands- und Freiheitskämpfern in der DDR dass es übrigens zwei neue Ansprechpartner geben wird. wurde damit das Signal gegeben: Ihr werdet nicht ver- Neben der Vizepräsidentin oder dem Vizepräsidenten gessen! beim Bundesarchiv ist dies eben auch der oder die Opfer- (B) Meine Damen und Herren, heute stellen wir die beauftragte. So werden die Opfer der DDR-SED-Diktatur (D) Weichen für die dauerhafte Sicherung der Stasiunterla- weiterhin auf Bundesebene einen Fürsprecher mit einer gen. Dies tun wir mit Augenmaß; denn wir schreiben besonderen Rechtsstellung haben; denn der Opferbeauf- das Stasi-Unterlagen-Gesetz fort. Damit ist der bewährte tragte wird beim Deutschen Bundestag verankert sein. Zugang zu den Akten weiterhin möglich: für Bürger, Als Anwalt wird er das Anliegen der Opfer der kommu- Medien und Wissenschaft. Diese Akteneinsicht ist welt- nistischen Diktatur gegenüber Parlament, Regierung und weit einmalig. Jeder und jede kann in Deutschland nach- Bundesbehörden vertreten. Und deshalb war es uns so lesen, welches Unrecht die Stasi ihm bzw. ihr angetan hat. wichtig, dass es diese starke Stimme der Opfer gibt und Hinter jeder Akte stehen Schicksale, in erster Linie das diese ein Einsichtsrecht haben und auf die Stasiunterla- der Opfer, aber in gewisser Weise auch das derer, die zu gen zugreifen können. Tätern wurden. In Zukunft wird die Akteneinsicht auch digital und an den westdeutschen Standorten des Bundes- Vizepräsidentin Claudia Roth: archivs möglich sein. Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorn; denn die Staatssicherheit wirkte wie eine Kra- Frau Kollegin. ke in die Bundesrepublik hinein. Das dürfen wir nie ver- gessen. Gitta Connemann (CDU/CSU): Hinter uns liegen Jahre intensiver Debatte, und ich Denn diese Dokumentation, was die Opfer erlitten danke dafür im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfrak- haben, gehört zu unserem historischen Gedächtnis und tion den Opferverbänden, unserer Beauftragten für Kul- formuliert einen Auftrag an uns alle: Wir dürfen ein sol- tur und Medien Monika Grütters und ihrem Haus, den ches Unrecht nie wieder zulassen. Das sind wir den Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Dikta- Opfern schuldig. tur, dem Bundesarchiv und seinen Mitarbeiterinnen und Vielen Dank. Mitarbeitern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BStU sowie allen Abgeordneten, die an diesem Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- entwurf mitgearbeitet haben. Dieser wird von der Mitte ordneten der SPD und der FDP) des Hauses getragen, von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und der FDP. Vizepräsidentin Claudia Roth: Der Dank der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gilt aber Vielen Dank, Gitta Connemann. – Nächste Rednerin: heute besonders dem Bundesbeauftragten für die Unter- für die FDP-Fraktion Linda Teuteberg. lagen der Staatssicherheit. Lieber Roland Jahn, dieses Gesetz ist vor allem auch dein Verdienst. Durch deinen (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24225

(A) Linda Teuteberg (FDP): Ich möchte noch kurz sagen: Als Brandenburgerin ist (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- mir auch sehr wichtig, heute feststellen zu können, dass legen! Vor 30 Jahren befreiten sich die Menschen in der sich der Bund aus diesem wichtigen Bildungsauftrag DDR von der SED-Diktatur und damit auch von deren nicht zurückzieht und dass gerade in Brandenburg, wo Geheimpolizei. Welch ein Novum es in der deutschen es seit elf Jahren nur eine einzige Außenstelle gab, die Geschichte war, dass dies friedlich und erfolgreich verlief diesen Auftrag wahrzunehmen hatte, nun auch in Cottbus und dass die Akten der Geheimpolizei unmittelbar nach eine weitere folgt. Das ist richtig und wichtig. dem Sturz der Diktatur zugänglich wurden, das hat Frau Kollegin Budde eben schon ausführlicher erwähnt. Die Die Auseinandersetzung mit dieser SED-Diktatur ist demokratische Antwort auf die Revolutionslosung „Mei- nicht allein ein Projekt der Ostdeutschen, auch kein durch ne Akte gehört mir!“ war die Einrichtung des Bundesbe- die Westdeutschen aufoktroyiertes, sie ist unser Auftrag auftragten und seiner Behörde. für ein gemeinsames Gedächtnis. Wir brauchen die ost- deutschen Erfahrungen für einen gemeinsamen, gesamt- Die durch systematische Bespitzelung, durch Erpres- deutschen antitotalitären Konsens. sung und Verrat zusammengetragenen Stasiunterlagen sind gesellschaftliches Gift und Aufarbeitungsmedizin Vielen Dank. zugleich. Diese Unterlagen sind ein besonderes Archiv- gut. Und darin liegt auch zukünftig ihre besondere (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Bedeutung, die sie von anderem Archivgut des Bundes der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE unterscheiden wird. Das erfordert einen sensiblen GRÜNEN) Umgang damit; denn rechtsstaatswidrig erlangte Infor- mationen bedürfen auch der richtigen Interpretation, Ein- Vizepräsidentin Claudia Roth: ordnung, wissenschaftlichen Aufarbeitung. Vielen Dank, Linda Teuteberg. – Nächster Redner: für Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wissen ist Macht. die SPD-Fraktion Martin Rabanus. Das wusste die Diktatur, das wussten ihre Täter und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schergen, das wussten aber auch die Bürgerinnen und der CDU/CSU) Bürger in der DDR, und genau deshalb haben sie sich den Zugang zu den Akten erkämpft. Es geht dabei um nicht weniger als um Wissen und Deutungsmacht über Martin Rabanus (SPD): individuelle Biografien einerseits und über historische Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sachverhalte und gesellschaftliche Entwicklungen ande- Ich fand, es war bisher eine wirklich gute Debatte. Sie rerseits. zeigt auch den breiten Konsens über die Notwendigkeit, (B) (D) Wie wären etwa manche Debatten in der Bonner Re- die Stasiunterlagen dauerhaft zu sichern und als das anzu- publik verlaufen, wenn man damals schon gewusst hätte, sehen, was sie nun einmal sind, nämlich ein wesentlicher dass der Mörder des Studenten Benno Ohnesorg Inoffi- Teil unseres deutschen historischen Gedächtnisses, nicht zieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit des ostdeutschen, sondern des gesamtdeutschen histori- war? Mindestens dieser Sachverhalt müsste doch jedem schen Gedächtnisses. Das ist mir wichtig. vor Augen führen, wie sehr dieses Anliegen jetzt auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eines unserer gesamten Nation sein muss. der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU und des Abg. Martin Rabanus Ich will einmal ein Beispiel aus der eigenen Parteige- [SPD]) schichte nennen. So ist in einer Analyse des Ministeriums Gerade jungen Menschen können die Informationen, für Staatssicherheit über die Tätigkeit und den Einfluss die in den Akten enthalten sind, einen wichtigen Teil der SPD und des SPD-Ostbüros aus dem Jahre 1956 politischer Bildung vermitteln. Ich erinnere da gern an Folgendes zu lesen: den Band von Reiner Kunze „Die wunderbaren Jahre“. Die waren oft gar nicht so wunderbar für junge Menschen Die Tätigkeit der SPD und ihrer Verbrecherzentrale in der Diktatur, und da, wo sie es waren, waren sie es trotz des SPD-Ostbüros ist darauf gerichtet, insbesondere und nicht wegen der SED-Diktatur. die Parteiorganisationen der SED als der führenden und leitenden Partei in der Deutschen Demokrati- (Beifall bei der FDP) schen Republik zu zersetzen und darüber hinaus Diktatur, das war so viel mehr als die Abwesenheit durch Sabotage, Diversion und Schädlingstätigkeit freier Wahlen, was allein schon schlimm wäre. Diktatur die ökonomische Basis der DDR zu untergraben. greift tief in das Leben von Menschen ein. Und deshalb In der Folge dieser Bespitzelung sind schätzungsweise ist die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte 800 bis 1 000 Mitglieder der Sozialdemokratie inhaftiert übrigens ganz besonders geeignet, den Wert eines hand- und verfolgt worden. So ganz genau wissen wir das – in lungsfähigen, aber sich in seinen Aufgaben und durch Klammern: noch – nicht. Aber was wir wissen, wissen Gesetze und Rechtsschutz auch selbst beschränkenden wir aus den Unterlagen der Stasiunterlagenbehörde. Und Staates noch einmal deutlich zu machen. Diese Wert- was wir noch nicht wissen, wollen wir auch in Zukunft schätzung kann in Zeiten, in denen der Staat eine starke erforschen können. Deswegen ist es so wichtig, dass das Rolle spielt, schon mal verloren gehen. ein gesamtdeutsches Projekt ist, meine sehr verehrten (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Damen und Herren. 24226 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Martin Rabanus (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schon gesagt, dass es mitnichten so ist, dass wir jetzt (C) der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS- einen Schlussstrich ziehen. Ganz im Gegenteil: Wir wer- SES 90/DIE GRÜNEN) ten das Amt des Bundesbeauftragten für die Stasiunterla- Ich bin auch sehr froh, für meine Fraktion noch einmal gen sogar auf zum Opferbeauftragten. Wir machen damit betonen zu können, wie gut es ist, dass wir dieses Geset- das, was eigentlich folgerichtig ist. Das, was Roland Jahn zespaket zur Eingliederung der Unterlagen in das Bun- schon längst getan hat und in den Augen vieler Opferver- desarchiv und zur Zugänglichmachung dieser Unterlagen bände auch weiterhin tun sollte, setzen wir jetzt mit der in Ost und West als gesamtdeutsches Projekt mit der neuen Position des Opferbeauftragten um. Möglichkeit, diese Unterlagen auch in Bayreuth, Herr Dank wurde auch schon viel ausgesprochen, natürlich Kollege Hacker, oder an einem anderen Ort einsehen zu auch an Roland Jahn gerichtet. Es wurde auch den Par- können, jetzt mit einer breiten Basis verabschieden kön- teien in der Mitte dieses Parlaments gedankt, die diese nen. Denn das entspricht ja auch der Lebensrealität nach Gesetze heute mittragen. Noch nicht ausdrücklich 30 Jahren wiedervereinigtem Deutschland. Viele aus den gedankt wurde – das möchte ich gerne nachholen – fünf Bundesländern im Osten sind in den Westen gezo- Monika Grütters und ihrem Team; denn wir hatten eine gen, aber genauso ist es auch umgekehrt; so wie das eben außerordentlich gute Zusammenarbeit mit der Bundesre- in einem gemeinsamen Staat ist. Es ist gut, dass wir gierung. An dieser Stelle dafür ein herzliches Danke- diesen Austausch und dadurch die Möglichkeit haben, schön. diesen Teil unserer Geschichte einfach überall nachzu- vollziehen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Es ist auch richtig und gut, einen Bundesbeauftragten, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE einen Opferbeauftragten zu haben, der bei nicht weniger GRÜNEN) als dem Bundestag angesiedelt ist, um dadurch deutlich An der Stelle möchte ich auch vielen Menschen, die zu machen, dass wir eine gesamtdeutsche parlamentari- diese Debatte vielleicht verfolgen, ein paar Sorgen neh- sche Verantwortung empfinden. Das ist hinreichend aus- men. Es wurde schon gesagt: Es wird kein Schlussstrich geführt worden. gezogen. Und es wird in Zukunft auch nicht schwieriger, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der es wird einfacher sein, die jeweilige Stasiakte einzuse- Abg. Axel Müller [CDU/CSU], Thomas hen, nämlich an mehreren Standorten – meine Kollegin Hacker [FDP] und Simone Barrientos [DIE hat es bereits gesagt – und auch digital. Insofern kommt LINKE]) es durch dieses Gesetz zu Verbesserungen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, 31 Jahre nach der Wir haben außerdem in dieses Gesetz die jeweiligen (B) Friedlichen Revolution und 30 Jahre nach der Wiederver- Archivstandorte in den einzelnen Bundesländern hinein- (D) einigung wird die deutsche Einheit – Frau Staatsministe- geschrieben, die sogar noch aufgewertet werden, indem rin Grütters hat das gesagt – auch in diesem Bereich sozu- sie künftig in die Gedenkstättenkonzeption eingebunden sagen vollzogen. Das finde ich sehr gut. werden. Ich freue mich natürlich sehr, dass in meinem Ich darf mich noch einmal bei allen ganz herzlich Wahlkreis Halle an der Saale zukünftig auch eine Außen- bedanken, die daran mitgewirkt haben: bei den Kollegin- stelle sein wird. nen und Kollegen, die die Federführung in der Koalition Wo Licht ist, da ist bekanntlich auch Schatten. Ich hatten, bei Frau Kollegin Elisabeth Motschmann, bei möchte meine verbliebene Redezeit dazu nutzen, zwei meiner Kollegin Katrin Budde, aber auch bei den anderen Punkte anzusprechen, die mir nach wie vor etwas Sorge Fraktionen, die, wie ich finde, in wirklich hervorragender bereiten. Ein Punkt sind die ungefähr 111 Kilometer zer- Weise konstruktiv zu dieser Zusammenarbeit beigetragen rissene Akten, die die Staatssicherheit zurückgelassen haben. Ganz herzlichen Dank! hat; zerrissene Akten, nicht zerstörte Akten. Das bedeu- Ich bitte um Zustimmung zu diesem Gesetz. tet, wir sind in der Lage, diese Akten zu rekonstruieren. Von 16 000 Säcken, die im Wahlkreis meines Kollegen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP Tino Sorge in Magdeburg lagern, haben wir erst und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 520 Säcke rekonstruiert. Es ist uns auch 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution nicht gelungen, diesen wich- Vizepräsidentin Claudia Roth: tigen Teil der DDR-Geschichte zu rekonstruieren. Unge- Vielen Dank, Martin Rabanus. – Zum Schluss dieser fähr 40 bis 55 Millionen Seiten – niemand weiß das so bemerkenswerten Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion genau – warten darauf, erschlossen zu werden. Deshalb Christoph Bernstiel. haben wir diesen Punkt mit in dieses Gesetz hineinge- schrieben, weil wir eben keinen Schlussstrich ziehen wol- (Beifall bei der CDU/CSU) len, weil wir zeigen wollen, dass wir dieses Erbe nach wie vor sehr ernst nehmen und auch herausfinden wollen, Christoph Bernstiel (CDU/CSU): welche Untaten, auch gegenüber der SPD, sich in diesen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Akten noch verstecken. Und deshalb ist es richtig, dass Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Am Ende dieser wir das auch im Gesetz formuliert haben, meine Damen Debatte kann man eigentlich nur noch zusammenfassen, und Herren. dass bereits viel Wichtiges und viel Richtiges gesagt wur- de. Diese drei Gesetze, die wir heute ändern bzw. auf den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Weg bringen werden, sind gute Gesetze. Es wurde auch ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24227

Christoph Bernstiel (A) Und dann gibt es wirklich eine Kröte in diesem Ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) setzentwurf. Ich möchte einmal aus ihm zitieren, es heißt ordneten der FDP) darin: Die oder der Opferbeauftragte hat die Aufgabe: … Vizepräsidentin Claudia Roth: zur Würdigung der Opfer des Kommunismus in Danke schön, Christoph Bernstiel. – Damit schließe Deutschland beitragen … ich die Aussprache. Meine Damen und Herren, wer mich kennt und wer die Tagesordnungspunkt 11 a. Wir kommen zur Abstim- Arbeit der Union kennt, der weiß, dass wir uns gewünscht mung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, hätten, dass dort steht: den Opfern des Sozialismus. Das FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf wäre korrekt gewesen. Das wäre historisch korrekt gewe- eines Gesetzes zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, sen, das wäre auch politikwissenschaftlich korrekt gewe- des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Einrichtung einer sen. Aber leider ist es so, dass manch einer in diesem oder eines SED-Opferbeauftragten. Der Ausschuss für Haus der Idee des Sozialismus nach wie vor etwas Gutes Kultur und Medien empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- abgewinnen kann. So heißt es zum Beispiel in einem lung auf Drucksache 19/24484, den Gesetzentwurf der Tweet der SPD-Parteivorsitzenden am 18. Januar 2018 – Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ ich zitiere, mit Erlaubnis der Präsidentin –: Die Grünen auf Drucksache 19/23709 in der Ausschuss- fassung anzunehmen. Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung. Hierzu liegen zwei Änderungsanträge vor, über die wir selbstverständlich zuerst abstimmen. (Beifall bei der LINKEN) Änderungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache Meine Damen und Herren, Sie entlarven sich selbst. Im 19/24489. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt Namen des Sozialismus wurden mehrere Millionen Men- dagegen? – Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Der Ände- schen weltweit ermordet. rungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die AfD-Frak- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Im tion. Alle anderen Fraktionen des Hauses waren dagegen. Namen des Christentums nicht? Inquisition! – Änderungsantrag der Fraktion der AfD auf Drucksache Weitere Zurufe von der LINKEN) 19/24490. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Es gab über mehrere Jahrzehnte auf verschiedenen Kon- Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der tinenten dieser Erde das Experiment des Sozialismus. Änderungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat die Dieses hat immer zu Unterdrückung, Hunger, Umwelt- AfD-Fraktion. Alle anderen Fraktionen waren dagegen. (B) verschmutzung und Tyrannei geführt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der (D) Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die Grünen auf Drucksache 19/23709 in der Ausschuss- bei Abgeordneten der AfD – Matthias W. fassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer Birkwald [DIE LINKE]: Das ist unglaublich, stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- was Sie da erzählen!) wurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zuge- Lassen Sie es mich in aller Deutlichkeit sagen – hören Sie stimmt haben die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die zu –: Es gibt keinen guten Sozialismus. Grünen, CDU/CSU und FDP. Dagegengestimmt hat die Fraktion der AfD. Enthalten hat sich Die Linke. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der AfD und der FDP) Dritte Beratung Und wer in Anbetracht dieser erdrückenden Faktenlage und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem über mehrere Jahrzehnte hinweg immer noch nicht aner- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – kennen will, dass der Sozialismus nicht gut ist, der hat nur Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- nicht keine Ahnung, der ist sogar gefährlich ignorant. entwurf ist angenommen bei Zustimmung von CDU/ CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, Gegen- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- stimmen der AfD-Fraktion und Enthaltung der Fraktion neten der AfD und der FDP – Matthias W. Die Linke. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt hat das Niveau die Zimmertemperatur unterschritten!) Tagesordnungspunkt 11 b. Abstimmung über den An- trag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/24420 mit In der Mitte des Parlaments fühlen wir uns verantwort- dem Titel „Das Erbe der Friedlichen Revolution bewah- lich, dafür zu sorgen, dass so etwas wie ein sozialistisches ren – Den Gesetzentwurf zur Auflösung der Stasi-Unter- Experiment nie wieder auf dem Boden der Bundesrepu- lagen-Behörde zurückziehen und grundlegend überarbei- blik Deutschland stattfindet. Dafür müssen wir das histo- ten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt rische Erbe dieser SED-Diktatur sichern. Wir müssen die dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der Antrag ist abge- zerrissenen Akten rekonstruieren, und wir müssen den lehnt. Zugestimmt hat die AfD-Fraktion. Alle anderen Opfern der SED-Diktatur endlich die Genugtuung ver- Fraktionen des Hauses haben dagegengestimmt. schaffen, die sie verdienen. All das machen wir mit Zusatzpunkt 10. Beschlussempfehlung des Ausschus- dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf. ses für Inneres und Heimat zum Antrag der Fraktion der Ich bitte um Zustimmung und bedanke mich für Ihre AfD mit dem Titel „Gedenktag für die Opfer der politi- Aufmerksamkeit. schen Verfolgung während der SED-Diktatur“. Der Aus- 24228 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Deutsch-Südwestafrika ernannt, nachdem sich die Ova- (C) Drucksache 19/22295, den Antrag der Fraktion oder herero gegen die rassistische Siedlungspolitik des Deut- AfD auf Drucksache 19/14348 abzulehnen. Wer stimmt schen Reiches erhoben hatten. Er sagte ganz offen, was für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- sein Ziel war – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: gen? – Wer enthält sich? – Keine Enthaltungen. Die Be- Man müsse die Nation der Herero vernichten. Er sah den schlussempfehlung ist angenommen bei Gegenstimmen Aufstand – Zitat – als Auftakt zu einem Rassenkampf. Er der AfD und Zustimmung aller anderen Fraktionen des glaubte, dass die Herero nur vor krassem Terrorismus und Hauses. Grausamkeit zurückweichen würden, und machte das zu Ich rufe jetzt die nächsten Tagesordnungspunkte, die seiner Politik. In seinen Worten: eine Politik der Vernich- Tagesordnungspunkte 12 a bis 12 c, auf: tung mit „Strömen von Blut und Strömen von Geld“. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Von Trothas Worte sind ein erschreckender Einblick in Agnieszka Brugger, Claudia Roth (Augs- die rassistische, menschenverachtende und brutale Hal- burg), , weiterer Abgeord- tung, die der deutschen Kolonialherrschaft zugrunde lag. neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Diese Haltung mündete zwischen 1904 und 1908 im Völ- GRÜNEN kermord an den Ovaherero und Nama. Tausende von Kindern, Frauen und Männern wurden von deutschen Koloniales Unrecht anerkennen, aufarbei- Soldaten erschossen, erschlagen oder mit voller Absicht ten und der eigenen Verantwortung inter- in die Wüste getrieben, wo sie qualvoll verdursten muss- national gerecht werden ten. Drucksache 19/24381

Überweisungsvorschlag: Vizepräsidentin Claudia Roth: Auswärtiger Ausschuss (f) Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe -bemerkung von Herrn Bystron, AfD? Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung Ausschuss für Kultur und Medien Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nein, diese Fraktion bekommt von mir keine zusätz- Dr. Marc Jongen, Marc Bernhard, Stephan liche Redezeit in dieser Debatte. Brandner, weiterer Abgeordneter und der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Fraktion der AfD SES 90/DIE GRÜNEN) (B) Restitution von Sammlungsgut aus kolo- Nachdem Ovaherero und Nama kapituliert hatten, wur- (D) nialem Kontext stoppen den viele brutal in Lager gesperrt. Die Zustände dort Drucksache 19/19914 waren katastrophal. Jeder Zweite starb an einer tödlichen Krankheit. Hugo Bofinger, der leitende Arzt in der Kolo- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien nie, führte auf der vermeintlichen Suche nach Heilmitteln rücksichtslose und oft tödliche Versuche an Gefangenen c) Beratung der Beschlussempfehlung und des durch. Er spritze ihnen Arsen, Opium und andere Sub- Berichts des Ausschusses für Kultur und stanzen. Viele starben auch hier qualvoll. Medien (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Marc Jongen, Dr. Götz All das war bewusste und gewollte Politik des Deut- Frömming, Martin Erwin Renner, weiterer schen Reiches. In deutschem Namen wurde massives Abgeordneter und der Fraktion der AfD Unrecht begangen. Es wurden Menschen unterworfen, Kulturen ausgebeutet und nahezu ausgelöscht. Die deutsche Kolonialzeit kulturpolitisch differenziert aufarbeiten All das ist Teil unserer Geschichte. Leider gibt es ver- Drucksachen 19/15784, 19/21345 Buchsta- einzelt immer noch den Irrglauben, Deutschland sei ja be a nicht ganz so schlimm gewesen wie andere Kolonial- mächte. Das ist absolut falsch und zeigt nur, wie über- Für die Aussprache wurde eine Dauer von 60 Minuten fällig es ist, dass wir uns all dem endlich stellen und es beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, umfassend aufarbeiten. Die Auseinandersetzung damit zügig die Plätze zu tauschen oder zügig die Plätze einzu- braucht einen festen Platz in unseren Schulbüchern und nehmen. – Wenn ich zügig sage, dann meine ich das auch. Lehrplänen. Bitte Platz nehmen, dann kann ich die erste Rednerin aufrufen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für Bünd- Abg. Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]) nis 90/Die Grünen Agnieszka Brugger. Meine Damen und Herren, wir werden das Unrecht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das geschehen ist, niemals ungeschehen oder irgendwie wiedergutmachen können. Es ist deshalb umso wichtiger, Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dass die Bundesregierung sich endlich offiziell für die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und begangenen Verbrechen entschuldigt und dafür Verant- Kollegen! Am 3. Mai 1904 wurde Lothar von Trotha zum wortung übernimmt, dass wir das Unrecht beim Namen Oberbefehlshaber der deutschen Truppen im damaligen nennen – ja, die Verbrechen an den Ovaherero und Nama, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24229

Agnieszka Brugger (A) das war ein Völkermord –, dass wir dieser Verantwortung Wir sehen es in der völlig unzureichenden Repräsentanz (C) nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten und finan- der Länder des Globalen Südens im Sicherheitsrat der ziell gerecht werden. Beides sind nur erste Schritte auf Vereinten Nationen. Und es zeigt sich leider auch, wenn dem Weg zur Aufarbeitung des kolonialen Unrechts. der offizielle Afrikabeauftragte der Bundesregierung Aber sie müssen die Messlatte für die Bundesregierung sagt – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –, die sein. europäische Herrschaft in Afrika habe „dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich habe sehr großen Respekt vor Herrn Polenz und NEN]: Unglaublich! – Heike Hänsel [DIE LIN- seiner wichtigen Arbeit. Aber der Regierungsdialog mit KE]: Unglaublich!) Namibia zieht sich nun schon sehr lange hin. Dieser muss Solche Aussagen stellen nicht nur die richtigen Bemü- möglichst bald zu einem Ergebnis kommen. Dafür ist es hungen der Bundesregierung infrage, die Kolonialverbre- dringend erforderlich, dass das Ergebnis auch auf namibi- chen ernst zu nehmen und aufzuarbeiten, sondern sie sind scher Seite breit getragen wird und dass auch die Nach- schlicht völlig inakzeptabel und geschichtsvergessen. fahren der Opfer hier eine größere Rolle spielen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Es war überfällig, dass sich die Koalition 2017 in Aus den Verbrechen der Kolonialzeit erwächst eine ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt hat, die Kolonial- besondere Verantwortung für unser Handeln heute. Das vergangenheit unseres Landes aufzuarbeiten. Bisher ist darf nicht länger nebensächlich sein, das muss einen leider zu wenig passiert. Den Großteil dieser extrem wichtigen Stellenwert auch in der deutschen Außenpoli- wichtigen Arbeit tragen Ehrenamtliche aus der Zivilge- tik erhalten. Ja, wir stehen am Anfang der Aufarbeitung, sellschaft: Sie haben maßgeblich dafür gesorgt, dass sich aber es tut sich endlich etwas. Wir wissen, wie viele bei der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit end- Menschen sich in der antirassistischen Arbeit engagieren, lich etwas tut. Sie machen aufmerksam auf Straßen, die wie viele die Black-Lives-Matter-Bewegung unterstüt- die Namen von Verbrechern tragen, statt über ihre Ver- zen, nicht nur in den USA, auch hier bei uns. brechen zu informieren. Sie machen Druck, damit (Dr. Marc Jongen [AfD]: Gewalttäter!) gestohlene Gebeine und geraubte Kunst zurückgegeben werden. Und sie zeigen eindrücklich, welchen Rassismus Auch wenn sich das Leid nicht wiedergutmachen lässt, viele Menschen in unserem Land auch heute noch täglich haben wir doch eine Pflicht und Verantwortung gegen- erdulden müssen. Dafür schulden wir ihnen aufrichtigen über den Opfern, eine Pflicht, das Schicksal der Opfer (B) Dank. sichtbar zu machen und jeden Tag daran zu arbeiten, (D) Ungerechtigkeiten im Heute zu beseitigen und gemein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sam eine bessere Zukunft zu bauen. sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Vielen Dank. Aber wir müssen sie auch endlich unterstützen mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) politischem Willen und den notwendigen Ressourcen und dürfen sie mit dieser Arbeit nicht länger alleine las- sen. Wenn unsere koloniale Vergangenheit geleugnet und Vizepräsidentin Claudia Roth: verdreht wird, wenn die schrecklichen Verbrechen, die in Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächster Redner: deutschem Namen begangen wurden, verharmlost wer- für die CDU/CSU-Fraktion Markus Koob. den und ihre Aufarbeitung lächerlich gemacht wird, (Beifall bei der CDU/CSU) dann schafft das nur noch mehr Nährboden für Rassis- mus, für sprachliche und körperliche Gewalt. Jeder Idiot, der sagt: „Schluss mit dem Schuldkult!“, bestärkt mich Markus Koob (CDU/CSU): deshalb nur noch mehr darin, wie dringend notwendig die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufarbeitung ist. Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es ist wahr, es hat viele Jahre gedauert, bis Deutschland sich nach der Auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeitung der jüngsten Geschichte um SED- und Nazi- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Diktatur nun verstärkt auch seiner Kolonialgeschichte zugewendet hat. Aber Deutschland steht zu seiner Ge- Meine Damen und Herren, natürlich ist es keine Auf- schichte und trägt selbstverständlich die historische Ver- gabe allein für Deutschland. Auch andere europäische antwortung für Unrecht in seinen ehemaligen Kolonien. Staaten haben bei der Aufarbeitung ihrer kolonialen Ver- Diese auch im deutschen Namen begangenen Kolonial- gangenheit noch einen weiten Weg vor sich. Diese Struk- verbrechen wurden von uns allzu lange verdrängt und turen wirken sich bis heute auf das ganze internationale sowohl gesellschaftlich als auch politisch nicht aufgear- System und auch auf die Diplomatie aus. Das muss sich beitet. endlich ändern. Wir sehen es bei Handelsabkommen, die Ungerechtigkeiten fortschreiben, statt die Interessen der Mittlerweile gehört der Wille zur Aufarbeitung deut- Länder des Globalen Südens zu berücksichtigen. scher Kolonialgeschichte aber zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland – mit Ausnahme der im (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wahrsten Sinne des Wortes rechten Seite dieses Hauses. SES 90/DIE GRÜNEN) Auch deshalb hat die Große Koalition durch die Staats- 24230 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Markus Koob (A) ministerinnen Grütters und Müntefering in dieser Wahl- Das ist genauso widerlich wie all das, was Sie auch sonst (C) periode mehrfach betont, dass die Aufarbeitung des zu unserer Geschichte verbreiten, Kolonialismus Deutschlands einen hohen Stellenwert (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- besitzt. Schon im Koalitionsvertrag wurde festgehalten, neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- dass die Koalition die kulturelle Zusammenarbeit mit SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marc Jongen Afrika verstärken und einen eigenen Kulturaustausch [AfD]: Das ist die Wahrheit!) befördern möchte. Dazu gehören insbesondere die Auf- arbeitung des Kolonialismus sowie der Aufbau von weshalb ich gar nicht mehr von meiner Rede- und Museen und Kultureinrichtungen in Afrika. Lebenszeit für Ihren Antrag verschwenden möchte. Wie aber die gründliche Aufarbeitung anderen Zum Ende meiner Rede möchte ich daher noch auf die Unrechts, das von Deutschland in Europa begangen wur- von den Grünen angesprochene Gedenkstätte zu sprechen de, ist auch die Aufarbeitung kolonialen Unrechts keine kommen. Natürlich kann man über eine Gedenkstätte Sache von Tagen und Wochen, sondern von Jahren und grundsätzlich reden. Meines Erachtens ist eine solche von Jahrzehnten. Die wissenschaftliche Aufarbeitung ist Gedenkstätte aber nicht der Beginn der Aufarbeitung, überaus komplex. Die Fragen zum Umgang mit Kultur- sondern der Endpunkt einer Aufarbeitung oder zumindest gütern sind nicht so einfach zu beantworten, wie sich das ein Zwischenpunkt. So war es beim Denkmal für die viele vorstellen. Es beginnt schon damit, dass nahezu in ermordeten Juden Europas oder dem Freiheits- und Ein- jedem Fall ein komplexes Geflecht aus Stammesnach- heitsdenkmal. Ein Mahnmal ohne vorherige wissen- fahren, heutigen staatlichen Repräsentanten, Privatper- schaftliche und vor allem gesellschaftliche Aufarbeitung sonen oder weiteren Ansprechpartnern vorhanden ist, ist ohne jede Funktion, wertlos für die Bevölkerung und sodass oft noch nicht einmal klar ist, an wen das Kultur- ist deshalb in meinen Augen nicht zielführend. Liebe gut überhaupt zurückgegeben werden könnte. Da haben Grüne, Ihr Antrag greift ein sehr wichtiges Thema auf, wir noch nicht einmal von der Klärung der Umstände aber Sie gehen meines Erachtens – zumindest zum jetzi- gesprochen, wie das jeweilige Kulturgut vor 130 Jahren gen Zeitpunkt – über das Ziel hinaus. eigentlich nach Deutschland gekommen ist. Bei diesem Der Bund und die Länder sind bereits mit der Umset- auch für die internationalen Beziehungen diffizilen, zung der notwendigen Aufarbeitung beschäftigt. Dabei hochbrisanten Thema verbieten sich daher schnelle und unterstützen wir sie als Deutscher Bundestag sehr gerne. pauschale Lösungen, da es um mehr geht als lediglich um Ich hoffe, dass wir hier auch in den nächsten Monaten ein materiell wertvolles Kulturgut: Es geht um die eigene und Jahren zu guten Ergebnissen kommen werden. Bei Identität, um Wunden und Respekt. Gesprächen gerade auch mit Kolleginnen und Kollegen aus Namibia, die ich in den letzten Jahren geführt habe, (B) Zweifellos muss Deutschland bei der Aufarbeitung (D) weiterhin aktiv bleiben. So muss die Provenienzfor- hat mich durch die Art und Weise, mit der sie mit dieser schung weiter verstärkt werden; denn wir brauchen Klar- Geschichte umgehen, jedes Mal wirklich tiefe Demut heit über die unterschiedlichen Herkunftsgeschichten der erfasst. Ich bin da wirklich sehr guter Dinge, dass wir Exponate, bevor wir sachgerechte Entscheidungen zum auch hier eine gemeinsame Lösung finden können. weiteren Umgang mit ihnen treffen können. Schon heute Vielleicht ist bei dem Thema, wie man hier eine fördert zum Beispiel das Deutsche Zentrum Kulturgut- gemeinsame Völkerverständigung erreichen kann, die verluste entsprechende Forschungsprojekte zur Aufarbei- Frage der Kulturgüter auch nicht allein entscheidend, tung mit 1,9 Millionen Euro. Auch die betroffenen sondern sind es auch solche Dinge wie zum Beispiel die Museen tun schon viel für die Aufarbeitung. So hat der Entsendung von Parlamentariergruppen, was von Nami- Deutsche Museumsbund einen Leitfaden zum Umgang bia ganz konkret eingefordert wird. Damit könnten wir mit Sammlungskunst aus kolonialen Kontexten vor- auch als Deutscher Bundestag vielleicht einen eigenen gelegt. Auch die vom Auswärtigen Amt geförderte Mu- Beitrag leisten, uns dieser Geschichte und der Verantwor- seumszusammenarbeit zwischen deutschen und vorwie- tung zu stellen. gend afrikanischen Ländern soll einen wichtigen Beitrag Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zur kulturellen Versöhnung leisten. Deutschland ist also auf einem guten Weg. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Bei den vorliegenden Anträgen von AfD und Bünd- GRÜNEN) nis 90/Die Grünen zu dieser Frage, die wir heute hier beraten, könnten die Zielrichtungen nicht unterschiedli- cher sein. Die AfD faselt von einer differenzierten Vizepräsidentin Claudia Roth: Betrachtung, die ich aber, wenn es konkret wird, beim Vielen Dank, Markus Koob. – Nächster Redner: für die besten Willen nicht erkennen kann. AfD-Fraktion Dr. Marc Jongen. (Beifall der Abg. Agnieszka Brugger [BÜND- (Beifall bei der AfD) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Dr. Marc Jongen (AfD): Stattdessen sprechen Sie von einer – ich zitiere – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Durch Instrumentalisierung musealen Sammlungsgutes zur unsere Schuld, durch unsere Schuld, durch unsere große Erreichung außenpolitischer Ziele, die mit einer aus- Schuld“ – das ist die Maxime grün-linker Gedächtnis- ufernden Schuldrhetorik im Hinblick auf die Kolo- politik, wie wir sie heute wieder eindrucksvoll vorgeführt nialzeit insgesamt orchestriert wird ... bekommen haben; die Antifa hätte es nicht besser sagen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24231

Dr. Marc Jongen (A) können. Es ist Ihr Verständnis von Geschichte, in der alle „Denn wenn die letzten die ersten sein sollen“ – schreibt (C) deutsche Staatlichkeit und Kultur konsequent auf das er weiter –, „so kann das nur als Folge eines entscheid- Dritte Reich und seine Verbrechen zuläuft; enden und tödlichen Zusammenstoßes der beiden Prota- gonisten geschehen.“ (Ulrich Lechte [FDP]: Da hatten wir doch kei- ne Kolonien mehr!) Jean-Paul Sartre sekundierte in atemberaubendem Zynismus: „von Schelling zu Hitler“, wie der Stalinist Georg Lukacs schon in den 50er-Jahren schrieb. Über diesen geistigen Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen auf Horizont sind Sie bis heute nicht hinausgekommen. Sie einmal treffen … Was übrig bleibt, ist ein toter haben nur geschickt seine hegemoniale Herrschaft ins Mensch und ein freier Mensch. intellektuell hilflose bürgerliche Lager hinein ausdehnen Das war schon 1961 der europäische Selbsthass linker können; das muss man Ihnen lassen. Prägung in Reinkultur, dessen Saat heute aufgeht im Form von solch giftigen Früchten wie Cancel Culture, (Beifall bei der AfD) (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Aber dieses undifferenzierte Schuldnarrativ in Bezug auf LINKE]) die gesamte deutsche Geschichte war damals schon falsch, und es bleibt heute genauso falsch. Denkmalstürze durch einen kulturlosen Mob und die offen gewalttätige Black-Lives-Matter-Bewegung – von (Beifall bei der AfD) Frau Brugger hier offen gelobt. Danke für diese Klarheit. Jetzt haben Sie die deutsche Kolonialzeit für die (Beifall bei der AfD) Erweiterung – wie Sie schreiben – Ihrer schuldbezogenen Gedächtnispolitik entdeckt, quasi als Vorstufe zum Holo- Diesen kulturrevolutionären Geist atmet auch Ihr An- caust. Ich zitiere aus Ihrem Antrag: „Diese Verbrechen trag. Eine zentrale Lern- und Erinnerungsstätte wollen wird Deutschland niemals ungeschehen oder auch wie- Sie errichten, aber nicht um deutsche Kolonialgeschichte dergutmachen können.“ differenziert aufzuarbeiten – wie im Antrag der AfD sehr wohl gefordert, Herr Koob –, Es geht Ihnen gar nicht um eine Versöhnung am Hori- zont, um einen Austritt aus dieser problematischen (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- Geschichtsepoche – es geht Ihnen in Wahrheit auch nicht NIS 90/DIE GRÜNEN) um die Menschen in diesen Ländern –: Sie wollen das sondern als Rahmen für die Anerkennung der deutschen kulturelle Erinnern quasi in einer traumatischen Endlos- Kolonialverbrechen. Was anderes soll den jungen Leuten (B) schleife festschreiben, um Ihre politisch interessierte dort eingetrichtert werden als Abscheu und Scham vor (D) Schuldbewirtschaftung bis in alle Ewigkeit fortführen der eigenen Kultur und Wehrlosigkeit gegenüber den zu können. immer dreisteren Versuchen, diese bis auf die Grund- (Beifall bei der AfD – Katharina Dröge mauern zu schleifen? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämt- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist eine heit!) traurige Rede!) Originell ist das nicht. Dass die Postkolonialisten ohne die europäische Philoso- phie und Kultur gar nicht die Sprache und die Begriffe Sie folgen dabei dem internationalen Trend des Post- kolonialismus. Die postkoloniale Ideologie ist ein not- hätten, um auf dieselbe loszugehen, dieser Gedanke ist Ihnen wohl noch nie in den Sinn gekommen. dürftig wissenschaftlich drapierter Politaktivismus, der seinen Hass auf alles Europäische, Westliche, Weiße – (Beifall bei der AfD – Zurufe von der LINKEN es gibt allen Ernstes auch schon Critical Whiteness Stu- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dies – nicht einmal zu verbergen versucht. – Weil ich Sie jetzt schon wieder „Revisionismus“ (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- schreien höre: Ganz im Gegenteil: Die AfD verteidigt NIS 90/DIE GRÜNEN) die Tradition der Aufklärung, die Sie in Wahrheit längst verlassen haben. – Hören Sie doch bitte mal zu! – Ich zitiere Frantz Fanon, einen Klassiker des Postkolonialismus (Zuruf der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Für uns sind alle Menschen mit der gleichen Vernunft begabt, und alle Argumente müssen sich vor dem Rich- – bitte schön, hören Sie zu! –: „Die Dekolonisation ist terstuhl der Vernunft verantworten. immer ein Phänomen der Gewalt …“. Sie „lässt durch alle Poren glühende Kugeln und blutige Messer ahnen“. – (Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Wir denken da vielleicht an aktuelle Ereignisse auf unse- Eine von vornherein vorgenommene Abwertung deut- ren Straßen, ja? scher, europäischer, weißer Sprecher, diese gruppenbezo- gene Menschenfeindlichkeit, um Ihren Jargon zu borgen, (Zuruf von der LINKEN: Gestern! – Katharina machen wir nicht mit. Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wovon reden Sie eigentlich genau?) Ich komme zum Schluss. 24232 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Marc Jongen (A) ( [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – klar, worum es ging: Macht und Geld. In Karikaturen von (C) Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: damals sieht man, wie Bismarck einen Kuchen mit der Endlich!) Aufschrift „Afrika“ in viele handliche Stücke schneidet. Deshalb fordern wir bis auf Weiteres einen Stopp der Lange haben wir uns in Deutschland der Illusion hin- Restitution von Sammlungsgütern aus kolonialen Kon- gegeben, wir seien aus der Kolonialzeit mit einem blauen texten; denn in diesem verhetzten kulturellen Klima ste- Auge davongekommen, die deutsche Kolonialzeit sei zu hen die Museen derzeit vor der Zumutung der Beweis- kurz gewesen, um wirklich großes Unheil anzurichten. lastumkehr. Diese alte Leier hört man bis heute. Das Problem ist: Die Platte hat einen Sprung. Vizepräsidentin Claudia Roth: Herr Kollege. (Beifall der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Dr. Marc Jongen (AfD): Die koloniale Herrschaft hat in vielen Ländern, gerade Das kann es nicht sein. in Afrika, tiefe Wunden hinterlassen, auch in den ehe- maligen deutschen Kolonien. Die Verbrechen, die deut- Vielen Dank. sche Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 an Here- (Beifall bei der AfD – [BÜND- ros und Namas begangen haben, würde man nach heute NIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! Peinlich! – geltender Rechtslage als Völkermord bezeichnen; das Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- habe ich 2018 bei meiner Reise nach Namibia auch ge- NEN]: Schlimm, dass es so etwas in unserem sagt. Land noch gibt!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vizepräsidentin Claudia Roth: FDP und der LINKEN und der Abg. Elisabeth Danke. – Das Wort hat als nächste Rednerin für die Motschmann [CDU/CSU]) Bundesregierung die Staatsministerin Michelle Müntefering. Deshalb bin ich dankbar, dass die Gespräche, die wir derzeit mit Namibia führen, von beiden Seiten in einem (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Geist des Respekts und der Zusammenarbeit geführt wer- den. Eines der wichtigsten Ziele dieser Gespräche ist ein Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärti- gemeinsames Verständnis dafür, was war und was aus der (B) (D) gen Amt: Geschichte folgen wird. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, was wir uns hier anhö- Die Beratungen – das wissen Sie – werden vertraulich ren müssen. geführt, aber man kann sagen: Wir sind bereits weit ge- kommen. Es geht dabei auch um die Frage, wie und in (Dr. Marc Jongen [AfD]: Ja, allerdings! So ist welchem Umfang Deutschland helfen kann, die Wunden das in einer Demokratie!) der Vergangenheit zu lindern. Lassen Sie mich dazu Niemand kann sagen, das Unrecht des Kolonialismus sei unterstreichen, was der Verband der an den Verhandlun- nicht von Anfang an bekannt gewesen. gen beteiligten Nama und Herero im August klargestellt hat – denn zuvor hatte es eine Reihe falscher Berichte (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem gegeben –: Zu keinem Zeitpunkt der Verhandlung hat BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutschland Namibia Wiedergutmachung in Höhe von nur 10 Millionen Euro angeboten. Ein solcher Betrag 1889 sprach August Bebel hier im deutschen Parlament würde der historisch-moralischen Verantwortung aus, was jeder sehen konnte – ich zitiere ihn –: Deutschlands in keiner Weise gerecht. – Ich sage von Im Grunde genommen ist das Wesen aller Kolonial- hier aus noch einmal Danke an , der die politik die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung Verhandlungen führt, und ich hoffe, dass wir es bald in der höchsten Potenz. … schaffen, sie abzuschließen.

(Beifall des Abg. Dr. [DIE (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, LINKE]) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Und das treibende Motiv ist immer, Gold, Gold und GRÜNEN) wieder nur Gold zu erwerben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen aufbre- Bebel hatte recht. chen in eine neue Zukunft. Wir wollen dazu beitragen, dass sich Ungleichheit auf der Welt verringert, die auch (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem eine Folge der Kolonialzeit ist. Wir wollen Rassismus BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- bekämpfen, auch bei uns in Deutschland. Es ist höchste ordneten der CDU/CSU) Zeit, dass wir unseren Nachbarkontinent jenseits von Kli- Fünf Jahre zuvor, fast auf den Tag vor 136 Jahren, schees und Stereotypen besser kennenlernen und Partner- teilten die europäischen Mächte auf der Kongo-Konfe- schaften für die Zukunft aufbauen. Dazu gehört auch, uns renz in Berlin die Welt unter sich auf. Auch hier war allen den blinden Flecken der Geschichte zu stellen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24233

Staatsministerin Michelle Müntefering im Auswärtigen Amt (A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ gramme, Freiwilligenprogramme und digitale Begegnun- (C) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gen, moderne Brieffreundschaften sozusagen, zwischen LINKEN) Schulklassen unterstützen? Wir sind in dieser Legislaturperiode gut vorangekom- Der Kolonialismus war keine Fußnote der Geschichte. men. Wir haben gemeinsam mit den Ländern und Kom- Wir stehen noch ziemlich am Anfang eines langen munen Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus Weges. Klar ist aber: Der afrikanische Kontinent hat Zu- kolonialen Kontexten verabschiedet und stehen in engem kunft in der Welt, und diese Zukunft können wir gemein- Austausch mit den Museen. Die gemeinsame Kontakt- sam meistern. Der beste Weg für unsere demokratische stelle von Bund, Ländern und Kommunen hat im August und offene Gesellschaft – da bin ich sicher – sind Wissen ihre Arbeit aufgenommen, und dabei geht es eben nicht und Zusammenarbeit. Und wenn ich das noch sagen darf: um ein Leerräumen deutscher Museen. Es geht um etwas Das gilt auch für die Bundesregierung. Frau Flachsbarth, ganz anderes, nämlich darum, festzustellen, welche Frau Grütters, ganz herzlichen Dank für die gute Zusam- Objekte es überhaupt gibt. Wir brauchen Transparenz. menarbeit der letzten Jahre und auf eine gute weitere Es muss erforscht werden, unter welchen Bedingungen Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Objekte nach Deutschland gekommen sind, und dort, wo (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sich herausstellt, dass sie unrechtmäßig erworben oder der CDU/CSU und des Abg. Ottmar von Holtz geraubt wurden, müssen sie natürlich zurückgegeben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) werden. Hier geht es besonders um menschliche Gebeine, wie wir sie beispielsweise 2018 nach Namibia zurück- bringen konnten. Vizepräsidentin Claudia Roth: Vielen Dank, Michelle Müntefering. – Nächster Red- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ner: für die FDP-Fraktion Ulrich Lechte. Die Frage nach unseren Beständen überwiegt derzeit (Beifall bei der FDP) übrigens deutlich gegenüber Rückgabeforderungen. Des- halb hat die digitale Erfassung Priorität. Darüber hinaus – wir haben es schon gehört – unterstützen wir als Aus- Ulrich Lechte (FDP): wärtiges Amt viele Kooperationsprojekte deutscher Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Museen und Wissenschaftseinrichtungen mit Institutio- Kollegen! Werte Zuschauer! Der Fraktion Bündnis 90/ nen in den Herkunftsländern, die darauf abzielen, Wissen Die Grünen möchte ich heute mal wieder ausnahmsweise und Transparenz zu schaffen. danken, (Beifall des Abg. Erhard Grundl [BÜND- (B) Wenn die AfD heute in ihrem Antrag fordert, Restitu- (D) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Katharina Dröge tion zu stoppen – und damit will sie nichts weiter, als [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Mal wieder“ einen Stopp bei diesem Thema zu setzen –, dann kann und „ausnahmsweise“ ist irgendwie ein Wider- ich dem nur entgegnen: Wir sind bereits mitten im Pro- spruch! Aber ist okay!) zess. Und so machen wir auch weiter. dass sie dieses wichtige Thema der Aufarbeitung kolo- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem nialen Unrechts auf die Tagesordnung gesetzt hat, noch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dazu mit einem solch breiten Ansatz, der ganz viele Poli- Das ist der klare Auftrag des Koalitionsvertrages von tikbereiche betrifft. Bisher haben wir uns meist mit der CDU, CSU und SPD. Aufarbeitung von einzelnen Aspekten kolonialen Un- rechts beschäftigt, siehe die Gräueltaten an den Herero, Mein Dank geht auch an die Grünen für den Antrag Nama und Damara in Namibia. Auch von meiner Seite heute und für die Gelegenheit, dieses Thema zu diskutie- dafür Dank an Herrn Polenz! Hoffentlich kommen wir da ren. Es ist gut, dass wir inzwischen offen über die Kolo- auch bald zu einem Abschluss. Für diese schrecklichen nialzeit diskutieren; denn viele Menschen wissen noch Gräueltaten müssen wir alle um Verzeihung bitten. viel zu wenig darüber. Und es gibt genug zu diskutieren: über Schulbildung, die Namen von Straßen und Plätzen (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ in unseren Städten, die Arbeit von Museen und Univer- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sitäten. Aber es darf eben kein Selbstgespräch im natio- CDU/CSU und des Abg. Dr. Martin Rosemann nalen Elfenbeinturm sein. Wir brauchen die Beteiligung [SPD]) der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, Kultur und natür- – Vielen Dank. lich auch der Länder mit Kolonialvergangenheit. Das war genau der Ansatz der Konferenz, die das Auswärtige Amt Zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts gehört aber letzten Monat organisiert hat. deutlich mehr. Zu lange war in Deutschland die Meinung verbreitet, dass das Deutsche Kaiserreich eine eher unbe- Sehr verehrte Damen und Herren, wir sollten auch die deutende Kolonialmacht gewesen sei. Aber das ist falsch. Rolle der deutschen Behörden während der Kolonialzeit Der Fläche nach war das Deutsche Reich 1914 das dritt- erforschen, und zwar insbesondere gemeinsam mit Wis- größte Kolonialreich, nach Großbritannien und Frank- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem globa- reich. Auch in deutschen Kolonien in Afrika, Ozeanien len Süden. Warum nicht auch mit einem der Länder, das und China gab es Verbrechen an der indigenen Bevölke- unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten hat, ein rung, und diesen Tatsachen müssen wir uns in vielen gemeinsames Schulbuch erarbeiten oder Austauschpro- Bereichen stellen. 24234 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Ulrich Lechte (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten landsreisen des Ministers dabei waren: Es waren drei (C) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Grüne und ein Linker – und das seit 2014! Das ist ein GRÜNEN und der Abg. Kathrin Vogler [DIE Skandal, den ich diesem Hohen Haus am Ende noch mal LINKE]) mitteilen möchte. Ein Beispiel dafür könnte – ich sage bewusst: „könn- Vielen Dank. te“ – die deutsche Entwicklungspolitik sein. Der zustän- dige Minister, Gerd Müller, hat Anfang dieses Jahres das (Beifall bei der FDP und der LINKEN) Reformkonzept „BMZ 2030“ vorgestellt. In diesem Papier werden Schwerpunkte der künftigen deutschen Vizepräsidentin Claudia Roth: Entwicklungszusammenarbeit dargestellt. Aber unsere Vielen Dank, Ulrich Lechte. – Nächste Rednerin: für historische Verantwortung gegenüber ehemaligen deut- die Fraktion Die Linke Kathrin Vogler. schen Kolonien wird da mit keinem einzigen Wort erwähnt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Das Thema spielte auch keine Rolle für die Auswahl Kathrin Vogler (DIE LINKE): der Länder – diese berühmte Länderliste –, in denen Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Deutschland bilaterale Entwicklungshilfe leisten will. und Kollegen! Meine Damen und Herren! Auch ich Und so verwundert es nicht, dass Palau, die Marshall- bedanke mich für den Antrag der Grünen. Er bietet viel inseln und Nauru – vielleicht haben viele auch hier im Futter für die Ausschussarbeit und die weitere Beratung, Haus noch nie davon gehört – nicht in dieser Länderliste und es steht viel Vernünftiges drin. auftauchen, obwohl dies Länder sind, mit denen uns eine Wie erschütternd tief wir selber noch im Sumpf des gemeinsame Kolonialgeschichte verbindet. Das gerät viel kolonialen Denkens stecken, das bewies der Afrikabeauf- zu oft in Vergessenheit. tragte der Bundesregierung, Günter Nooke, im Oktober Das BMZ, heute vertreten durch die Frau Parlamenta- 2018, als er in einem Zeitungsinterview sagte, der Skla- rische Staatssekretärin, reagierte bisher null Komma null venhandel sei zwar „schlimm“ gewesen, doch die europä- auf Hinweise der Opposition und verdrängt damit ische Herrschaft in Afrika habe „dazu beigetragen, den bewusst die deutsche Verpflichtung aus der kolonialen Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen“. Und da Vergangenheit, so zum Beispiel im Südpazifik. ist sie doch wieder: die rassistische, koloniale Ideologie vom weißen Mann, der wohltätig ordnend angeblich (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Heike unterlegenen Völkern seine Kultur bringt und sich dafür Hänsel [DIE LINKE]) (B) das Recht herausnehmen darf, fremde Länder auszubeu- (D) Zur Unterstreichung: Im vergangenen Jahr, 2019, war ten, fremde Völker zu unterjochen und jeden Widerstand ich auf Einladung der Außenministerin von Palau auf brutal zu unterdrücken; das ist es ja, was getan wurde. Palau. Zu meiner Überraschung wurde mir dort mitge- teilt, dass seit der Unabhängigkeit von den Vereinigten (Dr. Marc Jongen [AfD]: Tausend Jahre Skla- Staaten im Jahre 1994 ich der erste offizielle Besucher in venhandel!) diesem Land war. Das ist eine Schande. Das ist eine Verhöhnung der Millio- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber aus nen Opfer und ihrer Nachfahren. Deutschland!) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass wir es nach NIS 90/DIE GRÜNEN) 25 Jahren nicht geschafft haben, mal irgendjemanden von unserer Bundesregierung bei einer ehemaligen Kolo- Frau Merkel, ich wiederhole meine Forderung von vor nie vorbeizuschicken. Wahnsinn! zwei Jahren: Lösen Sie Herrn Nooke endlich ab! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. GRÜNEN) Dr. Christoph Hoffmann [FDP]) Wie wir schon gehört haben, haben diese Länder in der Dass die deutsche Außenpolitik bis heute nicht voll- UN-Generalversammlung und in vielen anderen Organen ständig und glaubwürdig mit dem kolonialen Erbe bricht, Stimmrecht. Und es stimmt übrigens völlig, dass der ist völlig inakzeptabel. Wenn etwa in den Afrikapoliti- Globale Süden in Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat schen Leitlinien der Bundesregierung festgestellt wird: grundsätzlich unterrepräsentiert ist. Das heißt, wir müs- „… die meisten afrikanischen Länder haben große Fort- sen auf diese Länder viel mehr Gewicht legen. schritte bei der Bewältigung von Herausforderungen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gemacht“, dann darf doch nicht darüber geschwiegen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) werden, dass ein Großteil dieser Herausforderungen zu tun hat mit Jahrzehnten der Ausplünderung und den bis Am Ende möchte ich noch ganz kurz etwas sagen, heute anhaltenden total ungerechten Wirtschaftsbezie- wenn ich schon über Entwicklungszusammenarbeit hungen. rede, auch wenn Gerd Müller heute nicht da ist. Es ist ein Skandal, liebes Entwicklungsministerium, dass seit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- 2014 genau vier Oppositionsparlamentarier auf Aus- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24235

Kathrin Vogler (A) Wir stehen heute in der Pflicht, nicht mehr mit dem Ges- ein Antikolonialdenkmal umgewandelt; meine Kollegin (C) tus der Überlegenheit, sondern mit Demut auf die afrika- aus nickt. Dieses Antikolonialdenkmal ist ein nischen Gesellschaften zuzugehen, um Vergebung zu bit- sehr großer Elefant, größer als ein lebender Elefant. ten und womöglich Wiedergutmachung zu leisten. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN]: Aber aus Stein!) und der Abg. Katrin Budde [SPD]) – Aus Stein, ja. – Ich bin aber nicht sicher, ob diejenigen, Die Einrede der Bundesregierung, der Völkermord an die sich da gerne treffen, wirklich wissen, dass es ein den Herero und Nama, aber auch der vielfältige Landraub Antikolonialdenkmal ist, weil sie die Geschichte nicht im Zuge des Kolonialismus seien völkerrechtlich kennen. Viele Kinder, Jugendliche, viele Menschen in betrachtet kein Unrecht, weil die Rechtsgrundlagen Deutschland kennen diese Geschichte nicht. Das müssen damals noch andere gewesen seien, überzeugt mich, ehr- wir zuallererst ändern. lich gesagt, überhaupt nicht. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: CDU, mal klat- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- schen!) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wenn das heutige Völkerrecht noch immer koloniale Ver- Die Kolonialgeschichte darf eben kein vergessener brechen legitimiert, dann muss es überarbeitet werden, Teil unserer Geschichte werden oder sein oder bleiben. um endlich auch die Perspektive der Opfer aufzunehmen. Rassismus allerdings, der untrennbar mit Kolonialismus verbunden ist, wird auch bei uns inzwischen sichtbarer. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Deshalb ist es gut – das sage ich auch in Richtung Grü- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ne –, dass wir heute über dieses Thema sprechen. In dem Antrag der Grünen vermisse ich eine Positio- nierung zu der schlimmsten Form der Fortsetzung des Oft hören wir, dass die anderen Kolonialmächte – das kolonialen Unrechts in der heutigen Zeit, zu den Militär- ist hier auch schon angeklungen – viel schlimmer waren einsätzen, etwa in der Sahelzone, wo die Bundeswehr als die Deutschen, weil sie eine viel längere Kolonialge- mithilft, Frankreichs Zugriff auf die Uranvorkommen schichte haben. Aber Deutschland besaß – auch das ist zu sichern und die militarisierte Flüchtlingsabwehr der angeklungen – in territorialer Hinsicht das drittgrößte Europäischen Union vom Mittelmeer bis tief in den Kon- Kolonialgebiet und das viertgrößte in Bezug auf die tinent hineinzuverlagern. Verantwortung für koloniales Bevölkerung. Und der Zeitabschnitt kann ja keine Aus- Unrecht, das heißt für uns: Truppen abziehen, gerechte kunft darüber geben, wie grausam unsere Geschichte mit (B) Wirtschaftsbeziehungen ermöglichen, Friedensprozesse den Kolonialländern war. (D) zivil unterstützen und nicht, wie die Fraktionsvorsitzende der Grünen vorschlägt, Militär sogar ohne Mandat des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UNO-Sicherheitsrates einsetzen. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) Die Verbrechen sind ja genannt worden. Zehntausende von Menschen haben sie das Leben gekostet, Herero und Vizepräsidentin Claudia Roth: Nama; auch das ist angeklungen. Ja, Deutschland war nicht die größte Kolonialmacht und war nicht am längs- Vielen Dank, Kathrin Vogler. – Ja, Maske tragen. Das ten in den Kolonien; aber das darf nicht dazu führen, dass gilt auch für Sie, ernsthaft; da gibt es nichts zu fackeln. wir unsere Hände in Unschuld waschen und so tun, als Nächste Rednerin: für die CDU/CSU-Fraktion ginge uns das Thema nichts an. Elisabeth Motschmann. Es ist daher richtig, dass wir uns im Koalitionsvertrag (Beifall bei der CDU/CSU) darauf verständigt haben, die kulturelle Zusammenarbeit mit Afrika zu verstärken und einen stärkeren Kulturaus- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): tausch zu ermöglichen. Davon profitieren übrigens auch Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wir sehr. Es ist ja nicht so, dass wir belehrend in die Liebe Frau Kollegin Vogler, Truppenabzug aus ehemali- Länder gehen und sagen: „Jetzt wollen wir euch mal gen Kolonien bedeutet nicht Frieden, sondern es bedeu- sagen, wie ihr richtig mit Kulturgut umgeht“, sondern tet, dass wir diese Völker dem Terrorismus überlassen. das ist ein unglaublich bereichernder Kultur- und Wissen- Wenn Sie das besser finden, dann sage ich: Das ist keine schaftsaustausch. Es ist daher richtig, dass wir die Auf- gute Aufarbeitung. arbeitung in den vergangenen Jahren aufgenommen (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ist da jetzt weni- haben. Wir brauchen uns da nicht zu verstecken. Ich ger Terrorismus? Ist da jetzt weniger Gewalt?) danke ausdrücklich Monika Grütters dafür, dass sie dies zum Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht hat. In Deutschland scheinen die Spuren des Kolonialismus auf den allerersten Blick völlig ausgelöscht. Auf den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zweiten Blick sehen wir viele Straßen und Plätze, die nach Kolonialherren und Kaufleuten benannt sind, übri- Wahrscheinlich könnten die meisten von uns gar nicht gens auch in meinem Wahlkreis Bremen. Bremen hat aufzählen, was wir schon alles machen. Ich will mal vier etwas gemacht, was viele gar nicht wissen, auch in Bre- Punkte nennen, die wahrscheinlich keiner von euch auf men nicht. Wir haben ein Reichskolonialehrendenkmal in Anhieb runterrattern könnte: 24236 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Elisabeth Motschmann (A) Erstens. Michelle Müntefering hat es genannt: Bund, (Ansgar Heveling [CDU/CSU]: So ist das (C) Länder und Kommunen haben die ersten Eckpunkte zum Leben!) Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten als – So ist das Leben. – Oder Sie machen einen Deal mit gemeinsame Arbeitsgrundlage verfasst. Herrn Ullrich. Zweitens. Im August dieses Jahres hat die Kontakt- (Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ich bin der stelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Letzte!) Deutschland bei der Kulturstiftung der Länder ihre Arbeit aufgenommen. Monika Grütters hat das sehr befördert. – Sie reden also weniger. Gut. Drittens. Im nächsten Jahr haben wir im Bundeshaus- Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Petr Bystron. halt einen eigenen Haushaltstitel für koloniales Kultur- (Beifall bei der AfD – Ulrich Lechte [FDP]: gut. Maske richtig aufsetzen! Immer provozieren! Viertens. Das Humboldt Forum, das wir bald eröffnen, Geht nicht anders! – Unruhe) wird dem Thema Kolonialismus viel Raum geben. Darüber hinaus erwähne ich nochmals meine Heimat- Petr Bystron (AfD): stadt Bremen: Das Übersee-Museum forscht seit Langem Liebe Frau Präsidentin! zu diesem Thema, und darauf sind wir auch stolz. Die Rückgabe von ausgewählten Exponaten an die Vizepräsidentin Claudia Roth: Herkunftsstaaten ist eine nötige Maßnahme und auch Wir möchten Sie bitten, Herr Bystron, die Maske rich- längst überfällig. Ein vertiefter Dialog mit den tig aufzusetzen. – Nein, das wird Ihnen nicht von der Herkunftsländern, gemeinsame Forschungsprojekte und Redezeit abgezogen. Unser Dialog kostet nichts. – Bitte ein besserer digitaler Zugang zu den Sammlungen der tragen Sie die Maske so, dass sie auch einen Sinn macht, ethnologischen Museen sind genauso wichtig. also auch über der Nase. Denken Sie beim Zurückgehen daran. Wir halten uns ja alle dran. – Danke schön. Vizepräsidentin Claudia Roth: Petr Bystron (AfD): Frau Kollegin. Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kol- legen! Als ich mit 16 Jahren als Flüchtling aus der Tsche- Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): choslowakei nach Deutschland kam, passierte mir Fol- Ich muss aufhören. gendes: In der ersten Woche in der Schule kam ein (B) Mitschüler auf mich zu und sagte: Petr, bitte entschuldi- (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: ge! – Da hab ich gesagt: Volker, was ist los? Hast du mein Ja. Fahrrad im Hof umgestoßen, oder was? – Er sagte: Nein, wegen dem Zweiten Weltkrieg. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (Zuruf von der CDU/CSU: Schlecht erfunden!) Ja, aber nur ungern. Ich hab das überhaupt nicht verstanden. Ich habe es nicht (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD, der verstanden. FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. [SPD]: Das glaube ich! – Zurufe von der LINKEN und dem BÜND- Vizepräsidentin Claudia Roth: NIS 90/DIE GRÜNEN) Das kann ich verstehen. Sie können ja weiterreden, Sie machen hier heute dasselbe: Sie wollen sich bei dann reden Ihre Kollegen halt weniger. Menschen entschuldigen, die gar keine Entschuldigung erwarten. Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das Ich darf noch einen letzten Satz sagen. – Was Sie wol- überlassen Sie mal den Menschen!) len, geht gar nicht. Die Koalition hat das Thema auf die Niemand erwartet von uns eine Entschuldigung, und nie- Tagesordnung gesetzt und wird es auch in Zukunft behan- mand erwartet die Rückgabe von Kulturgütern. Das deln. Das ist der Geist guter internationaler Zusammen- bestätigt der Autor Werner Bloch im Deutschlandfunk, arbeit. der mit vielen afrikanischen Museumsexperten gespro- (Ulrich Lechte [FDP]: Das ist ein Grünenantrag chen hat. Ich zitiere: „Viele sind sehr kritisch gegenüber gewesen!) einer Rückgabe.“ Etliche lehnten sie sogar rundweg ab. Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit. Nicht nur Experten, auch viele afrikanische Regierungen sind gar nicht daran interessiert, die Gegenstände zurück- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zubekommen. Zitat: „Es findet sich dort oft wenig Inte- ordneten der SPD) resse für Kulturpolitik.“ Da ist die Frage angebracht: Woher kommt denn über- Vizepräsidentin Claudia Roth: haupt diese Diskussion? Die Antwort liefert ein schwar- Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Das war jetzt zer Ökonom, nämlich Thomas Sowell. Er sagt zu der deutlich drüber. Herr Heveling, Sie kürzen Ihre Redezeit? aktuellen Antirassismusdiskussion: Es sind vor allem Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24237

Petr Bystron (A) weiße Linke, die sich in Wahrheit nicht um das Wohlbe- des Abg. Christian Petry [SPD]: Was richtig (C) finden von schwarzen Menschen scheren. Sie sind ledig- ist, ist richtig! – Gegenrufe von der AfD) lich daran interessiert, sich in der Öffentlichkeit als mora- lisch bessere Personen darzustellen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Jetzt ist Ruhe! Nächster Redner – – Dr. [SPD]) (Zurufe von der AfD) Ich glaube, Frau Brugger, er hat Sie gemeint. Sie sind Jetzt ist Ruhe! Ich werde das überprüfen. Darauf können das beste Beispiel dafür, liebe Agnieszka. Sie sich verlassen. -Nächster Redner für die SPD-Frak- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: tion: Helge Lindh. „Frau Brugger“ ist schon in Ordnung!) (Beifall bei der SPD) Sie haben hier gerade ein kolossales Eigentor geschossen, indem Sie die Schandtaten von von Trotha als Ausdruck Helge Lindh (SPD): der deutschen Kolonialpolitik dargestellt haben, die auf Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassismus beruht habe. Aber genau das Gegenteil ist der Wo Barbara Hendricks recht hat, hat sie recht. Fall: von Trotha wurde im Deutschen Reich für sein Ver- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem halten verurteilt. Man hat ein Verfahren gegen ihn einge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) leitet, und das Massaker, das er angerichtet hat, wurde vom Deutschen Reich abgelehnt. Abgesehen davon haben Sie, Herr Dr. Jongen, und Sie, Herr Bystron, und die AfD es wieder mal geschafft, zu (Beifall bei der AfD) beweisen, dass Freud damit recht hatte, dass die Psycho- Ihre Herangehensweise ist gerade in der heutigen analyse funktioniert; denn wer derart von einer traum- Debatte absolut fatal. Die Fraktion der AfD fordert daher atisierten Endlosschleife spricht und so oft von Schuld eine differenzierte Aufarbeitung der deutschen Kolonial- und Verantwortung, der hat offensichtlich ein solches zeit, verbunden mit einer unabhängigen Betrachtung der Trauma, einen Schuldkomplex sowie einen massiven Erinnerungskultur, ohne Beeinflussung von zeitgeistigen, Minderwertigkeitskomplex. Anders ist das nicht erklär- sogenannten antirassistischen Bewegungen, sprich: lin- bar. ker Ideologien und Bewegungen wie #BlackLivesMatter. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Das (Beifall bei der AfD – Zuruf des Abg. Erhard ist Projektion, was Sie da machen!) Grundl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir müssen aber deutlich machen, dass Kolonialismus (B) kein abstraktes Phänomen ist, sondern ganz konkrete Fol- (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: gen hatte und hat: für Menschen in der Vergangenheit und Denken Sie an die Redezeit? Die ist nämlich rum. für Menschen in der Gegenwart. Er hat Folgen in den Herkunftsgesellschaften, aber auch hier; denn die post- kolonialen Strukturen leben hier weiter und sind zutiefst Petr Bystron (AfD): verwoben mit aktuellem Rassismus. Das ist jetzt gerade die halbe Minute. Zugleich ist Kolonialismus der Gegensatz von Demo- kratie und mit ihr nicht vereinbar. Deshalb darf man hier Vizepräsidentin Claudia Roth: nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern muss Ja, voran, voran! Letzter Satz. deutlich machen, dass das, was die AfD gerade eben, aber auch gestern im Parlament und im Einlassgebaren in Petr Bystron (AfD): Bezug auf die Liegenschaften des Parlaments vorgeführt Der Kollege Lindh hat so viel Wumms – ich bin sicher, hat, ein zutiefst undemokratisches und zugleich kolonia- er kommt bei seiner Rede auch mit fünf Minuten aus und les Gehabe ist. Sie gehen mit diesem Parlament um wie schenkt mir eine Minute, oder? die übelsten, dummdreisten Kolonialisten. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der AfD – Vizepräsidentin Claudia Roth: Dr. Götz Frömming [AfD]: Jetzt verharmlosen So, Herr Bystron, entweder Sie sagen jetzt noch einen Sie aber die Kolonialisten!) Satz, oder das war’s. Danke schön. Darüber hinaus – – (Zurufe von der AfD) Petr Bystron (AfD): Okay, danke. – Regen Sie sich doch nicht auf! Ich weiß – Ihre Auf- regung ist die beste Bestätigung –: Ich habe den wunden (Beifall bei der AfD) Punkt getroffen, wie so üblich. Darauf kann man sich verlassen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Für Sie inte- Danke schön. Und bitte die Maske aufsetzen. Danke ressiert sich kein Mensch, Herr Lindh!) schön, Herr Bystron. Kommen wir jetzt zu der Beweisführung, zu Ihrem (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Der ist leider Schuldkomplex. Das ist in dem Fall thematisch genau immer so! Das ist ein Faschist! – Gegenruf passend; denn eine Reise ins Herz des Kolonialismus, 24238 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Helge Lindh (A) über den wir sprechen, ist hier gleichbedeutend mit einer Helge Lindh (SPD): (C) Reise in die Hirne der AfD. Sie haben mit Ihren beiden Ich habe ja das Prinzip, dass ich immer gerne Zwi- Anträgen nichts anderes getan, als mustergültig vorge- schenbemerkungen erlaube, – führt, wie koloniales Denken funktioniert. (Zuruf von der AfD) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja oder nein? Schauen wir uns das mal an: Sie schreiben da ernst- haft – und das ist keine Satire von Böhmermann; ich dachte zuerst, die beiden Anträge hätte Böhmermann Helge Lindh (SPD): geschrieben; aber sie sind von Ihnen –, man müsse die – weil das auch eine Lernerfahrung für Herrn Hampel Kolonialzeit doch auch differenziert – differenziert! – ist, die ich ihm dann gleich bieten werde. Deshalb: sehr betrachten. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass Sie gerne. bei Diskussionen über den Islamismus oder über den Linksextremismus einmal gesagt hätten, man müsse das Vizepräsidentin Claudia Roth: differenziert betrachten. Da haben Sie vielmehr jeden Hätten Sie auch mit Ja oder Nein beantworten können. angegriffen, der versucht hat, etwas nuanciert oder detail- So, Herr Hampel. liert zu sagen. Plötzlich aber fordern Sie eine differen- zierte Betrachtung. (Heiterkeit – Zuruf von der SPD: Das kann er Darüber hinaus steht an mindestens drei Stellen in den nicht!) Anträgen, man solle auch – ich zitiere – die gewinnbrin- genden Seiten des Kolonialismus deutlich machen – die Armin-Paulus Hampel (AfD): gewinnbringenden Seiten! Die Einzigen, die daran einen Herzlichen Dank, Herr Kollege, für die Möglichkeit, Gewinn hatten, waren die Kolonialisten; die Opfer aber Ihnen eine Frage zu stellen. – Der Name von Trotha ist fühlen sich durch solche Ausdrücke zutiefst gedemütigt hier schon gefallen; das ist in der Tat ein dunkles Kapitel und verachtet. Schämen Sie sich für solche Formulierun- der deutschen Kolonialgeschichte, obwohl es, wie der gen! Kollege Bystron schon sagte, rechtlich geahndet wurde. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der AfD: Das Selbst ein Militär wie der General von Lettow-Vorbeck ist doch unter Ihrem Niveau!) hat nach dem Ersten Weltkrieg in seinem Buch über Und es geht noch weiter: Das, was Frau Müntefering Afrika geschrieben, er sei schon während des Krieges und andere so eindrucksvoll geschildert haben, das, was zu der Erkenntnis gekommen, dass man die afrikanischen (B) (D) man nicht anders als als Genozid bezeichnen kann, das Staaten möglichst schnell in die Unabhängigkeit entlas- nennen Sie – ich zitiere – „unverhältnismäßige Härten“. sen soll. Ich glaube, das hat keine andere Kolonialmacht Unverhältnismäßige Härten – was würden Sie denn zu dem Zeitpunkt angemerkt. Es gibt noch einige andere sagen, wenn wir über Terrortaten sprächen und sagten, Beispiele dafür in der deutschen Kolonialgeschichte. das seien unverhältnismäßige Härten? Sie würden explo- Worauf ich hinaus möchte, lieber Herr Lindh, ist Fol- dieren vor Wut. Das ist eine zutiefst inakzeptable Ver- gendes: Ich höre ganz viel über die Kolonialmächte; ich harmlosung des Kolonialismus und dieser Verbrechen glaube aber, die Deutschen sind die Letzten, die sich gegen die Menschlichkeit. darüber Gedanken machen müssen. Briten und Franzosen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem haben, so glaube ich, eine ganz andere Geschichte aufzu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- arbeiten als wir. ordneten der CDU/CSU) Eine Region lassen Sie aber immer völlig außer Acht, Sie hören damit aber nicht auf. Sie zeigen mustergültig und dahin geht meine Frage. Haben Sie schon einmal die genau, wie Kolonialismus funktioniert. Was war Kolo- arabischen Staaten aufgefordert, ihre Geschichte aufzu- nialismus? Das war Unterdrückung, Demütigung, Ermor- arbeiten? Diese haben über 500 Jahre lang Sklavenjagd in dung von Menschen aus ökonomischen Gründen und Afrika betrieben, bis in das Herz von Afrika hinein, und aufgrund kultureller Hegemonialansprüche. Das Ganze haben ein Drittel einer jeden Generation weggefangen wurde dann noch verbrämt mit der Überzeugung, man und versklavt. würde diese Länder entwickeln, man selbst sei auf einer (Zurufe von der LINKEN) höheren Stufe der Zivilisation. Diese Verbrämung präsentieren Sie auch wieder gran- Habe ich schon einmal von Ihnen gehört, dass die arabi- dios, indem Sie sinngemäß darauf hinweisen, dass die schen Staaten aufgefordert werden, diese Geschichte auf- Herkunftsgesellschaften gar nicht in der Lage wären, zuarbeiten? die Artefakte genügend zu betreuen. Ein Argument dafür, dass nicht restituiert werden soll – das muss man sich auf Vizepräsidentin Claudia Roth: der Zunge zergehen lassen –, ist ja – – Die Frage ist angekommen. – Herr Lindh. (Katrin Budde [SPD]: Sind wir hier in einem Vizepräsidentin Claudia Roth: afrikanischen oder arabischen Parlament?) Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Hampel? – Jetzt ist Herr Lindh dran. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24239

(A) Helge Lindh (SPD): sen haben, was Sie nie besitzen werden – diese Frage (C) Ganz ruhig bleiben! – Ich muss bestätigen, was ich angehen. Es wird uns gelingen, den Kolonialismus auf- eben gesagt habe: Ich danke für die Frage, weil Sie das zuarbeiten und den Kolonialismus in Gestalt der AfD aus gebracht haben, was ich erwartet habe. Das war eine diesem Parlament künftig zu vertreiben. wunderbare Vorlage, Sie noch einmal in Ihrer argumen- Ich danke Ihnen. tativen Ärmlichkeit bloßzustellen. Das mache ich gerne. Erstens ist es ein ziemlich dürftiges Argument, von (Beifall bei der SPD) einem Massenmord und von Gewalt abzulenken, indem man darauf hinweist, die anderen hätten auch Gewalt Vizepräsidentin Claudia Roth: angewendet. Ist das erwachsen? – Nein, das ist wirklich Vielen Dank, Kollege Helge Lindh. – Nächster Red- kein erwachsenes Argument, also können Sie das nicht ner: für die FDP-Fraktion Hartmut Ebbing. ernsthaft so meinen. (Beifall bei der FDP) Zum Zweiten. Ich wäre ganz vorsichtig bei Urteilen von deutscher und europäischer Seite über arabische Staaten. Um einen Einstieg in den postkolonialen Diskurs Hartmut Ebbing (FDP): zu finden, empfehle ich Ihnen als Lektüre etwa „Orienta- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und lismus“ von Edward Said. Er beschreibt, wie unser Bild Kollegen! Vor gut einem Jahr forderte die AfD noch, die des arabischen Raumes – Ihres ganz besonders – durch deutsche Kolonialzeit kulturpolitisch differenziert aufzu- zutiefst koloniales, rassistisches Denken geprägt ist. Im arbeiten. Übrigen: Die Verhältnisse im arabischen Raum – mit (Sebastian Münzenmaier [AfD]: Meine Rede!) allen Folgen, aller Gewalt – sind auch maßgeblich durch Auch wenn Ihr damaliger Antrag schon vor Unwahrhei- europäische, eurozentristische Politik und dortige Grenz- ten und gezieltem Populismus strotzte, weswegen wir als ziehungen ermöglicht worden. Das heißt, Ihr Argument FDP ihn auch abgelehnt haben, versuchten Sie damals zielt auf Sie zurück: Wenn Sie von der Gewalt im arabi- noch, Ihre Verherrlichung des deutschen Kolonialismus schen Raum sprechen, sprechen Sie von europäischer und Ihre Verachtung der Herkunftsgesellschaften ansatz- Gewalt. weise zu kaschieren. Davon ist in Ihrem heutigen Antrag (Dr. [AfD]: Null Ahnung!) nichts mehr zu spüren. Jetzt fordern Sie nicht nur einen Vielen Dank, dass Sie auf diese Verbrechen, die auch pauschalen Stopp jeglicher Restitutionen und ziehen sich in den kolonialen Zusammenhang gehören, noch einmal auf das unwürdige Argument der Verjährung zurück, son- hingewiesen haben. Ich danke Ihnen. dern Sie versteigen sich auch noch in wilde Verschwö- (B) rungstheorien, wonach Deutschland und Frankreich (D) Restitutionen gezielt nutzen würden, um – ich zitiere – Vizepräsidentin Claudia Roth: „im ‚Großen Spielʼ um Afrika gegenüber asiatischen Kommen Sie zurück zu Ihrer Rede, Herr Lindh. Mächten oder anderen ausländischen Konkurrenten an Einfluss zu gewinnen.“ Das ist wirklich grotesk. Helge Lindh (SPD): (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kommen wir nach diesen erweiternden und das ganze des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bild noch abrundenden Ausführungen von Herrn Hampel zurück zum Thema. Sie haben – ich war dabei, es deutlich Man kann bei der Rückgabe von Sammlungsgut aus zu machen – selbst mustergültig vorgeführt, was Kolo- kolonialen Kontexten durchaus verschiedener Meinung nialismus bedeutet. In Bezug auf Rückgabe von Human sein, was die Dimension und die Art und Weise der Rück- Remains, von Artefakten sagen Sie – ich zitiere; denn Sie gabe anbelangt. Selbst über eine Beweislastumkehr, wie müssen sich an Ihren Worten messen lassen –, die deut- es die Grünen fordern, kann man zumindest diskutieren; sche Regierung müsse den Herkunftsgesellschaften ver- aber eine pauschale Verweigerung jeglicher Restitutions- deutlichen, dass die Rückgabe von Kulturgütern nur in ansprüche, wie die AfD es fordert, ist nicht nur anachro- Ausnahmefällen gewährt wird. nistisch und weltfremd, sondern bringt uns auch vor allem keinen einzigen Schritt voran. Gnadenvoll – so Ihr Verständnis – gewährt der deut- sche Staat in Ausnahmefällen den Opfern von Unterdrü- (Dr. Marc Jongen [AfD]: Rechtssicherheit!) ckung, den Opfern von Massenmord, den Opfern von In klaren Fällen muss selbstverständlich restituiert Gewalt Rückgabe. Das ist die Perfektionierung kolonial- werden; aber auch dafür braucht es verbindliche Rah- istischen Denkens. Wie kann man ernsthaft nach all der menbedingungen. Daher fordern wir als FDP zunächst Gewalt, nach dieser Vorgeschichte die Opfer, die beraubt eine breitgefächerte Erforschung der Bestände in den wurden, die noch heute darunter leiden, in Form dieser deutschen Museen mit einer gleichzeitigen Digitalisie- Belehrung erniedrigen und deutlich machen: „Nur wenn rung. Bei klaren Fällen fordern wir entweder Rückgabe wir uns gnadenvoll ihrer erbarmen, könnten sie einzelne der Gegenstände oder das Finden von fairen und gerech- Kunstwerke womöglich zurückbekommen“? ten Lösungen mit den Herkunftsländern. Bei Streitfällen Nein, das ist nicht unser Verständnis von Aufarbeitung soll eine dafür eingesetzte Ethikkommission entscheiden, des Kolonialismus. Wir werden kontinuierlich und auf ob und vor allen Dingen an wen ein Objekt gegebenen- eine andere Weise, nämlich in Kooperation mit den Her- falls zurückgegeben werden soll. Diese Ethikkommission kunftsgesellschaften und mit einer Abgabe von Kontrol- muss natürlich auch mit Mitgliedern der Herkunftsländer le, mit einer Haltung von Demut – das, was Sie nie beses- besetzt werden. 24240 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Hartmut Ebbing (A) (Zuruf des Abg. Dr. Harald Weyel [AfD) Es stimmt, dass wir uns in Deutschland lange nicht (C) ausreichend mit diesem Teil unserer Geschichte ausei- Klar muss aber auch sein, dass wir nur dann restituie- nandergesetzt haben und dass der deutsche Kolonialis- ren, wenn die Herkunftsstaaten die Prinzipien der mus auch in unserem historischen Gedenken kaum eine UNESCO-Konvention zum Schutz des Kultur- und Rolle gespielt hat; hier pflichte ich dem Antrag von Naturerbes anerkennen und aktuell – analog zur Haager Bündnis 90/Die Grünen ausdrücklich im Grundsatz bei. Konvention – nicht in Kriegs- und Konfliktregionen lie- Wo ich aber ausdrücklich widerspreche, ist, den Eindruck gen. Das Wichtigste ist jedoch, dass wir nicht in eine Art zu erwecken, wir würden uns immer noch nicht ausrei- Neokolonialismus verfallen und einfach einseitig Regeln chend differenziert bis mitunter überhaupt nicht mit dem festsetzen, weil wir mal wieder glauben: Wir alle wissen Thema der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus im es besser. – Es ist essenziell, dass wir gemeinsam mit den Allgemeinen bzw. kulturpolitisch mit Sammlungsgut aus Herkunftsgesellschaften faire und gerechte Lösungen auf kolonialen Kontexten im Speziellen befassen. Augenhöhe finden. Die Forderungen der vorliegenden Anträge sind dabei Vielen Dank. bekannt; in ähnlicher Form lagen sie alle mindestens ein- (Beifall bei der FDP) mal bereits vor. Es wird wieder der Eindruck erweckt, Deutschland komme seiner Verantwortung nicht nach, Vizepräsidentin Claudia Roth: stehe nicht im internationalen Dialog mit den Betroffe- nen. In Bezug auf das angesprochene Sammlungsgut Vielen Dank, Hartmut Ebbing. – Nächster Redner: mit wird suggeriert, es handele sich bei allen Exponaten, voller Redezeit für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar von denen wir sprechen, um ein und dieselbe Objekt- Heveling. gruppe sowie um ein und dieselbe Herkunftsgesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU) Daraus erwächst auf der einen Seite die Idee einer grund- sätzlichen Restitution, ohne die Provenienz vorher weiter zu klären, oder auf der anderen Seite gar der aus heutiger Ansgar Heveling (CDU/CSU): Sicht grotesk anmutende Gedanke, kein einziges kolonia- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! les Gut mehr zu restituieren. Dass beides zu kurz greift, Die zwingend notwendige Frage der Provenienz ist wissen wir nicht erst seit dem Diskurs um die Säule von die Voraussetzung für museale Präsentation oder Cape Cross. Restitution. Bei genauer Betrachtung ist allerdings Seitdem wir uns im Koalitionsvertrag zur Aufarbei- die Frage nach dem Umgang mit den Objekten, tung der deutschen Kolonialgeschichte explizit bekannt deren Provenienz geklärt ist, der Punkt, wo die Dis- haben, ist einiges geschehen. Es gibt die ersten Eckpunk- kussion wirklich interessant wird. Hier geht es dann (B) te zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kon- (D) nicht mehr um die Frage der Klärung von Prove- texten. Es gibt die Kontaktstelle für ebendieses. Es gibt nienzen, sondern um den Umgang mit musealen einen zusätzlichen Etat beim Deutschen Zentrum Kultur- Objekten vor dem Hintergrund dessen, was man gutverluste zur Erforschung von Provenienzen. Es gibt jeweils als historisch gerecht einschätzt. eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, und es gibt die Digita- Unter anderem mit diesen Worten eröffnete der Präsident lisierung der Bestände und vieles mehr. des Deutschen Historischen Museums, Professor Raphael Ich sage nicht, dass alles getan ist. Die Aufgabe der Gross, im Juni 2018 das Symposium „Die Säule von Auseinandersetzung mit der deutschen und europäischen Cape Cross – Koloniale Objekte und historische Gerech- Kolonialgeschichte bleibt eine ausdauernde. Für unsere tigkeit“, ein Symposium über den Umgang mit derjeni- Entwicklung als Gesellschaft müssen wir sie sehr ernst gen Wappensäule, die im Jahr 2006 noch wenig promi- nehmen. In diesem Sinne freuen wir uns auf weitere kon- nent, wenig beachtet und ohne Kontextualisierung in der struktive Gespräche. Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums zu finden war. Vielen Dank. 13 Jahre, ein Rückgabeersuchen aus Namibia und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulla einen beispielhaften kulturellen wie politischen Dialog Schmidt [Aachen] [SPD]) zwischen den Nationen später ist die Säule nun, wenn auch noch nicht in voller Gänze, seit dem vergangenen Vizepräsidentin Claudia Roth: Jahr restituiert. Ich darf Professor Gross an dieser Stelle Vielen Dank, Ansgar Heveling. – Die nächste Redne- noch einmal zitieren mit den Worten: rin: für die Fraktion Die Linke Eva-Maria Schreiber. Zur historischen Urteilskraft gehört aber diese (Beifall bei der LINKEN) Fähigkeit, sich der eigenen Wertung bewusst zu werden. Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Und so steht die Chronologie der Säule von Cape Cross Geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! wie mittlerweile eine Vielzahl weiterer Objekte exempla- Als Bismarck 1878 seine Schutzzollpolitik zur Sicherung risch für den Wandel nicht nur im Umgang mit Samm- der deutschen Wirtschaft einführte, dämmerte ihm, dass lungsgut aus kolonialen Kontexten, sondern darüber auch Deutschland Kolonien braucht. 1885, ein Jahr nach hinaus auch für ein grundsätzlich verändertes Bewuss- dem Beginn der Berliner Kongokonferenz, war Deutsch- tsein im Umgang mit der Gesamtheit unserer kolonialen land drittgrößte Kolonialmacht, und zwar bis zum Ende Vergangenheit. des Erstens Weltkriegs. Die Völker wurden ausgebeutet Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24241

Eva-Maria Schreiber (A) und unterdrückt. Es gab Hunderttausende Tote. Trotzdem Er ist Grundlage für seine Ausbreitung im Globalen (C) geistert ein Mythos durch viele Köpfe – Herr Hampel hat Süden und der dortigen Zerstörung der Umwelt. Das es ja gerade bewiesen –, zum Beispiel durch den des muss ein Ende haben. Afrikabeauftragten der Bundesregierung Günter Nooke, der deutsche Kolonialismus sei ja gar nicht so schlimm (Beifall bei der LINKEN) gewesen. Damit muss endlich Schluss sein. Schlussendlich. Dazu gehört eine Umstrukturierung der Außen-, Wirtschafts-, Handels- und Entwicklungs- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. politik hin zu einer Politik, die nicht den Profit, sondern Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Rechte aller Menschen im Blick hat. NEN])

Zur Erinnerung zwei Beispiele: fast 300 000 getötete Vizepräsidentin Claudia Roth: Menschen in Tansania beim Maji-Maji-Krieg und die Frau Kollegin! Verbrechen an Herero und Nama mit über 70 000 Toten in Namibia. Das sind Kriegsverbrechen, das ist Völker- mord und muss auch so genannt werden. Eva-Maria Schreiber (DIE LINKE): Denn Menschenrechte sind unteilbar. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Danke. ten der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Ich halte es mit Richard von Weizsäcker, der sagte: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, Vizepräsidentin Claudia Roth: wird blind für die Gegenwart.“ In dem Fall heißt das: Und die Redezeit ist nicht zu verlängern. Danke schön, Deutschland muss endlich zu seiner historischen Verant- Eva-Maria Schreiber. – Letzter Redner in dieser Debatte: wortung stehen. Dr. Volker Ullrich, Augsburg. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Karamba Diaby [SPD] und Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Bis heute hat keine Bundesregierung offiziell um Ver- Herren! Es war richtig und notwendig, dass wir heute zeihung gebeten, etwa für den Völkermord an Herero und im Bundestag die Debatte über die Aufarbeitung unserer (B) Nama. Bis heute fehlt eine Aufarbeitung der Gräueltaten kolonialen Geschichte geführt haben. Es gehört zum (D) der deutschen Kolonialmacht. Beides ist überfällig. demokratischen Grundkonsens in diesem Haus, dass die (Beifall bei der LINKEN) Aufarbeitung geschichtlichen Unrechts unserem Land Würde zurückgegeben hat. Das galt für die Aufarbeitung Letztes Jahr war ich in Tansania und Kamerun. Eine des NS-Unrechts, für die Aufarbeitung der SED-Dikta- drängende Frage begegnete mir überall: die nach der tur; aber es muss auch für den Teil der Geschichte gelten, Rückgabe geraubter Kulturgüter und der Gebeine von der zu lange im Dunkeln geblieben ist, nämlich die Auf- Ahnen. Unsere Regierung verharrt in Nachforschungen. arbeitung des kolonialen Unrechts. Die AfD – und das ist unglaublich – jammert in ihrem Antrag über dann leere Museen, als gäbe es keinen 3-D- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Druck, und bezweifelt den Raub. Und über den Rest mag FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- ich jetzt gar nicht reden. Schämen Sie sich! NEN) (Beifall bei der LINKEN) Was steckt dahinter, wenn 1884/1885 auf der soge- nannten Kongokonferenz der Kontinent Afrika beinahe Generell fehlt bei vielen hierzulande die Einsicht, dass wie ein Kuchen – das ist angesprochen worden – aufge- die koloniale Vergangenheit bis heute nachwirkt. Aber teilt worden ist? Nichts anderes als ein menschenverach- genau sie war die Grundlage für die Ungleichheit in den tendes und rassistisches Weltbild. Dieses Welt- und Men- internationalen Beziehungen. Sie sorgt für die Ungleich- schenbild hat zu Gewaltherrschaft in weiten Teilen heit in der Handelspolitik, bei der Verteilung von wirt- Afrikas geführt, mit furchtbaren Verbrechen, mit einem schaftlichem Reichtum, Landbesitz und beim Zugriff auf Völkermord an den Herero und Nama, mit einer blutigen natürliche Ressourcen. Das muss sich endlich ändern. Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands in Tansania. (Beifall bei der LINKEN) Diese Gräueltaten dürfen nicht vergessen werden. Wir müssen uns der historischen Verantwortung stellen. Seit Jahren besteht die Linke darauf, dass sich der Umgang mit diesem Teil der Geschichte ändert. Ein erster (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem Schritt wäre die Gründung einer unabhängigen Stiftung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- öffentlichen Rechts zur Aufarbeitung des deutschen ordneten der FDP und der LINKEN) Kolonialismus – ich bin gleich so weit, Frau Präsidentin –, Es hat mich nicht nur empört, sondern auch bedrückt, die auch über eine Rückgabe von Kulturgütern und wie die Redner der AfD hier agiert haben, indem sie quasi menschlichen Gebeinen verhandelt. Dazu gehört, den nur von „Schuldkult“ gesprochen haben. Kolonialismus unmissverständlich als Verbrechen und Quelle für heutige Formen von Rassismus zu benennen. (Dr. Marc Jongen [AfD]: Haben wir nicht!) 24242 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Volker Ullrich (A) Kein einziges Wort der Empathie mit den Opfern. Das ist Vizepräsidentin Petra Pau: (C) beschämend, meine Damen und Herren. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/24381 und 19/19914 an die in der (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht GRÜNEN) der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen.

