SPD – 07. WP Fraktionssitzung: 25. 11. 1975 (Tonbandtranskript)

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25. November 1975: Fraktionssitzung (Tonbandtranskript)

AdsD, SPD-BT-Fraktion 7. WP, 6/TONS000045. Titel: »Fraktionssitzung vom 25. 11. 1975.« Beginn: 15.00 Uhr. Dauer: 03:21:40. Vorsitz: Wehner.

Sitzungsverlauf: A. TOP 1: Politische Berichte: Bericht des SPD-Parteivorsitzenden Brandt (Parteitag in Mannheim; Fachtagungen für Gesundheits- und Familienpolitik; Beschäftigungspolitik; innere Sicherheit; Kritik der CDU/CSU an Äußerungen Brandts, die Politik der Union stelle ein Sicherheitsrisiko dar; Sozialistische Internationale; Lage in Portugal; Lage in Spanien). – Bericht des Bundeskanzlers (G6-Gipfelkonferenz in Rambouillet; Lage der Weltwirtschaft; Diskussionsveranstaltung des BdI zur Steuerpolitik; Lage in Spanien). – Aussprache der Fraktion über den Bericht des Bundeskanzlers. B. TOP 2: Bericht aus der Fraktionsvorstandssitzung (Haushaltsstrukturgesetz; Ratifikati- on des Sozialrentenabkommens mit Polen; Rechtsstellung der Abgeordneten und Rege- lung der Diäten; weitere Behandlung des Pressefusionsgesetzes; Parlamentariergruppen). – TOP 3: Informationen (Radikalenerlass; Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit chilenischen Geheimdiensten; Deutscher Bildungsrat; Umfrage der Georg-August- Universität; mangelnde Information der Fraktion bei interfraktionellem Antrag zum Haushaltsstrukturgesetz). C. TOP 4: Aktuelles aus den Arbeitskreisen (Bildung einer Gruppe für Menschenrechtsfra- gen in der Fraktion; Gesetzentwurf Wohnbesitz- und Eigentumsförderung im Vermitt- lungsausschuss). D. Vorbereitung der Plenarsitzungen: TOP 5: Tagesordnung und Ablauf der Plenarsitzun- gen. – TOP 6: 2. Beratung Abkommen der Bundesrepublik – Polen. – TOP 7: 2. und 3. Beratung Abgabenordnung. – TOP 8: 2. und 3. Beratung Flurbereinigungsgesetz. – TOP 9: Ausschussbericht betr. Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. – TOP 10: CDU/CSU-Entwurf Beruf des Logopäden. – TOP 11: Ausschussbericht betr. Rauschmittel- und Drogenmissbrauch. – TOP 12: CDU/CSU-Antrag betr. Mindestmo- torleistung für LKW. – TOP 13: CDU/CSU-Antrag betr. Deutsche Bundesbahn. –TOP 14: Große Anfrage betr. Entwicklungspolitik, Zweiter Bericht der Bundesregierung zur Entwicklungspolitik und zweite Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzepti- on. – TOP 15: Einsetzung eines Sonderausschusses (Art. 48 Grundgesetz; Diätenre- form). E. Sonstiges: TOP 16: Direktwahl Europäisches Parlament. – TOP 17: Nächste Termine. – Verschiedenes.

[A.] Wehner: Die Sitzung ist eröffnet. Gestern ist einer unserer Kollegen verstorben: Fried- rich Beermann, der dem Bundestag und der Fraktion seit 1969 angehört hat. Friedrich Beermann war viele Jahre Wissenschaftlicher Assistent der Fraktion in einer Zeit und in unmittelbarer Berührung mit Problemen, die für die Sozialdemokraten nicht leicht lösbar waren. Er war in dieser Zeit ein gewissenhafter Berater in allen Fragen, die die Sicherheit des Landes, die Verteidigungsfähigkeit und die Bündnisfähigkeit angehen und er war das nicht, weil er von Berufs wegen in diesem Bereich ganz hervorragende und bedeutende Kenntnisse hatte. Er war das zugleich, weil in ihm das Erlebnis des Zweiten Weltkrieges und dessen, was dem vorausgegangen war in unserem Lande, zu ganz brennenden Bemühungen, es nie wieder zu einem Riss, zu einer Kluft, zu einem

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Gegeneinander des Volkes, wesentlicher Teile des Volkes – der Sozialdemokraten im Besonderen – zu den bewaffneten Streitkräften kommen sollte. Wobei seine Bemühun- gen ebenso dem galten, was zu diesem Zweck, wenn man das Wort so gebrauchen darf, in der Struktur und im Geiste der Streitkräfte zu entwickeln notwendig war als auch in einem Aufeinanderzugehen von SPD und denjenigen in den Streitkräften, die ähnlich wie er aus dem Zweiten Weltkrieg und dem, was ihm bei uns vorausgegangen ist, nicht nur Wunden, sondern Vorsätze mitgebracht hatten. Friedrich Beermann hat auch als Soldat, als stellvertretender Kommandeur der 3. Pan- zerdivision, von ’65 bis ’68 als Militärattaché in New Delhi, als Oberst im Generalstab und im Stab des deutschen militärischen Vertreters in Washington Dienste geleistet und er war von ’68 bis er in den Bundestag gewählt wurde, Brigadegeneral, deutscher Be- vollmächtigter Nord. Die, die ihn näher kennengelernt haben, wissen um die Nöte, an denen er litt und auch um die Krankheiten, die ihn bedrückten und denen er schließlich zum Opfer gefallen ist. Wir werden seiner ein ehrendes Andenken bewahren. Danke. Einer unserer Kollegen aus dem 1. und 2. Bundestag, Otto Danneboom aus Dortmund, Bergmann, Betriebsrat, Sozialbeauftragter, ist am 5. dieses Monats gestorben. Ich habe seiner Witwe und Familie das Beileid der Fraktion, wahrscheinlich nicht nur im Namen derer, die mit ihm in dieser Zeit hier, sondern auch später in seinen Tätigkeiten im Re- vier in Berührung geblieben oder in Berührung gekommen sind. Am 9. November hat 50. Geburtstag begangen. (Starker Beifall.) Das war mitten in der Arbeit, in dem schon in Gestalt des Gewerkschaftsrats und dann der anderen Parteikörperschaften angehenden Parteitag. Wir haben ihm, soweit sich das symbolisch machen lässt, nicht nur Glück gewünscht, sondern bei der Gelegenheit auch gedankt. Ich habe gehört, dass heute nach längerer Abwesenheit unsere Genossin Elisabeth Orth wieder unter uns ist und wieder genesen. (Beifall.) Und bevor ich nun, Genossinnen und Genossen, die Tagesordnung aufrufe, liegt mir daran, zu einem Erguss des Giftmischers vom Dienst bei der Fraktion der CDU/CSU – Reddemann, wer denn sonst –, der heute als Pressedienst der CDU/CSU verbreitet wird, ganz kurz etwas zu sagen. Nicht weil Reddemann so viel Wert wäre, sondern ich möchte sagen, dass sich Reddemann zu reiben bemüht an Erklärungen, die gegeben und zu denen er auch schriftliche Unterlagen an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages hat versenden lassen, möchte ich sagen, wer die Erklärungen Willy Brandts gelesen hat und wer die auf vergiftende Wirkungen berechneten Erfin- dungen des Mischers vom Dienst der Fraktion der CDU/CSU Reddemann dagegen- hält, wird mit mir nach einem alten Wort sagen: niedriger hängen – ich meine das Pam- phlet, nicht den Mann. (Heiterkeit.) Offensichtlich haben die Erklärungen von Willy Brandt einen kranken Nerv getroffen. Zur Tagesordnung, Genossen. (Beifall.) Die Tagesordnung liegt vor. Änderungswünsche gibt’s nicht. Dann bitte ich Willy Brandt, das Wort zu nehmen, unter Politische Berichte. Brandt (Berlin): Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben den Parteitag in Mann- heim hinter uns. Ein beträchtlicher Teil der Fraktionskollegen hat in der einen oder anderen Eigenschaft am Parteitag teilgenommen. Ich glaube, es ist trotzdem richtig, in

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der ersten Fraktionssitzung einige Bemerkungen zu machen, die sich auf eine Wertung des Parteitages beziehen. Wir können ohne zu übertreiben sagen, der Parteitag in Mannheim – und das wird ihn kennzeichnen für eine ganze Weile –, der hat sich her- ausgehoben durch das Maß an Geschlossenheit, das die Partei zum wesentlichen Teil als Ergebnis harter Diskussionen zustande gebracht hat und gestützt auf Erfahrungen zustande gebracht hat seit dem vorigen Parteitag. Und Mannheim hat, neben den Ar- beitsergebnissen, zu denen ich gleich ein paar Bemerkungen mache, auch gezeigt, dass wir uns nicht jagen lassen, sondern dass wir aus sind auf eine selbstbewusste Auseinan- dersetzung mit dem politischen Gegner. Die Partei hat gezeigt, dass und die Bundesregierung, unsere Genossen in der Bundesregierung, aber auch die Ko- alition bei allen verständlichen sachlichen Diskussionen, die es da auch immer wieder geben wird, aber dass unsere Genossen in der Regierung und die Regierung insgesamt vertrauensvoll getragen werden, zumal was die Wirtschaftspolitik und die Außenpolitik angeht. Und der Parteitag – ich bitte das hier noch mal deutlich machen zu dürfen – hat der Fraktion sehr viel Vertrauen entgegengebracht, ihr nicht nur für die weitere Arbeit auf den Gebieten, die in dieser Legislaturperiode noch abzuhandeln sind, den Rücken gestärkt, sondern zu den Fragen, um die es ging, gesagt: Wir formulieren hier bestimm- te sozialdemokratische Ziele, wir setzen uns nicht als Parteitag anstelle der Bundestags- fraktion, sondern vertrauen darauf, nehmt das Beispiel der Mitbestimmung. Die Auf- fassung der Partei ist noch mal ganz eindeutig in Verbindung mit dem Orientierungs- rahmen dargelegt worden, und gleichzeitig hat der Parteitag mit großer Mehrheit ge- sagt, bei Respekt derer, die das anders gesehen haben, wir verlassen uns drauf, dass diese Bundestagsfraktion und diese Koalition das jetzt Mögliche machen und das gilt auch für die anderen Gebiete, die in der Mache sind, ob es Berufsbildung oder der nächste Schritt auf dem Weg zur Bodenreform ist. Es gilt auch, liebe Genossen, für ein so diffiziles Gebiet, nicht so viele betreffend, trotzdem nicht uninteressant und schon gar nicht unwichtig für manche, mit denen zusammen wir wieder einen Wahlkampf führen müssen, ein Thema, das uns hier neulich einmal lange beschäftigt hat, Stichwort

