Lars Lüdicke (Hg

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Lars Lüdicke (Hg Lars Lüdicke (Hg. ) Neueste Forschungsergebnisse zur Friedlichen Revolution 1989/90 Herausgegeben von Lars Lüdicke im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Deutschen Gesellschaft e. V. Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED- Diktatur Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung der Deutschen Gesellschaft e. V. unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung auf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie für Internet-Plattformen © Deutsche Gesellschaft e. V. Voßstraße 22 10117 Berlin dg@deutsche-gesellschaft-ev. de Layout und Gestaltung: Johanna Weise »Ausgeforscht«| 2 Inhaltsverzeichnis Vorwort .............................................................................................. 5 Operation am offenen Herzen. Eine Bilanz .................................... 8 des Vereinigungsprozesses nach dreißig Jahren Stefan Wolle WISSENSCHAFT Die Transformation der ostdeutschen Rechts-, ............................. 21 Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in den 1980/90er Jahren Axel-Wolfgang Kahl MILITÄR Das Ende der NVA – Kein Ende der Forschung ............................ 49 Heiner Bröckermann WIRTSCHAFT Neue Zugänge zur Erforschung der Treuhandanstalt .................... 66 durch eine Fallbeispielanalyse: Die Privatisierung der Schwermaschinenbau AG Wildau Wolf-Rüdiger Knoll PARTEIEN Die Transformation der SED zur PDS und der Streit um .............. 86 ihre politische Integration Thorsten Holzhauser 3 | »Ausgeforscht« RETROSPEKTIVE Parteien und Experten als Akteure in geschichts- ...................... 110 politischen Debatten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Julia Reuschenbach Mitwirkende .................................................................................. 125 »Ausgeforscht«| 4 Vorwort Seit der Deutschen Einheit im Oktober 1990 sind allein in der Bundesrepublik fast 7000 Bücher zur Geschichte der DDR erschienen.1 Trotzdem ist dieses Kapitel deutscher Geschichte noch längst nicht »ausgeforscht«, wie die anhaltende Konjunktur dieses Forschungsfeldes zeigt: Erst in jüngster Zeit öffnet sich die Forschung beispielsweise einer verflechtungsgeschichtlichen Untersuchungspraxis, die den Prozess von Revolution und Einheit in synchroner wie in diachroner Perspektive analysiert, die also auf die Herausarbeitung der übergeordneten räumlichen und zeitlichen Zusammenhänge ausgerichtet ist. Die Ergebnisse dieser Perspektiverweiterung sind doppelter Art; es entstehen - einerseits transformationsgeschichtliche Verflechtungs- studien zum Übergang von der SED-Diktatur in die Demokratie, mit denen – stärker als bislang – die Fragen nach Kontinuitäten und Brüchen, nach längerfristigen Folgen des sozio-ökonomischen Wandlungsprozesses oder nach (bis heute andauernden) Wirkungen von generationellen Einstellungen, kulturellen Mentalitäten und personellen (Elite-) Kontinuitäten in den Blick genommen werden, und - andererseits vergleichsgeschichtliche Studien zur Kontext- und Beziehungsgeschichte, in denen die (vielfältig verflochtenen) deutsch-deutschen Entwicklungen mit (ost- )europäischen ins Verhältnis gesetzt werden, um – mit unterschiedlichen Ansätzen, die von politikgeschichtlichen 1 Mählert, Ulrich: Totgesagte leben länger. Oder: Konjunkturen der DDR-Forschung vor und nach 1989, in: Ders. (Hrsg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, hg. Im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2016, S. 9-21, hier S. 9. 5 | »Ausgeforscht« bis zu kulturwissenschaftlichen Zugängen reichen – die Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf dem Gebiet von Politik, Kultur, Wirtschaft usw. herauszuarbeiten. Neben diesen transformationsgeschichtlichen Studien, die auf die Analyse historischer Entwicklungslinien (Transformation) beziehungsweise auf die Untersuchung von deutsch-deutsch- europäischen Wechselwirkungen (Interdependenz) abzielen, existieren Desiderate auch hinsichtlich transformationsspezifischer Untersuchungsfelder; das vom Institut für Zeitgeschichte betreute Großprojekt2 zur Struktur und Arbeitsweise der Treuhandanstalt repräsentiert ein solches Feld, das als Forschungslücke bezeichnet werden muss. Ganz offenkundig ist die These des »ausgeforschten Untersuchungsfeldes« also in einem Maße unzutreffend, dass eher das Gegenteil zu gelten scheint. Angesicht der Vielzahl von Studien, die eine äußerst produktive Forschung hervorgebracht hat, erschien es deshalb sinnvoll und geboten, die neuesten Wissenschaftserträge aus dem »wissenschaftlichen Elfenbeinturm« herauszuholen und einem größeren Interessentenkreis vorzustellen – gerade im Jubiläumsjahr der »Friedlichen Revolution«. Zu diesem Zweck hat das Forum Deutschlandforschung, der wissenschaftliche Arm der Deutschen Gesellschaft e. V., am 26. und 27. September 2019 ein Kolloquium durchgeführt, das (Nachwuchs-)Wissenschaftlerinnen und (Nachwuchs-)Wissenschaftlern die Möglichkeit zur Vorstellung neuerster Forschungserträge geben, neue Impulse setzen, zum Transfer von Forschungsergebnissen beitragen und die Vernetzung der Forschenden unterstützen sollte. 