Ein Teil dieser Aufarbeitung behandelt die Frage, wie Tagesordnungspunkt 12 c. Wir kommen zur Be- man mit Kulturgütern umgeht. Kulturgegenstände sind schlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und Zeichen von Erinnerung, von Identität und Wertschät- Medien zu dem Antrag der Fraktion der AfD mit dem zung. Deswegen ist es richtig, dass wir diesen Teil, die Titel „Die deutsche Kolonialzeit kulturpolitisch diffe- Identität, auch den afrikanischen Staaten zurückgeben, renziert aufarbeiten“. Der Ausschuss empfiehlt unter denen er vor über 100 Jahren geraubt worden ist. Man Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck- muss auch sagen: „geraubt“. Denn selbst wenn die Kul- sache 19/21345, den Antrag der Fraktion der AfD turgegenstände – in Anführungszeichen – „hergeschenkt“ auf Drucksache 19/15784 abzulehnen. Wer stimmt für oder „verkauft“ worden sind, lag doch dem Erwerb eine diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – strukturelle Ungleichheit gegenüber: da die Gewaltherr- Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist schaft und dort die Abgabe der Kulturgegenstände. mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP- Fraktion, der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Deswegen brauchen wir einen gemeinsamen Dialog. Grünen gegen die Stimmen der AfD-Fraktion angenom- Wir brauchen eine Provenienzforschung. Wir brauchen men. entsprechende Mittel, um diese Gegenstände zurückzu- kaufen und in einem gemeinsamen Dialog und Rückga- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 i und beprozess an die Herkunftsländer zu geben. Ich glaube, 31 k sowie die Zusatzpunkte 11 a bis 11 n auf. Es handelt das ist nicht nur eine deutsche, sondern auch eine gesamt- sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren europäische Verantwortung. ohne Debatte.

Dann müssen wir darüber sprechen, wie wir mit den Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei- afrikanischen Staaten insgesamt umgehen. Ich glaube, es sungen. Tagesordnungspunkte 31 a bis 31 c und 31 e, ist wichtig, dass wir nicht mehr von einer Politik für 31 g bis 31 i und 31 k sowie Zusatzpunkte 11 a bis 11 h Afrika sprechen. Afrika ist ein Kontinent mit 54 Nationen und 11 j bis 11 n: und 30 Millionen Quadratkilometern. Es geht um einen (B) (D) Dialog und eine Politik mit den afrikanischen Staaten. 31 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- dem Übereinkommen vom 10. Septem- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ber 2010 über die Bekämpfung wider- ten der LINKEN) rechtlicher Handlungen mit Bezug auf die internationale Zivilluftfahrt und zu Es geht um Augenhöhe, und es geht um Verständnis. dem Zusatzprotokoll vom 10. Septem- Deswegen ist die Debatte so wichtig. ber 2010 zum Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der Wir müssen uns fragen: In welcher Welt wollen wir widerrechtlichen Inbesitznahme von Luft- leben? Ich glaube, wir können nur in einer vernetzten fahrzeugen Welt des Respekts und des Miteinanders leben. Da ist unsere ehrliche und offene Aufarbeitung der kolonialen Drucksache 19/24223 Geschichte ein wichtiger Baustein, um diesen Respekt und dieses Miteinander weiter zu fördern. In diesem Sin- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f) ne arbeiten wir an den Anträgen. Ausschuss für Inneres und Heimat Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Herzlichen Dank. b) Erste Beratung des von der Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 2019 zur Änderung des Abkommens vom Vizepräsidentin Claudia Roth: 8. März 1967 zwischen der Bundesrepu- Vielen Dank, Dr. Ullrich. – Damit schließe ich die blik Deutschland und den Vereinigten Aussprache. Mexikanischen Staaten über den Luftver- kehr Ich weise die direkte Zuschreibung gegen Petr Bystron zurück. Drucksache 19/24224 (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Auswärtiger Ausschuss Ich übergebe jetzt an Frau Pau. Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24243

Vizepräsidentin Petra Pau (A) c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Überweisungsvorschlag: (C) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Änderung des Umweltschadensgesetzes, Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Umweltinformationsgesetzes und wei- terer umweltrechtlicher Vorschriften ZP 11 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Olaf in der Beek, Alexander Graf Lambsdorff, Drucksache 19/24230 Johannes Vogel (Olpe), weiterer Abgeordne- Überweisungsvorschlag: ter und der Fraktion der FDP Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, Ausschuss Digitale Agenda Ankündigungen umsetzen – Errichtung e) Beratung des Antrags der Fraktionen der einer Europäischen Bank für nachhaltige CDU/CSU und SPD Entwicklung und internationalen Klima- Produktivität, Klimaresilienz und Bio- schutz diversität steigern – Agroforstwirtschaft Drucksache 19/24327 fördern Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/24389 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (f) Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Haushaltsausschuss zung g) Beratung des Antrags der Abgeordneten b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Till Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Mansmann, Christian Dürr, Frank Schäffler, Espendiller, weiterer Abgeordneter und der weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Fraktion der AfD FDP Jährlicher Bericht der Bundesregierung Bürokratieaufwand in der Unternehmer- über digitalpolitisch relevante Haushalts- kette verringern posten Drucksache 19/24371 Drucksache 19/24402 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) (B) Haushaltsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Energie (D) Ausschuss Digitale Agenda c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Till h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Mansmann, Christian Dürr, Frank Schäffler, Dr. , Albrecht Glaser, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Franziska Gminder, weiterer Abgeordneter FDP und der Fraktion der AfD Keine deutschen Haftungen für Kredite Reform der Stromsteuer zur Entlastung aus Next Generation EU der Bürger Drucksache 19/24391 Drucksache 19/24366

Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Finanzausschuss (f) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union i) Beratung des Antrags der Abgeordneten d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Gyde Jensen, Dr. Jens Brandenburg (Rhein- Espendiller, weiterer Abgeordneter und der Neckar), Nicole Bauer, weiterer Abgeordne- Fraktion der AfD ter und der Fraktion der FDP Planungsbeschleunigung – Ausbau von Polen – Erosion des Rechtsstaates, der Gigabit-Netzen vorantreiben Frauen- und LSBTI-Rechte klar verurtei- len Drucksache 19/24419

Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/24367 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss Digitale Agenda Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nicole Bauer, Frank Sitta, Dr. Gero Clemens Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Hocker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gyde Jensen, Michael Georg Link, Verbot von Grünlandumbruch streichen Alexander Graf Lambsdorff, weiterer Abge- Drucksache 19/24326 ordneter und der Fraktion der FDP 24244 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Deutscher Vorsitz in Krisenzeiten – Deut- k) Beratung des Antrags der Abgeordneten (C) schen Vorsitz im Ministerkomitee des , Andrej Hunko, Heike Europarats nutzen und den europaweiten Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Frak- Schutz der Menschenrechte und Rechts- tion DIE LINKE staatlichkeit stärken Für eine sozialverträgliche EU-Klimapoli- Drucksache 19/24368 tik – Fonds für einen gerechten Übergang aufstocken und demokratisch ausgestalten Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Drucksache 19/23734 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Überweisungsvorschlag: Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit Gyde Jensen, Alexander Graf Lambsdorff, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla und der Fraktion der FDP Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Menschenrechtsverletzungen in Saudi- DIE LINKE Arabien verurteilen – Pressefreiheit, Frauenrechte und Freilassung politischer Gesundheitsschutz für Geflüchtete in Zei- Gefangener fordern ten der Pandemie sicherstellen Drucksache 19/24372 Drucksache 19/24364 Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f) Auswärtiger Ausschuss Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Wirtschaft und Energie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Maria Klein- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Dr. Wieland Schinnenburg, Michael Theurer, Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter NIS 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der FDP Alkoholpräventionsstrategie entwickeln (B) Allergien und Unverträglichkeiten wirk- und europäisch voranbringen (D) sam vorbeugen und Therapien und Auf- klärung verbessern Drucksache 19/24386 Überweisungsvorschlag: Drucksache 19/24373 Ausschuss für Gesundheit (f) Finanzausschuss Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, zung , weiterer Abgeordneter und h) Beratung des Antrags der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Carina Konrad, Frank Sitta, Dr. Gero Islamistischen Terror entschlossen Clemens Hocker, weiterer Abgeordneter bekämpfen – Null-Toleranz gegenüber und der Fraktion der FDP Gefährdern Notfallzulassung für Neonikotinoide er- Drucksache 19/24383 möglichen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Drucksache 19/24374 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Überweisungsvorschlag: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union überweisen. Gibt es weitere Überweisungsvorschläge? – j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschla- Stephan Thomae, Konstantin Kuhle, gen. Benjamin Strasser, weiterer Abgeordneter Wir kommen nun zu drei Überweisungen, bei denen und der Fraktion der FDP die Federführung strittig ist. Kampf gegen Islamismus entschieden Tagesordnungspunkt 31 d: vorantreiben Beratung des Antrags der Abgeordneten Drucksache 19/24369 Dr. André Hahn, Doris Achelwilm, Gökay Überweisungsvorschlag: Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Ausschuss für Inneres und Heimat DIE LINKE Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24245

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Öffentlich finanzierte Grabpflege für KZ- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- (C) Kommandanten und andere NS-Verbrecher schlag der Fraktion der AfD. Wer stimmt für diesen Über- beenden weisungsvorschlag? – Die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen Fraktionen des Hauses. Wer ent- Drucksache 19/23996 hält sich? – Niemand. Der Überweisungsvorschlag ist Überweisungsvorschlag: abgelehnt. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss f. Inneres und Heimat (f) Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Federführung strittig schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der führung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/23996 mit dem Technikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Über- Titel „Öffentlich finanzierte Grabpflege für KZ-Kom- weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- mandanten und andere NS-Verbrecher beenden“ an die hält sich? – Niemand. Der Überweisungsvorschlag ist in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- angenommen. schlagen. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wün- Zusatzpunkt 11 i: schen Federführung beim Ausschuss für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend. Die Fraktion Die Linke wünscht Beratung des Antrags der Abgeordneten Roman Federführung beim Ausschuss für Inneres und Heimat. Müller-Böhm, Michael Theurer, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- tion der FDP schlag der Fraktion Die Linke. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Die Fraktion Die Linke und Pflicht zur digitalen Einreiseanmeldung nach- die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die übrigen vollziehbar und datenschutzkonform ausge- Fraktionen des Hauses. Enthält sich jemand? – Das ist stalten nicht der Fall. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Drucksache 19/24376 Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Ausschuss für Tourismus (f) führung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen Ausschuss für Inneres und Heimat und Jugend. Wer stimmt für diesen Überweisungsvor- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Federführung strittig schlag? – Die Koalitionsfraktionen, die FDP-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der (B) dagegen? – Die AfD-Fraktion und Die Linke. Wer enthält Fraktion der FDP auf Drucksache 19/24376 mit dem Titel (D) sich? – Niemand. Der Überweisungsvorschlag ist ange- „Pflicht zur digitalen Einreiseanmeldung nachvollziehbar nommen. und datenschutzkonform ausgestalten“ an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Tagesordnungspunkt 31 f: Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Feder- führung beim Ausschuss für Gesundheit. Die Fraktion Beratung des Antrags der Abgeordneten Joana der FDP wünscht Federführung beim Ausschuss für Tou- Cotar, Uwe Schulz, Dr. Michael Espendiller, wei- rismus. terer Abgeordneter und der Fraktion der AfD Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvor- Ausarbeitung und Durchführung einer Infor- schlag der Fraktion der FDP. Wer stimmt für diesen Über- mations- und Aufklärungskampagne für die weisungsvorschlag? – Die AfD-Fraktion, die FDP-Frak- Bevölkerung zu den Funktions- und Wirkme- tion, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. chanismen Künstlicher Intelligenz durch die Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktionen. Wer Bundesregierung enthält sich? – Niemand. Der Überweisungsvorschlag ist abgelehnt. Drucksache 19/24421

Überweisungsvorschlag: Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (f) schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Feder- Ausschuss Digitale Agenda (f) führung beim Ausschuss für Gesundheit. Wer stimmt Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung strittig für diesen Überweisungsvorschlag? – Die Koalitions- fraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die Oppositionsfrak- Interfraktionell wird die Überweisung des Antrags der tionen. Wer enthält sich? – Niemand. Der Überweisungs- Fraktion der AfD auf Drucksache 19/24421 mit dem Titel vorschlag ist angenommen. „Ausarbeitung und Durchführung einer Informations- und Aufklärungskampagne für die Bevölkerung zu den Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 p auf. Es Funktions- und Wirkmechanismen Künstlicher Intelli- handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu genz durch die Bundesregierung“ an die in der Tages- denen keine Aussprache vorgesehen ist. ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Tagesordnungspunkt 32 a: Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Federfüh- rung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech- Zweite Beratung und Schlussabstimmung des nikfolgenabschätzung. Die Fraktion der AfD wünscht von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Federführung beim Ausschuss Digitale Agenda. wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen 24246 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsidentin Petra Pau (A) vom 5. Mai 2020 zur Beendigung bilateraler Tagesordnungspunkt 32 e: (C) Investitionsschutzverträge zwischen den Mit- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- gliedstaaten der Europäischen Union tionsausschusses (2. Ausschuss) Drucksachen 19/23485, 19/24222 Sammelübersicht 673 zu Petitionen Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Drucksache 19/24013 ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) Drucksache 19/24471 Es geht um zehn Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in sicht 673 ist gegen die Stimmen der AfD-Fraktion bei seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/24471, Zustimmung aller anderen Fraktionen angenommen. den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck- sachen 19/23485 und 19/24222 anzunehmen. Tagesordnungspunkt 32 f: Zweite Beratung Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Sammelübersicht 675 zu Petitionen Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand. Drucksache 19/24015 Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen, der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der Es handelt sich um zwei Petitionen. Wer stimmt Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – AfD-Fraktion angenommen. Die Sammelübersicht 675 ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkte 32 b bis 32 p. Wir kommen da- Tagesordnungspunkt 32 g: mit zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- schusses. tionsausschusses (2. Ausschuss) Zu Tagesordnungspunkt 32 d liegt eine Erklärung nach Sammelübersicht 676 zu Petitionen § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Es handelt sich dort um die Sammelübersicht 672. Entsprechend unseren Drucksache 19/24016 Regeln nehmen wir diese Erklärung zu Protokoll.1) Es geht um vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer Tagesordnungspunkt 32 b: stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelüber- sicht 676 ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Zustimmung aller übrigen Fraktionen angenommen. (B) tionsausschusses (2. Ausschuss) (D) Tagesordnungspunkt 32 h: Sammelübersicht 670 zu Petitionen Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Drucksache 19/24010 tionsausschusses (2. Ausschuss) Es handelt sich hier um 140 Petitionen. Wer stimmt Sammelübersicht 677 zu Petitionen dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Sammelübersicht 670 ist einstimmig angenommen. Drucksache 19/24017 Tagesordnungspunkt 32 c: Es sind zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer stimmt mit Enthaltung? – Nie- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- mand. Die Sammelübersicht 677 ist gegen die Stimmen tionsausschusses (2. Ausschuss) der AfD-Fraktion bei Zustimmung der übrigen Fraktio- Sammelübersicht 671 zu Petitionen nen angenommen. Drucksache 19/24011 Tagesordnungspunkt 32 i: Es handelt sich hier um 70 Petitionen. Wer stimmt Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – tionsausschusses (2. Ausschuss) Die Sammelübersicht 671 ist einstimmig angenommen. Sammelübersicht 678 zu Petitionen Tagesordnungspunkt 32 d: Drucksache 19/24018 Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) Es handelt sich um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und Sammelübersicht 672 zu Petitionen die FDP-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Drucksache 19/24012 Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Die Sammelübersicht 678 ist angenommen. Es sind 57 Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Koali- tionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Tagesordnungspunkt 32 j: Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die Linke. Wer Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- enthält sich? – Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. tionsausschusses (2. Ausschuss) Die Sammelübersicht 672 ist angenommen. Sammelübersicht 679 zu Petitionen 1) Anlage 2 Drucksache 19/24019 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24247

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Es sind acht Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Koa- Es geht um acht Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die (C) litionsfraktionen, die AfD-Fraktion, die FDP-Fraktion. Koalitionsfraktionen und Die Linke. Wer stimmt dage- Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen Die Linke und gen? – Die AfD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP- Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammelüber- Die Sammelübersicht 679 ist angenommen. sicht 684 ist angenommen. Tagesordnungspunkt 32 k: Tagesordnungspunkt 32 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- p) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) tionsausschusses (2. Ausschuss) Sammelübersicht 680 zu Petitionen Sammelübersicht 685 zu Petitionen Drucksache 19/24020 Drucksache 19/24025 Es geht um zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Es geht um eine Petition. Wer stimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Die AfD- Koalitionsfraktionen, die AfD-Fraktion und die Fraktion Fraktion, die FDP-Fraktion, Die Linke und Bündnis 90/ Die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktionen der Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Sammel- FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Die übersicht 685 ist angenommen. Sammelübersicht 680 ist angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf: Tagesordnungspunkt 32 l: Wahlvorschläge der Fraktionen der CDU/CSU Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- und SPD tionsausschusses (2. Ausschuss) Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der Sammelübersicht 681 zu Petitionen „Stiftung Haus der kleinen Forscher“ Drucksache 19/24021 Drucksache 19/24429 Es geht um zwei Petitionen. Wer stimmt dafür? – Die Hierzu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der Koalitionsfraktionen, die Fraktionen Die Linke und CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/24429 vor. Wer Bündnis 90/Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Die stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmt dage- AfD-Fraktion und die FDP-Fraktion. Wer enthält sich? – gen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag ist ein- Niemand. Die Sammelübersicht 681 ist angenommen. stimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 32 m: Ich danke Ihnen für die konzentrierte Bearbeitung der (B) vorangegangenen Tagesordnungspunkte. (D) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuss) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Danke gleichfalls!) Sammelübersicht 682 zu Petitionen Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf: Drucksache 19/24022 Aktuelle Stunde Es handelt sich um sechs Petitionen. Wer stimmt auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die AfD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? – Die FDP, Die Linke und Bünd- SOS Klassenzimmer – Wirksame Hilfen für nis 90/Die Grünen. Wer enthält sich? – Niemand. Die Schulen in der Pandemie Sammelübersicht 682 ist angenommen. Sobald der notwendige Platzwechsel innerhalb der Tagesordnungspunkt 32 n: Fraktionen erfolgt ist, können wir beginnen. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Dr. Birke Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- Bull-Bischoff für die Fraktion Die Linke. tionsausschusses (2. Ausschuss) (Beifall bei der LINKEN) Sammelübersicht 683 zu Petitionen Drucksache 19/24023 Dr. Birke Bull-Bischoff (DIE LINKE): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Es handelt sich um vier Petitionen. Wer stimmt dafür? – SOS kommt aus allen Klassenzimmern und auf allen Die Koalitionsfraktionen und die FDP-Fraktion. Wer Kanälen. Wissen Sie, was das größte Problem dabei ist? stimmt dagegen? – Die AfD-Fraktion, die Fraktion Die Es ist schlicht und ergreifend die Mangelwirtschaft an so Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer ent- vielen Schulen, die Schülerinnen und Schülern, Lehrkräf- hält sich? – Niemand. Die Sammelübersicht 683 ist ange- ten und Eltern das Leben extrem schwer macht. nommen. (Beifall bei der LINKEN) Tagesordnungspunkt 32 o: Es ist der Mangel an Personal. Genau das ist ja der Hin- Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tergrund, weshalb sich so gegen die Teilung von Klassen tionsausschusses (2. Ausschuss) gestemmt wird. Es ist der Mangel an vernünftig ausge- statteten Schulen: Toiletten gehen nicht, Fenster sind seit Sammelübersicht 684 zu Petitionen vielen Monaten nicht zu öffnen, Griffe fehlen. Und es ist Drucksache 19/24024 der Mangel an notwendigem Material. Das beginnt bei 24248 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Birke Bull-Bischoff (A) mobilen Lüftungsgeräten. Nur fest installierte werden Frau Bundeskanzlerin, berufen Sie schnell die Bil- (C) gefördert, und das sind auch nur 14 an der Zahl – und dungs- und Kultusministerrunde ein! Nach dem soundso- das bei circa 32 000 Schulen. Das ist der Hintergrund, vor vielten Autogipfel wäre jetzt mal ein Bildungsgipfel dran. dem Präsenz- und Fernunterricht momentan nur selten Ich gehe jede Wette ein: Die Ministerinnen und Minister gehen. Es ist der unsägliche Mangel an Computern, an gerieten in Erklärungsnot angesichts des öffentlichen leistungsfähigem Internet, an bezahlbaren Tarifen für alle Drucks, wenn sie dieser Einladung nicht folgen würden Kinder. und vielleicht noch einen Streit über die Zuständigkeit vom Zaun brächen. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oijoijoi! Sie NEN]) werden doch nicht in die Verfassung geschaut haben, Frau Kollegin!) Es sind die jahrelangen Sparorgien, die uns in genau diese Mangelwirtschaft geführt haben. Ich kann mich Es muss was getan werden, und zwar schnell; denn über ganz persönlich gut an die Auseinandersetzungen erin- die Überschrift „Bildungsland“ lachen die Leute, liebe nern – damals war ich noch bildungspolitische Spreche- Kolleginnen und Kollegen, und zwar nicht aus lauter rin –, die wir zum Beispiel im Landtag von Sachsen- Freude, sondern weil sie seit Langem frustriert sind. Anhalt mit einem SPD-Finanzminister – ich kann Ihnen (Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski das leider nicht ersparen – um jede einzelne Lehrerstelle [CDU/CSU]: In Thüringen tragen Sie Verant- führen mussten. wortung für die Miss- und Mangelwirtschaft in Was muss getan werden? Zum einen muss die Mangel- den Schulen!) wirtschaft beendet werden. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Das beginnt bei der Förderung von mobilen Geräten für Thomas Rachel. die Lüftung vor allem an Schulen. Zum anderen, liebe Kolleginnen und Kollegen, schreiben Sie endlich ins (Beifall bei der CDU/CSU) Sozialgesetzbuch: „Kinder haben das Recht, durch das Bildungs- und Teilhabepaket einen Computer und Bil- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- dungstarife zu bekommen“! ministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Bundesministerin Karliczek ist im Moment im (B) Und investieren Sie endlich mehr in Schule und Kita! Wir Haushaltsausschuss, kämpft dort für mehr Mittel für Bil- (D) haben einen riesigen Investitionsstau. dung und Forschung (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist auch notwendig!) NEN]) und kann deshalb nicht hier im Plenum sein. Heute Morgen ging über den Ticker: Beim soundso- (Beifall bei der CDU/CSU) vielten Autogipfel – ich kann die gar nicht mehr zählen – Meine sehr verehrten Damen und Herren, in welcher wurden jetzt insgesamt 5 Milliarden Euro lockergemacht. Situation befinden wir uns? Aktuell sind rund Meine Damen und Herren, das ist die falsche Schwer- 300 000 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne. Das punktsetzung. sind nicht einmal 5 Prozent der Schülerinnen und Schüler (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. in Deutschland. Mit anderen Worten: 95 Prozent der Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schülerinnen und Schüler gehen ganz normal in die NEN]) Schule Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht die Abschlüsse (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Was ist sind jetzt das Wichtigste, nicht das Sammeln von Tests, daran eine positive Meldung?) von Zensuren, sondern die kreative Suche nach neuen – natürlich immer mit den bekannten Regeln: Abstand Lernformen und Lernräumen. In meinem Bekanntenkreis halten, Hände waschen, Mund-Nase-Schutz tragen, erlebe ich gerade hautnah die Ängste einer 14-Jährigen. regelmäßig lüften –; denn wir wollen, dass die Schulen Ihr Vater ist positiv getestet; sie muss zu Hause in Qua- während der Pandemie offen bleiben, solange es irgend- rantäne bleiben. Und ihre eigentliche Sorge ist jetzt: Sie wie verantwortbar ist, meine Damen und Herren. muss, wenn sie in die Schule zurückkehrt, vier Klassen- arbeiten, vier Tests schreiben. Meine Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eine solche Debatte ist eine Bildungsbremse pur; sie ist ordneten der SPD) absurd. Schließlich geht es um das Recht der Schülerinnen und Schüler auf Bildung. Es geht darum, dass alle Schülerin- (Beifall bei der LINKEN) nen und Schüler die Chance auf gute Bildung bekommen, Auf diese Weise treiben wir Schülerinnen und Schülern und es geht darum, dass sich die Familien darauf ver- die Lust am Lernen aus, und Lust ist bekanntlich die lassen können, dass ihre Kinder in den Schulen gut und stärkste Motivation. verlässlich betreut werden, gerade die kleineren. Dafür Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24249

Parl. Staatssekretär Thomas Rachel (A) nehmen wir alle Anstrengungen in Kauf. Dafür reduzie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) ren wir woanders die sozialen Kontakte. Dafür muten wir ordneten der SPD) vielen anderen erhebliche Einschnitte in ihrem Leben zu. Handeln, das tun im Übrigen auch unsere Schulen. Die Dass gerade auch die wirtschaftlich und sozial schwer Lehrerinnen und Lehrer leisten Großartiges vor Ort in Betroffenen bereit sind, den gesellschaftlichen Konsens diesen Tagen, um guten Unterricht in Coronazeiten zu für offene Schulen und Kitas mitzutragen, dafür möchte ermöglichen. ich ihnen von ganzem Herzen danken. (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- NEN]: Das stimmt!) ordneten der SPD) Die Schulleitungen leisten Großes, um den Schulbetrieb Wir haben aus der ersten Pandemiewelle im Frühjahr immer wieder neu zu organisieren. Auch die Schülerin- gelernt. Damals mussten die Schulen von einem Tag auf nen und Schüler leisten ihren Beitrag: Sie tragen Masken den anderen geschlossen werden. Es wurde Fernunter- auf den Fluren und auf den Schulhöfen. Deshalb sage ich richt von zu Hause organisiert, oft improvisiert. Wir Ihnen: Reden Sie nicht das Engagement all derjenigen sind heute in einer anderen Situation. Das Gros der klein, die diesen Laden am Laufen halten! Schulen ist offen. Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sind auch im Fernunterricht erreichbar. Bund (Beifall bei der CDU/CSU – Margit Stumpp und Länder, Schulleiter und Lehrkräfte haben die Som- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut doch mermonate genutzt. niemand! – Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LIN- KE]: Wann waren Sie denn das letzte Mal in Wo stehen wir jetzt? Um die Schulen offen zu halten, einer Schule?) haben die Bundesländer einen Stufenplan beschlossen. Je nach Entwicklung des dynamischen Infektionsgesche- – Da Sie so laut rufen, richte ich mich an die Vertreter der hens haben die Länder für vier verschiedene Szenarien Linkspartei: Maßnahmen beschlossen: erstens Regelbetrieb unter (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Lin- Pandemiebedingungen, zweitens eingeschränkter Regel- ken! Die Linkspartei gibt es schon seit 2007 betrieb, drittens ein Wechselmodell mit Teilung von nicht mehr!) Lerngruppen und Wechsel von Präsenz- und Distanzun- terricht und viertens Distanzunterricht. Nur wenn es die Sie stellen doch in Thüringen den Kultusminister. Thürin- Pandemie gar nicht mehr anders zulässt, kommen als gen hat erst 150 000 Euro Landesmittel im DigitalPakt letzte Maßnahme Schulschließungen infrage. Schule verausgabt und keine Bundesmittel abgerufen. (B) Sehr geehrte Damen und Herren, der Bund stellt so viel (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die bean- (D) Geld für die Schulen zur Verfügung wie nie zuvor in der tragen wahrscheinlich in Rubel!) Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am Ende Andere Länder sind deutlich schneller und besser, um werden es allein für den DigitalPakt Schule 6,5 Milliarden ihre Schulen zu unterstützen. Schauen Sie sich doch ein- Euro sein, und das ist wahrlich eine große Hausnummer. mal die Fakten in den Bundesländern an. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sehr geehrte Damen und Herren, die Kinder sind keine Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Ja, Treiber des Infektionsgeschehens. was geben Sie denn im Moment? Nichts! – Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Wie viel ist denn davon abgeflossen? – Margit Behauptet auch keiner!) Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Aber die Schülerinnen und Schüler sind ein wesentlicher der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüs- Teil des Infektionsgeschehens, wie gerade in diesen sel wird das aber nichts!) Tagen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leo- In der Pandemie brauchen wir die digitalen Möglich- poldina noch einmal unterstrichen hat. Dies zeigen uns keiten dringender denn je. Deshalb hat die Regierungs- die Zahlen aus anderen europäischen Ländern, aber auch koalition im Sommer noch einmal kräftig nachgelegt. Mit aktuelle Zahlen des Robert-Koch-Instituts für Deutsch- 500 Millionen Euro sorgen wir für digitale Endgeräte für land. Wenn wir uns die Infektionszahlen bei den 10- bis Schülerinnen und Schüler, die kein eigenes Gerät besit- 19-Jährigen anschauen, stellen wir fest, dass sie beson- zen, damit alle Kinder und Jugendlichen am digitalen ders gravierend sind. Ich denke, dieses Thema verdient Unterricht mitwirken können. Mit 500 Millionen Euro deshalb eine ganz besondere Aufmerksamkeit, gerade statten wir die Lehrkräfte mit Laptops aus, und mit auch in der Diskussion der zuständigen Bundesländer. 500 Millionen Euro bezahlen wir die Administratoren, Meine Damen und Herren, es sind gerade keine norma- damit die digitale Technik auch wirklich läuft und die len, sondern außergewöhnliche Zeiten. Wir müssen die Lehrkräfte von dieser Aufgabe entlastet werden. Maßnahmen gegen die Pandemie immer wieder anpas- sen, je nach Lage immer wieder nachjustieren, um gute (Dr. h. c. Thomas Sattelberger [FDP]: Schöne Bildung auch in Zeiten von Corona zu ermöglichen. Versprechungen!) Herzlichen Dank. Das alles sind eigentlich keine Bundesaufgaben. Aber danach fragen wir in dieser Krise nicht. Wir handeln als (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bund, und wir helfen, gerade diese Regierungskoalition. ordneten der SPD) 24250 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Schulen auf den Toiletten aussieht. Das ist ein unmen- (C) Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Götz Frömming für schlicher Zustand, der einer modernen Zivilisation nicht die AfD-Fraktion. würdig ist. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Ich möchte ein Wort noch zu den Maßnahmen sagen, Dr. Götz Frömming (AfD): von denen man jetzt hört. Das geht in die Richtung der Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Bundesregierung. Wir lasen vor Kurzem in der Zeitung und Herren! Liebe Kollegen von der Linksfraktion, man von einem Vorschlag, um die Pandemie jetzt in den Griff muss, wenn jemand etwas Richtiges sagt, das auch mal zu bekommen und einzudämmen, dass die Kinder in den loben, und wir tun das, egal von welcher Fraktion es Schulen sich überlegen sollten, den Kreis ihrer Freunde kommt. Das ist, glaube ich, wichtiger Teil einer parla- zu reduzieren. Jedes Kind solle sich doch bitte schön mentarischen Kultur, den einige von Ihnen vielleicht ein entscheiden, mit welchem Freund es sich treffen möge. bisschen vergessen haben. Insofern: Vielen Dank dafür, Ja, ich weiß, der Vorschlag wurde wohl auch auf Druck dass Sie dieses wichtige Thema angestoßen haben. der Öffentlichkeit und der Kultusminister vorerst zurück- Aber, Frau Kollegin Bull-Bischoff, wenn Sie mit dem genommen. Aber, meine Damen und Herren, das zeigt Finger auf die Bundesregierung zeigen, zeigen mindes- schon, welche Gedankenspiele hier möglich geworden tens zwei Finger zurück. Kollege Rachel hat es schon zu sind, gerade auch seit den Entscheidungen gestern. Das Recht angedeutet: Sie sind ja in zwei Ländern in Regie- muss man sich mal vorstellen: Kleine Kinder werden rungsverantwortung. Sie sind in Berlin beteiligt und in genötigt, zu sagen: Ich treffe mich jetzt nur noch mit Thüringen vorneweg. dem Hans oder dem Anton oder einem anderen. (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Thü- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ringen hat auch viele eigene Mittel reingege- NEN]: Das ist doch Hypothese! Das macht ben! Das hat der Kollege Rachel vergessen zu doch niemand!) sagen!) Das ist unmenschlich, meine Damen und Herren. Auch Die Probleme, die Sie angesprochen haben, sind ja nicht Kinder- und Jugendpsychologen haben darauf hingewie- erst seit gestern bekannt, sondern haben einen langen sen, dass Sie mit solchen Maßnahmen nicht die Pandemie Vorlauf. Da frage ich mich schon: Was ist denn unter eindämmen, sondern unseren Kindern, unseren Jugend- der Ägide Ihres KMK-Präsidenten Holter so Großartiges lichen schweren Schaden zufügen werden. geschehen? Ich kann mich an keinen großen Aufbruch für (B) unsere Bildungslandschaft erinnern. In der KMK wäre (Beifall bei der AfD) (D) doch der richtige Ort, die Weichen zu stellen und die Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie- Schulen voranzubringen. ßend auf die Frage eingehen, ob Schulschließungen wirk- (Beifall bei der AfD) lich notwendig sind. Zum Glück sind wir mittlerweile so weit, dass wir – hoffentlich alle – solche viel zu langen Meine Damen und Herren, was uns jetzt auf die Füße Schulschließungen, wie wir sie hatten, vermeiden wollen. fällt, ist doch genau das, was jahrelang versäumt worden Aber wie sieht es denn tatsächlich an den Schulen aus? ist. Die Klassen sind viel zu groß, sie sind überfüllt. Das ist keine neue Erkenntnis in der Pandemie, sondern das ist Dankenswerterweise haben wir eine Studie vorliegen, schon länger so. Lehrer klagen seit Jahrzehnten darüber. die inzwischen schon dreimal wiederholt worden ist, von Aber was geschieht stattdessen? Hören wir etwas von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und des einer Einstellungsoffensive, dass wir mehr Lehrer Dresdener Universitätsklinikums Carl Gustav Carus. Sie bräuchten oder dass mehr Lehrer eingestellt werden? testeten im Mai 2020 im ersten Schritt immerhin 2 045 Schüler bzw. Lehrer an den Schulen. Dabei waren (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 507 Lehrer im Alter von 30 bis 66 Jahren beteiligt. Am NEN]: Das wäre ein Traum!) Institut für Virologie konnten bei zwölf Proben zweifels- Nichts dergleichen. Stattdessen treibt man auf dem frei Antikörper nachgewiesen werden. Unter dem Strich Rücken der Schüler Projekte voran, die der Computer- hat diese Studie ergeben, dass Schulen eben nicht das und Softwareindustrie nutzen. Und selbst die helfen uns sind, was hier teilweise behauptet worden ist, nämlich jetzt nicht in der Pandemie. Sie haben diesen DigitalPakt Hotspots für die Ausbreitung dieser Pandemie. hier durchgedrückt, haben sich alle miteinander für diese Diese Studie, meine Damen und Herren, macht doch Errungenschaft gefeiert. Aber jetzt in der Pandemie, wo Hoffnung. Zu Recht hat der Studienleiter gesagt, dass man den DigitalPakt bräuchte, stellen wir fest: Er hilft gar eine flächendeckende Schulschließung nicht notwendig nicht. ist. Vielmehr betont Wieland Kiess, Direktor der Leipzi- Was geholfen hätte, wäre eine frühzeitige Investition in ger Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – ich zitiere das Personal gewesen. Was auch geholfen hätte – wir mit Erlaubnis der Präsidentin –: „Wenn wir Kindern haben die Vorschläge dazu vorgelegt –, wäre beispiels- schaden wollen, dann sind Schulschließungen sehr effek- weise eine Renovierung der Schultoiletten gewesen – tiv.“ Wir sollten sie verhindern. eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Fragen Sie mal Vielen Dank. Schüler – falls Sie keine eigenen Kinder haben, die an einer Schule sind –, wie es immer noch an manchen (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24251

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Wir müssen eines begreifen: Bildungsgerechtigkeit (C) Das Wort hat die Kollegin Saskia Esken für die SPD- und Gesundheitsschutz sind kein Widerspruch, sie sind Fraktion. keine Zielkonflikte. Wir können Sie zusammenbringen. Durch halbierte Lerngruppen und einen Wechsel aus Prä- (Beifall bei der SPD) senz- und digitalem Distanzunterricht können wir das Infektionsrisiko massiv senken. Ein solches hybrides Saskia Esken (SPD): Wechselmodell können zumindest die mittleren und die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! höheren Jahrgänge auch ohne Betreuung der Eltern meis- Liebe Lehrkräfte! Liebe Eltern! Liebe Schülerinnen und tern. Wenn zudem die Schüler im Präsenzunterricht Mas- Schüler! Denn wir sprechen ja heute über Schule. ken tragen, dann hat das Virus eigentlich nur noch mini- male Chancen. Dann können wir unser Versprechen ( [AfD]: Das hat nichts mit- halten, auch unter schwierigen Bedingungen. einander zu tun, nicht? Völlig anderes Thema!) (Beifall bei der SPD – Margit Stumpp [BÜND- Wir sprechen über Zukunft. Der einfachste Weg, die Zu- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Schulen sind kunft vorherzusagen – das Zitat kennen Sie; ich formu- darauf nicht vorbereitet!) liere es einmal anders –, ist, ein Versprechen zu geben Die pädagogischen Konzepte für ein solches Wechsel- und es dann auch zu halten. modell sind bekannt, sie sind erprobt. Im Inverted Class- Wir haben uns im Sommer alle in die Hand verspro- room, dem umgedrehten Klassenzimmer, chen – lieber Herr Frömming, dazu braucht es Ihre Frak- (Dr. Götz Frömming [AfD]: Vor Monaten tion nicht –, dass es Schulschließungen nicht geben wird, schon vorgeschlagen! Hat die Schweiz schon nicht mehr geben darf. Wir wollen nicht zulassen, dass lange gemacht!) Familien und dass die Bildungschancen vor allem von Kindern von Gering- und Normalverdienern noch einmal erhalten die Schülerinnen und Schüler den Input zu Hau- die Verlierer der Pandemiebekämpfung sind. se mit Lernvideos, mit Rechercheaufträgen, während Übung und Vertiefung dann im Klassenzimmer erfolgen. (Beifall bei der SPD) In der halbierten Lerngruppe erhält jeder und jede die Denn geschlossene Schulen sind doch nichts anderes als individuelle Betreuung, die er oder sie benötigt. verschlossene Lebens- und Bildungswege für Kinder, die Die Konzepte sind also da, und sie sind erprobt. Wir ein Recht auf Chancengleichheit haben. brauchen jetzt nur noch den Mut, neue Wege zu gehen Geschlossene Schulen bedeuten schwere psychische und diese Möglichkeiten auch zu nutzen. Die Politik in (B) Belastungen für Kinder und für die Familien eine krasse Bund und Ländern braucht den Mut, auf die Kreativität (D) Überforderung. Viel zu oft sind Schulschließungen auch und das Verantwortungsbewusstsein von Lehrkräften, schlicht gleichbedeutend mit Betriebsschließungen, von Eltern und Schülern zu vertrauen und sie mit allem zu unterstützen, was sie dazu brauchen. (Stephan Brandner [AfD]: Sie haben die doch geschlossen! Wussten Sie das denn vorher (Beifall bei der SPD) nicht? Sie haben Gelegenheit, sich zu entschul- Schulen und Lehrkräfte müssen digitale Bildungsange- digen!) bote organisieren können, und jedes Kind muss die Mög- lichkeit haben, diese digitalen Bildungsangebote der weil Väter und Mütter nicht arbeiten können, wenn ihre Schule auch wahrzunehmen. Wir haben deshalb dafür Kinder nicht betreut sind. Deshalb sage ich es auch heute gesorgt, dass das möglich ist. Die Koalition hat im Rah- in aller Klarheit: Die SPD steht zu ihrem Versprechen. men des Zukunftspaketes dieses Konjunkturpakets be- Wir wollen keine Schulen mehr schließen. schlossen, den DigitalPakt um weitere 1,5 Milliarden (Beifall bei der SPD – Stephan Brandner Euro aufzustocken. 500 Millionen Euro wurden bereitge- [AfD]: Wer zu spät kommt, den bestraft das stellt, um alle Schülerinnen und Schüler mit digitalen Leben! – Weiterer Zuruf von der AfD: Späte Endgeräten zu versorgen, deren Eltern das nicht leisten Erkenntnis!) können. 500 Millionen Euro gibt es für Endgeräte für Lehrkräfte, und weitere 500 Millionen Euro für die Aber wir werden nur dann erfolgreich sein, wenn wir Administration dieser Geräte. auch die Realität der Pandemie anerkennen. Wir haben es mit einem hochaggressiven Virus zu tun, dessen Lang- (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zeitschäden wir noch nicht kennen, und das – anders als NEN]: Alles befristet!) lange geglaubt – auch Schulkinder nicht verschont, ins- Ein großer Gamechanger in den Schulen. Ich finde, das besondere die älteren. kann sich sehen lassen. (Stephan Brandner [AfD]: Hochaggressive (Beifall bei der SPD) SPD-Vorsitzende!) Die Zukunft Glücklicherweise erkranken sie nur sehr selten schwer. – so sagte wiederum Victor Hugo – Und doch können sie andere anstecken: nicht nur Mit- schülerinnen und Geschwister, sondern eben auch Lehr- hat viele Namen. Für die Schwachen ist sie das kräfte, Eltern und Großeltern und damit auch Angehörige Unerreichbare. Für die Furchtsamen ist sie das von Risikogruppen. Unbekannte. Für die Tapferen ist sie die Chance. 24252 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Saskia Esken (A) Wir müssen zu den Tapferen gehören. Das ist unser (Beifall bei der FDP – Zuruf von der AfD: (C) Mandat, das ist unsere Pflicht, gerade jetzt in der Nichts ist geschehen!) schwersten Krise, in der gefährlichsten Pandemie seit 100 Jahren. Wir müssen die Chancen der digitalen Bil- Es hatte wirklich erschütternde Folgen: Die Schüler dung erkennen und nutzen. Wenn wir jetzt den Mut haben während des ersten Schul-Lockdowns etwa ein haben, in der Bildungspolitik neue digitale Weg zu gehen, Drittel des Lernstoffs des vergangenen Schuljahres ver- dann meistern wir nicht nur diese Pandemie, sondern passt. Allein das wird sie, über ihr Berufsleben gerechnet, dann erschließen wir eine ganz neue Zukunft für unser im Durchschnitt rund 3 bis 4 Prozent ihres Erwerbsein- Bildungssystem, und zwar dauerhaft – für die Tapferen kommens kosten. und für unsere Kinder. Aber nicht nur unsere Kinder haben unter dieser Situa- Vielen Dank. tion gelitten. Die Schulschließungen haben auch Eltern und unter ihnen überwiegend die Mütter durch die enor- (Beifall bei der SPD) me Mehrfachbelastung aus Erwerbsarbeit, Haushalt, Betreuung und Homeschooling an den Rand ihrer Leis- Vizepräsidentin Petra Pau: tungsfähigkeit und darüber hinaus gebracht. Das Wort hat die Kollegin Katja Suding für die FDP- Wenn Schulen schließen, dann fällt für viele Kinder Fraktion. der für ihre soziale Entwicklung so wichtige Kontakt zu (Beifall bei der FDP) Lehrkräften und Mitschülern weg. Besonders für von Gewalt bedrohte Kinder kann das Verschwinden des Katja Suding (FDP): Sozialraums Schule schlimme Folgen haben. In ohnehin Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! angespannten Situationen erhöhen geschlossene Kitas Seit Monaten steht die Welt Kopf. Viele Menschen sind und Schulen das familiäre Konfliktpotenzial immens. Be- in Sorge, dass sie selbst oder Familienmitglieder, Freunde reits im Sommer berichtete die Deutsche Presse-Agentur und Bekannte an Covid erkranken und dass dieser Verlauf über steigende Zahlen von häuslicher Gewalt gegen Kin- auch sehr schwer sein könnte. Das ist aber nur die eine der. Auch das sind eben die traurigen und oft übersehenen Seite. Es sind vor allen Dingen die wirtschaftlichen und Folgen von Schulschließungen, vor denen wir nicht die die sozialen Folgen der Pandemiebewältigung, die Bür- Augen verschließen dürfen. gerinnen und Bürger schwer belasten. (Beifall bei der FDP) Als Abgeordnete ist es unsere Aufgabe, dieses Gesamtbild in den Blick zu nehmen. Es wäre absolut Deshalb, meine Damen und Herren, müssen Bund und (B) fatal, wenn wir nur auf Corona und die notwendigen Länder noch viel klarer machen: Flächendeckende Schul- (D) Maßnahmen zur Eindämmung schauten. Wir müssen schließungen wird es nie wieder geben. Und auch zu auch ganz genau hinschauen, welche Folgen diese Maß- einer Halbierung von Klassen, die ohne zusätzliche Lehr- nahmen haben, und dann mit kühlem Kopf abwägen und kräfte einem Teil-Schul-Lockdown gleichkommt, darf es kluge Konzepte entwickeln. nie wieder kommen. (Beifall bei der FDP) Seit zehn Monaten müssen wir nun schon mit dem Virus leben. Seit zehn Monaten wächst aber auch unser Ich sage das, weil das ganz besonders für die Kindergär- Wissen im Umgang mit Covid. Immer wieder bestätigen ten und die Schulen gilt; denn hier sind die Auswirkungen Studien, dass insbesondere Kinder unter zehn Jahren nur auf die Kinder und ihre Eltern dramatisch. eine geringe Viruslast tragen, sie sich also seltener anste- Wir erinnern uns alle noch sehr gut und sehr schmerz- cken und das Virus weniger stark verbreiten. Und nur haft an das bundesweite Unterrichtsdesaster, das wir zu 1,8 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, also nur ein Beginn der Coronapandemie erlebt haben. sehr, sehr kleiner Teil der Kids, ist derzeit in Quarantäne; das sagt die Kultusministerkonferenz. Wer in dieser ( [SPD]: Das nennt sich Nordrhein- Situation den Präsenzunterricht bundesweit beschränken Westfalen, und die Ministerin gehört zu Ihrer will – ich nehme mit großer Sorge die Stimmen auch Partei!) außerhalb dieses Hauses zur Kenntnis –, dem fehlt es Die anfänglichen Schulschließungen in den ersten schlicht an den belastbaren empirischen Fakten, meine Wochen, vielleicht auch in den ersten wenigen Tagen, Damen und Herren. geschahen zu einer Zeit, in der wir alle noch fast nichts über das Virus wussten und als auch kaum Zeit war, ent- (Beifall bei der FDP) sprechende Vorsichtsmaßnahmen und Hygienemaßnah- Es ist jetzt einfach der falsche Zeitpunkt, das Schuljahr men zu ergreifen. Das war sicherlich nachvollziehbar bereits verloren zu geben. Stattdessen brauchen wir neue und auch angemessen. Entschlossenheit und neuen Mut für kluge Hygienekon- Dann aber im Laufe der Wochen und Monate die Klas- zepte. Studien der Universität der Bundeswehr und der senräume tatsächlich ohne jede Kenntnis über das Infek- Uni Frankfurt kamen bereits vor Wochen zu dem Ergeb- tionsgeschehen in den Schulen ganz oder so gut wie ge- nis, dass Luftfiltergeräte die Aerosolkonzentration im schlossen zu halten, das war damals ein riesengroßer Klassenraum um 90 Prozent reduzieren können. Nutzen Fehler. Über viel zu lange Zeit wurde unseren Kindern wir also die technischen Möglichkeiten und statten wir damals das Grundrecht auf Bildung verwehrt, und das die Klassenräume endlich mit solchen Luftfiltergeräten war dramatisch. aus. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24253

Katja Suding (A) (Beifall bei der FDP – Dirk Wiese [SPD]: Da mit einem Plan B, mit dem besseren Organisieren von (C) braucht ihr eine neue Schulministerin in Nord- Pandemiemaßnahmen oder notwendigen Schulschlie- rhein-Westfalen!) ßungen auseinandergesetzt. Das war und ist fahrlässig. Hier ist auch Frau Karliczek gefragt, und da reicht auch Über den Sommer und danach wurde es geradezu das Versprechen, wie ich es hier heute mehrfach gehört sträflich versäumt, die Schulen für eine zweite Welle habe, nicht aus. Es müssen eben auch die notwendigen vorzubereiten. Denn die bisherigen Maßnahmen, die Maßnahmen getroffen werden, damit dieses Versprechen mühsam erarbeiteten und umgesetzten individuellen umgesetzt werden kann. Einige Bundesländer sind be- Hygienepläne, die AHA+L-Regeln – Abstand, Hygiene, reits erste Schritte in diese Richtung gegangen. Die Lan- Alltagsmaske plus Lüften –, reichen eben nicht mehr aus, desregierung in NRW beispielsweise hat kurzfristig um die Infektionszahlen in Schulen einzudämmen. Wir 50 Millionen Euro für die Anschaffung von Luftfilterge- brauchen zusätzliche Maßnahmen. räten bereitgestellt. Es wurde erwähnt: Untersuchungen zeigen, dass mobi- (Dirk Wiese [SPD]: Wie fernab der Realität ist le Luftfilter die Virenlast deutlich reduzieren können; das denn?) HEPA-Filter scheinen sehr wirksam zu sein und sind Das Bild, das Herr Rachel hier eben gezeichnet hat, sofort einsetzbar. Deshalb fordern wir erstens im Haus- geht wirklich komplett an der Realität vorbei. Die Bun- halt 500 Millionen Euro für ein Förderprogramm „Mobi- desregierung hat den Sommer eben nicht genutzt, um die le Luftfilter“ ausschließlich für finanzschwache Kommu- Schulen pandemiefest zu machen. Deswegen appelliere nen bzw. Quartiere. ich an dieser Stelle auch noch einmal an Frau Karliczek, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und endlich sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE eine krisensichere Infrastruktur zu schaffen, damit wir LINKE]) den Präsenzunterricht durch Luftfilter und durch eine gute digitale Ausstattung, also auch die Ausschüttung Der Verteilungsschlüssel soll sich an der Einwohnerzahl, aus den Mitteln des DigitalPakts, so gut wie möglich dem Kassenkreditbestand und der Arbeitslosenzahl stattfinden lassen können, auch über den Winter. Die orientieren, damit das Geld dort ankommt, wo es am Frau Ministerin – bitte richten Sie ihr das aus – soll end- dringendsten gebraucht wird. lich aufwachen. Nur so werden wir einen erneuten Kol- (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: So ist laps des Bildungssystems verhindern. es!) Vielen Dank. Wir brauchen zweitens ein Förderprogramm für die digitale Grundausstattung aller Schulen. (B) (Beifall bei der FDP) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Organisation, Technik, Pädagogik: Die Mittel des Digi- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die talpakts können darauf aufbauend genutzt werden. Damit Kollegin Margit Stumpp das Wort. digitale Strukturen nachhaltig und verlässlich geschaffen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden, brauchen wir zudem dessen Verstetigung in einem Digitalpakt plus. Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die digitale Grundausstattung ist zwingend – dritter Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Punkt –, damit die jetzt notwendigen Blended-Learning- nen und Kollegen, Damen und Herren! Aus der ersten Konzepte umgesetzt werden können – ja, da gibt es Kon- Welle der Pandemie haben wir gelernt und Kitas sowie zepte –, weil es zwischen Vollzeitpräsenzunterricht und Schulen offen gehalten; denn wie sehr sich mangelnder Schulschließungen doch viele Zwischenstufen gibt, um Kontakt zu den Lehrkräften auf den Lernerfolg auswirkt, das Infektionsgeschehen vor Ort in Griff zu bekommen: haben uns die Schulschließungen schmerzhaft vor Augen versetzter Unterrichtsbeginn, geteilte Klassen, feste geführt. Je jünger die Kinder sind, umso drastischer sind Lerngruppen oder größere Räumlichkeiten. Damit eine die Folgen, umso mehr werden Bildungschancen ge- zweite Bildungskrise ausbleibt, die vor allem die eh schmälert. schon Benachteiligten am härtesten trifft, braucht es jetzt die intelligente und pandemieadäquate Kombination aus Eine andere Erkenntnis, Frau Suding, scheint aller- Unterricht im Klassenraum und digitalen Angeboten im dings trügerisch zu sein: Die steigenden Infektionszahlen Fernunterricht. in den Schulen nähren Zweifel an der These, dass Kinder bei Weitem nicht so infektiös seien wie Erwachsene. Wir brauchen viertens eine Bundeszentrale für digitale Inzwischen scheint es, als zeigten Kinder eher atypische und Medienbildung, die Orientierung und Unterstützung Krankheitsverläufe. Folge: Die Krankheit wird nicht für Lehrkräfte und Schulträger bietet. Dafür fordern wir erkannt; die Kinder können aber dennoch ansteckend 10 Millionen Euro pro Jahr; denn niedrigschwellige ver- sein. Das erhöht die Ansteckungsgefahr, erschwert die lässliche Information ist ein entscheidender Faktor für Nachverfolgung und die Eindämmung der Pandemie. eine erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierung an Schulen. Um tatsächlich Klarheit zu bekommen, müssten wir in Schulen regelmäßig und flächendeckend testen. Diese Last, but not least müssen wir den Bildungsföderalis- Kapazitäten haben wir nicht. Das ist bekannt, und trotz- mus auf tragfähige Füße stellen. Die Leistungsfähigkeit dem haben sich die Mehrzahl der Verantwortlichen nicht des deutschen Bildungssystems – Stichwort: PISA – die 24254 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Margit Stumpp (A) Durchlässigkeit, die Chancengerechtigkeit waren schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (C) vor der Krise schwach. Doch seit dem Frühjahr werden Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Baustellen und Unzulänglichkeiten gnadenlos sicht- NEN]: Verstetigung!) bar. Fragen Sie einfach einmal einige Schulleiter. Ich habe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 14 Jahre damit zu tun gehabt, vielleicht zum Glück nicht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) in einer Zeit wie heute. Sie können gerne einmal nach- fragen. Jeder Schulleiter sagt Ihnen: Geben Sie mir ein- Frau Suding, die KMK kümmert sich noch nicht ein- mal ein Stückchen Planungssicherheit, ein bisschen mal um zentrale Informationen über geschlossene Ruhe, dass wir auch einmal arbeiten können. – Das ist Schulen bzw. Coronafälle in Bildungseinrichtungen – das Gebot der Stunde. wir haben nachgefragt –, während sich die Bildungsmi- nisterin ohne Inspiration und Ideen durch die Krise (Beifall bei der CDU/CSU – Tankred wurschtelt. Ergebnis: Kinder, Lehrkräfte und Eltern ver- Schipanski [CDU/CSU]: Die beschweren sich missen schmerzlich gemeinsame Standards und Leitplan- gerade nicht über zu viel Unterstützung! – ken. Verschärft wird dies noch durch eine vielstimmige Katja Suding [FDP]: Das sagen Sie mal Ihrer und verwirrende Kommunikation, die eher verunsichert Ministerin!) als stützt. Gelder, die wir beschließen, müssen auch in Zeiten wie Bildung ist eine gesamtpolitische Aufgabe. Wenn die diesen, in außergewöhnlichen Zeiten, entsprechend Rah- Krise retrospektiv die Bildung wenigstens in Teilen menbedingungen vergeben werden. Sie alle wissen, die vorangebracht haben soll, dann müssen wir aus dem jetzt Diskussion über die Medienkonzepte ist so hochgekom- Offensichtlichen die richtigen Schlüsse ziehen. Lassen men, weil es hieß: Die Mittel können nicht abgerufen Sie uns endlich die Grundlagen dafür schaffen, dass werden, da die Vorbereitungen der Länder, Kommunen Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam tatkräftig, und der Träger noch nicht so weit gewesen ist, weil die nachhaltig und gezielt für gute Bildung sorgen können! Schulen einfach die Voraussetzungen nicht hatten. – Genau an dieser Stelle haben wir entschieden, zu sagen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann kommen die Medienkonzepte später, aber sie kom- Dafür braucht es ein Kooperationsgebot statt des endlo- men; denn sie sind Voraussetzung für den Abruf. sen Hin- und Herschiebens von Verantwortlichkeiten und Es ist an dieser Stelle ganz wichtig, zu sagen: Wir Zuständigkeiten. Das können und das wollen die Betrof- bestreiten nicht, dass die Verunsicherung groß ist, nicht fenen nicht mehr hören. Sie erwarten von uns zu Recht nur wegen der Zahlen – die muss man immer in Relation Orientierung und Lösungen; jetzt mehr denn je. (B) setzen –, sondern auch wegen täglich neuer Berichte. (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jeder analysiert, jeder hat eine Meinung, jeder gibt sie sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE preis. In dieser Mediengesellschaft können Sie stündlich, LINKE]) täglich, manchmal minütlich neue Erkenntnisse lesen. Wie soll jemand, der für Kinder und Jugendliche Verant- Vizepräsidentin Petra Pau: wortung hat, das dann noch umsetzen? In einer Situation, in der wir uns als Bund verantwortlich sehen, darf es nicht Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Dietlind dazu kommen, dass wir sagen: Umgesetzt wird es nicht, Tiemann das Wort. weil die Länder es nicht machen und die Kommunen (Beifall bei der CDU/CSU) nicht hinterherkommen. – Das ist nicht die richtige Art und Weise, das führt zu Verunsicherung. Wichtig ist, dass diese Themen hier auf den Tisch kommen und dass wir Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt, wo wir fragen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und können und müssen: Wo haben wir anzusetzen? Kollegen! Wir haben alle heute sicherlich Zeitung gele- sen oder wieder gehört, wie sich die Infektionszahlen Was wir geleistet haben, welche Beschlüsse wir gefasst entwickeln, natürlich auch in Schulen. Das wollen wir haben, das wissen Sie alle bestens. Dankenswerterweise nicht wegdiskutieren. Aber wir wissen zum einen auch, hat Herr Staatssekretär Rachel noch einmal darauf hinge- wie die Verhältnismäßigkeit der Zahlen ist. Zum ande- wiesen. Ich glaube, eines ist ganz wichtig neben der Pla- ren – das ist bei den Vorrednern schon ein Stück weit nungssicherheit – darunter verstehe ich auch unser sehr deutlich geworden –: Bangemachen hilft nicht, gemeinsames Interesse und unsere gemeinsame Verant- Frau Suding und Frau Stumpp. Überholen ohne einzu- wortung; liebe Kollegen der AfD, wenn Sie einmal zuhö- holen hat auch schon einmal nicht funktioniert. ren würden –: Wir wollen die Schulen offen lassen; nicht um jeden Preis, mit großer Verantwortung. – Aber das, Das heißt, wenn wir immer wieder infrage stellen, was was wir in der ersten Welle der Pandemie alle gemeinsam wir gemacht haben, dann ist es richtig. Wir haben infrage gelernt haben, können wir heute als Erkenntnis einsetzen. zu stellen: Ist das richtig, was wir entschieden haben, und Wir wissen gut, wie wir zu reagieren haben; denn das wie kommt es an? Aber doch nicht immer in einer Form, Letzte, was wir machen sollten, wäre es, Schulen zu dass wir sagen: Dann machen wir einmal schnell etwas schließen. Neues. – Gelder beschlossen, Gelder noch nicht alle abgerufen, Gelder noch nicht alle umgesetzt, aber wir Es gibt noch viele Möglichkeiten, die man verbessern sagen schon einmal, wofür wir das nächste Geld brau- kann. Mir würden viele einfallen, nicht nur, dass das chen. – Ich denke, das ist der falsche Weg. Geld, das beschlossen wurde, abgerufen wird und an Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24255

Dr. Dietlind Tiemann (A) den Stellen wirklich umgesetzt wird, wofür es gedacht FFP3-Masken – selbst fast gar keine Wirkung haben und (C) wird. Ja, es gibt Möglichkeiten. Wissen Sie, wenn man Viren durchlassen, wie es im Übrigen Studien eindrucks- heute über Block- und Schichtunterricht spricht, dann voll belegen. Sie können es gerne nachlesen. halte ich es nicht für eine Strafe, wenn eine Klasse mit Die Schließung vieler kleiner Schuleinrichtungen zeigt 28 Schülern, die heute auch noch so unterrichtet wird, sich nun auch aus Pandemiesicht als ein Kardinalfehler. dann mit 14 Schülern unterrichtet wird. Das wäre ganz Kleinere lokale Einheiten in semiautarken Wirtschaftsc- toll. Aber Sie müssen natürlich die Lehrerstunden dafür lustern würden die Ausbreitung verhindern. Das setzt haben, das wissen wir auch alle. Wichtig sind Kontinuität aber voraus, meine Damen und Herren, dass man auch und Augenmaß bei dem, was wir zu entscheiden haben. willens ist, mehr in Bildung zu investieren. Neben Leh- Das Gebot der Stunde ist Umsetzung. Liebe Kolleginnen rern zählt dazu auch Sicherheits- und Hygienepersonal. und Kollegen, die Diskussion in diese Richtung zu füh- ren, hilft uns allen ein Stückchen weiter. Die Lüftungsversuche sind vom Ansatz her nicht so verkehrt, aber auch hier wissen wir alle aus eigener Wenn wir uns hier einig sind, dass die Mittel für die Erfahrung: Die meisten Fenster in den Schulen sind Entwicklung in den Schulen, die hier bei uns zu beschlie- kaputt oder klemmen. Investitionsstau, wo man nur hin- ßen sind, Eingang in den Haushalt finden, dann sind wir schaut. Und da, wo die Fenster tatsächlich einmal funk- auf dem richtigen Weg. Wir alle sollten in unseren Wahl- tionieren, trifft es eine zufällig ganz besonders grippe- kreisen darauf achten, dass das, was beschlossen wird, anfällige Klasse. Wie konnte so etwas in einem unabhängig von der Farbenlehre der Parteien vor Ort, modernen Land wie Deutschland passieren? auch umgesetzt wird; denn es geht um unseren Nach- wuchs, es geht um die Kinder und Jugendlichen, um die Aus der pandemischen Wundertüte werden jetzt Zukunft unserer Bundesrepublik. Darüber haben wir zu Unsummen für Lüftungssysteme geopfert. Aber ich will befinden. Das entscheiden wir hier. Ich bin der festen nochmals darauf hinweisen, dass Kinder unter 14 Jahren Auffassung, wir sind auf dem richtigen Weg. zur Entwicklung ihres Immunsystems eine Freund- Feind-Erkennung brauchen. Herzlichen Dank. (Saskia Esken [SPD]: Wie albern ist das?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Dieses Training macht sehr effizient die sogenannte Thy- musdrüse, die circa nach dem 14. Lebensjahr verschwin- det. Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Robby Schlund für Und noch etwas, meine Damen und Herren: Durch die die AfD-Fraktion. ständige Filterung der Luft kommt es zur Hospitalisie- (B) rung des Klassenzimmers. (D) (Beifall bei der AfD) (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Robby Schlund (AfD): Die Folgen sind gehäufte Allergieneigung und – – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Fernsehzuschauer! Jeder von uns hat seinen ganz eigenen (Zuruf von der SPD: Ah! – Weitere Zurufe von SOS-Morsecode und einschlägige Erfahrungen mit der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schultoiletten. Wir sind uns doch einig, dass die Hygiene NEN) auf den Schultoiletten – früher wie heute – absolut ver- – Ja, was quatschen Sie dazwischen? Lesen Sie mal bitte besserungswürdig ist. Denken Sie doch zurück: Da fehlt in Studien nach, und lassen Sie hier nicht nur so populisti- es an Seife, alles ist vollgeschmiert, und meistens sind die sches Zeug los. Becken verstopft oder defekt. Jedenfalls ist dieser Schul- bereich natürlich anfällig für übertragbare Krankheiten. (Beifall bei der AfD – Stefan Schmidt [BÜND- Es ist nicht zu leugnen, dass selbst damals in der DDR das NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal woan- sogenannte Hygienepersonal für eine ordentliche Sauber- ders lesen als auf Facebook!) keit und Hygiene gesorgt hat. Es ist doch wahr: Sie leben in Ihrem eigenen Brei, anstatt Kommen wir aber nun zum eigentlichen Heiligen Gral: die Folgen im Blick zu haben: die gehäufte Allergienei- die Maskenfrage. Es macht natürlich überhaupt keinen gung und funktionelle Immunschwäche. Das sind doch Sinn, wenn in der Klasse zwar auf Masken verzichtet die Probleme, mit denen wir uns in der Zukunft beschäf- wird, aber die Kinder sich auf den Gängen wieder ver- tigen müssen. Das ist aber das, was unsere Kinder nun, in mischen und nur beim Schuleingang die Masken getra- diesen Zeiten, am wenigsten brauchen. gen werden. Was für ein Quatsch, was für ein Irrsinn! Die Kinder neigen durch das völlig verfehlte Manage- Masken überhaupt zu tragen, das mag für ältere Schüler ment zu aggressivem Fehlverhalten, leiden unter Müdig- über 14 Jahren noch zu diskutieren sein, aber bei kleine- keit und Konzentrationsschwäche, und der sensomoto- ren Kindern, die noch durch die Funktion ihrer Thymus- risch-psychosoziale Entwicklungsprozess ist erheblich drüse geschützt sind, definitiv nicht. gestört. (Beifall bei der AfD) (Aydan Özoğuz [SPD]: Wo haben Sie das denn Insofern der Vorschlag, die Maskenpflicht überhaupt erst gelesen?) ab dem 14. Lebensjahr einzuführen, zumal die sogenann- Der derzeitige Umgang in der Schule führt bei den Kin- ten Alltagsmasken – wir reden hier nicht über FFP2- oder dern zu Stress, Angst und Zukunftsverdrossenheit. 24256 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Robby Schlund (A) Mein Wunsch an alle Abgeordneten hier im Haus ist, Diese Menschen, die sich jeden Tag darum bemühen, (C) ohne dieses Lockdown-Geschwafel offen und verantwor- verdienen jetzt auch Klarheit, wie es weitergeht. Die tungsbewusst mit der Situation umzugehen. Statt Angst Hoffnung liegt auf der Konferenz der Regierungschefs sollte man den Kindern Zuversicht und Visionen geben. von Bund und Ländern in der nächsten Woche. Ich finde es richtig, zu überlegen – und ich höre auch schon, dass (Beifall bei der AfD – [SPD]: beispielsweise das Bundesland Hamburg dazu Vorschlä- Dann machen Sie mal!) ge erarbeitet –, wie es im Schulbetrieb weitergehen kann. – Was Sie machen: Sie betrügen sie um ihre Kindheit und Ich finde es richtig, dass das die Länder machen. Sie sind Jugend. am Schulbetrieb näher dran als das Kanzleramt. Aber es ist jetzt auch wichtig, dass sich die Regierungschefs von Wie sagte so schön Bettina Wegner über die Kinder – Bund und Ländern in der nächsten Woche einigen, wie es ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: weitergeht – langfristige Lösungen, klare und verbind- liche Vorgaben und ein Vorgehen, das in allen Ländern Grade klare Menschen wär’n ein schönes Ziel. gilt. Es ist ein klarer Weg notwendig, weil wir sonst die Leute ohne Rückgrat hab’n wir schon zu viel. Schulen nicht offen halten können. Deswegen: ein klarer Schauen Sie einfach mal zurück auf gestern, auf die Weg, damit die Schulen geöffnet bleiben können. Straße: Das sind unsere Menschen. Für die sollten Sie Und wir haben was erreicht. Der erste Bildungsort, den hier sitzen. die Kinder erleben, ist die Familie. Gerade dort treffen sie (Zuruf von der SPD: Oh ja, die haben wir gese- auf ganz unterschiedliche Lernumgebungen. Damit kei- hen! – Saskia Esken [SPD]: Die haben Kinder ner abgehängt wird – gerade in den Zeiten, in denen der nach vorne geschickt als Schutzschild! Pfui Präsenzunterricht runtergefahren wird –, haben wir den Deibel! So sieht’s aus!) Weg dafür bereitet, dass digitale Endgeräte beschafft wer- den können, dass Lernplattformen eingerichtet werden Vielen Dank. können und dass hoffentlich bald auch der günstige Netz- anschluss kommt. Das alles haben wir schon erreicht. (Beifall bei der AfD) Das Lernen zu Hause trifft auf völlig unterschiedliche Voraussetzungen und Lernumgebungen in den Elternhäu- Vizepräsidentin Petra Pau: sern. Jedes Kind bringt seine eigene Geschichte mit, Das Wort hat der Kollege Oliver Kaczmarek für die bevor es in die Schule kommt. Aber jedes Kind verdient SPD-Fraktion. immer die gleichen Chancen und einen guten Start. Dafür (B) (Beifall bei der SPD) können wir etwas tun. Das ist Chancengleichheit, die wir (D) sicherstellen wollen.

Oliver Kaczmarek (SPD): (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bettina Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Margarethe Wiesmann [CDU/CSU]) befinden uns in einer pandemischen Lage. Was wir jetzt Wir haben viel gelernt. Von den 500 Millionen Euro, schaffen müssen, ist, dass wir gut durchkommen, gesund die für die Beschaffung von digitalen Endgeräten für bleiben und dafür sorgen, dass diejenigen, die krank wer- Schülerinnen und Schüler bereitgestellt werden, wird den, die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten, nach meinen Informationen fast das gesamte Geld noch dass wir das Recht auf Bildung sichern, gerade für dieje- in diesem Jahr abgerufen. Das Geld fließt ab. Wir haben nigen, die es ohnehin schon am schwersten haben, und aber auch gelernt, dass der Verteilungsschlüssel, der ge- dass wir die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen, wählt worden ist, nicht die soziale Lage abbildet, sondern auch für die Zeit danach; denn es wird auch eine Zeit nach dass das Geld nach der Bevölkerungszahl verteilt wird. der Coronapandemie geben. Der Fehler ist jetzt gemacht; die Bitte an die Bundesre- Deswegen: Die Situation ist herausfordernd. gierung ist aber, bei zukünftigen Vorhaben darauf zu ach- Schätzungen gehen davon aus, dass sich derzeit etwa ten, dass das Geld nach Bedürftigkeit und nicht mit der 300 000 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne befin- Gießkanne verteilt wird; da sollen Bayern und Baden- den. Das ist eine enorme Herausforderung für den Schul- Württemberg ruhig schreien. Meine Bitte ist, so eine Ver- alltag, jeden Tag eine neue Situation; das ist gar keine einbarung in Zukunft nicht mehr zu unterschreiben, son- Frage. Ich will es aber auch einmal umgekehrt betrachten: dern an der Stelle für Gerechtigkeit zu sorgen. Umgekehrt heißt das eben auch, dass über 8 Millionen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Birke Schülerinnen und Schüler allein an allgemeinbildenden Bull-Bischoff [DIE LINKE]) Schulen – da kommen noch mal 2 Millionen in den berufsbildenden Schulen dazu – derzeit in die Schule Was wir auch hören, ist – wir haben viel gelernt –, dass gehen und ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können, Lehrerinnen und Lehrer gerne auch mit digitalen Lern- teilweise unter täglich veränderten Rahmenbedingungen. mitteln den Unterricht gestalten wollen. Wir müssen Das ist eine großartige Leistung, die unsere Schulen und dafür sorgen, dass solche Lernmittel entwickelt werden die Schulverwaltungen jeden Tag aufs Neue für Schüle- und dass die Lehrerinnen und Lehrer darauf zugreifen rinnen und Schüler erbringen. und sie vor allem rechtssicher nutzen können, dass sie sich in keiner rechtlichen Grauzone bewegen. Deswegen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hier der Hinweis: Die Koalition hat eine Strategie für der CDU/CSU) Open Educational Resources, für frei teilbare Lernmittel, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24257

Oliver Kaczmarek (A) vereinbart. Wir wünschen uns, dass dieses Vorhaben aus Das Handeln des Bundes bleibt aber Stückwerk, wenn (C) dem Koalitionsvertrag jetzt auch zügig umgesetzt wird. es nicht von den Ländern, den Kreisen, Städten und Die Lehrerinnen und Lehrer brauchen Rechtssicherheit Gemeinden im engen Miteinander flankiert wird. Und für den Einsatz digitaler Lernmaterialien. es ist schon von allen Fraktionen bekräftigt worden, wie wichtig es ist, die Schulen auch bei diesem hohen Infek- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Margit tionsgeschehen weiter offen zu halten. Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf warten die Lehrer seit vielen Wochen!) Wir wollen alles tun, um Schulschließungen zu ver- meiden. Wir können auf die Erfahrungen aus dem Früh- Jetzt steht natürlich die Aufrechterhaltung des Schul- jahr zurückgreifen und wissen nun, wie wichtig es ist, betriebs in der Krise im Mittelpunkt – das ist völlig klar –; Präsenzunterricht so lange wie möglich zu ermöglichen. aber es wird, wie gesagt, auch eine Zeit nach Corona Darin bestätigt uns auch eine Umfrage des ifo-Instituts geben. Corona hat jetzt schonungslos offengelegt, wo vom Juni dieses Jahres, die zeigt, dass Schüler trotz des unsere Defizite sind. Aber wenn wir die richtigen Lehren weitverbreiteten Onlineunterrichts im Schnitt nicht ein- ziehen, dann kann Corona auch ein Beschleuniger für die mal halb so viel lernen, wenn die Schule geschlossen ist. Schul- und Unterrichtsentwicklung und insbesondere die Die tägliche Lernzeit war demnach von 7,4 Stunden auf Digitalisierung werden. Genau das sollte unser Anspruch 3,6 Stunden gesunken. sein. Digital unterstütztes Lernen erweitert die Lernmög- lichkeiten, ermöglicht individualisiertes Lerntempo, Die Leopoldina erklärt aktuell, dass die Schulen vor ermöglicht Kooperation – wichtige Voraussetzungen, dem Hintergrund ihrer Bedeutung a) für das Wohlergehen um in der zukünftigen Arbeitsgesellschaft zurechtzukom- der Kinder und Jugendlichen und b) für das Infektions- men. Digitalisierung kann auch Lehrerarbeit und Verwal- geschehen insgesamt jetzt in die Lage versetzt werden tungsarbeit unterstützen. müssen, konsequent alle dringend notwendigen Schutz- maßnahmen unbürokratisch ergreifen zu können. Die Deshalb noch mal zum Beginn meiner Rede: 8 Millio- Leopoldina hat konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, nen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden die eingehalten werden sollen, um die Schulen weiter Schulen können zur Schule gehen. Wenn wir das Enga- offen halten zu können. Wir dürfen davon ausgehen, gement der vielen Menschen, die heute jeden Tag dafür dass die Länder diese Empfehlungen der Nationalen Aka- sorgen, dass die Kinder zur Schule gehen können, wert- demie der Wissenschaften prüfen und umsetzen. schätzen wollen und sollen, dann darf die Unterstützung nach der Krise nicht nachlassen, dann darf es nicht bei Eine wichtige Empfehlung der Leopoldina wie auch Krisenbewältigung bleiben, dann muss der Weg in die des Robert-Koch-Instituts ist das regelmäßige Lüften. Digitalisierung weitergegangen werden, und zwar zum Bayern wird mit 50 Millionen Euro den Einbau von Lüf- (B) Nutzen von Schülerinnen und Schülern und Lehrerinnen tungsanlagen in Schulen und Kitas fördern, und auch (D) und Lehrern. andere Bundesländer – so auch mein Bundesland Hes- sen – haben angekündigt, Gelder für die Ausstattung Herzlichen Dank. der Schulen mit Lüftungsanlagen bereitzustellen. (Beifall bei der SPD) Entscheidend ist auch, dass Schülern während der Quarantänezeiten Distanzlernen ermöglicht wird. Um Vizepräsidentin Petra Pau: dies zu ermöglichen, hat die Bundesregierung finanz- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin schwere Programme für die Digitalisierung an den Dr. Astrid Mannes das Wort. Schulen einschließlich der Anschaffung von Endgeräten und der IT-Unterstützung bereitgestellt; das hat der (Beifall bei der CDU/CSU) Staatssekretär vorhin schon ausgeführt. Es darf natürlich nicht sein, dass man Abstands- und Dr. Astrid Mannes (CDU/CSU): Hygienemaßnahmen in der Schule verordnet und gleich- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen zeitig dieselben Schüler auf dem Weg zur Schule in den und Herren! Auch wenn wir bislang verhältnismäßig Schulbussen kaum den Abstand einhalten können. Auch gut durch die Pandemie gekommen sind und besser daste- hier sind die zuständigen Ebenen mit kreativen Lösungs- hen als die meisten Länder um uns herum, so gilt es jetzt ansätzen gefordert. doch, alles zu tun, um das dynamische Infektionsgesche- hen einzudämmen und ein Zusammenbrechen des Ich möchte zum Schluss auch noch einen ganz herz- Gesundheitssystems zu verhindern. Unser Ehrgeiz muss lichen Dank an die Schulleitungen, an die Lehrkräfte darin liegen, flächendeckend wieder den Schwellenwert sowie an die Eltern und Schüler für den sehr konstrukti- von unter 50 Infektionen pro 100 000 Einwohner zu errei- ven Umgang mit dieser schweren Situation aussprechen. chen. Und daher ist es richtig, dass unsere Bundeskanz- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. lerin und die Ministerpräsidenten im engen und ständigen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Austausch stehen; denn es geht nur im engen Schulter- ordneten der SPD) schluss.