130 a, wo der Parteitag vertrauensvoll gesagt, er geht davon aus, dass die Bundestags- fraktion selbst und in Verbindung mit dem Koalitionspartner sich dieses Themas noch einmal unter Würdigung der hier und auch dort vorgebrachten Argumente annimmt. Ich habe dieses Aufeinanderzugehen und auch dieses Respektieren dessen, wofür die eine und die andere große Gliederung jeweils zuständig sind, das habe ich auch für einen der Vorteile des Mannheimer Parteitages gehalten. Es gehört jetzt dazu, dass wir den Orientierungsrahmen, der ja nicht schlechter geworden ist durch die Diskussion, auch auf dem Parteitag selbst ja noch die eine oder andere zusätzliche Klärung erfahren hat, dass wir den bald in seiner neuen Form – ich denke auch in einer etwas verkürzten populären, vielleicht sogar ein bisschen illustrierten Form – parat haben. Das muss alles rasch geschehen, denn was wir bis Ostern nicht umgesetzt haben, vom Beginn des Jah- res bis Ostern nicht umgesetzt haben vom Parteitag ausgehend, das kommt uns in die Quere schon im Vorwahlkampf und wir wollen ja dann den außerordentlichen Partei- tag machen Mitte Juni in Dortmund, sind uns mit den Genossen in der Regierung übri- gens auch einig, dass wir davon ausgehen, ob die diversen Schriften – ob auf Hochglanz oder nicht – dass die bis zur Sommerpause auf dem Markt gewesen sein müssen. Denn sonst passiert, was in dem einen oder anderen Landtagswahlkampf schon passiert ist, dass dann in der Schlussrunde sich das Material häuft und gar nicht mehr so das Publi- kum erreichen kann, wie es wünschenswert wäre. Mannheim wird übrigens in der Rei- he der Parteitage auch erwähnt werden – ich weiß, es gibt andere wichtige Themen –, aber auch deswegen, weil das kommunalpolitische Grundsatzprogramm, ein kommu-

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nalpolitisches Grundsatzprogramm zum ersten Mal in der langen Geschichte der Partei durch einen Bundesparteitag verabschiedet wurde. Ich darf, liebe Genossen, für zwei Vorhaben, die in Mannheim aus guten Gründen nicht auf die Schnelle behandelt und verabschiedet werden konnten, ganz eindringlich und herzlich um die Mithilfe der Fraktion in den nächsten Monaten bitten. Es geht einmal darum, dass im Frühjahr die Gesundheitspolitik auf einer Fachtagung, deren Charakter noch im Einzelnen festgelegt werden muss, ein bisschen mehr Façon gewin- nen muss und hinzukommt zu den Leitsätzen, die wir verabschiedet haben, und das wichtige Gebiet der Familienpolitik, die ja doch im Grunde aus unserer Sicht weithin Politik für die Kinder zu sein hat in einer Gesellschaft, in der immer mehr Frauen in das Berufsleben hineingehen. Auf beiden Gebieten haben wir Fachtagungen vor uns und das kann die Partei einfach nicht schaffen, wenn nicht außer dem Sachverstand der Regierung hier die Bundestagsfraktion ganz stark mit einsteigt. Deshalb die Bitte, ich weiß es zu schätzen, dass der Fraktionsvorsitzende selbst dies auch schon in einem Artikel, der, glaube ich, noch nicht auf dem Markt ist, aber den der eine oder andere von uns schon kennt, für die »Neue Gesellschaft« diese beiden Themen wohl auch aus derselben Sicht, dass auf die Fraktion selbst hier einiges zukommt, herausgestellt hat. Ich glaube, für die Einstimmung auf die Thematik des nächsten Jahres sind zwei Dinge von besonderer Bedeutung. Das eine ist, dass wir hier in einem gewissen gedanklichen Gleichklang mit unseren schwäbischen Genossen gesagt haben miteinander, die wir Verantwortung tragen verschiedenster Art, wir gehen davon aus, auch wenn das Ziel zeitweilig nicht voll erreicht werden kann, dass wir uns zu dem Interesse der Menschen daran, ihrem Bedürfnis danach, arbeiten zu können, dass wir uns dazu so verhalten, als handele es sich um eine Art von Grundrecht der Menschen, um eine Art von sozialem Grundrecht der Menschen. Und wenn ich das hinzufügen darf, ich bin ganz froh, dass der Bundeswirtschaftsminister – der nicht unserer Partei angehört – in einem Fernseh- kommentar, den ich übers Wochenende gehört habe, auch aus seiner Sicht die vorran- gige Bedeutung der Beschäftigungspolitik anerkannt hat. Da kann man immer dann noch unterschiedlicher Meinung sein unter uns und mit anderen, wie man dem Ziel näherkommt, aber es ist ganz wichtig, dass dies – wie es so schön heißt – nicht gegen gesetzt wird. Und das Zweite, was in Mannheim auch klar war und fürs nächste Jahr eine große Be- deutung haben wird, das ist, dass der Komplex der Sicherheit im Innern und nach au- ßen und dabei auch das Thema der Liberalität und der geistigen Freiheit bei Sozialde- mokraten verwaltet werden, mindestens so gut wie bei irgendjemand sonst in diesem Land. Mannheim hat ein starkes, überwiegend gutes Echo gehabt. Was ich aus der Par- tei höre in den zehn Tagen, die jetzt hinter uns liegen, Briefe, Anrufe, manches Ge- spräch, ist gar nicht so schlecht. Da kann man aber hie und da noch etwas nachhelfen. Die eigentliche Konstituierung des neuen Parteivorstandes kann erst am 8. Dezember stattfinden in Berlin. Wir sind aber bis dahin natürlich auch nicht untätig. Ich kann nach dem gestrigen Vorsitzendengespräch schon mitteilen, dass der neue stellvertreten- de Vorsitzende sich insbesondere aufgrund unserer internen Arbeits- verteilung um die Landes- und um die Kommunalpolitik kümmern wird. Er wird auch anderes übernehmen, aber ich begrüße dies sehr, denn wir müssen immer daran den- ken, die SPD ist auch eine Kommunalpartei. Und grade in einer Zeit, in der wir finanzi- ell nicht so viel zu bieten haben, wie mancher wünschte, dass wir es bieten könnten, ist es umso wichtiger, dass wir versuchen, die Probleme und die Sorgen und Nöte der Kommunalpolitik auch dort, wo man von der Spitze redet, stark genug repräsentiert zu sehen.

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Nun, liebe Genossen, eine Bemerkung zu dem, was hier schon durch eine Replik hat anklingen lassen. Ich denke, ich sollte aus meiner Sicht ein paar Worte dazu sagen. Ich könnte mir das ganz einfach machen und sagen, ich bin ja nicht ohne Bestätigung und eindeutige aus Mannheim wieder nach Hause gefahren und der Partei- tag hat mich ja gewählt, nachdem er gehört hat, was ich zu sagen habe, nämlich genau das, was jetzt beanstandet wird. Aber das wäre ein bisschen billig, ein bisschen formali- stische Argumentation. Deshalb, liebe Genossen, lag mir so sehr daran, dass nicht nur jeder hier von euch, sondern jeder Kollege im Deutschen Bundestag, was man sonst auch von ihm halten mag, den wirklichen unkorrigierten, ungeschminkten Text dessen erhält, was in meiner Rede an jenem Dienstag – also in dem Rechenschaftsbericht – und ergänzend dazu in meiner Abschlussrede gesagt worden ist. Und ich bin Holger Börner dankbar dafür, dass er es übernommen hat, dies allen Kollegen des Bundestages in die Hand zu geben. Ich erwarte nicht, dass Kollegen in der Union daraufhin sagen, das war eine gute Rede. Aber ich erwarte, dass ein paar Dutzend – wenn sie den Text sich an- gucken – sagen, hier ist doch in den letzten Tagen am Thema vorbeigeredet worden. Genau das ist ja passiert. Wer sich die Berichterstattung angeguckt hat, der weiß ja, dass zunächst dies gar kein Dollpunkt war, es ist aus ihm einer gemacht worden. Wäre der nicht drin gewesen, wäre es der deutschnationale Klüngel gewesen, den man jetzt unbe- anstandet hat durchgehen lassen. Wäre es der nicht gewesen, dann die Feststellung, dass die CDU, so wie sie jetzt ist, nicht regierungsfähig ist. Das habe ich im Frühjahr gesagt in Recklinghausen. Da jaulten die furchtbar auf und auch hier und da einige der einäu- gigen Kommentatoren, unerhört, darf man einer anderen Partei nicht sagen. Jetzt steht das auch drin bei mir, bei Helmut, bei anderen und jetzt sagen dieselben Kommentato- ren: Ja wenn der bloß gesagt hätte, dass die nicht regierungsfähig sind, darüber lässt sich ja reden. Jetzt sagt der sogar, deren Politik könne zu einem Risiko werden. Das habe ich in der Tat gesagt und davon habe ich nichts zurückzunehmen, sondern das, was sich –, (Starker Beifall.) sondern das, was sich seit Mannheim abgespielt hat, bestärkt mich insofern in meinen Befürchtungen, in meiner Sorge – ich habe doch aus Sorge gesprochen an die Adresse der CDU und ihres Vorsitzenden Kohl, ob er auf dem Weg bleiben will, den sein Riva- le, der CSU-Vorsitzende Strauß, beschritten hat. Und was ist seitdem passiert? Die haben zwar eine gebildet, die nennen sie Führungsmannschaft und die ist dazu da, dass Kohl geführt wird. (Heiterkeit. Beifall.) Und zwar wird der geführt von einem Gremium, in dem Strauß fünf von zehn Plätzen besetzt hat. Fünf Strauß-Anhänger sitzen in dem Gremium, (Zwischenruf Wehner: Parität, Parität!) (Heiterkeit.) um Kohl zu führen. Liebe Genossen, worum es in der Sache geht, brauche ich euch nicht noch mal zu erklären. Das steht auch in den Texten drin. Die Sorge, dass durch das Krisengerede Sonthofen, allem, was dran ist, der innere Frieden gefährdet wird, dass durch Isolierung nach außen die Sicherheit der Bundesrepublik gefährdet werden kann. Und jetzt haben die Folgendes gemacht, die haben den Begriff – Sicherheitsrisiko heißt ja Risiko für unsere Sicherheit –, die sind aber schon offensichtlich so amerikani- siert, wie überhaupt die Amerikanisierung weit um sich greift, dass die herausgehört haben, ich hätte Security Risk gesagt. Jeder, der die Rede liest weiß, dass das ein Ablen- ken ist vom eigentlichen Thema, und ich hoffe, dass sich auch bei uns nicht Kleinmüti-

