http://www.dg-kunststoff geschichte.de/de/ e-plastory 2013, Nr. 1 e-plastory

ISSN 2190-9598

Artikel

Geschichte und Restaurierung der Kaffeekanne des gelben Resopal-Geschirrs von Christian Dell

Dietmar Linke [a], Günter Lattermann [b] [a] Kernerstraße 17a, 13125 Berlin-Karow; [email protected] [b] Grüner Baum 32, 95448 Bayreuth; [email protected]

(Eingereicht: 01. November 2012; Endversion: 03. Juni 2013)

Kurzfassung: Die Bedeutung des Kaffeegeschirrs von Christian Dell und die restauratorische Untersuchung der dazugehörigen Kaffeekanne wird beschrieben. Die Untersuchungen lassen vermuten, dass es sich um einen Prototyp handelt. Schlüsselwörter: Christian Dell, Kaffeekanne, Kunststoffdesign, Vorkriegsdesign, Pionier, , Harnstoffharz, Aminoplast, Resopal, Römmler AG, Spremberg, Restaurierung.

Einleitung Der Beginn des Kunststoffdesigns in Jahre entwickelt worden [4]. Erstmals Deutschland lag in der Übergangszeit am wurden Harnstoffharze in kleinerem Aus- Ende der zwanziger zu den dreißiger maß in Großbritannien 1925/1926 (Beetle, Jahren des 20. Jahrhunderts [1]. Bandalasta) [5,6] und in Deutschland ab Die Patente des ersten vollsynthe- 1927/28 (Pollopas, Dynamit AG, Troisdorf) tischen Kunststoffs, des seit 1910 produ- [1,4,7,] bzw. 1929/30 (Resopal, H. Römmler zierten Phenolharzes (Phenoplast, PF- AG, Spremberg) [8] hergestellt. Bei Harz) mit dem Handelsnamen Bakelit, Römmler wurde der ältere Name Alboresin liefen ab 1927 im Ausland, ab 1931 in (1929/30) Anfang 1931 in Resopal ge- Deutschland und Österreich aus [2,3]. Die ändert [1]. Ab 1933 verzichtete die deutsche Kunststoffindustrie erwartete Römmler AG aufgrund von Patentstreitig- sich hiervon - gerade in der damaligen keiten auf die Herstellung eigener Harn- Weltwirtschaftskrise (1929-1933) - neue stoffharz-Formmassen und musste für Impulse und hatte sich darauf vorbereitet spätere Formpressartikel Pollopas der [2]. Eigene Phenolharze mit verbesserten Dynamit AG verwenden. Allerdings konnte Eigenschaften (Schnellpressharze), aber sich die Römmler AG im Gegenzug auf die auch schon die neuen, vielfarbigen Harn- Laminatproduktion konzentrieren. So stoffharze (Karbamidharze, UF-Harze, wandelte sich im Laufe der Zeit die Marke Untergruppe der Aminoplaste) waren Resopal hauptsächlich zu einem Synonym spätestens seit Anfang der zwanziger für kunstharzgebundene Schichtstoff-

1 platten und -folien [1]. Ab ca. 1950 gab es H. Römmler A.G. betraute ab ca. 1929 in dieser Firma dann zeitweilig noch ein- Christian Dell (1893-1974) mit dieser Auf- mal formgepresste Haushaltsartikel, aller- gabe. Der Silberschmied war von 1922 bis dings nun aus den neuen Melaminharzen 1925 Werkmeister der Metallwerkstatt am [9]. Bauhaus in und dann von 1926 Bereits am Anfang der Weltwirt- bis 1933 Leiter der Metallwerkstatt an der schaftskrise um 1929 war es für die junge Kunstschule am Main (Städel- Kunststoffindustrie in Deutschland nahezu schule) [7,10]. überlebenswichtig geworden, die neuen Christian Dell, entwarf ca. 1929 für die Werkstoffe erfolgreich auf den Markt zu Firma H. Römmler AG die erste Leuchte bringen. Hierzu wurden erstmals Form- aus Phenolharz-Pressstoff [7,11]. Später gestalter mit Entwürfen für Gebrauchs- war Dell einer der erfolgreichsten Ge- artikel und Haushaltsgeräte aus Kunststoff stalter für Schreibtischleuchten. Ebenfalls beauftragt. Die damals zweitgrößte Press- ab 1929 schuf er für die H. Römmler AG, stoff erzeugende und verarbeitende Firma die sich ab 1932 mit anderen Unter-

