Plenarprotokoll 13/114

Deutscher

Stenographischer Bericht

114. Sitzung

Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Inhalt:

Abwicklung der Tagesordnung 10203 A Sabine Kaspereit SPD 10219C Dr. Winfried Pinger CDU/CSU (Erklärung Begrüßung einer Delegation von Gouver- nach § 31 GO) 10220 D neurinnen aus Usbekistan 10239 C Ernst Hinsken CDU/CSU (Erklärung nach Tagesordnungspunkt 15: § 31 G0) 10221C Zweite und dritte Beratung des von der Namentliche Abstimmung 10222 B Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß Ergebnis 10222 C und zur Neuregelung der Arbeits- zeit in Bäckereien und Konditoreien Tagesordnungspunkt 16: (Drucksachen 13/4245, 13/4975) . . 10203 B Erste Beratung des von den Abgeord- Zweite und dritte Beratung des vom neten , Rudolf Dreß- Bundesrat eingebrachten Entwurfs ei- ler, weiteren Abgeordneten und der nes Gesetzes zur Änderung des Laden- Fraktion der SPD eingebrachten Ent- schlußgesetzes (Drucksachen 13/201, wurfs eines Gesetzes zur Beseitigung 13/4975) 10203 B des Mißbrauchs der Geringfügig- keitsgrenze in der Sozialversicherung CDU/CSU 10203 C (Drucksache 13/3301) 10225 B Hans-Eberhard Urbaniak SPD 10205 C CDU/CSU . . . 10206 B in Verbindung mit CDU/CSU . . 10206D, 10207 B Zusatztagesordnungspunkt 7: Margareta Wolf (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10208 B Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Dauerhafte Beschäfti- Dr. F.D.P. . . . 10209D, 10212B gungen sozialversichern (Drucksache Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 13/4969) 10225B NEN 10211B Leyla Onur SPD 10225 C Ingrid Holzhüter SPD 10211 D Julius Louven CDU/CSU 10227 A Manfred Mülller (Berlin) PDS . . 10212 D Annelie Buntenbach BÜNDNIS 90/DIE Dr. CDU/CSU 10214 A GRÜNEN 10227 D Renate Rennebach SPD 10216A Dr. F.D.P 10229B Dr. Norbert Blüm, Bundesminister BMA 10217 B Petra Bläss PDS 10230 C Gabriele Iwersen SPD 10218 D Peter Dreßen SPD 10231 D Günter Graf (Friesoythe) SPD 10219 B Rudolf Kraus, Parl.Staatssekretär BMA 10234A II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Tagesordnungspunkt 17: CDU/CSU . . 10236B, 10240B a) Erste Beratung des von den Abgeord- Hanna Wolf (München) SPD 10237 C neten Erwin Marschewski, Wolfgang SPD 10238B Zeitlmann und der Fraktion der CDU/ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger CSU sowie der Abgeordneten Dr. Max F.D.P. 10239A Stadler, Cornelia Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der F.D.P. eingebrach- Gerald Häfner BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- NEN 10239D rung straf-, ausländer- und asylverfah- Dr. Willfried Penner SPD 10240C, 10259 C rensrechtlicher Vorschriften (Druck- Kerstin Müller (Köln) BÜNDNIS 90/DIE sache 13/4948) 10235 B GRÜNEN 10244 A b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. 10245D, 10260A gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS zur Änderung des Asylverfahrens- 90/DIE GRÜNEN 10246D gesetzes (Drucksache 13/3331) . . . 10235 C PDS 10247 D c) Erste Beratung des von der Abgeord- neten Ulla Jelpke und der Gruppe der Wolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . 10249C PDS eingebrachten Entwurfs eines Ge- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . 10251A setzes zur Änderung des Ausländerge- Dr. F D P. 10254 D setzes (Drucksache 13/3626) . . . 10235 C Cern Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ d) Erste Beratung des von der Bundes- NEN 10256 C regierung eingebrachten Entwurfs CDU/CSU . . . . 10258A, 10259D eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes/EWG (Druck- Otto Schily SPD 10259A, 10260D, sachen 13/3941, 13/4340) 10235 C 10261A, 10261D e) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke , Bundesminister BMI . 10260 B und der Gruppe der PDS: Abschiebe- stopp für algerische Flüchtlinge Tagesordnungspunkt 18: (Drucksache 13/1891) . . . . . . 10235 C Antrag der Abgeordneten Petra Bläss der PDS: Gegen f) Antrag der Abgeordneten Kerstin und der Gruppe Müller (Köln), Christa Nickels und der Armut und Abhängigkeit - für eine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: eigenständige Alterssicherung von (Drucksache 13/4684) . . . 10263B Verhinderung von Abschiebungen in Frauen den Sudan (Drucksache 13/2361) . . 10235 D Petra Bläss PDS 10263 C g) Antrag der Abgeordneten Kerstin CDU/CSU 10264 C Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer Ulrike Mascher SPD 10266A und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Uwe Lühr F.D.P 10267 B GRÜNEN: Schutz für Kriegs- und - Bürgerkriegsflüchtlinge (Drucksache (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE 13/3430) 10235 D GRÜNEN 10268A h) Antrag der Abgeordneten Kerstin Tagesordnungspunkt 19: Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer Dr.-Ing. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE a) Antrag der Abgeordneten Kansy, Peter Götz, weiterer GRÜNEN: Altfallregelung für seit Dietmar der langem hier lebende Asylsuchende Abgeordneter und der Fraktion Abgeordneten (Drucksache 13/3877) 10235 D CDU/CSU sowie der Hildebrecht Braun (Augsburg), Dr. i) Antrag der Abgeordneten Kerstin Klaus Röhl und der Fraktion der F.D.P.: Müller (Köln), Amke Dietert-Scheuer, Umsetzung der Habitat II-Empfehlun weiterer Abgeordneter und der Frak- gen (Drucksache 13/4951) 10269A tion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: b) Antrag der Abgeordneten Franziska Menschenrechtlich orientierte Asyl- Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika Köster und Flüchtlingspolitik (Drucksache Loßack, weiterer Abgeordneter und 10236 A 13/4379) der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Einlösung der Versprechen von in Verbindung mit Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul (Drucksache 13/4919) . . 10269B Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des vom Bundesrat ein- Zusatztagesordnungspunkt 8: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes Antrag der Abgeordneten Volkmar zur Änderung des Ausländergesetzes Schultz (Köln), Ingrid Becker-Inglau, (Drucksache 13/4981) ...... 10236 A weiterer Abgeordneter und der Frak- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 III

tion der SPD: Siedlungspolitik mit der Anlage 3 Agenda von Habitat II in Einklang Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- bringen (Drucksache 13/4966) . . . . 10269C ten Alois Graf von Waldburg-Zeil und Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU) zur Abstim- Zusatztagesordnungspunkt 11: mung über den Entwurf eines Gesetzes Antrag der Abgeordneten Achim Groß- über den Ladenschluß und zur Neurege- mann, , weiterer Ab- lung der Arbeitszeiten in Bäckereien und geordneter und der Fraktion der SPD: Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) . 10276* C Städtebauförderung als wichtiges In- vestitionsinstrument erhalten und aus- bauen (Drucksache 13/4761) . . . . 10269 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Tagesordnungspunkt 20: ordnungspunkt 19a und b (a - Antrag: Antrag der Abgeordneten Gila Alt- Umsetzung der Habitat II-Empfehlungen; mann (Aurich) und der Fraktion b - Antrag: Einlösung der Versprechen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verschär- von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II fung der Maßnahmen gegen die fort- in Istanbul); und Zusatztagesordnungs- schreitende Gefährdung der mensch- punkte 8 und 11 (Antrag: Siedlungspolitik lichen Gesundheit und der Umwelt mit der Agenda von Habitat II in Einklang durch bodennahes Ozon (Drucksache bringen; Antrag: Städtebauförderung als 13/4727) 10269 D wichtiges Investitionsinstrument erhalten und ausbauen) 10277* A Zusatztagesordnungspunkt 9: Peter Götz CDU/CSU 10277* A Antrag der Fraktion der SPD: Ä n- Gert Willner CDU/CSU ...... 10278* C derung des „Sommersmog-Gesetzes" Volkmar Schultz (Köln) SPD . . . . . 10279* B (Gesetz zur Änderung des Bundes Immissionsschutzgesetzes vom 19. Juli Ingrid Becker-Inglau SPD 10280* C 1995) (Drucksache 13/4974) 10270A Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10281* D Nächste Sitzung 10270C Dr. F.D.P 10282* D Klaus-Jürgen Warnick PDS ...... 10283* B Anlage 1 Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 10284* A Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10271 A Anlage 5 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Tages- Erklärungen nach § 31 GO zur Abstim- ordnungspunkt 20 (Antrag: Verschärfung mung über den Entwurf eines Gesetzes der Maßnahmen gegen die fortschreitende über den Ladenschluß und zur Neurege- Gefährdung der menschlichen Gesundheit lung der Arbeitszeiten in Bäckereien und- und der Umwelt durch bodennahes Ozon); Konditoreien (Tagesordnungspunkt 15) 10271* B und zu Tagesordnungspunkt 9 (Antrag: CDU/CSU 10271* B Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" - Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis- Dr. CDU/CSU 10271* C sionsschutzgesetzes vom 19. Juli 1995) 10286* A CDU/CSU 10271* D Gila Altmann (Aurich) BÜNDNIS 90/DIE Klaus Bühler (Bruchsal) CDU/CSU . . 10272* C GRÜNEN 10286* A Hartmut Büttner (Schönebeck) CDU/CSU 10273* A Christa Reichard (Dresden) CDU/CSU . 10287* A Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10273* B Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . 10288* D Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU . . . . 10273* C Birgit Homburger FD P. 10290* D Claus-Peter Grotz CDU/CSU 10273* C Eva Bulling-Schröter PDS 10291* D Siegfried Hornung CDU/CSU 10273* D Dr. Uwe Jens SPD 10273* D Anlage 6 Dr. Egon Jüttner CDU/CSU 10274* B Immatrikulationen an den Technischen Sigrun Löwisch CDU/CSU 10274* D Universitäten Dr. Norbert Rieder CDU/CSU 10275* A MdlAnfr 46 - Drs 13/4908 - Franz Romer CDU/CSU 10275* B Dr. Egon Jüttner CDU/CSU Reinhard Freiherr von Schorlemer CDU/ SchrAntw PStSekr'in BMBF 10292' B CSU 10275* B Gert Willner CDU/CSU 10275* D Anlage 7 Michael Wonneberger CDU/CSU . . . 10276* B Amtliche Mitteilungen 10293* B

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114. Sitzung

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Guten Morgen, Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröff- Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe kei- net. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Gesetz- Ich eröffne die Aussprache. Der erste Redner ist Jo- entwurf des Bundesrates zur Änderung des Auslän- chen Feilcke. dergesetzes auf Drucksache 13/4981 in erster Bera- tung mit Tagesordnungspunkt 17 aufzusetzen. Von der Frist für den Beginn der Beratung soll abgewi- Jochen Feilcke (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol- chen werden. leginnen, liebe Kollegen! Als das derzeit geltende Darüber hinaus soll ein Antrag der Fraktion der Ladenschlußgesetz vor 40 Jahren in einer völlig an- SPD „Städtebauförderung als wichtiges Investitions- deren historischen Situation verabschiedet wurde, instrument erhalten und ausbauen" auf Drucksache wollte man den Arbeitnehmerschutz regeln. Der Ar- 13/4761 in verbundener Beratung mit den Vorlagen beitnehmerschutz ist heute durch ein Netzwerk von zu Habitat II behandelt werden. Regelungen gesichert: Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall; (Lachen bei Abgeordneten der SPD) wir verfahren so. Ich nenne das Betriebsverfassungsgesetz und die Ta- rifverträge. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: (Widerspruch bei der SPD) - Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Es ist auch kein Zufall, daß das Ladenschlußgesetz in desregierung eingebrachten Entwurfs eines den vergangenen Jahrzehnten mehr von den Einzel- Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über handelsverbänden als von den Arbeitnehmern ver- den Ladenschluß und zur Neuregelung der teidigt worden ist. Es schützt sie ja tatsächlich vor Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien Konkurrenz, und ich füge hinzu: Es machte die An- - Drucksache 13/4245 - passung an den Markt und an veränderte gesell- schaftliche Situationen überflüssig. (Erste Beratung 104. Sitzung) Inzwischen haben sich die Zeitumstände drama- - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat tisch verändert. Gesellschaften richten sich nun ein- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur mal nicht nach verabschiedeten Gesetzen. Gesetze Änderung des Ladenschlußesetzes müssen gesellschaftliche Entwicklungen berück- - Drucksache 13/201 - sichtigen und gegebenenfalls gesellschaftliche Erf or- dernisse regeln. (Erste Beratung 104. Sitzung) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- und der F.D.P.) schusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuß) Die Mobilität der Menschen ist gestiegen, der Bedarf an Freiräumen entsprechend. In einer Zeit offener - Drucksache 13/4975 - Grenzen dürfen unsere Geschäfte nicht länger als Berichterstattung: notwendig geschlossen gehalten werden. Gäbe es Abgeordnete Dr. Gisela Babel das Ladenschlußgesetz nicht, kein vernünftiger Mensch käme heute auf die Idee, es zu fordern. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache die Schlußabstimmung über den Regie- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU rungsentwurf namentlich durchführen werden. sowie bei der F.D.P.) 10204 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Jochen Feilcke Freiräume für selbständige Unternehmer und Kun- werden kann: Es kommt meiner Auffassung nach den, Freiräume für Anbieter von und Nachfrager darauf an, wo sie ausgegeben wird. nach Dienstleistungen müssen doch nicht begründet werden. In keine andere Wirtschafts- und Beschäfti- (Lachen bei der SPD - Zuruf von der SPD: gungsstruktur wird ähnlich eingegriffen. Weder im Sehr wahr!) Gesundheitswesen noch bei der Polizei, bei der Feu- - Ja, sehr wahr! erwehr, beim Öffentlichen Personennahverkehr oder gar bei Freiberuflern, in der Gastronomie und im Das Gutachten des Ifo-Instituts geht von einer Um- Freizeitbereich - denken Sie nur an die Theater - satzsteigerung von 3 Prozent in drei Jahren aus. Man käme man auf die Idee zu sagen: Wir müssen dich kann die Größenordnung sehr wohl bestreiten, aber vor Selbstentfaltung schützen. nicht die Tendenz. (Zurufe von der SPD: Doch!) In den vergangenen zehn Jahren habe ich an Dut- zenden, wenn nicht Hunderten von Diskussionen Denn eines ist sicher: Nicht nur Umsatzverlagerun- und Streitgesprächen teilgenommen. Ich bilde mir gen in Richtung kleinerer Betriebseinheiten sind zu deshalb ein, nahezu alle Argumente pro und kontra erwarten - wer wollte das eigentlich kritisieren? -, zu kennen. So ähnlich wie mir geht es offensichtlich sondern auch Umsatzverlagerungen vom Urlaubs- auch vielen anderen hier im Hause. Dabei stellen wir land nach Deutschland zurück. auch fest, daß es im Laufe der Zeit immer schwieriger geworden ist, auf die Argumente des jeweils anderen (Zuruf von der SPD: Wo lebt ihr denn?) überhaupt noch zu hören, weil man ja meint, sie zu Jeder macht doch die Erfahrung, daß er in ent- kennen. Ich versuche trotzdem zu argumentieren. spannter Situation bereit ist, gemeinsam mit der Fa- milie Einkäufe zu tätigen, die eben nicht genau für Die Befürchtung, meine Damen und Herren, daß diesen Tag geplant waren. Warum eigentlich sollte sich der Konzentrationsprozeß i m Einzelhandel ver- der deutsche Einzelhändler nicht auch die Chance stärken würde, wenn wir liberalisierten, ist in der An- bekommen, seine Ware dann anzubieten, wenn die hörung eindeutig widerlegt worden. Kunden wirklich Zeit haben? Warum sollten die Kun- (Zuruf von der SPD: Von wem?) den nicht auch in Deutschland Zeit zum Preisver- gleich haben? Es wurde dort gesagt, daß es keinen Zusammenhang (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - zwischen der Ladenöffnungszeit und der Konzentra- Zuruf von der SPD: Siehe Donnerstag!) tion im Einzelhandel gebe. Mehr Freiheit, meine Damen und Herren, bedeutet (Widerspruch bei der SPD - Zuruf von der mehr Chancen. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsfor- SPD: Das weiß keiner!) schung geht von 50 000 zusätzlichen Beschäftigungs- stellen aus. Wenn es einen solchen Zusammenhang gäbe, müßte man ja die Ladenöffnungszeiten verkürzen; denn der (Zurufe von der SPD: Für 590 Mark!) Konzentrationsprozeß in den letzten 40 Jahren hat Auch diese Aussage wird übrigens nur der Höhe, während der Laufzeit des geltenden Gesetzes statt- nicht der Sache nach bestritten. Die Wahrscheinlich- gefunden. keit ist also groß, daß mehr Arbeitsplätze entstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Welcher Art?)

Ich behaupte sogar, daß dies nicht nur während Lassen Sie mich auf die 590 - DM - Verträge einge- der Laufzeit, sondern wegen des Gesetzes gesche- hen. Die Sachverständigenanhörung hat ergeben, hen ist. Denn wir machen doch alle die Erfahrung, daß diese Arbeitsverhältnisse in den Großbetrieben daß wegen des knappen Zeitbudgets jeder von uns und in den Warenhäusern zwischen 3 und maximal und jeder von unseren Nachbarn nach Feierabend in 6 Prozent der Gesamtzahl der Beschäftigten ausma- die Kaufhäuser eilt, weil er dort alles unter einem chen. Es wurde gesagt: Je kleiner das Unternehmen, Dach findet, vom Parkplatz bis zum gesamten Wa- desto größer ist die Nachfrage nach diesen Arbeits- rensortiment. Davon machen übrigens auch diejeni- verhältnissen, und die Nachfrage geht überwiegend gen Gebrauch, die in der Stadt arbeiten und auf dem von den Arbeitnehmern aus. Lande leben. Nach Feierabend kaufen sie nämlich in (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Ja, die der Stadt ein, weil dann, wenn sie zu Hause sind, wollen später alle in die Sozialhilfe! Das ist dort die Geschäfte bereits geschlossen haben. ihr sehnlichster Wunsch!) Es ist meiner Auffassung nach auch typisch, daß Meine Damen und Herren, ich habe den sicheren gerade die Großbetriebe, daß zum Beispiel die Ge- Eindruck, daß die positiven Beschäftigungseffekte schäfte auf der grünen Wiese für die Erhaltung sol- und der Gewinn an Umsatz und auch an Lebensqua- cher Schutzbestimmungen geradezu kämpfen - auch lität von allen Parteien gesehen werden. Differenzie- wenn sie sich gelegentlich anders äußern -, weil sie rungen gibt es eigentlich nur hinsichtlich der Grö- vom Kuchen unter den gegebenen Umständen am ßenordnung. meisten abbekommen. Wer wird eigentlich vom geltenden Gesetz ge- Meine Damen und Herren, zu dem Argument von schützt, und wer wird geschädigt? Geschützt werden der berühmten D-Mark, die nur einmal ausgegeben die Großbetriebe, insbesondere die Märkte auf der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10205

Jochen Feilcke grünen Wiese; geschützt wird der Versandhandel; sehr wohl bekannt, daß es in allen Fraktionen dieses geschützt werden auch die Tankstellen. Geschädigt Hauses Gegner und Befürworter gibt. Nun hat aller- hingegen werden Einzelhändler, die langlebige Kon- dings die Opposition dieses Thema zu einer Macht- sumgüter anbieten, die sich spezialisieren, frage hochstilisiert. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Richtig!) (Widerspruch bei der SPD) Geschäfte in teuren Lagen und vor allem auch Exi- Sie hat allen denen - von ihnen kenne ich etliche -, stenzgründer. Viele selbständige Einzelhändler in die Sympathie für unseren Gesetzentwurf haben, den östlichen Bundesländern sind fassungslos, wenn verboten, dafür zu stimmen. sie feststellen müssen, daß sie in der freien Gesell- (Unruhe bei der SPD - Zuruf von der SPD: schaft Bundesrepublik Deutschland daran gehindert Das ist eine Lüge!) werden, ihre Läden dann zu öffnen, wenn ihre Kun- den Zeit haben. Sie wollen Geschäfte machen und Meine Damen und Herren, da Sie die Machtfrage nicht schließen. stellen, werden wir sie beantworten: im Sinne von mehr Mündigkeit, mehr Freiraum, mehr Beweglich- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU keit und mehr Arbeitsplätzen. sowie bei der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die hohen Mieten, insbesondere in den Ballungs- gebieten, können nur erwirtschaftet werden, wenn die jeweils richtige Ladenöffnungszeit auch möglich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der ist. Die Öffnung in unserer Gesellschaft sollte die Re- Kollege Hans Urbaniak. gel, die Schließung die Ausnahme sein. Was wir brauchen, ist ein Ladenöffnungsgesetz. Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Frau Präsidentin! Wir haben uns auch deshalb für eine Liberalisie- Meine Damen und Herren! So viel Sorge um die Ar- rung eingesetzt, weil wir uns davon eine Entzerrung beitnehmer, wie sie sich Herr Feilcke bei seiner Dar- des öffentlichen Personennahverkehrs und des Stra- stellung gemacht hat, habe ich von der Koalition in ßenverkehrs versprechen, der ganzen Legislaturperiode nicht erlebt; das will ich hier einmal feststellen. (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Einkaufen frei von Streß, Nun hat sich ja Herr Deuss, der Vorstandsvorsit- (Zurufe von der SPD: Das ist doch wohl zende des Karstadt-Konzerns, in dieser Woche geäu- nicht zu fassen! - Unglaublich, was Sie ßert, und zwar dahin gehend, daß der deutsche Ein- erzählen!) zelhandel für 1996 feststellt, daß eine Belebung des Geschäftes überhaupt nicht zustande kommt, ganz ja, Einkaufen auch als Erlebnis für alle Beteiligten. im Gegenteil: Die Umsätze sind sehr stark ge- Das wollen wir so früh wie möglich. schrumpft, um 1,3 Prozent im vorigen Monat. Im Tex- (Unruhe) tileinzelhandel sieht es ganz schlimm aus; da sind die - Umsätze um 3 Prozent zurückgegangen. Diese Fak- ten und Zahlen müssen wir bedenken, wenn wir Liebe Kolleginnen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: über die Änderung des Gesetzes entscheiden, der und Kollegen, ich habe den Eindruck, hier herrscht wir als Sozialdemokraten überhaupt nicht zustimmen eher eine Marktatmosphäre als eine des Zuhörens. können. (Zuruf von der SPD: Das liegt aber am Red (Beifall bei der SPD und der PDS) -ner!) Deuss stellt fest, daß die Anschaffungsbereitschaft der Verbraucher sehr stark zurückgegangen ist. Die Jochen Feilcke (CDU/CSU): Ich bin, Frau Präsi- dentin, sehr erfreut, daß mit solchem Engagement Diskussion um das Kürzungspaket und um die Si- zugehört wird. cherheit der Renten sowie insbesondere die Arbeits- losigkeit bedrücken die Bürger so sehr, daß kein (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ rechtes Vertrauen für die Zukunft aufkommt. - Das CSU und der F.D.P.) ist ja bei der Politik dieser Bundesregierung auch gar nicht anders zu erwarten; das hätte Deuss noch anfü- Wir haben uns deshalb für den 1. November als gen müssen. Termin des Inkrafttretens dieses Gesetzes entschie- den, weil die Laufzeit der Tarifverträge im Einzelhan- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne del in den einzelnen Bundesländern sehr unter- ten der PDS) schiedlich ist. Insofern gibt es keinen Zeitpunkt, mit Ich erwähne dies, weil ja immer wieder betont dem man es allen recht machen könnte. wird, zusätzliche Arbeitsplätze würden geschaffen. Behaupte doch bitte keiner, bei der Entscheidung Aber Herr Deuss hat gesagt: Wir müssen damit rech- über die Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes nen, daß 1996 weitere 30 000 Arbeitsplätze abgebaut handele es sich um eine Gewissensfrage. Ich akzep- werden. Es ist Ihr Vertreter in der Anhörung gewe- tiere die Meinung anderer ganz genauso, wie ich sen, der sich ein wenig positiv, so möchte ich es nen- hoffe, daß sie meine Meinung akzeptieren. Mir ist nen, zu den Änderungen geäußert hat. Also: Das Ifo- 10206 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Hans-Eberhard Urbaniak Gutachten ist nutzlos, es bringt nichts. 30 000 Ar- Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Sie müssen davon beitsplätze werden abgeschafft. ausgehen, daß der Kompromiß, der damals geschaf- fen worden ist, alle Seiten einbezogen hat und daß es Er sagt selber: 14 Hertie-Läden mache ich platt sich hierbei um ein Arbeitnehmerschutzgesetz han- und konzentriere mich auf die I a-Lagen. - Darüber delt. hinaus wissen Sie, daß sich ein enormer Konzentrati- onsprozeß durch den Aufkauf Metro/Kaufhof voll- (Zurufe von der CDU/CSU) zieht. Was das an Potential und Möglichkeiten be- deutet, den Markt und die Konzentration zu beein- - Wie ich das beantworte, ist doch meine Sache. Das flussen, können Sie sich doch im einzelnen vorstel- können Sie mir nicht vorschreiben. len. (Beifall bei der SPD und der PDS) Es wird der ländliche Raum getroffen, es werden die Mittelstädte und die Nebenzentren getroffen. Wir Herr Hintze kann natürlich nur abwinken. Was kann haben eine Untersuchung der HBV, daß in Düssel- der denn sonst noch? Abwinken, sonst kann er ja dorf zwar die I a-Lagen gewonnen, aber alle Kaufne- nichts. benstraßen schon beim langen Donnerstag erheblich verloren haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Zuruf von der SPD: Richtig, und das ist in Berlin genauso!) Daher sage ich: Sie kommen nicht aus diesem Kon- zentrationsprozeß heraus. Was Sie den Einzelhänd- Das führt ganz zwangsläufig dazu, daß der kleine lern und dem mitelständischen Bereich erzählen, ist Einzelhandel und der mittelständische Bereich wei- dummes Zeug; denn sie werden darunter leiden, und ter getroffen werden. sie werden ihre Existenz in Gefahr sehen. Das müs Gerade dieser, den wir als Stütze in den Struktur- sen Sie verantworten, bereichen des Einzelhandels sehen, wird entschei- dend zurückgedrängt werden. Die Pleitewelle der (Zuruf von der SPD: Richtig!) Einzelhandelsgeschäfte wird weiter vorangehen. Das wollen wir Sozialdemokraten verhindern, weil wir und darum haben Sie kein Recht, für diese Leute zu den Mittelstandsbereich unterstützen wollen. sprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ten der PDS) und der PDS) Uns kommt eine Meldung des Europaverbands der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine Selbständigen ins Haus, der uns mahnt: Wir sollen weitere Zwischenfrage? dem Gesetz nicht zustimmen. Er stellt in einer Pres- seerklärung fest: Politiker und Parteien, die sich für die Regierungsvorlage mit der Änderung der Laden- Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Ja. öffnungszeiten einsetzen, sind für die Selbständigen der kleinen und mittleren Einzelhandelsbetriebe,- für ihre Familienangehörigen und ihre Mitarbeiter nicht Herr Michelbach, wählbar. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: bitte. Man muß diese Leute doch ernst nehmen!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Urba- ten der PDS) niak, warum beschreiben Sie hier ein solches Hor- rorszenario für die Beschäftigten im Einzelhandel? Ist Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Urbaniak, ge- Ihnen nicht bekannt, daß es einen hohen Bedarf an statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Teilzeitarbeitsplätzen in Deutschland gibt Klaeden? (Zuruf von der SPD: Überhaupt bei Män nern!) Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Sie stehen unmit- telbar im Brennpunkt der wirtschaftlichen Auseinan- und daß der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an allen dersetzung. Erwerbstätigen in Deutschland, in Prozenten ausge- drückt, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr von Klaeden, bitte. (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) mit 15,1 Prozent weitaus geringer ist als beispiels- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Kollege, ha- weise in den Niederlanden oder Großbritannien, wo ben Sie eine plausible Erklärung dafür, daß wir in es doppelt so viele Teilzeitbeschäftigte gibt? Deutschland im westeuropäischen Vergleich die re- striktivsten Ladenschlußzeiten und gleichzeitig die (Zuruf von der PDS: Aber nicht im Einzel größte Konzentration im Einzelhandel haben? handel!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10207

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD): Wollen Sie eigent- verhindern oder den Regierungsentwurf wesentlich lich noch mehr 590-DM-Arbeitsverhältnisse haben? zu verändern, gebrochen worden. Wir bitten, über Ihre Fraktion Einfluß zu nehmen, daß die berechtig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten Interessen der Arbeitnehmer nicht aus den Au- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gen verloren werden. Wir bitten, das Gesetz abzuleh- und der PDS - Zuruf von der SPD: Natür nen. lich!) Wir nehmen hier Einfluß, und wir bitten Sie, die- Wollen Sie eigentlich noch mehr ungeschützte Ar- sem Appell der Bet riebsräte und der Beschäftigten beitsverhältnisse haben? im Einzelhandel zu folgen. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wollen Sie noch (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der mehr Arbeitslose? Das ist doch die Frage!) Abg. Elisabeth Altmann [Pommelsbrunn] Wollen Sie noch mehr Sozialhilfeempfänger produ- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zieren? Das ist die Konsequenz von dem, was Sie hier Dieselbe Arbeitssituation gibt es auch in den Bäk- fordern. kereien. Sie wollen Arbeitszeiten ermöglichen, die Das Ifo-Gutachten geht davon aus, daß mehr Be- die Nachtarbeit in den Bäckereien ganz wesentlich schäftigung nur über Teilzeitbeschäftigung möglich ausweiten. Ihr Argument, man könne dann auch am ist. Ich sage Ihnen: Dadurch wird es mehr unge- Sonntag frische Brötchen besorgen, ist natürlich schützte Arbeitsverhältnisse geben. Das darf man überzeugend und gehört selbstverständlich zum kul- nicht unterstützen. turellen Geschehen dieser Republik. Machen Sie sich in dieser Frage nicht lächerlich, meine Damen (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei und Herren! Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der PDS sowie der Abg. Elisabeth Altmann [Pommelsbrunn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Urbaniak? Ich will auf folgende Punkte aufmerksam machen, damit Sie sich noch mal genau überlegen, was Sie hier eigentlich tun. Es wird keine Umsatzsteigerun- (SPD): Ja. Hans-Eberhard Urbaniak gen geben, damit auch kein Kapital für weitere Be- schäftigung. Die Unternehmen werden nicht inve- Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Urba- stieren, sondern weiter rationalisieren. Es wird also niak, ist Ihnen nicht bekannt, daß der Handel nach zu einem Personalabbau kommen. Es werden keine einer Untersuchung des Kölner Instituts für Sozialfor- weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäfti- schung und Gesellschaftspolitik einen Anteil von nur gungen entstehen können; sondern es wird zu einem 10,8 Prozent an den sozialversicherungsfrei Beschäf- Ausbau geringfügiger Beschäftigung mit allen Kon- tigten hat, sequenzen kommen, ferner zur Verschärfung der Konzentration mit Zentralisierung und Verringerung (Zurufe von der SPD: Was heißt „nur"? - des Einzelhandels. Die Häuser in I a-Lagen werden Das ist doch wohl genug!) profitieren. Andere werden weitestgehend versan- so daß Ihre Polemik hinsichtlich der sozialversiche-- den. Eine Revitalisierung der Städte wird - so hat es rungsfreien Beschäftigung im Handel völlig unange- das Ifo-Institut festgestellt - durch dieses Gesetz bracht ist? Nur 10,8 Prozent! nicht erreicht. Dazu bedarf es noch vieler anderer Dinge. (Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht! Das ist eine falsche Zahl!) Darüber hinaus wird eine Verschlechterung der Versorgungslage, insbesondere der wohnnahen Ge- biete und des ländlichen Raums, der Arbeitszeiten (SPD): Ich will Ihnen das Hans-Eberhard Urbaniak bei Häusern in I a-Lagen und der Arbeitsbedingun- gern beantworten. Tatsache ist - das ist wohl ent- gen im Einzelhandel erfolgen. scheidend -: Es hat noch nie so viele ungeschützte Arbeitsverhältnisse im Einzelhandel gegeben wie Die Situation der Familien schließlich darf hier nicht unter dieser Regierung. Der Konzentrationsprozeß außer acht gelassen werden. Denn die schweren Be- würde dies noch fortsetzen. lastungen, die damit verbunden sind, werden sich bei den Müttern und Alleinerziehenden selbstver- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei ständlich bemerkbar machen. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, Sie sprechen davon, weitere Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Ich weise Die Betriebsräte von Kaufhalle, Kaufhof, C & A, aber darauf hin: Die realen Nettolöhne in West- Boecker und anderen Häusern haben festgestellt: deutschland sind im Jahre 1995 kaum höher als 1980. Mit Entsetzen und Wut haben wir den Beschluß der Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion vom 11. Juni 1996 in bezug auf ein neues Ladenschlußgesetz zur Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung hat uns Kenntnis genommen. Aus unserer Sicht sind damit in der Anhörung, aber auch in Schreiben eindring- alle Versprechungen der uns nahestehenden CDU/ lich gebeten: Lehnen Sie dieses Gesetz ab. - Der sehr CSU-Abgeordneten, eine Verschlechterung ganz zu geehrte Herr Pützhofen hat ein Schreiben von den 10208 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Hans-Eberhard Urbaniak Betriebsräten und den Beschäftigten des Krefelder Europa, in der Welt. Ich kann dazu nur sagen: guten Einzelhandels erhalten mit der Bitte, dagegenzustim- Abend. men. Er muß sich diesen Arbeitnehmern in seinem Wahlkreis stellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Wir als Sozialdemokraten lehnen dieses Gesetz ab. Wir werden dem Einzelhandel unsere Aktion noch Wenn man die Presse der letzten Tage verfolgt, läßt näher vorstellen: Herr Bundeskanzler, jetzt ist Feier- einen die Vermutung tatsächlich nicht los, daß an abend! - Wir werden der Gesetzesvorlage nicht zu- den anderthalb Stunden auch das Nichtsein oder stimmen. Sein dieser gewichtigen Bundesregierung hängt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten der PDS - Lachen bei der CDU/CSU und bei der PDS sowie bei Abgeordneten und der F.D.P.) der SPD) - Es ist sehr gut, daß Sie sich erheitern. Was sollen Soviel zur Machtfrage, Herr Feilcke. Sie bei Ihrer Demontagepolitik sonst machen? Wir Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird den verfolgen das seit Jahren. Für uns muß das Gesetz, so vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen. wie es jetzt besteht, erhalten bleiben. Die Kollegen in Ihren Reihen sollten sich das genau überlegen. Wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen fordern: keine zusätzlichen Belastungen für Arbeit- bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nehmer! - Wir werden ihn ablehnen, Sie werden es schon (Widerspruch bei der CDU/CSU - Zuruf von sehen. der CDU/CSU: Feierabend!) Herr Feilcke, Sie haben gesagt, Ihr Gesetzentwurf Sorgen Sie mit dafür, daß wir keine weiteren unge- korrespondiere mit den gesellschaftlichen Erforder- schützten Arbeitsverhältnisse bekommen. nissen. Das bezweifle ich. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.: Feierabend!) F.D.P.) Wir wollen nicht mehr, sondern weniger Menschen, - Es ist wirklich herzzerreißend. die im Alter von der Sozialhilfe leben müssen. Wir haben die Befürchtung, daß die vorgesehene (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Neuregelung tatsächlich die Konzentration im Ein- Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE zelhandel verschärft. Das hat sich für meine Begriffe GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Um aus der Anhörung ergeben. 9.25 Uhr ist Feierabend! - Dr. Guido (Widerspruch bei der F.D.P.) Westerwelle [F.D.P.]: Verheugen ist gegen die Liberalisierung!) Ich glaube, daß die strukturellen Fehlentwicklungen im Einzelhandel eher verstärkt als relativiert werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Die Großfilialisten werden meines Erachtens diese die Kollegin Margareta Wolf. anderthalb Stunden kostenneutral auffangen kön- - nen. Die Leidtragenden sind die kleinen Einzelhänd- ler. Fragen Sie Ihre Mittelständler! Im Ernst, sie Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE sehen das ganz genauso. GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte - vielleicht beseitigt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das diese Stammtischstimmung hier - die Gelegen- Der von Ihnen vorgesehene Vorschlag zieht keine heit nutzen, Herrn Rexrodt, der ja federführend an Konsequenz aus den Konzentrationsanalysen, die diesem Gesetzentwurf beteiligt ist, von dieser Stelle aus dem Inland und Ausland vorliegen, er setzt keine aus alles Gute und baldige Genesung zu wünschen. Rahmenbedingungen auf dem Weg hin zu einer in- (Beifall) novativen Dienstleistungsgesellschaft, und er ermög- licht Kleinunternehmen eben nicht, ihre spezifischen Herr Feilcke, ich glaube, wir sind uns in einer Sa- Vorteile - Wohnortnähe, Flexibilität - zum Einsatz zu che völlig einig: Diese ganze Debatte ähnelt ein biß- bringen. chen der Geschichte von Sisyphus, der den Stein hochgehoben hat, und auf halbem Wege flog der Herr Kollege Feilcke, Sie haben vorhin gesagt: Stein wieder herunter. Die Frage ist: Wem fällt er Wenn es das Ladenschlußgesetz nicht gäbe, wer eigentlich auf den Kopf? würde es fordern? Niemand. - Richtig, kann ich Ih- nen nur sagen. Diese Bundesregierung läßt das Land nunmehr seit 17 Jahren über dieses herzzerreißende Thema disku- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU tieren. Zwischen der heutigen Debatte und der letz- und der F.D.P.) ten sind die Mittelständler der Union, wie ich im Aber wenn Sie schon der Meinung sind, daß wir aus Wirtschaftsausschuß verfolgen durfte, mit folgendem ordnungspolitischen Gründen ein Ladenschlußge- Argument überzeugt worden, dem Antrag zuzustim- setz brauchen, men: An den anderthalb Stunden einer längeren La- denöffnungszeit hängt das Image Deutschlands in (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Nein!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10209

Margareta Wolf (Frankfurt) dann muß ich Sie fragen: Warum wirken Sie mit die- Es kommt noch viel schöner. Alle in diesem Hause sem Ladenschlußgesetz eben nicht wettbewerbspoli- vertretenen Fraktionen haben in den Ausschüssen in tisch, verbraucherpolitisch und ökonomisch verant- den letzten Wochen den Antrag des Bundesrates ein- wortlich? Ordnungspolitik kann nur einen Sinn ha- hellig abgelehnt. Mit den im Gesetzentwurf des Bun- ben, nämlich daß sie lenkend wirkt. Wie Sie mit die- desrates vorgesehenen Öffnungsmöglichkeiten sem Vorschlag lenkend wirken wollen, ist mir völlig „sollen zugleich mittelständische Familienbetriebe unklar. Sie tun damit mit Sicherheit nichts gegen die gefördert und die durch die Konzentration auf Groß- Konzentration im Einzelhandel. Sie ignorieren, wie betriebe lückenhaft gewordene Versorgung in der ich glaube, die akute Gefährdung der wohnortnahen Fläche", vor allen Dingen in den neuen Bundeslän- Versorgung in den alten wie den neuen Bundeslän- dern, wiederhergestellt und somit eine wohnortnahe dern. Sie wissen auch, es gibt eine immer stärkere Versorgung sichergestellt werden, eine wohnortnahe Gefährdung der wohnortnahen Versorgung. Versorgung, die gerade für die alten Menschen und für die Behinderten in den neuen Bundesländern Warum spricht denn der DIHT, warum spricht nicht gewährleistet ist. So der Gesetzentwurf des denn der Deutsche Städtetag, warum spricht denn Bundesrates. das Institut für Urbanistik von der Gefahr einer Ame- rikanisierung in den ostdeutschen Bundesländern? Dieses System ist in den neuen Bundesländern ein- Auch Herr Töpfer spricht davon. Warum werden Sie geführt. Die Fortführung war durch Einigungsver- dem nicht gerecht? Warum entwickeln Sie eben trag gesichert. Jetzt hat der Bundesrat einen Gesetz- keine ordnungspolitischen Strategien, um diesem entwurf vorgelegt. Könnten Sie mir einmal sagen, Prozeß entgegenzuwirken, wie es zum Beispiel der warum Sie die Existenz der Nachbarschaftsläden in französische Wirtschaftsminister macht, der eine den fünf neuen Bundesländern nicht sichern wollen? lange Erfahrung mit Ladenschlußgesetzen und vor Ich hätte dazu gern eine Erklärung. Alle, die Sie hier allen Dingen liberaler gestalteten Ladenschlußgeset- sitzen, haben in den Ausschüssen dagegengestimmt. zen hat? Auch ostdeutsche Gemeinden versuchen, Ich halte das für unverantwortlich. der Konzentration entgegenzuwirken. Aber Sie tun es nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich muß Sie auch fragen: Warum nehmen Sie den kleinen Einzelhandel nicht aus dem Ladenschlußge- Denn wer redet eigentlich immer von der Notwen- setz heraus? Warum reagieren Sie nicht auf die er- digkeit von Existenzgründungen, wer redet denn im- wiesenen Wettbewerbsverzerrungen, mit denen der mer davon, daß wir in den fünf neuen Bundesländern kleine Einzelhandel seit Jahren zu kämpfen hat? etwas tun müssen? Ich verstehe nicht, wieso Sie die- Warum tun Sie nichts gegen die steigende Insolvenz sen Gesetzentwurf ablehnen wollen. Wir werden rate? Es kann mir doch in diesem Hause keiner sa- dem Gesetzentwurf des Bundesrates zustimmen. Wir gen, daß der vorliegende Gesetzentwurf der Insol- glauben, daß er ein Ansatz auf dem Weg ist, den klei- venzrate im Einzelhandel, die gerade im Osten dra- nen Einzelhandel zu unterstützen. matisch ist, entgegenwirkt. Ihren Gesetzentwurf lehnen wir ab, der eindeutig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die ordnungsrechtlichen Voraussetzungen dafür und bei der SPD sowie bei Abgeordneten schafft, daß die Großen immer größer werden. Bei der PDS) - der Gewichtung Ihrer Zustimmung zu den heute vor- Herr Feilcke hat vom Qualitätswettbewerb und da- liegenden Anträgen haben Sie deutliche Zeichen in von geredet, daß die Leute Preise vergleichen wol- die von mir beschriebene Richtung gesetzt. len. Wir hätten heute die Chance, einen Qualitäts- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wettbewerb dem wahnsinnigen Kostenwettbewerb sowie bei Abgeordneten der SPD und der entgegenzusetzen. Aber mit Ihrem Gesetzentwurf PDS) tun Sie es nicht. (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Aber er ist auf dem richtigen Weg!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt. Ich glaube, meine Damen und Herten, Sie benut- zen das Ordnungsrecht zugunsten der Großfiliali- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sten. Anders kann ich Ihren Gesetzentwurf leider DIE GRÜNEN]: Oh, der Ladenhüter spricht nicht interpretieren. Wir lehnen ihn ab, weil wir ihn zum Ladenschluß!) für strukturkonservativ halten. (Lachen bei der F.D.P.) Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einzelhandel war in - Herr Westerwelle bekommt einen Lachanfall. Ein den letzten Jahren der Verlierer von Kaufkraftverla- Vögelchen spitzte den Mund und vergaß zu pfeifen. gerungen. Die bestehenden Ladenschlußzeiten ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ben nicht verhindert, daß er verloren hat, und haben bei der SPD und der PDS) auch die Entwicklung auf der grünen Wiese nicht ge- bremst. Sie ignorieren tatsächlich den Innovationsdruck. Deshalb lehnen wir Ihren Gesetzentwurf ab. Was in- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne novativ ist, werde ich Ihnen gleich vorstellen. ten der CDU/CSU) 10210 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Dr. Wolfgang Gerhardt Das Zusammenlaufen von kommunalen Bebau- daran hindert, ihre Geschäfte zu den Zeiten zu öff- ungsplänen und der Einkaufsdruck von vielen Fami- nen, zu denen diese Menschen einkaufen möchten. lien bei bestehenden Arbeitszeiten waren viel ent- scheidender als die jetzige Ladenschlußregelung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Deshalb muß man sich im klaren darüber sein, wie Ingrid Holzhüter [SPD]: Freiheit ist auch sich Kaufkraft verlagert hat. immer die Freiheit der anderen!) Es gibt keine überzeugende Begründung; denn sol- Der Erhalt der jetzigen Zeiten ist keine Bremse ge- che Veränderungen, solche Zeitpioniere braucht eine gen Veränderungen. Im Gegenteil: Die Verände- Gesellschaft, wenn sie ein Stück weiterkommen will. rungsunbereitschaft ist das Problem für den deut- schen Einzelhandel. (Zurufe von der SPD - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Zeitpioniere! Was es nicht alles gibt!) ten der CDU/CSU) Diese Zeitpioniere habe Veränderungen in Frank- reich bestimmt. Sie haben sie in Schweden bestimmt. Deshalb geht es auch nicht nur um die Frage, ob In Schweden gibt es eine ganze Reihe von neuen Be- man eineinhalb Stunden länger öffnet. Im Kern geht schäftigungsverhältnissen. Es gibt Teilzeitbeschäfti- es hier um die Frage, ob diese Gesellschaft über- gungsverhältnisse zwischen 20 und 30 Stunden pro haupt noch fähig ist, eine Veränderung herbeizufüh- Woche, zwischen 10 und 20 Stunden pro Woche, je ren, und die Kraft hat, etwas neu zu entscheiden. nachdem, wie Beschäftigung im Einklang mit Fami- lie gewünscht wird. Nur wir Deutschen denken nach (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne dem alten Motto, nach Regelungsbedarf und nach fe- ten der CDU/CSU - Lachen bei der SPD sten Zeiten. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er Die Angst vor Veränderung war immer ein schlechter veränderungsbereit ist, wenn er sich neue Marktni- Ratgeber. schen sucht, wenn er Geschäfte etwas weiter öffnet und wenn er jenen etwas mehr Bewegungsspielraum (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gibt, die ihn wünschen. Jedenfalls wollen wir das Sehr richtig!) tun.

Im übrigen befinden sich auch nach allen Umfra- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne gen, die wir vorliegen haben, im Bereich des Einzel- ten der CDU/CSU) handels Menschen und Geschäftsinhaber, die Verän- Das ist auch für die Koalition keine leichte Ent- derungen möchten. 40 Prozent aus dem Bereich des scheidung, weil wir wissen, daß der Einzelhandel Einzelhandels sind veränderungsbereit. Über wichtig ist, daß er im kleinstädtischen Bereich ein 20 Prozent möchten neue Chancen wahrnehmen. Stück sozialen Zusammenhaltes ist und weil er die Wir vergeuden angesichts von 4 Millionen Arbeitsu- Atmosphäre bestimmt, chenden eine ganze volkswirtschaftliche Kraft von 20 Prozent Einzelhändlern, die etwas mehr tun wol- (Sabine Kaspereit [SPD]: Und obwohl Sie es len als bisher. wissen, machen Sie das!) - (Beifall bei der F.D.P.) aber weil wir auch wissen, daß er nicht überleben wird, wenn er starr bleibt und wenn er keine Verän- Welchen Grund gibt es eigentlich, daß wir im derungsbereitschaft zeigt. Das ist doch die Grund- Deutschen Bundestag 20 Prozent der Einzelhändler lage der Entscheidung. verweigern, ihre Geschäfte länger zu öffnen, wenn sie es möchten? Wer aus dem Bereich von SPD und (Beifall bei der F.D.P.) Grünen nennt mir einen stichhaltigen Grund, die . Meine Damen und Herren, im übrigen sollte man Freiheitsmöglichkeiten von Menschen einzuschrän- manche Argumente genau prüfen und ehrlich sein. ken, die Freiheitsmöglichkeiten wollen? Das ist hier Die Veränderung dieser Zeit bedeutet nicht, daß ein nicht vorgetragen worden. unglaubliches Mehrarbeitszeitvolumen auf die Be- schäftigten zukommt. Sie bedeutet die Chance, neue (Beifall bei der F.D.P.) Teilzeitverträge zu bekommen. Jeder Teilzeitvertrag, der jemanden in Beschäftigung bringt, ist besser als Wenn 11 Prozent der Verbraucher mehr Einkaufs- ein weiterer Arbeitsloser in Deutschland. möglichkeiten möchten, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Sabine Kaspereit [SPD]: 11 Prozent von ten der CDU/CSU) 100 Prozent!) Jedenfalls gibt er eine Chance für ein Stück mehr Be- schäftigung. Er ist, meine Damen und Herren, noch wenn auch von den 70 Prozent der Verbraucher, die nicht einmal ein großer Wurf. Er ist doch nur ein mit den jetzigen Zeiten einverstanden sind, zumin- Stück Öffnung. dest abends eine Verlängerung gewünscht wird, wer begründet mir dann, warum eine freiheitliche Gesell- Viele kritisieren uns, indem sie sagen, wir hätten schaft sie daran hinde rt, zu Zeiten einzukaufen, zu nicht genügend Mut, das ganze Gesetz zu beseiti- denen sie einkaufen möchten, und Einzelhändler gen. Wir nehmen doch mit diesem Kompromiß auch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10211 Dr. Wolfgang Gerhardt noch Rücksicht auf das Denken von Einzelhändlern, Tankstellen wieder aufnehmen wollen und im Wett- die wir auf diesem Weg gerne mitnehmen wollen, die bewerb mit Tankstellen nicht unterliegen wollen. wir nicht überfordern, sondern überzeugen wollen. Über dieses Stückchen mehr möchten wir heute ent- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne scheiden, weil dieses Stückchen mehr bedeutet, als ten der CDU/CSU) nur bis 20 Uhr zu öffnen, weil es doch das erste Si- Zweitens gibt es viele Menschen in unserer Gesell- gnal aus Deutschland auch für die anderen Nachbar- schaft, die nachts arbeiten müssen, und es gibt viele länder wäre, daß wir in der Lage sind, in Deutsch- Menschen, die von 4 bis 8 Uhr tagsüber arbeiten, land noch etwas zu verändern, wenn eingetretene manche vielleicht von 9 bis 14 Uhr. Die Menschen Lagen so schwierig sind. sind vielfältiger, als sich das die Fraktion der Grünen vorstellen kann. Diesen Wünschen möchten wir (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nachkommen. Bei der Demonstration der Gewerkschaft Handel, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Banken und Versicherungen gab es eine Äußerung ten der CDU/CSU) eines Demonstrationsteilnehmers, die besagt - man muß sich das genau anhören -: Die Menschen wollen Im Kern - lassen Sie mich das zum Abschluß sa- am Sonntag keine frischen Brötchen. Wer maßt sich gen - geht es symbolhaft um die Zeit bis 20 Uhr und eigentlich in Deutschland an, den Menschen zu sa- um die Fähigkeit zu einer Dienstleistung am Sonn- gen, was sie am Sonntag mögen sollen? Wir von der tag. Im Kern geht es um die Frage, ob der Deutsche Koalition jedenfalls nicht. Bundestag in einer freiheitlichen Wi rtschaftsordnung Verbrauchern und Anbietern vorschreiben will, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wann sie einzukaufen hätten, bis wann sie nur ein- kaufen dürfen, wann sie anzubieten hätten und bis Wer am Sonntag frische Brötchen haben möchte, wann sie ihre Läden schließen müssen. Ein Stück muß in einem aufgeklärten Land in Zukunft am neues Denken muß in den Bereich der Orientierung Sonntag frische Brötchen kaufen können. Das ist das des Einzelhandels und der Verbraucher kommen. grundsätzlich andere Denken der Koalition gegen- über dem der Opposition. Der Einzelhandel hat nur eine Chance, wenn er sich von denen mitreißen läßt - auch aus seinem eigenen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Bereich -, die Veränderungen wollen, die dem Struk- ten der CDU/CSU - Unruhe bei der SPD) turwandel begegnen wollen und die die eigenen Dis- positionsmöglichkeiten zulassen. Der Deutsche Bun- destag würde einen gewaltigen Fehler machen, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gerhardt, ge- wenn er dieses zarte Pflänzchen der Veränderungs- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nickels? bereitschaft durch ein Beibehalten der alten Laden- schlußregelung abtöten würde. Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Gerne, (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger lingen] [F.D.P.]) (Anhaltende Unruhe) Wir haben in unserer Gesellschaft ein ganzes Po- tential, das wir volkswirtschaftlich nicht nutzen, nur Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Darf- ich im Saale weil wir zu eng denken. Heute ist der Tag gekom- um etwas mehr Ruhe bitten, denn sonst macht die men, wo über ein Stück Öffnung beschieden werden Debatte keinen Sinn mehr. muß. Ich bitte die Koalition, das einvernehmlich und Frau Nickels. ganz klar zu signalisieren. Herzlichen Dank. Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Kollege, Sie haben über ein Stückchen mehr ge- sprochen. Ich möchte Sie fragen, ob es für Sie auf der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer anderen Seite nicht ein erhebliches Stück weniger an Kurzintervention hat die Kollegin Ingrid Holzhüter. Kultur und an gemeinschaftlicher Art in der Gesell- schaft wäre, wenn die Freizeit, die alle gemeinsam haben, wo sie Vereine besuchen können, wo sie ge- Ingrid Holzhüter (SPD): Herr Gerhardt, ich möchte meinsam feiern können, rigoros zurückgefahren mich ganz besonders auf Ihre Bemerkung melden, wird, damit sie dieses Stückchen mehr haben und warum wir die 20 Prozent Zustimmung nicht berück- sonntags vielleicht anstatt eines aufgebackenen Bröt- sichtigen. chens und selbstgebackenen Kuchens auch noch Ich zitiere hier Clara Zetkin: Weil die Freiheit auch welche kaufen können. immer - - (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS (Unruhe) SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der - Jawohl! - Weil die Freiheit auch immer - - Ent- PDS) schuldigung, das war Rosa Luxemburg. Entschuldi- gen Sie bitte! Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Ich habe erstens (Zuruf von der CDU/CSU: Oh! - Lachen bei festgestellt, daß die Bäcker den Wettbewerb mit der CDU/CSU und der F.D.P.) 10212 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Ingrid Holzhüter - Entschuldigen Sie bitte. Ich bin relativ aufgebracht schäftigten im Einzelhandel selbst erklärt haben, sie über das, was hier passiert ist. Deswegen bitte ich seien auch zu Veränderungen bereit. meine Aufgeregtheit und meinen Fehler an der Stelle zu entschuldigen. (Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch nicht wahr! Das ist eine Lüge, Herr Gerhardt!) Freiheit ist auch immer die Freiheit der anderen. - Über 30 Prozent sind sogar zur Beschäftigung in den Freiheit ist zum Beispiel die der 80 Prozent und zum Abendstunden bereit. Und wenn Sie Arbeitslose fra- Beispiel auch die der Angestellten. gen, ob sie zu bestimmten Zeiten in Teilzeitbeschäfti- Meine Herren von der Koalition, mir kommen bei gungsverhältnisse einsteigen würden, dann beant- dieser Debatte die frauenpolitischen Aspekte zu worten sie Ihnen diese Frage glatt mit Ja. 68 Prozent kurz. 70 Prozent der im Einzelhandel Beschäftigten der Verbraucher, die erklären, sie seien mit den bis- sind Frauen. Ich war zehn Jahre lang eine von ihnen herigen Ladenöffnungszeiten im großen und ganzen und weiß, wovon ich spreche, im Gegensatz zu eini- zufrieden, erklären ganz bestimmt in übergroßer gen, die vielleicht noch nicht einmal selber einkau- Mehrheit, abends bräuchten sie etwas länger Zeit. fen gehen, weil sie ihre Frauen schicken. Sie müssen, wenn Sie Menschen wahrnehmen, im- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des mer davon ausgehen, daß es ganz vielfältige Wün- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der sche gibt und daß dieses Parlament bei diesen vielfäl- tigen Wünschen einen mittleren Weg finden muß, PDS) um sie zufriedenzustellen. Ich bin auch für Veränderung, und deshalb will ich Der Vorschlag der Koalition, den wir vertreten, ist diese einmal ganz kurz hier nennen. Sehr viel Zeit die Rücksichtnahme auf erkennbare Verbraucher- bleibt ja bei einer solchen Intervention nicht. wünsche und auf erkennbar mehr Motivation im Ein- Die Sozialwissenschaftlerin Dr. Gisela Notz hat in zelhandel in einem guten Kompromiß, und diesem der Anhörung folgende Punkte vorgetragen, weil gerecht zu werden bemühen wir uns, weil wir in ihm nämlich im Gegensatz zur Meinung einiger die Ein- die einzige Chance sehen, daß sich der Einzelhandel zelhandelsbeschäftigten nicht im Tal der Glückseli- wieder Marktanteile erkämpfen kann, die er bis gen leben und arbeiten. Ich fordere Sie auf, dazu heute verloren hat. Das ist unser Ziel, darum machen Stellung zu nehmen: keine Ausweitung des Laden- wir das. schlusses; Ausbau von existenzsichernden Arbeits- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne plätzen; keine Kinderarbeit, auf die die Familienbe- ten der CDU/CSU) triebe bei Ausweitung der Ladenschlußzeiten zu- rückzugreifen gezwungen sind; Steuer- und Sozial- systeme, die Frauen nicht als Zuverdienerinnen, son- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt spricht Kol- dern als eigenständige Individuen behandeln; quali- lege Manfred Müller. fizierte Kinderbetreuung, die auch jetzt schon nicht (Zuruf von der CDU/CSU: Provinz! - gewährleistet ist, weil die Kindergärten sehr viel frü- Gegenruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]: her schließen als die Läden, in denen dann eben Gerade Sie müssen von Provinz reden!) nicht einmal um 20 Uhr Schluß ist, weil der Abschluß der Kasse, das Putzen und anderes noch hinzukom- (Berlin) (PDS): Frau Präsidentin! men; Tarifverträge, die die Arbeit im Einzelhandel- Manfred Müller neu bewerten; Aufnahme sozialer Kompetenzen in Meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Gerhardt, den Tarifvertrag; Qualifizierungsangebote; Wieder- es ist ja wohl Zynismus in Potenz, was Sie hier eben aufnahme der Debatte um allgemeine Verkürzung in Ihrer Antwort geleistet haben. der Arbeitszeit in Zeiten knapper Arbeitsplätze. (Beifall bei der PDS) Mir ist nämlich im Gegensatz zu manchen anderen Erst sind Sie dafür mitverantwortlich, daß wir mehr die gemeinsame Familienfreizeit sehr wichtig, und als 4 Millionen Arbeitslose haben, davon mehr als das nicht nur in Sonntagsreden, wo man der Familie 1 Million Dauerarbeitslose, und dann berufen Sie immer auferlegt, die sozialen Verwerfungen im sich auf diesen Personenkreis, der wirklich am Boden Lande zu kompensieren. Ich lasse mich für diese Ver- liegt, darauf, daß sie bereit seien, abends im Einzel- änderungen von Ihnen auch gern als „ Steinzeitpoli- handel zu arbeiten. Sie haben sie so weit herunterge- tikerin" bezeichnen, weil für mich in dieser Gesell- bracht und benutzen sie jetzt als Argument gegen schaft noch etwas mehr zählt als Konsum und Hu- die bestehenden Vollzeitarbeitsverhältnisse. mankapital. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Ich bedanke mich. ten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ihre gesamte Rede, Herr Dr. Gerhardt, hat wieder ten der PDS) deutlich gemacht: Die Ideologen sitzen hier auf dem rechten Flügel des Deutschen Bundestages. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Gerhardt. ten der SPD - Widerspruch bei der CDU/ CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Kollegin, für [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mich ist es aber überraschend, daß 50 Prozent der Be- Das sind die Ladenhüterideologen!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10213

Manfred Müller (Berlin) Sie haben bisher nichts unternommen - obwohl Sie sen kleinen Facheinzelhandel machen Sie mit Ihren jeweils die Wirtschaftsminister gestellt haben -, um Regelungen kaputt. der gewaltigen Konzentration im deutschen Einzel- handel Einhalt zu gebieten. 84 Milliarden DM wer- (Beifall bei der PDS) den von einem einzigen Einzelhandelskonzern ge- Das heißt, der Verbraucher hat überhaupt keine Vor- macht, der auch zu den Gewinnern einer möglichen teile. Änderung des Ladenschlußgesetzes gehören wird. Sorgen Sie dafür, daß diese Marktmacht endlich ein- Sie setzen sich mit Ihrer Zeitpiraterie und mit Ihren geschränkt wird! Und sorgen Sie nicht dafür, daß die- Freiheitsträumen über die Interessen von mehr als ser Konzern seine Marktmacht noch weiter ausbaut. dreieinhalb Millionen im Einzelhandel Beschäftigten hinweg, von denen mehr als 70 Prozent Frauen sind. s hat in dieser Legislaturperiode zu keinem Diese Frauen, die in der Dreifachbelastung der Fami- Thema so viele Resolutionen von Unternehmerver- lie stecken, schließen Sie künftig auch noch davon bänden und einzelnen Unternehmen gegeben, die aus, daß sie sich um die Schularbeiten ihrer Kinder diesen Bundestag erreicht haben, und zwar alle kümmern und überhaupt den Feierabend genießen Fraktionen dieses Hauses. Der Mittelstand, die klei- können. Das heißt, Sie teilen, Sie splittern diese Ge- nen Einzelhändler, haben zusammen mit ihren Be- sellschaft in immer mehr Individuen auf. Insofern legschaften an uns als Abgeordnete appelliert, die- sind Sie die eigentlichen Ideologen in unserem Land. sen verhängnisvollen Weg der Konzentration im Ein- zelhandel nicht weiterzugehen. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD) Und wenn Sie jetzt sagen, daß Konzentration trotz Sie, Herr Feilcke, wissen ganz gut - wir haben ja des Bestands des Ladenschlußgesetzes eingesetzt viele Diskussionen zu diesem Thema gehabt -, daß hat, so ist das ebenso zynisch! Sie sich mit Ihrem Vorhaben, mit dem Inkrafttreten (Zurufe von der CDU/CSU: Wegen! zum 1. November dieses Jahres ganz bewußt und Wegen!) ganz gezielt über die Interessen der Tarifvertrags- parteien hinwegsetzen. Tarifvertragsparteien sind Wenn Sie jetzt die Konzentration noch dadurch be- Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Sie ha- schleunigen, daß Sie die Bedingungen für den klei- ben Tarifverträge abgeschlossen, deren Laufzeit in nen und mittelständischen Einzelhandel weiter ver- Berlin bis Ende nächsten Jahres geht, deren Laufzeit schlechtern, dann schauen Sie sich die Situation an, in den neuen Bundesländern bis Ende 1998 reicht. die sich um den sogenannten Dienstleistungsabend Nach diesen Tarifverträgen können tarifgebundene ergeben hat. Nur in den großen Ia-City-Lagen und Unternehmen ihre Läden nicht öffnen, es sei denn, auf der grünen Wiese wird der lange Donnerstag ge- sie verstoßen gegen den Tarifvertrag. Was Sie damit nutzt. Und das geht zu Lasten der kleinen Einzel- bezwecken, ist eine Spaltung des Unternehmerver- händler, der Tante-Emma-Läden, zu Lasten der weni- bandes. Es beginnt ja in Berlin bereits mit dem Ver- gen, die überhaupt noch übriggeblieben sind. such der Durchsetzung der langen Samstage über die gesetzliche Regelung hinaus. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Müller, kom- GRÜNEN) - men Sie bitte zum Ende. Die haben nämlich keine Möglichkeit, die zusätzli- chen Personalkosten, die durch längere Öffnungszei- Manfred Müller (Berlin) (PDS): Betriebsräte werden ten entstehen, zu kompensieren. Wenn in den großen dadurch unter Druck gesetzt, daß es nichttarifgebun- Einzelhandelsunternehmen die Personalkosten trotz dene Unternehmen gibt, die an den tarifgebundenen längerer Öffnungszeiten nicht steigen, dann deshalb, Unternehmen vorbei öffnen. Sie spielen die einen Be- weil sie die Möglichkeit haben, ihren Personaleinsatz legschaften gegen die anderen aus. Genau das ist Ihr weiter zu spreizen, weil sie die Möglichkeit haben, Ziel: Sie wollen die Unternehmerverbände, die bis- 590-DM-Kräfte einzusetzen! Deshalb werden für her Vertragstreue mit den Gewerkschaften bewiesen diese Unternehmen die Personalkosten nicht steigen, haben, dafür bestrafen, daß sie Tarifverträge bis 1998 während der kleine Einzelhandel zusätzliche Perso- abgeschlossen haben. nalkosten überhaupt nicht aufwenden kann. Das wissen Sie! Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ihre Redezeit ist zu Wer wird also Gewinner einer Novellierung, einer Ende, Herr Müller. Änderung des Ladenschlußgesetzes sein? Die Ver- braucherinnen und Verbraucher mit Sicherheit nicht; Manfred Müller (Berlin) (PDS): Dazu müssen Sie denn sie haben die Vorteile einer lebhaften Konkur- sich hier erklären, wie Sie die kommenden Ausein- renz im Einzelhandel, einer Konkurrenz, die ihnen andersetzungen im Deutschen Bundestag begleiten erlaubt, auf die grüne Wiese zu fahren, die ihnen er- wollen, ob Sie etwa auch noch das Tarifvertragsge- laubt, in die Kaufhäuser zu gehen, die ihnen aber setz aushebeln wollen, damit diese Spaltung viel- auch erlaubt, wenn in den Kaufhäusern und auf der leicht auch noch in den anderen Wirtschaftsberei- grünen Wiese keine Beratungskapazität mehr vorge- chen Wirklichkeit wird. halten wird, auch den kleinen Einzelhandelsbetrieb, den Facheinzelhandel weiter zu besuchen. Und die- (Beifall bei der PDS) 10214 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Manfred Müller (Berlin) Ich appelliere an alle Einzelhandelsbeschäftigten, als die Festsetzung des Ladenschlusses am Samstag wenn wir heute eine Abstimmungsniederlage erlei- auf 16 Uhr und die völlige Abschaffung des Bäcke- den, - reiarbeitszeitgesetzes. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: 18 Uhr wäre besser Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Müller, ich gewesen!) habe Sie jetzt zum drittenmal aufgefordert, Ihre Rede zu beenden. Meine Damen und Herren, wir kennen die Sorgen der mittelständischen Einzelhändler. Sie befürchten, durch liberalisierte Ladenöffnungszeiten von der Manfred Müller (Berlin) (PDS): - daran zu denken, Konkurrenz der Großkaufhäuser in den Toplagen daß 1998 die nächsten Wahlen sind, und die Konser- der Ballungsräume erdrückt zu werden. Wir kennen vativen endlich abzuwählen, damit wir zu vernünfti- natürlich auch die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter- gen sozialpartnerschaftlichen Beziehungen zurück- innen und Mitarbeiter im Einzelhandel, die um ihre kehren können. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bzw. um den Familienfrieden bangen und eine Verschlechterung (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne von Arbeitsbedingungen fürchten. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diese Sorgen und Nöte äußerst ernstgenommen, und wir haben uns in der Tat die Entscheidung bis zum letz- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der ten Augenblick nicht leicht gemacht. Kollege Dr. Ramsauer. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Auch wenn den meisten von uns eine andere Lö- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und sung lieber gewesen wäre, werden wir dem Gesetz- Herren! Gerade nach dem bisherigen Verlauf dieser entwurf mit großer Mehrheit zustimmen, und dies Debatte kann man mit Fug und Recht behaupten, nicht nur, weil man in einer Demokratie Mehrheits- daß nur wenige Gesetzgebungsvorhaben, obwohl entscheidungen mitzutragen hat. Einerseits muß oftmals von weit größerer politischer Tragweite, eine man sehen, daß wir neueren Entwicklungen im Ein- solche Resonanz und ein derartiges Maß an Emotio- zelhandel wie etwa dem sich entwickelnden Tele- nen in der Öffentlichkeit und in diesem Hause her- shopping, den zu Supermärkten ausgebauten Tank- vorgerufen haben wie die Liberalisierung des Laden- stellen, florierenden Bahnhofszentren, aber auch of- schlußgesetzes. Dieses Thema weckt natürlich Emo- fenen Grenzen in Europa und dem daraus resultie- tionen, die zur wirklichen politischen Bedeutung renden Einkaufstourismus Rechnung tragen müssen. aber bei genauem Hinsehen in keinem Verhältnis stehen. Andererseits hat die CSU aber auch eine Reihe von Dingen erreicht, die den Interessen des Mittelstandes ( [CDU/CSU]: Sehr richtig!) entgegenkommen: So haben wir bereits sehr früh klargemacht, daß mit uns ein Ladenschluß um 22 Uhr, Der Ladenschluß ist ein Symbolthema wie nur we- so wie er im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgese- nige andere. Sehen die einen hierfür das- Symbol für hen war, nicht zu machen wäre. die Reformfähigkeit oder Reformbereitschaft unserer Gesellschaft, so sehen die Gegner hierin den Todes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) stoß für den kleinen und mittelständischen Einzel- Wir haben erreicht, daß der Ladenschluß am Sams- handel. Wie so oft bei Symbolthemen werden sowohl tag bundeseinheitlich geregelt wird. Diese Änderung die positiven als auch die negativen Aspekte über- ist deshalb von Gewicht, weil sonst ein ungesunder schätzt, und Argumente sind oft auch nur schwer Wettbewerb über Ländergrenzen hinweg entstanden herüberzubringen. wäre. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich ma- Wir haben ebenfalls durchgesetzt, daß künftig che kein Hehl daraus, daß der nun vorliegende Ge- Empfehlungen über Ladenöffnungszeiten auch unter setzentwurf so nicht den Idealvorstellungen der Einbeziehung der Großbetriebsformen des Einzel- CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag ent- handels zulässig sind. spricht. Uns wäre mehrheitlich lieber gewesen, wenn wir am Samstag die bestehenden Ladenöffnungszei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ten beibehalten hätten und wenn wir auch beim Bäk- Das heißt, künftig können Einzelhändler vor Ort Ver- kereiarbeitszeitgesetz den Vorschlägen des Bäcker- einbarungen über Ladenöffnungszeiten so treffen, handwerks gefolgt wären. Diese vermittelnde Lö- daß sie den örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnis- sung, für die mein Kollege Ernst Hinsken auch bis sen entsprechen. zum letzten Augenblick um Mehrheiten gerungen hat, wäre nach unserer Auffassung den Belangen der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mittelständischen Einzelhandelsunternehmen einer- seits, aber auch den Interessen der Mitarbeiter im Schließlich haben wir auch durchgesetzt, daß bei Einzelhandel eher gerecht geworden der nächsten Novelle zum Kartellgesetz geprüft wird, ob die kartellrechtliche Freistellung für Kooperatio- (Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]) nen kleiner und mittlerer Unternehmen um die Mög- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10215

