20 Jahre Wiedervereinigung Deutschlands

Bundesfachseminar des Deutschen Frauenring e.V.

vom 13.11.2009 bis 14.11.2009 in Erkner

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Gefördert durch:

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Impressum Herausgegeben von: Deutscher Frauenring e.V. Redaktion: Bundesgeschäftsstelle Titelblatt: Gudula Hertzler-Heiler

Copyright by: Deutscher Frauenring e.V. Bundesverband, Brandenburgische Straße 22, 10707 Berlin

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Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort des Präsidiums 4

2. Die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle - Vorträge von - Steffen Reiche 5 - Dr. Maria Nooke 10

3. Wendekinder - Inhaltsangabe zum gezeigten Dokumentarfilm 21

3. Frauen in Ost und West: Hoffnungen, Schwierigkeiten, Ansprüche nach der Wiedervereinigung und heute Protokoll der Podiumsdiskussion 22

5. Anhang Tagungsprogramm 39

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Vorwort des Präsidiums

Am 9.11.1989 kam es zu der plötzlichen und spektakulären Maueröffnung die auf einem Versehen gründete. In den letzten Wochen des Jahres 2009 gab es vielfälti- ge Dokumentationen zu „Schabowskis Zettel“. Wir alle haben vielfältige Berichte da- zu gehört oder gesehen.

Obwohl die Regierungen in Polen, in der früheren CSSR und in Ungarn mit Streit und Unruhen zu kämpfen hatten, gab es in Ost- oder Westdeutschland niemanden der auf das Ereignis der Grenzöffnung der DDR vorbereitet war. Der Einigungsver- trag wurde unter großem Zeitdruck erstellt.

Unser Seminar „20 Jahre Wiedervereinigung Deutschland“ startete mit einem Ein- führungsvortrag zum Thema „Die Überwindung der SED-Diktatur: Ursachen und Verlauf der friedlichen Revolution“, der einen Überblick über die Ereignisse und Hin- tergründe gab. Leider kann der Vortrag von Herrn Dr. Hüttmann aus urheberrechtli- chen Gründen an dieser Stelle nicht abgedruckt werden.

Der zweite Teil war dem Thema „Die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle“ gewidmet. Zwei Oppositionelle, Herr Steffen Reiche und Frau Maria Nooke, die ak- tiv am Umbruch beteiligt waren, berichteten die Geschehnisse aus ihrer Sicht.

Die Umbruchzeit wurde im Jubiläumsjahr der Maueröffnung in vielfältiger Weise ge- zeigt und erörtert. Dabei stand ein Aspekt wenig im Vordergrund: Die Kinder der Wendezeit. Der Dokumentarfilm „Wendekinder“ wurde im Laufe des Seminars ge- zeigt. Er erzählt, wie die damals 12-19jährigen die Umbruchzeit erlebten und wie dies ihr Leben veränderte. Der Regisseur des Films und zwei Protagonisten folgten unserer Einladung und diskutierten mit den Teilnehmerinnen des Seminars den Film.

Für uns als Frauenverband, der sowohl in den alten als auch in den neuen Bundes- ländern vertreten ist, ist die Sicht von Frauen in Ost und West auf die friedliche Re- volution und die Veränderungen nach der Wiedervereinigung von vitalem Interesse. In einer Podiumsdiskussion wurden Fragen gestellt nach Hoffnungen, Schwierigkei- ten und Ansprüchen von Frauen in dieser Zeit, wo wir heute stehen und welches unsere gemeinsamen Ziele sind in einer Welt, die sich schnell verändert und uns vor neue Herausforderungen stellt.

Noch eine abschließende Anmerkung: Der Abdruck der Erlebnisberichte bzw. Dis- kussionsbeiträge erfolgt ohne Streichungen oder Textänderungen, da die in den spontanen Wortbeiträgen zum Ausdruck kommenden Emotionen nicht verfälscht werden sollten.

Doris Riedel Mitglied des Präsidiums

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Die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle

20 Jahre Wiedervereinigung Deutschlands und in diesem Zusammenhang die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle ist ein gutes, ein wichtiges Thema. Ich denke, man kann sagen, ohne Kirchen wäre zu- mindest nicht zu diesem Zeitpunkt und Steffen Reiche ganz gewiss auch nicht ohne Gewalt die- Theologe, Mitbegründer der SDP ser friedliche Umbruch so verlaufen. Die Kirchen haben eine zentrale Rolle in die- sem Prozess gespielt, besonders auch die evangelische Kirche, die Jahrzehnte lang bekämpft und um zwei Drittel ihrer Mitglie- der in den 40 Jahren DDR gebracht wur- de. Unbewusst haben die vorbereiteten und organisierten Reformen, der Mut zum aufrechten Gang, der in den Kirchen ge- vieles von dem, was die Staatssicherheit lernt wurde und das offene Wort, was dort dort machen wollte, gelang ihnen eben gesprochen werden konnte, den Prozess auch nicht. eingeleitet, der das Ende der DDR dann Horst Sündermann, der Vorsitzende des besiegelte. Sicherheitsrates, hat einmal in dieser Um- Die evangelischen Kirchen in der DDR ha- bruchzeit, in dieser Zeit der friedlichen Re- ben gewiss auch Fehler gemacht. Sie wa- volution gesagt: ren oft zu ängstlich oder zu kompromiss- bereit, aber sie hatten den Auftrag, Kirche für andere zu sein. Sie waren nach ihrer „Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht Tradition orientiert, denn Bekennende Kir- mit Kerzen.“ che und die Barmer Theologische Erklä- rung , das war den Christen natürlich als Also Kerzen, die aus den Kirchen mitge- Auftrag im Bewusstsein, aber auch als bracht wurden als Symbol, welches aus schon einmal genutzte Chance und als der Kirche auf die Straße getragen wurde. einmal zu wenig engagiert genutzte Chan- Die wichtigsten Impulse und Stationen, die ce. Die Kirche war von ihrer Stellung in der dazu motiviert haben, sich für Reformen in Gesellschaft her dazu in der Lage, denn der DDR einzusetzen, waren: die Umwelt- die Kirchen bildeten den einzigen Frei- bibliothek in , die jungen raum, der nicht vom Staat reglementiert Gemeinden, die Kirche von unten, die Kir- werden konnte. Was die Staatssicherheit chentage und die Montagsdemos in Leip- machen konnte, war, Staatssicherheitsleu- zig, in Plauen, in Dresden, in Potsdam und te in die Kirchen zu schicken, die das gan- an vielen anderen Orten. Der konziliare ze versucht haben zu erkunden, aufzuklä- Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Be- ren und davon weiter zu erzählen. Aber wahrung der Schöpfung war die Selbstver-

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gewisserung der Kirche, dass ihr politi- einem langen Prozess Barmer Theologische scher Auftrag, der gerade auch in einer durch die Kirchen seit Erklärung Gesellschaft wie der DDR, wo es demo- der Reformation er- Die Barmer Theologische kratisch legitimierte Parteien ja nicht gab, kämpft worden sind, Erklärung entstand am ein Auftrag für die Gesellschaft war. zurückgenommen und 31. Mai 1934 auf der Be- Es gab in den Kirchen, das muss selbstkri- beschnitten werden. kenntnissynode in Bar- men. Es war damals als tisch gesagt werden, auch rote Pfarrer, die Manche wollten an notwendig erachtet wor- in der CDU organisiert waren oder in der diesen Ausbildungs- den, das christliche Be- kenntnis vor der Verfrem- christlichen Friedenskonferenz mitmach- stätten nur ein freies dung durch die ten. Aber die übergroße Mehrheit war kri- Studium absolvieren „Deutschen Christen“ zu tisch. Sie hatten andere Möglichkeiten der und im Grunde gar schützen und den Macht- anspruch des Nationalso- besseren wahrhaftigeren Information. Zum nicht in den Pfarr- zialismus mit dem Ziel der einen das Gespräch untereinander, aber dienst eintreten. Die Gleichschaltung zurückzu- eben auch die Möglichkeit, Bücher oder Freiheit im Denken, weisen. Sie gilt als das wichtigste theologische Zeitungen über die Partnergemeinden aus die Freiheit zum Ge- Dokument aus der Zeit dem Westen zu bekommen. Es gab in der spräch, der Zugang zu des Kirchenkampfes im Dritten Reich. Die Erklä- DDR kirchliche sowie staatliche Ausbil- anderer Literatur und rung - sie besteht aus dungsstätten für Theologen und Diakone. zu Wissen und zu sechs Thesen - wird als Die kirchlichen Ausbildungsstätten in Ber- Kenntnissen, wie man wegweisendes Lehr- und Glaubenszeugnis der Kir- lin, Naumburg und Leipzig hatten eine ge- sie an anderen Stellen che im 20. Jahrhundert duldete Rolle. Man bekam einen inhaltli- der DDR kaum oder angesehen. Die Refor- chen Abschluss, der allerdings staatlich gar nicht erwerben mierten und die Evangeli- sche Kirche der Union nicht anerkannt war. In den staatlichen Fa- konnte, hat auch sie rechnen sie zu ihren Be- kultäten wurde im Wesentlichen große An- an diese Ausbildungs- kenntnisgrundlagen. Alle Kirchen sehen in der Bar- passung praktiziert. Aber das, was die 500 stätten geführt. mer Theologischen Erklä- Jungmenschen an den kirchlichen Ausbil- Zugleich hat die Kir- rung ein wichtiges theolo- dungsstätten in der Tradition der beken- che vielen 10.000 gisches Dokument aus der Zeit des Kirchenkamp- nenden Kirche gelernt haben, zum Bei- Menschen einen Ar- fes. spiel bei Lehrern wie Richard Schröder, beitsmarkt gegeben, Wolfgang Uhlmann oder Wolf Krötke, wa- an dem sie ihre Freiheitsrechte praktizie- ren ganz wichtige Impulse und auch eine ren konnten. Das waren diakonische Ein- Orientierung, sich einzubringen und sich richtungen, Einrichtungen in kirchlicher für Reformen Trägerschaft und einige wenige Schulen. Bekennende Kirche stark zu ma- Dieser begrenzte Arbeitsmarkt war ein Ort, Die Bekennende Kirche war wäh- chen. Es wur- wo Menschen neue Hoffnung schöpften, rend des Kirchenkampfes im Dritten de gelehrt, Orientierung sowie Impulse auch für den Reich eine Widerstandsbewegung dass es nicht Widerstand bekamen und in der ausge- innerhalb der evangelischen Kirche, die sich gegen den theologisch- unwiderspro- henden DDR-Zeit ein Ort für Menschen, politischen Einfluss der „Deutschen chen bleiben die resigniert hatten und entschieden hat- Christen“ wehrte. Der oppositionelle darf, wenn der ten, ich werde meine Zukunft woanders Zusammenschluss wandte sich zugleich gegen staatliche Eingriffe Staat DDR suchen. in die Kirche. Mit der Barmer Theo- Freiheitsrech- Der erste Artikel der Verfassung der DDR logischen Erklärung von 1934 trat er einer Verfälschung der evangeli- te und Bürger- besagte, dass bei Bedarf der Staat auf alle schen Lehre entgegen. rechte, die in Räume, Organisationen und Vereinigun-

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gen zugreifen darf, nur auf die die sich eben dann auch sehr Kirche nicht. Es war ein eige- intensiv austauschten über ner Raum mit einem eigenen politische Einschätzungen der Recht und einem vom Staat Situation in der DDR und in DDR unabhängigen Auftrag. der Bundesrepublik. Es wur- Der Staat hat immer wieder den zunehmend junge Men- versucht, Kirchen zu sprengen, schen in diesen Austausch der um auf diese Weise ein Signal Partnergemeinden mit einge- zu setzen, dass Kirche etwas bunden, so hatten junge von gestern ist, dass man Kir- Christen in den jungen Ge- che für die entwickelte sozialis- meinden auf diese Weise tische Gesellschaft nicht mehr auch den direkten Vergleich. braucht. Die wichtigsten sym- Außerdem gab es die kontinu- bolträchtigsten Kirchenspren- Steffen Reiche 1990 ierliche Bruderhilfe aus den gungen waren die in der Garni- Partnerkirchen in der Bundes- sonkirche in Potsdam oder der Versöh- republik, die die Pfarrer in der DDR unter- nungskirche in der Bernauer Straße. Es stützten, um ihr Einkommen ein Stück weit war ein Versuch, der im Grunde die ge- aufzubessern, da diese das geringste Ein- samte DDR-Zeit mit unterschiedlichen Me- kommen hatten. thoden anhielt. Der Versuch, die Kirche Kirchen wurden systematisch an den Rand mundtot zu machen, hat den Staat DDR gedrängt. Ursprünglich war 90% der DDR- immer in der Auseinandersetzung mit den Bevölkerung in Kirchen organisiert. Am Kirchen geleitet. Die Kirchen waren der Ende der DDR-Zeit war durch diese Säku- einzige permanent offene, öffentliche Ort larisierung und einen teilweise auch ganz und boten Raum für kritische Öffentlich- bewusst atheistischen Unterricht in den keit, in dem der Staat nur versucht hat zu Schulen die Zahl der Christen auf 30% zu- observieren, jedoch keinen direkten Ein- rück gegangen. fluss hatte. Was man unter Kirche im Sozialismus Als Opium für das Volk wurde verstand, war von Gemeinde zu Gemein- Religion den Schülern de, teilweise auch von Pfarrer zu Pfarrer beziehungsweise der Bevölkerung unterschiedlich. Natürlich haben die Syno- dargestellt. den versucht, das in Teilen auch zu be- schreiben, doch der Konsens war in die- sem Bereich nicht so groß. Es war also Ich erinnere mich gerne, dass 1983 im auch eine widersprüchliche Beschreibung, Schweriner Dom ein Plakat zu finden war die immer individuell ausgelegt worden ist. mit einem kleinen Brief an Karl Marx: Was die Kirche auch geprägt hat, war der „Lieber Karl Marx, ja, du hast Recht, viele permanente, konsequente, intensive Kon- von uns missbrauchen Religion als Opium. takt zur Bundesrepublik. Es gab tausende Danke für deine harte Kritik, aber lass dir von Partnergemeinden, die über die gan- bitte auch etwas sagen: Viele von uns er- zen Jahre kontinuierlich einen Austausch leben Religion als Vitamin. Schade, dass pflegten. Es gab Begegnungen mit Men- du solchen Christen offenbar zu wenig be- schen, die im Glauben eins waren, aber gegnet bist.“