Aber Kinder dürfen nicht die Verlierer der Pandemie Vizepräsidentin Petra Pau: sein, und daher ist es jetzt wichtig, dass die Voraussetzun- gen für digitales Lernen vorhanden sind. Der Bund unter- Das Wort hat die Kollegin Nicole Gohlke für die Frak- stützt hier sehr engagiert. Wir haben das vorhin schon tion Die Linke. gehört. (Beifall bei der LINKEN) 24258 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Nicole Gohlke (DIE LINKE): Und über die Frage von baulichen Maßnahmen an (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schulen haben Sie sich bis jetzt gar keinen Kopf gemacht. Wir sind mittendrin in der zweiten Welle der Pandemie, Dabei wissen wir von Hunderten Schulen, bei denen sich und mittlerweile ist klar: Auch Kinder, auch Schülerin- nicht mal die Fenster öffnen lassen aufgrund der bauli- nen und Schüler sind unter den Infizierten und können die chen Gegebenheiten. Warum gibt es hier keine Vorschlä- Krankheit weiterverbreiten. Die Frage, die jetzt im Raum ge? Warum passiert denn da nichts? steht und die die Menschen beschäftigt, ist: Wie geht es weiter mit den Schulen, wie geht es weiter mit den Bil- Es ist ein kapitales Versagen dieser Regierung, dass Sie dungseinrichtungen? Droht wieder die völlige Schul- das letzte halbe Jahr, dass Sie wichtige Monate einfach schließung wie im Frühjahr mit allen negativen Folgen haben verstreichen lassen, in denen man vieles hätte auf für die Kinder, für ihr soziales Leben, für ihre Bildungs- den Weg bringen können, das uns jetzt dabei geholfen chancen und mit den negativen Folgen für die Berufs- hätte, drastische Maßnahmen zu verhindern. Das wäre tätigkeit der Eltern und für die Gleichstellung von die Aufgabe dieser Regierung gewesen. Frauen? (Beifall bei der LINKEN) Gleichzeitig sorgen sich natürlich die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler um ihre Gesundheit, wenn Sie sagen immer, dass Sie Schulschließungen vermei- sie zum Beispiel nach einer Fahrt im überfüllten Bus oder den wollen. Das ist ja auch richtig; denn natürlich geht es in der überfüllten Bahn dann im Klassenzimmer auf darum, Bildung zu gewährleisten. Darauf haben die Kin- andere 20 bis 30 Menschen treffen, die den gleichen der und die jungen Menschen einfach ein Recht. Aber mit Weg hinter sich haben. Ich finde, das sind wichtige Fra- dem Aufsagen dieses Satzes ist es doch nicht getan. Das gen, und ich finde es absolut skandalös, wie wenig die ist doch kein Beten des Rosenkranzes. Bundesregierung bislang hier beizutragen hat und wie wenig sie das alles offenbar interessiert. Das ist unge- Die Wahrheit ist: Wegen der Versäumnisse dieser heuerlich! Regierung wird das Szenario von Homeschooling und Schulschließungen immer wahrscheinlicher. Das ist die (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Situation. Und wen wird das dann wieder am härtesten Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- treffen? Die Alleinerziehenden, diejenigen Arbeitnehme- NEN]) rinnen und Arbeitnehmer, die sich ihre Arbeitszeiten Was muss das Ziel sein, Kolleginnen und Kollegen? eben nicht flexibel einteilen können. Und es wird dieje- Das Ziel muss sein, die Schulen und Bildungseinrichtun- nigen Schülerinnen und Schüler am heftigsten treffen, gen möglichst offen zu halten – da sind wir uns einig – die eben nicht aus begüterten und topgebildeten Eltern- (B) und trotzdem keine unnötigen Risiken für die Beschäftig- häusern kommen, für die kein neuer Laptop und schnelles (D) ten und die Schülerinnen und Schüler einzugehen. Das ist Internet bereitstehen, sondern bei denen vielleicht doch das Ziel. Aber für die Erreichung dieses Zieles muss Sprachbarrieren bestehen und wo die Eltern vielleicht man etwas machen. Dafür braucht es doch einen Plan. Da nicht helfen können. Eine Schulschließung unter solchen darf sich diese Große Koalition nicht länger aus der Ver- Vorzeichen ist ein Programm zur sozialen Spaltung, und antwortung stehlen. das ist nicht hinnehmbar. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Das, was wir jetzt gerade erleben, kommt wirklich Kolleginnen und Kollegen, die Schulen und Bildungs- nicht überraschend. Es war bekannt, dass es eine zweite einrichtungen haben nicht erst seit gestern ein Problem. Welle geben wird; es war bekannt, dass es schwieriger Seit Jahren gibt es einen Lehrkräftemangel, der mit dafür werden wird, die Pandemie in der kalten Jahreszeit in den verantwortlich ist, dass die Lehrerinnen und Lehrer schon Griff zu kriegen, weil sich das Virus eben besonders gut lange vor der Pandemie zu einer der am schlimmsten in geschlossenen Räumen verbreitet. Meine Partei Die überlasteten Berufsgruppen zählen, der es natürlich Linke hat wirklich im Wochentakt den Sommer über Vor- auch jetzt gerade erschwert, die Klassen zu teilen. Warum schläge gemacht, wie man einigermaßen pandemiefest machen Sie nicht endlich etwas dagegen? Warum legen über die Wintermonate kommen kann, Sie nicht endlich ein Programm für die Ausbildung von (Beifall bei der LINKEN) mehr Lehrkräften auf? Das ist doch überfällig, Kollegin- nen und Kollegen. mit Ideen für einen besseren Infektionsschutz am Arbeitsplatz oder zum Beispiel mit der frühen Beschaf- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. fung von Luftfiltern. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Und was macht die Bundesregierung? Ende Oktober NEN]) legen Sie ein Förderprogramm für Lüftungsanlagen in Ich sage Ihnen: Einen wirklichen Gesundheitsschutz öffentlichen Einrichtungen auf. Im Oktober! Und dann an Schulen gibt es nur durch Investitionen. Dafür muss fördern Sie noch nicht mal mobile Luftfilter, obwohl man Geld in die Hand nehmen, und zwar spätestens jetzt. deren Wirksamkeit auch längst nachgewiesen wurde. Ja, Die Lufthansa haben Sie mit einem Milliardenpaket wie kurzsichtig ist das denn, bitte schön? gerettet, für Rüstungsprojekte mobilisieren Sie im Rah- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. men des großen Konjunkturpakets 10 Milliarden Euro, Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aber für 8 Millionen Schülerinnen und Schüler und für NEN]) 800 000 Lehrkräfte in diesem Land lässt sich kaum Geld Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24259

Nicole Gohlke (A) mobilisieren. So eine Schieflage! Das können Sie nie- Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnah- (C) mandem erklären. Machen Sie endlich Politik für die men, um die Pandemie einzudämmen und damit das Menschen, die es am dringendsten brauchen! Leben vieler Menschen zu schützen und alle Beschäftigten im Medizin- und Pflegesektor nicht Vielen Dank. zu überfordern, sind im Grundsatz notwendig und (Beifall bei der LINKEN) richtig – – danke dafür – Vizepräsidentin Petra Pau: (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: … Das Wort hat der Kollege Rudolf Henke für die CDU/ aber nicht ausreichend!) CSU-Fraktion. aber nicht ausreichend. (Beifall bei der CDU/CSU) Ja, welche Opposition bezeichnet die Maßnahmen der Rudolf Henke (CDU/CSU): Regierung schon als ausreichend? Das verlange ich nicht, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und das erwarte ich auch nicht. Meine Damen und Herren! Von 1995 bis 2009 war ich Aber ich sage, weil das in dieser Ausführlichkeit noch Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Die gar nicht hier vorgetragen worden ist, Danke dafür, dass Rede, die wir gerade gehört haben, hätte ich damals in wir uns in der Frage des Fortbestehens der epidemischen der Zeit der Schröder/Fischer-Regierung auch halten Lage von nationaler Tragweite wieder angenähert haben. können. Manche von uns haben sie auch damals im Land- Bei der gestrigen Entscheidung gab es 422 Jastimmen tag von Nordrhein-Westfalen gehalten, als wir in der und 134 Enthaltungen bei der FDP und bei den Linken. Opposition waren und mit dem Verweis auf Bonn bzw. Das nehme ich als ein Zeichen des gemeinsamen Sor- Berlin gesagt haben: Es ist unerträglich, wie schlecht die gens. Ausstattung von allem ist, weil der Finanzminister des Bundes nicht genügend Geld gibt. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber, verehrte Frau Kollegin, ich finde, so eine Rede Ich glaube, dass wir die Maßnahmen, die wir jetzt dürfen Sie im Deutschen Bundestag nicht halten, und getroffen haben, optimistisch beurteilen können; denn heute schon gar nicht; wir erleben in der Tat ein Abfedern der exponentiellen Dynamik. Die Notbremse zeigt also Wirkung, und sie (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Das ist zeigt ihre Berechtigung. Die Vereinbarung der Regie- zehn Jahre her! Da hat sich die Welt verändert!) rungschefinnen und -chefs hatte eine klare Botschaft: (B) denn die Länder, finanziell jedenfalls, sind durch die Schulen und Kindergärten bleiben offen, die Länder ent- (D) Politik der vergangenen Koalitionsregierungen stärker scheiden über die erforderlichen Schutzmaßnahmen. geworden als der Bund. Der Bund ist durch deren perma- (Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: nente erfolgreiche Einwerbung von Mitteln aus dem Bun- Gut!) deshaushalt für viele, viele Zwecke in eine Belastungs- situation geraten; jedenfalls ist nicht jeden Tag Ich sage an dieser Stelle: Ich will, dass das möglich Wunschkonzert. bleibt, aber Sie haben recht, wenn Sie darauf aufmerksam machen, dass in den Schulen das Infektionsrisiko nicht (Beifall bei der CDU/CSU) gleich null ist und dass es natürlich auch durch Schüle- Ich finde, Sie machen es sich ein klein bisschen zu ein- rinnen und Schüler zu einem Eintrag von Infektionen in fach, wenn Sie von der grundsätzlichen Aufteilung der ihre Familien kommen kann, und zwar auch in solche Aufgaben ablenken. Familien, in denen möglicherweise Hochrisikopersonen Bildungspolitik ist nach dem Grundgesetz nun mal leben. Sache der Länder; sie ist das Privileg der Länder. Die Deswegen bedarf die Frage, wie wir das Infektions- Länder halten sich den Bund, dem sie Aufgaben über- risiko zurückdrängen können, in der Tat intensiver tragen, und die anderen Aufgaben erfüllen sie selbst. Beachtung. Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie auf die Prä- (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Genau ventionsmaßnahmen in Schulen während der Covid-19- das ist das Problem! Gemeinschaftsaufgabe!) Pandemie aufmerksam machen, die das Robert-Koch- Institut vorgelegt hat. Diese Empfehlungen des Robert- Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie sagen: Wir Koch-Instituts für Schulen erkenne ich in den Anträgen nehmen einfach die Länder aus der Verantwortung auch teilweise wieder. heraus. An die FDP habe ich eine Frage. Sie sagen, das von den (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Birke Bull- Schulen ausgehende epidemiologische Risiko sei winzig, Bischoff [DIE LINKE]: Das will doch gar kei- eigentlich seien die Schulen keine Virenschleudern; so ner!) hat es einer Ihrer Landesminister vor ein paar Tagen im Ich will mich bei Ihnen von den Linken trotzdem für Gespräch mit einem Journalisten formuliert. Aber wenn eines bedanken. Sie schreiben in Ihrem Antrag „Unter- das der Fall ist, dann frage ich mich natürlich schon: Aus stützung für Schulen in der Pandemie“, den wir dem- welchem Grund sollen wir dann alle Schulräume mit nächst beraten werden – es geht in dieser Drucksache Lüftungsfiltern ausstatten? Ich habe mir im Sommer um die gleiche Thematik wie in dieser Aktuellen Stun- von Firmen Lüftungsfilter für mein Büro vorstellen las- de –: sen. Für Räume mit einer Größe von 10 mal 10 Quadrat- 24260 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Rudolf Henke (A) metern oder 10 mal 8 Quadratmetern wurden Preise von weiter stark zunehmen würde, bliebe uns nichts anderes (C) bis zu 90 000 Euro aufgerufen. Sie sagen, man kann klei- übrig, als wieder vermehrt digital zu unterrichten. Des- ne Geräte zum Preis von 300 bis 500 Euro in den Ecken halb müssen wir vor allem eines werden: schneller. aufstellen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Henke, das ist hochspannend, aber die Frage Ja, vieles hat zu lange gedauert, angefangen damit, müssen Sie mit der FDP an anderer Stelle klären und jetzt dass der DigitalPakt Schule schon in der letzten Wahl- einen Punkt setzen. periode hätte an den Start gehen müssen. Daran können wir jetzt nichts mehr ändern. Woran wir aber noch etwas ändern können, ist die Beschleunigung des Mittelabflus- Rudolf Henke (CDU/CSU): ses; das dauert nämlich echt zu lange. Deshalb haben wir Ja. – Ich erinnere nur noch an den Hinweis von Staats- hier eine entscheidende Anpassung vorgenommen. Von sekretär Bareiß von gestern: Im Rahmen des Förderpro- den Schulen und Schulträgern wissen wir aus vielen gramms des Wirtschaftsministeriums kann man über den Gesprächen, dass vor allem die Ausarbeitung der gefor- Einsatz von mobilen Luftfiltern reden, wenn ein ent- derten Medienkonzepte die Antragstellung in die Länge sprechender Beleg für ihre Wirksamkeit vorliegt. zieht. Deshalb können sie jetzt nachgereicht werden. Das ist ein Riesengewinn – eigentlich. Denn es scheint so, als Vizepräsidentin Petra Pau: würden das nicht alle wissen. So. Erst vor zwei Tagen stand in der „Berliner Morgen- post“, dass Schulleitungen beklagen, dass die Prüfung der Medienkonzepte alles verzögere. Da frage ich mich: Rudolf Henke (CDU/CSU): Was haben das Bundesbildungsministerium, Herr Rachel, Aber dazu müsste das Infektionsgeschehen in den und die Ministerin eigentlich kommunikativ unternom- Schulen ein anderes als von Ihnen behauptet sein. Ich men, um diese Informationen richtig und vor allem denke, über die Anträge können wir dann noch mal bera- auch weit in der Republik zu streuen? Eigentlich sollten ten. aus Ihrem Haus die Ideen doch nur so heraussprudeln. So richtig bekommt man davon aber, ehrlich gesagt, nichts Vizepräsidentin Petra Pau: mit. Herr Henke, bei der nächsten Aufforderung muss ich (Beifall bei der SPD) den Knopf hier bedienen. (B) Dass sich die CDU-Kanzlerin zusammen mit unserer (D) Parteivorsitzenden des Themas annehmen musste, sagt Rudolf Henke (CDU/CSU): eigentlich schon alles über den aktuellen Zustand in Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und für Ihre Ihrem Hause aus. Großzügigkeit. – Jetzt darf ich nicht vergessen, die Mas- ke wieder aufzusetzen, – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau: Großen Tatendrang habe ich auch bei der Umsetzung Das ist richtig. der drei zusätzlichen Pakete zum DigitalPakt vermisst. Dabei setzen diese zusätzlichen Mittel an so wichtigen Stellen an. Wir als Koalition haben dreimal jeweils Rudolf Henke (CDU/CSU): 500 Millionen Euro in die Hand genommen. Warum? – sonst kriege ich den nächsten Tadel. Im Frühjahr haben wir gesehen, dass einige Schülerinnen Herzlichen Dank. und Schüler komplett abgehängt waren, weil sich ihre Familien nicht einfach so ein Tablet oder einen Laptop (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr leisten konnten. Deshalb können sie jetzt über ihre [FDP]: NRW ist eine sehr erfolgreiche Landes- Schulen ein Leihgerät erhalten. Diese 500 Millionen regierung, wollte ich nur sagen!) Euro hätte es ohne die SPD übrigens nicht gegeben. (Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marja-Liisa Das Programm läuft vergleichsweise gut. Inzwischen Völlers das Wort. sind nahezu alle Mittel verausgabt, und die Geräte sind sogar größtenteils schon in den Klassen angekommen. (Beifall bei der SPD) Weil Technik alleine aber nichts bringt, haben wir ein weiteres Mal 500 Millionen Euro in die Hand genommen. Marja-Liisa Völlers (SPD): Damit unterstützen wir die Länder beim Aufbau von IT- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- Beratungsstrukturen an ihren Schulen. Diese Bund-Län- ren! Seit zweieinhalb Wochen leben wir jetzt im soge- der-Vereinbarung ist zum Glück seit Anfang November nannten Lockdown light. Wir sind uns, so denke ich, in Kraft. Ich kann nur sagen: endlich. Es liegt nun an den alle einig, dass Schulen so lange wie verantwortbar offen Ländern, dass diese Mittel schnell vor Ort eingesetzt wer- bleiben müssen. Aber wenn das Infektionsgeschehen den können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24261

Marja-Liisa Völlers (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Andreas Steier (CDU/CSU): (C) der CDU/CSU) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich fasse Außerdem wissen wir, dass sich Lehrkräfte mit der zusammen: Die Linken sind immer gut im Reden, aber Nutzung privater Technik datenschutzrechtlich in eine weniger gut im Machen. eher heikle Situation begeben. Deshalb statten wir sie für weitere 500 Millionen Euro mit Tablets oder Laptops (Jan Ralf Nolte [AfD]: Gut sind sie auch nicht aus. Es ist wichtig, dass sie nicht mehr auf die Nutzung immer im Reden!) ihrer privaten Geräte angewiesen sind. Auch das wird zu ihrer Entlastung beitragen. Hier große Belehrungen abhalten, das können sie; (Beifall des Abg. Timon Gremmels [SPD]) (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Sie machen doch auch nichts!) Diese brauchen sie dringend; denn sie stemmen gerade eine Mammutaufgabe. aber wenn sie liefern müssen, dann wird es sehr schnell ganz, ganz düster. Ein Vorschlag: Rufen Sie einfach mal (Beifall des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD]) bei den Landesregierungen an, wo Sie mit in der Regie- rung sind. An dieser Stelle noch mal mein großer Dank an alle Lehr- kräfte in unseren Schulen! (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Gespart wird in Sachsen-Anhalt, wo die CDU (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten regiert!) der LINKEN und der Abg. Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Es ist im deutschen Föderalismus so, dass erst einmal die Länder dafür verantwortlich sind, Bildung umzusetzen. Zu diesem Programm laufen gerade noch die letzten An dieser Situation hat Corona überhaupt nichts geän- Verhandlungen; das wurde hier schon mehrfach ange- dert. Dort, wo die Linken Regierungsverantwortung tra- sprochen. Ich erwarte nun von Ihnen bzw. stellvertretend gen, läuft es in der Bildungspolitik nämlich immer sehr, von Staatssekretär Rachel, dass Sie dem Ganzen jetzt sehr schlecht. noch mal mit Nachdruck hinterhergehen. Ende August wurde es beschlossen; knapp drei Monate später ist die Ein Beispiel: Berlin. Manche Schulen in der Haupt- Vereinbarung immer noch nicht in Kraft. Das kann es stadt haben aufgrund Ihrer Untätigkeit im Bildungssenat doch echt nicht sein! bereits eigene Konzepte für hybriden Unterricht erarbei- tet. Es gibt extra Taskforces von Eltern hier in Berlin, um (Beifall des Abg. Matthias Seestern-Pauly an Gymnasien und Oberschulen den Unterricht zu gestal- (B) [FDP]) ten. Eltern berichten, dass die Bildungssenatorin aber (D) Die Geräte müssen vor Weihnachten in den Schulen bei solche auf Eigeninitiative gewachsenen Konzepte stoppt unseren Lehrkräften ankommen. und auf Präsenz statt auf digitale Bildung setzt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Tja, FDP – Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär: das war in Nordrhein-Westfalen auch!) Das muss der Finanzminister machen!) Sie muss das tun, weil sie es den ganzen Sommer ver- Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich dürfen wir schlafen hat, entsprechende Konzepte vor Ort umzuset- uns nicht auf all diesen großartigen Maßnahmen ausru- zen. hen. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Als SPD-Bun- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Hier ist übri- destagsfraktion haben wir noch weitere Ideen, um die gens der Bundestag! Wir reden über die Bun- Situation zu verbessern. So fordern wir zum Beispiel desregierung!) schon seit dem Sommer, dass Lehramtsstudierende in den Schulen aushelfen dürfen. Mein Bundesland Nieder- In diesem Senat trägt Ihre Partei Verantwortung, hier vor sachsen hat sich hier inzwischen mit 45 Millionen Euro Ort in Berlin. In der Senatsverwaltung hier in Berlin liegt selbst auf den Weg gemacht. Ab Dezember werden dort die eigentliche, originäre Zuständigkeit für Bildung. Lehramtsstudierende im Unterricht helfen, beispielswei- se dort, wo die festen Lehrerinnen und Lehrer zur Risiko- (Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Fällt Ihnen gruppe gehören. Solche pragmatischen Lösungen brau- eigentlich keine andere Erwiderung ein?) chen wir dringend im ganzen Land. Daran sollten sich Was mich an dem Bericht aber besonders bewegt: Die alle anderen Bundesländer ein Beispiel nehmen. Eigenverantwortung in den Schulen gehört in dieser Pan- Herzlichen Dank. demiesituation eigentlich besonders gestärkt; denn Schulleiter, Lehrer, Eltern und Schüler wissen am besten, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sybille worauf es vor Ort in den Schulen ankommt. Benning [CDU/CSU]) (Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Aber nur, wenn die Ausstattung da ist!) Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Andreas Steier für die CDU/ Eltern und Schüler haben hier bereits viel auf die Beine CSU-Fraktion. gestellt. Die Politik müsste sich aus meiner Sicht erst mal die Frage stellen: „Wie können wir das ermöglichen?“, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und nicht: Wo liegen die Probleme? 24262 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Andreas Steier (A) An dieser Stelle möchte ich gerne ein Beispiel aus Lassen Sie uns also gemeinsam weiter daran arbeiten, (C) meinem Wahlkreis nennen, eine Schule in meiner Hei- wie wir die Schulen auch in der Krise entsprechend gut mat, die immer besonders gute digitale Konzepte auf durch die aktuell schwierige Zeit bringen. Aber hierzu die Beine gestellt hat und gerade in dieser Pandemie muss natürlich jeder seine eigenen Hausaufgaben vor auch eine gute Lösung gefunden hat: das Balthasar- Ort bewältigen. Neumann-Technikum in meinem Wahlkreis Trier. Diese Schule ist ein Paradebeispiel dafür, wie digitale Konzepte Vizepräsidentin Petra Pau: vor Ort durch Eigeninitiative zu guten Ideen und erfol- Kollege Steier. greichem Handeln geführt haben. Dort wurde durch digi- tale Konzepte bereits in der Stunde null im März, als der erste Lockdown zustande gekommen war, Andreas Steier (CDU/CSU): Vielen Dank. – Frau Präsidentin. (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Digitalisierung gibt es seit Mitte der (Beifall bei der CDU/CSU) 80er-Jahre! Das ist doch nicht die Stunde null!) Vizepräsidentin Petra Pau: der Unterricht eins zu eins digital umgesetzt. Da wurde Es bleibt dabei: In der Aktuellen Stunde sind die fünf keine Schulstunde pausiert, sondern der Stundenplan Minuten nicht die Mindestredezeit, sondern die Höchst- wurde eins zu eins umgesetzt. Solche Leuchtturmprojek- redezeit. te sollten in meinen Augen gefördert und nicht blockiert werden. (Andreas Steier [CDU/CSU]: 30 Sekunden mehr!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Aktuelle Stunde ist beendet. Um die Schulen aber auch in der aktuellen Krisenzeit weiterhin gut durch die Krise zu bringen, denke ich, müs- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: sen wir alle anpacken, damit wir diese Krise wirklich Beratung der Beschlussempfehlung und des bewältigen. Wir brauchen gute Ideen vor Ort, und diese Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- gilt es auch vor Ort zu stärken. Und wir brauchen natür- schuss) zu der Unterrichtung durch den Wehr- lich auch eine verantwortungsvolle Landespolitik in den beauftragten einzelnen Bundesländern. Jahresbericht 2019 (61. Bericht) Wir vom Bund – der Staatssekretär hat es eben gesagt – Drucksachen 19/16500, 19/23857 haben vorgelegt. Wir haben Mittel bereitgestellt in der (B) Coronapandemie. Wir rüsten die Schulen mit Laptops Die Situation, dass hier im Moment gerade noch der (D) und anderem technischen Equipment aus. Wir investieren Wechsel in den Fraktionen stattfindet, gibt mir die Mög- 500 Millionen Euro dafür, dass auch Schüler, die in sozial lichkeit, den ehemaligen Wehrbeauftragten Bartels oben benachteiligten Familien leben, diese Geräte bekommen. auf der Besuchertribüne zu begrüßen. Da sind jetzt auch die Länder gefordert, diese Konzepte (Beifall) umzusetzen, damit die Schüler diese Geräte vor Ort be- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten kommen. beschlossen. Was mich besonders ärgert, ist: Wir haben bereits weit Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Wehrbe- vor der Coronakrise, schon vor einem Jahr, auftragte des Deutschen Bundestages, Frau Dr. Eva Högl. (Margit Stumpp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Marie- NEN]: „Schon“ ist ja wohl der falsche Aus- Agnes Strack-Zimmermann [FDP]) druck!) mit dem DigitalPakt Schule den Schulen Mittel in Höhe Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bun- von über 5 Milliarden Euro bereitgestellt, um digitale destages: Ausstattung vor Ort zur Verfügung zu stellen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeord- nete! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wir debattieren heute (Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE]: Bloß: in zweiter Lesung den Jahresbericht 2019 – in diesem Fall Vor Ort ist nichts!) des Wehrbeauftragten; denn dieser Bericht stammt noch Man sieht auch: Einige Bundesländer haben ihre Haus- von meinem Vorgänger Dr. Bartels, dem ich an dieser aufgaben gemacht. Sachsen zum Beispiel hat bereits im Stelle danke, nicht nur für diesen Bericht, sondern vor September letzten Jahres viele Mittel aus diesem Pakt allem für seine engagierte Wahrnehmung des Amtes in abgerufen. Aber andere Bundesländer haben ihre Haus- den vergangenen fünf Jahren. aufgaben eben nicht gemacht. Da sollte man auch einmal (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem nachfragen. Eigenverantwortung gehört auch dazu. Wenn BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- man Mittel bekommt, muss man auch dafür sorgen, dass ordneten der FDP und der Abg. Franziska diese Mittel vor Ort eingesetzt werden. Das, meine Gminder [AfD]) Damen und Herren, gehört auch zur Ehrlichkeit in der Debatte. Mittlerweile bin ich fast sechs Monate im Amt, und ich bin sehr froh, dass ich den Sommer gut genutzt habe für (Beifall bei der CDU/CSU) viele Truppenbesuche und zahlreiche Gespräche mit Sol- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24263

Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages (A) datinnen und Soldaten; denn leider können wegen Coro- Der Jahresbericht 2019 beschreibt die bekannten, seit (C) na viele Begegnungen nicht stattfinden. Besonders scha- Jahren bestehenden und leider weiterhin aktuellen Pro- de ist, dass ich bisher noch nicht in die Einsatzgebiete im bleme der Bundeswehr: zu wenig Material, zu wenig Ausland reisen konnte. Videoschalten ermöglichen zwar Personal, zu viel Bürokratie. Soldatinnen und Soldaten einen Austausch, ersetzen aber nicht das persönliche brauchen in Ausbildung, Übung und Einsatz gute Aus- Gespräch und den Eindruck vor Ort. rüstungen. Dass dies nicht immer und überall gewährleis- Wie unsere gesamte Gesellschaft, so beschäftigt und tet ist, ist inakzeptabel. Es wäre gut, Frau Ministerin, belastet die Pandemie natürlich auch die Bundeswehr. wenn wir nicht erst 2031, sondern deutlich davor fest- Ausbildung, Übung und Einsatz sind stark beeinträchtigt stellen könnten, dass unsere Soldatinnen und Soldaten durch die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen. Ausbil- bestens ausgestattet sind. Das muss absolute Priorität haben. dung wird verschoben oder verkürzt, Lehrgänge können nicht stattfinden, und eine ausreichende Unterbringung (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ist noch schwieriger als ohnehin schon. Der Ausfall der Ehrlich gesagt, sehr geehrte Abgeordnete, das muss bei Auswahlkonferenz für Feldwebel hat Unverständnis her- einem Verteidigungshaushalt von rund 50 Milliarden vorgerufen und zu viel Unruhe in der Truppe geführt. Euro auch möglich sein. Ich begrüße daher, Frau Minis- Aber die in der Bundeswehr im Vergleich noch immer terin, dass Sie vorgestern gesagt haben, dass die Grund- niedrigen Infektionszahlen im Inland und im Ausland ausstattung und die Mittel des täglichen Betriebs in Zu- zeigen, dass das strenge und konsequente Hygienekon- kunft Vorrang haben sollen. Das ist der richtige Weg. zept des Sanitätsdienstes genau richtig ist. Auch wenn die Quarantäne unangenehm ist und mich dazu zahlreiche Die materielle Einsatzbereitschaft von derzeit etwas Eingaben erreicht haben: Es geht nicht anders. über 70 Prozent muss auch deutlich erhöht werden. Hier gab es leider im Jahr 2019 kaum Fortschritte. Fehlende Sehr geehrte Abgeordnete, bei meinen Truppenbesu- oder nicht einsatzfähige Fahrzeuge, Hubschrauber oder chen habe ich festgestellt, dass überall dort die schwierige Schiffe, fehlendes Werkzeug, unzureichende Ausrüstung, Lage gut bewältigt wird und tragbare Lösungen gefunden das ist leider häufig der Grund für die berechtigte Un- werden, wo vor Ort, am Standort und im Verband, verant- zufriedenheit von Soldatinnen und Soldaten. Es ist abso- wortungsvoll entschieden und gehandelt wird. Kreativi- lut unverständlich, dass es nicht gelingt, selbst die Be- tät, Flexibilität und vor allen Dingen gute Kommunika- schaffung von kleinen Ausrüstungsgegenständen wie tion sind maßgeblich, auch für hohe Akzeptanz der Schutzwesten, Gehörschutz oder Rucksäcken deutlich notwendigen Maßnahmen. zu beschleunigen. Die Strukturen und Prozesse müssen An dieser Stelle danke ich sehr, sehr herzlich den vie- dringend verändert werden. Das zeigen leider auch die (B) len Soldatinnen und Soldaten, die seit Ausbruch der Co- gerade erst gescheiterten Vergabeverfahren beim Schwe- (D) ronapandemie Amtshilfe zur Eindämmung des Virus leis- ren Transporthubschrauber und dem neuen Sturmgewehr. ten, für ihre großartige Unterstützung. Ich hoffe deshalb, dass die „Initiative Einsatzbereit- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, schaft“ in den nächsten Jahren wirksam wird und die der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Verfahren einfacher und schneller werden. Wir brauchen GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD) auch hier mehr Flexibilität, mehr Verantwortungsbe- wusstsein und klarere Entscheidungsstrukturen. Diejeni- Sie helfen in Gesundheitsämtern beim Testen und bei der gen, sehr geehrte Abgeordnete, die für die militärische Nachverfolgung von Infektionsketten, bei der Logistik, in Auftragserfüllung verantwortlich sind, die müssen wie- der Altenpflege und sogar mit der Militärmusik unter der mehr Kompetenzen und Ressourcenverantwortung dem Motto „Musik gegen Einsamkeit“ in Seniorenhei- bekommen. men. Über 7 700 Soldatinnen und Soldaten sind im Ein- satz; täglich werden es mehr. 15 000 sind in Bereitschaft, Sehr geehrte Abgeordnete, die klare Mehrheit der Sol- weitere 18 000 im Sanitätsdienst. Über 1 000 Amtshilfeer- datinnen und Soldaten leistet jeden Tag verantwortungs- suchen wurden gebilligt, fast 700 bereits erledigt. Auch voll ihren Dienst für unser Land, unsere Demokratie und wenn das nicht der Kernauftrag unserer Bundeswehr ist, unseren Rechtsstaat. Deswegen sagen wir ganz klar: Rechtsextremismus hat in der Bundeswehr keinen Platz; zeigt sich, was die Truppe kann, und darauf können wir sehr stolz sein. Dafür gebührt den Soldatinnen und Solda- er widerspricht Ehre und Kameradschaft. ten unser Dank, unsere Anerkennung und unser Respekt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der der CDU/CSU und des Abg. Dr. Tobias FDP) Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Danken möchte ich ebenso den Soldatinnen und Solda- Jeder einzelne Fall ist einer zu viel und muss zügig und gleichzeitig gründlich aufgeklärt werden – das gilt auch ten, die trotz Corona im Inland wie in den zahlreichen Auslandseinsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen für jedes Kennverhältnis und jede Chatgruppe –, damit ihren Auftrag erfüllen und ihren Dienst leisten für Frie- deutlich wird, welche Verbindungen es gibt, ob Netzwer- den, Freiheit und unsere Sicherheit. Aktuell besorgt uns ke entstehen oder ob Netzwerke bereits bestehen. Auf- der angekündigte Abzug der US-Truppen aus Afghanis- klärung ist unerlässlich. tan. Es ist gut, dass die Bundeswehr bereits Vorbereitun- Der Zwischenbericht zu den Reformen beim KSK gen für einen geordneten Rückzug getroffen hat. Oberstes zeigt – das ist jedenfalls mein Eindruck –, dass die Um- Gebot ist die Sicherheit unserer Soldatinnen und Solda- setzung der notwendigen Maßnahmen auf einem guten ten. Weg ist. Ich war bisher zweimal beim KSK, habe Gesprä- 24264 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages (A) che mit zahlreichen Soldatinnen und Soldaten geführt Abschließend möchte ich sehr, sehr herzlich allen dan- (C) und mir beim Potenzialfeststellungsverfahren einen Ein- ken, die zu diesem Jahresbericht beigetragen haben, druck verschafft. Ende November, Anfang Dezember rei- natürlich noch einmal meinem Vorgänger, Herrn Dr. Bar- se ich ein drittes Mal. Ich denke, dass das KSK eine gute tels, und ganz besonders allen Soldatinnen und Soldaten Zukunft hat, wenn es so weitergeht. sowie den Kolleginnen und Kollegen im Amt der Wehr- beauftragten. Auch beim BAMAD sind weitere Anstrengungen erforderlich, insbesondere bei den Sicherheitsüberprü- Ganz herzlichen Dank. fungen und bei den Reservistinnen und Reservisten. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sehr geehrte Abgeordnete, gestatten Sie mir eine Anmerkung zur Wehrpflicht, weil ich mich Anfang Juli Vizepräsidentin Petra Pau: dazu geäußert hatte und weil morgen hier Anträge dazu diskutiert werden. Selbstverständlich habe ich nie die Das Wort hat die Bundesministerin der Verteidigung, Rückkehr zur alten Wehrpflicht gefordert. Dennoch Annegret Kramp-Karrenbauer. erlaube ich mir, zu sagen, dass es 2011 trotz der damali- (Beifall bei der CDU/CSU) gen Schwierigkeiten mit der Wehrpflicht und vor allen Dingen wegen der Wehrgerechtigkeit und vor dem Hin- tergrund der damals veränderten Weltlage eine falsche Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesministerin Entscheidung war, die Wehrpflicht auszusetzen, zumal der Verteidigung: ohne Konzept. Ich würde mir wünschen – und es würde Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr mich freuen, wenn das auch hier im Bundestag unter- Dr. Bartels! Sehr geehrte Frau Wehrbeauftragte, Frau stützt würde –, dass wir im nächsten Jahr, zehn Jahre Högl! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte nach Aussetzung der Wehrpflicht, ganz ruhig und sach- Abgeordnete! Wir sind heute hier, um den Bericht des lich darüber diskutieren, Wehrbeauftragten 2019 zu besprechen. Ich darf zu Be- ginn meiner Rede ganz herzlich Herrn Dr. Bartels und all (Stephan Brandner [AfD]: Warum nicht mor- den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Erstellung gen schon?) des Berichtes danken und der aktuellen Wehrbeauftrag- wo wir heute stehen und ob wir mit den bisherigen Kon- ten, Frau Högl, für diese ausgewogene Darstellung, ins- zepten genügend junge Leute und einen ausreichenden besondere für den Dank an unsere Männer und Frauen, Querschnitt unserer Gesellschaft für die Bundeswehr wo immer sie sich zurzeit im Einsatz befinden. begeistern. (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Genau vor einer Woche haben wir 65 Jahre Bundes- Gestatten Sie mir bitte mit Blick auf die aktuellen wehr gefeiert. Wir können stolz sein auf unsere Soldatin- Ereignisse einige Worte zu den bekanntgewordenen Plä- nen und Soldaten. Sie stehen ein mit ihrem Leben für nen der USA zur Truppenreduzierung in Afghanistan und unsere Freiheit, Sicherheit, Demokratie und für unseren im Irak. Diese kurzfristige Entscheidung des scheidenden Rechtsstaat. Sie verdienen Dank, Anerkennung, Wert- US-Präsidenten Trump ist keine gute Entscheidung für schätzung und Respekt. Der Bundespräsident, sehr geehr- die NATO sowie für unsere Freunde und Partner in den te Abgeordnete, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es Operationen Resolute Support und Counter Daesh. Vor keine Distanz geben darf zwischen Bundeswehr, Gesell- allem ist es keine gute Entscheidung für die Menschen in schaft und Politik. Afghanistan und im Irak selbst. (Beifall bei der SPD – Heike Hänsel [DIE Aber diese Entwicklung trifft uns nicht unerwartet. Wir LINKE]: Und Grundgesetz!) haben gewusst, dass eine solche Truppenreduzierung Das ist ein Auftrag hier an uns alle. Das bedeutet und möglich ist, und wir haben uns darauf vorbereitet. Wir erfordert auch, dass die seit Jahren bestehenden Mängel haben unterschiedliche Szenarien entwickelt und voraus- endlich für die Truppe spürbar behoben werden müssen. geplant. Die Bundeswehr hat Fachleute vor Ort, sodass Das darf die Truppe von Parlament und Regierung erwar- die Folgen der US-Truppenreduzierung schnell einge- ten. schätzt und geeignete Maßnahmen umgesetzt werden können. Der Jahresbericht beschreibt ganz genau, wo die Män- gel, die Fehler und Versäumnisse liegen und wo es drin- Kurzfristig kommt es nun darauf an, im engen Aus- genden Verbesserungsbedarf gibt. Damit verbunden ist tausch mit der NATO und mit unseren Partnern festzu- die klare Erwartung und Forderung an das Ministerium, stellen, welche Unterstützung die US-Kräfte in Afghanis- an die militärische und politische Führung, diesen Bericht tan noch weiter leisten werden und welche Möglichkeiten als Grundlage zu nehmen für Reformen, für Lösungen wir dann als Allianz haben, unseren Auftrag zu erfüllen. und für Verbesserungen zum Wohl unserer Soldatinnen Von dieser konkreten Ausplanung wird abhängen, ob wir und Soldaten. kurzfristig für den 15. Januar nächsten Jahres oder danach unsere Missionen entsprechend anpassen müssen. Dabei Ich habe mir vorgenommen, während meiner Amtszeit hat natürlich die Sicherheit unserer Soldatinnen und Sol- immer auch das Positive zu betonen, das, worauf wir stolz daten sowie unserer Verbündeten absoluten Vorrang, ins- sein können, das, was jeden Tag geleistet wird, und das, besondere im Norden, wo wir als Rahmennation für was auf einem guten Weg ist. 15 Länder unseren Dienst verrichten. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24265

Bundesministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (A) Wir haben in der NATO mit den USA vereinbart, dass Vizepräsidentin Petra Pau: (C) vor einem Ende dieser Mission in Afghanistan Bedingun- Das Wort hat der Abgeordnete Elsner von Gronow für gen stehen, die erfüllt sein müssen. Darüber verhandeln die AfD-Fraktion. im Moment afghanische Regierung und Taliban im Frie- densprozess in Doha. Jede voreilige und unkalkulierte (Beifall bei der AfD) Verringerung der Truppen – da bin ich mir mit meinem Kollegen sehr einig – setzt diesen Friedens- Berengar Elsner von Gronow (AfD): prozess, der schon schwierig genug ist, weiter unter Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir Druck. Deswegen sollten wir darauf setzen, dass in begehen in diesem Jahr das 65-jährige Bestehen der Bun- Ruhe ausverhandelt werden kann, damit dieses Land zu deswehr – eigentlich ein Grund zum Feiern, doch unter Ruhe und Stabilität finden kann. Coronabedingungen schwierig und von linken Teilen der Gesellschaft eh nicht gewollt, da hier Ablehnung oder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bestenfalls freundliches Desinteresse gegenüber unseren Ich möchte Ihnen, liebe Frau Högl, zuerst einmal per- Soldaten vorherrscht. sönlich für das große Engagement danken. Sie haben bei Das erklärt auch die geringe Beachtung, die dieses Ihrem Amtsantritt gesagt, Sie hätten sich als erstes The- Jubiläum in den Medien, in der Öffentlichkeit und seitens ma nicht gerade „Rechtsextremismus und KSK“ ge- der Regierung erfährt. Das ist sehr bedauerlich, ist es wünscht, und trotzdem haben Sie, als ich Sie darum gebe- doch die Bundeswehr, sind es doch unsere Soldaten, die ten habe, den Reformprozess beim KSK zu begleiten, seit 65 Jahren für die Souveränität Deutschlands und für sofort zugesagt. Sie tun dies – das darf ich Ihnen voller die Freiheit der Deutschen dienen und bereit sind, mit Hochachtung sagen, auch nach Rückmeldung vieler Sol- ihrem Leben dafür einzutreten. Ich danke ihnen dafür. datinnen und Soldaten, besonders beim KSK – mit einer hohen Sensibilität, mit einer großen Anerkennung. Dafür (Beifall bei der AfD) darf ich Ihnen, auch im Namen der betroffenen Männer, Der Bericht des Wehrbeauftragten gibt allerdings we- mein ganz herzliches Dankeschön sagen. niger Anlass zum Feiern. Seit Jahren schon könnte man ihn überschreiben mit „Pleiten, Pech und Pannen“. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben schon mehrfach darüber gesprochen. Daher erspa- Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Themen, re ich Ihnen eine Aufzählung der fast zahllosen Proble- die der Jahresbericht 2019 aufwirft, sind leider nicht neu. me; sie sind bekannt. Die Reaktion der Regierung sieht Das ist der Grund, weshalb wir im Februar dieses Jahres man in ihrem Kommentar zum Bericht: gefällige Worte, positiv klingende Absichtserklärungen, Schönfärberei. (B) mit der „Initiative Einsatzbereitschaft“ begonnen haben. (D) Es zeigen sich schon erkennbare Verbesserungen, etwa Die Realität spricht aber eine andere Sprache, und das beim Eurofighter und auch an anderen Stellen. Es wird schon seit vielen Jahren. Die Regierung ist also offenbar aber trotzdem deutlich, dass es damit allein nicht getan nicht willens oder nicht fähig, Sicherheitspolitik im Sinne ist. unserer Soldaten, im Sinne unseres Volkes zu gestalten. Wir müssen weiter an der Reform des Beschaffungs- Immer mehr Menschen in unserem Land erkennen das wesens arbeiten, vorzugsweise mit den Beschäftigten in und werden hoffentlich bei den nächsten Wahlen Konse- diesem Bereich. Wir müssen weiter gemeinsam mit der quenzen daraus ziehen und vor allem die von der links- Industrie, aber auch durch strukturelle Veränderungen, gewendeten Merkel-CDU angestrebte schwarz-grüne etwa bei der Heeresinstandsetzungslogistik, dafür sorgen, Koalition verhindern. Ökosozialisten in der Regierung dass wir Material so zur Verfügung haben, dass unsere wären der nächste Schritt Richtung Abgrund, der nächste Truppe wirklich damit arbeiten kann. Angriff auf Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in unse- rem Land. Sie werden mich immer an Ihrer Seite haben, wenn es (Beifall bei der AfD – Ingo Gädechens [CDU/ darum geht, mit einem realistischen Blick die Dinge offen CSU]: So ein Schmarren! So ein Schmarren!) anzusprechen und vor allen Dingen auch kraftvoll anzu- packen. Meine Bitte an Sie ist es aber, nicht nur die Angesichts der vielen negativen Entwicklungen auch Themen in den Raum zu stellen, wo wir nach wie vor in diesem Jahr hoffe ich, dass der Bericht unter Frau erkennbare Probleme haben, sondern auch die Bereiche Dr. Högl ein wertvolles Hilfsmittel des Parlaments bleibt zu betonen, in denen wir Fortschritte gemacht haben; und die Mängel in der Bundeswehr weiter schonungslos denn auch das gehört zur Wirklichkeit der Bundeswehr. aufdeckt. Was aber nicht passieren darf, ist, dass er als Auch darauf sind unsere Männer und Frauen stolz. Sie weiteres Mittel im einseitig ideologiegetriebenen Kampf beweisen gerade jetzt in der Coronazeit, dass sie in der gegen rechts missbraucht wird. Er muss weiter dem Wohl Lage sind, jeden Auftrag, den wir an sie stellen, jeden der Soldaten dienen; dieser braucht mehr Schutz denn je. Einsatz, in den wir sie schicken, entsprechend durchzu- führen, und das ist etwas, worauf wir alle miteinander Man höre sich beispielsweise mal an, was für eine stolz sein können. inquisitorische Frage Soldaten nach einem 45-Kilome- ter-Marsch im Zustand der körperlichen und geistigen Vielen Dank. Erschöpfung gestellt wird: Gefreiter Schnürschuh, was halten Sie denn vom menschengemachten Klimawandel (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- oder den möglichen Gefahren von Migration für ordneten der SPD) Deutschland? - 24266 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Berengar Elsner von Gronow (A) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer fragt das ragtenbericht genutzt hat, die AfD-Ideologie zu verbrei- (C) denn?) ten, anstatt sich mal sachlich mit dem Bericht auseinan- derzusetzen. Was will man denn mit diesen Fragen herausbekommen? Eine extremistische, gar verfassungsfeindliche Gesin- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nung? bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNIS- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen SES 90/DIE GRÜNEN) denn diese Rede aufgeschrieben? Das ist gruse- Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ansehen lig!) der Bundeswehr ist gut. So sagen es jedenfalls die Um- Soldaten mit einer solchen Geisteshaltung zu identifi- fragen. Man nimmt Soldatinnen und Soldaten in Deutsch- zieren und aus der Truppe zu entfernen, wäre ein legiti- land positiv wahr. Soldatinnen und Soldaten helfen beim mes Ansinnen. Mit solchen Fragen aber finden Sie das Einsatz gegen Borkenkäfer, sie sind im Rahmen der nicht heraus. Sie finden bestenfalls heraus, ob der Soldat Covidkrise tätig, und sie unterstützen Menschen bei der von Regierung und Medien vorgegebenen Main- Hochwasser. stream-Meinung folgt, ob er politisch auch weit genug ( [AfD]: Das ist nicht ihre Kern- links ist. aufgabe!) Es ist völlig skurril, so etwas bei Soldaten zu suchen; – Ich komme noch darauf. – Diese positive Wahrneh- denn Linke werden, zumindest in freien Gesellschaften, mung verstellt ein wenig den Blick auf die eigentlichen eher nicht Soldaten, weil vieles, was für den Soldaten Aufgaben unserer Streitkräfte und ihre Verfasstheit. wichtig, ja unabdingbar ist, um den Dienst für unser Vaterland zu leisten, dem Linken nun mal fremd ist: Natürlich danken wir den Streitkräften jeden Tag für Werte wie Treue, Kameradschaft, Vaterlandsliebe, Rea- das, was sie außerhalb ihres eigentlichen Einsatzauftra- lismus und Traditionen. ges tun. Die meisten Menschen wissen einfach zu wenig über unsere, über ihre Armee. Der Bundespräsident (Beifall bei der AfD – Christian Dürr [FDP]: sprach anlässlich des 65. Gründungstages der Bundes- Alles Werte, die man bei der AfD vergeblich wehr von einem freundlichen Desinteresse. Das ist sehr sucht! – Henning Otte [CDU/CSU]: Ihre freundlich ausgedrückt. Und auch unsere Wehrbeauftrag- Kameradschaften kennt man!) te sprach eben von einer Distanz. Natürlich sind wir Was angeblich vermieden werden soll, nämlich eine dankbar für diese Hilfseinsätze; aber noch dankbarer soll- politisierte Bundeswehr, wird mit solchen Maßnahmen ten wir sein für eine Armee, die für Sicherheit, für Frei- heit und für Demokratie in unserem Lande sorgt. (B) jedoch erst recht betrieben. Aber das ist wohl in Ordnung, (D) solange es nur im Sinne der Regierung erfolgt. Und was (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ingo wäre dann der nächste Schritt? Wie bei allen linksideolo- Gädechens [CDU/CSU]) gischen Armeen, den Politoffizier einzuführen? Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, die unter (Zuruf von der SPD: Wir haben gestern gese- der Kontrolle von uns Abgeordneten steht, von Menschen hen, wie Sie das machen!) also, denen Wähler und Wählerinnen irgendwann mal ihr Nein, meine Damen und Herren, das darf nicht sein. Der Vertrauen ausgesprochen haben. Aber auch die Soldatin- Soldat eines freiheitlich-demokratischen Landes muss nen und Soldaten vertrauen uns, vertrauen darauf, dass genau so freiheitlich-demokratisch handeln und denken, wir ihnen den höchstmöglichen Schutz gewähren und sie leben und wählen dürfen wie alle anderen Bürger. Dafür mit Problemen nicht alleine lassen. Und ich möchte an trete ich ein; denn der einzige Schwur, den ich in meinem dieser Stelle auch daran erinnern: Wenn wir Soldaten in Leben geleistet habe, verpflichtet mich, das Recht und die internationale Einsätze schicken, dann muss auch das Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Das Equipment entsprechend gut sein. Wir können unsere werde ich – ob als Soldat oder Parlamentarier, jederzeit Einsätze nicht überdehnen, sondern müssen sie immer und gegen jedermann. an unseren Möglichkeiten ausrichten. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Wir verfügen mit dem Amt der Wehrbeauftragten/des Vizepräsidentin Petra Pau: Wehrbeauftragten über ein parlamentarisches Kontroll- Das Wort hat der Kollege Dr. Eberhard Brecht für die organ. Weltweit gehören wir mit dieser Ombudsstelle SPD-Fraktion. zu den Wegbereitern für ähnliche Institutionen. Die Kon- trollrechte der Wehrbeauftragten gehen weit über die von (Beifall bei der SPD) der OSZE geforderten Standards hinaus, und darauf kön- nen wir als Deutsche getrost stolz sein. Dr. Eberhard Brecht (SPD): (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sehr geehrte Frau Präsidentin! – Auch nach dem der CDU/CSU) Wechsel jetzt kann ich es bei dieser Anrede belassen. – Sehr geehrte Frau Dr. Högl! Sehr geehrte Frau Bundes- Die Arbeit der Wehrbeauftragten wird offenbar auch ministerin! Lieber Hans-Peter Bartels! Sehr geehrte Kol- von der Bundesregierung geschätzt. Als ich die Stellung- leginnen und Kollegen! Ich bedaure es ein wenig, dass nahme des BMVg in die Hand nahm, erwartete ich an unser Kollege von Gronow diese Rede zum Wehrbeauft- vielen Stellen eine Blockadehaltung; das hat sich beim Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24267

Dr. Eberhard Brecht (A) weiteren Lesen aber nicht gezeigt. Frau Ministerin, auch sie, wenn sie zur Arbeit kommen, dort ihre Elektroautos (C) Ihre Position zu den Kritikpunkten ist eher eine konstruk- aufladen können. Ich denke, solche Auflademöglichkei- tive, als dass Sie zu einer Blockadehaltung neigen. ten sollte es auch für Kasernen geben, Ich bin mit dem derzeitigen Zustand der Bundeswehr (Beifall bei Abgeordneten der SPD) trotzdem nicht zufrieden. Man kann natürlich richtiger- sodass Soldatinnen und Soldaten auch ökologisch an weise nicht mit einer schnellen Mängelbeseitigung rech- ihren Standort kommen. nen. Dazu ist der Apparat zu schwerfällig, zu groß, und die Struktur des BMVg ist auch zu komplex; wir haben ja Meine sehr verehrte Damen und Herren – ich sehe, schon sehr oft über das Thema „Neustrukturierung des meine Redezeit ist im Minus –, ich möchte an dieser BMVg“ gesprochen. Ich möchte deswegen heute nicht Stelle noch ein ganz herzliches Dankeschön sagen, auch noch einmal alle Thesen, die wir bei der ersten Lesung an die Wehrbeauftragte. Hans-Peter Bartels hat sehr hier artikuliert haben, wiederholen. Ich möchte mich große Fußstapfen hinterlassen, und obwohl Frau Dr. Högl auch nicht noch mal über das KSK und das Stichwort sicherlich eine kleinere Schuhgröße hat, hat sie doch „Einsatzbereitschaft“ auslassen. gezeigt, dass sie in den ersten 100 Tagen sehr viel Dampf gemacht hat. Ich denke, sie wächst sehr, sehr gut in diese Ich möchte mich ein bisschen dem Personal und der Fußstapfen hinein. kleinen Ausstattung widmen. Man kann zum Beispiel bei dem Besetzungsgrad der Dienstposten einen Fortschritt Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sehen. So konnte dieser bei den Hubschrauberführeroffi- (Beifall bei der SPD) zieren im Heer auf 75 Prozent gesteigert werden; das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Auch bei der Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten geht es in die Vizepräsidentin Claudia Roth: richtige Richtung. Mit einer nachvollziehbaren Priorisie- Vielen Dank, Dr. Eberhard Brecht. – Schönen Nach- rung der Kräfte der nationalen Krisenvorsorge und der mittag von mir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen! – VJTF 2023 werden nun auch sukzessive die geforderten Genau, die Maske, Herr Dr. Brecht. – Nächste Rednerin: gehörschutzkompatiblen Gefechtshelme beschafft. für die FDP-Fraktion Dr. Marie-Agnes Strack- Zimmermann. Aber in diesem Zusammenhang gibt es auch Probleme. Die Ausbildung einer Soldatin verzögerte sich um mehre- (Beifall bei der FDP – Ingo Gädechens [CDU/ re Jahre, weil ein aus medizinischen Gründen notwendi- CSU]: Ton in Ton mit der Ministerin! Alle heu- ger spezieller Gefechtshelm nicht zur Verfügung gestellt te rosa!) (B) wurde. Als Grund wurde genannt – das war der Tenor in (D) der Stellungnahme des BMVg –, dass diese Art von Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Gefechtshelm nur an ganz bestimmte Truppenteile aus- Aber die Hose unterscheidet uns. gereicht wird, nämlich den Luftlandeeinheiten. Warum kann man in solchen begründeten Einzelfällen nicht zu (Heiterkeit – [DIE LINKE]: einer flexiblen Lösung kommen? Hoffentlich nicht nur!) Ein anderes Beispiel. Ich war kürzlich in Feldkirchen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau bei einem Sanitätslehrgang, wo es darum ging, wie unse- Wehrbeauftragte, wir haben den Bericht Ihres Vorgängers re Soldaten für den nächsten Mali-Einsatz ausgerüstet vor uns liegen; Herr Bartels, ich freue mich, Sie hier zu und ausgebildet werden. Ein Soldat berichtete mir dort, sehen. Es ist ein schonungsloser Bericht, weil die Solda- dass eine Kampfausstattung erst circa sechs Wochen vor tinnen und Soldaten an der Hierarchie vorbei ihre Sorgen dem Einsatz bereitgestellt wurde – das Bundesverteidi- und Probleme schildern können. Von letzteren konnten gungsministerium geht sogar von acht Wochen aus –, wir uns auch immer bei unseren Besuchen an den Stand- sodass diese Ausrüstung, das heißt Kleidungsstücke, orten ein Bild machen. ohne Anprobe in der Transportkiste in das Zielland ver- Ich war gerade letzte Woche bei der Marine: schickt wurde; keines dieser Kleidungsstücke passte. Das kann nicht sein. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ist der dicker Die Festrumpfschlauchboote: immer noch nicht zugelau- geworden, oder was?) fen. Die Spezialkräfte sind frustriert und haben jetzt ihre Fähigkeiten beim Inspekteur abgemeldet. Das Geld ist Präventiv möchte ich auch noch auf eine andere da, der Auftrag erteilt und im Nirwana der Beschaffungs- Herausforderung hinweisen, nämlich die Energiewende. bürokratie verschwunden. Die Marineflieger in Nord- Ich denke, die Bundesregierung tut gut daran, auch selbst holz, zu deren Fähigkeiten gehört, Jagd auf U-Boote zu voranzuschreiten, in ihrem eigenen Verantwortungsbe- machen, können ihre Fähigkeiten bald auch an der Tür reich die Energiewende voranzutreiben. Und ich finde abgeben, weil bis heute nicht geklärt ist, wie das Nach- es sehr gut, dass darüber diskutiert wird, dass die Fahr- folgemodell ihres Fluggerätes aussieht. Das alles ist zeugflotten auf Elektromobilität umgerüstet werden. Ich unfassbar; aber es sind Symptome eines komplett in finde es sehr gut, dass Bundeswehrangehörige kostenlos sich gelähmten Systems. Durch die Zentralisierung ist mit der Deutschen Bahn fahren können. Aber es lässt sich keine Entscheidungskompetenz mehr bei denjenigen, noch mehr machen. Viele Firmen bieten ihren Mitarbei- die den Bedarf der Truppe kennen; sie sind beim Beschaf- terinnen und Mitarbeitern kostenlos Wallboxen an, damit fungsprozess komplett außen vor. 24268 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) Was erwarten wir eigentlich, meine Damen und Her- den Jahresbericht 2019 das erste Mal diskutierten, hatten (C) ren, von einer Bundeswehr, in der Soldatinnen und Solda- wir gerade diesen Waffenfund im Garten eines KSK-Sol- ten auf die Verteidigung unseres Landes ihren Eid leisten, daten in Sachsen erlebt. Wir haben danach viel diskutiert im Ernstfall ihr Leben riskieren, in Friedenszeiten aber so über Rechtsextremismus in der Bundeswehr und speziell gut wie jeder Verantwortung beraubt werden? beim KSK. Die Bundesregierung erweckt in ihrem Kom- mentar zum Jahresbericht den Eindruck, sie habe das (Beifall bei der FDP) Problem im Griff. Bezeichnend aber ist: Wir leisten uns Dreisternegene- räle im Bundesverteidigungsministerium im Rang eines Wir aber sagen: Es gibt eine Höchstzahl von rechts- Abteilungsleiters, die, nüchtern betrachtet, kaum was zu extremen Verdachtsfällen in der Bundeswehr, Dutzende melden haben. Wir leisten uns unter anderem Spezial- davon im und um das KSK. Und es beruhigt uns nicht, kräfte, fragmentiert und verteilt über die Teilstreitkräfte, dass die Munitions- und Sprengstoffverluste laut Bundes- anstatt sie ihrer strategischen Aufgabe entsprechend regierung wohl Buchungsfehler sind; aber genau kann sie direkt – das wäre auch gut für die Kontrolle – der Minis- das nicht sagen. Meine Damen und Herren, das ist hoch terin zu unterstellen, wie in allen Armeen der Welt. Frau riskant. Klären Sie auf, wo die Munition und der Spreng- Wehrbeauftragte, auf diese Verantwortungsdiffusion stoff verblieben sind! haben Sie gerade hingewiesen; denn diese Diffusion (Beifall bei der LINKEN – Jan Ralf Nolte beginnt ganz oben und läuft laufmaschengleich bis tief [AfD]: Haben Sie den ganzen Bericht gelesen? nach unten. Alle Themen?) Frau Ministerin, ändern Sie die Strukturen in Ihrem Haus! Sie haben die Macht dazu. Haben Sie auch den Was uns aber misstrauisch macht, ist, dass das BMVg Mut! Ihre Aufgabe ist es, die Bundeswehr umzubauen bereits neue Einsätze für das KSK plant und ab Anfang zu einer kompakten, einsatzbereiten Armee. Das Primat 2021 wieder eine stärkere operative Rolle für das KSK allen Handels liegt dabei immer bei der Politik; aber Sie vorsieht. Wir sagen ganz klar: Stellen Sie die Einsatz- brauchen dabei auch die Expertise des Militärs. Ein fähigkeit des KSK nicht vor die Gründlichkeit der Auf- Generalinspekteur, meine Damen und Herren, untersteht klärung der rechtsextremen Vorfälle! keinem Staatssekretär. Ein Generalinspekteur muss die- (Beifall bei der LINKEN) sem auf Augenhöhe begegnen. Da sehen wir Eva Högl auch ganz klar in der Verant- (Beifall bei der FDP) wortung, einen ganz klaren Blick drauf zu haben. Der Umbau der Bundeswehr, meine Damen und Her- Die Linke lehnt die Auslandseinsätze der Bundeswehr (B) ren, vor zehn Jahren mag damals organisatorisch richtig (D) gewesen sein. Heute, nach den Erfahrungen von 2014, grundsätzlich ab; das ist Ihnen bekannt. Was aber unserer heute, herausgefordert durch den internationalen Terro- Meinung nach gar nicht geht, ist, dass die Einsätze auf rismus, heute, in Partnerschaft und Verantwortung in der dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten ausgetragen EU und der NATO, ist es Zeit, diese Strukturen aufzu- werden, wie man zum Beispiel an der Verlängerung der brechen. Stehzeit von vier auf sechs Monate im Einsatz sieht. Hin- zu kommen die langen Quarantänezeiten. Das bedeutet Meine Damen und Herren, Frau Ministerin, der fran- für die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien eine zösische Präsident ist sauer. Die Amerikaner haben einen hohe Belastung. Wir sagen ganz klar: Es kann nicht sein, dicken Hals. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass Presi- dass die Familien die Konsequenzen der Ausweitung von dent-elect Biden einen schmaleren Hals hat. Denn wer Bundeswehreinsätzen tragen müssen. Sorgen Sie dafür, den Mund spitzt, sollte pfeifen. Oder wie Sie es selbst dass die Soldatinnen und Soldaten nach Hause kommen! vorgestern gesagt haben – Zitat –: Man muss endlich Sorgen Sie dafür, dass die Soldatinnen und Soldaten mal vom Reden zum Handeln kommen. Weihnachten mit ihren Familien feiern können! (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN – Jan Ralf Nolte GRÜNEN]: Ja!) [AfD]: Heißt das nicht „Jahresendfest“ bei Frau Ministerin, unsere Unterstützung haben Sie. Ihnen?) Wenn Sie loslegen, sind wir dabei. Die Aufgabe des Wehrbeauftragten bzw. der Wehr- (Beifall bei der FDP) beauftragten ist es laut Wehrbeauftragtengesetz, die Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten und die Vizepräsidentin Claudia Roth: Grundsätze der Inneren Führung zu schützen. Hans-Peter Vielen Dank, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann. – Bartels haben wir immer für seine Reden für mehr Auf- Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Christine rüstung kritisiert. Dass Sie, Frau Högl, sich jetzt stark- Buchholz. machen für die Beschaffung von Kampfdrohnen, (Beifall bei der LINKEN) (Jan Ralf Nolte [AfD]: Richtig so!) das ist uns mehr als sauer aufgestoßen. Christine Buchholz (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Eva Högl! Liebe Mitarbeiter- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte innen und Mitarbeiter der Wehrbeauftragten! Meine [CDU/CSU]: Och! – Ingo Gädechens [CDU/ Damen und Herren! Als wir hier vor wenigen Monaten CSU]: Also alles richtig gemacht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24269

Christine Buchholz (A) Kampfdrohnen schützen nicht, sie töten. Sie führen zu Was sind systematische Ursachen dafür, dass es zu dieser (C) Belastungsstörungen bei der Bevölkerung in den überproportionalen Häufung von Vorkommnissen im Einsatzländern und bei den Soldatinnen und Soldaten, KSK gekommen ist? die sie steuern. Sie entgrenzen den Krieg und bringen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN uns näher an automatische Kriegsführung heran. sowie des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]) (Henning Otte [CDU/CSU]: Mein Gott!) Um es klar und deutlich zu sagen: Wir dürfen an dem Frau Högl und die SPD-Fraktion, wir sagen ganz klar: Punkt aber auch nicht stehen bleiben. Ich erwarte von Sagen Sie Nein zu der Beschaffung von Kampfdrohnen! Ihnen, wir erwarten von Ihnen, dass Sie da auch präventiv (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte in der ganzen Truppe tätig sind. Es darf nie wieder vor- [CDU/CSU]: Unglaublich! – Ingo Gädechens kommen, dass wir über Jahre hinweg so eine Häufung [CDU/CSU]: Immer wieder die alte Leier!) von Fällen haben und erst dann tätig werden. Wenn in diesen Tagen mir zu Ohren kommt, dass beispielsweise die Zahl der Stunden für politische Bildung von Soldatin- Vizepräsidentin Claudia Roth: nen und Soldaten nicht zunimmt, was sie eigentlich Frau Kollegin, das war es. Danke schön, Christine müsste, sondern abnimmt, dann sehe ich, dass da ja Buchholz. – Nächster Redner: für die Fraktion Bünd- noch ein weiter Weg zu gehen ist. Ich kann Sie nur auf- nis 90/Die Grünen Dr. Tobias Lindner. fordern: Gehen Sie diesen Weg! Bleiben Sie nicht beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) KSK stehen, Frau Kramp-Karrenbauer! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es wäre an dieser Stelle noch viel zu sagen, unter Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen anderem, dass ich es irgendwie seltsam finde, in einer und Kollegen! Meine Fraktion dankt dem ehemaligen Grundsatzrede über den Indopazifik zu reden, wenn wir Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels für seine Arbeit es noch nicht mal schaffen, rechtssicher ein neues Sturm- für diesen Bericht und freut sich auf die Arbeit mit Ihnen, gewehr zu beschaffen. Aber das werden wir natürlich in Frau Dr. Högl. den Ausschussberatungen weiter thematisieren. Frau Ministerin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie hier zu Ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, für Afghanistan ein paar Worte gesagt haben. Ich glaube, in die Aufmerksamkeit. Ich danke unseren Soldatinnen und diesen Tagen – das haben uns auch die letzten vier Jahre Soldaten, gerade in diesen Tagen, in Zeiten von Corona, in Washington gelehrt – muss man sehr vorsichtig sein, für ihren Dienst. was Twitterbotschaften des scheidenden US-Präsidenten (B) Donald Trump betrifft. Nicht alles, was er twittert, Herzlichen Dank. (D) stimmt, und noch weit weniger davon wird dann auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in die Realität umgesetzt.

Aber es ist richtig: Wir sind es nicht nur der Bevölke- Vizepräsidentin Claudia Roth: rung in Afghanistan, sondern auch unseren Soldatinnen Vielen Dank, Dr. Tobias Lindner. – Die nächste Red- und Soldaten schuldig, für alle Szenarien gewappnet zu nerin: für die CDU/CSU-Fraktion Kerstin Vieregge. sein. Deswegen ist es richtig, dass auch die Bundeswehr jetzt verschiedene Perspektiven für einen Abzug aus- (Beifall bei der CDU/CSU) plant. Ich kann Ihnen nur sagen: Als Deutscher Bundes- tag erwarten wir natürlich von Ihnen, zeitnah und stetig Kerstin Vieregge (CDU/CSU): darüber informiert zu werden, wenn sich an der Lage und Frau Bundestagspräsidentin! Sehr geehrte Damen und der Situation etwas ändert, Frau Ministerin. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der vergan- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genen Woche haben wir den 65. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr gefeiert. Wenn man über den Jahresbericht des Wehrbeauftrag- ten spricht, vor allem über den Jahresbericht 2019, dann (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) darf das Thema „Rechtsextremismus in der Bundeswehr“ Nach dem verlorenen Kriege stellte dies für die junge keine Leerstelle sein. Es war gut, es war richtig, aber es Bundesrepublik einen zentralen Schritt auf dem Weg war viel zu spät, dass das Verteidigungsministerium ein- zur Souveränität des Landes und zur Anerkennung im gestanden hat: Ja, wir haben ein ernsthaftes Problem mit westlichen Bündnis dar. Damals bestand für viele Solda- Rechtsextremismus in der Truppe. – Wir haben ein Pro- ten ein Widerspruch zwischen dem Bild des soldatischen blem, das sich vielleicht in der Fallzahl im Prozentbe- Kriegers, ausgebildet, um zu kämpfen und zu siegen, und reich bewegen mag. Aber es droht den Dienst jeder Sol- eben den neuen Prinzipien der jungen Bundeswehr. Heute datin, jedes Soldaten, der treu auf dem Boden unserer jedoch mit Blick auf den 61. Jahresbericht des Wehr- Verfassung erfolgt, in den Dreck zu ziehen und das Ver- beauftragten unseres Parlaments ist dieser Widerspruch trauen darin zu untergraben, wenn diesen Fällen nicht mit aufgelöst. Niemand zweifelt mehr an der Sinnhaftigkeit allem Nachdruck nachgegangen wird. der Institution. Die Soldatinnen und Soldaten, aber auch Und ja, es ist gut, dass die Häufung der Fälle im Kom- die zivilen Bediensteten sind nach rund einem Viertel- mando Spezialkräfte der Bundeswehr nicht mehr nur auf jahrhundert mit ganz unterschiedlichen Einsätzen, insbe- irgendeinen Zufall zurückgeführt wird, sondern dass Sie, sondere mit den Erfahrungen aus Afghanistan, angekom- Frau Kramp-Karrenbauer, auch der Frage nachgehen: men, und zwar mit Erfolg angekommen; denn die 24270 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Kerstin Vieregge (A) Männer und Frauen unserer Armee haben sowohl im (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- (C) Auslandseinsatz als auch bei schwierigen Aufträgen im wie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und Inland ihre Leistungsfähigkeit mehrfach eindrucksvoll des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) unter Beweis gestellt. Ich freue mich so, dass der ehemalige Wehrbeauftragte (Beifall des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]) uns auch noch weiter begleitet in der sicherheitspoliti- Die Beteiligung der Bundeswehr im Kampf gegen die schen Debatte und kluge Papiere verfasst. Ich würde Coronapandemie ist das beste Beispiel dafür. mich freuen, auch in Zukunft weiter von ihm zu hören. Lieber Hans-Peter, schön dass du da bist! (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jahresberichte des Wehrbeauftragten sind aber auch ordneten der FDP) immer ein Spiegelbild der Lage unserer Bundeswehr, so auch diesmal. Der vorliegende Bericht zeigt, dass man Meine Damen und Herren, ich freue mich auch, dass weiter mit Personallücken, materialer Mängelwirtschaft die neue Wehrbeauftragte gut ins Amt gekommen ist. und Bürokratie zu kämpfen hat. Für eine Armee im Frie- Nach fünf Monaten kann ich sagen: Eva Högl, eine den ist das nicht ungewöhnlich. Doch es ist unsere gute Frau! gemeinsame Aufgabe, diese Probleme nachdrücklicher (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – anzugehen. Die vielzitierten Trendwenden müssen in Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: der Truppe noch spürbarer werden. Es wird immer besser!) Naturgemäß möchte ich einen kurzen Blick auf die – Frau Strack-Zimmermann, zu Ihnen habe ich das noch personelle Einsatzbereitschaftslage werfen. Ja, mit dem nicht gesagt. Besoldungsstrukturenmodernisierungsgesetz und dem (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz haben wir wirklich viel für die Bundeswehr getan. Dienstzufriedenheit hat Aber Sie haben ja noch eine Zeit lang Zeit. Sie können eben auch mit Sozial- und Fürsorgewesen zu tun; das sich das bei mir noch verdienen. möchte ich einmal ganz positiv betonen. Doch noch (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Dr. Franziska immer sind leider zahlreiche Dienstposten unbesetzt. Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leu- Laut Bericht verzeichnete man Ende 2019 ein Fehl in te, jetzt hört aber auf mit diesem Sexismus!) Höhe von 21 000 bei den Offizieren und Unteroffizieren und von 2 100 bei den Mannschaften. Dieser Mangel Was ich zu Frau Högl sagen wollte: Frau Högl hat betrifft vor allem hochqualifiziertes Fachpersonal, wie einen guten Blick auch auf die Herausforderungen, vor (B) beispielsweise Hubschrauberpiloten, Fernmeldetechni- denen die Bundeswehr steht. (D) ker oder auch Ärzte. Neben der Materiallage ist also die (Beifall der Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Personallage ein Problem, welches den Kern der Bundes- wehr berührt. Hier gilt es, nicht einfach abzuwarten und Meine Damen und Herren, ich will jetzt wieder ernst auf Heilung zu hoffen, sondern wir müssen gemeinsam werden, weil die Bundeswehr im Kern kein attraktiver nach Lösungen suchen. Ich würde mir sehr wünschen, Arbeitgeber ist. Die Soldaten, die sich für diesen Beruf dass dies gelingt. entscheiden, nehmen große Entbehrungen für sich und ihre Familien auf sich. Das, was wir ihnen schuldig Abschließend danke natürlich auch ich Herrn sind, das Mindeste, was wir tun können, ist, dass wir Dr. Bartels, aber auch Frau Dr. Högl nebst ihrer Mitarbei- versuchen, die Rahmenbedingungen, unter denen sie terschaft für die sehr gute Arbeit. Ich freue mich auf ein ihren schwierigen Job machen, zu verbessern. weiterhin erfolgreiches Miteinander im Sinne unserer Bundeswehr. Frau Högl, Sie sind die Anwältin der Soldaten. Sie sind aber auch unser Auge und Ohr, und Sie sind auch so (Beifall bei der CDU/CSU) etwas wie ein Briefkasten für die Soldaten. Durch Sie erfahren wir sehr viel, was in der Bundeswehr vorgeht, Vizepräsidentin Claudia Roth: und Sie helfen uns auch dabei, die Stellschrauben so zu Vielen Dank, Kerstin Vieregge. – Der letzte Redner in drehen, dass der Dienst in der Bundeswehr für die Solda- dieser Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Dr. Reinhard tinnen und Soldaten so gut, so angenehm wie möglich Brandl. erfolgt. (Beifall bei der CDU/CSU) Aber neben diesen vielen kleinen Stellschrauben in der Truppe gibt es auch ein paar große Stellschrauben, die wir gemeinsam hier im Parlament drehen müssen: Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die erste ist politische Rückendeckung. Unsere Solda- Ich freue mich sehr, dass der alte Wehrbeauftragte Hans- ten brauchen unser Zutrauen und unser Vertrauen, auch in Peter Bartels unter uns ist; ein guter Mann. schwierigen Situationen. (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: „Alt“ hört er (Beifall der Abg. Kerstin Vieregge [CDU/ nicht gern! – Henning Otte [CDU/CSU]: Der CSU]) ehemalige! – Dr. Marie-Agnes Strack- Zum Beispiel eine Situation wie beim KSK war für die Zimmermann [FDP]: Das sagt man nicht!) Bundeswehr und für die betroffene Einheit eine schwie- – Der ehemalige Wehrbeauftragte. rige Situation. Deswegen ist es wichtig, dass man auch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24271