Dr. Peter Ramsauer lichkeit gemeinsamer Vermarktungsaktivitäten er- nicht gerade mit dem Markentitel SPD assoziiert weitert wird. wird, ist vollkommen klar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sowie des Abg. Dr. ordneten der F.D.P.) [F.D.P. ]) Aber die keineswegs einheitliche Haltung des Be- rufsstandes der Bäcker ist sicherlich auch ein ge- Wir wollen damit die Nachfrageposition gerade des wichtiger Grund dafür, daß unser Werben nur für kleinen und mittelständischen Einzelhandels verbes- eine Änderung des Bäckereiarbeitszeitgesetzes nach sern. den Vorstellungen des Bäckerhandwerkes am Ende Außerdem - dies war für uns im Abwägungsprozeß nicht erfolgreich sein konnte. von sehr großer Bedeutung - ist auch der Mittel- Der Kampf um das Bäckereiarbeitszeitgesetz stand keineswegs geschlossen in seiner Ablehnung wurde nicht von uns verloren. Hierfür gibt es keinen einer Erweiterung von Ladenöffnungszeiten. So hat zuverlässigeren Zeugen als den Präsidenten des Zen- zum Beispiel der Zentralverband des Deutschen tralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, Handwerks die Liberalisierungspläne ebenso be- Hans Bolten, der sagte - ich zitiere -: grüßt wie der Deutsche Hotel- und Gaststättenver- band. Dieser Kampf ist verloren worden von den zahllo- sen Kollegen im Bäckerhandwerk, die sich an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU dieses Gesetz nicht gehalten haben und nicht hal- und der F.D.P.) ten konnten. Auch mittelständische Einzelhändler haben durch- Und weiter: aus zu erkennen gegeben, daß sie durch die mit der Welche Schutzwirkung soll denn eine gesetzliche Verlängerung der Ladenöffnungszeiten verbundene Vorschrift für irgendeinen Betrieb noch entfalten, Flexibilisierung neue Chancen im Wettbewerb se- wenn eine große Zahl von Betrieben diese Vor- hen, schrift überhaupt nicht einhält? (Uwe Lühr [F.D.P.]: So ist das!) (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ja!) insbesondere diejenigen, die nicht durch Tarifvertrag Diese Aussagen müssen all denjenigen entgegenge- oder Betriebsräte daran gehindert werden, halten werden, die in der Streichung des Bäckereiar- (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Aha, also beitszeitgesetzes einen Verrat am mittelständischen Spaltung!) Bäckerhandwerk sehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, sicher- diese neuen Chancen und Möglichkeiten auch zu lich wird der jetzt vorliegende Kompromiß nicht alle nutzen. zufriedenstellen. Vielen wird die Liberalisierung zu Schließlich - auch dies muß, so banal es klingen weit gehen. Wieder andere hätten sich noch deutlich mag, gesagt werden -: Wir zwingen ja niemanden, mehr gewünscht. Aber es gehört zum Wesen des die neuen Ladenöffnungszeiten voll auszuschöpfen. Kompromisses, daß jede Seite nachgeben muß, um Nein, wir wollen nur neue Gestaltungsmöglichkeiten- zu einem gerechten Ausgleich zwischen Interessen eröffnen, des Einzelhandels, der im Einzelhandel Beschäftig- ten und der Verbraucher zu gelangen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Jetzt noch kurz ein Wort an die Opposition, insbe- sondere an Sie von der SPD. Diejenigen unter Ihnen, im übrigen auch für die Arbeitnehmerinnen und Ar- die glauben, daß alle Kolleginnen und Kollegen im beitnehmer, die flexiblere Arbeitszeiten wollen. Es Oppositionslager wirklich mit dem Herzen gegen nützt nichts, immer nur von Teil- oder Mobilzeitarbeit eine Erweiterung der Ladenöffnungszeiten wären, zu reden; man muß auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Mit dem Kopf!) Ich rufe deshalb alle Beteiligten dazu auf: Nutzen Sie die neuen Möglichkeiten der Schaffung von so- täuschen sich oder verbreiten falsche Behauptungen; zialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglich- denn wir wissen ganz genau, daß sich eine ganze keiten, damit Frauen nicht nur als Kundinnen, son- Reihe unter Ihnen entweder lieber der Stimme ent- dern auch als Arbeitnehmerinnen zu den Gewinnern halten, dem Gesetzentwurf zustimmen oder sogar dieser Reform zählen werden! noch darüber hinausgehen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ( [CDU/CSU]: So ist es! Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: 30 000 Natürlich!) Arbeitsplätze werden abgebaut!) Wir wissen ganz genau, daß diejenigen unter Ih- nen, die lieber mit uns gehen würden, vergattert Nachdem der Kollege Urbaniak darauf hingewie- wurden, sen hat, es sei nicht notwendig, am Sonntag frische Ware aus Bäckereien zu bekommen, noch ein Wort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU zum Bäckereiarbeitszeitgesetz: Daß frische Ware und der F.D.P. - Widerspruch bei der SPD) 10216 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Dr. Peter Ramsauer damit Sie von der Opposition die Machtfrage stellen bauen, dann erkläre ich Ihnen hiermit: Ich bleibe können, was Sie uns immer vorwerfen. In Wirklich- gerne altmodisch. keit geht es Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, überhaupt nicht um den Ladenschluß, (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei sondern es geht Ihnen darum, den durchschaubaren Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE politischen Versuch zu starten, einen Keil in das Koa- GRÜNEN) litionslager zu treiben. Dazu kann ich Ihnen nur sa- Ich werde dafür eintreten, daß Schutzbestimmun- gen: Von Ihnen lassen wir uns nicht auseinanderdivi- gen und soziale Rechte in unserem Land erhalten dieren. Von Ihnen schon gar nicht! Sie werden se- bleiben - das gilt auch für meine Partei -, auch wenn hen: Wir halten zusammen. Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen in den neuen Ländern heute nicht mehr viel we rt sind Besten Dank. und der Wettbewerb darin besteht, diese zu unterlau- fen. Hierin liegt der wahre Mißbrauch in unserer Ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - sellschaft. Ich würde mich freuen, wenn Sie den ein- Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ mal aufgreifen würden und dies nicht nur unseren DIE GRÜNEN]: Denn wir schreiten Seit' an Kolleginnen und Kollegen von HBV und DAG über- Seit'!) lassen würden. (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste hat die GRÜNEN) Kollegin Renate Rennebach das Wo rt. Kolleginnen und Kollegen, die Änderung der La- denschlußzeiten wird dafür sorgen, daß Frauen „endlich" mehr Arbeitsplätze auf 590-DM-Basis er- Renate Rennebach (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin- halten können. Die geplante Änderung wird dafür nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Ramsauer, sorgen, daß immer mehr Einzelhandelsgeschäfte in fast hätte ich Ihnen Teile Ihrer Rede abgenommen, den ländlichen Regionen kaputtgehen. Dies wird zur nämlich die mit der sorgfältigen Beratung, mit der Folge haben, daß immer mehr ältere Menschen nicht Überlegung, mit den Sorgen. Aber Sie haben zum nur auf dem Land, sondern auch in städtischen Rand- Schluß gesagt, daß wir Sie auseinanderdividieren lagen Hilfe beim Einkaufen brauchen, weil die über- wollen, bloß weil bei Ihnen Kolleginnen und Kolle- lebenden großen Geschäfte für sie alleine nicht mehr gen sitzen, die eine Einsicht haben, die wissen, was erreichbar sind. im Lande los ist, und die nicht wollen, daß Frauen Es gibt aber noch weitere Punkte in dieser „mo- weiterhin ausgebeutet werden. dernen" Geschichte, die eigentlich, wenn ich recht

überlege - wir diskutieren schon lange darüber -, (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei eine unendliche Geschichte ist. Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Mit mir bzw. meiner Partei sind etwa 80 Prozent der Einzelhändler altmodisch, weil sie, wie eine Ver- Ein Wort an Herrn Dr. Gerhardt, den Herrn F.D.P.- bandsumfrage ergeben hat, die Änderung der La- Vorsitzenden. Zu Ihrer Information: Nicht- 50 Prozent denschlußzeiten ablehnen. Sie wissen genau - das der Beschäftigten des Einzelhandels stimmen zu, wissen auch die Kolleginnen und Kollegen im Einzel- sondern 73 Prozent lehnen Ihre Regelung ab. Zu Ih- handel -, daß diese durch den dadurch entstehenden rer Rede fällt mir auch nicht viel mehr ein, als zu sa- Konkurrenzdruck großer Unternehmensketten im- gen: Der Herr F.D.P.-Vorsitzende hat hier extrem mer mehr verdrängt werden, auch dann, wenn sie kleine Brötchen gebacken. kämpfen und alle verfügbaren Familienmitglieder einsetzen, um längere Öffnungszeiten bewältigen zu (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Ger können. hardt [F.D.P.]: Ihr seid eine richtige Wach- (Unruhe) und Schließgesellschaft geworden!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Einen Augenblick, - Ich gehe gleich darauf ein, Herr Dr. Gerhardt. Sie Frau Rennebach. können Ihre Stimme schonen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist extrem rücksichtslos: Die Stimme der Rednerin muß über- Meiner Partei, der SPD, wird immer zum Vorwurf strapaziert werden, nur weil Sie immer lauter wer- gemacht, sie verpasse den Zug in eine moderne Ge- den. Ich bitte jetzt um Ruhe. sellschaft oder verhindere ihn gar, so auch bei der Änderung der Ladenschlußzeiten. Wenn es denn mo- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dern ist, mehr ungeschützte Arbeitsverhältnisse zu GRÜNEN und der PDS) schaffen, wenn es denn modern ist, Arbeitsbedin- gungen für eine große Zahl von Frauen zu ver- Renate Rennebach (SPD): Vielen Dank, Frau Präsi- schlechtern, wenn es denn modern ist, immer mehr dentin. Arbeitsschutzbestimmungen - selbst Herr Feilcke weiß inzwischen, daß das Ladenschlußgesetz als Ar- In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und beitsschutzgesetz geschaffen worden ist - abzu- Sozialordnung schilderte ein Vertreter des Einzel- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10217

Renate Rennebach handels, daß ein weiteres Problem verstärkt wird, das 81 Jahre alt. Niemand kann bestreiten, daß es hier von unserer „modernen" Regierung und ihren pra- einen Regelungsbedarf gibt. Das Leben ist weiterge- xisfernen, dem BDA hörigen Mitspielern überhaupt gangen. nicht berücksichtigt wird: Es geht um die Kinder, die unter dem Ladentisch aufwachsen. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Es gibt noch immer Bäcker!) Als ich dies hörte, fiel mir meine Kindheit wieder ein: Meine Eltern mußten noch lange nach Feier- Was die Sache auf allen Seiten schwierig macht, ist abend die Bücher machen, den Laden aufräumen die Tatsache, daß bei diesem Gesetz ganz unter- und Ware auffüllen. Da blieb für das Kind im Haus- schiedliche Interessen zu berücksichtigen sind, und halt nicht mehr viel Zeit. Ich will das nicht weiter aus- zwar berechtigte Interessen, über die man nicht hin- breiten. Was ich erlebt habe, ist natürlich schon ei- weggehen kann. Da ist das Interesse des Kunden. nige Zeit her, aber immer noch aktuell und gehört Frau Rennebach, auch der Kunde ist ein Mensch. auf die Tagesordnung auch von 1996. Diese „mo- (Renate Rennebach [SPD]: Vielen Dank!) derne" Verschlechterung der Bedingungen gilt für sehr viele Selbständigenhaushalte. Zugegeben: Ich Da ist das Interesse der Verkäufer. Da ist das Inter- meine die, die sich eine Citylage wegen der horren- esse der Inhaber eines kleinen Geschäftes, da ist das den Gewerbemieten nicht leisten können. Interesse der Inhaber eines großen Geschäftes. Da ist das Interesse in der Stadt. Da ist das Interesse auf Diese Verschlechterung nehmen Sie, meine Da- dem flachen Land. men und Herren von der regierenden Koalition, billi- gend in Kauf, um Umsätze für große Unternehmen Das Interesse von Verkäufer und Verbraucher ist dieser Branche zu erhöhen. Gleichzeitig sind Sie so aber nicht identisch. Was bietet sich in einem solchen modern , Gesetze zu verabschieden, die auch die Fall an? In einem solchen Fall bietet sich ein Kompro- Kaufkraft in unserem Land noch wesentlich ver- miß an. Das ist überhaupt nichts Schädliches. Es gibt, schlechtern. Der von Ihnen so sehr erwartete Umsatz- wenn die Interessen so unterschiedlich sind, nämlich anstieg wird nicht erfolgen. Der Umsatz wird weiter keine sachgemäße Entscheidung zwischen der Mög- stagnieren bzw. zurückgehen; das ist die Realität. lichkeit, alles freizugeben, und der Alternative, Nur die Verteilung wird sich ändern: weg von den nichts zu verändern. Das ist nicht sachgemäß. Sach- Kleinen und hin zu den Großen. Worin hier der volks- gemäß ist ein angemessener Kompromiß. wirtschaftliche Nutzen liegen soll, ist der unbefange- nen Betrachterin sehr rätselhaft. Offenbar ist das, was wir vorlegen, ein Kompromiß. Denn dem einen geht die Veränderung nicht weit ge- nug und dem anderen zu weit. Das zeigt: Im Rahmen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Rennebach, eines Kompromisses ist es schwer, einen Ausgleich Ihre Redezeit ist zu Ende. zu finden. Was dem einen vorteilhaft erscheint, er- scheint dem anderen nachteilhaft. Wir haben uns für Renate Rennebach (SPD): Es tut mir leid. Ich bin eine mittlere Lösung entschieden. durch meine Husterei und diese Störungen etwas aus Seien Sie vorsichtig mit den ganz großen Kanonen- dem Konzept gekommen. kugeln. Ausbeutung? Daß es Bedenken und Pro- Auch sozialpolitisch ist diese Änderung wegen der bleme gibt, negiere ich nicht. Aber Ausbeutung? Die ungeschützten Arbeitsverhältnisse Unsinn.- Ladenöffnungszeiten werden am Werktag von 18.30 Uhr auf 20 Uhr und an drei Samstagen um zwei Es bleibt mir nur noch ein Satz, Frau Präsidentin: Stunden verlängert und an einem Samstag um zwei Ich möchte an Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Stunden verringert. Seien Sie vorsichtig damit, mit Regierungskoalition, appellieren und Sie auffordern, ganz großen Hämmern draufzuschlagen. diesem Gesetz nicht zuzustimmen. Nichts zu entscheiden wäre auch noch eine Alter- Ich betone nochmals: Wenn das, was Sie mit dem native. Das ist die schlechteste von allen. Ladenschlußgesetz erreichen wollen, modern ist, bleibe ich aus voller Überzeugung altmodisch. Ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU glaube, Fortschritt in unserer Gesellschaft ist eher und der F.D.P.) der Schutz der Ressource Mensch als das, was Sie für modern halten. Wissen Sie, warum? Das Leben richtet sich nicht im- mer nach den Beschlüssen des Deutschen Bundesta- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ges. Das ist so. GRÜNEN und der PDS) (Abg. Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der frage) Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Dr. Norbert Blüm. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- statten Sie eine Zwischenfrage? Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ladenschlußgesetz hat einen sehr lan- Dr. Norbert Blüm, Bundesminister für Arbeit und gen Weg hinter sich; es ist 40 Jahre alt. Das Bäcke- Sozialordnung: Ich glaube, der Bundestag wie auch reiarbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahre 1915, ist die Öffentlichkeit ist neugieriger auf die Abstim- 10218 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Bundesminister Dr. Norbert Blüm mung als auf meine Rede. Deshalb will ich das und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Ganze nicht verzögern. Das hat etwas mit der Kultur zu tun. Ich möchte auch nicht nur noch Kaufhäuser und nur noch Städte als (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Verkaufsorte. F.D.P.) Man muß bescheiden sein. (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Nennen Sie die Konsequenzen dieses Gesetzes!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Deshalb finde ich es gut, daß in diesem Gesetz auch und der PDS) die Selbsthilfe des Mittelstandes eine neue Chance bekommt, auch zu Absprachen unter Einschluß der Eine Hängepartie ist das Schlechteste, nicht nur im Großbetriebe. Schach, sondern auch in der Politik. Das Leben rich- tet sich nicht nach den Beschlüssen des Bundestages. Lieber Kollege Urbaniak, in einem Punkt stimme Das Ganze ist wie ein Fluß, der gestaut ist. ich Ihnen zu. Sie haben gesagt: Es gibt große Pro- bleme in bezug auf die Arbeitslosigkeit und die Ren- (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Die Regie ten. In der Tat, Kollege Urbaniak, das sind größere rung hängt aber schon lange durch!) Probleme als die Regelung des Ladenschlusses. Laßt Frau Wolf, Sie haben vom Stein des Sisyphus ge- uns deshalb heute mit der Diskussion um den Laden- sprochen. Wissen Sie, wo dieser Stein liegt? Er liegt schluß Schluß machen, damit wir uns mit ganzer in einem Flußbett, und das Flußbett staut sich und Kraft der Lösung noch größere Probleme zuwenden sucht tausend Nebenarme. können! Da gibt es die Tankstellen. Manche Tankstelle er- Der Worte sind genug gewechselt. Die geltende scheint mir wie ein Kaufhaus mit angeschlossenem Regelung paßt nicht mehr in die Zeit. Wir sind nicht Benzinverkauf. die idyllische Insel von Robinson in Europa. Wir schütten auch nicht das Kind mit dem Bade aus. Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) drücklich sage ich: Wir schütten ein bißchen frisches Im Vorgarten Benzin und in der Tankstelle selber das Wasser dazu, aber es wird nicht ausgeschüttet. Auch große Kaufhaus. Genauso ist es mit Bahnhöfen. ein Beweis dafür sind die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung: Den einen ist es zu viel, den ande- Oder: Wie wollen Sie das in grenznahen Gebieten ren ist es zu wenig, Propheten rechts, Propheten machen? Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Herr links. Urbaniak aus Dortmund: Wir leben in Europa. Wie wollen Sie in grenznahen Gebieten den jetzt gelten- Mein Appell lautet: Versammeln wir uns in der den Ladenschluß eigentlich durchhalten? Sie halten Mitte zu einer Veränderung mit Augenmaß. ihn nur durch, wenn Sie werktags nach 18.30 Uhr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und samstags ab 14 Uhr ein Fahrverbot einrichten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer und der F.D.P.) Kurzintervention hat die Kollegin Gabriele Iwersen. Wer das will, der kann in grenznahen Gebieten den Ladenschluß durchhalten. - Gabriele Iwersen (SPD): Nachdem hier das große Zum Bäckereiarbeitszeitgesetz. Meine Damen und Rennen von Zeitpionieren und Badewasserministern Herren, wissen Sie, warum das Gesetz 1915 geschaf- vonstatten gegangen ist, möchte ich doch noch ein- fen wurde? Es war ein Kriegswirtschaftsgesetz. Bröt- mal auf einen Aspekt zu sprechen kommen, der nur chen waren damals Luxus; das war der Kaviar der ganz kurz angesprochen wurde, und zwar auf die zu Backwaren. Heute sind Brötchen Gott sei Dank für Recht erwähnte notwendige Revitalisierung der alle da. Wann - das frage ich die Künstler der Unter- Innenstädte. Dabei muß man ohne Wenn und Aber scheidung - wird ein Brötchen zur leichtverderbli- akzeptieren, daß auch kleine Städte wunderschöne chen Konditorware? Welcher Zuckerguß muß auf ein Innenstädte haben, die durch das heute vorgelegte Brötchen gegossen werden, so daß es sonntags ver- Ladenschlußgesetz gewaltig in Gefahr geraten. kauft werden darf? Sagen Sie mir das einmal. Der Gesetzentwurf zeigt eindeutig, daß das Ziel Die Backkunst der Bäcker - mein Respekt - steht der Raumordnung, abgestufte Zentren mit unter- längst nicht mehr in Konkurrenz zu den Konditoren. schiedlicher Versorgungsfunktion zu schaffen bzw. Deshalb unterscheiden wir nicht mehr zwischen Bäk- zu erhalten, weder vom Bundesbauminister - der ist ker und Konditor. Diese Unterscheidung ist so alt wie ja wohl auch gar nicht anwesend - die SPD oder noch älter. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Doch, der ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU anwesend!) und der F.D.P.) noch von den Koalitionsfraktionen ernst genommen Ich plädiere sehr für den Mittelstand. Das ist ein wird. Wahrscheinlich soll es einfach fallengelassen großes Thema, und zwar für die Arbeitnehmer und werden. Weder Städte mit 10 000 noch solche mit die Mittelständler. Handel ist nicht nur Geldwechsel, 50 000 oder 90 000 Einwohnern verfügen über die sondern hat auch etwas mit Kultur zu tun. Deshalb berühmten I a-Lagen, die allein von dem Gesetz pro- geht es auch darum, den Mittelstand zu erhalten, fitieren werden. Für alle anderen ist eine drastische Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114, Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10219

Gabriele Iwersen Verschärfung des Existenzkampfes mit ungewissem All denen, die ihre Entscheidung noch nicht end- Ausgang angesagt. gültig getroffen haben, möchte ich es leichter ma- chen. Im Antrag der CDU-Fraktion im Niedersächsi- Trotzdem muß die Versorgungsfunktion der zen- schen Landtag vom 30. April 1996 mit der Überschrift tralen Orte erhalten bleiben, wenn die Fläche nicht „Aktionsprogramm zur Stärkung des ländlichen Rau- hoffnungslos ins Abseits geraten soll. Auch hier be- mes in Niedersachsen" heißt es unter „Infrastruktur" steht der Anspruch auf wohnungsnahe Versorgung - - ich darf zitieren -: wie schon einmal erwähnt worden ist -, die bereits in über 8 000 Gemeinden in Ost und West nicht mehr 1. Sicherstellung und Förderung p rivater und gegeben ist, weil dort überhaupt kein einziges Ein- öffentlicher Dienstleistungen und Einkaufs- zelhandelsgeschäft mehr existiert. Damals waren es möglichkeiten. die dörflichen Einzelhandelsgeschäfte; jetzt geht es den kleinen Zentren an den Kragen, weil die Fami- Als Begründung zu dieser Nummer 1 wird dann lienbetriebe auch bei längerer Öffnungszeit keine genannt: Umsatzsteigerung erwarten dürfen, die zusätzliches Die Einrichtung sowie die Unterstützung von Fachpersonal finanzieren könnte. Dorfläden sollte vorangetrieben werden. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Das ist ein Machen Sie sich diese Argumentation zu eigen! langes Ablesen und keine Kurzinterven Stärken Sie die ländlichen Räume! Hungern Sie sie tion!) nicht weiter aus. Danke. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Iwersen, ich mache darauf aufmerksam, daß wir bei einer Kurzin- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tervention und nicht bei einem neuen Redebeitrag ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sind. und der PDS)

Gabriele Iwersen (SPD): Ich fasse mich ja ganz Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzte Rednerin kurz. spricht Frau Sabine Kaspereit. Der Konkurrenzkampf wird sich in Zukunft nicht mehr zwischen den alteingesessenen Fachhändlern Sabine Kaspereit (SPD): Frau Präsidentin! Liebe und den vielgelobten neuen Existenzgründern ab- Kolleginnen und Kollegen! Nach dem launigen Vor- spielen, trag des Ministers Blüm über Kompromisse und den merkwürdigen Schlußfolgerungen daraus möchte ich (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Ein Rechts diese reichlich emotional geführte Debatte wieder bruch der Geschäftsordnung!) auf eine sachliche Ebene zurückbringen, falls das ir- gend möglich ist. sondern zwischen den Giganten, die zu fördern nicht Sinn eines solchen Gesetzes sein dürfte. Eines verbindet uns doch alle, hier in diesem Hause und draußen im Lande: Wir sind alle Kunden, Schönen Dank. haben Wünsche und schätzen gewisse Annehmlich- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)- keiten. Aber nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Händler und die Beschäftigten des Handels ver- langen von uns Politikern, daß wir uns ernsthaft und Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer sachlich mit ihren Argumenten auseinandersetzen. weiteren Kurzintervention hat der Kollege Günter Graf. (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Ich mache es auch kurz. Spätestens seit der Anhörung zum Ladenschlußge- setz am 20. Mai 1996 sind der Koalition ihre Argu- Herr Minister Blüm, Sie haben von den Interessen mente irgendwie abhanden gekommen. Wenn man der Kleinen und der Großen gesprochen, der Arbeit- den neuesten Argumenten der Koalition folgt, geber und Arbeitnehmer. Sie haben kein Wo rt dazu scheint nun das Ansehen Deutschlands in der Welt gesagt, wo die Interessen der Bewohner ländlicher auf dem Spiel zu stehen. Am Ladenschluß wird unser Räume liegen. In diesem Parlament gibt es eine über- Ansehen in der Welt gemessen? Liebe Kolleginnen parteiliche Arbeitsgemeinschaft, die sich mit den und Kollegen, ist das nicht reichlich übertrieben? Problemen ländlicher Räume beschäftigt. Alle im Hause wissen, daß dieses Gesetz, wenn es durch- (Beifall bei der SPD und der PDS) kommt, dazu führen wird, daß die ländlichen Räume wie in der Vergangenheit weiter ausgehungert wer- Der Ruf nach freier Marktwirtschaft darf die Für- den und die Ballungszentren davon profitieren. Das sorge- und Wohlfahrtspflicht der Politik nicht übertö- kann nicht Sinn des Gesetzes sein. nen. Verbraucher, Händler und Beschäftigte des Handels wollen wissen, welchen volkswirtschaftli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne chen Schaden oder Nutzen uns eine solche Ände- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN rung beschert. Sie wollen wissen, welche Konse- und der PDS) quenzen für den kleinen und mittelständischen 10220 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Sabine Kaspereit Händler zu erwarten sind. Sie wollen aber auch wis- Kolleginnen und Kollegen haben mich ausdrücklich sen, welche sozialen Folgen zu erwarten sind. ermächtigt, in ihrem Namen hier zu sagen: Solange diese Bundesregierung nicht bereit ist, die 590-DM Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wis- - Regelung drastisch einzuschränken, werden sie Ih- sen genau, daß es negative Folgen sein werden. Sie rem Gesetz nicht zustimmen. haben ja auch die Stellungnahmen der Betroffenen - Kunden wie Händlern - in den letzten Monaten be- (Beifall bei der SPD und der PDS) kommen. Deshalb verstehe ich Ihre Interpretation dieser Dinge nun wirklich nicht. Sie wollen nämlich nicht dazu beitragen, daß weitere hunderttausende Billigjobs ohne ausreichende so- Wir beraten heute eine Gesetzesänderung für eine ziale Absicherung geschaffen werden. - Dazu muß- Branche, die einen erheblichen Teil zum Bruttoin- ten meine Kolleginnen und Kollegen nicht „vergat- landsprodukt beiträgt. Angesichts dramatischer tert" werden, Herr Ramsauer. Marktanteilsverluste für kleine und mittelständische Händler wird dieses neoliberale Prestigegesetz den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Konkurrenzkampf um schrumpfende Märkte zusätz- ten der PDS) lich und vor allen Dingen ohne Not verschärfen. Im Handel arbeiten derzeit noch 3,6 Millionen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Menschen. Überwiegend sind dort Frauen als Teil- Seit 1980 ist der Marktanteil kleiner und mittel- zeitkräfte oder in 590-DM-Jobs tätig. Diese Frauen ständischer Händler von ehemals 55 auf jetzt arbeiten dort nicht etwa, weil sie sich zu Hause lang- 37 Prozent gesunken. Angesichts der Verschuldung weilen und ein bißchen unter die Leute kommen wol- privater Haushalte, angesichts von Massenarbeitslo- len. Nein, sie arbeiten dort, weil dies oft das einzige sigkeit und wachsender Langzeitarbeitslosigkeit reguläre Familieneinkommen aus Erwerbstätigkeit werden verlängerte Öffnungszeiten dem Handel darstellt. Jedenfalls ist das im Osten so. keine müde Mark mehr an Umsatz bescheren. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Der Anteil dieser Beschäftigungsart ist von 1982 bis heute von 25 Prozent auf jetzt 33 Prozent gestiegen. Und bedenken Sie auch, meine Damen und Her- Das betrifft 1,2 Millionen Menschen im deutschen ren: Wir beraten diesen Vorschlag der Regierung an- Einzelhandel. Wir müssen uns bewußt machen, was gesichts der Kürzungsmaßnahmen, die die Kaufkraft diese Zahl bedeutet - und dies besonders für Frauen. der Bevölkerung um Milliarden schmälern und damit auch die Umsatzerwartungen für den Handel trüben werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Kaspereit, (Beifall bei der SPD) kommen Sie zum Ende! Ich frage Sie also: Woher sollen die Löhne für die Beschäftigten im Handel kommen? Zur Erinnerung: Sabine Kaspereit (SPD): Ja. - Herr Blüm, das be- Um eine Verkäuferin bezahlen zu können, muß der deutet, daß noch mehr Frauen als Beitragszahlerin- Händler etwa 25 000 DM mehr Umsatz machen. Die nen für unsere sozialen Sicherungssysteme ausfallen. Hoffnungen auf höhere Umsätze brechen aber wie Das bedeutet für Herrn Waigel, daß noch mehr ein Kartenhaus zusammen und als Folge- davon na- Frauen nicht mehr in der Lage sind, als Steuerzahle- türlich auch die Hoffnungen auf mehr Arbeitsplätze. rinnen ihren Beitrag zum Haushalt zu leisten. Es wird im Gegenteil zum öffnungsbedingten Abbau Solange die Lösung der Probleme, die sich aus der sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze kom- geringfügigen Beschäftigung ergeben, nicht ernst- men. Die durch längere Öffnungszeiten bedingten haft in Angriff genommen wird, kann man nicht von erhöhten Betriebskosten bei - wohlgemerkt - besten- uns verlangen, daß wir dieser Änderung zustimmen. falls gleichbleibenden Umsätzen lassen für den Händler die Beschäftigung einer Fachverkäuferin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne zum Risiko werden. ten der PDS) Der Kostendruck und die vereinbarten Arbeitszei- ten werden zwangsläufig zu einem höheren Anteil Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die der geringfügig Beschäftigten führen. Wir werden ei- Aussprache. ner wachsenden Zahl von Menschen gegenüberste-

hen, die auf der Basis von 590 - DM - Jobs ihren Le- Bevor wir zur Abstimmung kommen, gibt es noch bensunterhalt bestreiten müssen. Gerade mit diesen zwei mündliche Erklärungen zur Abstimmung nach sich abzeichnenden sozialen Folgen und den sich § 31 unserer Geschäftsordnung. daraus ergebenden Mindereinnahmen der Sozialkas- sen können wir uns nicht einverstanden erklären. Als erster der Kollege Pinger. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf fol- gendes aufmerksam machen: Es gibt bekanntlich - Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Herr Ramsauer hat darauf hingewiesen - auch in der Meine Damen und Herren! Ich kann dem Gesetz SPD-Fraktion einige Kolleginnen und Kollegen, die nicht zustimmen; ich werde mich der Stimme enthal- in der Frage einer Liberalisierung der Ladenschluß ten. zeiten durchaus offen und zum Teil dafür sind. Diese (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10221

Dr. Winfried Pinger Die Änderung des Ladenschlusses wird die Einzel- im Deutschen Bundestag die notwendigen gesetzli- handelsstruktur in unserem Land weiter verschlech- chen Regelungen treffen. tern. Ich bedanke mich. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des und der PDS) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Umsatz verlagert sich vom ländlichen Raum in Die zweite Erklä- die Städte, von den kleinen Städten in die Großstädte Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: rung zur Abstimmung erfolgt durch den Kollegen und innerhalb der Großstädte in die I a-Lagen. Es Hinsken. wird zu einer weiteren Verlagerung in die Geschäfte auf der grünen Wiese kommen. Die ohnehin vorhan- dene Konzentration und Vermachtung im Einzel- Ernst Hinsken (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsi- handel werden verstärkt. dentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie dür- fen mir abnehmen: Es bedrückt mich sehr, die Mei- für die Mitar- In Zukunft werden die Arbeitszeiten nung des größten Teils meiner Fraktion nicht teilen beiter noch ungünstiger sein, und es wird noch zu können. Ich kann dem Gesetz in der vorliegenden schwerer sein, qualifizierte Mitarbeiter für den mit- Fassung nicht zustimmen, weil ich Gefahren für den telständischen Facheinzelhandel zu finden. Fortbestand des mittelständischen Einzelhandels (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der und mittlerer Bäckereien in der Bundesrepublik PDS - Zuruf von der SPD: Der hat recht, der Deutschland befürchte.

Mann!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Wenn ich das Gesetz dennoch nicht ablehnen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der werde, sondern mich der Stimme enthalte, so hat das PDS) zwei Gründe: Neben Hunderten von Briefen in den letzten Mo- Erstens ist dies begründet in der Solidarität mit naten haben mich in den letzten zwei Tagen zig Faxe meiner Fraktion und nicht zuletzt in der Notwendig- erreicht, in denen ich bestärkt wurde, gegen das Ge- keit der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. setz zu stimmen, was ich aber aus Solidarität gegen- über meiner Fraktion nicht tue. Ich werde nicht mit Zweitens. Ich fordere und erwarte, daß die Bundes- der Opposition stimmen, sondern ich werde mich der regierung, insbesondere der Bundeswirtschaftsmi- Stimme enthalten. nister, in Kürze Regelungen für das Kartellrecht vor- legen wird, die den leistungswidrigen Verdrän- Ich bin nicht von gestern und sehe die Zwänge, in gungswettbewerb von Großunternehmen gegen den denen wir uns momentan befinden. Neue Entwick- leistungsfähigen Mittelstand in Zukunft unterbin- lungen dürfen nicht wegdiskutiert werden. Tele- den. shopping macht sich breit, die Tankstellen werden zu (Beifall bei der SPD und der PDS) Supermärkten der Neuzeit, die Grenzen sind offen usw. Vieles davon wurde heute bereits gesagt. Des- In keinem Land mit einer derartig entwickelten Wi rt halb bin ich für eine Teilliberalisierung, aber das - -schaft gibt es diese Möglichkeiten, sich leistungswi- Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. driger Praktiken durch Einsatz der Nachfragemacht Ich möchte mich ausdrücklich bei meiner Fraktion zu bedienen. dafür bedanken, daß sie viele Vorschläge und Wün- sche, die ich eingebracht habe, zu akzeptieren bereit Die mit dem Gesetzentwurf vorgelegte Beschluß- war. empfehlung löst das Problem nicht. Sie stärkt zwar die Verbundgruppen, aber sie mindert die Selbstän- Worüber ich mich ärgere und was mich stört, ist, digkeit der Einzelhändler innerhalb der Verbund- daß man nicht gesehen hat, daß sich gerade der gruppen und führt zu einer weiteren Vermachtung in lange Samstag sehr verhängnisvoll auf den Einzel- der Wirtschaft. handel auswirkt. Hier befürchte ich Kaufkraftverla- gerungen von schlechten Lagen und Stadträndern, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von der Fläche in Top-I a-Lagen und Supermärkte Meine Damen und Herren, wenn sich Marktmacht auf der grünen Wiese. an Stelle von Leistung lohnt, wenn leistungswidrige (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Praktiken durch Nachfragemacht ermöglicht wer- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den, wird es einen weiteren Zwang zur Konzentra- tion im Einzelhandel zu Lasten des Mittelstandes ge- Letztere werden die Gewinner der neuen Rege- ben. Diese Vermachtung im Einzelhandel hat Einfluß lung sein. auf den industriellen Mittelstand, der ebenfalls einer systematischen Vernichtung ausgesetzt ist. Ich stelle fest, daß - das sollte jedem zu denken ge- ben - gerade Großkaufhäuser und Supermärkte auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der grünen Wiese am langen Samstag in der Zeit von Nicht zuletzt das ist für mich der eigentliche Punkt. 14 bis 18 Uhr über 10 Prozent des gesamten Umsat- zes einer Woche machen. Das geht letztendlich ande- Ich hoffe und erwarte, daß dieser Entwicklung Ein- ren ab, nämlich denjenigen, die nicht diese gute La- halt geboten wird, und ich hoffe, daß wir sehr bald gen haben. 10222 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Ernst Hinsken Ich frage mich auch, warum in der Bundesrepublik Ich frage noch einmal: Sind alle Stimmkarten abge- Deutschland nur 16 Prozent aller Geschäfte vom lan- geben? - Das ist der Fall. Dann schließe ich die Ab- gen Donnerstag Gebrauch machen. 84 Prozent tun stimmung. es nicht, aber nicht etwa deshalb, weil sie genügend Ich unterbreche die Sitzung und weise schon jetzt in der Kasse haben, - darauf hin, daß im Anschluß noch weitere einfache Abstimmungen durchzuführen sind. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Hinsken, re- den Sie zur Abstimmung. (Unterbrechung von 10.47 bis 10.54 Uhr)

Ernst Hinsken (CDU/CSU): - sondern deshalb, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kollegen, die weil es sich nicht rentiert. unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. Letzte Bemerkung: Ich kann mich auch nicht mit den Vorschlägen der Grünen anfreunden. Sie sagen: Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Lassen Sie uns eine Kleinbetriebsregelung finden! Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Nehmen wir einmal an, das sei eine Regelung für Be- Schlußabstimmung über den Gesetzentwurf der triebe mit bis zu fünf Mitarbeitern. Was passiert nun, Bundesregierung, Drucksachen 13/4245 und 13/4975 wenn der Betrieb mehr Umsatz macht und auf sechs Buchstabe a, bekannt. Abgegebene Stimmen: 651, oder sieben Mitarbeiter aufstocken müßte? - Dann mit Ja haben gestimmt: 327, mit Nein haben ge- müßte er sich wieder an die Ladenschlußzeiten hal- stimmt: 321, Enthaltungen: 3. Der Gesetzentwurf ist ten. Nein, wir brauchen eine Regelung für alle. angenommen. Ich sage noch einmal: Aus Solidarität zu meiner (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fraktion werde ich nicht mit der Opposition stimmen, sondern mich der Stimme enthalten und somit dem Endgültiges Ergebnis Gesetz meine Zustimmung verweigern. Abgegebene Stimmen: 652; Albert Deß (Beifall bei Abgeordneten der SPD) davon ja: 327 Werner Dörflinger nein: 322 Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Schriftliche Er- Hansjürgen Doss klärungen zur Abstimmung nach § 31 unserer Ge- enthalten: 3 Dr. schäftsordnung liegen vor von Anneliese Augustin, Maria Eichhorn Renate Blank, Dr. Wolf Bauer, Klaus Bühler (Bruch Ja sal), Hartmut Büttner (Schönebeck), Dr. Uschi Eid, Claus-Peter Grotz, Hans-Joachim Fuchtel, Siegfried Heinz Dieter Eßmann Hornung, Dr. Egon Jüttner, Dr. Uwe Jens, Sigrun Lö- CDU/CSU wisch, Dr. Norbert Rieder, Reinhard Freiherr von Schorlemer, Franz Romer, Alois Graf von Waldburg Jochen Feilcke Zeil mit Dr. Renate Hellwig, Gert Willner und Mi- Dr. Karl H. Fell Anneliese Augustin chael Wonneberger.*) Jürgen Augustinowitz Dirk Fischer (Hamburg) Wir kommen zur Abstimmung über den von der (Unna) - Heinz-Günter Bargfrede Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Ände- (Hamburg) rung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Dr. Wolf Bauer Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Kon- Dr. Gerhard F riedrich ditoreien. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- Dr. Sabine Bergmann-Pohl Erich G. Fritz wurf in der Ausschußfassung zustimmen wollen, um Hans-Dirk Bierling Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltun- Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit Dr. Heiner Geißler den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Dr. Norbe rt Blüm Michael Glos Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen Wilma Glücklich und der PDS angenommen. Dr. Maria Böhmer Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Wir treten in die dritte Beratung Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Dr. Wolfgang Götzer ein und kommen zur Schlußabstimmung. Die Frak- Joachim Gres Kurt-Dieter Grill tion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Wolfgang Gröbl bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die Rudolf Braun (Auerbach) Hermann Gröhe vorgesehenen Plätze einzunehmen. Wenn alle Urnen Claus-Peter Grotz besetzt sind, können wir mit der Abstimmung begin- nen. - Horst Günther (Duisburg) Klaus Bühler (Bruchsal) Carl-Detlev Freiherr von Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme ab- Hartmut Büttner Hammerstein gegeben? (Schönebeck) (Zurufe: Nein!) (Großhennersdorf) (Emstek) - Also warten wir noch. Otto Hauser (Esslingen) (Nordstrand) Hansgeorg Hauser Anlagen 2 und 3 *) (Rednitzhembach) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10223

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Klaus-Jürgen Hedrich Rudolf Meinl Andreas Schmidt (Mülheim) Jörg van Essen Helmut Heiderich Dr. Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Manfred Heise Dr. Hans Peter Schmitz Gisela Frick Dr. Renate Hellwig (Baesweiler) Paul K. Friedhoff Rudolf Meyer (Winsen) Michael von Schmude Josef Hollerith Hans Michelbach Birgit Schnieber-Jastram Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Gerd Müller Dr. Hans-Dietrich Genscher Siegfried Hornung Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Hörster Engelbert Nelle Reinhard Freiherr von Joachim Günther (Plauen) Hubert Hüppe (Bremen) Schorlemer Dr. Peter Jacoby Johannes Nitsch Dr. Erika Schuchardt Dr. Susanne Jaffke Ulrich Heinrich Georg Janovsky Dr. Rolf Olderog Dr. Dieter Schulte Walter Hirche Helmut Jawurek Friedhelm Ost (Schwäbisch Gmünd) Birgit Homburger Dr. Dionys Jobst Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Dr. Dr.-Ing. Rainer Jork Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze Ulrich Irmer Michael Jung (Limburg) Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze (Berlin) Detlef Kleinert (Hannover) Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Roland Kohn Dr. Egon Jüttner Hans-Wilhelm Pesch Dr. Ch ristian Schwarz- Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Harald Kahl Ulrich Petzold Schilling Jürgen Koppelin Bartholomäus Kalb Wilhelm-Josef Sebastian Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Steffen Kampeter Angelika Pfeiffer Dr. Dr.-Ing. Dietmar Kansy Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Sabine Leutheusser- Manfred Kanther Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Schnarrenberger Irmgard Karwatzki Uwe Lühr Jürgen W. Möllemann Peter Keller Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Günther Friedrich Nolting Eckart von Klaeden Dr. Dr. Bernd Klaußner Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Lisa Peters Hans Klein (München) Dr. Margarete Späte Dr. Klaus Röhl Ulrich Klinkert Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Helmut Schäfer (Mainz) Manfred Kolbe Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Cornelia Schmalz-Jacobsen Norbert Königshofen Erika Steinbach Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Eva-Maria Kors Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Dr. Irmgard Schwaetzer Hartmut Koschyk Dr. Peter Ramsauer Stetten Dr. Hermann Otto Sohns Manfred Koslowski Rolf Rau Dr. Dr. Max Stadler Thomas Kossendey Helmut Rauber Andreas Storm Carl-Ludwig Thiele Rudolf Kraus Peter Harald Rauen Dr. Dieter Thomae Wolfgang Krause (Dessau) Otto Regenspurger Matthäus Strebl Jürgen Türk Andreas Krautscheid Christa Reichard (Dresden) Michael Stübgen Dr. Wolfgang Weng Arnulf Kriedner Klaus Dieter Reichardt Egon Susset (Gerlingen) Heinz-Jürgen Kronberg (Mannheim) Dr. Rita Süssmuth Dr. Dr.-Ing. Paul Krüger Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Reiner Krziskewitz Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Dr. Hermann Kues Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Nein Roland Richter Gottfried Tröger Dr. Karl A. Lamers Roland Richwien Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (Heidelberg) Dr. Norbert Rieder CDU/CSU Dr. (München) Wolfgang Vogt (Duren) Dr. Norbe rt Lammert Klaus Riegert Dr. Horst Waffenschmidt Sigrun Löwisch Dr. Alois Graf von Waldburg-Zeil Franz Romer Dr. Jürgen Warnke Herbert Lattmann Hannelore Rönsch Kersten Wetzel SPD Dr. Paul Laufs (Wiesbaden) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Karl-Josef Laumann Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gert Willner Werner Lensing Dr. Klaus Rose Bernd Wilz Kurt J. Rossmanith Robert Antretter Peter Letzgus Adolf Roth (Gießen) Simon Wittmann Hermann Bachmaier Editha Limbach Norbert Röttgen (Tännesberg) Walter Link (Diepholz) Dr. Christian Ruck Dagmar Wöhrl Eduard Lintner Volker Rühe Michael Wonneberger Dr. Klaus W. Lippold Dr. Jürgen Rüttgers Elke Wülfing Ingrid Becker-Inglau (Offenbach) Roland Sauer (Stuttga rt) Peter Kurt Würzbach Hans Berger Dr. Manfred Lischewski Ortrun Schätzle Cornelia Yzer Hans-Werner Bertl Wolfgang Lohmann Dr. Wolfgang Schäuble Wolfgang Zeitlmann Friedhelm Julius Beucher (Lüdenscheid) Hartmut Schauerte Benno Zierer Julius Louven Heinz Schemken Wolfgang Zöller Arne Börnsen (Ritterhude) Karl-Heinz Scherhag Anni Brandt-Elsweier Dr. Michael Luther Gerhard Scheu Tilo Braune Erich Maaß (Wilhelmshaven) Norbert Schindler F.D.P. Dr. Dr. Dietrich Mahlo Dietmar Schlee Erwin Marschewski Ulrich Schmalz Ursula Burchardt Günter Marten Dr. Gisela Babel Hans Martin Bury Dr. Martin Mayer Christian Schmidt (Fürth) Hildebrecht Braun Hans Büttner (Ingolstadt) (Siegertsbrunn) Dr.-Ing. Joachim Schmidt (Augsburg) Marion Caspers-Merk Wolfgang Meckelburg (Halsbrücke) Günther Bredehorn Wolf-Michael Catenhusen 10224 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Peter Conradi Volker Kröning (Aachen) BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Dr. Herta Däubler-Gmelin Thomas Krüger (Meschede) Christel Deichmann Horst Kubatschka Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Gila Altmann (Aurich) Eckart Kuhlwein Regina. Schmidt-Zadel Elisabeth Altmann Dr. Marliese Dobberthien Konrad Kunick Heinz Schmitt (Berg) (Pommelsbrunn) Peter Dreßen Christine Kurzhals Dr. Emil Schnell (Bremen) Rudolf Dreßler Dr. Uwe Küster Walter Schöler (Köln) Werner Labsch Ottmar Schreiner Ludwig Eich Brigitte Lange Gisela Schröter Peter Enders Detlev von Larcher Dr. Mathias Schubert Annelie Buntenbach Waltraud Lehn Richard Schuhmann Amke Dietert-Scheuer Petra Ernstberger Robert Leidinger (Delitzsch) Franziska Eichstädt-Bohlig Annette Faße Klaus Lennartz Reinhard Schultz Dr. Uschi Eid Elke Ferner Dr. Elke Leonhard (Everswinkel) Andrea Fischer (Berlin) Lothar Fischer (Homburg) Klaus Lohmann (Witten) Volkmar Schultz (Köln) Joseph Fischer (Frankfurt) Christa Lörcher Ilse Schumann Rita Grießhaber Iris Follak Erika Lotz Dr. R. Werner Schuster Gerald Häfner Norbert Formanski Dr. Dietmar Schütz (Oldenburg) Antje Hermenau Dieter Maaß (Herne) Dr. Angelica Schwall-Düren Kristin Heyne (Köln) Winfried Mante Ernst Schwanhold Ulrike Höfken Katrin Fuchs (Verl) Dorle Marx Michaele Hustedt Arne Fuhrmann Ulrike Mascher Bodo Seidenthal Dr. Manuel Kiper Monika Ganseforth Lisa Seuster Monika Knoche Norbert Gansel Ingrid Matthäus-Maier Horst Sielaff Dr. Angelika Köster-Loßack Konrad Gilges Heide Mattischeck Erika Simm Iris Gleicke Johannes Singer Günter Gloser Ulrike Mehl Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Helmut Lippelt Uwe Göllner Herbert Meißner Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Oswald Metzger Günter Graf (Friesoythe) Angelika Mertens Wieland Sorge Kerstin Müller (Köln) Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Wolfgang Spanier Dieter Grasedieck Ursula Mogg Dr. Dietrich Sperling Christa Nickels Achim Großmann Siegmar Mosdorf Jörg-Otto Spiller Egbert Nitsch (Rendsburg) Karl-Hermann Haack Michael Müller (Düsseldorf) Antje-Marie Steen Cem Özdemir (Extertal) Jutta Müller (Völklingen) Gerd Poppe Hans-Joachim Hacker Christian Müller (Zittau) Dr. Peter Struck Simone Probst Klaus Hagemann Kurt Neumann (Berlin) Dr. Jürgen Joachim Tappe Rochlitz Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Halo Saibold Jörg Tauss Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Christine Scheel Dr. Bodo Teichmann Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Irmingard Schewe-Gerigk Margitta Terborg Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Rezzo Schlauch Jella Teuchner Klaus Hasenfratz Doris Odendahl Albert Schmidt (Hitzhofen) Dr. Gerald Thalheim Dr. Ingomar Hauchler Günter Oesinghaus Wolfgang Schmitt Dieter Heistermann Leyla Onur (Langenfeld) Dietmar Thieser Reinhold Hemker Manfred Opel Ursula Schönberger Franz Thönnes Rolf Hempelmann Adolf Ostertag Waltraud Schoppe Uta Dr. Barbara Hendricks Kurt Palis Titze-Stecher (Berlin) Monika Heubaum Albrecht Papenroth Adelheid Tröscher Marina Steindor Uwe Hiksch Dr. Wilfried Penner Hans-Eberhard Urbaniak Christian Sterzing Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Siegfried Vergin Manfred Such Stephan Hilsberg Georg Pfannenstein Günter Verheugen Dr. Gerd Höfer Dr. Eckhart Pick (Pforzheim) Ludger Volmer Jelena Hoffmann (Chemnitz) Joachim Poß Karsten D. Voigt (Frankfurt)Frankfurt Helmut Wilhelm (Amberg) Frank Hofmann (Volkach) Rudolf Purps Josef Vosen Margareta Wolf (Frankfurt) Ingrid Holzhüter Hermann Rappe Hans Georg Wagner Eike Hovermann (Hildesheim) Hans Wallow Lothar Ibrügger Karin Rehbock-Zureich Dr. Konstanze Wegner PDS Barbara Imhof Margot von Renesse Wolfgang Weiermann Brunhilde Irber Renate Rennebach Reinhard Weis (Stendal) Wolfgang Bierstedt Gabriele Iwersen Otto Reschke Matthias Weisheit Petra Bläss Renate Jäger Bernd Reuter Gunter Weißgerber Maritta Böttcher Jann-Peter Janssen Dr. Edelbert Richter (Wiesloch) Eva Bulling-Schröter Ilse Janz Günter Rixe Jochen Welt Heinrich Graf von Einsiedel Dr. Uwe Jens Reinhold Robbe Hildegard Wester Dr. Ludwig Elm Volker Jung (Düsseldorf) Gerhard Rübenkönig Lydia Westrich Dr. Sabine Kaspereit Dr. Hansjörg Schäfer Inge Wettig-Danielmeier Dr. Susanne Kastner Gudrun Schaich-Walch Dr. Norbert Wieczorek Dr. Ernst Kastning Dieter Schanz Heidemarie Wieczorek-Zeul Hanns-Peter Hartmann Hans-Peter Kemper Bernd Scheelen Dieter Wiefelspütz Dr. Uwe-Jens Heuer Klaus Kirschner Dr. Berthold Wittich Dr. Willibald Jacob Marianne Klappert Siegfried Scheffler Dr. Ulla Jelpke Siegrun Klemmer Horst Schild Verena Wohlleben Gerhard Jüttemann Hans-Ulrich Klose Otto Schily Hanna Wolf (München) Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Hans-Hinrich Knaape Dieter Schloten Heidi Wright Rolf Köhne Günter Schluckebier Rolf Kutzmutz Fritz Rudolf Körper Horst Schmidbauer Dr. Christoph Zöpel Dr. Nicolette Kressl (Nürnberg) Peter Zumkley Heidemarie Lüth Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10225

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Dr. Günther Maleuda Enthalten Leyla Onur (SPD): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Manfred Müller (Berlin) Meine Damen und Herren! Mit Ihrer Entscheidung Rosel Neuhäuser zum Ladenschlußgesetz, sehr geehrte Kollegin und Dr. Uwe-Jens Rössel CDU/CSU Kollegen von den Mehrheitsfraktionen, haben Sie Christina Schenk heute gleichzeitig beschlossen, daß über die derzeit Steffen Tippach Renate Blank Klaus-Jürgen Warnick bestehenden 500 000 geringfügigen Beschäftigungs- Dr. Winfried Wolf Ernst Hinsken verhältnisse hinaus weitere hunderttausende im Dr. Winfried Pinger Handel entstehen werden. (Uwe Lühr [F.D.P.]: Unfug!) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozial- Schon 1992 waren laut des Forschungsberichtes ordnung zu dem vom Bundesrat eingebrachten Ent- des Institutes für Sozialforschung 4,5 Millionen Män- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Ladenschluß ner und Frauen in ungeschützten Beschäftigungsver- gesetzes, Drucksache 13/4975 Buchstabe b. Der Aus- hältnissen tätig. Das war allein in den alten Bundes- schuß empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache ländern eine Million mehr als 1987. Neuere Zahlen 13/201 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese liegen nicht vor. Das Mittelstandsinstitut Niedersach- Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- sen jedoch schätzt, daß es inzwischen etwa 6 Millio- gen? - Keine. Damit ist die Beschlußempfehlung mit nen 590-DM-Jobs gibt. Trotz dieser dramatischen Zu- den Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die nahme ungeschützter Arbeitsverhältnisse in den letz- Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen ten Jahren haben Sie, die Sie die Mehrheit in diesem und der PDS angenommen. Hause haben, heute vormittag Ihre sozialpolitische Verantwortung an der Garderobe abgegeben. Der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung emp- fiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlußempfehlung (Beifall bei der SPD und der PDS) auf Drucksache 13/4975 die Annahme von Entschlie- Sie haben den Arbeitgebern im Einzelhandel den ßungen. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Vorwand geliefert, weitere Hunderttausende Arbeit- - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Be- nehmerinnen und Arbeitnehmer nur noch geringfü- schlußempfehlung mit den Stimmen der CDU/CSU gig zu beschäftigen. und der F.D.P. gegen die Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenom- Der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Nor- men. bert Blüm, hat dazu bereitwillig seine Zustimmung gegeben, nach dem Motto: Was schert mich mein Ge- Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 und Zusatzpunkt 7 schwätz von gestern? Genauer gesagt: sein Ge- auf: schwätz vom 19. November 1995 im Deutschland- funk. Gefragt nach der Problematik versicherungs- 16. Erste Beratung des von den Abgordneten Ott- freier Beschäftigungsverhältnisse im Zusammenhang mar Schreiner, Rudolf Dreßler, Ch ristel Hane- mit dem Ladenschluß hat er geantwortet: winckel, weiteren Abgeordneten und der Was wir nicht hinnehmen können, ist, daß ganze Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Betriebsabteilungen, ganze Kolonnen umstellen eines Gesetzes zur Beseitigung des Miß- von einem normalen Arbeitsverhältnis auf diese brauchs der Geringfügigkeitsgrenze in der - Geringfügigkeit. Sozialversicherung (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard - Drucksache 13/3301 - Hirsch) Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Der Sozialstaat verliert Beitragszahler. Anschlie- Ausschuß für Wirtschaft ßend beschweren sich dieselben, die das organi- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sieren, daß die Beiträge steigen. Ja, wenn die Bei- Ausschuß für Gesundheit tragszahler flüchten, dann müssen die Zurückge- Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO bliebenen mehr zahlen. Das kann ich nicht hin- nehmen, und deshalb muß dieser Flucht aus so- ZP7 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND- zialstaatlichen Pflichten der Riegel vorgeschoben NIS 90/DIE GRÜNEN werden. Dauerhafte Beschäftigungen sozialversichern Ich frage Sie, Herr Blüm: Wer flüchtet hier aus so- - Drucksache 13/4969 — zialstaatlichen Pflichten? Nicht die Arbeitnehmerin- Überweisungsvorschlag: nen und Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber, die sozialversicherungspflichtige Teil- und Vollzeitar- Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend beitsplätze abbauen und ihre Beschäftigten bzw. Ar- beitsuchende zwingen, einen 590-DM-Job zu akzep- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für tieren oder gar keine Arbeit zu bekommen. die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgese- hen. - Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Wir ver- Ich frage Sie weiterhin, Herr Blüm: Wann wollen fahren so. Sie endlich den besagten Riegel vorschieben? Wann tun Sie endlich etwas gegen den Mißbrauch von ge- Ich eröffne die Aussprache. Als erste bitte ich die ringfügigen Beschäftigungsverhältnissen? Markige Kollegin Leyla Onur ans Rednerpult. Worte haben wir und insbesondere die Betroffenen 10226 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Leyla Onur oft genug von Ihnen gehört. Wann folgen endlich die träge führen zu Beitragsmehreinnahmen und ent- Taten? sprechenden Beitragssenkungen. Das ist ein Bau- stein zur Absenkung der Lohnnebenkosten im Inter- Wie Sie selbst in Ihrem Beitrag im „Deutschland- esse aller Beschäftigten und der Betriebe. funk" festgestellt haben, Herr Blüm, erfüllen diese Arbeitsverhältnisse nicht mehr den gewünschten Unser Entwurf schert auch künftig nicht alle Ar- Zweck, vorübergehende Personalengpässe in den beitnehmer über einen Kamm, sondern beinhaltet Betrieben aufzufangen, also einen zeitlich flexiblen notwendige Differenzierungen. Das heißt, auch künf- Personaleinsatz zu ermöglichen. Geringfügige Be- tig soll ein Teil der geringfügig Beschäftigten versi- schäftigungsverhältnisse werden mißbräuchlich ge- cherungsfrei bleiben, beispielsweise Beschäftigte un- nutzt und wirken wie eine Subvention ungeschützter terhalb der ehemaligen 590-DM-Grenze, wenn sie Arbeitsverhältnisse, die von Beitragszahlern, also bisher nicht dem System der gesetzlichen Kranken- von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, finanziert versicherung angehört haben. werden müssen. Dieser Mißbrauch widersp richt ek- latant dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität Diese Regelung verhindert, daß beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt und muß schnellstens beseitigt Ehepartner und -partnerinnen von Selbständigen werden. und Beamten durch Zahlung von Minimalbeiträgen einen billigen Versicherungsschutz zu Lasten der So- Die SPD-Bundestagsfraktion bringt deshalb heute lidargemeinschaft erhalten. Auch Schüler, Studen- - wie übrigens schon 1994 - einen Gesetzentwurf zur ten, Beamte, Selbständige und Angestellte über der Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügigkeits- Beitragsbemessungsgrenze bleiben versicherungs- grenze in der Sozialversicherung ein. Unser Gesetz- frei. entwurf enthält die notwendigen Regelungen zur Be- seitigung objektiv vorhandener sozialer Defizite und In der Rentenversicherung sollen Schüler, Studen- Mißbrauchsmöglichkeiten. Er läßt weiter den zeitlich ten und Beamte versicherungsfrei bleiben. In der flexiblen Personaleinsatz zu, soweit er betriebswirt- Arbeitslosenversicherung bleibt es im wesentlichen schaftlich notwendig ist und im Interesse der Be- bei der Versicherungsfreiheit für Kurzzeitbeschäf- schäftigten liegt. tigte unter bisher 18 Stunden nach geltendem Recht und neu 17 Stunden. Unsere Vorschläge berücksichtigen die Interessen der Beschäftigten und der Betriebe, denn sie stellen Beitragspflichtig werden künftig alle anderen ge- die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt ringfügig Beschäftigten, auch unterhalb der 590- wieder her, indem Arbeitgeber generell ab einer Ba- DM-Grenze, wenn sie bisher in einer gesetzlichen gatellgrenze auch für geringfügig Beschäftigte bei- Krankenversicherung persönlich oder familienversi- tragspflichtig werden. Dadurch werden sowohl Ar- chert waren. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeit- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch Arbeit- nehmer leisten damit ihren solidarischen Beitrag geber, die heute ausschließlich oder überwiegend so- zur Krankenversicherung und erwerben gleichzeitig zialversicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäfti- individuelle, uneingeschränkte Leistungsansprüche, gen, entlastet, weil unser Vorschlag zu Beitragssen- wie zum Beispiel den Anspruch auf Krankengeld. kungen führt. Die allgemeine Beitragspflicht der Beschäftigten in Die Beschäftigten sollen, differenziert nach Kran- die Rentenversicherung - die Ausnahmen habe ich ken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung, genannt - führt selbst bei noch so niedrigen Beiträ- persönlich nur dann versicherungspflichtig werden, gen zur Verbesserung der Alterssicherung, insbeson- wenn ein Schutzbedürfnis besteht oder der Grund- dere von Frauen. Die notwendigen Ergänzungen im satz der solidarischen Finanzierung der Sozialversi- Leistungsrecht, um überproportionale Rentenvorteile cherung dieses erfordert. zu verhindern, sind in unserem Entwurf natürlich Meine Redezeit erlaubt mir nicht, auf alle Einzel- enthalten. heiten unseres Entwurfes einzugehen. Ich nenne Zur Arbeitslosenversicherung sei in der Kürze der heute nur einige wichtige Elemente. verfügbaren Zeit nur beispielhaft angeführt, daß die Die bisherige Geringfügigkeitsgrenze in der So- Kurzzeitbeschäftigten bei neu 17 Stunden versiche- zialversicherung von derzeit 590 DM und die Gering- rungsfrei bleiben. Jedoch wird für alle Beschäftigten verdienergrenze von 610 DM werden aufgehoben. ein reiner Arbeitgeberbeitrag eingeführt, auch für Kurzzeitige Beschäftigung wie Saisonarbeiten und Schüler, Studenten und Rentner. Diese Arbeitgeber- Krankheitsvertretungen bis zu zwei Monaten oder beiträge in die Arbeitslosenversicherung begründen fünfzig Arbeitstagen unabhängig vom Verdienst blei- keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld, jedoch auf ben sozialversicherungsfrei. Für Dauerarbeitsbe- Geldleistungen bei Fortbildungs- und Umschulungs- schäftigungsverhältnisse mit einem Arbeitsentgelt maßnahmen. Dieses sogenannte Unterhaltsgeld unter einer Bagatellgrenze von 82 DM bzw. 68 DM kommt insbesondere Frauen zugute, die ins Erwerbs- pro Monat werden keine Versicherungsbeiträge er- leben zurückkehren wollen. hoben. Das heißt, in beiden Fällen zahlen weder Ar- beitgeber noch Arbeitnehmer Beiträge. Unsere Vorschläge, meine Damen und Herren von den Mehrheitsfraktionen, führen nicht zu nennens- Darüber hinaus werden Arbeitgeber generell bei- werten zusätzlichen Leistungsansprüchen in der tragspflichtig. Das gilt auch, wenn sie Schüler, Stu- Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die denten, Rentner, Selbständige und Beamte geringfü- ausdrücklich gewünschten zusätzlichen Leistungs- gig beschäftigen. Diese generellen Arbeitgeberbei- ansprüche an die Rentenversicherung werden erst Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10227

Leyla Onur langfristig wirksam und sind durch Beitragsmehrein- gige Beschäftigung nicht in Frage. Der Mittelstand nahmen gedeckt. braucht dieses Instrument. Generell erreichen wir durch interne Umschichtun- Sie kommen nun mit einem Vorschlag in Ihrem Ge- gen der Sozialversicherungsbelastungen zwischen setzentwurf, dem wir nicht folgen können, wo ich den Beitragszahlern Beitragsmehreinnahmen und eigentlich nur sagen kann: ein typischer SPD-Ent- gleichzeitig Beitragssenkungen für Arbeitnehmer wurf - regulieren, komplizieren. Das, was Sie vor- und Arbeitgeber. Die genauen Zahlen können Sie in schlagen, ist nicht handhabbar. Die unterschiedli- unserem Entwurf nachlesen. chen Regelungen für die einzelnen Sozialversiche- rungszweige führen zu einem gewaltigen Verwal- Meine Damen und Herren von der Mehrheitskoali- tungsaufwand, tion, Herr Bundesarbeitsminister, bisher heute haben Sie nichts, aber auch gar nichts getan, um dem Miß- (Leyla Onur [SPD]: Das ist falsch!) brauch einen Riegel vorzuschieben, also den Miß- und das wird unter dem Strich nichts bringen. Mal brauch zu beseitigen. Die SPD-Bundestagsfraktion gibt es einen Leistungsanspruch in einem Sozialver- ist sich ihrer sozialpolitischen Verantwortung bewußt und legt deshalb heute diesen Gesetzentwurf vor. sicherungssystem, mal gibt es keinen. In der Renten- versicherung ist eine individuelle Regelung vorge- Holen Sie auch Ihre sozialpolitische Verantwortung wieder von der Garderobe ab, und beschließen Sie sehen, wo minimale Rentenansprüche entstehen, wo aber andererseits Leistungsansprüche erwachsen, mit uns gemeinsam dieses überfällige Gesetz. besonders im Bereich von Reha. Danke schön. Ihre Regelungen führen - das muß ich Ihnen so (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE deutlich sagen - direkt in die Schwarzarbeit. Wenn GRÜNEN und der PDS) das, was Sie fordern, Wirklichkeit würde, dann wür- den viele mittelständische Betriebe im Einverständ- nis mit vielen Arbeitnehmern in Schwarzarbeit aus- Vizepräsident Dr. : Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Julius Louven. weichen. Dann fehlten auch noch die Steuereinnah- men.