Abbildung 1. Christian Dell, Teile eines Kaffee- und Essgeschirrs, Entwurf ab 1929; Resopal [12] nehmen zur Kunststoff-Verkaufsorga- Das Dellsche Kaffee-Geschirr nisation Plastica GmbH, Berlin zu- sammenschloss [7], zahlreiche Haus- Zu den Dellschen Arbeiten gehört auch haltsartikel aus Resopal. Unter anderem das in Abb. 1 gezeigte, gelbe Kaffee- waren dies umfangreiche Geschirrserien, geschirr, das aus der Sammlung Prof. [15,16] z. B. der Marke Standard, für Privathaus- Tilmann Buddensieg stammt . Nach- halte, Hotels und Gaststätten [13]. Vieles dem eine Tasse (+Untertasse, +Dessert- davon stand noch ganz unter dem Einfluss teller) an das Bauhausarchiv/ Museum für [16] der Formensprache, die am Bauhaus Gestaltung in Berlin kam , gelangte der typisch für z. B. Silberarbeiten war [1,7,10,11- gesamte Rest 2001 in den Auktionshandel [17] 14]. und über einen Händler 2003 in die Sammlung Lattermann.

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Abbildung 2. Christian Dell, Geschirrteile, Resopal-Katalog [14]

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Abbildung 3. Christian Dell, Geschirrteile, Resopal-Katalog [14]

4 Weitere Objekte aus der gleichen Haus- Originalfotografie Archiv Dell [11,23] haltsserie (Abb. 2, 3) (Dellsches Stapel- Die Gestaltung der Kaffeekanne und des geschirr aus hellrotem Resopal, Marme- Milchkännchens (s. Abb. 1, 4), insbeson- ladedöschen, Eierbecher, Teesieb) sind dere die des Ausgusses und des Deckel- bereits 1968 vom Bauhausarchiv/Museum griffs ist noch sehr von der Formen- für Gestaltung, in Berlin direkt von sprache bestimmt, die den Silberschmied Christian Dell erworben worden [16]. Dell mit anderen Entwürfen bzw. auch Andere Objekte aus dem Nachlass anderen Entwerfern aus dem Bauhaus Christian Dells wurden 1989 [18,19] ver- verbindet (Abb. 6) [7]. steigert. 2001 war ein weiteres Dellsches Stapelgeschirr aus rotem Trans-Kerit [20,21] (s. Abb. 8) im Auktionshandel erhältlich. Ob das hier besprochene Kaffeegeschirr auch aus dem Nachlass Christian Dells stammt, sei dahingestellt. Aber zwei Originalfotografien aus dem damaligen Dell-Archiv zeigen – allerdings verschiedenfarbige – Teile dieses Typs (s. Abb. 4 und 5) [11]. Zudem ergaben die Untersuchungen der Abbildung 6. Christian Dell, Kaffee- und Kaffeekanne [22], über die in der Folge Teegeschirr, 1929-1933; Victoria & Albert berichtet wird, Hinweise für eine Rolle des Museum, London Geschirrs als Prototyp-Exemplar. In Bezug auf die bei Bauhausentwürfen häufig zu findende Kreissegmentform von oben stehenden oder seitlichen Griffen, trifft dies auch z. B. auf die zur gleichen Geschirrserie gehörenden Zuckerdose aus gesprenkeltem Resopal zu (Abb. 7).

Abbildung 4. Christian Dell, Teile des Kaffee- und Essgeschirrs, Entwurf ab 1929; Resopal, Originalfotografie Archiv Dell [11,23].

Abbildung 7. Christian Dell, Zuckerdose, Entwurf ab 1929; Resopal [12,24]

Die Dellschen Stapelgeschirre (Abb. 8), entstanden um 1931/32, zeigen zwar noch ähnliche Ausguss- und Griffgestaltungen, ihre gespannten Konusformen weisen jedoch ausgesprochen vorausschauend bis weit in die 1955-60er Jahre hinein. Hier Abbildung 5. Christian Dell, Teile des tauchen sie in Entwürfen von Loewy, Kaffeegeschirrs, Entwurf ab 1929, Resopal,

5 Wagenfeld, Löffelhardt und Anderen Mit maßgeblicher Unterstützung privater wieder auf [21]. Sammler war es gelungen, außerordent- lich schöne, seltene und kostbare Bei- spiele aus der Geschichte des Kunststoff- designs zu präsentieren. Die Namensliste der Gestalter las sich wie ein „who is who“ der Designgeschichte und reichte von den frühen Pionieren des Kunststoffdesigns bis zu heutigen Vertretern. Die Ausstellung wurde von Günter Lattermann und Beate Manske kuratiert. In diesem Rahmen konnten auch Teile Abbildung 8. Christian Dell, Stapel- des gelben Services aus Resopal (Abb. 1) geschirr, Entwurf ab 1931/32; Trans-Kerit gezeigt werden. [25] Im Zusammenhang mit dem Transport war die Kaffeekanne beschädigt worden. Vom 06. Mai - 02. Oktober 2011 fand Nach längerer Suche geeigneter Kapa- im Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen zitäten erfolgte die Restaurierung wie die Ausstellung „Ein Stoff für alle Fälle - nachfolgend dokumentiert. Kunststoffdesign im 20. Jahrhundert“ statt (s. Abb. 9). Zustandsbeschreibung