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Sie können sich vorstellen, dass dieses Kirche gebracht und dort auch das politi- Plakat wenig später entfernt war. sche Gespräch ermöglicht. In den letzten Aber in der Kirche war und blieb Freiraum, Jahren konnten immer wieder auch Sän- der kontinuierlich anwuchs. Es wurde ein ger oder Lyriker, die Auftrittsverbote hat- freies Wort zu den verschiedensten The- ten, in der Kirche auftreten. men gesprochen. Gruppen wie die jungen Eine zunehmend wichtige Rolle der Kirche Gemeinden, die Mütterkreise, die Kreise war, junge Menschen zu motivieren, den für junge Erwachsene, die Frauenhilfe und Wehrdienst in der nationalen Volksarmee die verschiedenen Umweltgruppen, die mit der Waffe zu verweigern und ihren sich zunehmend in der Kirche fanden, die Dienst bei den Bausoldaten zu machen. Gruppen, die auch zunehmend politisch Rund 1 % der jungen Menschen, die gezo- tätig sein wollten und von der Kirche ein gen worden sind, haben den aktiven Dach bekamen, konnten zu verschiedens- Dienst in der NVA dann verweigert und ten Themen in der Kirche in aller Offenheit Dienst bei den Bausoldaten gemacht, wo reden. Zugleich haben die Pfarrhäuser, sie natürlich auch in den Formen der dort aber teilweise auch die Pfarrbibliotheken möglichen Gespräche zunehmend wichti- für diese Gespräche Literatur zur Verfü- ge Impulse bekamen, gemeinsam zu wi- gung stellen können, die es anderenorts derstehen. nicht gab. Es gab in den Kirchen ein ande- In vielen Gemeinden bis hin in kleine Dör- res Selbstverständnis. Pfarrer Eppelmann fer, wie zum Beispiel in Thüringen, wo hat in der Samariterkirche in Berlin mit Pfarrer Schilling eine ganz neue Form der Blues-Messen ganz neue Menschen in die Jugendarbeit gewagt hat, gab es Impulse für Jugendliche, dort an Wochenend- Bausoldaten Rüstzeiten teilzunehmen. Wir haben das Insbesondere auf Drängen der Kir- auch ganz bewusst immer wieder nicht als chen hin wurde diese einzige Mög- Freizeiten wie in den Westkirchen bezeich- lichkeit den Dienst an der Waffe zu net, sondern als Rüstzeiten. Wir haben verweigern 1964 geschaffen den es in keinem anderen sozialistischen gespürt, dass bei diesen Ferien, bezie- Land sondern nur in der DDR gab. hungsweise bei diesen Seminaren, die Bausoldaten wurden in verschiede- dort gemacht worden sind, Menschen ge- nen Bereichen eingesetzt. Während viele Bausoldaten vergleichsweise rüstet wurden für den Widerstand gegen- "zivile" Aufgaben als Gärtner, Kran- über Unrecht in der DDR-Gesellschaft, für kenpfleger in Militärkrankenhäusern oder Küchenhelfer bekamen, wur- den Widerstand, um Freiräume zu gewin- den andere beim Bau von militäri- nen. schen oder halbmilitärischen Ein- Ab 1978 gab es mit dem Gespräch, das richtungen eingesetzt. Eine eigentliche Wehrdienstverwei- Bischof Schönherr mit Erich Honecker ge- gerung war nicht vorgesehen. Wer führt hat, Versuche, das Verhältnis Kirche den Wehrdienst auch als Bausoldat - DDR-Staat etwas anders zu organisieren nicht ableisten wollte, musste unwei- gerlich mit Gefängnis rechnen, an und von den bis dahin vorhandenen gro- das sich nicht selten eine Auswei- ßen Spannungen zu befreien. Dieser Pro- sung aus der DDR anschloss. Bau- soldaten mussten während ihrer zess hat viele Dinge zusätzlich und neu Dienstzeit aber auch hinterher mit ermöglicht, wie zum Beispiel Kirchenbau- Schikanen rechnen. Ein Studien- und Rekonstruktionsprogramme als Aner- platz blieb ihnen oft verwehrt. kennung der Dienste, die sie im sozialen

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Bereich geleistet hat. Die Kirche war in all Teilen unzufrieden, weil es ihnen nicht ge- diesen Jahren immer wieder auch vorsich- nügend weit ging. In den auslaufenden tig, heute wissen wir, an manchen Stellen 80er Jahren boten die Kirchen gerade in war sie wohl auch zu vorsichtig, weil sie Berlin für die Menschen, die Ausreise be- den Bogen nicht überspannen wollte. antragt hatten, einen Ort für Gespräche, Die kirchenleitenden Bischöfe haben ihre einen Ort für die Seelsorge und gleichzei- Rolle ganz unterschiedlich angenommen. tig auch einen Ort, wo man sozusagen die- Bischof Forck in Berlin und Bischof Hem- se Übergangszeit, in der man quasi schon pel in Dresden sind als zwei Bischöfe zu aus Teilen der DDR-Gesellschaft ausge- nennen, die sich durch den Druck des schlossen war, warten konnte. Die Ausrei- DDR-Staates wenig beeinflussen ließen. sewilligen bildeten im Jahre 1987 eine im- Sie haben im Vertrauen auf den Auftrag, mer größer werdende Gruppe. Sie fanden im Vertrauen auf Jesus Christus gesagt: in der Kirche klare Worte und haben dann „Wir machen das, was wir für richtig hal- auch zu den vielen Gruppen, die sich im ten, auch wenn es in einigen Fragen even- Rahmen des konziliaren Prozesses und tuell gefährlich ist, auch wenn uns manche der Friedens- Umwelt- und Gerechtigkeits- in der Kirche versuchen, da zurück zu hal- arbeit bildeten, beigetragen. So konnte ten.“ Insofern sind seit 1980 dann, also sich aus den Kirchen heraus mit der Kerze praktisch für 9 Jahre, in der DDR die Frie- in der Hand eine so große Protestbewe- densdekaden entstanden. In dieser Zeit gung formieren. wurde im Westen der NATO- Ich denke also, man kann mit gutem Recht Doppelbeschluss sehr intensiv diskutiert. sagen, hätte die Opposition in der Kirche Das großartige Denkmal, das die Sowjet- nicht den aufrechten Gang gelernt, hätte union an die UNO geschenkt hat, welches die Kirche nicht den Raum für das offene in New York steht und einen Schmied Gespräch gegeben, wäre die DDR viel- zeigt, der ein Schwert zu einer Pflugschar leicht einige Jahre später mit fatalen Fol- umschmiedet, wurde zum Zeichen der Ab- gen zusammengebrochen. So hat die Kir- rüstungsbefürworter. Es wurde ein Zei- che ihren diakonischen Beitrag geleistet, chen insbesondere für Menschen in jun- dass dort von Anfang an mit der klaren gen Gemeinden, die sich für Frieden in Orientierung auf Gewaltlosigkeit nicht nur anderer Weise einsetzen wollten, als der Widerspruch, sondern auch Widerstand DDR-Staat es vorgab. Die beiden eben entstehen konnte. Es war ein ganz zentra- genannten Bischöfe haben dieses über les Anliegen zu sagen: viele Jahre verbotene Zeichen, was junge Menschen trugen, auch in Solidarität mit „Ja, wir wollen widerstehen, aber wir getragen. wollen es gewaltlos machen“ Staat und Opposition waren immer wieder unzufrieden mit der Kirche, weil die Kirche ja ursprünglich und auch zentral einen an- Insofern kann man die Rolle der Kirchen deren Auftrag hatte. Durch ihren zusätzli- in dieser Zeit gar nicht hoch genug ein- chen politischen Auftrag wurde die Kirche schätzen. Die Bürgerrechtsbewegung und vom DDR-Staat bekämpft. Viele in der Op- alle sind bis heute dankbar für das, was position, die in den Kirchen laufen gelernt die Kirchen in dieser Situation geleistet haben, waren mit diesem Engagement in haben.

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Die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle

Vielen Dank für die Einladung hier nach Erkner. Wie ich gehört habe, sind die meisten von Ihnen aber aus dem soge- nannten alten Bundesgebiet hergereist. Wir freuen uns natürlich auch immer sehr, wenn Interesse aus den alten Bundeslän- Dr. Maria Nooke dern an der Geschichte von 1989, aber Zeitzeugin, stellvertr. Direktorin auch an den Entwicklungen davor geäu- der Stiftung Berliner Mauer ßert und an uns herangetragen wird. Gele- gentlich haben wir ein bisschen das Ge- fühl, dass die Geschichte der DDR und die Geschichte der Deutschen Teilung nach wie vor in der Bundesrepublik als Teilge- schichte der Ostdeutschen dort drüben verstanden wird. Insofern freue ich mich te natürlich eine lange Vorgeschichte nicht heute auf die Begegnung mit Ihnen. Ich erst 1989, als die großen Demonstrationen bin heute als Zeitzeugin eingeladen wor- und die großen Friedensgebete in Leipzig den und habe mich deshalb auch gar nicht aber auch in vielen anderen Städten be- hingesetzt und einen Vortrag vorbereitet. gannen und durchgeführt wurden, waren Sondern habe gedacht, dann tue ich das, die Kirchen Anlaufpunkte. was eigentlich auch mein tägliches Brot Ich habe jetzt die große Chance, das was ist, nämlich die Zeitzeugenarbeit in der Steffen Reiche über die Bedeutung der Berliner Gedenkstätte „Berliner Mauer“ zu Kirche in Bezug auf die Opposition darge- verantworten. Ich erzähle Ihnen einfach stellt hat, ganz konkret an dem Beispiel aus meiner Perspektive, das was heute wie ich es erlebt habe, Ihnen noch einmal Thema sein soll, nämlich die Rolle der Kir- vor Augen zu führen. Ich danke Steffen che für die Oppositionellen. So ist es an Reiche, er hat eigentlich alle Stichworte mich herangetragen worden und ich glau- gegeben, die ich jetzt noch einmal versu- be, dass es auch ein ganz spannendes, che aufzugreifen und vielleicht so ein biss- interessantes und sehr weites Feld ist. chen mit Fleisch zu füllen. Ich komme aus Sie haben in den letzten Tagen und Wo- einer Kleinstadt die 150 km südlich von chen sicherlich sehr viel in den Medien Erkner liegt. Es ist eine Stadt an der polni- wahrgenommen, was zum Thema 20 Jah- schen Grenze, die durch die Kriegsereig- re danach gesendet und jetzt berichtet nisse geprägt ist. Die Stadt war ursprüng- wurde. Immer wieder spielten die Kirchen lich beidseitig der Neiße gelegen und nach dabei eine Rolle. 1989 spätestens sind die dem Zweiten Weltkrieg war ein Stadtteil Kirchen in der DDR zu einem Sammel- zerstört. Der andere, der auf deutschem punkt geworden, für diejenigen, die inner- Gebiet, später dann im DDR-Gebiet lag, halb der DDR versucht haben, sich zu arti- hat weiter existiert. Diese Stadt war ein kulieren und zu protestieren. Aber das hat- Zentrum der Bekennenden Kirche in der

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Lausitz. lebt habe, was es bedeutet, in der DDR Günther Jakob - wer sich vielleicht in der als Christ zu leben. Nämlich sich sehr ge- Geschichte der Bekennenden Kirche aus- nau bewusst zu machen, wie man leben kennt, wird ihn kennen - war dort damals will, was man nach außen trägt, welche Pfarrer, hat ein Zentrum der Bekennenden Überzeugung man hat und was es bedeu- Kirche gegründet und war einer der Initia- tet, als Christ Verantwortung auch inner- toren des Pfarrernotbundes. Diese Prä- halb einer atheistischen Gesellschaft zu gung, die durch Günther Jakob und die tragen, die ganz klar gegen Christentum bekennende Kirche dort in den 30er Jah- und gegen Kirche ausgerichtet ist. Ich ren in den Gemeinden sich festgesetzt hat, kann mich erinnern, dass es für mich sehr spielte eine große Rolle nach dem zweiten prägend war, dass mein Vater immer sag- Weltkrieg und mit Gründung der DDR, so- te: wie den Auseinandersetzungen, die sich zwischen Staat und Kirche abspielten. In dieser Stadt war immer ein Potenzial an „Alles was du sagst, dazu musst du auch kritischen Pfarrern und kritischen Gemein- stehen können. Sage nichts was du dann den. Es gab allerdings auch immer Konflik- vielleicht später zurück nehmen musst, Pfarrernotbund te, denn wir hatten aber wenn du es sagst dann stehe auch in der Stadt eine Im Herbst des Jahres 1933 dazu.“ Gemeinde, die von schlossen sich unter ande- ren Martin Niemöller und den deutschen Dietrich Bonhoeffer im Christen geprägt Pfarrernotbund zusammen war. Interessanter- Das hat nicht nur mich und meine Ge- und bildeten die Oppositi- weise zeigte sich schwister geprägt, sondern das hat er on gegen das Kirchenre- giment. In Bindung an Bi- dann auch in den auch in der Kinder- und Jugendarbeit zum bel und Bekenntnis wandte Auseinanderset- Ausdruck gebracht. Das heißt, es gab in- sich der Pfarrernotbund zungen, die wir zu nerhalb dieser Gemeinde und auch in an- gegen staatliche Eingriffe DDR-Zeiten zwi- deren Gemeinden in diesem Kirchenkreis, in die Kirche, insbesondere gegen die Entlassung nich- schen Staat und ganz starke Jugendarbeit, und interessan- tarischer Pfarrer aufgrund Kirche hatten, dass terweise waren es immer Gemeinden, in der Übernahme von Teilen die Gemeinden die denen die Pfarrer ganz konsequent ihre des „Arierparagraphen“ in wirklich aus der Positionen vertreten haben. die kirchlichen Gesetze. Tradition der Be- Als Beispiel hierfür ist die Jugendweihe zu kennenden Kirche nennen. Nach dem Volksaufstand in der in der DDR gelebt haben, sehr viel mutiger DDR am 17. Juni 1953 hat die Staatsfüh- und sehr viel konsequenter ihr christliches rung überlegt, wie man Identifikations- Selbstverständnis auch nach außen getra- punkte schaffen kann, um Menschen dazu gen haben. zu bringen, dass sie sich mit dieser sozia- Mein Vater war Pfarrer, ist in den 1950er listischen Gesellschaft identifizieren. In Jahren aus politischen Gründen inhaftiert diesem Zusammenhang sind zwei Maß- gewesen und nach seiner Haft dann in die- nahmen ergriffen worden. Gleich im Juli se Stadt gezogen. Ich bin also in einer Fa- 1953 hat man beschlossen, zum einen in milie und in einem Elternhaus aufgewach- den ehemaligen Konzentrationslagern Bu- sen, wo ich eigentlich von Kindheit an er- chenwald, Sachsenhausen und Ravens-

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brück, Gedenkstätten zu errichten, um den ihres christlichen Glaubens an, sie parallel „Antifaschismus“-Mythos in der DDR zu dazu oder ein Jahr später noch zu konfir- verankern. Man wollte die Bevölkerung mit mieren. Es gab bei uns aber auch zwei hinein nehmen in das Selbstverständnis, Pfarrer, die das nicht gemacht haben und dass die DDR der Antifaschistische Staat gesagt haben: „Man kann nur ein Bekennt- ist und dass im Westen die Nazis sitzen. nis haben. Entweder bekennt man sich Zum anderen wurde die Jugendweihe wie- zum Sozialismus, dann geht man zur Ju- der eingeführt, um die Jugend zu binden. gendweihe, oder man bekennt sich zum Ursprünglich war die Jugendweihe Ende christlichen Glauben, dann kann man nicht des 19. Jahrhunderts vom Freidenkerver- zur Jugendweihe gehen, sondern nur Kon- band gegründet worden, dann von den firmation machen.“ Interessanterweise war Nazis verboten worden, nach dem Zweiten in den beiden Gemeinden in denen eine Weltkrieg wieder ins Leben gerufen und ganz klare Haltung durchgezogen wurde, 1949 wieder verboten worden, als die die größte Gruppe von Konfirmanden und DDR gegründet wurde. 1955 gab es dann junger Gemeinde. Also die Mauschelei, die erste staatliche Jugendweihe, jetzt „wir machen beides, ist ja nicht so zentral gesteuert von der SED. Schon schlimm“, wurde nicht mitgemacht und 1959 sind 98% der Jugendlichen zur Ju- das hatte einen sehr großen Effekt. Weil gendweihe gegangen, weil über diese eben diese großen Konfirmandengruppen Schiene ein unheimlicher Druck auf sie so auffällig waren in diesen beiden Ge- ausgeübt wurde. Sie wurden regelrecht zu meinden, wurden dort in den 1970er Jah- diesem Bekenntnis zum Staat, welches die ren neue Lehrer, vor allem auch Direkto- Jugendweihe ja beinhaltet hat, gezwun- ren, Staatsbürgerkundelehrer und Partei- gen. Das war so ein Denkmodell was die sekretäre in die Schulen gebracht , die den SED hatte: klaren Auftrag hatten, den Einfluss der Kir- che zurückzudrängen und die Jugendwei- he-Zahlen steigen zu lassen. Das führte „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wer dann dazu, dass wir in der jungen Ge- also nicht zur Jugendweihe geht, ist gegen meinde unheimlich viel über diese Themen uns, ist gegen den Staat.“ gesprochen haben.