Dr. Reinhard Brandl (A) hier den richtigen Ton findet, nicht wegschaut, aber auch Energiesicherheit gewährleisten – Nord (C) keine Vorverurteilungen vornimmt und keine pauschalen Stream 2 unterstützen Urteile fällt. Herzlichen Dank dafür! Drucksachen 19/22552, 19/23404 (Beifall bei der CDU/CSU) Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Die zweite große Stellschraube ist das Thema Ausrüs- Wirtschaft und Energie werden wir später namentlich tung. Es ist einem Soldaten, der in Mali in einen Hinter- abstimmen. halt gerät, nicht zu erklären, dass die Drohne, die über ihn Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten wacht, im Fall der Fälle nicht eingreifen kann, sondern er beschlossen. eine Stunde auf einen amerikanischen Hubschrauber war- ten muss. Deswegen brauchen unsere Soldatinnen und Ich bitte die Kollegen und Kolleginnen, ihre Plätze Soldaten zu ihrem Schutz die Ausrüstung für ihre Arbeit. einzunehmen, bevor ich dem ersten Redner das Wort Ich bin froh, dass die Wehrbeauftragte hier so klar Posi- erteile; Sie wollen ja, dass man Ihnen zuhört. tion bezogen hat. Dann eröffne ich die Debatte und gebe das Wort Mark (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Hauptmann für die CDU/CSU-Fraktion. ordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Claudia Roth: Mark Hauptmann (CDU/CSU): Und ich brauche das Ende Ihrer Rede. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine geschätzten Kol- leginnen und Kollegen! Der ehemalige amerikanische Sicherheitsberater und Außenminister Henry Kissinger Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): hat mal gesagt: „Amerika hat keine dauerhaften Freunde Ja, aber ich habe noch eine dritte Stellschraube, Frau oder Feinde, nur Interessen.“ Ich glaube, das ist im Hin- Präsidentin. blick auf die Debatte, die wir jetzt zum Thema „Nord Stream 2“ führen, ungemein wichtig. Ich bin überzeugter Vizepräsidentin Claudia Roth: Transatlantiker, muss aber sagen: Die USA betreiben hier Hätten Sie nicht so viel genderpolitisch geredet, dann eine knallharte Interessenpolitik. – Das ist legitim; denn wären Sie durchgekommen. auch wir als Europäer, als Deutsche haben Interessen. Nur: Im Fall Nord Stream 2 sind es nicht die gleichen (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Interessen. wie bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der (B) LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Was wir aktuell feststellen, ist, dass auch der neue (D) GRÜNEN) amerikanische Präsident, der gewählte, Joe Biden, hier nicht von der Position der Trump-Regierung abweicht, sondern – ganz im Gegenteil – vielleicht sogar noch Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): härtere Sanktionen beschließen und das auf die Versiche- Die dritte Stellschraube wären die Finanzen; auch die rungs- und Zertifizierungsfirmen ausweiten wird. Um es sind wichtig. Ich hoffe, dass wir in den Haushaltsberatun- klar zu sagen: Wir lehnen seitens der Bundesregierung, gen der Bundeswehr viel Geld zur Verfügung stellen. aber auch als Unionsfraktion exterritoriale Sanktionen Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ab. Mein geschätzter Kollege Philipp Amthor wird darauf (Beifall bei der CDU/CSU) später auch noch eingehen. Ich muss auch von einer anderen Seite her warnen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Was wir sehen, ist, dass es nicht nur völkerrechtswidrige exterritoriale Sanktionen sind, sondern dass vor allem Vielen Dank, Dr. Reinhard Brandl. – Damit schließe auch sehr viel Doppelmoral in dieser Debatte im Spiel ich die Aussprache. ist. Die USA importieren selber russisches Öl auf Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- Rekordniveau. Weil viele US-Raffinerien das leichte, gungsausschusses auf Drucksache 19/23857 zum Jahres- beim Fracking entstehende und geförderte Erdöl selbst bericht 2019 des Wehrbeauftragten. Der Ausschuss emp- nicht verarbeiten können, haben sich seit 2018 die ame- fiehlt, in Kenntnis des Jahresberichts auf Drucksache rikanischen Importe aus Russland mittlerweile auf 19/16500 eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt 11 Millionen Tonnen pro Jahr verdoppelt. Das zeigt, für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage- dass die Amerikaner hier europäische Unternehmen gen? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der Linken sanktionieren möchten, eigene Konzerne aber aus dieser und Zustimmung aller anderen Fraktionen ist die Be- Sanktionierung herauslassen möchten. Das ist mit uns, schlussempfehlung angenommen. gerade seitens der Unionsfraktion und der Bundesregie- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 a auf: rung, nicht zu machen. Beratung der Beschlussempfehlung und des Ich möchte kurz auf drei Themen eingehen, die zeigen, Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und warum wir Nord Stream 2 brauchen und warum diese Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Pipeline Deutschland und Europa nützt. ordneten Leif-Erik Holm, Tino Chrupalla, Erstens: die Versorgungssicherheit. Wir sehen, dass es Dr. Heiko Heßenkemper, weiterer Abgeordneter in den letzten Jahren einen wachsenden Anteil von Gas und der Fraktion der AfD am EU-Primärenergiemix gibt und dieser sich auch wei- 24272 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Mark Hauptmann (A) ter ausweiten wird. 1994 betrug der Anteil 18 Prozent, Leif-Erik Holm (AfD): (C) 2014 lag er schon bei 22 Prozent, und 2035 soll dieser Sehr geehrte Bürger! Frau Präsidentin! Meine Damen Anteil 28 Prozent betragen. Gleichzeitig sehen wir, dass und Herren! Heute um Mitternacht läuft wieder ein Ulti- europäische Förderländer wegfallen: Großbritannien, matum ab. Die USA drohen all jenen mit Sanktionen, die Norwegen, die Niederlande. Das heißt, wir haben insge- Dienstleistungen, Ausrüstung oder Geld für den Weiter- samt einen höheren Importbedarf bei dem Thema Gas. bau von Nord Stream 2 bereitstellen. Das betrifft auch den Fährhafen Sassnitz in meinem Wahlkreis, in dem Wir sehen auch nicht, dass wir eine einseitige Ab- Tausende Rohre für die Verlegung der letzten 130 Kilo- hängigkeit von Russland haben. Ich kann Ihnen das als meter der Pipeline bereitliegen. Ein Sprecher des Hafens ostdeutscher Kollege sagen: Selbst in den dunkelsten hat sich heute zu diesem Ultimatum geäußert. Er sagte Stunden des Kalten Krieges gab es stets verlässliche Lie- wörtlich: Das ist nicht unsere Angelegenheit, das betrifft ferungen seitens Russlands. die Bundesrepublik Deutschland. – Und weiter, fast (Zuruf von der LINKEN: Das stimmt!) beschwörend: Und die Bundesregierung schützt ihre Was wir aber sehen, ist, dass durch Nord Stream 2 eine Bürger und Unternehmen. – Aber tut sie das? Ehrlich Diversifizierung der Gasversorgung entsteht, weil näm- gesagt, habe ich den Eindruck, dass sich die Kanzlerin lich mehr Wettbewerb mit günstigeren Preisen für End- hier wegduckt. Wo sind denn Merkels klare Ansagen verbraucher entsteht. Wir sehen auch, dass man über die nach den wüsten Drohungen der US-Senatoren? Wo sogenannten Reverse Flow Capabilities osteuropäische sind die eindeutigen Reaktionen nach diesem Ultimatum Partner wie die Ukraine, wie Polen, wie Belarus mitver- des State Departments? Es passiert einfach nichts, und sorgen kann, indem das Gas nicht nur aus einer Richtung, das geht gar nicht! von Russland, in diese Länder strömt, sondern eben auch (Beifall bei der AfD – Timon Gremmels [SPD]: aus Europa in diese Länder zurückströmen kann. Das Lesen Sie einmal den Vermerk von gestern im heißt, auch hier führt das zu einer Reduzierung der Wirtschaftsausschuss!) Abhängigkeiten der europäischen Partner. – Habe ich gelesen, vielen Dank für den Hinweis. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hofft man im Kanzleramt denn wirklich, dass sich NEN]: Sie haben es alle nicht kapiert, oder unter einem neuen US-Präsidenten alles zum Guten wen- wie?) det? Das wäre wirklich reine Traumtänzerei. Joe Biden Zweitens. Wir sehen Gas nach wie vor als emissions- hat sich schon 2016 als Vizepräsident klar geäußert; er armen fossilen Energieträger, der gerade beim Stichwort sprach von einem „bad deal for Europe“. Ist es natürlich „Blauer Wasserstoff“ eine Brückenfunktion einnehmen nicht, aber damit ist die Richtung klar. Im US-Kongress (B) kann; und ein Land, das gleichzeitig aus der Kohle und ist man sich nahezu einig über weitere Sanktionen, und (D) aus der Kernenergie aussteigt, sollte nicht den Fehler die werden wahrscheinlich noch im Dezember verab- machen, auch die Gasversorgung aus dem Blick zu ver- schiedet werden. lieren. Deshalb halten wir es für wichtig, Nord Stream 2 Nord Stream 2 steht also weiter unter massivem Feuer, weiterzuführen. und Merkel versteckt sich. Schlimmer noch: Sie wackelt. Abschließend geht es auch um die geopolitischen Inte- Nach dem Anschlag auf Nawalny gab es ein merkliches ressen. Russland muss nicht an Europa verkaufen, son- Abrücken vom Projekt. Das halten wir für höchst bedenk- dern hat auf dem Weltmarkt auch andere Möglichkeiten, lich, zumal nicht mal klar ist, wer hinter dem Attentat etwa sich an China und andere Partner anzunähern. Das steckt. Die Kanzlerin, sie wackelt. Deshalb müssen wir ist nicht in unserem Interesse. als Volksvertreter dieser Regierung einen klaren Auftrag geben. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der AfD) Herr Kollege. Auch drei Viertel der Deutschen wollen eine Fertigstel- lung von Nord Stream 2, weil es einfach ein sinnvolles Mark Hauptmann (CDU/CSU): Projekt ist für Deutschland und für ganz Europa. Diese Es ist in unserem Interesse – Frau Präsidentin, damit Bürger haben einfach mal recht. möchte ich schließen –, gerade auch aufgrund von wach- (Beifall bei der AfD) senden Handelsbeziehungen innerhalb Asiens hier in der Region mit der europäischen Nachbarschaft gut zusam- Die Pipeline ist zu 97 Prozent fertig. Fast 10 Milliarden menzuarbeiten und gemeinsame Projekte zu realisieren; Euro sind bereits verbaut. Es wäre doch ein Wahnsinn, und Nord Stream 2 kann eines dieser Projekte sein. wenn dieses Geld der Investoren im Ostseesand versenkt würde. Wenn diese Regierung am Ende sogar selbst ein- Herzlichen Dank. knicken sollte, dann werden wir Steuerzahler Schadens- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ersatz in Milliardenhöhe zahlen dürfen, und das können ordneten der SPD und der LINKEN) wir uns zumal in der aktuellen Lage in unserem Land überhaupt nicht leisten. Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Mark Hauptmann. – Nächster Redner: Deshalb ist es so wichtig, dass der Bundestag ein klares für die AfD-Fraktion Leif-Erik Holm. Zeichen in Richtung USA setzt: Deutschland gestaltet (Beifall bei der AfD) seine Energiepolitik völlig selbstständig, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24273

Leif-Erik Holm (A) (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Es dient der Diversifizierung der europäischen Gasver- (C) NIS 90/DIE GRÜNEN]) sorgung. Das ist gut so, und deswegen brauchen wir Nord entscheidet im eigenen nationalen Interesse und verbittet Stream 2, meine sehr verehrten Damen und Herren. sich die Einmischung aus Übersee. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der AfD) der CDU/CSU) Extraterritoriale Sanktionen sind völkerrechtswidrig. Zweitens. Eine moderne Pipeline hat weniger Lecka- Schon die Androhung solcher Maßnahmen ist einfach gen, hat weniger Methanschlupf und dient somit auch der nicht hinnehmbar. Natürlich wollen auch wir gute Bezie- Umwelt und dem Klimaschutz. Das muss man gerade in hungen zu den USA, und wir teilen viele Werte; Richtung der Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/ Die Grünen sagen. (Timon Gremmels [SPD]: Die Trump’schen Werte!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN) das ist völlig klar. Wir aber handeln selbstbestimmt und nicht als Büttel Washingtons. Drittens. Es ist auch keine verlorene Investition, wie die Grünen immer behaupten. Denn später kann diese (Beifall bei der AfD) Pipeline mit leichten Umbaumaßnahmen genutzt werden, Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, nicht zu um Blauen, also CO2-freien Wasserstoff auch nach Euro- wackeln und zu wanken, sondern endlich aktiv zu han- pa zu bringen. deln, um dieses wichtige Projekt zum Erfolg zu führen. (Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜND- Ich freue mich sehr, dass im Wirtschaftsausschuss die NIS 90/DIE GRÜNEN]) anderen Fraktionen unseren Argumenten für Nord Stream 2 zugestimmt haben – Herr Hauptmann hat es ja Deswegen ist es keine verlorene Investition, sondern eine gerade auch getan, das ist sehr erfreulich –, abgesehen Investition in die Zukunft, um sozusagen so lange eine natürlich von den Grünen, die an ihrer energiepolitischen Brücke zu haben, bis wir genügend Grünen Wasserstoff Geisterfahrt weiter festhalten wollen – das ist ja auch haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. völlig klar –: Ausstieg aus der Kohle, aus der Kernenergie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und aus dem Gas. Sehr interessante Idee! LINKEN) Liebe Kollegen, Sie sollten die inhaltliche Unterstüt- Viertens, auch das ist wichtig: Nun lassen Sie doch Joe zung heute auch in der Abstimmung dokumentieren und Biden und die neue amerikanische Administration erst endlich das parteipolitische Klein-Klein hinter sich las- (B) mal mit der Arbeit anfangen. Lassen Sie uns ihnen doch (D) sen. Meine Damen und Herren, das erwarten die Bürger mal das Gespräch anbieten. Lassen Sie uns doch mit auch von Ihnen. Es geht hier nicht ums Parteibuch, es ihnen reden. Ich glaube, dass wir dort ein anderes Ver- geht um unser Land. handlungsklima haben, dass es da eben nicht um extra- (Beifall bei der AfD) territoriale Sanktionen geht, dass man auch mit Joe Biden und den Amerikanern reden kann, wohl wissend, dass Wir brauchen endlich klare Kante für Nord Stream 2, für auch die Demokraten Nord Stream 2 skeptisch gegen- unsere Energiesicherheit, für umweltfreundliches Gas überstehen; aber ich glaube, es gibt eine andere Verhand- und auch für die Völkerverständigung. lungskultur. Lassen wir Joe Biden doch erst mal starten, (Johann Saathoff [SPD]: Das müssen Sie dann meine sehr verehrten Damen und Herren. auch in Ihrer Begründung schreiben!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herzlichen Dank. Fünftens. Eine Pipeline ist immer auch eine Brücke, (Beifall bei der AfD) eine Brücke des Dialoges. Wir müssen mit Russland den politischen Dialog führen, und das geht besser, wenn wir Vizepräsidentin Claudia Roth: mit ihnen auch Handel treiben. Wir müssen mit ihnen Danke schön. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion über die Situation der Menschenrechte, die Situation der Timon Gremmels. LGBTIQ+-Community sprechen. All das müssen wir mit Russland klären, auch hart klären; denn das, was da läuft, (Beifall bei der SPD) sind Menschenrechtsverstöße, die wir nicht akzeptieren können. Timon Gremmels (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich in sechs Punkten kurz auf das Aber ich sage Ihnen: Wenn wir eine Brücke zu Russ- Thema Nord Stream eingehen. Wir haben uns ja schon land haben, dann ist das so wie im Kalten Krieg; denn da öfter hiermit beschäftigt, aber wir tun das auch gerne gab es auch die Gasversorgung, und das hat uns für den noch mal. politischen Dialog genützt. Erster Punkt. Nord Stream 2 dient der deutschen und (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜND- vor allem auch der europäischen Energiesicherheit. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Gucken Sie mal ins Geschichtsbuch zu Willy Brandt; NEN]: Quatsch!) das war eine wichtige Brücke. 24274 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Timon Gremmels (A) Mir ist es lieber, wir verhandeln mit Russland und wir Wir Freie Demokraten sprechen uns für ein Moratori- (C) beziehen Gas aus Russland, als dass wir zulassen, dass um aus, bis sich die russischen Behörden um eine ehr- Russland sein Gas Richtung China bringt. Diese Allianz liche Aufklärung des Falls Nawalny bemühen. Ein wäre eine, die uns größere Sorgen machen müsste. Also: Aussitzen darf und kann es nicht geben; denn Menschen- Es ist auch außenpolitisch ein wichtiger Punkt, diese rechte haben kein Ablaufdatum. Pipeline als Brücke zu nutzen, meine sehr verehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FDP sowie des Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Gleichwohl lehnen wir bei Nord Stream 2 Einmischun- Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) gen von außen und Sanktionsdrohungen der USA ab und Jetzt zur AfD. Der Antrag, den Sie uns hier vorlegen, kritisieren die sich leider nicht ändernde Tonalität unter ist aus der Zeit gefallen; das sieht man auch, wenn man dem neugewählten US-Präsidenten Biden. Unser Ziel auf das Datum guckt. Der Antrag ist ja schon ein paar muss es sein, eine deutliche Verbesserung der transatlan- Tage alt, und seitdem hat sich die Welt weitergedreht. tischen Beziehungen zu erreichen. Ehrlich gesagt: Herr Holm, ich frage mich, wo Sie waren. Meine Damen und Herren, Deutschland ist in den Wir hatten das Thema doch im Wirtschaftsausschuss. Es europäischen Binnenmarkt für Gas integriert. Die gab zur Sitzung gestern einen Bericht. Der ist zwar intern, Importkapazitäten sind vorhanden. Der Markt ist wett- nur für den Dienstgebrauch – deshalb kann man daraus bewerbsfähig. Mit zusätzlichen Optionen – darum geht jetzt nicht zitieren –, aber gucken Sie mal da rein. Da steht es, glaube ich, auch bei diesem Projekt – und einer haargenau und kleinteilig drin, wann die Bundesregie- stärkeren Diversifizierung steigern wir unsere Resilienz. rung mit wem gesprochen hat, dass es europäisch abge- stimmte Initiativen von 24 Ländern und dem Auswärti- (Beifall bei der FDP) gen Dienst der EU gibt. All das steht drin. Nord Stream 2 ist damit eine relevante, aber keine ent- (Zurufe von der AfD) scheidende Ergänzung für die Energieversorgung. Auch unsere Position als Importland für Energie, das wir schon Deswegen: Wir brauchen die Bundesregierung hier doch immer waren, können wir gegenüber den Lieferländern nicht zu etwas aufzufordern, was sie eh schon tut, näm- auf diese Weise verbessern. lich unser Interesse zu vertreten, meine sehr verehrten Aber, meine Damen und Herren, Nord Stream 2 ist Damen und Herren. mittlerweile nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch Ehrlich gesagt: Herr Holm und die AfD, wer hat denn ein hochpolitisches Projekt geworden. Mehrere Milliar- (B) die Anhörung im Wirtschaftsausschuss zu Nord Stream 2 den Euro aus privatwirtschaftlicher Hand sind bereits in (D) beantragt? Das war die Große Koalition! dieses Projekt geflossen. Das heißt: Alle an dem Projekt beteiligten Unternehmen – insgesamt zwölf bisher – (Steffen Kotré [AfD]: Stimmt nicht! Das war wären die großen Verlierer. Die Investitions- und Rechts- die AfD!) sicherheit würde erheblich belastet. – Hier darf ich noch mal an die Pläne der Grünen erinnern, die Entschädigun- Wir müssen uns da von Ihnen nichts sagen lassen. gen durch den Steuerzahler in den Raum geworfen haben. Dieser Antrag ist überflüssig; ihm brauchen wir nicht Wir sollten auch nicht vergessen, meine Damen und zuzustimmen. Die Bundesregierung handelt, und das Par- Herren: Russland ist viel stärker abhängig davon, dass lament steht, wie man sieht, in der großen Breite mehr- es Gas exportieren kann, als dass Europa davon abhängig heitlich für Nord Stream 2. Lassen Sie uns dieses Projekt wäre. zeitnah auf den Weg bringen! Von Anfang an waren der Bau der Leitung und die In diesem Sinne: Alles Gute und Glück auf! Unterstützung von Nord Stream 2 durch die Bundesre- gierung ein politischer Fehler. Knapp ein Jahr nach der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2015 sendete der CDU/CSU) dies ein falsches Signal an Russland.

Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank, Timon Gremmels. – Nächster Redner: Stets stand für die Koalition der energie- und wirtschafts- für die FDP-Fraktion Dr. Martin Neumann. politische Nutzen im Vordergrund, ohne die außen- und sicherheitspolitische Bedeutung mitzuberücksichtigen. (Beifall bei der FDP) Das Kind ist nun in den Brunnen gefallen. Jetzt müssen wir unsere Energiequellen diversifizieren und zugleich Dr. Martin Neumann (FDP): dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten der EU möglichst Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen eng zusammenarbeiten. Das muss das Ziel sein. Beson- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Pro- ders Deutschland ist ja auf Gas angewiesen, wenn wir jekt Nord Stream 2 hat ohne Zweifel energiepolitische 2022 aus der Kernenergie und bis 2038 aus der Kohle- Bedeutung, national wie auch europäisch. Und genau verstromung aussteigen und die Versorgung dann noch deshalb stimmen wir der Beschlussempfehlung des Aus- nicht vollständig aus regenerativen Energiequellen schusses für Wirtschaft und Energie zu. sichergestellt werden kann. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24275

Dr. Martin Neumann (A) Zum Abschluss. Eine möglichst große Vielfalt an wollen uns nicht von den US-Amerikanern beschützen (C) Bezugsquellen führt aufgrund des Wettbewerbs außer- lassen, weil wir selber unsere Energiepolitik bestimmen dem zu günstigen Preisen. Also: Versorgungssicherheit, wollen. Und wenn wir so handeln, kommen die US-Ame- Bezahlbarkeit und gesellschaftliche Akzeptanz. rikaner und sagen: Dann hauen wir euch den Laden kurz Vielen Dank. und klein. – Das kann doch unter Freunden nicht die richtige Herangehensweise sein, meine Damen und Her- (Beifall bei der FDP) ren. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Allein schon an dieser Stelle müssten die Grünen doch Vielen Dank, Dr. Neumann. – Nächster Redner: für die aufspringen und sagen: Wir verteidigen die Souveränität Fraktion Die Linke Klaus Ernst. dieser Republik auch gegenüber den US-Amerikanern. (Beifall bei der LINKEN) (Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Aber nein, da hört man von euch in dieser Frage leider Herren! Als Erstes zum Antrag der AfD. Wir werden überhaupt nichts. dem Antrag nicht zustimmen. Ich sage Ihnen auch, (Beifall bei der LINKEN) warum. Im Gegensatz zu der vorgetragenen Rede, Herr Holm, ist der Antrag ja sehr, sehr defensiv. Sie fordern Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass nämlich, dass die KfW einspringt, wenn die Finanzierung es inzwischen doch eine breite Mehrheit zu geben von Nord Stream 2 nicht mehr gesichert ist. scheint, nun zu härteren Maßnahmen zu kommen. Zwar hat die Bundesregierung bisher – es ist von meinem Vor- (Widerspruch des Abg. Leif-Erik Holm [AfD]) redner dargestellt worden – durchaus etwas zustande – Nee, nee, nee. Lesen Sie doch Ihren eigenen Antrag! – gebracht. Wir haben uns im Wirtschaftsausschuss darü- Das ist eine sehr defensive Haltung. Wir fordern, dass wir ber unterhalten; wir haben dort auch ein bisschen Bewe- uns gegen die amerikanischen Sanktionen wehren. Das gung hineinbekommen. Das war gut und richtig, aber ist bei Weitem besser, als sich ein bisschen unter dem jetzt müssen wir schnell handeln. Denn zurzeit setzen Tisch anzunähern. sich in Amerika Senat und Repräsentantenhaus zusam- men und denken über eine Verschärfung der Sanktionen (Beifall bei der LINKEN) nach. Zweitens zu dem Antrag der Grünen. Wenn ich es (B) (D) richtig sehe – wo ist denn Herr Krischer? da ist er! –, Vizepräsidentin Claudia Roth: sind Sie die Einzigen, die aus dem Projekt mit aller Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Wucht aussteigen wollen. Sie wissen genau, dass, wenn -bemerkung? wir aussteigen würden, dies dazu führen würde, dass wir amerikanisches LNG-Gas importieren müssten. Klaus Ernst (DIE LINKE): (Widerspruch des Abg. Omid Nouripour Gerne, ja. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Unsinn!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ja, das denke ich mir. – Ja, ja. Sie leugnen es immer. – Wissen Sie, was das ist? Die Haltung „LNG-Gas statt russisches Erdgas“ ist nicht (Heiterkeit) mehr richtig grün, sondern schon ein bisschen verwelkt. Eine kurze Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Sie sollten mal Ihre Position bei dieser Frage überprüfen. Holm. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Och nee!) neten der SPD und des Abg. [fraktionslos]) – Ja, er hat es ja genehmigt. Meine Damen und Herren – das jetzt an uns alle gerichtet –, es ist eine Illusion, dass durch einen Präsiden- Klaus Ernst (DIE LINKE): tenwechsel in den USA nun auch eine Änderung bei Da habe ich noch nicht gewusst, wer es war. deren Energiepolitik eintreten wird; das glaubt doch (Heiterkeit) hier wirklich keiner. Wir wissen, dass die entsprechenden Initiativen von beiden Parteien ausgegangen sind und Leif-Erik Holm (AfD): beide Parteien in dieser Hinsicht ähnlich ticken. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Mich erinnert das schon ein bisschen an mafiöse Ich folge Ihnen sehr entspannt. Ich glaube, Sie können Methoden. Ich will das mal darstellen: Wie handelt die unserem Antrag tatsächlich zustimmen; denn Sie haben Mafia? Die sagt zu denen, die eine Kneipe haben: Wenn anfangs einen anderen Antrag erwähnt, nämlich den, den ihr nicht Schutzgeld zahlt und euch von uns nicht wir gestern im Ausschuss diskutiert haben. Um den geht beschützen lasst, hauen wir euch den Laden kurz und es nicht. Den können Sie meinetwegen, wenn es an der klein. – Genauso ist es bezogen auf Nord Stream 2. Wir Zeit ist, auch ablehnen. Dagegen spricht nichts. 24276 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Leif-Erik Holm (A) Heute reden wir aber über einen Generalantrag, der es nieren, dass wir weiter mit China handeln, wenn sie das (C) auch Ihnen ermöglichen sollte, dem zuzustimmen. nicht mehr wollen. Also wehret – in dem Fall tatsächlich – (Timon Gremmels [SPD]: Das kann kein Gene- den Anfängen, und macht rechtzeitig Schluss mit so einer ralantrag sein! Der hat nur zwei Absätze! – Politik! Lasst uns uns wehren, und zwar gemeinsam. Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn ein (Beifall bei der LINKEN) Generalantrag?) Es geht heute nämlich darum, die Bundesregierung auf- Vizepräsidentin Claudia Roth: zufordern, dieses Projekt zu einem guten Ende zu führen, Vielen Dank, Klaus Ernst. – Nächster Redner: für die also alle Unterstützung für das Projekt Nord Stream 2 zu Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Oliver Krischer. geben. Das sollte unterstützungsfähig für alle hier im Hause sein – außer für die Grünen natürlich. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Claudia Roth: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Ernst. Lieber Klaus Ernst, einen Politiker der Linkspartei, der ausgerechnet Gerhard Schröder – Gerhard Schröder! – Klaus Ernst (DIE LINKE): als Sachverständigen für Nord Stream 2 in den Wirt- Herr Holm, dann hätten Sie aber auch da konkreter sein schaftsausschuss einlädt, den kann ich hier in dieser sollen. In Ihrem Antrag erwähnen Sie ja wörtlich die Debatte nicht ernst nehmen KfW, die dann einspringen soll, wenn es um eine Finan- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ zierung – – DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Leif-Erik Holm [AfD]: Nein, das ist der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Heike Hänsel andere Antrag!) [DIE LINKE]) – Bitte, das ist der. oder nur begrenzt ernst nehmen. Das muss man an der (Leif-Erik Holm [AfD]: Nein!) Stelle mal sagen. Selbst wenn es so wäre, wie Sie sagen: Was fehlt – Um es klar zu sagen: Sowenig die Sanktionsdrohungen auch in Ihrer Position –, ist, dass wir eindeutig sagen, der USA auch hinnehmbar sind, welche Sanktionen wir denn nun wollen. Ich kann Ihnen (B) sagen, dazu gibt es inzwischen einen Thinktank, der sich (Zurufe der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] (D) darüber Gedanken macht. Der sagt: Wir brauchen eine und Christian Dürr [FDP]) eigene Institution, die sich mit Gegenmaßnahmen be- das ändert überhaupt nichts daran, dass Nord Stream 2 ein schäftigt. Weiterhin: Wir müssen das tun, was die US- grundfalsches Projekt ist, meine Damen und Herren. Amerikaner auch machen, nämlich zum Beispiel einzelne Personen sanktionieren über Einreiseverbote oder mögli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cherweise über das Einfrieren von Vermögen. Genau das- sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU]) selbe, was sie uns androhen. Nur auf das hören sie. Denn Nord Stream 2 dient nicht unserer Versorgungssi- Ich schlage außerdem vor, zu sagen: Lasst uns doch cherheit, es spaltet Europa, und es ist eine Wette gegen mal darüber diskutieren, was mit dem Importgas aus die Klimaschutzziele, erst recht gegen die verschärften Amerika ist. Wenn wir das Importgas mit Strafzöllen Klimaschutzziele von und der belegen, dann würden die US-Amerikaner vielleicht mer- EU-Kommission, die wir jetzt beschlossen haben. Dass ken, dass wir es ernst meinen und nicht nur mit Watte- Sie das immer negieren, zeigt, dass es Ihnen nicht um bäuschchen werfen. Das ist die richtige Position. Klimaschutz, dass es Ihnen nicht um erneuerbare Ener- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – gien und dass es Ihnen nicht um einen Green Deal in Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Europa geht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Claudia Roth: Gut. Diese Frage ist jetzt geklärt. Danke, Herr Holm. – Wer Nord Stream 2 will, lehnt das an der Stelle ab. Noch 18 Sekunden Redezeit. Vizepräsidentin Claudia Roth: Klaus Ernst (DIE LINKE): Herr Krischer, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung Meine Damen und Herren, ich glaube, ich bin – jeden- oder -frage des Kollegen Klaus Ernst? falls meinerseits – am Ende der Diskussion angelangt. Ich wollte noch sagen: Jetzt haben wir noch die Chance, uns Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zu wehren, weil die US-Amerikaner gerade noch disku- Aber immer gerne. tieren. Wir sollten das aber schnell tun, und wir sollten deutlich machen, dass wir es ernst meinen. Denn wenn wir das nicht tun, kommen wir unter die Räder, auch Vizepräsidentin Claudia Roth: wegen anderer Dinge. Die USA könnten ja auch sanktio- Gut. – Herr Ernst. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24277

(A) Klaus Ernst (DIE LINKE): und dass Sie an der Stelle überhaupt kein Interesse und (C) Danke, Herr Krischer. – Also, ich bin jetzt ein bisschen keine Ahnung haben, sich für die Klimaschutzziele, für überrascht, dass Sie mir vorwerfen, wir hätten den Ex- eine europäische Integration einzusetzen. Sie verfolgen Kanzler eingeladen. Es war die Entscheidung des Wirt- alleine die Interessen Putins und Russlands. Das ist Ihr schaftsausschusses. Wir haben ihn nicht als Vertreter von Ziel, und darum geht es Ihnen, meine Damen und Herren. Nord Stream eingeladen, sondern als Ex-Kanzler zur Fra- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ge der Souveränität Europas. Zurufe von der LINKEN) (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ach, so war Vizepräsidentin Claudia Roth: das! – Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP]) Vielen Dank. – Jetzt geht es weiter mit der Rede. Das ist genau der Punkt, den Sie in der Diskussion ver- nachlässigen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zurufe von der CDU/CSU und dem BÜND- Wenn man sich mal anguckt, wer denn genau von Nord NIS 90/DIE GRÜNEN) Stream 2 profitiert – so falsch es ist –, stellt man fest, dass es zwei Profiteure gibt. Der eine sind die Konzerne, die Vizepräsidentin Claudia Roth: das Ding betreiben, und der andere ist das System Putin. Jetzt ist Herr Ernst dran und führt aus. (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) Und die, meine Damen und Herren, finanzieren Sie da- Klaus Ernst (DIE LINKE): mit. Sie finanzieren damit diejenigen, unter denen die Im Übrigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Menschen in Syrien, in Belarus, in der Ukraine leiden, Grünen: War es denn nicht so, dass ihr mit dem Gerhard nämlich dieses System Putin. Schröder einige Jahre in der Koalition wart, viel näher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gekuschelt habt? War das denn nicht so? Das gehört an der Stelle auch dazu. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: NEN) Herr Kollege, entschuldigen Sie. – Erlauben Sie noch mal eine Zwischenfrage oder -bemerkung, dieses Mal Und wenn das so ist, Kollege Krischer, dass das die von Herrn Mieruch? Wahrheit ist – die kann man ja nun nicht leugnen –, (B) (D) dann würde ich an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtig sein, wenn wir den Ex-Kanzler zu einer Sachfrage in Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den Wirtschaftsausschuss einladen, zu der er als Ex- Nein. – Dann heißt es – das haben wir wieder gehört –, Kanzler vielleicht tatsächlich was zu sagen hätte, viel- man würde damit LNG-Gas befördern, man würde damit leicht auch Ihnen. den Import von diesem Gas nach Europa befördern. Ich habe die Bundesregierung mal gefragt: Herr Altmaier – (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) das Wirtschaftsministerium ist ja hier vertreten –, worauf beruht eigentlich die Behauptung, die hier gerade auch Vizepräsidentin Claudia Roth: wieder gemacht worden ist, dass wir dieses Gas in Europa Vielen Dank, Herr Ernst. – Jetzt Herr Krischer, bitte. benötigen? (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Haben die Grü- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nen zugestimmt in Schleswig-Holstein!) Lieber Klaus Ernst, das ist ja nun eine Lachnummer an Die Antwort ist: 2016 hat es eine Studie der Gazprom AG sich. gegeben. – Und das ist die Begründung dafür, dass die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Bundesregierung Nord Stream 2 unterstützt. Es kann SES 90/DIE GRÜNEN) doch, ehrlich gesagt, nicht sein, dass die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland von der Nord Stream Ich habe während der ganzen Anhörung überlegt, mal die AG gemacht wird und das dafür herhalten muss. Frage zu stellen: Was sagt eigentlich dieser Gerhard Schröder, der hier von den Linken vorgeschlagen wurde, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu der Agenda 2010? Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) (Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜND- Das ist unglaublich! Wenn es noch einer Bankrotterklä- NIS 90/DIE GRÜNEN] – Klaus Ernst [DIE rung des Wirtschaftsministeriums in dieser Frage bedurf- LINKE]: Das habt ihr doch beschlossen!) te, dann ist es das. Dass Sie den als Sachverständigen zu Nord Stream 2 ein- Aber einer setzt noch eins drauf, und das ist der Kolle- laden, ge Olaf Scholz. Eben wurde ja das Fracking-Gas erwähnt. Olaf Scholz will nicht nur Nord Stream 2, sondern er will (Zuruf des Abg. Reinhard Houben [FDP]) auch noch den Zugang zu amerikanischem LNG-Gas er- ist doch unglaublich. Das zeigt, wie sehr Sie irrlichtern möglichen (Zurufe von der LINKEN) (Dr. [DIE LINKE]: Ja!) 24278 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Oliver Krischer (A) und mit 1 Milliarde Euro Steuergeld LNG-Terminals in Denn die Menschen vor Ort möchten keine Bau- und (C) Deutschland finanzieren. Daran arbeitet er bisher noch. Investitionsruine, und das möchte ich als Bundestagesab- Meine Damen und Herren, das hat nun wirklich nichts geordneter in Lubmin auch nicht. mehr mit Klimaschutz, mit europäischer Energiepolitik und gar nichts mehr mit Energiewende zu tun, liebe Stattdessen möchte ich Unterstützung für die Unter- Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. nehmen, für die Firmen, für die Menschen, die vor Ort an der Fertigstellung dieser Pipeline arbeiten. Wir müs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen auch in der Debatte heute noch mal betonen: Die sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LIN- Fertigstellung dieser Pipeline liegt nicht nur im russi- KE]) schen Interesse, sie liegt vor allem im Interesse der Bun- desrepublik Deutschland. Das ist das klare Zeichen dieser Es muss im Sinne des Klimaschutzes unser Ziel sein, Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen. unabhängiger von Russland und Putin zu werden. Denn wir hängen nicht nur beim Gas von Putin ab, wir sind (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) genauso abhängig beim Erdöl und auch bei der Kohle. Fossile Energieträger bedeuten Abhängigkeit vom Sys- Vizepräsidentin Claudia Roth: tem Putin. Das muss beendet werden mit dem Ausbau der Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder erneuerbaren Energien, mit dem Green Deal in Europa -bemerkung aus der AfD-Fraktion? und Deutschland. Das müsste unsere gemeinsame Auf- gabe sein, statt beständiger Treueschwüre zu Nord Stream 2 in diesem Deutschen Bundestag. Philipp Amthor (CDU/CSU): Ja, ich wollte gerne auf die Argumente eingehen. Ich danke Ihnen. (Johann Saathoff [SPD]: Welche Argumente?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Koalitionsver- Aber wenn Sie meine Redezeit verlängern wollen: trag mit den Grünen in Schleswig-Holstein Herzlich gerne. steht es drin! LNG-Terminals!) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vizepräsidentin Claudia Roth: Darauf werde ich achten, dass das nicht übertrieben Vielen Dank, Oliver Krischer. – Nächster Redner in wird. dieser lebendigen Debatte: für die CDU/CSU-Fraktion Philipp Amthor. Jetzt müssen Sie liefern. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kotré.

Philipp Amthor (CDU/CSU): Steffen Kotré (AfD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Erlauben Sie mir in dieser durchaus lebendigen, in dieser Ich vernehme ja mit Freude, dass also auch Sie hinter dem weltpolitischen Debatte und vor allem nach dieser grünen Nord-Stream-2-Projekt stehen. Dann brauchen wir an Irrfahrt dann doch, als direkt gewählter Bundestagsabge- dieser Stelle eigentlich gar nicht weiter zu diskutieren. ordneter für das nordöstliche Mecklenburg-Vorpommern Dann müssen wir eben zu der Frage kommen: „Wie set- zen wir das um?“, und daran anschließend zu der Frage: (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Was tun Sie konkret? SES 90/DIE GRÜNEN) Wir sind jetzt schon, glaube ich, ein Jahr in der Diskus- noch einmal den Blick darauf zu werfen, wie die Bürger- sion. Die Kanzlerin sagt, sie will reden. Nur: Reden allei- innen und Bürger in meinem Wahlkreis die Lage sehen, ne hilft ja nicht. – Wir haben den Altkanzler Schröder auf die Menschen im Nordosten der Republik, auf die gehört: Die Amerikaner hören nur auf Druck. – Wir Menschen im Seebad Lubmin, wo Nord Stream 2 anlan- haben heute hier auch schon gehört, was man machen den soll. könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Ihnen Was sind denn jetzt die ganz konkreten Vorschläge, um sagen, was die Menschen in meinem Wahlkreis definitiv dieses Projekt zu Ende zu führen, um die Sanktionen nicht wollen: Sie wollen nicht zum Spielball der Welt- beenden zu können und um den US-Amerikanern ganz politik werden. Sie wollen nicht das Kollateralopfer inter- klar zu sagen: „So geht’s nicht; ihr müsst euch zurück- nationaler Politik werden; denn sie haben nichts Unrech- ziehen“? tes getan, sondern nur ihre Arbeit. Und ich kann Ihnen auch sagen, was die Menschen vor Philipp Amthor (CDU/CSU): Ort erwarten. Sie erwarten, dass diese Pipeline Nord Vielen Dank für die Zwischenfrage, Herr Kollege Stream 2 fertiggestellt wird. Und ich sage Ihnen: Diese Kotré. – Ich fände es schon gut, wenn konkrete Vorschlä- Erwartung haben die Menschen vor Ort völlig zu Recht, ge mal von der Fraktion kommen würden, die so einen liebe Kolleginnen und Kollegen. Antrag hier stellt. Von Ihnen kamen sie nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zurufe von der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24279

Philipp Amthor (A) Ich kann sagen: Es geht aber noch kürzer als durch Sie gehen mit keinem Wort auf die Repressionen in Russ- (C) Ihren Antrag; denn die Fertigstellung der Pipeline Nord land ein. Sie fordern, dass man sich an die geltende Stream 2 entspricht der geltenden Rechts- und Genehmi- Rechtslage hält. Dazu muss man uns nicht auffordern. gungslage in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben Wir werden uns für die Realisierung dieses Projekts ein- kein Interesse, daran etwas zu ändern. Ich weiß nicht, wie setzen. das bei Ihnen ist. Sie haben gestern hier noch in einer Herzlichen Dank. großen Schauspielnummer Plakate mit dem Todesdatum des Grundgesetzes aufgehängt. Für uns gilt das noch, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – deswegen halten wir uns auch an geltendes Recht: Das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Projekt entspricht der Rechtslage und ist fertigzustellen. Das passt nicht auf einen Bierdeckel! – Lisa Wir arbeiten konstruktiv, und das unterscheidet uns von Badum [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel- Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen. leicht sollten Sie weniger Bier trinken!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsidentin Claudia Roth: Ich will, bevor ich auf Ihren dünnen Antrag zurück- Vielen Dank, Philipp Amthor. – Nächster Redner: für komme, den Blick noch einmal auf das Projekt insgesamt die SPD-Fraktion Johann Saathoff. Da freue ich mich werfen. Es liegt im Interesse der Energiesicherheit der immer. Bundesrepublik Deutschland. Und ich will sagen: Die Forderungen nach einem Baustopp für Nord Stream 2 (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sind als Antwort auf den Fall Nawalny erhoben worden. der CDU/CSU) Ich möchte in dieser Situation – auch mit Blick auf die außenpolitische Lage in Russland – noch einmal betonen: Johann Saathoff (SPD): Es ist richtig, und es ist notwendig, dass wir im Fall Frau Präsidentin, die Freude ist auf beiden Seiten des Nawalny klare Antworten, aber auch kluge Antworten Pults. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe finden. Eine kluge Antwort im Fall Nawalny kann aus Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es gleich zu Beginn: meiner Sicht nur eine europäische Antwort sein. Und Wir kommen tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis. Und eine europäische Antwort kann man eben nicht geben, es ist schon eine ganz besondere Situation für mich, jetzt indem man diese Antwort auf ein Einzelprojekt, auf nach drei Jahren besonders rechter Politiker im Parlament Nord Stream 2, verengt. zu erleben, dass wir zu dem gleichen Ergebnis kommen. Aber ich würde mir an Ihrer Stelle nichts darauf einbil- Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir schon über Sank- den; denn die Grundlage für unser Ergebnis könnte unter- tionen diskutieren, dann sollten wir nicht über Sanktionen (B) schiedlicher eigentlich gar nicht sein. (D) diskutieren, die zuallererst die heimische Wirtschaft in Deutschland treffen, sondern dann sollten wir über Sank- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tionen diskutieren, die die Verantwortungsträger für die Situation in Russland treffen. Dafür ist Nord Stream 2 In Ihrer Begründung lese ich, dass Sie die Aussetzung ungeeignet, liebe Kolleginnen und Kollegen. der Nutzung fossiler Energien infrage stellen, dass Sie die Energiewende infrage stellen. War am Anfang von Ihrer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Seite noch die Rede davon, dass es den Klimawandel eventuell gar nicht geben könnte, sagen Sie jetzt – immer- Wenn es um die Geeignetheit von Sanktionen geht, ist hin ein Lernprozess –: Es gibt keinen menschengemach- es natürlich richtig, darauf hinzuweisen, dass es auch ten Klimawandel. – Das ist zwar genauso falsch; aber Sie unsere Erwartung an die Vereinigten Staaten von Ameri- haben sich in dem Bereich immerhin schon entwickelt. ka ist, dass sie ihrerseits geeignete Sanktionen vorsehen. Und das klare Zeichen, das wir heute auch gesendet Ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Wir als Sozial- haben, ist, dass für uns extraterritoriale Sanktionen nicht demokraten haben ein klares Bekenntnis. Wir bekennen dazugehören. uns nämlich zu den Erneuerbaren, und wir wollen sie ausbauen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme noch ein- Sie haben das gleiche Ergebnis, aber das ist ungefähr mal auf den Antrag der AfD zurück. Er ist ja wirklich sehr so wie bei einer Matheklausur, liebe Kolleginnen und schmal. Ich habe mir das noch einmal angeschaut: Kollegen: Es werden 40 Fragen gestellt, und Sie haben 79 Worte. – 79 Worte, das ist Politik, die auf einen Bier- 40-mal geraten, weil Sie keine Ahnung haben. Einmal deckel passt. haben Sie richtig gelegen. Deswegen kommt es bei der Bewertung der Matheklausur nicht auf das Ergebnis an, (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern es kommt auf den Rechenweg an – zu Recht. NEN]: Da kennen wir jemanden!) Und guckt man sich den Rechenweg Ihres Antrags an, Ich habe nichts gegen Politik, die auf einen Bierdeckel dann muss man als Schulnote sagen: Das ist ungenü- passt; die finde ich grundsätzlich gut für unser Land. Für gend. – Ich hätte auch noch andere Worte dafür gefunden. komplexe Probleme wie das Problem Nord Stream 2 Die Nord-Stream-2-Pipeline ist energiepolitisch not- greift es aber zu kurz. wendig. Wir steigen aus Kohle und Atomenergie aus, ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Was für ein Eigentor!) NEN]: Das ist Quatsch, und das weißt du!) 24280 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Johann Saathoff (A) und wir wollen in erneuerbare Energien einsteigen – ich Johann Saathoff (SPD): (C) gebe zu, in der Großen Koalition die einen mehr, die Damit habe ich gerechnet. Also: Wenn die Wurzeln tief anderen weniger. Wir müssen uns gegenseitig unterstüt- genug sind, dann braucht man keine Angst vor dem Wind zen, dass wir die Ausbaupfade Wind und PV, unsere Last- zu haben. träger der erneuerbaren Energien, weiter voranbringen. Vizepräsidentin Claudia Roth: Aber es ist ein Spiel mit dem Feuer, Oli Krischer, jetzt zu sagen: Wir brauchen kein Gas. – Natürlich brauchen Vielen herzlichen Dank, lieber Johann Saathoff. – Der wir Gas, um eventuelle Versorgungslücken zu schließen letzte Redner in dieser Debatte: Peter Beyer für die CDU/ und sicherzustellen, dass wir die Energiewende auch hin- CSU-Fraktion. bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/ (Beifall bei der SPD – Dr. Franziska Brantner CSU gewandt: Wo ist denn eigentlich Herr [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Röttgen?) Krischer nie gesagt!) Peter Beyer (CDU/CSU): Und wir brauchen eine Diversifizierung der Gasversor- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und gung. Denn es geht nicht nur um Deutschland. Es geht um Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir die europäische Gasversorgung. Nord Stream 2 ist ein beschäftigen uns seit einer Reihe von Jahren immer wie- Projekt der europäischen Gasversorgung. Das wird viel der und mit steigender Bedeutung bzw. Wertigkeit mit zu selten erwähnt. Wenn wir auf den europäischen Markt dem Pipelineprojekt Nord Stream 2. Ja, ich muss selbst- gucken, dann sehen wir, dass in den Niederlanden die kritisch anmerken: Während der ganzen ersten Zeit habe Gasquelle gerade wegfällt. Das heißt, wir haben gar nicht ich, haben wir, hat die Bundesregierung die geopolitische mehr so viele Quellen; unsere Quellen werden knapp. Dimension dieses Projekts sicherlich unterschätzt. Aber Ich bitte alle Beteiligten, auch mal daran zu denken, ich will an dieser Stelle auch sagen: Wir lassen uns von dass wir Erdgas nicht nur für die Energiewende brau- Russland nicht in irgendwelche Energieabhängigkeiten chen – dafür brauchen wir es natürlich auch –, aber vor hineinzwängen. allen Dingen als Rohstoff für die chemische Industrie. Ja, der Bezug von russischem Gas und auch Öl hat in Wir werden immer Gas brauchen, auch nach 2050. der Zwischenzeit einen recht hohen prozentualen Anteil erreicht. Ich kann aber nicht erkennen, verehrte Kollegin- Eine Gaspipeline kann man danach auch für andere nen und Kollegen, dass Nord Stream 2 jetzt das entschei- (B) Dinge verwenden. Russland hat ein Potenzial des Tau- dende Jota noch hinzufügt und uns in eine totale Energie- (D) sendfachen der installierten Onshorewindenergieleistun- abhängigkeit versetzt und damit auch dem totalen Druck gen, wie wir sie im Moment in Deutschland haben. Man Russlands aussetzt. Russland – das möchte ich an dieser kann daraus Wasserstoff produzieren und das auch nach Stelle auch sagen – sollte wissen, dass wir die fehlende Deutschland transportieren. Transparenz, unter welchen Umweltschutz- und Arbeits- schutzbedingungen das Gas gefördert wird und wie die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Klaus Gewinnung des Gases vonstattengeht, anmahnen. Wir Ernst [DIE LINKE] – Zuruf des Abg. Oliver werden in Zukunft genauer hinschauen. Wir fordern Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) mehr Transparenz. Aber mir geht es auch noch um etwas anderes. Es geht Ich bekenne mich ganz klar zu dem Pipelineprojekt nämlich nur vordergründig um eine Pipeline, also um Nord Stream 2 und sage an die Adresse Russlands: Ob eine physikalische Verbindung. Eigentlich geht es darum, nach der Fertigstellung des zweiten Pipelinestrangs dass man die Verbindung zwischen Deutschland und jemals oder zumindest ein Stück weit Volumengas durch Russland noch mal thematisieren will. Ja, die Beziehun- diese Pipeline fließen wird, machen wir auch von dieser gen sind belastet, keine Frage, und ja, wir müssen unan- angemahnten Transparenz bei Umwelt- und Arbeits- genehme Wahrheiten aussprechen. Aber wir müssen auch schutz abhängig. Brücken bauen. Wir müssen sehen, dass Zivilgesellschaft Wir sind in den Bereichen Energiesicherheit und Ener- zusammenkommt, dass Menschen sich begegnen kön- giediversifizierung breit aufgestellt und werden diesen nen. Wir wollen Brücken bauen und tiefe Wurzeln des Weg auch weiterhin gehen. Konkret: Auch in Zukunft Friedens schlagen. werden wir aus Norwegen, aus den Niederlanden Gas beziehen. Und wir haben auch unseren amerikanischen Frau Präsidentin: Wenn de Wuddels deep genug bünt, Freunden angeboten – und das ist richtig so –, zukünftig broukt man vöör Wind neet bang ween. deren Flüssiggas abzunehmen. Das finde ich ausdrück- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. lich richtig und gut. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Absolut gaga!) (Beifall bei der SPD) Nicht richtig und nicht gut ist hingegen, wenn jetzt verlangt wird, dass Deutschland in nationalen Alleingän- Vizepräsidentin Claudia Roth: gen auf Dinge im Zusammenhang mit Nord Stream 2 Ja, bitte aber wie immer jetzt die Übersetzung für die reagiert. Nein, das gehört auf die EU-Ebene, insbesonde- Süddeutschen. re wenn man sich die Tatsache vor Augen hält, dass über Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24281

Peter Beyer (A) hundert Unternehmen, die über zwölf EU-Mitgliedstaa- Beschlussempfehlung und Bericht des (C) ten verteilt sind, in den Bau der Pipeline einbezogen sind, Ausschusses für Arbeit und Soziales meine Damen und Herren. Ich sage aber auch an die (11. Ausschuss) amerikanischen Freunde auf der anderen Seite des Atlan- tiks gerichtet: Bitte habt Verständnis dafür, lernt, dass die Drucksache 19/24487 (neu) Europäer sich um ihre eigenen Energiesicherheitsinteres- – Bericht des Haushaltsausschusses sen kümmern. Wir lehnen extraterritorial wirkende Sank- (8. Ausschuss) gemäß § 96 der tionen ausdrücklich ab. Geschäftsordnung Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. Ich möchte abschließend sagen, dass meiner Überzeugung nach die Drucksache 19/24491 politische Debatte um Nord Stream 2 künstlich und ver- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des hältnismäßig überhöht ist, gerade im transatlantischen Berichts des Ausschusses für Arbeit und So- Dialog. Lasst uns doch endlich wieder an einer transat- ziales (11. Ausschuss) zu dem Antrag der lantischen Positivagenda arbeiten. Abgeordneten Markus Kurth, Maria Klein- (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schmeink, , weiterer Abgeord- NEN]: Was sagt Herr Röttgen dazu?) neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Chance und die Zeit dazu waren doch lange nicht so gut wie jetzt. Lasst uns zu einem Aufbau eines neuen Sozialversicherungswahlen reformieren – Westens zurückkommen: Let’s do it. Demokratische Beteiligung sicherstellen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Drucksachen 19/22560, 19/24487 (neu) ordneten der SPD) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze ein- zunehmen oder zu tauschen, die Debatten draußen zu Vizepräsidentin Claudia Roth: führen. Bitte machen Sie das zügig. Vielen Dank, Peter Beyer. – Damit schließe ich die Aussprache. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten beschlossen. Ich werde die Debatte erst eröffnen, wenn Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Sie Platz genommen haben und wenn die Debatten woan- ses für Wirtschaft und Energie zum Antrag der Fraktion ders geführt werden. der AfD mit dem Titel „Energiesicherheit gewährleisten – Nord Stream 2 unterstützen“. Der Ausschuss empfiehlt in Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Martin (B) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/23404, Rosemann für die SPD-Fraktion. (D) den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/22552 abzulehnen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Fraktion der AfD hat namentliche Abstimmung verlangt. Sie haben nach Eröffnung der namentlichen Abstimmung 30 Minuten Zeit, Ihre Stimme in der West- Dr. Martin Rosemann (SPD): lobby abzugeben. Bitte gehen Sie nicht alle gleichzeitig Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe zur Abstimmung. Denken Sie an die Pflicht zum Tragen Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute ein der Mund-Nase-Bedeckung, und halten Sie bitte den Gesetz mit drei großen Regelungsinhalten: die Rechts- Sicherheitsabstand ein. Es stehen für Sie acht Urnen zur grundlage für die Digitale Rentenübersicht und die Verfügung. Ich frage: Sind die Plätze an den Urnen Modernisierung der Sozialversicherungswahlen sowie besetzt? – Ja, sie sind besetzt. Dann eröffne ich die na- die rechtlichen Regelungen des Zugangs und der Bele- mentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung gung von Einrichtungen der medizinischen Rehabilita- auf Drucksache 19/23404 zum Antrag der Fraktion der tion durch die Rentenversicherung. Für meine Fraktion AfD auf Drucksache 19/22552. Die Abstimmung wird wird mein Kollege Michael Gerdes nachher einiges zur um 17.45 Uhr geschlossen. Das bevorstehende Ende der Modernisierung der Sozialversicherungswahlen sagen. namentlichen Abstimmung wird Ihnen rechtzeitig be- Ich will mich auf die beiden anderen großen Themen kannt gegeben.1) beschränken. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: Zunächst zur Rechtsgrundlage für die Digitale Renten- a) – Zweite und dritte Beratung des von der übersicht. Die Digitale Rentenübersicht ist ein großer Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Schritt. Sie ermöglicht den einzelnen Beschäftigten einen eines Gesetzes zur Verbesserung der Überblick über die Altersvorsorge in unterschiedlichen Transparenz in der Alterssicherung Bereichen. Ich weiß, die Lösung, die wir heute beschlie- und der Rehabilitation sowie zur ßen, ist noch nicht perfekt. Aber wir starten jetzt und Modernisierung der Sozialversiche- wollen dann auf dem weiteren Weg möglichst viele ein- rungswahlen (Gesetz Digitale Renten- sammeln, damit die Digitale Rentenübersicht immer wei- übersicht) ter ausgebaut und verbessert wird. Genau dieser Weg ist am Montag auch von der Mehrheit der Sachverständigen Drucksache 19/23550 in der Anhörung bestätigt und empfohlen worden. Und dieser Weg, meine Damen und Herren, gilt im föderalen 1) Ergebnis Seite 24289 A Staat auch für die Beamten in den Ländern. Deshalb ist es 24282 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Martin Rosemann (A) wichtig, dass wir den Ländern die Möglichkeit geben, mit Ulrike Schielke-Ziesing (AfD): (C) ihrer Beamtenversorgung auch an der Digitalen Renten- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen übersicht teilzunehmen. Und das stellen wir heute sicher. und Herren! Am 29. Oktober, also vor drei Wochen, hat- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten wir hier im Plenum die erste Lesung dieses Gesetzes- der CDU/CSU) paketes, am 4. November die Beratung im Ausschuss, am Montag dieser Woche die Anhörung, und heute beschlie- Meine Damen und Herren, neben den finanziellen ßen wir schon in zweiter und dritter Lesung. Das nenne Leistungen durch die Rentenversicherung sind die Leis- ich mal Tempo. tungen zur Rehabilitation von großer Bedeutung für die Beschäftigten. Wir haben uns entschlossen, das Verfah- Aber warum muss dieses Gesetz so dringend durch das ren für die Zulassung und die Belegung von Rehaeinrich- Parlament gejagt werden? Sollte hier nicht Gründlichkeit tungen umfassend gesetzlich zu regeln. Dabei geht es vor Schnelligkeit gehen, vor allem, da es sich ja hier um darum, Rechtssicherheit für alle Beteiligten und ein drei unterschiedliche Gesetze zu drei unterschiedlichen Höchstmaß an Transparenz zu schaffen. Für uns sind Themen handelt? Dieses Tempo ist für mich unverständ- dabei wichtig: eine hohe Qualität, faire Kostensätze die lich, ganz besonders, da sich bei der Anhörung am Mon- Rehaeinrichtungen, gute Bezahlung für die Beschäftigten tag herausgestellt hat, dass in allen drei Teilen dieses und das Wunsch- und Wahlrecht für die Versicherten. Gesetzes Änderungsbedarf besteht. Das sehen wir jetzt auch am Änderungsantrag der Koalition, der am Dienstag Die Änderungen, die wir im parlamentarischen Ver- verteilt wurde und der ein Sammelsurium an Änderungen fahren auf den Weg gebracht haben und heute mit diesem enthält, teilweise sogar Omnibusse, die mit dem ursprün- Gesetz beschließen, sind genau in diesem Sinne. Mit dem glichen Gesetz eher weniger zu tun haben. Ziel guter Qualität und Innovationen schaffen wir ein Beratergremium unter Beteiligung der Leistungsanbieter Als AfD-Fraktion hatten wir schon in erster Lesung und verbinden damit auch den Auftrag an die Rentenver- Bedenken bei einigen Themen geäußert. Diese Bedenken sicherung und an die Leistungsanbieter, gemeinsam für hörten wir auch von den zur Anhörung geladenen Exper- faire Kostensätze zu sorgen und einen Konfliktlösungs- ten. Ich möchte hier kurz auf alle drei Teile dieses Geset- mechanismus zu etablieren, wenn man sich über die Kos- zespaketes eingehen: tensätze nicht einigen kann. Erstens: Digitale Rentenübersicht. Wir sind uns doch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) alle einig: Die Bürger müssen über die eigene Altersvor- Dieses Konzept, meine Damen und Herren, ist in der sorge besser aufgeklärt werden, und dazu gehört auch, die Anhörung von allen Beteiligten sehr gelobt worden. Versorgungsansprüche jeder Säule der Altersvorsorge transparent darzustellen. Das leistet dieses Gesetz leider (B) Gleichzeitig stellen wir noch mal klar, dass wir tarif- nicht; denn es werden eben nicht alle Versorgungsein- (D) liche Bezahlung in allen Rehaeinrichtungen wollen. Wir richtungen aufgenommen. Berufsständische Versor- stärken das Prinzip der tariflichen Bezahlung. gungswerke oder Pensionszusagen von Arbeitgebern feh- (Beifall bei der SPD) len hier. Damit wird der ursprüngliche Zweck einer umfassenden Auskunft eben nicht erfüllt. Schließlich stärken wir mit dem Änderungsantrag, den die Koalitionsfraktionen im Ausschuss beschlossen (Beifall bei der AfD) haben, noch mal das Wunsch- und Wahlrecht der Ver- sicherten – über den Gesetzentwurf der Bundesregierung Auch die Möglichkeit einer zentralen Speicherung sollte hinaus. Wir schaffen damit auch eine große Transparenz überdacht werden. Das ist nicht nötig und würde das im Gesetz, wie dieses Wunsch- und Wahlrecht im Einzel- System unnötig aufblähen. nen umgesetzt werden kann, umgesetzt werden muss – Zweitens: die Modernisierung der Sozialversiche- vom eigenen Vorschlagsrecht des Versicherten bei der rungswahlen. Das ist ein zu begrüßendes Vorhaben, Antragstellung bis dahin, dass die Rentenversicherung, aber auch hier ist eben nicht alles gut. Ich hatte in meiner wenn der Versicherte keinen Vorschlag macht oder sein Rede zur ersten Lesung schon darauf hingewiesen, dass Vorschlag nicht passt, mehrere Vorschläge zu Rehaein- wir uns als AfD entschieden gegen die vorgesehene richtungen machen muss. Geschlechterquote aussprechen. Die Zulässigkeit von Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegenden Geschlechterquoten bei Wahlen ist verfassungsrechtlich Gesetzentwurf stärken wir insgesamt die Rolle des äußerst problematisch, da sie dem Grundsatz der Freiheit Sozialstaats als Partner der Beschäftigten im Arbeitsle- der Wahl widerspricht. Das sehen nicht nur wir kritisch; ben. Ich bitte um Zustimmung zu diesem im Ausschuss auch in den Stellungnahmen von Experten wurde von geänderten Gesetzentwurf. dieser Vorgabe abgeraten. Hier wurde nicht nur auf die Herzlichen Dank. jüngsten Urteile des Thüringer Verfassungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zum Paritätsgesetz verwiesen, sondern auch auf ein Urteil der CDU/CSU) des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz von Juni 2014. Es ist für uns absolut unverständlich, dass Vizepräsidentin Claudia Roth: das BMAS an diesem ideologischen Vorhaben festhält Vielen Dank, Dr. Rosemann. – Nächste Rednerin: für und damit die Ergebnisse der kommenden Sozialwahlen die AfD-Fraktion Ulrike Schielke-Ziesing. angreifbar macht. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24283

Ulrike Schielke-Ziesing (A) Drittens: die Regelungen zur Beschaffung von Leis- (Ulrike Schielke-Ziesing [AfD]: Das war bil- (C) tungen zur medizinischen Rehabilitation. Hier wieder lig!) dasselbe: Das BMAS möchte Transparenz, Nachvoll- Werte Damen und Herren, Kollege Rosemann hat ziehbarkeit, Diskriminierungsfreiheit und Gleichbehand- schon auf drei Regelungsbereiche hingewiesen: die Digi- lung bei der Beschaffung medizinischer Rehaleistungen tale Rentenübersicht, die Neuregelung der Sozialversi- durch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung cherungswahlen und die Regelungen zur Beschaffung gewährleisten. Das Ziel ist ja gut, nur an der Qualität von Rehaleistungen. Ich möchte einen vierten Bereich der Umsetzung mangelt es wieder. Das Problem hierbei hinzufügen: Die Veränderungen bei der landwirtschaft- ist die führende Rolle der DRV Bund: Die DRV Bund soll lichen Alterskasse und die Verbesserungen beim Zu- bilaterale Vereinbarungen treffen. Die DRV Bund soll ein schuss sind gerade für die klein strukturierte Landwirt- Vergütungssystem schaffen. Es gilt das Qualitätssiche- schaft und für die kleinen Bauern in unserem Lande sehr rungsverfahren der DRV Bund. Es ist keinerlei Beteili- bedeutsam. Deshalb stehen wir voll und ganz hinter unse- gung von Leistungserbringern vorgesehen. rem Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter und dritter (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Das ist doch Lesung mit den Änderungen, die im Ausschuss bereits Unsinn! Haben Sie den Änderungsantrag nicht beschlossen worden sind, verabschieden wollen, um Ver- gelesen?) besserungen herbeizuführen. Alle relevanten Festlegungen in Sachen Zulassung, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Belegungsauswahl, Qualitätssicherung und Vergütung ordneten der SPD) werden einseitig von der DRV Bund getroffen. Hier Kollege Zech wird auf die Digitale Rentenübersicht muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Experten in und auf die Sozialversicherungswahlen eingehen. Mir der Anhörung haben dazu ja sehr gute Vorschläge ist es wichtig, die besondere Situation in der Reha und gemacht, damit natürlich auch in den entsprechenden Betrieben (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sie haben den herauszustellen. Ich glaube, die Beschaffung von Leis- Änderungsantrag nicht gelesen! Das ist tungen zur medizinischen Reha bedurfte einer größeren Arbeitsverweigerung!) Transparenz. Ich bin überzeugt, dass wir dies mit beispielsweise die Beteiligung von Leistungserbringern dem Gesetz auch erreichen werden und damit die Ver- oder die Einrichtung von Schiedsstellen. gabe der Rehaleistungen europarechtskonform gestalten. Dementsprechend wird es im SGB VI neu geregelt. Es Zusammenfassend muss ich sagen: eigentlich drei war und ist nicht ganz einfach; denn wir müssen dabei begrüßenswerte Gesetzesvorhaben, eigentlich auch ganz einen schwierigen Spagat bewältigen: Wir brauchen eine (B) gute Ansätze, aber leider jeweils auf den letzten Metern Anpassung an das EU-Vergaberecht, aber vor allen Din- (D) verrannt gen auch ein an objektiven Kriterien orientiertes, diskri- (Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sie haben sich minierungsfrei vorzunehmendes Zulassungsverfahren. verrannt!) Wir haben natürlich auch das Recht der Selbstverwaltung zu berücksichtigen; das gehört da mit eingebunden. und damit für uns als AfD-Fraktion nicht zustimmungs- fähig. Wir werden uns hier enthalten. Wir müssen die Interessen der Rehaeinrichtungen, vor allem natürlich auch die der Rehabilitanden im Blick (Beifall bei der AfD) haben. Ich glaube, das ist uns auch gelungen, indem wir hier das Wunsch- und Wahlrecht und damit vor allen Vizepräsidentin Claudia Roth: Dingen auch das Wunsch- und Wahlrecht im Sinne der Vielen Dank, Ulrike Schielke-Ziesing. – Nächster Red- UN-Behindertenrechtskonvention und des Neunten ner: für die CDU/CSU-Fraktion Max Straubinger. Buches Sozialgesetzbuch in besonderer Weise herausstel- len. Das ist meines Erachtens eine großartige Leistung, (Beifall bei der CDU/CSU) die wir hier erbringen. Es gibt wirklich unfassbar viele Zwischengespräche. Wir werden natürlich dann die qualitätsstarke Reha- Wir sind mitten in einer Debatte, und ich würde Sie bit- landschaft mit stärken. Vor allen Dingen werden wir trotz ten, Gespräche woanders und nicht hier im Plenum zu aller Gleichwertigkeit, die wir mit Blick auf die Leistun- führen. gen herbeiführen wollen, die entsprechenden Unterschie- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- de hinsichtlich der verschiedensten Tarifverträge, der Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Tarifverträge in den unterschiedlichen Regionen, aber natürlich auch des kirchlichen Arbeitsrechts mit aufneh- So, jetzt ist Herr Straubinger dran. men und in besonderer Weise berücksichtigen. Tarifstär- kung ist ein gemeinsames Ziel der Union, aber auch ins- Max Straubinger (CDU/CSU): gesamt dieser Bundesregierung; das kommt hier mit zum Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ausdruck. Wenn es jemandem immer wieder zu schnell geht, wie es bei der AfD festzustellen ist, dann zeigt sich sehr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) deutlich, dass wir es sind, die die Diskussionen führen Ich glaube, dass wir damit auch viele Dinge erreichen, und letztendlich an der Arbeit orientiert sind – Sie offen- also beispielsweise das Wunsch- und Wahlrecht stärken, sichtlich nicht, Frau Kollegin, und deshalb geht es Ihnen damit die Versicherten ihre Wünsche vorher mit einbrin- einfach zu schnell. gen können und diese dann dementsprechend auch 24284 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Max Straubinger (A) berücksichtigt werden können. Dafür müssen wir ein Redner sein. Er weiß aber, dass ich das so ganz sicher (C) entsprechendes Zulassungsverfahren schaffen. Das be- nicht gemeint habe. – Ich gebe jetzt das Wort für die FDP- deutet, dass dann, wenn für die Rehaeinrichtung ein Zu- Fraktion Johannes Vogel. lassungsverfahren im Rahmen der gesetzlichen Renten- (Beifall bei der FDP) versicherung geschaffen worden ist, dies gleichzeitig auch für die Krankenversicherung gilt, und umgekehrt soll es genauso sein. Ich nehme an und hoffe, dass sich Johannes Vogel (Olpe) (FDP): alle Beteiligten in besonderer Weise einigen, um damit Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- einen Bürokratieabbau herbeizuführen; das ist ja unser legen! Das könnte hier auf den ersten Blick wie eine aller gemeinsames Anliegen. Mit der Einführung eines dröge Fachdebatte wirken, aber es könnte in Wahrheit Beratergremiums wird der konsensuale Entscheidungs- auch das Wasser in der Wüste der Rentenpolitik dieser prozess institutionalisiert. Ich glaube, dass dies wichtig Koalition sein. ist. (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!) Da muss man einfach auch sehen: Die FDP will hier Während Sie in der Rentenpolitik sonst immer, fast ein Schiedsstellenverfahren. Aber ein Schiedsstellenver- immer auf dem grundsätzlich falschen Weg sind, lieber fahren, glaube ich, ist zu apodiktisch. Es ist besser, die Herr Arbeitsminister, gilt das für die digitale Rentenin- Rehaleistungen mit dem konsensualen Verfahren mone- formation – so nenne ich sie; säulenübergreifende Ren- tär zu untermauern und zu organisieren. Ich bin über- teninformation, so bezeichnen Sie sie – ausdrücklich zeugt, dass wir dies hiermit erreichen. nicht. Altersvorsorge ist mehr als gesetzliche Rente, und moderne Lebensläufe sind vielfältig. Menschen Wichtig ist, dass wir starke qualitätsorientierte Stan- wechseln, nicht nur zwischen Arbeitgebern. Sie wechseln dards erarbeiten, die dann auch für die zukünftige Ent- auch mal zwischen Anstellung und Selbstständigkeit, wicklung in der Reha in besonderer Weise gelten, auch vielleicht ins Beamtentum, vielleicht auch wieder zurück. für die Betriebe in der gemeinsamen Arbeit mit dem Rentenversicherungsträger und mit den gesetzlichen (Dr. [CDU/CSU]: Rein in Krankenkassen. Bei aller Unzulänglichkeit eines Gesetz- den Bundestag, raus aus dem Bundestag!) gebungsverfahrens, werte Kolleginnen und Kollegen: Ich Hier Portabilität zu schaffen, wäre die ganz große poli- bin überzeugt, dass wir uns in ein paar Jahren – denn tische Aufgabe. Aber Transparenz zu schaffen, ist zumin- dieses Verfahren ist als ein Prozess angelegt, der sich dest ein großer Schritt in die richtige Richtung, liebe entwickeln muss – mit den Ergebnissen und möglicher- Kolleginnen und Kollegen. Deshalb finden wir es gut, weise mit Neuausrichtungen zu befassen haben. dass Sie das angehen. Ehrlich gesagt, sind uns andere (B) Mir sei es in den letzten Sekunden meiner Redezeit Länder hier einige Jahre voraus. Also, es wird Zeit, (D) noch gestattet, auf die Verbesserungen der landwirt- dass wir in Deutschland vorankommen. schaftlichen Alterskasse einzugehen. Seit 1999 wurde Über die Hälfte der Deutschen können, nach repräsen- das Zuschusswesen in der landwirtschaftlichen Alters- tativen Umfragen immer wieder bestätigt, nicht sagen, kasse nicht verändert. Das bedeutet, dass hier aufgrund wie viel Geld sie im Alter einmal bekommen werden. der Preisentwicklung die Zuschüsse für die landwirt- Im Gegensatz zu Dänemark: Das Land hat seit vielen schaftlichen Betriebe letztendlich immer weniger gewor- Jahren ein tolles digitales Vorsorgekonto, ganz einfach den sind, vor allen Dingen für die kleinen Betriebe. Wir nutzbar mit einer App. Fünf Jahre nach Einführung hat schaffen jetzt eine Verdoppelung der 15 500 Euro, die über die Hälfte der Dänen dieses Angebot schon regel- bisher die Grenze beim Einkommen darstellten, um mäßig genutzt. Also, es lohnt, hier voranzukommen. Lie- noch einen Beitragszuschuss zu erhalten, und heben sie be Kolleginnen und Kollegen, insofern Lob für dieses auf 31 000 Euro an. Das ist letztendlich der langen Zeit- Vorhaben. dauer der Nichtanpassung entsprungen. Diese Grenze wird dann jedes Jahr linear angepasst, so wie die Rech- Aber man muss fairerweise auch sagen: In der Anhö- nungsgrößen sich entwickeln. rung hat einer der Experten für dieses Thema das Ganze mit einem Puzzlespiel verglichen. Er hat gesagt: Einige Das ist ein großer Fortschritt und Hilfe und unterstützt Teile des Puzzles liegen auf dem Tisch, andere liegen die kleinbäuerliche Landwirtschaft in unserem Land, der unter dem Tisch. Deshalb haben die Bürgerinnen und wir uns alle in diesem Haus verschrieben haben. In die- Bürger einfach keinen Überblick. – Ich finde, das Bild sem Sinne ist das auch eine großartige Leistung für die ist sehr treffend. Um im Bild zu bleiben, muss man ehr- Bäuerinnen und Bauern. licherweise sagen: Das, was Sie machen, ist: Sie setzen die Puzzleteile auf dem Tisch zusammen, aber die Puz- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zleteile unter dem Tisch bleiben immer noch außerhalb (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Ihrer Sicht. ordneten der SPD) Um es mal konkret zu machen: keine Regelungen zu Versorgungswerken, zu Beamten, zu betrieblichen Pen- Vizepräsidentin Claudia Roth: sionszusagen, gar keine zu Banken-, Aktien- und Fonds- Vielen Dank, Max Straubinger. – Liebe Kolleginnen sparplänen. Ausgerechnet die Aktienwelt lassen Sie kom- und Kollegen, ich erinnere daran: Jetzt haben Sie noch plett außen vor. elf Minuten Zeit für die namentliche Abstimmung. Das (Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Macht sollte jetzt aber kein Rausschmeißer für den nächsten Dänemark auch nicht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24285

Johannes Vogel (Olpe) (A) Ja, selbst die VBL, die Zusatzversorgung der Angestell- digitale sein, sondern sie müsste ganz „old school“ auch (C) ten des Bundes und der Länder, ist nicht komplett Teil mit der Post verschickt werden; denn viele Menschen dieses Gesetzgebungsvorhabens. Sie stellen eben nicht haben kein Internet, oder sie misstrauen den Onlinediens- sicher, dass alle Bürgerinnen und Bürger – so haben es ten aus anderen Gründen; das sind Millionen. Warum uns die Dänen erfolgreich vorgemacht – in einer solchen nehmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali- Übersicht auch wirklich einen Überblick über ihre ge- tion, diese Kritik der Sozialverbände nicht ernst? samte Altersvorsorge bekommen. Das wäre eine digitale (Beifall bei der LINKEN) Rentenübersicht, die den Namen auch verdient. Das brau- chen wir auch, liebe Kolleginnen und Kollegen. Zweitens müssen die zu erwartenden Renten aus der gesetzlichen Rente, aus Betriebsrenten oder aus Riester- (Beifall bei der FDP) Renten auf einen Blick vergleichbar sein; das wäre doch Also, Sie sind auf dem richtigen Weg. Aber Sie sprin- ein deutlicher Mehrwert gegenüber den heute versandten gen ein wenig zu kurz, und das gilt leider auch für den Standmitteilungen. Aber auch da bleiben Sie leider hinter zweiten Teil dieses Gesetzgebungsvorhabens, die Sozial- den Erwartungen der Versicherten zurück, und das ist wahlen, zu denen ich zum Abschluss auch ganz kurz noch schlecht. etwas sagen will. Die Sozialwahlen – das sage ich für die Bürgerinnen und Bürger, die möglicherweise gerade (Beifall bei der LINKEN) zuschauen oder sich das nachher anschauen – sind die Verehrter Herr Minister Heil, zu meinem Bedauern Wahlen zur Selbstverwaltung der gesetzlichen Renten- machen Sie es wie so oft und packen in das Gesetz versicherung, der Krankenversicherung, also ihrer sozia- noch andere – sachfremde – Themen hinein. Ihre Vor- len Sicherungssysteme. Die sind seit vielen Jahren schläge zur Beschaffung von Leistungen zur medizin- reformbedürftig. Gut, dass Sie das angehen. ischen Rehabilitation sind nach den Änderungen im Nur: Das krasseste Reformbedürfnis bei diesen Sozial- Nachgang der öffentlichen Anhörung weitgehend okay. wahlen ist doch ganz eindeutig das Thema der sogenann- Nur beim Übergangsgeld droht vielen Versicherten sogar ten Friedenswahlen. Was heißt denn Friedenswahlen? eine Leistungsverschlechterung; auch das ist schlecht. Das ist eigentlich ein Oxymoron. Das heißt nämlich, Deswegen, sage ich, ist dieser Teil nur so lala. dass gar keine Wahl stattfindet, liebe Kolleginnen und Und dann komme ich zu dem Vorhaben hinsichtlich Kollegen, und das ist auch heute bei Sozialwahlen noch der Sozialwahlen bei den Selbstverwaltungen der Sozial- möglich. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen versicherungen. Auch da gehen Ihre Vorschläge grund- lassen: Wahl ohne Auswahl. Das ist ungefähr wie Weih- sätzlich in die richtige Richtung. Nur, auch hier sind sie nachten ohne Weihnachtsmann. nicht ambitioniert genug. Ein Beispiel: Warum nicht auch (B) Verbände mit sozialer Zielsetzung – wie beispielsweise (D) Vizepräsidentin Claudia Roth: die Sozialverbände – berechtigt werden, Vorschlagslisten einzureichen, erschließt sich mir zum Beispiel nicht. Das ist wie Rede ohne Redezeit. (Heiterkeit) Deswegen sage ich Ihnen: Insgesamt sind die Mängel in den drei Bereichen Rentenübersicht, Reha und Sozial- wahlen leider so groß, dass Die Linke diesem grund- Johannes Vogel (Olpe) (FDP): sätzlich richtigen Gesetz nicht zustimmen kann. Es ist Das funktioniert nicht. Es wäre notwendig, dieses The- ein Gesetz verpasster Chancen. ma anzugehen, wenn Sie die Sozialwahlen reformieren. Hier springen Sie leider auch zu kurz. – In diesem Sinne: (Zurufe von der SPD: Oh!) Für dieses Gesetz gibt es von uns eine Enthaltung. Darum werden wir uns enthalten. Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, ein Wort zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu den Sozialwahlen. Die Vizepräsidentin Claudia Roth: Stoßrichtung des Antrags – Verbesserung der Sozialwah- Vielen Dank, lieber Johannes Vogel. – Nächster Red- len – tragen wir Linken mit. Aber wir sind vor allem mit ner: für die Fraktion Die Linke Matthias W. Birkwald. Blick auf die Onlinewahlen skeptisch. Entweder sind Onlinewahlen nicht geheim, oder sie sind nicht öffentlich (Beifall bei der LINKEN) nachvollziehbar. Deshalb werden wir uns auch bei dem Antrag der Grünen enthalten, wiewohl auch er insgesamt Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): gut ist. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her- ren! Wer möchte das nicht, im Alter von 30, 40 oder Herzlichen Dank. 50 Jahren mit einem Blick auf einer Rentenübersicht (Beifall bei der LINKEN) sehen, wohin die eigene finanzielle Reise im Alter gehen wird? Werde ich meinen Lebensstandard im Alter halten Vizepräsidentin Claudia Roth: können? Werde ich Abstriche machen müssen? Werden sich meine langjährigen Beitragszahlungen gelohnt Vielen Dank, Matthias W. Birkwald. – Nächster Red- ner: für Bündnis 90/Die Grünen Markus Kurth. haben? Wenn die Rentenübersicht diese Fragen beant- worten würde, dann wäre sie eine gute Sache. Aber (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dann dürfte diese Rentenübersicht erstens nicht nur eine SES 90/DIE GRÜNEN) 24286 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das muss man sich einmal vorstellen! Das sind ganz über- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wiegend Frauen. Ich bin mit meinem Mitarbeiter eben Geschätzter Matthias W. Birkwald, Ihre digitale Skepsis noch einmal die Zahlen durchgegangen: Es sind fast ist ja 3 Millionen mitversicherte Frauen und 300 000 mitver- (Johannes Vogel [Olpe] [FDP]: Legendär!) sicherte Männer. Ja, sie zahlen keine Beiträge; für sie werden aber durch die hauptversicherte Person Beiträge im Ausschuss für Arbeit und Soziales hinlänglich gezahlt. Diese Mitversicherten sind aber in besonderem bekannt, Maße betroffen von den Leistungsentscheidungen, gera- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zu de auch der Krankenkassen. Wir wollen eine Demokrati- Recht!) sierung und Stärkung gerade in diesem Bereich, und wir werden – das ist ja bekannt – in der nächsten Legislatur- auch was das Ausschussformat anbelangt, wenn wir periode den Versichertenkreis noch ausweiten durch erste online tagen. Dass Sie dann die digitale Rentenübersicht Schritte in die Bürgerversicherung. Dann kommen ja kritisieren und die Onlinewahlen, passt da natürlich ins auch Selbstständige und andere – Stichwort „Wahlfrei- Bild. heit für Beamte“ – mit hinein. (Beifall des Abg. Dr. [SPD]) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Und wir haben ja durch ein kleines Gespräch am Rande SES 90/DIE GRÜNEN) des Ausschusses auch erfahren, dass Sie zu Hause noch ein gedrucktes Telefonbuch haben. Wenn man die Bürgerversicherung einführt, muss man das Wahlrecht sowieso universell ausgestalten und die (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Selbstverwaltung stärken. Das werden wir in der nächs- und der SPD – Peter Weiß [Emmendingen] ten Wahlperiode übernehmen. [CDU/CSU]: Und auch nicht telefoniert, son- dern Rauchzeichen schickt!) Danke. Aber okay, Vielfalt ist ja auch ein Wert. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Die gesetzlichen Änderungen, die jetzt vorgenommen SES 90/DIE GRÜNEN – Johannes Vogel werden, insbesondere auch diejenigen, die durch den [Olpe] [FDP]: Das ist keine Friedenswahl, das Änderungsantrag hinzugekommen sind – bei der Be- ist eine Bundestagswahl, und die müsst ihr erst schaffung von Rehaleistungen –, verbessern in der Tat einmal gewinnen!) das Gesetz und werden – das will ich gleich vorwegsa- gen – dazu führen, dass wir zustimmen. Vizepräsidentin Claudia Roth: (B) (D) Dass das Wunsch- und Wahlrecht ausgebaut wird, dass Vielen Dank, Markus Kurth. Anerkennungsverfahren verändert werden, ist auf jeden Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächs- Fall begrüßenswert. Ob allerdings Ihr Verfahren zur ten Redner aufrufe, komme ich zurück zum Tagesord- konsensualen Preisfindung zwischen Kostenträgern nungspunkt 14 a. Die Zeit für die namentliche Abstim- und Leistungserbringern erfolgreich sein wird, Herr mung ist gleich vorbei. Ich frage jetzt, ob es noch ein Straubinger, das wird sich noch erweisen. Es wäre ja Mitglied des Hauses gibt, das seine Stimme noch nicht schön, wenn dem so wäre. Aber wir wissen gerade aus abgegeben hat. – Ich sehe niemanden hektisch rennen. Es dem Bereich der Rehapolitik, der Behindertenpolitik, scheint so, dass alle abgestimmt haben, die abstimmen dass da ja meistens die eine Seite der anderen Seite das wollten. Schwarze unter dem Fingernagel nicht gönnt und dass deswegen gerade die Leistungsberechtigten allzu oft auf Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die der Strecke bleiben. Da sagen wir: Da fehlt nicht nur bei Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung den Reha-Rentenleistungen ein Sanktionsmechanismus, zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis der wenn die beiden Seiten – Leistungserbringer, Kostenträ- Abstimmung später bekannt gegeben.1) ger – einfach unfähig sind, sich zu einigen. Dann komme ich jetzt zum nächsten Redner; das ist für (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- die SPD-Fraktion Michael Gerdes. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das darf nicht auf dem Rücken von Menschen – oftmals Menschen mit Behinderungen – ausgetragen werden. Im Hinblick auf die Sozialwahlen – dazu haben wir Michael Gerdes (SPD): auch einen eigenen Antrag eingebracht – wäre wirklich Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister Heil! mehr Mut vonnöten gewesen, um die Seite der Arbeit- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Rehaver- nehmer und Arbeitnehmerinnen nicht nur nicht zu zer- besserung hat Martin Rosemann bereits ausgeführt. Mit splittern, sondern sie zu stärken. der heutigen Abstimmung beschließen wir auch eine Reform der Sozialversicherungswahlen. Ich bin sehr (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- froh, dass wir uns schlussendlich einigen konnten. Ich SES 90/DIE GRÜNEN) begleite dieses Thema gut sieben Jahre, und ich wäre Ein Punkt ist in der Debatte viel zu wenig beachtet gern schneller zu einer Einigung gekommen. worden, nämlich dass die beitragsfrei Mitversicherten kein aktives Wahlrecht in der Selbstverwaltung haben; 1) Ergebnis Seite 24289 A Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24287