Die Objektdaten der Kaffeekanne sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Im Einlieferungszustand zur Restaurie- rung (Abb. 10) wies die Kaffeekanne einen von der Oberkante ausgehenden Bruch und eine Rissverzweigung am unteren Ende auf. Der Bruch von ca. 8,5 cm verlief senkrecht auf der rechten Seite fast parallel zum Henkel und setzte sich in einer Rissverzweigung am unteren Ende von ca. 2 cm nach rechts und 5 cm nach links fort. Durch die bestehende Versetzung der Bruchkante von ca. 2 mm (Abb. 11) ließ sich der Deckel der Kaffeekanne nicht mehr ohne Druck aufsetzen.

Abbildung 9. Plakat zur Ausstellung „Ein Stoff für alle Fälle“; Wilhelm Wagenfeld Haus, Bremen, 2011

6 Tabelle 1. Objektdaten der Kaffeekanne

Höhe mit Deckel 188 mm Höhe ohne Deckel 150 mm Außendurchmesser oberer Rand 110 mm Breite (incl. Henkel und Ausguss) 182 mm Gewicht mit Deckel 274,3 g Pressmarke (Bild 8) Im Dreieck: RR; RESOPAL; Seriennummer (Bild 8) In Kartusche: 1093 * Material Resopal: Herstellermarke für Harnstoff-Formaldehyd- Harz (UF), Aminoplast Hersteller Römmler AG, Spremberg (ca. 1929/30) Design Christian Dell (1893 – 1974) (ab 1929)

Das vorliegende Harnstoff-Formalde- licht zu erkennen (Abb. 12) – Inhomo- hydharz ist relativ spröde und empfindlich genitäten im Polymermaterial ab, die sich gegen mechanische Belastung. Zusätzlich in Schlierenform und teilweise als Fließ- zeichnen sich – besonders gut im Durch-

Abbildung 10. Offener Bruch (A), Rissver- Abbildung 11. Bruch und Versetzung der zweigung (B), alter, verschmutzter Haar- Bruchkante (innen) riss (?) (C)

* Geschützte Markenbezeichnung (Wortmarke), Anmeldung 05.09.1930; Registereintrag 05.05.1931 – Registerauskunft des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA). 7 linien in Form von schmalen Hell-/Dunkel- verliefen die Risse entlang dieser Linien. linien abzeichnen. Dies könnte prinzipiell Auf der gegenüberliegenden Seite des durch zu kalte oder unregelmäßig beheizte Henkels befindet sich im Kanneninneren Pressformen und/oder durch evtl. ein Anriss von ca. 6 cm (Abb. 12), von schlechte Füllstoff- und Pigmentein- dem 4 cm offen sind, aber nicht bis zur mischung verursacht worden sein. Die äußeren Oberfläche durchgehend. Er durch die Inhomogenitäten hervorge- zeichnet sich auf der äußeren Oberfläche rufenen Dichteunterschiede im Material als eine nur im Streiflicht sichtbare Kante begünstigen die Rissbildung, z. B. bei ab, die Teil einer schollenförmigen äußeren Einwirkungen. Typischerweise Flächenbegrenzung (Abb. 13) ist.

Abbildung 12. Anriss (innen Abbildung 13. Schollenförmige mit schwach erkennbaren In- Abgrenzung, außen homogenitäten.

Diese Fläche hebt sich, wenn auch nur staben „R R“ stehen für Römmler Resopal schwach im Streiflicht zu erkennen, von der Herstellerfirma H. Römmler AG, der umgebenden Oberflächenrundung der Spremberg. Die Materialbezeichnung Kanne ab und könnte ebenfalls im Zu- Resopal für das UF-Harz ist unterhalb des sammenhang mit der mechanischen Ein- Dreiecks in der trapezförmigen Be- wirkung entstanden sein. Möglich sind grenzung eingepresst. In den Kartuschen aber auch interne Materialspannungen, darunter befinden sich unterschiedliche die bereits vorher durch die strukturellen Nummern. Es handelt sich, analog der Inhomogenitäten des Materials, unab- Pressmarken der zum Service zuge- hängig von der äußeren Krafteinwirkung, hörigen und im Römmler-Katalog aufge- zu dieser Veränderung der Oberflächen- führten Tassen, Untertassen und form geführt haben können. Dessertteller [26], um die Seriennummern Auf der Unterseite des Bodens und der der Pressformen von Kanne und Deckel. Deckelinnenseite befinden sich Y-förmige Sehr schwer erkennbar ist eine mit Blei- Einritzungen in der Oberfläche. Die Be- stift geschriebene Zahl „5 75“ (Abb. 16). deutung der unregelmäßig, von Hand Da die Kanne möglicherweise aus dem eingeritzten Markierungen sind nicht Nachlass von Christian Dell stammt, ist geklärt (Abb. 14 und 15). Die durch ein die Annahme, dass es sich um den Preis gleichseitiges Dreieck begrenzten Buch- handelt, weniger wahrscheinlich.

