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Donnerstag, 23. April 2020 HEIMATBEILAGE Ȋ 19 Ruhestätte für über 2 000 KZ-Häftlinge Die Gebeine von 2397 KZ-Häftlingen ruhen heute noch auf dem ehemaligen Sandbosteler Lagerfriedhof – Zahlreiche Umbettungen in den 1950er Jahren

Von Ronald Sperling Auf dem ehemaligen Lagerfriedhof in Sandbostel befindet sich das so genannte Gräberfeld II. Es ist heute eine grüne Wiese, auf der verein- zelt Kreuzgruppen mit drei steinernen Kreuzen stehen, wie sie vom Volksbund für Kriegsgräberfürsorge auf vielen Soldatenfriedhöfen ge- nutzt werden. Umrankt wird die Wiese von Buschwerk und Bäumen. An diesem stillen Ort ist an der Kopfseite der Wiese eine Erinnerungs- tafel angebracht. Nur sie weist darauf hin, dass hier verstorbene Häft- linge aus dem Konzentrationslager Neuengamme bestattet sind.

Die einzelnen Grablagen sind ge die letzte Strecke zum Lager nicht mehr zu erkennen, die ehe- marschieren. Diejenigen, die das mals vorhandenen, unbeschrifte- nicht mehr konnten, fuhr man ten Kissensteine wurden in den mit dem Lkw oder von Brillit aus 1980er Jahren entfernt, um das mit einer Lorenbahn nach Sand- Feld besser pflegen zu können. bostel. Die KZ-Häftlinge wurden Insgesamt sind hier noch die Ge- auf den Transporten und Todes- beine von 2 397 KZ-Häftlingen märschen nur minimal versorgt, bestattet. Besucherinnen und Be- sodass viele schon entkräftet wa- suchern stellt sich möglicherwei- ren, bevor sie im Kriegsgefange- se die Frage, wieso hier KZ-Häft- nenlager eintrafen. Von den etwa linge ruhen. 9 500 KZ-Häftlingen starben auf Das Gräberfeld II für KZ-Häft- den Transporten, im Lager und in linge entstand erst nach dem den Krankenhäusern nach der Krieg. Hierher wurden zwischen Befreiung etwa 3 000. 1954 und 1956 von mehreren Viele von ihren wurden nach Auf diesem Gräberfeld auf dem Friedhof an der nach Bevern führenden Straße sind über 2000 Häftlinge bestattet. Foto: Klöfkorn Friedhöfen rund um das ehemali- der Ankunft auf den Bahnhöfen ge Lagergelände Gebeine von tot aus den Viehwagen geholt. Massengrab auf dem Lagerfried- Entkräftung und Typhus. Sie wur- plant, die Umbettungen bis zum Die Umbettungen in Sandbos- KZ-Häftlingen umgebettet. Für diese Toten legte man bei hof bestattet. Nachdem aber eine den in Einzelgräbern auf einem Ende des Jahres 1953 abzuschlie- tel begannen im Sommer 1954. In Das Kriegsgefangenenlager Brillit und auch in Bremervörde Brücke über die Oste von Wehr- weiteren Gräberfeld bestattet. ßen. Es gab aber mit dem franzö- mehreren Abschnitten dauerten Sandbostel war der zentrale Ort, Massengräber an. Nordwestlich machtseinheiten gesprengt wor- Weitere Gebeine ruhen auf Fried- sischen „Ministère des Anciens die Exhumierungen und Umbet- an dem am Ende des Krieges die von Bremervörde befand sich das den war, konnten die Toten nicht höfen in den Orten, in denen be- Combattants, Deportés et Victi- tungen bis ins Jahr 1956. Die sogenannten Todesmärsche der Massengrab an der Höhne, ein mehr zum Friedhof gebracht wer- freite Häftlinge in Krankenhäu- mes de Guerre“ noch eine weitere Gräber wurden geöffnet, und ein KZ-Häftlinge aus dem Elbe-We- weiteres