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ge und Überängstliche durch das beeindrucken lassen, was da in den letzten Tagen im Gange war. Das wird auch schon wieder sich umdrehen in den nächsten Tagen und wer dann noch was hat, dem soll man sagen: nachlesen! Das ist allerdings nötig. Wir sollten Erfahrungen vermitteln. Ich war am Samstagabend mit einem Kreis von Freunden zu- sammen, die uns in Wählerinitiativen geholfen haben und jetzt wieder für Baden- Württemberg was tun wollen, und da war kein Einziger dabei, der den Text kannte verständlicherweise. Und es gab nun mehrere, die sagten, ja, war denn das nötig, dass du da oder Sie einfach sagen, Sicherheitsrisiko, als ob die jetzt ein bisschen näher von der Staatsanwaltschaft unter die Lupe genommen werden müssen. Und als man ihnen den Text gegeben hat, haben sie gesagt, ja wenn das so ist, dann sieht das anders aus. Liebe Genossen, ich will dem nur noch Folgendes hinzufügen, wenn ich das in allem Freimut tun darf. Unterstellen wir mal, der Parteivorsitzende hätte eine Formulierung noch eine Kleinigkeit besser absichern können gegen Missdeutungen, unterstellen wir mal, dies wäre so, dann bin ich der Meinung, so halte ich es jedenfalls mit anderen, dass es auch dann die erste Hauptaufgabe ist, nicht in Gesprächen mit Journalisten den Ein- druck zu erwecken, der hat Mist gebaut, sondern das, was in der Sache gemeint ist, mit zu erklären. (Starker Beifall.) Und ich habe Grund, das so zu sagen. Im Übrigen wollen die jetzt daraus was anderes machen. Ich frage die Fraktion mal, ob sie noch in Erinnerung hat, was in Sonthofen auf diese Fraktion bezogen gesagt war. Dann möchte ich wissen, wörtlich, wie viele Sympathisanten der Baader-Meinhof-Verbrecher in der SPD- und FDP-Fraktion in Bonn drinsitzen. Es ist ein ganzer Haufen. Ich habe hier für diejenigen, die solcher Stützung bedürftig sind, eine ganze Mappe von dem Windelen1 mit der ausdrücklichen Bestätigung des bösen Adenauer-Zitats – er sagt, das sei ja richtig gewesen – bis hin zu Carstens2, der sagt, er vertrete die einzige Partei hier, die wirklich auf dem Boden der freiheitlichen Ordnung stehe. Das ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich habe einen ganzen Packen da. Ich sage das übrigens nicht der Rechtfertigung wegen, sondern weil ich mich wundere auch bei manchen, die uns kommentierend begleiten, welche unter- schiedlichen Maßstäbe angelegt werden. Das muss aber nicht unschmeichelhaft sein, sage ich dann gleich hinzu, dass nicht die gleichen Maßstäbe immer angelegt werden. Das weiß ich auch. Jedenfalls ist klar, die Union ist getroffen. Als Ablenkungsmanöver versucht sie eine persönliche Diffamierung. Das Muster kennen wir. Man setzt sich nicht mit dem Sachvorwurf auseinander, sondern attackiert die Person, hier mithilfe von Legenden über die Spionageaffäre, mit denen ich mich nicht auseinandersetzen kann oder will; und deshalb sage ich, nicht kleinmütig abwiegeln, sondern, dazu muss man ja nicht, jeder hat nicht die gleiche Sprache, aber in der Sache auch zuhause das erklären, dafür sind die Texte noch mal zur Verfügung gestellt worden und die Union zu zwingen, sich zur Sache zu äußern. Noch eine Bemerkung was Mannheim angeht, liebe Genossen, über unsere internatio- nalen Beziehungen. Es war der Parteitag mit der größten ausländischen Beteiligung in der langen Geschichte unserer Partei. Wir hatten an einem Abend – Helmut und ich, die anderen, die dabei waren – im Mannheimer Schloss Vertreter von 38 befreundeten Parteien aus verschiedenen Teilen der Welt beisammen, haben ein erstes Gespräch mit ihnen führen können auch über den Rahmen der Sozialistischen Internationale hinaus.

1 MdB-CDU, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 2 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Oppositionsführer.

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Ich möchte, dass die Fraktion dies richtig einordnet. Wir machen erstens sozialdemo- kratische Europapolitik mit den Parteien im Bund der Sozialdemokratischen Parteien der Gemeinschaft und, wo immer es geht, auch mit denen um die Gemeinschaft herum sich gruppierenden. Dann ändert sich nichts an unserer loyalen Arbeit in der Sozialisti- schen Internationale, wenn auch diese sich leider in einem nicht guten Zustand befin- det. Aber wir wollen mithelfen, den zu überwinden. Drittens reicht dies aber nicht aus, weil die Internationale aus vielerlei Gründen für noch geraume Zeit nicht der Partner wird sein können ausreichend für Parteien in Mittelamerika, in Afrika, in Asien. Da wollen wir unsere guten Dienste anbieten, nicht einen neuen Verein gründen, aber mit in etwa gleichgerichteten Parteien in diesen Ländern so etwas, ohne neuen Verein sich entwickeln zu lassen, was – ich habe es mal so formuliert – einer Allianz für Frieden und sozialen Fortschritt näherkommt. Deshalb haben wir das Gespräch nicht abreißen lassen. Es wird irgendeine Form von Follow-up im folgenden Jahr geben für ein so weitergespanntes Gespräch mit mehr Zeit, als jetzt zur Verfügung stand. Ich will, ohne sentimental zu werden, sagen, liebe Genossen, für mich wird es ein dauerndes Erlebnis bleiben, dass ich noch dabei sein konnte bei einer solchen Konferenz, wo auf deut- schem Boden um einen Tisch herum an der einen Seite israelische und an der anderen arabische Sozialisten gesessen haben. (Starker Beifall.) Und miteinander und mit uns gesprochen haben. Das ist ein Beitrag in einer immer noch gefährlichen Lage. Dass das bei uns möglich ist, dass diese SPD dafür einen Boden bieten kann, das sollte uns alle mit, glaube ich, doch ein bisschen Stolz erfüllen, neben allem, was wir sonst auch noch auf dem Buckel haben. Liebe Genossen, Südeuropa abschließend, das war auch eine schöne Sache, dass Freun- de, Genossen, um die man sich bemüht hat, als sie im Gefängnis saßen, einige konnte man auch herausholen, anderen konnte man nur dort das Los ein bisschen erleichtern, zunächst als Außenminister, dann in anderer Eigenschaft, die waren jetzt in persona da mit ihrem Parteivorsitzenden, der jetzt gesagt hat, aus dieser gemeinsamen Partei – Zentrumsunion, Neue Linke – wird die Sozialdemokratische Partei Griechenlands. Hoffentlich halten die das, sich nicht wieder zu zersplittern in alle möglichen kleinen Gruppen. Ein großartiger Vorgang! Leider, wie jeder, der die Nachrichten dieser Tage liest, in Portugal ein sehr viel be- drückenderes Bild. Trotzdem übers Wochenende wieder, das hatte man schon nicht mehr gedacht, dass Soares3 und die Partei in Lissabon erneut, in diesem Lissabon, in dem die KP und ihre, die mit ihr sympathisierenden Kräfte so starke Verankerung hat,

über 200 000 Menschen auf die Beine gebracht hat. Ich rede jetzt nicht von Porto und den anderen Städten. Die Massen sind da noch mal auf die Straßen gegangen. Das Gan- ze bleibt bedrückend. Für den, der die letzten Nachrichten nicht gesehen hat: Der Re- volutionsrat hat bestätigt in der Nacht, dass Lourenço4, der zu der Antunes5-Gruppe gehört, die Militärkommandantur in Lissabon übernimmt, anstelle von [Otelo Saraiva de] Carvalho6, aber danach kommt die Rebellion von Fallschirmjägern, die an mehre- ren Stellen in Portugal sich bestimmter Objekte bemächtigt haben. Was sich daraus

3 Mário Soares, Gründer der sozialistischen Partei Portugals (PS), ab Juli 1976 Ministerpräsident Portu- gals. 4 Vasco Lourenço, portugiesischer Politiker der Zeit der Nelkenrevolution, seit März 1975 Mitglied des Revolutionsrates. 5 Ernesto Melo Antunes, portugiesischer Politiker der Nelkenrevolution. 6 Portugiesischer Offizier, wichtiger Stratege der Nelkenrevolution.