Michael Gerdes (A) Nach ausführlichen Beratungen der Koalitionsfraktio- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) nen und Anhörung der Sachverständigen bringen wir CDU/CSU) einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundes- Die Digitale Rentenübersicht ist jedenfalls ein ambi- regierung ein. Es bleibt bei der Fünfprozentklausel und tioniertes Projekt – auch datenschutztechnisch. Es ist bei der Möglichkeit der Listenverbindung. Was sich aber wichtig, dass die Übersicht kommt. Andere Nationen ab der nächsten Sozialwahl ändern wird, ist die Tatsache, machen uns das bereits vor. dass die Kandidatenliste eine Frauenquote von 40 Prozent erfüllen muss. Herzlichen Dank und Glück auf! (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Matthias (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten W. Birkwald [DIE LINKE]: Immerhin!) der CDU/CSU) Das war uns als SPD-Fraktion besonders wichtig. Frauen sind in den Gremien der Sozialversicherungen derzeit Vizepräsidentin Claudia Roth: unterrepräsentiert, obwohl sie in manchen Zweigen der Vielen Dank, Michael Gerdes. – Zum Abschluss dieser Sozialversicherung, etwa bei der Rentenversicherung, Debatte hat Tobias Zech das Wort für die CDU/CSU- mehr als die Hälfte der Mitglieder ausmachen. Ich hoffe Fraktion. sehr, dass künftig mehr Frauen ihren Weg in die Selbst- (Beifall bei der CDU/CSU) verwaltung finden und auch mitbestimmen werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Tobias Zech (CDU/CSU): LINKEN) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gut finde ich auch die neuen Regelungen bezüglich der Kollegen! Das ist eigentlich ein ziemlich guter Erfolg: Freistellung und Fortbildung von ehrenamtlichen Interes- Drei Oppositionsfraktionen enthalten sich, eine stimmt senvertretern. Schulungen sind absolut notwendig. Nicht dafür. Die Koalition hat heute also einen Gesetzentwurf nur, dass die Selbstverwalter viel Verantwortung tragen, vorgelegt, der eine breite Zustimmung im Parlament hat; auch die Anforderungen sind hoch: Sie müssen Glied- es gibt zumindest keine einzige Gegenstimme. erungen des Versicherungssystems kennen, Haushalts- (Norbert Kleinwächter [AfD]: Sie haben aber pläne und Bilanzen lesen, Hilfen bezüglich der Versiche- Ansprüche!) rungsleistung geben. All dieses Wissen fällt nicht vom Jetzt hoffe ich mal, dass ich das in den letzten fünf Minu- Himmel, sondern muss durch zeitintensive Schulung ten nicht noch vermassele, erlernt werden. Und diesen Zugang verbessern wir deut- lich. (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (B) SES 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlechter Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Selbstverwaltung Anfang!) der Sozialversicherungszweige hat eine lange Tradition. sondern vielleicht sogar den einen oder anderen noch Damit es eine gute Tradition bleibt, wollen wir mehr überzeuge, mit uns mitzugehen. Wahlbeteiligung und Transparenz. Das tun wir mit dem Gesetz von heute. Wir stärken den vielen Selbstverwal- Alle drei Bereiche, die wir heute regeln, schaffen eine tern den Rücken. Demokratie braucht Teilnehmer, aktive klare Verbesserung bei der Transparenz in der Altersvor- Wähler wie aktive Interessenvertreter. Die Selbstverwal- sorge. Wir schaffen eine Übersicht der gesetzlichen, der tung ist eine Bedingung für das solidarische Miteinander betrieblichen und der privaten Altersvorsorge. Der Kolle- in den Sozialversicherungen. Die Interessen von Ver- ge Vogel hat vorhin gesagt: Dieses Projekt hätte viel sicherten und Arbeitgebern werden zu gleichen Teilen schneller gehen müssen; andere haben uns überholt. – vertreten. Diesen Ausgleich der Interessen wollen wir Ich kann Ihnen versichern: Seit 20 Jahren wird das hier selbstverständlich erhalten. Deshalb bleiben auch die diskutiert. Ich bin froh, dass wir heute diesen Startschuss Friedenswahlen weiterhin möglich, lieber Johannes geben, und es ist ein Startschuss. Denn wir schaffen hier Vogel. heute keinen Abschluss, sondern wir starten einen Vor- gang. Herr Vogel, sehen Sie es doch als unternehmerische Abschließend noch ein Wort zu einem weiteren Rege- Gründung. lungsinhalt des Gesetzes, der Digitalen Rentenübersicht. Viele Menschen sorgen neben ihrer gesetzlichen Rente (Abg. Johannes Vogel [Olpe] [FDP] spricht mit betrieblich und privat vor. Nun schaffen wir eine Mög- Abg. Christian Dürr [FDP]) lichkeit, dass sie auf einen Blick sehen können, was sie – Sie hören mir jetzt nicht zu; dann spreche ich nicht mehr im Alter erwartet. Hier geht es um mehr als um eine mit Ihnen. Serviceleistung. Hier geht es um eine bessere Einschät- zung des späteren Lebensstandards. So weiß man schnel- ler, ob und wie man an der einen oder anderen Stell- Vizepräsidentin Claudia Roth: schraube noch drehen sollte. Herr Vogel, Sie sind gerade angesprochen worden. Wir hoffen in diesem Zusammenhang übrigens auch auf einen ambitionierten Beitrag der Bundesländer, Tobias Zech (CDU/CSU): indem sie ihre Landesbeamtinnen und Landesbeamten Nein, kein Problem. So wichtig ist es wohl nicht. einbeziehen. Es soll schließlich ein Überblick werden, (Christian Dürr [FDP]: Wir haben uns gerade der in die Breite wirkt. über Ihren Gesetzentwurf ausgetauscht!) 24288 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Tobias Zech (A) Wenn wir mit einem Thema neu starten, wie zum Bei- Sozialwahlen dabei. Ich bin Optimist und hoffe, dass sich (C) spiel jetzt hinsichtlich der Altersvorsorge, dann starten mit dem, was wir heute auf den Weg bringen, die Betei- wir einen Vorgang, und der muss natürlich noch verbes- ligung an den Sozialwahlen weiter verstetigt und ver- sert werden. Sehen Sie das Projekt der Koalition und des stärkt und dass sie attraktiver werden. Sollte das perspek- Arbeitsministeriums doch als Gründertum, als Entrepre- tivisch nicht gelingen, dann werden wir uns wirklich neurship. Geben Sie dem doch eine Chance, und stimmen Gedanken darüber machen müssen, wie wir mit Friedens- Sie heute zu! Verbessern können wir es über den Prozess wahlen und grundsätzlich mit dem System der Selbstver- immer noch. Wenn man ein so wichtiges Vorhaben von waltung der Sozialversicherungen umgehen. vornherein mit Nichtachtung oder Enthaltung bestraft, Ich kann nur sagen: Alle drei Punkte, die wir beschlie- dann halte ich das für nicht angemessen. ßen, schaffen eine klare Verbesserung für die Menschen (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Vogel im Land und eröffnen einen klaren Weg nach vorn. Ich [Olpe] [FDP]: Wir lehnen es ja nicht ab!) kann Sie alle, die sich jetzt enthalten wollen, nur einla- den, sich noch mal einen Ruck zu geben und mitzustim- Wir schaffen etwas, was perspektivisch zu mehr Vorsorge men. Jetzt kommt ja bald der Advent, die Zeit der Hoff- und Transparenz führt. nung. Geben Sie uns ein bisschen Hoffnung mit! (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE Stimmen Sie mit uns! Das ist gut fürs Land, das ist gut LINKE]) fürs Karma – Matthias, zu dir komme ich gleich. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Herr Minister, wir wecken mit dem Gesetz natürlich der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- schon die Erwartung, dass wir die Vorsorgeprodukte auch NEN) an die Lebenswirklichkeit der Menschen anpassen. Wenn und gut für die Stimmung hier im Raum. Sie, wie wir alle wahrscheinlich, in den letzten Tagen das Herzlichen Dank. Vermögensbarometer 2020 des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes bekommen haben und mal gucken, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wo die Menschen in Deutschland ihr Geld abseits der ordneten der SPD) gesetzlichen Rente anlegen, dann sehen Sie, dass auf Platz Nummer eins die private Lebensversicherung steht. Vizepräsidentin Claudia Roth: Die haben wir abgedeckt. Auf Platz Nummer zwei liegt die private Rentenversicherung. Die haben wir auch Vielen herzlichen Dank, lieber Tobias Zech. – Damit abgedeckt. Auf Platz Nummer drei liegen Investment- schließe ich die Aussprache. (B) fonds und Sparverträge. Die haben wir noch nicht zu Tagesordnungspunkt 15 a. Wir kommen zur Abstim- (D) 100 Prozent abgedeckt. Das ist die Lebenswirklichkeit mung über den von der Bundesregierung eingebrachten der Menschen und muss in den nächsten Monaten und Gesetzentwurf zur Verbesserung der Transparenz in der dann auch in der Evaluation mitbedacht werden. Alterssicherung und der Rehabilitation sowie zur Moder- Auf Platz Nummer fünf liegt übrigens die bAV. Die nisierung der Sozialversicherungswahlen. haben wir auch abgedeckt. By the way: Auf Platz Num- Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt unter mer zehn liegt die Riester-Rente. Das ist spannend. Wir Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache sollten vielleicht auch noch mal darüber nachdenken, hier 19/24487 (neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung mehr Attraktivität zu schaffen; denn die Riester-Rente auf Drucksache 19/23550 in der Ausschussfassung anzu- liegt nach dem aktuellen Vermögensbarometer noch hin- nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in ter dem Tagesgeldkonto, das auf Platz acht liegt. Das ist der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- sicher kein guter Platz und sicherlich auch keine gute zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Aussage hinsichtlich der Attraktivität dieses Produkts. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange- nommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von SPD, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wundert Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU, enthalten haben mich nicht!) sich die Fraktionen der AfD, der FDP und der Linken. Ein weiterer Punkt, den wir heute verbessern – über Dritte Beratung Rehaleistungen haben wir schon viel diskutiert –, sind die Sozialwahlen. Auch bei den Sozialwahlen gehen wir in und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem die richtige Richtung. Wir verbessern sie und erhalten – Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben. – das halte ich für unglaublich wichtig – die 5-Prozent- Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Klausel, sodass wir es Splittergruppen eben nicht erlau- entwurf ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktio- ben, hier mit einzudringen. Wir versuchen, die Selbstver- nen der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der CDU/ waltung der Sozialversicherungen weiter zu stärken und CSU. Enthalten haben sich die Fraktionen der Linken, der schaffen mit einer Sollbestimmung auch einen klaren FDP und der AfD. Anspruch in Bezug auf mehr Frauen in der Selbstverwal- Tagesordnungspunkt 15 b. Beschlussempfehlung des tung. Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag der Allerdings muss das Ziel sein, die Teilnahme an den Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Sozial- Sozialwahlen und die Transparenz weiter zu steigern. versicherungswahlen reformieren – Demokratische Be- Deswegen, Herr Kurth: Ich kann Ihrem Antrag sehr vieles teiligung sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt unter abgewinnen. Es sind sehr bedenkenswerte Punkte für die Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24289

Vizepräsidentin Claudia Roth (A) che 19/24487 (neu), den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Be- (C) Die Grünen auf Drucksache 19/22560 abzulehnen. Wer schlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Energie zum Antrag der Abgeordneten der AfD-Fraktion dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung mit dem Titel „Energiesicherheit gewährleisten – Nord ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von Stream 2 unterstützen“ bekannt geben: abgegebene Stim- SPD, CDU/CSU und AfD, dagegengestimmt hat die men 640. Mit Ja haben gestimmt 556, mit Nein haben Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten gestimmt 83 Kolleginnen und Kollegen, und enthalten haben sich die Fraktionen der FDP und der Linken. hat sich eine Person. Die Beschlussempfehlung ist damit Bevor wir hier oben wechseln und der nächste Tages- angenommen. ordnungspunkt behandelt wird, werde ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte

Endgültiges Ergebnis Hans-Joachim Fuchtel Alexander Krauß Sylvia Pantel Abgegebene Stimmen: 640; Ingo Gädechens davon Dr. Rüdiger Kruse Dr. ja: 556 Dr. Roy Kühne nein: 83 Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers Dr. Christoph Ploß enthalten: 1 Andreas G. Lämmel Ursula Groden-Kranich Thomas Rachel Ja Hermann Gröhe Ulrich Lange CDU/CSU Klaus-Dieter Gröhler Dr. Michael Grosse-Brömer Alois Rainer Dr. Michael von Abercron Astrid Grotelüschen Dr. Markus Grübel Dr. Norbert Maria Altenkamp Dr. Philipp Amthor Monika Grütters Johannes Röring Fritz Güntzler Dr. Norbert Röttgen Dorothee Bär Dr. Thomas Bareiß Erwin Rüddel Nikolas Löbel Maik Beermann (B) Jürgen Hardt Dr. Wolfgang Schäuble (D) (Börde) Dr. Jan-Marco Luczak Mark Hauptmann Dr. André Berghegger Dr. Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Christoph Bernstiel Dr. Thomas de Maizière Dr. Peter Beyer Dr. Astrid Mannes (Chemnitz) Mark Helfrich Hans-Georg von der Nadine Schön Rudolf Henke Marwitz Dr. Klaus-Peter Schulze Dr. Reinhard Brandl Marc Henrichmann (Altötting) Sebastian Brehm Ansgar Heveling Dr. Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Dr. Dr. h. c. (Univ Kyiv) Hans Dr. Alexander Hoffmann Michelbach Gitta Connemann Dr. Dr. Dr. Bernd Siebert Hans-Jürgen Irmer Karsten Möring Elisabeth Motschmann Björn Simon Marie-Luise Dött Axel Müller Tino Sorge Hansjörg Durz Sepp Müller Jens Spahn Thomas Erndl Anja Karliczek Carsten Müller Katrin Staffler Hermann Färber Torbjörn Kartes (Braunschweig) Dr. Wolfgang Stefinger Stefan Müller (Erlangen) Dr. Stefan Kaufmann Christian Natterer Andreas Steier Axel E. Fischer (Karlsruhe- Roderich Kiesewetter (Rostock) Land) Dr. Dr. Georg Nüßlein Dr. Florian Oßner Christian Frhr. von Stetten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Markus Koob Henning Otte Carsten Körber 24290 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Max Straubinger Saskia Esken (Minden) (C) Dr. Yasmin Fahimi Carl-Julius Cronenberg Dr. Hermann-Josef Dr. Martin Rabanus Britta Katharina Dassler Tebroke Dr. Fritz Felgentreu Bijan Djir-Sarai Hans-Jürgen Thies Dr. Sönke Rix Christian Dürr Hartmut Ebbing Dr. Dietlind Tiemann Dr. Martin Rosemann Dr. Michael Gerdes René Röspel Daniel Föst Martin Gerster Dr. Otto Fricke Dr. Volker Ullrich Angelika Glöckner Michael Roth (Heringen) Thomas Hacker Arnold Vaatz Timon Gremmels Susann Rüthrich Kerstin Vieregge Bernd Rützel Michael Groß Katrin Helling-Plahr (Kleinsaara) Uli Grötsch Johann Saathoff Dr. Kees de Vries Rita Hagl-Kehl Dr. Johann David Dr. Gero Clemens Hocker Wadephul Dr. Nils Schmid Manuel Höferlin Dr. Christoph Hoffmann Nina Warken Hubertus Heil (Peine) (Aachen) Reinhard Houben (Wetzlar) Olaf In der Beek Marcus Weinberg Dr. Barbara Hendricks Carsten Schneider (Erfurt) (Hamburg) Gyde Jensen Gabriele Hiller-Ohm Dr. Dr. Peter Weiß Dr. Marcel Klinge (Emmendingen) (Spandau) Sabine Weiss (Wesel I) Oliver Kaczmarek Dr. Lukas Köhler Gabriele Katzmarek Carina Konrad Rita Schwarzelühr-Sutter Annette Widmann-Mauz Rainer Spiering Konstantin Kuhle Bettina Margarethe Wiesmann Alexander Graf Lambsdorff (B) Dr. Bärbel Kofler Martina Stamm-Fibich Ulrich Lechte (D) Klaus-Peter Willsch Sonja Amalie Steffen Elisabeth Winkelmeier- Becker -Emre Michael Georg Link (Heilbronn) Tobias Zech Christian Lange Till Mansmann Markus Töns (Backnang) Dr. Jürgen Martens Carsten Träger Dr. Matthias Zimmer Dr. Alexander Müller Helge Lindh Marja-Liisa Völlers Roman Müller-Böhm SPD Kirsten Lühmann Dirk Vöpel Frank Müller-Rosentritt Ingrid Arndt-Brauer Isabel Mackensen Dr. Martin Neumann (Lausitz) Dirk Wiese Matthias Nölke Ulrike Bahr Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Christian Sauter Dr. Matthias Bartke Dr. Dr. Jens Zimmermann Frank Schäffler Sören Bartol Dr. Wieland Schinnenburg Bärbel Bas FDP Matthias Seestern-Pauly Falko Mohrs Grigorios Aggelidis Frank Sitta (Heidelberg) Dr. Eberhard Brecht Siemtje Möller Christine Aschenberg- Bettina Stark-Watzinger Leni Breymaier Bettina Müller Dugnus Dr. Marie-Agnes Strack- Dr. Karl-Heinz Brunner Detlef Müller (Chemnitz) Nicole Bauer Zimmermann Katrin Budde Michelle Müntefering Benjamin Strasser Dr. Dr. Jens Brandenburg Katja Suding (Rhein-Neckar) Linda Teuteberg Dr. Daniela De Ridder Aydan Özoğuz Mario Brandenburg Michael Theurer Dr. Karamba Diaby Markus Paschke (Südpfalz) Stephan Thomae Christian Petry Sandra Bubendorfer-Licht Dr. Marco Buschmann Dr. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24291

(A) Dr. Dr. Bruno Hollnagel (C) Alexander Ulrich Ulle Schauws Leif-Erik Holm Johannes Vogel (Olpe) Kathrin Vogler Dr. Johannes Huber Andreas Wagner Stefan Schmidt Charlotte Schneidewind- Dr. Marc Jongen Hartnagel Sabine Zimmermann Kordula Schulz-Asche (Zwickau) Dr. Wolfgang Strengmann- Norbert Kleinwächter DIE LINKE Kuhn Enrico Komning Doris Achelwilm Margit Stumpp BÜNDNIS 90/ Jörn König Gökay Akbulut DIE GRÜNEN Steffen Kotré Simone Barrientos Jürgen Trittin Dr. Rainer Kraft Dr. Dietmar Bartsch Luise Amtsberg Dr. Rüdiger Lucassen Matthias W. Birkwald Lisa Badum Beate Walter-Rosenheimer Christine Buchholz Dr. Dr. Lothar Maier Dr. Birke Bull-Bischoff Dr. Birgit Malsack- Winkemann Jörg Cezanne Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Sevim Dağdelen Fraktionslos Dr. Anna Christmann Hansjörg Müller Dr. Diether Dehm Janosch Dahmen Marco Bülow Volker Münz Anke Domscheit-Berg Ekin Deligöz Sebastian Münzenmaier Klaus Ernst Harald Ebner Nein Jan Ralf Nolte Nicole Gohlke Kai Gehring AfD Dr. Dr. Dr. André Hahn Katrin Göring-Eckardt Marc Bernhard Heike Hänsel Erhard Grundl Tobias Matthias Peterka Matthias Höhn Anja Hajduk Peter Boehringer Paul Viktor Podolay Andrej Hunko Dr. Bettina Hoffmann Stephan Brandner Jürgen Pohl Ulla Jelpke Dr. Anton Hofreiter Jürgen Braun Stephan Protschka Kerstin Kassner Ottmar von Holtz Marcus Bühl Martin Reichardt (B) Dr. Matthias Büttner Martin Erwin Renner (D) Dr. Kirsten Kappert- Petr Bystron Roman Johannes Reusch Jan Korte Gonther Tino Chrupalla Ulrike Schielke-Ziesing Uwe Kekeritz Joana Cotar Dr. Robby Schlund Katja Keul Dr. Jörg Schneider Sven-Christian Kindler Uwe Schulz Maria Klein-Schmeink Thomas Seitz Sylvia Kotting-Uhl Berengar Elsner von Oliver Krischer Gronow Dr. Gesine Lötzsch Christian Kühn (Tübingen) Dr. Michael Espendiller Dr. Thomas Lutze Renate Künast René Springer Markus Kurth Dr. Beatrix von Storch Amira Mohamed Ali Monika Lazar Dr. Harald Weyel Sven Lehmann Cornelia Möhring Dr. Götz Frömming Dr. Alexander Gauland Dr. Norbert Müller (Potsdam) Dr. Tobias Lindner Albrecht Glaser Dr. Christian Wirth Zaklin Nastic Dr. Irene Mihalic Franziska Gminder Dr. Alexander S. Neu Claudia Müller Petra Pau Beate Müller-Gemmeke Armin-Paulus Hampel Fraktionslos Sören Pellmann Dr. Mariana Iris Harder- Uwe Kamann Omid Nouripour Kühnel Tobias Pflüger Friedrich Ostendorff Dr. Dr. Cem Özdemir Udo Theodor Hemmelgarn Eva-Maria Schreiber Filiz Polat Enthalten Dr. Petra Sitte Tabea Rößner Martin Hess FDP Helin Claudia Roth (Augsburg) Dr. Heiko Heßenkemper Dr. Dr. Kirsten Tackmann Corinna Rüffer Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 24292 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) (C) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf – und wün- Rad mit allerdings sehr großer Wirkung haben wir heute sche Ihnen einen schönen Restabend –: vor uns: den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Rates über die Vermarktung und Verwendung von Aus- zur Durchführung der Verordnung (EU) gangsstoffen für Explosivstoffe. Was sehr technisch 2019/1148 des Europäischen Parlaments und klingt, hat einen sehr konkreten Hintergrund. Viele erin- des Rates vom 20. Juni 2019 über die Ver- nern sich vielleicht noch an die Anschläge auf Kirchen in marktung und Verwendung von Ausgangs- Sri Lanka Ostern 2019. Über 250 Tote waren zu bekla- stoffen für Explosivstoffe, zur Änderung der gen. Das, was zum Bau dieser schrecklichen Bomben Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Auf- verwendet wurde, waren eigentlich Alltagsstoffe. hebung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 Deswegen regeln wir jetzt gesetzlich die Abgabe und Drucksache 19/23565 den Verkauf bestimmter Alltagsstoffe, wenn normale, handelsübliche Mengen überschritten werden. Es geht Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- um Wasserstoffperoxid oder auch Salpetersäure, um all- ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) gemein bekannte und in hoher Dosierung gefährliche Drucksache 19/24122 Stoffe. Wir haben die Transaktion bestimmter Stoffe mit einer Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Meldepflicht belegt. Hier sind Stoffe wie Schwefelsäure Beschlossen ist eine Aussprachedauer von 30 Minuten. oder Ammoniumnitrat, eher als Kunstdünger bekannt, zu nennen. Auch sie können für Attentate verwendet wer- Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege den. Marc Henrichmann. Das Gesetz enthält weiter begleitende Vorschriften zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Durchführung und Vollzug. Wir nehmen Wirtschaft, wir nehmen Verwender, aber auch Onlinemarktplätze in die Marc Henrichmann (CDU/CSU): Pflicht. Und wir geben den Sicherheitsbehörden und auch Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! unserem Zoll hier ein sehr scharfes Schwert an die Hand – Es gibt die großen und die kleinen Räder bei der inneren das machen wir nicht ohne Zweck, sondern mit Blick auf Sicherheit, die man drehen kann, um die Lage im Land die innere Sicherheit, um die Menschen im Land zu besser und sicherer zu machen. Wir haben in den letzten schützen –: Testkäufe, Speicherung relevanter Vorgänge, aber auch bei dringender Gefahr das Betreten von (B) Tagen und Wochen hier über viele Themen debattiert. (D) Mir ist wichtig: Wir drehen jeden Stein um, wenn es Geschäftsräumen bis hin – bei konkreten Verdachtsmo- darum geht, das Land und die Sicherheitslage im Land menten – zur Durchsuchung von Wohnungen; Artikel 13 weiter zu verbessern. des Grundgesetzes ist berührt. Wir haben bezüglich einer entsprechenden Bandenkriminalität und entsprechender Wir haben in den letzten Tagen viel über die großen Gefahrenlagen sogar die Strafprozessordnung geändert Räder debattiert: über den Rechtsextremismus in Halle und die Telekommunikationsüberwachung bei banden- und Hanau, über islamistische Gefahren, gestern noch mäßigen Taten auf die Agenda genommen. über die Grauen Wölfe, auch über linksterroristische Kra- walle in Hamburg, Berlin oder Leipzig. Wir kämpfen Das alles haben wir sehr geräuschlos und einvernehm- auch weiterhin für eine gute und vor allem zeitgemäße lich gemacht. Mit Blick auf die Gesetzesvorhaben, die Ausstattung unserer Sicherheitsbehörden. Dazu gehört wir als Nächstes vor der Brust haben, wünsche ich mir, es, alle Phänomene von Kriminalität und Unsicherheit dass wir auch bei anderen Themen dieses Vertrauen in in den Blick zu nehmen und auch nicht abzuwägen. Es unsere Behörden haben. Es wird viel über innere Sicher- gibt für uns keine gute und keine schlechte Gewalt, und heit geredet – viele fühlen sich dazu berufen –, wir haben ein starker Rechtsstaat unterscheidet auch nicht zwischen aber immer noch Tausende Hinweise ausländischer höheren und niederen Zwecken. Dienste, beispielsweise auf Kindesmissbrauch, die wir nicht nachverfolgen können, weil IP-Adressen schlicht- (Beifall bei der CDU/CSU) weg nicht mehr vorliegen und nicht mehr so lange ge- Deswegen möchte ich ausdrücklich mit Blick auf den speichert werden können, wie das nötig wäre, um solche gestrigen Tag und die Geschehnisse hier in Berlin den Taten zu verhindern und aufzuklären. Da müssen wir vielen Polizistinnen und Polizisten Danke sagen, die gemeinsam ran. uns alle rund um dieses Gebäude geschützt und beschützt Fazit hier: Wir haben mit einem vermeintlich kleinen haben und das sehr abgeklärt und sachlich draußen über- Rad viel Sicherheit geschaffen und hoffentlich viel Leid standen haben. Vielen Dank! Ich hoffe, dass alle gesund von unserem Land abgewendet. wieder nach Hause gekommen sind. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn wir uns bei den großen Rädern nicht verzetteln in irgendwelchen Misstrauensdebatten gegenüber unse- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: ren Sicherheitsbehörden, dann können wir auch die ver- Der Abgeordnete Martin Hess ist der nächste Redner meintlich kleinen Räder drehen. Ein vermeintlich kleines für die AfD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24293

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der AfD) Regierung sein müssten, die ziehen sich immer weiter (C) zurück, zuletzt auch der anerkannte, profunde Kenner Martin Hess (AfD): und Kritiker des Islam Hamed Abdel-Samad. Dieser hat Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Wir nach seinem Rückzug Folgendes gesagt – ich zitiere aus stimmen heute über einen Gesetzentwurf zur Durchfüh- einem Interview mit dem „Cicero“ vom 11. November rung der EU-Verordnung zu Explosivstoffen ab. Da be- dieses Jahres: stimmte chemische Ausgangsstoffe von Terroristen zur Wenn es um den Islam geht, gibt es nur die AfD als Herstellung von Sprengsätzen missbraucht werden kön- Opposition. Die CDU und SPD wollen doch nur die nen, ist diese Regelung sicherlich zur Bekämpfung des Stimmen der Muslime bei den Wahlen gewinnen. Terrors erforderlich, und sie wird auch unsere Zustim- mung finden. Aber eines muss hier auch klar gesagt wer- Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Wer unsere Grund- und Werteordnung und die Sicherheitsinteressen den: Verantwortlich für die exorbitant hohe Terrorgefahr der deutschen Bevölkerung zur Disposition stellt, um in unserem Land ist diese Bundesregierung mit ihrer völ- lig verfehlten Sicherheitspolitik. mehr Wählerstimmen zu generieren, der befördert seh- enden Auges den ansteigenden Islamismus in unserem (Beifall bei der AfD) Land und ist mitverantwortlich für die immer stärker Sie liegen bereits mit Ihrer Lageanalyse falsch. Sie werdende islamistische Terrorgefahr in unserem Land. behaupten hier in diesem Hohen Hause immer wieder, (Beifall bei der AfD) wie übrigens die anderen Fraktionen auch, der Rechts- extremismus sei die größte Sicherheitsgefahr in unserem Einen solchen Ausverkauf vitaler Sicherheitsinteres- Lande. sen unserer Bürger wird die AfD nicht weiter zulassen. Wenn wir den Kampf gegen den islamistischen Terror (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ist er ja auch!) gewinnen wollen, wenn also der Innenminister diesen Dabei wissen wir aber alle – Sie auch –, dass uns durch Kampf nicht nur verwalten, sondern auch gewinnen den verhinderten Rizinanschlag in Köln, durch einen ein- will, dann müssen wir jetzt endlich klare Kante gegen- zigen islamistischen Terroranschlag bis zu 27 000 Opfer über den islamistischen Verbänden zeigen. Mit Islamisten drohten. 27 000 Opfer eines islamistischen Terroran- berät man sich nicht. Mit Islamisten verhandelt man schlages, das macht doch jedem die Dimensionen klar nicht. Islamisten macht man unzweideutig klar, dass für und zeigt uns doch eines: Der islamistische Terror ist sie keine Sonderrechte in unserem Land gelten können. und bleibt die größte Sicherheitsgefahr für die Bürger Unsere Gesetze und Regeln dürfen niemals Verhand- unseres Landes. lungsmasse sein. (B) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) (D) Deshalb müssen wir endlich die richtigen Prioritäten Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Die- setzen, und die Regierung muss schleunigst diesen se klare Ansage ist es, die die Islamisten brauchen. Diese sicherheitspolitischen Kurs korrigieren. Bekämpfen Sie Erkenntnis ist die unabdingbare Grundlage, um den isla- endlich die Ursachen des islamistischen Terrors, und mistischen Terror zu besiegen. Deshalb mein Appell an hören Sie auf mit der Symptombehandlung, wie Sie es die Regierung: Fangen Sie endlich damit an! jetzt mit diesem Gesetzentwurf wieder machen. Solange (Beifall bei der AfD) Sie diese Kurskorrektur nicht vollziehen, so lange können Sie Gesetzesverschärfungen durchsetzen, wie Sie wollen, die Sicherheitslage in unserem Land wird sich nicht bes- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sern. Und die AfD ist nicht bereit, das massive Sicher- Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Helge heitsversagen dieser Regierung weiter hinzunehmen. Lindh. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der SPD) Bekämpfung des islamistischen Terrors, meine sehr verehrten Damen und Herren, das bedeutet vor allem Helge Lindh (SPD): die Zerstörung seiner Grundlagen. Das heißt, wir müssen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr endlich im wahrsten Sinne des Wortes dem fundamenta- Hess, warum überrascht es mich nicht, dass Sie bei einem listischen Islam den Kampf ansagen. Wir dürfen nicht Gesetzentwurf zum Thema „Ausgangsstoffe für Explo- weiter hinnehmen, dass der politische Islam immer weiter sivstoffe“ Ausführungen zum Islamismus machen? um sich greift und dieser Staat quasi hilflos zusieht. Wir Warum überrascht mich das nicht? müssen zeigen, dass unsere Demokratie wehrhaft und vor (Martin Hess [AfD]: Das gehört doch zusam- allem bereit ist, ihre Werte offensiv zu verteidigen. Und men!) diese Werte – und auch das ist und bleibt Fakt – sind mit Das war doch programmiert. dem politischen Islam nicht kompatibel. Noch eine kleine Anregung für Sie: Am Wochenende (Beifall bei der AfD) hatte ich die Unehre, so muss ich es nennen, auf dem Aber der Innenminister tut genau das Gegenteil. Er Rathausplatz bei mir zu Hause mit Herrn Stürzenberger biedert sich den islamistischen Verbänden an, er setzt zu streiten. Dieser hat nahezu wortgleiche Ausführungen sich im Rahmen der von ihm initiierten Islamkonferenz gemacht, wie Sie sie gebracht haben zum Thema „politi- mit Islamisten zusammen. Die gemäßigten, die vernünf- scher Islam und Islamismus“, und von seinen Fans kam tigen Muslime, die eigentlich Gesprächspartner der mehrfach der Ruf – mich betreffend –: „Parasit“. Ent- 24294 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Helge Lindh (A) sprechende Strafanzeigen sind erfolgt. Da sehen Sie es: Die Situation war folgende: 2015 kauften die beiden (C) Das sind Ihre Fans; die bezeichnen Demokratinnen und 3 Liter eines solchen Ausgangsstoffes. Das fiel der Mit- Demokraten als Parasiten. Das sagt, glaube ich, alles arbeiterin des Baumarktes auf. Es gab da noch keine dazu. Rechtsgrundlage, um entsprechend zu handeln; aber sie erfasste zumindest die Personalien. Sie hat sich jedoch Außerdem würde ich die Gegenthese aufstellen. Der nicht die Identitätsnachweise zeigen lassen; das musste Kollege Henrichmann – und andere werden das sicher sie auch nicht. Die Identitäten, die diese beiden Personen auch noch tun – hat die materielle Sicherheitsfrage angaben, waren falsch. Die Frau benachrichtigte aber, beschrieben und die konkrete parlamentarische Arbeit. weil sie wachsam war, die Ermittlungsbehörden, und Es wäre ein Beitrag von Ihnen zur Sicherheit in diesem mit aufwendigen Verfahren wurden letztlich die Identitä- Land, wenn Sie in diesem Fall auch mal zur Sache spre- ten festgestellt. chen und nicht über die Gefährdungen schwadronieren würden, die von der Regierung ausgehen, oder wenn Das ist ein gutes Beispiel dafür, wo diese Gesetzge- Sie nicht alle Musliminnen und Muslime in diesem bung ansetzt. Durch die Einrichtung von Kontaktstellen Land unter Generalverdacht stellten. Das ist einfach nur in den Ländern – bei uns hier in Deutschland föderalis- geschmacklos, widerlich und unpassend. tisch organisiert – und durch die Kompetenzen der Inspektionsbehörden wird genau das möglich: Marktteil- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie nehmerinnen und -teilnehmer und auch Onlineplattfor- bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) men werden dazu angehalten, sich Identitätsnachweise zeigen zu lassen. Außerdem sind sie berechtigt – sie sol- Zudem ist es noch unsachgemäß; denn wenn wir viele len das auch tun –, die Personalien zu erfassen, die wei- dieser Debatten, die Sie anfachen, gar nicht erst führen tergegeben werden können bei auffälligen, merkwürdi- müssten und uns stattdessen auf die tatsächlichen Sicher- gen Transaktionen. Ferner sollen sie sich auch beim heitsfragen konzentrieren könnten, wäre dieses Land ein Abhandenkommen von größeren Mengen solcher Aus- sichereres. Deshalb sind Sie auch Sicherheitsverhinderer. gangsstoffe melden. Dieser Gesetzentwurf sagt bei diesem so nüchtern wir- Das ist eine Gesetzgebung, die konkret da ansetzt, wo kenden Thema aber auch einiges über unseren Parlamen- es bislang Probleme gab. Alle Ihre Ausführungen hätten tarismus. Zwei Dinge will ich da hervorheben. Zum einen hier nicht weitergeholfen, diese Gesetzgebung aber sehr geht es um genau das, was ich eben angedeutet habe: um wohl. Deshalb ist es ein vernünftiges und notwendiges konkrete sachliche Arbeit, die beim Leben der Menschen Gesetz. ansetzt und dieses Land sicherer macht und die eine bes- sere Kontrolle und größere Möglichkeiten seitens der Es schafft auch, basierend auf der EU-Verordnung, (B) (D) Sicherheitsbehörden in Deutschland und in Europa auf neue Strafvorschriften. Diejenigen, die illegalerweise den Weg bringt. Diese sachliche Arbeit geschieht häufig. solche Ausgangsstoffe verwenden, um illegale Spreng- Zum anderen ist es etwas, das von sehr vielen hier im stoffe herzustellen, können mit Freiheitsstrafen bis zu Raum sehr konstruktiv begleitet wird. Das passiert alltäg- drei Jahren bzw. von bis zu fünf Jahren belegt werden, lich. Ganz viel von dem, was wir machen, wirkt nicht wenn sie gewerbsmäßig oder bandenmäßig handeln. spektakulär, ist aber von der Sache und einem konstrukti- Auch das ist eine wichtige und notwendige Maßnahme. ven Diskurs getragen. Darüber hinaus haben wir in diesem sehr konstruktiven parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren unsere Mög- Gerade nach dem, was ich von Ihnen eben erlebt habe, lichkeiten genutzt: Wir führen eben nicht ein Genehmi- und weil ich den Kollegen Kuhle sehe, möchte ich diesen gungsverfahren durch, wie es die EU-Verordnung ermög- Moment dafür nutzen, noch etwas zu sagen: Wir haben licht, sondern wir sehen im Sinne der Sicherheit davon ab nämlich in den letzten Tagen gesehen, dass man über und werden das umsetzen, was die besten Bedingungen höchst kontroverse Themen wie den Infektionsschutz für unsere Sicherheitsbehörden schafft und die Zustän- bei unterschiedlicher Meinung – da nenne ich Herrn digkeiten von Bund und Land klar regelt. Kuhle; ich kann aber auch Herrn von Notz nennen, Frau Pau und viele andere – sehr wohl hart streiten kann, auch Und dann machen wir noch etwas Konkretes, Prakti- anders abstimmen kann, dabei aber gleichzeitig – und sches. Sie wollten ja, dass ich zur Sache rede, was Sie dafür danke ich den Oppositionsfraktionen ausdrücklich – nicht gemacht haben; deshalb tue ich es, sozusagen als die Regierung verteidigt, wenn sie unbotmäßigen, ja Ersatz für Sie. Wir schaffen die Möglichkeiten, dass absolut widerlichen Anklagen und Vorwürfen ausgesetzt Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer, auch solche, die ist. Das war für mich ein Glanzpunkt des Parlamentaris- auf Onlineplattformen aktiv sind, geschult und sensibili- mus, und das sollte Ihnen ein Beispiel sein. siert werden. Auch das ist notwendig; denn die Leute verfügen nicht automatisch über die Kenntnisse, dass (Beifall bei der SPD – Martin Hess [AfD]: Jetzt man aus Wasserstoffperoxid, das man auch zum Blondie- kommen auch Sie mal zur Sache, Kollege!) ren oder zur Schimmelbekämpfung verwenden kann, auch Sprengstoff herstellen kann, ebenso aus Ammo- Kommen wir jetzt zu den sachlichen Ausgangspositio- niumnitrat. nen. Ich möchte keine Thesen aufstellen über Muslimin- nen und Muslime, sondern ich möchte über die Proble- Was es bedeutet, dass man auch mit geringen Chemie- matik sprechen. Diese Problematik wird uns deutlich, kenntnissen so etwas anrichten kann, das wissen wir spä- wenn wir zum Beispiel an den drohenden Anschlag den- testens seit den schrecklichen Anschlägen des Anders ken, den Halil D. und seine Frau geplant hatten. Breivik, seit dem ersten Anschlag auf das World Trade Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24295

Helge Lindh (A) Center und seit dem Oklahoma-Bomber, dem Rechtsext- lichen Strafandrohungen ausgesetzt sehen. Außerdem – (C) remisten – auch wenn es Ihnen nicht passen mag – Timo- der Kollege Henrichmann hat es erwähnt – gibt es ein- thy McVeigh. All dies sind erschreckende Beispiele. schneidende Ermittlungsbefugnisse in diesen Bereichen. Damit wir nicht mehr erleben müssen, dass man, wenn Angesichts dieser Einschnitte ist überhaupt nicht nach- man zum Beispiel auf einer Onlineplattform wie Amazon zuvollziehen, warum die Bundesregierung, warum CDU/ oder anderswo Ammoniumnitrat bestellt, aufgrund der CSU und SPD von einer möglichen Ausnahmegenehmi- Algorithmen praktischerweise direkt Hinweise erhält, gung für bestimmte Stoffe keinen Gebrauch gemacht was man sonst noch bestellen kann, um zum Beispiel haben. Das sieht die Verordnung nämlich ausdrücklich alles für einen Terrorismus-Baukasten beisammen zu vor. Wir erleben hier wieder einmal, dass die Bundesre- haben, machen wir dieses Gesetz. Das ist vernünftig, gierung europäische Vorgaben überobligationsmäßig parlamentarisch entschieden und basiert auf der kon- umsetzt. Das kennen wir schon aus anderen Bereichen, struktiven Zusammenarbeit von Regierung und Opposi- die in diesem Zusammenhang immer wieder zum Tragen tion. Außerdem macht es das Leben von Menschen siche- kommen, zum Beispiel beim Waffenrecht – ich erinnere rer. an die EU-Feuerwaffenrichtlinie –, wo Sie wiederum das europäische Recht überobligationsmäßig umgesetzt Ich danke Ihnen. haben und die betroffenen Kreise mit unnützer Bürokratie überziehen. Das stößt auf deutliche Kritik der Freien (Beifall bei der SPD) Demokraten.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der FDP) Das Wort hat der Abgeordnete Konstantin Kuhle, Zweitens haben die Freien Demokraten im vergange- FDP-Fraktion. nen Jahr mit einer Kleinen Anfrage zum Thema „Handel mit Explosivgrundstoffen und giftigen Substanzen im (Beifall bei der FDP) Internet“ darauf aufmerksam gemacht, dass es oft gar nicht um das Recht geht, sondern um die tatsächliche Konstantin Kuhle (FDP): Kooperation zwischen den Sicherheitsbehörden und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Onlineplattformen, auf denen man entsprechende Stoffe Anschläge der letzten Wochen in Österreich, in Frank- bestellen kann. Es ist richtig: Sowohl der Staat als auch reich und in Deutschland haben uns gezeigt, dass die private Unternehmen müssen daran mitarbeiten, dass das Gefahr des Terrorismus nach wie vor besteht. Nicht geltende Recht umgesetzt wird, und bei der Verhinderung immer, aber immer wieder sind es Alltagsgegenstände, von solchen Taten zusammenwirken. (B) die bei solchen Straftaten als Waffen verwendet werden. Aber wir müssen die Kriterien bei der Zusammenarbeit (D) der Sicherheitsbehörden und Onlineplattformen im Inter- Das kann ein Küchenmesser sein, das in einem net auch klar, transparent und rechtsstaatlich benennen. Geschäft erworben wurde, wie bei dem Anschlag Anfang Wir können heute nicht erkennen, nach welchen Kriterien Oktober in Dresden. Das können auch Rizinussamen Onlineplattformen und Sicherheitsbehörden zusammen- sein, die im Internet bestellt worden sind, wie bei einem arbeiten. Sie haben sich in der Antwort auf die entspre- geplanten Anschlag im Jahr 2018 in Köln, der von unse- chende Anfrage auch geweigert, das einmal transparent ren Sicherheitsbehörden vereitelt worden ist. Das kann für die Bürger und die betroffenen Rechtskreise darzu- aber auch, wie im Jahr 2011 in Norwegen, Ammonium- legen. Das geht so nicht. Hier erwarten wir mehr Rechts- nitrat sein, das als Dünger erworben worden ist und dann sicherheit, mehr Klarheit und mehr Transparenz. Wir anschließend in eine gefährliche Autobombe umgewan- stimmen gerne zu, werden aber das weitere Verfahren delt wurde. sehr aufmerksam beobachten. Heute soll es um die Vermarktung und Verwendung Vielen Dank. von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe gehen. Der euro- päische Gesetzgeber hat im vergangenen Jahr dazu eine (Beifall bei der FDP) Verordnung vorgelegt. Die Bundesregierung legt uns heute eine Begleitgesetzgebung vor. Dabei geht es insbe- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sondere darum, dass in den Ländern Kontaktstellen Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin geschaffen und die Sicherheitsbehörden mit Kontrollbe- Ulla Jelpke. fugnissen ausgestattet werden sollen. (Beifall bei der LINKEN) Insgesamt – das kann man, glaube ich, sagen – ist der vorgelegte Gesetzentwurf angemessen und ausgeglichen, und deswegen wird die Fraktion der Freien Demokraten Ulla Jelpke (DIE LINKE): auch zustimmen. Ich will aber zwei kritische Anmerkun- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vor- gen zu dem Regierungskonzept machen: liegende Gesetzentwurf regelt die Begleitvorschriften zu einer EU-Verordnung, mit der die Abgabe von Aus- Erstens. Die neuen Regelungen – das geht auch aus den gangsmaterial für die Sprengstoffherstellung an Unbe- Stellungnahmen des Bundesrates hervor – sind in büro- fugte verboten wird; denn es muss verhindert werden – kratischer Hinsicht eine erhebliche Belastung für die das sieht Die Linke ganz genauso –, dass solche Stoffe in Wirtschaft. Es entstehen zusätzliche Belastungen für die die Hände von Kriminellen oder Terroristen gelangen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich zudem erheb- Deswegen unterstützen wir diesen Gesetzentwurf. 24296 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Ulla Jelpke (A) (Beifall bei der LINKEN) Hans-Jürgen Irmer (CDU/CSU): (C) Hochverehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- In den letzten 50 Jahren wurden allein von Neonazis ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen mehr als 123 Sprengstoffanschläge in Deutschland heute ein Gesetz auf Basis einer EU-Verordnung, einer begangen. Ich erinnere an einen der schwersten, den Verordnung mit – in Anführungsstrichen – „explosiver faschistischen Anschlag auf das Münchener Oktoberfest Wirkung“. Es geht um das Thema Sicherheit. Wir als vor 40 Jahren mit 13 Toten und zahlreichen zum Teil Staat haben die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass schwerverletzten Menschen. Die Bedrohung wächst wei- sich unsere Bürger sicher fühlen; denn ohne Sicherheit ter. Faschisten und Reichsbürger, rechte Prepper und Gla- gibt es keine Freiheit. Wenn ich mir überlegen muss, ob dio-Seilschaften in der Bundeswehr, aber auch in der ich sicher bin, wenn ich – in normalen Zeiten – auf den Polizei rüsten für den Tag X. Sie legen Waffendepots Weihnachtsmarkt oder zum Weinfest gehe und mir nicht an, und sie planen Anschläge, um einen Bürgerkrieg zu sicher bin, ist meine individuelle Entscheidungsfreiheit provozieren. Mehrere rechte Terrorzellen wurden zum schon ein Stück weit eingeschränkt. Deshalb ist das Glück in den letzten Jahren ausgehoben, ehe sie ihre Wichtigste, was wir als Staat machen können, die Freiheit Mordpläne umsetzen konnten. unserer Bürger dadurch zu gewähren, dass wir entspre- Dazu kommen Dschihadisten, die bereit sind, Massen- chende Sicherheit gewährleisten, zum Schutz beitragen. morde an vermeintlich Ungläubigen zu verüben. Bom- Meine Damen und Herren, blicken wir in die Vergan- benbauanleitungen im Internet weisen ihnen den Weg in genheit: Nach Anschlägen, ob von Linksextremisten, Baumärkte und Apotheken; denn TATP – auch bekannt Rechtsextremisten oder Islamisten, wurde immer als Sprengstoff der Terroristen – ist ein hochexplosives gefragt – zu Recht natürlich –, ob der Staat alles getan Gemisch aus Alltagschemikalien. Es ist völlig richtig, hat, was in seiner Macht steht. Was ist passiert? Wer hat den ungeregelten Verkauf, der hierfür notwendigen Aus- die Verantwortung getragen? Welche Fehler wurden gangsstoffe wie Wasserstoffperoxid, aber auch anderer gemacht usw. usf.? Auf der anderen Seite muss man Stoffe in größeren Mengen zu unterbinden. Mit der EU- auch klar sagen: Es gibt in einer freiheitlichen Gesell- Verordnung ist das unserer Meinung nach mit richtigem schaft niemals einen hundertprozentigen Schutz; aber Augenmaß gelungen. unsere Aufgabe ist, diesen 100 Prozent so nahe zu kom- men wie irgend möglich. Es ist auch richtig, speziell geschulte Aufsichtsbehör- den zu schaffen – da habe ich den Kollegen Kuhle, ehr- (Beifall bei der CDU/CSU) lich gesagt, nicht so ganz verstanden; denn das ist ja auch Dazu hat die Bundesregierung, haben die sie tragenden Teil der Gesetzgebung –, die Meldungen über verdächti- Fraktionen in den letzten Jahren einiges beigetragen. Ich ge Transaktionen von Ausgangsstoffen oder deren (B) erinnere an die Personalaufstockung bei den unterschied- (D) Abhandenkommen entgegennehmen. Denn diese Aufga- lichen Sicherheitsbehörden: ob im Bundesnachrichten- be kann in der Tat nicht den Apotheken und dem Handel dienst, bei der Bundespolizei, beim Verfassungsschutz. allein überlassen werden. Aus diesen Gründen stimmen Das alles sind richtige Maßnahmen, die wir getroffen wir, wie gesagt, dem vorliegenden Gesetzentwurf zu. haben. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass Ter- Zum Schluss will ich sagen: Die besten Gesetze gegen rorismus vor Grenzen natürlich nicht haltmacht; Terroris- die Verbreitung von Explosionsstoffen nützen allerdings mus ist nun leider einmal supranational aufgestellt. Des- nichts, wenn der größte Waffenbesitzer im Land, die Bun- halb müssen wir auf internationaler und europäischer deswehr, undichte Stellen hat. Ebene prüfen, ob die Instrumentarien, die uns zur Ver- fügung stehen, tatsächlich funktionieren. Wir haben vor (Beifall bei der LINKEN) Kurzem über Europol diskutiert; auch das ist eine wich- tige Institution. Wir sollten darüber nachdenken, inwie- Wenn beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr weit wir Europol noch stärken können; auch da ist noch mal eben 60 Kilogramm Sprengstoff verloren gehen Luft nach oben, auch was den vorliegenden Gesetzent- und dieser Sprengstoff später bei rechtsextremistischen wurf betrifft. Soldaten im Garten gefunden wird, dann ist das wirklich mehr als beunruhigend. Hier brauchen wir den politi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. schen Willen, endlich konsequent gegen solche Struktu- Konstantin Kuhle [FDP]) ren in der Bundeswehr und anderswo vorzugehen. Wir setzen mit dem Gesetz eine EU-Richtlinie um, mit der wir es den Behörden ermöglichen, bestimmte Chemi- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. kalien besser im Blick zu haben, die Ausgangsstoffe für (Beifall bei der LINKEN) Explosivstoffe sind; Kollege Lindh hat einige Beispiele genannt. Ich erinnere an Köln, wo beispielsweise jemand versucht hat, mit zwölf Fässern Wasserstoffperoxid eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: entsprechende Detonation auszulösen. Bei dem vorlie- Die Kollegin Dr. Irene Mihalic hat ihre Rede zu Proto- genden Gesetzentwurf geht es darum, im Hinblick auf koll gegeben.1) – Der nächste Redner ist der Kollege besagte Chemikalien Verdachtsfälle beim Verkauf oder Hans-Jürgen Irmer, CDU/CSU-Fraktion. auch deren Verlust melden zu können. Das halte ich auch für richtig. Die Länder müssen in unserer föderalen (Beifall bei der CDU/CSU) Republik diese Regelungen umsetzen, und sie bekommen von uns dafür die entsprechenden Instrumentarien an die 1) Anlage 3 Hand gegeben, was aus meiner Sicht natürlich richtig ist. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24297

Hans-Jürgen Irmer (A) Schließlich, meine Damen und Herren, ist es wichtig, relevantes Thema, und deshalb ist es von hoher prakti- (C) dass die zuständigen Stellen Meldewege nennen können, scher Bedeutung, wenn wir den Handelsverkehr mit sol- um Verdachtsfälle, Verstöße zu erfassen. Aber ich darf chen Stoffen beschränken und die Verbreitungswege auch darauf hinweisen, dass in der Vergangenheit mehr- nachvollziehbar machen. fach die Situation entstanden ist, dass verschiedene ein- zelne Institutionen Informationen bekommen haben, die- In dem neuen Regelwerk regeln wir Meldepflichten, se aber nicht entsprechend vernetzt worden sind. Und die Einrichtung nationaler Kontaktstellen zur Abgabe genau das ist jetzt vorgesehen, diese Informationen kön- von Verdachtsmeldungen, die Einrichtung von Inspek- nen vernetzt werden. Deshalb ist es richtig, dass unter tionsbehörden, Straf- und Bußgeldvorschriften und die Wahrung des Datenschutzes diese Möglichkeiten Mitwirkung des Zolls bei der Verhinderung des illegalen geschaffen werden. Aber ein Datenschutz, der zum Täter- Verbringens von Stoffen nach Deutschland. Im parlamen- schutz mutiert, ist, zumindest aus meiner Sicht, nicht tarischen Verfahren wurden gegenüber der EU-Aus- richtig. Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, dass wir gangsstoffverordnung weitere Anregungen des Bundes- eine solche Entscheidung mit der Möglichkeit der Ver- rates aufgegriffen und dabei insbesondere die Befugnisse netzung heute treffen. der Inspektionsbehörden erweitert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Lieber Konstantin Kuhle, weil du geradezu darum Letzter Satz, Herr Präsident. Wir sind in diesem Hause gebettelt hast: Wir erlauben es uns gelegentlich, wenn nicht immer einer Meinung. Ich freue mich sehr, dass wir es um Sicherheitsfragen geht, auch überobligationsmäßig bei diesem Gesetz einer Meinung sind. Daher haben wir, zu regeln, weil unser Anspruch in der Sicherheitspolitik glaube ich, gute Arbeit geleistet. auch ein überobligationsmäßiger ist. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Dieses Gesetz macht Deutschland sicherer und verbes- sert den Schutz der Bevölkerung vor Anschlägen mit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: selbstgebauten Sprengsätzen. Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Kuffer, CDU/CSU-Fraktion. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (B) neten der SPD – Konstantin Kuhle [FDP]: Du (D) Michael Kuffer (CDU/CSU): Fuchs!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel des Gesetzes mag sperrig sein; der Inhalt ist aber ein weiterer wichtiger Baustein in der Terrorismusbekämp- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fung. Denn wir wissen, dass sich aus bis dato zum Teil Vielen Dank, Michael Kuffer. – Ich schließe die Aus- frei erhältlichen Stoffen wie Wasserstoffperoxid, Aceton sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. und Säure relativ einfach beispielsweise das Sprengstoff- gemisch Triacetontriperoxid, kurz TATP, herstellen lässt. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Das Problem liegt darin, dass diese Stoffe einerseits legi- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Durch- time Verwendungszwecke zum Beispiel in der Industrie, führung der Verordnung (EU) 2019/1148 des Europä- aber zum Teil auch im Haushalt haben, anderseits jedoch ischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 auch Potenzial zur kriminellen und zur schadhaften Nut- über die Vermarktung und Verwendung von Ausgangs- zung, sprich: insbesondere zur Herstellung von Spreng- stoffen für Explosivstoffe, zur Änderung der Verordnung sätzen, bieten. (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013. Der Ausschuss für Inneres und Heimat Das genannte TATP ist von Terroristen in Sprengstoff- empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache westen bei den Anschlägen in Paris 2015 verwendet wor- 19/24122, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den. Es kam auch bei den späteren Anschlägen in Brüssel Drucksache 19/23565 in der Ausschussfassung anzuneh- zum Einsatz. Wasserstoffperoxid wiederum ist 2016 in men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der großer Menge bei Terrorverdächtigen gefunden worden, Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- die einen Anschlag auf den Frankfurter Flughafen plan- zeichen. – Das sind alle Fraktionen des Hauses. Gegen- ten. TATP ist 2019 bei einem in Berlin festgenommenen stimmen? – Keine. Enthaltungen? – Keine. Der Gesetz- Syrer gefunden worden, der Terroranschläge plante. entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig Schließlich kam ein 13-Jähriger in die Schlagzeilen, angenommen. weil er 300 Gramm Sprengstoff zusammengemischt hat- te, und zwar mit Zutaten aus der Apotheke nach einer Dritte Beratung Anleitung aus dem Internet. Ich will am Ende dieser Liste nur daran erinnern, dass es sich bei der verheerenden und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Explosion in Beirut in diesem Jahr ebenfalls um genau Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Es solche Stoffe gehandelt hat. Deshalb, liebe Kolleginnen erheben sich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses. und Kollegen, sind der Umgang, der Vertrieb und die Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Keine. Der Lagerung dieser Stoffe ein sicherheitspolitisch durchaus Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. 24298 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf: Überweisungsvorschlag: (C) Ausschuss für Inneres und Heimat (f) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Cornelia Möhring, Doris Achelwilm, Gökay Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten vor- Fraktion DIE LINKE gesehen. Femizide in Deutschland untersuchen, Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt die Kollegin benennen und verhindern Cornelia Möhring, Fraktion Die Linke. Drucksache 19/23999 (Beifall bei der LINKEN) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Inneres und Heimat Cornelia Möhring (DIE LINKE): Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kollegen! Meine Fraktion legt heute den Antrag „Femi- Nicole Höchst, Martin Reichardt, Mariana zide in Deutschland untersuchen, benennen und verhin- Iris Harder-Kühnel, weiterer Abgeordneter dern“ vor. Ein Femizid ist die Tötung einer Frau in einem und der Fraktion der AfD geschlechtsbezogenen Kontext. Das sind Tötungen, die in einem Zusammenhang mit der Abwertung und Unter- Umsetzung des Übereinkommens des drückung von Frauen stehen. Frauen, die selbstbestimmt Europarats zur Verhütung und Bekämp- über ihr Leben, ihren Körper, ihre Sexualität entscheiden fung von Gewalt gegen Frauen und häus- wollen, Frauen, die sich anders verhalten, als ihr Umfeld licher Gewalt bei Zwangsheiraten von und gesellschaftliche Rollenerwartungen es vielleicht als Frauen in der Bundesrepublik Deutsch- richtig ansehen, Frauen, die sich trennen oder getrennt land haben, weil sie ihr eigenes Leben führen wollen, werden Drucksache 19/24397 von denen, die dies nicht dulden, gewaltvoll bestraft.

Überweisungsvorschlag: Femizide kommen weltweit vor, auch hierzulande. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Doch während andere Regierungen zumindest versuchen, Ausschuss für Inneres und Heimat Femizide systematisch zu erfassen und eine Strategie zu Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz entwickeln, will sich die Bundesregierung nicht mal den c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Definitionen der WHO und der Vereinten Nationen Mariana Iris Harder-Kühnel, Martin anschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist (B) Reichardt, Johannes Huber, weiterer Abge- aber dringend notwendig, dies zu tun und darüber zu (D) ordneter und der Fraktion der AfD reden. Häusliche Gewalt – Hilfe auch in der (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Corona-Zeit gewährleisten Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Drucksache 19/24395 Im Jahr 2019 wurden 117 Frauen von ihren Partnern Überweisungsvorschlag: oder Ex-Partnern getötet; 191 entkamen dem Versuch. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Das ergibt alle 26 Stunden eine versuchte Tötung, jeden Ausschuss für Arbeit und Soziales dritten Tag eine vollendete. Weitere 150 Frauen wurden d) Beratung des Antrags der Abgeordneten außerhalb von Partnerschaften getötet. Das macht insge- Nicole Bauer, Katja Suding, Matthias samt 267 getötete Frauen im Jahr 2019 – mindestens. Ob Seestern-Pauly, weiterer Abgeordneter und ein Femizid vorliegt, wird nämlich nicht geprüft. Wie der Fraktion der FDP auch, solange es offiziell gar keine Femizide gibt? Infrastruktur für Betroffene häuslicher Femizide sind keine dramatischen Einzelfälle, keine Gewalt in Deutschland krisenfest aufstel- Beziehungsdramen oder Familientragödien. Femizide len geschehen, weil die Täter, geschützt durch ein gesell- schaftliches Verständnis, wie eine Frau zu sein und zu Drucksache 19/19726 handeln hat, entsprechend gewaltvoll reagieren. Das zeigt Überweisungsvorschlag: sich leider auch in der Rechtsprechung, in der Eifersucht Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und Verlustangst immer noch als strafmildernd angese- Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen hen werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, nie- mand tötet aus Liebe. Es geht um Macht, es geht um e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eigentumsansprüche, es geht um Unterordnung, es geht Dr. Irene Mihalic, Ulle Schauws, Renate um Kontrolle im Geschlechterverhältnis. Um das an die- Künast, weiterer Abgeordneter und der Frak- ser Stelle klarzustellen: Meine Fraktion will keinen neuen tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Straftatbestand Femizide einführen. Aber wir wollen, Hasskriminalität und andere Formen von dass das bestehende Recht die Geschlechterverhältnisse Gewalt gegen Frauen endlich erfassen und berücksichtigt. wirksam bekämpfen (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Drucksache 19/24382 Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24299

Cornelia Möhring (A) Es geht perspektivisch um eine Veränderung des Trotz der Aufgabenverteilung haben wir ein niedrig- (C) Bewusstseins. Wir müssen die patriarchale Kultur des schwelliges Unterstützungsangebot auf Bundesebene Zusammenlebens überwinden. geschaffen, eben weil wir uns unserer Verantwortung bewusst sind und die Opfer unterstützen und schützen (Beifall bei der LINKEN) wollen. Das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Solange Männer denken, über Frauen bestimmen und Frauen“, wo den Frauen Beratung und Ersthilfe in 18 sich über sie hinwegsetzen zu dürfen, so lange werden verschiedenen Sprachen angeboten werden, hat sich das Ministerium und das BKA jährlich über höhere Fall- bewährt. Oder der Runde Tisch „Gemeinsam gegen zahlen von Gewalt und Femiziden berichten. Gewalt an Frauen“. Das sind Beispiele unserer Zusatzan- Wenn Femizide nicht als solche benannt werden, ver- gebote. Wir unterstützen mit der Initiative „Stärker als schwindet die gesellschaftliche Dimension der Taten. Es Gewalt“ zum Beispiel die anonyme Spurensicherung in wird der Eindruck vermittelt, die Tat sei irrelevant für die Gewaltschutzambulanzen und -kliniken. Innerhalb einer Öffentlichkeit und reine Privatangelegenheit zwischen 72-Stunden-Frist können die Opfer alle Spuren sichern Täter und Opfer. Die richtige Einordnung der Gründe lassen, ohne sich in dieser Ausnahmesituation für oder und Motive, die Einsicht in die gesellschaftliche Dimen- gegen eine Anzeige entscheiden zu müssen. sion des Phänomens ist aber notwendig, um diese Gewalt Erst 2016 haben wir Verschärfungen des Sexualstraf- zu bekämpfen und um überhaupt vor so einer Gewalt gesetzes beschlossen. Auch damals hatten alle Fraktionen schützen zu können. gesagt: „Ja, wir unterstützen das“, und sie alle haben dann Wirklich verhindert werden können Femizide nur, mit uns die Gesetze verabschiedet. Die AfD beschäftigt wenn wir die dahinterliegenden Strukturen anerkennen sich in ihrem Antrag mit Zwangsehen. Ja, Zwangsehen und gezielt verändern. Genau deshalb, meine Damen gehören nicht zu unserer offenen Gesellschaft, und sie und Herren auf der Regierungsbank, fehlt mir jegliches sind ein großes Problem für die Betroffenen. Verständnis für Ihre Verweigerung, Femizide auch als (Stephan Brandner [AfD]: Aha!) solche anzuerkennen. Deshalb stehen sie seit 2011 unter Strafe. Es gibt ver- (Beifall bei der LINKEN) schiedene Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen, zum Bei- Das wäre nämlich ein außerordentlich wichtiger Schritt, spiel anonyme Zufluchtsstätten sowie Online- und Tele- der erst mal auch gar nichts kostet. fonberatung. Das Thema Ihres Antrags ist wichtig – das Was wir aber auch ganz dringend brauchen, ist die sehen wir auch –, aber in der Sache hilft uns Ihr Antrag Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle, die nicht weiter. (B) neben umfangreicher Datenerhebung auch zu Risikomo- Auch wurde in Coronazeiten auf einen erhöhten (D) menten forschen soll, damit endlich gezielt Maßnahmen Bedarf reagiert. Die FDP fordert in ihrem Antrag, zur Verhinderung dieser Morde an Frauen entwickelt Bund, Länder und Kommunen sollten alle Bemühungen werden können. unternehmen, um von häuslicher Gewalt betroffene Men- Vielen Dank. schen in Schutzeinrichtungen unterzubringen. Genau das tun wir bereits. Um das voranzubringen, wurde der Run- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- de Tisch gegen Gewalt mit den Ländern eingerichtet. Er neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stellt für Maßnahmen pro Jahr 30 Millionen Euro zur Verfügung. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Wir hatten bereits vor drei Jahren auch die Einrichtung Nächste Rednerin ist die Kollegin Sylvia Pantel, CDU/ eines Onlineregisters für Schutzeinrichtungen gefordert; CSU-Fraktion. derzeit wird auch daran gearbeitet. In NRW gibt es das (Beifall bei der CDU/CSU) bereits. Dort gibt es eine Onlinekarte mit allen Frauen- häusern und ihren Belegungssituationen. In Nordrhein- Westfalen haben wir auch in Coronazeiten noch freie Sylvia Pantel (CDU/CSU): Kapazitäten. Um das bundesweit zu realisieren, brauchen Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und wir aber die Unterstützung der Länder. Genau solche Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, Arbeitsfelder werden am Runden Tisch besprochen und die traurige Wahrheit ist: Gewalt in Partnerschaften ge- erarbeitet. hört für einige in Deutschland zu ihrem Alltag. Und ja, wir haben gemeinsam schon sehr viel dagegen unternom- Die Linksfraktion schreibt: „Frauen werden getötet,“ – men. Werte Kollegen der Opposition, trotz Ihrer Forde- das haben wir eben gehört – „weil sie Frauen sind.“ rungen nach mehr Beratung, mehr Geld und mehr Stellen Solche Vereinfachungen helfen den Opfern nicht. 71 Pro- lese ich viel Zustimmung für unsere Arbeit. Sie fordern in zent aller Opfer von versuchtem oder vollendetem Mord, Ihren Anträgen teilweise Dinge, die wir längst umgesetzt Totschlag und Tötung auf Verlangen waren 2019 männ- haben. Wir haben in den letzten Jahren viele Gesetze lich. Bei gefährlicher Körperverletzung in Partnerschaf- beschlossen, die die Täter härter bestrafen und die Opfer ten sind 30 Prozent der Opfer Männer. Wir folgern daraus unterstützen oder beschützen sollen. Das Hilfesystem aber nicht: „Männer werden getötet und geschlagen, weil wurde massiv erweitert, und die Länder haben mehr sie Männer sind“, zumal auch die Gewalt in Partner- Geld für ihre Aufgaben zur Verfügung gestellt bekom- schaftsbeziehungen bei Männern verstärkt wird. Für uns men. So können die Länder vor Ort ihrer Aufgabe besser steht jedes Opfer, das von Gewalt betroffen ist, im Mittel- gerecht werden, so wie es unser Föderalismus vorsieht. punkt und nicht das Geschlecht. 24300 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Sylvia Pantel (A) (Beifall bei der CDU/CSU) Herzlichen Dank. (C) Dass wir gegebenenfalls geschlechtsbezogene Maßnah- (Beifall bei der CDU/CSU) men ergreifen wie zum Beispiel bei häuslicher Gewalt oder einer drohenden Zwangsverheiratung, ist jedem klar. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Die Linken behaupten, Polizei und Justiz seien nicht Frau Kollegin, ein Mundschutz ist angebracht. – Sehr ausreichend in Bezug auf Gewalt an Frauen ausgebildet, schön. und es bestehe ein Bedarf an Fortbildung. Ist Ihnen ent- Die Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel hat das Wort gangen, dass das Thema „häusliche Gewalt“ seit 1990 für die AfD-Fraktion. fester Bestandteil der polizeilichen Ausbildung ist? Die Initiative ging damals von Nordrhein-Westfalen aus. Seit- (Beifall bei der AfD) dem haben alle Länder das Thema „häusliche Gewalt“ in ihre kriminalpolizeiliche Ausbildung übernommen. Die Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD): Sensibilität bei den Polizisten ist also da und hoch. Aus Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und der Praxis in Nordrhein-Westfalen weiß ich, dass die Herren! An jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Polizei nach einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt Frau ermordet, und zwar aus einem einzigen Grund: weil alle wichtigen Daten an die Frauenberatungsstellen sie eine Frau ist. Femizid nennt sich dieses Verbrechen, schickt. Da meldet sich dann die Frauenberatungsstelle und Deutschland ist einer der Brennpunkte dieser geziel- bei der jeweiligen Frau mit der Frage, ob sie Hilfe haben ten Frauentötungen geworden. Nun könnte man natürlich möchte. Eines ist auch klar: Mehr Frauen in der Polizei rätseln, was die Gründe für diese Frauenverachtung sind. haben auch zu mehr Sensibilität bei dem Thema „häus- Klar, es könnte, wie die Linke ständig und auch im vor- liche Gewalt“ geführt. Das Bundeskriminalamt hat uns liegen Antrag behauptet, an hierarchischen Geschlechts- die Zahlen vorgelegt. Sie von der Linken sagten: Wir verhältnissen liegen, an patriarchaler Dominanz. Diese hätten nichts Detailliertes. führe zur Unterdrückung von Frauen, nicht selten auch (Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Hier geht es um zu direkt angewandter Gewalt und manchmal zum Tod. Gewalt gegen Frauen! Und Frauen sind Men- Nun gibt es Gesellschaften, in denen Frauen geschätzt schen!) werden. Deutschland war einmal eine solche Gesell- – Richtig, Frauen sind Menschen und Männer auch. Des- schaft. halb unterscheiden wir nicht nach dem Geschlecht, (Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (Beifall bei der CDU/CSU) KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN) (B) sondern die Würde des Menschen ist unantastbar. (D) Und es gibt Gesellschaften, in denen Frauen wie Dreck (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- behandelt werden, wie verfügbare Sklavinnen, wie Men- NEN]: Entschuldigung, Frau Kollegin, das ist schen zweiter Klasse, die man im Kindesalter zwangsver- einfach undifferenziert!) heiraten kann, die man auch mal aus Gründen der Ehre – Nur nach dem Geschlecht zu urteilen, ist undifferen- ermorden darf. ziert. Ich habe gesagt: Wir müssen unterschiedliche Maß- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nahmen ergreifen, und das tun wir. Wir schauen auch Sie sollten die Kriminalitätsstatistik lesen, genau hin. bevor Sie hier reden!) Registriert wurden im Jahr 2019 in Partnerschaften Das sind Gesellschaften, die man in Nordafrika und im über 141 000 Opfer von Mord, Totschlag, Körperverlet- Nahen und Mittleren Osten antreffen kann. Deutschland zung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Bedrohung, ist auf dem besten Weg, zu einer solchen Gesellschaft zu Stalking und Freiheitsberaubung. Frauen sind mit 81 Pro- werden. Sie machen Berlin zu Bagdad. zent weiterhin die größte Opfergruppe. Deshalb haben wir spezielle Angebote dafür. Wir wissen auch, dass (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder 35 Prozent der Tatverdächtigen eine nichtdeutsche [SPD]: Wussten wir doch, dass es nur eine kur- Staatsangehörigkeit haben. Dafür haben wir auch geson- ze Zeitspanne dauert! – Steffi Lemke [BÜND- derte Angebote. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine reine Hetzrede!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das ist schlichtweg die Folge Ihrer Politik der unge- Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende, bitte. hemmten Migration. Sie beschweren sich zu Recht über patriarchale Dominanz, importieren aber zeitgleich mas- senhaft aggressive Machos aus den patriarchalsten Sylvia Pantel (CDU/CSU): Genau diese Angebote machen wir. Wir haben den Gesellschaften überhaupt. Wie bitte schön passt das genauen Blick dafür. Wir haben unsere Angebote, und zusammen? dafür danke ich dem Ministerium. Auch die Einrichtung (Beifall bei der AfD) des Runden Tisches gegen Gewalt an Frauen war die Viele der Migranten aus diesen Gesellschaften, die richtige Maßnahme. nach Deutschland hineingemerkelt worden sind, wollen (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich in unsere Gesellschaft überhaupt nicht integrieren, NEN]: Das ist zu wenig!) geschweige denn assimilieren. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24301

Mariana Iris Harder-Kühnel (A) (Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE] Untersuchen Sie die Umstände, die zu Femiziden füh- (C) meldet sich zu einer Zwischenfrage) ren! Aber dann machen Sie das bitte vollständig und vor allem ehrlich! Wer Frauen schützen will, der muss sich Warum? Weil sie es aufgrund Ihrer Politik gar nicht müs- auch ideologiefrei mit den Ursachen für die angestiegene sen. Weil sie uns aufgrund unserer mangelnden Identität – Gewalt gegenüber Frauen in Deutschland auseinander- setzen. Wer offenkundige Zusammenhänge nicht sehen Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: will, der macht sich mitschuldig, mitschuldig an unter- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? drückten Frauen, mitschuldig an verprügelten Frauen, mitschuldig an ermordeten Frauen, mitschuldig am Femi- Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD): zid. – nein –, mangelnden Selbstachtung und mangelnden Vielen Dank. Stärke nicht respektieren oder als erstrebenswertes Vor- (Beifall bei der AfD – Steffi Lemke [BÜND- bild sehen. Und so halten diese Machos an ihrem hergeb- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schreiben Sie sich rachten Frauenbild fest und behandeln Frauen weiter wie mal an den Spiegel!) Menschen zweiter Klasse, Menschen, die nach Belieben begrabscht, geschlagen und ermordet werden können. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Schauen Sie sich einfach mal die Zahlen an. Die Opfer- Ich erteile das Wort zu einer Kurzintervention der Kol- zahlen partnerschaftlicher Gewaltverbrechen steigen seit legin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. 2015 stetig. Mittlerweile sind jährlich über 140 000 Men- schen Opfer partnerschaftlicher Gewalt, 80 Prozent davon Frauen. Was auffällt: Bei einem Ausländeranteil Anke Domscheit-Berg (DIE LINKE): an der Gesamtbevölkerung von 12 Prozent sind 33 Pro- Vielen Dank, Herr Präsident. – Wie immer schafft es zent der Täter häuslicher Gewalt Migranten. Deutsche die AfD, faktenfrei zu argumentieren und dabei maximal Staatsangehörige mit Migrationshintergrund sind da rassistisch zu sein. noch nicht einmal erfasst. (Zuruf von der AfD: Konkrete Zahlen!) Die Frauenhäuser platzen weiter aus allen Nähten. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Thema Übrigens haben fast 70 Prozent der Bewohnerinnen von Geschlechtergerechtigkeit und habe schon vor Jahren, Frauenhäusern einen Migrationshintergrund. Vor sieben bevor eine gewisse Anzahl Flüchtlinge nach Deutschland Jahren war es nicht einmal die Hälfte. kam, das Buch „Ein bisschen gleich ist nicht genug!“ Wer aus Gründen devoter Kultursensibilität, politi- geschrieben, das ein Kapitel über das Thema „Gewalt (B) scher Korrektheit oder schlicht ideologischer Feigheit gegen Frauen“ enthält. Darin sind auch Statistiken ent- (D) absichtlich ganze Tätergruppen und deren kulturelle halten. Ich kann Ihnen gerne eine Kopie zukommen las- und religiöse Hintergründe ausblendet, der befördert sen. eine Kultur der Gewalt gegen Frauen. Ich lese Ihnen mal ein paar Zahlen vor: 2014 waren es (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 160 Femizide pro Jahr. 2015 waren es 136, also weniger Sie befördern Rassismus! Puren Rassismus als 160. Seitdem verzeichnen wir fast jedes Jahr eine befördern Sie!) absinkende Zahl. Ich will damit nicht sagen, dass das Problem klein geworden ist; es ist immer noch skandalös Also hören Sie endlich auf mit Ihrer verlogenen Multi- groß. Aber 2019 waren es 117 Femizide, im Vergleich zu kultiromantik! 160 im Jahre 2014 offensichtlich ein Rückgang. Das (Beifall bei der AfD) zeigt, dass Ihre rassistische Argumentation nicht Fakten standhält Gerade diejenigen auf der linken Seite des Hauses, die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sich so gerne als Frauenrechtlerinnen bezeichnen, betrei- ben eine Politik, die archaische Vorstellungen und die und Sie blind dafür sind, dass es dieses Phänomen bei uns Unterdrückung der Frau millionenfach nach Deutschland in Deutschland gibt und schon immer gab und dass das holt. Aber davon ist in dem Antrag keine Rede, kein Wort nichts mit dem von Ihnen beschriebenen Zusammenhang zu Multikulti, null. zu tun hat. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Weil jede Frau ein Recht auf Gewalt- schutz hat, ungeachtet der Herkunft!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Ja, meine Damen und Herren, davor verschließen Sie die Frau Harder-Kühnel, wollen Sie antworten? – Bitte Augen. Sie wollen ja schließlich kultursensibel genug schön. sein, bloß nicht anecken. Aber wer hier Ross und Reiter nicht benennt, der führt letztlich eine Phantomdebatte, Mariana Iris Harder-Kühnel (AfD): der meint es nicht ernst, der will Frauen nicht wirklich Es ist wunderbar, dass Sie jetzt Werbung für Ihr Buch helfen. Es ist Ihre utopiebesoffene Multikultipolitik, gemacht haben; aber ich orientiere mich dann doch lieber deren Folgen für viele Frauen zum realen Albtraum wer- an den Fakten statt an den von Ihnen zusammengeklaub- den. ten Zahlen. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. 24302 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Mariana Iris Harder-Kühnel (A) (Beifall bei der AfD – Lachen bei der SPD, der und Fachverbände endlich zusammensitzen, um über (C) LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Problemlagen und Verbesserungen zu beraten. Für das NEN – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE kommende Jahr sind konkrete Ergebnisse angekündigt, GRÜNEN]: Schwacher Auftritt nach so einer an denen wir uns alle orientieren wollen. Und seit Anfang Hetzrede! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE des Jahres finanzieren wir mit insgesamt 120 Millionen GRÜNEN]: Das war ja ein ganz schwacher Euro zusätzlich den Bau und die Sanierung von Frauen- Auftritt, ganz schwach! Aber faktenfrei ist ja häusern in Deutschland. Damit unterstützen wir die Län- bei denen Programm!) der und Kommunen, die für die Frauenhausfinanzierung zuständig sind. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gülistan Yüksel, und Herren, kein Mensch in unserem Land darf Opfer SPD-Fraktion. von Gewalt oder Hass werden, in welcher Form auch (Beifall bei der SPD) immer. Wir können nur gemeinsam als Gesellschaft dage- gen kämpfen. Deswegen müssen wir alle hinschauen, handeln und Gewalt anzeigen. Gülistan Yüksel (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herzlichen Dank. Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In sechs Tagen, am 25. November, ist der Internationale (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Tag gegen Gewalt an Frauen. Er ist ein Aufruf an uns alle, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen den Kampf GRÜNEN) anzusagen und dabei nicht wie hier auf der rechten Seite Unterschiede nach Herkunft, Nationalität oder derglei- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: chen zu machen. Für die Fraktion der FDP hat das Wort die Abgeordnete (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nicole Bauer. der LINKEN) (Beifall bei der FDP) Die vorliegenden Anträge zeigen uns eindrücklich, dass diese sich analog, digital, physisch und psychisch äußert. Gewalt in welcher Form auch immer ist inakzeptabel und Nicole Bauer (FDP): darf niemals geduldet werden, liebe Kolleginnen und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (B) Kollegen. Lassen Sie uns parteiübergreifend dafür strei- Kollegen! „Dieses Jahr hinterlässt Spuren. Bei manchen (D) ten, wie wir Gewalt und Kriminalität gegen Frauen ver- am ganzen Körper.“ Diese Botschaft lesen wir auf den hindern können, wie wir Femizide konsequent und ange- Plakaten der Kampagne „#sicherheim“ gegen häusliche messen bestrafen und nicht länger bagatellisieren. Gewalt. Die Coronakrise verschärft, was wir zuvor schon Geschlechtsspezifische Morde müssen als solche erkannt wussten, das besorgniserregende Problem, welches wir und verurteilt werden; denn jede Gewalttat ist eine zu wahrnehmen, der häuslichen Gewalt und der Gewalt viel. gegenüber Frauen. Das zeigt auch der enorme Anstieg (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem der Zahl der Anrufe beim „Hilfetelefon“ in den letzten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Monaten. Deshalb haben wir gehandelt. Mit der bundesweiten Ini- Auch unabhängig von Corona bewegen sich die Zah- tiative „Stärker als Gewalt“ wollen wir Betroffene, Ange- len zur Partnerschaftsgewalt in Deutschland auf hohem hörige und Dritte sensibilisieren, Gewalt frühzeitig zu Niveau, Tendenz steigend. Sie haben es versäumt, hier erkennen und auch zu handeln. Ich freue mich sehr, tätig zu werden und die Istanbul-Konvention rasch umzu- dass auch das größte Einkaufszentrum meines Wahlkrei- setzen, liebe Bundesregierung. Das fällt uns nun auf die ses unsere Initiative mit einem eigens produzierten Füße. Wir Freie Demokraten wollen früher ansetzen, frü- Videospot und gut sichtbaren Plakaten unterstützt. her eingreifen, um Schlimmeres, ja um Schlimmstes, wie die Kollegin der Linken es gesagt hat, zu verhindern. Wir wissen: Die Coronapandemie lässt die Fallzahlen Deshalb haben wir einen umfassenden Antrag vorgelegt. häuslicher und sexueller Gewalt in Deutschland leider Drei wesentliche Forderungen daraus: weiter ansteigen. Fehlender Kontakt zu Kolleginnen und Freundinnen, Zukunftsängste, das Leben auf engem Erstens wollen wir eine vertrauliche, schriftliche Rou- Raum und finanzielle Sorgen erhöhen die Gewaltbereit- tineabfrage zur häuslichen Gewalt bei einem Frauenarzt- schaft deutlich. Deshalb informiert die Aktion „Zuhause besuch. Für viele Betroffene ist die Hemmschwelle groß, nicht sicher?“, die von Verbänden und von Deutschlands sich zu öffnen und Hilfe zu suchen, gerade in Zeiten, wo großen Einzelhandelsketten unterstützt wird, zusätzlich wir Kontaktbeschränkungen haben. Frauenärztinnen und mit Plakaten, Aufklebern und Hinweisen auf dem Kas- -ärzte genießen aber ein hohes Vertrauen. Sie können eine senbeleg über das Hilfsangebot. Auch mit dem „Hilfe- Schlüsselrolle zur frühen Erkennung und zur Versorgung telefon“, das rund um die Uhr erreichbar ist, bieten wir von gewaltbetroffenen Frauen übernehmen. Binden wir kostenlos, anonym und in 17 Sprachen Unterstützung an. sie also in unser aktives Hilfesystem ein, liebe Kollegin- Darüber hinaus sind wir beim Thema Frauenhäuser tätig. nen und Kollegen! Wir haben den Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ eingesetzt, an dem Bund, Länder, Kommunen (Beifall bei der FDP) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24303