Das war gefährlich. Jeder, der in der DDR aufgewachsen ist, musste sich dem stellen „Was bedeutet es? Wo mache ich mit? und sich überlegen, ob er sich in diese Wo mache ich nicht mit? Was bedeutet es Ecke schieben lassen will. Die Frage war, für mich als Christ, Verantwortung in ob man als Staatsfeind dastehen möchte dieser Gesellschaft zu übernehmen?“ oder ob man sich unterordnet, obwohl man vielleicht gar nicht davon überzeugt ist. In unseren Gemeinden gab es zwei Pfar- rer, die dann den Kompromiss eingingen, Die Konsequenzen waren normalerweise, den viele Kirchen in dieser Zeit eingegan- wer nicht zur Jugendweihe geht, bekommt gen sind. Sie boten Kindern, die in großer auch keinen Zugang zum Abitur. Bei mir Not die Jugendweihe gemacht haben, trotz wurde damals gesagt, wenn ich Abitur ma-

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chen will, muss ich in die FDJ eintreten. in Leipzig in diesem Bereich zu arbeiten. Ich habe das abgelehnt und erstaunlicher- Das war sehr spannend, denn Leipzig ist weise trotzdem die Zulassung zum Abitur ja eine der wenigen weltoffenen Städte in bekommen, was nicht alle meiner Ge- der DDR gewesen. Zweimal im Jahr war schwister machen durften. Aber als ich es Messe und da kam alle Welt nach Leipzig. dann in der Tasche hatte war ganz klar: Dadurch gab es dort einen gewissen Frei- raum. Auch in der Gemeinde, in der ich damals gearbeitet habe, habe ich das er- „Was soll ich in diesem Land studieren mit lebt. Wir hatten eine offene Jugendarbeit, was ein Konzept war, welches in den Kir- einer Überzeugung, die nicht mit dem chen seit Anfang der 1980er Jahre verfolgt übereinstimmt, was ich dann wurde. Ein Konzept was beinhaltete, dass möglicherweise vermitteln will?“ neben der jungen Gemeindearbeit auch offene Jugendarbeit gemacht wurde. Ju- gendliche, die nicht unbedingt kirchlich ge- Meine Vorstellungen waren Psychologie bunden waren, aber nach einem Ort such- oder vielleicht Pädagogik zu studieren, ten, wo sie sich versammeln, diskutieren aber mir war völlig klar, das geht nicht. Alle und nachdenken konnten, wurden ange- meine Versuche, eine Nische für mich zu sprochen. In unserer Gemeinde gab es finden, haben mich in große Bedrängnis zum Beispiel eine große Gruppe von gebracht. Ich wollte nicht Pfarrer werden, Punks, die immer auftauchten, was alle wie so viele, die ich kannte, die dann an sehr aufregend fanden, was aber manch- die kirchlichen Hochschulen gegangen mal auch etwas dramatisch war. Wenn sie sind, weil dort freie Meinungsäußerung dann zum Beispiel ihre Punkkonzerte im und ein freier Geist wirkte, aber eigentlich Gemeindehaus abhielten und die traditio- wollten sie gar nicht unbedingt Pfarrer wer- nell geprägte Gemeindeschar irgendwie den. nicht so recht wusste, was da überhaupt läuft, gab es auch Auseinandersetzungen, die manchmal nicht ganz einfach waren. Deswegen sind auch 1989 so viele in die 1985 bin ich dann aber aus Leipzig weg Politik gegangen. Das waren nämlich gegangen. Das hatte den Hintergrund, diejenigen, die eigentlich etwas ganz anderes wollten. dass mein Mann mit seinem Studium fertig war. Er hat Physik studiert, was für ihn ei- ne Nische war. Er hat sich gesagt, dass Die anderen, die Frauen, sind meistens Naturwissenschaften in aller Welt irgend- Krankenschwestern geworden, aber Kran- wie gleich sind. Die Formeln werden in kenschwester wollte ich auch nicht wer- Amerika, in der Sowjetunion und in der den. Ich habe mich dann für einen Beruf DDR genauso gelernt. Nach dem Ab- entschieden, den ich eigentlich auch nie schluss seines Studiums hat er keine Stel- wollte. Ich bin in die Religionspädagogik le bekommen. Das war völlig unnormal, gegangen, in der DDR hieß das Kateche- denn in der DDR sind ja die Studiengänge tik, und habe eine Ausbildung gemacht für und auch die Absolventenvermittlung zent- Kinder- und Jugendarbeit. ral gelenkt worden. Normalerweise hat je- In den 1980er Jahren habe ich begonnen, der Student danach sofort eine Stelle zu-

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gewiesen bekommen, was bei ihm aller- be, in dieser Kreisstadt mit den vielen Ge- dings nicht so war. Immer wenn er sich meinden und Dörfern rund herum, alleine. dann selbst für etwas beworben hatte und Ein großes Glück war, dass die Stellen sie ihm schon signalisiert hatten ihn zu relativ schnell mit jungen Pfarrerinnen aus nehmen, bekamen sie die Kaderakten zu- unserer Generation besetzt wurden, die in geschickt, woraufhin dann alles vorbei ihrem Denken und in ihren Vorstellungen war. So kam es dann dazu, dass wir einen uns ganz ähnlich waren. Wir hatten sofort Weg gesucht haben, wie wir als Familie, ein gemeinsames Level, auch in unseren wir hatten damals schon zwei Kinder, auch politischen Ansichten und den Vorstellun- irgendwie weiter zusammen leben können. gen, wie Gemeindearbeit in einer sozialis- Wir sind dann nach Forst zurück gegan- tischen Gesellschaft und zumal in der kri- gen, er hat sich in Cottbus einen Job ge- sengeschüttelten DDR sein könnte. Wir sucht, und ich habe in der Gemeinde, in haben sehr viel miteinander gearbeitet und der ich selbst aufgewachsen bin, gearbei- eine tolle Jugend- und Konfirmandenarbeit tet. Mein Vater war dort nicht mehr Pfarrer, gemacht. und ich habe in dem Kirchenkreis eine An- Das merkte man dann natürlich auch an stellung für Kinder- und Jugendarbeit be- dem, was sich innerhalb der Gemeinden kommen. entwickelte. Die Friedensdekaden haben Das war dann eine hochspannende Ge- schon seit Anfang der 1980er Jahre eine schichte. Ich kam in eine Situation hinein, große Rolle gespielt. Wir haben in der Kin- wo von den fünf Gemeinden gerade vier der- und Jugendarbeit unheimlich viel Zu- Pfarrstellen unbesetzt waren. Das war al- lauf gehabt. Ich erinnere mich noch an die les ziemlich dramatisch, ein Pfarrer reiste Schlussrunde einer solcher Rüstzeit, als aus, einer musste wegen Scheidung ge- ein 12-jähriger Junge mit glänzenden Au- hen, der dritte ging, weil er die Stelle gen sagte: „ Am tollsten an dieser Woche wechselte, und beim vierten weiß ich es hier fand ich, dass man die Leiter duzen gar nicht mehr. Jedenfalls war ich dann als durfte.“ Das klingt sehr banal, aber die Kin- Mitarbeiterin für Kinder- und Jugendarbeit der haben einfach gemerkt, dass es ein plötzlich mit dem konsequenten Pfarrer, anderes pädagogisches Konzept ist, dass von dem ich vorhin schon gesprochen ha- sie aufgenommen sind, dass sie ernst ge- nommen werden, dass sie nicht nur trai- niert werden, sondern dass sie innerhalb dieser kirchlichen Arbeit auch Raum ha- ben, und dies hat natürlich großen Spaß gemacht. Seit Mitte der 80er Jahre hatten wir dann mit den lokalen Problemen zu kämpfen. Das ist auch eine meiner Thesen, dass ich glaube, dass Opposition in der DDR nicht nur in Berlin und in den großen Städten Kennzeichen und Slogan der entstanden ist, wo Künstler und frei den- Friedensdekaden in der DDR: kende Menschen sich engagiert haben. Schwerter zu Pflugscharen Sondern die lokalen Probleme und Gege- benheiten waren häufig Konfliktpunkte, die

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dann Menschen motiviert haben sich damit Also dieser Friedenskreis hatte sich ge- auseinanderzusetzen. Wir lebten in einem gründet, agierte innerhalb der Kirche und Gebiet, in dem der Braunkohlenabbau ein hatte verschiedene Veranstaltungen. Es unheimliches Ausmaß angenommen hatte. waren alles sehr dramatische Wochen und Die Lausitz ist ja der Braunkohlebezirk der Monate, als zum Beispiel ein Dorf in unse- DDR gewesen und die Perspektiven sa- rer Umgebung abgebaggert wurde, die hen sehr traurig aus. Die Stadt Forst sollte Menschen alle umziehen mussten, der rundherum durch Braunkohletagebau ab- letzte Gottesdienst in der Kirche stattfand gebaggert werden. Es wäre eine Insel zwi- und die Gräber auf dem Friedhof umgebet- schen der polnischen Grenze gewesen, tet werden mussten. Der Friedenskreis hat die ja seit Anfang der 80er Jahre wieder das auch mit begleitet und sich entspre- geschlossen wurde, nachdem Solidarno ść chend eingesetzt. dort aktiv geworden war. Sogar die Auto- Es gab dann einen Punkt in der Friedens- bahn und die Hauptverkehrsverbindung dekade 1987, der zu einer Eskalation führ- zur Bezirksstadt wären gekappt worden te und dann auch zu einer Veränderung und man hätte riesengroße Umwege fah- innerhalb dieses Friedenskreises, und dar- ren müssen. aus ist dann wirklich Opposition geworden. Diese Perspektive, hinzu kam auch noch Und zwar war geplant, zur Friedensdeka- Tschernobyl, hat dann einige in der Stadt de ein Konzert mit Stephan Krawczyk und dazu motiviert, sich zusammenzuschlie- abzuhalten. Das waren zwei ßen und einen Friedenskreis zu gründen. Künstler, die in der DDR Auftrittsverbot Das war eine dieser Bezeichnungen, die hatten und nur noch innerhalb der Kirche die Basisgruppen innerhalb der Kirche sich auftreten konnten. Der Staat hat natürlich gegeben haben. Es gab Ökologiegruppen, versucht, auch diese Auftritte innerhalb der Friedensgruppen, Gruppen, die sich mit 3. Kirche zu unterbinden. Das heißt, sie wur- Welt-Fragen beschäftigt haben, oder auch den so unter Druck gesetzt, auch die Ge- Frauengruppen, die sich zusammengetan meinden, die ihnen die Möglichkeit zum haben. In diesem Fall war es also ein Frie- Auftritt geben wollten, dass sie das ab- denskreis, der sich insbesondere mit öko- sagten. Es ist ja vorhin schon angeklun- logischen Fragen auseinander gesetzt hat. gen, dass die Kirche ihrem Auftrag gemäß Die erste Aktion war die Ausstellung „Krieg auch einen Freiraum hatte, in den der im Kinderzimmer“, die wir in der Stadtkir- Staat nicht „reinregieren“ konnte. Wenn wir che gemacht haben. Die Ausstellung hat innerhalb der Kirche gesagt haben, dass ein großes Echo bei den Bewohnern der es eine gottesdienstliche Veranstaltung ist, Stadt gefunden, aber natürlich auch sofort dann konnte der Staat dagegen nichts ma- kritische Betrachtung von Seiten des Staa- chen. tes auf sich gezogen. Das ist ein weiterer Nun haben Stephan Krawczyk und Freya Punkt, der vorhin schon erwähnt wurde, Klier sehr politische Programme gehabt, der aber keinesfalls so harmlos war, son- und da gab es dann innerhalb der Kirche dern eigentlich die innerkirchliche Arbeit Konflikte, inwiefern das wirklich noch ein auch derer, die sich dann zu Oppositions- gottesdienstliches Programm ist und ob es gruppen entwickelten, heftig beschäftigt nicht schon so politisch ist, dass es uns und teilweise auch bedrängt und belastet schaden kann? Wir haben dieses Konzert hat. im November 1987 wie gesagt geplant,

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und es eskalierte dann insofern, dass der von Stephan Krawczyk zum Beispiel, war Pfarrer, der es organisiert hat, in immer der in Cottbus ansässige Generalsuperin- kürzeren Abständen zur Abteilung Inneres tendent, der Zuständige für verschiedene des Rates des Kreises gerufen wurde. Da- Kirchenkreise, vom Staat schon Monate zu muss man wissen, dass das die staatli- zuvor vorgeladen worden und ihm war chen Stellen, die administrativen Stellen deutlich gemacht worden, dass er dafür zu waren, die den Kontakt zur Kirche zu hal- sorgen hat, dass keine Konzert von Ste- ten hatten. Die Kirchenpolitik an sich wur- phan Krawczyk und Freya Klier im Bezirk de ja von der SED gemacht. Es gab im ZK Cottbus stattzufinden haben. Ich habe die (Zentralkomitee) die Arbeitsgruppe Kir- Akten alle gelesen und gesucht, und es chenfragen, die die Richtlinien vorgab. Die war ein trauriges Ergebnis, dass sich das, Umsetzung im Bezug auf die Institution was wir damals schon befürchtet hatten, Kirche war dann im Staatssekretariat für auch in den Akten dann bestätigte. Der Kirchenfragen angesiedelt. Auf der Be- Generalsuperintendent hatte dem staatli- zirksebene war es die Abteilung Inneres chen Vertreter zugesichert, dass er dafür des Bezirkes und auf der Kreisebene die sorgen wird, dass es keine Konzerte gibt. Abteilung Inneres beim Rat des Kreises. Gemeindekirchenratsmitglieder wurden Im Hintergrund für niemanden erkennbar von ihren Arbeitsstellen vorgeladen, sogar war es natürlich noch die Staatssicherheit deren Kinder wurden in der Schule vorge- Abteilung 20/4, die für Kirchen zuständig laden und ihnen wurde gesagt: war. Die also konspirativ gearbeitet hat und auch die Strategien gegen die Kirche oder mit der Kirche in Bezug auf die Ar- beitsgruppe Kirchenfragen beim ZK der „Dieses Konzert hat nicht stattzufinden, ihr SED mitbestimmt hat. Davon wussten wir habt da nicht hinzugehen. Der damals natürlich noch gar nichts. Wir Gemeindekirchenrat hat dagegen zu wussten nur, dass die Abteilung Inneres stimmen und den Pfarrer zu überstimmen.“ zuständig für die Kirche ist, und da liefen die Gesprächskontakte, da wurden irgend- welche Sachen ausgehandelt. Wenn zum Beispiel eine Kirche gebaut wurde, dann Das lief also schon auf einer ziemlich hef- war der Ansprechpartner in der Abteilung tigen Ebene. Der Pfarrer hat sich dann in Inneres. Diese Gespräche wurden natür- seiner Bedrängnis nach den vielen Ge- lich nicht immer sehr locker geführt, son- sprächen, die in der Abteilung Inneres ge- dern da wurde mit kräftigen Drohungen laufen waren, an den Generalsuperinten- gearbeitet. Dazu kam, dass man versucht denten in Cottbus gewandt, weil er davon hat, auch kirchenleitende Menschen mit ausgegangen ist, dass der ihm Unterstüt- einzubinden. zung geben würde. Er wusste natürlich Das ist etwas, was ich an einem konkreten nicht, dass dieser schon vor Monaten zu- Beispiel deutlich machen möchte. Die Kir- gesichert hatte, diese Konzerte zu verhin- che hat ihre große Aufgabe innerhalb der dern. Es ist ihm nicht an allen Stellen ge- 1980er Jahre gehabt, und daran ist nichts lungen, aber in Forst ist es ihm gelungen. zu rütteln. Dennoch gab es unheimliche An dem Tag, an dem das Konzert stattfin- Konflikte. Im Bezug auf dieses Konzert den sollte, ist er selbst bei der letzten Ge-