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ergibt, irgendeine Form auch bewaffneter Auseinandersetzungen scheint nicht mehr zu vermeiden zu sein und dies ist schwer abzuschätzen bei dem unübersichtlich gebliebe- nen Bild des Kräfteverhältnisses innerhalb der Streitkräfte. Ich muss es so sagen, wie es ist. Wir sind in täglichem Kontakt mit unseren Freunden und können leider verdammt wenig tun, um ihnen beizustehen. Spanien, liebe Genossen, da habe ich eine Bitte, und das sagt euch einer, der schon auf- grund seines Alters und seines Weges über eine ganze Reihe von Jahren draußen, der auch mal dort die Nase reingeguckt hat, der nicht frei ist von Emotionen neben dem Verstand, wenn es um Spanien geht, uns jetzt bitte nicht verheddern in irgendwelchen verschiedenen Meinungen über Protokollfragen. Ich habe Verständnis für die, die Pro- tokollfragen anders sehen, als das staatliche Protokoll sie glaubt sehen zu müssen. Nicht verheddern, denn die eigentliche Frage ist nicht, was an Unheil vor 40 Jahren begonnen hat, sondern die eigentliche Frage ist, was dort jetzt geschehen wird: Ob ein Francismus ohne Franco sich behaupten könnte oder ob, wie man hoffen darf, sogar ein im Wesentlichen friedlicher gradueller Übergang zu einem demokratischen Spanien möglich wäre. Ich bin sehr vorsichtig, was die Einschätzung des Staatsoberhaupts an- geht. Ich sage euch nur zweierlei: Die Tatsache, dass unser Genosse – dieser prächtige junge Rechtsanwalt aus Sevilla, Felipe Gonzáles, den ich schon unter vier anderen Na- men vorher gekannt habe, bevor er diesen nennen durfte, der jetzt der Vorsitzende ist der Partei im Lande – dass er, obwohl wir zu Beginn des Parteitages noch sagen mussten, er kommt nicht, dass er kam, ist auf eine persönliche Entscheidung des Man- nes zurückzuführen, der in diesem Augenblick noch nicht Staatsoberhaupt war, eine Entscheidung, die das jetzige Staatsoberhaupt gegen anders gerichtete Kräfte durchge- setzt hat. Das soll die Fraktion wissen. Das Zweite: In der kurz gehaltenen, nicht sehr inhaltsreichen Rede, die der Mann ge- halten hat, der dort Staatsoberhaupt jetzt ist, steht eine Passage, die auch nach Meinung unserer Genossen am Ort, in Madrid, große Beachtung verdient. Das ist die Europa- Passage, und ich weiß von ihnen, von den spanischen Sozialdemokraten, Sozialisten muss man dort deshalb sagen, weil sich dort unter Sozialdemokraten eine Partei auf- macht, die nun sehr weit von dem entfernt sein wird, was wir unter demokratischem Sozialismus verstehen, weil dort ein Teil von Anhängern des jetzigen Regimes sich diesen Namen zulegt – nicht übrigens unanständige Leute. Das wird auch in Spanien nur gehen mit einem Teil derer, die in der jetzigen Verwaltung waren. Ich will nur mal auf diesen terminologischen Punkt jetzt schon aufmerksam machen. Die Sozialisten, die Sozialistische Arbeiterpartei, wie sie sich dort traditionell nennen, deren führende Ge- nossen sagen, wenn ihr reagieren könnt, mithelfen könnt, auch ihr in Deutschland, auf diese Europa-Passage des Königs – ist jetzt nicht unsere Sache, ob das immer eine Mo- narchie bleibt, das ist deren Sache – wenn ihr darauf reagiert, dann hilft das auch uns. Denn die Frage, ob Spanien eine europäische Orientierung wirklich bekommt, was nicht Vollmitgliedschaft in der EG angeht, dafür sind gar nicht die Voraussetzungen da auf kurze Sicht, aber das heißt Europarat und das heißt so nahe an die EG heran, wie es die Verhältnisse ermöglichen. Dies steht in ursächlichem Zusammenhang damit, ob Spanien im Inneren eine demokratische Struktur bekommt. Das ist übrigens auch der eigentliche Grund, warum in Griechenland so unterschiedliche wie [Konstantinos] Karamanlis, der Regierungschef, und die Leute um [Georgios] Mavros und [Georgios] Mangakis und andere in diesem Punkt übereinstimmend sagen: Unsere Zugehörigkeit zu Europa so eng wie möglich ist ursächlich verbunden damit, dass Sicherungen auf diese eingebaut werden gegen den Rückfall in eine Militärdiktatur. Weil dies dann ja wieder eine Entfernung von Europa bedeuten würde. Ich wollte diesen Zusammenhang gerne andeuten und wenn wir das könnten, auch durch die heutige Sitzung deutlich zu

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machen in dem Teil, der hierüber berichtet, dass aus unserer, der deutschen Sozialde- mokraten Sicht Spanien, das spanische Volk, die spanische Demokratie willkommen sind in Europa, in der europäischen Zusammenarbeit und dass sie so eng wie möglich unserer Meinung nach mit der Europäischen Gemeinschaft verbunden sein sollten, dass auch wir als Deutsche – das sagt wieder einer, der ja nicht im Verdacht steht, zu den engsten Freunden des Generalissimus gehört zu haben – dass wir diesen Prozess poli- tisch, wirtschaftlich, kulturell durch viele Kontakte zu fördern haben werden in den Monaten, die vor uns liegen und jedenfalls uns bemühen, zu welchem Ergebnis das immer führen mag, an der Seite unserer Freunde dort zu stehen. Herzlichen Dank für eure Aufmerksamkeit. (Starker Beifall.) Wehner: Danke Willy Brandt. Wird das Wort zu diesen Ausführungen gewünscht? Genossen, was den Parteitag und die vom Parteitag an die Bundestagsfraktion überwie- senen Anträge betrifft, so haben wir gestern im geschäftsführenden Fraktionsvorstand festgelegt, dass einer unserer Mitarbeiter mit den Genossen im Parteihaus dafür sorgt, dass die Fraktion nicht erst, wenn für den allgemeinen Gebrauch alle Protokolle und so weiter ausgedruckt sind, sondern rechtzeitig und präzis jene Anträge bekommt, damit sie hier zur Bearbeitung vorliegen. Und ich denke, dass das dann so sein wird, dass wir in der Zeit mit dem Wiederbeginn nach der Unterbrechung um die Weihnachts- und Neujahrszeit alles neben unseren sonstigen Arbeiten in Angriff nehmen können. Hol- ger Börner. Börner: Ich möchte zum letzten Punkt sagen, Herbert, dass ich davon ausgehe, dass wir bis zum 8. – also bis zur Parteivorstandssitzung – die sich aus den Beschlüssen des Parteitags ergebenden Vorlagen fertig haben und dass sie dann anschließend der Frakti- on zur Verfügung stehen, also noch vor Beginn der Weihnachtspause. Wehner: Danke. Gibt’s noch Wortmeldungen? Wenn nicht, dann bitte ich Helmut Schmidt, das Wort zu nehmen zu seinem Bericht. Schmidt (): Liebe Freunde, ich wollte ein paar Worte nachtragen zu dieser sogenannten Gipfelkonferenz in Rambouillet bei Paris, die im unmittelbaren Anschluss an den Parteitag die Regierungschefs Japans, Italiens, Englands, Frankreichs, Deutsch- lands und Amerikas drei Tage lang vereinigt hat. Um das Wichtigste vorauszunehmen, diese Konferenz, die in einem sehr persönlichen intimen Rahmen stattfand – es hat jeder von uns zwar seinen Außen- und seinen Finanzminister mitgebracht, aber im Übrigen befand sich im Konferenzzimmer von jeder Delegation dann nur noch ein einziger Beamter, nur zu dem Zweck aufzuschreiben, was die anderen sagten, so dass man also sich sehr frei unterhalten konnte, auch seine Sorgen sehr frei ausgedrückt hat, ohne Angst haben zu müssen, dass sie dann draußen in den Korridoren an die Presse weitergegeben wurden –, das Wichtigste vorwegzunehmen, diese Konferenz hat den Eindruck bestätigt, dass voran Amerika, in zweiter Linie Japan, in dritter Linie wir und Frankreich, dass die Volkswirtschaften dieser sechs größten Industriestaaten der Welt sich in aufwärts gerichteter Entwicklung befinden. Die Besorgnis über die 13,5 Millionen Arbeitslosen, die diese sechs Regierungschefs zusammen zu vertreten hatten, war weiß Gott nicht klein und die Wiedergewinnung von Arbeitsplätzen und der Abbau der Arbeitslosigkeit stand im Vordergrund. Wir sind die Lage in jedem einzelnen Land durchgegangen und haben festgestellt, dass im Augenblick – abgesehen von den Inflationsbekämpfungsmaßnahmen, die in England schon eingeleitet sind, zum Teil noch eingeleitet werden – dass im Augenblick in kei- nem dieser sechs größten Industrieländer zusätzliche konjunkturpolitische Maßnahmen notwendig oder erwünscht sind. Das schließt nicht aus, dass sich das im Lauf des Jahres