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Abbildung 14. Eingeritzte Markierung Abbildung 15. Eingeritzte Mar- am Boden der Kanne kierung auf der Deckel-Unterseite

Die Aussparung des Kannenhenkels glätteten Kanten und Flächen der Nach- (Abb. 17) weist bei genauer Betrachtung bearbeitung sind auffallend, ebenso wie relativ grobe Spuren einer spanab- der nicht exakt ausgeführte Kantenverlauf, hebenden Nachbearbeitung (Feilrillen) auf. der sich an die obere und rechte, untere An den Kanten (Abb. 18 und 19) wurde Innenrundung anschließt. der Grat beseitigt und die Kante ge- brochen. Die durch Feinschliff nicht ge-

5 75

Abbildung 16. Mit Bleistift geschriebene Abbildung 17. Henkel der Zahl: 5 75 Kanne

Die Möglichkeit, dass es sich um einen Christian Dells stammend, hätte dieser vollflächig gepressten Henkel handelt, der selbst die Formgebung korrigieren anschließend ausgearbeitet wurde, wäre können. Diese Vermutung bleibt für eine Serienfertigung unökonomisch allerdings spekulativ, solange kein und nicht anzunehmen. Vergleich mit einer anderen Kanne Die nachträgliche Bearbeitung zur erfolgen kann. Ein zweites Exemplar ist Korrektur der Form, lässt somit vermuten, bislang nicht bekannt. dass es sich bei der Kanne um einen Prototyp handelt. Falls aus dem Besitz

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Abbildung 18. Exakte Rundung (A), Abbildung 19. Deutlich sichtbare, gerader Kanten- und Flächenverlauf im ungleichmäßige und grobe Anschluss (zwischen B), Kantenbear- Kantenbearbeitung (C) beitung (C) Die Kaffeekanne scheint einerseits ein führt. In diesem Bereich mit abruptem sehr früher historischer Beleg für das Unterschied in der Materialdicke entstehen Ringen um die Regeln des Zusammen- zusätzlich große Eigenspannungen durch spiels von Formgebung und Pressvorgang unterschiedliche Beheizung der Press- in der Pionierzeit des Kunststoffdesigns zu form, ungenügende Aushärtung des sein. Zum Zeitpunkt des Entwurfs (1929) Pressstückes und unterschiedliche Ab- scheinen diese Regeln allerdings noch kühlungsdauer nach dem Pressvorgang. nicht endgültig aufgestellt gewesen zu Dass die Bruchstelle unmittelbar am sein. Diese wurden erst ab ca. 1935 Henkelansatz, entlang des Bereichs der formuliert [27] und 1938 im Römmler-Buch größten Spannungen entlang führt, ist zusammengefasst [28]. daher nicht verwunderlich. Was die Materialspezifik und die Verar- Die Pressnaht am Griff des Deckels beitungstechnik betrifft, so scheint man (Abb. 20) deutet auf die Verwendung einer noch etwas länger in der Lernphase zweiteiligen Pressform hin, die sich an der gewesen zu sein, was durch eine Deckelfläche aber nicht fortsetzt. Inwieweit Abhandlung über ungeeignete Press- die Zweiteiligkeit technologisch notwendig massen und fehlerhaftes Pressen noch war, konnte hier nicht geklärt werden. Der aus dem Jahre 1940 belegt wird [29]. Übergang vom Griff zum Deckel ist eben- Im vorliegenden Objekt ist festzustellen, falls scharfkantig ausgeführt. Allerdings dass später vermiedene, scharfe, nicht sind hier der Unterschied in der Material- abgerundete Übergänge wie an der um- dicke und die Beanspruchung durch Kraft- laufenden Bodenkante (Abb. 16), der einwirkung wesentlich geringer. Kanne zwar eine bestimmte Leichtigkeit in Die ursprüngliche Annahme, dass es der Ansicht verleihen, aber die Bruch- sich bei dem Merkmal C in Abb. 10 um gefahr durch Kerbwirkung erhöhen [29]. einen alten, verschmutzten Haarriss Ziemlich scharfkantig ist auch der handele, konnte durch mikroskopische Übergang vom ca. 15 mm dicken Henkel Beobachtung korrigiert werden (Abb. 21). zur 2 mm dicken Gefäßwandung ausge-