Massengrab lag östlich den. Daher wurde ein weiteres sern versorgt wurden, beispiels- Organisation, die Interesse an Team von Medizinern und Foren- ser-Dreieck endeten. Ab dem 12. von Brillit an der Straße nach Oe- Massengrab gegenüber des Lager- weise in . dieser Umbettung hatte. sikern untersuchte die Gebeine. April 1945 erreichten mehrere se. Diese Gräber wurden mit Hil- geländes angelegt. Zwei weitere Das fanzösische Ministerium Die meisten Toten konnten aber Umbettungen Transporte mit KZ-Häftlingen aus fe von Bauern aus der Umgebung Gräberfelder entstanden kurz bot an, die Umbettung durch die nicht mehr identifiziert werden. dem KZ-Neuengamme sowie sei- sowie in Bremervörde auch mit nach der Befreiung auf dem La- Im Jahr 1953 entschied das nie- „Mission de Recherche“ durch- Insgesamt wurden 2 782 Gebeine nen Arbeitskommandos das Sta- der Hilfe von Kriegsgefangenen gergelände selbst. Die britische dersächsische Innenministerium, führen zu lassen. Ihr Auftrag war exhumiert und untersucht. Von lag X B in Sandbostel. Es sind angelegt. Armee richtete wenig später, nach die bisherigen Grabstätten der es, die Gebeine der in Deutsch- diesen konnten 385 identifiziert über zehn Transporte belegt, die Auch im Stalag selbst starben der Lagerbefreiung, im Wach- KZ-Häftlinge aufzulösen und auf land verstorbenen französischen in ihre Heimatländer überführt entweder zu Fuß über die Straßen zahlreiche Häftlinge an Entkräf- mannschaftenlager (dem heutigen das Gräberfeld II des ehemaligen KZ-Häftlinge nach Frankreich zu werden. getrieben wurden oder mit Bahn- tung, Mangelversorgung und Ty- Heinrichsdorf) ein Notlazarett Lager-Friedhofs in Sandbostel überführen. Hierzu wurden von Die Gebeine von 2 397 KZ- transporten die Bahnhöfe Bre- phus sowie durch Gewalt der ein. Auch dort starben trotz der umzubetten. Begründet wurde 1946 bis 1957 in Deutschland Häftlingen ruhen heute noch auf mervörde und Brillit erreichten. Wachmannschaften. Dort wurden Bemühungen der Briten noch vie- dies mit der einfacheren Pflege insgesamt etwa 50 000 Exhumie- dem ehemaligen Sandbosteler La- Von dort aus mussten die Häftlin- einige Tote zunächst in einem le ehemalige KZ-Häftlinge an der Gräber. Ursprünglich warge- rungen vorgenommen. gerfriedhof.

Opfer werden identifiziert Auf der Suche Sandbostel wird Endpunkt der „Todesmärsche“ nach den Mehrere Transporte aus dem KZ Neuengamme durch das Elbe-Weser-Gebiet – Tausende Häftlinge zu Fuß unterwegs Namen Von Dr. Lars Hellwinkel Transporte von KZ-Häftlingen nen Tieffliegerangriff, bei dem Nachdem das Stalag X B Sand- aus den einzelnen Kreisen archi- zwölf KZ-Häftlinge ihr Leben Von Claas Both bostel im April 1945 vom Höhe- viert sind. verloren. Die Überlebenden wur- Am Rande des Friedhofes in ren SS- und Polizeiführer Nord- Diese Meldungen ermöglichten den bis gebracht und am Kirchwistedt steht ein graues see zum Auffanglager für das KZ nicht nur eine Rekonstruktion 21. April 1945 vor Stadersand auf Steinkreuz. Die eingravierten Neuengamme und dessen Außen- des Todesmarsches aus Farge ein Schiff verladen, das sie bis Lettern stechen grün heraus. lager bestimmt worden war, wur- vom 10. April 1945, sie