Nicole Bauer (A) Zweitens fordern wir als FDP neben dem „Hilfetele- Euro. Ob von der Ministerin zum Rechtsanspruch für (C) fon“ eine bessere Onlineberatung, beispielsweise in Form Frauen, wie angekündigt, bald etwas kommt – da bin einer getarnten App, um Unterstützung und Beratung zu ich gespannt. erhalten, Missbrauch zu melden und zu dokumentieren, ganz diskret, ohne die Aufmerksamkeit des Täters auf Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zahl in der dies- sich zu ziehen, verlässlich, kostenlos, rund um die Uhr, jährigen Polizeilichen Kriminalstatistik ist alarmierend in verschiedenen Sprachen erhältlich. Erweitern wir also hoch. Wir können nicht hinnehmen, dass das weiterhin an dieser Stelle unser bestehendes Hilfesystem, und nut- so bleibt, einfach ohne Folgen. Vor allem Tötungen von zen wir vor allem die Chancen der Digitalisierung! Frauen durch Partner oder Expartner bleiben auf einem stabil hohen Niveau. Wir begrüßen darum den Antrag der Drittens sind wir ganz klar für ein bundesweit einheitli- Linken und die Forderungen des Deutschen Juristinnen- ches Onlineregister für Plätze in Frauenhäusern und bundes zur Partnerschaftsgewalt. Schutzeinrichtungen. Spätestens durch Corona kennen wir doch alle das Register DIVI für Intensivbetten. Glei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ches ist auch hier möglich, aber dazu braucht es ausrei- und bei der LINKEN) chend Schutzplätze und vor allem eine gesicherte und bundesweit einheitliche Finanzierung. In unserem Antrag fordere ich mit meiner Kollegin Dr. Irene Mihalic, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik (Beifall bei der FDP) spezifiziert und die sogenannte Partnerschaftsgewalt Nur so können wir tatsächlich gewährleisten, dass Betrof- genau erfasst wird. So können bessere Präventionsstrate- fene Schutz finden und unkompliziert und schnell unter- gien entwickelt und Gewalt gegen Frauen und Tötungen gebracht werden. Also auch an dieser Stelle: Lassen Sie wirksamer bekämpft werden. uns das Hilfesystem verbessern! Bekannt ist, dass rechtsextreme Täter neben ihrer ras- (Beifall bei der FDP) sistischen und antisemitischen Motivation sehr häufig zutiefst frauenfeindlich sind. Eine Auseinandersetzung Um das noch einmal konkret zu sagen: Der Bund trägt mit dem rechten Frauenhass blieb bisher aber aus. Ich eine Verantwortung, spätestens seit der Istanbul-Konven- sage Ihnen: Das ist eine sehr unterschätzte Gefahr für tion. Mir nützt es nichts, wenn die Verantwortung ständig Frauen. auf die Länder oder auf die Kommunen geschoben wird. Strategie, Koordinierung, Monitoring – hier tut der Bund (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einfach zu wenig. Wir bewegen uns in einem Schnecken- und bei der LINKEN) tempo voran. Also: Wir haben jetzt noch ein Jahr bis zum (B) Ende der Legislatur. Bitte, liebe Bundesregierung, zün- Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere im (D) den Sie Ihren Turbo und gehen Sie voran! Internet und in den sozialen Netzwerken schlägt Frauen und Mädchen eine Welle von Gewalt und Hass entgegen. Vielen Dank. Täter diskreditieren und verdrängen diese aus den sozia- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas len Netzwerken. Wenn wir uns mit diesem wachsenden Lutze [DIE LINKE]) Phänomen von Frauenhass nicht differenzierter auseinan- dersetzen, können wir es nicht bekämpfen. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Kollegin Ulle Schauws hat das Wort für Bünd- sowie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE nis 90/Die Grünen. LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern wir Grüne – da schaue ich auf die Kolle- gin Renate Künast noch einmal extra –, dass frauenfeind- Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): liche Motive endlich im Rahmen von politisch motivier- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ter Kriminalität, sogenannter Hasskriminalität, erfasst Kollegen! Unsere Gesellschaft – genauer gesagt: die pat- werden. riarchale Struktur, die unsere Gesellschaft nach wie vor dominiert – bringt Gewalt gegen Frauen hervor. Was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bisher gegen Gewalt an Frauen unternommen wurde, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) reicht nicht aus. Dabei ist offensichtlich, was zu tun ist. Bei den regionalen Staatsanwaltschaften sollen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einsatz gegen Hasskriminalität durch Sonderdezernate Jede Frau, unabhängig von Herkunft, Wohnort, ihrem verbessert und Beauftragte auf Landesebene dazu einge- sozialen Status oder Aufenthaltstitel, braucht Zugang zu setzt werden. Gemeinsam mit unseren grünen Justizsena- Hilfe und Schutz, wenn sie von Gewalt betroffen ist. Das torinnen und -ministerinnen wollen wir eine Bund-Län- verlangt die Istanbul-Konvention, der wir uns verpflich- der-Arbeitsgruppe dazu einrichten. tet haben. Wir Grünen haben darum vor einem Jahr einen Wir können und müssen beim Gewaltschutz für Frauen konkreten Vorschlag für die dauerhafte finanzielle Ver- mehr tun. Handeln wir! besserung der Frauenhäuser unter Bundesbeteiligung mit einem Rechtsanspruch für Frauen eingebracht – bisher (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als einzige Fraktion. Im Haushalt gehen wir jetzt den und bei der LINKEN sowie der Abg. Heike nächsten Schritt und unterlegen dies mit 300 Millionen Baehrens [SPD]) 24304 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Hasskriminalität ist bereits heute die „sexuelle Orientie- (C) Die nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/ rung und/oder sexuelle Identität“. Die „sexuelle Identi- CSU die Kollegin Nina Warken. tät“ betrifft auch und gerade das Geschlecht. (Beifall bei der CDU/CSU) Sehr geehrte Damen und Herren, in dieser Form wer- den Straftaten gegen Frauen bereits statistisch im Rah- men des kriminalpolizeilichen Meldedienstes erfasst. Nina Warken (CDU/CSU): Diese Straftaten stehen in einem Kausalzusammenhang Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- mit der Identität „Frau“, sind also ganz klar frauenfeind- gen! Was sich in Deutschland vielerorts hinter verschlos- lich. Es gibt also bereits eine spezifische Abbildungs- senen Türen abspielt, findet sich häufig in den Lokal- und möglichkeit von Straftaten, welche aus frauenfeindlichen Boulevardzeitungen unter folgenden Überschriften: Motiven begangen werden. Wir halten eine Doppelerfas- „Mann bringt Ex-Freundin um“ oder „Ehemann sperrt sung an dieser Stelle für nicht zielführend. Für alle, die Frau drei Monate in den Keller“. Erst heute haben wir darüber ehrlich berichten und aufklären wollen und nicht wieder Ähnliches lesen können. Kurzfristig gibt es dann nur an einer reißerischen Überschrift interessiert sind, einen öffentlichen Aufschrei. Dabei sind Frauen jeden gibt es, denke ich, genügend Statistiken. Tag Opfer von Hass und Demütigungen; es kriegt nur kaum jemand mit. Das ist traurige Realität. Die Corona- Sie fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen, Anstren- pandemie hat dieses Problem sicher nicht besser gungen zur Aufklärung und Ahndung frauenfeindlich gemacht; im Gegenteil. motivierter Straftaten im Internet und in sozialen Netz- werken. Das ist richtig und wichtig; das sehen wir auch Wir alle sind uns einig, dass solchen Straftaten mit so. Tatsächlich wurden aber gerade die Aufklärungs- und allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnet werden Verfolgungsmöglichkeiten für Hasskriminalität, egal muss. Aber auch wenn alle diese Fälle schlimm sind, gilt gegen wen sie sich richtet, bereits verstärkt. Im Oktober es zunächst, zu schauen, wie diese Straftaten einzuordnen 2019 wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen sind; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Rechtsextremismus und Hasskriminalität, gerade auch im Sie bringen in Ihrem Antrag – mit diesem möchte ich Internet, beschlossen. Ein entsprechendes Gesetz haben mich hier gerne befassen – diese Fälle mit Hasskrimina- wir auf den Weg gebracht. Darin werden zum Beispiel die lität in Verbindung. Da bedarf es meines Erachtens einer Anbieter großer Netzwerke verpflichtet, strafbare Inhalte Klarstellung. zu melden. Dafür wird beim Bundeskriminalamt eine Hasskriminalität umfasst politisch oder weltanschau- neue Zentralstelle eingerichtet. Um Tatverdächtige iden- lich motivierte Straftaten, bei denen das Opfer aufgrund tifizieren und Beweise sichern zu können, werden klare Rechtsgrundlagen zur Auskunftserteilung von Anbietern (B) seiner tatsächlichen oder unterstellten Zugehörigkeit zu (D) einer dem Täter verhassten sozialen Gruppe ausgewählt gegenüber Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehör- wird. Dem Täter geht es also nicht um das Opfer als den geschaffen. Hetze, Drohungen und Beleidigungen im solches, sondern er möchte mit der Tat eine Wirkung in Netz werden wegen der besonders hohen Reichweite här- der Gesellschaft erzielen. Um solche politisch motivier- ter und besser verfolgt. ten Taten handelt es sich aber nicht, wenn Frauen durch Nun kommen wir zu dem Punkt, liebe Kolleginnen und ihre Partner häusliche Gewalt erfahren oder Mädchen auf Kollegen, den ich für den entscheidendsten halte bei der Facebook beleidigende Nachrichten bekommen. Doch Bekämpfung von Kriminalität gegenüber Frauen: die natürlich müssen auch diese Straftaten in den Statistiken Prävention. Denn mit einer Diskussion um die Benen- hinreichend abgebildet werden; das ist zutreffend. nung einzelner Kategorien im Bereich der deutschen Kri- Sie bemängeln in Ihrem Antrag, dass es im Hinblick minalstatistik ist keiner Frau geholfen, die sich im stillen auf Gewaltstraftaten keine Opferstatistiken in Deutsch- Kämmerlein vor ihrem Peiniger fürchtet. Bereits jetzt gilt land gebe. Gewaltstraftaten gegen Frauen werden aber der Kriminalität gegen Frauen und insbesondere auch in bereits seit Jahren statistisch über das Geschlecht des der Familie unser besonderes Augenmerk. Beispielswei- Opfers erfasst. Die kriminalstatistischen Auswertungen se hat das Bundesfamilienministerium zur Umsetzung der Partnerschaftsgewalt bilden in Deutschland seit der Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention das 2011 die Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung im Hinblick Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung für auf die Beziehungsart sowie auch in Bezug auf den räum- von Gewalt betroffene Frauen und Kinder aufgelegt; mei- lich-sozialen Kontext in der Polizeilichen Kriminalstatis- ne Kollegin Sylvia Pantel hat dazu ausführlich vorgetra- tik ab. Welche weiteren Erkenntnisse, liebe Kolleginnen gen. und Kollegen, Sie sich darüber hinaus von der Aufnahme Sehr geehrte Damen und Herren, wenn wir den betrof- des jeweiligen Tatwerkzeugs in die Statistik erwarten, fenen Frauen helfen wollen, müssen wir schauen, welche wie im Antrag gefordert, ergibt sich zumindest aus dem Maßnahmen wirklich weiterhelfen. Wir müssen in die- Antrag selbst nicht. sem Haus außerdem bei unseren Regelungskompetenzen bleiben, auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen; In Ihrem Antrag fordern Sie ferner, den kriminalpoli- denn die von Ihnen angesprochenen Punkte und geforder- zeilichen Meldedienst in Fällen politisch motivierter Kri- ten Maßnahmen betreffen zu großen Teilen die Zustän- minalität zu erweitern und das Kriterium „Frauenhass“ digkeiten der Länder. bei der Zuordnung von Straftaten zum Bereich Hasskri- minalität zu ergänzen. Hier gibt es aber, liebe Kollegin- nen und Kollegen, keine Lücke. Eine der Kategorien des Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Bundeskriminalamts zur statistischen Erfassung von Frau Kollegin, kommen Sie zum Ende. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24305

(A) Nina Warken (CDU/CSU): Frauen. Frauen in der Prostitution haben eine zwölfmal (C) Ich komme zum Ende. – Der Antrag der Grünen, liebe höhere Wahrscheinlichkeit, ermordet zu werden, als jeder Kolleginnen und Kollegen, enthält zwar gute Ansätze, andere Mensch. aber in der vorgelegten Form ist er abzulehnen. Im April wurde die 19-jährige Andrea lebend mit einer Herzlichen Dank. umgebundenen Betonplatte in der Weser versenkt; Mittä- (Beifall bei der CDU/CSU) ter vermutlich der Zuhälter. Vor sieben Wochen wurde die Leiche von Leyhan gefunden; der Mörder wahrscheinlich ihr letzter Freier. Auf der Suche nach Spuren fand die Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Polizei auf seinem Dachboden eine weitere Frauenleiche. Die Kollegin Leni Breymaier ist die letzte Rednerin zu Auch ihnen sind wir es schuldig, nicht nachzulassen und diesem Tagesordnungspunkt. – Frau Kollegin, Sie haben mehr gegen Femizide zu unternehmen. das Wort. Ich freue mich auf die Beratungen der Anträge im Aus- (Beifall bei der SPD) schuss und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Leni Breymaier (SPD): DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein Eifersuchtsdrama, es ist Mord. Es ist keine Familientra- gödie, es ist Mord. Es ist kein Beziehungsdrama, es ist Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Mord. Es ist kein Ehrenmord, es ist Mord. Weltweit sind Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aus- es täglich 137 tote Frauen – 3 tote Frauen in der halben sprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Stunde, in der wir hier über das Thema debattieren. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Niemand ist für eine Frau so gefährlich wie der eigene den Drucksachen 19/23999, 19/24397, 19/24395, Partner. Femizide sind Tötungsverbrechen an Frauen 19/19726 und 19/24382 an die in der Tagesordnung auf- alleine wegen ihres Geschlechts. In Deutschland sind geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Trennungstötungen ein Standardfall. Die ersten drei Überweisungsvorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann Monate nach der Trennung sind die gefährlichsten. Der verfahren wir wie vorgeschlagen. Deutsche Juristinnenbund sagt: Weder die Justiz noch das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: gesellschaftliche Umfeld dürfen Femizide mit Nachsicht, Verständnis oder Strafmilderung begegnen. – Das ist eine – Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Seite: Sensibilität für das Thema. Die andere Seite ist: desregierung eingebrachten Entwurfs eines (B) Auch höhere Bestrafung macht die Opfer nicht mehr Gesetzes zur Errichtung des Sonderver- (D) lebendig; im besten Fall wirkt sie abschreckend. mögens „Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Doch wie kann man die Frauen schützen? Bei 30 Pro- Grundschulalter“ (Ganztagsfinanzie- zent der Femizide sind Täter bereits durch häufige rungsgesetz – GaFG) Gewalt aufgefallen und waren aktenkundig. Sogenannte Fallkonferenzen können helfen, solche Auffälligkeiten Drucksachen 19/17294, 19/18735, besser zu erkennen. Häusliche Gewalt betrifft nicht nur 19/19066 Nr. 3 eine bestimmte Kultur oder einen bestimmten Personen- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- kreis; sie ist überall vorhanden. Gewalt gegen Frauen ist schusses für Familie, Senioren, Frauen und unabhängig vom sozialen Status, vom Geld oder von der Jugend (13. Ausschuss) Bildung. Frau Harder-Kühnel, Machos gibt es nicht nur bei Menschen mit Migrationshintergrund, Machos gibt es Drucksache 19/24478 überall. Es wäre mir echt neu, dass die Männer hier im – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Haus alle Feministen sind, insbesondere auf der rechten schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Seite. Drucksache 19/24479 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten LINKEN) beschlossen. Viele Einzelmaßnahmen, die die Frauenministerin Ich eröffne die Aussprache, und es beginnt für die angestoßen hat, hat meine Kollegin Gülistan Yüksel auf- SPD-Fraktion die Kollegin Marja-Liisa Völlers. gezählt. Hier dürfen wir auch nicht nachlassen; denn (Beifall bei der SPD) solange die Zahlen sind, wie sie sind, können wir nicht aufhören, an dem Thema weiterzuarbeiten. Marja-Liisa Völlers (SPD): Ich will zum Schluss aber noch auf einen weiteren Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Aspekt der Morde wegen Frauenhass eingehen: Morde Kollegen! Liebe Ministerinnen Karliczek und Giffey! an Frauen in der Prostitution. Seit 2002 sind in Deutsch- Corona kam, und auf einmal mussten im Frühjahr unsere land 102 dieser Frauen ermordet worden. Die Mörder Schulen und Kitas schließen. Für die Kinder und Jugend- waren in aller Regel ihre Freier oder Zuhälter – Männer, lichen bedeutete das nicht nur, dass sie ihre Freundinnen die glauben, mit Geld kann man alles kaufen, den Körper, und Freunde nicht mehr sehen konnten, sondern für viele die Seele, die Würde und schließlich noch das Leben der eben auch, dass sie keinen Ort zum Lernen mehr hatten. 24306 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Marja-Liisa Völlers (A) Wie groß das Ausmaß des Schadens ist, zeigen jetzt gemacht haben, und Schüler, die sich für Musikinstru- (C) erste wissenschaftliche Studien. Bildungsforscher der mente begeisterten, die sie vorher noch nie gesehen Universität Oxford haben die Auswirkung der Schul- haben. schließung auf Grundschulkinder in den Niederlanden Guter Ganztag schafft Chancen. Er bewirkt ganz viel – untersucht. Das Ergebnis bestätigt leider, was viele von im Bildungsbereich, aber eben auch in den Familien. Wir uns schon befürchtet hatten: Der durchschnittliche Lern- sorgen damit auch für eine bessere Vereinbarkeit von verlust entspricht etwa einem Fünftel des Schuljahres und Familie und Beruf. Wir stärken Frauen, die sonst oftmals damit exakt dem Zeitraum der Schulschließung selbst. – zurückstecken müssen, und wir stärken die Wirtschaft, Und noch schlimmer: Die Bildungslücke klafft weiter indem mehr Fachkräfte zur Verfügung stehen. auseinander. Für Kinder, deren Eltern keine Hochschul- ausbildung haben, war der Verlust an Wissen um bis zu (Beifall bei der SPD) 55 Prozent höher. Bildungschancen, Familien, Gleichstellung, Wirt- Das hat natürlich nichts mit dem mangelnden Engage- schaft – vier Bereiche, von denen jeder einzelne es wert ment der Eltern zu tun. Das so deutlich zu sagen, ist mir ist, dass wir für den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreu- an dieser Stelle ganz wichtig. Fast alle Eltern wollen das ung im Grundschulalter kämpfen. Gehen wir diesen Weg Beste für ihre Kinder. Aber nicht alle können es geben; gemeinsam. denn sie haben nicht alle die notwendigen Mittel, zum Beispiel das nötige Kleingeld, um Nachhilfe zu bezahlen. Herzlichen Dank. Es ist deshalb unsere Aufgabe als Politik, ein gutes (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Marcus Angebot zu ermöglichen. Corona zeigt uns in aller Deut- Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]) lichkeit, wie wichtig es ist, dass Kinder eine gute Lern- umgebung haben. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der SPD) Als Nächstes hat das Wort der Abgeordnete Martin Reichardt, AfD-Fraktion. Diese können wir mit guter Ganztagsbetreuung weiter verbessern. Deshalb sage ich auch ganz klar: Wir brau- (Beifall bei der AfD) chen den Rechtsanspruch als ein Angebot. (Beifall bei der SPD) Martin Reichardt (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Es ist gut, dass wir heute mit dem Ganztagsfinanzie- Herren! Zunächst möchte ich die Gelegenheit ergreifen, (B) rungsgesetz einen ersten Schritt auf dem Weg dahin ge- mich bei den Zehntausenden Eltern zu bedanken, die (D) meinsam gehen. gestern in Berlin, aber auch in ganz Deutschland gegen alle Hetze ein wichtiges Zeichen für die Freiheit, für die Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz Demokratie und damit für die Zukunft unserer Kinder in stehen die Mittel für den Ausbau der Ganztagsbetreuung Deutschland gesetzt haben. im Grundschulalter ab sofort bereit. 2 Milliarden Euro hatten wir als SPD mit der Union im Koalitionsvertrag (Beifall bei der AfD – Zuruf von der CDU/ vereinbart. Bis zu 1,5 Milliarden Euro packt der Bund CSU: Thema verfehlt! – Steffi Lemke [BÜND- jetzt bis Ende 2021 obendrauf, um diesem so wichtigen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind in der fal- Vorhaben einen zusätzlichen Schub zu geben. schen Debatte!) (Beifall bei der SPD) Wir, die AfD, fordern als einzige Partei die Wahlfrei- heit der Eltern zwischen staatlicher Betreuung und Doch damit das gelingt, müssen wir alle gemeinsam an Betreuung zu Hause. Der vorliegende Entwurf unterstützt einem Strang ziehen. Da spreche ich jetzt ganz besonders leider wieder nur die staatliche Betreuung. die Kolleginnen und Kollegen aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg an. Es ist das einzige Bun- Familienpolitik in Deutschland orientiert sich leider desland, das gerade den Abschluss der Bund-Länder-Ver- schon lange nicht mehr an den Bedürfnissen von Eltern einbarung für die Bonusmittel aufhält. Ist den Kollegen und Kindern. Sie ist Tummelplatz für Quotenfrauen dort eigentlich bewusst, was sie da tun? Sie blockieren geworden, die ideologische Projekte vorantreiben und gerade den Ausbau der Ganztagsbetreuung in ganz ideologisch schief argumentieren. Deutschland, und das in einer Situation, in der wir an allen Ecken und Enden sehen, wie wichtig genau diese (Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Unerträg- Ganztagsbetreuung ist. lich!) So wird auch in diesem Gesetzentwurf die Ganztagsbe- (Beifall bei der SPD – Martin Gerster [SPD]: treuung wieder einseitig als Beitrag zur Gleichberechti- Wer regiert denn da?) gung gepriesen. Das ist ein Problem; denn viele Eltern Sehr geehrte Damen und Herren, wir dürfen diese arbeiten im Prekärlohn. Sie sind gezwungen, beide Voll- Chance nicht vertun. Als Lehrerin, die viele Jahre an zeit zu arbeiten. Dieser Zwang wird dann als Gleichbe- einer Ganztagsschule tätig war, weiß ich sehr gut, was rechtigung verkauft. Dies kümmert aber unsere Ministe- Kinder erreichen können, wenn sie eine gute Ganztags- rin nicht; auch die Unmöglichkeit der Umsetzung der betreuung erfahren. Ich hatte Schülerinnen, die innerhalb Maßnahmen aufgrund Hunderttausender fehlender Erzie- von einem Schuljahr einen wahnsinnigen Sprung her interessiert nicht. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24307

Martin Reichardt (A) Die Prioritäten im Ministerium zeigt die Homepage: Gerade in Zeiten der Krise bedarf es einer integren (C) „Frauen in Führungspositionen – Eine verbindliche Quo- Ministerin, die als Vorbild für die Menschen und beson- te wirkt“, „Das Coronavirus und die Gleichstellung der ders für die Kinder im Lande unangreifbar ist. Sie, Frau Geschlechter“, außerdem „Rechte von Homo-, Bi-, Giffey, sind dazu erkennbarerweise nicht geeignet. Sie Trans- und Intersexuellen stärken“ – hier liegen die Prio- beschädigen Ihr Amt, Sie beschädigen die Demokratie ritäten. Unterdessen ist dann aber auch die ohnehin mick- in Deutschland. rige Fachkräfteoffensive zur Gewinnung der nicht vor- Zu Ihrer hoffentlich letzten Gesetzesinitiative werden handenen Erzieher endgültig eingeschlafen, und hier wir uns hier enthalten. liegt ein weiteres Problem.

(Beifall bei der AfD) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Davon, dass das Kindeswohl in Deutschland durch die Herr Kollege, die Zeit ist abgelaufen. Coronahysterie mit Füßen getreten wird, hört man von unserer Ministerin ebenfalls kein Wort: kein Wort über Martin Reichardt (AfD): die geforderten Kontaktbeschränkungen für Kinder, kein Besonders im Interesse von Familien fordere ich Sie Wort über eiskalte Klassenzimmer und Isolation, kein letztmalig zum Rücktritt auf. Das wäre an der Zeit. Wort über die Studie, die feststellt, dass Kinder keine Treiber der Infektion sind. Vielen Dank. Seit der hysterischen Feststellung der epidemischen (Beifall bei der AfD – Norbert Müller [Pots- Lage von nationaler Tragweite wurstelt unsere Quoten- dam] [DIE LINKE]: Meine Güte! „Letztma- ministerin nur noch in den Trümmern ihrer wissenschaft- lig“! Sie reden hier nie wieder, sehr gut! – Steffi lichen Reputation herum, meine Damen und Herren. Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Oh Gott!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie wird für Kinder und Familien damit eine politische Herr Kollege, bitte auf dem Weg zum Platz Maske Katastrophe von nationaler Tragweite aufsetzen. Auch wenn Sie sich so aufregen, immer daran (Beifall bei der AfD – Bettina Margarethe denken: Maske. – Der Kollege Maik Beermann ist der Wiesmann [CDU/CSU]: Das sind schon Sie!) nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. und leider nichts anderes. Hätten Sie sich in dieser Zeit (Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller (B) wenigstens um eine solide Finanzierung des Gesetzes [Potsdam] [DIE LINKE]: Jetzt kann es nur bes- (D) gekümmert! Aber auch hier: Fehlanzeige! ser werden!) Unterdessen kümmern sich aber Eltern von Grund- schülern in Deutschland um Entschuldigungsaufsätze, Maik Beermann (CDU/CSU): weil ihre Kinder die Masken falsch aufsetzen. Deutsch- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und land wartet endlich auf Ihren Entschuldigungsaufsatz für Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der den schamlosen Betrug bei Ihrer Doktorarbeit. Kollege Reichardt hat gerade von Erziehung gesprochen. (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder (Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Kinderstube [SPD]: Unterstellung!) hat er nicht gehabt!) Eine sozialdemokratische Quotenfrau empfindet aber Ich stelle mir ernsthaft die Frage, wo und in welcher offensichtlich keine Scham und keine Reue. So etwas Weise bei manch einem aus der rechten Ecke dieses Hau- darf in Deutschland offensichtlich leider nur noch von ses überhaupt Erziehung stattgefunden hat, liebe Kolle- alten weißen Männern und Kindern gefordert werden. ginnen und Kollegen. Dass Sie von der SPD mit Ihrem Verhalten und der offen- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, sichtlich bei Ihnen vorhandenen Ganovenehre so etwas der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE noch bestärken, ist darum noch viel schlimmer. GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Wir sind hier an einem Ort, wo man die Meinung äußern darf und soll; das stimmt. Aber hier willkürlich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: in diesem Falle gewählte Parlamentarierinnen oder eben Lieber Kollege, jetzt mäßigen Sie sich bitte, ja! Also, ernannte Ministerinnen als „Quotenfrauen“ zu bezeich- das muss jetzt wirklich nicht sein. nen, entschuldigen Sie, das geht überhaupt gar nicht. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, Martin Reichardt (AfD): der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE Von Eltern hätte man verlangt, auf ein Kind erziehe- GRÜNEN) risch einzuwirken, das hier offensichtlich geschummelt Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen heute ein hat. Von der SPD kann man so etwas aber leider nicht Fundament, indem wir das Ganztagsfinanzierungsgesetz mehr verlangen, und darum müssen wir als Opposition auf den Weg bringen. Warum machen wir das? Wir tun das hier übernehmen. das, weil wir einen Bruch kitten wollen, einen Bruch, der (Beifall bei Abgeordneten der AfD) nämlich dann entsteht, wenn Eltern ihre Kinder in eine 24308 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Maik Beermann (A) Kita geben, um sie dort qualitativ gut betreuen zu lassen, Einrichtungen, wo letztendlich nur eine Aufbewahrung (C) und irgendwann, wenn die Kinder in die Grundschule von Kindern stattfindet. Dafür müssen wir uns dann im kommen, ein Problem entsteht; denn die Ganztagsbetreu- Anschluss, wenn wir über den Rechtsanspruch diskutie- ung, die im Kindergarten gewährleistet wurde, ist mit ren, einsetzen. einem Male in der Grundschule nicht mehr vorhanden. Heute aber ist ein guter Tag: 3,5 Milliarden Euro stel- Damit stellen wir uns einer Aufgabe, die nicht originär len wir zur Verfügung. Darüber freue ich mich, und ich Aufgabe des Bundes ist; aber weil wir es als gesamt- glaube, ein Großteil dieses Hauses auch. gesellschaftliche Aufgabe ansehen, beteiligen wir uns. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Deswegen sagen wir: Ja, 2 Milliarden Euro, die im Koa- litionsvertrag und auch im Kabinettsbeschluss letzt- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) endlich verankert waren, haben wir noch mit 1,5 Milliar- den Euro aus den Konjunkturpaket aufgestockt. Somit Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: haben wir die Mittel fast verdoppelt, und es stehen Nächster Redner für die FDP-Fraktion ist der Kollege 3,5 Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsbetreu- Matthias Seestern-Pauly. ung an Grundschulen zur Verfügung. Das ist schon ein ordentlicher, vernünftiger Schluck aus der Pulle. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Matthias Seestern-Pauly (FDP): Natürlich steht auch die CDU/CSU-Fraktion von Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frauen Anfang an hinter der Wahlfreiheit von Familien. Aber Ministerinnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Koa- die Familien sollen es auch einfach selbst entscheiden. litionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, den Herr Reichardt, es bringt nichts, einfach nur wieder Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grund- irgendwelche Phrasen und Floskeln hier in den Raum schule bis 2025 einzuführen. In den sozialen Medien zu stellen, ohne faktenbasiert zu argumentieren. haben Sie, Frau Ministerin Giffey, im Oktober 2019 ver- (Martin Reichardt [AfD]: Das stimmt doch sprochen, dass der entsprechende Gesetzentwurf An- überhaupt nicht!) fang 2020 vorliegen wird. Einen Monat später heißt es dann plötzlich in der Antwort der Bundesregierung auf – Sie können jetzt weiter sagen: Das stimmt nicht. – meine schriftliche Frage: Der Gesetzentwurf wird irgend- 71 Prozent der befragten Familien sagen, dass sie gerne wann im Jahr 2020 vorliegen. – Im Juni 2020 antworteten Ganztagsbetreuungsangebote im Grundschulalter in Sie auf meine erneute Nachfrage zum Sachstand, dass Anspruch nehmen möchten, und erst für 48 Prozent eine Arbeitsgruppe Ganztagsbetreuung eingerichtet wur- (B) wird dies aktuell abgedeckt. Das heißt, wir haben eine de, die zwar noch nicht getagt hat, aber – Zitat – „zügig zu (D) große Lücke, und die muss gekittet werden. Dafür sind Ergebnissen kommen soll“. wir hier, und darum legen wir heute das Fundament. Frau Ministerin, Sie schieben den Gesetzentwurf zum (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Rechtsanspruch immer wieder auf. Sie bleiben bei reinen Wenn es darum geht, dass wir heute nicht nur Mittel Ankündigungen, und Ihre Formulierungen werden immer beschließen, dann hat die Kollegin Völlers schon richtig- schwammiger. Ihre Ankündigungspolitik stößt an ihre erweise darauf hingewiesen, dass ein Bundesland noch Grenzen. Das wissen Sie genau. Sie hätten den Gesetz- blockiert. Das finde ich persönlich äußerst ärgerlich und entwurf spätestens nach der Sommerpause vorlegen müs- auch schade. Für Niedersachsen bedeutet das beispiels- sen, um den Rechtsanspruch, wie versprochen, bis zum weise, dass über 70 Millionen Euro derzeit noch nicht Jahr 2025 umsetzen zu können. ausgezahlt werden können, dass sich Niedersachsen nicht (Beifall bei der FDP) auf den Weg machen kann, um sich beispielsweise um Das sage nicht ich, das hat Ihnen der Deutsche Verein das wichtige Thema der Fachkräfteoffensive zu küm- für öffentliche und private Fürsorge in der öffentlichen mern, um sich sozusagen auf den Weg zu machen, auch Anhörung zur Einrichtung eines Sondervermögens ge- bauliche Maßnahmen schon voranzubringen oder eben zu sagt. Sie aber tun weiterhin so, als würden Sie mit dem planen. Sondervermögen Ihren Ankündigungen zum Rechtsan- Das ist ein Problem, und deswegen sollten wir uns alle spruch tatsächlich Taten folgen lassen. Um es ganz deut- bemühen, auf jeden Fall auch die Kolleginnen und Kol- lich zu sagen: Das tun Sie nicht – leider. legen, die in Baden-Württemberg beheimatet sind, da Mit Ihrer Politik der schönen Verpackung wecken Sie noch mal etwas genauer hinzugucken und den Kollegin- Erwartungen, die Sie nicht erfüllen werden. Das wird zu nen und Kollegen im dortigen Landtag auf die Füße zu Enttäuschungen führen, und das wird die Politikverdros- treten, dass sie, auf Deutsch gesagt, in die Pötte kommen. senheit weiter befeuern. Frau Ministerin, wenn es Ihnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mit Ihren Ankündigungen ernst wäre, könnten Sie seriös der CDU/CSU) beantworten, woher Sie eigentlich die für Ihr Versprechen Aber eines ist uns auch wichtig, und das ist uns beim benötigten Fachkräfte nehmen wollen. Da hilft es auch Gute-KiTa-Gesetz so ein bisschen abhandengekommen: nicht, wenn lapidar darauf hingewiesen wird, dass dafür Wir müssen bei dieser Fragestellung auch auf Qualität angeblich und ausschließlich die Länder zuständig seien. setzen. Wir wollen keine Verwahranstalten für Kinder. Schauen Sie an dieser Stelle nach Nordrhein-Westfa- Wir wollen Betreuungseinrichtungen mit einem guten len! Dort hat der liberale Familienminister Joachim Betreuungsangebot, wo der Name Programm ist, nicht Stamm nicht nur die praxisintegrierte Ausbildung konse- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24309

Matthias Seestern-Pauly (A) quent gestärkt, sondern auch die Ausbildungskapazitäten bräuchten – über 300 000 Plätze fehlen. Kitaplätze fehlen (C) im Bereich Sozialpädagogik wurden mehr als verdrei- nicht nur, weil die Gebäude fehlen. Sie fehlen zum groß- facht. Dasselbe gilt im Übrigen für Schleswig-Holstein. en Teil, weil bereits im Kitabereich die Fachkräfte fehlen. (Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Sönke Drittens. Ich hätte erwartet, dass Sie vorlegen, wie wir Rix [SPD]) Qualität gesetzlich verankern. Wir haben doch die Erfah- rungen aus dem Kitaausbau, wo wir über Jahre gesehen – Ja, gucken Sie nach! Das ist vollkommen richtig. Da, haben, dass der Ausbau zwar quantitativ mehr oder we- wo wir Freien Demokraten in Verantwortung stehen, Herr niger eine Erfolgsgeschichte ist, aber dass in der Kita Kollege Rix, kommen die Länder ihrer Verantwortung nicht überall gute Qualität gegeben ist, weil man dies nach. nicht bereits beim Rechtsanspruch mit geregelt hat. Das (Beifall bei der FDP) hätten wir jetzt tun müssen. Ich erwarte eigentlich, dass Sie dafür endlich Konzepte vorlegen. Sie belassen es aber lieber bei Ankündigungen und erklären sich im Zweifelsfall trotz Ihres Versprechens (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- für nicht zuständig. Das ist keine gemeinsame Politik neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) im Sinne unserer Familien. Das ist ein Gegeneinander- ausspielen und ein Sichwegducken auf Kosten unserer Viertens. Sie müssen eine auskömmliche und ausrei- Kinder. Beenden Sie dieses Theater! Oder seien Sie chende Finanzierung vorlegen. Das müsste eigentlich wenigstens so ehrlich: Der Rechtsanspruch wird von selbstverständlich sein, auch nach den Erfahrungen mit Ihnen nicht kommen. dem Kitaausbau. Statt der 7 Milliarden bis 8 Milliarden Euro Investitionskosten, die auf Länder und Kommunen Herzlichen Dank. für den Ausbau im Ganztag zukommen, bringen Sie (Beifall bei der FDP) 3,5 Milliarden Euro auf. Das ist besser als die 2 Milliarden Euro im Koalitionsvertrag, aber es ist nur die Hälfte.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie treffen gar keine Aussage zu den Betriebskosten, Das Wort hat als Nächstes der Kollege Norbert Müller, die sich auf ungefähr 4 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Fraktion Die Linke. Das müssen am Ende Länder und Kommunen schultern. Da sagen die: Das ist Ihre originäre Aufgabe. – Wissen (Beifall bei der LINKEN) Sie, was passiert, wenn die Kommunen und Länder das tun sollen? Die streichen dafür in anderen Bereichen der (B) Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Kinder- und Jugendhilfe, und zwar bei den sogenannten (D) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- freiwilligen Leistungen. Was dann stirbt, sind die Kinder- ren! Wenn ein Kind von der Kita in die Grundschule und Jugendbibliothek vor Ort und der Jugendklub. Sie wechselt, dann gibt es zumindest bei mir in Brandenburg werden geschlossen, um den Rechtsanspruch auf einen ein großes Einschulungsfest. Dann ist für viele Kinder Ganztagsplatz zu erfüllen. Richtig wäre gewesen, Sie auch gegeben, dass das Kind in der Grundschule in der würden sich auskömmlich an der Finanzierung der ersten, zweiten, dritten oder auch vierten Klasse eine Betriebskosten beteiligen. Nachmittagsbetreuung im Hort hat. Aber das ist nicht (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- überall in Deutschland Realität. Deswegen tragen wir NIS 90/DIE GRÜNEN) den Grundsatz, einen Rechtsanspruch für eine Ganztags- betreuung im Grundschulalter gesetzlich zu regeln, mit. Den Gesetzentwurf für das Sondervermögen haben Sie Das finden wir als Linke gut, und das haben wir politisch im Februar auf den Weg gebracht. Das ist jetzt neun immer gefordert, weil wir es auch für eine Frage der Monate her. In Wahrheit ist das Jahr 2025 – darauf hat Bildungsgerechtigkeit halten. Kollege Seestern-Pauly hingewiesen – gar nicht mehr zu schaffen. In Wahrheit haben Sie selber in Ihrer Bund- (Beifall bei der LINKEN) Länder-AG, die Sie eingerichtet haben, bereits festgehal- Wir fanden es auch richtig, dass die Koalition in ihrem ten, dass der Rechtsanspruch ab 2025 – wenn er über- Koalitionsvertrag geregelt hat, dass die Einführung des haupt noch in dieser Wahlperiode kommt – nicht im Rechtsanspruchs bis 2025 im Sozialgesetzbuch VIII, also Grundschulbereich für alle Kinder gilt, sondern maximal im Kinder- und Jugendhilferecht, verankert sein soll. noch für die ersten Klassen. Das passiert hier. Aber Sie legen bis heute gar keinen Gesetzentwurf für einen Rechtsanspruch vor. Statt wieder schöne Reden Ich hätte in dieser Debatte erwartet, dass Sie so ehrlich vom Kollegen Beermann und der Kollegin Völlers zu sind und sagen: Wir schaffen es nicht; wir kommen mit hören, was der Ganztag alles können müsste, hätten wir den Ländern nicht hin. Die Finanzierung ist nicht aus- erwartet, dass Sie erstens vorlegen: Wie ist Ihr Vor- kömmlich geklärt. Deswegen werden wir das Jahr 2025 schlag? Wie soll der Rechtsanspruch konkret gesetzlich nicht halten, aber wir bemühen uns. – Das wäre ein ehr- verankert werden? licher Schritt gewesen, anstatt hier so eine Feierstunde abzuhalten. Zweitens müssten Sie einen Vorschlag unterbreiten: Wie kommen wir zu ausreichenden Fachkräften? Wir (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wissen, dass im Moment allein im Kitabereich – da arbei- neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE ten genau dieselben Fachkräfte, die wir im Ganztag GRÜNEN) 24310 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Norbert Müller (Potsdam) (A) Deswegen sagen wir als Linke: Schaffen Sie guten Zweitens. Sie machen einen billigen Taschenspieler- (C) Ganztag! Das ist Ihr Job. Legen Sie Vorschläge für die trick. Ich sage Ihnen auch, warum. In der Theorie spre- Fachkräfteoffensive, Qualitätssicherung und auskömmli- chen Sie von 2 Milliarden Euro Basismitteln und zusätz- che Finanzierung vor! Dann sind wir an Ihrer Seite. So lichen 1,5 Milliarden Euro Bonusmitteln aus dem können wir uns nur enthalten. Konjunkturpaket. In der Theorie mag das richtig sein. Vielen Dank. In der Praxis schreiben Sie im gleichen Gesetzentwurf: Wenn die 2 Milliarden Euro bis Ende 2021 – warum auch (Beifall bei der LINKEN) immer, Beispiel Pandemie – nicht in Anspruch genom- men oder nicht in voller Höhe abgerufen werden sollten, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dann stehen die 1,5 Milliarden Euro auch nicht in voller Die Abgeordnete Ekin Deligöz hat das Wort für Bünd- Höhe zur Verfügung, sondern die Reste sollen zurück in nis 90/Die Grünen. den Bundeshaushalt fließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, Sie sprechen zwar von 3,5 Milliarden Euro, de facto nehmen Sie es aber über die andere Tasche wie- der zurück und sagen: Ätsch, bätsch, war nichts! – Wenn Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dann Baden-Württemberg sagt: „Hey, das ist ein Trick; so Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und funktioniert das nicht“, dann sagen Sie: Warum kritisie- Kollegen! Herr Seestern-Pauly, ich habe Ihrer Rede auf- ren die uns denn? – Ich verstehe schon, warum Baden- merksam zugehört und dreimal das Wort „leider“ gezählt. Württemberg uns kritisiert: Sie fallen auf so eine einfache Das „leider“ teile ich, aber ich verstehe, ehrlich gesagt, Falle nicht rein. nicht, dass ausgerechnet Sie das hier so betonen. Denn gestern und heute hat Ihre Fraktion im Haushaltsaus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schuss beantragt, die Mittel für die Ganztagsschule zu Drittens. Was dieses Land braucht, ist nicht nur die streichen. Infrastruktur, sondern auch das Personal, die Qualität, (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das, was wir in den Schulen unseren Schülerinnen und NEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der Schülern anbieten. LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Hört! Hört! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist das denn?) Darüber reden Sie, ehrlich gesagt, überhaupt nicht mehr. Mittel zu streichen und hier „leider“ zu sagen, passt leider Damit genügen Sie insgesamt nicht Ihrem eigenen nicht zusammen. Anspruch, den Sie hier selber formulieren. Deshalb ist (B) es auch gerechtfertigt, Kritik zu üben und es besser zu (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, machen. bei der SPD und der LINKEN – Matthias Seestern-Pauly [FDP]: Weil Sie die 750 Millio- Es besser machen: Das können wir von den Grünen. nen gar nicht mehr in diesem Jahr rausbekom- Die entsprechenden Anträge haben wir eingebracht. men!) Danke schön. – Zweimal 750 Millionen – ich komme dazu –, aber Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wollen es komplett streichen.

Ja, wir unterstützen den vorliegenden Gesetzentwurf, Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: weil es auch um ein Gerechtigkeitsversprechen in der Bildung geht und weil es ein großer und wichtiger Schritt Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist, der hier gegangen wird. Deshalb haben Sie unsere für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Ulrike Bahr. Unterstützung. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ulrike Bahr (SPD): Aber, ehrlich gesagt, möchte ich mich nicht mit Kritik Sehr geehrter Präsident! Liebe Kollegen und Kollegin- zurückhalten. Denn Sie bleiben auf halber Strecke stehen. nen! Wir wissen schon lange, dass wir für Kinder im Es reicht nicht, das einfach nur zu versprechen, sondern Grundschulalter und ihre Familien verlässliche Angebote Sie müssen es auch gut machen. Ich muss bedauerlicher- zur Bildung und Betreuung brauchen; aber die letzten weise sagen: Sie machen es leider nicht gut. Ich nenne neun Coronamonate haben noch einmal besonders deut- Ihnen drei Gründe. lich gemacht, wie wichtig für Kinder und für Eltern eine gute und verlässliche Betreuungsinfrastruktur ist – Der erste Grund ist: Eigentlich haben Sie einen Gesetz- entwurf für den Rechtsanspruch angekündigt. Der scheint (Beifall bei der SPD) jetzt in weite Ferne gerückt. Denn wir hören nichts mehr wichtig für die Förderung der Kinder, wichtig für die davon. Wir warten immer noch darauf, dass Sie den Ge- Familien, wichtig auch für die Wirtschaft und das setzentwurf, was Sie versprochen haben, auch hier im Arbeitsleben. Nur so kann die Vereinbarkeit von Familie Bundestag einbringen. Ich bezweifle, dass es noch in und Beruf funktionieren. Und nur so können wir auf dem dieser Wahlperiode geschieht. Weg zu mehr Chancengerechtigkeit in der Bildung wei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tergehen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24311

Ulrike Bahr (A) Homeschooling und Fernunterricht haben die Gräben Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) vertieft: Da sind Kinder, die zu Hause gefördert werden Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin ist und auf Hilfe und Infrastruktur zurückgreifen können, für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Dr. Dietlind und da sind Kinder, die sich ein Stück weit selbst über- Tiemann. lassen bleiben und zum Teil von der Schule gar nicht mehr erreicht werden konnten. Umgekehrt wissen wir (Beifall bei der CDU/CSU) aus zahlreichen Studien, dass guter, qualitativ hochwer- tiger Ganztag mit einem vielfältigen Angebot an Bildung Dr. Dietlind Tiemann (CDU/CSU): und Betreuung die Kinder stärkt und Nachteile der sozia- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- len Herkunft ein Stück weit ausgleichen kann. nen und Kollegen! Die heutige Abstimmung im An- schluss an die Debatte markiert einen dritten Höhepunkt Darum bin ich froh, dass wir mit dem heute zu beim Thema „Familie und Betreuung von Kindern“ in beschließenden Ganztagsfinanzierungsgesetz den ersten den letzten Jahren. Kurz zusammengefasst: 1996 führte Schritt hin zum Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung die Union den Rechtsanspruch auf Kitabetreuung ab dem für Grundschulkinder gehen. Das Sondervermögen, das vierten Lebensjahr ein. 2013 folgte der Rechtsanspruch wir heute errichten, wird noch einmal kräftig mit Mitteln auf Betreuung für unter Dreijährige. Und mit dem Ganz- aus dem Nachtragshaushalt aufgestockt. Insgesamt ste- tagsfinanzierungsgesetz wird in diesem Jahr nun die Brü- hen den Kommunen, wie erwähnt, jetzt 3,5 Milliarden cke von der Kita- und Vorschulzeit zur Betreuung im Euro zum Ausbau der Ganztagsbetreuung zur Verfügung. Grundschulalter geschlagen. Welche Chancen dieser Rechtsanspruch bietet, hat mein Kollege Maik Beermann Umso wichtiger ist es, dass es jetzt zügig weitergehen schon ausführlich erläutert. kann. Bund und Länder haben sich schon in groben Zügen auf die inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsan- Ich will kurz aus meiner Sicht auf die bildungspoliti- spruchs verständigt. Die ursprünglich geplanten Investi- sche Dimension des Vorhabens eingehen. Dass Bildung tionsmittel von 2 Milliarden Euro sind noch einmal um in der frühen Kindheit eine zentrale Bedeutung hat, 75 Prozent erhöht worden. Auch hat unser Finanzminister zeigen die Ergebnisse der Bildungsforschung eindeutig. Olaf Scholz bereits signalisiert, dass der Bund sich dauer- Förderung ist deshalb grundlegend für den weiteren Bil- haft an den Betriebskosten beteiligen wird. dungserfolg. Sie entscheidet maßgeblich über Entwick- lungs-, Teilhabe- und Aufstiegschancen, wie uns allen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bekannt ist. Dass sich diese Erkenntnisse nun auf drei Rechtsansprüche erstrecken und den Weg in neue Be- Und es gibt ausreichend Zeit: Der Rechtsanspruch soll schlüsse der KMK gefunden haben, ist schon ein toller (B) erst 2025 in Kraft treten. Erfolg und das Ergebnis langer und harter Arbeit, liebe (D) Kolleginnen und Kollegen. Unter diesen Voraussetzungen gilt es, die Zeit jetzt Für die Union ist klar: Bildung und Erziehung waren auch gut zu nutzen. Und es wäre den Familien nicht zu und bleiben zuerst die Aufgaben der Eltern. Dieser vermitteln, wenn durch die schwarz-grüne Blockadehal- Grundgedanke kommt auch in der Errichtung des Sonder- tung in Baden-Württemberg die Verwaltungsvereinba- vermögens zum Ausdruck. Wir wollen nicht nur eine rung zu den Beschleunigungsmitteln und der Gesetzent- Form des Ganztags fördern, sondern uns selbstverständ- wurf zum Rechtsanspruch weiter verzögert würden. Ich lich am Bedarf der Eltern und ganz besonders der Kinder hoffe sehr, dass die Ministerpräsidenten mit der Kanzle- orientieren und alle drei Formen – Hort, geschlossener rin in der Konferenz am 2. Dezember endlich die nötige und offener Ganztag – gleichberechtigt nebeneinander- Verständigung erzielen und sich über die Eckpunkte eini- stellen; wir wollen nichts davon verordnen. Damit erhö- gen. hen wir die Akzeptanz bei den Eltern und stellen sicher, dass die gebotenen Chancen kein Kindertraum bleiben, (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Silke sondern zur Realität werden. Launert [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Denn das Geld aus dem Sondervermögen muss sicher Gleiches gilt für die Beschleunigungs- und Bonusmit- eingeplant werden, für vorbereitende Planungen, für Bau- tel aus dem Änderungsantrag. Wir belohnen die Länder, maßnahmen oder für die bessere Ausstattung bestehender welche frühzeitig in Sanierung und Ausbau der Kinder- Einrichtungen in der Ganztagsbetreuung. betreuung investieren. Die dafür bereitgestellten 1,5 Mil- liarden Euro unterstreichen genau diese Haltung. Je frü- Stiftungen, Schulen und Jugendhilfe haben zudem die her die Länder mit den Investitionen beginnen, desto eher Zeit genutzt und gute Konzepte für einen an Beteiligung wird aus dem Rechtsanspruch ein echter Mehrwert für und einem umfassenden Bildungsverständnis ausgerich- alle. teten Ganztag entwickelt. Es wird Zeit, dass diese Kon- zepte mit Leben gefüllt werden und wir den Rechtsan- Beide Entscheidungen sind eine gute Grundlage für die spruch endlich verankern können. kommenden Beratungen, wenn es dann um die Inhalte geht. Hier wollen wir selbstverständlich das Thema Qua- Vielen Dank. lität fortschreiben. Ein qualitativ ansprechendes, flächen- deckendes Betreuungsangebot von der Kita bis zum Ende (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Grundschule ist mehr als eine bessere Vereinbarkeit der CDU/CSU) von Familie und Beruf; es ist mehr als nur Spiel und Spaß 24312 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Dr. Dietlind Tiemann (A) mit den Klassenkameraden. Es ist die Möglichkeit, eige- zumal die Dinge, die wesentlich sind, erfüllt sind: Erstens (C) ne Talente zu entdecken, eigene Neigungen zu entwi- diskutieren wir nicht mehr wochen- und stundenlang über ckeln, ein Instrument zu erlernen, Sport zu treiben, künst- die Frage, wie die Form der Ausgestaltung bei der Ganz- lerische Tätigkeiten auszuüben, aber auch einfach mal in tagsbetreuung aussieht. Das haben wir hinter uns. Ich Aufgaben reinzuschnuppern, die künftig vielleicht im glaube, das ist inhaltlich ein guter Weg. Zweitens – das Ehrenamt, zum Beispiel bei freiwilligen Feuerwehren, ist Kernelement der heutigen Debatte –: Die finanziellen ausgeübt werden. Kurzum: Es ist für manche die Per- Voraussetzungen werden geschaffen. Das ist ein bisschen spektive, welche sein oder ihr Zuhause ihm oder ihr nicht wie – als Hamburger darf ich das sagen – auf dem Fisch- unbedingt ermöglicht hat, die aber damit ermöglicht markt. wird. Man sieht: Die Kompetenz liegt tatsächlich bei den Diesem Ziel sind wir heute einen großen Schritt näher Ländern – das betone ich auch gern noch mal –, aber gekommen. Deshalb bitte ich natürlich um große Zustim- weil das eine nationale Aufgabe ist, sagen wir trotzdem: mung. 2 Milliarden Euro als Basisfinanzierung gibt es von uns obendrauf. Falls das nicht reicht – Stichwort „Corona“ –, Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. gibt es über einen Nachtragshaushalt noch 1,5 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Euro obendrauf. Noch mal: Weil wir unsere Verantwor- tung wahrnehmen, beteiligen wir uns an den Betriebs- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: kosten. Vielen Dank. – Der letzte Redner zu diesem Tages- Jetzt ist es aber an den Ländern, zu sagen: Wir nehmen ordnungspunkt ist der Kollege Marcus Weinberg. das Geld nicht nur an, sondern wir verpflichten uns auch, dass wir den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz bis (Beifall bei der CDU/CSU) 2025 umsetzen. – Da muss auch nichts mehr geschoben werden; das ist uns, glaube ich, allen klar. Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Kollegen! Da kann ich gerne anschließen: Die Republik ordneten der SPD) mag heute fälschlicherweise nicht mit Spannung auf die- Das entspricht eben nicht einer ideologischen Verdum- se Debatte schauen; aber das Gesetz, das wir heute ver- mung oder sonst etwas. Es ist immer von der Wahlfreiheit abschieden werden, ist eine wichtige Voraussetzung für der Eltern die Rede. Da muss man zunächst einmal wis- eine der größten bildungspolitischen Veränderungen der sen: Das Beste für die Wahlfreiheit der Eltern sind immer letzten Jahre, nämlich endlich einen Rechtsanspruch für Rechtsansprüche. Dann kann ich als Elternteil sagen: Ich (B) Kinder im Grundschulalter auf eine Ganztagsbetreuung habe darauf einen Anspruch. Deswegen habe ich die freie (D) zu schaffen. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute das Wahl. Gesetz verabschieden. Es wurde bereits gesagt: Etwa 70 Prozent in West- Aber ein bisschen wichtiger – das müssen wir einge- deutschland und ungefähr 90 Prozent in Ostdeutschland stehen – mag dann doch der 2. Dezember sein, an dem die wollen einen guten, hochwertigen Betreuungsplatz. Da Ministerpräsidentenkonferenz stattfindet. Diese Konfe- kommt es auf die Qualität an – da bin ich bei der Kolle- renz ist wichtig; das muss die Botschaft der heutigen gin –, die wir umsetzen müssen. Es ist tatsächlich so – Debatte sein. Frau Bahr war so nett, den Wunsch zu jetzt bin ich noch einmal bei der Kollegin der Grünen; äußern, dass es eine Einigung der Ministerpräsidenten Herr Seestern-Pauly hatte ja schon sein Erlebnis mit gibt. Ich sage: Wünschen ist nett – wir fordern das. Schein und Sein –, dass die Kollegen in Baden-Württem- Warum fordern wir das? berg – das sagen wir auch unseren Kollegen, und Sie Erstens: weil eine Einigung beweisen würde, dass die- mögen es bitte ebenfalls weitergeben – hier seit Jahren ses föderative System – das betonen ja gerade diejenigen, über die Bedeutung der Ganztagsbetreuung reden. Bitte – die in den Ländern Verantwortung tragen, immer wieder – jetzt sind Sie in der Verantwortung in Baden-Württem- auch bei großen nationalen Aufgaben funktioniert. berg – legen Sie Wert darauf, dass die Umsetzung erfolgt. Zweitens: weil wir damit endlich eine der wichtigsten (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Veränderungen in der Bildungspolitik erreichen würden, Dann tricksen Sie auch etwas weniger!) nämlich den Rechtsanspruch auf einen Ganztagsbetreu- Warum erfolgt sie nicht? Weil – Stichwort „Betriebs- ungsplatz. erlaubnis“ und Stichwort „Schulaufsicht“ – die Voraus- Drittens: weil es – das möchte ich in dieser Zeit nicht setzungen nicht erfüllt sind. Das wollen wir aber nicht außer Acht lassen – nach den langen Debatten der letzten deshalb, weil wir uns das wünschen, sondern das wollen Wochen und Monate über die Frage, was wir, was die wir, weil damit auch Dinge wie zum Beispiel der Kinder- Kinder während der Coronapandemie im Bildungsbe- schutz verbunden sind. reich erlebt haben, im Hinblick auf die Wahrnehmung Deswegen gehen Sie und wir und diejenigen, die das der Funktionsweise der Politik durch die Eltern fatal unterstützen, jetzt auch raus, werben dafür, dass wir am wäre, wenn es uns nicht gelänge, dies hinzubekommen. 2. Dezember hoffentlich ein gutes Ergebnis bei der Mi- Deswegen ist es wichtig, und deswegen muss der nisterpräsidentenkonferenz erreichen und wir den 2. Dezember ein Erfolg werden, Rechtsanspruch dann umsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24313

Marcus Weinberg (Hamburg) (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Armin-Paulus Hampel (AfD): (C) neten der SPD – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- DIE GRÜNEN]: Wenn Sie aufhören, zu trick- ren! Liebe Kollegen! Hätte unser Land den von der AfD sen!) geforderten Nationalen Sicherheitsrat heute schon, dann wäre uns die Coronakrise in diesem Ausmaß wahrschein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: lich erspart geblieben. Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungs- (Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: So wie den USA!) punkt. Ein Nationaler Sicherheitsrat hätte die ausführliche Studie des Robert-Koch-Instituts von 2012 nicht wie Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- die Bundesregierung in irgendeine Archivecke geschmis- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Errich- sen, sondern er hätte diese detaillierte Blaupause zur tung des Sondervermögens „Ausbau ganztägiger Bil- Bekämpfung der Viruskrankheit in einen mit allen Fach- dungs- und Betreuungsangebote für Kinder im ressorts abgesprochenen praktischen Aktionsplan umge- Grundschulalter“. Der Ausschuss für Familie, Senioren, setzt. Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- lung auf Drucksache 19/24478, die Gegenäußerung der Ein Nationaler Sicherheitsrat hätte der Bundesregie- Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates auf rung wahrscheinlich das empfohlen, was ich schon zu Drucksache 19/18735 zur Kenntnis zu nehmen und den Anfang der Coronakrise gefordert habe, nämlich – das Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache ist das, was kein Experte bezweifelt – die Erkenntnis, 19/17294 in der Ausschussfassung anzunehmen. dass 85 Prozent der Infizierten diese Krankheit entweder mit leichten oder gar keinen Symptomen wahrnehmen, Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der nur 15 Prozent der ernsthaft oder sehr ernsthaft Erkrank- Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- ten intensiv behandelt werden müssen oder gar an Leib chen. – Das sind CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die und Leben bedroht sind. Eine nationale Strategie wäre es Grünen. Wer stimmt dagegen? – Keine Gegenstimmen. dann gewesen, zuallererst diese Risikogruppen professio- Enthaltungen? – AfD, FDP und Linke. Der Gesetzent- nell zu schützen und so einen totalen Lockdown mit Kos- wurf ist damit in der zweiten Beratung angenommen. ten von Hunderten von Milliarden Euro zu vermeiden. Dritte Beratung (Beifall bei der AfD) Das Gleiche gilt für ein Konzept des Innenministe- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem riums aus dem Jahre 2016 unter dem Titel „Konzeption Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – (B) Zivile Verteidigung“. Da werden die Schwachstellen auf (D) Das sind wieder CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die diesem Gebiet minutiös aufgezeigt. Es werden Lösungen Grünen. Gegenstimmen? – Wenn Sie dagegen sind, erhe- angeboten. Schon damals warnten die Innenexperten zum ben Sie sich bitte. – Keine Gegenstimmen. Enthaltun- Beispiel vor einem durch Ihre Energiewende herbeige- gen? – Bei Enthaltung von AfD, FDP und Linken ist führten Blackout – katastrophal in den Auswirkungen, der Gesetzentwurf angenommen. und zwar in einem solchen Ausmaß, wie es sich die Bürger draußen im Lande bis jetzt gar nicht vorstellen Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: können. Beratung des Antrags der Abgeordneten Armin- Obwohl die Studie ein umfangreiches Katastrophen- Paulus Hampel, Dr. Lothar Maier, Paul Viktor szenario detailliert beschreibt, Lösungsansätze bietet Podolay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion und auch sagt, wer es umsetzen soll, ist in unserem Lande der AfD nichts geschehen – weil es eben keine nationale fachüber- greifende Koordinierungsstelle gibt, in der alle Erkennt- Eine ressortübergreifende, nationale Sicher- nisse zusammenlaufen und die erforderliche Umsetzung heitsstrategie erarbeiten – Den Bundessicher- von Lösungsvorschlägen erfolgt. heitsrat zum Nationalen Sicherheitsrat aus- bauen So wie ich hier das Nichtstun der Regierung und ihre nicht vorhandene Strategie in den vergangenen Jahren bei Drucksache 19/24393 den innenpolitischen Herausforderungen beklage, sehe ich diesen Mangel genauso in unseren außenpolitischen Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss (f) Beziehungen. Wie ein Kaninchen auf die Schlange starrt, Ausschuss für Inneres und Heimat so starrt das Merkel-Kabinett nun seit Jahren auf die Verteidigungsausschuss rasanten politischen, wirtschaftlichen und technologi- schen Entwicklungen in China. Wir können mit der Aussprache beginnen, wenn Sie sich hingesetzt bzw. den Saal verlassen haben. – Es ist Langzeitstrategie? Fehlanzeige, Herr Kollege! Statt für die Aussprache eine Dauer von 30 Minuten vorge- sich nach entsprechenden Verbündeten – in diesem Falle sehen. zum Beispiel den Vereinigten Staaten oder Russland – umzusehen, um die immensen Herausforderungen aus Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt als Erstes für dem Reich der Mitte parieren zu können, haben wir die AfD der Abgeordnete Armin-Paulus Hampel. erfolgreich beide strategisch möglichen Partner verprellt. Wir haben es dagegen zugelassen, dass modernste High- (Beifall bei der AfD) techfirmen wie KUKA in chinesische Hände übergingen, 24314 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Armin-Paulus Hampel (A) und wir zahlen immer noch – ich glaube, bis zum Jahre Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) 2021 – Hunderte von Millionen in Entwicklungsprojekte Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege in China. Das müssen Sie dem Bürger draußen erst mal Roderich Kiesewetter. erklären, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der AfD) Marianne Schieder [SPD]: Jetzt mal ein biss- chen mehr Leben in die Bude hier!) Jedes andere Land hält uns für bekloppt. Auf der einen Seite können wir bei G-5-Staaten nicht mithalten, und auf der anderen Seite zahlen wir noch Entwicklungsgelder. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mei- Man kann diese Beispiele fortführen: Wie gehen wir ne sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir auf Dauer mit einer veränderten amerikanischen Welt- wieder über das Thema Sicherheitsrat reden, weil die sicht um? Welche Werte verbinden uns wirklich noch, Unterschiede damit deutlich werden. Ich habe, Herr Kol- auch mit einer Biden-Regierung? Achtung, meine Damen lege Hampel, Ihrer Rede sehr sorgfältig zugehört. Ich und Herren! Wo müssen wir uns nach neuen Partnern habe nicht ein Mal „Vereinte Nationen“ gehört, ich umsehen, und wo halten nach wie vor die alten Bande? habe nicht ein Mal „NATO“ oder „EU“ gehört; ich habe Wie wollen wir auf Dauer mit einem Russland umge- nur „Deutschland“ und „der Rest der Welt“ gehört. hen, das sich nach Jahrhunderten der Zarenherrschaft und Wir leben in einer immer mehr vernetzten Welt; damit knapp 70 Jahren Sowjetdiktatur zaghaft in Richtung müssen wir auch mit einem deutlich vernetzten Politik- Demokratie entwickelt? Welch eine Ignoranz und welch ansatz in die Welt gehen, liebe Kolleginnen und Kolle- ein Unverständnis, zu glauben, dass dieser Prozess inner- gen. halb einer Generation abgeschlossen sein kann. Sie kön- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nen aber, meine Damen und Herren, Russland nicht nach SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Südamerika verschieben. Es wird immer unser großer NEN) Nachbar im Osten bleiben. Wer formuliert hier die deut- sche Langzeitstrategie? In Ihrem Antrag sind die Vereinten Nationen nur in einem Nebensatz erwähnt, und nicht ein Mal erwähnt sind die Wer hat ein dauerhaftes Konzept, wie mit den osmani- EU oder die NATO. Deswegen möchte ich gerne zu Vor- schen Großmannsträumen von Herrn Erdogan umzuge- stellungen der Union und vielleicht auch anderer Teile hen ist? Wo müssen wir der türkischen Regierung in den dieses Hauses kommen. Arm fallen, wenn zum Beispiel Herr Erdogan versucht, über seine Landsleute in Deutschland deutsche Politik zu Heute hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (B) beeinflussen? Wo und mit wem können wir auf die tür- bei der Veröffentlichung des Polypandemie-Berichts der (D) kische Politik Einfluss wiedergewinnen? Münchner Sicherheitskonferenz einen Bundessicher- heitsrat für Sicherheit, Frieden und Entwicklung gefor- Wer hat im Kanzleramt und im Außenamt die Strategie dert. Vorgestern hat unsere Bundesverteidigungsministe- für eine Friedenslösung im Vorderen und Mittleren Ori- rin an der Universität der Bundeswehr in Hamburg sehr ent? Herr Kushner, der Nichtdiplomat aus den USA, hat klar die Aufwertung des Bundessicherheitsrates zu einem es uns vorgemacht. Wer hat die Konzepte hier in Berlin? Nationalen Sicherheitsrat gefordert; dasselbe hat sie an Keiner. Wir wurschteln uns von einer Krise zur anderen der Bundeswehruniversität in München bereits vor einem durch und meinen, wir Deutschen seien immer noch ein Jahr gesagt. Des Weiteren hat unser Koalitionspartner in wichtiger Player im Weltgeschehen. Merkt dieses Haus der letzten Woche ein Papier vorgelegt über die nicht, dass wir diese Rolle seit Jahren verloren haben, 28. Armee, also über eine Armee für die Europäische dass uns unsere völlig unnötige Positionierung bei zwi- Union. Ich will damit sagen: Worauf basiert denn das schenstaatlichen Konflikten – auch fern von uns – aus der Ganze? Das sind doch Beiträge, Vorstellungen, Überle- klassischen Vermittlerrolle herausdrängt? gungen, Vorschläge zur Mitgestaltung der Globalisie- Ein Nationaler Sicherheitsrat, der personell und kon- rung. Das ist ein Beitrag, wie Deutschland sich einbrin- zeptionell in der Lage ist, im deutschen Interesse Strate- gen will, um Weltpolitikfähigkeit anzupacken und nicht gien über die Dauer einer Legislaturperiode hinaus zu zu kommentieren. entwerfen, ist deshalb längst überfällig. Wir brauchen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und diese ständige und strukturierte Einrichtung, organisato- der SPD) risch und personell, um diese Weitsicht in den drängends- ten innen- und außenpolitischen Fragen ressortübergrei- Worauf geht das Ganze zurück? Im Jahr 2016 wurde fend zu entwickeln. das Weißbuch veröffentlicht. In diesem Weißbuch, das wir nie in diesem Hause diskutiert haben, wird sehr klar Ansonsten entwickelt sich Deutschland zu dem, was festgehalten, dass der Bundessicherheitsrat aufgewertet viele unserer Nachbarn immer noch befürchten: dass werden soll zu einem strategischen Ideengeber, zu einem wir wirtschaftlich ein Riese, politisch aber zu einem Koordinator der verschiedenen Ressortinteressen. Zwerg degradiert werden. Ich bitte Sie deshalb, unseren Warum ist das so wichtig? Es ist wichtig, um die Ressorts Antrag zu unterstützen und einem deutschen Nationalen auch – ich sage das mal als frei gewählter Abgeordneter – Sicherheitsrat zuzustimmen. dazu zu zwingen, der Bundesregierung die wesentlichen Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Prioritätensetzungen ihrer Häuser zu bringen. Dann muss ein Bundessicherheitsrat – das kann ein Staatssekretärs- (Beifall bei der AfD) ausschuss auf Dauer nicht leisten – diese Priorisierungen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24315

Roderich Kiesewetter (A) bewerten und in ein Gesamtkonzept einbringen. Wir (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) müssen den Mut aufbringen, liebe Kolleginnen und Kol- NEN]: Das ist richtig! – Zuruf von der AfD: legen, das in den nächsten Koalitionsverhandlungen zum „Machwerk“!) Thema zu machen. Die stellen tatsächlich sieben Forderungen auf für einen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nationalen Sicherheitsrat mit einer entlarvenden Reihen- folge von Prioritäten: Ich möchte das unterstreichen, weil die Welt um uns herum ja nicht stehen bleibt. Wir waren am Wochenende (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- alle relativ überrascht, als das – mal schauen, ob ich es NEN]: Auch richtig!) zusammenbringe – „Regional Comprehensive Economic Punkt eins: Deutschland bleibt als Nationalstaat erhal- Partnership“-Programm im Fernen Osten, in Asien, ten. gegründet wurde. Es geht um einen Wirtschaftsraum, einen Freihandelsraum für 2,2 Milliarden Menschen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Das ist eine geoökonomische Herausforderung. Da wer- – Ich kenne niemanden in diesem Haus, der das bezwei- den Standards gesetzt. Dort wird auch Sicherheitspolitik feln würde. im Sinne der Digitalisierung, der Cyberräume, aber auch (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ach, du liebe des Umgangs im Welthandel gesetzt. Diese Standards Zeit!) wollen wir doch mit beeinflussen. Um uns einzubringen, brauchen wir dann auf europäischer Ebene besser abge- Punkt zwei, Punkt drei, Punkt vier: Die nationale Sou- stimmte deutsche Interessen, und das kann ein Bundes- veränität Deutschlands muss verteidigt werden. – Ich sicherheitsrat leisten. kenne niemanden in diesem Haus, der das anders sehen würde. Aber die Reihenfolge, die Prioritätensetzung ist (Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) interessant. Lassen Sie uns den Mut aufbringen, in der Großen Punkt fünf: Wir stärken die deutsche Wirtschaft im Koalition darauf hinzuwirken und bei unseren anderen Ausland. Partnern hier in diesem Hause darauf hinzuwirken, dass das Thema der Wahlprogramme wird. Punkt sechs: Wir stärken die deutsche Wirtschaft im Ausland noch ein bisschen mehr. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Und Punkt sieben ist dann: „Deutschland setzt sich für Es geht darum, dass wir Weltpolitikfähigkeit in der Praxis ein friedliches Miteinander der Völker ein …“ schaffen. Dazu brauchen wir einen großen Sprung zur Mitgestaltung der Globalisierung und nicht ein verzagtes Meine Damen und Herren, wenn das die Prioritäten- (B) (D) Trippeln am nationalen Straßenrand. In diesem Sinne setzung einer Fraktion des Deutschen Bundestages ist, lehnen wir den Antrag ab. dann sind wir in diesem Haus auf dem Holzweg. Herzlichen Dank. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und SES 90/DIE GRÜNEN) der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD]) Ich freue mich darauf, dass wir diesen Antrag gemeinsam ablehnen werden. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Jan Ralf Nolte [AfD]: Lachhaft!) Vielen Dank, Herr Kollege Kiesewetter. – Der nächste Redner ist der Kollege Alexander Graf Lambsdorff, FDP- Jetzt muss ich allerdings, lieber Kollege Kiesewetter, Fraktion. nach den lobenden Worten eben eines auch sagen: Die Bundesregierung hat seit Erscheinen des letzten (Beifall bei der FDP) Weißbuches im Jahr 2016 sich selbst die Hausaufgabe gegeben, den Bundessicherheitsrat, der zurzeit ja ein Alexander Graf Lambsdorff (FDP): ganz eng umrissenes Aufgabengebiet hat, der hinter ver- Vielen Dank, Herr Präsident. – Lassen Sie mich eines schlossenen Türen tagt, der kein permanentes Sekretariat sagen: Der Antrag mit dem Titel „Deutschland braucht hat, der keinen Unterbau hat, aufzuwerten zu einem einen Nationalen Sicherheitsrat“ ist hervorragend. Er Organ, mit dem Deutschland tatsächlich mal eine ressort- spricht davon, dass wir eine Gesamtstrategie brauchen, abgestimmte, ressortübergreifende internationale Strate- die über die Ressorts hinweg abgestimmt wird, und er gie formulieren kann. Dieser Hausaufgabe ist die Bun- fordert die Bundesregierung auf, noch in dieser Legisla- desregierung nicht nur nicht nachgekommen, nein. turperiode einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten. Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer Unterzeichnet ist er mit Datum 10. März 2020: „Christian äußert zwar regelmäßig, dass sie das für eine gute Idee Lindner und Fraktion“. hält, aber wenn wir dann – und das haben wir als Fraktion getan – nachfragen, wie sie sich das genau vorstellt, (Beifall bei der FDP) kommt als Antwort aus der Bundesregierung Folgendes, Meine Damen und Herren, wir haben bereits vor einem Zitat: „Die Fragen 2 bis 5 werden zusammen beantwortet. halben Jahr genau einen solchen Antrag gestellt. Aber ich Die Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp- will mich hier den Worten des Kollegen Kiesewetter Karrenbauer hat langfristig orientiert und perspektivisch anschließen: Das ist ein Antrag, der einen völlig anderen skizziert, was eine künftige Bundesregierung eines Tages Geist atmet als das Machwerk aus der AfD-Fraktion. vielleicht tun könnte.“ 24316 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Alexander Graf Lambsdorff (A) Meine Damen und Herren, das ist keine ernsthafte Peter Beyer, beiseite, dann haben wohl eher Außenminis- (C) Politik. ter Heiko Maas – wir sprachen heute Morgen darüber – (Beifall bei Abgeordneten der FDP) und sein französischer Kollege Jean-Yves Le Drian recht: Wir brauchen ein neues transatlantisches Verhältnis, Wenn ich mir die Hausaufgabe selber gebe, dann muss einen neuen New Deal, und wir brauchen mehr europä- ich sie auch erledigen. Deswegen, meine Damen und ische Kohäsion. Herren: Richten wir einen Nationalen Sicherheitsrat ein! Bündeln wir die internationale Strategie der Bundes- (Beifall bei der SPD) regierung! Debattieren wir sie regelmäßig hier im Hohen Das muss sich auch in unseren unterschiedlichen, res- Haus! sortübergreifenden Politiken niederschlagen, etwa wenn (Beifall bei Abgeordneten der FDP) wir über Digitalisierung und Innovationstechniken spre- chen, aber auch, wenn wir über Bots oder Kriegspropa- Das ist der richtige Weg – aber nicht im Geiste dieses ganda reden und – Sie ahnen es schon – wenn wir über Antrags der Kollegen von rechts außen. Russland und China sprechen. Wir brauchen also neue Herzlichen Dank. Formate, oder wir müssen die alten neu beleben. Ist (Beifall bei Abgeordneten der FDP) dies etwa aufgehoben in dem simplen Konzept für einen Nationalen Sicherheitsrat, wie ihn die AfD fordert? Mit- nichten! Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank, Herr Kollege Graf Lambsdorff. – Nächs- Selbstverständlich kann die Kohäsion zwischen den te Rednerin ist die Kollegin Daniela De Ridder, SPD- unterschiedlichen Häusern noch intensiviert werden. Im Fraktion. Bundessicherheitsrat etwa wird ja ohnehin ressortüber- greifend zusammengearbeitet. Herr Hampel, das sollten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie einfach nur zur Kenntnis nehmen.

Dr. Daniela De Ridder (SPD): (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Stimmt nicht!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Dass all die aufgeworfenen Fragen dort auch beantwortet Kollegen! Sehr verehrte Gäste, jedenfalls die einzelnen! werden müssen, ist nicht nur klug, sondern auch selbst- Den Bundessicherheitsrat gibt es bereits seit 1955. Er hat verständlich. seitdem einige Reformen durchlaufen, etwa infolge von Nine-Eleven, dem Attentat auf das World Trade Center in Das alleine reicht aber nicht. Das Parlament – und New York. Danach wurden nämlich adäquate Maßnah- damit wir Abgeordnete – muss sich noch viel intensiver (B) men im Bundessicherheitsrat entwickelt und abgestimmt. mit diesen Fragen beschäftigen. Das ist unsere Pflicht (D) Das war also schon vor 20 Jahren eine Weitung des Port- und Schuldigkeit. folios. Mit Blick auf gestern frage ich die Herren von der Benötigen wir heute weitere Reformen? Die Pandemie AfD: Warum fordern Sie eigentlich nicht für uns mehr hat wie keine zweite Momentaufnahme gezeigt, wie Sicherheit und mehr Sicherheitspolitik und gerade bei wichtig uns globale Sicherheitsfragen sein müssen. Ins- diesem Thema eine Stärkung des Parlaments? besondere benötigen wir eine Erweiterung um gesund- Vielen Dank. heitspolitische und sozioökonomische, aber auch um ökologische und energiepolitische Fragen und Gesichts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten punkte. Insbesondere in der Außen- und Verteidigungs- der CDU/CSU) politik wird daher zu Recht danach verlangt, dass wir einen neuen Sicherheitsbegriff diskutieren, bedenkt man Vizepräsident Wolfgang Kubicki: etwa die europäische Souveränität, zu der es keinerlei Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. De Ridder. – Nächste Alternative gibt. Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Linke. Vielen Dank, Graf Lambsdorff! (Beifall bei der LINKEN) Voraussetzung für unsere Sicherheit im europäischen Kontext etwa ist, dass wir als Staaten der Europäischen Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Union zusammenhalten und dass wir – in der Tat, lieber Guten Abend, Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Roderich Kiesewetter – mit der NATO ein starkes Bünd- Kollegen! Das Letzte, was Deutschland braucht, ist ein nis pflegen. geheim tagender Nationaler Sicherheitsrat. Die AfD will De Gaulle soll einmal gesagt haben, zwischen Ländern den Bundessicherheitsrat entsprechend aufwerten und gebe es keine Freundschaften, sehr wohl aber Interessen. damit noch mehr Entscheidungen, die existenziell für die Sicherheit in Deutschland sind, hinter verschlossene (Zuruf von der AfD: Hat er recht!) Türen verlagern. Der französische Präsident Macron und unsere Verteidi- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Steht da gar gungsministerin Kramp-Karrenbauer haben sich zu nicht drin! Ist doch Blödsinn!) Beginn dieser Woche ein kleines publizistisches Schar- mützel geleistet, was die europäische Souveränität anbe- Sie reden sonst immer nur von Kriegskabinetten, wollen langt. Räumt man einmal alle Missverständnisse, lieber aber eigentlich selbst gerne eines schaffen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24317

Sevim Dağdelen (A) (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Lesen Sie mal Es ist nicht einzusehen, dass weiter grünes Licht für das (C) den Antrag, Frau Kollegin!) Geschäft mit dem Tod gegeben werden soll. Alle Erfah- rung zeigt, dass deutsche Rüstungsexporte mit dazu bei- Die AfD will hier die Entparlamentarisierung der deut- tragen, weltweit Spannungs- und Kriegsgebiete zu schaf- schen Außen- und Sicherheitspolitik, nach dem Idealbild fen oder zu befeuern. Es darf nicht sein, dass der Profit des verblichenen deutschen Kaiserreichs. der Rüstungsschmieden, die davon profitieren, für uns (Armin-Paulus Hampel [AfD]: So ein Quatsch! quasi von existenzieller Bedeutung ist. Blödsinn!) – Doch. Lesen Sie einfach mal Ihren Antrag! Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Frau Kollegin, kommen Sie zum Schluss, bitte. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mit einer Außenpolitik der Geheimkabinette ist Deutsch- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): land in seiner Geschichte nun wahrlich nicht gut gefah- Existenzielle Sicherheitsentscheidungen müssen wie- ren. der im Deutschen Bundestag getroffen werden, wo sie (Beifall bei der LINKEN) von 1949 bis 1955 in der Bundesrepublik auch getroffen wurden, bis Konrad Adenauer seinen Verteidigungsrat Aber zurück in die Gegenwart. Entscheidungen im gegründet hat. geheimen Kabinett des Bundessicherheitsrats gefährden bereits jetzt die Sicherheit in Deutschland und den Frie- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: den weltweit massiv. Stellen wir uns einmal vor, diese geheimen Entscheidungen dieses Ministergremiums Frau Kollegin. über Rüstungsexporte würden auf noch mehr Bereiche ausgedehnt werden, wie das in diesem vorliegenden An- Sevim Dağdelen (DIE LINKE): trag gefordert wird. Was würde das denn bedeuten? Das Und deshalb: Nein zu diesem Antrag. kann meiner Meinung nach niemand ernsthaft wollen, der durch und durch Parlamentarier ist. (Beifall bei der LINKEN)

(Armin-Paulus Hampel [AfD]: Wo steht denn Vizepräsident Wolfgang Kubicki: da was von geheim?) Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Bereits jetzt gefährdet der Bundessicherheitsrat als Kollege Omid Nouripour, Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ausschuss des Bundeskabinetts durch seine Entscheidun- nen. (B) (D) gen über die Kriegswaffenexporte an Diktaturen oder an autoritäre Regime, die nicht zuletzt, wie Saudi-Arabien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Katar, den islamistischen Terrorismus weltweit för- dern, auch die Sicherheit in Europa. Der Bundessicher- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): heitsrat profitiert geradezu davon, dass er eben geheim Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben tagt. So schotten sich die Minister der Union und der SPD vor etwa einem halben Jahr einen Antrag der FDP zum gegen eine öffentliche Diskussion ab. Ihre folgenreichen gleichen Thema behandelt. Herr Kollege Lambsdorff, so Entscheidungen können erst dann öffentlich diskutiert gut war der auch wieder nicht. werden, wenn sie bereits getroffen sind, und das ist eigentlich nichts anderes als eine Aushebelung von (Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Der war demokratischen Prinzipien in einem parlamentarischen brillant!) System. – Bestimmt! Ich gebe aber zu: Verglichen mit dem, was jetzt hier vorliegt, war der brillant – einverstanden. (Beifall bei der LINKEN) Statt das weiter auszuweiten, muss endlich Schluss (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) gemacht werden mit dieser Geheimniskrämerei. Jetzt hat die AfD einen Antrag mit einem ähnlichen Titel vorgelegt. Nachdem ich ihn gelesen habe, frage Eine tatsächliche Reform der deutschen Sicherheits- ich jetzt mal mit den Worten meines großartigen nieder- architektur muss in eine ganz andere Richtung gehen. bayerischen Kollegen Erhard Grundl: Braucht’s des? Entscheidungen über Rüstungsexporte, über Kriegswaf- fenexporte, die müssen vom Bundestag getroffen werden, (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Ja!) die müssen hier öffentlich im Parlament und vor der Öffentlichkeit, vor der Bevölkerung diskutiert werden Ehrlich gesagt: Nein. können. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der LINKEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP) Ich sage das nicht nur als Parlamentarierin, sondern auch als überzeugte Linke. Meine Fraktion ist die einzige Das einzig Spannende daran sind die Grundsätze, die Fraktion hier im Deutschen Bundestag, die Rüstungsex- Sie formulieren und die einen sehr, sehr tiefen Einblick in porte eigentlich generell verbieten will. Ihre Gedankenwelt geben: Absage an die NATO, Absage an die Europäische Union. Die Vereinten Nationen seien (Beifall bei der LINKEN) einfach „eine internationale Organisation“; so werden sie 24318 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Omid Nouripour (A) betitelt. Und dann fordern Sie von der Bundesregierung, Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) sie möge hier bitte „eine nationale Sicherheitsstrategie Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Nächster Red- für die nächsten zwanzig Jahre“ vorlegen. ner ist der Kollege Henning Otte, CDU/CSU-Fraktion.