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Abbildung 20. Pressnaht am Griff Abbildung 21. Detail von Abb. 4 (C), des Deckels Metallflitter , Spitzen freiliegend (blaue Pfeile) Mikroskopaufnahme (ca. 20fach)

Es handelt sich um kleine Metallflitter, Einwirkung auf das Material festgestellt die schräg in einem schmalen Streifen werden. zum größten Teil unter der Kunststoff- Die unter dem Mikroskop erkennbaren oberfläche liegen. Die Spitzen der grö- Metallflitter (Abb. 21) wurden einer Rönt- ßeren Metallflitter durchstoßen die Ober- genfluoreszenzanalyse unterzogen (Abb. fläche und liegen frei. 22). Die Ergebnisse der Analyse verweisen Materialuntersuchungen bei den Metallflittern eindeutig auf Zinn Die Untersuchungen fanden nur in (Sn; rot – rechte Seite), welches in der Hinblick auf die Reinigung, Klebung, Vergleichsmessung des Polymermaterials Kittung und Retusche der Kaffeekanne (blau) nicht vorhanden ist. Ob die Zinn- statt. Die Polymersubstanz der Kanne flitter aus einer Verunreinigung des wurde nicht analysiert, da dafür keine zer- Pressgranulats oder von einem Zinn- störungsfreie Analysemethode zur Verfü- überzug der Pressform stammen, konnte gung stand. Auf Grundlage der Bezeich- nicht geklärt werden. nung Resopal stand jedoch fest, dass es Für den hohen Zinkanteil können zwei sich bei der Pressmasse um ein Harn- Ursachen zugrunde liegen. Einerseits stoff-Formaldehydharz, wahrscheinlich wurde Zinkstearat [32,33] bei Pressungen um ein Harnstoff-Thioharnstoff-Form- als Gleitmittel verwendet, andererseits [8] aldehydharz handelt. Diese Press- lassen sich Zink, Barium und Schwefel im masse wurde als „Typ K“ mit Zellstoff als Pigment Lithophone (Zinksulfid/ Barium- [30] [31] Füllstoff , später Typ 131 , von der sulfat-Mischung) vermuten. Das weiße, Römmler AG aufgrund der guten wenig deckende Pigment führt, zu- Färbbarkeit, Haltbarkeit, Beständigkeit, sammen mit dem organischen Füllstoff, Geschmacks- und Geruchsneutralität in zur Opazität des Materials. der Hauptsache für „appetitliches Ge- Für andere Pigmente gab die Element- schirr von leichtem Gewicht“ und auch analyse keinen Anhaltspunkt. Für die [14] „für Sport und Wanderung“ verwendet. Färbung der gelben Kaffeekanne wurde Für die Reinigung und Auswahl der wahrscheinlich ein Farbstoff verwendet. Bindemittel wurde ein Löslichkeitstest Restaurierung durchgeführt. Gegenüber Wasser und gebräuchlichen Lösemitteln – getestet Die Reinigung der Kaffeekanne erfolgte wurden Benzin, Ethanol, Aceton, Toluol zuerst mit trockenem und danach mit und eine Ethyl-Methyl-Keton/ Ethylen- feuchtem Mikrofasertuch. Fester haftende glycol (Mischung 1:1) – konnte keine und fettige Schmutzränder wurden mit Wattestäbchen und Siedegrenzbenzin 11 (100-140°, aromatenfrei) beseitigt (Abb. bereich etwas auseinandergezogen 23). werden, um eine Passung der Bruch- Der offene Sprödbruch von ca. 8,5 cm flächen ineinander zu erreichen. Dieser Länge wies eine gegenläufige Versetzung äußerst kritische Vorgang – eine Riss- von ca. 2 mm auf (Abb. 24). Die unregel- bzw. Brucherweiterung musste unter allen mäßig verlaufenden Bruchkanten be- Umständen vermieden werden – erfolgte saßen an der Oberfläche eine schiefer- durch Druckaufbau mittels Stäbchen und artige Schichtstruktur mit einigen kleinen Spannring. Da die gegenläufige Ver- muschelförmigen Ausbrüchen. setzung nicht bruch- sondern material- Da die Bruchkante ohne Materialab- bedingt war, bleibt eine – wenn auch ge- nahme wieder gefügt werden sollte, ringe – innere Spannung nach der Rück- musste die Kreuzung im Versetzungs- formung bestehen.