lieferten Flensburg brachte. Auch ließ sich Geschrieben steht auf dem de auch das Gebiet zwischen We- auch weitere Hinweise auf eine dank der Unterlagen aus Arolsen Stein in lateinischen Buchsta- ser und Elbe zum Schauplatz von zweite Marschgruppe aus dem der Marschweg von Gestapohäft- ben „kyprobon njinun“. Weder Todesmärschen. Ab 12. April Außenlager Wilhelmshaven, die lingen des Erweiterten Polizeige- Geburts- noch Todesdatum 1945 trafen mehrere Transporte am 11. April 1945 ebenfalls über fängnisses Oldenburg rekonstru- sind vorhanden. Wer genau un- aus und auf Hagen und Beverstedt bis Bre- ieren. Dieser führte über Farge, ter diesem Stein begraben liegt, den Bahnhöfen von Brillit und mervörde marschierte, dann je- Hagen, Ohlenstedt, , war lange nicht bekannt. Bremervörde ein. Die KZ-Häftlin- doch nicht in die Bahn verladen Rhadereistedt, und Boit- Ein Grabplan des Friedhofes ge mussten von dort aus zu Fuß wurde, sondern zu Fuß weiter zen in das Gestapogefängnis von Kirchwistedt von 1949 in das Kriegsgefangenenlager über Kutenholz, Fredenbeck und Hamburg-Fuhlsbüttel, wobei die weist diesen Platz als „russi- marschieren, in dem im hinteren Horneburg nach Hamburg gelei- Gestapo in Rhadereistedt ein rus- sches Soldatengrab“ aus. Mehr Lagerteil ein Bereich für sie frei- tet wurde. In Kutenholz starb ein sischer Häftling erschoss. als 75 Jahre nach seinem Tod gemacht worden war. französischer KZ-Häftling. Heute erinnern an die Todes- kann der sowjetische Kriegsge- Am 10. April 1945 traten aus Ausschnitt aus dem Friedhofsplan des ITS für den Friedhof in Volkmarst. Als die aus etwa 650 Häftlin- märsche vom April 1945 ein pri- fangene Filipp Krugowoj als den Außenlagern in Wilhelmsha- gen bestehende Gruppe am 17. vater Gedenkstein bei der unbekannte russische Sol- ven, Meppen und Bremen mehre- ter bis zu einem Bauernhof in tag des Marsches die Aufgabe ge- April 1945 in Hamburg eintraf, sowie die Gräber unbekannter dat in Kirchwistedt identifiziert re Häftlingsgruppen ein, die im Horst hinter Kirchwistedt, wo die stellt, diese bekannten Gräber ge- befand sich das KZ Neuengamme KZ-Häftlinge auf den Friedhöfen werden. Die Inschrift seines Außenlager Farge an der Baustel- Nacht in einer Scheune verbracht nauer zu erforschen. Den Hinter- bereits in der Auflösung. Die von Bramstedt, Stubben und Grabsteins war der Versuch, le des U-Bootbunkers „Valentin“ wurde. Am 12. April 1945 mar- grund bildet die Öffnung der Ar- Häftlinge wurden in einem Zug Volkmarst. In Volkmarst konnte seinen Namen in kyrillischen gesammelt worden waren. Sie schierte die Kolonne weiter über chive des ehemaligen Internatio- zurück nach Bremervörde ge- dank überlieferter Häftlingsnum- Buchstaben zu transliterieren. hatten einen Fußmarsch über Volkmarst und Basdahl bis Bar- nalen Suchdienstes in Bad Arol- bracht. Viele von ihnen wurden mern sogar ein polnischer KZ- Das Schicksal von Filipp Meyenburg, Uthlede, Hagen im chel, wo erneut in einer Scheune sen, der heutigen „Arolsen Archi- am 20. April 1945 erneut auf ei- Häftling identifiziert werden. Je- Krugowoj ist kein Einzelfall. übernachtet wurde. ves“, in denen neben Grabmel- nen Todesmarsch