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SWR2 Musikpassagen

Lusophone Klänge aus Afrika Morna, Coladera und Semba

Von Peter Brand

Sendung: Sonntag, 02.05.2021 Redaktion: Anette Sidhu-Ingenhoff Produktion: SWR 2021

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Mod 1 über Musik - ab 0:24

Heute geht es um lusophone Klänge aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Afrika - um die Morna, Coladera und Semba. Am Mikrophon begrüßt Sie: Peter Brand

MUSIK 1 zu Ende spielen

„Santa Catarina – eine Region auf der kapverdischen Insel Santiago, unweit der Hauptstadt Praia. Diese Coladera stammt von dem Sänger und Komponisten Rene Cabral, der als Sohn eines westindischen Vaters und einer kapverdischen Mutter 1977 in Dakar die Band „Cabo Verde Show gründete - mit dem ebenfalls in Dakar geborenen Musiker Manu Lima. Die Band zählt zu den bekanntesten Musikgruppen der Kapverdischen Inseln und bewahrt in ihrem Repertoire die musikalischen Einflüsse jener Regionen, die auch die Geschichte der Inseln prägten: Afrika, Portugal und Brasilien.

Diese sanften, aber auch rhythmischen Klänge der afro-portugiesischen Musik, die zuweilen etwas melancholisch klingt, lassen die einst bitteren Irrfahrten der Sklavenhändler zwischen Afrika und Brasilien fast vergessen. Seit dem 15. Jahrhundert erlitten unter portugiesischer Herrschaft , die kapverdischen Inseln, Guinea-Bissau, Moçambique sowie die kleinen Inseln Sao Tomé und Principe ein gemeinsames Schicksal, dass eine besondere Mischung an lusophonen Klängen und Rhythmen hervorbrachte. Portugal hieß früher Lusitania und seine Einwohner waren die Lusitanos.

Neben der großen Bandbreite an Klängen und Rhythmen auf den kapverdischen Inseln wie Coladera, Funana und Morna entwickelte sich in Angola eine andere traditionelle Musik- und Tanzform: die Semba. Das Wort leitet sich von Massemba ab und bedeutet "ein Hauch von Bäuchlein", was sich auf die Bewegungen beim Tanz bezieht. Es ist möglich, dass sich die brasilianische aus demselben Wortstamm ableitet, da viele Angolaner aus Angola von den Portugiesen nach Brasilien gebracht wurden.

1997 nahmen in Angola einige Musiker unter dem Namen „ Semba Masters“ ein traditionelles Album auf. Von ihm stammt der Titel: „Kanjila“.

2 x Semba Master's: Kanjila (Zé Keno) CD: Raiz E Tradicao Sono Suite / Energy Recs. NGR 9803 (1998) Angola / Semba

3 + Maria de Barros: Nha Primero Lar (Paulino Vieira) CD: Nha Mundo - Music of Cabo Verde Narada World Virgin 72435 91628-2 (2003) Cabo Verde / Morna

Eine Morna von Maria de Barros. Der Komponist Paulino Vieira widmete dieses Lied der kleinen Stadt Praia Branca auf der Insel Sao Nicolau. Von dort stammen auch die Eltern von Maria de Barros, die im senegalesischen Dakar geboren wurde, in Mauretanien heranwuchs 2 und dann in die USA zog. Dort lernte sie in der kapverdischen Community auch ihren Mann kennen, den Bassisten der Reggae-Band „Toots & The Maytals“. Sie gilt als eine Ziehtochter von Cesaria Evora und singt wegen ihrer bewegten Herkunft viele Lieder auf Portugiesisch, Spanisch, Französisch und im Kapverdischen Kreol.

Die Herkunft der Morna wird auf Insel Boa Vista vermutet, doch ihre Ursprünge liegen wohl in der afrikanischen Musik Angolas. Denn die Inseln waren vor der Entdeckung und Besiedlung durch die Portugiesen unbewohnt. Die ersten portugiesischen Siedler wurden am Ende des 15. Jahrhunderts mit besonderen Privilegien auf das 'Grüne Kap' gelockt: sie zahlten keine Zehnt-Steuer auf landwirtschaftliche Produkte und beteiligten sich am Sklavenhandel, den die Portugiesen betrieben.