Julius Louven (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Im übrigen sind diese Arbeitsverhältnisse nicht sehr verehrten Damen und Herren! Das Instrument völlig rechtlos. Die Arbeitnehmer haben nach dieser der geringfügig Beschäftigten ist seinerzeit einge- Regelung Anspruch auf Urlaub, auf Feiertagsbezah- führt worden, um dem Mittelstand die Möglichkeit lung, auf Lohnfortzahlung, auf Kündigungsschutz. zu geben, Auftragsspitzen abzufangen. Vom Mittel- Hier davon zu reden, sie seien völlig rechtlos, ist stand und von den Beschäftigten wird diese unkom- falsch. plizierte Regelung sehr geschätzt. Ich hätte beispiels- Wenn Sie uns eben vorgeworfen haben, Frau Kol- weise mein Geschäft nicht führen können, wenn es legin Onur, wir hätten unsere sozialpolitische Gesin- dieses Instrument nicht gegeben hätte. nung heute mit der Verabschiedung des Laden- Frau Onur, Sie reden davon, daß 4,5 Millionen schlußgesetzes an der Garderobe abgegeben, so muß Deutsche in ungeschützten Arbeitsverhältnissen ich dies zurückweisen. seien. Nun muß man wohl diese Zahl ein wenig zu- (Beifall bei der CDU/CSU) rechtrücken. In diesen 4,5 Millionen Beschäftigten ist sowohl derjenige mitgezählt, der im Jahr zwölfmal Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Wir arbeiten daran, 590 DM verdient, wie auch derjenige oder diejenige, den hier erkennbaren Mißbrauch zu beseitigen. Aber der oder die einmal im Jahr 100 DM verdient. Aus nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis: Wir stellen das diesem Grunde muß man mit der Zahl von Instrument nicht in Frage. Ihre Vorschläge lehnen 4,5 Millionen wohl vorsichtig sein. wir ab, weil sie zu kompliziert sind, weil sie nicht handhabbar sind. (Leyla Onur [SPD]: Die Zahlen sind aus dem BMA!) Sie können davon ausgehen, daß wir in absehbarer Zeit mit Vorschlägen kommen, die besser, handhab- Wir haben, als wir erkannten, daß es in diesem Be- barer sind, mit denen dann auch die mittelständische reich Mißbrauch gibt, in der Vergangenheit gehan- Wirtschaft und die 590-Mark-Beschäftigten leben delt. Wir haben die Meldepflicht eingeführt, wir ha- können. ben den Sozialversicherungsausweis eingeführt, wir haben die Betriebe verpflichtet, auch für diesen Be- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. reich Lohnunterlagen zu führen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich verkenne nicht, daß wir auch heute noch Miß- brauch haben. Insbesondere bekümmert es uns, daß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat offensichtlich auf Grund des großen Kostendrucks die Abgeordnete Annelie Buntenbach. die Unternehmen sozialversicherungspflichtige Ar- beitsverhältnisse in geringfügige umwandeln. Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- So ist dieses Instrument nicht gedacht, und wir ar- NEN): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her- beiten mit Nachdruck daran, um diesen Mißbrauch ren! Herr Louven, wir reden heute nicht zum ersten- hier verhindern zu können. Aber um es in aller Klar- mal in dieser Legislatur über geringfügige Beschäfti- heit zu sagen: Wir stellen das Instrument geringfü- gung. Wenn Sie jetzt sagen, Sie arbeiten mit Hoch- 10228 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Annelie Buntenbach druck daran, daß dieser Mißbrauch beseitigt wird, die Schmerzgrenze hinaus an der Zumutbarkeits- dann hätte ich eigentlich erwartet, daß schon lange schraube. Damit wollen Sie die Menschen zwingen, ein Vorschlag auf dem Tisch liegt; denn Sie wissen jede Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen. genau, daß dieses Problem wirklich drängend ist. In 590-DM-Jobs arbeiten zum größten Teil Frauen. (Julius Louven [CDU/CSU]: Wir sind noch Diese Beschäftigungsverhältnisse unterhalb der So- nicht fertig, Frau Kollegin!) zialversicherungspflicht werden immer mehr zu ei- Es war bis jetzt nicht nur die Opposition, die das nem systematischen Mittel von Personalplanung, ins- Problem zum Thema gemacht hat. Ich will zwei der besondere im Handel, in der Gebäudereinigung und Äußerungen, die in diesem Rahmen gefallen sind, im Gaststättengewerbe. Vollzeit- oder abgesicherte einmal zitieren. Teilzeitarbeitsplätze werden in Bruchteilbeschäfti- gungen zerlegt, und Neueinstellungen finden viel- Die erste: fach nur noch zu 590-DM-Konditionen statt, um von Die Lage von Frauen ist sehr verschieden. Schaf- Arbeitgeberseite die Sozialversicherungskosten zu fen wir nicht erneut Altersarmut für die nachfol- sparen. genden Frauengenerationen! Deswegen sage ich Gerade in der harten Konkurrenzsituation, in der abschließend noch einmal: Dieses Parlament zum Beispiel der Handel in Ostdeutschland mit be- kommt nicht umhin, sich mit den geringfügig Be- kanntlich 50 Prozent Überkapazität steht, wird an schäftigten zu befassen. Personal- und Sozialversicherungskosten und an der Ein zweites Zitat. Logistik gespart. Wer das nicht tut, sondern seine An- gestellten vernünftig absichert, hat in diesem Kon- Teilzeitarbeitsplätze sind sozialversicherungs kurrenzkampf von vornherein die schlechteren Kar- pflichtige Arbeitsplätze. Dem Mißbrauch der ge ten. ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse müssen wir entgegenwirken. Darin stimmen wir überein. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung, und Sie set- zen eine Dumpingspirale in Gang, wie sie sich ganz Das erste Zitat stammt von Frau Süssmuth aus deutlich im Einzelhandel zeigt. Dort hat sich in den einer Debatte anläßlich des Internationalen Frauen- letzten zehn Jahren schon die Zahl der geringfügig tages 1995, das zweite von Frau Ministerin Nolte an- Beschäftigten verdoppelt, und zwar zu Lasten von läßlich des Internationalen Frauentages 1996. Bevor sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. Sie jetzt am nächsten 8. März wieder in einer Sonn- Sie müssen hier endlich eingreifen und einen ord- tagsrede Zustände beklagen, die Sie ändern können, nungsrechtlichen Rahmen schaffen, mit dem Sie die sollten Sie endlich etwas unternehmen, um das Pro- Sozialversicherungspflicht für jede dauerhafte Be- blem zu lösen. schäftigung sicherstellen und in diesem Sinn für alle (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Unternehmen die gleichen Bedingungen herstellen. bei der SPD und der PDS) Das Mindeste ist aber, den Anreiz für die Unter- Statt dessen verschärfen Sie die brisante Situation nehmen zu beseitigen, auf diese für sie ja ungemein noch. Mit Ihrer Verlängerung der Ladenschlußzei- billigen Arbeitsverhältnisse zurückzugreifen. ten, die eben beschlossen worden ist, erreichen Sie nicht nur, daß die Konzentration im Einzelhandel (Julius Louven [CDU/CSU]: So billig sind sich weiter zuspitzt und daß dezentrale Versorgungs-- die nicht, Frau Kollegin!) strukturen zerstört werden, sondern es werden auch Faktisch läuft hier doch eine versteckte Dauersub- ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse ausgewei- vention dieser Unternehmen durch diejenigen, die tet. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche; spä- mit ihren Beiträgen das soziale Sicherungssystem fi- testens die Anhörung hat dies eindeutig ergeben. nanzieren; denn wenn bei den Unternehmen die So- Dabei ist das Problem jetzt schon riesengroß. Pre- zialversicherung eingespart wird, trägt die Folgeko- käre Beschäftigungsverhältnisse haben in den letz- sten für die mangelhafte Absicherung der Menschen ten Jahren - das hat Frau Onur schon dargestellt - er- die Allgemeinheit. schreckende Ausmaße angenommen. Dazu gehören Teilzeitarbeit, die nicht ausreichend abgesichert ist, Die Allgemeinheit und die Beschäftigten zahlen geringfügige Beschäftigung unterhalb der Sozialver- letztlich die Zeche. In solchen Arbeitsverhältnissen - sicherungspflicht, Scheinselbständigkeit, Heimar- das habe ich eben schon gesagt - sind zum allergröß- beit, Leiharbeit, unständige Beschäftigung usw. Der ten Teil Frauen beschäftigt. Sie haben keinen Zu- Billiglohnsektor wird von Ihnen aufgebläht, und die gang zu einer eigenständigen sozialen Absicherung. Flucht aus der Sozialversicherung wird zur Massen- Die Krankenversicherung läuft über das bekanntlich bewegung. unstabile Konstrukt des Familienernährers, so er denn vorhanden ist. Es gibt keine Mark für die Ar- Sie, meine Damen und Herren von den Regie- beitslosenversicherung und für Rentenansprüche. rungsfraktionen, unternehmen nichts dagegen. Im Für viele Frauen heißt das, im Alter auf Sozialhilfe Gegenteil, Sie fördern diese Entwicklung noch, in- angewiesen zu sein, anstatt eine eigene Rente zu be- dem Sie für all diese Formen von Beschäftigung kei- kommen. Dann wird ihnen die Rechnung für ihre nen vernünftigen Ordnungsrahmen schaffen, son- Doppelbelastung, die darin besteht, in dieser Gesell- dern mit Ihrem arbeitsrechtlichen Maßnahmenbün- schaft immer noch für Kindererziehung und Haushalt del weiter deregulieren. In dem AFG-Entwurf, den meist allein verantwortlich zu sein, noch einmal prä- Sie gestern eingebracht haben, drehen Sie weit über sentiert. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10229

Annelie Buntenbach Diesen Frauen nutzen auch keine großartigen und folgern dies aus der Zahl von 4,5 Millionen ge- Sonntagsreden oder hehre Absichtserklärungen, wie ringfügig Beschäftigten. Dieselbe Zahl haben Sie auch dieses Haus sie schon abgegeben hat, als er- auch 1994 schon angeführt. klärt wurde, durch einen Zugang zu eigenständiger (Leyla Onur [SPD]: Das tut Herr Blüm sozialer Absicherung zur Gleichstellung von Frauen auch!) in der Gesellschaft beitragen zu wollen. Dann tun Sie es endlich! Zumindest gibt es also keinen Zuwachs in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bereich. und bei der SPD) Von „Mißbrauch" spricht die Bundesregierung - Vorschläge aus den Reihen der Opposition liegen korrekterweise - in ihrer Antwort auf die von meiner auf dem Tisch, als einen Schritt hin zur eigenständi- Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger unter- gen sozialen Absicherung von Frauen die Geringfü- zeichneten Kleinen Anfrage dagegen nur in zwei Fällen: dann nämlich, wenn offiziell nur eine gering- gigkeitsgrenze bis auf eine Bagatellgrenze abzu- fügige Beschäftigung vereinbart wird, verdeckt aber schaffen. Die Wege unterscheiden sich. Daß ich un- höhere Entgelte geleistet werden, oder wenn ein Ar- seren Ansatz für den besseren halte, wird Sie kaum beitnehmer mehrere geringfügige Beschäftigungen wundern. hat, aber gesetzeswidrig keine Sozialversicherungs- Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, abgaben abführt. stellen mir in Ihrem Antrag die Sanierung der Sozial- kassen zu sehr in den Vordergrund, wenn Sie trotz Auch hinsichtlich der exakten Zahlen herrscht Un- gezahlter Sozialversicherungsbeiträge eine Reihe klarheit. Wie Sie auf 4,5 Millionen kommen, weiß ich von gerade für die Frauen wichtigen Ansprüchen nicht. wie das Auffüllen von Anwartschaftszeiten für die (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Die konnten doch Rente aus den Leistungen ausschließen. Wenn einge- noch nie rechnen! - Leyla Onur [SPD]: Das zahlt wird, kann man die Leute nicht aus solchen Bundesarbeitsministerium hat die gegeben!) zentralen Leistungen ausschließen. Der Mikrozensus von 1990 beziffert die Zahl der aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließlich geringfügig Beschäftigten, also ohne Ne- und der PDS) bentätigkeitsverhältnisse, auf 1,5 Millionen. Der Mi- Aber darüber werden wir uns in den Ausschußbera- krozensus von April 1994 nennt - ohne die Nebentä- tungen genauer auseinandersetzen. tigkeiten - 1,8 Millionen. Die Bundesregierung, die diesen Zahlen unerklärlicherweise ebenfalls miß- Eine wesentliche Sache haben die Oppositionspar- traut, geht von 2,9 Millionen aus. Vielleicht ließen teien in diesem Hause der Regierung voraus, näm- sich diese Widersprüche einmal aufklären. lich die Grundentscheidung: Wir wollen jede dauer- hafte Beschäftigung sozialversichern. Was ist nun überhaupt der Grund dafür, daß die SPD die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in Meine Damen und Herren von den Regierungs- die Sozialversicherungspflicht überführen will? Inter- fraktionen, jetzt sind Sie dran: Lassen Sie Ihren Sonn- essant ist, daß Sie gar nicht sozialpolitisch argumen- tagsreden endlich praktische Politik folgen. tieren. Sie behaupten, es gehe Ihnen um die Wettbe- auf dem Arbeitsmarkt. Offensicht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- werbsneutralität lich hat sich inzwischen auch bei Ihnen die Erkennt- und bei der SPD) -nis durchgesetzt, daß die Einbeziehung der 590 Mark-Verträge in die Sozialversicherungspflicht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das sozialpolitisch nicht nur nicht geboten, sondern ge- Wort der Abgeordneten Dr. Gisela Babel. radezu schädlich ist. Dazu lassen Sie mich einiges sa- gen. Dr. Gisela Babel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Zunächst einmal: „Ungeschützte Arbeitsverhält- sehr verehrten Damen und Herren! Mindestens ein- nisse"- ist der falsche Ausdruck. Die in 590-Mark mal pro Legislaturperiode bittet die SPD den Bundes- Verträgen Beschäftigten unterliegen - das wissen tag um Zustimmung zur Sozialversicherungspflicht Sie - voll den Schutzbestimmungen des Arbeits- für 590-Mark-Verträge. Diesen Entwurf haben wir rechts. fast wortgleich im Jahre 1994 beraten und dazu eine (Beifall bei der F.D.P.) Anhörung im Ausschuß durchgeführt. Die Stellung- nahmen der Verbände, der Versicherungen und vor Die Einbeziehung in die Versicherungspflicht für allem der Sachverständigen waren durchweg ableh- Arbeitnehmer darüber hinaus ist in keinem Punkt er- nend. Das hindert Sie aber nicht, tapfer immer wie- strebenswert. Beispiel Krankenversicherung: Ge- der dasselbe zu versuchen. rade einmal 1 Prozent der sozialversicherungsfrei Be- schäftigten genoß 1992 keinen Krankenversiche- - (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Nicht lernfähig! rungsschutz. Alle anderen waren familienversichert, Onur [SPD]: Weil es richtig ist und Leyla als Studenten oder Rentner versichert oder anderwei- auch richtig bleibt!) tig abgesichert. Dabei sprechen und schreiben Sie von „Mißbrauch" Die SPD sieht in ihrem Gesetzentwurf daher vor, (Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]:Und Sie for daß eine Abgabe an die Krankenversicherung dann dern dies!) zu zahlen ist, wenn der Betroffene anderweitig versi- 10230 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Dr. Gisela Babel chert ist. Auf diesen Punkt möchte ich Ihre beson- Zum Schluß möchte ich insgesamt zu dem Gesetz- dere Aufmerksamkeit lenken. Also: Man soll versi- entwurf Stellung nehmen. Es ist ein kleines Segment. chert werden, wenn man schon versichert ist. Arbeit sollte in unserem Staat frei von Abgaben und Versicherungsbeiträgen sein. Sicher, wir haben die (Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das macht 20prozentige Lohnsteuer. Wir haben die Verträge doch keinen Sinn!) durch Bedingungen schon eingeengt. Die Insel der So werden zum Beispiel Millionen von Hausfrauen, Freiheit ist also ganz klein. Aber diejenigen, die die bisher voll familienversichert sind, plötzlich abga- diese Beschäftigungsform nutzen, drängen darauf, bepflichtig, ohne daß sich an ihrem bisherigen Versi- daß es so bleibt. Es ist ein dringender Appell der Ar- cherungsschutz nur das Geringste ändert. Es entste- beitgeber. Es ist auch ein dringender Appell zum Bei- hen zwar zusätzliche Beiträge, aber keine zusätzli- spiel der Unternehmerinnen, die die Parlamentarier chen Leistungen. Hier wird unter dem sozialpoliti- zu Gesprächen eingeladen haben. Hören wir bitte schen Deckmäntelchen schlicht abkassiert. damit auf, Ameisen melken zu wollen, und lassen wir die 590-DM-Verträge unangetastet! Beispiel Rentenversicherung: Alle geringfügig Be- schäftigten sollen in die Versicherungspflicht einbe- Vielen Dank. zogen werden. Begründung: Jede noch so geringe (Beifall bei der F.D.P.) Aufstockung der Altersversorgung ist erstrebens- wert. Sie wissen, daß man den Frauen mit einem sol- chen Rentenanspruch gerade einmal 30 DM im Mo- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das nat gibt. Die Auffassung, daß das der sozialpolitische Wort der Abgeordneten Petra Bläss. Durchbruch zu der eigenständigen Sicherung der Frau sein kann, ist doch wohl schlicht daneben. Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne nen und Kollegen! Die Plazierung dieser Aussprache ten der CDU/CSU) zur Beseitigung des Mißbrauchs der Geringfügig- keitsgrenze und zur Sozialversicherungspflicht jeder Auch wir glauben, daß das Thema Alterssicherung dauerhaften Beschäftigung ist zweifellos symbolisch. der Frauen angegangen werden muß, aber doch Mich macht nicht nur das vorherige Abstimmungser- nicht bei diesen Minibeschäftigungsverträgen. Es da gebnis wütend, sondern vor allem auch die dürftige hineinzuziehen, ist meiner Ansicht nach reine Nebel- Anwesenheit bei dieser Debatte. Sie zeugt davon, werferei. Bei diesen kleinen Verträgen bringt das daß man sich weigert, sich mit den Konsequenzen ganz bestimmt nichts; da ist das Porto, das man auf- der Entscheidung, die getroffen worden ist, ausein- bringen muß, um die Beiträge abzuführen, ja fast anderzusetzen. schon höher als die Leistung. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der PDS) Wie wäre es denn nun, wenn das Gesetz der SPD Vorhin wurde mit der Annahme des Ladenschluß in Kraft träte? Sie sprechen selbst von einer internen gesetzes der Weg für eine unermeßliche Zergliede- Umschichtung der Sozialversicherungsbelastung in rung der Arbeit frei gemacht. Zu Recht haben Ge- einem Volumen von 6,9 Milliarden DM. Das soll eine werkschafterinnen und Gewerkschafter davor ge- Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge- ermög- warnt, daß eine Verlängerung der Ladenöffnungszei- lichen. Das ist Ihre Version. ten zur massenhaften Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeit- und vor allem in 590- bzw. 500-DM-Jobs für Zunächst einmal: Von Umschichtung kann über- Frauen führen wird. haupt nicht die Rede sein. Sie verteuern die Arbeit einfach. Das ist Ihr Beitrag zur Entlastung von Arbeit. Wenn DAG-Chef Roland Issen in diesem Zusam- menhang darauf verweist, daß mit den heutigen 590- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) DM-Arbeitskräften die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger der Zukunft geschaffen werden, so Zum zweiten: In die Sozialkassen spülen Sie nur stößt uns das unmittelbar auf das Thema Altersar- dann mehr Geld - hören Sie gut zu -, wenn sich an mut. „ Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine ei- der Zahl der versicherungspflichtigen Verhältnisse genständige Alterssicherung von Frauen" - dieses nichts ändert, das heißt, wenn das Volumen erhalten Thema werden wir ja in einigen Stunden diskutieren. bleibt. Bezeichnend ist, daß das Gesetz, das die Ursachen Aber jetzt mache ich Sie auf eines aufmerksam: von Armut produziert, von der Regierungskoalition Für den Arbeitgeber, der heute schon 20 Prozent kommt, und die Initiativen zu deren Beseitigung al- Lohnsteuer zahlt - er muß also schon 120 DM abfüh- lein der Opposition vorbehalten sind. „Tendenz stei- ren -, würden noch einmal 20 Prozent, also weitere gend" lautet das einmütige Analyseergebnis von Un- 120 DM fällig. Für die Arbeitnehmer wären es tersuchungen zum Ausmaß prekärer Beschäftigungs- 370 DM statt 590 DM. Ich prophezeie Ihnen daher, verhältnisse. Insofern ist jede Initiative, etwas gegen daß die einzige Folge die sein wird, daß der Bundes- die Ausweitung und den Mißbrauch von geringfügi- arbeitsminister verlautbaren muß, daß es eine Explo- ger Beschäftigung zu tun, begrüßenswert. sion bei der Schwarzarbeit gibt. Es wird solche Ver- träge in diesem Volumen nicht mehr geben, weil sie Ich finde es schon symbolisch, daß unsere Frauen- einfach zu teuer sind. ministerin einzig und allein zur Abstimmung zum La- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10231

Petra Blass denschlußgesetz hierherkommt und genau bei dieser Als kontraproduktiv sehen wir allerdings die Kop- Debatte den Raum wieder verläßt, pelung der Versicherung jeder dauerhaften Beschäf- tigung an die Errichtung eines Dienstleistungspools (Beifall bei der PDS und der SPD) an. Anstatt Bedingungen für eine Verbindung von Berufstätigkeit und Familienarbeit zu schaffen, legiti- obwohl sie nach der Weltfrauenkonferenz in Peking keine Gelegenheit ausgelassen hat, in jeder Sonn- miert die Dienstmädchenoffensive den weiteren tagsrede darauf hinzuweisen, daß einer ihrer Rückzug des Staates aus öffentlichen Dienstleistun- Schwerpunkte ist, den Mißbrauch mit ungeschützten gen wie den Abbau kommunaler und bet rieblicher Beschäftigungsverhältnissen abzubauen. Dienstleistungsangebote. (Beifall bei der PDS) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die taucht doch immer ab, wenn es um Frauen geht!) Die traditionelle geschlechtsspezifische Rollenzu- weisung wird damit zementiert. Heraus kommt ein Allerdings bezweifeln wir, daß das Anliegen mit skurriles Erwerbsarbeitsmodell: Die eine Hälfte der den Vorschlägen des SPD-Gesetzentwurfs erreicht Gesellschaft ermöglicht mit billiger Arbeit und Ver- werden kann, wenngleich wir mit dem Grundanlie- zicht der anderen Hälfte die Teilnahme an Wettbe- gen übereinstimmen. Wir haben eher den Eindruck, werb und Konsum. Das soll nun der moderne Weg in daß das Sozialversicherungssystem damit noch mehr das 21. Jahrhundert sein? Ich nenne das antiquiert. verkompliziert wird und die Transparenz für die Ver- sicherten völlig auf der Strecke bleibt. Geringfügige Beschäftigung muß unseres Erach- tens für Beschäftigte sicher und für Arbeitgeber unlu- (Julius Louven [CDU/CSU]: Ja, Frau Onur!) krativ gemacht werden. Dazu schlägt die PDS in ih- rem Grundsicherungsantrag neben der Versiche- - Herr Louven, wir können darüber ja noch reden. rungspflicht für jede Stunde Arbeit die alleinige Tra- Das ist erst einmal ein Vorschlag. Sie haben einen gung beider Beitragsanteile durch den Arbeitgeber solchen Vorschlag nicht gemacht. vor, wenn der Verdienst des Beschäftigten bzw. der Wenn Sie die Geringfügigkeitsgrenze zwar ab- Beschäftigten unter dem Existenzminimum bleibt. schaffen, aber zwischen der neu eingeführten Baga- tellgrenze und der ehemaligen Geringfügigkeits- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Sie müssen grenze besondere Versicherungsverhältnisse schaf- zum Schluß kommen. fen, ist das wohl wenig hilfreich. Für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversiche- Petra Bläss (PDS): Der letzte Satz: So könnte ein rung soll nur der Arbeitgeber Beiträge zahlen, was Stimulus geschaffen werden, daß Arbeit nicht, wie damit begründet wird, daß bis auf das Unterhaltsgeld bisher, weiter zergliedert wird, sondern reguläre Ar- keine Leistungsansprüche entstehen. Bei der Ren- beitsverhältnisse bestehen bleiben oder entstehen. tenversicherung sollen beide, Arbeitgeber und Ar- (Beifall bei der PDS) beitnehmer, Beiträge entrichten, gerade aber die Ele- mente des Rentenrechts, die für Frauen einen gewis- sen Ausgleich für Diskriminierungen bringen, wie Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe dem zum Beispiel die Rente nach Mindestentgeltpunkten Abgeordneten Peter Dreßen das Wo rt. - und der Rentenbeginn mit 60 Jahren, nicht aktiviert werden. Die Kollegin Buntenbach hat auf diesen Peter Dreßen (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Knackpunkt schon verwiesen. und Herren! Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf, den meine Kollegin Onur erläutert hat, wieder einen Ihr Gesetzentwurf bringt vor allem mehr Geld in Rechtszustand herstellen, der einen Mißstand besei- die Kassen der Sozialversicherung und sichert nicht tigen soll und wieder mehr Gerechtigkeit schaffen vorrangig die prekär Beschäftigten. Damit verharrt wird. der Gesetzentwurf in der einst angedachten Struktur, bei der man davon ausging, daß geringfügige Be- Niemand konnte erahnen, daß die Subventionen schäftigung eine zusätzliche Beschäftigung von be- von Arbeitsplätzen dieses Ausmaß annehmen wür- reits Versicherten ist, also eine Ausnahme in der So- den. - Frau Babel ist leider schon weg. zialversicherung darstellt. Mittlerweile aber hat sich (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie läßt sich entschul die geringfügige Beschäftigung zum Regelfall von digen; sie mußte dringend weg! Ich sage es Arbeitsbeziehungen und Preiskalkulationen in ver- ihr aber gern weiter!) schiedenen Wirtschaftsbereichen entwickelt. - Ich habe Verständnis dafür, daß man zu dieser Zeit Herr Kollege Louven, sicher ist die Gruppe der ge- nicht mehr anwesend ist. Ich wollte ihr nur sagen - ringfügig Beschäftigten äußerst heterogen. Entschei- sie hat die Zahlen bezweifelt -, daß die Zahl dend aber ist, daß für rund 1 Million Frauen in die- 4,5 Millionen von Staatssekretär Günther auf eine sem Land diese Arbeit die einzige Erwerbsquelle ist. Frage der Kollegin Löwisch hin hier im Parlament ge- nannt wurde; das ist in Drucksache 13/3094 nachzu- Insofern reflektiert der Antrag von Bündnis 90/Die lesen. Man sollte diese Zahlen also nicht bezweifeln Grünen die bestehende Situation. Für die Beschäftig- und damit Nebenkriegsschauplätze eröffnen. ten, für die kein anderes Arbeitsverhältnis zustande kommt, soll ein normaler Zugang zur Sozialversiche- Erstens: Hier wird auf dem Rücken der Beschäftig- rung ermöglicht werden. ten das Solidaritätsprinzip bei den Sozialversicherun- 10232 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Peter Dreßen gen schamlos eklatant verletzt. Zweitens findet eine setz; die früheren Umwelt-Arbeitsbeschaffungsmaß- Selbstausbeutung der Arbeitnehmerinnen und Ar- nahmen, wobei für 100 Prozent Arbeit 80 Prozent beitnehmer statt. Drittens subventioniert der Staat, Lohn gezahlt werden; die Verschärfung der Zumut- also wir alle, Arbeitsverhältnisse in ungeahntem Aus- barkeitskriterien für Arbeitslose, die dazu führt, daß maß. Beschäftigte Arbeit unter Ta rif annehmen müssen. Die forcierte Heranziehung von Sozialhilfeempfän- Wer also dauernd davon spricht, daß Subventionen gern für gemeinnützige Arbeit führt zwangsläufig abgebaut werden müssen, der hat hier die einmalige dazu, daß reguläre Arbeitsverhältnisse kaputtgehen. Chance, Taten folgen zu lassen. Dabei schaue ich in Gartenbauunternehmen haben dazu einige Briefe Richtung F.D.P. Es ist doch ein Unding, daß viele Ar- geschrieben. Wer sich diesem Lohndumping entzie- beitgeber nach dem Motto handeln: Teile einen Voll- hen will, der wird mit Sperrzeiten belegt und von der arbeitsplatz in drei sogenannte 590-DM-Jobs auf, CDU als jemand, der in der sozialen Hängematte und du hast viel Geld gespart! liegt, verteufelt. Das Zitat von Frau Nolte wurde hier schon er- wähnt. Obwohl diese Erkenntnis nicht neu ist, frage (Julius Louven [CDU/CSU]: Nur dann, ich mich: Wann tut die Regierung eigentlich etwas? wenn er nicht arbeiten will!) Herr Louven hat hier verkündet, daß schon einiges getan worden ist. Das aber, was getan worden ist, er- Wie wir gestern in diesem Hohen Hause vernom- innert mich an den Feuerwehrmann, der mit einem men haben, wird alles durch das neue Arbeitslosen- Eimer Wasser auf eine komplett brennende Scheune katastrophengesetz, von Ihnen als Reform des Ar- zuläuft. beitsförderungsgesetzes umschrieben, nur noch ver- (Beifall bei der SPD) schärft. Arbeitslose mit geringen Vermittlungschan- cen sollen benutzt werden, um noch Beschäftigte mit Sie haben nämlich mit dem, was Sie bisher getan ha- geringer Qualifikation beim Lohn unter Druck zu set- ben, wirklich nichts erreicht, um diesen Mißstand zu zen. beseitigen. Wenn man einen Mißbrauch erkennt, dann muß man ihn doch abstellen dürfen. Diesen Zusammenhang muß man sehen, wenn „Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besse- man die Praxis der 590-DM-Jobs diskutiert und de- rung" sagt ein Sprichwort. battiert. Von solchen Niedriglöhnen sind in erster Li- nie Frauen und Männer mit einfacher oder fehlender (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das Berufsausbildung betroffen. ist ein kluges Wort!) Aber selbst solche Binsenweisheiten treffen auf diese Ihre Politik führt zur Segmentierung, man könnte Regierung leider nicht zu. auch sagen: zur Spaltung der Gesellschaft. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Sekunde. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Meine Herren Geschäftsführer, der Redner hat Herrn und der PDS) Louven angesprochen, und Sie verdecken ihn. Das finde ich nicht so gut. Am Ende haben wir auf der einen Seite diejenigen, die in kreativen, hochproduktiven und gut bezahlten Bitte, fahren Sie fort. - Bereichen 40 Stunden und länger arbeiten, denen aber zugleich die Zeit fehlt, sich um ihre Kinder zu Peter Dreßen (SPD): Sie beschneiden mit Ihrem kümmern - deswegen die Änderung der Laden- Horrorkatalog die Sozialleistungen, weil die Zahl der schlußzeiten und ähnliches -, die sich also am gesell- Beitragszahler durch die hohe Arbeitslosenquote im- schaftlichen Leben nicht beteiligen können. Auf der mer weiter sinkt, statt darüber nachzudenken, wie anderen Seite stehen alle diejenigen, die auf Billig- man ein Stück mehr Gerechtigkeit schaffen kann. jobs angewiesen sind. Auch sie können am gesell- Mit der Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf kä- schaftlichen Leben nicht teilnehmen, und zwar, weil men Sie der Gerechtigkeit ein Stück näher. ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Wenn ich mir Ihre Standortberichte anschaue, muß ich immer wieder feststellen: Sie betonen, daß Ihnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer ein Dorn im ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Auge sei. Nach Ihrer Logik sind die Löhne für eine und der PDS) Steigerung der Beschäftigung zu hoch. Da Sie noch nicht - ich sage: noch nicht; bei der F.D.P. würde ich Dies läuft wiederum auf eine Teilung der Gesell- dieses „noch nicht" weglassen - in die Tarifautono- schaft in die da oben, die reich sind, und in die da mie eingreifen wollen oder können oder sich noch unten, die arm sind, hin. nicht trauen, arbeiten Sie mit Hochdruck daran, die Rahmenbedingungen so zu verändern, daß der Ich will Ihnen noch etwas sagen, Herr Louven: Druck auf die Beschäftigten zunimmt. Schauen Sie sich einmal an, was in den USA passiert. Dort gibt es Stadtviertel, in denen 20 Sheriffs ein Dazu gehört der rasante Anstieg der Zahl von 590- Wohngebiet bewachen müssen und in denen ein DM-Jobs. Weitere Beispiele, die dieser Logik folgen, paar Bodyguards die Kinder in die Schule bringen. sind: das lasche Verfolgen von illegaler Beschäfti- Auf einen solchen Staat möchte ich verzichten; in gung einschließlich des Debakels beim Entsendege eine solche Richtung möchte ich nicht. Genau das er- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10233

Peter Dreßen reichen Sie aber, wenn Sie weiterhin zulassen, daß Für uns Sozialdemokraten ist es unerträglich, daß die Arbeitsplätze in dieser Weise geteilt werden. normale Arbeitsverhältnisse permanent vernichtet werden, um die vorhandene Arbeit mit den geringfü- (Julius Louven [CDU/CSU]: Neulich hat gigen Beschäftigungsverhältnissen zu erledigen. An- Herr Lafontaine hier auf Amerika verwie gesichts von 4,3 Millionen registrierten Arbeitslosen sen!) ist es an der Zeit, daß Sie handeln. Ich will kein neues Zeitalter, in dem Herrschafts- (Uwe Lühr [F.D.P.]: Welch ein Dünnbrett häuser und Dienstboten wieder die Regel werden. bohrer!) Statt gut bezahlte Arbeit zu teilen bzw. für Solidarität zwischen den Einkommensgruppen von seiten des Über 4,5 Millionen geringfügig Beschäftigte sind ein Staates zu sorgen, forcieren Sie die Teilung der Ge- Skandal. Ich frage mich: Wie wollen Sie die Arbeits- sellschaft. Wir müssen deshalb Rahmenbedingungen losigkeit denn wirksam bekämpfen? Uns werfen Sie setzen, die solche Ausuferungen verhindern. Dazu immer vor, wir hätten keine Konzepte. gehört, daß wir alle Beschäftigungsverhältnisse, von geringen Ausnahmen abgesehen, wieder sozialversi- (Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist wenigstens -cherungspflichtig machen. Die heutigen 590-DM wahr!) Jobs werden von einigen - ich sage bewußt: von eini- Dieses Gesetz würde dafür sorgen, daß mindestens gen - Arbeitgebern genutzt, um Voll- oder abgesi- einige 100 000 sozialversicherungspflichtige Beschäf- cherte Teilzeitarbeitsplätze zu vernichten. Dies zu tigungen entstehen. Wenn Sie uns beim Entsendege- verhindern ist für uns der wichtigste Aspekt für die setz gefolgt wären, hätten wir jetzt 150 000 Beschäf- Vorlage unseres Gesetzentwurf es. tigte mehr und weitere 100 000, wenn Sie uns bei der Überstundenregelung folgen würden. Wenn Sie un- Betroffene sind in großem Ausmaß - das habe ich seren ASFG-Entwurf übernehmen würden, kämen schon erwähnt - die Frauen. Es wird oft gesagt: In Sie noch einmal auf 500 000 Beschäftigte. der Ehe ist man ja mitversichert. Sie vergessen aller- dings, Herr Louven, daß es heute sehr viele alleinste- Sie sehen: Wir haben Konzepte. Wir sind sicher, hende Frauen gibt. Auch Trennungen führen dazu, daß diese Konzepte irgendwann von der Bevölke- daß Frauen nicht mitversichert sind. Sie müssen in rung anerkannt werden und wir den Rückhalt erhal- diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, daß ten, diese Gesetze durchsetzen zu können. es Personen gibt, die diese Mitversicherung haben. Aber haben Sie sich einmal gefragt, ob es solidarisch (Beifall bei der SPD) ist, wenn Sie diese Leute aus der Sozialversiche- rungspflicht herausnehmen? Wir haben doch den Ich möchte zum Schluß noch ein Wort an den Bun- Grundsatz, daß jeder, der arbeitet, seinen Anteil an desarbeitsminister richten. Er ist zwar nicht da, aber der Sozialversicherungspflicht erbringen muß. Ge- vielleicht kann er es im Protokoll nachlesen. nau dem widersetzen Sie sich permanent. (Julius Louven [CDU/CSU]: Der Stellvertre ter ist da!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) - Ja, der Stellvertreter ist anwesend.

Die bisherigen Bemühungen zur Vermeidung- der Ich bin tief betroffen über die vielen Schweine- Altersarmut von Frauen, etwa durch Kindererzie- reien, die der Bundesarbeitsminister beim Zurück- hungszeiten, laufen meines Erachtens ins Leere. Sie schneiden der vielen sozialen Gesetze hier vertritt. würden mit der Annahme des Gesetzentwurfs diese Altersarmut zumindest mildern. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ungeheu erlich!) Die geringfügige Beschäftigung hat trotz einiger gewerkschaftlicher Erfolge für die Betroffenen mehr Ich bin betroffen darüber, wie er das alles immer wie- Nachteile als Vorteile. Ich darf nur daran erinnern, der verkauft, und ich frage mich, ob der Bundesar- daß es oft noch immer keine Lohnfertzahlung im beitsminister am Morgen noch in den Spiegel sehen Krankheitsfall gibt und daß der Urlaub sehr häufig kann. Eigentlich wäre es notwendig, daß er seinen nicht gewährt wird, obwohl es Tarifverträge gibt. Wir Hut nimmt; denn was er der deutschen Arbeitneh- wissen, daß es in der Praxis eben anders läuft; denn merschaft zumutet, ist ein Unding. selten werden bei diesen Arbeitsverhältnissen Kon- (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Das trollen durchgeführt. Es gibt immer noch riesige glauben Sie doch selber nicht!) Nachteile. - Doch, Frau Schnieber-Jastram. Ich bin der Meinung, daß von der Partei der Bes- serverdienenden, der F.D.P., nicht zu erwarten ist, daß sie dem Gesetz zustimmt. Aber ich bin schon Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege stark enttäuscht, wie sich die CDU in dieser Angele- Dreßen, Ihre Redezeit ist bei weitem überschritten. genheit verhält: Ich glaube, angesichts der Entwick- Sie müssen zum Schluß kommen. lung der CDA würde sich Adolf Kolping im Grabe umdrehen. Peter Dreßen (SPD): Ja, ich bin gleich fertig. - Ich (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Uwe wollte nur sagen: Wenn jemand mit Sozialgesetzen Lühr [F.D.P.]: Sie sind ein Kleingeist!) so umgeht, wie der Bundesarbeitsminister, dann hat 10234 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Peter Dreßen er es einfach nicht verdient, sich Sozial- und Arbeits- Es ist ja so, daß die arbeitsrechtliche Lage der ge- minister dieser Republik zu nennen. ringfügig Beschäftigten weitgehend derjenigen der Vollbeschäftigten entspricht. In der gesetzlichen Un- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE fallversicherung sind sowieso alle erfaßt. Wie Frau GRÜNEN und der PDS) Babel ausgeführt hat, sind insgesamt 99 Prozent krankenversichert, wenn auch, zum Beispiel als Hausfrau, in erster Linie über den Ehemann. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich geben das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Rudolf Meine sehr verehrten Damen und Herren, man Kraus. muß auch sagen, was bei der Rentenversicherung passiert. Die Auffassung, man könne, indem man derartige geringfügige Beschäftigungsverhältnisse Rudolf Kraus, Parl. Staatssekretär beim Bundes- der Rentenversicherungspflicht unterwirft, einen we- minister für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsi- sentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Altersarmut dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr leisten, ist falsch. Wenn Sie geringfügig mehr als Dreßen, ich werde gern dem Herrn Bundesarbeitsmi- 82 DM verdienen, würden Sie einen Rentenanspruch nister über Ihre Rede berichten. Ich bin nur nicht von monatlich 1 DM oder etwas weniger erwerben. sicher, welches von beiden ich ihm sagen soll: daß Wenn Sie 590 DM rentenversicherungspflichtig ma- Sie sehr betroffen oder aber sehr beeindruckt waren chen, dann erwerben Sie einen Rentenanspruch von von der Art und Weise, wie es dem Bundesarbeits- 6,40 DM. Damit können Sie die Altersarmut nicht minister immer wieder gelingt, darzulegen, wie die wirksam bekämpfen. wohlverstandenen Interessen der deutschen Arbeit- nehmer hier im Parlament zu vertreten sind. Etwas anders ist das bei dem, was wir mit der An- erkennung der Erziehungszeiten gemacht haben. (Peter Dreßen [SPD]: Betroffen!) Dadurch wird immerhin pro Jahr ein Rentenan- spruch von derzeit etwas über 34 DM monatlich er- Sie haben das Thema, welches wir heute diskutie- worben. ren, sehr weit gefaßt, Herr Dreßen. Unter anderem haben Sie darauf hingewiesen, daß wir das Entsen- Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob degesetz nicht gut gemacht hätten. Ich sage Ihnen diese Versicherungspflicht ein wesentlicher Beitrag eines: Ich glaube, wir haben beim Entsendegesetz zur Konsolidierung der Sozialkassen wäre. Auch das gemacht, was notwendig ist. Daß es Schwierig- das wird sich vermutlich als nicht richtig herausstel- keiten gibt, das hat nicht die Politik zu vertreten. Das len, weil nämlich den geringen Beitragsleistungen wissen auch Sie. ganz erhebliche Leistungsverpflichtungen der Sozialversicherung gegenüberstehen würden. Ich Ich denke, daß es nicht im Interesse der Sozialde- denke hier nur an die Kuren und derartige Dinge, die mokraten wäre, massiv in die Tarifautonomie einzu- in einem Mißverhältnis zu dem geleisteten Beitrag greifen. Das wird auch meines Erachtens immer we- stehen würden. niger gefordert. Die weitgehende Abschaffung derartiger Arbeits- Ihre Vorstellung, daß wir Leute, die jung und ge- verhältnisse - das wurde insbesondere auch von sund sind und nicht durch Erziehungspflichten abge- Herrn Louven ausgeführt - würde insbesondere im halten werden, einer Arbeit nachzugehen, die aber Bereich der mittelständischen Betriebe in vielen trotzdem Sozialhilfe bekommen, in besonderer Weise Branchen zu ganz erheblichen Schwierigkeiten füh- schonen sollten, liegt, glaube ich, nicht im Interesse ren. der ganz großen Mehrheit unseres Volkes, die sehr Ganz besonders wichtig ist die Tatsache, daß, wie wohl bereit ist, Opfer auf sich zu nehmen und für wir aus Umfragen wissen, die Betroffenen selber gar sich selber zu sorgen. Ich denke, diese Teilung kön- kein Interesse daran haben, sozialversicherungs- nen wir, falls Sie das so aufgefaßt haben sollten, pflichtig beschäftigt zu werden. Das gilt jedenfalls durchaus vertreten. für den größeren Teil derer, die befragt worden sind. Im übrigen haben Sie einen Gesetzentwurf vorge- Wir sind übrigens nicht gegen jede Änderung, son- legt, zu dem meine Vorredner bereits festgestellt ha- dern wir denken nur, daß die Änderungen wirklich ben, daß er im wesentlichen ein Aufguß dessen ist, durchdacht sein und sehr behutsam vorbereitet wer- was bereits im Jahre 1984 und früher gesagt worden den müssen. Auf dem Papier, Herr Dreßen, läßt sich ist. Daß zwischenzeitlich eine Anhörung stattgefun- alles mögliche lösen, aber ich glaube, es ist Aufgabe den hat, die sehr differenzie rte Ergebnisse gebracht der Politik, das Mögliche und Sinnvolle zu verwirkli- hat, nehmen Sie offenbar überhaupt nicht zur Kennt- chen. Ich muß mir bei jeder politischen Maßnahme nis. Man fragt sich, warum dera rtige Anhörungen überlegen, was am Ende dabei herauskommt. Wenn dann überhaupt gemacht werden. die Alternative weniger Beschäftigung ist, weil ver- schiedene Arbeiten dann, wenn sie zu teuer gemacht Sie versuchen hier den Eindruck zu erwecken, als werden, nicht mehr nachgefragt werden oder weil ob die Tatsache, daß jede Beschäftigung mit einem die Betroffenen in Illegalität oder Schwarzarbeit aus- Betrag von mehr als 82 DM bzw. mehr als 70 DM in weichen, dann komme ich zu dem Schluß, daß sich den neuen Ländern prinzipiell versicherungspflichtig das, was ich vielleicht gut gemeint will, zum Schlech- gemacht würde, ein ganz großer Schritt in Richtung teren wenden wird. auf sozialen Schutz der Betroffenen wäre. Das glau- ben wir nicht. (Beifall bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10235

Parl. Staatssekretär Rudolf Kraus Die Bundesregierung hat übrigens immer wieder b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- gesagt - sie ist auch darum besorgt -, daß wir die mit brachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Sicherheit stattfindenden Mißbräuche beseitigen Änderung des Asylverfahrensgesetzes müssen. Wir sind dabei, eine entsprechende gesetzli- - Drucksache 13/3331 - che Regelung vorzulegen. Auf die Maßnahmen, die Überweisungsvorschlag: wir bereits hinsichtlich des Sozialversicherungsaus- weises, der Meldepflicht und ähnlicher Dinge getrof- Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß fen haben, hat Herr Louven schon ausreichend hin- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewiesen. c) Erste Beratung des von der Abgeordneten Ich möchte nur noch auf einen Punkt kurz zu spre- Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS ein- chen kommen: Sie wissen ja, daß wir derzeit versu- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur chen, eine Regelung für die Förderung sozialversi- Änderung des Ausländergesetzes cherungspflichtiger Beschäftigung in Privathaushal- ten zu verwirklichen. Die Rahmenbedingungen sol- - Drucksache 13/3626 - len deutlich verbessert werden. Das soll durch die Überweisungsvorschlag: Verdoppelung der steuerlich anrechenbaren Beträge Innenausschuß (federführend) auf der einen Seite und durch den Wegfall bisher be- Rechtsausschuß stehender behindernder Regelungen auf der ande- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ren Seite geschehen. Das wollen wir arbeitgeber- freundlich und verwaltungsfreundlich durch das d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Haushaltsscheck-Verfahren gestalten. Ich denke, das rung eingebrachten Entwurfs eines Vierten wird sehr viel dazu beitragen, das Problem, das Gesetzes zur Änderung des Aufenthalts- heute zur Debatte steht, zu beseitigen. gesetzes/EWG - Drucksachen- 13/3941, 13/4340 Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Das Problem ist außerordentlich vielschichtig. Es Überweisungsvorschlag; wird nicht geleugnet, daß Handlungsbedarf besteht. Innenausschuß (federführend) Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Wir wollen versuchen, die Mißbräuche zu beseitigen, ohne dadurch allerdings mehr Schaden anzurichten e) Beratung des Antrags der Abgeordneten als Nutzen zu stiften. Genau dieser Punkt veranlaßt Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS uns, den Gesetzentwurf, den die SPD vorgelegt hat, abzulehnen. Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge - Drucksache- 13/1891 Danke schön. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Innenausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe f) Beratung des Antrags der Abgeordneten damit die Aussprache. Kerstin Müller (Köln), Christa Nickels, Cem Herr Kollege Dreßen, da der Bundesarbeitsminister Özdemir, Amke Dietert-Scheuer und der im Saal ist, können Sie ihm nun alles selber- sagen. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Peter Dreßen [SPD]: Das ist nun vorbei!) Verhinderung von Abschiebungen in den Sudan Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen - Drucksache 13/2361 - auf Drucksachen 13/3301 und 13/4969 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Überweisungsvorschlag: gen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann innenausschuß (federführend) sind die Überweisungen so beschlossen. Auswärtiger Ausschuß Rechtssausschuß

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17a bis 17i und g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zusatzpunkt 10 auf: Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert 17a) Erste Beratung des von den Abgordneten Scheuer, Cem Özdemir und der Fraktion Erwin Marschewski, Wolfgang Zeitlmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Rupert Scholz, Erika Steinbach und der Schutz für Kriegs- und Bürgerkriegs- Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- flüchtlinge geordneten Dr. Max Stadler, Cornelia - Drucksache 13/3430 - Schmalz-Jacobsen und der Fraktion der Überweisungsvorschlag: F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Geset- Innenausschuß (federführend) zes zur Änderung straf-, ausländer- und Auswärtiger Ausschuß asylverfahrensrechtlicher Vorschriften Haushaltsausschuß - Drucksache 13/4948 - h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Überweisungsvorschlag: Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert Innenausschuß (federführend) Rechtsausschuß Scheuer, Christa Nickels und der Fraktion Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 10236 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch Altfallregelung für seit langem hier leben- Zweitens. Die letzten fünf Jahre haben jedoch ge- de Asylsuchende zeigt, daß in einzelnen Bereichen Verbesserungen - Drucksache 13/3877 - nötig sind. Dies gilt insbesondere für das Recht der Aufenthaltsbeendigung, was dadurch verdeutlicht Überweisungsvorschlag: worden ist, daß gewalttätige Ausschreitungen durch Innenausschuß (federführend) Kurden im März dieses Jahres in Dortmund erfolgen konnten. i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Amke Dietert Ausländer, die Gewalt anwenden, die unsere Scheuer, Christa Nickels, weiterer Abge- Rechtsordnung vorsätzlich gröblich verletzen, die ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ schwere Straftaten begehen, sollen nicht darauf ver- DIE GRÜNEN trauen dürfen, in Deutschland bleiben zu können. Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Diese kleine Gruppe von Ausländern ist vielmehr ab- Flüchtlingspolitik zuschieben. Ich meine, wer die Integration der aus- ländischen Bevölkerung in Deutschland verbessern - Drucksache 13/4379 - will, der muß auch dafür Sorge tragen, daß diese Auf- Überweisungsvorschlag: gabe nicht durch eine kleine Zahl von Rechtsbre- Innenausschuß (federführend) chern gefährdet wird. Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß Daher haben wir beschlossen: Wer bei einer De- Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuß für die Angelegenheiten monstration Gewalt gegen Menschen oder Sachen der Europäischen Union verübt und wer dabei Schußwaffen mit sich führt oder plündert oder eine schwere Körperverletzung ZP10 Erste Beratung des vom Bundesrat einge- begeht, der wird zwingend ausgewiesen. Auch wer brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- bei einer verbotenen Demonstration einfachen Land- rung des Ausländergesetzes friedensbruch begeht, muß Deutschland verlassen. - Drucksache 13/4981 - Bisher scheiterten Ausweisungen und Abschie- Überweisungsvorschlag: bungen insbesondere deswegen, weil immer festge- Innenausschuß (federführend) stellt werden mußte, daß der Ausländer im Einzelfall Rechtsausschuß die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedrohte und Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für daß Wiederholungsgefahr bestand. Deswegen haben die gemeinsame Aussprache zwei Stunden vorgese- wir § 48 Ausländergesetz verändert. hen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann Schwerwiegende, die Ausweisung rechtfertigende ist so beschlossen. Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung lie- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem gen danach in der Regel bei allen Ist-Ausweisungs- Abgeordneten Erwin Marschewski. gründen vor, also bei schwerem Landfriedensbruch, bei verbotenen Demonstrationen und einfachem Landfriedensbruch und bei einer Verurteilung zu Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Koali- tionsfraktionen von CDU/CSU und F.D.P.- unterbrei- Das bedeutet, daß insbesondere Rädelsführer, aber ten heute dem Deutschen Bundestag eine Reform nicht nur die, jetzt konsequent ausgewiesen und ab- des Ausländer- und Asylverfahrensrechts. Wir haben geschoben werden können. Ich erwarte dabei, daß dazu das im Januar 1991 beschlossene und in Kraft die Länder von der Verfahrensabsprache, die wir mit getretene Ausländergesetz auf den Prüfstand ge- der Türkei getroffen haben, häufiger Gebrauch ma- stellt; wir haben fünf Jahre Erfahrung berücksichtigt. chen als in der Vergangenheit. Wir haben bei den Beratungen dieses Gesetzentwur- fes natürlich auch Vorschläge der Oppositionsfraktio- Ich meine, es ist gut, daß sich die Türkei uns nen mit berücksichtigt, mit dem Ziel, die Ausländer- gegenüber noch einmal verpflichtet hat, die in ihr politik fortzuentwickeln. Heimatland zurückzuführenden Kurden strikt nach Recht und Gesetz zu behandeln, daß sie uns vor Dieses Ziel wird insbesondere durch zwei Schwer- eventuellen Abschiebungen über Art und Maß etwa punkte geprägt: zu erwartender Strafverfolgungsmaßnahmen infor- miert und daß jederzeit Ärzte und Rechtsanwälte bei Erstens. Wir wollen die Integration der hier leben- Vernehmungen und auch danach anwesend sein den Ausländer verbessern. können. Zweitens. Wir wollen aber die Ausländer, die ge- Mit der Ausweisung Gewalttätiger, die dann mög- gen Recht und Gesetz verstoßen oder die sich un- lich wird, nützen wir natürlich der deutschen Bevöl- rechtmäßig in Deutschland aufhalten, ausweisen kerung, aber wir nützen vor allen Dingen den Kur- können. den, die hier leben und sich überwiegend - zu Das Ergebnis unserer Überlegungen stellt der Koa- 99 Prozent - rechtstreu verhalten. litionsentwurf dar, der zweierlei offenbart: (Otto Schily [SPD]: Erzählen Sie nicht sol Erstens. Das Ausländerrecht hat sich im großen chen Unsinn! - Das ist bisher schon mög ganzen bewährt. lich!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10237

Erwin Marschewski - Nein, das war bisher nicht möglich, Herr Kollege Erwin Marschewski (CDU/CSU): Bitte schön. Schily. § 48 Ausländergesetz, von dem ich gerade ge- sprochen habe, setzte voraus, daß in jedem Einzelfall (München) (SPD): Herr Kollege, Sie eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Hanna Wolf haben das eigenständige Aufenthaltsrecht in § 19 Ordnung bevorstand. Das heißt, es mußte die Wie- angesprochen. Dieser Paragraph ist gerade hinsicht- derholungsgefahr in bezug auf mittlere und schwere lich seiner Auswirkung in Zusammenhang mit Ge- Kriminalität konkret nachgewiesen werden. Deswe- walt in Ausländerehen schon seit Jahren in der Dis- gen war die Ausweisung nicht möglich. kussion. Wir haben hierzu bis jetzt keine Änderung Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht: Ich habe erreicht. schon damals erwartet, daß die Länder vom Auslän- Ihr Vorschlag ist: Wenn nach einem Jahr Ehe eine derrecht und seinen Möglichkeiten strikt Gebrauch außergewöhnliche Härte vorliegt, ist die Bundes- machen. Aber dieser Fall gilt hier nicht, er ist anders. regierung so gnädig, den betroffenen Frauen ein Wir mußten auch das Asylverfahrensgesetz än- eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren. Kön- dern, allerdings nicht wegen der Entscheidung der nen Sie mir bitte erklären, was Sie unter „außerge- Karlsruher Richter und Richterinnen zum Asylrecht. wöhnlicher Härte" verstehen? Wieso muß sich eine Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Asyl- Frau eigentlich ein Jahr der Gewalt in einer Ehe aus- rechtskonzeption - das wissen Sie - voll bestätigt, setzen? Ich finde, damit ist dem Schutz dieser Frauen und die damaligen Kritiker der Reform hatten un- in der Bundesrepublik nicht Genüge getan. Warum recht. Das gilt für die Drittstaatenregelung, das gilt müssen sie ein Jahr lang Gewalt aushalten, um das für die Regelung hinsichtlich der sicheren Herkunfts- Aufenthaltsrecht zu bekommen? staaten, und das gilt auch für die Flughafenregelung. (Beifall der Abg. Ulla Jelpke [PDS]) Wir begrüßen diese Entscheidung. Ich meine, das Könnten Sie mir erklären, warum Sie diese Regelung Asylrecht kann seine friedensstiftende Wirkung wie anstreben? seit dem Tag seines Inkrafttretens weiter entfalten.

Wir mußten das Asylverfahrensrecht wegen ande- Erwin Marschewski (CDU/CSU): Erstens. Es ist ein rer Ungereimtheiten ändern, die sich in der Praxis Fortschritt. Wir kommen Ihnen mit dieser Regelung zeigten; denn immer wieder war festzustellen, daß entgegen. Sie sollten sie zunächst einmal loben. Asylbewerber, während ihr Verfahren lief, in ihre Heimat zurückkehrten. Sie zeigten damit doch, daß (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] - Ker ihnen dort keine Verfolgung drohte. Das wird in Zu- stin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ kunft nicht mehr möglich sein. NEN]: Ich dachte, es geht um die Frauen! - Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Eine zweite Änderung hielten wir für erforderlich: NEN]: Sie sollten den Frauen entgegen Es war nicht mehr hinnehmbar, daß jemand, der sich kommen!) in Abschiebehaft befand, automatisch aus der Haft entlassen wurde, wenn er einen Asylantrag stellte. Zweitens. Sie wissen doch, daß es in Deutschland Das wird in Zukunft nicht mehr zwingend sein. auch eine Menge Scheinehen gibt und daß dieses Aufenthaltsrecht - das zeigt die praktische Erfahrung Ein zweiter Teil des Ausländerrechts betrifft- die Er- mit dem Ausländerrecht - leider sehr oft mißbraucht leichterungen für die hier lebenden Ausländerinnen wird. Gehen Sie zu den Ausländerämtern nach Mün- und Ausländer. Ich meine, der bedeutsamste Punkt chen, Frankfurt usw. Sie werden feststellen: Dieses ist die Neuregelung des eigenständigen Aufenthalts- Recht wird leider mißbraucht. rechts des Ehegatten nach Beendigung der eheli- chen Lebensgemeinschaft. Dieses Recht wird zu- Drittens. Wir haben dem Gesetzentwurf eine Be- künftig, wenn wir uns mit dem Gesetzentwurf durch- gründung angefügt. In ihr haben wir dargestellt, was setzen, großzügiger gewährt. wir unter „außergewöhnlicher Härte" verstehen. Ich bitte Sie, das nachzulesen. Ich kann es auch kurz zu- Erhielten namentlich mißhandelte und vergewal- sammenfassen. tigte ausländische Ehefrauen bisher erst nach vier Jahren, in besonderen Härtefällen nach drei Jahren „Außergewöhnliche Härte" liegt natürlich vor, Ehe im Bundesgebiet ein eigenständiges Aufent- wenn eine Frau vergewaltigt wird, wenn Kinder ver- haltsrecht, so wird in Zukunft dieses Aufenthalts- gewaltigt werden, wenn die Erziehung der Kinder recht zur Vermeidung einer außergewöhnlichen gefährdet wird. Das sind die Fälle, die wir an Hand Härte bereits dann erteilt werden können, wenn die eines Katalogs genau beschrieben haben. Unsere Frau ein Jahr in Deutschland verheiratet ist. Das- Frauengruppe hat sich da besonders engagiert. Die- selbe gilt natürlich für Männer. sen Damen danke ich sehr herzlich. Ich meine, daß wir mit diesem Recht dem Schicksal Aus der Sicht der betroffenen Frauen könnte eine mißhandelter Frauen besser Rechnung tragen als in noch kürzere Frist besser sein; das räume ich ein. der Vergangenheit. Aber ich warne auch vor der praktischen Möglich- keit von Mißbrauch. Das ist die Problematik dabei. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Ich will in meiner Rede fortfahren. Haben Sie Ver- Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der ständnis dafür. Ich glaube, daß wir gerade in diesem Kollegin Wolf? Bereich einen Fortschritt erzielt haben. Wir haben 10238 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Erwin Marschweski versucht, den Ausländerinnen und Ausländern auch leistet: die Regelung betreffend den Lauschangriff, in diesem Punkt vernünftig entgegenzukommen. Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung, Regelun- gen in Beamtengesetzen, Änderungen im Ausländer- Wir haben weitere Verbesserungen vorgesehen: recht und vieles mehr. Ich sage Ihnen: Wir werden für behinderte ausländische Kinder, für junge Aus- genauso, wie wir diese Gesetze formuliert und diese länder, die sich in Ausbildung befinden, und für die Probleme in den Griff bekommen haben, selbstver- ältere Ausländergeneration; denn diese wird bei der ständlich den Bereich des Staatsbürgerrechts mit Rückkehr in die Heimat ihr Aufenthaltsrecht in Ruhe und Sorgfalt hier in den Deutschen Bundestag Deutschland künftig nicht verlieren. Damit ist einem einbringen. Sie wissen - Sie haben darüber gelesen -, alten Anliegen der älteren Ausländergeneration daß wir in der Koalition darüber diskutieren. Rechnung getragen worden, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens ihren Lebensabend in der Hei- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE mat verbringen möchte, aber auch die Möglichkeit GRÜNEN]: Seit 13 Jahren!) behalten will, zum Beispiel für längere Aufenthalte zu ihren Kindern nach Deutschland zu kommen. Das Sie können sich darauf verlassen, daß dies in gerau- sind Erleichterungen im Ausländerrecht. mer Zeit der Fall sein wird. Auch die deutsche Bevöl- kerung kann sich wie immer auf die Innenpolitiker Wir haben im Ausschuß darüber hinaus - sie ge- der Koalition verlassen. hört nicht unmittelbar zu dem Paket, ich will sie aber erwähnen, weil sie Gegenstand anderer Anträge ist - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Otto Schily [SPD]: Das war keine Antwort eine Härtefallregelung beschlossen. Demnach wer- den abgelehnte Asylbewerber mit Kindern nach auf meine Frage!) sechs Jahren, andere nach neun Jahren Aufenthalt in - Das war eine Antwort auf Ihre Frage. Ich sage Ih- Deutschland ein Aufenthaltsrecht erhalten, wobei nen: Wir werden natürlich umgehend diese Dinge die Integration natürlich Voraussetzung ist. aufgreifen und darüber beraten. Dies beinhaltet aber auch die Zusage der Länder, Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch zirka 335 abgelehnte Asylbewerber, die bislang nicht kurz zu einem Punkt Stellung beziehen, nämlich zu zur Ausreise gebracht wurden, in ihre Heimat zu- der Forderung in einem der vorgelegten Anträge, rückzuführen. Ich erwarte von den Ländern, dieser Deutschland brauche ein Einwanderungsgesetz. Da- Verpflichtung konsequent nachzukommen. gegen spricht, daß Deutschland keine zusätzliche Leider gibt es da Anlaß zur Sorge; denn offensicht- Einwanderung ermöglichen kann. lich sind nicht alle Landesregierungen gewillt - na- (Otto Schily [SPD]: Jetzt hört die F.D.P. ganz mentlich die rot-grünen Regierungen in Schleswig- genau zu!) Holstein und Nordrhein-Westfalen -, das zu tun. Sie haben nämlich besondere Härtefallkommissionen Ich will Ihnen die Zahlen einmal nennen: 120 000 eingesetzt. Ich denke, dies konterkariert die Ent- Asylbewerber pro Jahr. Zirka 100 000 Familienange- scheidung der Ausländerbehörden, dies konterka- hörige ziehen pro Jahr nach Deutschland. Wir haben riert die Entscheidung der Gerichte. Das Recht wird - es ist gut, daß wir das gemacht haben - 350 000 verletzt, wenn die Länder weiterhin so handeln. Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen. Wir wollen rund 220 000 Spätaussiedler pro Jahr integrieren. Wir brauchen keine zusätzliche Einwanderung. Was wir Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege brauchen, ist eine Begrenzung der Einwanderung. Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Da reicht, so meine ich, das derzeitige Ausländer- Kollegen Schily? recht aus. (Otto Schily [SPD]: Aber es gibt immerhin (CDU/CSU): Bitte schön, Herr Erwin Marschewski eine Einwanderung! Also sind wir doch ein Schily. Einwanderungsland!)