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1976 noch wieder ändern könnte, falls auf dem Feld der Weltwirtschaftspolitik, insbe- sondere Öl, insbesondere Dialog in Paris mit Ölländern und Entwicklungsländern, dass es sich noch ändern könnte, falls in der Weltwirtschaftspolitik noch irgendwelche Eruptionen eintreten. Aber das sieht im Augenblick danach nicht aus. Es war von einigen angekündigt worden, dass insbesondere Italien und England viel- leicht sich darauf vorbereiteten, an die deutsche Adresse ein paar Vorwürfe zu erheben, weil wir nicht genug Deficit Spending gemacht hätten in deren Augen, nicht genug Nachfragebelebung im Inneren geschafften haben. Ich habe den ersten Abend präsidiert und ich habe auch die Diagnose über die Weltwirtschaft gegeben, eine Diagnose, wie sie nicht anders lautete als auf dem SPD-Parteitag, die von allen fünf voll bestätigt und ohne Kritik und Abstriche akzeptiert worden ist. Als ich ihnen im Laufe meines Vor- trags dargetan habe, was tatsächlich wir an Deficit Spending in Kauf genommen haben, hat kein Mensch mehr ein Wort dazu gesagt. Im Gegenteil, sie haben dann anerkennend vermerken müssen, dass die Bundesrepublik Deutschland das einzige der großen Indu- strieländer ist, das so viel Nachfrage im Inneren geschaffen hat, dass unsere Importe real zugenommen haben. Das heißt zugunsten der Beschäftigung in den übrigen. Wir sind das einzige Land, das das zustande gebracht hat, eine reale Zunahme der Importe. Was also zeigt, dass wir wirklich eine sehr große binnenwirtschaftliche Nachfragebele- bung ins Werk gesetzt haben. Allgemeine Auffassung ist also, dass es im Lauf des Jahres ’76 deutlich erkennbar nach oben geht. Die Amerikaner berechnen ihr eigenes Bruttosozialprodukt im dritten Quartal ’75 bereits mit plus elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr und das vierte Quar- tal ’75 mit plus sieben Prozent. Ob das dann später bei statistischer Nachrechnung en détail so großartig bleibt, wie es im Augenblick vorgetragen ist, daran mag man noch zweifeln. Sie zweifeln aber nicht, dass sie grundsätzlich auf dem aufsteigenden Ast sind. Daran würde auch eigentlich kaum noch zweifeln wollen. Mit gewissem zeitlichem Abstand gilt das dann für Japan und auch für uns. Wir haben ja gestern das Jahresgut- achten des Sachverständigenrats bekommen, in dem sich diese Prognose noch einmal bestätigt. Für alle diese Länder gilt aber leider auch, dass die Industriekapazitäten so- weit unterbeschäftigt sind und so viel Produktionsreserven und Produktivitätsreserven enthalten, dass der Abbau der Arbeitslosigkeit lange nicht in demselben Tempo sich vollziehen kann wie der Aufschwung im Zuwachs des Bruttosozialprodukts. Eine be- sondere Besorgnis hat eine Rolle gespielt, nämlich die fühlbar, unterschwellig fühlbar vorhandene Tendenz in der britischen Industrie, bei den britischen Gewerkschaften, in der Labour Party und auch in der Regierung, dort zum Schutz der einheimischen Ar- beitsplätze mit Handelsbeschränkungen, mit Importrestriktionen einzugreifen. Die Entschließung, die in Rambouillet verabschiedet wurde, ist in dem handelspoliti- schen Punkt sehr stark. Nun kann man es so herum deuten oder es so herum. Entweder kann man sagen, hiermit ist Harold Wilson7 der Rücken geschränkt gegenüber den protektionistischen Kräften seinem eigenen Land. Man könnte es auch so herum deuten zu sagen, hiermit werden ihm selber ein paar Bremsen angelegt bei dem, was er mög- licherweise im Hinterkopf hatte. Ebenso ist zweitens hervorzuheben und dabei muss man, ohne dass wir das nach draußen plakatiert haben, im Vorfeld erhebli- chen Kredit einräumen, hervorheben, dass die währungspolitische Einigung zwischen Frankreich und Amerika auf allen seit ungefähr anderthalb Jahren kritisch gewesenen Feldern de facto erfolgt ist. Der Vollzug wird im Januar auf der Konferenz der Gou- verneure des IMF auf Jamaika sich vollziehen.

7 Premierminister von Großbritannien, britischer Politiker der Labour Party,.

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Ich war gestern Nachmittag drei Stunden zu einer Diskussion beim Bundesverband der Industrie. Das war also eine Parallelveranstaltung mit acht Wochen Abstand zu der langen Diskussionsveranstaltung beim Bundesausschuss und beim Vorstand des Deut- schen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf – dieselben Themen natürlich – und auch dort habe ich dasselbe gesagt wir in Rambouillet oder wie auf dem Parteitag oder wie bei den Gewerkschaften, einschließlich meiner Antwort auf die sehr pressanten Darle- gungen hinsichtlich der steuerpolitischen Erleichterungen, die man sich in der Industrie wünscht. Die haben dort ganz genauso geklungen wie auf dem Parteitag, die Antwor- ten. Im Übrigen ist von Bedeutung, dass niemand der positiven Prognose für die kom- menden Monate widersprochen hat. Im Gegenteil: als ich bei einem bestimmten Pro- blem sagte, das lösen wir vielleicht 1978, wir werden es erstmalig ’77 prüfen, hat nie- mand gemeint, wenn sie dann noch regieren. Das war ganz selbstverständlich aus dem Gespräch, dass diese Herren davon ausgehen und das soll man ruhig unters Volk brin- gen. Soll man ruhig unters Volk bringen. Ich will noch eine Bemerkung anfügen zu Spanien, nachdem Willy eben davon sprach. Mir scheint, es kommt für uns sehr darauf an, einerseits diejenigen Kräfte in Spanien moralisch zu stützen, die dafür stehen, dass dort eine Öffnung der Gesellschaft in Rich- tung auf eine offene Gesellschaft oder – wie man in Deutschland soziologisch neuchi- nesisch sagt – eine pluralistische Gesellschaft zustande gebracht wird und andererseits den König zu bestärken in dem bei ihm doch nun in den letzten Tagen deutlich er- kennbaren Hinweisen – Willy hat einen erwähnt mit der von ihm persönlich erwirkten Ausreise für unseren spanischen Genossen, der dort an der Spitze steht. Ich will auch hinweisen auf zwei oder drei Passagen in der Rede, die der König da am letzten Don- nerstag gehalten hat, als er seinen Eid geleistet hat. Darin kommt die Passage vor von den tiefgreifenden Vervollkommnungen, die in Spanien notwendig seien. Solche Forde- rungen anzuhören, zu kanalisieren oder auch anzuregen, sei eine Pflicht, die er mit Entschlossenheit auf sich nehmen würde. Dass er gegenüber den Basken und anderen regionalen Besonderheiten schon ein bisschen agiert hat in der richtigen Richtung, habt ihr in den Zeitungen gelesen. Mir liegt aber auch am Herzen, die Aufmerksamkeit zu lenken auf die Passage, wonach eine freie und moderne Gesellschaft die Teilnahme aller erfordert bei Entscheidungen, die Teilnahme aller in den Massenmedien, auf den ver- schiedenen Ebenen im Rahmen der Erziehung und bei der Kontrolle des nationalen Besitzes. Eine dritte mir wichtig erscheinende Passage hat Willy hier erwähnt, nämlich die europäische Passage, wo er sagt, die Idee Europas wäre unvollständig ohne einen Hinweis auf die Präsenz Spaniens. Europa muss Spanien mit einbeziehen. Wir Spanier sind Europäer und so weiter und so fort. Die Entwicklung ist dort sicherlich im Fluss, und wir müssen sehen, dass wir nicht nur Kontakt, sondern auch positiven Einfluss haben nicht nur auf unsere eigenen Freunde im engeren Sinne, im engeren parteilichen Sinne, sondern auch auf diese Kräfte hier, die sicherlich noch für eine gewisse Zeit schwierige Balanceakte vor sich haben. Weder darf von uns Druck ausgeübt werden, dass die Sachen sich dort so überstürzen, wie das im Nachbarland dann zu höchst uner- freulichen und ungeheuer riskanten Entwicklungen geführt hat, noch dürfen wir so zurückhaltend bleiben, dass die regierende, bis vorige Woche regierende Franco-Clique in Madrid das Gefühl bekommen könnte, wir Europäer seien es damit zufrieden, wenn alles so weiterginge wie bisher. Dies ist, was ich eben versucht habe, in zwei Sätzen darzulegen, auch die übereinstim- mende Meinung der übrigen fünf Regierungschefs, die dort in Rambouillet vereinigt waren und die sich natürlich über das spanische Problem ausführlich unterhalten haben wie auch über das portugiesische Problem. Das waren die Bemerkungen, die ich heute gerne machen wollte.