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meindekirchenratssitzung dabei gewesen Dann begann dieser Gottesdienst, und und hat dann auf die Entscheidung hinge- niemand von denen, die da in der Kirche wirkt, dass dieses Konzert abgesagt wird. waren, wusste, was denn jetzt eigentlich Sie müssen sich die Szenerie vorstellen. passierte. Nach der einführenden Andacht Das Konzert war in der Nähe der Stadt, in sagte der Generalsuperintendent der Ge- einem kleinen Dorf namens Groß Bade- meinde, dass dieses Konzert jetzt nicht meusel geplant. Es war das letzte Dorf stattfinden wird. kurz vor der polnischen Grenze. Zu die- Diese Ohnmacht und diese Erfahrung, sem Dorf gab es nur eine Zufahrtsstraße, dass innerhalb der Kirche offensichtlich und an dem Konzerttag wurden alle Zu- kein offenes Miteinander möglich ist, hat fahrtswege kontrolliert. Die Polizei kontrol- also zu einem unheimlichen Konflikt inner- lierte jedes Auto, der Busverkehr wurde halb der kirchlichen Mitarbeiterschaft mit eingestellt, Taxis durften nicht fahren und dem Generalsuperintendenten geführt. in der Kneipe war eine Veranstaltung ab- Daraus entstanden ist zuerst ein Kontakt- gesagt worden. Der ganze Ort wimmelte abbruch zum Staat. Wir haben in einer von Staatssicherheit und sogenannten ge- Kanzelabkündigung am kommenden sellschaftlichen Kräften, also Leute aus Sonntag mitgeteilt, dass keine Gespräche sogenannten staatlichen Institutionen, wie mehr mit staatlichen Stellen geführt wer- Partei oder FDJ, die dorthin beordert wur- den. Das haben wir 3 Monate durchgehal- den, um für Ordnung zu sorgen. Diejeni- ten, dann musste wegen Baufragen ein- gen, die zu diesem Konzert anreisten, wa- fach wieder irgendetwas passieren. Das ren also 100% unter Kontrolle. Niemand hat dazu geführt, dass sich eine Gruppe wusste so wirklich was passiert, denn der von ursprünglich vier jungen Leuten, Pfar- Gemeindekirchenrat tagte noch. Als dann rer aber auch nicht Kirchenmitarbeiter, zu- die Kirche geöffnet wurde, hat die Staats- sammengefunden hat, die gesagt haben: sicherheit bankreihenweise die Kirche be- „Es reicht, wir müssen jetzt hier irgendet- setzt. Jede zweite Bankreihe war innerhalb was in dieser Region tun, um dieses Mei- kürzester Zeit von jungen Männern be- nungsmonopol der SED zu brechen und setzt, die ganz eindeutig geschickt waren. um die Themen, die uns beschäftigen hier vor Ort und in der DDR, einfach auf den Tisch zu bringen.“

Wir haben dann ein Informationsblatt mit dem schönen Namen „Aufbruch“ gegründet und im Januar 1988 die erste Auflage herausgebracht.

Das war gerade die Zeit, in der in Berlin die Umweltbibliothek von der Staatssicher- Februar 1988: der Liedermacher heit überfallen worden war und dann im Stephan Krawczyk und Freya Klier Januar bei der offiziellen Demonstration zu nach ihrer Ausbürgerung aus der Ehren von und Karl Lieb- DDR in Bielefeld knecht, Oppositionelle mit eigenen Trans-

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parenten und Plakaten teilnehmen wollten, nämlich auf der untersten Ebene die Ge- die dann festgenommen wurden. Unter meindekirchenräte. anderem auch Stephan Krawczyk und Wir hatten das große Glück, dass wir auf Freya Klier, die dann Anfang Februar aus- der Gemeindeebene einen unheimlichen gebürgert wurden. Dazu gehörten auch Rückhalt hatten. Ich gehörte zu den vier Bärbel Boley, Werner Fischer, Vera Initiatoren des Informationsblattes und bin Lengsfeld und Ralf Hirsch, also wirklich auf dem Blatt als Verantwortliche mit er- zentrale Köpfe der DDR Opposition. Für schienen. Wir haben, als die Konflikte los- uns in Forst hat es eine große Rolle ge- gingen, sowohl große Unterstützung von spielt, dass Stephan Krawczyk und Freya Seiten der Kirche bekommen, als auch Klier dann auch festgenommen und abge- Riesenkonflikte gehabt. Der Kirchenjurist schoben worden waren. Das war sozusa- aus dem Konsistorium kam und sagte, gen die Initialzündung zu sagen: „Jetzt las- dass das kirchenjuristisch alles gar kein sen wir uns das nicht mehr gefallen.“ Problem sei, solange wir einen Beschluss Mit der Veröffentlichung dieses Informati- haben und eine kirchenjuristische Anbin- onsblattes gingen die Konflikte eigentlich dung bekommen. Das könnte der Kreiskir- erst richtig los. Das waren nicht nur Kon- chenrat sein, der das beschließt und uns flikte mit dem Staat, sondern auch wieder- beauftragt dieses Blatt zu schreiben, das um innerkirchliche Konflikte. Denn die könnte aber auch eine Gemeinde sein, Strategie des Staates, das ist auch heute also ein Gemeindekirchenrat. Da wir wuss- noch in den Akten nachzulesen, war im- ten, dass der Kreiskirchenrat das auf kei- mer eine „innerkirchliche Differenzie- nen Fall beschließen würde, denn der Su- rung“ (wie es im -Jargon heißt) zu perintendent hat schon kräftig versucht benutzen, um die Leute mundtot zu ma- uns davon abzubringen, haben wir dann chen. In dem hierarchischen Staatsdenken an vier Gemeindekirchenräte den Antrag der DDR ist man davon ausgegangen, gestellt und darum gebeten zu entschei- dass ja auch die Kirche eine hierarchische den, ob sie dieses Informationsblatt für die Struktur hat, dass wenn man also Vorge- Gemeinde Forst haben wollen oder nicht. setzte vorlädt und unter Druck setzt und Wir haben von allen vier Gemeindekir- ihnen die maßgeblichen Entscheidungen chenräten, also von ganz einfachen Leu- und Entwicklungen vorlegt, dass die dann ten, wie Bauern, Arbeitern und schlichten nach unten das durchdrücken und inner- Menschen dieses große Vertrauen bekom- kirchlich die Sache klarziehen. men. Damit hatten wir eine kirchenjuris- Weder ein Generalsuperintendent, noch tisch saubere Anbindung und damit konnte auch der Generalsuperintendent oder der Der Denkfehler daran war, dass die Superintendent überhaupt nichts mehr Staatssicherheit und auch die staatlichen machen. Stellen nicht kapiert haben, dass die Wir hatten natürlich auch sehr viel Unter- Kirchen demokratisch verfasst sind. stützung von den Pfarrern in der Region, die inhaltlich mit uns, auch wenn sie nicht ein Superintendent, noch ein Pfarrer kön- selbst beteiligt waren, 100% überein- nen entscheiden, denn letztlich sind die stimmten und das weitgehend mitgetragen demokratisch gewählten Gremien diejeni- haben. Diese Konflikte waren unheimlich gen, die eine Entscheidungsgewalt haben, schwierig und haben zu vielen, vielen Dis-

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kussionen und Auseinandersetzungen so- wir jetzt andere mit rein ziehen, ist das wie Kontroversen geführt, die auch nicht noch einmal eine andere Frage, dann leicht auszuhalten waren. Aber das Ergeb- muss man gucken, ob man es ihnen zu- nis war, dass auch gerade diese Konflikte muten kann. Doch sie haben dazu gestan- einen Mobilisierungsfaktor innerhalb der den. Gemeinden und dann auch darüber hinaus Die haben gesagt: „Wir wollen jetzt etwas innerhalb der Stadt hatten. Als man auch von staatlicher Seite reali- Das ist einfach eine dieser ganz tollen siert hat, dass wir über diese kirchliche Erfahrungen, dass es Leute gab, die sich Schiene nicht mundtot gemacht werden nicht mehr geduckt haben. können, hat man versucht, noch ein paar andere Instrumente einzusetzen. Man ist nicht gleich mit Haftstrafen gekommen, gegenhalten. Wir wollen jetzt innerhalb aber wir haben in relativ kurzen Abständen dieses konziliaren Prozesses in dem wir Ordnungsstrafen bekommen. Ich hab da- uns auch bewegt haben, unsere Stimme mals 250 Mark verdient als Mitarbeiterin erheben, wir wollen die Themen anspre- für Kinder- und Jugendarbeit und hatte chen, wir wollen Kritik äußern.“ zum Schluss eine Ordnungsstrafe von Die Konflikte wurden irgendwann auch über 4000 Mark. Das war natürlich alles über Forst hinaus wahrgenommen, also völlig illusorisch und wir haben uns gar kei- innerhalb dieser Netzwerke, die die Grup- ne Gedanken darüber gemacht, denn das pen aufgebaut hatten, wie zum Beispiel hätten wir sowieso nicht bezahlen können. „Frieden konkret“ oder die Umweltbiblio- Wir haben dann immer ein bisschen geläs- thek. Die wussten dann alle Bescheid, tert und gesagt, dann sollen sie pfänden dass die kleinen Kämpfer in Forst jetzt kommen, bei uns gab es in der Wohnung richtig Probleme haben, und das haben sie sowieso nichts zu pfänden. Wir hatten kei- dann auch weitergetragen und einen et- nen Fernseher, die Waschmaschine und was ironischen Artikel mit dem Titel die Spülmaschine durften sie nicht mitneh- „Provinzblatt in der Klemme“ geschrieben, men, denn bei einer Familie gehörte das was sehr viele mehr wahrgenommen ha- zur Grundausstattung. Das war schon im- ben. Wir haben unheimlich viel Solidarität mer so ein bisschen auch ein Vabanque- bekommen und es wurden Gelder gesam- spiel. Ich habe dann später in den Akten melt, sodass wir unsere Ordnungsstrafen gelesen, dass sie 1989 wirklich zum pfän- locker hätten bezahlen können, was wir den kommen wollten. Wir hätten uns dar- aber nicht gemacht haben. Sondern wir auf gefreut, wenn sie das Klavier heraus- haben die Gelder dann zum Beispiel für tragen, es war nämlich ein ziemlich hefti- Inhaftierte in Leipzig gespendet, als sie im ges Klavier und die Tür war auch nicht so Januar 1989 während der Montagsde- breit. monstrationen dort festgenommen wur- Diese Versuche blieben nicht nur bei Ord- den. Wir haben die Gelder einfach nach nungsstrafen, sondern das ging irgend- Leipzig geschickt und gesagt: „Hier, ihr wann auch über die Gemeindekirchenräte, braucht jetzt gerade!“ Also das war schon was natürlich für uns ein riesengroßer auch ein Zusammenhalt derer, die ver- Konflikt war. Wir haben gesagt, für uns sucht haben, sich innerhalb der DDR zu können wir allein entscheiden, aber wenn artikulieren, und es hat sehr viel Aufmerk-

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samkeit in der Stadt gegeben. nigen, die eben schon eine Stimme hatten Diese zunehmende Glaubwürdigkeit unse- und sich schon artikuliert hatten, dann ge- rer Gruppe unter anderen Systemkritikern macht haben. Also bei uns wurde zum Bei- führte dazu, dass wir dann auch im Herbst spiel nicht das „Neue Forum“ gegründet, 1989 ganz anders agieren konnten. Das sondern aus dem Friedenskreis heraus erste Friedensgebet ist in Forst am 16. Ok- gab es eine Gründung des tober gewesen, eine Woche nach der ers- „Demokratischen Aufbruchs“ und es gab ten großen Demonstration in Leipzig und auch intensive Kontakte zu „Demokratie da war die Kirche knackevoll. In der Wo- Jetzt“. Das sind zwei Gruppierungen, die che danach waren es schon so Viele, dass im September/Oktober 1989 innerhalb der wir mit Lautsprecheranlagen nach draußen DDR entstanden sind, als neue Bürger- übertragen mussten. Diese Entwicklung, rechtsbewegungen oder der die man ja aus der gesamten DDR kennt, „Demokratische Aufbruch“ als Partei. Es ist dann auch in dieser Stadt gewesen. hat zur Folge gehabt, dass bei den ersten Man hat einfach darauf gehört, was dieje- Kommunalwahlen 1990 in Forst der

9. November 1989, Leipzig: Demonstranten tragen ein Transparent, auf dem „Wir wollen keine Gewalt! Wir wollen Veränderungen!“ zu lesen ist. Mehr als 70 000 Menschen nahmen an dem Marsch teil, der nach dem Friedensgebet an der Nikolai-Kirche seinen Ausgang nahm. Mit der Aufforderung „Keine Gewalt“ war die friedliche Revolution geboren und das Ende der DDR eingeleitet.

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„Demokratische Aufbruch“ 43% erzielt hat. wie es war. Umbrüche finden statt, die bis Die Partei hat später dann mit der CDU in die Familien gehen. Doch wie wirkt sich fusioniert. dieser Umbruch auf die Kinder der Um- Allerdings nicht in Forst, in Forst sind es bruchzeit aus? Was geht in den Köpfen vorher wirklich diejenigen gewesen, die die der Kinder vor, was treibt sie an und wel- ersten auf der Straße waren. Die Block- che Erfahrungen machen sie in den unru- CDU, die ja von der SED bestimmt war, higen Zeiten? Über sie brechen die bunten also das waren die sogenannten Roten, Verlockungen einer schillernden Konsum- sind weg gewesen. Dieser Stadt ist es welt herein. Bei der HO um die Ecke gibt wirklich gelungen die alten Kader zu ver- es nun Bananen, Westzeitungen und die drängen und mit neuen Leuten eine De- heiß ersehnte "Bravo" - Wendekinder zwi- mokratie aufzubauen, das was wir immer schen Versuchung und neuer Lebenswirk- gewollt haben. Das vielleicht jetzt nur mal lichkeit. Anhand von sieben Einzelschick- so zur Illustration dessen, welche Rolle salen erstellt der Dokumentarfilm ein ein- Kirche und Opposition in der DDR dann drucksvolles filmisches Psychogramm die- auch für die Entwicklungen im Herbst 1989 ser Generation. gespielt haben. Die Elterngeneration ist mit sich selbst beschäftigt. Es gibt neue Perspektiven, aber auch Ängste, Auf- und Zusammen- brüche. Und irgendwo dazwischen stehen „Wendekinder“ die Kinder. Wie erinnern sie sich heute an Dies ist der Titel des Dokumentarfilms, der die Zeit damals, und was ist aus ihnen ge- in Anwesenheit des Regisseurs Hans worden? Sparschuh und der Protagonisten Susan Fischer und Robert Ide den Seminarteil- nehmern vorgeführt wurde. Zum Inhalt: Das Jahr 1989. Mauern wer- den eingerissen. In Ost-Berlin und Prag, in Bukarest und Warschau - in fast allen Ost- blockländern soll nichts mehr so bleiben

Im Anschluß an die Filmpräsentation ergab sich eine lebhafte und interessante Diskussion mit Regisseur und den Protagonisten des Films