Vor 20 Jahren hatten wir das Jahr 2000. 9/11 ist seit- (Beifall bei der CDU/CSU) dem passiert, die Besetzung der Krim ist seitdem passiert, die Cyberwelt ist komplett explodiert; das ist eine ganz andere Welt. Was wir 2000 zusammen aufgeschrieben Henning Otte (CDU/CSU): hätten, hätte heute null Komma null Bestand. Was sagt Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- uns das? Sie wollen in eine Vergangenheit, die es nie ren! Der vorliegende Antrag der AfD ist bemerkenswert. gegeben hat. Und das ist das Problem. Bemerkenswert ist etwa – das wurde schon angespro- chen – die Überschrift. Dann fällt er aber stark ab. Des- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- wegen muss man bemerken, dass er viel zu eng im natio- SES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. nalen Kontext verhaftet ist: Alles rein national, deswegen Dr. Daniela De Ridder [SPD]) irrational. Denn Sicherheit ist heute eine gesamtgesell- Das ist nicht nur in diesem Themenbereich so; das sieht schaftliche und eine staatliche Aufgabe, und sie ist im man in ganz vielen Bereichen. Das sieht man beispiels- internationalen Kontext zu sehen. weise auch daran, dass Deutschland – ich zitiere – „seine Dabei ist umfassend zu beachten, dass die Bürger einen Wirtschaftsinteressen aktiv … gegenüber internationalen Anspruch auf Sicherheit haben und dass sie auch bereit Wettbewerbern“ verfolgen soll. Die Mittel beschreiben sind, ihre Freiheitsrechte ein Stück weit einschränken zu Sie nicht genau; aber die schreiben Sie ja in die Sicher- lassen, verbunden mit dem Anspruch, dass der Staat heitsstrategie und nicht in die Wirtschaftsstrategie. Das Schutz liefert. Die Verantwortung für diesen Schutz allein mutet ein bisschen nach Kanonenbootpolitik an; aber wir einem Rat zu übertragen, das ist zu kurz gedacht, meine werden das hoffentlich niemals erfahren. Damen und Herren. Wir müssen im Verhältnis von Dann wird es besonders spannend, wenn Sie sagen, es Sicherheit und Freiheit viel mehr Maß und Mitte finden. gehe hier um den Schutz der Souveränität. Ja, wir sind Und hier beginnt das Problem mit dem Antrag der AfD: alle für den Schutz der Souveränität. Aber bei uns in den Sie finden kein Maß und keine Mitte. Das ist auch gestern Reihen gibt es keine Abgeordneten, über die die russi- in der gesundheitspolitischen Debatte über den Anspruch schen Sicherheitsbehörden schreiben, sie seien unter der Bevölkerung auf Gesundheitsschutz deutlich gewor- kompletter Kontrolle derer. Deshalb ist die Frage: Wer den: Sie ignorieren einfach den Anspruch der Bevölke- tritt hier eigentlich für Souveränität ein, und wer hat sie rung auf Schutz vor der Covid-19-Gefahr und verunsi- (B) längst verkauft? Insofern müssen wir uns von Ihnen nun chern die Bevölkerung. Diese Art von Sicherheitsstruktur (D) wirklich nichts sagen lassen. brauchen wir in Deutschland nicht. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab, meine Damen und Herren. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Armin-Paulus (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hampel [AfD]: Sie glauben auch jeden Die AfD glaubt, mit Einrichtung einer Ministerialstelle Scheiß!) im Kanzleramt Sicherheitsvorsorge abbilden zu können. Das Problem ist: Es ist ja richtig, dass wir mehr Kohä- Wir vertrauen der Ministerialbürokratie; aber wir vertrau- renz brauchen. Aber die Kohärenz darf nicht „versicher- en nicht der AfD, die dem Parlament die Sicherheitsde- heitlicht“ werden; das ist das, was Sie machen. Es gibt ja batte quasi mit Gewalt entziehen will und hier die Axt Gruppen, die tatsächlich Kohärenz schaffen, beispiels- anlegt. Wir haben erprobte Grundsätze der repräsentati- weise die GKKE oder die Plattform Zivile Konfliktbe- ven Demokratie und des Parlamentarismus für den arbeitung, die eine wundervolle Arbeit mit zu wenig Mit- Umgang mit einer umfassenden Verantwortung für unser teln und auch zu wenig Andockung an die Administration Land. machen. (Beifall des Abg. Martin Gerster [SPD]) Und ja: Es ist sehr misslich, wenn der Außenminister Sie suggerieren Souveränität „in einem prosperieren- auf einer Pressekonferenz in Istanbul erfährt, was die den Europa“ – so steht es in dem Antrag –, ignorieren Verteidigungsministerin von sich gegeben hat, die ihm aber gleichzeitig die Verletzung souveräner Staaten. Hier aber eine SMS geschrieben hatte. Und dann ruft der ist die völkerrechtswidrige Annexion der Krim genannt Außenminister dazu auf, dass es eine Lateinamerika-Ini- worden; das ist eben auch von Herrn Nouripour ange- tiative geben soll, und vier Monate später kommt dann sprochen worden. Nicht das Recht des Stärkeren ist maß- der Minister für Entwicklungszusammenarbeit und geblich, sondern für uns ist maßgeblich, dass die Souve- streicht einfach fast alle Gelder, die es für Lateinamerika ränität vom Souverän abgebildet wird und dass wir in der gibt. Das ist keine Kohärenz. Für Kohärenz braucht es Lage sind, uns jeder sicherheitspolitischen Herausforde- politischen Willen, und den gibt es in dieser Bundesre- rung zu stellen, 24/7/365, und das 360 Grad. Das ist gierung nicht. Das ist extrem bedauerlich. Für all das souverän! Man kann nicht die Leitlinien für 20 Jahre fest- braucht es aber keinen Nationalen Sicherheitsrat. legen, wie das hier im Antrag steht. Ihr Antrag spiegelt Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. zwar Ihren begrenzten nationalen Ansatz wider; aber er ignoriert völlig die globalen sicherheitspolitischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herausforderungen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24319

Henning Otte (A) Wir haben den Anspruch, Probleme multilateral zu nett kann dazu ebenso wenig etwas beitragen, wie eine (C) lösen, und zwar nicht immer nur militärisch, nein, viel- scheinbar objektive Regierungsbehörde kein Ersatz für mehr im Rahmen eines vernetzten Ansatzes: diploma- politische Willensbildung sein kann. tisch, bildungspolitisch, wirtschaftspolitisch, eingebun- den in Institutionen wie NATO, EU, OSZE, VN. Das ist (Beifall bei der SPD – Alexander Graf die Strategie. Die Bundesverteidigungsministerin hat Lambsdorff [FDP]: Soll der Nationale Sicher- sehr deutlich gemacht, dass wir die transatlantische Ach- heitsrat ja auch gar nicht!) se wieder stärken wollen, dass wir zusammen mit Frank- Die Aufgabe, die Koordinierung vorzubereiten, auch reich in Europa deutlich machen wollen: Gemeinsam unter Einbeziehung der Sicherheitsbehörden und Nach- schaffen wir Frieden, nicht rein national, wie Sie das richtendienste, liegt im Kanzleramt; da gehört sie auch anstreben. Wir wollen verlässliche Strukturen abbilden hin. In den letzten sieben Jahren war die so koordinierte und gemeinsam Verantwortung übernehmen für Frieden politische Willensbildung durchaus erfolgreich. Auch und Freiheit in einem vereinten Europa. Das ist unsere ohne Sicherheitsrat hat die Koalition den Notwendigkei- Verantwortung. Deswegen ist es verantwortungsvoll, ten Rechnung getragen und zum Beispiel die Verteidi- Ihren Antrag abzulehnen. gungsausgaben bis 2021 um insgesamt bald 50 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. erhöht. Die zitierte Weltpolitikfähigkeit unseres Landes Dr. Daniela De Ridder [SPD]) hängt vom Konsens der Regierungskoalition ab, nicht von einem Nationalen Sicherheitsrat. So funktioniert Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unser politisches System, und es funktioniert gut. Die SPD-Fraktion will daran nichts ändern. Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion. Danke schön. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)

Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Felgentreu. – Letzter Herren! Die Mutter aller nationalen Sicherheitsräte ist Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege der amerikanische. Es handelt sich um eine 1947 geschaf- Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion. fene Regierungsbehörde, in der sich mehrere Minister und die Direktoren der Sicherheitsbehörden versammeln (Beifall bei der CDU/CSU) und die vom Präsidenten persönlich geleitet wird. An (B) diesem Beispiel orientiert sich die in regelmäßigen (D) Abständen wiederholte Forderung, auch in Deutschland Thomas Erndl (CDU/CSU): einen Sicherheitsrat einzuberufen. Begründet wird der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollegin- Vorschlag regelmäßig mit der Notwendigkeit einer besse- nen und Kollegen der AfD, schön, dass Sie sich dem ren Abstimmung der Außen-, Sicherheits-, Verteidi- Thema Sicherheit widmen. Mit Blick auf gestern ist das gungs-, Handels- und Entwicklungspolitik, um endlich zynisch. weltpolitikfähig zu werden. Wie wir von Roderich Kiesewetter gehört haben, sind die Aufzählung und das (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Eigenschaftswort selbst allerdings Zitate aus der Grund- bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und satzrede der Bundesverteidigungsministerin, die sie vor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gestern hielt. Vielleicht kümmern Sie sich erst mal darum, dass alle (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Gute Ihre Fraktionsmitglieder die Sicherheit dieses Hauses res- Dinge muss man wiederholen!) pektieren. Besonders laut erschallt der Ruf nach dem Sicherheits- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Fragen Sie mal rat aus dem Bereich Sicherheit und Verteidigung. Ein Herrn Hilse! – Marianne Schieder [SPD]: Ein Blick in die Geschichte des amerikanischen Vorbilds bisschen Anstand wäre nicht schlecht!) erklärt auch, warum. Der Sicherheitsrat hat dort den Ein- fluss des Verteidigungsministeriums auf die Außenpolitik Dann können wir gern auf das Thema nationale Sicher- massiv gestärkt. Sein allererster Rat an Präsident Truman heit blicken. lief auf eine deutliche Erhöhung des Verteidigungsetats Da fällt Ihnen also am Dienstag, eine gute Stunde nach hinaus. der beeindruckenden Rede unserer Verteidigungsministe- Ich habe Verständnis für jede Amtsinhaberin oder rin, ein, dass Sie mal einen Antrag zum Thema nationale jeden Amtsinhaber im Bendlerblock, die oder den dieses Sicherheit machen. Dazu schnappen Sie sich die Über- Vorbild spontan überzeugt. Es ist dennoch für unsere schrift aus der Rede der Ministerin: Wir brauchen einen politischen Verhältnisse nicht geeignet; denn anders als Nationalen Sicherheitsrat. Vielleicht hätten Sie noch die USA ist Deutschland keine Präsidialdemokratie. Die mehr übernehmen sollen; dann wäre der Antrag vielleicht Koordination der Politikfelder muss bei uns zwingend im besser geworden. Sie listen außen- und sicherheitspoliti- Kabinett erfolgen, weil es sich aus den gleichen Koali- sche Grundsätze auf und reden unter anderem davon, dass tionspartnern zusammensetzt wie die jeweilige parlamen- sich Deutschland wirtschaftlich von Europa abkoppeln tarische Mehrheit. Ein sicherheitspolitisches Nebenkabi- soll. Da kann man nur den Kopf schütteln. 24320 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Thomas Erndl (A) Aber besonderes Kopfschütteln ruft bei mir hervor, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: (C) dass Sie von Sicherheit reden und in Ihrem Antrag kein einziges Mal die NATO und transatlantische Beziehun- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- gen erwähnen. regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Nationaler zur Anpassung der Ergänzungszuweisungen Sicherheitsrat heißt das!) des Bundes nach § 11 Absatz 4 des Finanz- ausgleichsgesetzes und zur Beteiligung des Dieser Antrag ist deshalb abzulehnen, meine Damen und Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten Herren. Das hat mit der Realität unserer Sicherheitspoli- der Länder tik nichts zu tun. Drucksachen 19/23481, 19/24233 (Beifall bei der CDU/CSU) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushalt- Es ist klar, dass wir unsere Sicherheitsarchitektur wei- sausschusses (8. Ausschuss) terentwickeln müssen. Die Herausforderungen ändern Drucksache 19/24482 sich. Die strategische Gesamtlage ändert sich. Da ist es nur selbstverständlich, dass wir über effiziente Entschei- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten dungsprozesse nachdenken müssen. Ich möchte hier be- beschlossen. tonen: Die CSU und die Unionsfraktion haben schon in Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Platz- der Vergangenheit einen Nationalen Sicherheitsrat gefor- wechsel zügig vorzunehmen. dert und Grundsatzpapiere vorgelegt. Das „Weißbuch 2016“, unser letztes großes Dokument, ist Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- auf unsere Initiative hin entstanden. Und ich sage ganz ner dem Kollegen Martin Gerster, SPD-Fraktion, das entschieden: Der Sicherheitsrat muss spätestens in der Wort. nächsten Legislatur angegangen werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Martin Gerster (SPD): Lassen Sie mich hier noch sagen: Wenn wir über Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Sicherheit und Strategie reden, dann müssen wir auch Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bun- über unsere Bundeswehr sprechen. Hier stehen wir an desfamilienministerin Franziska Giffey hatte mit dem einem entscheidenden Punkt: Gute-KiTa-Gesetz damit begonnen, Gesetzen Namen zu Erstens. Haushaltsfragen werden infolge der Pandemie geben, die man sich endlich merken kann. Leider wird (B) (D) schwieriger. Wir müssen aber schauen, dass in den nächs- sich vermutlich kaum jemand an das Gesetz erinnern, das ten Jahren trotzdem genug Geld in unsere Bundeswehr wir jetzt in zweiter und dritter Lesung hier beraten, näm- fließt. Weder globale Entwicklungen noch die Notwen- lich das Gesetz zur Anpassung der Ergänzungszuweisun- digkeiten unserer Streitkräfte warten darauf, dass Corona gen des Bundes nach § 11 Absatz 4 des Finanzausgleichs- vorbei ist. gesetzes und zur Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten der Länder. Zweitens müssen wir auch deshalb weiter in unsere (Otto Fricke [FDP]: Mehr Geld für die Län- Bundeswehr investieren, weil wir jetzt die Chance auf der!) einen transatlantischen Neubeginn haben, und diesen wollen wir nutzen. Das politische Klima wird mit Joe Eigentlich ist das total schade; denn mit diesem Gesetz Biden besser werden, aber auch er wird fordern, dass und den Vorgängergesetzen unterstützen wir von Bundes- Europa seine Versprechen hält. Und das wollen wir auch. seite seit 2015 die Länder und Kommunen sehr verläss- lich bei der Integration von Geflüchteten. In diesem Ge- Meine Damen und Herren, für mich steht fest: Für setz sind es 653 Millionen Euro. strategische Klarheit und effiziente Entscheidungspro- zesse brauchen wir einen Nationalen Sicherheitsrat. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto brauchen auch einen klar definierten sicherheitspoliti- Fricke [FDP]: Deswegen sind ja auch so viele schen Weg für unser Land. Den wird die Unionsfraktion Ländervertreter da!) entschlossen mitgestalten. Hinzu kommt die Unterstützung kleinerer Bundeslän- Herzlichen Dank. der durch eine Erhöhung der sogenannten Sonderbedarfs- Bundesergänzungszuweisungen um 103 Millionen Euro (Beifall bei der CDU/CSU) pro Jahr und vor allem – das ist besonders wichtig in diesem Gesetz – auch durch eine Unterstützung für den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Öffentlichen Gesundheitsdienst in Höhe von 200 Millio- nen Euro als erste Tranche von insgesamt 3,1 Milliarden Vielen Dank Herr Kollege. – Damit schließe ich die Euro in den nächsten Jahren. Das nehmen wir in die Aussprache. Hand, damit wir sofort, aber auch in den nächsten Jahren Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf mehr Personal für den Gesundheitsdienst gewinnen kön- Drucksache 19/24393 an die in der Tagesordnung aufge- nen, damit wir die Digitalisierung voranbringen und die führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- Strukturen modernisieren können, damit wir aber auch weisungsvorschläge? – Ich sehe: Das ist nicht der Fall. die Attraktivität des öffentlichen Gesundheitswesens Dann verfahren wir so. steigern können. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24321

Martin Gerster (A) Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, flüchtlingsbezogener Zahlungen an die Bundesländer: (C) dass man dieses Gesetz auch hätte nennen können „Die- 500 Millionen Euro pro Jahr für neu ankommende oder Koalition-hält-Wort-Gesetz“ oder „Bund-und-Land- für bereits abgelehnte Asylbewerber. Nach fünf Jahren Hand-in-Hand-Gesetz“. Das würde jedenfalls ziemlich solcher Zahlungen könnte man fast schon von einem gut passen. Routinevorgang sprechen, und genau das hat mein Vor- redner auch mehr oder weniger getan. Doch das sollte (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Otto keine Routine sein, wenn nach so langer Zeit Asylbewer- Fricke [FDP]: Mehr-Geld-für-die-Länder-Ge- ber noch immer ungesteuert nach Deutschland kommen. setz!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- Dabei umfasst der vorliegende Gesetzentwurf nur ginnen und Kollegen, schauen Sie sich das mal in Gänze einen ganz kleinen Teil dieser Kosten. Über den ganzen an: 5 Milliarden Euro beim DigitalPakt Schule, vier Bundeshaushalt hinweg reden wir von jährlich über Kitainvestitionsprogramme mit insgesamt 4,4 Milliarden 6 Milliarden Euro, mit denen der Bund die Migrations- Euro, 3 Milliarden Euro beim Onlinezugangsgesetz, wei- kosten kompensiert, etwa über die eben beschlossene tere Investitionen in die Bereitschaftspolizeien der Län- Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kosten der der, 5,5 Milliarden Euro beim Gute-KiTa-Gesetz und ein Unterkunft sowie über viele andere Integrations- und paar Milliarden Euro beim erst vorhin beschlossenen Sozialprogramme. Das sollte man nicht vergessen, Ganztagsfinanzierungsgesetz. wenn man heute nur über diesen kleinen technischen Teil spricht. Alle diese Milliarden sind zu einem guten (Otto Fricke [FDP]: Das ist die Aufgabe des Teil Migrationsfolgekosten, auch wenn die Bundesregie- Bundes, Geld an die Länder zu zahlen?) rung trotz vieler Nachfragen eine genaue Quantifizierung Das alles zeigt an: Der Bund nimmt seine gesamtge- dieser Maßnahmen ganz konsequent verhindert. sellschaftliche Aufgabe wahr und unterstützt Länder und Warum wohl ist der Bund seit 2016 so großzügig bei Kommunen. Das gilt auch, aber eben nicht nur, in Zeiten der Kompensation für die Länder? Die Antwort ist ein- einer Pandemie. fach: Wie auch an vielen anderen Stellen erkauft sich die (Beifall der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Regierung in Sachen Integration das Wohlwollen der Landesfinanzminister und indirekt auch der kommunalen Uns – das muss man an dieser Stelle ganz klar sagen – Kämmerer, die über die Landeszuweisungen ebenfalls kommt es in erster Linie darauf an, die Probleme der stark entlastet werden. Menschen zu lösen und die Herausforderungen in unse- rem Land anzugehen. Dafür interessieren sich, meine ich, Die Versorgung der Flüchtlinge ist für die Länder und die Menschen viel mehr als für die Frage, wer jetzt akri- die Kommunen sehr teuer. Die Migrationspolitik wäre (B) bisch ganz genau wofür zuständig ist. alleine schon wegen der Kosten bei Lokalpolitikern (D) schon lange nicht mehr mehrheitsfähig. Der Bund besei- (Beifall bei der SPD) tigt darum per Geldzuweisung den Widerstand der Län- Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss man der und Gemeinden gegen eine Migrationspolitik, die sagen: Dieses Gesetz liefert sehr viel Gutes, auch Klar- ohne Kompensations- und Schweigegeld in bürgernahen heit. Auch wenn der Name etwas holprig geraten ist, Kommunen schon lange nicht mehr durchsetzbar wäre. sagen wir: Hier muss man zustimmen. Ich glaube, es (Beifall bei der AfD) täte uns allen sehr gut, wenn wir hier eine breite Mehrheit zustande bringen könnten. Die Zustimmung wird dabei inzwischen nicht mehr nur mit Steuergeld, sondern seit 2020 auch mit Neuver- Ganz herzlichen Dank. schuldungsgeld erkauft. Die Perspektive der Länder und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kommunen ist dabei durchaus verständlich: Das mit den der CDU/CSU) Flüchtlingen war 2015 die Idee von Frau Merkel, also soll der Bund gefälligst dafür zahlen. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Richtig wäre Vielen Dank Herr Kollege Gerster. – Ich möchte mich einfach ein grundlegender Politikwechsel: ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen aus den Erstens. Wer nicht asylberechtigt ist, der kommt nicht Fraktionen bedanken, die ihre Kolleginnen und Kollegen ins Land. Man denke etwa an rechtlich durchaus zulässi- darauf hinweisen, wenn sie ihre Maske nicht im Gesicht ge Asylprüfungsverfahren in Afrika. Wieso ist man nicht tragen. Das erspart mir Ordnungsrufe, und das ist doch längst dazu übergegangen? Wenn man Asylanträge in den schön. Die sozialdemokratischen Freunde wissen, wen Herkunftsländern stellen könnte, würde man die ganze ich meine. Also, es geht doch. Schlepperindustrie schlagartig trockenlegen; es gäbe Nächster Redner ist der Kollege Peter Boehringer, dann auch keine Ertrinkenden mehr im Mittelmeer. AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Zweitens. Wer nicht bleibeberechtigt ist, der muss lei- der gehen. In den Niederlanden prüft man Asylanträge in Peter Boehringer (AfD): unter acht Monaten. Bei uns dauert das doppelt so lange, Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! und selbst nach Ablehnung der Anträge werden sehr oft Das Ziel des heute vorliegenden Gesetzentwurfes ist keine Abschiebungen durchgeführt. All das wäre extrem neben zwei technischen Anpassungen die Fortführung effektiv, auch bezüglich der Kosten – von sonstigen 24322 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Peter Boehringer (A) Schäden durch geduldete Gefährder, Islamisten und Kri- können. Wie löst man das Problem pragmatisch? Man (C) minelle ganz zu schweigen. Ist das Populismus? Nein, es löst es pragmatisch durch Amtshilfe der Bundeswehr in ist reine Empirie und Mathematik. vielen Bereichen. Das zeigt aus meiner Sicht mal wieder Richtig wäre zudem, Fluchtursachen abzustellen. Die die Leistungsfähigkeit und -willigkeit der Soldatinnen größte aller Fluchtursachen nach Deutschland, das sind und Soldaten, und deswegen an dieser Stelle einen herz- neben der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Arabien lichen Dank an die Truppe! genau die Sozialleistungen, die hierzulande für Migran- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten bereitgehalten werden. Doch diese Ursache wird mit ordneten der SPD und der FDP) dem Gesetz heute überhaupt nicht angegangen, und des- halb lehnt die AfD-Fraktion den Gesetzentwurf ab. Es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden aus verschie- gibt kein richtiges Verhalten im falschen System. Gehen denen Bereichen in den Verwaltungen abgezogen. Sie Sie endlich die Ursache an, anstatt sich immer wieder mit bekommen eine kurze Einweisung und verfolgen dann Geld aus dem Problem herauszukaufen. die Infektionsketten. So kann man sich kurzzeitig helfen. Aber das führt ja nicht weiter; denn sie fehlen an anderen Herzlichen Dank. Stellen. Das ist ja logisch. Die Aufgaben bleiben liegen. (Beifall bei der AfD) Deswegen ist es so wichtig, den Personalbestand in den öffentlichen Gesundheitsämtern zu erhöhen. Deswegen Vizepräsident Wolfgang Kubicki: wundert mich an dieser Stelle, dass die erste Tranche von 200 Millionen Euro im Vergleich zu der insgesamt Vielen Dank, Herr Kollege Boehringer. – Nächster zugesagten Summe so gering angesetzt ist. Redner ist der Kollege Dr. André Berghegger, CDU/ CSU-Fraktion. (Otto Fricke [FDP]: Das wundert nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU) dich!) Aber dieser Betrag ist mit den Ländern abgestimmt, er ist Dr. André Berghegger (CDU/CSU): so vereinbart, und deswegen schreiben wir ihn fest. Und Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und die Länder müssen an dieser Stelle auch die zweckent- Kollegen! Meine Damen und Herren! Sie können sich sprechende Verwendung der Mittel nachweisen, vorstellen: Ich lege in meiner Rede einen etwas anderen Schwerpunkt. (Otto Fricke [FDP]: Das steht aber nicht im Gesetz! – Peter Boehringer [AfD]: Das steht (Marianne Schieder [SPD]: Hoffentlich! – alles nicht im Gesetz!) Zuruf von der LINKEN: Sehr gut!) (B) und da sei mir die Anmerkung erlaubt: Darauf werden wir (D) „Gesetz zur Anpassung der Ergänzungszuweisungen des auch achten. Bundes nach § 11 Absatz 4 des Finanzausgleichsgesetzes und zur Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezo- Der dritte Schwerpunkt in diesem Gesetz: die Kom- genen Kosten der Länder“ – was für ein sperriger Titel! pensationszahlung an die Länder zum Ausgleich der Kos- Dahinter verbergen sich drei Themenschwerpunkte: ten für Asylbewerber. Mein Vorredner hat das ausführlich Erstens. Eine technische Korrektur: Es gibt besondere aus seiner Sicht beschrieben; ich habe eine andere Mei- Ergänzungszuweisungen an empfangsbedürftige Länder nung dazu. Das Verfahren ist seit 2016 eingeübt. Wie für hohe Kosten der politischen Führung. Das sind funktioniert es? Es werden zuerst Abschlagszahlungen Zuweisungen an zehn Länder. Dahinter verbirgt sich anhand der geschätzten Asylbewerberzahlen geleistet eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes. Das und im Nachgang dann eine Spitzabrechnung anhand verursacht 114 Millionen Euro Mehrbelastung beim der tatsächlich ermittelten Zahlen, tagesgenau anhand Bund; insoweit in Ordnung. der tatsächlich ermittelten Zahlen. Und was wird gezahlt? 670 Euro pro Monat pro Asylbewerber von dem Zeit- Zweitens: die erste Tranche von 200 Millionen Euro punkt der Registrierung bis zur ersten Entscheidung des von zugesagten 3,1 Milliarden Euro für den Pakt für den BAMF und einmalig 670 Euro für jede ablehnende Ent- Öffentlichen Gesundheitsdienst. Das ist eine Umsetzung scheidung. Auch hier liegt eine politische Entscheidung des Beschlusses der Bundeskanzlerin mit den Minister- zugrunde: Die Vereinbarung zwischen Bund und Län- präsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder von dern, dass dieses Verfahren im Jahre 2020 und 2021 fort- Ende September dieses Jahres. Damit werden drei Ziele gesetzt werden soll. verfolgt: den Personalbestand in den öffentlichen Gesundheitsämtern zu erhöhen, die Attraktivität des Eine Anmerkung an dieser Stelle: Hochgerechnet Öffentlichen Gesundheitsdienstes zu erhöhen – dafür bedeuten die aktuellen Zahlen, dass wir in diesem Jahr wird auf der Länderebene ein Maßnahmenbündel sicher- 120 000 Asylbewerber erwarten. Die Zahlen sind bei lich individuell erarbeitet werden –, und die Aus-, Fort- Weitem nicht mehr so hoch wie 2015 und 2016. Und und Weiterbildung im Öffentlichen Gesundheitsdienst deshalb ist aus meiner Sicht finanzpolitisch, haushalte- soll gesteigert werden. risch irgendwann der Punkt gekommen, dass man mal wieder zu der ursprünglichen Kostenteilung zwischen Wir wissen doch alle – wir kriegen das doch jetzt mit –, Bund und Ländern zurückkehren müsste, dass bei dieser Dynamik der Pandemie die öffentlichen Gesundheitsämter an die Leistungsgrenze kommen. Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Inzidenzwerte und die Infektionszahlen sind so hoch, der FDP – Otto Fricke [FDP]: Ach? – Peter dass die Infektionsketten nicht mehr verfolgt werden Boehringer [AfD]: Das steht da nicht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24323

Dr. André Berghegger (A) so wie die Kostenteilung auch gesetzmäßig vorgesehen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (C) ist; denn diese Zahlen kennen wir auch aus vorangegan- ordneten der SPD) genen Jahren oder Jahrzehnten. Die Länder – das haben wir auch schon bei den Vorrednern gehört – werden bei Vizepräsident Wolfgang Kubicki: unserer länder- und kommunalfreundlichen Politik in die- Vielen Dank, Herr Kollege. – Und nun hören wir die ser Hinsicht finanziell nun wirklich nicht überfordert. Worte des Kollegen Otto Fricke, FDP-Fraktion. Insgesamt, liebe Kolleginnen und Kollegen, entlastet dieses Gesetz die Länder, insbesondere die kleineren, und (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Eckhardt Kommunen um rund 1 Milliarde Euro – ein weiteres Bei- Rehberg [CDU/CSU]) spiel für länder- und kommunalfreundliches Handeln die- ser Bundesregierung und des Bundes. Otto Fricke (FDP): (Beifall bei der CDU/CSU – Otto Fricke Geschätzter Herr diensthabender Präsident! Meine [FDP]: Sehr wahr!) lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ich schätze, wenn die Debatte zu einer anderen Zeit statt- Berghegger, die Worte zum Bund-Länder-Verhältnis gefunden hätte, wäre sie natürlich von vielen Vertretern höre ich wohl, allein mir und meiner Fraktion fehlt der der Länderebene begleitet worden, Glaube. (Lachen der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf – er LINKE] – Otto Fricke [FDP]: Mal wieder!) wurde vom Kollegen Berghegger gut erläutert – ist nichts die das alles ordnungsgemäß gewürdigt hätten. Ich unter- anderes als eine Ausführung dessen, was die Regierungs- stelle mal: Es liegt schlicht und ergreifend an der Zeit, ebenen von Bund und Ländern beschließen und wodurch dass die Länderbank nicht vollzählig besetzt ist. Milliarden vom Bund an die Länder fließen. Damit wir das hier noch mal klarmachen: In diesem Jahr hat der (Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit und Bund 30 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen als Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die Länder; im nächsten Jahr sind es 25 Milliarden Euro FDP – Peter Boehringer [AfD]: Nicht vollzäh- weniger. Und dennoch rühmt sich die Koalition, dass sie lig? – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Glaube den Ländern neben all den anderen Hilfen, die wir schon ich nicht!) geben, eine weitere Milliarde zukommen lässt. Das ist Es darf nicht zur Selbstverständlichkeit werden, dass nicht die Wahrnehmung von bundespolitischer Verant- wir hier immer wieder Länder und Kommunen ordnungs- wortung, sondern das ist Geld geben, um Ruhe zu haben. gemäß und mit aller Kraft entlasten. Da macht die FDP nicht mit. (B) (D) (Beifall der Abg. Ute Vogt [SPD]) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir müssen auch mal wieder auf die ursprünglichen der AfD -Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das Zuständigkeiten und die Finanzverantwortung zurück- sieht die FDP in den Ländern aber ganz kommen. anders!) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Im Einzelnen. Bei der Frage der Verrechnung habe ich FDP sowie bei Abgeordneten der AfD – Peter große Zweifel: Ob die Kosten für Asylsuchende und Boehringer [AfD]: Warum tun Sie es nicht?) abgelehnte Asylbewerber nachher wirklich spitz abge- Wir müssen aufpassen, dass wir auch und gerade als rechnet werden oder ob wir nur eine Zwischenabrech- Bund unsere finanzielle Leistungsfähigkeit im Auge nung bekommen, werden wir dann sehen. Wir hatten haben. Sondersituationen, in denen wir helfen wollen mal eine Asylrücklage des Finanzministers von 45 Mil- und in denen wir helfen werden, müssen auch irgend- liarden Euro; sie ist inzwischen auch anderswohin diffun- wann wieder auslaufen, wenn die Grundlage für diese diert. Sie nennt sich „allgemeine Rücklage“ und wird für Hilfe nicht mehr gegeben ist. Schulden verwendet, von denen man noch gar nicht weiß, wie hoch sie sein werden. (Peter Boehringer [AfD]: Das steht da alles nicht!) Übrigens: Es wird vergessen, dass ein weiteres Gesetz geändert wird -das wird nämlich übersehen –: das Dann kommen wir Schritt für Schritt wieder zu der Zukunftsinvestitionsgesetz. Da wird mal eben gesagt: ursprünglichen Aufteilung zurück: Finanzverantwortung Das Gesetz wird aufgehoben, damit es nicht noch Scha- und Aufgabenverantwortung Hand in Hand und nicht zu densersatzansprüche des Bundes gegenüber den Ländern viele Mischverwaltungstatbestände. geben könnte. – Auch da geben wir den Ländern, die (Otto Fricke [FDP]: Vorzüglich! Die Worte hör wirklich sehr zahlreich hier vertreten sind – Ironie ich wohl!) aus –, Möglichkeiten, sich finanziell besserzustellen. Das wäre mal ein Schritt in die richtige Richtung; aber Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, wir haben Vereinbarungen getroffen, die werden einge- 200 Millionen Euro. Ja, schön! Warum nur 200 Millio- halten, die schaffen Vertrauen. Daran halten wir uns auch, nen? Genau! Haben wir jetzt ein dringendes Problem im und deswegen werden wir dieses Gesetz beschließen. Ich Öffentlichen Gesundheitsdienst, ja oder nein? Und wenn empfehle allen die Zustimmung, aber bitte unter Berück- es dringend ist: Wieso werden dann von den angeblich sichtigung der einen oder anderen Anmerkung von mir. versprochenen 4 Milliarden Euro nur 200 Millionen Euro Vielen Dank fürs freundliche Zuhören. bereitgestellt? In der Sache geht man in die richtige Rich- 24324 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Otto Fricke (A) tung, aber faktisch kommt man ja noch nicht einmal aus Rund 200 deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise (C) dem Startblock heraus. Da sollen wir zustimmen? Nein, haben sich bereit erklärt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. das werden wir nicht! Ich finde, meine Fraktion findet: Das ist gelebter Huma- nismus. Das muss von der Bundesregierung unterstützt (Beifall bei der FDP – Patrick Schnieder und darf nicht blockiert werden. [CDU/CSU]: Das hört Ihr Generalsekretär aber nicht so gern!) (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern also die Bundesregierung auf, dieses Ange- Schließlich. Wer will, der lese sich einfach mal den bot endlich anzunehmen und nicht weiter zu blockieren. Gesetzentwurf durch, wenn es um die Sonderbedarfs- Bundesergänzungszuweisungen – das ist für mich das Sie wissen alle: Die Situation auf Lesbos ist seit Jahren Schönste – geht, um dieses wunderbare Gesetz noch absolut unzumutbar. Was muss eigentlich nach Coro- mal in Teilen zu zitieren. Da steht direkt am Anfang, naausbrüchen, Feuern, Überschwemmungen und Angrif- dass mit diesem Gesetz kleine leistungsschwache Länder fen von Rechtsextremen noch passieren, dass die Men- wegen der Kosten der politischen Führung vom Bund schen endlich dort rausgeholt werden? Das ist unwürdig. Geld brauchen: kleine leistungsschwache Länder. Von Die Europäische Union muss hier endlich handeln – und den 16 Ländern sind danach 10 Länder leistungsschwach, natürlich auch die Bundesregierung, meine Damen und obwohl sie 30 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen als Herren. der Bund haben. Ich nenne Ihnen mal einige Beispiele: (Beifall bei der LINKEN) Schleswig-Holstein: kleines leistungsschwaches Land; Sachsen: kleines leistungsschwaches Land. Ernsthaft? Auch auf dem griechischen Festland müssen Men- Ist das wirklich Ihre Meinung? Und dafür geben wir schen unter menschenunwürdigen Bedingungen aushar- dann am Ende 600 Millionen Euro? ren, oft ohne Zugang zu sanitären Anlagen, Wasser und ausreichend Nahrung. Diese Menschen müssen sofort Ich finde, dazu kann einem nur Shakespeare einfallen – evakuiert werden. Ich finde, wir müssen doch wenigstens damit möchte ich dann auch enden –: Hamlet, zweiter damit anfangen, Menschenrechte in Europa durchzuset- Aufzug, zweite Szene. Polonius: Ich dachte, es wäre zen. Wahnsinn und doch steckt Methode dahinter. – Eine (Beifall bei der LINKEN) Methode, der meine Fraktion nicht folgen wird. An Geld – das haben wir ja in den letzten Wochen oft Herzlichen Dank. genug erlebt – kann es nicht liegen. Schauen Sie sich mal die Berechnung der Bundesregierung an, was eigentlich (Beifall bei der FDP) so alles flüchtlingsbezogene Kosten sind. Da sträuben (B) (D) sich einem doch die Haare, wenn man liest, dass zum Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Beispiel auch Auslandseinsätze der Bundeswehr da ein- Vielen Dank, Herr Fricke. – Da sich Ironie im Proto- gerechnet werden. koll so schlecht vermitteln lässt, stelle ich fest, dass die (Victor Perli [DIE LINKE]: So ein Schwach- Bundesratsbank nicht besetzt ist. sinn! Unfassbar!) (Heiterkeit bei der FDP) Damit werden die Kosten extrem hochgetrieben, künst- lich hochgezogen, Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. (Victor Perli [DIE LINKE]: So ist es!) und mit diesen hohen Kosten wird auch Rechtsextremen (Beifall bei der LINKEN) in die Hände gespielt. Das dürfen wir nicht dulden, meine Damen und Herren. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Sie haben wahrscheinlich heute alle den Medien ent- Damen und Herren! Lange hat es gedauert, doch jetzt nommen, dass der Senat von Berlin, die Regierung von erhalten Länder und Kommunen vom Bund endlich die Berlin, jetzt den Bundesinnenminister Seehofer vor dem versprochenen Gelder für die sogenannten flüchtlingsbe- Bundesverwaltungsgericht verklagen will, damit er end- zogenen Kosten. Das wurde höchste Zeit, und darum lich die Aufnahme von Flüchtlingen gestattet. Ich finde, wird Die Linke diesem Gesetz auch zustimmen, meine so einer Klage sollte es eigentlich nicht bedürfen. Die Damen und Herren. Bundesregierung muss aufhören, zu blockieren. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Aber wenn wir hier über flüchtlingsbezogene Kosten (Beifall bei der LINKEN) in Deutschland sprechen, dürfen wir auf keinen Fall die Situation von geflüchteten Menschen vergessen, die vor Vizepräsident Wolfgang Kubicki: und hinter den Mauern Europas unter unmenschlichen Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Lötzsch. – Letzter Bedingungen festgehalten werden. Das muss endlich Redner in dieser Debatte ist der Kollege Stefan Schmidt, ein Ende haben, meine Damen und Herren. Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24325

(A) Stefan Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dern ums Geld: Das ist unwürdig. Das ist auch nicht (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- zweckmäßig. Auf diese Weise können die Kommunen nen und Kollegen! Durch das dynamische Infektions- kaum planen und auch der Bund nicht. geschehen wurden dieser Tage immer wieder neue Sicherheitsmaßnahmen notwendig. Bei alledem möchte Gesundheitswesen, Unterbringung und Versorgung ich heute eine Lanze für die Kommunen brechen: Sie von Geflüchteten und, und, und: Wir müssen die Krise haben sich in den letzten Monaten immer wieder neu nutzen und die Kommunen endlich in die Lage versetzen, auf die Umstände eingestellt. Sie haben schnell Maßnah- ihre Aufgaben in Eigenverantwortung umzusetzen – und men zum Schutz der Menschen eingeleitet. Sie haben das am besten im Rahmen einer Gemeindefinanzreform. bewiesen, dass sie sehr fähige Krisenmanagerinnen Denn auf die Kommunen kommt es an. sind. Dennoch sind mancherorts die Grenzen der Belast- Vielen Dank. barkeit erreicht. Insofern ist es gut, dass heute damit begonnen wird, den Öffentlichen Gesundheitsdienst bes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) serzustellen. Dem werden wir auch zustimmen, auch oder gerade wegen des sperrigen Titels dieses Gesetzentwur- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fes. Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt. – Die Kollegin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sonja Amalie Steffen, SPD-Fraktion, und der Kollege Sebastian Brehm, CDU/CSU-Fraktion, haben ihre Reden Doch was braucht es für eine tatsächliche Verbesse- zu Protokoll gegeben.1) – Damit schließe ich die Aus- rung im Öffentlichen Gesundheitsdienst? Wie viele sprache. zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bräuchte es in den überlasteten Ämtern? Sicherlich nicht nur Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- jeweils vier pro Behörde. Wann sollen sie ihren Dienst desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Anpas- antreten können? Sicherlich nicht erst in der zweiten sung der Ergänzungszuweisungen des Bundes nach § 11 Hälfte nächsten Jahres. Mehr gibt dieses Gesetz an dieser Absatz 4 des Finanzausgleichsgesetzes und zur Beteili- Stelle aber leider nicht her. Gut gemeint ist eben nicht gung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten der immer zwangsläufig gut gemacht. Es braucht mehr Mit- Länder. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be- tel – und das schneller, und daher fordern wir fürs nächste schlussempfehlung auf Drucksache 19/24482, den Ge- Jahr 150 Millionen Euro zusätzlich. setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksachen 19/23481 und 19/24233 in der Ausschussfassung anzu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in (B) der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- (D) Der Bund muss die Gesundheitsämter bestmöglich un- zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kei- terstützen, und die Finanzhilfen dürfen nicht mit der ne. Dann ist dieser Gesetzentwurf in der zweiten Bera- Gießkanne verteilt werden. Sie müssen zielgerichtet tung gegen die Stimmen der Fraktionen der AfD und der dort ankommen, wo die Ämter ihrer Arbeitsbelastung FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses kaum noch Herr werden. angenommen. Ein weiterer Schwachpunkt des Gesetzentwurfs ist, Dritte Beratung dass unklar bleibt, wie es nach 2027 weitergeht. Dann sollen die Bundesmittel nämlich nicht mehr fließen. Jetzt und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem eine Struktur aufbauen und nachher die Verantwortung Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – für ihre Fortführung den Ländern vor die Füße kippen: Was für ein schönes Bild! Wir wissen von vielen anderen vergleichbaren Finanzie- rungen, welche Probleme das häufig mit sich bringt. Ich (Heiterkeit) will dabei ausdrücklich nicht sagen: Der Bund muss wei- Wer stimmt dagegen? ter bezahlen. Aber ich finde: Der Bund muss gemeinsam mit den Ländern die Verantwortung übernehmen, wie wir (Stephan Thomae [FDP]: Auch ein schönes die Strukturen aufrechterhalten. Bild! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die AfD mit der FDP! – Heiterkeit) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]: Ach, für die Verwaltung Enthaltungen? – Dann stelle ich fest, dass dieser Gesetz- sind wir auch noch zuständig?) entwurf in der dritten Beratung und Schlussabstimmung gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und der Fraktion Bei den Bedarfen für Geflüchtete ist es ganz ähnlich – der FDP mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des deren Finanzierung hat das Gesetz ja auch zum Gegen- Hauses angenommen ist. stand –: Es ist gut, dass sich der Bund finanziell beteiligt, und es ist auch gut, dass die Bundesmittel jetzt doch noch Meine Bemerkung mit dem schönen Bild bezog sich spitz abgerechnet werden können. Aber die Hilfen errei- übrigens auf das , und zwar egal, bei wem. chen nicht zwangsläufig die Orte, an denen sie am drin- gendsten benötigt werden. (Heiterkeit) Wir brauchen endlich ein bedarfsorientiertes überjähri- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf: ges System, um die Flüchtlingskosten zu schultern. Jedes Jahr erneut dieses Geschacher zwischen Bund und Län- 1) Anlage 4 24326 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ich frage mich: Wie sollen wir damit umgehen? Sollen (C) Reinhard Houben, Michael Theurer, Dr. Marcel wir jetzt alle unsere Reden zu Protokoll geben? Klinge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Gute Idee!) Mit Gründergeist aus der Krise – Neue Chan- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: cen für junge Unternehmer Herr Kollege Houben, ich bin ja nicht derjenige, der Drucksache 19/23860 beim Spiel „Sie fragen, ich antworte“ mitspielen muss. Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Finanzausschuss Reinhard Houben (FDP): Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es wäre so schön gewesen. Ausschuss Digitale Agenda

Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: beschlossen. Aber es gibt parlamentarische Möglichkeiten, die Ihr (Abg. Reinhard Houben [FDP] begibt sich zum Parlamentarischer Geschäftsführer auch kennt; jedenfalls Rednerpult) andere Parlamentarische Geschäftsführer kennen sie. – Herr Kollege Houben, es gilt nach wie vor der Grund- (Staatsminister Dr. Hendrik Hoppenstedt satz, dass ich aufrufe. begibt sich zum Präsidium) (Reinhard Houben [FDP]: Soll ich jetzt noch Herr Staatsminister Hoppenstedt erklärt, man versu- mal zurückgehen?) che, jemanden zu erreichen; es könne auch nicht so lange dauern. Ich weiß jetzt nicht, ob das die Intervention der – Ja, das wäre ganz angemessen. Bundesregierung war, uns zu bitten, zu warten, oder so. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Otto Fricke [FDP]: Oder die Wartezeit zu LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der verlängern!) FDP) Aber da wir in einer Debatte sind, Herr Kollege Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolle- Houben, haben Sie nach wie vor das Wort. – Es muss ginnen und Kollegen, den Platzwechsel relativ zügig vor- sich hierbei um eine Zwischenfrage handeln, Herr Kolle- zunehmen. ge Thomae, bitte. (B) (Stephan Thomae [FDP]: Schon erledigt! – (D) Unruhe) Stephan Thomae (FDP): – Herr Kollege Houben, solange hier so eine Unruhe ist, Ich habe mich schon gemeldet mit dem Antrag, den macht es auch keinen Sinn, dass Sie reden; das kann ich Minister herbeizurufen. schon sicher sagen. (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber nicht (Stephan Thomae [FDP]: Es macht immer während einer Rede! Können Sie danach tun! – Sinn, wenn Herr Houben redet!) Zurufe von der SPD: Oh nein!) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Reinhard Houben, FDP-Fraktion, das Wort. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie bringen mich jetzt wirklich in Schwierigkeiten, (Beifall bei der FDP) Herr Kollege Thomae, weil in der Tat der Zwischenruf des wiedererwachten Kollegen Dehm „Nicht während Reinhard Houben (FDP): einer Rede!“ zutreffend ist. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas eilig hier nach vorne gegangen, weil wir jetzt ein (Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Immer hell- Thema besprechen, das das Wirtschaftsministerium wach! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: betrifft, und weder der Minister noch irgendjemand ande- Beenden Sie einfach Ihre Rede, Herr Houben!) res aus dem Ministerium, zum Beispiel ein Staatssekretär, – Genau. – Ich würde mal sagen: Herr Kollege Houben, zur Verfügung steht. beenden Sie Ihre Rede, und danach werde ich diesen (Stephan Thomae [FDP]: Das ist unglaub- Geschäftsordnungsantrag zur Abstimmung aufrufen. lich! – Dr. Marcel Klinge [FDP]: Unglaublich!) Ich frage Sie, Herr Präsident: Wie machen wir da weiter? Reinhard Houben (FDP): Gut. – Meine Damen und Herren, es ist deutlich: Wir Werden wir als Parlament inzwischen noch nicht mal so haben Gründerwoche, aber das Interesse des Wirtschafts- wahrgenommen, dass einer der Parlamentarischen Staats- ministeriums ist scheinbar nicht nur im Plenum gleich sekretäre sich bemüht, um 21 Uhr hier ins Plenum zu kommen? null, sondern auch sonst. Es wird für diese wichtige Woche keine Werbung betrieben. Es wird nichts gemacht. (Dr. Marcel Klinge [FDP]: Das passt ins Bild! – Es finden Hunderte von Veranstaltungen in Deutschland Stephan Thomae [FDP]: Die schlafen wie statt, aber offensichtlich hat die Bundesregierung an jun- immer!) gen Gründern kein Interesse. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24327

Reinhard Houben (A) (Beifall bei der FDP – Mark Hauptmann – Auch diese kann das. (C) [CDU/CSU]: Doch! Sie sind ja bei Szene und nicht hier im Haus!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: – Herr Hauptmann, wenn Sie meinen, mit solchen Zwi- Wunderbar! – Dann erhält jetzt die Kollegin Astrid schenbemerkungen die Fehlleistungen Ihrer Regierung Grotelüschen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. kompensieren zu können, dann kann ich nur sagen: Sie müssen sich noch ein bisschen mehr bemühen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Wichtig ist, meine Damen und Herren – – Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Die Staatssek- Kollegen! Liebe Zuhörer! Herr Houben, ich glaube, ich retärin ist da! – Manfred Grund [CDU/CSU]: habe den Antrag Ihrer Fraktion intensiver gelesen und Noch viel besser!) werde mehr Inhalte vortragen, als Sie das gerade in Ihrer – Frau Staatssekretärin, ich begrüße Sie hier. Frau Redezeit getan haben. Winkelmeier-Becker, immerhin sind Sie gekommen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Besser spät als nie! Dass Gründungen wichtig sind, haben wir auch aktuell Macht ja nix! Der Antrag kommt ja noch in den Aus- zur Kenntnis nehmen können. Wir denken an die Covid- schuss; das ist so. 19-Impfstoffe. Interessanterweise wurde das betreffende (Zuruf des Abg. Reinhard Houben [FDP]) Unternehmen von einem Ehepaar mit türkischen Wurzeln gegründet. Gerade Ausländer oder Menschen mit einem Der Antrag, über den wir heute beraten, ist betitelt mit Migrationshintergrund sind besonders erfolgreich bei der „Mit Gründergeist aus der Krise – Neue Chancen für Gründung von Unternehmen, und wir sollten sie beson- junge Unternehmer“. Mit dieser Überschrift findet er ders unterstützen. zunächst einmal mein Interesse. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall des Abg. Dr. Wieland Schinnenburg der LINKEN) [FDP]) Wir haben in unserem Land ein enormes Potenzial. Wir Denn das Thema „Gründen“ ist insgesamt wichtig. Jede leben davon, was die Menschen in Deutschland zwischen einzelne Gründung, egal ob als Neustart, in einer Unter- den Ohren haben, und nicht davon, was wir vielleicht nehmensnachfolge oder als Start-up, als Dienstleistung (B) unter unseren Füßen gerne hätten, nämlich Gold oder oder im Handwerk, stärkt den Wirtschaftsstandort (D) Öl. Wir brauchen also Anstrengungen, wir brauchen Deutschland und natürlich auch die jeweilige Gründ- Engagement. An dieser Stelle möchte ich sagen: Wir erregion. Deshalb gestalten wir als Union gemeinsam sollten die Menschen mehr ermutigen. mit dem Wirtschaftsministerium, das nun dankenswerter- (Beifall bei der FDP) weise durch die Staatssekretärin Elisabeth Winkelmeier- Gerade die Jugend muss ermutigt werden, den Weg zu Becker vertreten ist, genau unter diesem Aspekt unsere gehen in Eigenverantwortung, in unternehmerische Politik. Tätigkeiten. Dazu trägt unser Antrag bei. Wir freuen Die Coronapandemie hat Auswirkungen auf die wirt- uns auf die Debatte darüber. Und wir würden uns freuen, schaftliche Leistungsfähigkeit. Ob sie jedoch dazu führt, wenn Sie am Ende Ideen, die wir hier vorgetragen haben, dass es zu weniger Gründungsgeschehen kommt, ist aus dann auch aufnehmen würden. meiner Sicht noch zu hinterfragen; Herr Houben, Sie Vielen Dank. haben das in Ihrem Antrag angesprochen. Wie heißt es doch so schön im Volksmund: Not macht erfinderisch. (Beifall bei der FDP – Mark Hauptmann Das bedeutet einfach, dass es gerade in Krisen möglicher- [CDU/CSU]: Sie haben nicht einen einzigen weise zu ganz wertvollen Impulsen kommt, den Schritt in Punkt vorgetragen! Tut mir leid, war null!) die Selbstständigkeit zu wagen. Ich kann sagen: Die aktuellen Gründungszahlen in meiner Heimat, im Land- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: kreis Oldenburg, also in meinem Wahlkreis, lassen das Vielen Dank, Herr Kollege Houben. hoffen. Sie sind jedenfalls stabil. Herr Kollege Thomae, da nun das Ministerium vertre- Im Gegensatz dazu zeichnen Sie von der FDP ein ten ist, vermute ich mal – auch wenn die Restaurants wirklich düsteres Bild. Sie sprechen vom Ende unserer geschlossen sind und wir sonst nicht wissen, was wir Gründungskultur. Das gelingt Ihnen nur, weil Sie teil- tun sollen –, dass sich Ihr Antrag, den Minister herbei- weise die Zahlen heraussuchen oder die Zusammenhänge zuzitieren, damit erledigt hat. herstellen, die genau dieses Bild bestärken sollen. Ich will deshalb Ihre im Fokus stehenden Aussagen auf der Stephan Thomae (FDP): Grundlage der gleichen Daten um die positiven RKW- Nach den Gepflogenheiten des Hauses kann auch ein Zahlen ergänzen, die Sie uns vorenthalten haben. Staatssekretär die Regierung vertreten. Erstens. Wir können uns freuen über die höchste TEA- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Eine Staatssek- Gründungsquote im zweiten Jahr hintereinander. Sie liegt retärin!) jetzt bei 7,6 Prozent. 24328 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Astrid Grotelüschen (A) Zweitens. Nach Angaben des RKW ist das Wachstum Genau deshalb sollten wir als Politik das tun. Wir sollten (C) vor allem auf sehr junge Gründerpersonen, nämlich auf Mut machen und begleiten auf dem Weg zum Traumberuf die Gruppen der 18- bis 24-Jährigen und der 25- bis 34- des Gründers. Jährigen, zurückzuführen. Herzlichen Dank fürs Zuhören. Ich finde, beide Veränderungen sind wirklich Grund (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. zur Freude. Wir haben insgesamt 10 Prozent mehr Men- Falko Mohrs [SPD]) schen, die den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, als noch im Jahr 2018. Das zeigt: Wir sind mit unseren Maß- nahmen insgesamt auf einem richtigen Weg, und wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: setzen zielgerichtete Impulse für Gründerinnen und Vielen Dank, Frau Kollegin Grotelüschen. – Nächster Gründer. Redner ist der Kollege Enrico Komning, AfD-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der AfD) des Abg. Falko Mohrs [SPD]) Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden An- Enrico Komning (AfD): trag versucht die FDP, insbesondere auf minderjährige Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Gründer einzugehen. Und das meinte ich eben damit, ren Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, Ihr Antrag als ich sagte: Ich habe keinen Satz dazu gehört. „Ver- heute kommt ja ganz unschuldig daher, so als ob es die sucht“ ist der richtige Ausdruck; denn es gelingt Ihnen vergangenen Monate überhaupt nicht gegeben hätte. Er nicht wirklich. Das liegt natürlich an der Argumentation sagt im Grunde, dass Sie überhaupt nicht verstanden und den daraus abgeleiteten Maßnahmen. Sie wechseln haben, was in diesem Land gerade vorgeht – Gründ- halt ganz oft die Perspektive: minderjährige Gründer, all- erwoche hin, Gründerwoche her. gemeines Gründungsgeschehen. Es geht in diesem Moment nicht mehr darum, die Zahl Was den Antrag natürlich qualitativ – wenn ich das mal der Unternehmensgründer wieder zu steigern. Es geht in so sagen darf – herunterzieht, diesem Moment nicht mehr darum, Rahmenbedingungen zu verbessern. Es geht in diesem Moment darum, freies (Zurufe von der FDP) Unternehmertum überhaupt zu retten, liebe Kollegen von ist die Tatsache, dass zu drei viertel Forderungen aufge- der FDP. stellt werden, die durchaus richtig sind, die aber nicht in (Beifall bei der AfD) die Gestaltungsmöglichkeit des Bundes fallen. So spre- chen Sie zum größten Teil von Aufgaben, die die Kultus- Denn diese Regierung führt unser Land geradewegs in (B) und Bauministerien der Länder betreffen. Die Aufgaben einen Staatsbankrott mit der Folge einer Staatswirtschaft, (D) reichen teilweise bis auf die Kommunalebene wie der und in einer solchen haben Mittelstand und Start-ups geforderte günstige Miet- oder Arbeitsraum. keinen Platz mehr. (Zurufe von der FDP) Natürlich beinhaltet Ihr Antrag ganz vernünftige For- derungen. Ich kann als noch aktive Kommunalpolitikerin nur sagen: Wir haben doch hier auch eine Eigeninitiative. Sie ist Die Etablierung eines Schulfachs „Wirtschaftslehre“ gefragt und sollte auch dort bleiben. Auch hier nenne wäre gut und wichtig. Wichtiger wäre aber, dass es über- ich wieder als Beispiel meine Region mit dem Gründ- haupt wieder geregelten Unterricht an Schulen und Hoch- erzentrum Oldenburg, der Uni, der Wirtschaftsförderung, schulen gibt. der örtlichen Handwerkskammer oder der IHK, die ge- (Beifall bei Abgeordneten der AfD) meinsam mit Seniormentoren und Meisterbetrieben wirk- lich beispielhaft für Gründer eintreten und sie begleiten. Die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingun- gen für minderjährige Gründer ist richtig und auch wich- Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht aus- tig. Wichtiger wäre aber, dass die Menschen überhaupt drücklich auf Finanzierungsinstrumente eingehen, weil wieder ihren Berufen nachkommen können, dass die will- ich mich im Rahmen meiner Zeit nur auf die inhaltlichen kürlich verhängten Berufsverbote aufgehoben werden. Forderungen Ihres Antrags beziehen kann. Ich will des- halb zum Schluss kommen mit dem Hinweis auf die vor (Beifall bei der AfD) zwei Jahren erfolgreich gestartete Gründeroffensive des Die Bereitstellung von mehr Wagniskapital für junge Wirtschaftsministeriums, die zehn zentrale Punkte für Unternehmen und Start-ups vor allem in der Wachstums- Gründungen definiert und auch eine Vielzahl modern- phase durch Zukunftsfonds ist richtig und wichtig. isierter Maßnahmen umsetzt. Ich finde, ein klasse For- mat! (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wichtiger wäre aber eine Geldpolitik, die die elende (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) Benachteiligung des Mittelstands zugunsten der Konzer- Herr Houben, Sie haben es auch angesprochen: Die ne und Finanzinvestoren endlich beendet. Gründerwoche ist ein Beispiel. Sie läuft noch bis Sonntag mit über 1 600 Akteuren. Die zentrale Botschaft in die- (Beifall bei der AfD) sem Jahr ist: Mut machen. Denn, um mit den Worten von Die Entbürokratisierung durch Digitalisierung von Walt Disney zu sprechen: „Alle Träume können wahr Verwaltung ist richtig und wichtig, besonders wichtig werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen.“ sogar; denn wenn die Exekutive hier besondere Anstren- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24329

Enrico Komning (A) gungen unternimmt, hat sie vielleicht nicht mehr so viele dann müssen Sie eben auch das gesamte Bild an der Stelle (C) Kapazitäten für die Einmischung in das Privatleben der abdecken, das in den Studien, die Sie anführen, darge- Menschen. stellt wird. Die wichtigste Forderung, meine Damen und Herren Meine Damen und Herren, der Start-up-Monitor aus von der FDP, haben Sie in Ihrem Antrag allerdings ver- dem letzten Jahr zum Beispiel hat deutlich gemacht, gessen, nämlich die nach der Wiederherstellung von Frei- dass über die Hälfte, 60 Prozent, aller Jungunternehme- heit und Rechtsstaatlichkeit. Denn ohne die ist ein freies rinnen und -unternehmer sehr optimistisch in die Zukunft Unternehmertum, egal ob für jüngere oder für ältere Men- gucken, davon ausgehen, dass ihre Geschäfte besser wer- schen, schlichtweg nicht denkbar. den, planen, Menschen einzustellen, im Durchschnitt acht Personen pro junges Unternehmen. Das sind doch (Beifall bei der AfD) Perspektiven, die deutlich machen, welches Potenzial der Auch wenn wir junges Unternehmertum besonders för- deutschen Innovationskraft in den jungen Unternehmen dern wollen, dürfen wir nicht die Balance aus den Augen in unserem Land steckt. verlieren. Für den Wiederaufbau dieses Landes nach der (Beifall bei der SPD) Merkel-Ära werden wir mehr Unternehmer brauchen, werden wir mehr auch junge Unternehmer brauchen. Der Monitor zeigt aber eben auch – und deswegen Der vor dem Lockdown vorhandene Fachkräftemangel müssen wir uns damit auseinandersetzen –, wo Bedarf wird sich nach dem Lockdown eher noch verstärken. ist. Es sagen an der Stelle über ein Drittel der Unterneh- Auch die Landflucht wird eher zunehmen als sich umkeh- men, dass sie besser und mehr wachsen könnten, wenn sie ren. Besonders wichtig wird es also sein, die jungen Men- einen besseren Zugang zu Kapital hätten. Deswegen ist schen auch an das Handwerk heranzuführen. Wir brau- genau das einer der Schwerpunkte, die wir uns in der chen eben nicht nur Ingenieure, sondern auch Techniker. Bundesregierung, in der Koalition vorgenommen haben. Das duale Ausbildungssystem muss gestärkt werden und Wir werden mit dem Zukunftsfonds – ich vermute, das attraktiver werden. haben Sie wahrgenommen – 10 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um zweierlei zu machen: Wichtig wird sein, die ländlichen Räume zu stärken, indem besonders dort Schul- und Weiterbildung erhalten Auf der einen Seite machen wir das, was in den letzten bleiben oder vielmehr erst wieder ermöglicht werden. Jahren gut lief. Wir stellen insbesondere in der Gründ- Wichtig wird sein, dass mobiles Arbeiten gerade auch ungsphase Kapital für Unternehmen bereit: durch EXIST, in den ländlichen Räumen durch massiven und beschleu- durch Coparion, den High-Tech Gründerfonds oder die nigten Ausbau der digitalen Infrastruktur ermöglicht neugegründete KfW Capital. Wir sagen: Das ist die eine wird. Säule, mit der wir mehr von dem machen, was gut in (B) unserem Land funktioniert, um junge Gründerinnen und (D) Meine Damen und Herren, Zivilisationsbrüche haben Gründer zu unterstützen. auch immer Chancen eröffnet. Nutzen wir sie gemeinsam für unser Land und für seine Bürger! Über die zweite Hälfte dieser 10 Milliarden Euro sagen wir: Es gibt in Deutschland einen Bedarf nicht nur in der Vielen Dank. Anfangsphase von Unternehmen, sondern auch, wenn es (Beifall bei der AfD) um die Skalierung, wenn es ums Wachstum geht, dort, wo eben Finanzierungsrunden im zweistelligen Millionenbe- reich notwendig sind. Mit der zweiten Säule dieses Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Zukunftsfonds werden wir genau hier für zusätzliches Vielen Dank, Herr Kollege Komning. – Nächster Red- Geld sorgen. Dort wollen wir mit dem Geld des Staates, ner ist der Kollege Falko Mohrs, SPD-Fraktion. des Bundes, mit unser aller Geld privates Geld hebeln, (Beifall bei der SPD) sprich sein Dazubringen anregen, um am Ende die Lücke bei der Finanzierung, die die Unternehmen haben, zu schließen. Falko Mohrs (SPD): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Meine Damen und Herren, so geht es, wenn man sich ren! Wir kommen zu einer doch lebhaften Debatte heute mit den wirklichen Fakten, den Erkenntnissen der Stu- Abend: Deutschland als Land der Dichter und Denker dien auseinandersetzt. Dann handelt man nämlich. Der und – wir würden uns das natürlich alle wünschen – Zukunftsfonds, den wir hier planen, ist genau dafür ein Deutschland als Land der Gründerinnen und Gründer. Beweis. Es gibt Erfolgsgeschichten; CureVac ist erwähnt worden. (Beifall bei der SPD) Das ist, glaube ich, eine der Erfolgsgeschichten, die gera- Wir haben eine große Aufgabe – auch das ist ein de in verdammt schwierigen Zeiten, wie wir sie als Land Ergebnis aus dem Monitor –, weil wir bei der Frage der durchleben, Hoffnung macht, eine Erfolgsgeschichte Mitarbeiterbeteiligung bessere Regeln brauchen. Wir eines jungen Unternehmens. Aber – das ist ja auch mehr- haben nämlich zum Beispiel beim Dry Income heute fach angesprochen worden – wir haben auf dem Weg zu die Situation, dass, wenn ein Unternehmen seine Mitar- dem Ziel, vielleicht Gründungsland Nummer eins zu wer- beiterinnen und Mitarbeiter beteiligt – übrigens machen den, in der Tat noch ein bisschen Wegstrecke vor uns. das rund 80 Prozent der Start-ups auch –, das Einkommen Aber, Herr Houben, wenn Sie sich in Ihrem Antrag beim Zufluss der Beteiligung, wo aber gar kein Geld schon auf den RKW-Gründungsmonitor beziehen – da fließt, besteuert werden muss. Deswegen wird es hier gebe ich der Kollegin Grotelüschen ausdrücklich recht –, ganz kurzfristig eine Änderung geben, sodass das Dry 24330 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Falko Mohrs (A) Income, also das Einkommen durch die Mitarbeiterbetei- (Beifall bei der LINKEN) (C) ligung, eben nicht beim Zufluss der Beteiligung, sondern Es muss aber auch einen gewissen Schutz geben, dass dann, wenn man sie in Gehalt umwandelt, besteuert wer- sich junge Menschen nicht Konsequenzen aufladen, die den wird. Ein echter Gewinn gerade für viele Unterneh- nachher ihr ganzes Leben – oder zumindest große Teile men, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Erfolg davon – negativ prägen können. Der Slogan „Fördern und beteiligen wollen. Fordern“ wäre hier trefflicher angebracht als im Sozial- (Beifall bei der SPD) gesetzbuch. Also, meine Damen und Herren: Wir haben erkannt, (Beifall bei der LINKEN) was die Gründerinnen und Gründer in unserem Land brauchen. Wir packen es an. Wir packen es an, dass in Junge Menschen, die ihre Kreativität ausleben wollen, Zukunft mehr Frauen gründen können. Wir packen es an, indem sie sich selbstständig machen, müssen mehr geför- dass insbesondere im Bereich von sozialen und nachhal- dert werden. tigen verantwortungsvollen Gründungen, im Social Ent- Es muss aber auch ein spezielles Sicherheitsnetz ein- repreneurship, gegründet werden kann. Und, meine gebaut werden. Selbstständigkeit heißt in Deutschland Damen und Herren, wir haben nicht nur die Hightech- auch, dass man nicht automatisch in den gesetzlichen gründungen in den Großstädten im Blick, sondern wir Sicherungssystemen drin ist. Deshalb unterstreicht die schauen eben auch, wie wir gerade auch im Mittelstand, Linksfraktion ihre grundsätzliche Forderung, dass alle im Handwerksbereich vielen Gründerinnen und Gründ- Einkommen in die gesetzlichen Sicherungssysteme ein- ern in der Fläche helfen können. zahlen müssen – also in Gesundheit, Pflege, Rente und Das, meine Damen und Herren, ist unsere Politik, Schutz vor Erwerbslosigkeit. wenn es um Gründungen geht, statt auf der Grundlage der Hälfte der Zahlen halbdünne Anträge zu schreiben. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Spätestens hier unterscheiden wir uns von den Antrag- stellern der FDP-Fraktion. Lassen Sie mich deswegen zum Abschluss mal ein Wort direkt an die Menschen in unserem Land richten, Worüber wir aber vor allen Dingen ernsthaft nachden- die mutig sind, die Verantwortung als Gründerinnen oder ken müssen, ist die Frage: Wann ist ein junger Mensch Gründer übernehmen, und das in schwierigen Monaten: volljährig? Volljährigkeit, Geschäftsfähigkeit, Strafmün- Danke Ihnen – danke Ihnen dafür, dass Sie mutig sind, digkeit, eigene Haftung, Haftung der Erziehungsberech- und danke dafür, dass Sie auch in schwierigen Zeiten tigten: alles spannende und gleichzeitig auch sehr kom- plizierte juristische Fragen. Ich bin fest davon überzeugt, (B) Verantwortung übernehmen für Ihre Mitarbeiterinnen (D) und Mitarbeiter. Wir brauchen Sie in solch schwierigen dass die harte Grenze von 18 Jahren, was die Volljährig- Zeiten mehr denn je. Vielen Dank für Ihren Mut! Vielen keit angeht, nicht mehr zeitgemäß ist. Dank für Ihre Verantwortung! Was aber gar nicht geht, ist, dass unter 18-Jährige sehr (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wohl ein Unternehmen gründen oder auch den Führer- der CDU/CSU) schein machen können; aber das Wahlrecht hier für den Bundestag bekommen sie nicht. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Linke. Nein! Entweder lassen wir alles so, wie es ist, oder – und das wäre mein Ansinnen – wir öffnen diese starre Alters- (Beifall bei der LINKEN) grenze. (Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Auf welches Thomas Lutze (DIE LINKE): Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsi- Alter denn?) dent! Wenn man den Zahlen der FDP-Fraktion Glauben Gestatten Sie mir noch eine letzte Anmerkung, auf die schenken darf, dann gibt es in unserem Land deutlich mich mein geschätzter Kollege Diether Dehm, mittel- weniger junge Unternehmerinnen und Unternehmer. standspolitischer Sprecher unserer Fraktion, hingewiesen Und es gibt auch weniger Unternehmensgründungen in hat: Wenn Sie jungen Unternehmen wirklich helfen wol- dieser Altersgruppe, beides im Vergleich zu anderen len, dann geben Sie ihnen endlich eine Chance, und zwar, Wirtschaftsnationen. Das ist sicherlich kein Zufall; das indem sie auch mehr öffentliche Aufträge für ihre Arbeit hat Ursachen. Und es ist sehr spannend, konstruktiv darü- bekommen. ber nachzudenken, ob sich das ändern muss und mit wel- chen Mitteln man dann am besten vorgeht. Vielen Dank. Junge Menschen haben in der Regel die Eigenschaft, (Beifall bei der LINKEN) Dinge grundsätzlich anders zu machen als die Generatio- nen vor ihnen. Und ja, auch die Wahrscheinlichkeit, dass Vizepräsident Wolfgang Kubicki: mal etwas schiefläuft, ist höher, weil Erfahrungen fehlen Vielen Dank, Herr Kollege Lutze. – Nächste Rednerin und Fehler gemacht werden. Solange die Betroffenen ist die Kollegin Claudia Müller, Bündnis 90/Die Grünen. aber aus den Fehlern lernen, sollte das weniger ein Pro- blem sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24331

(A) Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Thema Zukunftsfonds ist ebenfalls angesprochen (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- worden. Gerade in Zeiten von klammen Kassen wäre es nen und Kollegen, besonders der FDP! Ihre Überschriften aber sinnvoll, hier sehr zielgerichtet zu fördern, insbeson- klingen ja immer toll. dere nachhaltige, sogenannte Moonshot-Projekte. Das sind Bereiche wie GreenTech, künstliche Intelligenz, (Beifall des Abg. Reinhard Houben [FDP]) nachhaltige Mobilität oder Life Science mit meist sehr Beim Lesen entpuppen sich Ihre Anträge aber leider häu- komplexen Geschäftsmodellen, bei denen es noch fig als Luftballons, schwieriger ist, am Markt eine Finanzierung zu bekom- men. One-Stop-Shop, weniger Bürokratie, bessere Förde- (Zurufe von der FDP) rung von Social Entrepreneurship – fordern wir alles auch die Luft verlierend durch den Raum fliegen und schließ- und haben wir auch schon früher in Anträge gegossen. lich inhaltslos auf hartem Boden landen. Ganz besonders am Herzen liegt uns hier die Förde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rung von Frauen. So haben wir zum Beispiel, ähnlich wie sowie bei Abgeordneten der SPD – Falko in Irland mit dem Competitive Start Fund for Female Mohrs [SPD]: Leider wahr!) Entrepreneurs, einen entsprechenden Fonds bei der KfW gefordert. Denn Gründerinnen erhalten nachweis- Gründergeist stärken: Das finden wir natürlich auch lich weiterhin seltener einen Kredit als Gründer. Das gut und wollen auch, dass hier in den Schulen mehr pas- Gleiche gilt für junge Menschen und Menschen mit siert, und zwar egal ob an Gymnasium, Real- oder Migrationshintergrund. Gesamtschule. Verständnis für die Wirtschaft und unter- nehmerisches Handeln: Dazu gehört aber auch die Anlei- Apropos Gründerinnen. Liebe FDP, im Titel des tung von Mitarbeitenden, Rechte von Angestellten, Antrags steht: „Chancen für junge Unternehmer“. Und gesundes Arbeiten und Motivation – auch all das sollte im Antrag haben Sie einen sehr bemerkenswerten Satz schon frühzeitig in der Schule besprochen werden. stehen; den möchte ich zitieren: Ein besonderer Fokus muss dabei auf weiblichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gründern liegen, sowie des Abg. Falko Mohrs [SPD]) (Beatrix von Storch [AfD]: Oh mein Gott!) Respektvoller und wertschätzender Umgang miteinan- der, Verständnis für verschiedene Ansichten und Kom- die bislang deutlich unterrepräsentiert sind. promissfindung – all das ist in Unternehmen und im Das ist sehr entlarvend, und damit schließe ich. Leben wichtig, genauso wie der Umgang mit Verantwor- (B) tung und Geld. Und an vielen Schulen gibt es bereits (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D) Schüler/-innenunternehmen – eine gute Sache, die es zu sowie des Abg. Falko Mohrs [SPD] – Stephan fördern gilt. Ja, wir müssen junges Unternehmertum stär- Thomae [FDP]: „Weibliche Gründerinnen“ ken und Selbstständigkeit fördern. wäre ja auch tautologisch!) Zum Thema Gründungskultur gehört aber auch das Thema „zweite Chance“. Aktuell beraten wir auch die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Verkürzung der Restschuldbefreiung. Deshalb sollten Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Letzter Redner alle, die sich hier für Gründergeist einsetzen – ich gucke zu diesem Tageordnungspunkt ist der Kollege Mark mal besonders auf die Kolleginnen der CDU –, Hauptmann, CDU/CSU-Fraktion. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Warum nur auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) die Kolleginnen?) auch für eine deutliche Verkürzung der Eintragung der Mark Hauptmann (CDU/CSU): Insolvenz bei Auskunfteien einsetzen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine geschätzten Kol- leginnen und Kollegen! Wir wollen in Deutschland das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Gründertum stärken. Wir wollen mehr Gründer in Denn ein negativer Schufa-Eintrag, auch noch drei Jahre Deutschland, die erfolgreich werden, wachsen können nach der Restschuldbefreiung, ist ein echtes Hindernis für und damit den Wohlstand von morgen sichern. Das Span- weitere unternehmerische Versuche, teilweise ja auch nende dabei ist: Wir brauchen dafür nicht den FDP-An- schon, um nur ein neues Bankkonto oder ein Handy zu trag, sondern das macht die Bundesregierung bereits. bekommen. Und so bestrafen wir momentan die Bereit- Herr Houben, es gibt eine aktuelle Umfrage unter schaft, unternehmerisches Risiko einzugehen im Hin- Gründerinnen und Gründern, und da ist die Zustimmung blick auf den Fall des Scheiterns. Und gerade für junge für die FDP auf den niedrigsten Stand seit 2013, seitdem Menschen ist das ein großes Hemmnis. diese Umfrage erstmals durchgeführt wurde, gefallen. Mit einem Antrag wie dem Ihrigen, in dem Sie bestehen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN de Instrumente der Bundesregierung zitieren und damit sowie bei Abgeordneten der FDP) darauf hinweisen, was alles schon passiert, und mit einer Aber noch mal zurück zu dem Antrag. Mitarbeiter/- Rede, in der Sie nicht einen einzigen Punkt aus Ihrem innenbeteiligung wollen wir auch. Ich habe sehr aufmerk- eigenen Antrag vorstellen, glaube ich, kriegen Sie das sam und sehr freudig gehört, was Herr Mohrs gerade Vertrauen der Gründerinnen und Gründer im unserem gesagt hat. Wir warten und freuen uns auf Ihren Entwurf. Land so nicht zurück. 24332 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Mark Hauptmann (A) (Beifall bei der CDU/CSU) kung in den nächsten Jahren 30 Milliarden Euro bereit- (C) stellen. Damit wird dieser Start-up- und Venturecapital- Ich möchte gerne einmal auf die Punkte in Ihrem An- Markt, den wir in Deutschland haben, nicht nur der größte trag eingehen. in Europa, sondern wir werden auch aufholen zum welt- Gehen wir auf das Thema Mitarbeiterbeteiligung ein – weiten Standard, nämlich zu den USA. Das, was wir vor- ein wichtiges Thema. Es eint uns, dass wir im interna- legen, ist in Europa einmalig. Es ist sechsfach so ambi- tionalen Wettbewerb das Thema „Mitarbeiterbeteiligung tioniert wie die Vorstellung unserer französischen für Gründerinnen und Gründer“ angehen und uns dafür Partner. einsetzen wollen, dass die Steuer erst dann fällig wird, wenn es zu einer Veräußerung der Beteiligung kommt, Ich möchte gerne auf ein paar Punkte eingehen. und dass wir die Umsatzsteuerbefreiung für Investment- 1 Milliarde Euro für Deep-Tech-Fonds. Wir wollen, fonds ausweiten wollen. Das macht die Bundesregierung; dass das Herzstück dieses Zukunftsfonds ein Wasserfall- soll dieses Jahr noch ins Kabinett kommen. modell wird, indem wir das Risiko splitten: erst auf die (Zurufe von der FDP) Fondsebene, dann auf die Start-up-Ebene. Wir werden diese Gelder über ein breites Maßnahmenpaket dem Zweites Beispiel: Zukunftsfonds. Es gibt einen Koali- gesamten Ökosystem zur Verfügung stellen. tionsbeschluss aus dem November 2019 zur Auflegung des Zukunftsfonds und einen zweiten Koalitionsbe- Wir werden die KfW Capital stärken. Wir werden den schluss aus dem August 2020, dass wir noch in diesem Europäischen Investitionsfonds stärken, den High-Tech Jahr die Realisierung dieses Zukunftsfonds schaffen. Wir Gründerfonds, Coparion. Das sind alles Maßnahmen, haben beschlossen: 10 Milliarden Euro an öffentlichen die bereits beschlossen sind und wo wir in einer ganz Geldern wollen wir dafür zur Verfügung stellen. Wir war- engen parlamentarischen Abstimmung mit der Bundesre- ten lediglich auf die Haushaltsberatungen mit der Verab- gierung sind. schiedung des Haushalts 2021. Dann legt diese Bundes- In dem Antrag kommt auch das Thema Social Entre- regierung los. Also das, was Sie angesprochen haben, preneurship vor, ein Thema, das wir auch schon einzeln passiert bereits. breit diskutiert haben. Auch hier lohnt ein Blick in den Wir sind aber einen Schritt weiter gegangen. Wir haben aktuellen Haushalt: Im Haushalt 2020 des BMWi stehen gesagt: In einer Krisenphase wie der Coronakrise wollen bereits 7,5 Millionen Euro für nichttechnische und sozia- wir uns nicht nur mit einem Zukunftsfonds für die Zu- le Innovationsförderung bereit, im Haushalt des Bundes- kunft befassen, sondern mit sehr irdischen und realen ministeriums für Bildung und Forschung weitere 6 Millio- Problemen der Start-up-Szene und der Venturecapital- nen Euro für den Zeitraum 2020 bis 2023. Das heißt, wir (B) Landschaft im Hier und Jetzt. Deswegen hat die Bundes- haben ein ressortübergreifendes Konzept zur Förderung (D) regierung in enger Absprache mit uns im Parlament einen und Intensivierung auch beim Thema Social Entrepre- 2-Milliarden-Euro-Fonds aufgelegt, der gerade im Jahr neurship auf den Weg gebracht. 2020 Hilfe zur Selbsthilfe geben soll. Er soll die Gründ- Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns erinnen und Gründer nämlich dabei unterstützen, dass das doch auch mal einen Blick auf das wagen, wo wir mit Kapital nicht abgezogen wird, sondern dass sie weiterhin Stolz sagen können: Hier packen es auch die Start-ups bis wachsen können. in die Bundesliga. – Wir haben aktuell mit Delivery Hero Und siehe da: Die aktuellen Zahlen zeigen, dass das erste DAX-Unternehmen, das ein Start-up ist. Wir 1,4 Milliarden Euro für 500 junge, wachstumsorientierte haben gerade 70 000 Start-ups in Deutschland, viele Start-ups bereits bewilligt wurden. Sie sehen: Die Bun- davon sind hoch innovativ. Wir haben eine neue Dynamik desregierung hat ein Instrument mit der KfW, und dieses mit dem Zukunftsfonds. Jüngst, in der letzten Woche, hat Instrument wird seitens des Marktes, seitens der Gründer eine Meldung viele überrascht: Das junge Start-up und seitens der Fonds auch noch angenommen. Ich glau- Flaschenpost wurde von Dr. Oetker für knapp 1 Milliarde be, auch hier erkennen wir die Schwarzmalerei seitens Euro übernommen – hier an diesem Markt in Deutsch- der AfD. land. Wir sehen keinen Einbruch im Venturecapital-Markt. Das heißt, Kapital ist vorhanden, viele Ideen sind vor- Vielmehr sehen wir, dass 90 Prozent der Start-ups sogar handen, es gibt kreative Firmen, die am Markt bestehen Neueinstellungen auch in einer Krisenphase wie 2020 und sich beweisen wollen. Von daher ist mir gar nicht planen. Es ist historisch, dass wir zum ersten Mal in einer angst und bange um diesen Start-up-Markt; ganz im Krisensituation Start-ups in den Fokus unserer Hilfspro- Gegenteil. Die Bundesregierung leistet hier mit der Koa- gramme genommen haben. Das ist der Verdienst dieser litionsfraktion hervorragende Arbeit, damit wir unseren Bundesregierung mit der Koalitionsfraktion. Wohlstand hier in Deutschland auch in Zukunft durch (Beifall bei der CDU/CSU) innovative Start-ups sichern können. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir gehen Herzlichen Dank. jetzt weiter beim Thema Zukunftsfonds. Wir sagen, wir (Beifall bei der CDU/CSU) wollen 10 Milliarden Euro öffentliche Gelder bereitstel- len, und wir wollen eine Hebelwirkung erzielen, nämlich in Richtung privaten Kapitals: Versicherungen, Pensions- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: fonds, Family Offices. Alle sollen Anreize bekommen Vielen Dank, Herr Kollege Hauptmann. – Damit und hier investieren, sodass wir durch diese Hebelwir- schließe ich die Aussprache. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24333

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf einfachen wir melderechtliche Prozesse. Und viertens (C) Drucksache 19/23860 an die in der Tagesordnung aufge- verbessern wir die Datenverfügbarkeit und die Datenqua- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere Über- lität in den Registern. weisungsvorschläge? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Das alles ist gelungen im Rahmen einer – ich kann Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. sagen – konstruktiven Debatte. Im parlamentarischen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Verfahren konnten verschiedene Anliegen – auch des Bundesrates – berücksichtigt werden, insbesondere etwa Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- der Umstand, dass Personen in Krankenhäusern, in Jus- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten tizvollzugsanstalten und etwa auch in Asylbewerberein- Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldege- richtungen keinen pauschalen, automatischen Sperrver- setzes (2. BMGÄndG) merk mehr eingetragen bekommen. Das ist eine richtige Drucksache 19/22774 Anregung des Bundesrates gewesen. Dass das ganze Ver- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- fahren konstruktiv ist, zeigt sich auch daran, dass die ses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss) Serviceopposition der FDP zustimmt. Das ist doch eine gute Sache. Hier können wir schon sagen: Dem Grunde Drucksache 19/24472 nach haben wir hier einen guten Konsens erzielt. Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten Bedenken gibt es trotzdem. Das liegt in der Natur der beschlossen. Sache; denn jedes Mal, wenn es um die verbesserte Digi- Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich darum, den talisierung von Verwaltungen geht, treffen wir auf den Platzwechsel erneut zügig vorzunehmen. klassischen Zielkonflikt von Datenschutz und digitaler Verwaltung. Wer digitale Verwaltung möchte, der braucht Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- einen Staat, der auch über Daten verfügt. Natürlich kann ner dem Kollegen Philipp Amthor, CDU/CSU-Fraktion, man pauschal unter Hinweis auf die grundrechtliche Lage das Wort. hinsichtlich des Datenschutzes das alles in Abrede stel- (Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich len. Aber ich sage hier auch ganz deutlich: Eines geht nur: [DIE LINKE]: Im Auftrag von Augustus! – entweder Datenschutz bis zum allerletzten oder eine digi- Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ tale Verwaltung, die dem Staat auch Daten anvertraut und DIE GRÜNEN]: Kann man noch was lernen!) ihm die Verarbeitung von Daten zutraut. – Für uns in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist das kein Gegensatz, sondern wir sagen: Das geht zusammen. Daten sind Philipp Amthor (CDU/CSU): auch beim Staat in der richtigen Hand. Es ist sinnvoll, (B) (D) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit diese Daten zur Verfügung zu stellen, um insgesamt die dem heutigen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens Qualität von Verwaltungen zu verbessern. zum Bundesmeldegesetz gehen wir einen weiteren Schritt zur Digitalisierung unserer Verwaltung und zur Dazu leisten wir heute mit dem Melderecht einen Bei- Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Ja, ich gebe zu: trag und werden insgesamt dafür Sorge tragen, dass es Debatten zum Verwaltungsrecht nach 21 Uhr hauen nicht weiter vorangeht. Das wird nicht der letzte Schritt auf jeden vom Hocker, zumal dann nicht, wenn es sich auch dem Weg zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes noch um ein Orchideenthema wie das Melderecht han- sein, sondern ein erster großer. Auf diesen weiteren delt. Weg freuen wir uns. Wir werben um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Es ist ganz sicher richtig, was der Kollege Staatssek- retär Günter Krings schon in der ersten Lesung gesagt Herzlichen Dank. hat: Bei dieser Novelle handelt es sich gewissermaßen (Beifall bei der CDU/CSU) um „parlamentarisches Schwarzbrot“. – Aber wir wissen auch: Schwarzbrot ist gesund. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Vielen Dank, Herr Kollege Amthor. – Nächste Redne- Genau!) rin ist die Kollegin Joana Cotar, AfD-Fraktion. So ist es auch gut für die Verwaltung. Wir haben es im (Beifall bei der AfD) parlamentarischen Verfahren geschafft, den richtigen Aufstrich dazu zu servieren. Deswegen gehen wir heute eigentlich ganz froh in diese letzte Runde zum Bundes- Joana Cotar (AfD): Herr Präsident! Werte Kollegen! Ganz langsam macht meldegesetz. sich die Regierung an die Digitalisierung der Verwaltung. (Beifall bei der CDU/CSU) Was im Jahr 2020 eigentlich schon längst Standard sein sollte, geht bei uns nur in Trippelschritten voran. Aber ich Schauen wir uns noch mal die zentralen Inhalte an; es will nicht klagen; ich bin ja froh, dass überhaupt irgend- sind vier Punkte. Erstens. Es ist den Bürgern erstmals etwas passiert und wir uns auch in der Verwaltung dem möglich, selbst ihre Daten über ein Verwaltungsportal 21. Jahrhundert annähern, wenn auch langsam. aus dem Melderegister abzurufen. Das finden wir richtig, und das soll in Zukunft auch noch für weitere Verwal- Daher begrüße ich durchaus Teile der vorgelegten tungsdienstleistungen der Fall sein. Zweitens verbessern Änderung des Bundesmeldegesetzes. Dass Verwaltungs- wir den länderübergreifenden Datenabruf. Drittens ver- leistungen des Melderechts demnächst elektronisch über 24334 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Joana Cotar (A) Verwaltungsportale angeboten werden, das ist ein Fort- net zu finden sind. Die vielen daraus resultierenden (C) schritt. Dass die Bürger dann selbst ihre Meldedaten aus Angriffe treffen oft gerade unsere Kommunalpolitiker. dem Melderegister abrufen und für verschiedene Zwecke Da brennen Autos ab, da werden Wände beschmiert, weiter nutzen können, das entlastet die Behörden, das Scheiben eingeschmissen; selbst vor Kinderzimmern entlastet die Bürger, das spart Zeit und Kosten und baut wird nicht haltgemacht. Hier besteht dringender Hand- Bürokratie ab. Das ist gut; in die Richtung können Sie lungsbedarf, liebe Kollegen. Es kann und darf nicht gerne weitermachen, liebe Kollegen. Vielleicht kommen sein, dass jemand aus Angst vor Übergriffen nicht mehr wir dann auch mal bei einer One-Stop-Lösung für die kommunalpolitisch aktiv wird. Verwaltung an, und die Bürger müssen ihre Zeit nicht (Beifall bei der AfD) mehr auf den Ämtern verschwenden. Die Chancen, hierfür tätig zu werden, haben Sie leider (Beifall bei der AfD) mit diesem Gesetz wieder verpasst. Eine bürgerfreund- Ebenso kann der erleichterte Abruf von Behördendaten liche, effiziente und kostensparende Digitalisierung der zwischen den Behörden zu gesenkten Kosten und Verwaltung, vor allem bei Behörden mit Kundenkontakt, besserer Bekämpfung konkreter Gefahren führen. Auch ist absolut wünschenswert und absolut notwendig. die Protokollierung der Zugriffe zum Zwecke der Daten- (Zuruf der Abg. Leni Breymaier [SPD]) schutzkontrolle ist eine wirklich gute Sache. Schön wäre es, wenn die Bürger dann auch noch die Möglichkeit Wie gesagt, ich bin für jeden Trippelschritt dankbar, bekämen, nachzuprüfen, wer denn wann auf ihre eigenen und deswegen hätten wir eigentlich auch gerne diesem Daten zugegriffen hat. So viel Transparenz und so viel Gesetz heute zugestimmt. Aber es gibt im Bereich Daten- Kontrolle müssten sein. Hier muss die Regierung defini- schutz eben doch noch einige Punkte, die wir kritisch tiv nachlegen. sehen, und daher reicht es heute leider nur für eine Ent- haltung. (Beifall bei der AfD) Vielen Dank. Wo Licht ist, ist aber auch Schatten, und so gibt es in diesem Gesetz leider auch bedenkliche Abschnitte. Bei (Beifall bei der AfD) automatisiertem Datenabruf, freien Suchen in Datenbe- ständen, Auskünften trotz Auskunftssperre besteht immer Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Missbrauchspotenzial. Zwar werden hier enge Grenzen Vielen Dank, Frau Kollegin Cotar. – Nächster Redner gesetzt; die rein technische Möglichkeit, einfach und ist der Kollege Helge Lindh, SPD-Fraktion. schnell auf Datensätze zuzugreifen, bleibt aber ein Risi- (Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE ko. (B) LINKE]: Der hat sieben Minuten!) (D) Darüber hinaus hat der Datenschutzbeauftragte richtig- erweise bemängelt, dass nun vielfach sensible Daten Helge Lindh (SPD): ohne ersichtlichen Grund nicht nur in den ursprünglichen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich teils geschützten Datenbanken, sondern langfristig auch werde nicht sieben Minuten sprechen; dann bleiben Sie in vielen anderen Datenbanken und Datensätzen gespei- glücklich, dann bleibt meine Parlamentarische Geschäfts- chert werden. Er bemängelt außerdem richtigerweise, führerin glücklich, und der PG der Linken bleibt auch dass den Ländern nun bei dem automatisierten Abruf ein- glücklich. Da ich im Ausschuss erinnert wurde, dass ich heitliche Regeln übergestülpt werden, die keinen erkenn- letztes Mal in extenso die Romantik dieses Gesetzes ent- baren Nutzen haben. Die Länder haben bereits eigene faltet habe, will ich das diesmal nicht mit zu viel Inhalt entsprechende Regeln. Hier werden unnötigerweise, ja kaputtmachen, Redundanzen vermeiden und mich aufs unzulässigerweise Kompetenzen verschoben. Wesentliche konzentrieren. (Beifall bei der AfD) Ein Wesentliches ist: Es geht nicht primär nur Abge- Schließlich sieht er eine große Gefahr in der Aufwei- ordneten der AfD so. Ich kann sagen: In Bezug auf meine chung der Auskunftssperre, und genau dieser Ansicht ist Adresse und mein Büro, meine E-Mail-Adressen und zuzustimmen. Im März dieses Jahres hat die AfD-Frak- ähnliche Accounts habe auch ich unerfreuliche Erfahrun- tion einen Antrag vorgelegt, um Politiker unabhängig gen gemacht. Das liegt aber insbesondere an Freundinnen davon, ob sie auf kommunaler Ebene oder auf Landes- und Freunden der AfD. Insofern ist das, glaube ich, nicht oder Bundesebene tätig sind, sowie Angestellte und vor allem Ihr Problem, Beamte des öffentlichen Dienstes, Richter und Schöffen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sowie Soldaten besser zu schützen. Wir wollten ihnen die sondern auch das Problem vieler anderer, aber aus der Beantragung einer Auskunftssperre deutlich erleichtern. umgekehrten Situation heraus. Und Sie wissen genau – Auf Antrag sollten die Meldebehörden Mitgliedern dieser das war eine leichte bis schwere Irreführung –, dass wir Personengruppen eine Auskunftssperre eintragen, auch im Gesetz gegen Hasskriminalität, das hoffentlich dem- ohne dass konkrete Gefährdungshinweise vorgelegt wer- nächst unterzeichnet werden wird, genau dieses Thema den. angehen. Das hat aber nichts mit dieser Novellierung zu (Beifall des Abg. Leif-Erik Holm [AfD]) tun. Gerade wir von der AfD können ein Lied davon sin- Was ist der Kern dieses Gesetzes, was ist die Roman- gen, wie es sich anfühlt, wenn der eigene Wohnort und tik? Wir versuchen, Datenschutz mit Datenverfügbarkeit, die eigene Adresse auf einer interaktiven Karte im Inter- mit Datenabruf und Datenqualität zu vereinbaren. Und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24335