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(Starker Beifall.) Wehner: Wird das Wort gewünscht? Carl Ewen. Ewen: Der Kanzler hat eben davon gesprochen, dass der Aufschwung im nächsten Jahr nicht unbedingt bedeuten muss, dass gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen geringer wird. Nun gibt es dazu ja auch einige parallele Äußerungen, die da vom Strukturwandel sprechen, die davon sprechen, dass wir einen Technologierückstand haben, dass wir rationalisieren müssen, dass wir Verlagerung von Produktionen im Zuge der weltwei- ten Arbeitsteilung vornehmen müssen oder was dergleichen Schlagworte zunächst einmal mehr sein mögen. Ich knüpfe daran die Hoffnung, dass die Regierung – ohne in Unternehmerentscheidungen eingreifen zu wollen und zu können – dennoch diesen vielleicht notwendigen Strukturwandel begleiten müsste durch Gespräche mit den Verantwortlichen in den Gewerkschaften und in der Industrie, damit diese Entwick- lung nicht dazu führt, dass wir hinterher zwar eine große Investitionssumme in der Industrie haben, aber am Ende weniger Arbeitsplätze als heute. Und dass gleichzeitig nicht diese Entwicklung auf Kosten der heute schon strukturschwachen Gebiete pas- siert. Denn wenn ich das Schlagwort höre, wir müssen technisches Know-how ausfüh- ren und nicht Produktion, und ich denke an mein Gebiet, an Ostfriesland und an ande- re, wo ja im wesentlichen Zweigbetriebe von großen Werken liegen, Produktionsbe- triebe liegen und nicht die technischen Abteilungen, dann fürchte ich, dass wir dann bei uns in dem Gebiet nachher noch Landschaftspflege haben, aber keine Leute mehr, die in der Produktion tätig sind. Ich meine, dass wir dies nicht einzelwirtschaftlichen Ent- scheidungen überlassen können, sondern hier Strukturpolitik, Raumordnungspolitik und vorsorgende Industriepolitik koordinieren müssen. Dies auch im Auftrag von Mannheim. Wehner: Horst Haase. Haase (Fürth): Ich will noch einmal darauf zurückkommen, was der Bundeskanzler gesagt hat zu den Importrestriktionen der Briten. Soweit mir bekannt ist, haben wir ja große Schwierigkeiten im Augenblick im Verhältnis zu den USA mit den drohenden Importrestriktionen. Ein Viertel der gesamten europäischen EG-Produktion in die USA ist ja durch Verfahren im Augenblick bedroht, die beim Schatzamt anhängig sind. Ist insoweit auch in Rambouillet über diese Fragen gesprochen worden, ist also darüber gesprochen worden, wie in Zukunft der Stahlexport oder der Export der keramischen Industrie in die USA weitergehen wird oder ob es dort unabhängig davon zu weiteren Verfahren kommen wird? Wehner: Heinz Rapp. Rapp (Göppingen): Genossinnen und Genossen, ich möchte bei dem Nachsetzen, was Carl Ewen hier gesagt hat. In Rambouillet scheinen sich ja die Konturen eines neuen Weltwährungssystems aufgezeigt zu haben. Wenn ich die Dinge richtig beurteile, ist die Politik, die darauf gerichtet ist, den Dollarkurs zu verstetigen, ja wohl auch darauf gerichtet, das europäische Kursniveau insgesamt nach oben zu ziehen. Dieses ist wohl nach der gegenwärtigen Lage so zu erwarten. Wenn dieses richtig ist, ist ja wirklich auch daraus zu folgern, dass dies auf den Welthandel und auf die Strukturen unserer Wirtschaft Auswirkungen hat. Dies alles bitte ich doch auch mit zu bedenken, obwohl ich weiß, dass der Mechanismus der Dollarkursverstetigung noch nicht ausgehandelt ist, sollte dieses aber doch mitbedacht werden. Wehner: Hansmartin Simpfendörfer. Simpfendörfer: Genossinnen und Genossen, ich möchte noch eine Bemerkung machen zur nationalen Konjunkturpolitik insofern, dass ich aus mehreren Bereichen der Kom-

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munalpolitik in Baden-Württemberg die wie selbstverständliche Erwartung vernom- men habe, dass im Frühjahr nächsten Jahres noch einmal ein weiteres kommunalorien- tiertes Konjunkturprogramm bevorstehe. Und was man nun auch aus solchen Gewiss- heiten macht, ich meine, wenn solche Gewissheiten zu Erwartungen führen sollten, die aus konjunkturpolitischen Gründen nicht befriedigt werden können, dann sollte man rechtzeitig dagegen steuern, glaube ich, und deswegen wollte ich diese Information hier einmal vorbringen und in den Schoß der zuständigen Ausschüsse und auch der Regie- rung anheimgeben, ob gegen solche Erwartungen rechtzeitig etwas unternommen wer- den kann oder ob man das vorläufig offenlassen soll. Wehner: Gibt’s weitere Wortmeldungen? Keine? Der Bundeskanzler bitte. Schmidt (Hamburg): Zunächst was die Frage angeht wegen der nicht ganz richtig ver- standenen, da ja doch in Wirklichkeit langfristig gemeinten und nicht für das Jahr Fünf- oder Sechs- oder Siebenundsiebzig gemeinten Floskel vom Technologieexport, ge- machten Bemerkung aus der Sicht der nordfriesischen oder ostfriesischen Sorgen, ost- friesischen Sorgen, die mich persönlich genau brennen wie die Genossen, die dort Wahlkreise haben und um die ich mich im Lauf des letzten Herbstes – und ich nicht allein – gekümmert habe, das ist nicht gemeint, sondern gemeint ist, dass wir im Jahr 2000 sicherlich keine Kochtöpfe mehr exportieren können, weil die in die Kochtöpfe hineingehenden deutschen Löhne einfach so hoch sind, einschließlich der Lohnneben- kosten, dass die Kochtöpfe nicht verkauft werden können auf den Weltmärkten und dies ist mit Investitionslenkung vorausschauender Industrieplanung auch nicht zu ver- kaufen, sondern die müssen einfach wettbewerbstüchtig sein. Mit Sicherheit werden wir im Jahr 2000 aber wettbewerbstüchtig sein bei einer großen Zahl, wie man es heute zu sagen pflegt, intelligenter Produktionen, solche für die die anderen einstweilen das Bildungsniveau oder das technische Niveau noch nicht haben werden. Nun kann man das nicht im Jahr 1999 anfangen, wenn man im Jahr 2000 da sein will, sondern zu der vorausschauenden Industriepolitik gehört auch, dass die Verantwortlichen von Zeit zu Zeit der deutschen Öffentlichkeit, den Unternehmern, den Branchenführern, auch den Gewerkschaften, auch den eigenen Bundestagsabgeordneten und Kollegen sagen, dass die Entwicklung in diese Richtung laufen muss. Einfache Produkte, in die Löhne ein- gehen, sind auf die Dauer von deutschem Boden aus nicht mehr zu kaufen, weil sie unseren realen Lebensstandardvorsprung ja halten wollen – im Gegenteil, wir wollen ihn noch mehr ausbauen, nicht –, müssten verzichten auf das hohe Lohnniveau. Das können wir nicht und wollen wir nicht aus anderen Gründen. Infolgedessen muss man jedes Jahr darauf drängen, dass die Produkte intelligenter werden, dass der Wettbe- werbsvorsprung dieses berühmten Markenzeichens Made in Germany, der genügt dann nicht allein, was die Qualität eines immer gleichbleibenden Produktes angeht, sondern der muss dann im Lauf der Zeit zu einem Synonym werden mit technischem Vor- sprung. So war das gemeint seinerzeit. Das war nicht eine Maxime, die für irgendwelche anstehenden unternehmenspolitischen Entscheidungen des Jahres ’75 oder ’76 generell anzuwenden gewesen wäre. Ich gebe dem Genossen aber gleichzeitig recht mit der allgemeinen Formulierung, die er gebraucht hat. Man darf nicht, so hast du gesagt, gegenwärtig wegen neuer Techno- logien vorhandene alte Arbeitsplätze vernichten oder so ähnlich hast du dich ausge- drückt. Da gibt’s ein Paradebeispiel dafür, wo das im Augenblick zu geschehen droht, nämlich die Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Steinkohle zwecks Ausweitung neuer Energien auch technisch eleganterer Formen, durch Gas und durch nukleare Energien. Beides kann gar nicht mal so schnell gebremst werden, wie es nun über meh- rere Jahre durch vorausschauende Energiepolitik auch des Staates – Klammer auf: so

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kann man sich irren bei seinen Plänen, Klammer zu –, der Staat ist daran weiß Gott nicht unbeteiligt, weder der Bundestaat noch die beiden Länder Saarland und NRW noch die übrigen Länder, die nukleare Kraftwerke bauen, noch der Hans Matthöfer noch sein Amtsvorgänger8. Niemand ist daran unbeteiligt von uns. Hier liegt ein kon- kretes Problem vor, wo modernere Technologien, modernere Primärenergieträger im Augenblick dabei sind, wenn wir nicht aufpassen und wenn wir nicht eingreifen, vor- handene Kohlearbeitsplätze zu vernichten, die wir übrigens auch deswegen behalten wollen, weil wir auf die Dauer in der Steinkohle das einzige Element der energiepoliti- schen Unabhängigkeit von ausländischer Versorgung haben. (Beifall.) Das Kabinett hat sich vor drei Wochen damit beschäftigt, wird sich morgen lange damit beschäftigen, wird eine Reihe von Beschlüssen fassen, aber nichts Abschließendes. Es werden auch noch einige Sachen offenbleiben zu klären, die morgen nicht geklärt wer- den können. Die beiden Koalitionsfraktionen sind eingeladen worden, zu der morgigen Kabinettssitzung je ein oder zwei Kollegen zu entsenden, weil wir glauben, dass dieses Problem der dort, wenn man nicht eingreift, bevorstehenden Vernichtung alter Ar- beitsplätze durch modernere, durch weniger moderne als alte vernichtet werden, weil wir glauben, dass es sich hier nicht nur um ein technologisches oder um ein energiepoli- tisch-strukturpolitisches Thema handelt, sondern weil wir wissen, dass es sich auch um [ein] sehr, psychisch sehr bedeutsames innenpolitisches Thema handelt, zumal im kommenden Jahr. Dann war eine Frage wegen der amerikanischen Importrestriktionen. In Bezug auf die Haltung der amerikanischen Regierung oder des amerikanischen Präsidenten kann ich mich eindeutiger ausdrücken als vorhin im Falle des englischen Ministerpräsidenten. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass Ford, der an dieser Passage der Erklärung durch lange Diskussionsbeiträge vorher mitgewirkt hat, dies als eine erwünschte Stär- kung ansieht seiner Position in der Auseinandersetzung mit starken Kräften innerhalb der amerikanischen Gesellschaft, insbesondere der amerikanischen Gewerkschaften und insbesondere auch des amerikanischen Kongresses. Auf die amerikanische Regie- rung kann man hier weitgehend bauen. Man muss aber wissen, dass auf vielen Feldern Regierung und Kongress miteinander im Clinch liegen, was auch kein Wunder ist ange- sichts der Tatsache, dass in Amerika nur vier Wochen später gewählt wird im nächsten Jahr als bei uns. Heinz hat gemeint oder gefragt, ob die in Aussicht genommene laufende Kooperation zwischen den Währungsbehörden Amerikas und der europäischen Partnerstaaten, der Schlange des sogenannten Wechselkursverbundes, ob die nicht dazu führen könnte, dass die europäischen Währungen im Verhältnis zum Dollar aufgewertet oder anders gesprochen der Dollar im Verhältnis zu Europa abgewertet würde, was ja eine Er- schwerung der europäischen Exporte auslösen müsste. Die Absicht besteht nicht, Heinz. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Franzosen haben wegen solcher Befürchtungen sogar abgelehnt, das Miniquantum Schweizer Franken in die Schlange aufzunehmen, weil sie nicht wünschen, dass gegenwärtig die Schlange nach oben gezo- gen wird. Wir wünschen das auch nicht. Letzte Bemerkung wegen des kommunalpolitisch orientierten Konjunkturprogramms, von dem dort in Baden-Württemberg offenbar die Rede ist. Ich muss hier eine zweige- teilte Antwort geben, und es ist nicht ganz leicht, in den Gremien außerhalb einer Frak-

8 .