Zn

S Sn Zn Ba Sn

Abbildung 22. Röntgenfluoreszenz-Analyse (RFA) †; Vergleichsmessung von Polymer- material (blau) und Metallflitter (rot): Nachgewiesene Elemente: Zink (), Schwefel (S), Zinn (Sn), Barium (Ba)

† RFA: µ-XRF Spectrometer ARTAX 400 12

Abbildung 23. Oberflächenreinigung mit Watte- Abbildung 24: Bruchversetzung, nach stäbchen außen (AV, blau) und innen (IV, rot)

Abbildung 26. Spannring und Abbildung 25. Anordnung der Stäbchen Holzkeil (Pfeil) auf der Außenseite zur Rückformung im Inneren

Abbildung 27. Punktuelle Abbildung 28. Versuche zu Kittmischungen Klebung mit Epoxidharz 13 Die Versetzung wurde im Inneren mit Mit einer Mischung von Orasol-Gelb Holzstäbchen ausgeglichen (Bild 25). An und einem geringen Zusatz aus einer den Enden waren diese als Kratzschutz Pigmentmischung von Cadmium, und, um die Stäbchen auf der glatten gelb/hell und Cadmium-Gelb (Gamblin Oberfläche gegen Verrutschen zu Conservation Color) konnte eine An- sichern, mit dünnem Schaumstoff beklebt. gleichung erreicht werden. Der Gegendruck von außen wurde Im nicht völlig opaken Polymermaterial durch einen Metall-Spannring erzeugt, der kommt es an den rauen Kanten des zum Schutz der Oberfläche mit einem Sprödbruchs zur Lichtbrechung, so dass Silikonschlauch überzogen war. Zum sich in den Randbereichen des Bruches Ausgleich wurde zusätzlich ein kleiner eine leichte Verdunkelung abzeichnet Holzkeil über Zwischenlage mit einseitig (Bild 29). Im unteren Bereich ist dies silikonisierter Hostaphanfolie verwendet weniger stark ausgeprägt (Bild 30). (Bild 26). Die Überstände der Kittmasse wurden Um aufgrund der inneren Spannung eine mit Lösemittel (Toluol) entfernt. Die dauerhaft feste Klebeverbindung zu Glättung der Oberfläche erfolgte thermo- erhalten, reichen lösemittelbasierte, plastisch mit Heizspatel unter silikoni- thermoplastische Klebstoffe erfahrungs- sierter Hostaphanfolie. gemäß nicht aus. Deshalb wurde das Die Bruchstelle im Inneren (Bild 31) Epoxidharz ARALDIT XW 396 / XW397 und der gegenüberliegende Anriss (2020 Set) verwendet. Mit dem Epoxid- wurden nur mit leicht eingetöntem harz erfolgten fünf punktuelle Klebungen Paraloid B72 geschlossen. Eine Kittung zur Formstabilisierung (Bild 27). Die rest- war auf Grund der Passgenauigkeit der lichen, noch offenen Klebefugen wurden Bruchkanten und fehlender Ausbrüche mit Paraloid B 72 – 25%ige Lösung in nicht notwendig. Toluol durch Infiltrationsklebung verbun- Die fertig restaurierte Dell-Kaffee- den. kanne ist in Abb. 32 dargestellt. Zur Einfärbung der Kittmasse für die kleineren Ausbrüche wurden verschie- dene Zusammenstellungen von anor- ganischen (verschiedene Cadmiumgelb, Verwendete Materialien: Permanentgelb) und organischen Pig- - Mikrofasertuch, Wattestäbchen menten Cadmiumgelb, hell (Gamblin - Metall-Spannband mit Silikonschlauch Conservation Color) sowie Farbstoffen - Siedegrenzbenzin 100°-140°C aroma- Orasol-Gelb mit und ohne trans-/semi- tenfrei, Ethanol, Aceton und Toluol transparente Füllstoffe (Glaskügelchen, - Epoxidharz ARALDIT XW 396/XW397 Lithopone, Champagner Kreide) gemischt (2020 Set) (Bild 28). Bei Zusatz auch transparenter - Paraloid B 72, 25%ig in Toluol Füllstoffe dunkelte die Kittmasse im - einseitig silikonisierter Hostaphanfolie Tiefenlicht zu stark. Viel zu dicht wurde - Cadmiumgelb, Permanentgelb, Cad- die Masse auch bei alleiniger Verwen- miumgelb, hell (Gamblin Conservation dung von Pigmenten, während nur mit Color), Orasol-Gelb Farbstoff keine ausreichende Farban- - Glaskügelchen, Lithopone, Champag- gleichung und Dichte erzielt wurde. ner Kreide

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Abbildung 29. Kittung und Retu- Abbildung 30. Kittung und Retu- sche der Klebefuge (oben) sche der Klebefuge (unten)