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Frauen in Ost und West: Hoff- sich nicht wehrt, kommt an den Herd“ . Al- nungen, Schwierigkeiten, An- so voraus nehmend schon dieser Zusam- menbruch der DDR-Wirtschaft und die Ar- sprüche nach der Wiederverei- beitslosigkeit. Das war also einer der Sprü- nigung und heute che und dann hatten wir natürlich unsere kritische Sichtweise auf diesen paterna- Podiumsdiskussion mit: listischen Übervaterstaat. Also ich habe es später mal zusammengefasst, die DDR

war für Frauen, bei allen Ambivalenzen, Moderation: Dr. Elisabeth Botsch (DFR) eine Gleichberechtigung und eine Emanzi- Tatjana Böhm pation. Damit meine ich die Emanzipation Rosita Griem (DFR) von Freiheitsrechten, eigene Sachen ein- Gertrud Wartenberg (DFR) zubringen, ich sage das jetzt mal alles Christine Rabe bloß so kurz thesenhaft. Die nächste Sa-

che war natürlich, dass die Frauenfrage ja

in der DDR offiziell zu Beginn der 80er Elisabeth Botsch: Wir wollen uns der Jahre gelöst war. Wir hatten das dann so Frage zuwenden „Frauen in Ost und West zusammengefasst, dass es von einer – Hoffnungen, Schwierigkeiten, Ansprüche Frauenerwerbspolitik übergehend zu einer nach der Wiedervereinigung und heute“. Familienpolitik ging und dann in einer Be- Zuerst mal die Frage an Tatjana Böhm, völkerungspolitik geendet hat. Dabei ging wie ist denn die Sicht gewesen damals auf es dann nur noch um Rahmenbedingun- den Mauerfall, es ging in Richtung Wieder- gen für Kinderkriegen. Ich sage das jetzt vereinigung, wie war denn die Sicht der so schlagwortartig, weil es alles Probleme ostdeutschen Frauen auf diese Entwick- für sich sind und sie aber alle miteinander lung? auch verbunden und so einfach nicht zu

machen sind. Tatjana Böhm: Also, wie fast alles war Dann war es natürlich im Einigungspro- das natürlich gespalten, ambivalent. Aber zess für uns ganz wichtig, im §218 die vielleicht lese ich Ihnen mal vor, was da- Fristenregelung der DDR beizubehalten. mals, als wir uns als Bürgerinnenbewe- Das ist auch eine deutsch-deutsch gelun- gung gegründet haben, drei Thesen wa- gene Sache. Zwei Jahre galt ja das unter- ren, die wir in den ersten Pressekonferen- schiedliche Abtreibungsrecht in Ost und zen vertreten haben, die wir auch am Run- den Tisch vertreten haben, die auch teil- weise sogar noch eine Rolle im Einigungs- vertrag gespielt haben. Erstens, unser Gründungsmotto war „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ . Es ging darum, einen neuen Staat aus der Taufe zu he- ben, erst eine neue DDR, aber dann natür- Tatjana Böhm , lich erweitert, als es auf die Wiedervereini- Autorin der „Sozialcharta“ des Runden gung zuging. Dann gab es eben mit der Tisches 1989, Referatsleiterin Ministeri- Wiedervereinigung den Hauptspruch „Wer um für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie, Brandenburg

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West. Anschließend gab es dann eine Frauenbeauftragten. Und plötzlich kamen Kompromisslösung, die ich damals nicht da noch elf Frauen aus dem Osten, die besonders glücklich fand, aber die ich heu- sich Gleichstellungsbeauftragte nannten te mit Klauen und Zähnen verteidigen wür- und denen unterstellt wurde, einen ande- de. Gegen starke Strömungen haben wir ren Anspruch zu haben. Wir haben haut- als Frauen gemeinsam diese Kompromiss- nah erlebt, welche Unterschiede es gibt, lösung gefunden. Das ist vielleicht für mich dass es zwei verschiedene Frauenwelten auch so eine deutsch-deutsche Sache. gibt, auch in Berlin. Ich versuche mal so Anschließend gab es dann die ganzen Sa- an drei Stichworten festzumachen, worin chen, wie die Maßnahmen zur Bekämp- diese Unterschiede ganz plakativ zu sehen fung von Arbeitslosigkeit, eine mögliche waren. Der Blick von West nach Ost war, Quotierung, also bei Fortbildungsprogram- diese Frauen haben dort keine Ahnung men Frauen mit zu beachten und zur von Feminismus, aber sie haben die Kenntnis zu nehmen, dass die Frauen im Gleichberechtung gelebt, sie kämpfen jetzt Osten ja zum großen Teil auch hochquali- nicht gegen die Männer, sondern sie fiziert waren und dass es kein einfaches kämpfen um eine Emanzipation von einer Zurück gibt zu einer teilweise im Westen Diktatur, sie sind dabei eine Diktatur abzu- vorhandenen Frauen- und Familienpolitik. schaffen. Meine Güte, die haben alle einen Was sich sehr wohl von Frankreich oder Hochschulabschluss. So, und jetzt die an- von Skandinavien auch schon damals un- dere Sichtweise von Ost nach West, ja, die terschieden hat. Kolleginnen in Westberlin bemühen sich um Bildungsprogramme für Frauen, be- Elisabeth Botsch : Frau Rabe, Sie sind ja kämpfen den §218, reden über Zuver- nun Gleichstellungsbeauftragte in einem dienst und Herdprämie und Ehegattensplit- Westbezirk, könnten Sie uns vielleicht ein ting, also offensichtlich ganz andere The- bisschen erläutern, wie war denn die Sicht men. Auch das Thema häusliche Gewalt in Berlin? Also, in Berlin war ja die Situati- war in Ostberlin zunächst unbekannt. Ich on anders als sonst in der alten Bundesre- nehme jetzt vorweg, in zwanzig Jahren ist publik, weil ja hier wirklich Ost und West eine Menge passiert. Wir haben gemein- direkt aufeinander stießen. Schon zuvor sam zum Berliner Landesgleichstellungs- durch die Mauer war immer eine besonde- gesetz gearbeitet und wir haben verabre- re Situation, aber nachdem die Mauer det, dass die Themen gemeinsam bearbei- dann geöffnet war, war ja die Situation tet werden. Wir haben sehr viele Gemein- ganz besonders. Wie war denn die Sicht samkeiten inzwischen entdeckt. von West nach Ost und vielleicht auch von Ost nach West damals?

Christine Rabe: In Berlin ist die Mauer gefallen. Wir waren damals dreiundzwan- zig Bezirke, elf Bezirke in Ostberlin und zwölf Bezirke in Westberlin. In Westberlin gab es seit 1986 in jedem Bezirk eine Christine Rabe , Gleichstellungs- Frauenbeauftragte, und gegründet wurde beauftragte des Bezirks auch eine Landesarbeitsgemeinschaft der Charlottenburg- Wilmersdorf in Berlin

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Geheimnis mehr. Aber wir brauchten ja Elisabeth Botsch: Ja, danke, Frau Rabe. Privatadressen dazu, um diese Paketaktio- Frau Wartenberg, für den Frauenring war nen durchzuführen. Und das waren unsere das ja auch eine bewegende Situation, die Frauen, die haben diese Pakete gepackt Mauer fiel und so weit ich weiß, hatte der und haben sie hingeschickt, die Adressen Frauenring auch schon vor 1989 Kontakte und Kontakte hatten sie durch die Kirchen- in die DDR. Was passierte dann, wie war gemeinden. Das waren auch unsere Kon- das denn für den Frauenring, war das so- takte, wir haben schon damals in einigen fort ein Thema, dass man jetzt vielleicht Kommunen Städtepartnerschaften gehabt, die Frauen aus dem Osten integriert? Wie Ost und West, auch da florierte ein so ge- war das damals? nannter Ost-Tourismus, wie man immer sagte, im wohl guten Sinne gesehen. Aber Gertrud Wartenberg: Ja, wenn Sie sich ich erinnere mich, die Bundeszentrale für alle, und Sie sind alle Frauenringfrauen, politische Bildung hat ein Berlin-Seminar daran erinnern, wir haben bereits in den angeboten und das wurde ungefähr acht- 60er Jahren einen gesamtdeutschen Aus- zehn Jahre immer wieder in Berlin durch- schuss gehabt. Wir sind ein Staatsbürge- geführt, das war immer im November. Bei rinnenverband, der politische Bildung an diesem Seminar am 9. November, saß ich Frauen weitergeben wollte, und er hat es in Frankfurt am Flugplatz und habe keinen auch immer getan. Der gesamtdeutsche Platz mehr gekriegt, die Maschinen waren Ausschuss beschäftigte sich mit der politi- hoffnungslos überbucht. Ich wollte ja auch schen Situation in der DDR, eben unserem nach Berlin zu diesem Berlinseminar, doch geteilten Deutschland, es war uns wichtig ich bin nicht mehr mitgekommen. Es war zu wissen, wie es den Menschen dort geht irgendwie sehr traurig, ich habe es also und ob wir dort Dinge erfahren können. nur alles von weitem gesehen, habe mich Wir haben über das so sehr freiheitliche unbändig gefreut, dass alles so gekom- Grundgesetz der DDR gesprochen und men ist und hörte dann auch von den Teil- alles, was dort möglich war. Der gesamt- nehmerinnen am Berlin-Seminar, die dann deutsche Ausschuss hat Seminare zur In- Bericht erstattet haben, was in dieser formation durchgeführt und wir haben Rei- Stadt so hervorragend passiert ist, und sen gemacht. Und meine Vorgängerinnen auch die Freude und alles, was wir so in im Amt, ob das Frau Steinkopf war oder den letzten Wochen auch immer wieder in auch Frau Ehrlich, ich brauchte es ja dann Filmen gehört und gesehen haben. nicht mehr, haben regelmäßig Besuche Unser erstes gemeinsames Seminar war zum Deutschen Demokratischen Frauen- ein Grundkurs über Politik in Burgschei- bund hier in Ost-Berlin durchgeführt, um dungen. Die DDR-Frauen kennen sicher- zu hören, wie es den Frauen in der DDR lich Burgscheidungen, eine wunderschöne geht. Wir haben mit einem Ausschuss, der Staufferburg in der Nähe von Naumburg 36 Jahre bestand und der sich persönliche an der Saale. Dort war eine Erwachsenen- Hilfe nannte, viele von Ihnen erinnern sich, bildungsstätte, ich weiß nicht, ob es von Paketaktionen in die DDR veranstaltet, der Gewerkschaft in der DDR war, auf je- und zwar wurde das finanziert vom ge- den Fall gab es funktionierende Infrastruk- samtdeutschen Ministerium, das ist kein tur für ein Seminar. Wir wollten ein Ost- West-Seminar, in dem wir Frauen aus dem

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Westen und dem Osten zusammenführen, Westfrau, einer Ostfrau und dem entspre- unser Thema war staatsbürgerliche Bil- chenden Apparat dazu ausgestattet. Dazu dung. Ich habe noch gedacht: „Oh, lieber gehörte eine Wohnung, in der man ein Bü- Gott, wer kommt denn von den Ostfrauen ro einrichten konnte. Diese Verbindungs- dahin? Und wenn, dann kommen sie viel- büros hatten vorwiegend die Aufgabe, die leicht ziemlich wütend oder vielleicht auch Frauenverbände, die ganzen Nichtregie- desinteressiert.“ Wir kannten ja gar nicht rungsorganisationen, die ja im Westen wa- die Gefühle und das, was jetzt so rüber- ren, und im Osten der Demokratische kam. Ich dachte noch, diese Frauen haben Frauenbund diesen Frauen näher zu brin- vierzig Jahre Staatsbürgerkunde hinter gen in Form von Informationsbörsen und sich, die wollen von staatsbürgerlicher Bil- eben gemeinsamen Seminaren, Treffen dung bestimmt nichts mehr wissen. Aber und Kennenlernen. Uns war es wichtig, das Gegenteil war der Fall. Es war ein dass wir die Frauen kennen lernen, dass ganz hervorragendes Seminar, die Frauen wir nicht über sie reden, sondern mit ihnen waren hochinteressiert, zu erfahren, zu reden. Und, ich denke, das ist uns gelun- wissen, wie funktioniert ein föderalisti- gen. sches Staatsgefüge oder eine Kommune oder ein Landkreis. Vor allen Dingen wa- Elisabeth Botsch: Danke, Frau Warten- ren sie hochinteressiert daran, wie Europa berg. Frau Griem, was waren denn die Er- funktioniert. Und diese gemeinsamen Se- wartungen damals 1989/1990 für Frauen minare haben wir über viele, viele Jahre in der DDR und wie kamen denn die Kon- dann angeboten. Dann waren es keine Ost takte zum Frauenring? Was war wichtig für West -Seminare mehr, dann waren es un- Sie als Mitglieder des Frauenrings? sere staatsbürgerlichen Seminare. Den gesamtdeutschen Ausschuss haben wir Rosita Griem: Das ist so einfach gar nicht dann auch nach der Wende gesamtdeut- zu beantworten. Ich möchte auf keinen schen Ausschuss genannt, weil wir gesagt Fall für andere sprechen, ich kann nur für haben, jetzt hat er genau den Namen, den den Bereich sprechen, mit dem ich es er verdient. Ich denke da an unsere Frau auch zu tun gehabt habe. Ich bedanke Pölke aus Kiel, die sich da sehr einge- mich aber, dass ich hier neben so hochka- bracht hat als Vorsitzende dieses Aus- rätigen Damen sitzen und meine Erfahrun- schusses. Wir haben die Vorarbeit geleis- gen kundtun darf. Ich schicke voraus, ich tet, sind zu den einzelnen Städten und hätte nie, Sie wissen inzwischen ja, was Kommunen gefahren, haben Frauen ein- ich für ein Uraltmensch bin, erwartet, dass geladen und haben Informationsveranstal- ich irgendwann mal eine Freundin aus tungen gemacht. Ich war zur gleichen Zeit dem Westen haben würde. Das habe ich auch Vorsitzende im deutschen Frauenrat, nie erwartet. Jetzt habe ich eine. Und ewig da er ja unser Dachverband ist, und da lange ist die auch in Born und es bleibt gar hatte man natürlich auch ein kleines biss- nicht aus, wir haben Gemeinsamkeiten, chen mehr Geld, was man vielleicht vertei- aber auch Unterschiede, die wir nie besei- len konnte. Von dort haben wir die Verbin- tigt bekommen. Also, das ist eine Sache, dungsbüros des deutschen Frauenrates die hätte ich nie erwartet. Das hat uns initiiert. Sie waren vom Frauenministerium mehr oder weniger überfallen. Von der finanziert und wurden immer mit einer

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Bürgerbewegung bekamen viele ja gar den auch, aber der war so klein, dass wir nichts mit. Auf dem Lande zum Beispiel ist den gar nicht so richtig entdeckt haben. Es das nur über Kirchen und sehr viel später gab auch schon einen Landesverband, als gelaufen als in den Städten. In Rostock ich dorthin kam. Frau Pölke hat den zum gab es auch eine Frauenbewegung, und Beispiel mit begründet und unheimliche die Erwartung, die alle hatten, nachdem Hilfe in Born geleistet, das war also schon das so über Nacht alles weg war, war, es ein Feld, das da gewesen ist, und viele kann ja nur besser werden, was wir jetzt Frauen haben sich hinein gedrängt in die- alle wollen. Und man hat das Gefühl ge- sen Verband damals und wollten ganz ein- habt, auf keinen Fall bleibst du jetzt still, fach lernen, was das ist, wie kann ich mich auf keinen Fall lässt du dir das alles über- einbringen. Haben sie auch. Und als sie stülpen, dass du hier völlig falsch gelebt das nachher so alles gepackt hatten, was hast und so weiter. Man wehrt sich. „Man“ man versteht, wie man sich einbringen sage ich jetzt ganz bewusst, weil ich mich kann, wo man seinen Weg finden kann, ist nicht alleine gewehrt habe, das waren vie- das Interesse am Frauenring mehr oder le, und „man“ ist ja im deutschen Wort- weniger, ich möchte sagen, zurückgestellt schatz etwas, was man wirklich nimmt, worden. Ich will nicht sagen erloschen, ohne dass man immer ich sagt. Also, was aber zurückgestellt worden. Und dieser haben wir erwartet? Was ist Demokratie, Schwung, der am Anfang da war, den mit- was ist in Westdeutschland unter Demo- zunehmen, das haben wir irgendwo nicht kratie zu verstehen? Das wollten wir wis- ganz verstanden hinüberzuretten in die sen. jetzige Zeit. Und das, finde ich, ist eine Und etwas muss ich noch sagen, wir ha- Hoffnung, die wir haben, dass es uns wie- ben uns ja informiert über das Westfernse- der gelingt, diesen Aufbruch, den wir ge- hen, auch wenn es verboten war, aber wir genwärtig haben, so zu nutzen, dass wir haben es geguckt sehr oft, und auch mehr Frauen erreichen, sich im vorparla- Nachrichten. Aber haben Sie mal geguckt, mentarischen Raum politisch zu betätigen. was in der DDR im Fernsehen war? Doch Das ist etwas, was ich denke, was wir nö- wenig. Ich denke, kaum. Man hat das doch tig haben, denn aus meiner Sicht ist Frau- nicht wichtig genommen. Ich kann mir vor- enpolitik nach wie vor nötig. Ein Viertel we- stellen, Sie konnten ja auch gar nicht zwi- niger Gehalt bekommen immer noch die schen den Zeilen lesen so wie wir, oder Frauen, die neueste Erkenntnis sagt das. hören, Sie müssen sich das angeguckt Seit fünfzig Jahren wird das gefordert, und gedacht haben, nein, das brauche ich dass es endlich im Gesetz umgewandelt nicht. Das war also eine Sache, das Inte- wird. Wir haben zum Beispiel unserem Eu- resse war da und man hat sich gefreut, ropakandidaten, Mecklenburg hat ja einen wenn Leute kamen. einzigen da in Europa sitzen, unseren Ach so, ich muss noch sagen, ich war ja Herrn Kuhn, mit auf den Weg gegeben, so lange in Rostock tätig und erst, nach- dass er sich auch in Brüssel einsetzen dem ich zehn Jahre unter den Bedingun- soll. Das ist nämlich einer, der mag die gen der Bundesrepublik gearbeitet hatte, Frauen und der soll sich auch in Brüssel bin ich auf den Darß gezogen in meinen einsetzen, dass sie entsprechend zu Wort Heimatort und habe dort einen Frauenring kommen. Und wir waren jetzt in Straßburg bereits vorgefunden. In Rostock gab es und haben uns seinen Wirkungskreis an-