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tion oder außerhalb einer Arbeitsgruppe von Fachleuten diese zweigeteilte Antwort in der Gemeinde richtig an den Mann zu bringen. Die erste Hälfte der Antwort lautet, aus der heutigen Sicht ist das nicht beabsichtigt und es erscheint aus heutiger Sicht auch ganz unwahrscheinlich, dass das notwendig werden könnte im nächsten Frühjahr. Es wäre wider Erwarten. Ich will das nicht total ausschließen, aber es wäre wider aller Erwartung, dass es notwendig werden könnte. Das soll man den Leuten in den Kom- munen sagen. Wir könnten aus heutiger Sicht auch gar nicht angeben, wie wir das fi- nanzieren wollten, um das im Klartext in einem einzigen Satz zu sagen. Es wär’ nicht zu finanzieren. Aber b) oder zweitens: Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass diejenigen Gemeinden bei Konjunkturprogrammen besser gefahren sind als andere, die fix und fertig vergabereife Projekte in ihren Schubladen hatten. Das sollten die sich alle hinter die Ohren schreiben und damit hebe ich das, was ich zu Ziffer 1 gesagt habe, nicht wieder auf. (Beifall.) [B.] Wehner: Wir kommen zum Bericht aus dem Fraktionsvorstand. Ich werde versuchen, ihn so knapp wie möglich zu halten. Der Fraktionsvorstand hat sich gestern eingehend mit Notwendigkeiten befasst, die sich daraus ergeben, dass der Bundesrat das Haus- haltsstrukturgesetz an den Vermittlungsausschuss verwiesen hat. Zum besseren Ver- ständnis füge ich hinzu, das konnte jetzt noch nicht in quantifizierter Form geschehen, ist aber im Zusammenwirken mit dem Bundesminister der Finanzen hinsichtlich der Termine und auch der verschiedenen Bereiche soweit vorbereitet. Mit den Obleuten wird über die sich aus der Sitzung des Vermittlungsausschusses schließlich ergebenden Fragen eingehend zu sprechen sein, denn wir müssen dann miteinander auch über die Quantitäten sprechen.

Am 28. 11. allerdings werden wir schon den Teil, der aus der Sitzung des Vermittlungs- ausschusses vom 27. als Vorschlag herausgeht beziehungsweise abgehängt ist, im Ple- num entscheiden, früh als ersten Tagesordnungspunkt Freitag. Und dann kommen die schwierigen Punkte. Wir sind dann gehalten, den Versuch zu machen, die Termine einzuhalten, mit denen wir es zu tun haben bei diesem Artikelgesetz und seinen Wir- kungen für Haushalt ’76 und was dazugehört. Das Zweite: Die Debatten, die in diesen Tagen zum Ratifikationsgesetz über das Sozial- rentenabkommen mit Polen und in diesem Zusammenhang über die Polenabkommen sonst geführt werden, haben wir erörtert. Unsererseits wird Wert darauf gelegt, dass abgesehen vom Bundesminister des Auswärtigen9, von dem wir erwarten und ich neh- me an auch erwarten dürfen, dass er auf diese elf Punkte, diese seltsamen Punkte, des Bundesrates die erste regierungsamtliche Antwort gibt. Ein entsprechendes Schriftstück ist mir gestern Abend noch zu Händen gekommen, und wir haben es in unserer Debat- te Notwendigkeiten mitverwerten können. Wir haben Wert darauf gelegt, dass auch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dort eingehend zum Rentenabkommen spricht, denn ich möchte mir hier die politische Bemerkung erlaufen, wir dürfen es nicht zulassen, dass es eine allgemeine Polen-Debatte über Unzufriedenheiten mit gut ausgehandelten Verträgen von eh und je und jetzt wird. Dazu wissen wir, was wir zu sagen haben. Hier steht außerdem und im Mittelpunkt und als einziges ratifikationsbe- dürftiges Stück dieses Sozialrentenabkommen und deswegen haben wir wissen lassen, dass wir damit rechnen und ist darauf eingerichtet, dass der Bundesmini-

9 Hans-Dietrich Genscher.

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ster für Arbeit und Sozialordnung unter allen Umständen in dieser Debatte diese Seite verdeutlicht. Denn wir sollen da feurige Kohlen auf die Häupter jener schütten, die sonst so tun, als ginge es hier um eine Geschmacksrichtung, ob mit Polen so oder nicht so und irgendwann einmal später, sondern jetzt geht es um ein ganz konkretes Sozial- rentenabkommen, wie entsprechende andere mit einer ganzen Reihe von Staaten ohne Klimbim schon in den vergangenen Jahren und nicht nur unter unserer Regierung ab- geschlossen worden sind. Wir haben uns gestern auch, ein Bericht von Erwin Stahl, kurz mit der Debatte zur Entwicklungspolitik befasst. Ich denke, in der heutigen Frak- tionssitzung wird einiges dazu noch inhaltlich gesagt werden. Das Dritte ist, wir haben beschlossen gestern eine Initiative entsprechend dem, was wir in der Sitzung, in der wir abends nach einer Plenarsitzung die erste Interpretation des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtsspruchs über die Rechtsstellung der Abgeordne- tendiätenfrage uns entschlossen hatten zu machen, eine Arbeitsgruppe, wo wir auch dazu gesagt, wer dazugehören soll und dann Einfädelung interfraktionell einen Sonder- ausschuss betreffend Artikel 48 des Grundgesetzes zustande zu bringen, wo ja auch das Problem besteht der Koordination mit Länderparlamenten, Bund-Länder-Parlamenten. Eine ganz umfängliche und schwierige Arbeit, die keineswegs damit abgetan werden kann, dass man eine andere Diätenregelung findet, sondern hier muss Artikel 48 auf eine mit dem Spruch des Gerichtes, was immer man von seinem Zustandekommen und von dem hält, was darin sonst steht, muss gebracht werden. Inzwischen ist auch das Einverständnis der anderen Fraktionen, zuletzt heute der CDU, die das gleich öffent- lich gemacht hat, zur Einsetzung eines solchen Sonderausschusses, und zwar noch in einer unserer nächsten Sitzungen und das ist dann eine ganz große Arbeit, die bewältigt werden muss, haben sie ihr Einverständnis erklärt. Und das Vierte: auf Verlangen aus der Fraktion wird in der nächsten Sitzung des Frak- tionsvorstands die weitere Behandlung des Pressefusionsgesetzes erörtert werden und sicher auch in der Fraktion unvermeidlicherweise behandelt werden müssen unmittel- bar darauf. Dass das seine Schwierigkeiten hat, weil daran hängen andere Fragen, die der offenbar schon verunglückten Pressestiftung, offenbar auch andere Sachen ist eine andere Frage, aber im Wirtschaftsausschuss liegt ja dieses Gesetz. Fünfter Punkt: Wir haben uns, ich hätte beinahe gesagt bemüßigt gesehen, aber jeden- falls aufgefordert gefühlt, hinsichtlich der von manchen Seiten, vor allen Dingen von der CDU mit ziemlicher Unverfrorenheit betriebenen Stimmungsmache, es solle sofort eine Reihe von Parlamentariergruppen gebildet werden und die erste, die polnische, deren Leitung beanspruchen sie. Wir haben gestern und der Fraktionsvorstand hat das einmütig gesagt, und ich wäre froh, wenn die Fraktion den Sinn, der in dieser Empfeh- lung liegt, sich zu eigen machte, während des Restes der Legislaturperiode keine neuen Parlamentariergruppen bilden, nämlich abgesehen von unvorhergesehenen und dann, wenn so ein Fall auftritt, von allen Fraktionen für erforderlich gehaltenen Fällen. An- ders können wir falten, sonst kriegen wir einen Wirrwarr von Bedürfnissen, sich auf diesem Gebiet, wobei der eigentümlichste Fall, der von mir kurz erwähnte, der CDU und dieser Parlamentariergruppe mit Polen ist gar nicht zu rühren. Auf einigen Gebie- ten wissen wir uns selbst zu helfen. Wir haben lange gesagt, es wäre wichtig, eine solche Parlamentariergruppe ČSSR zu bilden. Inzwischen haben die Bayern unter unseren Kollegen im Bundestag, in der Fraktion und die entsprechenden Landesabgeordneten aus Bayern ein sehr gelungenes Zusammentreffen mit entsprechenden Parlamentsange- hörigen der ČSSR-Seite gehabt und das, was es dafür an Unterlagen gibt, auch Presse- echo in der dortigen angrenzenden Presse, vor allen Dingen auf bayerischen Seite, ist so, dass zusätzlich zu der Feststellung, dass dabei auch dieser Schritt von Prag seine