Otto Schily (SPD): Herr Kollege Marschewski, es Wenn Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ein gehört zwar nicht unmittelbar zu der Thematik, die Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorlegen wollen, wir heute diskutieren; aber ich glaube, wenn wir frage ich mich, wie das gehen soll. Wie wollen Sie über Aufenthaltsrecht und ähnliches reden, muß vorhersehen, wieviel Bürgerkriegsflüchtlinge oder man auch die Regelung der Staatsangehörigkeit im Asylbewerber nach Deutschland kommen? Wir ha- Blickfeld haben. Deshalb würde mich an der Stelle ben ja gerade das subjektive Grundrecht durch das interessieren, ob es in der Koalition eine Mehrheit zu Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bestätigt be- den interessanten Vorstellungen geben wird, die kommen. einige Ihrer Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion in (Otto Schily [SPD]: Jetzt stellt Frau dieser Richtung entwickelt haben. Schmalz-Jacobsen sicher eine Zwischen- frage!) Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ich könnte Sie Sie können die Zahl der Asylbewerber überhaupt jetzt auch nach Dingen fragen, die nicht hierherge- nicht begrenzen. Oder wollen Sie vielleicht den Ent- hören. Ich will Ihre Frage trotzdem beantworten. wicklungsländern gut ausgebildete, qualifizierte Herr Kollege Schily, diese Koalition und gerade die Leute entziehen, die sie eigentlich selbst benötigen? Innenpolitiker haben in den zwei Jahren seit der Bundestagswahl - das wissen Sie - Beträchtliches ge- (Lachen bei der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10239

Erwin Marschweski Ist das nicht doch ein bißchen egoistisch, anstatt Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: diesen Ländern zu helfen? Ein nächster Punkt. Sie Der Koalitionsentwurf bringt die Interessen der deut- kennen doch die Vereinbarung über die Freizügig- schen und ausländischen Bevölkerung, so meine ich, keit in Europa. Wie soll denn da eine Begrenzung zu einem angemessenen Ausgleich. Er trägt auch möglich sein? dem zwingenden Gebot einer Zuzugsbegrenzung Rechnung. Er berücksichtigt die Interessen der deut- Meine Damen und Herren, ich sehe keinen Raum schen Bevölkerung und die Interessen der ausländi- für ein Einwanderungs- oder Zuwanderungsbegren- schen Mitbürger. Er hilft, so meine ich, das Ziel zu zungsgesetz. Wer dennoch meint, Frau Kollegin erreichen, die Integration der ausländischen Mitbür- Leutheusser-Schnarrenberger, das sei zu regeln, der ger weiter zu verbessern, aber auch gewalttätige, kri- möge diesem Deutschen Bundestag umgehend ein minelle Ausländer des Landes zu verweisen. solches Gesetz vorlegen. Dies wollen wir mit unserer Novelle zum Auslän- (Otto Schily [SPD]: Das machen wir!) derrecht erreichen. Für diese Politik, meine Damen und Herren, bitten wir um Unterstützung. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Herzlichen Dank. Marschewski, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Leutheusser-Schnarrenberger? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Erwin Marschewski (CDU/CSU): Ja, bitte schön, Frau Kollegin. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe ich das Wort weitergebe, möchte ich auf der Tribüne eine Delegation von Gouverneurinnen aus Usbekistan, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Herr und zwar aus den Provinzen Taschkent, Samarkand, Kollege, ich habe die Frage an Sie, wie Sie aus heuti- Buchara und Namangan begrüßen. ger Sicht den doch unter sehr schwierigen Bedingun- gen errungenen Asylkompromiß von 1992 bewerten. (Beifall) Denn er enthielt ja zwei Komponenten: einerseits Wir freuen uns, daß die Beziehungen und die Kon- den sehr interessanten Vorstoß auch aus den Kreisen takte zwischen der Bundesrepublik und den zentral- der CDU hinsichtlich einer Änderung des Staatsan- asiatischen Republiken immer enger und freund- gehörigkeitsrechtes und andererseits den Punkt, daß schaftlicher werden. Ich wünsche Ihnen einen ange- man sich mit den Fragen der Steuerung, Regelung nehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik. und eben auch der Begrenzung der Zuwanderung beschäftigen muß. Ich frage Sie, Herr Marschewski: (Beifall) Sehen Sie nicht, daß das eine Aufgabe ist, die viel- Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Abgeord- leicht nicht schon in diesem Jahr endgültig geregelt neten Häfner das Wo rt. werden kann, bei der wir als Politiker aber doch un- ter Berücksichtigung langfristiger Bevölkerungsent- wicklungen und demographischer Veränderungen Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr doch sehr wohl politische Gestaltungsmöglichkeiten Präsident! Ich möchte unmittelbar im Anschluß an wahrnehmen müssen? die Rede von Herrn Marschewski folgenden Punkt - kurz ansprechen. Herr Marschewski, Sie haben die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ganze Zeit von Änderungen im Ausländergesetz ge- GRÜNEN und der PDS) redet, die zum Beispiel die Fragen des Aufenthalts- rechts usw. berühren. Sie haben aber mit keinem Erwin Marschewski (CDU/CSU): Frau Kollegin, Wort erwähnt, daß Sie gleichzeitig massive Änderun- wir haben ja damals ein Jahr unseres Lebens mit gen im materiellen Recht planen, die dann ja dem Asylkompromiß verbracht. Ich glaube, daß das zwangsläufig für alle Bürgerinnen und Bürger der Verfassungsgericht zu Recht das, was wir damals er- Bundesrepublik Deutschland gelten werden. Was Sie arbeitet haben, bestätigt hat. Das ist gut so. im ausländerrechtlichen Teil machen, ist schon schlimm genug. Darüber wird in dieser Debatte ja (Otto Schily [SPD]: Das haben Sie schon noch geredet werden. Aber diese A rt von verdeckter einmal gesagt!) Gesetzgebung, bei der unter der Hand ganz andere Gesetze einmal eben mit geändert werden sollen, Sie sprechen von einer Zuwanderungsbegrenzung. Dinge, die wirklich von gewaltiger Auswirkung auch Ich habe Ihnen gesagt: Ein Zuwanderungsbegren- für das Klima in diesem Land, für die Versammlungs- zungsgesetz, wie es vorgeschlagen wird, ist nicht freiheit, für das Recht zu öffentlichen Demonstratio- vollziehbar. Wissen Sie, was der Begrenzung der Zu- nen sind, kann nicht schlicht und einfach unerwähnt wanderung dient? Der Begrenzung der Zuwande- gelassen werden. rung dient die konsequente Anwendung des Auslän- derrechtes und nicht nur und dauernd die Beschäfti- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Darüber gung mit Altfallregelungen und Ausnahmen. Die habe ich gesprochen! Guten Morgen, Herr konsequente Anwendung des Gesetzes ist nötig. Kollege!) Dann haben wir die Zuwanderungsbegrenzung, von der Sie sprechen. Lassen Sie mich kurz folgendes sagen, Herr Mar- schewski. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, § 125 a (Beifall bei der CDU/CSU) des Strafgesetzbuches so zu ändern, daß künftig 10240 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Gerald Häfner schwerer Landfriedensbruch nicht erst dann vor- cher, Gangster, Verbrecher wollen wir ausweisen. liegt, wenn Schußwaffen getragen werden, wenn Das ist unsere Politik. Gewalttätigkeiten usw. begangen werden, wie das nach bisheriger Fassung der Fall war, sondern bei- (Beifall bei der CDU/CSU - Kerstin Müller spielsweise auch schon bei einer sogenannten „psy- [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deut chischen Unterstützungshandlung" etwa, wenn Lie- sche auch? - Gerald Häfner [BÜNDNIS 90/ der gesungen werden, wenn angefeuert wird und DIE GRÜNEN]: Sie haben zu meiner Frage anderes mehr. nichts gesagt!)

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Nicht richtig Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem zitiert!) Abgeordneten Willfried Penner das Wort.

Dies ist völlig inakzeptabel und führt dazu, daß die (SPD): Herr Präsident! Meine Polizei - wie das ja jetzt schon bei dem Vermum- Dr. Willfried Penner Damen und Herren! In der vergangenen Woche stan- mungsverbot oder dem Verbot der sogenannten pas- den acht Vorlagen zur Ausländerpolitik auf der Ta- siven Bewaffnung der Fall ist -, gezwungen wird, gesordnung des Innenausschusses, und in der heuti- rt einzugreifen, wo es sich nach bisherigem Ver- do gen Sitzung des Plenums sind es sogar neun, die uns ständnis um überhaupt keine Gewalt- oder Straftat beschäftigen. Ausländerpolitik ist ein zentrales handelt. Thema der deutschen Innenpolitik und wird uns auf allen politischen Ebenen, ob im Bundestag, im Bun- (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Sie haben nicht desrat, ob in den Landtagen oder auch in den Ge- gelesen!) meindeparlamenten, nicht loslassen, ja nicht loslas- Die vorgesehene Strafe hierfür reicht von drei Mona- sen können. ten bis zu zehn Jahren. Das Thema wird uns begleiten müssen, weil die Politik sich gerade auf diesem Feld nicht aufs Zuse- Ich halte dies für eine dera rtig fahrlässige Ver- hen beschränken kann und sich nicht allein auf Re- schärfung des Klimas in diesem Land und für einen geln der gesellschaftlichen Prozesse des Integrierens, derartig schweren Eingriff in das materielle Recht, des Assimilierens, des Duldens und des Sichentwik- daß ich finde, es darf nicht unerwähnt bleiben. Es kelnlassens verlassen darf. wäre gut, wenn auch hierüber in diesem Hause deut- lich diskutiert würde. (Beifall bei der SPD) Es geht um den rechtlichen Schutz einer Minder- (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Man muß schon heit, um rechtsfeste Rahmenbedingungen, um die lesen, was drinsteht!) Einbeziehung von Ausländern in unser Grundwerte- system, beispielsweise dem der Familie, die unab- hängig von der Nationalität zusammengehört und Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege nicht getrennt werden darf, ' Marschewski, Sie können darauf antworten. (Beifall bei der SPD) weil es unsere Verfassung, jener Artikel 6 des Grund- - Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Kollege Häf- gesetzes, so gebietet. Aber es geht auch um Tole- ner, ich kann das sagen, was Kollege Stadler eben ranz. Es geht um Gastfreundschaft, es geht um Hu- gerufen hat: Man muß lesen, was im Gesetzentwurf manität, die staatlich nicht verordnet werden kann, steht. Ich habe darüber hinaus zu diesem Punkt sehr die man ganz einfach vorleben und erleben lassen ausführlich Stellung bezogen. muß. Wir wollen folgendes: Wir wollen die Integration Aber zum allerwenigsten ist Ausländerpolitik ein der hier lebenden Ausländer fördern. Das ist die eine Feld für Schwarmgeister, die vor lauter Weltenliebe Seite. Die zweite Seite aber ist: Wer mit Gewalt ge- vergessen, daß Ausländerpolitik eines der steinigsten gen Menschen vorgeht, wer mit Gewalt wertvolle Sa- nationalen Politikfelder ist, dessen Bearbeitung glei- chen beschädigt, wer Dortmund kurz und klein chermaßen Nüchternheit, Zähigkeit, Geduld, Reali- schlägt, hat in diesem Lande nichts zu suchen und ist tätssinn und humanitäres Engagement, zum allerwe- auszuweisen. Das ist unser Gesetz. Dies gilt auch für nigsten aber Weltenferne im Gefolge haben darf. denjenigen, der schweren Landfriedensbruch be- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Corne geht, der mit Waffen vorgeht, der Menschen körper- lia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) lich schwerst beschädigt oder aber - bei einem einfa- chen Landfriedensbruch - zu einer verbotenen De- Bei der Ausländerpolitik und allen diesbezügli- monstration geht. Derjenige weiß doch, was ihm be- chen konkreten politischen Einzelinitiativen muß vorsteht. Fragen Sie einmal die Menschen in Do rt Grundlage sein und bleiben, daß wir Deutschen al- -mund, fragen Sie einmal die Menschen in dieser Re- lem Nationalismus abgeschworen haben, im Hin- publik, wie man sich da verhalten soll! blick auf das Zusammenführen von Nationen und Menschen in der Europäischen Union beispielsweise Ich sage Ihnen: 99 Prozent oder 99,9 Prozent der ohne jede Attitüde und ohne jedes imperiale Gelüst ausländischen Mitbürger leben f riedlich unter uns. werbend in vorderster Reihe stehen, daß wir aber Wir wollen die Integration verbessern. Krawallma- auch nach Osteuropa hin, besonders nach Polen, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10241

Dr. Willfried Penner nach Ungarn und Tschechien, die nimmermüden Be- den einzelnen aussehen mag, so werden sie nach teuerungen Kohls und aller maßgeblichen politi- meiner Einschätzung am allerwenigsten auf Wider- schen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland ein- stand der Opposition stoßen. Ich möchte darum wer- lösen müssen, und die heißen Öffnung und nicht Ab- ben, daß wir uns im Interesse der Minderheit wenig- schottung. Sie weisen auf Integration und verbieten stens in diesem Bereich von ernstlichen Bemühun- Segregation. gen um Konsens leiten lassen, die sich in der Regel nicht wehren kann. Dies würde bedeuten, daß Initia- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Corne tiven der Mehrheit nicht schon deshalb abgelehnt lia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]) werden sollten, weil es solche der Mehrheit sind, was Wir wissen, daß das nicht ohne gesellschaftlichen natürlich in besonderer Weise die Bereitschaft der Rückhalt geht, der sich auch auf eine sehr konkrete Koalition abfordert, Anträge der anderen Seite ernst und belastbare finanzielle Basis stützen muß. zu nehmen und aufzunehmen. Daß ich mich dabei besonders für die Vorlagen der SPD einsetze - sie (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie sind zum wesentlichen Teil dem Innenausschuß seit schränken jetzt ein!) langer Zeit überwiesen -, versteht sich von selbst. Natürlich geht es auch um sehr Konkretes: um Rege- Was hindert die Mehrheit eigentlich daran, den Vor- lungen von Einzelheiten, beispielsweise um Aufent- schlägen der großen Vorlage der SPD aus der letzten haltsrechte ebenso wie deren mögliche Beendigung, Innenausschußsitzung beizutreten? Sind wir wirklich um Familienzusammenführung, um Teilhabe an be- und wahrhaftig so weit auseinander oder ist es nicht ruflichen Chancen, an schulischen Chancen, aber vielmehr der immer kurioser wirkende Versuch, dem auch um staatliche Reaktionen auf Zuwiderhandlun- Volk unter allen Umständen, koste es, was es wolle, gen von Ausländern gegen die Ordre public der Bun- politische Unterschiede vorzuspiegeln, die es in desrepublik Deutschland. Wahrheit gar nicht gibt? (Beifall bei der SPD) Herr Präsident, meine Damen und Herren, was die Verbesserung des Rechtsstatus der Ausländerbeauf- Selbstverständlich geht es auch um ordnende Re- tragten angeht, so fällt es auch für einen Wohlmei- geln der Zuwanderung. All diese Gesichtspunkte nenden gerade unter dem Gesichtspunkt des Re- finden sich beispielhaft in konkreten Vorlagen wie- spekts vor der jetzigen Amtsinhaberin schwer, dazu der, von gestern, von heute und demnächst. passende Worte zu finden, zumal Sie, Frau Schmalz Bei allen unterschiedlichen Akzentuierungen geht Jacobsen, den Neuerungen zugestimmt haben müß- es der Opposition durchweg auch und nicht zuletzt ten. um die Berücksichtigung humanitärer, moralisch un- Beginnen wir mit dem Angenehmen. Gewiß ist es terfütterter Positionen im Ausländerrecht. Ziemlich besser, auf gesetzlicher Grundlage tätig zu werden, einig ist sich die Opposition bei allen Schattierungen an Stelle wie bisher nur auf der Grundlage eines blo- darin, daß das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen ßen Regierungserlasses, der jederzeit verändert wer- Ehegatten verfestigt werden muß, und da auch die den kann. Das kräftigt die Legitimation und ist si- Koalition in diesem Punkt für Veränderungen plä- cherlich nicht ohne Belang für die Durchsetzungsfä- diert, müßte eine übergreifende Einigung in diesem higkeit von Kompetenzen, die im wesentlichen die Punkt möglich sein. Sie wäre jedenfalls wünschens- gleichen geblieben sind. Aber Sie, Frau Schmalz-Ja- wert. - cobsen, bleiben als jetzige Amtsinhaberin Beauf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tragte der Bundesregierung beim Bundesministerium ten der F.D.P. und des Abg. Cem Özdemir für Arbeit und Sozialordnung und müssen für all die [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Ungereimtheiten geradestehen, die mit dieser Einbe- ziehung verbunden sind, und das ist schade. Weil jetzt auch die Koalitionsparteien wie die Op- position die Notwendigkeit bejahen, für abgelehnte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Asylbewerber in besonderen Fällen ein Aufenthalts- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) recht zu schaffen, halte ich es trotz der vergleichs- Sie können, wie bisher auch, jederzeit und das heißt weise schüchternen Vorstellung der Koalitionsmehr- ohne Angabe von Gründen und nunmehr nach Ihren heit zu diesem Punkt für möglich und erstrebens- Vorstellungen auch mit der erhöhten Autorität des wert, auch hier eine parteiübergreifende Einigung zu Gesetzes entlassen werden. Dabei wird es Ihnen we- erzielen. Dabei wird die Koalition sicherlich eine Ant- nig helfen, daß nach der neuen Vorschrift des § 91 a wort darauf zu geben haben, wie ihre Altfallregelung die Amtsbezeichnung Ausländerbeauftragte auch in rt, zuvor alle wich- greifen soll, wenn, wie sie es forde der männlichen Form geführt werden kann. Da ha- tigen Kriterien für eine Integration in das Leben in ben Sie sich aber etwas einfallen lassen. Die Konse- Deutschland erfüllt sein müssen, wo sich doch die quenz ist also: Die Ausländerbeauftragte kann wäh- bisherige Politik, gerade die Politik der jetzigen Ko- len, ob sie der Ausländerbeauftragte oder die Aus- alition, für diesen Personenkreis der Asylbewerber ge- länderbeauftragte sein möchte. Dies ist eine Formu- rade das Gegenteil von Integration zum Ziele setzt. lierung, die auszusprechen einen geniert und die mit (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der von der Koalition postulierten Reform auf diesem DIE GRÜNEN) Gebiet nur für außerordentlich absonderliche Gemü- ter etwas zu tun haben kann. Was die einschlägigen Vorschläge der Koalition zur Regelung humanitärer Fragen insgesamt angeht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne so wenig beherzt und kärglich das Ergebnis auch für ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 10242 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Dr. Willfried Penner Für Herrn Marschewski hieße das folgendes: Wenn tes, ja auch verbrecherisches Verhalten typisiert und Sie einmal das Amt bekämen - die Regelvermutung die Gesetzgebungsmaschinerie mit gnadenloser Lust spräche für die Ausländerbeauftragte Erwin Mar- in Gang gesetzt. Es treibt Sie von der Koalition ein- schewski, aber es steht Ihnen frei, auch die männli- fach um; gedrucktes Papier muß her. Sie, die Mehr- che Form zu wählen. heit, müssen die gesetzgeberischen Muskeln spielen lassen, und diesmal lautet Ihr diesbezügliches (Zuruf von der CDU/CSU: Der Mann hat Thema „Aufenthaltsbeendigende Maßnahmen und Probleme! - Otto Schily [SPD]: Nein, Sie Schaffung einer Strafvorschrift", nämlich der Straf- haben Probleme!) vorschrift gegen den Landfriedensbruch. Zurück zur Ausländerbeauftragten. Der Anlaß, wie Sie ihn selbst angeben - Herr Mar- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das, was schewski hat es ja heute bestätigt -, sind die Kurden- Sie bringen, ist die philosophische Antwort krawalle des Frühjahrs. auf Dort mund!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Nicht nur, Sie, Frau Schmalz-Jacobsen, können als Ausländer- nicht nur, das war ein weiterer Anlaß! Es beauftragte der Bundesregierung Vorschläge ma- gibt viel mehr!) chen und Stellungnahmen von Gesetzes wegen der Ich gehe davon aus, daß Sie nicht die friedlichen Auf- Bundesregierung zuleiten. Mein Gott, ist das nicht je- züge der Kurden aus Anlaß ihres Neujahrsfestes mit dermanns Recht? Bedarf es dazu der gesetzlichen im Auge haben. Also bleiben die unfriedlichen, ja die Vergönnung, verehrte Frau Schmalz-Jacobsen? - Sa- gewalttätigen kurdischen Auftritte. gen Sie doch bitte nein, damit wir uns nicht zu genie- ren brauchen. Was in aller Welt hat Sie von der CDU/CSU - und ich muß die F.D.P. einbeziehen - bewogen, dem deut- Und schließlich: Die Bundesregierung kann, sie schen Volk vorzugaukeln, in diesem Zusammenhang muß nicht eine Ausländerbeauftragte bestellen. Ich würde in Deutschland die gebotene Abschiebung frage mich, ob das alles so richtig ist. Je mehr ich per- nicht möglich sein, weil dies ein inakzeptabler Ab- sönlich in Sachen Ausländerpolitik Erfahrungen ge- schiebungsschutz verhindere? sammelt habe, um so mehr festigt sich bei mir die Überzeugung, daß die Wirkkraft dieses Instituts im Wir haben in Deutschland eine ganze Kette, eine wesentlichen von seinen Kompetenzen, der Qualität ganze Serie von Abschiebungsregeln, konkrete der Legitimation, der Unabhängigkeit und - nicht re- Möglichkeiten, aber auch Verpflichtungen, gesetz- gelbar - von der Leidenschaft des Amtsträgers zur lich begründete Verpflichtungen zum Abschieben, Sache bestimmt wird. wohlsortiert und nach dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit des Handelns aller staatli- (Zuruf von der F.D.P.: Die ist jetzt gesichert!) chen Gewalt bestimmt. Deshalb plädiere ich für einen vom Bundestag in Sie von der Koalition erwecken den Eindruck, als geheimer Wahl zu bestimmenden Obmann oder eine ob es auf diesem Feld eine unterschiedliche Auswei- solche Obfrau für Ausländerpolitik mit klaren Kom- sungspraxis in den Ländern gäbe. Diese gibt es nun petenzen und Rederecht im Bundestag und in den gerade nicht. Richtig ist, daß es praktische Mei- Fachausschüssen. nungsunterschiede zwischen konservativ und sozial- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ demokratisch regierten Ländern über aufenthalts- DIE GRÜNEN) beendigende Maßnahmen ohne Kriminalitätsbezug gibt. Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir ha- ben es vorhin erlebt, und wer länger hier ist, der hat Ja, es stimmt, da ist Bayern, Wolfgang Zeitlmann, es früher erleben können: Wenn es um Ausländerpo- besonders unerbittlich, und das ist kein Ruhmesblatt litik geht, kann die Koalition und dabei namentlich für dieses ansonsten schöne Land. die CDU/CSU-Fraktion und dabei besonders die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker CSU auf das gesetzgeberische Zähnefletschen nicht Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) verzichten. Aber unabhängig davon - Sie wissen es selbst doch (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Na sehr genau, und die Zuschauer am Fernseher haben komm!) es Tag für Tag verfolgen können -: Die Haupttäter Es kann und soll nicht geleugnet werden, daß auch der Krawalle vom Frühjahr 1996 kamen aus unseren aus dem tiefsten Bayern bewegende Initiativen für westlichen Nachbarländern und sind dorthin ganz das Verbleiben von Jusuf, für das Verbleiben von Ali rasch zurückgekehrt. Wie wollen Sie die eigentlich und für das Verbleiben von Mohammed entgegen ausweisen? dem geltenden Recht bekanntgeworden sind. Man Sie befinden sich ja gar nicht auf deutschem Boden kennt sich eben, man schätzt sich, man ist gut Nach- und sind damit der deutschen Staatsgewalt entzo- bar miteinander und manchmal auch gut Freund, gen. Mit Ihrer Gesetzeswerkelei im Zusammenhang und da fällt es sehr schwer, so mir nichts, dir nichts mit dem Ausweisungsrecht haben Sie allerdings ei- für Abschiebung zu plädieren, auch wenn es das Ge- nes erreicht, was uns international noch teuer zu ste- setz so befiehlt. hen kommen kann. Sobald es aber um den Ausländer an sich geht Sie eröffnen damit auch - nicht nur, aber auch - er- oder um den Ausländer als solchen, wird tadelnswer- weiterte Möglichkeiten für die Ausweisung jugendli- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10243

Dr. Willfried Penner cher Straftäter mit ausländischem Paß, die hier gebo- deshalb ist Sparsamkeit - nicht Opulenz - bei der ren und aufgewachsen sind, hier leben, teilweise le- Schaffung neuer Strafrechtsregeln das Gebot einer diglich die deutsche Sprache beherrschen und die vernünftigen Strafrechtspolitik. Sprache ihrer Staatsangehörigkeit überhaupt nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und so gut wie keinen Bezug zur Heimat ihrer Väter und Ahnen haben. Und da, sage ich, läuft Abschie- DIE GRÜNEN) bung auf Verbannung hinaus Das Strafrecht eignet sich am allerwenigsten zur politischen Meisterung von Augenblickslagen der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Innenpolitik. Sie machen damit die scharfe Schneide DIE GRÜNEN - Erwin Marschewski [CDU/ des Strafrechts stumpf! Und noch eines sollte nicht CSU]: Sie können nicht lesen, Herr Penner; übersehen werden: Auch das kompletteste Strafrecht Sie haben das Gesetz nicht gelesen!) kann begangene Verbrechen nicht ungeschehen ma- und gibt die Verantwortung für krumme Lebensläufe chen. Mehr praktische Bemühungen auch um Ver- weiter an Länder, die auf die strafrechtliche Entwick- hinderung und Verhütung von Straftaten würden lung dieser Staatsangehörigen überhaupt keinen meines Erachtens nicht schaden. Einfluß nehmen konnten und können. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Strafrechtskanon ist zureichend, ja reichlich DIE GRÜNEN) bestückt. Allerdings gibt es gelegentliche Defizite Herr Präsident, meine Damen und Herren, es wird bei der Durchsetzung des Strafanspruchs des Staa- schon Mühe genug kosten, dieser Krawallmacher tes. Auch dies hat Gründe, aber dies ist eine andere des Frühjahrs im Ausland habhaft zu werden, Geschichte. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Ich würde Keinesfalls werden wir Sozialdemokraten uns da- Sie bitten, das an Hand des Gesetzes zu für hergeben, die Gefährdung „des legitimen Sicher- begründen. Das stimmt doch nicht!) heitsempfindens der Bevölkerung", wie es in der Vorlage der Koalition geschrieben steht, als Grund damit sie wegen Körperverletzung, wegen versuch- für die Schaffung neuen Ordnungsrechts zu akzep- ten Totschlags und anderer schwerer Straftaten hier tieren. in Deutschland empfindlich belangt werden können. (Beifall bei der SPD) Aber dafür brauchen wir kein neues Strafrecht. Was hat Sie von der Koalition eigentlich geritten, Jene Gewalttäter haben strafrechtlich genug auf dem mit diesem Begriff „legitimes Sicherheitsempfinden Kerbholz. Wir brauchen auch keinen selbständigen der Bevölkerung" eine sprachliche Anleihe mit nur Straftatbestand für „Anheizer", wie Sie von der Koa- leichter Verfremdung bei genau jenem berüchtigten lition es erfreulich ungeniert formulieren. Der „An- § 2 des alten Strafgesetzbuches unseligen Angeden- heizer", um in Ihrer Diktion zu bleiben, der Rädels- kens zu machen, nach dem unter anderem bestraft führer oder der Haupttäter, wie es in der Sprache der werden mußte, wer eine Tat beging, die - Zitat - Justiz heißen würde, ist ein Fall für den Gerichtssaal, „nach gesundem Volksempfinden" Strafe verdient? für das erkennende Gericht, denn es geht der Sache nach um Strafzumessung, die nie Sache des Gesetz- (Beifall bei der SPD) gebers sein kann und Sache der Rechtsprechung Mit dieser Formulierung hatte Nazideutschland bleiben muß. seinerzeit seinen Austritt aus der Gemeinschaft der (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zivilisierten Rechtsstaaten besiegelt und den Rechts- GRÜNEN und der PDS) staat selbst zerstört. Das Ganze setzt im übrigen voraus, daß ein Täter (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dingfest gemacht worden ist; denn ohne Täter kann GRÜNEN und der PDS) es keine Strafe geben. Wie Sie von der Koalition mit Seit Kriegsende sind diese Formulierung, ihr Inhalt geänderten Strafrechtsvorschriften einem Täter zu und auch das Umfeld der Formulierung gebannt. Sie Leibe rücken wollen, den Sie gar nicht haben, wird ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. wohl immer Ihr Geheimnis bleiben. Das ist bisher Allgemeingut gewesen. Ich beschwöre (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Kollegen von der CDU/CSU und denke dabei be- DIE GRÜNEN) sonders an Horst Eylmann, an Heiner Geißler, an Norbert Blüm und an Rita Süssmuth. Ich beschwöre In Wahrheit offenbaren Sie mit Ihrer Gesetzeswuselei die Kollegen von der F.D.P. und denke besonders an im Strafrecht Hilflosigkeit, weil Sie keine Täter ha- Burkhard Hirsch, an Edzard Schmidt-Jortzig und ben, und noch so empörtes Schnauben kann nicht auch an Detlef Kleine rt. Ich sage Ihnen: Es gibt keine darüber hinwegtäuschen: Mit Ihrer Zeugungssucht sprachliche Brücke zu jener Zeit der Rechtsbarbarei. im Ordnungsrecht dienen Sie der inneren Sicherheit Es darf sie nicht geben. nicht! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN und der PDS) DIE GRÜNEN) Wem das nicht reicht, dem sage ich: weil sonst der Das Strafrecht kann nur das ethische Minimum im politische Brückenschlag zu jener Zeit der Rechtsbar- Zusammenleben der Menschen sichern helfen, und barei ins Haus stünde. 10244 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Dr. Willfried Penner Nochmals und am Schluß: Der Gesetzesstaat ist für strafe von drei Jahren verurteilt wurden. Diese Rege- die innere Sicherheit bestens gerüstet, auch was die lung stößt nicht nur auf völkerrechtliche Bedenken schwierigen Ausländerfragen angeht. Wohl gibt es des UNHCR - er hat sich hier geäußert -, sie ist auch Lücken bei der Durchsetzung des Rechts. Im Be- zutiefst zynisch. Damit machen Sie nämlich das Aus- wußtsein, daß diese Lücken nie ganz zu schließen länderrecht zum zweiten Strafrecht und demontieren sein werden, sollten wir miteinander wetteifern, den Rechtsstaat. diese Schwächen mehr und mehr abzustellen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schönen Dank für die Geduld. Wir lehnen diese inhumane Doppelbestrafung von (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ausländern ab. GRÜNEN und der PDS) All diese Verschärfungen verfolgen eine bekannte Logik Ihrer Ausländerpolitik: Sie bekämpfen nicht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe das die Ursachen von Kriminalität, sondern Sie kriminali- Wort der Abgeordneten Kerstin Müller. sieren weiter. Sie suchen nicht den politischen Dia- log, sondern ziehen den Knüppel des Strafrechts. Zu- dem entledigen Sie sich der Probleme durch Ab- Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! schiebung ins Verfolgerland. Angesichts des Gesetzentwurfes der Bundesregie- Der Gesetzentwurf zeigt meines Erachtens die rung frage ich mich, wie es um die Ausländerpolitik ganze Phantasielosigkeit Ihrer Ausländerpolitik. Im im Lande steht. Der Gesetzentwurf, den Sie, Herr Zweifel setzen Sie auf Abschiebung, und Sie schie- Marschewski, uns heute vorgelegt haben und den ben die politische Verantwortung für die Betroffenen Sie ja überhaupt nur auf Druck der Opposition im gleich mit ab. Hinzu kommt: Die Preisgabe men- normalen parlamentarischen Verfahren zu behan- schenrechtlicher Verpflichtungen gegenüber Auslän- deln bereit waren, läßt sich aus meiner Sicht in drei dern und Flüchtlingen ist nur mit massiven Eingrif- Worten zusammenfassen: Er setzt auf Abschottung, fen in das Demonstrationsrecht für alle hierzulande auf Abschiebung und auf Kriminalisierung von Aus- zu haben. ländern. Meine Damen und Herren von der F.D.P., Frau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schmalz-Jacobsen, ich finde, daß das ein sehr Daran ändern auch die kleinen Verbesserungen schlechter Kuhhandel war: Für ein kleines Reförm- nichts, die Sie vielleicht vorgenommen haben. chen bei der Stelle der Ausländerbeauftragten tra- gen Sie solche weitreichenden Verschärfungen des Damit ist nach dem Urteil des Bundesverfassungs- Demonstrationsrechts mit. Da bleibt der neuent- gerichts genau das passiert, was wir und die Flücht- deckte Liberalismus aber ganz schön auf der lingsorganisationen befürchtet haben. Das Urteil war Strecke! ein fatales Signal, es war ein Freifahrtschein für eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Politik der Abschottung und der schnellen Abschie- bung. Die Menschenrechte sind dabei leider auf der Bei einem, meine Damen und Herren von der Koa- Strecke geblieben. Darüber ist hier heute auch zu lition, kann man sich bei jedem Ihrer Vorstöße zum sprechen, und ich finde es schade, Herr Penner, daß Asyl- und Ausländerrecht sicher sein: Ausländer und - Sie darauf nicht eingegangen sind. Flüchtlinge haben eine Verschlechterung ihrer Rechtslage zu erwarten. Aber zunächst zu den Vorschlägen der Koalition: Sie wollen das Ausländerrecht und das allgemeine (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Nur Kri Demonstrationsrecht verschärfen. Wenn aus einer minelle, kein normaler Ausländer!) verbotenen Demonstration heraus Straftaten began- gen werden, soll aus einem einfachen Landfriedens- - Ich rede von Flüchtlingen. - Sie wollten sich schon bruch ein schwerer werden. Dieser sogenannte Frie- mit dem Asylkompromiß der Flüchtlinge entledigen. densbruch - Herr Penner hat das schon angespro- Und auch wenn diese unmenschliche Politik jetzt chen - kann dabei schon in einer anheizenden Rede von höchster Stelle abgesegnet wurde, versichere ich am Megaphon bestehen. Ihnen: Das Flüchtlingsproblem hat sich mit dem Ur- teil des Bundesverfassungsgerichts nicht erledigt. Herr Marschewski, verstehen Sie mich nicht falsch: Wir verurteilen nachdrücklich Gewalttaten, gerade (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auch die der PKK. Aber das, was Sie hier vorhaben, Wir als Parlament können uns nicht hinter dem Ver- ist einfach der falsche Weg, diesen Auseinanderset- fassungsgericht verstecken. Im Gegenteil, Karlsruhe zungen zu begegnen. hat lediglich erklärt, was verfassungsrechtlich ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - rade noch zulässig ist. Was politisch und menschlich Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das haben notwendig ist und was rechtlich möglich ist, das steht Sie bei Asyl auch gesagt!) eben nicht in diesem Urteil. Das liegt in unserer poli- tischen Verantwortung. - Ja, wir bleiben da auch bei unserer Position. Mit dem Urteil wurden die Probleme nicht gelöst, Selbst Asylberechtigte sollen künftig trotz festge- sie wurden nur verschoben. Aus dem Asylproblem stellter politischer Verfolgung in ihr Verfolgerland wurde ein Abschiebeproblem gemacht - und damit abgeschoben werden, wenn sie zu einer Freiheits- ein Menschenrecht demontie rt . Die Flüchtlinge wer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10245

Kerstin Müller (Köln) den abgeschoben in sogenannte sichere Drittländer, stehen, reden nicht einmal mehr davon. Herr Kan- angeblich sichere Herkunftsländer und verschwin- ther, es ist Aufgabe der Bundesregierung, hier nach- den in der Abschiebehaft oder tauchen ab in die Ille- zuarbeiten. Damit hat das Bundesverfassungsgericht galität. aus unserer Sicht einen klaren Auftrag erteilt. Noch nie war die Zahl der Abschiebehäftlinge in Auf ebenso unsicherem Grund wie die Drittstaa- der Bundesrepublik so hoch. Seit Inkrafttreten des in- tenregelung stehen die Regelungen für Flüchtlinge humanen Asylrechts hat es allein 20 Selbstmorde in aus sogenannten sicheren Herkunftsländern und Abschiebehaftanstalten gegeben. Vor dieser Realität das Flughafenverfahren. Auch hier entscheidet der verschließen Sie die Augen. Weg und nicht der Fluchtgrund. Ich glaube, wir ha- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das ist ben im Falle Ghanas bei der mündlichen Verhand- doch gar nicht wahr!) lung deutlich sehen können, auf welch wackligen Füßen diese Regelung steht. Das Auswärtige Amt Das wird hier nicht thematisiert. Sie haben Ihre Ver- mußte nach Ausführung von Amnesty International antwortung für die Schicksale der Flüchtlinge auf die zugeben, daß es ein paar Todesurteile und Hinrich- anderen Länder abgeschoben, nach dem Motto: Aus tungen in Ghana schlicht übersehen hat. Ich begrüße den Augen, aus dem Sinn. deshalb den Antrag der SPD auf Streichung Ghanas aus der Liste. Wir werden dem gerne zustimmen. Für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - uns ist das aber nur ein allererster Schritt. Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dann machen Sie etwas dagegen! Sie sitzen doch Herr Kanther, Sie haben gedroht, wer den mit der in Nordrhein-Westfalen in der Landesregie SPD ausgehandelten Kompromiß in Frage stelle, rung! Nicht reden, machen!) müsse mit schwerwiegenden Konsequenzen für das Meine Damen und Herren, meine Fraktion bringt friedliche Zusammenleben von Deutschen und Aus- daher heute zu dieser Debatte einen Antrag für eine ländern rechnen. Ich frage Sie: Was ist das für ein in- menschenrechtlich orientierte Flüchtlingspolitik so- nerer Friede, der sich auf Abschottung gründet und wie weitere Initiativen ein. Unser Antrag formuliert, der sich nur durch Unmenschlichkeit erhalten läßt? ohne die Verfassung ändern zu müssen, auf einfach- Meine Fraktion hat eine andere Vorstellung von ei- gesetzlicher Ebene Mindeststandards für eine hu- ner friedlichen Gesellschaft. Wir stehen hier nicht al- mane Flüchtlingspolitik. Vor allem hat der Antrag ein leine. Es gibt immer mehr Bürgerinnen und Bürger, Anliegen: Nicht der Fluchtweg, sondern der Flucht- immer mehr Kirchengemeinden, die Widerstand lei- grund muß wieder über das Schicksal der Flücht- sten. linge entscheiden. Ich glaube, unser Antrag wird auch für Sie, meine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Damen und Herren von der SPD, zu einer Glaubwür- und bei der PDS) digkeitsprobe. Sie müssen zum Urteil des Verfas- sungsgerichts Stellung beziehen. Niemand darf abgeschoben werden, bevor seine Asylgründe nicht wenigstens überprüft wurden. Die (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) geltende Drittstaatenregelung erfüllt diese Grund- sätze nicht. Denn wer aus einem sogenannten siche- Ich glaube, der Asylkompromiß war ein fataler Irr- ren Drittstaat einreist, wird ausnahmslos vom Verfah- weg. ren ausgeschlossen. Die Drittstaatenregelung- miß- (Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) achtet das Rückschiebungsverbot der Genfer Kon- vention. Ein Asylrecht, das offenläßt, ob sich ein Lassen Sie uns gemeinsam der Menschenwürde wie- Staat überhaupt noch zu einer inhaltlichen Überprü- der zu ihrem Recht verhelfen. Stimmen Sie unserem fung eines Asylantrages bereit findet, hat seine men- Antrag zu. schenrechtliche Qualität eingebüßt. Danke schön. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Wo leben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie denn?)

Der Bundestag muß dem entgegentreten. Wir dürfen Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das uns nicht am Aufbau eines Systems organisierter Wort der Abgeordneten Cornelia Schmalz-Jacobsen. Verantwortungslosigkeit beteiligen. Wir schlagen daher in dem Antrag vor: Flüchtlinge Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- dürfen nur in den Drittstaat zurückgewiesen werden, dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Unser Aus- wenn dort ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert länderrecht ist fünf Jahre alt. Von Anbeginn an hat es ist. Vor jeder Rückführung, bei jedem Einzelfall, ist immer wieder die Frage gegeben: Brauchen wir nicht die Zustimmung des Landes einzuholen. eine Novellierung? Brauchen wir nicht Veränderun- Das Bundesverfassungsgericht spricht vom Prinzip gen? Es hat im Laufe der Jahre etliche Initiativen ge- der Lastenverteilung in Europa. Eine europäische geben. Ich denke, das ist Ausdruck eines lebendigen Lösung existiert aber bisher nicht. Weder Schengen Parlamentarismus. Es hat Initiativen von allen Seiten noch die Asylkonvention der EU garantieren wirklich und von allen Fraktionen des Hauses gegeben. Es den Zugang zu Asylverfahren. Die Rücknahmeab- hat aus der Opposition und aus der Regierungskoali- kommen, die mit den osteuropäischen Ländern be- tion Initiativen zur Erleichterung gegeben. 10246 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Cornelia Schmalz-Jacobsen Es geht hier um Erleichterungen. So haben unsere Ein anderer Punkt, der vor allen Dingen aus psy- Beratungen angefangen. Ich möchte das in die Köpfe chologischen Gründen außerordentlich wichtig ist, zurückholen: Die Beratungen haben mit der Diskus- ist die Tatsache, daß junge Leute, die hier geboren sion von Erleichterungen für f riedlich und seit Jahren und aufgewachsen sind, nicht mehr 60 Monate lang hier lebende Nichtdeutsche begonnen. Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, um eine Aufenthaltsberechtigung zu bekommen. Es ist ge- Die F.D.P.-Fraktion hat in der vergangenen Legis- radezu absurd, daß jemand, der sich um eine Ausbil- laturperiode eine Anhörung mit einer sehr breiten dung bemüht, so lange auf einen guten Aufenthalts- Palette von Sachverständigen durchgeführt. Exakt status warten muß. die Dinge, die dort und auch immer hier im Hause geäußert worden sind, die Dinge, die für die hier le- Auch für behinderte Jugendliche ist es wichtig, bende ausländische Wohnbevölkerung am wichtig- daß sie einen Aufenthaltsstatus erhalten, der sie sten sind, haben Eingang in unsere Vorschläge ge- nicht mit einer möglichen Ausweisung konfrontiert. funden. In der Bundesrepublik Deutschland hat es zwar nie eine solche Ausweisung gegeben, es ist aber wichtig, Ich habe versucht, mich ein bißchen in einen daß diese Menschen in ihrem familiären Zusammen- Nichtdeutschen, eine Nichtdeutsche hineinzuverset- halt gestärkt werden und beruhigt sein können. zen, die dieser Debatte folgt. Als Nichtdeutsche hätte ich den Eindruck gehabt, daß hier aus verschiedenen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Blickwinkeln nur über Gefahren, Abschotten und Abschieben gesprochen wird, womit das Gesetz sehr Auch der vielzitierte und oft beratene § 19, der einseitig beschrieben wäre. dem Eindruck in der Öffentlichkeit nach den aller- wichtigsten Punkt darstellt, wird, wie Sie wissen, ge- Wir machen Gesetze für den Normalfall. Wir sind ändert. In Fällen einer außergewöhnlichen Härte immer in der Gefahr - ähnlich wie die Sensations- wird nach einem Jahr ein eigenständiges Aufent- presse, für die eine schlechte Nachricht eine gute haltsrecht gewährt. Dies gilt übrigens sowohl für Nachricht ist -, den Extremfall und nicht den Normal- Frauen als auch für Männer; das eigenständige Auf- fall besonders zu thematisieren. enthaltsrecht gilt für beide gleichermaßen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich bin gespannt, ob es in der Praxis tatsächlich Dadurch entstehen bei den Betroffenen leider sehr eine Unterscheidung zwischen besonderen Härtefäl- leicht Irritationen. In einer renommierten deutschen len und außergewöhnlichen Härtefällen geben wird; Tageszeitung stand, daß jugendliche Ausländer, die denn all die Härtefälle, die an mich herangetragen in die Heimat gegangen sind und jetzt zurück nach worden sind, waren nach der jetzigen Ausführung Deutschland wollen, nicht einmal ein Rückkehrrecht außergewöhnliche Härtefälle. hätten. In Wahrheit steht längst im Gesetz, daß Ju- gendliche zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr un- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Schmalz ter bestimmten Voraussetzungen, die sehr großzügig Jacobsen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Ab- gewählt sind, fünf Jahre nach Ausreise zurückkeh- geordneten Schewe-Gerigk. ren können. Aber solche Desinformationen entste- hen. Mich haben viele Briefe und Anrufe von jungen (F.D.P.): Selbstver- Leuten und Eltern erreicht, die gefragt haben, ob das Cornelia Schmalz-Jacobsen ständlich. so ist. Es ist nicht so. -

(Zuruf des Abg. Otto Schily [SPD]) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Worum geht es? Es geht um Verbesserungen für NEN): Frau Schmalz-Jacobsen, Sie haben gerade alte Leute, für junge Leute, für Behinderte, für Ehe- von der Verbesserung für die ausländischen Ehe- partner und übrigens auch für ehemalige Vertragsar- frauen durch die Einführung der Einjahresfrist ge- beitnehmer aus der DDR. Ich sehe das Schwerge- sprochen. wicht bei den Erleichterungen ein bißchen anders als Die Koalition kann sich diesem Unrecht auch wirk- mein Kollege Marschewski. Ich glaube, das Wesent- lich nicht länger verweigern. lichste ist, es der ersten Generation der Gastarbeiter, die nach mindestens 15 Jahren Aufenthalt deutsche (Cornelia Schmalz-Jacobsen [F.D.P.]: Haben Renten beziehen - dazu steht in unserem Gesetzent- wir auch nicht!) wurf Präzises -, zu ermöglichen, so hin und her zu Sie selbst wissen, daß durch viele Petitionen transpa- reisen, als ob sie Deutsche oder EU-Angehörige wä- rent geworden ist, welches Unrecht das für die aus- ren. Daß sie dies nicht konnten, war für die erste Ge- ländischen Frauen bedeutet. neration der Gastarbeiter, für die Großeltern ein so großes Obstakel, ein so großer Stolperstein, daß die Meine Frage an Sie: Warum sind Sie mit der Ein- Neuregelung eine große Erleichterung und Befrei- jahresfrist auf halbem Wege stehengeblieben? ung sein wird. Warum sagen Sie nicht, daß es für die Frauen ein (Beifall bei der F.D.P.) nicht vom Ehemann abgeleitetes, eigenständiges Sie haben das ja auch erwähnt. Da sind wir gar nicht Aufenthaltsrecht geben muß, das entweder mit dem Tag der Eheschließung oder mit der Einreise Gültig- weit auseinander. Aber das halte ich für den wesent- keit erhält? Wollen Sie wirklich, daß eine Ehefrau lichsten Punkt. vier Jahre lang in einer Ehe ausharren muß, obwohl (Zuruf von der SPD) sie sich von ihrem Ehemann trennen lassen will, oder Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10247

Irmingard Schewe-Gerigk daß sie sich quälen lassen muß, damit sie nicht aus- lich ein? Wir setzen uns hier doch für die friedlichen, gewiesen wird? Was wollen Sie unternehmen, damit rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer ein. Heiratshändler nicht länger mit dem deutschen Recht aggressiv Werbung machen und den Ehemän- Es geht nicht an, daß Resozialisierung nur auf nern versprechen: Innerhalb eines Jahres könnt ihr Jugendliche mit einem deutschen Paß in der Tasche eure ausländischen Ehefrauen loswerden, wenn sie angewandt werden kann. Deswegen haben wir den sich nicht so verhalten, wie ihr es wollt? besonderen Ausweisungsschutz nicht aus dem Ge- setz herausgenommen. (Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Das ist sehr wich Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Kolle- gin, zunächst einmal: Mich stört, daß diesen Ehen ge- tig!) radezu ein Siegel der Miserabilität aufgedrückt wird. Wir müssen einen Unterschied machen, meine Kolle- Das ist nicht die Regel. Die Regel ist, daß diese Ehen ginnen und Kollegen, zwischen einem Jugendlichen, friedlich und vernünftig verlaufen. Mir bereitet es der mehr oder weniger wie alle unsere Kinder aufge- Probleme, daß man bei der ganzen Diskussion so tut, wachsen ist und eine erhebliche Dummheit, viel- als ob diese Ehen a prio ri schlechte Ehen seien. Das leicht sogar eine schwere Straftat, begeht, und je- ist nicht der Fall. mandem, der als Tourist hierher kommt oder gar den Schutz unseres Landes sucht und dann unsere Ge- Wir haben uns darauf verständigt, daß die Vierjah- setze mit Füßen tritt. Das ist ein Unterschied. resfrist ein Zeitrahmen ist, der durchaus vernünftig ist. Eine andere Frage wäre, ob nicht die Zeit, in der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die Ehe im Ausland geführt worden ist, mit einbezo- gen werden soll. Das ist aber nicht unser Thema. Daß wir niemanden in Tod und Folter zurückschik- ken, das versteht sich doch von selbst. Eine Ehe beginnt in der Regel eben nicht mit Prü- gel, Mord und Totschlag. Ich bitte Sie alle sehr herzlich die Erleichterungen, die hier vorgesehen sind, bekanntzumachen. Wir (Dr. Willfried Penner [SPD]: Darüber müs brauchen in der Bevölkerung einen Rückhalt für sen wir uns einmal unterhalten!) Toleranz und für das Miteinander. Diesen Rückhalt haben wir, glaube ich, in sehr viel größerem Maße, - Herr Kollege Penner! - Der Zeitraum von einem als uns das Stammtischgerede manchmal weiszuma- Jahr ist, so glaube ich, ein vernünftiger Kompromiß. chen versucht. Nur muß man dazu die Erleichterun- Im übrigen: Glauben Sie wirklich, daß es für die gen auch laut und deutlich bekanntmachen. betroffenen Frauen, die als Fremde hierherkommen, Vielen Dank. von besonderem Belang ist, ob sie sofort ein eigen- ständiges Aufenthaltsrecht erhalten? Meinen Sie, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) daß sie sich hier dann besser zurechtfinden und glücklich sein werden? Ich bin der Meinung, diese Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich gebe nun Ein-Jahr-Regelung wird vielen Argumenten gerecht. der Abgeordneten Ulla Jelpke das Wort. Wir werden sehen, was die Praxis zeigt. Ich glaube aber, es ist vernünftig. Ulla Jelpke (PDS): Herr Präsident! Meine Damen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)- und Herren! Frau Schmalz-Jacobsen, ich habe wirk- lich das Gefühl, daß wir hier über völlig verschiedene Ich habe die Vertragsarbeitnehmer angesprochen, Anträge reden. Sie reden die Anträge schön; denn von denen hier interessanterweise niemand mehr ich bin der Meinung: Das, was hier vorgelegt wurde, spricht, die aber doch ein wesentlicher Bestandteil ist von Zuckerbrot und Peitsche geprägt. der Wahrnehmung unserer Kolleginnen und Kolle- gen aus den neuen Ländern sind. Zuckerbrot gibt es nämlich für die Flüchtlinge so- wie die Migrantinnen und Migranten, die schon seit (Dr. Willfried Penner [SPD]: Warum sind Sie langem hier leben und ihren Integrationswillen in Ih- nicht für die 50 Prozent!) ren Augen ausreichend bekundet haben. Für sie - Ich war nicht für die 50 Prozent, Herr Kollege Pen- sieht dieser Entwurf in der Tat einige Verbesserun- gen vor. ner. Es ist eine gegriffene Zahl. Daß aber ein Aufent- halt hier anerkannt wird, wenn auch nur zu Die Peitsche schwingen Sie, meine Damen und 50 Prozent, bedeutet eine Besserstellung gegenüber Herren von den Koalitionsfraktionen, gegen all dieje- den geduldeten Ausländern. Diese nämlich begin- nigen, die aufmüpfig sind, die für Ihre Rechte hier nen bei Null. Insofern ist hier einem Petitum nachge- oder im Herkunftsstaat eintreten, und gegen straffäl- kommen worden, das aus den neuen ,Bundesländern lige Menschen, die verurteilt wurden. immer wieder an uns herangetragen worden ist. Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Diese Novellierung hat auch noch eine andere Wir sind dagegen, daß Demonstrationen gewalttätig Seite. Wenn ich mir die Wohnbevölkerung, egal, mit verlaufen. Aber zur Ahndung möglicher Straftaten welchem Paß in der Tasche, ansehe, dann ist die bit- auf solchen Veranstaltungen gibt es Gesetze, und tere Erkenntnis, daß es notwendig war, einen deutli- diese reichen unseres Erachtens völlig aus. Es ist cheren Trennstrich zwischen den friedlich hier Le- nicht nur überflüssig, sondern es kommt einer dop- benden und den Straftätern zu ziehen. Wir müssen pelten Bestrafung gleich, wenn verurteilte Menschen immer darauf achten: Für wen setzen wir uns eigent- auch noch ausgewiesen werden. Dies gilt für alle 10248 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Ulla Jelpke Straftäter unabhängig davon, ob sie politische oder schwerem Landfriedensbruch umzudefinieren, der andere Hintergründe haben. dann zwingend die Ausweisung zur Folge hat. Für eine solche Verurteilung soll es bereits ausreichen, Ihr Plan zur Doppelbestrafung setzt meines Erach- wenn jemand ein Megaphon in der Hand hält. Ihm tens die Grundfrage bei allen ausländerrechtlichen oder ihr unterstellen Sie, daß er oder sie sich als An- Fragen erneut auf die Tagesordnung: Betrachten wir heizer betätigt. Nebenbei erreichen Sie, daß das De- Menschen, die ohne deutschen Paß hier leben, als monstrationsrecht insgesamt verschärft wird. gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen, oder sind sie lediglich Gäste, denen man sein Wohlwollen be- Aber damit nicht genug. Das Verbot politischer liebig entziehen kann? Betätigung wollen Sie ebenfalls verschärfen. Schon ein einmaliger Verstoß dagegen reicht für eine Ver- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Letzte urteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Bislang wa- res!) ren dazu immerhin wiederholte Verstöße notwendig. (Vorsitz: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Wer sich verbotenermaßen dreimal politisch äußert, wird dreimal verurteilt. Das ergibt eine Gesamtstrafe Sie von der Koalition betrachten Menschen ohne von drei Jahren, und daraus folgt die Abschiebung. deutschen Paß als Gäste ohne wesentliche Rechte. Die PDS spricht sich vehement gegen alle Ver- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Richtig!) schärfungen der Ausweisungsbestimmungen und Unter Gästen versteht man allerdings gemeinhin, gegen jede Ausweitung politischer Betätigungsver- daß sich Menschen vorübergehend zu Besuchen auf- bote aus. Wir fordern, daß Nichtdeutschen das volle halten. Die meisten hier lebenden Nichtdeutschen Recht auf Meinungsäußerung, auf Koalitions- und sind aber nicht zu Besuch hier, sondern sie haben ih- Versammlungsfreiheit eingeräumt wird. ren Lebensmittelpunkt in Deutschland: leben hier, (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das hät arbeiten hier, erziehen hier ihre Kinder usw. Sie sind tet ihr vor zehn Jahren machen müssen! - darüber hinaus politisch denkende und handelnde Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie hat Menschen. Schon eine Verurteilung wegen einer ten 40 Jahre Zeit dazu!) Straftat zu drei Jahren soll ausreichen, einen Men- schen auszuweisen. Bislang waren dazu immerhin Ebenfalls auf mißliebige Ausländerinnen und Aus- schwere Verbrechen mit einer Strafe von mindestens länder zielt die Ausweitung von Abschiebehaftgrün- fünf Jahren notwendig. Mehrfach verurteilte Men- den. Die meisten in Abschiebehaft sitzenden Menschen schen sollen bereits ausgewiesen werden können, haben sich nichts weiter zuschulden kommen lassen, wenn ihre Strafen innerhalb von fünf Jahren zusam- als hier Zuflucht zu suchen. Dafür werden sie einge- men drei Jahre Haft ergeben. Das kann schon bei sperrt und schlechter behandelt als Strafgefangene. mehreren Bagatelldelikten der Fall sein. Sie wollen, daß der während der Abschiebehaft ge- Meine Damen und Herren, Herr Penner hat es stellte Asylantrag nicht mehr zur sofortigen Entlas- eben angesprochen: Diese Regelung wollen Sie nun sung aus der Haft führt. Bis zu vier Wochen müssen auch auf minderjährige Jugendliche, die hier gebo- Asylbewerberinnen und Asylbewerber warten, bis ren sind bzw. lange in Deutschland leben, ausweiten. das Bundesamt eine Entscheidung getroffen hat. Sie Ich frage Sie allen Ernstes: Ist Ihnen etwa nicht be- unterstellen von vornherein, daß Anträge mißbräuch- kannt, daß diese Jugendlichen ihre Länder häufig lich und offenkundig aussichtslos sind, daß sie allein nur als Urlaubsländer kennen und kaum deren- Spra- aus taktischen Gründen gestellt werden, um eine Ab- che beherrschen? schiebung zu verhindern. Sie nehmen kalt lächelnd in Kauf, daß es kaum möglich ist, von einem Gefäng- Besonders verwerflich ist, daß Sie auch vor der nis aus ein Asylverfahren mit Aussicht auf Erfolg zu weiteren Demontage des internationalen Flücht- betreiben. lingsrechts nicht haltmachen. Künftig sollen politisch Verfolgte in den Staat abgeschoben werden, der sie Völlig unzureichend ist Ihr Vorschlag, den § 19 des verfolgt hat, wenn sie eine besondere Gefahr für die Ausländergesetzes zu ändern. Es bleibt dabei, daß Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik das Aufenthaltsrecht des nachgezogenen Ehegatten Deutschland darstellen und zu mindestens drei Jah- - in den meisten Fällen der Ehefrau - von dem des ren Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Mannes abgeleitet wird. Die Ehe muß weiter vier Jahre Bestand im Bundesgebiet haben, bevor die (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Da müs Frau ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bekommt. sen sie schon viel ausgefressen haben!) In Härtefällen reichen drei Jahre. Nur zur Vermei- Abgesehen von der Tatsache, daß die Sicherheit dung einer außergewöhnlichen Härte kann die Frist und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland auf ein Jahr verkürzt werden. ein subjektives Kriterium darstellt, das je nach Inter- Dabei verzichtet die Koalition im Gesetz auf die essenlage der jeweils Regierenden definiert wird, Definition dieser außergewöhnlichen Härte. Nur aus bricht dieser Plan mit der Genfer Flüchtlingskonven- der Begründung des Gesetzentwurfes läßt sich her- tion. Diese sieht die Ausweisung politisch Verfolgter nur in begründeten Ausnahmefällen vor. Sie aber auslesen, daß Sie damit auch Mißhandlungen durch den Mann oder Zwang zur Prostitution meinen könn- machen das mit Ihren Vorlagen zur Regel. ten. Die Ausländerbehörden pflegen im allgemeinen Auf die hier lebenden und politisch aktiven Kur- jedoch weniger die Begründung zu lesen. Sie lesen den zielt Ihr Vorhaben, einfachen Landfriedensbruch vor allen Dingen die Paragraphen, und die handha- bei verbotenen Demonstrationen zu besonders ben sie meistens ziemlich restriktiv. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10249 Ulla Jelpke Die Neuauslegung hat also allenfalls Alibicharak- formuliert genau das, was unserer Meinung nach ter; denn es bleibt Fakt, daß Frauen sich mindestens nötig ist. ein Jahr lang mißhandeln lassen müssen, bevor sie sich von ihrem Ehemann trennen können, und daß (Beifall bei Abgeordneten der PDS und des deutsche Ehemänner sich weiterhin nicht mehr ge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nehmer Ehefrauen per Ausländerbehörde entledigen Ansonsten möchte ich Sie bitten, das gesamte können, ohne Unterhaltszahlungen befürchten zu Paket, das heute vorgelegt wurde, noch einmal einer müssen usw. Dies spricht vielen Frauen Hohn. Es öffentlichen Anhörung zuzuführen; denn ich glaube, geht hier, Frau Schmalz-Jacobsen, vor allen Dingen daß es sehr wichtig ist, Flüchtlingsorganisationen um diejenigen Frauen, die durch Heiratshändler ver- und -gruppen bzw. Experten nochmals zu den Aus- mittelt werden, und um diejenigen, die mißhandelt wirkungen dieser Anträge zu hören. werden. Danke. Wir bleiben bei unserem Antrag, daß Ehepartnerin und Ehepartner mit der Einreise in die Bundesrepu- (Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/ blik sofort ein eigenständiges, vom Ehegatten unab- DIE GRÜNEN) hängiges Aufenthaltsrecht bekommen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS]) Kollege Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU. Wir fordern auch, daß der Sozialhilfebezug als Aus- weisungsgrund gestrichen wird. Wolfgang Zeitlmann (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muß Von schreiender Ungerechtigkeit geprägt ist auch eingangs einen Satz zum Kollegen Penner sagen. Ihr Vorschlag, den ehemaligen Vertragsarbeitneh- Herr Kollege Penner, ich habe die Formulierung in merinnen und Vertragsarbeitnehmern aus der DDR der Begründung nachgelesen, die Sie so erzürnt hat für die Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus hier in und derentwegen Sie hier solche Temperamentsaus- der Bundesrepublik nur die Hälfte ihrer Aufenthalts- brüche hatten. In dem Satz geht es um das Abschie- zeit in der DDR anzuerkennen. ben und um Erleichterungen bei der Abschiebung von Ausländern, die schwere Straftaten begehen. Betroffen sind 15 000 Menschen, vorwiegend Viet- Dort heißt es: namesinnen und Vietnamesen, die derzeit im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sind. Sie müssen nach Dies gilt gerade auch für die Ausländer, die durch Ihrer Regelung jetzt meistens bis zu 13 Jahre und im die Begehung des besonders schweren Landfrie- Extremfall sogar 19 Jahre warten, bis sie eine unbe- densbruchs das legitime Sicherheitsempfinden fristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Das Aus- der Bevölkerung und die Rechtsordnung gefähr- ländergesetz sieht im übrigen vor, daß eine unbefri- den bzw. verletzen. stete Aufenthaltsgenehmigung nach acht Jahren (Dr. Willfried Penner [SPD]: Genau das ist rechtmäßigen Aufenthalts in der Bundesrepublik er- es!) teilt werden kann. Herr Penner, Sie haben den Beg riff „legitimes Sicher- Zu behaupten, die Vertragsarbeitnehmerinnen und heitsempfinden" kritisiert und so getan, als sei dies -arbeitnehmer aus Vietnam würden durch die schon NS-Gedankengut 50prozentige Anerkennung der DDR-Zeit privile- giert, weil sie eigentlich nicht mit einem dauerhaften (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das habe ich Aufenthalt hier hätten rechnen können, ist blanker überhaupt nicht!) Zynismus. Auch die sogenannten Gastarbeiterinnen und mit dem Begriff „gesundes Volksempfinden" und Gastarbeiter im Westen sind hier nur als Arbeits- vergleichbar. kräfte auf Zeit angeworben worden. Sie mußten sich den langen Aufenthalt erkämpfen, frei nach dem (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ich habe von Motto von Max Frisch: Sie riefen Arbeitskräfte, und sprachlicher Anleihe gesprochen! - Erwin es kamen Menschen. Marschewski [CDU/CSU]: Das ist das Schlimmste, was ich seit Jahren gehört Die ehemaligen Vertragsarbeitnehmerinnen und habe!) -arbeitnehmer werden durch diese Regelung auf Jahre hinaus daran gehindert, wenigstens den Mi- Ich will Ihnen klipp und klar sagen: Nach 50 Jahren grantinnen und Migranten im Westen gleichgestellt freiheitlicher Demokratie kann mich mit so einer For- zu werden. Sie müssen erhebliche Behinderungen mulierung niemand mehr attackieren. Es ist legitim, beim Zugang zum Arbeitsmarkt hinnehmen, bekom- auch auf ein Sicherheitsempfinden in unserer Bevöl- men kein Kindergeld und kein Erziehungsgeld. Dar- kerung Rücksicht zu nehmen. auf haben Ausländerbeauftragte der neuen Länder (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ebenso wie die Interessenvertretungen der Auslän- GRÜNEN]: Auf das Sicherheitsbedürfnis, der besonders hingewiesen. aber nicht auf irgendein Empfinden!) Wir fordern Sie deshalb auf, dem von Sachsen-An- Alle führenden Köpfe in der Politik haben nach den halt vorgelegten Gesetzentwurf, der die Gleichstel- Demonstrationen und den auf deutschen Straßen lung von Ausländerinnen und Ausländern im Westen verübten Gewalttaten auch sehr deutlich diesem Si- und in der ehemaligen DDR fordert, zuzustimmen. Er cherheitsempfinden der Bevölkerung Rechnung ge- 10250 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Wolfgang Zeitlmann tragen und Verschärfungen gefordert, Herr Penner, teln die Aufenthaltstitel des Ausländerrechts - miß- auch die Vorturner Ihrer Partei. braucht, muß dieses entzogen werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, nach der (Beifall bei der CDU/CSU - Zuruf der Abg. letzten großen Reform des Ausländergesetzes 1990 Ulla Jelpke [PDS]) befassen wir uns heute wieder mit einschneidenden Deswegen forde rt die CSU mit Nachdruck, daß Änderungen, allerdings in einem Paket, das die Än- die bewiesene Begehung eines Landfriedensbruchs derung von Vorschriften des Strafrechts und des zwingend zur Ausweisung des Ausländers führt. Asylverfahrensgesetzes enthält. Bevor ich im einzel- Diese Forderung - das gebe ich offen zu - war in der nen auf Änderungen eingehe, möchte ich doch Sinn Koalition nicht durchsetzbar. Nunmehr muß eine und Zweck des Ausländerrechts allgemein darstel- rechtskräftige Verurteilung wegen schweren Land- len. friedensbruchs zu zumindest zwei Jahren vorliegen; Das Ausländerrecht kann und darf nur den Zweck erst unter diesen Voraussetzungen ist der Ausländer haben, die Belange des in Deutschland lebenden zwingend auszuweisen. Wir von der CSU haben die- bzw. nach Deutschland kommenden Ausländers und ses Ergebnis nolens volens mitgetragen. Allerdings die Belange der Bundesrepublik Deutschland in ein muß die Zukunft erweisen, ob die nunmehr gefunde- vernünftiges Verhältnis zueinander zu setzen. Des- nen Ergebnisse im gewünschten Sinn Erfolge zeigen. wegen regelt es die die Ausländer betreffenden Vor- Auch die vorgesehene Erleichterung des eigen- aussetzungen des Zugangs nach Deutschland und ständigen Ehegattenaufenthaltsrechts ist ein Kom- des Aufenthalts in Deutschland. promiß zugunsten des Koalitionspartners. Es bleibt Bei allem Verständnis für die individuellen Be- zu hoffen, daß diese Neuregelung - eigenständiges lange der Ausländer darf aber nicht verkannt wer- Ehegattenaufenthaltsrecht bereits nach einem Jahr den, daß das Ausländerrecht kein Sozialrecht, son- bei Vorliegen der außergewöhnlichen Härte - nicht dern Sicherheitsrecht ist. zu verstärktem Mißbrauch führt. (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht zuletzt auf Drängen der CSU wurden die Be- stimmungen über die Beendigung des Aufenthalts Es regelt die Vereinbarkeit von Zuzug und Aufent- bei strafrechtlicher Verurteilung verschärft. Mußte halt von Ausländern mit dem öffentlichen Interesse. bisher bei Verurteilung wegen vorsätzlicher Strafta- Dieser Zusammenhang ist vielfach in Vergessenheit ten zu Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens geraten oder wird gar verdrängt. fünf Jahren bzw. bei mehrfacher Verurteilung von mindestens acht Jahren zwingend ausgewiesen wer- Das deutsche Ausländerrecht zeichnet sich durch den, so gilt dies künftig bei Freiheitsstrafen von drei große Liberalität aus. Jahren bei Mehrfachverurteilungen innerhalb von (Lachen bei der PDS - Erwin Marschewski maximal fünf Jahren. Mit dieser Regelung wird die [CDU/CSU]: Das muß gerade die PDS- Gesetzeslage an die Spruchpraxis der Strafgerichte Tante sagen! Das ist ja nicht zu glauben!) angepaßt, die sich bei der Verhängung langjähriger Freiheitsstrafen als sehr, sehr zurückhaltend erwie- - Dieser Einwurf von der ganz linken Seite kann sen haben. mich überhaupt nicht treffen. Wie hier jemand als - so sage ich es einmal - Überbleibsel der DDR lachen Mit dieser Regelung korreliert die Änderung der kann, wenn von Liberalität die Rede ist, ist mir uner- Ausweisungsschutzvorschriften. Der Ausweisungs- findlich. Man müßte einmal Geschichtsforschung be- schutz entfällt künftig regelmäßig bei schwerwiegen- treiben, um herauszufinden, was ihr da drüben mit den Straftaten. Darüber hinaus haben wir durchge- den Ausländern gemacht habt. setzt, daß zukünftig allein die Asylantragstellung aus der Abschiebehaft heraus nicht mehr automatisch (Zuruf des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS]) zur Haftentlassung führt. So kann vermieden wer- den, daß auch eine Ich will einmal ein paar Zahlen nennen. Lebten im mißbräuchliche Asylantragstel- lung zwingend die Freilassung aus der Haft nach Jahre 1950 in Deutschland knapp 568 000 Ausländer, sich zieht. so waren es im Jahre 1990 bereits knapp 5,5 Millio- nen und im Jahre 1995, also fünf Jahre später, 7,2 Mit den jetzt vorgelegten Änderungen des Auslän- Millionen. Der Anteil der EU-Ausländer bewegt sich derrechts werden nicht nur die Möglichkeiten zur zwischen 20 und 25 Prozent. Ich finde, allein diese Ausweisung und Abschiebung Krimineller verbes- Zahlen machen deutlich, daß unser Ausländerrecht sert; es wird auch die Rechtsstellung der sich legal in wohl in eine Reihe mit den liberalen und freiheit- Deutschland aufhaltenden Ausländer verbessert. So lichen Ausländerrechten der westlichen Welt gestellt wird zukünftig ausländischen behinderten Kindern werden kann. unter erleichterten Voraussetzungen eine unbefri- stete Aufenthaltserlaubnis oder sich in Ausbildung Vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereit- befindlichen ausländischen Jugendlichen leichter schaft ausländischer Straftäter allerdings setzt sich eine Aufenthaltsberechtigung erteilt. meine Partei insbesondere für eine Verschärfung der Ausweisungsvorschriften ein. Mit dem derzeitigen Das nun vorliegende Paket stellt einen im wesentli- Ausländerrecht kann nur unzureichend auf gewalttä- chen ausgewogenen Kompromiß zwischen Ver- tige Massendemonstrationen reagiert werden. Dem- schärfungen einerseits und Erleichterungen anderer- jenigen, der sein Gastrecht - ich betone: sein Gast- seits dar. Die Effektivität dieses Pakets wird sich al- recht; um mehr handelt es sich nicht; nur das vermit- lerdings erst erweisen müssen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10251

Wolfgang Zeitlmann Bei allen jetzigen und zukünftigen Forderungen Statt dessen aber präsentieren Sie uns einen gesetz- nach noch weitergehenden Erleichterungen werden geberischen Gemischtwarenladen in wilder Zusam- wir alle uns fragen müssen, ob nicht bereits die Gren- menballung: ein gewisses Quantum an Vorschlägen zen des Machbaren erreicht sind. Ich habe die Zah- zu aufenthaltsrechtlichen Verbesserungen, gefolgt len und Steigerungsraten am Anfang meiner Rede von einschneidenden Veränderungen im Strafgesetz- genannt. Angesicht der anstehenden Einschnitte, buch, bei den Ausweisungstatbeständen und beim insbesondere im sozialen Bereich, wird eine weitere Demonstrationsrecht und zu guter Letzt ein paar Vor- Liberalisierung des Ausländerrechts an die Gren- schriften zur Stellung der Ausländerbeauftragten. zen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und die Aufnahmebereitschaft ihrer Be- Das war der unverfrorene Versuch, umfassende völkerung stoßen. Wir dürfen die deutsche Bevölke- Gesetzesänderungen noch vor der Sommerpause rung nicht überfordern; sonst besteht die Gefahr, daß durchzupeitschen, eine glatte Mißachtung parlamen- sich deren grundsätzliche Ausländerfreundlichkeit tarischer Sitten und der Rechte der Opposition ins Gegenteil verkehrt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Meinen Sie das wirklich ernst?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) auf eine sorgfältige und eingehende Beratung ihrer eigenen Initiativen. Das konnten wir uns nicht bieten Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die lassen. Wir haben Sie zum Glück von diesem Vorha- Kollegin Cornelie Sonntag-Wolgast, SPD. ben abbringen können.