Helge Lindh (A) wir haben erkannt, dass es in der Theorie die gute Idee Nächster Redner ist der Kollege Manuel Höferlin, (C) des Onlinezugangsgesetzes gibt, aber dass es Probleme in FDP-Fraktion. der Umsetzung gibt, und sie, gerade im länderübergreif- enden Austausch – das ist auch sicherheitsrelevant –, (Beifall bei der FDP) müssen behoben werden. Daran arbeiten wir hier und verändern den automatisierten Abruf entsprechend und Manuel Höferlin (FDP): versehen ihn mit einer Protokollierung. Ich glaube, das Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist etwas sehr Gutes. Das stärkt den Datenschutz, und es mit dem Unterschreiten der Redezeit, Herr Kollege stärkt auch die Transparenz für Bürgerinnen und Bürger, Lindh, müssen Sie noch ein bisschen üben. Sie kündigen und das verdient Applaus. – Ich habe es in der ersten es immer an. Aber macht ja nichts; solange die Reden Rede auch nicht erwähnt; deshalb keine Redundanz. romantisch sind, ist alles gut. Zum Zweiten – wir haben ja auch so etwas wie eine (Helge Lindh [SPD]: Nein, nein! Fake News! Rechenschaftspflicht – gibt es parlamentarische Ände- Das waren keine sieben Minuten!) rungen. Das betrifft zum einen die bedingten Sperrver- merke. Weder die Regelungen des Bundesrates noch die – Das ist gut; dann haben Sie es diesmal geschafft. Lösung, die das BMI vielleicht unbedingt wollte, haben Ich will kurz darauf eingehen, weil Sie es auch genannt wir genommen, sondern wir haben als Lösung einen salo- haben: Das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hass- monischen Zwischenweg gefunden, indem Frauenhäuser kriminalität hat Sperreinträge enthalten. Weil es derzeit und andere besonders sensible Einrichtungen wie etwa beim Bundespräsidenten als offensichtlich verfassungs- Senioreneinrichtungen weiter geschützt bleiben, aber widrig liegt – sonst würde er es ja unterschreiben –, hätten bei JVAs und Flüchtlingsunterkünften dieser bedingte Sie schon die Chance gehabt, in dieser Novelle und die- Sperrvermerk nicht mehr gilt. sem Gesetz zur Änderung des Bundesmeldegesetzes den Ein weiterer Punkt ist das große Thema Geldwäsche. Punkt der Auskunftssperren, den Sie ja selbst – ich würde Auch da sind die Möglichkeiten der FIU als ermittelnde sagen: das ganze Haus – als wichtig ansehen, zu regeln. Behörde gestärkt worden, aber auch das verhältnismäßig So vergeuden wir leider wertvolle Zeit. Wir haben auch und maßvoll. damals einen Vorschlag gemacht. Es wäre jetzt die Gele- Insofern war es ein wirklich sehr vernünftiges Gesetz- genheit gewesen, hier nachzusteuern, anstatt zu warten, gebungsverfahren, und ich danke auch sehr – heute ist der bis das Reparaturgesetz zu dem anderen, dem wahr- Tag des Lobes der Opposition –, dass die FDP im Aus- scheinlich verfassungswidrigen Gesetz kommt. schuss äußerst konstruktiv kritisiert hat, Herr Höferlin, (Beifall bei der FDP) (B) aber auch gelobt hat. Ihre Kollegin Frau Teuteberg sollte (D) sich ein Beispiel nehmen; sie hat nicht so freundlich Aber jetzt kurz zum heute behandelten Meldegesetz. gelobt Sie haben es selbst schon ausgiebig gelobt. Ich will mich da nicht zu sehr einbringen. Aber es sind tatsächlich ein (Stephan Thomae [FDP]: Hat sie unfreundlich paar wirklich gute Dinge drin. Im Bereich der Verwal- gelobt?) tungsdigitalisierung bringt uns das ein großes Stück und in der letzten Ausschusssitzung die SPD in die Nähe voran. der SED gerückt. Wir – das ist mein letztes Wort – sind Ich will auf einen Punkt besonders eingehen, der schon bei solchen Ausführungen schon empfindlich; denn wir erwähnt wurde, nämlich die „Protokollierungspflicht bei erinnern uns daran, dass es schon einen Unterschied zwi- automatisiertem Abruf und bei Datenbestätigung“ in schen Sozialismus und Kommunismus gibt. Dieser § 40. Hier geht es im Prinzip darum, dass protokolliert Begriff der Zwangsvereinigung wurde von Gustav Dah- wird, wenn auf Daten von Menschen zugegriffen wird. rendorf geprägt, und Gustav Dahrendorf war der Vater Herr Kollege Amthor, Sie sagen, dass Datenschutz und von Ralf Dahrendorf, einem berühmten Liberalen. Inso- Datenverwendung bei Behörden nicht immer zusammen- fern: Diese kleine Nachhilfe und Information reichen Sie geht. Doch, es geht. an Frau Teuteberg weiter. Ich danke Herrn Höferlin für die wunderbare Zusam- (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das habe ich menarbeit. Ein gutes Gesetz – beschließen wir es, und doch gesagt!) gehen wir in den Abend. Ich würde mir wünschen, die Bundesregierung, Herr Kol- Vielen Dank. lege Krings, würde bei der Transparenz bei Datennutzung noch viel stärker vorangehen. Das ist der entscheidende (Beifall bei der SPD) Punkt, mit dem man das verbinden kann. Wir können zum Beispiel einen Blick nach Estland Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werfen. Dort wird auch auf Datenbestände zugegriffen. Vielen Dank, Herr Kollege Lindh. – Ich bin schon Aber jede Bürgerin, jeder Bürger hat mit seiner elektron- zusammengezuckt, als er gesagt hat, er wolle die Rede- ischen ID die Möglichkeit, diesen Zugriff auf einem Pro- zeit nicht ausnutzen. Das letzte Mal hat er sie einfach tokollserver abzurufen. Man kann Vertrauen in die Daten- überschritten. verarbeitung seitens des Staates erzeugen, indem man (Heiterkeit) Transparenz schafft. Aber heute hat er sich an sein Versprechen gehalten. (Beifall bei der FDP) 24336 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Manuel Höferlin (A) Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie angegangen sind. regelt aber viel mehr. Da fangen nicht nur aus Sicht mei- (C) Allerdings sind Sie leider auf halbem Weg stehen geblie- ner Fraktion, sondern auch aus Sicht des Bundesdaten- ben. Sie protokollieren zwar, Sie schaffen es aber nicht, schutzbeauftragten die Probleme an. dem Bürger die Möglichkeit zu geben, das auch abzu- Vieles ist nicht schlüssig. Viele Fragen lassen Sie rufen und zu kontrollieren. Das wäre das Finale gewesen. unbeantwortet: Welche Behörden verfügen bereits über Sie haben ein Datencockpit – wir werden gleich noch hinreichende Zugänge zu bestehenden Registern? Ist es über ein weiteres Gesetz sprechen – in einem anderen wirklich notwendig, dass Daten nun im größeren Umfang Verfahren vorgesehen. Es wäre schön gewesen, wenn auch im Melderegister gedoppelt werden? Entspricht das Sie das hier auch eingebaut hätten. Es gibt verschiedene überhaupt dem Stand der Technik, und ist das wirklich Stellen, wo Behörden in Zukunft auf Daten zugreifen der beste Weg? oder Daten untereinander austauschen können. Wir Freien Demokraten sind sehr dafür und Sie haben uns Ist es nicht besser, wenn Abfragen aus Datenschutza- an Ihrer Seite, wenn es darum geht, die Datenverarbei- spekten erst separat erfolgen und dann zusammengeführt tung in der öffentlichen Hand transparent zu machen, wo werden? Nicht ohne Grund wurden hier im Bundestag zu es geht, indem Sie diese protokollieren und damit das den bereits angesprochenen Registern spezielle Gesetze Vertrauen der Bürger in die Datenverarbeitung steigern. verabschiedet, die neben Fragen der Speicherung und Löschung auch die Übermittlung der Daten regeln. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, es entsteht der Eindruck, Wir hatten auch einige Kritikpunkte, zum Beispiel die dass hier von Verbesserungen geredet wird, ohne sich Verwendung bei den Kirchen. Heute haben Sie die wich- wirklich einmal anzuschauen, was es konkret für Verbes- tigen Punkte gesagt, bei denen es vorangeht: die Digita- serungen in der Praxis braucht. Wieder einmal nehmen lisierung der Wohnungsummeldung, die Einführung des Sie keine Rücksicht, wenn es um die Daten von registrier- vorausgefüllten Meldescheins, die digitale Meldebestäti- ten Ausländerinnen und Ausländern geht. Der Bundes- gung und die Protokollierungspflicht. Das finden wir gut. datenschutzbeauftragte bemängelt zu Recht, dass Sie Deswegen werden wir das Gesetz trotz einiger Kritik- die Hürden, die Sie im Gesetz im Hinblick auf die punkte unterstützen. AZR-Nummer, die Ausländerzentralregisternummer, Herzlichen Dank. ausdrücklich festgeschrieben haben – § 10 Absatz 4 AZRG – übergehen. (Beifall bei der FDP – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Sehr gut!) Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal zum Thema Auskunftssperren kommen. Das wurde heute schon Vizepräsident Wolfgang Kubicki: erwähnt. Anfang des Jahres waren wir beim Gesetz zur (B) Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskrimi- (D) Vielen Dank, Herr Kollege Höferlin. – Die Kollegin nalität schon einen Schritt weiter. Das Gesetz ist aber, Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, hat ihre Rede zu Proto- Herr Lindh, wie Sie alle wissen, wegen verfassungsrecht- koll gegeben.1) licher Probleme bisher nicht ausgefertigt und folglich (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die beste auch nicht in Kraft getreten. So läuft aber auch der Rede heute!) Schutzmechanismus im vorliegenden Gesetz ins Leere. Was nutzt der Schutz gegen unbefugte und missbräuch- – Wenn Sie das sagen, kann ich sagen: Da ich sie nicht kenne, war es die beste. liche Abfragen, solange keine Registersperre eingetragen wurde? Dann nutzt diese Regelung den Betroffenen herz- (Beifall bei der LINKEN – Alexander Ulrich lich wenig. Ein Umstand, den Sie zu vertreten haben, [DIE LINKE]: So steht es jetzt im Protokoll! – meine Damen und Herren. Philipp Amthor [CDU/CSU]: Das nehme ich persönlich!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) – Herr Amthor, ich nehme an, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion die Rede auch nicht Für uns ist das jedenfalls ein gewichtiger Grund – ich kennt. komme zum Schluss –, weshalb wir diesem Gesetz trotz einiger positiver Aspekte, liebe FDP, nicht zustimmen (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber sie ist können. gut!) Vielen Dank. Nächste Rednerin ist die Kollegin Filiz Polat, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Schade, schade, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schade!)

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Das macht es auch ren! Bürokratieabbau und digitale Verwaltungsdienstleis- nicht wirklich gut. Ich erinnere noch einmal daran: Ich tungen haben erst recht in Zeiten der Pandemie einen habe Verständnis dafür, dass man bei der Erschöpfungs- besonderen Wert. Der hier vorliegende Gesetzentwurf mentalität, die hier im Raume Platz greift, regelmäßig vergisst, die Maske aufzusetzen. Ich erinnere daran, 1) Anlage 5 dass das Präsidium gebeten ist – ich meine nicht Sie, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24337

Vizepräsident Wolfgang Kubicki (A) Frau Polat, sondern einen Kollegen aus der Fraktion Die Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (C) Linke –, die Tragepflicht der Maske durch Ordnungsrufe minister des Innern, für Bau und Heimat: und auch durch Ordnungsgeld durchzusetzen. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- ren! In Sachen Verwaltungsdigitalisierung war das eben Der Kollege Tankred Schipanski und der Kollege Marc verabschiedete Meldegesetz für heute der erste Streich, Henrichmann, beide CDU/CSU-Fraktion, haben ihre doch der zweite folgt sogleich. 1) Reden zu Protokoll gegeben, sodass ich die Ausspra- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der che schließen kann. CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- ja ein starker Anfang!) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesmeldegesetzes. Der Ausschuss für Inneres – Ich hätte noch eine andere Einleitung anzubieten, Herr und Heimat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung Kollege. auf Drucksache 19/24472, den Gesetzentwurf der Bun- Ein Registermodernisierungsgesetz hört sich zunächst desregierung auf Drucksache 19/22774 in der Ausschuss- wie ein Beispiel für ein Oxymoron an. Die Kombination fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- aus „Register“ und „modern“ drängt sich nicht jedem setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sofort auf. Aber umso wichtiger ist es, dass die Moder- um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- nisierung unserer Registerlandschaft auch Platz greift, hält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf gegen die Stim- um die Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland, men der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grü- konkret das Onlinezugangsgesetz, voranzubringen. nen bei Enthaltung der Fraktion der AfD mit den Stimmen von CDU/CSU-, SPD- und FDP-Fraktion ange- Heute erledigen viele von uns Einkäufe oder auch nommen. Bankgeschäfte digital von zu Hause, bequem von unter- wegs. Der Gang zur Behörde muss aber ebenfalls virtuel- Dritte Beratung ler werden – jedenfalls die Möglichkeit dazu – und vom Mobiltelefon aus möglich sein. Es geht uns darum: Bür- und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem gerinnen und Bürger wollen wir von Nachweispflichten, Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – wo es möglich ist, entlasten. So muss zum Beispiel eine Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann stelle Geburtsurkunde nur noch einmal vorgelegt werden und ich fest, dass dieser Gesetzentwurf in der dritten Beratung nicht bei jedem Antrag in einer anderen Behörde erneut. und Schlussabstimmung mit den gleichen Mehrheitsver- Bereits vorhandene Dokumente können aus anderen hältnissen, also Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Registern abgefragt werden. Ja, das klingt selbstverständ- (B) FDP gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und lich, ist es aber heute leider noch nicht. (D) Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der AfD-Fraktion Durchgehend digitale Verwaltungsvorgänge von der angenommen ist. Antragstellung bis zum Bescheid sind aber nur möglich, wenn Daten zweifelsfrei der richtigen Person zugeordnet Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: werden können. Das ist heute nicht der Fall. Für eine registerübergreifend eindeutige Zuordnung brauchen Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- wir daher ein veränderungsfestes Ordnungsmerkmal, gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- das stets auf die richtige Person verweist. Deutschland rung und Verwendung einer Identifikations- hat glücklicherweise bereits heute eine Identifikations- nummer in der öffentlichen Verwaltung und nummer in den Registern, die die qualitativen Anforde- zur Änderung weiterer Gesetze (Registermo- rungen erfüllt. Das ist die Steuer-ID. Sie ermöglicht seit dernisierungsgesetz – RegMoG) über zehn Jahren die eindeutige, die zuverlässige Zuord- nung von Personen in Verwaltungsvorgängen mit steuer- Drucksache 19/24226 lichem Bezug. Überweisungsvorschlag: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Ausschuss für Inneres und Heimat (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz GRÜNEN]: Oje!) Ausschuss Digitale Agenda Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen Dieses vorhandene Ordnungsmerkmal kann in seiner Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Funktion ohne Weiteres auf Register erweitert werden, die für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes wich- Für die Aussprache ist eine Dauer von 30 Minuten tig sind. Das tun wir unter voller Wahrung aller daten- beschlossen. schutzrechtlichen Anforderungen, eine Profilbildung werden wir dabei weiterhin wirksam ausschließen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red- ner Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Professor Dazu haben wir im Gesetzentwurf ein ganzes Paket an Günter Krings für die Bundesregierung das Wort. Maßnahmen vorgesehen, die ein äußerst hohes Daten- schutz- und Transparenzniveau sicherstellen. Als Bei- spiel nenne ich das sogenannte 4-Corner-Modell. Hier (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- stehen zwischen einzelnen Verwaltungsbereichen digitale ordneten der SPD) Wächter, die nur gesetzlich erlaubte Datenübermittlun- gen durchlassen. Genau damit ist eben eine Profilbildung 1) Anlage 5 wirksam ausgeschlossen. Zusätzlich können mit dem 24338 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings (A) Datencockpit – eben wurde es schon vom Kollegen Der größte Schwachpunkt des Entwurfs ist die Einfüh- (C) Höferlin angesprochen – Verwaltungsvorgänge transpa- rung einer einheitlichen Identifikationsnummer; denn mit rent protokolliert und so für die Bürgerinnen und Bürger einer solchen Nummer werden Verhaltensaufzeich- auch nachvollziehbar gemacht werden. nungen möglich. Trotzdem hat man nun – und Herr Dr. Krings sagte es – die im Jahr 2007 eingeführte Meine Damen und Herren, 21 Mitgliedstaaten der Steuer-ID auserkoren, obwohl seinerzeit zugesagt wurde, Europäischen Union nutzen bereits eine registerübergrei- genau das aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu fende, einheitliche und offene Identifikationsnummer. tun. Und natürlich warnen Bundesverfassungsgericht und Die Datenschutz-Grundverordnung lässt eine solche der Bundesbeauftragte für den Datenschutz wieder davor, auch ausdrücklich zu. Ein einziges Land in der Europä- diese Nummer zu verwenden. Diese Warnrufe ignoriert ischen Union hat sich bisher gegen eine einheitliche Iden- die Bundesregierung aber ebenso wie die Expertise des tifikationsnummer entschieden, aber der Preis sind hier Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundesta- auf nationaler Ebene zentralisierte Melderegister. Ich ges. kann in dieser Lösung kein Mehr an Datenschutz erken- nen. Auch der Blick nach Österreich interessiert nicht, obwohl man dort auch ohne Konflikt mit der Verfassung (Beifall bei der CDU/CSU) das Datenmanagement kennnummernbasiert zentralisiert Wir haben in Deutschland eine dezentrale Registerland- hat. Und was sagt das Ministerium von Herrn Seehofer schaft, und ich finde, das soll auch so bleiben. Umso mehr zum Modell der Österreicher? Das Verfahren sei zu teuer, brauchen wir aber eine einheitliche Identifikationsnum- und die Umsetzung dauere zu lange. – Ja, meine Damen mer. Ansonsten bleibt das Once-Only-Prinzip – von allen und Herren, diese Bundesregierung unterwirft sich zwar gefordert – eben nur ein frommer Wunsch der Digitali- gerne allen möglichen internationalen Behörden und sierung. NGOs; aber in Sachen Datensicherheit einmal vom Nachbarland Österreich zu lernen, das ist offenbar zu Meine Damen und Herren, mit dem heute vorliegenden aufwendig. Gesetzentwurf – und dann hoffentlich bald Gesetz – gehen wir einen großen Schritt, um in Sachen Digitali- (Beifall bei der AfD) sierung endlich wieder zur europäischen Spitzengruppe Amüsant ist in diesem Zusammenhang, dass Minister aufzuschließen; denn da gehören wir hin. Aber dazu brau- Seehofer mir gestern hier in diesem Raum zurief, dass er chen wir ebendieses Gesetz. Ich bitte daher um Unter- jetzt schon 50 Jahre für die Sicherheit Deutschlands stützung. arbeite. Aber, Herr Minister Seehofer – er ist nicht da –, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht die Jahre zählen, sondern nur der Erfolg. Und gera- (B) ordneten der SPD) de wenn es die Datensicherheit unserer Bürger betrifft, (D) gilt nicht „quick and dirty“, sondern es zählt einzig und allein die Sorgfalt, und die darf auch ruhig mal etwas Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: teurer sein. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Der Abgeordnete Uwe Schulz hat das Wort für die Fraktion der AfD. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzent- wurf ist der nächste Schritt zum gläsernen Bürger, und er passt in die Zeit. Gestern haben wir erlebt, wie weit die Uwe Schulz (AfD): Regierung mit der Gängelung des Volkes gehen will. Und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die AfD mittlerweile muss jeder erkennen, dass staatliche Über- unterstützt jede Maßnahme, sinnvolle digitale Lösungen wachung und Reglementierung bis tief in die Privatsphä- für Behörden und Verwaltungen einzuführen. Wichtig ist re hineinreichen sollen. für uns nur eines: Alles muss auf den Kunden, muss auf den Bürger zugeschnitten sein. Meine Damen und Herren, mit dem geplanten Gesetz wird es möglich sein, persönliche Daten aus vielen Ecken (Heiterkeit der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LIN- zusammenzuführen und zu verwenden – Daten, die auch KE]) die Coronadetektive gut für ihr schmutziges Geschäft – Warum Sie beim Wort „Kunden“ lachen, verstehe ich verwenden können; denn an die Einführung einer solchen nicht. – Mit dem geplanten Registermodernisierungsge- Spitzelorganisation denkt Herr Lauterbach von der SPD setz sollen nun die Basisdaten der Bürger zentralisiert bereits ganz offen, ohne dabei zurückgepfiffen zu wer- werden. Und ganz sicher macht ein solches Projekt den, meine Damen und Herren. auch Sinn. Wenn aber absehbar ist, dass in diesem Zuge (Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe der gläserne Bürger entsteht, ist die Schmerzgrenze für von der SPD) uns als AfD überschritten. Aber lassen Sie sich gesagt sein: Mit der AfD wird es (Beifall bei der AfD) keine modernen Blockwarte geben. Kein privater und kein staatlicher Schnüffler soll die Daten unserer Bürger Denn genau diesen gläsernen Bürger scheint die Bundes- in die Hände bekommen, und kein Regierungsbeauftrag- regierung zu wollen. Und wenn der Entwurf umgesetzt ter darf in die tiefste Privatsphäre unserer Staatsbürger wird, sind es nur noch wenige Schritte, und der Staat eindringen. erhält auf Knopfdruck umfangreiche Profile über jeden Bürger. (Beifall bei der AfD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24339

Uwe Schulz (A) Der Gesetzentwurf soll offenbar wieder im Schweins- Datenqualitäten. Und „servicefreundlich“ heißt für Bür- (C) galopp durch die Gremien getrieben werden – auch das gerinnen und Bürger „once only“, dass die Daten also kennen wir schon –, und sicher wird auch unser Bundes- möglichst nur einmal abgegeben werden und dann alles präsident und Volljurist Steinmeier seinen Füller wieder ohne Aufwand und mit besserer Qualität erfolgt. betanken und zur Unterzeichnung schnell bereitstehen. Also: Was ist das Ziel dieses Gesetzgebungsverfah- Es ist halt alles wie immer. rens? Datenqualität, Sparen von Aufwand beim Abgeben Vielen Dank. von Daten und eindeutige Identifizierbarkeit der Person. (Beifall bei der AfD) Und das ist im jetzigen Zustand nicht gegeben. Was ist das Instrument, mit dem wir das herstellen wollen? Es ist ein gemeinsames Ordnungsmerkmal, über das diese Ver- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: bindung von Datenkorpora erfolgen soll. Und die ent- Zu seiner soundsovielten Rede am heutigen Tag scheidende Frage ist jetzt: Wie macht man es? Es gibt (Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne- prinzipiell zwei Möglichkeiten: Man nimmt eine Identi- ten der CDU/CSU) fikationsnummer, einen Identifikator, oder mehrere. Und die Entscheidung, die mit dem Gesetzentwurf getroffen hat das Wort der Kollege Helge Lindh von der SPD-Frak- wurde – sie ist natürlich nicht alternativlos –, ist, einen tion. Identifikator zu nehmen und es konkret über die Steuer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ID zu machen. – So viel zu der Lösung, die Sinn hat, die der CDU/CSU – Philipp Amthor [CDU/CSU]: nachvollziehbar ist und die im Endergebnis für Bürger- Ein guter Kommentar! – Dr. Konstantin von innen und Bürger Vorteile hat. Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Ich will es aber nicht – wir sind in der ersten Lesung – Mann im Dienst des Parlaments!) bei dieser Lobpreisung belassen, sondern auch die kriti- schen Punkte ganz kurz erwähnen. Die Steuer-ID ist Helge Lindh (SPD): ursprünglich nicht für diesen Zweck geschaffen worden. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Und bei ihrer Einführung gab es auch schon – das kann Präsident, das war wirklich Humor. Respekt! man ehrlich so erwähnen – die Befürchtung, dass sie für (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der andere Zwecke verwandt wird, und das wird jetzt der Fall CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE sein. Und wir werden darüber befinden müssen, ob es so GRÜNEN) angemessen, verhältnismäßig ist oder nicht. Aber ich werde mich kurz halten; denn ich bin Service- Deshalb ist es notwendig, dass wir Korrekturmecha- (B) regierung, und Herr von Notz muss in den PUA –, nismen haben: zum einen das Datencockpit, damit Bürger (D) nachvollziehen können, wo Daten ausgetauscht werden, (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Sie sind aber gar zum anderen das schon beschriebene 4-Corner-Modell, nicht in der Regierung!) um die Rechtmäßigkeit des Datenaustausches zwischen und deshalb werde ich nicht die sieben Minuten aus- Behörden durch eine dritte Instanz überschaubar, klar und schöpfen. sicher zu prüfen. (Zuruf des Abg. Dr. Konstantin von Notz Es wird die Entscheidung im parlamentarischen Ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) fahren sein, zu gucken, dass das Ganze verfassungsfest Ich erwarte dann aber auch in Zukunft Gegenleistungen ist. Deshalb: Wenn wir nur eine Nummer als Identifika- für diese Geste der Zeitverknappung. tionsnummer nehmen, müssen wir besonders auf die Ver- fassungsmäßigkeit achten, wir müssen besonders hohe Wir sprechen hier nicht etwa über einen Geheimplan Sicherheitsrichtlinien einziehen, damit auch der BfDI, der Regierung, den gläsernen Bürger zu schaffen und der große Skepsis hat, zufrieden sein wird. diesen Staat durch Durchdringungsmaßnahmen zu einer Diktatur werden zu lassen. Ich finde es auch etwas, nein, Das wird unsere Arbeit in der nächsten Zeit sein. Ich ich finde es vollkommen daneben, dass Sie, wenn ich Sie bin davon überzeugt, dass wir zu einem vernünftigen, nicht falsch verstanden habe, in diesem Zusammenhang guten und im Sinne der Bürger nachvollziehbaren Ergeb- von „Blockwarten“ sprechen, zumal sich die AfD mit nis kommen werden. Daher freue ich mich auf das parla- Blockwarten wirklich besser auskennt als alle anderen mentarische Verfahren, wünsche Ihnen allen einen guten Fraktionen hier im Parlament. Tag und grüße noch mal den äußerst humorvollen Präsi- denten. Daher will ich doch deutlich machen, dass bei aller Kritik, die auch legitim ist – und ich werde ganz kurz Vielen Dank. auf mögliche und nachvollziehbare Kritik eingehen –, (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred auch eine Intentionalität da sein muss. Ich glaube, Herr Grund [CDU/CSU]) Professor Krings hat es deutlich gemacht, dass hier kein Geheimplan oder Masterplan zur Durchdringung der Geheim- und Intimsphären der Bürgerinnen und Bürger Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: vorliegt, sondern es geht um Servicefreundlichkeit, es Der auch äußerst dankbar ist, weil Sie immerhin drei geht darum, Bürgerfreundlichkeit zu schaffen. Und wir Minuten Redezeit eingespart haben, und das schafft heute haben ein reales Problem: Wir haben um die 220 dezent- keiner mehr. – Der nächste Redner ist der Kollege rale Register und entsprechend auch unterschiedliche Manuel Höferlin, FDP-Fraktion. 24340 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich (A) (Beifall bei der FDP – Manfred Grund [CDU/ (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) CSU]: Vielleicht schafft er es auch, drei Minu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ten einzusparen! – Philipp Amthor [CDU/ Sie steuern mit diesem Gesetz sehenden Auges in eine CSU]: Herr von Notz könnte auch drei Minuten Verfassungsklage hinein. Dabei gäbe es ja Alternativen einsparen!) zur Steuer-ID. Es gibt auch Alternativen zu diesem ein- heitlichen Personenkennzeichen. Statt Steuer-ID könnte Manuel Höferlin (FDP): man andere Methoden nehmen, siehe Beispiel Öster- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- reich; Herr Professor Krings, Sie haben es selbst schon nen und Kollegen! Drei Minuten einzusparen, schaffe ich gesagt. Ich bin ja auch der Meinung, dass man das öster- bei drei Minuten Redezeit nicht; tut mir leid. reichische Modell nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen kann. Aber dem Gedanken, der dahintersteht, (Manfred Grund [CDU/CSU]: Schade!) kann man sich schon nähern. Letztlich würde das nachher Der aktuelle Bundesbeauftragte für den Datenschutz, auch die Verfassungsmäßigkeit wiederherstellen. , die ehemaligen Datenschutzbeauftragten Wenn Sie jetzt lediglich die Kosten- und Zeitargumen- Peter Schaar und Hans Peter Bull, die Konferenz der te anführen, dann ist das, ehrlich gesagt, rechtsstaatlich unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und schon fast eine Bankrotterklärung, weil das nicht sein der Länder, die Gesellschaft für Informatik, LOAD, der darf. Sie können am Ende aus Zeit- und Kostengründen Verein für liberale Netzpolitik, der Bitkom, der Deutsche nicht in Verfassungsbeschwerden reinlaufen. Ich bin Anwaltverein, die Humanistische Union, der Wissen- gespannt, wie die Landesbehörden dieses Gesetz nachher schaftliche Dienst des Bundestages, der Bundesrat: All anwenden und wie Sie das in Zukunft den Landesdaten- diese Personen, all diese Organisationen warnen aus- schutzbeauftragten erklären wollen. Ich kann mir nicht drücklich vor der Verfassungswidrigkeit dieses heute zu vorstellen, dass Landesbehörden das Gesetz anwenden diskutierenden Gesetzentwurfs. werden, wenn ihre eigenen Landesdatenschutzbeauftrag- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ten es jetzt schon als verfassungswidrig ansehen. GRÜNEN]: So ist es!) Ich erwarte, dass wir das Registermodernisierungsge- Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sie haben, setz auf einen verfassungsgemäßen Weg bringen, und machen sich vor allen Dingen an einem Punkt fest, näm- freue mich auf die weiteren Beratungen. lich am Einsatz der Steuer-ID als einheitliches Personen- Herzlichen Dank. kennzeichen. Dass sie alle miteinander glauben, das sei verfassungswidrig, das sollte Ihnen zu denken geben, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (B) liebe Bundesregierung. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Abg. Wolfgang Wiehle [AfD]) Vielen Dank. – Petra Pau hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Ich schließe mich dieser Einschätzung an. Nicht nur das Bundesverfassungsgericht war in seiner Aussage im Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Konstantin von Volkszählungsurteil sehr klar. Auch der Bundesfinanzhof Notz, Bündnis 90/Die Grünen. hat bei der Einführung der Steuer-ID damals genau fest- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gehalten, dass er die Steuer-ID aus gewichtigen Gründen ausnahmsweise für zulässig hält, sie sich dann aber auf den Einsatz im Steuerverfahren begrenzt. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Genau das ist jetzt nicht mehr der Fall, genau das soll Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die anders werden. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten Registermodernisierung ist lange überfällig und – das hat eine Stelle aus der Datenschutzkonferenz zum Register- man hier ja bisher von allen Fraktionen allenthalben ver- modernisierungsgesetz. Zitat: nommen – ein megawichtiges Projekt. Gerade in der Auch wenn die Corona-Pandemie zeigt, wie not- Pandemie merken wir jeden Tag, wie wichtig es wäre, wendig eine Beschleunigung der Digitalisierung wenn es mehr digitale Angebote von staatlicher Seite ist, darf dies nicht als Argument dafür benutzt wer- gäbe. Es gibt sie nicht: Wir hinken hinterher. Deswegen den, verfassungsrechtlich notwendige Nachbesse- brauchen wir diese Registermodernisierung; daran kann rungen unter Hinweis auf den „Eilbedarf“ unter es keinen Zweifel geben. Zweifel gibt es an der verfas- den Tisch fallen zu lassen. sungskonformen Ausgestaltung dieses Entwurfs, der uns vorliegt. Das geht so nicht, meine Damen und Herren. Treffender kann man es eigentlich nicht formulieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die verfassungsrechtliche Kritik ist insgesamt vernich- und bei der FDP) tend. Sie führen das Argument an, dass Sie jetzt Ihre E- Government-Strategie zu Ende bringen wollen – bis 2022 Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten aus der DAV- müssen Sie ja durch sein; das haben Sie sehr oft gesagt –, Stellungnahme zum Referentenentwurf – der Kollege weshalb eben andere Alternativen zunächst nicht mehr Höferlin hat es angesprochen –: geprüft werden. Das kann man aber so nicht einfach durchgehen lassen, meine Damen und Herren. 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24341

Dr. Konstantin von Notz (A) Aus dem Volkszählungsurteil – des Bundesverfas- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) sungsgerichts – ergibt sich, sowie bei Abgeordneten der FDP) (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Über 30 Jahre alt!) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: dass der einzelne Bürger nicht in seiner ganzen Per- Vielen Dank. – Der nächste Redner: für die CDU/ sönlichkeit registriert und katalogisiert werden soll. CSU-Fraktion der Kollege Marc Henrichmann. – Herr Kollege Amthor, wer will da widersprechen? – (Beifall bei der CDU/CSU) (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Über 30 Jahre alt! Da gab es noch nicht mal einen ISDN-An- Marc Henrichmann (CDU/CSU): schluss!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dieses Gesetz hätte in der Tat einen wohlklingenderen Mit dem Gesetz ist jedoch beabsichtigt, genau hier- Namen verdient und auch die Primetime; denn das, was für aber die technischen Voraussetzungen zu schaf- dahintersteckt, ist das, was wir alle wollen, fen. Das ist ein ernster Vorwurf. Die Bedenken werden – (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE das wurde gesagt – vom BfDI geteilt, von der Konferenz GRÜNEN]: Wir haben auf der Debatte bestan- der Datenschutzbeauftragten, also aller Landesdaten- den!) schutzbeauftragten, vom Wissenschaftlichen Dienst die- nämlich die digitale Verwaltung, aber nicht als Selbst- ses Hauses, von der Gesellschaft für Informatik und eben zweck, sondern mit viel Mehrwert auch für Bürgerinnen vom DAV. und Bürger: das Once-Only-Prinzip – schon erklärt –, Im Kern geht es um die eine Frage, die der Kollege medienbruchfreie OZG-Anträge usw., 50 Register insge- Höferlin angesprochen hat: die Steuer-ID als Identifier. samt, die eingebunden werden sollen und müssen an das Es geht auch darum, ob bestehende Schutzmechanismen, Onlinezugangsgesetz. wie beispielsweise die strenge Zweckbindung und die Ziel ist, Bürger und Wirtschaft zu entlasten, damit konkrete Ausgestaltung des 4-Corner-Modells, ausrei- Daten nicht immer und immer wieder neu zusammenge- chend sind. sucht und übertragen werden müssen, sondern einmal da Auch der Bundesrat hat verfassungsrechtliche Beden- sind und allen nutzen. Darum brauchen wir interoperable ken angemeldet und die Bundesregierung aufgefordert, und modernisierte digitale Register. Die bekannte Steuer- zu prüfen. Da kann man nicht sagen, meine Damen und ID als zentrales, als übergreifendes und vor allem auch (B) Herren: Die Zeit ist knapp, das passt uns leider nicht funktionierendes Merkmal drängt sich nahezu auf. (D) mehr. – Hier geht es um die langfristige Tragfähigkeit Es sind verschiedene Sicherungsmechanismen an- dieses Projekts. So geht es nicht, Herr Krings. gesprochen worden, die auch die Datenschutzaspekte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) deutlich berücksichtigen. Wir haben gehört vom 4-Cor- Noch ein Zitat aus dem Gutachten des Wissenschaft- ner-Modell, also Datenübertragung nicht von Behörde zu lichen Dienstes dieses Hauses: Behörde, sondern über eine dritte Stelle, was auf EU-Ebene bei Datenaustausch schon entsprechender Die Einordnung der im RegMoG-E vorgeschlage- Standard ist. Das Bundesverwaltungsamt als Instanz, nen Ausweitung der Nutzung der Steuer-ID als all- die Protokollierung betreibt, ist im Hinblick auf die gemeines oder bereichsübergreifendes PKZ – Perso- Datenschutzdebatte ein weiterer Sicherungsmechanis- nenkennzeichen birgt erhebliche Schwierigkeiten ... mus. Das ist eine klare Mahnung, dass wir hier lieber dicke Die DSGVO sieht ausdrücklich vor, die nationale Bretter bohren müssen. Kennziffer zu verwenden. Es wurde angesprochen: Die Egal ob irgendein Beratungsinstitut gesagt hat „Das Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird kostet jetzt noch ein paar Monate mehr Zeit“ oder „Das jetzt als Kriterium herangezogen, warum das Ganze nicht ist auf kurze Sicht günstiger“: Am Ende des Tages bleibt funktionieren soll. Ich möchte noch einmal deutlich doch eins völlig klar: Wenn dieses Gesetz wie schon so darauf hinweisen: Das Urteil ist – wir haben es gerade viele andere vor dem Bundesverfassungsgericht in Karls- nachgeschaut – von 1983, also zehn Jahre älter als der ruhe an die Wand kachelt, dann bleibt Deutschland bei Kollege Amthor, hat er mir gerade gesagt. der zwingend notwendigen Modernisierung unseres Staatswesens abgehängt. (Philipp Amthor [CDU/CSU]: Nicht ganz!) (Beifall der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/ Zu der Zeit gab es weder Internet noch sonst irgendwel- DIE GRÜNEN]) che Technik. Deswegen hinkt der Vergleich mit diesem Sachverhalt deutlich. Das muss geändert werden. Wir müssen jetzt, glaube ich, aufpassen. Ja, auch ich Deswegen, Herr Krings: Nehmen Sie das wirklich mit habe den Bericht der Datenschutzkonferenz gelesen. Ich in die Beratungen, und ändern Sie den Weg noch mal, frage mich ernsthaft, wenn 21 Staaten in der Europä- sodass wir hier gemeinsam ein verfassungskonformes ischen Union das Prinzip, das wir in Deutschland in Gesetz auf den Weg bringen. diesem Gesetzentwurf jetzt anstreben, haben und es funk- Ganz herzlichen Dank. tioniert und datenschutzrechtlich offenbar dort auch 24342 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

Marc Henrichmann (A) angewandt werden kann, warum es dann in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) (C) andere Standards gibt, die verhindern sollen, dass wir genauso arbeiten. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Beifall bei der CDU/CSU) Vielen Dank. – Jetzt freuen wir uns auf die letzte Red- Österreich ist angesprochen worden als vermeintliches nerin des heutigen Tages, die Kollegin Nadine Schön, Musterbeispiel. Noch einmal: 21 Staaten machen es so, CDU/CSU-Fraktion. wie wir es anstreben. Österreich – das einzige Land inner- (Beifall bei der CDU/CSU) halb der Europäischen Union, das einen anderen Weg geht – hat ein zentrales Register auf Bundesebene geschaffen, sozusagen einen großen Container mit ent- Nadine Schön (CDU/CSU): sprechenden Registerdaten. Wir arbeiten vernetzt von Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und oben bis unten dezentral und föderal; ich glaube, das Kollegen! Um halb elf abends eine Debatte zum Regis- dient dem Datenschutz deutlich mehr als die österreichi- termodernisierungsgesetz – mich haben einige gefragt, sche Lösung. ob wir uns ein Schlaflied singen wollen bei diesem lang- (Beifall bei der CDU/CSU) weiligen Thema. Doch das Gegenteil ist der Fall: Was wir heute auf den Weg bringen, ist ein echter Meilenstein für Was die Österreicher auch nicht tun, wir aber vorha- die Verwaltungsmodernisierung. ben, ist, diesen Mechanismus nicht nur auszuwalzen auf die Bundesebene, sondern auch die Kommunal- und die (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Landesverwaltungen mitzunehmen. Das macht Öster- GRÜNEN]: Den ihr nicht mal debattieren woll- reich eben nicht. Insofern ist das deutsche Modell auch tet!) hier, denke ich, deutlich effektiver und auch besser. Das ist keineswegs ein Einschlaflied, sondern da kommt (Manuel Höferlin [FDP]: Warum sind dann die Musik in das Thema, und ich würde sagen, das ist eher Landesdatenschutzbeauftragten dagegen?) Hardrock als Mozarts „Nachtmusik“. Es wird seinen Grund haben, warum niemand in der Wer hat sich noch nicht darüber geärgert, dass wir bei Europäischen Union bislang Österreich gefolgt ist. Behördengängen Daten immer wieder von Neuem ange- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE ben müssen, sei es den Namen, die Adresse, das Geburts- GRÜNEN]: Ja!) datum, die Steuernummer. Egal ob man Kindergeld be- antragt, Elterngeld, den Anwohnerparkausweis: immer Der Umbau der Registerlandschaft ist angesprochen wieder die gleichen Daten! Unsere Daten liegen in (B) worden. Ja, er ist teuer und zeitaufwendig. Nur, wir reden (D) Deutschland in ganz vielen kleinen Gefängnissen: Über hier nicht über wenige Monate. Die Studie, die Sie 200 Register haben wir – Bund, Länder, Kommunen, ansprechen, sagt, dass es ungefähr doppelt so lange Kammern –, und diese Daten können nicht raus. Deshalb dauert – und dann reden wir gefühlt über zehn Jahre – haben wir den Ärger, sie immer wieder neu eingeben zu auf dem Weg zur Registermodernisierung und entsprech- müssen. enden Zurverfügungstellung von Onlinedienstleistungen. Ob wir uns das leisten wollen? Natürlich müssen wir in Andere Länder in Europa – es wurde bereits gesagt – diesen Bereich eintauchen. Aber es ist ja nicht so, als sind da viel weiter, haben längst einen Identifier geschaf- hätte hier keine verfassungsrechtliche Prüfung stattge- fen, der es möglich macht, die Daten untereinander aus- funden. Das BMI ist nicht allein, auch das BMJV trägt zutauschen. Das ermöglicht schnellere Prozesse und eine diese Lösung in dieser Form mit. moderne Verwaltung, und das wollen wir auch. Es gibt Ich glaube, hier sind jetzt die Datenschutzbeauftragten ein großartiges Gutachten des Normenkontrollrates aus und auch die Datenschutzkonferenz gefordert, ihre eige- dem Jahr 2017, das genau diesen Weg beschreibt. Und nen Standpunkte einmal zu hinterfragen und auch einmal auch viele der Kolleginnen und Kollegen, die an unserem zu schauen, wie wir eine – natürlich datenschutzsichere – Neustaat-Projekt mitgeschrieben haben, fordern genau Lösung finden. Ich finde manches in der Stellungnahme das: Once-Only-Registermodernisierung und ein Cock- der Datenschutzkonferenz mehr als schwierig. Das gilt pit, das das Ganze transparent macht. auch für die Grunddaten beispielsweise, die bei der öster- Auf die Initiative unseres Fraktionsvorsitzenden wurde reichischen Lösung im zentralen Register gespeichert deshalb in den Verhandlungen des Koalitionsausschusses sind, die wir auf der deutschen Ebene so nicht hätten. am 3. Juni, bei dem es darum ging, wie wir unser Land für Wir brauchen eine zukunftsgewandte Lösung. Wir brau- die Zeit nach der Krise fit machen, vorgeschlagen, dass chen ein Lösen der Bremse. Wir brauchen mehr Digita- wir in dem Zusammenhang auch dieses Thema lösen. lisierung, und die brauchen wir schnell. Dort wurde beschlossen, dass wir die Steuer-ID als ein- (Beifall bei der CDU/CSU) heitlichen Identifier wählen. Es wurde zusätzliches Geld eingestellt für die Registermodernisierung und zum Ich glaube, es gibt gute Argumente, datenschutzrecht- Zweiten für die OZG-Umsetzung. Ich muss sagen, das liche Bedenken ernst zu nehmen und trotzdem den Weg ging sehr schnell: Innerhalb von fünf Monaten hat das zu gehen, wie wir ihn beschreiten. Ich freue mich auf die BMI einen Gesetzentwurf vorgelegt. Deshalb an der Stel- digitale und auf die bürgerfreundliche Zukunft. Heute le herzlichen Dank Ihnen, Herr Staatssekretär Günter beginnt sie, glaube ich, mit guten Beratungen. Krings, und Ihrem Haus sowie allen Mitarbeiterinnen Vielen Dank. und Mitarbeitern, sowie Staatssekretär Markus Richter. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24343-24354

Nadine Schön (A) Sie haben genau das auf den Weg gebracht. Und ein herz- Herzlichen Dank dem Innenministerium für das Ge- (C) liches Dankeschön an , der das aus dem setz. Kanzleramt immer unterstützt hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU) ordneten der SPD)

Auf die Sorgen wurde eingegangen. Wir schlagen eine Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: datenschutzkonforme Lösung vor: Wir wählen das 4-Cor- Vielen Dank, Nadine Schön. – Ich schließe die Aus- ner-Modell; das bedeutet, dass Daten nicht zwischen sprache. zwei Behörden ausgetauscht werden, sondern immer noch ein Mittelsmann dazwischensteht. Mit dem Daten- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs cockpit schaffen wir Transparenz; jeder einzelne Bürger auf Drucksache 19/24226 an die in der Tagesordnung kann dann einsehen, welche Behörden Daten ausge- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es weitere tauscht haben. Und es können keine unberechtigten Pro- Überweisungsvorschläge? – Das ist offensichtlich nicht file gebildet werden, weil wir die Daten dezentral lassen der Fall. Dann verfahren wir wie vorgeschlagen. und der Austausch eben nur mit Berechtigung funktio- Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. niert. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- Wir schlagen heute eine Lösung vor, die, liebe FDP – tages auf morgen, Freitag, 20. November 2020, 9 Uhr, „Digitalisierung first, Bedenken second“ –, datenschutz- ein. sicher ist, aber ein Meilenstein für die Modernisierung Die Sitzung ist geschlossen unserer Verwaltung ist. Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. (Schluss: 22.27 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24355

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Entschuldigte Abgeordnete Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Bellmann, Veronika CDU/CSU Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE Schulte, Ursula SPD Felser, Peter AfD Solms, Dr. Hermann Otto FDP Freihold, Brigitte DIE LINKE Steffel, Frank CDU/CSU Gabelmann, Sylvia DIE LINKE Steinke, Kersten DIE LINKE Gottberg, Wilhelm von AfD Wagenknecht, Dr. Sahra DIE LINKE Hartmann, Verena fraktionslos Weidel, Dr. Alice AfD Hebner, Martin AfD Weiler, Albert H. CDU/CSU Heinrich, Gabriela SPD Weingarten, Dr. Joe SPD Herrmann, Lars fraktionslos Witt, Uwe AfD Herzog, Gustav SPD Zdebel, Hubertus DIE LINKE Irlstorfer, Erich CDU/CSU Zimmermann, Pia DIE LINKE Jung, Andreas CDU/CSU * aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Kaiser, Elisabeth SPD (B) (D) Kapschack, Ralf SPD Anlage 2

Kemmer, Ronja* CDU/CSU Erklärung nach § 31 GO Ludwig, Dr. Saskia CDU/CSU des Abgeordneten Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- Manderla, Gisela CDU/CSU empfehlung des Petitionsausschusses – Sammel- Miazga, Corinna AfD übersicht 672 zu Petitionen, Beschlussempfehlung 3, lfd. Nr. 13 bis 57 (Rentenanpassung) Mützenich, Dr. Rolf SPD (Tagesordnungspunkt 32 d) Nick, Dr. Andreas CDU/CSU Ich gebe hiermit nach § 31 Absatz 1 GO-BT folgende Erklärung zu meinem Stimmverhalten bezüglich der Nietan, Dietmar SPD 45 Petitionen zu den Themen Rentenberechnung und Noll, Michaela CDU/CSU Rentenniveau ab: Hier und heute werden wir unter anderem über fünf Nord, Thomas DIE LINKE Listen mit 304 Petitionen abstimmen, welche reine Lis- Özdemir (Duisburg), SPD tenpetitionen sind. Das hat nichts mit der Art der Ein- Mahmut reichung der Eingaben zu tun, sondern mit der Art und dem Weg der Verbescheidung. Die Menschen, die sich an Pilger, Detlev SPD den Petitionsausschuss hier im Parlament wenden, wol- len mit den Eingaben uns Parlamentarier und Parlamen- Post, Florian SPD tarierinnen erreichen. Sie hoffen auf Hilfe, Verständnis oder wenigstens auf Problembewusstsein, wenn sie sich Remmers, Ingrid DIE LINKE an das Parlament, an uns Parlamentarierinnen und Parla- Rimkus, Andreas SPD mentarier sowie an den Petitionsausschuss dieses Hauses wenden. In diesem Zusammenhang verweise ich darauf, Rupprecht, Albert CDU/CSU dass wir diese Erwartungen nicht erfüllen, wenn zum Beispiel bei den Listenpetitionen in der Regel nur 2 von Schäfer (Bochum), Axel SPD 709 Abgeordneten als sogenannte „Berichterstatter“ mit 24356 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) der Eingabe überhaupt inhaltlich konfrontiert werden. gen werden wird (was sich wiederum anpassungsmin- (C) Wir erfüllen die Erwartungen außerdem nicht, wenn die dernd auswirkt), wird der Altersvorsorgeanteil auch in auf die Listen gelangten Petitionen schließlich geräusch- Zukunft dafür sorgen, dass die jährlichen Rentenan- los per Liste ohne Kenntnis des Inhalts – oder wenigstens passungen – noch weiter als nach geltender Gesetzeslage der Schwerpunkte – durch das Plenum gehen. Unsere ohnehin schon vorgesehen – hinter der Lohnentwicklung Kenntnis der Inhalte der Eingaben, der Sorgen, Nöte zurückbleiben werden. und Anregungen ist bereichernd für unsere Arbeit und für unsere Aufgabenerfüllung. Das müsste hier vorab Der ersatzlose Wegfall der Dämpfungsfaktoren und die noch einmal klar und deutlich zum Ausdruck gebracht Wiederherstellung der Lebensstandardsicherung durch werden. die gesetzliche Rentenversicherung sind zentrale renten- politische Forderungen meiner Partei, meiner Fraktion Umso wichtiger ist es mir, zu den 45 der 304 Listen- Die Linke und mir selbst. petitionen etwas Inhaltliches zu dem damit aufgerufenen Thema Rente zu bemerken, und zwar wie folgt: Daher teile ich das Anliegen der Petentinnen und Petenten und stimme somit folgerichtig gegen den Die Petenten und Petentinnen greifen mit dem Anlie- Abschluss dieser 45 Petitionen. gen, den Altersvorsorgeanteil nicht mehr im Rahmen der jährlichen Rentenanpassung zu berücksichtigen, ein wichtiges Element zur Wiederherstellung der Lebens- standardsicherung durch die gesetzliche Rentenversiche- Anlage 3 rung auf. Zu Protokoll gegebene Rede Der Altersvorsorgeanteil wurde als Teil des sogenann- ten „Riester-Faktors“ im Jahr 2001 mit dem Altersvermö- zur Beratung des von der Bundesregierung einge- gensergänzungsgesetz in die Rentenanpassungsformel brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- eingeführt. Seitdem hat er maßgeblich dazu beigetragen, rung der Verordnung (EU) 2019/1148 des Europä- dass das Rentenniveau von rund 53 Prozent im Jahr 2000 ischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 auf derzeit 48,2 Prozent abgesunken ist. Die Begründung über die Vermarktung und Verwendung von Aus- für die Einführung des Riester-Faktors war, dass die gangsstoffen für Explosivstoffe, zur Änderung der zusätzlichen Belastungen, die den Erwerbstätigen durch Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 und zur Aufhe- die aufgrund der Schwächung der gesetzlichen Renten- bung der Verordnung (EU) Nr. 98/2013 versicherung notwendig gewordenen zusätzlichen priva- (Tagesordnungspunkt 16) ten Altersvorsorge entstehen, zum Teil an die Rentenbe- (B) ziehenden weitergegeben werden müssten. (D) Die politische Hoffnung, die in die gesetzliche Renten- Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Am versicherung politisch willkürlich gerissene Sicherungs- 13. November, dem fünften Jahrestag der Terroranschlä- lücke über die kapitalgedeckte private – und vom Staat ge von Paris, haben wir der Opfer gedacht. Neben geförderte – zusätzliche Altersvorsorge namens „Riester- Kalaschnikow-Gewehren trugen die islamistischen Rente“ schließen zu können, hat sich nicht erfüllt. Erheb- Attentäter selbstgefertigte Sprengwesten. Diese stellten liche Kapitalmarktrisiken, hohe Verwaltungskosten so- sie mithilfe von Wasserstoffperoxid her; einer Chemika- wie utopisch hoch angenommene Renditeerwartungen lie, die zur Reinigung von Flächen oder zum Färben von stehen dem im Wege. Der damals erhoffte Verbreitungs- Haaren verwendet werden kann, also für völlig banale grad wurde ebenfalls nicht erreicht: Nach aktuellsten Dinge eingesetzt wird. Zahlen aus dem Alterssicherungsbericht 2020 verfügten Die Liste von Anschlagsversuchen und Anschlägen im Jahre 2019 lediglich 29,6 Prozent der Beschäftigten mit selbsthergestellten Sprengsätzen aus solch frei ver- über einen Riester-Vertrag, Tendenz sinkend. Ungefähr fügbaren Ausgangsstoffen für Explosivstoffe ist lang. ein Fünftel dieser Verträge ruht zudem; sie werden also Auch in Deutschland werden immer wieder entsprechen- nicht mehr aktiv bespart. Die Linke spricht sich dafür aus, de Chemikalien oder funktionsfähige Sprengsätze bei das gescheiterte Riester-Projekt zu beenden und die hier- polizeilichen Durchsuchungen gefunden. für vorgesehenen staatlichen Subventionen in Höhe von jährlich knapp 4 Milliarden Euro der gesetzlichen Ren- So tötete sich ein islamistischer Terrorist bei einem tenversicherung zukommen zu lassen. Anschlag in Ansbach mit einer entsprechenden Bombe selbst und verletzte 15 weitere Menschen schwer. Der Die Aussage in der Beschlussempfehlung des Peti- rechtsextreme und antisemitische Täter von Halle führte tionsausschusses, dass der Altersvorsorgeanteil selbst mehrere Kilo selbsthergestellter Sprengsätze mit sich. keine anpassungsdämpfende Wirkung mehr entfaltete, Auch hier wurde Wasserstoffperoxid verwendet! Auch spiegelt nicht die volle Wahrheit wider. Zwar ist es rich- bei Anschlägen gegen Unterkünfte von Geflüchteten tig, dass der Altersvorsorgeanteil seit dem Auslaufen der werden immer wieder sogenannte unkonventionelle sogenannten „Riester-Treppe“ konstant bei 4 Prozent Sprengvorrichtungen verwendet. liegt und die Rentenanpassungen somit nicht mehr eigen- ständig mindert. Rechnerisch wird er als Teil des „Ries- Unsere Fraktion hat bereits im Jahr 2016 einen Antrag ter-Faktors“ jedoch nach wie vor noch bei jeder Verände- in diesem Haus vorgelegt, der die Abgabe von anschlags- rung des Beitragssatzes wirksam, indem er den dadurch fähigen Ausgangstoffen beschränken und einen Miss- entstehenden Effekt verstärkt. Da der Beitragssatz zur brauch erschweren soll. Mit Nachdruck haben wir immer gesetzlichen Rentenversicherung auf absehbare Zeit stei- wieder auf die Gefahr dieser Stoffe hingewiesen! Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24357

(A) Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung Am 29. September 2020 hatten sich die Regierungs- (C) setzt europäisches in nationales Recht um. Kern des chefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern Gesetzentwurfes ist die Einführung von Kontaktstellen auf den Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zur Meldung von verdächtigen Transaktionen oder dem geeinigt. Dem Pakt entsprechend beabsichtigen die Län- Abhandenkommen von entsprechenden Stoffen. Eine der, den Personalbestand in ihren Gesundheitsämtern Maßnahme, die wir ausdrücklich begrüßen! deutlich aufzubauen. Fraglich ist nur, ob dieser Mechanismus am Ende wirk- In Umsetzung dieses Paktes stellt der Bund den Län- lich hinreichend wirksam ist. Wir haben in der Vergan- dern Mittel in Höhe von 3,1 Milliarden Euro – aufgeteilt genheit festgestellt, dass viele Hinweise über verdächtige auf sechs Tranchen – zur Verfügung. Die erste Tranche in Transaktionen aus Wirtschaft und Handel kommen, die Höhe von 200 Millionen Euro fließt noch in diesem Jahr hier unersetzlich sind. Deshalb stelle ich mir die Frage, ob ab. ein einheitliches nationales Meldesystem nicht praktikab- ler wäre als 16 verschiedene Meldestellen in den Län- Technisch erfolgt dies über die sogenannte vertikale dern. Umsatzsteuerverteilung, welche regelt, wie die Umsatz- steuer zwischen Bund und Ländern aufgeteilt wird. Die gleiche Frage stellt sich auch bei der Durchführung von Schulungsmaßnahmen, die in weiten Teilen in der Konkret wird der Festbetrag um 200 Millionen Euro Verantwortung der Länder liegen soll. Hier muss sicher- zugunsten der Länder angepasst. Damit können diese not- gestellt werden, dass alle Behörden und die Wirtschaft wendigen Maßnahmen sofort umgesetzt werden. Der über die nötige Expertise im Umgang mit diesen Stoffen Bund beweist damit einmal mehr seine Handlungsfähig- verfügen und verdächtige Transaktionen zuverlässig keit, gerade in diesen herausfordernden Zeiten. identifizieren können. Jeder Person in der gesamten Han- delskette muss klar sein, wann eine Transaktion, also ein Der zweite Teil dieses Gesetzes schafft einen Aus- Kauf bzw. Verkauf, wichtige Verdachtsmomente erfüllt. gleich für kleine, leistungsschwache Länder durch soge- nannte Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen für Der Missbrauch von Ausgangsstoffen von Explosivs- überdurchschnittlich hohe Kosten ihrer politischen Füh- toffen für kriminelle oder terroristische Bedrohungen ist rung, also schafft einen Ausgleich für Kosten der Demo- eine ernste Gefahr und ständig im Wandel. Die Politik hat kratie. die Aufgabe, diese Veränderungen genau zu beobachten und unter vorsichtiger Abwägung der Verhältnismäßig- Grundlage ist eine Neuberechnung des Bedarfs durch keit klare Regelungen zu schaffen. Daher kann der vor- das Statistische Bundesamt. Es erfolgt eine gesetzlich liegende Gesetzentwurf kein abschließender Akt sein, vereinbarte geänderte Verteilung aufgrund geänderter (B) und wir sollten auch einen höheren Anspruch an unsere Einwohnerstrukturen der Ländergemeinschaft. (D) Sicherheitspolitik haben als einzig den, europäischen Von den rund 640 Millionen Euro erhält Berlin rund Vorgaben zu genügen. 59 Millionen Euro, Brandenburg nach einer Korrektur im parlamentarischen Verfahren rund 80 Millionen Euro, Bremen rund 60 Millionen Euro, Mecklenburg-Vorpom- Anlage 4 mern rund 72 Millionen Euro, Rheinland-Pfalz rund 48 Millionen Euro, das Saarland rund 66 Millionen Zu Protokoll gegebene Reden Euro, Sachsen rund 47 Millionen Euro, Sachsen-Anhalt zur Beratung des von der Bundesregierung einge- rund 71 Millionen Euro, Schleswig-Holstein rund 66 Mil- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung lionen Euro und Thüringen rund 71 Millionen Euro. der Ergänzungszuweisungen des Bundes nach § 11 Und zum dritten sieht der Gesetzentwurf vor, dass der Absatz 4 des Finanzausgleichsgesetzes und zur Bund sich weiterhin an den Kosten der Länder für Asyl- Beteiligung des Bundes an den flüchtlingsbezoge- bewerber und Flüchtlinge beteiligt. Die Beteiligung nen Kosten der Länder erfolgt auf Basis des in der Begründung zum Asylver- (Tagesordnungspunkt 20) fahrensbeschleunigungsgesetz festgelegten Verfahrens. Dieses Verfahren ist seit 2016 eingeübt. Der Bund trägt danach Kosten in Höhe von monatlich 670 Euro pro Sebastian Brehm (CDU/CSU): Heute schließen wir Asylbewerber. in der 2. und 3. Lesung einen Gesetzentwurf ab, der von großer Bedeutung für unser aktuelles Handeln ist. Wir Zunächst werden dabei Abschlagszahlungen auf Basis haben bewiesen, dass wir in diesen Zeiten schnell – der geschätzten Asylbewerberzahlen an die Länder aber auch wohlüberlegt – handeln können, und das tun geleistet, im Nachgang werden in einer Spitzabrechnung wir heute auch, konzentriert auf die Sache, und konzen- Unter- oder Überzahlungen ausgeglichen. Auch hier triert auf die Notwendigkeiten. übernimmt der Bund Verantwortung. Das aktuelle Gesetz hat drei wesentliche Teile. Zum Nach den Anpassungen im parlamentarischen Verfah- einen – und das ist erst im Rahmen des parlamentarischen ren entlastet der Bund die Länder mit dem vorliegenden Verfahrens in das Gesetz hineingekommen – sieht der Gesetzentwurf um insgesamt 635 Millionen Euro, teils Gesetzentwurf eine Stärkung der Gesundheitsämter vor. als Abschlagszahlung für den Zeitraum 1. September Diese Stärkung der Gesundheitsämter ist in der aktuellen 2020 bis Ende 2021, teils als Spitzabrechnung für den Corona-Lage zentral. Zeitraum 1. September 2019 bis 31. August 2020. 24358 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Summa summarum: Der Bund wird mit dem Gesetz Anlage 5 (C) seiner Verantwortung für unser Staatswesen vollumfäng- lich gerecht. Dem Gesetz kann man guten Gewissens Zu Protokoll gegebene Reden zustimmen. zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesmeldegesetzes (2. BMGÄndG) Sonja Amalie Steffen (SPD): Mein Kollege Martin Gerster hat ja schon den ersten Teil dieses Gesetzes mit (Tagesordnungspunkt 22) dem sperrigen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Anpas- sung der Ergänzungszuweisungen des Bundes nach § 11 Absatz 4 des Finanzausgleichsgesetzes und zur Beteili- Marc Henrichmann (CDU/CSU): Wir beraten heute gung des Bundes an den flüchtlingsbezogenen Kosten der in zweiter/dritter Lesung das zweite Gesetz zur Änderung Länder“ trefflich erläutert. Ich werde mich daher auf den des Bundesmeldegesetzes. Bereits bei der ersten Lesung Änderungsantrag konzentrieren, der jedoch in seinen wurde betont, dass es um den Ausbau der digitalen Ver- Auswirkungen ebenfalls einen sehr bedeutenden Inhalt waltung des 21. Jahrhunderts geht. Selbst aus Reihen der hat; denn es geht um nichts Geringeres als um den öffent- Opposition kam Lob für das Gesetz. Das erlebt man sel- lichen Gesundheitsdienst. ten in diesem Hohen Haus. Es mag gewiss an der guten Vorlage gelegen haben.

Die berechtigten Sorgen der Gesundheitsämter in Aber: Nichts ist so gut, als dass man es nicht noch Deutschland sind uns bestens bekannt. Von „Alarmstufe besser machen könnte. Und so haben wir im parlamenta- Rot“ ist die Rede, vom „Kollaps der Gesundheitsämter“. rischen Verfahren noch weitere Änderungen und Verbes- Die anhaltend hohe Zahl der Covid-19-Neuinfektionen serungen vorgenommen. überlastet viele Gesundheitsämter massiv. 75 Prozent Worum geht es? Die Behörden können Meldedaten der Behörden kommen, gerade wenn es um die Kontakt- zukünftig automatisiert abrufen. Es werden darüber verfolgung geht, ohne die Hilfe der Bundeswehr gar nicht hinaus vereinheitlichte Kriterien für den länderübergreif- mehr klar. Es ist deshalb außerordentlich zu begrüßen, enden Abruf geschaffen. Und die Datenqualität wird dass Bund und Länder am 29. September 2020 den Pakt spürbar verbessert, was auch der Datensparsamkeit dient, für den öffentlichen Gesundheitsdienst· geschlossen wenn nämlich klare Zuordnungen der Datensätze zu einer haben. Der Bund stellt den Ländern bis 2026 insgesamt Person möglich sind. Überflüssige Prüfungen und 3,1 Milliarden Euro zur Verfügung: für Personal, für Recherchen für die Behörde entfallen. (B) Digitalisierung und für modernere Strukturen. Der Pakt (D) sieht vor, dass wir mit der ersten Tranche – und darum Was haben Bürgerinnen und Bürger davon? Beispiels- geht es hier – in Höhe von 200 Millionen starten. Was weise die An- und Abmeldung von Wohnungen wird von geschieht mit den zur Verfügung gestellten Mitteln? zu Hause aus möglich und spürbar vereinfacht. Zudem werden alle Datenabrufe protokolliert und sind für die betroffenen Person einsehbar, was das Vertrauen in die Erstens: der Personalaufbau: Bis Dezember 2021 sol- Verwaltung und den Umgang mit sensiblen Daten stärkt. len zusätzlich 1 500 Stellen, und zwar vor allem für die örtlichen Gesundheitsämter, zur Verfügung gestellt wer- Nun zur Kritik: Die vereinfachte Datenübermittlung an den. Bis Dezember 2022 sollen weitere 3 500 Stellen öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften ist für dazukommen. Hier geht es um Stellen für Ärzte, für mich kein Kritikpunkt, sondern dann ein Vorteil, wenn medizinisches Fachpersonal, aber auch für Verwaltungs- ein geliebter Angehöriger stirbt und sich die Seelsorger personal. um einen möglicherweise konfessionslosen Partner oder die Kinder kümmern. Viele segensreiche Beispiele gibt es hier, wo Menschen dankbar waren, dass die Kirche zur Zweitens: die Steigerung der Attraktivität des öffent- Kontaktaufnahme und Seelsorge in der Lage war. lichen Gesundheitswesens; die gehört dazu. Es geht um attraktivere Bezahlung des Fachpersonals, aber auch Weiterer Kritikpunkt – insbesondere durch die Grünen darum, das Thema öffentliches Gesundheitswesen in und den Bundesdatenschutzbeauftragten – sind die ver- der Ausbildung, in der Fortbildung und in der Forschung längerten Speicherfristen für Passversagungsgründe und stärker in den Vordergrund zu stellen. waffen- und sprengstoffrechtliche Erlaubnisse. Die Spei- cherung in den Spezialregistern sei Ausschlussgrund für eine Speicherung in den Melderegistern. Was für eine Drittens: die Digitalisierung; auch im öffentlichen Logik! Denn die Polizei bekommt im Zweifel die Daten Gesundheitsdienst schon seit Langem ein Thema, was bei einem SEK-Einsatz in der Wohnung eines potenziel- wir jetzt in der Krise besonders feststellen mussten. Wir len Waffenbesitzers ohnehin. Nach kritikwürdiger brauchen ein elektronisches Melde- und Informationssys- Ansicht des BfDI und der Grünen dann aber nach Ein- tem, aber auch eine gemeinsame Kommunikationsplatt- sichtnahme in zwei verschiedene Register. Im zweiten form. Register stehen dann aber vielleicht Informationen, die gar nicht erforderlich wären. Der Grundsatz der Daten- Fazit: Wir wollen aus der Covid-19-Pandemie lernen, sparsamkeit wäre da gerade konterkariert. Insofern geht den öffentlichen Gesundheitsdienst so aufzustellen, dass die Kritik hier deutlich an der Sache und einer sinnvollen er für künftige Herausforderungen besser gerüstet ist. Lösung vorbei. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020 24359

(A) Genau das ist aber eines der Grundprobleme in Eine weitere wichtige Dimension dieses Gesetzes ist (C) Deutschland: Die Datenschutzaufsicht agiert zu häufig es, dass es die notwendigen Rechtsänderungen schafft für mit Bedenken und dem datenpolitischen Stoppschild. die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im Eine zukunftsorientierte, beratende und auf Lösungen Meldewesen. Das Onlinezugangsgesetz haben wir Mitte gerichtete Tätigkeit der Aufsichtsbehörden fehlt zu oft. 2017 auf den Weg gebracht, nachdem der Bund im Rah- men einer Verfassungsänderung des Artikel 91c Absatz 5 All das sorgt für Unsicherheit. Beleg dafür ist die am GG die Kompetenz dafür erhalten hat. Es soll die Inter- Montag stattfindende Anhörung zu Belastungen des aktion zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen Ehrenamtes. Auch wenn die Regelungen der DSGVO mit der Verwaltung in Zukunft deutlich schneller, effi- häufig gar nicht das Problem sind, schildern uns die zienter und nutzerfreundlicher gestalten. Beteiligten häufig Ängste und Sorgen – weil es an offen- siver Aufsicht und beratender Begleitung fehlt. So Es ist das große Projekt der Digitalen Agenda der erweist man der Akzeptanz des Datenschutzes in Bundesregierung im Bereich des E-Government. Es Deutschland einen Bärendienst. wird insbesondere durch unseren Kanzleramtsminister Helge Braun und den neuen Bundes-CIO Markus Rich- Wenn Behörden gerade im Sicherheitsbereich aus ter, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, operativ Angst vor undurchdringlichen Datenschutzregelungen vorangetrieben. Ein herzlicher Dank dafür. nicht mehr einander schreiben, sondern vermehrt münd- lich miteinander kommunizieren, um vermeintliche Parlamentarisch wird das OZG-Projekt von den Parla- Datenschutzbedenken zu umgehen, dann muss sich etwas mentariern der Unionsfraktion arbeitsgruppenübergrei- ändern. Ich fordere deshalb mehr Aufklärung und Bera- fend aktiv vorangebracht. Es war ein großer Erfolg, tung durch die Datenschutzbehörden. Ängste müssen dass der Koalitionsausschuss am 3. Juni dieses Jahres endlich ernst genommen und abgebaut werden. Erst nochmals 3 Milliarden Euro für die OZG-Umsetzung recht, wenn man wie einige Teile dieses Hauses, der Stif- bereitgestellt hat. Einen großen Teil dieses Geldes wer- tung Datenschutz – die hierfür mehr als prädestiniert den wir bereits Anfang Dezember im Bundeshaushalt wäre – die notwendige Unterstützung versagt. 2021 beschließen, insbesondere um die Kommunen bei diesem großen Projekt mitzunehmen und zu unterstützen. Mit diesem Gesetz machen wir uns frei von Bedenken weiter auf den Weg zur volldigitalen Verwaltung. Wir In der anschließenden Debatte werden wir auch ein wollen und müssen Gas geben. Dieses gute Gesetz ist Herzstück des E-Government beraten, nämlich die Regis- ein weiterer „Kickdown“. termodernisierung. Ich will nicht vorgreifen, aber ich bin sehr froh, dass (B) Tankred Schipanski (CDU/CSU): Zum Abschluss wir uns in der Koalition nunmehr auf die Steuer-ID als (D) der Debatte, darf ich die digitalpolitische Dimension der sogenannte „single ldentifier“ einigen konnten. Diese Gesetznovellierung beleuchten. Entscheidung wird die Umsetzung des Onlinezugangsge- setzes weiter beschleunigen und die Kommunikation Es ist angeklungen, dass es insbesondere auch Ziel zwischen Bürgern, Unternehmen und Behörden verein- dieser Novellierung ist, die Möglichkeiten die Medien- fachen. Von daher werbe ich herzlich um Zustimmung für bzw. Bildmanipulation durch Morphing und Deepfakes diese wichtigen Gesetzesnovellierungen. zu unterbinden, besser gesagt, sicherzustellen, dass ein Bild (beispielsweise Passbild) „echt“ ist. Damit knüpfen wir an die Gesetzgebung von Anfang November an, wo Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will wir dies bereits für das Pass- und Ausweisgesetz festge- Änderungen am Bundesmeldegesetz vornehmen. Zur legt haben. Begründung verweist sie darauf, der Gesetzentwurf brin- Deepfakes beschreiben realistisch wirkende Medien- ge den Bürgerinnen und Bürgern Erleichterungen und inhalte (Foto, Audio und Video), welche durch Techniken beseitige zugleich Schwierigkeiten, die sich in der Voll- der Künstlichen Intelligenz abgeändert und verfälscht zugspraxis gezeigt haben. Was sie allerdings ver- worden sind. Obwohl Medienmanipulation kein neues schweigt, ist: Auch dieser Gesetzentwurf enthält eine Phänomen darstellt, nutzen Deepfakes Methoden des Reihe datenschutzwidriger Bestimmungen, mit denen maschinellen Lernens, um Fälschungen weitgehend auto- die Grundsätze der Datenminimierung und der Daten- nom zu erzeugen. Dafür gibt es legale Software. sparsamkeit sowie das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgeweicht werden. Die Einwände Ähnlich verhält es sich mit Morphing – ein computer- des Bundesdatenschutzbeauftragten wurden von der generierter Spezialeffekt bei Ton- oder Bildaufzeichnun- Koalition, wie so oft, nicht gehört. gen. Beim Morphing werden zwischen zwei Einzelbil- dern Zwischenübergänge berechnet und somit ein Bild Der einzige positive Aspekt des Gesetzentwurfs gezielt verzerrt. Letztlich kann so aus dem Verschmelzen besteht darin, dass es Bürgerinnen und Bürgern künftig der Fotos zweier Menschen ein „manipuliertes“ Bild her- ermöglicht wird, Daten, die bei den Meldeämtern über sie gestellt werden. gespeichert sind, selbst abzurufen und sie anderen Behör- den für die Bearbeitung von Anträgen bereitzustellen. Ziel muss es natürlich sein, dass derartig manipulierte Damit wird so mancher Behördengang eingespart. Gera- Bilder nicht für das Meldewesen, ob in Ausweisen oder de angesichts der Überlastung zahlreicher Bürgerämter Pässen, zur Anwendung kommen. Das stellt unter ande- ist das eine echte Erleichterung, nicht nur in Pandemie- rem das vorliegende Gesetz sicher. zeiten. 24360-24366 Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 192. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. November 2020

(A) Das war es dann aber auch schon. Und dieser Vorteil Die Regelungen zur Auskunftssperre sind hier viel zu (C) kann nicht die Nachteile wettmachen, die der Gesetzent- restriktiv, gerade für außerparlamentarische Aktivisten. wurf mit sich bringt: Zum Beispiel ist eine völlig unnö- Diese müssen bei der Meldebehörde immer noch nach- tige Doppelspeicherung von Daten vorgesehen. So sollen weisen, dass sie wegen ihres Engagements bedroht Informationen zu waffen- und sprengstoffrechtlichen werden – sie müssen der Behörde also ihr Engagement Erlaubnissen sowie zu Passversagungs- oder -entzie- offenlegen. Wir haben vorgeschlagen, das Prinzip umzu- hungsgründen auch bei Wegzug eines Einwohners für drehen: Die Daten bleiben unter Verschluss – außer, die Dauer von weiteren 50 Jahren im Melderegister ge- jemand kann ein legitimes Interesse nachweisen, oder speichert werden. Auch die Geheimdienste sollen darauf die Person, um deren Daten es geht, stimmt deren Wei- zugreifen können. tergabe zu. Dabei werden diese Daten, wie der Datenschutzbeauf- tragte erklärt hat, ja bereits gespeichert. Dafür gibt es das Zusammengefasst: Der Gesetzentwurf enthält nicht Nationale Waffenregister, das Personalausweisregister, nur keine Verbesserungen des Datenschutzes, sondern das Passregister usw. Behörden, die ein legitimes Interes- leider eine Menge Detailregelungen, die dem Daten- se an diesen Informationen haben, können bereits darauf schutz eklatant zuwiderlaufen. Die Linke wird ihn daher zugreifen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat übri- ablehnen. gens auch darauf hingewiesen, eine Doppelspeicherung könne nicht damit begründet werden, dass die Daten in den Spezialregistern nicht aktuell seien. Die Daten- Anlage 6 schutz-Grundverordnung sieht vor, dass Daten, die über Bürger gespeichert werden, richtig sein müssen. Sind sie Zu Protokoll gegebene Rede das nicht, muss man sie korrigieren und nicht einfach bei einer anderen Behörde eine neue Datei anlegen. zur Beratung des von der Bundesregierung einge- Den geplanten Zugriff der Geheimdienste auf die im brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung Melderegister gespeicherten Daten zu waffenrechtlichen und Verwendung einer Identifikationsnummer in und Passvorgängen hat der Datenschutzbeauftragte übri- der öffentlichen Verwaltung und zur Änderung gens explizit als Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeits- weiterer Gesetze (Registermodernisierungsgesetz – gebot kritisiert. RegMoG) Hinzu kommt ein weiterer Verstoß gegen datenschutz- (Tagesordnungspunkt 23) rechtliche Bestimmungen: Alle möglichen Behörden sol- (B) len künftig bei den Meldeämtern Daten anhand der AZR- (D) Nummer abrufen können, also der Nummer, die Auslän- Petra Pau (DIE LINKE): Datenschutz ist unverzicht- derinnen und Ausländern im Ausländerzentralregister bar. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zugeteilt wird. Diese Nummer wird damit praktisch zu vorgelegt, durch das alle Bürgerinnen und Bürger durch einem Personenkennzeichen für alle Einwohner mit aus- eine universelle Personenkennziffer eindeutig identifi- ländischer Staatsbürgerschaft. Wir werden die Auseinan- ziert und durch verschiedenste Behörden bearbeitet wer- dersetzung um die Einführung eines für alle geltenden den können. Das sei für die Verwaltung(en) effizient, Personenkennzeichens noch im Zusammenhang mit lautet die Begründung. dem Registermodernisierungsgesetz führen. Jetzt schon ein solches Kennzeichen für alle Menschen ohne deut- Eine andere, nicht minder wichtige Frage indes wird schen Pass einzuführen, lehnen wir entschieden ab. ausgeblendet, ignoriert, nämlich die, wie eine solche Als letzten Punkt will ich anführen, dass die Koalition Personenkennziffer aus Sicht des Datenschutzes zu eine Chance ausgeschlagen hat, den Datenschutz wenigs- bewerten sei. Das aber ist keine nachgeordnete Frage, tens im Bereich der Auskunftssperre zu verbessern. sie ist vielmehr vorrangig. Das Bundesverfassungsgericht Schon in der ersten Lesung habe ich auf diesen Punkt hat mehrfach geurteilt, dass eine universelle Personen- hingewiesen, ebenso Kolleginnen und Kollegen der Grü- kennziffer nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die nen und der FDP. Bisher ist es ja so, dass faktisch jede Gefahr der Profilbildung sei zu groß und obendrein Person für ein paar Euro Gebühr von den Meldeämtern unkontrollierbar. die Adressen anderer Personen erhält. In Zeiten, in denen politisch engagierte Personen immer stärkeren Anfein- Ich wiederhole: Datenschutz ist Persönlichkeitsschutz dungen ausgesetzt sind, ist so etwas nicht mehr tragbar. und eine unverzichtbare Basis jedweder Demokratie. Die Ich erinnere nur an die Feindes- und Todeslisten, die in Fraktion Die Linke lehnt daher den Gesetzentwurf in der der rechtsextremen Szene kursieren. vorliegenden Fassung und mit seiner Zielrichtung ab.

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