Abbildung 31. Nach der Klebung Abbildung 32. Dell – Kaffeekanne, des Risses auf der Innenseite nach der Restaurierung

15 Zusammenfassung Das gelbe Kaffeegeschirr wurde 1929 Die anderen Teile des Services, – Milch- von Christian Dell (1893-1974) entworfen. kännchen, Tassen, Unterteller, Teller, Als Silberschmied war er von 1922 bis Schüssel – zeigen diese Charakteristika 1925 ‚Werkmeister‘ der Metallwerkstatt am kaum, vermutlich aufgrund ihrer ge- Bauhaus in Weimar und dann von 1926 ringeren Größe und meist einfacheren bis 1933 Leiter der Metallwerkstatt an der Pressform. Kunstschule in Frankfurt am Main (Städel- schule). Das gelbe Kaffeegeschirr Christian Als einer der vier oder fünf Pioniere des Dells ist ein wichtiges und beredtes Zeug- Kunststoffdesigns in Deutschland noch vor nis aus der Pionierzeit des Kunststoff- dem 2. Weltkrieg, entwarf er ab 1929 für designs. die zweitgrößten deutschen Kunststoff- Summary werke, die H. Römmler A.G. in Spremberg/-Niederlausitz, eine Serie zahl- The yellow coffee set was designed reicher Haushaltsgegenstände aus dem 1929 by Christian Dell (1893-1974). Being Harnstoffharz Resopal. a silversmith, he was from 1922 to 1925 Im Zusammenhang mit einer Aus- head of the metal workshop (‚Werk- stellung im Wilhelm Wagenfeld Haus in meister‘) at the Bauhaus in Weimar and Bremen 2011 “Ein Stoff für alle Fälle - then from 1926 to 1933 head of the metal Kunststoffdesign im 20. Jahrhundert”, workshop at the Art School in Frankfurt am musste die Kaffeekanne des gelben Main (Städelschule). As one of the four or Geschirrs restauriert werden. five pioneers of plastics design in Vor Schließung eines entstandenen still before WW II, he created Risses in der Kanne wurde eine sorg- since 1929 for the second largest German fältige Untersuchung vorgenommen. Diese plastics company, the H. Römmler A.G. in macht wahrscheinlich, dass es sich bei Spremberg/-Niederlausitz a whole series dem Geschirr um einen Prototyp ge- of table ware in the urea/thiurea-formalde- handelt haben sollte. Teile der Kannen- hyde resin Resopal. form wurden möglicherweise von Christian In connection with an exhibition at Dell nachgearbeitet, damit die Pressmodel Wilhelm Wagenfeld Haus in Bremen 2011 vor der Serienherstellung noch ent- on Plastics Design in the 20th Century, the sprechend korrigiert werden konnte. Vor coffeepot of the yellow coffee set had to allem die neue Henkelform der sich sonst be restored. It turned out that the pot noch stark an Silberarbeiten der Bauhaus- seemed to be a prototype of that table zeit orientierenden Kanne entsprach ware series, which is in accordance with augenscheinlich noch nicht vollständig den the highly probable provenance from the Erfordernissen des Kunststoffpressens. personal inheritance of Christian Dell. Gleichzeitig zeigen Materialinhomo- This object from the beginning of urea genitäten, dass zu dieser frühen Zeit die resin technology still shows material in- Technik der Kunststoffverarbeitung – hier homogeneities, due to the not yet opti- eine gleichmäßige Heizung des Press- mized urea moulding mass and unequal werkzeugs – und möglicherweise sowohl heating of the compression moulding tool. die neuen Harnstoffharz-Pressmassen, als The yellow coffee set of Christian Dell auch die verwendeten Gleitmittel noch is an important and informative testimony nicht optimiert waren. of the pioneering era of plastics design.