(Widerspruch bei der CDU/CSU) Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Herr Präsi- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Natürlich ist mir klar, warum Sie es mit Ihrem Ge- zum Kollegen Zeitlmann eine Bemerkung machen. setzespaket plötzlich so eilig haben und warum Sie Daß Sie bedauern, straffällig Gewordene nicht auch jetzt auch unruhig werden. Sie wollen angesichts der ohne rechtskräftiges Urteil ausweisen zu können, zweifellos bedrückenden Aktionen der Kurden vom zeigt mir, daß Sie Geist und Sinn des Rechtsstaates vergangenen Frühjahr Handlungsfähigkeit und offenbar nicht voll begriffen haben. Ich bedaure das Härte demonst rieren. sehr. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Damit das Ganze nicht so rabiat wirkt, haben Sie BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der die Gesetzesverschärfungen in ein paar schon vorher PDS - Erwin Marschewski [CDU/CSU]: So ins Auge gefaßte aufenthaltsrechtliche Minimalver- ein unsinniger Vorwurf! - Wolfgang Zeitl besserungen hineingepackt und eine gewisse Auf- mann [CDU/CSU]: Es gibt ganz klare wertung des Amtes der Ausländerbeauftragten als Beweislagen!) Garnierung vorgesehen. Der Geruch nach „law and order" sollte offenbar mit ein paar liberalen Duftmar- Seit vielen, vielen Monaten liegen Anträge der ken abgemildert werden. Das ist aber zuwenig und SPD-Bundestagsfraktion und anderer Oppositions- zu beiläufig für ein gesellschaftlich wichtiges Ziel, parteien zur Änderung des Ausländergesetzes vor. - nämlich die Integration dauerhaft hier lebender (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Was soll Menschen nichtdeutscher Herkunft zu fördern das? Das ist geltende Rechtslage im Auslän derrecht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - Ich rede jetzt von unserem Antrag zur Ausländer- und ihnen Sicherheit für ihre Lebensplanung zu er- gesetzänderung. möglichen. Unser Antrag datiert - hören Sie bitte zu - vom 10. März 1995, hat vor mehr als einem Jahr seine er- Ich finde es schade: Was Sie uns in diesem Teil Ih- ste Lesung erfahren, und anschließend erlebten wir res Gesetzespaketes präsentieren, ist in sich enttäu- bei diesem Thema wie auch bei manchen anderen schend, unzureichend und kleinmütig. Das gilt auch ausländerrechtlichen Fragen, bei denen es im Ge- für einen Kernpunkt der öffentlichen Auseinander- bälk der Koalition knirscht, Funkstille im Innenaus- setzung, nämlich für § 19 des Ausländergesetzes. Die schuß. Bestimmungen zu diesem Punkt sind seit langem dringend reformbedürftig. Herausgekommen ist aber Nun plötzlich überraschten uns in der letzten Wo- leider lediglich, daß in außerordentlichen Härtefällen che CDU/CSU und F.D.P. mit der Ankündigung, sie die Frist bis zur Erlangung des eigenständigen Auf- wollten ihre eigenen Gesetzesinitiativen als Ände- enthaltsrechts verkürzt werden soll; die eheliche Ge- rungsanträge zu unseren Vorlagen einbringen. Hätte meinschaft muß demnach nur mindestens ein Jahr es sich um wirkliche Alternativen zu unseren Novel- bestehen. lierungsvorschlägen gehandelt, hätte man darüber reden können. Das ist vor allen Dingen für die schwer mißhandel- (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Über ten Frauen ein schwacher Trost. Das wird auch die rascht könnt ihr nicht gewesen sein! Ich leidige Praxis erzwungener Prostitution nicht ein- habe es euch ja vorher gesagt!) dämmen - eine herbe Enttäuschung für alle, die seit 10252 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast langem auf eine durchgreifende Besserung gedrängt ein Zeichen für den echten Willen zur Integration haben. und zur fairen Partnerschaft von Deutschen und Nichtdeutschen. (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Da sind Das hätte mit einer deutlichen Ge- die meisten in Ihrer Fraktion völlig anderer ste geschehen müssen: entweder in einem echten Meinung! Die haben mir gesagt, das sei Änderungsantragspaket zu unseren Vorstellungen gut!) oder auch zu den Eckwerten eines Einwanderungs- gesetzes. Aber wir hören hier schon wieder das Deswegen fordern wir, im Härtefall die Mindest- krasse Nein. frist für die Dauer der ehelichen Gemeinschaft ganz entfallen zu lassen. Im Regelfall soll diese Frist von (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Legen Sie jetzt vier Jahren auf zwei Jahre verkürzt werden. Wir eines vor!) meinen, das ist angemessen und wird auch die Ge- fahr der Scheinehen ausreichend eindämmen kön- Ich finde es ausgesprochen schade, daß Sie diese nen. Elemente mit den Gesetzesverschärfungen vermen- Gelegentlich habe ich in den Diskussionen um die- gen und dadurch auch überdecken. Das ist sicherlich sen § 19 - auch von Ihnen, Frau Schmalz-Jacobsen -, ein grundlegender Fehler. gehört, das alles sei ein bißchen hochstilisiert und übertrieben. Ich finde, Sie dürfen solche Anliegen Ich will keine Mißverständnisse aufkommen las- nicht einfach vom Tisch wischen. Fragen Sie doch, sen. Wer in diesem Land blutige Randale macht, wer warum ein solches Thema eine solche Bedeutung er- Polizisten prügelt, der verdient eine deutliche Ant- langt! Dann werden Sie vielleicht darauf kommen, wort dieses Staates. Auch die Zustände in der Türkei, daß es etwas mit dem Streben nach Menschenwürde auch das brutale Vorgehen von Militärs und Sicher- und Eigenverantwortlichkeit zu tun hat. Wenn Sie heitskräften gegen die Kurden rechtfertigen nicht die das in der Migrationspolitik insgesamt begreifen militanten Aktionen auf diesem Boden, die sich ei- würden, wären wir einen Schritt weiter. nige geleistet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Beifall bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Versäumt haben Sie in Ihrem Gesetzespaket leider GRÜNEN) auch ein anderes wichtiges Reformprojekt: das Wie- derkehrrecht der jungen Ausländer. Frau Schmalz Jacobsen, natürlich gibt es so etwas. Aber es ist zu Auf der anderen Seite hört man freilich von der eng gefaßt. Wir brauchen großzügigere Regelungen Bundesregierung in den letzten Monaten wenig dar- für diejenigen, die in das Herkunftsland ihrer Eltern über, wie weit sie sich eigentlich noch dafür einsetzt, gegenüber der zurückkehren und dann merken, daß sie do rt nicht Türkei darauf zu dringen, das Kur- mehr Fuß fassen. Es ist schade, daß Sie diesem Man- denproblem mit politischen, das heißt friedlichen gel der zu engen Fristen nicht abgeholfen haben. Mitteln zu lösen.

Ich will aber auch eine echte Verbesserung her- (Beifall der Abg. Otto Schily [SPD] und Ce rn ausheben. Sie betrifft etwas, was für die älteren aus- Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ländischen Arbeitnehmer geplant ist: Wenn- sie in der Bundesrepublik länger als 15 Jahre berufstätig sind, Statt dessen legen Sie einen Katalog verschärfter erhalten sie praktisch Reisefreiheit, ohne ihren Auf- Maßnahmen für Ausweisungen und Abschiebungen enthaltsstatus in der Bundesrepublik einzubüßen. vor. Ich halte ihn in erster Linie für populistisch und Damit haben Sie eine wichtige Forderung, aktionistisch verbrämte Hilflosigkeit in einem we- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Der SPD sentlichen Bereich. Alles, was man an diesen Geset- natürlich erfüllt!) zen ändern will, ist einzig und allein daran zu Bernes- sen, ob die ausländischen Gewalttäter wirklich die wir seit langem stellen, aufgegriffen. Das ist aus- schneller abgeschoben werden können, ohne daß drücklich zu begrüßen. Es ist einer der wenigen unsere völkerrechtlichen Bindungen und unsere Ver- Lichtblicke, Herr Marschewski, in dem ansonsten pflichtungen zum Schutz der Menschenwürde über trüben Umfeld, das Ihre Ausländerpolitik uns seit den Haufen geworfen werden können. Sie wissen Jahren bietet. doch alle, was die Genfer Flüchtlingskonvention (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das Böse und die Menschenrechtskonvention zu Abschie- kommt von uns; das ist klar!) bungshindernissen äußern. Im übrigen haben wir ein dicht gewebtes gesetzliches Regelwerk. Der Beweis, - Ich lobe Sie doch. Merken Sie das doch! ob das bei konsequenter Anwendung nicht aus- Leider wiegt dieses positive Element die schwer- reicht, ist bislang nicht erbracht. wiegenden Mängel Ihrer Vorlagen ansonsten nicht auf. Schlimmer noch: Ich finde, Sie haben mit Ihrem Die Ausländerbeauftragten von Bund und Ländern eigentümlichen Gesetzeskonglomerat die Chance haben mit Recht Anstoß daran genommen, daß auch verspielt, wirklich mal ein Zeichen für die hier leben- jugendliche ausländische Straftäter unter die geplan- den Menschen anderer Nationen und Religionen zu ten Maßnahmen fallen sollen. Ich finde: Ein hier ge- setzen, borener junger Ausländer der zweiten oder dritten (Beifall bei der SPD) Ausländergeneration sollte nicht besser, aber auch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10253

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast nicht schlechter gestellt werden als ein straffällig ge- den: Auf dem Fundament der bestätigten Asylrechts- wordener junger Deutscher. änderungen sollten wir jetzt die humanitären Spiel- räume voll ausloten, die diese hergeben. Wir sollten (Beifall des Abg. Cern Özdemir [BÜNDNIS 90/ Mängel ausräumen und nicht zuletzt, meine Damen DIE GRÜNEN] - Erwin Marschewski [CDU/ und Herren aus der Koalition, das einfordern, was im CSU]: Wird er doch gar nicht! Wieso wird er Asylkompromiß vom 6. Dezember 1992 ausgehan- schlechter gestellt?) delt, bis heute von der Bundesregierung jedoch nicht Im übrigen geht Ihr Gesetzentwurf bei der Ver- umgesetzt worden ist. schärfung der Ausweisungsbestimmungen weit über (Beifall bei der SPD) den Problembereich des Ausländerrechtes hinaus. Sie berühren das Demonstrationsrecht schlechthin, Ich will noch einmal illustrieren, was da noch aus- wenn beispielsweise die Kriterien für den einfachen steht: das immer noch nicht eingelöste Versprechen und den schweren Landfriedensbruch verändert des besonderen Status für Kriegs- und Bürger- werden und wenn bei einer verbotenen, aber noch kriegsflüchtlinge. friedlich verlaufenden Versammlung schon jemand, der über das Megaphon spricht, als sogenannter An- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das ist heizer Gefahr läuft, ha rt bestraft zu werden. wohl wahr!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie haben Der steht immer noch auf geduldigem Papier, ist aber nur friedliche Menschen in Ihrem Leben!) nicht Wirklichkeit geworden - obwohl im Asylkom- promiß vorgesehen -, weil sich der Bund hartnäckig Davor warnen wir dringend, ebenso davor, daß die weigert, sich an den Kosten gemeinsam mit den Län- Kurdenkrawalle in diesem Frühjahr, die ich nicht be- dern hälftig zu beteiligen. Deswegen bleibe ich da- schönigen will, jetzt zum Hauptmaßstab künftiger bei: Dies ist eine skandalöse Verweigerungshaltung. staatlicher Reaktionen gemacht werden. Es ist auch Sie wird nicht hingenommen und bleibt für uns auf ungerecht gegenüber den Ausländern im allgemei- der Tagesordnung. nen und den Kurden im besonderen, die ihren Forde- rungen auf friedliche Weise Ausdruck geben wollen. (Beifall bei der SPD) Ich darf noch einmal daran erinnern, daß es eine Ähnliches gilt auch für die wirklich humane Altfall- friedlich verlaufene Demonstration in Hamburg mit regelung für abgelehnte Asylbewerber. Ich weiß: 40 000 bis 60 000 Menschen gegeben hat. Dies ist ja Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich zumindest einmal einer Erwähnung wert. Ende März auf eine Regelung geeinigt. Ich meine Meine Damen und Herren, es ist das erste Mal aber, die Hürden sind zu hoch gesteckt, die Bedin- nach der Entscheidung des Bundesverfassungsge- gungen zu eng gefaßt. Auch da ist eine Bringschuld richts, daß wir hier im Plenum auch über den künfti- aus dem Asylkompromiß nicht voll beglichen.

gen Umgang mit der Asyl - und Flüchtlingspolitik Jetzt kommt der nächste Punkt - ich darf Ihrem sprechen. Denn auf diesen Komplex beziehen sich ja Gedächtnis, meine Damen und Herren, insofern auf eine Reihe von Anträgen, die wir in unserer heutigen die Sprünge helfen, auch wenn Sie es nicht wahrha- Debatte diskutieren. Das Karlsruher Urteil hat - wie ben wollen -: Im Asylkompromiß war auch der konnte es anders sein - ein höchst unterschiedliches Grundstock für ein Echo gefunden. Für mich heißt das nun keinesfalls, Einwanderungsgesetz gelegt. Ich darf zitieren: daß die Befürworter der Neuregelung jetzt sozusa- gen in Siegerposen schwelgen sollten und die Geg- Die Fraktionen stimmen darüber überein, daß die ner in tiefer Resignation. Das Asylrecht begleitet uns Möglichkeiten einer Regelung zur Begrenzung ja in seiner Praxis Tag für Tag weiter. Parlamentari- und Steuerung der Zuwanderung auf nationaler sche Dauerpflicht bleibt, es kritisch zu begleiten und Ebene geprüft und Verhandlungen hierzu auf immer wieder unter die Lupe zu nehmen. europäischer Ebene fortgesetzt werden. Was ich allerdings nicht für möglich halte, ist das, Das ist ein Auftrag. Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- was Sie, Frau Müller, in Ihrem Antrag unter dem Ti- gen aus der Union, wollen offenbar von alledem tel „Menschenrechtlich orientierte Asyl- und Flücht- nichts mehr wissen. Herr Marschewski hat das heute lingspolitik" jetzt fordern. Denn dies ist doch eine wieder schön kundgetan. grundlegende Umkrempelung der Gesetze. Das war seinerzeit - noch vor der Entscheidung des Bundes- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wir verfassungsgerichts - sicherlich als legitimer Versuch haben das überprüft und abgelehnt! Das ist eines politischen Signals aufzufassen. Nur, jetzt - ganz einfach!) nach Verkündung des Urteils - fehlt es ja doch an Realitätsnähe. Es geht nicht an, daß wir die Karlsru- Sie sperren sich, von wenigen Einsichtigen in Ihren her Entscheidung regelrecht unterlaufen, daß wir eigenen Reihen abgesehen, gegen das Eingeständ- wesentliche Teile des neuen Asylrechts einfach auf- nis und die Einsicht, daß hier Einwanderung stattge- heben und uns gewissermaßen zu dem Stand von funden hat und weiter stattfinden wird und daß wir 1992 zurückbegeben. Das, meine ich, geht nicht. dieses Thema mit umfassenden politischen Gestal- tungsmöglichkeiten behandeln müssen. (Beifall bei der SPD) Für uns jedenfalls ist in diesem Zusammenhang Ich schlage demgegenüber eine andere Strategie zwingend, daß wir ein Konzept vorlegen. Dabei ist vor, und da werden Sie wohl noch Reformansätze fin- die Integration der Neuankömmlinge ebenso wie der 10254 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast hier schon lange lebenden Migranten die wichtigste keit etwas ändern muß, und setze da auf fraktions- politische Richtschnur. übergreifende Verbesserungen.

Wir haben noch einen taufrischen Parteitagsbe- Ich erwähne auch europäische Verpflichtungen, schluß der angeblich neu erstarkten F.D.P. für ein Zu- zum Beispiel den Rechtsakt, der für Minderjährige wanderungsgesetz. Wir können Sie, Herr Stadler, den Anspruch auf besonderen Schutz und Hilfe ge- einfach einladen, sich unseren Initiativen anzuschlie- mäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kin- ßen. Aber ich muß auch sagen: Was haben Ihre Par- des anmahnt. Vom Innenminister ist offensichtlich teitagsbeschlüsse und Ihre großspurigen Ankündi- nichts zu erwarten. Europäische Vorlagen scheinen gungen schon zu bedeuten? nicht viel zu bedeuten. Aber, wie gesagt, ich habe (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, daß wir aus dem Parlament heraus weiterkommen. Trübe Erfahrungen aus der jüngsten Vergangenheit zwingen mich da zur Skepsis. Menschlichere Bedingungen für die Abschiebehaft gehören weiterhin zu einem Anliegen, das wir weiter Ich lese und höre immer wieder: Die F.D.P. in der verfolgen wollen. Hierher gehören auch detaillierte Ausländerpolitik auf Gegenkurs zur CDU/CSU. Aber Fragen dazu, in welchem Umfang geschlechtsspezifi- den Beweis erbringen Sie nicht. Ich höre seit Beginn sche Verfolgung vor allem bei Asylbewerberinnen dieser Legislaturperiode flammende Bekenntnisse berücksichtigt und ob Folteropfer und traumatisierte aus Ihrem Lager für die Erleichterung der Einbürge- Flüchtlinge mit ausreichender Sensibilität bei den rung, für die Hinnahme der doppelten Staatsangehö- Anhörungen behandelt werden. Dazu hat meine rigkeit mit der Geburt für die dritte Ausländerge- Fraktion soeben eine Anfrage eingebracht. neration und dergleichen mehr. Aber nie haben Sie die Konfrontation mit Ihrem Koalitionspartner wirk- Meine Damen und Herren, Asylrecht, Ausländer- lich ehrlich zustande gebracht. Sie gebärden sich wie politik - mein Kollege Penner hat es schon gesagt - eine Operndiva, die auf der Bühne ständig den gehören zu den wesentlichen Aufgaben und vor al- Mund aufmacht, ohne daß jemals ein Ton heraus- len Dingen zu einer permanenten Aufgabe nicht al- kommt. Irgendwann glaubt man der Dame nicht, daß lein für die Verwaltung, sondern auch für uns als Par- sie singen kann. lamentarier. Der Alltagsroutine sollten wir sie auf alle Von den sogenannten jungen Aufmüpfigen der Fälle nicht überlassen. CDU/CSU höre ich etwas zu Bemühungen um er- leichterte Einbürgerung. Ich danke Ihnen. (Unruhe) (Beifall bei der SPD) Auch dort, meine Damen und Herren, ist der Beweis nicht erbracht, wie Sie sich durchsetzen. Also warten wir ab. - Ich merke, wie unruhig Sie sind, und freue Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat mich darüber. Mehr ist da im Moment auch über- Kollege Dr. Max Stadler, F.D.P. haupt nicht drin.

(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die dürfen Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr wir nicht so auskommen lassen! Wo sind die geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Sonn- Jungen abgeblieben?) tag-Wolgast, wir hatten mit Zustimmung der SPD zu- - Das frage auch ich mich. nächst beabsichtigt, unsere Vorschläge als Ände- rungsantrag im Ausschuß einzubringen. (Unruhe) Ich bin froh, daß am Ende hier in erster Lesung im Ich nenne am Schluß meiner Rede weitere wenige Plenum des Deutschen Bundestages eine Debatte Stichpunkte zum Bereich der Ausländer- und Asyl- stattfindet. Denn eines muß man über unser Auslän- politik, damit sie Ihnen im Gedächtnis bleiben. Ich derrecht - man könnte sagen: leider; ich sage: es erwähne, daß wir die Bedingungen, unter denen im geht kaum anders - feststellen: Es ist außerordentlich Moment minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in kompliziert, und es bleibt auch nach den von uns vor- dieses Land kommen, verbessern müssen. geschlagenen Regelungen kompliziert, so daß die (Unruhe) heutige Debatte die Gelegenheit bietet, wenigstens einiges klarzustellen, was in den vorangegangenen Redebeiträgen an Mißverständnissen vorhanden Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich darf einmal war. dazwischengehen. Zwischenrufe von Bank zu Bank gehen nicht an. Das ist zu laut. - Bitte. Meine Redezeit reicht allerdings - Frau Kollegin Jelpke, es tut mir leid, daß ich das sagen muß - nicht Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Es ist eine aus, sämtliche Mißverständnisse - man könnte auch schöne, lebendige Diskussion. sagen: sachliche Unrichtigkeiten - hier klarzustellen, die in Ihrem Beitrag enthalten waren. Sie haben zum Ich war bei der Situation der minderjährigen un- Beispiel über die Ausweisung von Minderjährigen begleiteten Flüchtlinge. Ich meine, daß sich da im gesprochen, ohne zu erwähnen, daß bereits nach § 47 Sinne von mehr Humanität und mehr Kindgerechtig- Abs. 3 Satz 4 des geltenden Rechts bei Minderjähri- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10255

Dr. Max Stadler gen keine zwingenden Ausweisungen und keine Re- das notwendige Augenmaß bewahrt. Entscheidend gelausweisungen zulässig sind. für uns ist, daß für die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte auch künftig der notwendige (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Spielraum erhalten bleibt, um die individuellen Um- Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das müßte stände eines Falles berücksichtigen zu können und eigentlich ein ehemaliger Staatsanwalt wis- zu einer gerechten Einzelfallentscheidung zu gelan- sen! - Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: gen. Rechtsstaatliche Grundsätze wie die Anknüp- Ich habe von Jugendlichen gesprochen!) fung an die Rechtskraft eines Strafurteils als Voraus- Meine Damen und Herren, ich will auch nicht die setzung für Ausweisungen bleiben gewahrt. Quantität und die Qualität hier gegeneinander abwä- Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber steht gen. Das liegt mir fern. Aber es sei doch der Hinweis bei der Formulierung von Ausweisungsgründen vor erlaubt, daß die Verbesserungen, die wir für in Ermessen Deutschland lebende Ausländer mit diesem Gesetz- einem grundsätzlichen Problem: Je mehr der Praxis zugebilligt wird, um so größer ist die Ge- entwurf vorstellen, wesentlich mehr Menschen be- fahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung. Ich treffen als die Verschärfungen, die zugegebenerma- darf sehr wohl feststellen, daß in der Vergangenheit ßen im Bereich der Ausweisung und Abschiebung zu beobachten war, daß die Bundesländer die schon auch enthalten sind. Millionen von Ausländern wer- jetzt bestehenden Möglichkeiten der Reaktion auf den an den Erleichterungen teilhaben, die wir be- Gewalttaten nicht hinreichend umgesetzt haben. schließen werden. (Uwe Lühr [F.D.P.]: Sehr richtig!) Daher geht der Entwurf vorsichtig in die Richtung, mehr zwingende Ausweisungsgründe vorzusehen. Einige wenige, insbesondere gewalttätige Ausländer Wir sind uns freilich der Tatsache bewußt, daß damit werden von den Verschärfungen betroffen sein. So die prinzipielle Gefahr verbunden ist, daß bei einer ist die Relation. strikten Fassung von Ausweisungsgründen unge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rechte und unangemessene Ausweisungsentschei- dungen im Einzelfall vorprogrammiert sind. Ich bitte Mit dem vorliegenden Entwurf wird die Rechtsstel- alle Kritiker, sich dieses etwas komplizierte System lung der Ausländer deutlich verbessert. Ich will dies einmal wirklich vor Augen zu führen. Deswegen hat nicht mehr im Detail wiederholen, sondern nur die die F.D.P.-Fraktion darauf Wert gelegt, daß am bishe- Freude der F.D.P.-Fraktion zum Ausdruck bringen, rigen Grundsystem des Ausweisungsrechts festge- daß es gelungen ist, die Rechtsstellung der Beauf- halten wird. Damit bleibt es dabei, daß sogar bei tragten für Ausländerfragen nunmehr gesetzlich zwingenden Ausweisungsgründen in bestimmten festzuschreiben. Wir stellen allerdings fest, daß Fällen, nämlich der Mehrzahl der Fälle, nach wie vor schon im Rahmen ihrer jetzigen Rechtsstellung un- Raum für eine Einzelfallösung besteht. Wir haben sere Kollegin Cornelia Schmalz-Jacobsen als Auslän- darauf Wert gelegt, daß der besondere Ausweisungs- derbeauftragte eine vorzügliche Arbeit leistet, die zu schutz in § 48 Ausländergesetz erhalten bleibt. Recht allgemein große Anerkennung findet, so daß ich es für angebracht halte, ihr an dieser Stelle dafür Herr Kollege Penner, ich gebe gerne zu, daß es einmal herzlich zu danken. vielleicht wünschenswert wäre, für Minderjährige, für Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, einen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) absoluten Ausweisungsschutz vorzusehen. Wenn Wir betrachten es auch als Bestätigung der ausge- man sich die bestehenden Regelungen vor Augen zeichneten Arbeit von Frau Schmalz-Jacobsen, wenn führt, wird man aber unschwer erkennen, daß auch die Position der Ausländerbeauftragten nunmehr ge- der jetzt gegebene Ausweisungsschutz sehr weitge- setzlich geregelt und damit aufgewertet wird. hend ist und nahezu ausschließt, daß diese auch von uns nicht gewünschte Möglichkeit einer Quasiver- Die vorgeschlagenen Veränderungen berücksichti- bannung für Jugendliche, die hier aufgewachsen gen freilich auch das berechtigte Interesse des Staa- sind, tatsächlich eintritt. tes, auch im Sinne einer Prävention klarzustellen, daß Gewalttätigkeiten und schwer kriminelles Ver- Auch in § 48, wonach bei „schwerwiegenden halten nicht nur strafrechtliche, sondern auch auslän- Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung . . . derrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. in der Regel" der Ausweisungsschutz entfällt, wird durch die Formulierung „in der Regel" dargestellt, Es ist in der Debatte bisweilen heute das Argument daß wir Einzelfallumstände sehr wohl abzuwägen gebracht worden, daß sich eine Ausweisung gewis- wissen. Es macht, wie Frau Schmalz-Jacobsen gesagt sermaßen als Doppelbestrafung darstelle. Das mag in hat, natürlich einen Unterschied, ob jemand einreist der Konsequenz von dem Betroffenen so empfunden und schwerwiegende Straftaten begeht oder ob je- werden, aber wenn man sich dieses Argument zu ei- mand sich seit langen Jahren hier aufhält, völlig gen macht, dann wäre die konsequente Folge, daß rechtmäßig und straffrei lebt und dann wegen einer eine Ausweisung überhaupt ausscheiden müßte. Das einzelnen Straftat eine Ausweisung riskieren müßte. kann wohl nicht richtig sein, sondern zu diskutieren ist über die Voraussetzungen, die, wie ich gleich dar- Meine Damen und Herren, wir haben bei der Neu- legen werde, nach wie vor eng genug sind. formulierung des § 47 auf zwei weitere rechtsstaatli- che Sicherungen geachtet. Ich bin der Meinung, daß der Entwurf der Koaliti- onsfraktionen - das ist bei so einschneidenden Maß- Soweit es um Mehrfachtäter geht, die bei einer Ge- nahmen wie Ausweisung und Abschiebung richtig - samtstrafe von insgesamt drei Jahren Freiheitsstrafe 10256 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Dr. Max Stadler künftig zwingend auszuweisen sind, haben wir dafür Wir enttäuschen aber auch gerne diejenigen, die gesorgt, daß nur noch Verurteilungen aus den letzten unsere Vorschläge voreilig als Beleg für die Abkehr fünf Jahren herangezogen werden können. Wir wol- von liberaler Rechtsstaatlichkeit heranziehen wollen. len nicht, daß jemand, der sich schon sehr lange in Dies trifft gewiß nicht zu. Vielmehr haben wir ausge- Deutschland aufhält, wegen einer lange zurücklie- wogene, dem Schutz der in Deutschland lebenden genden Straftat in die Gefahr der zwingenden Aus- In- und Ausländer dienende, rechtsstaatliche und weisung gerät. dem liberalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Vorschläge vorgelegt. Zum zweiten - ich habe es schon kurz angespro- chen - bestehen wir selbstverständlich darauf, daß Vielen Dank. an die Rechtskraft von Strafurteilen angeknüpft wird. Nach unserem Verständnis wäre sonst das Grund- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) prinzip der Unschuldsvermutung tangiert. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Meine Damen und Herren, ich habe nur noch we- Kollege Cern Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen. nig Zeit, um kurz auf die Neuformulierung des § 125a StGB einzugehen. Im Laufe der Beratungen sind wir zu der Überzeugung gelangt, daß derjenige, der an Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr einer verbotenen Demonstration teilnimmt und da- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wäh- bei einen Landfriedensbruch begeht, schwereres rend die Koalition glaubt, sich bei der dringenden Unrecht verwirklicht als ein anderer. Der richtige Re- Reform des Ausländergesetzes und des Staatsange- gelungsort ist, wenn man sich dieser Überzeugung hörigkeitsrechtes Zeit lassen zu können, die Fachdis- anschließt, das Strafgesetzbuch. Denn es entspräche kussionen geflissentlich ignoriert werden, werden in der Tat einer eigentümlichen Rechtsauffassung, Verschärfungen im Ausländergesetz mit heißer Na- wenn man hier ein Sonderrecht für Ausländer schaf- del gestrickt und sollen quasi im Schweinsgalopp fen würde. Die Konsequenz, daß das dann alle Straf- durch den Innenausschuß und den Bundestag gejagt täter unabhängig von der Staatsangehörigkeit trifft, werden. muß man in Kauf nehmen. Voraussetzung für eine Herr Marschewski - ich glaube, er ist jetzt nicht solche Strafbarkeit ist freilich, daß das Verbot der De- mehr anwesend - hat vorher den Aspekt der inneren monstration dem Täter bekannt war, daß er vorsätz- Sicherheit mehrfach strapaziert. Mir gefällt die Art lich dagegen verstoßen hat und daß er einen Land- der Arbeitsteilung nicht, die dabei nach dem Motto friedensbruch, wie er schon jetzt in § 125 StGB defi- herübergebracht wird: Die Koalition ist für die innere niert ist, begeht. Sicherheit und die Opposition möglicherweise für Herr Kollege Häfner, das ist leider in Ihrer Frage- das Gegenteil zuständig. stellung offenbar völlig mißverstanden worden. Es Ich möchte Ihnen zum Thema innere Sicherheit nur wird nicht etwa ein neuer Straftatbestand geschaf- so viel sagen: Jeden Tag werden in Deutschland fen. Vielmehr ist der einfache Landfriedensbruch 300 Kinder ausländischer Eltern geboren, die Auslän- schon jetzt ein Straftatbestand. Deswegen ist die De- der sind, während dieser Debatte ungefähr 25. Auch monstrationsfreiheit nicht tangiert. Es geht um jetzt das ist ein Aspekt der inneren Sicherheit, daß Sie bis schon strafbares Verhalten. Es wird ein neues Regel- zum heutigen Tage nicht bereit sind, Menschen, die beispiel dafür geschaffen, daß der Strafrahmen ver- zu diesem Land und zu dieser Gesellschaft gehören, schärft wird. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu hier das Licht der Welt erblicken, zu Bürgern erster dem, was Herr Kollege Häfner in seiner Frage zum Klasse, zu Bürgern dieser Republik zu erklären. Auch Ausdruck gebracht hat. das ist ein Aspekt, über den Sie nachdenken sollten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Kollege Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: bei der SPD und der PDS) Stadler, achten Sie bitte auf die Zeit! Damit schaden Sie deutschen Interessen, damit scha- Dr. Max Stadler (F.D.P.): Herr Kollege Penner, ich den Sie den Interessen dieses Landes. Denken Sie gehe daher auf Ihre Äußerung zu diesem Thema, die darüber bitte einmal nach. mich, ehrlich gesagt, sehr getroffen hat, in der Aus- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist da eine schußsitzung ein, weil man darüber vielleicht sine ira Logik?) et studio reden muß. Jede Annäherung an ein unde- mokratisches oder dem grundrechtlichen Bestimmt- Wenn Sie schon nicht auf das hören wollen, was heitsgebot nicht entsprechendes Strafrecht weisen wir sagen, was die Opposition sagt, so hören Sie wir in der Tat zurück. doch auf das, was beispielsweise die Ausländerbe- auftragten der Länder sagen, was das Hohe Flücht- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lingskommissariat der Vereinten Nationen sagt, was die Kirchen sagen, was die Gewerkschaften sagen, Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. die Seelsorge in den Gefängnissen und all die ande- Einschneidende Maßnahmen wie Ausweisung und ren! Sie sollten sich anhören, was die Genannten von Abschiebung sind nicht der geeignete Anlaß für Ihren Vorschlägen halten. Ihre Parole scheint zu sein: scheinbar einfache Lösungen. Wer von uns eine Augen zu und durch! simple Ausweisungs- und Abschiebungsautomatik erwartet hat, den werden wir mit diesem Gesetzent- Es ist schlimm genug, was Sie im einzelnen an Än- wurf enttäuschen. derungen im Ausländergesetz planen. Das eigent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10257 Cem Özdemir liche Problem scheint mir hingegen, daß Sie offen- notwendig wäre, was von Experten, Migrantenorga- sichtlich die Augen vor den Realitäten der Gesell- nisationen angemahnt wird. Auch hierzu nur ein Bei- schaft verschließen wollen und daß Sie im Grunde spiel: Ehemaligen DDR-Vertragsarbeitnehmern, die dabei sind, zu einer Art babylonischer Sprachverwir- bisher lediglich die unzureichende Aufenthaltsbe- rung beizutragen. fugnis erhalten haben, soll die Anwesenheitszeit in der DDR nun auf die Achtjahresfrist für die unbefri- Sie reden hier von einem Gastrecht; wir erleben im stete Aufenthaltserlaubnis angerechnet werden, je- Grunde einen Rückfall in die Gastarbeiterära, ohne doch nur zur Hälfte. Die Uhren müssen in der DDR zu sehen, daß es sich bei Menschen, die seit 30, wohl anders gelaufen sein; denn anders kann es 40 Jahren in dieser Republik leben, die hier geboren nicht erklärbar sein. Ich habe bisher keinen ver- sind, die hier mittlerweile schon ihren Lebensabend nünftigen Grund von Ihnen gehört, daß man so ver- verbringen, nicht mehr um Gäste handelt, sondern fahren möchte. um Menschen, die zu dieser Gesellschaft dazugehö- ren, um Bürger, leider um Bürger ohne deutschen Schließlich soll das Amt der Ausländerbeauftrag-

Paß. Das wollen wir ändern. ten - endlich - auf eine gesetzliche Grundlage ge- stellt werden. Unsere Gratulation wurde bereits zum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ausdruck gebracht. Wir hoffen natürlich alle, daß es bei der SPD und der PDS) Ihrer Arbeit, Frau Schmalz-Jacobsen, zuträglich Sie reden von den PKK-nahen Gewalttätern, doch wird. Allerdings haben Sie das initiative Vorschlags- wer ist denn tatsächlich von Ihren Gesetzesänderun- recht gegenüber dem Parlament, das Recht zur Betei- gen betroffen? - Es sind eben auch genau diese Men- ligung an Beratungen nicht erhalten. Aber Sie kön- schen, denen Sie das Recht auf Einbürgerung bisher nen auch hier unsere Ankündigung für bare Münze immer noch verweigern. So wird das Ausländerrecht nehmen. Wir werden weiterhin Ihre Anträge, bei- zu einer Art zweitem Strafrecht, so wird die Un- spielsweise im Staatsangehörigkeitsrecht, in dieses gleichbehandlung ausländischer und deutscher Parlament einbringen. Straffälliger zum Prinzip. Das Prinzip scheint Verban- Die „Inthronisierung" als Ombudsfrau für die Be- nung statt Resozialisierung zu sein. lange der Einwanderinnen und Einwanderer wird Statt endlich das auch von den Ausländerbeauf- mit dem gleichen Gesetz ad absurdum geführt; denn tragten immer wieder geforderte unentziehbare Auf- sie werden und müssen den Gesetzesänderungen, enthaltsrecht für Angehörige der zweiten Generation die hinreichend gewürdigt worden sind, den Ver- einzuführen, machen Sie jetzt die Doppelbestrafung schärfungen der Abschiebung von straffällig gewor- und die Abschiebung in die Heimat der Eltern oder denen Jugendlichen dieser Gesellschaft zustimmen. gar der Großeltern zur Regel. Dies ist Deutschlands So wird die Ungleichbehandlung von Kindern aus- unwürdig. ländischer und deutscher Eltern gesetzlich festge- schrieben. Ich möchte allerdings auch die Gelegenheit nut- zen, an die SPD zu appellieren, daß sie im Sinne des- sen, wie wir hier in der Opposition die Debatte ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, Sie führt haben, auch auf die Vertreterinnen und Vertre- schauen auf die Uhr. ter der SPD-geführten Bundesländer einwirken, da- mit sie nicht umfallen. Ich denke, wir müssen hier Cern Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich aufpassen, daß diese Verschärfungen spätestens im komme zum Schluß. Bundesrat zu Fall kommen. Wir brauchen dringend ein Umdenken in dieser Keine Frage: Wer hinter Gittern sitzt, hat etwas auf Frage. Einige in diesem Hause haben offensichtlich dem Kerbholz. Es handelt sich um Mörder, es handelt immer noch nicht begriffen, daß es do rt, wo es keine sich um Vergewaltiger und Dealer. Aber diese Men- Probleme gibt, auch nicht notwendig ist, welche zu schen sind hier sozialisiert worden, sie sind in unse- machen. rer Gesellschaft aufgewachsen und eben auch in un- serer Gesellschaft kriminell geworden. Ich darf zum Abschluß zitieren: Früher haben wir Leute auf Gefängnisinseln ver- Wenn ich mich heute nacht mit einer Negerin ins schifft, heute schicken wir sie in fremde Länder und Bett lege, und ein Kind kommt dabei heraus, was exportieren damit Probleme, unsere Probleme in Län- ist das dann: ein Deutscher, ein Mischling, oder der, die damit eigentlich nichts zu tun haben. was? Ich habe manchmal ein wenig den Eindruck, als ob So sagte Kollege Zeitlmann in der Zeitung „Die sich manche ein bißchen darüber ärgern, daß wir Woche" vom 31. Mai 1996. Erstens, auf gut neu- 1890 Sansibar gegen Helgoland eingetauscht haben. deutsch: Das war „politically absolutely not correct". Womöglich hätten sie jetzt die Möglichkeit, darauf Zweitens: Ich will Ihnen die Frage gern beantworten. eine Strafkolonie einzurichten. Es ist ein deutscher Staatsbürger erster Klasse, so wie auch 300 000 schwarze Deutsche, die in diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lande leben. sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS) Vielen Dank. Aber auch die geplanten Verbesserungen im Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ländergesetz bleiben weit hinter dem zurück, was bei der SPD und der PDS) 10258 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die doch in all Ihren Beiträgen heute eines deutlich ge- Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU. macht: Sie wollen in dieser Frage nichts verändern, nichts, aber auch gar nichts. Erika Steinbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kol- CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben deshalb be- leginnen und Kollegen! Die Diskussion hat es heute sonderen Wert darauf gelegt, daß ausländische Straf- für mich noch einmal bestätigt. Es hat mich erstaunt, täter leichter als bisher in ihre Herkunftsländer zu- daß Sie keinen anderen Weg eingeschlagen haben. rückgeschickt werden können, wobei meine Frak- Die vorliegenden Gesetzentwürfe der Oppositions- tion - das sage ich gern in Richtung der Kolleginnen parteien und des Bundesrates zum Gesamtkomplex und Kollegen der F.D.P. - in diesen Fragen gerne Ausländerrecht und dem Teil Asylrecht im weitesten noch weiter gegangen wäre. Ich sage das deshalb, Sinne machen eines überdeutlich: eine Scheuklap- damit sie ihr liberales Image auch noch ein bißchen penpolitik ganz gefährlicher A rt und Weise. weiter nach außen pflegen können. Aber wir haben Diese Gesetzesentwürfe von Ihrer Seite konzen- ja einen gangbaren Weg gefunden. Das nur als Ein- trieren sich ausschließlich auf Erleichterungen zu- wurf. gunsten von Ausländern in Deutschland. Dabei wird (Zurufe von der SPD - Gegenruf des Abg. die dringende Notwendigkeit, auf Ausländerkrimi- Horst Friedrich [F.D.P.]: Das schaffen wir nalität, auf Landfriedensbruch durch Ausländer und schon alleine!) auf offenkundigen Asylmißbrauch mit einem ge- schärften gesetzlichen Instrumentarium zu reagie- Sollte die Zukunft erweisen, daß weitere Maßnah- ren, völlig ausgeblendet. men erforderlich sind, werden wir seitens unserer Fraktion wieder die Initiative ergreifen. Eine solch eingeschränkte Blickrichtung hilft we- der den gesetzestreu und legal im Lande lebenden Herr Kollege Özdemir, wenn Sie hinsichtlich unse- Ausländern, noch dient es der Akzeptanz von Politik rer heutigen Gesetzesvorlage von heißer Nadel spre- überhaupt. Wenn Sie heute einmal Ausländer fragen, chen: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben sehr sorg- die lange in Deutschland leben, dann würden die Ih- fältig darüber beraten. Sie haben uns immer wieder nen sagen, daß sie zu noch ganz anderen Maßnah- angemahnt, aber wir haben es nicht übereilt, son- men greifen würden, um Ausländerkriminalität zu dern wir haben sehr sorgfältig darüber beraten, was bekämpfen. Darauf können Sie sich verlassen. Spre- wir ändern wollen. chen Sie einmal mit Ausländern, die lange und Erstens. Wir wollen erstens verbotene politische rechtstreu hier im Lande leben. Tätigkeit eines Ausländers künftig nicht mehr als Herr Kollege Penner, wenn Sie bei dieser Diskus- Ordnungswidrigkeit wie falsches Parken oder Über- sion die Nazikeule schwingen, ist das völlig unange- schreiten der Geschwindigkeit ansehen, sondern sie messen. Sie vergreifen sich in dieser Debatte in der wird zu einer Straftat. Wahl der Mittel. Sie tragen dazu bei, daß sie entsach- Zweitens. Die Verurteilung wegen schweren Land- licht wird. Erleichterte Ausweisung und Abschie- friedensbruchs ohne Bewährung hat künftig die bung von ausländischen Straftätern ist für die Oppo- zwingende Ausweisung des Ausländers zur Folge. sition dieses Hauses ganz erkennbar ein Tabuthema. Das ist notwendig. Darüber soll nach Ihrer Auffassung am besten über- haupt nicht gesprochen werden. Es soll nicht darüber Drittens. Der Tatbestand des schweren Landfrie- diskutiert werden. Es sollen nach Ihrer Meinung densbruches soll von uns erweitert werden, damit schon gar keine gesetzlichen Regelungen vorge- kollektive Ausschreitungen gewaltbereiter Auslän- schlagen werden, um hier etwas zu bewirken. der wie die dramatischen Kurdendemonstrationen, die schon mehrfach stattgefunden haben, im Vorfeld Eine Lösung ist aber nötig. Ihre Haltung muß bei verhindert und am Ende auch wirksamer geahndet Bürgern auf Unverständnis stoßen. Es trägt am Ende werden können. auch nicht zum Demokratieverständnis bei. Sie soll- ten das wissen. Sie sollten aus der bitteren Zeit der Asyldiskussion gelernt haben, wieviel Unzufrieden- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin heit sich im Lande aus ungelösten Problemen dieser Steinbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Art ergeben kann und wieviel am Ende die ausländi- legen Schily? sche Bevölkerung dadurch mitzuleiden hat. Sie die- nen den Menschen nicht. Erika Steinbach (CDU/CSU): Ich möchte nur noch So wie jeder im privaten Bereich von Gästen er- den vierten Punkt anschließen, damit die Aufzählung wartet, daß sie nicht die Wohnungseinrichtung de- komplett ist, Herr Kollege Schily. molieren, erwarten wir das selbstverständlich auch Viertens. Wir wollen § 48 des Ausländergesetzes so von freundlich hier im Lande aufgenommenen Gä- verändern, daß schwerkriminelle Ausländer, auch sten. Wer Gastrecht durch Gewalt und Kriminalität wenn sie eine Aufenthaltsberechtigung haben, zwin- mißbraucht, darf nicht darauf vertrauen können, gend ausgewiesen werden müssen. nach wie vor als Gast in unserem Land willkommen zu sein. So, Herr Kollege Schily! Warum lehnen Sie denn all das ab, was wir Ihnen hier als Instrumentarium vorschlagen? Sie haben Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte sehr. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10259

Otto Schily (SPD): Frau Kollegin, Sie haben uns partners - eine Ehe zu schließen unter dem Vorwand, eben mitgeteilt, daß Sie auf das liberale Profil der ihn zu lieben - ist eine unerträgliche Sache. F.D.P. Rücksicht nehmen wollen. Unser vorgelegter Gesetzentwurf hat zwei gleich- (Zuruf von der SPD: Mäntelchen!) wertige Standbeine. Das eine soll dieses Land besser als bisher vor kriminellen Ausländern schützen, dann auch von ihnen befreien, das andere nimmt sich Erika Steinbach (CDU/CSU): „Mäntelchen" habe menschlicher Probleme gesetzestreuer und hier legal ich nicht gesagt. lebender Ausländer an. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Otto Schily (SPD): Nein, nein, „das liberale Profil" haben Sie gesagt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu (Zuruf von der SPD: Image!) einer Kurzintervention hat der Kollege Penner. - Oder „Image". (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Jetzt sind Nun hätte ich von Ihnen gerne die Frage beant- wir sehr gespannt!) wortet: Würden Sie es denn auch tolerieren, wenn mit den Stimmen der F.D.P.-Fraktion vom Deutschen Dr. Willfried Penner (SPD): Frau Kollegin Stein- Bundestag ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet bach, das ist wohlfeil. Sie sind für die Wortwahl ver- wird? antwortlich, nicht ich. Das Wort liegt eben in der Nähe jener schrecklichen Vorschrift des § 2 unseli- gen Angedenkens. Es kann nicht so sein, daß der- (CDU/CSU): Wir leben in einer so Erika Steinbach jenige, der die Problematik aufzeigt, dann dafür in konstruktiven Koalition, daß wir uns am Ende eini- Haft genommen wird. gen. Es ist ein Ringen um Positionen; aber am Ende steht eine Einigung. Trotz aller Unkenrufe zu Beginn (Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter dieser Legislaturperiode haben wir ja gezeigt, daß [PDS]) unsere Zusammenarbeit fruchtbar ist und daß wir al- les umsetzen können, was wir möchten, sogar den Ich stelle Ihnen ganz präzise die Frage: Warum ha- schwierigen Tagesordnungspunkt heute früh. ben Sie an Stelle dieses ominösen, wabernden Wor- tes „Sicherheitsempfinden" nicht das Wort „Sicher- Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben heitsbedürfnis" gewählt? den wesentlichen Verschärfungen im Ausländerrecht wollen wir auf der anderen Seite für menschliche (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Weil wir Härtefälle des alltäglichen Lebens Lösungen anbie- nicht so pingelig sind! - Gegenruf des Abg. ten, die auch geboten sind. Frau Kollegin Schmalz Otto Schily [SPD]: Genau, das ist die Gei Jacobsen hat das im einzelnen erläutert, und ich steshaltung!) danke ihr an dieser Stelle auch ganz herzlich für ihre Arbeit, die sie mit sehr viel Kompetenz und Engage- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Frau Kolle- ment macht. Wir wollen für ältere ehemalige auslän- gin Steinbach. dische Arbeitnehmer, die nach Beginn des Rentenbe- zuges für einen längeren Zeitraum in ihr- Herkunfts- (CDU/CSU): Herr Kollege Penner, land zurückgekehrt sind, bis hin zum eigenständigen Erika Steinbach kürzlich habe ich eine für mich sehr aufschlußreiche Ehegattenaufenthaltsrecht nach Beendigung der Diskussion aus einem ganz anderen Feld, im Bereich ehelichen Lebensgemeinschaft bei einer außerge- der Kultur, erlebt, die auch uns Politiker nachdenk- wöhnlichen Härte bereits nach einem Jahr Erleichte- lich machen sollte. Da hat der Jude Ephraim Kishon rungen anbieten. Einen Verzicht auf jedwede Frist in - ich sage „Jude", weil das an dieser Stelle wichtig solchen Fällen halten wir aber im Hinblick auf das ist -, befragt danach, warum er die Wortwahl „ent- noch größere Risiko von Scheinehen für unverant- artete Kunst" getroffen hatte, als Antwort gesagt: wortlich. Schon heute gibt es ja deutliche Belege da- „Erstens wurde diese Wortschöpfung nicht im Dritten für - Herr Kollege Schily, Sie können das mit Sicher- Reich geboren, sondern schon Ende vorigen Jahr- heit bestätigen -, daß Ehen lediglich zu dem Zweck hunderts, geschlossen werden, einem Ausländer das Aufent- haltsrecht hier in Deutschland zu beschaffen. Dem (Dr. Willfried Penner [SPD]: Das gilt aber wollen wir auf gar keinen Fall Vorschub leisten. nicht für dieses Gesetz!) Mir liegen Briefe vor, in denen sich deutsche Ehe- und zweitens werde ich nicht deshalb zum Ketten- frauen, die einen Ausländer geheiratet haben, bekla- raucher, weil Hitler Nichtraucher war." gen: „Ich habe jetzt erst, nach drei, vier Jahren, her- ausgefunden, daß ich mißbraucht worden bin, daß Wenn wir zu jeder Formulierung Verbindungen mein Mann nur geheiratet hat, damit er eine Aufent- knüpfen wollten - so wie Sie jetzt behaupten, sie haltsberechtigung erhält." Die Intention der Klage hätte ihre Wurzeln möglicherweise in einem anderen geht dahin - ich zitiere jetzt nur -: „Schafft mir den Zeitabschnitt unseres Jahrhunderts -, dann begeben Kerl vom Hals, weist ihn aus!" wir uns der Möglichkeit, uns der deutschen Sprache in ihrer ganzen Fülle zu bedienen. Ich bin nicht be- Diese Fälle gibt es auch. Man muß sich darüber reit, eine Zeit, die ich persönlich nicht mehr erlebt Gedanken machen; denn dieses Ausbeuten des Ehe- habe, zunächst darauf abzuklopfen, welche Voka- 10260 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Erika Steinbach beln dort besonders gerne benutzt oder nicht benutzt Ausländern umgegangen ist. Es kann der Stolz die- worden sind. ses Landes sein, was es auch materiell aufwendet, Die Formulierung, verehrter Herr Kollege Penner, um Ausländern im Land und außerhalb dieses Lan- die Sie jetzt anprangern, empfinden Sie deshalb als des, im Ausland zu helfen. Ich empfinde es als sehr deplaziert fehl am Platze, weil Sie nur in solchen Kategorien , wenn in diese Debatte solche gesuchten denken. Für mich ist es gar nicht begreifbar, daß man Verhärtungen eingeführt werden, Herr Kollege Pen- auf solch einen Gedankengang kommen kann. ner, wie Sie es getan haben, oder von der Strafinsel Sansibar gesprochen wird, wie es ein grüner Abge- (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Dann ordneter getan hat. beschäftigen Sie sich einmal mit der histori (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ich finde es schen Bedeutung von Sprache und Wo rt -wahl! - Gegenruf des Abg. Wolfgang Zeitl unerhört, daß ein Verfassungsminister nicht mann [CDU/CSU]: Das sind zwei Paar Stie ein klärendes Wort zu dieser Frage sagt! fel! Das ist Unsinn!) Unglaublich!) Integration ist eine große Aufgabe. Diese Integra- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu tion ist abhängig von Zeit und Zahl. Sie ist abhängig einer weiteren Kurzintervention hat die Kollegin von den Mitteln. Deshalb ist es wichtig: Wer Integra- Schmalz-Jacobsen. tion will, muß Zuzug begrenzen. „Nur durch eine konsequente und wirksame Politik der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern, die nicht Mitglieder der Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Herr Präsi- Europäischen Gemeinschaft sind, läßt sich die unver- dent! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, diese zichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung Debatte nicht länger fortzuführen. Ich habe großes zur Ausländerintegration sichern. Dies ist zur Auf- Verständnis, wenn jemand besonders empfindsam rechterhaltung des sozialen Friedens unerläßlich." für Worte ist, die an diese Zeit erinnern. Mein Name steht mit über diesem Entwurf. Ich muß gestehen: Ich (Abg. Otto Schily [SPD] meldet sich zu einer habe dieses Wort nicht als problematisch empfun- Zwischenfrage) den. Dies ist, Herr Kollege Schily - damit kann ich Ihnen Ich habe Verständnis dafür, wenn es anders gese- vielleicht die Frage ersparen - ein Zitat aus einem hen wird. Dann sollten wir aber auch die Kraft ha- Kabinettsbeschluß der sozialliberalen Koalition vom ben, ein solches Wort zu ändern. 3. Februar 1982, aus einer Zeit also, als es in diesem Land etwa 4,5 Millionen Ausländer gab. Was ist (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rolf 14 Jahre nach diesem sozialdemokratischen Kabi- Kutzmutz [PDS]) nettsbeschluß daran falsch, zu einer Zeit, in der es Denn es geht nicht an, daß sich Leute davon getrof- über 7 Millionen Ausländer gibt? fen, gekränkt oder beleidigt fühlen. (Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist ja Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege nur der Penner!) Kanther, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- gen Schily? Vielleicht können wir das Problem damit aus der Welt schaffen. - Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Aber (Beifall bei der SPD) gerne.