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geschaut, und mir ist aufgefallen, es sind Und ein Jahresbeitrag von zwanzig Euro schon ganz schön viele Frauen in dem Be- oder fünfundzwanzig Euro ist für einen reich tätig. Also, ich schätze, es ist bei großen Teil der Leute ein Problem. Die dreißig Prozent, sie wollen ja aber Parität Renten sind noch nicht gleich hoch, der irgendwann mal erreichen, und das schafft Lohn ist so unterschiedlich. Wir haben ja man nur, wenn man drum kämpft, von al- zu den fünfundzwanzig Prozent, die es lein räumen die Männer die Plätze nicht. sonst noch gibt, ja immer noch Abzüge, Und das ist in den Dörfern so, das ist über- die es offiziell gibt. Also, das ist tatsächlich all so. Es ist, wie gesagt, eine Hoffnung, auch ein Problem, das Ökonomische. Und die ich habe, dass die Frauen selbst die das muss man vielleicht etwas mehr be- Initiative ergreifen und nicht so viel Desin- denken in der ganzen Sache, das, schätze teresse zeigen, wie das gegenwärtig doch ich, ist wichtig. der Fall ist, denn die Mitgliederzahl ist ja rückläufig. Also, vielleicht erst mal dazu Elisabeth Botsch: Ja, danke, Frau Griem. das. Es gibt viele andere Dinge, die ich Wir sind schon mitten in der internen Dis- Ihnen noch sagen könnte, wie wir dafür kussion und das ist auch sehr wichtig, arbeiten. Zum Beispiel denken wir nicht aber ich möchte jetzt gerade noch einmal nur für uns in Born, sondern für Europa. an Sie anknüpfen und vielleicht noch ein- Wir waren sehr früh schon, 2004, in der mal zurückgehen. Liegt es vielleicht auch Pomerania-Gesellschaft, wir waren in Po- daran, dass die Unterschiede zwischen len, haben Stettin besucht, haben mit den den Frauen in Ost und West eben doch Leuten dort gesprochen. Wir haben uns beträchtlich sind? Und jetzt wende ich einen Europaabgeordneten geholt und mich noch einmal hier an Tatjana Böhm, über Europa nachgedacht. Also, wir wollen wie siehst Du das? eigentlich uns da einbetten insgesamt. Aber natürlich ist die Einigung vorher im Tatjana Böhm: Wenn wir von Ost und nationalen Rahmen ganz wichtig. Und da- West sprechen, sollten wir auch die letzten zu muss ich sagen, da bin ich inzwischen zwanzig Jahre sehen, die natürlich Globa- so weit, dass ich glaube, dass wir es wirk- lisierung und die großen Veränderungen lich packen, weil man erfährt, dass man auch in Westeuropa gebracht haben. Wir uns glaubt und zuhört. Das war lange Zeit dürfen also nicht vergessen, dass wir zwei nicht so im Frauenring, das muss ich ganz Linien haben. Einmal die Ost-West-Linie ehrlich sagen. Und wir, vielleicht kann ich und einmal diese unglaubliche Beschleuni- das noch sagen, haben auch noch ein gung der letzten zwanzig Jahre, die Verän- Problem, dass man vielleicht darüber derung, dass Ökonomie den letzten Be- nachdenkt, warum manchmal die Ostfrau- reich privaten Lebens durchdringt. Also, en nicht zu Veranstaltungen kommen. das ist ganz schwierig. Wenn wir hier mit zwei Personen sitzen, ist Ich muss jetzt noch einmal in meine Erfah- das ja auch nicht gerade sehr berühmt. rung, die ich 1990 gemacht habe zurück- Das hätte ich schon gern, dass da mehr gehen. Wir haben uns ja auch gegen den sind. Aber es kann sich nicht jeder leisten, DFD gegründet. Das weiß auch Ihre Vor- so viel Gel auszugeben, weil es einfach sitzende, das war ja eine staatliche unkriti- nicht vorhanden ist. Es gibt finanzielle sche Organisation. Wir haben ja dann viel Probleme, ob man es glaubt oder nicht.

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Ost-West gemacht, das war erst unglaub- und diese Gemeinsamkeiten wirklich zur lich wunderbar in den 1990er Jahren, dann rechten Zeit finden, um etwas zu tun. Und war es unglaublich furchtbar, also viele deshalb bin ich sehr dankbar, dass die EU Diskussionen. Vielleicht war es bei Ihnen jetzt endlich rausgekriegt hat, was wir alle etwas zivilisierter als in dem Alternativbe- schon immer wussten in den letzten zwan- reich, aber es war einfach die Sache, dass zig Jahren, dass es eben diese Lohndiffe- man auch Unterschiede nebeneinander renz von fünfundzwanzig Prozent gibt, es stehen lassen muss. Das habe ich dann in hat nur niemand gehört. Also, der Deut- Amerika kennen gelernt. Da haben sie sche Frauenring war sich da mit ganz un- nämlich deutsch-deutsche Veranstaltun- abhängigen Feministinnen einig und auch gen gemacht, die Unterschiede nicht weg- den Parteifrauen, aber mittlerweile muss reden, sondern, das habe ich wirklich de- es jetzt auch Deutschland mal zur Kennt- mokratisch in den USA gelernt, es gibt Un- nis nehmen und die Sache ist nicht gere- terschiede, die stehen nebeneinander und gelt. Und, ich denke, dass wir wirklich sol- die müssen auch nicht von der einen Seite che Gemeinsamkeiten, die auch belegt jeden Tag bewertet werden, das ist nun sind, finden, und sich dann auch von un- weniger die Ostseite, sondern jeden Tag terschiedlichen Standpunkten aus was tut, bewertet und beurteilt werden. Dann damit sich das ändert. Und das ist in kommt nämlich die beurteilte Seite immer Deutschland nun mal, denke ich, ziemlich ziemlich gekränkt, frustriert und auch trau- schwierig, also die Unterschiede auszuhal- rig heraus. Das meinte ich mit dem ten und fruchtbar zu werden und auch fair „ziemlich furchtbar“. Und eben diese Sa- miteinander umzugehen. Und das ist na- chen, wo man das aber gemeinsam auch türlich, wenn man nicht so viel Definitions- fruchtbar machen kann. Also, ich sage, macht hat, besonders schwierig. Und das Unterschiede aushalten und Gemeinsam- war teilweise 1990 wirklich da, und da soll- keiten finden. ten wir uns auch mal besinnen, nicht, auf Ich habe nicht umsonst vorhin diesen his- das, was wir nicht erreicht haben, sondern torischen Kompromiss des deutschen Ab- auf diese Punkte, wo wirklich was passiert treibungsrechts genommen. In den USA ist, und dann macht es auch wieder Spaß. habe ich das erlebt, da sitzen Leute, De- mokratinnen oder linke Leute und Rechte Elisabeth Botsch: Danke. Frau Rabe, wie nebeneinander und sagen aber, es gibt war das in Berlin? Können Sie die Situati- Punkte, da sind wir uns einig und wir dis- on schildern oder vielleicht auch Ihre per- kutieren nicht ständig unsere Unterschie- sönliche Meinung dazu sagen? de, sondern suchen ein paar Punkte. Frau- enleben ist ja in den letzten zwanzig Jah- Christine Rabe: Ja, die Unterschiede sind ren viel differenzierter geworden, nicht alle da, also die waren vor allen Dingen da. Frauen haben ganz ähnliche oder diesel- Die Frauen in Ost und West haben einfach ben Interessen und Bedürfnisse, aber es in zwei sehr verschiedenen Welten gelebt. gibt eben bestimmte Punkte, wo die sich Aus heutiger Sicht würde ich sagen, es treffen. Ich denke, das ist die Verantwor- gibt nicht die Ostfrau und es gibt nicht die tung, dass wir diese Punkte finden und Westfrau, ganz klar, weil die Biografien so Gemeinsamkeiten finden, die gar nicht so verschieden sind, und manchmal gibt es riesengroß sind, wie unser Anspruch ist,

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vielmehr Nähe zwischen einer Ost- und Elisabeth Botsch: Das ist ganz prima. einer Westfrau als zwischen eine West- Das ist ja so ein bisschen das, was Frau und einer Westfrau und einer Ost- und ei- Griem auch eben sagte, also wenn die ner Ostfrau. Gerade zum Thema Demo- Frauen sich für die Themen, für die Inhalte kratieentwicklung und Wende sehe ich vor interessieren und tätig werden, etwas er- allen Dingen im Osten noch sehr, sehr reichen können mit unserem Verband große Unterschiede. Es wurde gerade an- auch, dann gibt es ja die Möglichkeit, sich gedeutet UFV und DFD. Diese Debatte wieder stärker einzubringen. Frau Warten- und diese Auseinandersetzung der Ost- berg, was denken Sie, was bedeutet das frauen untereinander, ich stelle fest, wir denn für den Frauenring? Können wir die haben sehr viel verdrängt. Nach zwanzig Unterschiede auch in dem Sinne fruchtbar Jahren erst, auch in der gestrigen Veran- machen? staltung, ist diese Debatte in vielen Berei- chen erst möglich. Gestern war ich auf ei- Gertrud Wartenberg: Ganz sicher. Denn, ner Veranstaltung der überparteilichen ich denke, das belebt ja eigentlich auch Fraueninitiative in Berlin, und da wurde so dann das Miteinander, was wir in den letz- was ganz Schlaues gesagt, was eigentlich ten vierzig Jahren auch als Frauenring er- auch ganz klar ist und ganz einfach ist, reicht haben, dann jetzt die letzten zwan- aber die Neugierigkeit aufeinander, also zig Jahre mit den Frauen aus dem frühe- die Neugierigkeit zwischen Ost und West ren Osten oder wie auch immer wir sie ist ein ganz wichtiges Thema. Es ist wich- nennen. Also, immer diese Standortpositi- tig, es nebeneinander stehen zu lassen, on, ich kann sie eigentlich nicht besonders also sich wirklich auf Augenhöhe zu erzäh- leiden. Mir geht es darum, dass wir auch len, was passiert ist, und es stehen zu las- das, was wir erreicht haben, gemeinsam sen, beziehungsweise aus diesen Ge- auch erreicht haben, erhalten. Und, ich meinsamkeiten noch etwas weiter zu ent- denke, da haben wir als Verbände eine wickeln. Also, nicht nur die Gemeinsamkeit Wächterinnenfunktion, da müssen wir in festzustellen, sondern sie gegenseitig zu der Tat immer wieder nachfragen. Wenn ergänzen und zu sagen, was ist für die Sie jetzt von den Lohnunterschieden re- Frauen in Deutschland tatsächlich wichtig den, ich war Präsidentin von der europäi- und wo müssen wir weitermachen. Es schen Frauenlobby, wir haben darauf ge- reicht ja nicht, eine Bundeskanzlerin und drängt, hart gearbeitet, dass eine Richtli- eine Vorsitzende der evangelischen Kirche nie, das heißt, bindendes Gesetz an alle zu haben. Was müssen wir gemeinsam Mitgliedstaaten rausgeht. Wir brauchen sozusagen weiterentwickeln? kein neues Gesetz, wir haben Gesetze, Lohnungleichheit und so weiter, diese Din- eben die Richtlinie der EU, und wir haben ge. Wir sind längst an dem Punkt und wir unseren Artikel drei im Grundgesetz. Und sind, glaube ich, schon seit zehn Jahren diese unterschiedlichen Löhne, das ist ei- an diesem Punkt, und dennoch finde ich gentlich rechtswidrig und wir müssen es die Debatte über die Verschiedenheiten einklagen, einfordern. Wenn wir es nicht wichtig zur gemeinsamen Weiterentwick- tun, es gibt so viele subtile Mittel, das zu lung. War das jetzt das, was ich beitragen umgehen. Und das haben wir in den letz- konnte oder sollte? ten Jahren erfahren, wie schnell man vor

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erreichten Positionen wieder irgendwann wir erwerbstätige Frauen. Wenn wir im Al- da steht und sagt, das war doch mal an- ter nicht von Sozialhilfesätzen leben wol- ders. Wir müssen zusammen jetzt auch len, müssen wir uns eine eigene Renten- wirklich gemeinsam das zu erhalten versu- biografie erwerben, und das müssen wir chen, was wir erreicht haben, und natürlich den jungen Frauen wirklich eintrichtern. bestehende Unterschiede noch ausglei- Die meisten haben es ja kapiert, Gott sei chen. Und da haben wir noch eine ganze Dank, oder sehr viele haben es kapiert. Da Menge Arbeit vor uns, denke ich. haben uns an sich auch die positiven Bei- spiele, in dem Fall wirklich positive Bei- Elisabeth Botsch: Ich möchte noch auf spiele, von den Ostfrauen geholfen, wir eine andere Sache zu sprechen kommen, haben davon profitiert. Das ist mit Sicher- bevor ich dann für das Plenum die Diskus- heit nicht ganz generell Ihre Meinung, aber sion öffne. Der Titel des Sterns von letzter es ist schon so, voll erwerbstätige Frauen Woche war etwa so, ich habe ihn jetzt hier und die ganze Problematik, die ja europa- nicht vor mir liegen, aber die „Ostfrauen“ weit in allen siebenundzwanzig Mitglied- sind die starken Frauen und haben durch staaten der europäischen Union noch nicht die ganze Geschichte der Wende ja noch erreicht ist, ist die Vereinbarkeit von Er- mehr Stärke gefunden, und im Westen ist werb und Familie. Frau Gorbatschowa hat es jetzt eigentlich so, dass wir durch Glo- uns einmal bei einem Kongress des IDFF balisierung, durch die vielen Veränderun- in der Sowjetunion gesagt: „Es ist uns ge- gen, die ja sehr, sehr schnell kommen, ei- lungen, die Frauen in den Produktionspro- gentlich sogar von den „Ostfrauen“ lernen zess einzugliedern, aber es ist uns nicht können. Ich weiß nicht, ob Sie den Stern gelungen, die Männer in den Familienpro- gesehen haben, aber diese Diskussion ist zess einzubinden“. Und just da müssen wir ja jetzt so. Aber einfach so dieser Gedan- noch viel dran arbeiten, denke ich. Wie ke, können „Westfrauen“ von den gesagt, erreicht ist schon viel, aber wir „Ostfrauen“ was lernen? sind wieder am Anfangspunkt, wir müssen erhalten, was wir erreicht haben. Gertrud Wartenberg: Ich würde nicht sa- gen „jetzt können“, sondern auch in der Rosita Griem: Ja, vielleicht will ich auch Vergangenheit, denn wir haben es als etwas dazu sagen. Können wir voneinan- Westfrauen, die wir ja damals „nur“ zu der lernen? Die Frage finde ich besser, dreißig Prozent voll erwerbstätig waren. Es denn von Anfang an sind wir ja reingegan- war eine ganz andere Situation, die meis- gen in diesen Prozess, weil wir etwas von ten Frauen haben ein ganz anderes Leben den anderen lernen wollten. Wir mussten geführt, die Frauen hier waren voll im Pro- dann nachher zwischendurch auch fest- duktionsprozess eingebunden. Und das stellen, dass wir doch gar nicht so unmög- müssen wir jetzt auch, wir haben im Wes- lich waren, wie wir kurz vorher doch noch ten oder die Frauen generell in Deutsch- angenommen hatten, und dass wir eine land oder Frauen, sagen wir, in ganz Euro- ganze Menge können, das ist nun mal so. pa, ich will jetzt gar nicht global gehen, wir Aber, ich würde sagen, das ist eigentlich haben nicht mehr die Wahl, sind wir jetzt ein Geben und Nehmen. Manchmal denke Familienfrauen ausschließlich oder sind ich sogar, dass man es einfach tun muss, um zu sehen, ob man voneinander lernen