2 https://www.ifz-muenchen.de/aktuelles/themen/geschichte-der-treuhandanstalt/ »Ausgeforscht«| 6 Einem pluralistischen Wissenschaftsverständnis folgend, wurden Forschende unterschiedlicher Institutionen eingeladen, die ihre jeweiligen Forschungsprojekte beziehungsweise -felder präsentierten und diskutierten. Auf diese Weise entstand ein exemplarischer Querschnitt durch das Themenspektrum »Friedliche Revolution und ihre Folgen«, der sich auf folgende Gebiete erstreckte: Entwicklung und Grundprobleme der Forschung zur Friedlichen Revolution, Wissenschaft, Militärwesen, Wirtschaft, Parteien, Gesellschaft. Bereits in dieser Konkretisierung wird deutlich, wie sich der Vor- und der Nachteil der Exemplarität bedingten: Zwar konnte das Kolloquium die große Bandbreite der Forschungsinteressen und -zugänge deutlich machen, aber vermittels der jeweiligen Projekte nur Ausschnitte eines weitreichenderen Untersuchungs- feldes vertiefen. Dass ein anderer Ansatz zu anderen Ergebnissen geführt hätte, versteht sich von selbst. Dementsprechend wurde verschiedentlich der Wunsch geäußert, das Kolloquium fortzusetzen, um einzelne Themengebiete vertieft oder unberücksichtigte Themengebiete überhaupt in den Blick nehmen zu können. Auch in dieser Perspektive zeigte sich, was es noch »auszuforschen« gilt. Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums, die mit ihren Vorträgen und Diskussionsbeiträgen zum Erfolg des Kolloquiums beigetragen haben, sei herzlich gedankt – ausdrücklich auch all jenen, die ihre Forschungserträge in dieser Online- Publikation einem größeren Interessentenkreis vorstellen. Berlin im April 2020 Lars Lüdicke 7 | »Ausgeforscht« Stefan Wolle Operation am offenen Herzen. Eine Bilanz des Vereinigungsprozesses nach dreißig Jahren3 »Wie fühlt man sich an dem Tag, an dem der Staat aufgelöst wird, in dem man gelebt hat?« fragte die Reporterin vom WDR-Hörfunk. Wir saßen am Nachmittag des 3. Oktober 1990 auf der Terrasse eines Cafés am Kurfürstendamm in Berlin. Auf dem kreisrunden Marmortisch drehte sich das Aufnahmegerät einen langen Moment leer. Ich hätte gern etwas Kluges und Tiefsinniges gesagt. Doch gleichzeitig sollte es ehrlich und authentisch klingen. Vielleicht hätte man sagen sollen, wie unvorstellbar es noch vor einem Jahr gewesen wäre, hier am Ku’damm mit einer Journalistin eines »imperialistischen Massenmediums« ohne Angst zu plaudern. Allein die Tatsache, dass die S-Bahn am Bahnhof Friedrichstraße weiter in Richtung Westen fuhr, war elf Monate nach dem Mauerfall immer noch unglaublich. Aber das hätte vielleicht zu naiv geklungen. Die Hörer im Sendegebiet des WDR wollten bestimmt etwas hören von den großen Träumen und von der gescheiterten Utopie des Sozialismus. Davon redeten in der dahinsiechenden DDR gerade diejenigen viel, die in den vergangenen Jahren nicht gerade durch Träumereien, sondern durch rücksichtslose Machtausübung aufgefallen waren. Vielleicht hätte man auch von den ökonomischen und sozialen Schwierigkeiten im Osten Deutschlands reden sollen, die sich damals schon überdeutlich abzeichneten. Aber das hätte angesichts der Feierstimmung vielleicht zu nüchtern geklungen. Hätte ich den Rundfunkhörern sagen sollen, dass hier auf der Flaniermeile des alten Westens die Leute spazieren gehen, einkaufen 3 Eine gekürzte Fassung des Vortrages ist bereits in der Zeitschrift Damals Heft 2/2020 unter dem Titel »Rausch und Kater« erschienen. »Ausgeforscht«| 8 oder im Kaffeehaus sitzen, und ich es sehr gut fand, dass zumindest hier niemand Nationalhymnen singen und Fahnen schwenken wollte. Doch das hätte sehr unpatriotisch geklungen. Ich habe keine Ahnung mehr, was ich damals ins Mikrofon gestammelt habe und was davon gesendet wurde. In Erinnerung geblieben ist das Bild der schon tief über den Häusern hängende nachmittägliche Herbstsonne und eine Frage, auf die ich keine überzeugende Antwort wusste. Die Schatten der Vergangenheit Nach dem Interview schlenderte ich zurück in Richtung Osten, vorbei am Reichstag, wo gerade die letzten Lautsprecherproben für den abendlichen Festakt stattfanden. Das Gelände war weiträumig abgesperrt und noch fast leer. Das Brandenburger Tor war bereits am 22. Dezember 1989 für den Fußgängerverkehr freigegeben worden und einige
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