gezwungen, als doch trägt keines dieser Gräber Das Kriegsgefangenenlager Sta- Am 13. April 1945 wurden die dungen alliierter Toter aus den sich die SS aus dem Stalag X B in einen Hinweis darauf, dass es lag X B Sandbostel verwaltete KZ-Häftlinge in Bremervörde in deutschen Gemeinden mit ent- Richtung Schleswig-Holstein ab- sich bei den Toten um KZ-Häft- zwischen 1939 und 1945 bis zu einen Zug verladen und über Sta- sprechenden Friedhofsplänen aus setzte. linge handelt. Dabei wäre es 75 670 Arbeitskommandos gleich- de, Horneburg, Buxtehude und der Nachkriegszeit auch Meldun- Dieser Transport per Bahn ge- Jahre nach diesen Ereignissen zeitig. Insgesamt sind 1 100 Ar- Harburg nach Winsen gebracht gen über Todesmärsche und riet am Mulsumer Bahnhof in ei- Zeit für eine würdige Erinnerung. beitskommandos im Raum zwi- und per Fähre bei Drage nach schen Weser und Elbe und bis Neuengamme übergesetzt. Nur nach Lüneburg nachweisbar, wenige Tage später wurden die die Sandbostel zugeordnet wa- Überlebenden des Marsches von ren. Auf dutzenden Friedhöfen der SS nach Lübeck gebracht und in den Gebieten der Landkreise Grab eines KZ-Häftlings in Brams- auf den ehemaligen Passagier- Cuxhaven, Stade, Osterholz- ted. dampfer „Cap Arcona“ sowie Scharmbeck, Rotenburg-Wüm- zwei weitere Frachter verladen, me, Harburg, Lüneburg, Ver- Bremischen, Bramstedt, Stubben, bei deren irrtümlicher Versen- den und dem Heidekreis sowie Beverstedt, Stemmermühlen, kung durch britische Flugzeuge in den Städten Bremerhaven, Kirchwistedt, Volkmarst und Bar- am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bremen und Hamburg befin- chel bis Bremervörde hinter sich. Bucht etwa 7 000 KZ-Häftlinge den sich Gräber von Kriegsge- Dieser Transport umfasste den ums Leben kamen. fangenen, Zwangsarbeitern Erinnerungen der Überlebenden An den Todesmarsch aus Farge und Zwangsarbeiterinnen so- zufolge etwa 2 500 bis 3 000 Häft- erinnerte bereits 1985 die Inter- wie KZ-Häftlingen, die nicht linge. Eine erste Übernachtung nationale Friedensschule im Gus- identifiziert werden konnten fand in einer Ziegelei vor Hagen tav-Heinemann-Bürgerhaus in oder falsch zugeordnet sind. statt. Über Bramstedt und Bokel Bremen-Vegesack mit einem Ge- Mithilfe der Daten des Inter- marschierte die Kolonne bis denkmarsch vom Bunker Valen- nationalen Suchdienstes, der Stubben, wo am Bahnhof mehre- tin in das ehemalige Stalag X B Unterstützung des Volksbun- re Verletzte und Kranke in einen Sandbostel. Schon damals wurde des Deutsche Kriegsgräberfür- Zug nach Neuengamme verladen auch auf die noch vorhandenen sorge und den Datenbanken wurden. Über Beverstedt, Gräber von Opfern des Todes- verschiedener Online-Such- Stemmermühlen und Kirchwi- marsches entlang der ehemaligen dienste können immer wieder stedt marschierten die KZ-Häft- Marschroute hingewiesen. Opfer des Nationalsozialismus linge auf der damaligen Reichs- Die Gedenkstätte Lager Sand- Nach der Übergabe des Lagers werden KZ-Häftlinge auf Loren zu Unterkünften gebracht, wo sie weiter versorgt identifiziert werden. straße 71, der heutigen B 71, wei- bostel hatte sich zum 75. Jahres- werden. Foto: Gedenkstätte Lager Sandbostel