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kann. Es wäre doch schlimm, wenn ich ben die gemacht. Was ich ganz wichtig zum Beispiel mir einbilden würde, ich finde, was wir beachten müssen, wir ha- könnte dieses, was Frau Wartenberg glo- ben einen schwindenden Arbeitsmarkt. Da bal geleistet hat, auch. Das geht doch gar nimmt nichts zu, sondern wertschöpfende nicht, das muss ich doch lernen, wenn ich Arbeit nimmt ab. Nun haben sich diese mich in der Welt für die Frauenbewegung jungen Frauen gerade auch aus dem Os- einsetzen will oder im großen Rahmen. ten durchgesetzt, und jetzt machen die Das sind so Dinge, die kann man ganz neuen Bundesländer oder ein Teil davon einfach nicht leugnen. Oder von den Bür- wieder das, was ich als richtig patriarchale gerrechtsfrauen auch in der DDR. Man Politik bezeichne. Da haben wir praktisch kann doch von den Frauen untereinander diese Weinkolumnen, es werden nur noch lernen, wir selbst sind doch ganz unter- die tumben und doofen rechtsradikalen schiedliche Persönlichkeiten, also das hat Jungen praktisch in den Dörfern bleiben. mit Ost und West inzwischen, finde ich, Also die mangelnde Flexibilität trotz der- kaum noch irgendwas zu tun oder zu tun selben Möglichkeiten. Und da wird den gehabt. Das ist ganz einfach etwas, was jungen Frauen im Sinne von Doppelbin- man muss. Aber es ist jetzt notwendig, dung wieder vorgeworfen, jetzt sind sie dass man zusammensteht, damit man er- auch noch für die verödenden Landstriche zwingt, das, was die Frauen wollen, auch und für die rechtsradikalen Ausschreitun- wirklich durchzuführen. Da kann vielleicht gen dieser jungen Männer verantwortlich. jeder vom anderen, der da schon Erfah- Und das möchte ich zum Beispiel, dass rung hat, lernen. das in den Medien auch mal analysiert und auch mal sich richtig kritisch damit ausei- Tatjana Böhm: Also, nochmal kurz zum nandergesetzt wird. Da geht der Vorwurf Stern, also, das ist ja auch eine These, die schon wieder an die jungen Frauen, sie die Kollegin von mir, Hildegard Maria Ni- haben auch die Gesamtverantwortung für ckel, vertritt. Ich denke schon, dass ein die verödenden Gebiete im Osten. Also, Teil der Frauen, auch der jungen Frauen vorher haben die das gemacht, haben die mit Ostsozialisation beziehungsweise gleichen Ansprüche gehabt wie Männer. Selbstverständlichkeiten, im Leben ihrer Und das, denke ich, sollten wir über Gren- Mütter, ihrer Großmütter, Wendeerfahrun- zen, also Frauengrenzen weg doch durch- gen, dass sie einen gewissen Modernisie- aus mal stärker benennen. rungsvorsprung haben. Da komme ich Dann gibt es noch etwas, was mich in den jetzt auch zu dem Punkt, der mich im Mo- letzten zehn Jahren sehr ärgert, und jetzt ment in der Diskussion um diese jungen auch wieder in der politischen Diskussion. Frauen so unglaublich ärgert, der jetzt Wir führen eine politisch differenzierte Dis- nicht nur im Stern war, sondern gerade kussion über Generationengerechtigkeit, auch in den Medien, die in Ostdeutschland also wenn es das jetzt gibt mit Steuern gelesen werden. Das war also immer die und so. Dabei haben wir die Frage der Ge- Sache, wir sind in einer flexiblen Welt, es schlechtergerechtigkeit völlig aus dem Au- war immer die Botschaft an die jungen ge verloren. Ich denke, das ist was Eini- Frauen, ihr müsst flexibel sein, ihr müsst gendes, wo man sich da auch festhält. Es euch qualifizieren, ihr müsst in den Wes- ist eben geschlechterungerecht, wie diese ten oder ins Ausland gehen. So, das ha- jungen Mädchen bewertet werden. „Für

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euch hat sich das alles erledigt, weil ihr nicht. Da kann man mal nach Frankreich das hattet, und jetzt seid ihr auch noch für gucken, wie es da eine qualitätsgerechte das Veröden von ganzen Landstrichen umfassende Betreuung gibt. Da geht eben verantwortlich.“ Und das ist für mich auch die Akademikerin zur Verwaltung und sagt, eine demokratische Herangehensweise, mein Kind hat einen Bildungsanspruch, also mal zu sagen: „Stopp, was ist hier ei- und wenn mein Kind sechs Wochen alt ist, gentlich für eine Definitionsmacht in will ich verdammt nochmal eine bildungs- Deutschland, was müssen Frauen noch gerechte, also eine ordentliche Betreuung. leisten?“ So, das zum Thema Vereinbarkeit. Aber diese Vereinbarkeit funktioniert. Wir müs- Christine Rabe: Volle Zustimmung. Die sen den Begriff Rabenmütter einfach ab- Frauen werden dafür verantwortlich ge- schaffen, den gab es auch im Osten nicht, macht, die Mütter auch, wenn sie nämlich der muss abgeschafft werden. Und dann keine Mütter werden wollen, wir sind zu- müssen wir noch vom Osten lernen, diese ständig dafür, dass Deutschland ausstirbt, Geschichte mit der friedlichen Revolution. es ist unglaublich. Volle Zustimmung. Da Ich denke, das ist etwas, wovon Ostfrauen sind wir zuständig, aber in die Führungs- jetzt sozusagen auch einen Gewinn ha- positionen kommen wir nicht. Und jetzt ben, sie haben es erlebt, sie haben es be- noch einmal der Slogan des unabhängigen trieben, sie haben es gemacht, sie haben Frauenverbandes: „Ohne Frauen ist kein Demokratie richtig trainiert, geübt, durch- Staat zu machen.“ Also, ich finde, das ist gesetzt. Es wird deutlich, da wechseln so etwas, was in die Gemeinsamkeit ein- meine Fronten gerade. So, und der vierte fließen müsste. Es funktioniert nicht, die Punkt, den ich mir ganz dick jetzt noch ein- Jungs machen einfach viel zu viel falsch. mal angestrichen habe, also Herdpläne Frauen, das geht überhaupt nicht, ja, das Tatjana Böhm: Deshalb müssen wir sie geht einfach nicht. auch noch erziehen. Elisabeth Botsch: Gut, vielen Dank. Ich Christine Rabe: Genau. Also, auch da gebe das nun frei, Sie haben bestimmt vie- sind wir wieder zuständig. Nein, also ich le Fragen. Wir haben sozusagen einen habe mal vier Punkte, was ist sozusagen Konsens, denke ich, also wir müssen ge- aus dem Osten oder von den Ostfrauen zu meinsam vorwärts und im Frauenring die lernen, ich wechsle jetzt mal die Seite kur- Dinge bewegen. Jetzt bitte ich um Wort- zerhand. Mein erster Punkt wäre: Ohne meldungen und Fragen. Vielleicht können Frauen ist kein Staat zu machen. Frauen wir nochmal die Fragen von Frau Griem in die Führungspositionen, wir alle. Dann aufnehmen, wie können wir denn inner- diese Geschichte der Vereinbarkeit von halb des DFR erfolgreich zusammenarbei- Beruf und Familie mit allen Schwierigkei- ten? Also, wie können wir die Dinge vor- ten, auch die Qualität der Kinderbetreuung wärts bringen? Ja, Frau Prehn. muss einfach stimmen, ein Bildungsan- spruch muss da sein, es kann nicht ein- Frau Prehn: Vielleicht wäre es ja auch fach jetzt die Krippe der DDR-Zeit über- mal möglich, statt eines Seminartreffens nommen werden, das geht überhaupt hier mal die Ortsringe untereinander zwi-

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schen Ost und West auszutauschen und von Schule oder Sorgen mit Eltern, also es somit einige Dinge zu verbreiten. Und viel- war irgendwie ganz, ganz interessant. Und leicht kommt man so auch mehr auf einen dann sind sie zu uns nach Aurich gekom- gemeinsamen Punkt und kann dies weiter- men, dann waren wir in Heide in Holstein geben. und dann waren wir wieder in Prerow. Und die Referenten haben sie dann auch aus- Weitere Wortmeldung: Ich möchte auch gesucht, die dann da auch weiterhelfen, noch ein bisschen an den Anfang zurück- Rechtsanwälte. Dann nachher wurde das gehen und an die große Frau Pölke, die immer ein bisschen weniger. Ich hatte dann rübergegangen ist nach Mecklenburg auch so das Gefühl, sie kamen alle aus Vorpommern, nach Thüringen. Und der Berufswelt, und das Thema Ehrenamt, 1991/92 waren wir in Mecklenburg- sich so zu engagieren und da hinzugehen Vorpommern. Das waren die Ortsringe aus und etwas zu organisieren, auch das The- Heide/Holstein, also aus Schleswig- ma Verein war nicht so gewollt, also das Holstein, und wir aus Ostfriesland, Aurich, war alles ein bisschen zu eng gefasst, es und dann Mecklenburg-Vorpommern. Wir hätte vielleicht noch ein bisschen lockerer haben in Prerow damals den Landesver- laufen müssen. 2001 sind wir noch einmal band gegründet und die erste Vorsitzende mit dem Landesverband Niedersachsen des Landesverbandes war Doris Pagel. dort gewesen, und ich habe die Verbin- Mit Doris Pagel haben wir dann viele Jahre dung wieder aufgegriffen. Und aus Born zusammengearbeitet. Wir haben immer kommt ja Karin Willner, sie hatte mittler- ein, und das haben wir damals ganz be- weile einen Kleinbus für acht Leute und wusst norddeutsches Treffen genannt, machte Sightseeing und hat uns die ganze denn wir waren alle aus dem Norden, Boddenlandschaft gezeigt und mit ihr habe Schleswig-Holstein, Mecklenburg- ich das alles abgesprochen. Dann waren Vorpommern und wir Ostfriesen fast an wir mit dem Ortsring, mit dem Frauenver- der Grenze nach Holland zählten uns ja band da und es stand groß in der Zeitung, auch noch dazu. Und das ist viele Jahre dass der Landesverband Niedersachsen sehr, sehr toll gelaufen. Wir sind mit einer zu Besuch kommt. Und wir haben uns in großen Gruppe nach Prerow gefahren, der Fischerstub’ in Prerow zusammenge- haben uns zusammengesetzt, haben uns setzt und haben munter miteinander disku- ausgetauscht. Und das erste Seminar hieß tiert und erzählt, auch was mittlerweile damals „Und wir sprechen doch eine Spra- dann so gelaufen war und nicht gelaufen che?“. Und da weiß ich noch, dass Frau war. Und danach ist es dann ganz ruhig Pölke uns, bevor das Seminar überhaupt geworden. Dann haben wir noch einmal begann, alle auf den Weg geschickt hat, wieder angerufen. Dann wollte Hannover immer eine Ostfrau und eine Westfrau, das organisieren, weil dieses letzte Treffen sag ich mal so, und wir haben einen Spa- von Hannover aus ging, und dann haben ziergang gemacht, das sollte eigentlich nur wir immer keine Antworten mehr gekriegt. eine halbe Stunde sein, aber es wurde Und trotzdem wollen wir das oder müssten weit länger diskutiert und der Spaziergang wir es eigentlich wieder aufgreifen. Und ich wurde immer länger. Sie hat uns Punkte hörte schon von Frau Peschel, lass uns vorgegeben, ganz einfach Gespräche von das doch noch mal wieder in Schleswig- Frau zu Frau, von Kindererziehung oder Holstein aufgreifen, dann ist die Entfer-

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nung für alle so ungefähr gleich. Das woll- mal reflektieren, oder bei allen anderen te ich sozusagen zu den Anfängen erzäh- Einheiten, wie wir das mehr zusammen- len. bringen und wie das dann auch zurück- fließt, so dass das Gespräch von Frau zu Marion Böker: Ich möchte daran anknüp- Frau auch irgendwann bei den einzelnen fen, dass es ja auch um eine Debatte um Frauen diese Zufriedenheit erweckt, ach, demokratische Formen geht, wie wir die das hat ja wirklich die eine aus dem Frau- verbessern können. Und, ich glaube, Sie enring weitergetragen, dann ist was draus hatten vorhin gesagt, im vorparlamentari- geworden, dann habe ich gehört, im parla- schen Raum agieren. Ich glaube, es gibt mentarischen Raum wird diese Sache dis- mehrere Stufen, wir müssen das noch ein- kutiert. Also so dass man auch das Gefühl mal mehr reflektieren, welches Modell wir hat, da bewegt sich etwas, und dass nichts anwenden. Also dieses Gespräch von stecken bleibt. Frau zu Frau muss ja eigentlich dann auch bis in den parlamentarischen Raum in der Elisabeth Botsch: Ja, danke. Ich denke, Konsequenz dessen, was da als Ergebnis das geht hier schon in unser Arbeitspro- rauskommt, und dann in den parlamentari- gramm für nächstes Jahr, interne Kommu- schen Raum. Und diese Verschränkung nikation und auch nach außen. läuft noch nicht gut genug. Ich denke, das müssen wir akzeptieren, dass manche Weitere Wortmeldung: Ich bin vom Orts- Frauen nur hier agieren und manche ein ring Bad Hersfeld und ich persönlich habe Stück weiter gehen oder in einem anderen im Jahr 2000 den Kontakt zum Ortsring Raum agieren, also vorparlamentarisch, Schlotheim in Thüringen geknüpft. Ich ha- dann parlamentarisch oder juristisch oder be erst mal vorgefühlt, welche Themen wir wie auch immer. Und zum Beispiel an der haben, wie wir uns gemeinsam ein biss- Tagung hier, ich bin ja auch nicht Delegier- chen austauschen können, und wir sind te, sondern Zuhörerin hier, hätten viel dann mit einer ganzen Gruppe von Bad mehr Zuhörerinnen aus diesem Ort min- Hersfeld nach Schlotheim gefahren. Zu- destens oder aus Berlin teilnehmen kön- sätzlich haben wir dort die Projekte be- nen. Und die Ferne, also dieses Tagungs- sucht, die natürlich alle über ABM- haus, ist zwar gut in der Struktur, aber es Maßnahmen gelaufen sind, aber es lief ist fern. Es hätte eigentlich meiner Mei- was, und das war das Wichtigste. Zusätz- nung nach in einem Rathaus stattfinden lich bat ich, dass wir ein bisschen über die müssen, so dass auch mehr Gastzuhöre- Region noch erfahren konnten, auch das rinnen sowohl der Ortsringe, die dort je- ist geschehen. Und wir haben einen sehr, weils ansässig sind, wo diese Hauptver- sehr herzlichen Kontakt gehabt, den wir sammlungen oder andere Versammlungen dann zusätzlich noch mit dem Ortsring stattfinden, mithören können, oder später Mühlhausen ergänzt haben. Ein Jahr spä- bei offenen Elementen auch mitdiskutieren ter habe ich diesen Ortsring Schlotheim können. Ich denke, sich dafür mal Zeit zu nach Bad Hersfeld eingeladen, habe dort nehmen, solche Modelle zu konstruieren, auch ein Programm organisiert, wir haben dass dafür Zeit sein müsste. Und vielleicht uns wiederum ausgetauscht und wir hatten können wir das auch bei unserem ange- dann auch noch zusätzlich die Möglichkeit, dachten internationalen Seminar noch ein- sie an dem Tag der Festspieleröffnung in