4 x Bulimundo: Brageru (Manuel da Conceicao Dias Fernandes) CD: Djam Brancu Dija - Funana Dance Melodie 79546 (1990) rec. 1980 Cabo Verde / Funana

Durch entflohene Sklaven entstand auf der Insel Santiago das viel jüngere Musik- und Tanz- Genre der Funaná. Ursprünglich geprägt vom diatonischen Akkordeon, der Gaita, und einem metallischen Schrapp-Instrument, dem Ferrinho, konnten auch die weniger bevorzugten sozialen Schichten ohne elektrischen Strom in temperamentvollem Tempo hauteng tanzen. Doch wegen der sozialkritischen Texte und des erotischen Tanzes war diese Musikform unter der Kolonialherrschaft Portugals lange Zeit verboten. Erst 1975 mit der Unabhängigkeit von Portugal erhielt die Funaná ihren verdienten Platz auf den Tanzflächen und in den Radios der Kapverden. Wir hörten die Band Bulimundo, die 1980 auf ihrem Album „Funana Dance“ eine neue, modernere Form der Funaná mit elektrischen Instrumenten vorstellte.

Doch zurück zur Morna – hier mit dem Sänger Sékouba Bambino:

5 + Sékouba Bambino feat. Fanny J: Irréprochable (Sékouba Bambino) CD: Innovation Syllart Prods. Lusafrica 662102 (2012) Cabo Verde / Morna Sékouba Bambino mit seiner Morna „Irréprochable” (einwandfrei). Sékouba Diabaté, wie er eigentlich heißt, wurde 1963 in Guinea nahe der malischen Grenze in einer traditionellen Griot-Familie geboren. Sékoubas Mutter war eine bekannte Sängerin, die sich von seinem Vater trennte und bald darauf starb. Von der Großmutter aufgezogen, hörte er als Dreijähriger seine Mutter im Radio singen und wollte dies sofort zerstören, um sie daraus zu befreien. Als Schüler begann er in kleinen Bands zu spielen und gewann 1979 den Preis als bester Sänger von Guinea. Daraufhin engagierte in die berühmte Band „Bembeya Jazz“, von der er den Nicknamen „Bambino“ erhielt, um ihn von dem Gitarristen der Band Sékou Bembeya Diabaté zu unterscheiden.

1990 startete er mit seiner eigenen Band eine Solokarriere und lernte den erfolgreichen westafrikanischen Produzenten Ibrahima Sylla kennen, mit dem er seither eng zusammenarbeitet. Sein letztes Album „Innovation“, von dem wir die Morna hörten, wurde von dem Kapverdischen Musiker Manu Lima mitgestaltet. Er ist auch Mitglied der Band „Cabo Verde Show“, von der die folgende Coladera stammt.

6 x Cabo Verde Show: Bo Kum Cré Sinti (René Cabral / Daniel Adelaide) CD: Cabo Verde Show 2008 3

Lusafrica / Harmonia Mundi 2379-2 (2007) Cabo Verde / Coladera

7 + Elida Almeida: Mar Sagrado (Jorge Tavares Silva) CD: Mornas De Cabo Verde Harmonia / Lusafrica 56725 762342 (2016) rec. 2014 Cabo Verde / Mourna

Elida Almeida sang: “Mar Sagrado” – Heiliges Meer:

“Der Weg zum Meer ist eine Wunde in meinem Herzen und erfasst mein ganzes Wesen. Mein Brautschleier und meine Blumenkrone sind nutzlos geworden.

Heiliges Meer, ich weinte, klagte vor der Welt und flehte schweigend, doch er kam nicht zurück Heiliges Meer, dich trage ich nun in mir

Ich sah Streifen am Himmel und Krähen an den Kreuzen, das waren schlechte Vorzeichen. Heiliges Meer, du hast mich zerstört

Morgen wäre die Hochzeit gewesen, meine Tugend war für ihn, und auf diesen Tag hatte ich gewartet – auf diesen Tag werde ich nun immer warten.“

Wie im , so handeln auch in der Morna viele Texte von der Hoffnung auf die Rückkehr der Seefahrer und von der Sehnsucht nach Heimat. Dieser Ausdruck der „Sodade“ in der Stimme von Elida Almeida hatte den französischen Produzenten José da Silva mit kapverdischer Herkunft so fasziniert, dass er sie für sein Pariser Plattenlabel „Lusafrica“ engagierte. Als Jugendliche hatte sie in den Inselbergen von Santiago bei Gottesdiensten und später in Bars gesungen. Heute zählt sie auf den Kap Verden zu einer weiteren Generation an Sängerinnen, die das neue afrikanische Bewusstsein der Inseln mit dem melancholischen Gefühl der Morna und aus der Ära Cesaria Evoras verbinden.