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Jetzt hat der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. Herr Bundesminister Manfred Kanther das Wort. Otto Schily (SPD): Herr Minister, wenn ich den Be- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr schluß des F.D.P.-Parteitages richtig verstanden Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr knapp, habe, dann ist es das Anliegen der F.D.P. wie auch zum Schluß: Die Debatte hat aufgezeigt, worum es das Anliegen der Oppositionsfraktionen, in einem im Ausländerrecht geht. Gesetz ein Instrumentarium zu schaffen, um den Zu- zug von Ausländern zu begrenzen und zu steuern. Es geht zum einen um die Integration von Millio- Darum frage ich Sie: Werden Sie in Ihrer Eigenschaft nen Ausländern in unserem Land. Das dürfte die als Minister ein solches Vorhaben mit dieser Zielset- wichtigste Frage der Innenpolitik für viele Jahre sein. zung unterstützen und vielleicht auch aus Ihrem Mi- Ich teile völlig die Meinung, daß die Zeit vor 20, 30, nisterium einen entsprechenden Entwurf vorlegen? 40 Jahren, als in diesem Land im wesentlichen nur Deutsche lebten, nicht wiederkehren wird, nicht wie- derkehren soll. Es ist vernünftig, notwendig und Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr ganz und gar unausweichlich, mit Millionen von Kollege Schily, Sie machen es mir einfach. Ich wäre Ausländern in diesem Land in immer besserem Ein- an anderer Stelle noch darauf zu sprechen gekom- vernehmen zu leben. men. Ihr letzter Parteitagsbeschluß - ich glaube, er ist aus dem vorigen Dezember - ist nun schon fast acht Dafür tun wir viel. Es kann der Stolz dieses Landes Monate alt; der Parteitagsbeschluß der F.D.P. ist erst sein, wie es über Jahrzehnte - von ganz wenigen un- 14 Tage alt. Ich frage Sie immer wieder - ich habe Sie rühmlichen Ausnahmen abgesehen - politisch mit das schon ein dutzendmal in der Öffentlichkeit ge- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10261

Bundesminister Manfred Kanther fragt -: Warum legen Sie als Sozialdemokraten das werfen und anschließend kein Fleisch an die Kno- von Ihnen geforderte Einwanderungsgesetz denn chen bringen. Legen Sie ein Gesetz vor, Herr Schily! nicht endlich einmal vor? (Otto Schily [SPD]: Das wird wahrscheinlich (Otto Schily [SPD]: Das werden wir tun!) auch die F.D.P. tun!) - Dann tun Sie es doch und erklären Sie den Men- - Es ist denkbar, daß die F.D.P. das tut. schen in unserem Land, daß Sie entweder eine Ein- Es gibt eine Koalition unserer Fraktionen in diesem wanderungsquote auf den eh schon hohen und nicht Haus, und wir werden die Koalitionsvereinbarung zuletzt illegalen Zuzug draufsetzen wollen oder daß einhalten. Daß alle drei Parteien dieser Koalition jen- Sie im übrigen einen Weg finden, mit dem geltenden seits der Koalitionsvereinbarung gelegentlich wei- Asylrecht und dem hunderttausendfachen Miß- tere Wünsche haben, ist das Natürlichste von der brauch des Asylrechts weiterhin fertig zu werden. Welt. Diese sind aber in der Koalition nicht konsens- Herr Kollege Schily, wenn Sie das getan haben, fähig. Wir werden uns daher auf das beschränken, wenn Sie den von Ihnen oft angekündigten Entwurf was wir miteinander vereinbart haben. auf den Tisch des Hauses gelegt haben, dann reden wir weiter darüber. Von mir werden Sie keinen be- Ich füge ausdrücklich hinzu: Die Begrenzung der kommen. Zuwanderung, insbesondere der über den Miß- (Beifall bei der CDU/CSU) brauch des Asylrechts, ist weiterhin eine wichtige Aufgabe der Politik. Es ist natürlich notwendig, daß daraus Konsequenzen gezogen werden, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Kanther, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Deshalb kann ich Sie, verehrte Kolleginnen und Schily? Kollegen von der SPD, gar nicht verstehen. Ich habe manchmal den Eindruck, Sie leben hier in Bonn un- ter einer Glocke - ganz im Gegensatz zu Ihren Innen- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Aber ministern. Vor dem Hintergrund der Gespräche mit gerne. den Innenministern der Bundesrepublik - darunter sind immerhin elf Sozialdemokraten - über die Ver- einbarung zur Härtefallregelung kommen Sie mir Otto Schily (SPD): Die Passivität der Bundesregie- wie von einem anderen Stern vor. Ihre Kollegen in rung in bestimmten Bereichen ist uns ja geläufig. den Ländern wissen, daß die illegale Zuwanderung Selbstverständlich ist es auch Aufgabe dieses Hau- begrenzt werden muß. Sie wissen, daß Ausländer ses, Gesetzentwürfe vorzulegen, Herr Minister. Die ohne Bleiberecht in diesem Land zurückgeführt wer- SPD-Fraktion wird Ihnen im Laufe dieses Jahres ei- den müssen. nen Gesetzentwurf vorlegen. Nur, Sie sind Partner in einer Koalitionsregierung, und do rt gibt es nun auch (Otto Schily [SPD]: Da sind wir doch einer Bestrebungen, die ich begrüße. Sie stellen Erwartun- Meinung!) gen an uns; das ehrt uns. Aber jetzt frage ich Sie: Wir haben im März vorigen Jahres eine Vereinba- Was werden Sie uns aus Ihrem Koalitionslager in die- rung getroffen, die in ihrer ersten Passage vorsieht, ser Richtung präsentieren? daß die Rückführung der Ausländer ohne Bleibe- recht stattfindet. Wir sind zu der Überzeugung ge- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr kommen, daß für eine kleine Zahl von etwa 15 000 Kollege, ich dachte, ich hätte es klar beantwortet. Personen - so schätzen wir gemeinsam -, die sich Wir haben eine Koalitionsvereinbarung. Diese Koali- schon sehr lange im Land befinden, die nicht zuletzt tionsvereinbarung werden beide Seiten erfüllen. Ich auch auf Grund der Unklarheiten der vormaligen sage Ihnen ausdrücklich, damit das völlig klar ist: Asylrechtsordnung in das Land gekommen bzw. Die Bundesregierung, die Koalition definie rt darin verblieben sind, die Härtefallregelung gelten Deutschland nicht als Einwanderungsland - und ich soll. ganz gewiß auch nicht. Darüber haben wir einen Konsens erzielt. Deshalb (Beifall der Abg. Erika Steinbach [CDU/ sind alle heftigen Töne Ihrerseits im Zusammenhang CSU]) mit der Rückführung dieser Menschen bzw. der For- derung, daß hier mehr getan werden sollte, unbe- Deshalb werde ich ganz gewiß kein Einwanderungs- gründet. gesetz vorlegen, das die Gefahr heraufbeschwört, die weitere- Zuwanderung von Ausländern aus Nicht Herr Kollege EU-Ländern eher zu erhöhen, während unser Pro- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kanther, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage blem doch die Dämpfung dieser Zuwanderung ist, des Kollegen Schily? insbesondere der über den Mißbrauch des Asyl- rechts. Ich glaube, das ist eine klare Antwort. Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Aber (Otto Schily [SPD]: Ja, an die F.D.P.! - ja. Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Die F.D.P. ist aufgelaufen!) Otto Schily (SPD): Herr Minister, wie kommen Sie - Das ist vor allem eine klare Antwort an diejenigen, zu der Auffassung, daß es da einen Widerspruch zwi- die ständig mit diesen politischen Begriffen um sich schen den sozialdemokratischen Innenministern und 10262 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Otto Schily der Bundestagsfraktion gebe? Selbstverständlich ist Wenn wir diejenigen im Lande lassen, die hier auch die Bundestagsfraktion nicht nur für die Be- Asyl erhalten, weil sie in ihren Heimatländern poli- grenzung, sondern sogar für die Unterbindung ille- tisch verfolgt sind - dabei handelt es sich um etwa galer Zuwanderung. Wenn Sie aber in diesem Be- 10 Prozent -, dann ist das selbstverständlich. Aber reich zu vernünftigen Regelungen kommen wollen, wenn wir auch diejenigen im Lande ließen, die nach müssen Sie ein Angebot machen, unter welchen Vor- einem meist aufwendigen Gerichtsverfahren kein aussetzungen eine Zuwanderung möglich ist. Das ist Asyl und kein Bleiberecht zugestanden bekommen doch eine Frage, in der wir durchaus mit den sozial- haben, dann könnten wir uns doch wenigstens das demokratischen Innenministern übereinstimmen. Verfahren sparen. Dann wäre das Ganze doch ab- Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen? surd. So geht es also nicht, und diese Einsicht wer- den Sie gewinnen müssen. Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr Zur Interessenvertretung gehört vieles mehr. Dazu Kollege Schily, ich stelle mit Freude fest, daß Sie - gehört, daß wir die deutsche Politik im ganzen in den das gilt für einen Teil Ihrer Initiativen, die auch in Dienst der Lösung dieses Problems stellen, auch die diesem Jahr Gegenstand der Beratungen gewesen Auswärtige Politik, wie wir es mit Schwierigkeiten sind - die Vereinbarung der Innenminister für gut etwa gegenüber Vietnam oder Serbien auch tun. Ich und richtig halten und ihr zustimmen. Das wird man- stelle wiederum fest, daß ich mit meinen sozialdemo- che Debatte entkrampfen können. kratischen Kollegen der Länder in allen wesentlichen (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Da Fragen in diesen Punkten überein bin. geht es um eine Härtefallregelung, nicht Das ist eine Politik - ich sage das, weil im Zusam- um Zuwanderung!) menhang mit § 19 vorhin nach Härten und außerge- - Bezüglich der Härtefallregelung; das stelle ich fest. wöhnlichen Härten gefragt worden ist -, die leider nicht ohne menschliche Schwierigkeiten abgeht. Im übrigen haben wir, was den Zuzug angeht, ein Aber es ist im Interesse unseres Landes unverzicht- geltendes Asylrecht. Von den 130 000 Asylbewer- bar, daß wir nicht auf dem Umweg über den Miß- bern werden etwa 10 bis 12 Prozent anerkannt. Etwa brauch von Asylrecht oder anderen Zuzugsregelun- 88 bis 90 Prozent kommen zu Unrecht in dieses Land gen verdeckt zum Einwanderungsland werden. Wir und müssen es deshalb wieder verlassen. Das ist die wollen das nicht. Realität. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich frage mich, wozu wir ein Einwanderungsgesetz In den Zusammenhang der Akzeptanz des liberal- brauchen, wo wir doch schon beim Asyl einem 80- sten Ausländerrechts der Welt - das besteht in bis 90prozentigen Mißbrauch des Zuzugs ausgesetzt Deutschland - gehört, daß gegen ausländische Straf- sind. Das muß mir irgend jemand irgendwann einmal täter, die in diesem Land schwerkriminell Unrecht erklären. tun - ob das politisch bemäntelt wird oder ob das nor- (Otto Schily [SPD]: Ich erkläre Ihnen das bei mal schwerkriminell ist, ist jetzt nicht der Punkt -, Gelegenheit, Herr Kanther!) mit aller Entschiedenheit vorgegangen wird. Wir haben 320 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus (Dr. Willfried Penner [SPD]: Kein Dissens!) Bosnien aufgenommen, 60 Prozent aller, die in West- - - Kein Dissens, stelle ich fest. Dann frage ich mich, europa Aufnahme gefunden haben. Das ist eine ge- warum Sie in diesem Zusammenhang Geister einer waltige Leistung des deutschen Volkes, auch in ma- schrecklichen Vergangenheit durch den Raum füh- terieller Hinsicht. Wenn dort - hoffentlich - dauerhaft ren, wenn in dieser Frage kein Dissens besteht. Frieden herrscht, müssen wir gemeinsam darange- hen, diese Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bosnien (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ach du liebe Herzegowina zurückzuführen. Zeit!) Wieder ist dies einstimmige Überzeugung der In- Ich freue mich darüber, Herr Penner, wenn Sie sa- nenminister von Bund und Ländern, darunter elf So- gen: Kein Dissens. Aber dann lassen Sie doch die zialdemokraten. Ich frage mich: Warum bringen wir Emotionalisierung solcher Debatten. Dann bringen eigentlich Heftigkeiten in die Debatte, wenn wir sie Sie es doch auf den Punkt, um den es uns geht: die nicht nur akademisch führen wollen? Do rt , wo das Wahrnehmung der Interessen auch des gastgeben- Ganze praktisch stattfindet, bin ich mit Ihren Kolle- den Landes gegen ungeordneten Zuzug oder Krimi- gen weitgehend überein. nalität. Das ist die Forderung an die Regierung, und dieser Forderung werden wir nachkommen. Das liegt daran, daß Regierungen - auch sozialde- mokratische Regierungen - verpflichtet sind, die In- (Beifall bei der CDU/CSU) teressen ihres Landes wahrzunehmen und nicht ein- Wer in diesem Lande schwerkriminell wird oder fach daherzureden. Die Interessenwahrnehmung ist die Grundfragen des Umgangs in der Öffentlichkeit, nicht immer einfach, und sie ist nicht immer bequem. nämlich Gewaltlosigkeit bei Demonstrationen, miß- Es ist leider so, daß es mit Härten belastet ist, wenn achtet, der geht wissentlich das Risiko ein, daß das Menschen ein Land verlassen müssen. Es ist für nie- Ausländerrecht dahin gehend wirkt, ihn außer Lan- manden und schon gar nicht für Ausländerbehörden des zu bringen. und Polizei ein Vergnügen, diese Härten umsetzen zu müssen. Denn die meisten ohne Bleiberecht wol- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Deshalb weisen len ja bleiben. Trotzdem ist dies keine Alternative. wir ihn aus Belgien aus!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10263

Bundesminister Manfred Kanther - Mit diesem Zwischenruf bleiben Sie allein. Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- nen und Kollegen! Auf den Tag genau vor fünf Jah- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Richtig, weil Sie ren verabschiedeten die Abgeordneten der vorheri- ihn nicht beantworten können!) gen Legislaturperiode über alle Parteigrenzen hin- Die Ausweisung und Abschiebung schwerkrimi- weg einen Entschließungsantrag, in dem die Bundes- neller Ausländer ist unverzichtbar. Das ist übrigens regierung beauftragt wurde, ein Konzept für eine keine Eigenart des deutschen Rechts, sondern selbst- bessere Alterssicherung von Frauen vorzulegen, das verständlich des Rechts aller unserer Partnerländer 1997 wirksam werden sollte. in Europa und weit darüber hinaus. Nun sind ja die Frauenrenten dieser Tage in aller Diese Koalition wird auch in Zukunft alles daran Munde, aber leider in umgekehrter Richtung. Anstatt setzen, zu tun, was notwendig ist, um die Integration endlich die strukturelle Benachteiligung von Frauen von Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, im lohn- und beitragsbezogenen Rentenrecht zu be- im Interesse des inneren Friedens zu erleichtern. Es heben, um Altersarmut zu verhindern, sollen die Be- ist eine entscheidende Forderung an Länder und dingungen mit der rasanten Anhebung der Alters- Kommunen, die das in der Praxis weitgehend erledi- grenze weiter verschlechtert werden. gen müssen, daß sie diesen Auftrag auch in Zeiten umsetzen, in denen es finanziell sehr knapp ist. Das Das Schlimmste konnte dank vielfältigen Protestes ist ja derzeit so. In den Bereichen des Sozialwesens, verhindert werden. Aber Weiteres droht, wenn das des Sports, der Kultur, der Vereine und im Arbeitsle- jetzt ausgefallene Sparvolumen bei der angekündig- ben werden, von den Familien und den persönlichen ten großen Rentenreform, die Bundesminister Blüm Begegnungen einmal abgesehen, die wichtigsten In- mit seiner Kommission im Herbst vorbereitet, erwirt- tegrationsbeiträge geleistet. schaftet werden soll. Besonders zynisch empfinde ich, daß Frauen jetzt ihre höhere Lebenserwartung Es stellt keinen Beitrag zur Integration dar, wenn und die damit längere Rentenlaufzeit vorgeworfen man das Vorhaben einer Regierung problematisiert, und über einen gesonderten Rentenfaktor nachge- sich von schwerkriminellen Ausländern durch Aus- dacht wird. Ich frage Sie, meine Damen und Herren weisung und Abschiebung zu trennen. von der Regierungskoalition: Wer legitimiert die Bun- Wir müssen beides machen: Integration anbieten, desregierung, den Willen des Parlaments von vor fördern und unterstützen und gleichzeitig Deutschen fünf Jahren derart zu verfälschen? wie Ausländern in Deutschland klarmachen, daß wir Dieses Jubiläum bietet keinen Grund zum Jubeln. für die innere Sicherheit dieses Landes jederzeit die Aber lassen Sie uns zurückschauen: Ich habe noch notwendigen Maßnahmen ergreifen. Beides bringt einmal im Protokoll der Debatte vom 21. Juni 1991 die Novelle zum Ausdruck. geblättert, das sehr umfangreich ist, weil ja zugleich Ich danke Ihnen. das Renten-Überleitungsgesetz verabschiedet wurde. Der Gedanke an seine überfällige Korrektur ist trotz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vieler Versprechungen leider auch kein Grund zum Jubeln. Lassen Sie mich kurz an ein paar Aussagen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die erinnern. Bundesarbeitsminister Blüm sagte vor fünf Aussprache. Jahren: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen an Freilich, wenn man auch in Zukunft eine lei- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse stungsbezogene Rente erhalten will, dann, finde vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates ich, ist es unerläßlich, noch einmal über den Lei- zur Änderung des Ausländergesetzes auf Drucksa- stungsbegriff nachzudenken. Darunter kann che 13/4981 soll zur federführenden Beratung dem nicht nur - ganz eng - die eigentliche Erwerbsar- Innenausschuß und zur Mitberatung dem Rechtsaus- beit fallen. Die Kindererziehung ist eine Leistung, schuß sowie dem Ausschuß für Arbeit und Sozialord- die die Rentenversicherung auch stabilisiert, nung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstan- denn ohne Kinder gibt es morgen keine Renten- den? - Kein Widerspruch. Dann sind die Überwei- versicherung. sungen so beschlossen. Hört, hört, kann man da nur sagen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Auch Frau Dr. Babel möchte ich an eine Passage Beratung des Antrags der Abgordneten Petra von damals erinnern, wo sie sagte: Bläss und der Gruppe der PDS Sicher müssen wir angesichts der Belastungen, Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine die unsere sozialen Sicherheitssysteme derzeit eigenständige Alterssicherung von Frauen aushalten, behutsam und mit Augenmaß weitere - Drucksache 13/4684 - Reformen ansteuern. Aber eines ist gewiß: Die Verbesserungen in der additiven Kinderer- Vereinbart ist im Ältestenrat eine Aussprache von ziehungszeit, von der F.D.P. schon lange ange- einer halben Stunde Dauer. Die PDS erhält davon strebt ..., müssen vor Ablauf der Legislaturpe- fünf Minuten. - Kein Widerspruch. Dann ist so be- riode schlossen. - es handelt sich wohlgemerkt um die 12. - Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- gin Petra Bläss, PDS. beschlossen werden. 10264 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Petra Bläss Frau Mascher stimmte für die SPD frohgemut ein: Bis eine solche Reform greift, schlagen wir vor, so- fort alle Renten, die unter dem Existenzminimum lie- Ich freue mich schon heute auf einen fruchtbaren gen, mit einer Grundsicherung zu sockeln. Nur so Wettbewerb aller Parteien bis 1996, wer denn das kann massenhafter finanzieller Unterversorgung ent- beste Konzept für die Frauen entwickeln und gegengewirkt und allen Älteren die Teilhabe am so- durchsetzen kann. ziokulturellen Leben ermöglicht werden. Natürlich Worauf der Kollege Louven für die CDU/CSU erwi- verlangt die eigenständige Altersversorgung von derte: „Wahrscheinlich wir!" Frauen - das sagen wir als PDS ganz deutlich - eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums hier- Ich höre jetzt auf mit der Zitatensammlung zulande. (Rolf Kutzmutz [PDS]: Schade!) (Beifall bei der PDS) und frage Sie: Wo ist Ihr Elan von damals geblieben? Was hat sich denn an den Bedingungen dramatisch Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Uhr. geändert, daß heute kaum noch jemand wagt, von ei- ner Verbesserung des Frauenrentenrechts zu spre- chen, geschweige denn etwas zu tun? Petra Bläss (PDS): Meine Damen und Herren, un- ser Angebot liegt vor. Ich bin gespannt, wie Sie nach Sicher, die Finanzlage der Rentenversicherung ist fünf Jahren zu Ihrem Wort von damals stehen. ernst, aber sie ist, wie uns in einer Anhörung in der vergangenen Woche vom Verband der Rentenversi- (Beifall bei der PDS) cherungsträger bestätigt wurde, nicht existentiell ge- fährdet. Die Sanierung auf Kosten der sowieso schon Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der mehrfach diskriminierten Frauen vornehmen zu wol- Kollege Helmut Heiderich, CDU/CSU. len ist schäbig.

Wir fordern die Bundesregierung auf, mit der glei- Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Präsident! chen Intensität, mit der sie Kürzungsmaßnahmen er- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! sinnt, nach neuen Finanzierungsquellen zu suchen. Eine Debatte über die Alterssicherung von Frauen Es gibt übervolle Kassen in diesem Lande, aber im unter dem Schlagwort „Armut und Abhängigkeit" zu Moment sind das leider noch die falschen. führen, wie die PDS dies heute tut, ist doch wohl ein (Ina Albowitz [F.D.P.]: Vor allem die PDS- starker Tobak und ein bewußter Affront gegen die Kassen!) Politik, die wir in diesem Hause seit vielen Jahren vertreten. In einem Land, das nach wie vor zu den Die PDS nimmt den Wortbruch nicht einfach hin wirtschafts- und wohlstandsstärksten Regionen die- und fordert die Einlösung des vor fünf Jahren gege- ser Welt gehört, in einem Land, in dem jede dritte er- benen Versprechens. wirtschaftete Mark für soziale Leistungen ausgege- ben wird, ist eine solche Formulierung eine Unter- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: SED-Kon stellung, die wir entschieden zurückweisen. ten, ja! (Beifall bei der CDU/CSU) - Es ist interessant, was für Zwischenrufe Sie bei die- sem Thema machen. - Darauf warten Millionen- von Jede dritte Mark - das sind in der Summe 1 200 Frauen in den neuen und in den alten Bundeslän- Milliarden DM; das will ich noch einmal betonen - dern. Jahr für Jahr für die Absicherung bei Krankheit, bei Arbeitslosigkeit, bei Pflegebedürftigkeit und für die Unsere Vorschläge finden Sie in dem heute zur Teilhabe an der wirtschaftlichen Dynamik im Alter! Diskussion stehenden Antrag „Gegen Armut und Abhängigkeit - für eine eigenständige Alterssiche- Gerade für die Erwerbs- und Rentensituation der rung von Frauen" . Wir fordern in unserem Antrag Frauen hat diese Bundesregierung in den letzten eine Versicherungspflicht für alle und für jede Ar- fünf Jahren - ich möchte das Datum aufgreifen, das beitsstunde. Wir fordern deutlich erhöhte und addi- die Vorrednerin erwähnt hat: 1991 - erhebliche Ver- tive Zeiten für Kindererziehung, die mit dem Durch- besserungen durchgesetzt. Ich nenne nur die Einfüh- schnittsverdienst aller Versicherten bewe rtet werden rung des Kindererziehungsgeldes und des Erzie- sollen. Wir fordern eine ebensolche Bewertung von hungsurlaubs, verbunden mit der gesicherten Rück- häuslicher Pflege, die vor allem von Pa rtnerinnen, kehr ins Arbeitsleben und mit der Anrechnung der Müttern, Töchtern und Enkelinnen übernommen Erziehungszeiten für die spätere Rente. Schon ein wird. Und wir fordern einen regulären Rentenbeginn Jahr Kindererziehung erbringt dabei gegenwärtig für Frauen mit dem 60. Lebensjahr ohne Wenn und 34,67 DM an monatlichem Rentenertrag. Aber. (Ingrid Holzhüter [SPD]: Wahnsinn!) (Beifall bei der PDS) Ich denke, das ist ein erheblicher Beitrag für die Al- Mit diesen Forderungen sehen wir die Lebensum- terssicherung. stände, in die Frauen in der Bundesrepublik hinein- gedrängt sind, einigermaßen reflektiert. Eine solche Mit zahlreichen weiteren Maßnahmen haben wir Anerkennung der Lebensleistung von Frauen ergibt dafür gesorgt, die Vereinbarkeit von Beruf und Fami- auch zumeist eine eigenständige existenzsichernde lie zu verbessern. Ich will an dieser Stelle beispiel- Rente. haft die garantierte Bereitstellung eines Kindergar- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10265 Helmut Heiderich tenplatzes ab dem dritten Lebensjahr nennen. Auch und lasten seine Versorgung denjenigen auf, die das ist, denke ich, ein Punkt in diesem Zusammen- überdurchschnittlichen Einsatz zeigen. hang. (Zuruf von der SPD: Das müssen Sie einmal Letztlich ist auch die Einführung der Pflegeversi- den Trümmerfrauen erzählen!) cherung ein weiterer Beitrag die Rentenanwartschaft von Frauen zu verbessern; denn - das wird von der Genauso unbrauchbar ist Ihre Forderung zu den Antragstellerin betont - die häusliche Pflegetätigkeit geringfügigen oder, wie Sie es formulieren, unter wird in der überwiegenden Zahl der Fälle von dem Existenzminimum liegenden Beschäftigungs- Frauen wahrgenommen. verhältnissen. Wenn Sie das wirklich umsetzen, was Sie fordern, wenn Sie die Arbeitgeber zwingen, die Wenn Sie in Kenntnis all dieser Leistungen trotz- gesamten Sozialabgaben zu entrichten, dann werden dem unter der Überschrift „Armut und Abhängig- von den bestehenden Arbeitsverträgen dieser Art keit" argumentieren, dann ist dabei die Absicht un- kaum noch welche übrigbleiben. Daß dann insbeson- verkennbar, hier ein politisch schiefes Bild zu zeich- dere die Frauen, denen Sie mit Ihrem Antrag angeb- nen. lich helfen wollen, Arbeit und Einkommen verlieren, ist Ihnen offenbar entgangen. (Zuruf von der CDU/CSU: Billige Polemik ist das!) Ähnlich kurios ist Ihre Forderung, Alleinverdie- ner-Ehepaaren die gesamten Sozialversicherungsab- Dabei müßten doch gerade Sie - ich will das Wort gaben für den Nichtverdiener aufzulasten. Doppel- von der Polemik einmal aufgreifen - am besten beur- verdiener ohne Kinder dürfen dagegen weiter die Ar- teilen können, wo die Unterschiede sind. Ich will beitgeberanteile in Anspruch nehmen. noch einmal darauf hinweisen, daß man in der ehe- maligen DDR, in der ja Ihre Vorgängerorganisation (Zuruf von der SPD: Es gibt keine Doppel über vier Jahrzehnte für Alterssicherung zuständig verdiener! Jeder verdient für sich allein!) war, Warum ausgerechnet, verehrte Frau Kollegin, Allein- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein verdiener ihre Vorsorge selbst zahlen sollen, Doppel- Traditionsverein!) verdiener aber nicht, bleibt offensichtlich Geheimnis der Antragsteller. tatsächlich von Armut und Abhängigkeit sprechen Zum dritten enthält Ihr Antrag eine Reihe von Fest- konnte. Es gab eine Einheitsrente von knapp über stellungen und Forderungen, in denen Sie die fami- 400 Mark, Heimunterbringungen, bei denen es wirk- lienpolitischen Leistungen dieser Bundesregierung lich am nötigsten fehlte. Ich denke, in bezug darauf ausdrücklich anerkennen, aus Ihrem Munde zumin- sind solche Begriffe angebracht. dest eine bemerkenswe rte Feststellung. Was Ihnen Unsere ehemalige Ministerin Hannelore Rönsch dazu aber an ergänzenden Vorschlägen eingefallen könnte Ihnen abendfüllend zu diesem Thema berich- ist, geht über die ständige Forderung nach erhebli- ten. chen Leistungserhöhungen nicht hinaus. Auf jeden dieser Punkte einfach draufzusatteln, dazu bedarf es (Ulrike Mascher [SPD]: Warum ist sie nicht keiner besonderen Kreativität. Es sind - im Gegen- hier?) teil - immer wieder dieselben alten Hüte, die Sie auf- - setzen, allenfalls einmal mit einer neuen Feder ge- Sie hat daraus - das will ich hier betonen - die Konse- schmückt. quenz gezogen! Daß solche zusätzlichen Leistungen, die man hier (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ist einfordert, auch zusätzliche Einnahmen erfordern, zurückgetreten!) scheint sich bei Ihnen noch nicht herumgesprochen Sie setzt sich seitdem mit einer Stiftung „Daheim im zu haben. Lediglich an einer Stelle Ihres Antrages Heim" für Senioren ein. Sie hat seitdem Millionenbe- wird dann ganz lapidar formuliert: „Die daraus resul- träge gesammelt und einige Mängel aus der Welt tierenden Ansprüche werden aus dem Bundeshaus- schaffen können. Ich denke, das ist ein beispielhafter halt ... bestritten". Einsatz, der die Anerkennung auch Ihrer Seite ver- dient hätte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, Sie achten auf die Uhr, ja? (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Solidari tät!) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Ja, ich komme Mit dem Antrag, den Sie heute vorlegen, gehen gleich zum Schluß. Sie genau in die entgegengesetzte Richtung. Sie wol- len zurück in die überkommene Gleichmacherei. Die Einheitsrente, jetzt von Ihnen als Grundsicherung Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das ist nett. bezeichnet, soll eingeführt werden. Diese und auch weitere Ungereimtheiten Ihres Antrages zeigen, daß Helmut Heiderich (CSU/CSU): Ich und sicherlich Sie das System der sozialen Marktwirtschaft immer auch die anderen Mitglieder des Hauses wären Ih- noch nicht verstanden haben. Einheitssysteme - das nen, verehrte Frau Vorrednerin, sehr dankbar, wenn sollten Sie eigentlich wissen - belohnen denjenigen, Sie Ihren Begriff von den „übervollen Kassen" etwas der sich vor Einsatz und vor Verantwortung drückt, im Detail erläutern könnten, wenn Sie uns einmal 10266 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Helmut Heiderich klarmachen könnten, woher Sie eigentlich die Mittel Ausbildung, durch Änderungen bei der Altersgrenze nehmen wollen, die Sie zur Erfüllung Ihrer Forderun- für Frauen und durch versicherungsmathematische gen benötigen. Abschläge - ich will den Horrorkatalog heute nach- mittag nicht noch einmal vortragen - gekennzeichnet Ich komme zum Schluß. Unsere Auffassung ist: Wir ist, empört die Frauen. werden auch für die nähere und weitere Zukunft den Sozialstaat, den wir durch viele umfangreiche Initia- (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei tiven aufgebaut haben, für unsere Bürger weiter Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE erhalten, sichern und verbessern. Darauf können GRÜNEN) sich die Bürger in diesem Lande verlassen. Der Deutsche Frauenrat hat in seiner Stellung- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das nahme bei der Anhörung zu den aktuellen Gesetzen glaubt doch kein Mensch!) zu Recht gefordert, daß der Bundestag seine eigenen Beschlüsse ernst nehmen soll. Denn niemand von der Schönen Dank. Regierungskoalition kann ernsthaft behaupten, daß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge sich - gerade nach dem Verfassungsgerichtsurteil ordneten der F.D.P.) von 1992 und angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, die im Alter zwangsläufig zur Armut führt - die Auf- gabe der Armutsbekämpfung und der besseren An- Das Wort hat die Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: rechnung von Erziehungszeiten durch Zeitablauf er- Kollegin Ulrike Mascher, SPD. ledigt habe. (Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salz Was schlägt nun die PDS in ihrem Antrag vor? Sie gitter] [SPD]) schlägt die Rentenversicherungspflicht für geringfü- gig Beschäftigte - dazu haben wir heute morgen Ulrike Mascher (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- über den SPD-Antrag diskutiert - und eine bedarfs- ginnen und Kollegen! Der Aufforderung meines Kol- abhängige soziale Grundsicherung - das ist eine legen Schmidt, alles klarzustellen, kann ich leider Forderung, die von vielen Sozialverbänden und So- nicht nachkommen, weil meine Redezeit sonst nicht zialwissenschaftlern, die in der Nationalen Armuts- ausreichen würde. konferenz zusammengeschlossen sind, immer wieder gestellt worden ist und die seit 1986 von der SPD im- Ich möchte daran erinnern, daß der Deutsche Bun- mer wieder in ihr Programm eingefügt worden ist - destag vor fünf Jahren einstimmig eine Resolution vor. beschlossen hat, mit der wir, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, uns verpflichtet haben, eine Die SPD hat dazu ein ausformuliertes und durchge- Reform der Alterssicherung auf den Weg zu brin- rechnetes Konzept vorgelegt und dieses im Rahmen gen, die folgende Punkte endlich regeln sollte: eine von Fachkonferenzen der SPD-Bundestagsfraktion rentenrechtliche Anerkennung von Kindererzie- öffentlich vorgestellt. Wir freuen uns, wenn unser hungszeiten additiv zu Zeiten der Erwerbstätigkeit - Konzept auch für andere Parteien so attraktiv ist, daß Frau Dr. Babel ist hier bereits mit ihrem Wunsch, daß sie es in ihren Anträgen aufgreifen. Leider reicht es das bereits in der letzten Legislaturperiode hätte ge- noch nicht ganz zur Mehrheit; wir müssen noch mehr schehen sollen, zitiert worden - und eine bessere Be- dafür gewinnen. rücksichtigung der Kindererziehungszeiten- in der Rentenversicherung. Diese Forderung wurde durch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von ten der PDS) 1992 nachhaltig bekräftigt. Bei der dritten Forde- Zwei Punkte im Antrag der PDS halte ich nicht für rung, einen Beitrag zur Lösung des Problems der Al- akzeptabel, ja, ich halte sie eigentlich für unse riös: tersarmut zu leisten, befindet sich der Bundestag in zum einen die Anrechnung von Kindererziehungs- der guten Gesellschaft der Ca ritas, die als Ergebnis zeiten von neun Jahren bei zwei Kindern und von ihrer großen Armutsuntersuchung gefordert hat, die 15 Jahren bei drei Kindern. Das geht noch weit über sozialen Sicherungssysteme armutsfest zu machen. die neun Jahre hinaus, die es in der DDR gegeben Wie gesagt, das war eine einstimmig angenom- hat. Das halte ich schlichtweg für nicht finanzierbar. mene Resolution, eine Aufgabe, die wir uns damit Es gilt die Faustformel, daß die Anrechnung von ei- selbst gegeben haben. nem Jahr Kindererziehungszeit die Rentenversiche- rung ungefähr 5 Milliarden DM kostet. Deshalb hätte (Beifall bei der PDS) ich mir an dieser Stelle mehr gewünscht als die schlichte Formulierung, daß das aus Steuermitteln fi- Bereits nach der Regierungserklärung zu Beginn nanziert werden muß. So sollten wir bei den Frauen dieser Legislaturperiode, nach der Ankündigung der keine falschen Hoffnungen wecken. Arbeitsprogramme des Arbeitsministers und der Frauenministerin war klar: Von der Regierungskoali- Der zweite Punkt ist die Versicherungspflicht für tion wird nichts kommen, was diese Forderungen Hausfrauen, die keine Kinder erziehen, also auch für vom 21. Juni 1991 einlösen kann. Daß aber die Koali- diejenigen, deren Kinder bereits erwachsen sind. So tionsfraktionen jetzt statt einer besseren Anerken- wie die PDS das in ihrem Antrag vorschlägt, wären nung von Kindererziehungszeiten, statt einer Absi- überschlägig monatliche Beiträge in Höhe von cherung gegen Altersarmut, vor allem von Frauen, 595 DM erforderlich. Diese hohe Beitragsleistung ist ein Programm auf die Tagesordnung setzen, das eines der Hauptargumente gegen eine allgemeine durch die Kürzung von Anrechnungszeiten für die Rentenversicherungspflicht, die im Rahmen des so- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10267

Ulrike Mascher genannten voll eigenständigen Systems der Alters- Auch das Bundesverfassungsgericht hatte zu einer vorsorge von Wissenschaftlern aus dem Umfeld des verbesserten Berücksichtigung der Kindererzie- DIW in Berlin entwickelt worden ist. Ich denke, man hungszeiten aufgefordert. kann das so nicht einfach wieder in einen Antrag hineinschreiben, sondern man muß die materielle Si- Ein Schwerpunkt der gemeinsamen Entschließung tuation von Familien berücksichtigen. Eine Beitrags- war, die Anerkennung von Zeiten der Kindererzie- pflicht in Höhe von 595 DM - mögen es auch 590 DM hung und der Pflege zu verbessern und dabei die oder 580 DM sein - ist einfach nicht machbar. Tatsache zu berücksichtigen, daß Familienarbeit oft gleichzeitig mit Erwerbsarbeit geleistet wird. Ich Die SPD arbeitet seit der letzten Legislaturperiode denke, der Auftragsteil „Pflege" ist mit ihrer renten- - angestoßen durch die gemeinsame Entschließung rechtlichen Anerkennung zwischenzeitlich schon ei- vom 21. Juni 1991- an einem Konzept für eine eigen- nigermaßen erfüllt. ständige Alterssicherung von Frauen. Wir wollen Der F.D.P. ging es damals vor allem auch darum, durch Umschichtungen im System der gesetzlichen daß nicht nur Kindererziehungszeiten der Frauen an- Rentenversicherung ein echtes Rentenreformmodell erkannt werden, die während dieser Erziehungszeit entwickeln, das Frauen ohne Erhöhung des Beitra- nicht erwerbstätig waren, sondern auch derjenigen, ges und ohne Erhöhung des Bundeszuschusses eine die sich der Doppelbelastung stellen mußten. Wir ausreichende eigene Alterssicherung ermöglicht. wollten eine additive Lösung; und die sollte nach dem Wortlaut der Entschließung noch in der Das ist nicht so ganz einfach. Die finanziellen Aus- 12. Legislaturperiode verwirklicht werden. wirkungen müssen sehr genau bedacht werden, da- mit wir nicht auf der einen Seite Altersarmut von Im Frühjahr 1991 sah es in der Euphorie der deut- Frauen bekämpfen und auf der anderen Seite ein schen Einigung noch so aus, als könne das Gesamt- Loch aufreißen, das Frauen wieder in Armut stürzt. konzept bis 1997 tatsächlich verwirklicht werden. Doch die Zeiten haben sich geändert. Sehr schnell (Zustimmung der Abg. Ina Albowitz haben uns die sich gegenseitig verstärkenden Ent- [F.D.P.]) wicklungen am Arbeitsmarkt, steigende Arbeitslo- sigkeit und damit einhergehende Frühverrentung Wir werden der Öffentlichkeit unser Konzept im Rah- auf den Boden der finanziellen Realität zurückgeholt. men der Arbeit unserer Rentenkommission im Laufe des nächsten Jahres vorstellen. Heute können wir nicht über zusätzliche Leistun- gen, sondern müssen über notwendig gewordene re- Ich finde es ganz interessant, daß der Vorsitzende striktive Maßnahmen zur Sicherung der soliden Fi- des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträ- nanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme re- ger, Herr Professor Ruland, immer wieder auch öf- den. Wir müssen auf unserer Wunschliste vor allem fentlich erklärt hat: Die beste und die zuverlässigste dort Abstriche machen, wo der nachteilige Nebenef- Alterssicherung erreicht „frau" durch eine möglichst fekt der zusätzlichen Belastung der Beitragszahler kontinuierliche Erwerbsarbeit. - Dazu brauchen wir aufträte. aber eine andere Politik, damit Erwerbsarbeit und Diese Entwicklung dürfte eigentlich auch der PDS Familie besser miteinander vereinbart werden kön- nicht entgangen sein. Dennoch suggeriert sie, die nen. Republik könne das bzw. könne sich das noch lei- sten. Ich denke, sie wird auch viel Beifall bei denen Mit diesem Merkposten möchte ich meinen Beitrag finden, die der propagierten Fehleinschätzung erlie- abschließen; denn daran müßte sich eine sehr lange gen, es komme nur auf den politischen Willen an. Diskussion anschließen, die wir heute, am Freitag- nachmittag, sicher nicht mehr führen können und Das Grundrecht der Gleichberechtigung erfordert nicht mehr führen wollen. die eigenständige Alterssicherung der Frau. Zwar darf dieses Recht keine Funktion der Finanzen sein; Danke. aber wir alle wissen, was das Recht ohne materielle Umsetzung wert ist. Auch die sozialen Sicherungs- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE systeme stehen unter dem Finanzierungsvorbehalt. GRÜNEN und der PDS) Umsteuerungen innerhalb des Systems brauchen Zeit - zumindest eine Frist, die zur Neuorientierung der Betroffenen ausreicht. Ich denke, diese Einsicht war maßgebend für die teilweise Rücknahme der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Uwe Lühr, F.D.P. Vorschläge für die Anhebung der Altersgrenze für Frauen. Das Vertrauen in die Gültigkeit von Krite- rien, die ehemals die Lebensplanung entscheidend mitbestimmt haben, ist für die Funktionsfähigkeit der Uwe Lühr (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen Alterssicherung ebenso wichtig wie die Solidität ih- und Herren! Mit ihrem Antrag greift die PDS ein Pro- rer Finanzierung selbst. blem auf, das lange erkannt ist. Genau heute vor fünf Jahren hat der Deutsche Bundestag in einer großen Wir, die Freien Demokraten, wollen diese Reform. Entschließung zur Fortsetzung der Reform der Alters- Wir wollen das gesteckte Ziel nicht aufgeben. Daher sicherung der Frauen aufgefordert, die bis zum Be- werden wir nicht aufhören, über Lösungsmöglichkei- ginn des Jahres 1997 verwirklicht werden sollte. ten nachzudenken, um die Reform zunächst dort wei- 10268 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 Uwe Lühr terzubringen, wo sie aufkommensneutral realisie rt Ich kann für meine Fraktion ganz offen sagen: Wir werden kann. wollen diese Reform. Aber angesichts all dessen, was wir im Moment an Arbeitsbelastung haben, waren Wir werden uns weiter bemühen, Mittel zur eigen- wir bislang nicht in der Lage, dazu ein durchdachtes ständigen Alterssicherung der Frau freizusetzen. Wir Konzept vorzulegen. Niemand bedauert das mehr als werden aber darauf achten, daß sie ordnungspoli- ich. Man kann aber an dieses Problem nicht so her- tisch korrekt finanziert wird. Einer Reform unter Hin- angehen, wie Sie das in Ihrem Antrag gemacht ha- nahme einer zusätzlichen Gefährdung der Stabilität ben, in dem Sie einfach sagen: Das wünschen wir des Gesamtsystems selbst werden wir uns widerset- uns. zen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das ist wie Weih nachten!)

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat die Was Ihre Forderung angeht, den regulären Renten- Kollegin Andrea Fischer, Bündnis 90/Die Grünen. zugang für Frauen auf Dauer auf 60 Jahre festzu- schreiben: Haben Sie schon einmal etwas von demo- graphischem Wandel und gestiegener Lebenserwar- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tung gehört? Was die additive Anrechnung von Kin- NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! dererziehungszeiten und Erwerbstätigkeit angeht: Das Beste, was ich über den Antrag der PDS sagen Hat Ihnen schon einmal jemand gesagt, daß Sie, kann, ist, daß er zu Recht auf das uneingelöste Ver- wenn Sie bei der Beitragsbemessungsgrenze keine sprechen dieses Entschließungsantrages, von dem Obergrenze einführen, theoretisch zu Rentenansprü- hier schon so viel die Rede war, hinweist und darauf, chen von 2,8 Entgeltpunkten kommen? Wie wollen daß es politisch nicht hinnehmbar ist, daß seitdem Sie dieses Problem lösen? nichts geschehen ist und sich die Dinge - darauf hat auch die Kollegin Mascher hingewiesen - permanent (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das verste zum Schlechteren wenden. hen die doch gar nicht!)

(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Na, na! Zur Grundsicherung: Meine Fraktion arbeitet zur Das nehmen Sie sofort zurück!) Zeit an der Konkretisierung eines Konzepts, mit dem Nur weil der Antrag der PDS nicht gut ist, Herr Kol- wir uns schon seit längerem beschäftigen. Wenn ich lege Heiderich, können Sie noch nicht behaupten, mir ansehe, was die PDS da macht, dann werde ich daß das, was die Bundesregierung zur Zeit macht, nun wirklich wütend. Sie fordern 1 450 DM plus gut sei. Dieser Umkehrschluß ist nicht zulässig. Miete. Das muß man einmal andersherum betrach- ten: Wenn man den jetzigen Sozialhilfesatz zugrunde (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legt, wenn man das, was zur Zeit an einmaligen Lei- und bei der SPD) stungen gezahlt wird, addiert, durch zwölf teilt und auf einen Monat umlegt und dann noch die 8 Prozent Unbestritten ist auch - das habe ich gerade vom drauflegt, um die die Sozialhilfe nach Angaben der Kollegen Lühr gehört -, daß die eigenständige Al- Wohlfahrtsverbände durch die Deckelung der letzten terssicherung der Frauen weiterhin eine wichtige Jahre zu niedrig ist, dann kommen Sie auf einen Re- politische Aufgabe ist, die wir dringend anpacken - gelsatz von 717 DM. Also: 1 450 DM ist eine Verdop- müssen. Ich glaube, daß wir auf dem Feld am besten pelung des aktuellen Sozialhilfeniveaus. vorankommen, wenn wir hier weiterhin über die Kin- dererziehungszeiten gehen. Da sagen Sie nun: Das kriegen wir doch finanziert. Das will ich sehen, das will ich auf Heller und Pfen- Frau Kollegin Bläss, Sie haben gerade einiges aus nig sehen. Nur, wenn man mit solchen Beträgen um einer früheren Debatte über dieses Thema zitiert und sich schmeißt, dann diskreditiert man die Sozialpoli- gefragt: Wo ist denn der Elan dieser Debatte geblie- tik. So kommt man mit einer oppositionellen Sozial- ben? Ich antworte Ihnen: Wenn ich mir Ihren Antrag politik nicht in die Offensive. Deswegen bin ich so ansehe, dann weiß ich auch nicht, wo der Elan der sauer über diesen Antrag. PDS geblieben ist. Wenn man die eigenständige Al- terssicherung der Frauen wirklich will, dann muß (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, man sich auch ernsthaft mit all den schwierigen un- bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.) gelösten Fragen auseinandersetzen. Das tut Ihr An- trag nicht. - Sie von der Koalition haben nicht zu klatschen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Widerspruch bei der CDU/CSU und der bei der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.) F.D.P.) Das ärgert mich an der ganzen Sache so. Ich habe das der Kollegin vorgerechnet und gesagt: Sie müssen hier seriöser arbeiten. Ich habe über Frau Kollegin Mascher hat eben nur an einem linke Sozialpolitik geredet. Ihre Sozialpolitik kann Punkt, der zur Debatte steht, nämlich an der Versi- man nun wirlich nicht als linke Sozialpolitik bezeich- cherungspflicht für Hausfrauen, darauf hingewie- nen. Ich habe weiter davon geredet, daß wir Alterna- sen, wie kompliziert es ist, auf diesem Gebiet zu be- tiven aufzeigen wollen. friedigenden Lösungen zu kommen, die ohnehin nur in ganz engen Korridoren möglich sind. (Zuruf von der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10269

Andrea Fischer (Berlin) - Das ist nicht wahr. In jeder Anhörung wird Ihnen ZP8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volk erzählt, was Sie alles nicht bedacht haben. Sie müs- mar Schultz (Köln), Ingrid Becker-Inglau, sen die Anhebung des Rentenalters der Frauen zu- Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter und rücknehmen, weil Sie offensichtlich Ihre Juristen in der Fraktion der SPD den Ministerien nicht gefragt haben, wie das mit dem Vertrauensschutz ist. Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II in Einklang bringen

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 13/4966 — und bei der SPD) Überweisungsvorschlag: Erzählen Sie mir also nicht, Sie könnten richtige So- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zialpolitik machen. (federführend) Ausschuß für Wirtschaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und bei der SPD) Ausschuß für wi rtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Aussprache. Achim Großmann, Angelika Mertens, Dr. Eberhard Brecht, weiterer Abgeordneter Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf und der Fraktion der SPD Drucksache 13/4684 an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstan- Städtebauförderung als wichtiges Investiti- den? - Kein Widerspruch. Dann ist die Überweisung onsinstrument erhalten und ausbauen so beschlossen. - Drucksache 13/4761 — Überweisungsvorschlag: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19a und 19b so- Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau wie die Zusatzpunkte 8 und 11 auf: (federführend) Ausschuß für Wirtschaft 19. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Haushaltsausschuß Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Peter Götz, Werner Dörflinger, weiterer Abgeordneter und der In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- folgende Kolleginnen und Kollegen ihren Redebei- neten Hildebrecht Braun (Augsburg), trag zu Protokoll geben: CDU/CSU: Götz, Willner; Dr. Klaus Röhl, Horst Friedrich und der SPD: Becker-Inglau, Schultz; Bündnis 90/Die Grü- Fraktion der F.D.P. nen: Eichstädt-Bohlig; F.D.P.: Schwaetzer; PDS: Warnick, und für die Bundesregierung Herr Bundes- Umsetzung der HABITAT II-Empfehlungen minister Töpfer.*) Ich gehe davon aus, daß das Haus einverstanden ist. - Das ist so. - Drucksache 13/4951 —

Überweisungsvorschlag: - Dann schließe ich die Aussprache. Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- (federführend) gen auf den Drucksachen 13/4951, 13/4919 und 13/ Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 4966 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und schüsse vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion der Entwicklung SPD zur Städtebauförderung auf Drucksache 13/ 4761 soll zur federführenden Beratung dem Aus- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten schuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Franziska Eichstädt-Bohlig, Dr. Angelika und zur Mitberatung dem Ausschuß für Wirtschaft Köster-Loßack, Amke Dietert-Scheuer, wei- sowie dem Haushaltsausschuß überwiesen werden. terer Abgeordneter und der Fraktion Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungen so beschlossen. Einlösung der Versprechen von Rio auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 und Zusatzpunkt 9 auf: - Drucksache 13/4919 -

Überweisungsvorschlag: 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gila Altmann (Aurich) undderFraktionBÜNDNIS90/ Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau DIE GRÜNEN (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Verschärfung der Maßnahmen gegen die fort Ausschuß für Verkehr Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und schreitende Gefährdung der menschlichen Reaktorsicherheit Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung *) Anlage 4 10270 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Gesundheit und der Umwelt durch bodenna- mann, F.D.P.: Homburger, PDS: Bulling-Schröter, für hes Ozon die Bundesregierung niemand.*) Ich gehe davon - Drucksache 13/4727 - aus, daß das Haus einverstanden ist? - Überweisungsvorschlag: Ich schließe die Aussprache. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (federführend) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- Ausschuß für Gesundheit gen auf den Drucksachen 13/4727 und 13/4974 an Ausschuß für Verkehr die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus vorgeschlagen. Der Antrag der Fraktion des Bünd- nisses 90/Die Grünen auf Drucksache 13/4727 soll ZP9 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD zusätzlich dem Ausschuß für Fremdenverkehr und Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" (Ge- Tourismus zur Mitberatung überwiesen werden. Ein- setz zur Änderung des Bundes-Immissions- verstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Über- schutzgesetzes vom 19. Juli 1995) weisungen so beschlossen. - Drucksache 13/4974 - Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (federführend) destages auf Mittwoch, den 26. Juni 1996, 13 Uhr ein. Ausschuß für Gesundheit Ausschuß für Verkehr Schönes Wochenende! Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus Die Sitzung ist geschlossen. In der Aussprache, die ich hiermit eröffne, werden (Schluß der Sitzung: 14.53 Uhr) folgende Kolleginnen und Kollegen ihre Redebei- träge zu Protokoll geben: CDU/CSU: Reichard, SPD: Schwall-Düren, Bündnis 90/Die Grünen: Gila Alt- *) Anlage 5 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10271*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Schaden des Familienlebens Hundertausende von Beschäftigten - insbesondere Frauen - gezwungen Liste der entschuldigten Abgeordneten sein, in den Abendstunden zu arbeiten. Nur der Respekt vor dem Mehrheitsbeschluß mei- entschuldigt bis Abgeordnete(r) ner Fraktion hat mich dazu bewogen, dem Gesetz- einschließlich entwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des SPD 21. 6. 96 *) Ladenschlusses in der modifizierten Ausschußfas- Behrendt, Wolfgang sung zuzustimmen. Belle, Meinrad CDU/CSU 21. 6. 96 Blunck, Lilo SPD 21. 6. 96 Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU): In der heutigen na- Dr. SPD 21. 6. 96 mentlichen Abstimmung werde ich für eine Ände- rung des Ladenschlußgesetzes stimmen, obwohl ich Gysi, Andrea PDS 21. 6. 96 diese Entscheidung für falsch halte. Dr. Höll, Barbara PDS 21. 6. 96 Durch mein Abstimmungsverhalten möchte ich der Horn, Erwin SPD 21. 6. 96 Handlungsfähigkeit unserer Koalition nicht derge- Dr. Kinkel, Klaus F.D.P. 21. 6. 96 stalt schaden, daß andere wichtige Gesetzesvorha- Knoche, Monika BÜNDNIS 21. 6. 96 ben, die im Zusammenhang mit dem Programm für 90/DIE mehr Wachstum und Beschäftigung stehen, gefähr- det werden. GRÜNEN Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 21. 6. 96 Die geplante Änderung des Ladenschlußgesetzes führt zu einer weiteren Konzentration im Einzelhan- Michels, Meinolf CDU/CSU 20. 6. 96 del. Das Gebot der Stunde hingegen ist, den Mittel- Nolte, Claudia CDU/CSU 21. 6. 96 stand zu stärken. Pretzlaff, Marlies CDU/CSU 21. 6. 96 Hinzu kommt, daß mit einer Ausweitung der La- Dr. Rexrodt, Günter F.D.P. 21. 6. 96 denöffnungszeiten eine weitere Benachteiligung des Schaich-Walch, Gudrun SPD 21, 6. 96 ländlichen Raumes einhergeht. Diese Benachteili- Scharping, Rudolf SPD 21. 6. 96 gung wird nicht zuletzt auch vom Bundeswirtschafts- minister bestätigt, der am 9. Mai 1996 vor dem Deut- Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 21. 6. 96 schen Bundestag erklärte, sich vorstellen zu können, 90/DIE „daß längere Öffnungszeiten am Sonnabend durch- GRÜNEN aus ein Stück Umsatzverlagerung vom ländlichen Siebert, Bernd CDU/CSU 21. 6. 96 *) Raum in das städtische Gebiet mit sich bringen kön- Steindor, Marina BÜNDNIS 21. 6. 96 nen". 90/DIE GRÜNEN Renate Blank (CDU/CSU): Dem Gesetz zur Ände- Dr. Waigel, Thoeodor CDU/CSU 21. 6. 96 rung des Gesetzes über den Ladenschluß kann ich in dieser Form nicht zustimmen. Jede Entscheidung ist Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 21. 6. 96 für mich eine Abwägung von Werten. Ich erlaube mir auch den Hinweis, daß eine zwischen den Koalitions- partnern vereinbarte gleichzeitige Änderung des § 5 c *) für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Kartellgesetz (Verbundgruppen) bisher nicht vor- sammlung des Europarates liegt; ich bedaure dies sehr, denn gerade diese Ände- rung könnte dem mittelständischen Einzelhandel helfen. Das ifo-Gutachten und die Anhörung haben deut- lich gemacht, daß kleine und mittlere Unternehmen Anlage 2 und die dort Beschäftigten die Verlierer einer Ände- rung sein werden. Für mich ist das bestehende Erklärungen nach § 31 GO Ladenschlußgesetz nach wie vor ein für Verbraucher, zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes Beschäftigte und Arbeitgeber tragfähiger Kompro- über den Ladenschluß miß. ' und zur Neuregelung der Arbeitszeiten Auf die Verbraucher werden bei verlängerten Öff- in Bäckereien und Konditoreien nungszeiten höhere Kosten zukommen, da ab (Tagesordnungspunkt 15) 18.30 Uhr höhere Tarife bezahlt werden müssen; zu- dem entstehen höhere Raumkosten. Der Kunde hat Anneliese Augustin (CDU/CSU): Ich bin der festen die Möglichkeit zum Preisvergleich und Einkaufsver- Überzeugung, daß die Neuregelung des Laden- gnügen nur, wenn alle am Wettbewerb beteiligten schlusses zu einem nachteiligen Strukturwandel in- Unternehmen zu gleicher Zeit geöffnet haben - dies nerhalb des Handels führen wird und insbesondere ist bei einer Ausweitung nicht mehr gewährleistet. der mittelständische Einzelhandel in weiten Teilen Ferner ist - Ausnahme Großstädte - der ÖPNV ab nachteilig betroffen sein wird. Ebenso werden zum 19.00 Uhr ausgedünnt bzw. nicht mehr vorhanden. 10272* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Das ÖPNV-Angebot müßte also mit großem Kosten- zum Einkaufen nach Deutschland - aufgrund der aufwand, was sich auf den Steuerzahler auswirken niedrigeren Verbraucherpreise. würde, erweitert werden. Zum Thema Tankstellenverkauf und Tele-shop- Und nun zu den Beschäftigten im Handel: Schon ping: Der Tankstellenumsatz macht zirka 3 Prozent heute sind in den Nachmittags- und Abendstunden des deutschen Einzelhandelsumsatzes aus, und Ver- keine Fachkräfte mehr zu erhalten. Im Einzelhandel sandhandel und Tele- shopping liegen derzeit bei gibt es auch noch nicht besetzte Ausbildungsplätze, zirka 4 Prozent und werden in den nächsten Jahren warum wohl? Schlechte Bezahlung und unregelmä- über einen 6-Prozent-Anteil wahrscheinlich nicht ßige Arbeitszeiten, einschl. Samstag, sind daran hinauskommen. schuld! Der Einzelhandel benötigt Rahmenbedingungen im Wettbewerb und keine Änderung des Laden- Damit möchte ich auf die dritte Komponente des schlußgesetzes! Ladenschlußgesetzes kommen, nämlich die Arbeit- geber. Wahrscheinlich entzündet sich die ganze Dis- Die Folgen verlängerter Öffnungszeiten werden kussion um das Ladenschlußgesetz nur am schlech- unter anderem sein: Weiterer Personalabbau durch ten Service. Wer ist nicht schon öfters nach langem Kostenmanagement im Zuge weiterer Konzentration Suchen in den Regalen an nur einer geöffneten sowie durch Schließungen bei kleinen und mittel- Kasse Schlange gestanden und hat sich geärgert ständischen Unternehmen, Verschärfung der Kon- über zuwenig Personal in den Supermärkten und zentration mit Zentralisierung und Verringerung von Waren- und Kaufhäusern. Gerade die Großen im Einzelhandelsstandorten, höhere Verbraucherpreise! Handel haben in den beiden letzten Jahren je ca. 30 000 Voll- und Teilzeitarbeitskräfte entlassen und Für mich besteht die Attraktivität des Einzelhan- sehr stark auf 590-DM-Jobs umgestellt. Äußerungen dels für den Verbraucher in einer Vielzahl und Viel- aus diesem Bereich signalisieren bereits auch für falt von Geschäften aller Größenordnungen - diese 1996 eine Freistellung von ca. 30 000 Beschäftigten. Vielfalt muß im Interesse der Verbraucher erhalten bleiben! Das ifo-Gutachten hat eindeutig dargelegt, daß kleine und mittlere Unternehmen die Verlierer einer Änderung sein werden. Zur Erinnerung: Es gibt ca. Klaus Bühler (Bruchsal) (CDU/CSU): Die langjäh 170 Unternehmen mit je über 1 000 Beschäftigten, ca. rige Debatte um die Änderung des Ladenschlußge- 80 000 Betriebe ohne Arbeitnehmer und ca. 290 000 setzes geht in die letzte Runde. Der Bundestag Betriebe mit bis zu 10 Beschäftigten; letztere werden stimmt heute über den ausgehandelten Gesetzes- die Verlierer sein und damit auch die dort Angestell- kompromiß in zweiter und dritter Lesung ab. ten und letztendlich auch die Verbraucher! Ich habe zu keiner Zeit einen Zweifel daran gelas- Die Konzentration im Handel wird weiter zuneh- sen, daß ich einer Änderung des Ladenschlußgeset- men. Dies hat schon die Einführung des langen Don- zes äußerst kritisch gegenüberstehe. In den Diskus- nerstag gezeigt. Das ifo-Gutachten führt auch aus, sionen über die angestrebte Änderung habe ich mich daß es eine strukturelle Veränderung geben wird. immer mit Engagement für die Beibehaltung der bis- Wenn dies politisch so gewollt ist, zumindest ist es herigen Regelung ausgesprochen. Mehrere Gründe auf jeden Fall der dringliche Wunsch der F.D.P., sollte haben mich in dieser Haltung bestärkt: man es deutlich sagen und nicht auf eine Flexibilisie- Erstens. Die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten rung der Arbeitnehmer hinweisen, denn- diese ist bei ist mit erheblichen familien- und arbeitnehmerun- einer Öffnungszeit von über 60 Stunden und einer freundlichen Auswirkungen verbunden. Arbeitszeit von 37,5 Stunden bereits gegeben. Der öffentliche Dienst, aber auch die Industrie, sind weit- Zweitens. Im Gegensatz zu vielen anderen Kolle- aus weniger flexibel als die im Handel Beschäftigten. gen vermag ich in der Öffnung der Ladenschlußzei- ten keine konjunkturbelebenden Impulse zu sehen, Meines Erachtens besteht Handlungsbedarf im Be- vielmehr sehe ich darin eine Umsatzverlagerung vom reich des Wettbewerbsrechts. Wir haben keinen ech- ländlichen Raum in die umliegenden Großstädte und ten Wettbewerb mehr, sondern eine Kapitaleinkaufs Ballungszentren sowie vom kleinen Einzelhandels- macht. Im berechtigten Interesse eines mittelständi- geschäft zu den Großkaufhäusern und Einkaufs- schen Handels, der keine Arbeitsplätze ins Ausland märkten. Eine solche Konzentrationswirkung kann verlagern kann, und der deutschen Industrie sind nicht erwünscht sein. dringend Rahmenbedingungen erforderlich, die eine Wenn ich dem Gesetz in seiner jetzigen Ausgestal- weitere Konzentration mit Oligopol- oder sogar Mo- tung dennoch zustimme (in dem zur Abstimmung nopolbildung verhindern. Hier besteht Handlungs- vorliegenden Entwurf sind zumindest weitergehende bedarf und nicht beim Ladenschlußgesetz! Öffnungszeiten, wie sie der ursprüngliche Entwurf vorsah, vermieden worden), so sind für mich fol- Ein Blick noch über den Zaun zu unseren Nach- gende Gründe ausschlaggebend: barn, die in den Medien immer als so modern und wettbewerbsfähig dargestellt werden: In den USA Erstens. Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU hat gibt es ein Diskriminierungsverbot, und in Frank- auf ihrer Sitzung Anfang Juni in Berlin mit großer reich ist der Verkauf unter Einstandspreis „strafbe- Mehrheit den zustande gekommenen Kompromiß wehrt". In Italien gibt es Öffnungszeiten von nur gebilligt. Trotz zahlreicher Gespräche, die ich zusam- 44 Wochenstunden, und in Spanien wird wieder ein men mit gleichgesinnten Fraktionskollegen geführt Ladenschlußgesetz eingeführt. Niederländer fahren habe, ist es nicht gelungen, das Reformvorhaben auf- trotz der dort vorhandenen Abendöffnungszeiten zuhalten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10273*

Zweitens. Die öffentliche Diskussion um das La- Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Aus meiner denschlußgesetz ist in den letzten Wochen - meiner Sicht bedarf es am bisherigen Ladenschlußgesetz Meinung nach völlig zu Unrecht - so geführt worden, keiner gravierenden Änderung, vor allem keiner ge- als hänge von der Liberalisierung auf diesem Felde nerellen Verlängerung an Samstagen. Wenn ich den- das weitere Schicksal des Wirtschaftsstandortes noch dem Kompromiß, wie er jetzt Gesetz werden Deutschland ab. Damit wurde die Entscheidung über soll, zustimme, dann zur Abwendung einer weitge- die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten unzulässi- henderen Regelung, gegen die ich mich mit Hinwei- gerweise zu einem Prüfstein für die Handlungsfähig- sen auf die Auswirkung für den ländlichen Raum mit keit der Regierungskoalition aufgewertet. anderen Kolleginnen und Kollegen erfolgreich ge- wandt habe. Die dadurch erzeugte Stimmung läßt meines Er- achtens eine ausschließlich auf die Thematik „La- denschlußgesetz" bezogene Entscheidung nicht Claus-Peter Grotz (CDU/CSU): Die Diskussion um mehr zu; statt dessen herrscht der Eindruck vor, als das Ladenschlußgesetz hat für mich im Hinblick so- müßten die Bundesregierung und die sie tragenden wohl auf den mittelständischen Einzelhandel - ge- Koalitionsparteien in dieser Frage ihren politischen rade im ländlichen Raum - als auch die Verbraucher Erneuerungswillen, ihre Geschlossenheit und nicht und die Beschäftigten eine besondere Bedeutung. In zuletzt ihre Regierungsfähigkeit beweisen. vielen Diskussionen habe ich das Für und Wider ab- gewägt. Zahlreiche Vorschläge und Argumente wur- In dieser Situation sehe ich mich notgedrungen den ausgetauscht. Anfangs geäußerte Pläne gar veranlaßt, zumal es sich bei dieser Abstimmung nicht einer völligen Freigabe der Ladenöffnungszeiten um eine Gewissensentscheidung handelt, den Mehr- bzw. Öffnung bis 22.00 Uhr konnte ich zusammen heitsbeschluß meiner Fraktion zu akzeptieren. mit anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Frak- tion abwenden. Der jetzt erlangte Kompromiß, die Öffnung bis 20.00 Uhr bzw. 16.00 Uhr an Samstagen, Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Ich ist ein Erfolg dieser Bemühungen. Dadurch wird ein stimme dem Vorschlag der Bundesregierung zum La- weiterer Abfluß der Kaufkraft vom ländlichen Raum denschlußgesetz zu, obwohl die gesetzliche Neure- in die Städte verhindert. gelung erhebliche Gefahren für die weitere Entwick- lung der Handelsstruktur in Deutschland beinhaltet. Ich stimme für diese Änderung, da mit diesem Kompromiß den Interessen aller Betroffenen Rech- Als einer der - wenigen - Abgeordneten, der nung getragen wird. beruflich aus einem kleinen Handwerksbetrieb mit Ladengeschäft kommt, kann ich die Bedeutung des Siegfried Hornung (CDU/CSU): In der Diskussion Beschlusses für die mittelständische Einzelhandels- um das Ladenschlußgesetz wurden zahlreiche Vor- struktur aus eigener Erfahrung gewichten. schläge gemacht und Argumente ausgetauscht. An- fangs geäußerte Pläne einer völligen Freigabe der Ich befürchte eine Beschleunigung der Struktur- Ladenöffnungszeiten konnte ich zusammen mit an- veränderungen in unserer Handelslandschaft, beson- deren Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion ab- ders zu Lasten der ländlichen Bereiche und der Peri- wenden. Auch die zur Diskussion gestandene Rege- pherie von Großstädten. lung der Öffnungszeiten werktäglich bis 22.00 Uhr In den kommenden Monaten wird der Deutsche konnte verhindert werden. Den Kompromiß, die Öff- Bundestag über zahlreiche - auch teilweise umstrit- nung bis 20.00 Uhr, habe ich unter der Prämisse mit- tene - Einzelfragen im Rahmen des Programms für getragen, daß an Samstagen keine Ausweitung der Wachstum und Beschäftigung zu entscheiden haben. Ladenschlußzeiten erfolgt, die gerade für die mittel- Hierbei kann es immer wieder zu Akzeptanzschwie- ständischen Unternehmen des ländlichen Raumes rigkeiten bei einzelnen Kollegen kommen. Die eine große wirtschaftliche Belastung mit sich bringt. Handlungsfähigkeit der Regierungskoalition muß für Dieser Vorschlag fand leider in der Fraktion keine den unverzichtbaren Umbau der Gesellschaft erhal- entsprechende Mehrheit. Nur im Interesse einer re- ten bleiben. gierungsfähigen Mehrheit stimme ich deshalb heute der Gesetzesvorlage zu. Nur wenn die im Programm für Wachstum und Be- schäftigung verankerten Gesetzesvorhaben durchge- Dr. Uwe Jens (SPD): Wenn sich weltweit und um setzt werden, haben wir eine Chance, die Sozialver- uns herum in Europa spürbare sozialökonomische sicherungssysteme zu stabilisieren und für mehr Be- Änderungen vollziehen, kann in Deutschland nicht schäftigung zu sorgen. In der Abwägung zwischen alles so bleiben, wie es war. Die Bundesrepublik den möglichen Negativauswirkungen des Laden- Deutschland ist keine Insel. Zur Zeit haben die schlußgesetzes und einer weiteren Handlungsfähig- Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen abso- keit der Regierungskoalition entscheide ich mich für lute Priorität. Unter dieser Zielsetzung sind alle Rah- einen funktionierenden Fortbestand der Koalition. menbedingungen unserer Volkswirtschaft auf An- passung hin zu überprüfen. Wenn es nicht gelingt, wieder mehr Dynamik in die bundesrepublikanische Dr.(BÜNDNISIch 90/DIE GRÜNEN): Uschi Eid Wirtschaftsentwicklung zu bringen, so ist der Ab- halte eine Änderung des Ladenschlußgesetzes für stieg der deutschen Wirtschaft in die 2. weltwirt- notwendig, stimme aber gegen den von der Bundes- schaftliche Liga vorprogrammiert. regierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß, weil Solange es das Ladenschlußgesetz gibt, ist es um- er zu kurz greift. stritten. Bisher hat das Polit-Kartell aus HDE und 10274* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