16 Literatur [15] Auskunft 2013: Familie Buddensieg [1] Günter Lattermann, Resopal – weit [16] Auskunft 04.03. 2013: Dr. Klaus Weber, mehr als Laminat, in Romana Bauhaus Archiv/Museum für Gestaltung, Schneider, Ingeborg Flagge (Hrsg.), Berlin „Original Resopal. Die Ästhetik der Oberfläche”, Katalog zur Ausstellung im [17] Quittenbaum Auktionen GmbH, Katalog Deutschen Architekturmuseum Frankfurt 26. Auktion: modernes design, kunst- am Main, jovis Verlag GmbH, Berlin handwerk nach 1945, 4. Dezember 2006, S. 10-19, 193-194 2001, S. 12-13, Los Nr. 12 [2] Kurt Brandenburger, Herstellung und [18] Auskunft 22.02.2013: Barbara-Maria von Verarbeitung von Kunstharzpress- Treyden-Dell, Schwiegertochter Chris- massen – Ein Handbuch für die Praxis tian Dells in 4 Bänden, Band 4, J. F. Lehmanns [19] Auktionshaus Christie‘s Amsterdam, Verlag, München/Berlin 1937, S. 11 Katalog 26. Oktober 1989, S. 22-39 [3] Kurt Brandenburger, Herstellung und [20] Auktionshaus W.G. Herr, Katalog 45. Verarbeitung..., a.a.O., S. 15-16 Auktion: u.a. Bauhaus, 17. März 2001, [4] Kurt Brandenburger, Herstellung und Los Nr. 111 Verarbeitung von Kunstharzpress- [21] Günter Lattermann, Das Stapelservice massen, 2. Auflage, J. F. Lehmanns von Christian Dell, in G. Breuer (Hrsg.), Verlag, München/Berlin 1938, S. 42 „Designgeschichte ausstellen – Die [5] Cyril S. Dingley, The Story of BIP 1894- Designsammlung der Universität 1962, British Industrial Plastics, Wuppertal“, Bergische Universität, Birmingham 1963, S. 27, 29 Wuppertal 2005, S. 102-109 [6] Barbara Tilson, The Development of the [22] Dietmar Linke, Dipl. Rest. (FH), British Plastics Industry 1855 to 1990, Lehrbeauftragter für Konservierung und Centre for Urban and Regional Studies, Restaurierung an der Hochschule für Birmingham, 1999, S. 50 Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin), Restaurierung und [7] Günter Lattermann, Bauhaus ohne Konservierung von Elastomeren und Kunststoffe – Kunststoffe ohne Kunststoffen; Restaurierungsatelier: Bauhaus?, Form + Zweck 20, (2003), S. Kernerstraße 17a, 13125 Berlin-Karow 110-127 [23] Reproduktion Museum Hanau: Philippa [8] Deutsches Patent DE 613670, ange- Fahler, Frankfurt am Main meldet 17.10.1928, patentiert ab 21.10.1928, Patentausgabe 02.05.1935 [24] Foto Wilhelm Wagenfeld Haus, Bremen; Jens Weyers [9] Hans Domininghaus, Peter Eyrer Peters Elsner (Hrsg.); Die Kunststoffe und ihre [25] Designsammlung der Universität Eigenschaften, Springer Verlag, Berlin Wuppertal etc. 2005, S.1326, 1332 [26] Resopal – Kerit, Verkaufskatalog der [10] Klaus Weber, Die Metallwerkstatt am Plastica GmbH, Berlin 1935 S. 13 Bauhaus, Katalog zur Ausstellung in [27] A. Hermanni, Elektrotechnische Erzeug- Berlin, Bauhaus-Archiv, Berlin 1992 nisse aus Kunstharz-Preßstoffen und [11] Beate Alice Hofmann, christian dell, ihre Konstruktion, in Verwendung und silberschmied und leuchtengestalter im Zusammensetzung, Konstruktion und 20. jahrhundert, Katalog zur Ausstellung Fabrikation sowie Prüfung von Preß- in Hanau, Hanau 1996, ISBN 3-926011- stofffabrikaten, Vorträge gehalten auf 32-7 der Leipziger Frühjahrsmesse 1935, Fachgruppe „Isolierstoffe der Wirt- [12] Sammlung Lattermann schaftsgruppe Elektroindustrie (Hrsg.), [13] Prospekt der H. Römmler AG, um 1930 Berlin 1935, S. 38-58 DTM Berlin Archiv Nr. 58/95; in Romana [28] Römmler-Buch, H. Römmler AG, Preß- Schneider, Ingeborg Flagge (Hrsg.), stoffwerke Spremberg N.-L., Spremberg “Original Resopal”, a.a.O., S. 28-29 1938, S. 28-42 [14] Resopal – Kerit, Verkaufskatalog der Plastica GmbH, Berlin 1935

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[29] R. Nische, W. Esch, Untersuchung an Eß- und Trinkgeschirren aus Kunstharz- Preßstoffen, Kunststoff-Technik und Kunststoffanwendung 10 (1940), S. 57- 62 [30] Römmler-Buch, a.a.O. S. 16, 68, 165ff [31] Kurt Brandenburger, Kunststoffratgeber, Essen 1950 (2.Aufl.), S.131 (nach DIN 7708) [32] Richard, Vieweg, Ernst Becker, in Kunststoff-Handbuch, Band X, „Duro- plaste“, Carl Hanser Verlag, München 1968, S. 346 [33] Johannes Scheiber, Chemie und Tech- nologie der künstlichen Harze, Edwards Brothers Inc., Ann Arbor 1945, S. 379

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