Der musikalische Austausch zwischen den lusophonen Ländern Afrikas hat ganz unterschiedliche Musikformen hervorgebracht und weiterentwickelt. So führte in Angola die Semba zu den Tanz- und Musikstilen von und . Die Vielseitigkeit der Semba zeigt sich auf traurigen Beerdigungen sowie ausgelassenen angolanischen Partys. Die Texte der Semba enthalten oft warnende Geschichten über das tägliche Leben oder gesellschaftliche Ereignisse, die oft in einer humorvollen Rhetorik besungen werden.

8 x Gaby Moy: Merengue de St. Antonio (Gaby Moy) (1975) CD: Semba Da Minha Terra - Música de Angola Sons d' 449 / 03 (1992) Angola / Semba

Gaby Moy, ein Sänger aus Angola, mit der Semba „Merengue de St. Antonio“. In seinem Liedtext heißt es:

"All jene die mich verfluchten, starben vor langer Zeit, und jene die mich verhexten, wurden selbst verrückt. Ich sollte am Antonius-Tag geboren werden, doch es wurde der Namenstag der Heiligen Anna.“ 4

Auch hier sind allerlei Bewertungen drin, die nicht unbedingt sein müssen: (ich schlage vor)

Dieser etwas Song stammt ursprünglich vom angolanischen Musiker David Ze. 1944 geboren, stand seine Musik noch unter dem Eindruck der Herrschaft Portugals und drückt seine antikolonialistischen Gefühle aus. Seine Komposition „Merengue de St. Antonio“ nahm er 1975 auf – in dem Jahr, als Angola endlich seine Unabhängigkeit erlangte. Seine Karriere währte etwa ein Jahrzehnt, er zählt heute immer noch zu den wichtigen Musikern der frühen 1970er Jahre – das war das „Goldenen Zeitalter“ in der angolanischen Musik. Aber 1977, nach dem gescheiterten Staatsstreich, wurde er ermordet und seine Musik wurde für mehr als ein Jahrzehnt aus dem Radio verbannt.

Gaby Moy interpretierte diesen Song, von dem es weder Noten noch Text gab, 1993 neu und begann damit seine künstlerische Laufbahn. In einem Interview erklärte er kürzlich, „dass Angolas Musiker bereit sein sollten, der neuen Generation zu helfen, diesen von ihren Vorfahren geerbten Semba-Stil zu fördern und zu bewahren, da er doch als Identität der nationalen Kultur dienen würde.“

9 + Lucibela: Chica di Nha Maninha (Traditional / Arr. Toy Vieira) CD: Laco Umbilical Lusafrica / Sony Music 57625 762562 (2018) Cabo Verde / Morna

“Chica di Nha Maninha” – eine kapverdische Morna von Lucibela. Im Liedtext heißt es:

„Chica, Maninhas Tochter fiel vom Berg bis zum Grund des kleinen Tals.

Sie ging zu schnell, wie im Galopp und fiel vom Berg hinunter.

Oh Mutter, als ich kam fühlte ich mit Dir. Es war ein Unglück dieser Tod eines kleinen Engels.“

Ob sich diese traurige Geschichte auf der kleinen kapverdischen Insel Sao Nicolao ereignete, ist ungewiss - aber dort wurde 1986 die Sängerin Lucibela geboren. Als Jugendliche begann sie in Hotels vor Touristen zu singen und traf später in der Hauptstadt Praia auf Musiker, denen sie sich anschloss. Ihre erste Tournee führte sie 2016 nach Lissabon, wo begeisterte Journalisten sie mit Cesaria Evora verglichen. „Nein“, sagte Lucibela bescheiden, „Cesaria ist einzigartig und es wird nie wieder eine Cesaria geben. Mein Ziel ist es aber, ihre begonnene Arbeit fortzusetzen und ich möchte unsere Musikgenres wie Morna und Coladera fast überall auf der Welt singen.“

So, wie Lucibela, fühlen sich viele kapverdische Sängerinnen von den traditionellen Klängen inspiriert. Doch es gibt auch Musiker, die andere Musikgenres zu integrieren versuchen und sich um kreative Fusionen bemühen. So hatte die Band „Livity“, was in Jamaika „Freiheit“ bedeutet, sich dem Reggae und dem Zouk der Französischen Antillen verschrieben. Doch als die Sänger Jorge Neto und Zé Carlos in die Band traten, beschloss diese, ihr musikalisches Repertoire zu ändern und sich auf die kapverdische Musik zu konzentrieren. Mit ihrer 5

Coladera „Sem Ninguem“ (Ohne Jemanden) gehen heute unsere Musikpassagen über lusophone Klänge zu Ende. Einen schönen Abend wünscht Ihnen, Peter Brand.

10 x Livity: Sem Ninguem (Livity) CD: Rapaz Novo Sons D’Africa CD 292 (2014) Cabo Verde / Coladera

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