HBV jede gravierende Änderung verhindert. Die Ar- Samstagen zurückgenommen wird. In vielen Einzel- beitszeitbedingungen im Handel werden aber schon gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen habe ich jetzt und sind in Zukunft verstärkt - wie in allen an- für eine solche Änderung geworben. Mit großem Be- deren Branchen - durch Tarifvertrag zu regeln. Die dauern mußte ich dann bei der Fraktionssitzung am jetzt anstehende Änderung zum Ladenschlußgesetz 18. Juni 1996 feststellen, daß der von mir erhoffte ist jedoch lediglich quantitativer Natur und der klein- Meinungsumschwung nicht mehr stattgefunden hat ste gemeinsame Nenner, auf den sich die Interessen- und ein erneuter Vorstoß zur Rücknahme der Sam- gruppen in den Koalitionsfraktionen einigen konn- stagsverlängerung keine Resonanz mehr fand. ten. Der vorgesehene Lösungsvorschlag wird keinen wesentlichen Beitrag zur Verringerung des Arbeitslo- Unabhängig davon ist nun in den vergangenen Ta- senproblems leisten können. Es ist vielmehr zu ver- gen eine Entwicklung eingetreten, die es mir jetzt muten, daß diese Maßnahme weitere, umfassendere unmöglich macht, weiterhin gegen den Gesetzent- Novellierungsvorstellungen für die überschaubare wurf stimmen zu können. Besonders gravierend ist: Zeit verhindern wird. Erstens. Von verschiedenen Seiten wurde die La- So wie in anderen Politikbereichen sind aber auch denschlußfrage zunehmend nicht mehr als eine reine in diesem Falle qualitative Veränderungen mit intelli- Sachfrage behandelt. Die Entscheidung für oder ge- genten Lösungsansätzen gefragt. Die von der Koali- gen den Gesetzentwurf über die Ladenschlußzeiten tion vorgesehene Regelung fördert eher den Trend wurde plötzlich zum Gradmesser für die Handlungs- zum Einkauf auf der Grünen Wiese. Mit umfassende- fähigkeit der Bundesregierung erklärt. Auf diese ren Lösungsvorstellungen würden im übrigen eher Weise wurde mir als Mitglied einer Koalitionsfraktion zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Dazu gehören jeglicher Entscheidungsspielraum genommen. Ich unter anderem: bin nun gezwungen, mein Abstimmungsverhalten nach der übergeordneten Frage der Zukunft der Koa- Die Prüfung, warum der Staat den Unternehmern lition auszurichten. überhaupt vorschreiben muß, wann sie ihre Ge- schäfte öffnen oder schließen dürfen. Zweitens. Beim Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung hat es vor wenigen Tagen wichtige Der Bund verzichtet auf seine Regelungskompe- Verbesserungen für die Arbeitnehmer gegeben, ins- tenz und überläßt sie den Kommunen, um vor Ort zu besondere Änderungen in der Frage der Lohnfort- entscheiden, wann die Geschäfte geöffnet werden zahlung und des Kündigungsschutzes sowie eine sollen. deutliche zeitliche Streckung bei der Heraufsetzung Zumindest können alle Kleinbetriebe völlig vom des Rentenalters bei Frauen. Das Ladenschlußgesetz Ladenschluß freigestellt werden, um ihre Wettbe- wird als Teil dieses Gesamtpakets gesehen. Bei ei- werbsposition gegenüber den Größeren zu verbes- nem Scheitern des Ladenschlußgesetzes würden au- sern. Alle diese Regelungen würden mit Sicherheit tomatisch auch die Verbesserungen bei der Lohnfort- auch zur Belebung der Innenstädte beitragen. zahlung, beim Kündigungsschutz und bei der Ren- tenfrage scheitern, was ich nicht verantworten kann. Ich werde in meiner Fraktion dafür werben, effek- tivere Lösungen zur Verringerung wirtschaftlicher Als Abgeordneter, der das Wohl des Ganzen im Verkrustungen vorzuschlagen. Der Gesetzentwurf Auge haben muß und der gleichzeitig den Bestand der Bundesregierung ignoriert bedauerlicherweise der Regierung nicht gefährden darf, muß ich auch die notwendigen strukturellen, qualitativen Verän- mein Abstimmungsverhalten nach übergeordneten derungen. Gesichtspunkten ausrichten. Nach Abwägung aller Gesichtspunkte und auf Grund der Tatsache, daß es sich bei der Entscheidung über das Ladenschlußge- Dr Egon Jüttner (CDU/CSU): Heute stimmt der setz um keine Gewissensentscheidung handelt, bin Deutsche Bundestag über die Änderung des Laden- ich deshalb zu dem Ergebnis gekommen, daß ich schlußgesetzes ab. Ich habe mich stets gegen eine nicht gegen den Gesetzesvorschlag meiner Fraktion Änderung der Ladenschlußzeiten ausgesprochen. stimmen kann. Dies fällt mir im Hinblick auf meine Nach wie vor halte ich diese Gesetzesänderung nicht Einstellung zum Ladenschlußgesetz wahrlich nicht für erforderlich. Vielmehr sehe ich darin die Gefahr, leicht, weil ich weiß, daß ich damit viele Menschen daß es hierdurch zu Umsatzverlagerungen vom Ein- enttäusche. Die Entwicklung der letzten Tage und zelhandel zu den großen Kaufhäusern und Einkaufs- die genannten Gesichtspunkte lassen mir aber keine märkten sowie von den städtischen Randzonen in die andere Wahl. Hierfür bitte ich alle diejenigen, die ge- Innenstädte kommen wird. Außerdem befürchte ich, gen eine Änderung des Ladenschlußgesetzes sind, daß eine Änderung des Ladenschlußgesetzes weit- um Verständnis. reichende Folgen für die Beschäftigten im Einzelhan- del und deren Familien haben wird. Diese und an- dere Gründe haben mich dazu bewogen, eine Ände- Sigrun Löwisch (CDU/CSU): Ich stimme gegen den rung dieses Gesetzes nicht zu befürworten. Auch bei Entwurf zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, der Anhörung haben sich keine neuen Gesichts- weil er nach meiner persönlichen Überzeugung vor punkte ergeben, die mich zu einer Meinungsände- allem Fachgeschäfte, Klein- und Familienbetriebe rung bewogen hätten. und die in ihnen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter zu sehr belastet, ohne daß dem ein absehbarer Auch nach dem Berliner Mehrheitsbeschluß der Zuwachs an Arbeitsplätzen gegenüberstünde. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, das Ladenschlußge- Einkaufsvielfalt wird eingeschränkt werden. Den er- setz zu ändern, habe ich mich weiterhin gegen eine höhten Personal- und Betriebskosten werden keine Gesetzesänderung in der Hoffnung eingesetzt, daß erhöhten Einnahmen gegenüberstehen, eine Umwäl- zumindest die Verlängerung der Öffnungszeiten an zung dieser Kosten auf die Ware ist vorprogrammiert. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10275*

Die Alternative, die Geschäfte zu bestimmten Zeiten, nen oder in Gesprächen mit Gewerkschaften und mit beispielsweise am Vormittag, später zu öffnen, wäre Einzelhändlern, meine großen Bedenken gegenüber ein Rückschritt. Die Tätigkeit im Einzelhandel wird der Ausweitung von Ladenöffnungszeiten zum Aus- sehr stark vom Engagement und der Qualifikation druck gebracht. Ich sah und sehe darin Gefahren für der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geprägt - die jahrzehntelang gewachsene Einzelhandelsstruk- durch eine Änderung der Ladenschlußzeiten im tur dörflicher und kleinstädtischer Zentren. Im glei- Sinne des vorgelegten Ladenschlußgesetzes wird die chen Zusammenhang befürchtete und befürchte ich Tätigkeit im Einzelhandel unattraktiver, und die Aus- eine Verlagerung von Kaufkraft und von Verbrau- bildung in diesem Bereich wird von vielen jungen chergruppen in vorstädtische Einkaufsparks auf der Menschen nicht mehr angestrebt werden. „grünen Wiese". Dadurch würden gerade die ge- wachsenen Dorf- und Kleinstadtzentren, und damit Einer Neufassung des Ladenschlußgesetzes, die auch kulturelle Mittelpunkte, eher zerstört als erhal- den genannten Bedenken mehr Rechnung trägt als ten werden. der jetzt abgelehnte Entwurf, werde ich zustimmen. Es wäre falsch, aus meiner Stimmabgabe zu schlie- Ich habe aus den vorgenannten Motiven in der ßen, ich hätte Bedenken auch gegen die von den CDU/CSU-Fraktionssitzung in Berlin gegen die Ver- Koalitionsfraktionen eingebrachten Gesetzentwürfe längerung der Ladenöffnungszeiten gestimmt. zum Wachstums- und Beschäftigungsprogramm. Nun ist in dieser laufenden Sitzungswoche deut- Diese werden von mir im Gegenteil voll inhaltlich un- lich geworden, daß SPD, Bündnis 90/Die Grünen und terstützt. PDS aus rein taktischen Gründen geschlossen gegen die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten votieren Dr. Norbert Rieder In(CDU/CSU): der Diskussion wollen. So war auch in der FAZ vom 19. Juni 1996 zu um das Ladenschlußgesetz wurden zahlreiche Vor- lesen: schläge gemacht und Argumente ausgetauscht. Den anfangs geäußerten Plänen zu einer völligen Frei- Die Koalition kann dabei nicht auf Stimmen der gabe der Ladenöffnungszeiten bzw. Öffnung bis Opposition zählen, auch wenn etliche SPD-Ab- 22.00 Uhr konnte ich zusammen mit vielen anderen geordnete für längere Öffnungszeiten sind. „Wir Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion nicht zu- werden dafür bezahlt, die Opposition zu stellen, stimmen, da eine Freigabe der Ladenöffnungszeiten und nicht dafür, der Regierung Mehrheiten zu nach meiner Ansicht zu großen Strukturbrüchen, vor verschaffen", hieß es in der SPD auf eine An- allem im Umkreis der Städte, geführt hätte. Auch an frage der CSU. die Mitarbeiter und an die Eigentümer vor allem der Familienbetriebe im Einzelhandel muß gedacht wer- Obwohl zahlreiche Abgeordnete der SPD in den den. vergangenen Monaten für eine Verlängerung der La- denöffnungszeiten eingetreten sind, will die SPD- Der Kompromiß, die Öffnung bis 20.00 Uhr bzw. Fraktion die Schlußabstimmung nun zu einer Macht- 16.00 Uhr an Samstagen, ist ein Erfolg unserer Bemü- frage und zu einem Testfall für die Regierungsfähig- hungen. Vor allem wurde mit der Abschaffung der keit der Koalition hochstilisieren und auf diese Weise langen Samstage einem weiteren Abfluß der Kauf- reine Fundamentalopposition betreiben. kraft vom ländlichen Raum in die Städte vorgebeugt. Ich stelle deshalb meine inhaltlichen Bedenken ge- Ich stimme für diese Änderung, die ich als gerade gen die Änderung des Ladenschlußgesetzes hintan noch erträglichen Kompromiß betrachte. und stimme heute für den Gesetzentwurf der Koaliti- onsfraktionen, damit nicht zuletzt angesichts weite- rer Gesetzesvorhaben in der laufenden Legislaturpe- Franz Romer (CDU/CSU): Die Beratungen und Dis- kussionen um das Ladenschlußgesetz haben zahl- riode die Politik- und Regierungsfähigkeit der erfolg- reiche Vorschläge mit sich gebracht und führten zum reich arbeitenden Bundesregierung gesichert bleibt. Austausch facettenreicher Argumente. Glücklicher- weise konnte ich zusammen mit anderen Kollegen meiner Fraktion die völlige Liberalisierung der La- Gert Miner (CDU/CSU): Erstens. Das Gesetz ent- denöffnungszeiten bzw. Öffnung bis 22.00 Uhr ver- hält im Interesse des Bäckerhandwerks Regelungen, hindern. Obwohl ich der jetzigen „ Samstagslösung " die die Herstellung und den Vertrieb von Backwaren immer noch sehr skeptisch gegenüberstehe, halte ich erleichtern und im Sinne der Betriebe und Verbrau- cher sind. die gefundene Regelung für einen akzeptablen Kom- promiß. Vor allem wurde mit der Abschaffung der Zweitens. Das Thema Ladenschluß und Ladenöff- langen Samstage ein weiterer Abfluß der Kaufkraft nung allerdings ist umstritten - die öffentliche Dis- vom ländlichen Raum in die Städte verhindert. kussion und die heutige Debatte beweisen es. Auch Ich stimme für diese Änderung, trotz meiner gro- bei den Verbrauchern gibt es keine einheitlichen ßen Bedenken bezüglich des Samstags, da ich der Aussagen. Ansicht bin, der Kompromiß trägt den Interessen aller Betroffenen Rechnung. Drittens. Änderungen der Öffnungszeiten bis 22.00 Uhr - wie vom ifo-Institut vorgeschlagen - sind für den mittelständischen Einzelhandel eine Existenz- Reinhard Freiherr von Schorlemer (CDU/CSU): In frage. Auch die vorgesehene 20-Uhr-Regelung wirft der Diskussion über die Verlängerung der Ladenöff- für den mittelständischen Einzelhandel unbestritten nungszeiten habe ich von Anfang an bei verschie- Probleme auf - die Sonnabendregelung mit 16.00 densten Gelegenheiten, etwa bei Podiumsdiskussio- Uhr ist ohnehin schwierig begründbar. 10276* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Viertens. Die jetzt zur Abstimmung anstehende Dennoch werde ich in Ermangelung alternativer Frage gehört zu dem Programm der Bundesregie- Anträge der jetzigen Regelung - wenn auch schwe- rung mit einem Paket von Vorhaben wie zum Bei- ren Herzens - zustimmen, um die von mir bisher stets spiel der Senkung der Lohnzusatzkosten, der Steuer- vertretene generelle Flexibilisierung der Ladenöff- reform, der Konsolidierung der öffentlichen Haus- nungszeiten nicht in Gänze zu gefährden. halte und der steuerlichen Entlastung mittelständi- scher Unternehmen, also zielgerichteten mittel- Als völlig ungeeignet, in einem sachlichen Dialog standsfreundlichen Maßnahmen. doch noch eine parlamentarische Entscheidung in Abwägung aller Interessenlagen herstellen zu kön- Diese Maßnahmen, wie die Abschaffung der Ge- nen, erweist sich die vom SPD-Kollegen Ernst werbekapitalsteuer, die Absenkung der Gewerbe- Schwanhold über „ddp" verbreitete Meldung, in die- ertragsteuer und die verfassungsrechtliche Absiche- ser Frage die Mehrheitsfähigkeit der Koalition auf rung der Beteiligung der Städte und Gemeinden an den Prüfstand stellen zu wollen. der Mehrwertsteuer sind Ziele, für die ich in der CDU/ CSU-Fraktion für Mehrheiten eintrete, Entscheidun- Diese politische Herausforderung macht es selbst gen, die dann von der Fraktion im Gesetzgebungsvor- Kritikern des Gesetzes unmöglich, sich der Stimme haben insgesamt getragen werden müssen. zu enthalten. Zu dem Gesamtpaket gehört auch ein entschlosse- ner Stabilisierungskurs. Dieses Gesamtpaket darf nicht scheitern. Obwohl ich die Änderung der Ladenschlußzeiten Anlage 3 so nicht befürworte, habe ich dem Gesetzentwurf heute dennoch zugestimmt, um die Geschlossenheit Erklärung nach § 31 GO der Regierungsparteien bei der Umsetzung der Maß- der Abgeordneten Alois Graf von Waldburg-Zeil nahmen für Wachstum und Beschäftigung und Stabi- und Dr. Renate Hellwig (CDU/CSU) lisierung der Sozialversicherungssysteme nicht zu zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes gefährden. Die Bundesregierung steht vor großen über den Ladenschluß und zur Neuregelung Aufgaben, für die sie den Rückhalt der sie tragenden der Arbeitszeiten in Bäckereien und Konditoreien Fraktionen uneingeschränkt benötigt. (Tagesordnungspunkt 15) Das Gesetz geht jetzt in das Vermittlungsverfahren im Bundesrat. Die endgültige Entscheidung im Ge- Zur Frage des Ladenschlußgesetzes haben wir im setzgebungsverfahren steht dann an, wenn das Er- Wahlkreis intensive Gespräche mit Betroffenen ge- gebnis der Bundesratsentscheidung und des Vermitt- führt. Die überwiegende Meinung tendierte zur Bei- lungsverfahrens auf dem Tisch liegt. behaltung des geltenden Rechts. Die Begründung: Im ländlichen Raum erhöhten längere Öffnungszei- ten den Umsatz nicht, daher sinke der Gewinn. Be- Michael Wonneberger (CDU/CSU): Bei der anste- sonders hart würden kleine Betriebe betroffen, die henden Abstimmung zur Liberalisierung der Laden- sich mehr Personal nicht leisten könnten und zu schlußzeiten werde ich - entgegen meiner bisher öf- überlangen Dienstzeiten gezwungen würden. Dar- fentlich angekündigten Stimmenthaltung - dem vor- über hinaus wurde die Sorge geäußert, Kaufkraft liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zu- - könne aus kleinen Städten in Ballungszentren oder stimmen. Großbetriebe auf der grünen Wiese abwandern. Dieses Verhalten erfordert zweifellos eine Erklä- rung, und ich will sie weder Ihnen noch den Bürge- Als Vertreter eines ländlichen Wahlkreises haben rinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis vorenthal- wir uns deshalb mit vielen Mitgliedern unserer Frak- ten: tion für Beibehaltung der jetzt geltenden Bestimmun- gen eingesetzt. Diese Bemühungen sind nicht ohne Ich war - und das ist in mehreren Presseartikeln zu Erfolg geblieben. Weder ist die Position, die Laden- diesem Thema und auch in meinen Antworten an schlußregelung völlig aufzugeben, durchgekommen verschiedene Petenten nachzulesen - stets für eine noch die Forderung, werktags bis 22 Uhr und sams- Öffnung der Ladenschlußzeiten, denn die bestehen- tags bis 18 Uhr offenzuhalten. den Öffnungszeiten sind meiner Meinung nach ge- rade im europäischen Vergleich äußerst antiquiert. Der jetzt gefundene Kompromiß erlaubt Geschäf- Sie wirken wettbewerbs- und verbraucherunfreund- ten im ländlichen Raum durchaus, ihre bisherigen lich. Gepflogenheiten beizubehalten, ohne befürchten zu müssen, daß Kunden in Zentren abwandern. Bei Ich achte den Samstag als Familientag, gerade 1 1/2 Stunden Verlängerung an Werktagen ist die Ge- auch für die im Handel Tätigen. Die im Gesetz veran- fahr des Abwanderns gebannt, am Samstag - uns kerte Sonnabendöffnungszeit bis 16.00 Uhr sehe ich wäre der Kompromiß 14 Uhr lieber gewesen - redu- nach wie vor als familienunfreundlich, inhuman und ziert. unsozial an. Wir stimmen deshalb für den Komromiß und nicht Ich bedaure außerordentlich, daß nach den Ab für seine Ablehnung, weil es keinen Sinn gibt, bei schlußberatungen der mit diesem Gesetzentwurf be- zwei weit auseinanderweichenden Positionen - Bei- faßten Ausschüsse auch eine regionale Regelung der behaltung oder Abschaffung eines Gesetzes - die samstäglichen Öffnungszeiten im Zeitraum von 14.00 eine Seite zum Einlenken zu bewegen, dann aber auf bis 16.00 Uhr nicht mehr möglich ist. der Extremposition zu beharren. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10277*

Anlage 4 tat" zu Beginn der Konferenz intensiv mit den The- men „nachhaltige Siedlungsentwickung" und „an Zu Protokoll gegebene Reden gemessene Unterkunft" auseinandergesetzt und uns zu Tagesordnungspunkt 19a und b nach langwierigen Diskussionen auf eine Erklärung (a - Antrag: verständigt, die in die Beratungen eingebracht wor- Umsetzung der Habitat II-Empfehlungen; den ist. Demnach sollen die Siedlungen so entwickelt b - Antrag: werden, daß sie wirtschaftlichen, sozialen und um- Einlösung der Versprechen von Rio weltbezogenen Anforderungen in gleicher Weise ge- auf der VN-Konferenz Habitat II in Istanbul); recht werden. und Zusatztagesordnungspunkte 8 und 11 (Antrag: Was bringt Habitat II wem? Eine Frage, die von Unbeteiligten immer wieder gestellt wird, gehört Siedlungspolitik mit der Agenda von Habitat II auch in eine solche Debatte wie die heutige. in Einklang bringen; Antrag: Ich sage: Habitat II war bereits insofern erfolgreich, Städtebauförderung als wichtiges weil sich die Nationen dieser Erde zur Vorbereitung Investitionsinstrument erhalten und ausbauen) auf die Weltkonferenz mit den eigenen Problemen der Stadt- und Siedlungsentwicklung, aber auch mit Fragen der Wohnraumversorgung intensiv auseinan- Peter Götz (CDU/CSU): „In den Städten entschei- dergesetzt haben. Auf der ganzen Welt sind - wie in det sich die Zukunft der Menschheit." Die Richtig- Deutschland - Nationalkomitees gebildet worden, keit dieses in den letzten Monaten immer wieder ge- die sich die Erstellung eines Nationalen Aktionsplans nannten Satzes, wurde auf der Weltsiedlungskonfe- und einer nationalen Agenda zur Aufgabe gemacht renz der Vereinten Nationen über menschliche Sied- haben. Allein die stattgefundene Bewußtseinsbil- lungen, Habitat II, in Istanbul bestätigt. Denn noch dung und der Erfahrungsaustausch untereinander vor der Jahrtausendwende wird die Hälfte der Erdbe- sind ein besonderer Wert an sich, der hoch einzu- völkerung in Städten leben. In 30 Jahren dürften es schätzen ist. schon zwei Drittel sein. Das heißt, die Verstädterung wird in den kommenden Jahren alarmierend zuneh- Ein großer Erfolg von Istanbul ist für mich auch, men und vor allem die Entwicklungsländer in wach- daß die Gemeinden auf internationaler Ebene stärker sende Bedrängnis bringen. beteiligt werden. Hier hat eine für die UN wichtige Weichenstellung stattgefunden. Im Mittelpunkt von Habitat II standen die Themen „angemessene Unterkunft für alle" und „nachhaltige Die Tatsache, daß sich neben den Regierungen Entwicklung in einer Welt mit zunehmender Ver- nicht nur die Parlamentarier, sondern auch die Städte städterung". und Gemeinden sowie die Nichtregierungsorganisa- tionen einbringen konnten, war in der Vergangen- Auf der Konferenz wurde deutlich, daß sich die zu heit nicht selbstverständlich. bewältigenden Herausforderungen aus der Verant- wortung der Regierungen nicht nur für die Entwick- In den westlichen Ländern ist die Erkenntnis, daß lungsländer, sondern auch für die Industrieländer die Fragen einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu und die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas erge- den großen Herausforderungen der Menschheit ge- ben. hören, auffällig gestiegen. Nur, dabei darf es nicht - bleiben. Der wichtigere Teil der Botschaft von Istan- So ist nach langen Diskussionen das Recht auf an- bul beginnt jetzt - nach Istanbul. Die entscheidende gemessene Unterkunft ausdrücklich als Bestandteil Frage lautet: Wie erfolgt die Umsetzung dessen, was der Menschenrechte bestätigt worden. Die Regierun- beraten und beschlossen wurde? gen haben ihre Verpflichtung anerkannt, Schritt für Schritt die Wohn- und Lebensverhältnisse in den Wir brauchen in der Zukunft verstärkt eine globale Städten im Interesse der dort lebenden Menschen zu Umwelt- und Entwicklungszusammenarbeit in Fra- verbessern. gen der Siedlungsentwicklung. Wenn wir wissen, daß die Weltbevölkerung täglich um 280 000 Ein- Hier an dieser Stelle danke ich für unsere Fraktion wohner, also um eine Stadt der Größe Bonns, wächst der Bundesregierung, an vorderster Stelle Ihnen, und in 25 bis 30 Jahren nach Schätzungen der UNO Herr Minister Töpfer, ganz besonders für Ihren per- doppelt so viele Menschen in den Städten leben wer- sönlichen Einsatz vor und in Istanbul. den wie heute, macht dies die Dimension, um die es geht, deutlich. Wir wissen, daß die Deklaration von Istanbul an den unterschiedlichen Positionen zu scheitern Das heißt, wir müssen die Vereinbarungen der Ha- drohte. Es ist Ihrem international hohen Ansehen bitat-Agenda Schritt für Schritt umsetzen. Alle Regio- und Ihrem persönlichen Engagement zu verdanken, nen der Welt müssen ein gemeinsames Interesse an daß Sie mit einem Votum der Europäischen Union, der Bewältigung der unlösbar erscheinenden Her- aber auch der Amerikaner im Rücken quasi in den ausforderungen haben: letzten Stunden vor Konferenzende eine Einigung er- reicht haben. Insofern ist die „Deklaration von Istan- Erstens. Um ortsspezifische Lösungen durchzuset- bul" nicht nur ein positives Ergebnis der Weltkonfe- zen, sind starke demokratische Strukturen in den Ge- renz, sondern auch Ihr ganz persönlicher Erfolg. meinden gemeinsam mit ausreichenden finanziellen und institutionellen Kapazitäten unabdingbar, das Wir Parlamentarier haben uns bei einem zweitägi- heißt, Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. gen Treffen der „Global Parliamentarians on Habi- Dazu gehören für uns selbstverständliche Beg riffe 10278* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 wie Subsidiarität und Dezentralisierung. Ohne sol- Wanderungsbewegungen auf den Kontinenten ha- che lokal-demokratische Strukturveränderungen er- ben Ursachen. Zu diesen Ursachen gehören an vor- scheinen die Probleme der Mega-Städte unlösbar. derster Stelle neben Armut, Hunger und Arbeitslo- Dies gilt übrigens nicht nur für die Dritte Welt, son- sigkeit Fragen der Lebensqualität und der Wohn- dern genauso für die Ballungsräume in den Indu- raumversorgung. Deshalb kann es nur im Interesse strienationen. der Industrienationen sein, mit Wissen und Know- how dort zu helfen, wo diese Probleme zum Mittel- Zweitens. Wir brauchen eine Erfolgskontrolle in punkt des täglichen Lebens gehören. Form von internationalen und nationalen Berichts- modalitäten. Im Rahmen des Treffens von über Die politisch Verantwortlichen aller Ebenen müs- 150 Parlamentariern aus aller Welt haben wir in sen bei dem raschen Wachstum städtischer Agglome- Istanbul verabredet, die jeweiligen nationalen Re- ration weltweit neue Ansätze für die Integration von gierungen bei der Umsetzung der getroffenen Ver- Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik sowie von einbarungen kritisch zu begleiten. Dies wird in Wirtschafts- und Umweltpolitik finden, um die sozia- Deutschland einfacher sein als in vielen Ländern mit len, kulturellen und ökologischen Herausforderun- anderen parlamentarischen und demokratischen gen der Städte qualitätvoll für die Stadtbewohner Strukturen. meistern zu können. Dafür lohnt es sich, gemeinsam zu arbeiten. Auf der Konferenz - aber auch in der großen inter- nationalen Ausstellung in Istanbul, in der sich übri- gens Deutschland eindrucksvoll und angemessen mit Gert Willner Erstens.(CDU/CSU): Städtebauförde- einer Auswahl von 16 Modellbeispielen über den rung heißt Beschäftigung für Handwerk und Mittel- Stand deutscher Stadtentwicklung präsentierte - stand. Deshalb lautet die wichtigste Botschaft: Die wurde deutlich, daß sehr wohl geschaut wird: „Wie Städtebauförderung wird nicht - wie befürchtet - ge- machen's die Deutschen?" strichen. Damit sind die aktuell geäußerten Sorgen vieler Städte und Gemeinden und der kommunalen Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wenn Spitzenverbände vom Tisch. Das ist ein klares Signal wir Veränderungen anstoßen wollen. Insofern haben an die Länder. wir eine besondere Verantwortung, der wir gerecht werden wollen und müssen. Ich stelle ausdrücklich fest: Die Städtebauförde- rung ist für die CDU/CSU-Fraktion ein wichtiges An- So sind wir selbstverständlich gefordert, auch bei liegen. Mit der Städtebauförderung existiert seit uns die möglichen Schritte zur Umsetzung der Habi- 25 Jahren ein Förderprogramm für die städtebauliche tat-Agenda zu tun. Sowohl der bereits angespro- Erneuerung von Innenstädten und Gemeinden. Ins- chene Nationalbericht als auch der im Deutschen Na- gesamt hat der Bund dafür bisher über 12 Milliarden tionalkomitee erarbeitete Nationale Aktionsplan bie- DM ausgegeben. ten hierfür geeignete Orientierungspunkte und Leit- linien. Zweitens. Die Frage nach der künftigen Ausrich- tung der Städtebauförderung muß im Mittelpunkt Das heißt, wir müssen selbst unsere Hausaufgaben der Diskussion stehen. Die Aufforderung der SPD an machen. Es wird Aufgabe des Parlaments sein, bei die Bundesregierung, die Städtebauförderungsmittel anstehenden Gesetzesänderungen sorgfältig darauf für „umweltpolitische" und „soziale Aufgaben" ein- zu achten, daß die in Istanbul vereinbarten Rahmen- zusetzen, ist weder die einzige noch die richtige Ant- bedingungen beachtet werden. wort. Diese SPD-Überlegungen erscheinen wenig Mit der gestern im Deutschen Bundestag gemein- präzise und verschwommen. Wir haben Zweifel, ob sam beschlossenen Änderung des Baugesetzbuches mit dem Einsatz von Mitteln der Städtebauförderung und der damit verbundenen Verfahrenserleichterung für umweltpolitische und soziale Aufgaben die bisher bei der Genehmigung von Wind- und Wasserkraftan- anerkannten Wirkungen für Investitionen und Be- lagen stärken wir regenerative Energien. Auch das schäftigung erreicht werden können. Aus der Sicht ist ein positives Signal im Sinne der Deklaration von der CDU/CSU ist folgendes wichtig: Istanbul. Die Städtebauförderungsmittel müssen auf den Die anstehende Novelle des Baugesetzbuches wird Einsatz im Rahmen des Wohnungsbaus konzentriert uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Sie bie- werden - sowohl für Neubau als auch die Moderni- tet weitere Ansätze für praktisches Handeln im Sinne sierung veralteter Wohnungen. Dies gilt für den so- einer nachhaltigen Entwicklung. zialen als auch den frei finanzierten Wohnungsbau. Damit werden attraktive Wohnbereiche in der Innen- Auch die Förderkriterien der Städteförderung soll- stadt geschaffen. Auch ein Einsatz für die Umnut- ten wir vor diesem Hintergrund überprüfen. Darauf zung von Brachflächen im Innenbereich für Wohn- wird mein Kollege Willner noch näher eingehen. bauzwecke ist Ziel, aber auch die Prüfung, wie Städ- tebauförderung gleichgewichtiger in den neuen und In unserem ureigensten Interesse sind wir - bei al- alten Bundesländern möglich ist, und das uneinge- len Problemen, die wir in Deutschland zu bewältigen schränkt weiter zu verfolgende Ziel der Städtebau- haben - gut beraten, nicht zu vergessen, daß bei ei- förderung muß es sein, auch künftig private Investi- ner immer enger zusammenwachsenden Welt der tionen zu aktivieren. Friede und die Lösung globaler Umweltprobleme auch davon abhängen, daß die Menschenrechte Drittens. Nun reicht es nicht, wie die SPD es weltweit verwirklicht werden und angemessene, macht, einfach mehr Geld zu fordern. Geld ist knapp, menschenwürdige Unterkunft für alle ermöglicht und wir wollen nicht eine zusätzliche Verschuldung. wird. Wir wollen runter von den Schulden. Wenn man Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10279* nicht eine Neuverschuldung in Kauf nehmen will, Leben. Die Städte wurden die Kraftzentren von Wirt- müssen Alternativen überlegt werden. Deshalb wol- schaft, Wissenschaft, Kultur und gesellschaftlicher len wir einen flexibleren Mitteleinsatz im Haushalt Entwicklung. In den Städten entstanden die neuen des Bauministers und der Länder, wie es durch den sozialen Bewegungen. Einstieg auf Grund der Anträge der CDU/CSU-Frak- tion im Haushalt 1996 bereits geschehen ist: Es muß Wer sich Mexiko City oder Monrovia heute an- möglich sein, Mittel des sozialen Wohnungsbaus in schaut, der muß bezweifeln, ob Stadtluft immer noch städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaß- frei macht. Die explosionsartigen Veränderungen in nahmen einzusetzen. den Megacities finden ebendort statt, wo jegliche Voraussetzungen für ein anständiges Leben fehlen. Die Revitalisierung der Innenstädte und Stadtteil- Sie führen zu ökonomischen, sozialen und kulturel- zentren ist eine städtebauliche Herausforderung und len Entwurzelungen ganzer Generationen. Und das orientiert sich an dem Leitbild des Ausbaus und der endet bekanntlich in ökologischem, ökonomischem Stärkung dezentraler Raum- und Siedlungsstruktu- und sozialem Desaster. Die marodierenden Kinder- ren. Dies entspricht auch in hohem Maße den Wün- krieger in Westafrika, die ihre Familienbande, ihre schen der Bevölkerung. Heimat, ihre Stammeskultur und ihre Autoritäten Deshalb kann es keine einseitige Förderung von verloren haben, sind nur ein lebendes Beispiel. wenigen Wachstumsregionen geben. Deshalb muß die regionale Eigenkraft gestärkt werden, d. h. auch Leider hat Habitat wichtige Fragen nicht disku- die Förderung regionaler kommunaler Initiativen. tiert, etwa den Zusammenhang fehlender ziviler Ent- Dabei kommt aus unserer Sicht einer engen Zusam- wicklung und überhoher Rüstungsausgaben. Diese menarbeit von Städten und Gemeinden eine heraus- Nichtbefassung ist wohl Ausdruck des schlechten in- gehobene Bedeutung auch mit der Bildung von ternationalen Gewissens. Aber ich will nicht verken- Schwerpunkten der Entwicklung und infrastruktu- nen, daß Habitat auch wichtige Fragen angeschnit- rellen Ausstattung zu. ten, wenigstens für einige Zeit die Aufmerksamkeit der Welt auf die meines Erachtens gefährlichste Viertens. Die herausragende wirtschaftliche Be- tickende Zeitbombe gelenkt hat. Habitat hat auch deutung der Städtebauförderung für die Städte und deutlich gemacht, daß es die reichen Industriegesell- Gemeinden wird nicht nur durch die Feststellung der schaften sind, die eine besondere Verantwortung da- Bundesregierung im Finanzplan des Bundes 1995 bis für tragen, daß ökologisch nachhaltige Entwicklun- 1999 belegt, sondern auch durch zwei gerade vorge- gen eingeleitet werden. Immerhin verbraucht ein legte Gutachten des Deutschen Instituts für Wirt- Viertel aller Menschen in den reichen Industrielän- schaftsförderung. dern drei Viertel aller Primärenergie. Im Ergebnis werden mit jeder Mark, die Bund und Länder im Städtebauförderungsprogramm bereitstel- Der von der Bundesregierung vorgelegte National- len, zusätzlich 2,20 DM an weiteren öffentlichen Mit- bericht liefert über weite Strecken zutreffende Ana- teln eingesetzt, zusammen also 3,20 DM. Und dieser lysen der Probleme der Stadt- und Siedlungsentwick- Bündelungseffekt, so stellt es auch das Institut fest, lung in unserem Lande. Aber die aktuelle Politik die- trägt wesentlich zur positiven Wirkung der Städte- ser Regierung entspricht den Erkenntnissen in we- bauförderung auf das private Investitionsvolumen sentlichen Punkten nicht. Im Gegenteil: Sie fördert bei. Alle zur Sanierung eingesetzten öffentlichen weitere Suburbanisierung und Flächenfraß. Sie redu- Mittel regeln das 1,8fache an privaten Investitionen ziert ihr Engagement für die Wohnungsversorgung an. Rechnerisch stehen nach Darstellung des Deut- ärmerer Bevölkerungsschichten. Sie läßt die Gemein- schen Instituts für Wirtschaftsforschung jeder Mark, den mit den wachsenden Problemen der Innenent- die Bund und Länder im Städtebauförderungspro- wicklung und der sozialen Segregation im Stich. Sie gramm finanzieren, 5,80 DM private Investitionen verweigert schließlich ein Steuersystem, das den gegenüber. sparsamen Umgang mit Ressourcen fördert. Selbst die Automobilfirmen wie etwa BMW oder Ford sind Fünftens. Die Städtebauförderung hat also erstens gedanklich schon viel weiter als diese Regierung. Investitionswirkung, zweitens Beschäftigungswir- kung und gibt Anstoßeffekte. Und was besonders Deutschland hat sich in Rio verpflichtet, die hervorgehoben werden muß: Die Anstoßeffekte aus Agenda 21 umzusetzen - und sie beläßt es bei zwei- Städtebauförderungsmitteln beschränken sich nicht felhaften Selbstverpflichtungen der Industrie. Längst nur auf die geförderten Gebiete, sondern haben Aus- ist allen Experten klar, daß der CO2-Ausstoß in strahlung weit in den Nachbarschaftsraum der Deutschland nicht sinken, sondern zunehmen wird. Städte und Gemeinden. „Tu nix und rede darüber", ist das Motto dieser Re- gierung, die es einem einzelnen Bundesland, näm- Lassen Sie uns gemeinsam - Bund und Länder - lich NRW, überläßt, eine Transferstelle für nachhal- dafür einsetzen, daß Städtebauförderung auch künf- tige Entwicklung in den Städten und Regionen des tig erhalten bleibt, wir Einvernehmen in den Zielen Landes einzusetzen. Dafür an dieser Stelle ein Dank erreichen und die Städtebauförderung auch künftig an Frau Ministerin Brusis und die Beschämung dar- positive Wirkungen für Investitionen und Beschäfti- gung entfalten kann. über, daß so etwas auf Bundesebene offensichtlich nicht möglich ist.

Volkmar Schultz (Köln) (SPD): „Stadtluft macht Statt dessen sonnt sich Herr Töpfer in Istanbul mit frei" - mit dieser Hoffnung zogen Millionen von den „best practices" aus Deutschland, allen voran Menschen in früheren Jahrhunderten vom Land in mit der internationalen Bauausstellung Emscherpark, die Stadt, von der Zinsknechtschaft in ein besseres die freilich erst auf Inte rvention eines einzelnen Ab- 10280 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 geordneten im Nationalkomitee nachnominiert wer- sche Priorität einfordern. Wir werden so lange nach- den mußte. setzen, bis Sie endlich den schönen Reden eine gute Praxis folgen lassen, bis Sie aufhören, die Gemein- Meine Damen und Herren, die Zukunft unserer den, in denen sich Fortschritt und Zukunftsgestal- Städte entscheidet über die Zukunft des Standortes tung vollzieht, finanziell aufzuzehren. Deutschland, und insofern steht die Stadtentwick- lungspolitik vor einer entscheidenden Anpassungs- Erst dann, wenn wir unserer Verantwortung vor phase. Was Theoretiker der Stadtentwicklung schon der Weltgesellschaft und vor unseren eigenen Enkel- seit einigen Jahren vorhersagen, scheint heute für kindern gerecht werden, erst dann können wir nach- viele in den Städten ansatzweise sichtbar zu werden: haltige Stadtentwicklung zum „Exportschlager", wie eine Gefahr der Auflösung unserer traditionellen, vi- Herr Töpfer das nennt, machen. Die jetzige Politik talen, durchmischten und kompakten Stadt ohne so- der Bundesregierung wird diesem Anspruch in kei- ziale Ausgrenzung in Richtung auf große uniforme, ner Weise gerecht. ungestaltete suburbane Räume, in Richtung auf zu- nehmende Disparitäten zwischen Armut und Reich tum, überhöht durch ethnische Probleme, in Rich- Ingrid Becker-Inglau (SPD): In den vergangenen tung auf kulturelle Verflachung, auf Mißachtung der zwei Wochen hat in Istanbul die letzte große Welt- konferenz der Vereinten Nationen in diesem Jahrtau- Baukultur und Bedeutungslosigkeit des Stadtbildes, in Richtung auf dramatisch steigende Mobilität und send stattgefunden. Die wohl wichtigste Erkenntnis in Richtung auf ökologischen Raubbau an lebens- dieser zweiten Konferenz über menschliche Siedlun- wichtigen Ressourcen. gen „Habitat II" läßt sich folgendermaßen zusam- menfassen: Die Zukunft der Menschheit liegt in den Dies ist ein weltweites Phänomen. Vieles haben großen Städten. Angesichts der enormen Probleme wir bisher verhindern können. Vieles haben wir dank der ausufernden Riesenmetropolen wird es nun aber dem Einsatz bedeutender Fördermittel vor allem der entscheidend darauf ankommen, daß die zwei zen- Länder und der Gemeinden, dank viel Phantasie und tralen Forderungen des Aktionsplans und der Dekla- Überzeugungskraft und einfach besserer Alternati- ration von Istanbul erfüllt werden: ven mildern und abbremsen können. Aber massive Das heißt erstens, daß das Menschenrecht auf eine ökonomische, weltweit angelegte Tendenzen wird angemessene Unterkunft verwirklicht werden muß. man auf die Dauer nicht aufhalten können, wenn es nicht gelingt, die Rahmenbedingungen deutlich zu Das heißt zweitens, daß wir geeignete Maßnahmen verändern. Denn diese Entwicklung ist keine ergreifen müssen, um die Städte sicherer, gesünder, Zwangsläufigkeit. lebenswerter zu machen. Kein Sachzwang höhlt die Urbanität unserer Die ökologischen, gesellschaftlichen und wirt- Städte aus. Es sind die von uns allen gesellschaftlich schaftlichen Probleme der urbanen Ballungszentren gesetzten Rahmenbedingungen. Die Kosten der Mo- haben bedrohliche Ausmaße angenommen. Dies bilität, die Kosten des Verbrauchs von Fläche, die spiegelt sich auch im Sprachgebrauch wider. Mittler- Energiekosten, die Kosten von Arbeit, die Steuerung weile reden wir nicht mehr von Städten, sondern von von Zuwanderung nach Deutschland, die Verteilung sogenannten Megacities. In den Medien werden die von Arbeit und Einkommen, die gesellschaftliche Re- Riesenmetropolen sogar als „tickende Zeitbomben" levanz des sozialen Netzes, das Kapital, das wir in und „urbane Monster" bezeichnet. die Köpfe der Menschen investieren,- die Art und Weise, wie staatliche Institution und private Unter- Die Zeit drängt also - und das unterstreicht auch nehmen miteinander umgehen, die Intensität, wie der im Mai vorgelegte Weltbevölkerungsbericht der wir die vorhandenen Möglichkeiten des technischen Vereinten Nationen deutlich. In weniger als zehn Fortschrittes etwa in der Automobilproduktion nut- Jahren wird der größte Teil der Menschen in Städten zen - dies alles sind entscheidbare, auf der Agenda leben! In absoluten Zahlen bedeutet das: 3,3 Mil gegenwärtiger Politik stehende Fragen, die über das liarden Menschen im Jahre 2005. Schicksal unserer Städte im Übergang zum nächsten Schon heute leben weltweit 2,6 Milliarden Men- Jahrhundert entscheiden. schen in Städten. Davon sind 600 Millionen obdach- Wenn es also, wie ich meine, Optionen gibt, wenn los, und dies überwiegend in Entwicklungsländern. wir nicht Gefangene einer vorgegebenen Entwick- Die Folgen dieser Entwicklung sind Umwelt- und lungsrichtung sein wollen, dann macht es Sinn, über Luftverschmutzung, Müll- und Abwasserentsor- gungsprobleme und Wasserknappheit in den Mega- den Tellerrand des aktuellen Geschehens hinaus zu denken. Das vermissen wir bei der Bundesregierung cities. und den Regierungsparteien. Alle Fachleute sind sich einig, daß diese Folgeer- scheinungen eines unkontrollierten Wachstums der Sie können durch Ihre Mehrheit Anträge der Op- Städte auch eine Situation ergeben, die nicht nur für position zur Stadterneuerung auf die Tagesordnung die betroffenen Länder und Städte explosiv ist. Denn setzen und wieder absetzen. Aber Sie können uns die Slumbewohner von heute sind die Flüchtlinge nicht davon abhalten, über das Thema zu reden. Sie von morgen; und das ist auch unser Problem. werden auch die vielfältigen und qualifizierten Stim- men, die im Nationalkomitee versammelt sind, nicht Die gestern von den Vereinten Nationen organi- mehr zum Schweigen bringen. Wir werden alle ge- sierten Aktionen zum „Tag des Flüchtlings in Afrika" meinsam immer wieder von dieser und von allen wei- haben das ganze Ausmaß der Flüchtlingsproblema- teren Bundesregierungen nachhaltige Stadtentwick- tik noch einmal in geradezu bedrückender Weise lung, die wirklich diesen Namen verdient, als politi- deutlich gemacht. Folgerichtig sind deshalb auch die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10281*

ßungIndustrieländer und in der Verkehr Agenda 21 des Umweltgipfelsund Wohnungsbau in den Städten von Rio aufgefordert worden, eine nachhaltige Ent- und Gemeinden der Entwicklungsländer entspre- wicklung in der Stadt- und Siedlungsplanung zu un- chend gefördert werden. terstützen. Demnach sollen sich Siedlungen so ent- wickeln, daß sie wirtschaftlichen, sozialen und um- Wir fordern die Bundesregierung deshalb auch weltbezogenen Anforderungen in gleicher Weise ge- auf, ihre entwicklungspolitischen Bemühungen ge- recht werden. Dabei, und das ist der entscheidende rade in diesen Bereichen zu verstärken. Die Beispiele Punkt, sind alle Partner gefordert, sowohl auf inter- der Best Practices sind ein erster und zukunftswei- nationaler wie auch auf nationaler und lokaler sender Einstieg. Ebene. Aber auch in dem Bereich der Frauenförderung Bedauerlich ist jedoch, daß die Bundesregierung müssen die Anstrengungen verstärkt werden: Das in für die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtun- Istanbul proklamierte Menschenrecht auf Wohnen gen im internationalen Bereich keine zusätzlichen hat auch viel mit Frauenrechten zu tun. Weltweit Mittel im Entwicklungshaushalt bereitgestellt hat. Es werden ein Drittel der Haushalte von Frauen alleine fehlt wieder einmal das Geld - es fehlen aber auch geführt, in Afrika und Lateinamerika liegt die Zahl die notwendigen ergänzenden Maßnahmen. Wir for- sogar bei 50 Prozent. Von den 1,4 Milliarden Armen dern deshalb die Bundesregierung auf, im Rahmen auf der Welt sind 70 Prozent Frauen und Mädchen. ihrer Entwicklungspolitik dafür Sorge zu tragen, daß Gesetze, Traditionen bzw. Gewohnheitsrechte ma- die großen Metropolen stärker als bisher gefördert chen es ihnen schwer, aus dieser bedrückenden Lage werden - ohne die ländlichen Regionen völlig zu ver- herauszukommen. nachlässigen. In vielen Ländern haben Frauen wenig Chancen, Das Ziel dieser Förderung muß sein, regierbare einen Kredit für den Kauf einer eigenen Unterkunft Verwaltungseinheiten zu schaffen und die Bewohner zu erhalten. Noch gravierender sind die fehlenden an Entscheidungen teilhaben zu lassen. Erb- und Besitzrechte. Hier müssen wir mithelfen, Änderungen zu erwirken. In diesem Zusammenhang sind die Stichwörter De- zentralisierung und Verteilung von Verantwortlich- Eine wichtige Voraussetzung ist die Aufnahme von keiten von besonderer Bedeutung: Die Städte und Gleichberechtigung der Frauen und sozialer Gerech- Kommunen müssen auch selbst aktiv werden kön- tigkeit in das Habitat-Abschlußdokument. nen - sie müssen sich selbst helfen dürfen. Absichtserklärungen alleine helfen nicht weiter. Und sie wollen es auch: Dies beweist die Teil- Wir müssen die Umsetzung wollen. Das bedeutet: nahme von 500 Bürgermeistern und 6 000 Vertretern mehr Bildungs- und Gesundheitsfürsorgepro- von Nichtregierungsorganisationen am Städtegipfel. gramme, insbesondere für den Bereich der Familien- Beeindruckend war, daß die Praktiker an der Basis planung, um die Entwicklungsmöglichkeiten ,von nicht mehr alles den Zentralregierungen überlassen Frauen in der Gesellschaft zu stärken. wollen. Hier besteht die Chance, Demokratisierung, Darüber hinaus sollten alle Bemühungen unter- Dezentralisierung und Partizipation wirklich umzu- stützt werden, die den Bedürfnissen von Frauen und setzen. Nutzen wir sie, helfen wir, sie zu organisie- Familien bei der Städteplanung Rechnung tragen. ren. Was die Nichtregierungsorganisationen und die so- Es hat sich außerdem gezeigt, daß finanzielle Un- - genannten Basisgruppen betrifft, so meine ich, hat terstützung immer dort erfolgreich ist, wo die Gelder Habitat II positive Akzente gesetzt. Die Zivilgesell- direkt in die Verantwortung der Städte gelangen - schaft, wie etwa Initiativgruppen oder Nachbar- nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Die Gemein- schaftshilfen, wird durch die Beschlüsse von Istanbul den wissen einfach besser, wo der Schuh am ehesten zur Mitarbeit und Mitwirkung ermutigt. drückt. Regierungen und Verwaltungen allein sind mit der Und sie haben durch die bereits bestehenden Vor- Bewältigung der vielen Probleme überfordert. Die zeigemodelle im Rahmen des weltweiten „Best Prac- Bundesregierung sollte sich deshalb der Förderung tices''-Wettbewerb des Habitat-II-Sekretariats in Nai- dieser Gruppen in besonderer Weise widmen und robi ermutigende und vor allem konkrete Beispiele darauf achten, daß in diesem Bereich die internatio- dafür erhalten, wie in Zukunft die Ideen für umwelt- nale Zusammenarbeit verbessert wird. verträglichen Städtebau, Stadterneuerung und sozia- les Wohnen umgesetzt werden können. Der Tagungsort Istanbul war selbst ein Ort, der all diese Probleme der Megacities präsentiert hat. Istan- Der Erfolg dieses Best-Practices-Projektes gibt An- bul war aber auch ein Ort, der all denen Mut ge- laß zur Hoffnung. Deshalb sind in diesem Bereich macht hat, die die Bewältigung der Probleme in An- auch weitere Anstrengungen in der deutschen Ent- griff nehmen müssen. wicklungszusammenarbeit erforderlich. In der verabschiedeten Deklaration von Istanbul Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt viel zu heißt es, die Städte müßten „sicherer, gesünder, le- tun. Packen wir es an, und zwar möglichst jetzt! benswerter werden" und von einer nachhaltig wir- kenden Siedlungs- und Stadtentwicklungspolitik ge- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE prägt werden. Diese Ziele können jedoch nur er- GRÜNEN): Zuallererst möchte ich mich bei Ihnen, reicht werden, wenn auch elementare Aufgaben wie Herr Minister Töpfer, sehr herzlich für das große in- Abfall, Abwasserentsorgung und Wasserversorgung, haltliche Engagement bedanken, das Sie bei der Bildung und Gesundheit, Gewerbeflächenerschlie Konferenz für die Qualifizierung der Habitat-Agenda 10282' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 und für die Durchsetzung der „Istanbul Declaration" mer weniger mit den Problemen der Megastädte fer- aufgebracht haben. Bedanken möchte ich mich auch tig werden. Aber dieses Zeichen heißt: Nicht mit we- bei Ihnen und bei allen Kolleginnen und Kollegen niger, sondern nur mit mehr Demokratie und mit aus den beteiligten Ministe rien für den offenen und mehr Aktivierung und Beteiligung der Bürgerinnen kollegialen Umgang in der deutschen Delegation können die Probleme angepackt werden. und gegenüber allen NGO-Vertreterinnen. Vor allem möchte ich mich dafür bedanken, daß Sie sich dafür Für uns ist klar, daß die Versprechungen von Istan- eingesetzt haben, türkische Polizeieinsätze zu ver- bul ebenso wie die von Rio im eigenen Land und in hindern und die schnelle Freilassung von türkischen den internationalen Beziehungen Folgen haben müs- Menschenrechtlern einzufordern, die auf der Demon- sen, und wir werden mit Entschiedenheit nachhaken stration am 8. Juni 1996 verhaftet wurden. Auch, daß und selbst weitere eigene Initiativen entwickeln. Sie Herrn Kanar, den Vorsitzenden der türkischen Denn schließlich ist Habitat ein Beweis, daß grüne Menschenrechtsvereinigung, empfangen haben, war Positionen die richtigen und dringend notwendigen ein wichtiges politisches Zeichen. sind, wenn der Planet Erde und die Menschheit im nächsten Jahrhundert noch miteinander auskommen Die Habitat-Konferenz war nur teilweise ein wirk- sollen. licher Schritt nach vorne. Die Probleme der rapiden Verstädterung und der Verarmung in den Megastäd- Unsere vier zentralen Forderungen sind ein Ar- ten sind der Weltgesellschaft eigentlich schon längst mutsbekämpfungsprogramm im eigenen Land mit über den Kopf gewachsen. Dies war auch in Istanbul deutlichen Zeichen für den Abbau von Wohnungsnot deutlich spürbar. Habitat II war eine Demonstration und Obdachlosigkeit, die Suche nach wirksamen In- guter Absichten, die aber nur punktuell die Wurzeln strumenten zum Abbau der Arbeitslosigkeit, eine der Probleme tangieren und die keine einklagbaren Städtebaupolitik, die die Zersiedelung nachhaltig Verpflichtungen enthalten. Beinahe wäre die Habi- eindämmt und nicht weiter forciert - wie das mit den tat-Agenda hinter die Konventionen der bisherigen Beschleunigungsgesetzen und mit dem Regierungs- UN-Konferenzen zurückgefallen. Das Recht auf eine entwurf zur Novelle des Baugesetzbuches beabsich- angemessene Unterkunft ist in einer Weise festge- tigt ist - und eine Politik der internationalen wirt- schrieben worden, die nicht individuell einklagbar schaftlichen Zusammenarbeit, die nicht unsere Ex- ist, die aber hilft, gesellschaftlichen und moralischen portinteressen, sondern die wirtschaftliche, soziale Druck auszuüben. Positiv ist, daß das Recht auf Woh- und ökologische Stabilisierung in den Ländern der nen auch die Forderung nach einer Mindestausstat- Dritten Welt in den Mittelpunkt rückt. tung an Licht, Wasser, Sanitäranlagen und Abfallent- sorgung enthält und die Forderung nach öffentlicher Dr. Irmgard Schwaetzer (F.D.P.):Herr Präsident, Gesundheitsvorsorge. Auch soll das Wohnen besser meine Damen und Herren, mit Habitat II geht eine mit Arbeitsplätzen und Arbeitsgelegenheiten ver- Serie wichtiger Weltkonferenzen der Vereinten Na- knüpft werden. tionen zu Ende. Nach dem Umweltgipfel in Rio war Die in Peking formulierten Frauenrechte sind mehr der Weltbevölkerungsgipfel in Kairo und der Welt- schlecht als recht gerade noch gerettet worden. Die sozialgipfel in Kopenhagen für das Thema der globa- „nachhaltige Entwicklung" als ökologisch-ökonomi- len Entwicklung menschlicher Siedlungen von be- sches Oberziel wurde diplomatisch aufgelöst in sonderer Bedeutung. Bis zum Jahr 2025 wird sich die „wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit Zahl der Stadtbewohner aller Voraussicht nach auf und Umweltschutz". Schließlich wollen weder die 5 Milliarden verdoppelt haben. Dann werden allein Länder des Südens ihr Recht auf Wirtschaftswachs- in den Städten so viele Menschen leben wie heute tum beschnitten sehen noch wollen die reichen Län- auf dem Globus insgesamt. Menschen, die sauberes der des Nordens sich zu Wachstumsverzichten ver- Wasser, Arbeit und angemessene Unterkunft brau- pflichten. chen. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob die Ent- schlossenheit zur Lösung der damit verbundenen Zentrale Fragestellungen wurden ausgeklammert Probleme überall vorhanden ist. Insofern ist es mehr oder oberflächlich abgehakt, zuallererst die Frage, wie bedauerlich, daß nur so wenige Staats- und ob und wieweit die beiden Grundforderungen der Regierungschefs den Weg nach Istanbul gefunden Konfernz - das Recht auf Wohnen und eine nachhal- haben. Die Bundesregierung allerdings war ausge- tige Siedlungsentwicklung - bei anhaltendem Bevöl- zeichnet vertreten. Mein besonderer Dank gilt Ihnen, kerungswachstum überhaupt miteinander vereinbar Herr Töpfer, und Ihrem Engagement. Sie haben mit sind. Tabu war auch der Einfluß der Weltwirtschafts- Ihrem großen Ansehen in den Vereinigten Nationen ordnung auf die Verstädterung und die Verarmung. eine wichtige Rolle auf dieser Konferenz gespielt. Die dramatischen Flüchtlingsströme durch regionale Dies wird der gewachsenen Bedeutung der Bundes- Kriege und brutale Menschenrechtsverletzungen republik Deutschland gerecht. Bitte geben Sie diesen wurden höflich thematisiert. Immerhin - darauf hatte Dank auch Ihren Mitarbeitern weiter, die in der jah- ich in der deutschen Delegation sehr gedrungen - ist relangen Vorbereitung ausgezeichnete Arbeit gelei- es gelungen, eine Formulierung zur Ächtung der stet haben. Menschenrechtsverletzungen in die „Istanbuler Er- klärung" aufzunehmen. Wie immer bei diesen Konferenzen zu globalen Problemen enthält das Schlußdokument eine Mi- Der wichtigste Erfolg von Habitat II lag in der Ein- schung aus Absichtserklärungen und konkreten For- beziehung der Bürgermeisterinnen und Kommunal- derungen an die Regierungen. Insofern liegt das vertreterinnen und der „Nicht-Regierungs-Organisa- Schlußdokument von Istanbul auf der Linie vorange- tionen". Natürlich war dies zugleich ein Zeichen der gangener Konferenzen. Wirtschaftliches Wachstum, Hilflosigkeit der Nationalregierungen, die selbst im- soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz, drei gleich- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10283' wertige einander beeinflussende Ziele, sind die Vor- bei den einen führen gleichzeitig zu vermehrter Ar- gaben für die zukunftstaugliche „nachhaltige" Ent- mut und Wohnungsnot für einen wachsenden Teil wicklung der Städte. Diese Formulierung spiegelt der Bevölkerung. Zu den Ursachen gehören Kapital- deutlich wider, daß die Politik in Deutschland auf dominanz in der Wohnungswirtschaft, großzügige dem richtigen Weg ist. Entgegen den Einlassungen Rechte der wirtschaftlichen Verwertung von Woh- der Opposition ist für die F.D.P. die Formulierung, nungen bei Neubau, Modernisierung und Eigen- daß das Recht auf menschenwürdige Unterkunft für tümerwechsel sowie die Spekulation mit Boden. alle aus den allgemeinen Menschenrechten abgelei- tet wird und damit einen Auftrag an die Regierung Die Bundesregierung trägt mit ihrer Politik Verant- beinhaltet, ohne daß er vom einzelnen Bürger ein- wortung dafür, daß ein wachsender Teil der Bevölke- klagbar wäre, vernünftig. rung unter ungesunden und menschenunwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen leidet. Die vorran- Mit großem Bedauern mußten wir sehen, wie noch gige Förderung und Propagierung der Eigentumsbil- in der Schlußphase der Konferenz die Fundamentali- dung verschärft diese Entwicklung. Folgen sind stei- sten dieser Welt versuchten, die Ergebnisse der Be- gender Wohnflächenverbrauch, Ghettobildung, Zer- völkerungskonferenz von Kairo wieder umzuwerfen. siedlung und Bodenversiegelung sowie wachsender Die Bauexperten aller europäischen Regierungen motorisierter Individualverkehr. verdienen einen besonderen Dank dafür, daß sie auf diesem, ihnen höchstens persönlich nahe liegenden Der offensichtliche Widerspruch zwischen den Feld, die Freiheit der Familienplanung im Dokument Zielstellungen in der Agenda von Habitat II und im bewahrt haben. Ein besonders wichtiger Punkt war nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Siedlungs- die Einbeziehung der NROs, der Bürgermeister und entwicklung einerseits und der von der Bundesregie- Stadtexperten. Eine menschenwürdige Entwicklung rung praktizierten, propagierten und geförderten der mit ständig größer werdenden Armuts- und Um- Politik, vor allem in den Bereichen Siedlungsent- weltproblemen kämpfenden Städte kann nur über wicklung, Wohnen, Verkehr und Umwelt, anderer- die engagierte Arbeit der Verantwortlichen vor Ort seits muß aufgelöst werden. Es gibt ausgezeichnete sichergestellt werden. Insofern ist dieser Schritt der Analysen und Situationsdarstellungen im National- Vereinten Nationen ein Meilenstein hin zu einer bericht, aber die Vorschläge der Bundesregierung für Dezentralisierung, einer Voraussetzung für die Nach- eine künftige Wohnungs- und Siedlungspolitik ste- haltigkeit von Entwicklung. hen dazu im Widerspruch, sofern überhaupt kon- krete Schlußfolgerungen angeboten werden. Dokumente haben wir nun genug. Jetzt sind Re- gierungen und Parlamente zum Handeln aufgefor- Deshalb eine zweite Forderung nach Istanbul: Die dert. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der Siedlungspolitik in Deutschland muß mit der Agenda Regierung in der Umsetzung der Ergebnisse von von Habitat II in Einklang gebracht werden. Istanbul für eine menschenwürdige Welt. Für das Jahr 1995 geht laut dem Nationalbericht Habitat II die Bundesarbeitsgemeinschaft Woh- nungslosenhilfe e. V. von einem weiteren Anstieg der Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Unbestritten ist, daß die deutsche Delegation mit Minister Töpfer in Istan- Obdachlosigkeit auf eine Gesamtzahl von Woh- bul einen rührigen Chef hatte, welcher sich redlich nungslosen zwischen rund 870 000 und 960 000 aus, um ein gutes Ergebnis mühte. Um so mehr möchte davon rund 43 000 in den neuen Ländern. Neben die- ich heute drei Punkte einklagen, und ich hoffe, sehr sen Obdachlosen gibt es eine nicht bekannte Zahl geehrter Herr Minister, in Ihnen dabei einen Pa rtner unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohter Men- zu haben. Schließlich geht es auch um Ihre Glaub- schen. Im rasanten Tempo nähern sich Obdachlo- würdigkeit. senzahlen in ostdeutschen Städten dem in über 40 Jahren aufgebauten Westniveau. Herr Töpfer, ich Was meine ich? - Die Weltkonferenz Habitat II war frage Sie: Was ist das für eine nachhaltige Entwick- noch nicht beendet, schon verkündete Entwicklungs- lung, wenn Kinder in diesem Land zu Tausenden in minister Spranger, daß auch sein Resso rt einen Bei- Obdachlosenasylen aufwachsen? trag zum Sparhaushalt leisten und die Entwicklungs- hilfe kürzen wird. Die Bundesregierung schiebt ihre Es ist und bleibt ein Skandal, wenn sich die Koali- miserable Finanzpolitik vor, um die ohnehin lächerli- tionsparteien für ihre angeblich erfolgreiche Woh- chen Summen für soziale Verpflichtungen gegen- nungspolitik - wie in der gestrigen wohnungspoliti- über anderen Staaten und Völkern zusammenzu- schen Debatte - mit Eigenlob überschütten. Eine rea- streichen. Dabei sind die Leidtragenden der Struk- litätsferne Selbstbeweihräucherung, wie ich es noch turanpassungspolitik auch des deutschen Kapitals sehr unangenehm von der 1989 davongejagten DDR- gerade die Entwicklungsländer. Führung in Erinnerung habe. Kein Wort von den Herren Töpfer, Braun und Kansy zu der wachsenden Deswegen fordert die PDS zum ersten, daß die Zahl von Obdachlosigkeit bedrohter und betroffener Bundesregierung durchsetzt, daß mindestens die in Menschen. der UNO vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttosozial- produktes für Entwicklungspolitik bereitgestellt wer- Kein Wort zum Fehlen einer bundesweiten Woh- den. Alles andere ist für eines der reichsten Länder nungsnotfallstatistik sowie eines tragfähigen Ge- der Welt unmoralisch und unakzeptabel. samtkonzeptes zur Bekämpfung und Beseitigung von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit - wohlge- Die Situation in der Bundesrepublik ist gekenn- merkt, von Obdachlosigkeit, nicht von Obdachlosen. zeichnet durch konsumorientierte und ressourcen- Das Vertreiben von Obdachlosen aus den Stadtzen- verzehrende Lebensstile und Wirtschaftsweisen. Zu- tren und Bahnhöfen, das Schleifen von Wagenbur- nehmender Reichtum und Wohnflächenverbrauch gen und die Räumung von Häusern, die nach länge- 10284* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 rem ungenehmigten Leerstand besetzt wurden, sind Nachhaltige Produktions- und Kosummuster in den jedenfalls keine Lösung. Ebenso finde ich es uner- Städten herbeizuführen, den Energieverbrauch zu träglich, wenn einige sich an der Obdachlosigkeit mindern und die Energieeffizienz zu erhöhen, die dumm und dämlich verdienen, während für wirklich "Stadt der kurzen Wege" zu fördern - dies ist vor al- helfende Projekte und Initiativen die Mittel gestri- lem eine Aufgabe der Industrieländer. Die Städte, chen werden. wie sie sich im Norden entwickelt haben, können nicht das Modell für die rasch wachsenden Mega- Deshalb eine dritte Forderung nach Habitat II: Das städte der Dritten Welt sein. Hier stehen die Indu- Menschenrecht auf Wohnung muß als Staatsziel in strieländer in der Verantwortung, Technologien und das Grundgesetz aufgenommen und die Politik ent- Konzepte zu entwickeln, die auch in der Dritten Welt sprechend mit neuen Prioritäten versehen werden. eine nachhaltige Stadt, die nicht die ökologischen Ressourcen des ländlichen Raumes ausplündert und vernichtet, möglich machen. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- nung, Bauwesen und Städtebau: Habitat II liegt nun Das „Recht auf angemessene Unterkunft" wird hinter uns; heute vor einer Woche haben wir die Ver- ausdrücklich als Bestandteil der Menschenrechte be- handlungen in Istanbul zum Abschluß geführt. Ich stätigt, so wie es bereits in der Allgemeinen Men- bin mir mit meinem Ministerkolleginnen und Kolle- schenrechtserklärung von 1948 festgelegt wurde. Die gen aus den anderen Mitgliedstaaten der Europäi- Regierungen habe ihre Verpflichtung unterstrichen, schen Union einig, daß diese Konferenz ein Erfolg ist. die Herstellung von Mindeststandarts für würdige Wohn- und Lebensverhältnisse in den Städten als Was haben wir bei Habitat II erreicht? Wir haben eine öffentliche Aufgabe zu verfolgen. In diesem Zu- zwei Dokumente verabschiedet, die Habitat-Agenda sammenhang wurde immer wieder auf das Beispiel mit einem Globalen Aktionsplan und die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland verwiesen, wo sich von Istanbul, die beide deutlich machen, daß die Bund, Länder und Gemeinden mit einem erhebli- Herausforderung durch das Städtewachstum in der chen Einsatz an öffentlichen Mitteln für eine Verbes- ganzen Welt eine gemeinsame Verantwortung aller serung der Wohnungsversorgung einsetzen. Staaten begründen, auch gemeinsame Antworten zu finden. Diese Beschlüsse unterstreichen, daß sich eine „Kultur der weltweiten Solidarität" entwickelt Erstmals ist in einem UNO-Dokument die beson- hat, in der die Industrieländer gemeinsam mit den dere Rolle der Gemeinden anerkannt und festge- Entwicklungsländern und den Reformstaaten Mittel- schrieben worden. Das Prinzip der örtlichen Selbst- verwaltung, der Dezentralisierung von Verantwor- und Osteuropas nach Lösungen für globale Heraus- tung und der Ausstattung der örtlichen Körperschaf- forderungen suchen. Und da nunmehr bald die ten mit eigenen finanziellen Mitteln ist ein wichtiger Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, da etwa Meilenstein für eine strukturelle Verbesserung des zwei Drittel des Bevölkerungswachstums in den Städten stattfindet, ist die Zukunft der Städte ein institutionellen Aufbaus. Dies wird nicht nur zu einer Effizienzsteigerung der bilateralen und multilatera- zentraler Aspekt der weltweiten nachhaltigen Ent- len Entwicklungshilfe führen; es ist auch ein Signal wicklung, die wirtschaftliche Entwicklung, sozialen für Demokratie, Transparenz und bürgernahe Ver- Ausgleich und umweltpolitische Verträglichkeit ein- waltung auf der ganzen Welt. Die Oberbürgermei- schließt. Istanbul selbst ist als eine rasch wachsende Megastadt an der Schnittstelle zwischen Europa und sterinnen und Oberbürgermeister, die in Istanbul an- wesend waren, sind für diesen Erfolg außerordent- Asien ein eindrucksvolles Beispiel für die soziale und lich dankbar. politische Sprengkraft, die in dieser Entwicklung steckt. Ein sehr wichtiges Thema war das Konzept für die Lassen Sie mich einige zentrale Ergebnisse hervor- Umsetzung der Konferenz-Beschlüsse. Der Globale heben: Aktionsplan der Habitat-Agenda ist auf mindestens 10 Jahre angelegt, und wir haben erreicht, daß die Das Prinzip der nachhaltigen Stadtentwicklung Umsetzung der Empfehlungen in regelmäßigen Ab- wurde von allen Staaten anerkannt und festgeschrie- ständen, zuerst im Jahr 2001, gemeinsam verfolgt ben. Es ist von allen Staaten anerkannt, daß sich wird. Diese Umsetzung muß zu allererst in den ein- auch die Siedlungsentwicklung in den Rahmen einer zelnen Ländern, in den Gemeinden, in den Stadttei- weltweiten Strategie der nachhaltigen Entwicklung len stattfinden. Die staatliche Seite, Bund und Län- stellen muß, so wie sie in Rio 1992 beschlossen der, müssen hierzu ihren Beitrag leisten. Viele Emp- wurde. Noch vier Monate vor der Konferenz, bei der fehlungen, die im Globalen Aktionsplan stehen, müs- letzten Vorbereitungskonferenz in New York, hatte sen darüber hinaus durch den privaten Sektor, ja es nicht so ausgesehen, als ob eine Einigung möglich auch durch die privaten Haushalte und die einzelnen wäre. Es hat sich bestätigt, daß der Gedanke einer Bürger umgesetzt werden. Ich weise nur auf das zen- nachhaltigen Entwicklung gerade von Ländern, die trale Problem des Wasserverbrauchs in den Städten unter starkem Wachstumsdruck stehen, mit Miß- hin, das sich immer mehr als ein kritischer Aspekt trauen betrachtet und häufig als der Versuch einer der globalen Zukunft herausschält. Der private Sek- Einschränkung eigener Entwicklungsperspektiven tor muß neue Technologien entwickeln, die eine Ver- angesehen wird. minderung des Wasserverbrauchs in den Städten er- möglichen, und der Kunde, der Verbraucher, muß Voraussetzung für diese Einigung war, daß die In- diese Technologien am Markt nachfragen und einset- dustrieländer ihre eigene Verantwortung für eine zen. Die Umsetzung der Habitat-Agenda geht also nachhaltige Stadtentwicklung anerkannt haben. über die öffentliche Hand weit hinaus. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10285*

Hinsichtlich der Umsetzung im internationalen Die Konferenz ist zu Ende; jetzt geht es darum, die Rahmen haben wir uns darauf geeinigt, das Mandat Umsetzung zu gestalten. Istanbul hat deutlich ge- der hierfür eingesetzten UN-Organisationen, also der macht, daß nachhaltige Stadtentwicklung für uns in Kommission für Menschliche Siedlungen und des Deutschland vor allem in unseren Gemeinden, in UN-Zentrums für Menschliche Siedlungen in Nai- Stadt und Land, vorangebracht werden muß. Nur robi, zu stärken. Diese Mandate sind im nächsten wenn wir unsere eigenen Aufgaben ernsthaft verfol- Jahr zu überprüfen und an die Aufgabenstellung der gen, können wir glaubwürdig mit anderen Ländern Habitat-Agenda anzupassen. darüber verhandeln, was weltweit zu tun ist. Die Um- setzung ist nicht nur eine Sache der Bundesregie- Die Erwartungen einiger Entwicklungsländer nach rung, sondern sie muß Länder und Gemeinden, Ver- zusätzlichen Finanztransfers für den Globalen Akti- bände, Bürgergruppen in gleicher Weise einbezie- onsplan konnten sich nicht erfüllen. Die westlichen hen wie bei der Vorbereitung der Konferenz. Ich Länder haben sehr deutlich gemacht, daß der Re- werde deshalb für den Herbst zu einer Umsetzungs- formprozeß in den Vereinten Nationen zu einer Straf- konferenz einladen, bei der wir uns mit allen Betei- fung und damit zu einer Stärkung der jeweiligen ligten über ein gemeinsames Konzept zur Umset- Fachorganisationen führen muß und daß die neue zung verständigen wollen. Prioritätensetzung, die die Habitat-Agenda ohne Zweifel erfordert, in diesen Reformprozeß eingebun- Wir fangen nicht bei Null an. In vielen Städten und den sein muß. Gemeinden sind bereits Vorhaben unterwegs oder abgeschlossen, die Schritte in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung sind. Über die Projekte des um- In der Erklärung von Istanbul sind die wichtigsten weltgerechten Planens und Bauens, über „Lokale Ergebnisse in prägnanter Form zusammengefaßt. Agenda 21" , über nachhaltige Stadtentwicklungs- Daß diese Erklärung doch noch zustande kam, nach- konzepte finden bereits viele Empfehlungen der Ha- dem die Vorarbeiten auf Expertenebene ins Stocken bitat-Agenda ihren Eingang in die Praxis. Gleich- geraten waren, ist auch ein Ergebnis der politischen wohl können wir noch nicht zufrieden sein. Wir müs- Solidarität der Europäer und der engen Abstimmung sen den Rückenwind, den wir von Habitat II erhalten mit den USA. Dafür möchte ich mich bei unseren haben, nutzen, um diese Vorhaben in den Städten Partnern ganz herzlich bedanken. und Gemeinden weiter zu unterstützen.