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der Stiftsruine am Festakt teilnehmen las- ring? Die Frage stelle ich hier in den Raum sen zu können, was die Damen natürlich und möchte sagen, es hat angefangen auch noch besonders im Kopf haben. Und nach der Wende in sehr guten Gesprä- es ist jetzt weniger ein befruchtender Aus- chen, sehr guten Kontakten zwischen den tausch gewesen, weil eben die Unterschie- neuen und den alten Bundesländern. Spe- de sehr, sehr groß sind. Die Damen waren ziell hat da Frau Pölke, die schon genannt dort alle berufstätig, die Altersstruktur in wurde, sehr, sehr viel getan. Aber es war Bad Hersfeld ist ein bisschen höher, so ein Anfang. Und heute stehen wir eigent- dass da nur ein persönliches Gespräch lich an einem Punkt, wo es nicht so klar stand. Ich will aber nicht das Wort „nur“ und eindeutig mehr ist, wie wir zueinander sagen, es ist ein herzlicher Austausch ge- stehen. Es hat sich also nicht unbedingt wesen, ein persönlicher Austausch, der positiv entwickelt. Von den vielen gegrün- die Probleme der einen Seite und der an- deten Ortsringen existieren nicht mehr al- deren Seite im persönlichen Gespräch le, sie sind eingegangen. Ich möchte ein- wirklich dargestellt hat. Dann ist es ein fach sagen, das Wichtigste ist, dass wir bisschen eingeschlafen, und dann habe auf Augenhöhe miteinander reden müs- ich gedacht, nein, so kann es nicht sein, sen, und da haben wir manchmal, die und habe dann die Damen mal wieder ein- Frauen im Osten, das Gefühl, dass das geladen, und zwar anlässlich eines Besu- nicht so passiert. Das ist einfach eine Tat- ches bei uns von Frau Schneider- sache und ein Gefühl, das wir haben. So, Borgmann, und die Damen waren dann jetzt noch etwas zu den Ortsringen. Es ist auch da, etwa zehn Damen, und ab da ist eine ganz andere Situation in den Ortsrin- der Kontakt wieder gegeben, indem man gen in den alten Bundesländern als in den sich gegenseitig besucht und eben im per- neuen. Die Ortsringe, die in den neuen sönlichen Gespräch die Probleme unter- Bundesländern gegründet wurden, wurden einander bespricht. Es entstehen keine überwiegend, nicht alle, beispielsweise Projekte, aber persönliche Gespräche, und Born ging es anders, gegründet, weil die das ist auch sehr wichtig, denn wir sind Frauen auf Arbeitssuche waren. Es wurde uns eigentlich räumlich sehr nahe. durch die Gründung eines Vereins die Grundlage geschaffen, dass ein Verein Elisabeth Botsch: Ja, danke. Frau Rieke- Arbeitsplätze bekommen kann. Mir per- Baumeister. sönlich wurde das von der Ministerin Hil- debrand empfohlen, es in Potsdam so zu Frau Rieke-Baumeister: Mir fällt auf, machen. Und das war dann auch mit ein dass alle erzählen, ich habe, ich habe, ich Anlass, dass wir einen Verein gegründet habe, das war, das war, das war. Was ist haben. Wir sind dann später dem Frauen- heute? ring beigetreten. Ich hatte für Potsdam so- zusagen oder wir Potsdamer Frauen hat- Elisabeth Botsch: Gut, dann ist jetzt Frau ten die Vorstellung, dass wir in einem gro- Schobries dran. ßen Verband, und unsere Ziele stimmten mit denen des Frauenrings im Prinzip Frau Schobries : Was soll werden aus überein, dass wir da drin sozusagen bes- ser unsere Meinung repräsentieren kön- dem gemeinsamen deutschen Frauen- nen und besser gehört werden. Und da

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können wir auch sagen, das ist der Fall dern. Und die Sache mit der Arbeit und der gewesen. Aber leider ist die Entwicklung in Bezahlung liegt in den neuen Bundeslän- den neuen Bundesländern nachher so ver- dern so problematisch, dass auch auf die- laufen, dass die Frauen mit gesellschaftli- se Veranstaltung viele Frauen aus dem cher Arbeit, also im Ehrenamt oder in Ver- Osten nicht gekommen sind, weil sie das einen, nicht mehr so beschäftigt waren Geld für die Veranstaltung nicht zahlen oder nicht mehr so begeistert waren. Nach wollen und können. Und da müssen wir der Wende war alles Hurra. Ich war übri- auch sagen, in den Jahren nach der Wen- gens auch bei der Gründungsversamm- de gab es viele Zuschüsse, auch in West- lung des unabhängigen Frauenverbandes deutschland, und dadurch konnten die in Berlin anwesend, da waren wir eupho- Frauen auf diese Seminare fahren. Ich ha- risch, aber selbst auf dieser Sitzung be sehr viele Seminare im Frauenring be- schon, das können Sie mir sicher bestäti- sucht, aber im Laufe der Zeit sind die so gen, kam schon die Angst durch von Ar- erhöht worden, aber unsere Renten sind beitslosigkeit. Und das war eine große Ge- runtergegangen. Das ist auch mit ein fahr für die Frauen, die immer gearbeitet Grund. Und sie können die Frauen nicht haben und von denen auch viele immer zwingen oder sagen, sie müssen kommen, weiter arbeiten wollten. Und dann ist prak- sie müssen an der Veranstaltung teilneh- tisch die gesellschaftliche Arbeit, also sich men, weil sie da drin sind. Sie müssen es zu kümmern um den Frauenring und um auch können und müssen es wollen, und andere Sachen, dahinter zurückgetreten, da sehe ich ein großes Problem. Und wir dass die Frauen auf Arbeitssuche waren. werden nicht zusammenkommen, wenn Und mir speziell ging es auch so, ich war wir wieder Seminare haben, die nicht be- damals fünfzig, ich dachte, nein, jetzt zahlt werden können von dem Durch- darfst du nicht arbeitslos werden. Erst ha- schnitt der Leute im Osten. Entschuldigen be ich noch viel mitgemischt beim unab- Sie bitte, ich ziehe mich jetzt eigentlich hängigen Frauenverband, aber dann mehr oder weniger auch zurück, weil es musste ich mich auch um meine Arbeit mir schwer fällt zu sprechen inzwischen, kümmern, dass ich die erhalte und dass aber ich wollte das eigentlich nur noch mal ich noch bis zur Rente arbeiten kann. Und sagen. Wir müssen dazu kommen, wenn so wie es mir ging, ging es vielen Frauen. wir in den ostdeutschen Bundesländern, Dann wurde dieser Ortsring Potsdam ge- die mit daran beteiligt sind am Frauenring, gründet und Frauen in der Lebensmitte. und wir wollen es ja eigentlich, dann muss Sie kennen das alles, ich will das alles man wirklich noch mal diskutieren auf Au- nicht mehr wiederholen, aber es ist diese genhöhe zumindest und es in einem Rah- Art von Ehrenamt, es wurde zwar vieles men machen, wo die Frauen aus dem Os- bei uns im Ehrenamt gemacht in den Pro- ten auch kommen. jekten, aber es war nicht eine Hauptbe- schäftigung. Es war einfach ein Problem Elisabeth Botsch : Danke, Frau für die Frauen, sie hatten kein Interesse, Schobries. Ich denke, wir haben ja schon wenn sie nicht in Arbeit waren, sich weiter häufiger über dieses Thema der Beiträge mit anderen Problemen zu beschäftigen. für Seminare gesprochen. Und, ich denke, Also, dadurch ist es auch weiter auseinan- es wird mit Sicherheit auch darüber nach- dergekommen mit den alten Bundeslän- gedacht werden, andere Formen von ge-

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meinsamer Arbeit oder so. Aber jetzt wol- Elisabeth Botsch: Ja, vielen Dank. Ich len wir noch Frau Zakrzewski hören. glaube, das war auch schon ein wunder- bares Schlusswort, es sei denn, es wäre Frau Zakrzewski: Ich möchte nur gleich jetzt noch eine ganz dringende Meldung. dazu sagen, wir haben letztes Jahr oder Ein schönes Schlusswort und ich denke, dieses Jahr ein Seminar in ange- dass das der Weg für den Frauenring ist, boten. Frau Botsch hat sich sehr viel Ar- „Wir Frauen in Deutschland“, alle gemein- beit gemacht, das Seminar war kostenfrei, sam. Ach, ja, Entschuldigung, Frau War- es ging um 90 Jahre Frauenwahlrecht, ein tenberg, Sie wollten gerne noch was dazu Thema, was nun wirklich Frauen überall sagen. interessiert. Und wie ist es gelaufen? Die Historie, wir waren fünfundzwanzig Frau- Gertrud Wartenberg: Carmen hat ja en, und wenn ich mich recht erinnere, war schon ganz, ganz viel gesagt, und ich fin- keine Dame aus dem Osten dabei, oder ja, de das auch ganz wichtig. Wir müssen mit- zwei, aber die Beteiligung war gering. Ich einander umgehen. Und wenn Frau möchte das hier mal loswerden. Es war Schobries sagt „auf gleicher Augenhöhe“, ein Format, was doch relativ günstig war. dann kann ich damit nichts anfangen, das Aber was nehme ich persönlich mit, wa- tut mir leid. Also, wir Frauen sollten mit rum ich mich gemeldet habe? Ich nehme Respekt und Anstand und Toleranz mitein- mit, dass wir alle unterschiedliche Biogra- ander umgehen, und wenn wir das nicht fien haben, und zwar im Norden, im Sü- lernen, dann ist alle Liebesmüh umsonst. den, im Westen und im Osten. Das nehme ich mit und das möchte ich auch so stehen Elisabeth Botsch Ja, ich denke, wir lassen. Und wegen ihrer Biografie habe schließen die Diskussion damit ab und ich gar nicht zu beurteilen, warum was so nehmen für unsere zukünftige Arbeit doch gelaufen ist und warum wer was macht. ganz entscheidende Dinge mit. Auf Augen- Das ist das, was ich mitnehme, und, ich höhe, das heißt umgehen miteinander in denke, wir haben viele gemeinsame The- Toleranz und Verständnis und Zuhören, men, die sind aufgezeichnet, die sind hier aber eben auf dem gleichen Level. Mit Re- genannt worden, daran können wir arbei- spekt, das ist bestimmt das, was das Aller- ten und an denen möchte ich auch arbei- wichtigste ist, die Ausgangsvorausset- ten, auch im Frauenring hier gemeinsam. zung. Wir haben auf der Bundesvorstandssit- Ich möchte mich bedanken bei allen Teil- zung und auch auf der Hauptversammlung nehmerinnen hier auf dem Podium. Und über Integrationsprojekte gesprochen, und ich möchte unseren beiden Teilnehmerin- wir hatten einen wunderschönen Titel in nen zunächst unsere Broschüre und unse- Anlehnung eines anderen Seminars, was re Jubiläumsschrift, Frau Rabe war ja beim übrigens auch sehr kostengünstig war, Jubiläum dabei, 60 Jahre Frauenring, den schönen Titel: „Wir Frauen in überreichen. Dann etwas, um die Lektüre Deutschland“, und ich möchte jetzt noch zu versüßen. Frau Wartenberg und Frau mal sagen, das sollten wir uns zu eigen Griem, Sie kennen die Broschüre, aber Sie machen. bekommen die Bonbons. So, und jetzt zu- letzt, liebe Tatjana, herzlichen Glück-

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wunsch zum Geburtstag von uns allen. Und ich finde das sehr schön, dass du an deinem Geburtstag hier zu uns gekommen bist, um mit uns zu diskutieren. Noch ei- nen schönen Tag, feiere schön und viel- leicht bis bald. Und herzlichen Dank, Frau Rabe, wir sehen uns ja demnächst sowie- so.

Frau Rabe: Sehr schön.

Elisabeth Botsch: Und herzlichen Dank, Frau Wartenberg.

Frau Wartenberg: Ja, mich werden Sie nicht los.

Elisabeth Botsch: Nein, glücklicherweise. Wir brauchen Sie alle. Wir brauchen jede Frauenringsfrau und alle, die mitwirken und arbeiten wollen, auch mit dem neuen Präsidium, mit den vielen Plänen, die da sind und den Ideen, dass wir die umset- zen. Es geht wirklich darum, dass wir Din- ge umsetzen. Frau Zakrzewski, jetzt ha- ben Sie das letzte Wort. Frau Griem, auch herzlichen Dank.

Frau Zakrzewski: Ja. Unser Seminar geht zu Ende, es gehen aufregende Tage zu Ende. Es war ein sehr gutes Seminar, da- für bedanken wir uns auch bei Frau Botsch, die einen Großteil dazu beigetra- gen hat. So, ich wünsche allen eine gute Heimfahrt und vorher noch guten Appetit.

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Tagungsprogramm

Deutscher Frauenring

Bundesfachseminar

20 Jahre Wiedervereinigung Deutschlands

13. - 14. November 2009

Bildungszentrum Erkner Seestr. 39 , 15537 Erkner Tel. 03362 – 7690 Fax 03362- 769 9098

Freitag 13. November 2009

13.30 Uhr Anreise (Kaffee und Kuchen)

14.30 Uhr Begrüßung

15.00 Uhr Die Überwindung der SED-Diktatur: Ursachen und Verlauf der friedlichen Revolution Dr. Jens Hüttmann , Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED -Diktatur, Berlin

16.00 Uhr Kaffeepause

16.30 Uhr Die Rolle der Kirchen als Ort für Oppositionelle Steffen Reiche, Theologe, Mitbegründer der SDP

Dr. Maria Nooke , Zeitzeugin, Stellvertretende Direktorin der Stiftung Berliner Mauer

Moderation: Annelies Rothkamm ab 18.00 Uhr Abendessen

Samstag 14. November 2009

09.00 – 10.45 Uhr „Wendekinder“ Dokumentarfilm (45 Minuten )

im Anschluss: Diskussion mit Hans Sparschuh sowie mit zwei Darstellern Susan Fischer und Robert Ide

10.45 – 11.00 Uhr Kaffeepause

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11.00 - ca. 13.00 Uhr Frauen in Ost und West: Hoffnungen, Schwierigkeiten, Ansprüche nach der Wiedervereinigung und heute

Podiumsdiskussion mit:

Tatjana Böhm , Autorin der „Sozialcharta“ des Runden Ti- sches 1989, Ministerin ohne Geschäftsbereich der DDR Rosita Griem , DFR OR Born Gertrud Wartenberg , ehemalige Präsidentin des DFR Christine Rabe , Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Char- lottenburg-Wilmersdorf in Berlin

Moderation: Dr. Elisabeth Botsch

anschließend Mittagessen / Abreise