Ich möchte mich auch bei allen Delegationsteilneh- Lassen Sie mich noch etwas zur politischen Be- mern aus der Bundesrepublik Deutschland sehr herz- gleitmusik dieser Konfenz sagen: Im Vorfeld von lich für ihre Beiträge bedanken. Die Delegation des Habitat II wurden Befürchtungen laut, daß diese Deutschen Bundestages hat sehr effektiv unsere ge- Konferenz Anlaß zu heftigen Auseinandersetzungen meinsamen politischen Prioritäten auch bei den Ver- um die Verwirklichung der Menschenrechte in der sammlungen der Parlamentarier geltend gemacht. Es Türkei und vor allem um die Kurdenpolitik der tür- ist wieder einmal deutlich geworden, daß die Regie- kischen Regierung geben könnte. Wir haben uns rungsdelegationen sehr viel wirksamer arbeiten kön- hiermit während der Konferenz intensiv auseinan- nen, wenn die Unterstützung von der parlamentari- dergesetzt. Auch während der Konferenz schien es schen Seite her deutlich wird. zeitweise so, als ob eine Zuspitzung der in der Tür- kei bestehenden Konflikte mit Auswirkungen auf die Konferenz eintreten könnte. Dies ist zum Glück Ich möchte ferner den Vertreterinnen und Vertre- nicht geschehen, was nicht zuletzt auch auf eine fe- tern der Gemeinden danken, die in Istanbul die Rolle ste Haltung der Europäischen Union zurückzufüh- einer selbstbewußten gemeindlichen Selbstverwal- ren war. Ich selbst habe ein Gespräch mit dem Vor- tung überzeugend demonstriert haben. sitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins geführt und dabei die Schritte erläutert, die die Die Gemeinden waren in Istanbul erstmals als Kon- Europäische Union im Interesse eines unbeeinfluß- ferenzpartner mit hervorgehobenen Mitwirkungs- ten und ungestörten Konferenzablaufs unternom- rechten am Tisch. Dies hat sich positiv auf die Konfe- men hat. renzbeschlüsse ausgewirkt. Es ist gemeinsam zu überlegen, wie in Zukunft sichergestellt werden Insgesamt hat auch die türkische Regierung ihr In- kann, daß die wichtigen Beiträge der Gemeinden in teresse an einer erfolgreichen Konferenz richtig be- den einschlägigen UN-Gremien Gehör finden kön- wertet und eine Zuspitzung vermieden. Ich möchte nen. von hier aus der türkischen Regierung und insbeson- dere den Bewohnern von Istanbul meinen herzlichen Dank dafür aussprechen, daß sie so eindrucksvolle Auch die Kolleginnen und Kollegen aus den Bun- Gastgeber dieser Konferenz waren. desländern haben unsere Verhandlungsführung un- terstützt, wofür ich ebenfalls danke. Habitat II war voraussichtlich die letzte der gro- ßen UNO-Konferenzen in diesem Jahrzehnt. Wir Schließlich gilt mein Dank auch den Vertreterin- treten jetzt voll in die Phase der Umsetzung, der Er- nen und Vertretern der Verbände, der Berufsvereini- folgskontrolle und der Prioritätenüberprüfung ein. gungen, der Bürgergruppen und auch der Landes- Ich möchte alle Beteiligten ermutigen, an der Um- entwicklungsgesellschaften, die in der Deutschen setzung mit dem gleichen Engagement mitzuwir- Delegation und dann außerhalb das Bild Deutsch- ken, das sie in der Vorbereitung von Habitat II ge- lands auf dieser Konferenz mitgeprägt haben. zeigt haben. 10286* Deutscher Bundestag - 13, Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Anlage 5 ren Atemwegserkrankungen bei Kindern. Nach Mei- nung der Verfasser müssen Kinder als Hauptbetrof- Zu Protokoll gegebene Reden fene des Sommersmogs angesehen werden. Sie for- zu Tagesordnungspunkt 20 dern für Fahrzeuge ohne Katalysator Fahrverbote ab (Antrag: einem Wert von 120 µg/m3 Luft. Verschärfung der Maßnahmen gegen die Nach einem Jahr Ozon-Verordnung ist es an der fortschreitende Gefährdung der Zeit Bilanz zu ziehen. Sowohl von uns wie auch von menschlichen Gesundheit und der Umwelt der SPD-Fraktion liegen Anträge zur Verschärfung durch bodennahes Ozon); vor, auf Bundesratsebene sind ähnliche Initiativen im und Zusatztagesordnungspunkt 9 Gang. (Antrag: Änderung des „Sommersmog-Gesetzes" - Ein Wort zu dem Antrag der SPD-Bundestagsfrak- Gesetz zur Änderung des tion: Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie nicht un- Bundes-Immissionsschutzgesetzes seren Antrag unterstützen, sondern einen eigenen, vom 19. Juli 1995) völlig unzureichenden Antrag eingebracht haben, der auch die Initiative der SPD-regierten Bundeslän- der, die genau wie wir Fahrverbote ab 180 µg/m3 Luft Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fordern, konterkariert. NEN): Mit diesem Zitat aus einer Presseinformation kann man das Handlungskonzept der Umweltmini- Die Ozon-Verordnung hat sich - wie erwartet - in sterin zusammenfassen. Frau Merkel versucht sich in der Praxis als völlig unbrauchbar erwiesen. Selbst bei der jetzigen Situation einzurichten, versucht Norma- Werten, die weit über 240 µg/m3 Luft liegen, wird lität vorzugaukeln, wo nichts normal und dringender kein Fahrverbot ausgesprochen, da der Wert an drei, Handlungsbedarf angesagt ist. mindestens 50 Kilometer entfernten Stationen ge- messen werden muß. Und selbst wenn einmal ein Die ausführliche Debatte ist letztes Jahr geführt Ozon-Alarm ausgelöst werden würde: Zahlreiche worden, dieses Jahr ist anscheinend aus dem Thema Ausnahmeregelungen sorgen dafür, daß praktisch die Luft raus, weil die Wetterlage bislang für ver- alle weiterfahren können. Die vorliegende Ozon-Ver- gleichsweise geringe Ozonwerte gesorgt hat. Und ordnung ist und bleibt die Lizenz zum Weiterrasen! trotzdem ist es höchste Zeit, aktiv zu werden: Und was macht die Bundesregierung? Frau Merkel Daß Ozon Schädigungen unabhängig von Schwel- verfällt in Ignoranz, redet schön, verharmlost in un- lenwerten bei Menschen, Tieren und Pflanzen her- verantwortlicher Weise. Anstatt diese alarmierenden vorruft, ist nichts Neues, auch nicht, daß Kinder, Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und in Handeln Allergiker, Asthmatiker besonders gefährdet sind. umzusetzen, werden frisierte Erfolgsmeldungen in Ab Konzentrationen von 100-150 µg/m3 Luft sind si- die Öffentlichkeit lanciert. gnifikante Lungenfunktionseinbußen vor allem bei Kindern nachweisbar. Die Schädigungen der inneren Eine konsequente Ursachenbekämpfung ist end- Organe sind ungleich höher als bei Erwachsenen. lich angesagt. Der Sachverständigenrat für Umwelt- fragen zum Beispiel fordert eine Reduzierung der Anlaß für unseren Antrag ist, daß in den letzten Ozon-Vorläufersubstanzen Kohlenwasserstoffe und Monaten eine Vielzahl von neuen Forschungsergeb- Stickoxide um 50 Prozent bzw. um 80 Prozent, um zu nissen über die Auswirkungen bodennahen Ozons - einer merklichen Senkung der Ozonbelastung zu bekanntgeworden sind, die auf ein bisher unter- kommen. schätztes Risikopotential für Mensch und Umwelt hinweisen und uns eigentlich die Ruhe rauben soll- Es wird höchste Zeit, die geltende Ozon-Verord- ten. Ich möchte hier nur drei Beispiele nennen: nung an die Realität anzupassen und drastisch zu verschärfen: Herabsetzung des Grenzwertes für Beispiel 1: Eine Studie des Department of Public Fahrverbote von 240 µg/m 3 Luft auf 180 µg/m3 Luft, Health Sciences, St. George's Hospital, London, zum Einschränkungen der Ausnahmeregelungen von Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Fahrverboten, jährliche Überprüfung der Grenzwerte täglicher Sterblichkeitsziffer in London in den Jahren auf ihre Plausibilität und Praktikabilität. Das ist ja 1987-1992 kommt zu dem Schluß, daß „die Ozon wohl das mindeste und kann nur der erste Schritt Werte mit einem signifikanten Anstieg der Sterblich- sein. keitsziffer bei Herz- und Kreislauf- und Atemwegser- krankungen in Zusammenhang gebracht werden Wir wiederholen unsere Forderung nach einem müssen". Vorsorgekonzept zur drastischen Reduktion der Ozon-Vorläufersubstanzen, um bereits im Vorfeld ab- Beispiel 2: Eine Untersuchung des GSF-For- sehbarer Ozon-Perioden vorbeugende Maßnahmen schungszentrums für Umwelt und Gesundheit im zu ergreifen, sowie umgehend den Entwurf einer Auftrag des bayerischen Umweltministeriums hat er- neuen, verschärften Ozon-Verordnung anhand oben geben, daß eine „klare Korrelation zwischen der genannter Punkte. Auch die Kinder in diesem Land Ozondosis und dem Fall von grünen Fichtennadeln" haben das Recht auf Gesundheitsschutz! besteht und belegt damit erstmals einen Zusammen- hang zwischen der Ozondosis und Waldschäden. Zu diesem Vorsorgekonzept gehören: Erarbeitung eines Konzepts zur schrittweisen Reduktion der ge- Beispiel 3: Greenpeace hat 600 wissenschaftliche fahrenen Pkw- und Lkw-Kilometer, die Einführung Arbeiten zum Thema Ozon ausgewertet. Ergebnis: autofreier Sonntage, ein Tempolimit von 30/80/100 - Es besteht ein eindeutig nachweisbarer Zusammen- grundsätzlich, und nicht erst bei Ozonalarm - , stren- hang zwischen Ozonsmog sowie Asthma und ande- gere Abgasvorschriften für Pkw's und Lkws, eine Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10287*

Raumordnungspolitik, die, wie von der Enquete Sogar in Ihrem Antrag räumen Sie auf Seite 2 ein, Kommission „Mobilität und Klima" gefordert, die daß an den Stationen eigentlich sinkende Meßwerte Verkehrsvermeidung in den Mittelpunkt stellt. gemessen werden. So deutlich wollen Sie das hier nur nicht sagen, da sonst offensichtlich wird, wie we- Wir werden daher eine öffentliche Anhörung zur nig Sinn Ihr Antrag zu diesem Zeitpunkt hat. Überprüfung der '95er Ozon-Verordnung angesichts der neuen wissenschaftlichen Studien und veränder- Auf Seite 3 des Antrages haben Sie erkannt, daß ten Meßmethoden beantragen, damit das Versteck- die langfristige Doppelstrategie, die wir ja seit lan- spiel des Bundesumweltministeriums endlich ein gem verfolgen, sinnvoller ist, als sich eingleisig auf Ende hat! Aussitzen und verharmlosen ist unverant- Fahrverbote zu verlassen. wortlich. Kommen Sie endlich Ihrer Sorgfaltspflicht für alle Bürgerinnen und Bürger nach, anstatt der Ich hoffe, Sie sind sich darüber im klaren, welche Autolobby die Stange zu halten! Wirkung die alljährliche Neuauflage dieser Diskus- sion auf die Bevölkerung hat. Ängste der Bürger wer- den doch hier für parteipolitische Zwecke miß- Christa Reichard (Dresden) (CDU/CSU): Weltweit braucht. Mit der Sache an sich hat das hier gar nichts besitzen wir in der Bundesrepublik das strengste mehr zu tun! Ozongesetz. Leider ist es wieder einmal notwendig, einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Durch falsche Risikoeinschätzung und falsche Tat- Diskussion zu leisten. sachen soll die Öffentlichkeit verunsichert werden. Wir haben schon bei der Konzeption des Gesetzes Mit ist völlig unklar, warum man wenige Monate, vor einem Jahr darauf gedrängt, Problemlösungen zu nachdem das Ozongesetz den Vermittlungsausschuß entwickeln, die vernünftig und - das möchte ich hier verlassen hat, schon wieder mit der Diskussion über auch noch einmal ausdrücklich betonen - auch um- Grenzwerte und zusätzliche Fahrverbote beginnen setzbar sind. muß, obwohl weder ausreichende Erfahrungen mit dem Gesetz noch neue Erkenntnisse der Wissen- Nach der Absenkung des Konzentrationswertes für schaft vorliegen. Ozon auf 240 µg/m 3 und der Klarstellung der Aus- nahmebestimmungen bei den Fahrverboten wird Aus dem Blickwinkel der Grünen mag es enttäu- eine Regelung getroffen, die im Gegensatz zu den schend sein, daß in der Bundesrepublik im Sommer von den Fraktionen der SPD und der Grünen ange- immer noch Autos auf den Straßen fahren. strebten Regelungen sowohl gesundheitsschädliche Die Tatsache, daß die im Gesetz vorgegebenen Ozonkonzentrationen im Sommer vermeiden hilft Werte dieses Jahr noch nicht eingetreten sind, ist wie auch die verkehrsbeschränkenden Maßnahmen doch vielmehr ein Erfolg und bestätigt die Politik der auf das notwendige Maß beschränkt. langfristigen Senkung der Emission der Ozonvorläu- Die Sachverständigenanhörung des Umweltaus- fersubstanzen. schusses zum Ozon-Gesetzentwurf der Koalition im Doch - wie kann es anders sein - wenn die Grünen vergangenen Jahr hatte unsere Position weitgehend das Thema pünktlich zum Sommerbeginn wieder auf bestätigt. die Tagesordnung setzen, holt auch die SPD ihre al- Die Grünen haben schon damals mit ihren panik- ten Anträge aus der Schublade und frisiert- sie etwas erzeugenden Horrorvisionen von wissenschaftlicher um. Seite kaum Unterstützung erfahren. Im Antrag der Grünen werden, wie schon vor ei- Die von ihnen beschworene gesundheitsschädi- nem Jahr, u. a. die Herabsetzung der im Gesetz fest- gende Wirkung von 120 µg/m3 ist reines Schüren von geschriebenen Werte von 240 auf 180 Mikrogramm Angst. pro Kubikmeter Luft und eine weitere Verschärfung der Fahrverbote gefordert; Sonntage in den Sommer- Dieser Wert geht von einer vollkommen unrealisti- monaten sollten zu autofreien Sonntagen erklärt wer- schen Voraussetzung aus. den. Die Belastung müßte täglich acht Stunden in ge- Weitere Verbote und die Beschränkung der Fahr- schlossenen Räumen, und das ununterbrochen an geschwindigkeiten, also Tempolimits, werden als All- 220 Tagen im Jahr, erfolgen. heilmittel angepriesen - also nichts Neues. In der Anhörung ist außerdem deutlich geworden, Was ein solches Konzept - eine weitere Absen- daß die immer wieder geforderten Tempolimits keine kung der Grenzwerte und weitere Fahrverbote - für große Wirkung auf die Reduzierung bodennahen den Wirtschaftsstandort bedeutet, dürfte allen klar Ozons haben. Wir lehnen daher ein Tempolimit ab. sein. Bei der Durchsetzung eines Tempolimits bei einer Die Forderung, schon bei 180 µg/m3 Luft Fahrver- Ozonkonzentration von 180 µg/m3 Luft, wie das von bote zu erlassen, kann nur zum Ziel haben, die Mobi- der Opposition gefordert wird, würde sich, wenn sich lität der Bevölkerung in den Sommermonaten, also in 80 % der Autofahrer an die Tempolimits halten wür- der Hauptreisezeit, einzuschränken. den, eine Reduzierung der flüchtigen organischen Substanzen um nur ca. 1,58 % ergeben. Das Ozon Dabei sieht die Realität ja so aus, daß die Spitzen- würde lediglich um maximal 3 bis 5 % reduziert. Ei- ozonwerte seit den 80er Jahren beständig gesunken nige Versuche ergaben sogar nur eine Reduktion des sind. In den 70er Jahren waren die Ozonwerte in Ozons von 1 bis 3 %, was dem Bereich der Meßunge- etwa doppelt so hoch. nauigkeit zugerechnet werden kann. 10288* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Bei den im Gesetz fesgeschriebenen Maßnahmen - Das Ozongesetz wird genau dieser Zielrichtung Fahrverbote für Kfz mit hohem Schadstoffausstoß bei gerecht. Dieses Gesetz ist ein Schritt in die richtige Überschreiten des Warnwertes von 240 µg/m3 Luft - Richtung gewesen. würden hingegen die flüchtigen organischen Sub- stanzen um ca. 55 % vermindert, und das Ozon Von der Bundesregierung wurden in der Vergan- würde sich um 10 bis 15 % verringern. genheit bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, wie insbesondere die Einführung des Ka- Ein weiteres Ergebnis der Anhörung aber war, daß talysator, die Großfeuerungsanlagenverordnung so- mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei emp- wie die TA Luft, die dazu geführt haben, daß derzeit findlichen Personen ab 240 µg/m3 Luft gerechnet ca. 600 000 Tonnen Stickstoffoxide und Kohlenwas- werden muß. serstoffe pro Jahr weniger emittiert werden als noch zu Beginn der 80er Jahre. Es ist hinsichtlich unserer Zielsetzung klar: Diese möglichen Belastungen auch eines Teils der Bevölke- Die Mineralölindustrie hat bereits auf freiwilliger rung müssen durch die Senkung der Ozonspitzen- Basis emissionsarme Benzinsorten angeboten, und werte auf dem Wege vernünftiger, praxisorientierter die Bundesregierung hat seit langem auf EU-Ebene Regelungen vermieden werden. am AUTO-Öl-Programm mitgearbeitet. Auch bei kurzfristigen Maßnahmen zur Kappung Jedoch stammt nur ein Drittel aller „Ozonvorläu- von Ozonspitzenwerten hat eine Rechsgüterabwä- fer" aus dem Autoverkehr. Deshalb ist darüber hin- gung zu erfolgen. So muß von vornherein deutlich aus u. a. eine Reduzierung der Lösemittelemissionen werden, daß Berufspendler, die in einer anderen zu- dringend geboten. mutbaren Art und Weise ihren Arbeitsplatz nicht er- reichen können, doch ausnahmsweise auf ein nicht Das betrifft insbesondere den industriellen und schadstoffarmes Fahrzeug zurückgreifen dürfen, um den gewerblichen Bereich. Wir stehen dafür ein, daß ihren Arbeitsplatz erreichen zu können. mit einem verstärkten Einsatz des Öko-Audit, mit ökonomischen Anreizen und gegebenenfalls auch Außerdem werden andere Maßnahmen, wie die mit ordnungspolitischen Instrumenten die Emissio- Einführung der emissionsbezogenen Kfz-Steuer, die nen bis zum Jahr 2005 in diesem Bereich deutlich ge- Zahl der Autos ohne geregelten Kat bis zum Jahr senkt werden. 2000 weiter stark reduzieren. Ich halte steuerliche Anreize hier für wesentlich sinnvoller als das Bevor- Ich sehe keinen Sinn darin, die Bürger, die auf ihr munden der Bürger durch immer mehr Verbote. Auto angewiesen sind, unnötigerweise zu drangsa- lieren. Ein Vorgehen, wie die Grünen und die SPD Derzeit ist nichts und niemand in Gefahr! Das ist das wollen, kann für den Burger kaum noch nach- das Ergebnis aller seriöser Studien. Neuerdings wird vollziehbar sein. mit Hilfe einer Greenpeace-Studie, die auf falschen Voraussetzungen beruht, versucht, das Thema neu Außerdem ist es noch zu früh für eine Novellierung aufzuwärmen. des Gesetzes, da derzeit noch keine neuen Erkennt- nisse vorliegen. Auch die Unterstellung, die Bundesregierung habe die Meßmethoden geändert, um das Auslösen des Deswegen werden wir den Antrag der Grünen und Ozonalarms zu verhindern, ist völlig unsinnig. den Antrag der SPD ablehnen. Das Meßverfahren wurde bereits im Sommer 1992 an die EU-Richtlinie hierzu angepaßt. Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Die ersten son- nigen Wochen im Frühling 1995 bescherten uns sehr Dieser Umsetzung wurde im Bundesrat auch zuge- schnell die bekannten hohen Ozonwerte des Som- stimmt. Seit 1994 war dieses Meßverfahren das gül- mersmogs. „Keine Panik!" hätte man sich gerne ge- tige Meßverfahren. Das heißt, die Bundesregierung sagt. hat dieses geltende Meßverfahren zugrunde gelegt. Der Vorwurf ist also völlig falsch; eigentlich wissen Im Sommer 1995 hatte der Bundestag ja ein Gesetz Sie das ganz genau! zur Bekämpfung des bodennahen Ozons erlassen. Außerdem frage ich mich, ob Untersuchungen der Die Bevölkerung würde also vor den Gesundheits- Ozonwirkungen bei 0 °C wesentlich sinnvoller sind schädigungen des giftigen Reizgases geschützt wer- als bei 20 °C. Meines Wissens entsteht Sommersmog den. Doch das ist keinesfalls so! - wie der Name schon sagt -, im Sommer, also in der Obwohl in der Anhörung im parlamentarischen Regel deutlich über 0 °C. Prozeß von der Mehrheit der Experten niedrigere Eine Umrechnung auf die alten Werte ist schon al- Grenzwerte für die Auslösung des Ozonalarms zum lein deswegen unsinnig, da die alte Skala nicht feh- Schutz der Gesundheit eingefordert wurden und au- lerfrei war und außerdem heute international nicht ßerdem die Vollziehbarkeit des von der Regierung mehr vergleichbar wäre. Menschen in Grenzgebie- eingebrachten Gesetzentwurfs angezweifelt wurde, ten würden die wechselnden Angaben nicht mehr haben die Koalitionsfraktionen mit ihrer Mehrheit ei- verstehen. nen Papiertiger geboren. Denn das gültige Sommer- smog-Gesetz ist völlig unwirksam. Eine vom Heidel- Es geht hier aber um eine sachgerechte Behand- berger Umwelt- und Prognose-Institut (UPI) vorge- lung des Problems. Vorrangiges Ziel unserer Politik nommene Auswertung aller Ozondaten der letzten ist, eine dauerhafte und nachhaltige Verminderung sechs Jahre in der Bundesrepublik ergibt, daß das der Ozon-Vorläufersubstanzen zu erreichen und Gesetz nahezu keinerlei Auswirkung auf die realen kurzfristig reagieren zu können. Ozonbelastungen hat. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10289*

In den letzten sechs Jahren wurde der Auslösewert gen: Um so schlimmer, wenn Ihnen dies alles schon des Sommersmog-Gesetzes (240 Mikrogramm) rund bekannt war und Sie dennoch nicht gehandelt ha- 400mal überschritten; es wäre jedoch nur an einem ben! einzigen Tag 1992 wegen der Bedingungen dieses Gesetzes Sommersmog-Alarm in Hessen und Baden- Aber - so Staatssekretär Klinkert - die Bundesre- Württemberg ausgelöst worden. Das liegt daran, daß gierung sieht auch heute keine Veranlassung - wei- die 240 µg/m3 an mindestens drei Meßstellen in tergehende Konsequenzen aus der Studie zu ziehen. 50 km Entfernung überschritten sein müssen. Ob man in dieser Hinsicht auf europäischer Ebene sensibler ist? In einem Bericht zu Ozonkonzentratio- Aber selbst wenn der seltene Fall eintreten sollte, nen in den Monaten Juni und Juli 1994 lesen wir: daß die harten Bedingungen des Ozongesetzes er- füllt wären, um Alarm auszulösen, könnte dies keine Mit über 3 100 Episoden im Sommer 1994 wurde große Wirkung entfalten; denn es werden nicht nur die Häufigkeit deutlich, mit der der zum Schutz zur „Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwen- der menschlichen Gesundheit bestimmte Grenz- digen Gütern und Dienstleistungen sowie für andere wert von 180 µg/m3 überschritten wird. Dieser unabweisbar erforderliche Fahrten auch für schad- Schwellenwert stellt lediglich eine geringe Si- stoffreiche Fahrzeuge Ausnahmen zugelassen", son- cherheitsmarge dar. Besonders im Falle des Ozons, mehr als für die meisten anderen Schad- dern auch zur Aufrechterhaltung des Produktionsab- stoffe, ist es deshalb von entscheidender Bedeu- laufs. Dies aber wird so verstanden, daß sowohl die tung, den Ernst der im Sommer 1994 erreichten Berufspendler als auch die Ferienreisenden ihren Belastungswerte zu erkennen. Weg weiter im PKW fortsetzen dürfen. Damit wird das Gesetz in seiner Auswirkung so lächerlich, daß Und in ihrem Grünbuch zum Verkehr schreibt die sogar das Geld für die Durchführung der Anhörung EU Ende 1995: zum Fenster hinausgeschmissen ist. Da jedoch der Hauptanteil der Emissionen auf Der Gesetzesinhalt steht in krassem Gegensatz zu den Straßenverkehr entfällt, sollten Maßnahmen einer Äußerung von Umweltministerin Merkel in ih- für diesen Verkehrsträger mit einer gewissen rer Broschüre „Schritte zu einer nachhaltigen, um- Dringlichkeit entwickelt werden. weltgerechten Entwicklung: Umweltziele und Hand- lungsschwerpunkte in Deutschland", die sie in die- Zahlreiche Untersuchungen verweisen uns immer sem Monat herausgegeben hat. Dort lesen wir auf wieder darauf, daß die Belastung der Umwelt und Seite 17f.: der menschlichen Gesundheit durch ubiquitär vor- kommende organische und anorganische Schad- Neue Erkenntnisse über Zusammenhänge zwi- stoffe und Verbrennungsprodukte an einem kriti- schen dem Eintrag gefährlicher Stoffe in die Um- schen Punkt angelangt ist. Dabei spielt der photoche- welt ... und bestimmten Krankheitsbildern . . . misch-oxidative Smog mit hohen Konzentrationen an geben Anlaß, dem Thema „Umwelt und Gesund- Ozon, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen und Alde- heit" anhaltend besondere Aufmerksamkeit zu hyden eine besondere Rolle. In der Vergangenheit widmen. betrugen natürliche mittlere Ozonwerte der nördli- chen Hemisphäre 20-40 µg/m3 , heute werden wäh- Weit gefehlt! Denn: Der Schwellenwert für einen rend Sommersmog-Episoden bereits zehnfach hö- Ozonalarm wird dadurch weiter erhöht, daß die Meß- here Werte erreicht. methoden zur Erfassung der Ozonkonzentrationen- umgestellt worden sind. Eine veränderte Kalibrie Gleichzeitig nehmen die entzündlichen Erkran- rung der Meßgeräte und eine Normierung der Meß- kungen der Atemwege, besonders in Städten mit ho- werte an 20 °C statt bisher 0° führt dazu, daß der Aus her Luftverschmutzung durch Verkehr und Industrie lösewert für Fahrverbote für Autos ohne Katalysator signifikant zu. Man weiß heute, daß die Erkrankun- tatsächlich bei 287 Mikrogramm/m 3 Luft liegt, wenn gen der Atemwege als ein Warnzeichen für umwelt- die alten Meßdaten zur Grundlage gemacht werden. bedingte Erkrankungen verstanden werden müssen; nämlich als Ausdruck steigender Expositionen einer Diese Unwirksamkeit und die im Frühjahr dieses komplexen Mischung von Fasern, Partikeln, Bakte- Jahres veröffentlichte Studie „Krank durch Ozon- rien, Allergenen, flüchtigen organischen Chemika- smog" hat uns veranlaßt, erneut einen Versuch zu lien (VOCs), Tabakrauch und anderen Verbren- unternehmen, Sie, liebe Kollegen und Kolleginnen nungsprodukten. von den Koalitionsfraktionen, davon zu überzeugen, daß Handeln dringend erforderlich ist, statt Symbol- Eine Vielzahl unerwünschter gesundheitlicher politik zu betreiben, wie Sie es im vergangenen Jahr Auswirkungen sind die Folge: Irritationen der mit Ihrem Ozongesetz getan haben. Schleimhaut; Infektionen der Schleimhaut; Allergien und Pseudoallergien und Hyperreagibilität in den Die Greenpeace-Studie weist vor allem noch ein- Atemwegen mit einem Anstieg allergischer und mal auf die Gesundheitsschäden bei Kindern hin. nichtallergischer Infekte sowie Asthma. Kinder und Ozonsmog schwächt danach u. a. die Immunabwehr, Jugendliche sind davon besonders betroffen. löst Allergien aus und begünstigt selbst bei gesun- den Menschen die Asthmabereitschaft. Daß die Zunahme entzündlicher und/oder chroni- scher Atemwegserkrankungen nicht nur der morbi- Staatssekretär Klinkert meinte allerdings auf den Phantasie einiger Ökospinner entspringt, bele- meine Frage am 22. Mai 1996, welche Konsequenzen gen epidemiologische Studien, die zumindest auch die Bundesregierung aus der Studie zu ziehen ge- der Bundesregierung bekannt sein dürften. Dabei denke, es würden darin keine neuen wissenschaftli- können Umweltschadstoffe nicht nur selbst antigen chen Erkenntnisse vorgetragen. Da kann ich nur sa- und somit Verursacher von allergischen Reaktionen 10290* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 sein, sondern sie können auch zu einer aggressive- 3. daß bei 210 gg/m3 Ozon (240 gg/m 3 altes Meßver- ren Allergenität natürlicher Antigene (z. B. Birken- fahren) flächendeckende Fahrverbote mit nur be- pollen) führen. Das erklärt auch das häufigere Auf- grenzten Ausnahmen und Produktionseinschrän- treten von Pollenallergie in Industrie- und Stadtge- kungen ausgesprochen werden. bieten gegenüber ländlichen Bereichen. Daß unsere Grenzwerte keinesfalls übertrieben In diesem Zusammenhang spielen hohe Ozonbe- sind, belegt Ihnen die Tatsache, daß die Weltgesund- lastungen eine wichtige Rolle; denn sie verursachen heitsorganisation - WHO - und der Verein Deutscher nicht nur Schäden an den empfindlichen Pflanzen Ingenieure - VDI - eine Belastung von 120 Mi- und an bestimmten Materialien, sondern sie gefähr- krogramm Ozon pro Kubikmeter Luft als Obergrenze den auch die Gesundheit von Menschen und Tieren. zur Vermeidung von Gesundheitsschäden ansetzen. Ozon verstärkt die virusinduzierten immunologi- Die Forderung nach Zurückdrängung des Indivi- schen Reaktionen in der Lunge. Die Gruppe der dualverkehrs und der „Vorfahrt für Gesundheit und Allergiker und Asthmatiker ist erhöht gefährdet, Umwelt" findet zahlreiche Verbündete. So forderte wenn auch auf Grund interindividueller Differenzen die Ärztekammer Niedersachsen bereits 1994 „dau- nicht vorhergesagt werden kann, wer zu den „Emp- erhafte Fahrverbote in innerstädtischen Ballungs- findlichen" gehört. zonen, zeitlich befristete Fahrverbote in weiteren Ge- bieten, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Verminde- Auch die wissenschaftliche Datenlage bezüglich rung vor allem des nächtlichen Verkehrs, Verbesse- der chronischen und langfristigen Schädigungen der rung und Verbilligung des öffentlichen Nahver- Schleimhaut der Atemwege ist eindeutig. Aus Krei- kehrs" usw. sen der Hals-, Nasen-, Ohrenärzte wird uns mitge- teilt, daß die Schleimhaut im Bereich der Atemwege Ich will auch gleich Ihrem Einwand entgegentre- so geschädigt werden kann, daß weitere Schadstoffe, ten, den Sie mit Sicherheit wieder vorbringen wer- die sich im Feinstaub befinden, verstärkt wirken kön- den: nämlich unser Antrag auf eine verbesserte nen und in einem Synergieeffekt Allergien, Störun- Ozongesetzgebung sei Panikmache und Hyste rie. gen des Immunsystems und pathologisch nachweis- Wir verängstigten die Menschen draußen nur, wäh- bare Veränderungen in der Lunge hervorrufen kön- rend es angezeigt sei, langfristig etwas gegen Ozon- nen. Wenn Patienten mit symptomatischem Asthma bildung zu tun. (SAB) und chronisch obstruktiver Lungenerkran- In dem letzten Punkt kann ich Ihnen natürlich kung (COPD) geschützt werden sollen, dürften recht geben, und Sie finden in unserem Antrag auch Tagesmittelwerte von 90 gg/m 3 nicht überschritten verschiedene Maßnahmen, die dringend durchge- werden. führt werden müßten, damit die Vorläufersubstanzen Über den begründeten Verdacht der Kanzerogeni- von Ozon wirksam zurückgedrängt werden. Diese tät und gentoxischen Wirkung des Reizgases Ozon Maßnahmen kündigen Sie zum Teil auch an, aber haben wir ja bereits im vergangenen Jahr gespro- mit der Umsetzung hapert es gewaltig. chen. Darüber hinaus ergaben einjährige Untersu- Denn: daß die Bundesregierung hier Entscheiden- chungen eines Münchner Forscherteams in Büroräu- des tut, konnten wir bisher nicht feststellen. Deshalb men, daß in geschlossenen Räumen die negativen werden wir in den kommenden Jahren immer noch Auswirkungen bezüglich der eingeschränkten Lun- mit viel zu hohen Ozonkonzentrationen rechnen genfunktionen noch stärker sind. Prof. Fruhmann: müssen, und die Politik ist aufgefordert, hier auch kurzfristig etwas zu tun. Fest steht, daß die Ozonwerte im Büro durch ver- altete Kopiergeräte, Laserdrucker, Luftfilteranla- Wenn wir dafür sorgen, daß es durch ein abgestuf- gen und ultraviolette Lampen ansteigen können. tes Verfahren erst gar nicht zum Erreichen dieser ho- Auf jeden Fall spielt Ozon in Innenräumen eine hen Ozonwerte kommt, dann wird die Bevölkerung wesentlich größere Rolle, als man bisher ange- beruhigt sein können, weil wir tatsächlich vorsorgen- nommen hat. den Gesundheitsschutz betreiben. Wir sind es den Menschen schuldig, daß wir han- Wenn aber das Handeln der Politik nur darin be- deln. steht, Papier zu produzieren, muß die Bevölkerung sich selbst um ihren Gesundheitsschutz kümmern, Mit unserem Antrag legen wir Ihnen erneut den muß sie sich informieren, muß über die Auswirkun- Vorschlag vor, ein Stufenkonzept zur Sommersmog- gen von Ozon geredet werden. Es wird nicht zu ver- bekämpfung umzusetzen. meiden sein, daß hier auch Ängste - und zwar be- rechtigte Ängste - entstehen und nicht verdrängt Wir fordern, werden können. 1. daß die Bevölkerung bei einem Wert von 110 µg/ Nehmen wir also unsere Verantwortung als Politi- m3 bodennahem Ozon (120 µg/m 3 altes Meßver- ker ernst, sorgen wir dafür, daß im Jahre 1996 ein fahren) über mögliche gesundheitliche Auswir- wirksames Ozongesetz verabschiedet wird! kungen auf besonders empfindliche Gruppen, wie z. B. Kinder und Allergiker, informiert wird, Birgit Homburger (F.D.P.: Mit dem Antrag versu- 2. daß bei 160 µg/m3 Ozon (180 gg/m 3 altes Meßver- chen die Grünen, die parlamentarische Abstim- fahren) differenzierte Tempolimits und Fahrver- mungsniederlage im letzten Sommer zu korrigieren. bote für Kraftfahrzeuge ohne Abgasreinigungsan- Mit angeblich neuen Erkenntnissen werden alte For- lagen verordnet werden, derungen wieder aufgewärmt. Alter Wein in neuen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10291*

Schläuchen, und dazu noch schlecht gemacht: Sie Ich weiß, daß über eine Lösemittel-Richtlinie in der verlangen eine Novellierung der „Ozon-Verord- EU verhandelt wird. Ich bitte die Bundesregierung, nung" ! Haben Sie vergessen, daß der Deutsche Bun- sich mit Nachdruck für eine baldige Verabschiedung destag ein Ozon-Gesetz verabschiedet hat? Haben der Richtlinie einzusetzen. Es wäre allerdings schön, Sie es überhaupt gelesen? Dann wüßten Sie, daß das wenn wir im Zusammenhang mit den Ausschußbera- Gesetz keine „Grenzwerte" festsetzt, wie Sie es nen- tungen zu diesem Antrag auch über einen Bericht nen, sondern Konzentrationswerte als Auslöser von mit Vorschlägen der Bundesregierung beraten könn- Ländermaßnahmen. Und Sie fordern die Bundesre- ten. gierung auf, einen neuen Verordnungsentwurf vor- zulegen. Kann die grüne Fraktion keinen eigenen Bei der Reduzierung von Schadstoffen aus dem Gesetzentwurf formulieren? -Straßenverkehr sind wir auf gutem Wege. Die EURO 2-Norm ab 1997 halbiert den Schadstoffausstoß von Vergessen haben Sie wohl auch die Ergebnisse der Pkw gegenüber den heute gültigen Grenzwerten. Anhörung im letzten Jahr, die Grundlage unserer Und EURO 3 wird in vier Jahren eine weitere Absen- Entscheidung war. Es liegen keinerlei neue Erkennt- kung bringen. Die Erneuerung der Fahrzeugflotte nisse vor. Die Sachverständigenanhörung hat ge- durch die Ausmusterung der älteren bei zunehmen- zeigt, daß wir mit dem Schwellenwert von dem Anteil der modernen schadstoffarmen Fahr- 240 Mikrogramm/m3 Luft für Fahrverbote richtig lie- zeuge wird die Schadstoffreduzierung beschleuni- gen. Deshalb hat die F.D.P. damals bei der CDU die- gen. sen schärferen Schwellenwert durchgesetzt, damit Mit dem jetzt von der Koalition eingebrachten die Fahrverbote auch wirklich greifen. Ebenso ist die Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz wird - nach F.D.P. für sachgerechte und nicht zu großzügige Aus- Nachbesserung durch die F.D.P. - ein finanzieller An- nahmeregelungen eingetreten. Wir können die reiz gesetzt, um Kat-lose Fahrzeuge durch schad- Schichtarbeiter, das Krankenhauspersonal, die Hotel- stoffarme Fahrzeuge zu ersetzen. Gerade diese Fahr- fachkräfte, Menschen, die nachts oder früh am Mor- zeuge tragen weit überproportional zum Ausstoß der gen arbeiten, wenn der ÖPNV nicht zur Verfügung Vorläufersubstanzen bei. Ihre Ausmusterung wird steht, nicht von den Arbeitsplätzen fernhalten. Das dadurch beschleunigt. Und mit der ab 2003 vorgese- wäre einfach unverhältnismäßig. Deshalb lehnen wir henen Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineral- Ihre Forderungen nach weiterer Reduzierung der ölsteuer werden wir über den Spritpreis weitere Ausnahmen ab. Signale für Verkehrsvermeidung und Verbrauchs- Und die von Ihnen geforderte jährliche Überprü- senkung setzen. fung der Grenzwerte, oder genauer gesagt, der Mit ihrem Antrag konzentrieren sich die Grünen Schwellenwerte, ist ein Beispiel der grünen Rege- nur auf den Straßenverkehr, und damit zeigen sie, lungswut. Je nach dem wie sonnig das Jahr ist, wird worum es den Grünen wirklich geht: nicht um eine das Gesetz geändert. Wir brauchen Verläßlichkeit umfassende Strategie zur dauerhaften Senkung der und nicht grüne Regelungshektik. Ozon-Belastung, sondern um ein Vehikel, um ein Die SPD läuft mit ihrem nachgeschobenen Antrag Angstthema für ihr verkehrspolitisches Stecken- den Grünen hinterher. Auch sie wärmt die alten For- pferd, das flächendeckende Tempolimit. So wird mit derungen auf. Vergessen oder eher verdrängt ist der Ängsten Politik gemacht. Flop mit dem Heilbronner Großversuch. Die Anhö- rung hat es vor einem Jahr bestätigt: Kurzfristige- Eva Bulling-Schröter (PDS): Der Antrag der Frak- Tempolimits nützen zur Ozonreduzierung nichts. Sie tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist einleuchtend, bringen keine Erfolge, die über die üblichen Meß- eindeutig und klar, wir unterstützen ihn vorbehalt- ungenauigkeiten hinausgehen. Sie wollen Tempo- los. limits nicht weil sie helfen, sondern weil sie leichter zu überwachen sind als Fahrverbote. Das ist Alibi Als vor einem Jahr die Ozonverordnung erlassen Politik, die die F.D.P. nicht mitmacht. wurde, kritisierten die Umweltverbände und die Op- position die Grenzwerte für die Vorwarnstufe von Das Ozon-Gesetz wird vor allem bei langen, schö- 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft und für das nen Wetterperioden zur Senkung der Ozonspitzen- Fahrverbot bei 240 Mikrogramm pro Kubikmeter konzentrationen beitragen. Nicht mehr aber auch Luft als völlig unzureichend - unzureichend wegen nicht weniger. Zentrales Anliegen der F.D.P. ist es, des von diesen Grenzwerten ausgehenden mangeln- solche Spitzenwerte gar nicht erst entstehen zu las- den Gesundheitsschutzes, unzureichend wegen der sen. Deshalb bleibt die F.D.P. bei Ihrer Forderung, zahllosen Ausnahmen und der absurden Meßverfah- daß die Grundbelastung mit Vorläufersubstanzen ge- ren, die den eigentlichen Sinn dieses Gesetzes völlig senkt werden muß. Dazu gehört nicht nur der Aus- durchlöchern. stoß von Stickstoffoxiden aus dem Straßenverkehr, Nun ist der Wissensstand ein anderer als vor einem sondern dazu gehören auch die flüchtigen Kohlen- Jahr. Die Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des wasserstoffe. Hier besteht noch ein großer Hand- bodennahen Ozons sind durch neue Gutachten wei- lungsbedarf. In der Industrie, im Gewerbe und im ter untersetzt. Ich möchte die Gutachten nicht noch Freizeitbereich müssen mehr lösemittelfreie oder zu- einmal im einzelnen erwähnen, meine Kollegin Gila mindest lösemittelarme Produkte eingesetzt werden. Altmann hat sie in ihrer Rede schon erläutert. Die Der Bundestag hat mit seiner Entschließung bei der Konsequenz kann nur lauten, die Sommersmogver- Verabschiedung des Ozon-Gesetzes darauf hinge- ordnung muß geändert werden. wiesen und die Bundesregierung schnellstens zur Vorlage von Vorschlägen gebeten. Daß der Bericht Für uns steht die Ursachenvermeidung für die Ent- noch nicht vorliegt, ist kein Zeichen von Untätigkeit. stehung des bodennahen Ozons im Mittelpunkt. Do rt 10292* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 steht an erster Stelle der Straßenverkehr. Wie im Unbestritten ist sicher, daß in der Bevölkerung ein Antrag erwähnt, stammen von ihm 80 Prozent kritisches Bewußtsein gegenüber den Risiken von der Vorläufersubstanzen bei Stickoxiden und über Technik gewachsen ist. Dies ist aber nicht automa- 55 Prozent bei den flüchtigen Kohlenwasserstoffen. tisch mit Technikfeindlichkeit gleichzusetzen. Vor- Während die Wuppertal-Studie „Zukunftsfähiges aussetzung für mehr Technikakzeptanz ist allerdings Deutschland" unter anderem fordert, bis zum Jahre eine umfassende Information der Öffentlichkeit, die 2005 die Emissionen dieser beiden Stoffgruppen auf transparent und objektiv Chancen und Risiken neuer 20 Prozent des heutigen Niveaus zu senken, arbeitet technologischer Entwicklungen aufzeigt. Wissen- die Politik der Bundesregierung offensichtlich daran, schaft, Wirtschaft und Politik stehen hier gleicherma- den entsprechenden Ausstoß zu erhöhen. ßen in der Verantwortung, aber auch den Medien Der Vergleich der Entwicklung des Straßengüter- kommt dabei eine Schlüsselfunktion zu. Angesichts der für den Nichtfachmann oftmals kaum zu über- verkehrs mit der des Schienengüterverkehrs zeigt blickenden Komplexität technischer Zusammen- dies deutlich. Während sich der Schienengüterver- hänge sind sachliche Information und objektive Be- kehr in den letzten sechs Jahren nahezu halbiert hat, richterstattung notwendige Voraussetzungen, um ist der Straßengüterfernverkehr im selben Zeitraum eine stärkere Aufgeschlossenheit gegenüber den um fast die gleiche Dimension, daß heißt um sage Chancen und Möglichkeiten der Technik zu errei- und schreibe 60 Milliarden Tonnenkilometer ge- chen. Dies gilt in besonderem Maße für den Schulbe- wachsen. Die Verkehrsleistungen auf den Straßen reich, wobei anzumerken ist, daß diejenigen Schüler- stiegen insgesamt um 50 Prozent. gruppen, die sich für ein natur- oder ingenieurwis- Alle seriösen Prognosen rechnen mit einem weite- senschaftliches Studium interessieren, in der Regel ren Anstieg des Güterverkehrs auf der Straße - zu eine positive Grundeinstellung zur Technik mitbrin- Lasten des Verkehrs auf der Schiene - und mit einem gen. erhöhten NOx- und VOC-Ausstoß, also einem Anstei- gen der Ozonwerte, als toxischer Folge. Mit dem in den letzten Jahren deutlichen Rück- gang der Immatrikulationen an Technischen Univer- Die Bahn wird trotzdem weiter demontiert. Nach sitäten wird ein Tatbestand angesprochen, dessen Angaben der Bundesregierung wurden seit 1994 weitere Entwicklung auch von der Bundesregierung mehr als 7 500 Weicheneinheiten und 1 140 Kilome- mit Sorge beobachtet wird. Dies gilt insbesondere für ter Betriebsgleise abgebaut. Tendenz steigend, denn die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studien- insgesamt sind 7 000 des heute noch 40 000 Kilome- gänge. Zur Verdeutlichung zunächst einige Daten ter umfassenden Eisenbahnnetzes unmittelbar von der aktuellen amtlichen Statistik: Demnach ist die Stillegung bedroht. Das System Flächenbahn steht Zahl der Studienanfänger in den Natur- und Inge- vor dem Aus. Die Autoindustrie und ihre Lobby wird nieurwissenschaften an den Hochschulen in der Bun- dank Wissmann und Dürr verkehrspolitische Freu- desrepublik Deutschland von 1992 bis 1995 um rd. denfeste feiern. 23,5 % (von rd. 107 600 auf 82 400) gesunken. In die- sem Zeitraum lag der Rückgang in den Ingenieurwis- Die Novellierung der Ozonverordnung kann nur senschaften mit rd. 25 % (von rd. 64 900 auf rd. ein dünnes gesundheitspolitisches Schutzschild sein. 48 800) höher als in den Naturwissenschaften mit rd. Notwendig ist darüber hinaus eine verkehrspoliti- 21 % (von rd. 42 700 auf rd. 33 600). Die Situation an sche Offensive in Richtung Schienenverkehr und einzelnen technisch orientierten Universitäten sieht ÖPNV. Aber wer will das schon? dabei durchaus unterschiedlich aus. Während an ei- nigen Standorten die Studienanfängerzahl um etwa ein Drittel, in einem Fall sogar um mehr als die Hälfte abgesunken war, erfolgte an anderen Standorten ein geringerer Rückgang, in wenigen Fällen sogar be- Anlage 6 reits eine gegenläufige Entwicklung. Zu berücksich- tigen ist auch, daß an vielen Hochschulen durch die Antwort sinkenden Studienanfängerzahlen auch Überaus- lastungen abgebaut wurden. der Parl. Staatssekretärin Cornelia Yzer auf die Frage des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Erklärungsansätze für den Rückgang der Studien- (Drucksache 13/4908 Frage 46): anfängerzahlen in den Natur- und Ingenieurwissen- Was unternimmt die Bundesregierung gegen den nicht zuletzt schaften müssen dabei unterschiedliche Einflußfak- aus einer immer stärker zu beobachtenden Technikfeindlichkeit toren einbeziehen: in Schule und Gesellschaft resultierenden, dramatischen Rück- gang der Immatrikulationen an den Technischen Universitäten? - So ist der o. g. Rückgang der Studienanfängerzah- len 1992 bis 1995 auch vor dem Hintergrund der Zu der Frage einer generellen Technikfeindlich- demographischen Entwicklung in diesem Zeit- keit in Schule und Gesellschaft gibt es in einschlägi- raum zu sehen. Dieser beträgt rd. 9 %. Gleichwohl gen Studien der Bildungsforschung keine eindeu- sind die natur- und ingenieurwissenschaftlichen tigen Belege. Dies ergibt z. B. die Auswertung der Studiengänge mit rd. 23,5 % deutlich überpropor- tional betroffen. CD-ROM „Bildungsforschung" des Fachinforma- tionssystems Bildung zum Stichwort ,,Technikfeind- - Als traditionell besonders konjunkturabhängige lichkeit" aus den letzten acht Jahren. In dieser Hin- Fächer haben sich die in den letzten Jahren relativ sicht gleichermaßen unergiebig sind die großen Ju- plötzlich und deutlich verschlechterten Arbeits- genduntersuchungen oder -befragungen, z. B. von marktchancen der Absolventen entsprechend ne- SINUS und SHELL. gativ auf das Studienwahlverhalten ausgewirkt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996 10293*

Die gegenwärtige Situation ist dabei kein neues - Gesetz zur Änderung des AGB-Gesetzes und der Phänomen. Durch marktwirtschaftliche Konjunk- Insolvenzordnung turverläufe bedingte Schwankungen der Studien- anfängerzahlen wie auch der - durch lange Stu- - Markenrechtsänderungsgesetz 1996 dienzeiten zeitverzögerten - Absolventenzahlen - Allgemeines Magnetschwebebahngesetz (AMbG) hat es auch in der Vergangenheit gerade auch im Ingenieurbereich wiederholt gegeben. - Gesetz zu der Vereinbarung vom 21. Juni 1994 über die Satzung der Europäischen Schulen - Allerdings ist auch zu fragen, inwiefern sich hier neben den konjunkturabhängigen Schwankungen - Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen zusätzlich grundlegendere und langfristige Struk- vom 24. November 1983 über die Entschädigung turveränderungen der Wirtschaft im Rahmen von für Opfer von Gewalttaten Globalisierungsstrategien und Kostenreduzierun- - Gesetz zu den Protokollen Nr. 1 und Nr. 2 vom gen im Produktions- und Personalbereich auswir- 4. November 1993 zu dem Europäischen Über- ken. einkommen zur Verhütung von Folter und un- Den veränderten Anforderungen des Arbeitsmark- menschlicher oder erniedrigender Behandlung tes an die Qualifikationen der Absolventen natur- und oder Strafe ingenieurwissenschaftlicher Fachrichtungen entspre- - Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Mai 1995 zwi- chend, sind weitere inhaltliche und strukturelle An- schen der Regierung der Bundesrepublik passungen der jeweiligen Studiengänge notwendig. Deutschland und der Regierung der Volksrepu- Dies gilt insbesondere für die nicht-technischen Qua- blik China über den Seeverkehr lifikationsanforderungen im Bereich von Kommunika- tions- und Sozialkompetenzen. Angesichts der kurzen - Gesetz zu dem Abkommen vom 10. Mai 1995 zwi- Innovationszyklen des Wissens gerade im techni- schen der Regierung der Bundesrepublik schen Bereich ist auch eine deutlichere Aufteilung Deutschland und der Regierung der Republik zwischen grundständigen Studienangeboten und ent- Bosnien und Herzegowina über den Luftverkehr sprechenden Weiterbildungsangeboten erforderlich. - Gesetz zu dem Abkommen vom 10. November Die erforderliche Neuorientierung der Ausbildung 1993 zwischen der Bundesrepublik Deutschland an den Hochschulen wird vom Bundesministerium und der Republik Malediven über den Luftver- für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technolo- kehr gie (BMBF) im Einklang mit den Zielsetzungen der - Gesetz zu dem Abkommen vom 9. September Hochschulstrukturreform nachhaltig gefordert. Für 1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland die aus Sicht des BMBF unbefriedigende und schlep- und Malta über den Luftverkehr pende Umsetzung dieser Zielvorstellungen stehen al- lerdings in erster Linie die zuständigen Länder sowie - Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Abgeord- die Hochschulen in der Verantwortung. netengesetzes und Siebzehntes Gesetz zur Ände- rung des Europaabgeordnetengesetzes Angesichts der gegenwärtig allein im Ingenieurbe- reich mit rd. 40 000 sehr hohen Arbeitslosenzahl - dar- - Gesetz zur Feststellung des Bedarfs von Magnet- unter im übrigen eine beträchtliche Zahl junger Inge- schwebebahnen nieure unter 35 Jahren und Berufsanfänger - müssen (Magnetschwebebahnbedarfsgesetz - MsbG) auch die Unternehmen und Betriebe ihr Einstellungs-- Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat verhalten, ihre Angebote und ihre Beteiligung am Qua- folgende Entschließung gefaßt: lifikationserhalt, an Weiterbildung und Teilzeit über- Die Bundesregierung wird aufgefordert sicherzustellen, denken. Ausgehend vom Deutschen Ingenieurtag des letzten Jahres in Saarbrücken hat Bundesminister - daß der Bau der Transrapidstrecke Berlin-Hamburg Dr. Rüttgers daher eine Initiative zum ,, Ingenieurdia- nicht zu Kürzungen oder zur zeitlichen Streckung von Projekten nach dem Bundesschienenwegeausbau- log" mit den hier Verantwortlichen aus Wirtschaft, gesetz führt und Hochschulen und Ländern ergriffen. Erste Ergebnisse - daß Investitionsausgaben für den Bau des Fahrwegs des Ingenieurdialogs wird Bundesminister Dr. Rüttgers der Magnetschwebebahn nach Maßgabe des Magnet- noch in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorstellen. schwebebahnbedarfsgesetzes vom Bund nur im Rah- men der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel finanziert werden. Die Bundesregierung wird des weiteren aufgefordert, da- für Sorge zu tragen, daß Kosten des Bet riebs der Magnet- Anlage 7 schwebebahn Berlin-Hamburg nicht aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Amtliche Mitteilungen Begründung: Der Bundesrat hat in seiner 698. Sitzung am Mit seiner Entschließung verdeutlicht der Bundesrat - 14. Juni 1996 beschlossen, den nachstehenden Ge- unabhängig von der Haltung einzelner Länder zur Refe- setzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Arti- renzstrecke der Magnetschwebebahn - seine Auff as kel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: sung, daß angesichts der bislang nicht abschließend geklärten Finanzierungsfragen Absicherungen notwen- - dig sind. Sowohl im Interesse der Gleichstellung mit an- Gesetz zur Änderung von Erstattungsvorschriften deren Verkehrsträgern als auch im Hinblick auf die Inve- im sozialen Entschädigungsrecht (ErstÄG) stitions- und Folgekosten des Projekts selbst hält der Bundesrat die Wahrung des Vorrangs der Projekte nach - Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergeset- dem Bundesschienenwegeausbaugesetz und den Haus- zen und des EG-Amtshilfe-Gesetzes haltsvorbehalt für erforderlich. 10294* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 114. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Juni 1996

Angesichts der neuen Finanzierungsform, die gesetzlich Innenausschuß nicht geregelt ist, bedarf es nach Ansicht des Bundes- rates zusätzlich der Klarstellung, daß die Betriebslasten Drucksache 13/4466 Nr. 2.12 des Transrapid nicht aus öffentlichen Mitteln zu finan- Drucksache 13/4466 Nr. 2.52 zieren sind. Eine derartige Finanzierung von Betriebsko- Drucksache 13/4466 Nr. 2.59 sten bedeutet zudem eine Wettbewerbsverzerrung, die Drucksache 13/4514 Nr. 1.3 insbesondere den Fernverkehr der Bahn schlechter stel- Drucksache 13/4514 Nr. 2.33 len würde. Finanzausschuß Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom Drucksache 13/4514 Nr. 1.2 19. Juni 1996 ihren Antrag „Zügige Auszahlung der Drucksache 13/4514 Nr. 2.28 Kapitalentschädigung für ehemalige politische Häft- Ausschuß für Wirtschaft linge in den fünf neuen Bundesländern" - Druck- sache 13/299 - und ihren Antrag „Unzulässige Ver- Drucksache 13/3668 Nr. 1.1 Drucksache 13/3668 Nr. 1.2 schärfung des Schwangeren- und Familienhilfeän- Drucksache 13/3668 Nr. 1.3 derungsgesetzes des Bundes vom 21. August 1995 Drucksache 13/3668 Nr. 1.9 durch das Bayerische Schwangerenberatungsgesetz Drucksache 13/3668 Nr. 1.15 und das Bayerische Schwangerenhilfeergänzungs- Drucksache 13/3668 Nr. 1.16 gesetz" - Drucksache 13/4827 - zurückgezogen. Drucksache 13/3668 Nr. 1.17 Drucksache 13/3668 Nr. 1.18 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Drucksache 13/3668 Nr. 1.22 Drucksache 13/3668 Nr. 1.23 Schreiben vom 14. Juni 1996 ihren Antrag „Einlö- Drucksache 13/3668 Nr. 2.6 sung der Versprechen von Rio auf der VN-Kon- Drucksache 13/3668 Nr. 2.9 ferenz Habitat II in Istanbul" - Drucksache 13/4616 - Drucksache 13/3668 Nr. 2.10 zurückgezogen. Drucksache 13/3668 Nr. 2.18 Drucksache 13/3668 Nr. 2.21 Der Vorsitzende des Innenausschusses hat mitge- Drucksache 13/3668 Nr. 2.23 teilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Drucksache 13/3668 Nr. 2.26 Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu Drucksache 13/3668 Nr. 2.27 Drucksache 13/3668 Nr. 2.41 den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 13/3668 Nr. 2.42 1. Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 13/3668 Nr. 2.45 Drucksache 13/3668 Nr. 2.56 Förderung von Teilzeitbeschäftigung bei den Bun- Drucksache 13/3668 Nr. 2.57 desressorts Drucksache 13/3668 Nr. 2.64 - Drucksachen 12/6868, 13/725 Nr. 16 - Drucksache 13/3668 Nr. 2.67 Drucksache 13/3668 Nr. 2.68 2. Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 13/3668 Nr. 2.69 Bericht der Bundesregierung über das Prgramm zur Drucksache 13/3668 Nr. 2.70 Schaffung zusätzlicher Teilzeitarbeitsplätze im öf- Drucksache 13/3668 Nr. 2.73 fentlichen Dienst Drucksache 13/3790 Nr. 2.11 Drucksache 13/4137 Nr. 2.28 - Drucksachen 12/6936, 13/725 Nr. 17 - Drucksache 13/4466 Nr. 2.37 3. Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 13/4514 Nr. 2.31 Bericht der Bundesregierung zu Punkt 16 „Mehr Ausschuß für Verkehr Teilzeitarbeit" des Aktionsprogramms für mehr Drucksache 13/3938 Nr. 2.9 Wachstum und Beschäftigung - Drucksachen 12/6983, 13/725 Nr. 18 - Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Drucksache 13/2988 Nr. 1.2 Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäi- Ausschuß für die Angelegenheiten der sche Parlament zur Kenntnis genommen oder von ei- Europäischen Union ner Beratung abgesehen hat. Drucksache 13/3938 Nr. 1.2