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Würdigung gefunden hat und zwei nicht einfach also nicht bedeutende Leute dazu geschickt worden sind. Auf dieser Schiene können wir noch einiges machen und wer- den wir einiges machen, statt uns zu verzetteln in einem Streit mit diesen miesen Folge- erscheinungen um Parlamentariergruppen in den letzten Monaten der Legislaturperi- ode. Das war es, was ich heute berichten wollte, Genossen. (Starker Beifall.) Wird dazu das Wort gewünscht? . Renger: Genossen, ich sehe, welche Schwierigkeiten hier mit den Parlamentariergrup- pen vorhanden sind. Ich war gestern Abend leider nicht da. Ich habe einige Probleme. Wir haben Schwierigkeiten mit den anderen Parteien, das ist klar und es wäre am be- sten, wenn wir keine mehr gründen würden während dieser Zeit. Wir sind einige, ich möchte sagen, Verpflichtungen eingegangen, von denen ich euch einfach Kenntnis ge- ben möchte und ich weiß nicht ganz genau, ob wir so einfach davon herunterkommen. Eine davon ist die mit der ČSSR, die auf der anderen Seite schon gegründet worden ist, wie mir der Botschafter gesagt hat. Sie warten praktisch nur auf das Startzeichen hier. Die nächste wäre die ägyptische, denen wir eine feste Zusage beim letzten Besuch gege- ben haben. Bei der bulgarischen ist das auch der Fall, wobei man bei der letzteren wahrscheinlich die wenigsten Schwierigkeiten hätte. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, diesen genannten – bitte hört doch einen Moment zu, ich muss das ja irgendwo in Ord- nung bringen, da ich ja selber mit den Leuten gesprochen habe. Ich weiß jetzt nicht, ob es politisch schwierig wäre, hier zu sagen: bitte, wir wollen das noch etwas vertagen oder wie ich das machen kann. Aber auf alle Fälle muss ich euch davon informieren, dass wir Dreien mindestens eine feste Zusage gegeben haben, wobei die anderen, die Herbert angesprochen hat, auf ihrer Seite auch noch zu keinen Ergebnissen gekommen sind, so dass das dort kein Problem wäre und wir auch nicht die Schwierigkeiten mit der Opposition hätten, die hier auf bestimmte Gruppen ein Gewicht legt. Wenn es also möglich wäre, hier zu differenzieren, wollte ich an dieser Stelle doch fragen, ob wir da, wo keine Kontroversen sind, hier doch zu einer Gründung kommen könnten. Wehner: Wird weiter das Wort gewünscht? Lenelotte von Bothmer. von Bothmer: Was die ägyptische Parlamentariergruppe angeht, so weiß ich selbst, wie lange das schon versprochen worden ist und wie politisch schwierig das wäre, da jetzt herunterzukommen, denn die Araber drängen als Ganze auf eine Parlamentariergruppe und haben sich damit einverstanden erklärt, einmal mit einer ägyptischen anzufangen. Aber das ist für sie also wirklich nur das, was sie nun wirklich erwarten und Annemarie hat als Präsidentin dem Parlamentspräsidenten von Ägypten diese Zusage gemacht. Ich halte es für außerordentlich schwierig für sie, also jetzt zu sagen, machen wir nicht. Und ich weiß nicht, können wir es denn nicht so machen, dass wir diese beiden ge- nannten – die ČSSR und die ägyptische – als schon zugesagte jetzt noch machen, aber sagen, weitere können wir jetzt nicht mehr überlegen? Wehner: Ich will hier gar nicht die Diskussion verschlimmern. Ich stelle nur für mich selber eine Frage. Muss ich – und wenn ich muss, tue ich das – der polnischen Seite sagen als Person, dass ich die herzlich bitte, nicht von sich aus zuzulassen, dass – weil hier die Lust an Parlamentariergruppen so groß ist – die CDU/CSU zu der schimpfli- chen Seite, in der sie bisher die Polen-Verträge behandelt, auch noch dieses hinzufügt, dass wir mit ihr in ein Gerangel kommen, weil sie ja sagt, sie hätte eine frühere Zusage, dass eine polnische Gruppe, als Nächstes gebildet, ihren Mann als Vorsitz hätte. Dage- gen fand ich gestern nur einen Riegel, keine zu machen, aber wenn ihr das für besser haltet, nehme ich das auf meinen alten Buckel, Genossen, und konspiriere hier mit den Polen in dieser Frage, dass sie sagen, sie wünschten jetzt keine Gruppe mit uns.

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(Vereinzelter Beifall.) Helga Timm. Timm: Ganz kurz. Ich habe der CDU-Fraktion heute Morgen von unserer Haltung unmissverständlich Kenntnis gegeben. Auch sie überlegen, wieweit es sinnvoll ist, überhaupt am Ende der Legislaturperiode noch Parlamentariergruppen zu gründen, es sei denn, wir sind in bestimmten Dingen im Wort und das hat ja Herbert Wehner in seiner Eingangsklausel auch gesagt. Wir müssen das miteinander so verhandeln, dass wir hier keine Scherben haben und da sind wir. Wehner: Kann man das so einvernehmlich sagen, dass der Versuch gemacht wird, inter- fraktionell mit dieser Grundvorstellung, wenn es geht, keine, es wäre denn in außerge- wöhnlichen Fällen und meinethalben mögen diese als außergewöhnlich von allen Frak- tionen angesehen werden, macht man es noch. Ja, in der polnischen Frage habe ich mich angeboten, dann den Ausräumer zu machen. Denn die werden kommen, das werdet ihr noch sehen, das hätte – wer ihnen das Wort gegeben hat, weiß nicht, ich will es auch nicht untersuchen, ist meine Sache nicht und keine Sache –, sie hätten das Wort, dass, wenn es eine polnische Gruppe gibt, sie den Vorsitz bekommen und ich möchte, dass wir jedenfalls nicht an dieser schmählichen Sache uns beteiligen müssen. Aber wie ge- sagt, entweder so oder so, ich gehe in den Schornstein und mache ihn sauber. (Heiterkeit.) Genossen, das geht doch nicht! Das ist doch unmöglich, dass wir unter Rücksicht auf alles mögliche Andere das auch noch auf uns ziehen. Aber lasst uns so verbleiben im Sinne des Vorschlags von Helga Timm und der Dinge, die Annemarie Renger gesagt hat, dass wir dann die Fälle so lange abklopfen, bis herausgekommen ist, was im Sinne von Dringlichkeiten, weil es Verbindlichkeiten gäbe, noch gemacht werden soll, wenn alle drei Fraktionen dabei übereinstimmen. Dann kommen wir zum nächsten Punkt Informationen. Wer wünscht das Wort zu Fragestellungen? Eine ganze Menge. Hansmartin Simpfendörfer. Simpfendörfer: Genossinnen und Genossen, wir haben in einem Nachrichtenmagazin mit einiger Bestürzung zur Kenntnis genommen, dass eine bayerische Genossin – Ju- stizassessorin, die Richterin in Nürnberg werden sollte – von der Bayerischen Staatsre- gierung nicht dafür befähigt gehalten wurde, weil sie, obwohl Sozialdemokratin, in einer Vereinigung tätig ist, wo andere Sozialdemokraten und auch Kommunisten gleichermaßen tätig sind. Ich meine nun, dass die Bundesregierung möglicherweise Veranlassung hätte, dazu Stellung zu nehmen aus ihrer Sicht, ob eine solche Praxis der Praxis entspricht, die wir als Bund für unsere Einstellungspraxis für richtig halten oder nicht. Ich frage, ob die Bundesregierung zu einer solchen Äußerung bereit wäre? Wehner: Wolltest du dazu was, Jürgen? Jürgen Schmude. Schmude: Genossinnen und Genossen, den Bescheid, der da in Bayern ergangen ist, kenne ich nicht und kann nur aus dem »Spiegel« entnehmen, dass die Aufnahme in den öffentlichen Dienst als Richterin abgelehnt worden ist mit der Begründung, diese An- wärterin gehöre dieser Vereinigung demokratischer Juristen an. Es scheint dies – jeden- falls nach dem »Spiegel«-Bericht – der einzige Grund zu sein. Die Bayerische Staatsre- gierung bezog sich auf eine Auskunft, die ihr das Bundesinnenministerium gegeben hat, und in der Tat hat das Bundesinnenministerium im Verfassungsschutzbericht der bei- den letzten Jahre diese Vereinigung als ein Beispiel dafür genannt, dass kommunistische Kräfte versuchen, zusammen mit anderen Kräften eine Aktion zu unternehmen, die ihre eigenen, nämlich die der Kommunisten oder die Ziele der Kommunisten unter- stützt. Die Betonung liegt zusammen mit anderen und wie immer man diese Vereini-

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gung bewertet, wie man ihre Praxis politisch als unschön bezeichnet, die bloße Mit- gliedschaft in ihr kann ein Verweigerungsgrund für die Aufnahme in den öffentlichen Dienst selbst für denjenigen nicht sein, der unzulässigerweise eine Mitgliedschaft in einer Vereinigung mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung schon genügen lässt. Denn hier geht es ja darum, dass Kommunisten und andere zusammen in einer Vereinigung etwas unternehmen oder nicht unternehmen, dass also auch andere dabei sind. Kurz und gut: Aus dem, was wir hier beschlossen haben in Bonn, aber auch aus der Sicht des Bundesinnenministeriums kann ich bloß sagen, dass die Mitgliedschaft in dieser Verei- nigung in dem Sinne, wie wir es dem »Spiegel« entnehmen müssen, nicht ausreicht, dass hier also mit den Informationen, die aus Bonn bezogen worden sind, ein Gebrauch geübt worden ist, der nicht unseren Vorstellungen entspricht. Wehner: Wenn ich diese Ausführungen ergänzen darf, so nicht weil ich in diesem Fall Sachverständiger wäre, sondern weil an einige Adressen – eine davon ist die meine – der Ortsvereinsvorsitzende eine ausführliche nicht nur Beschreibung, sondern Unterlagen- sammlung geschickt hat. Die habe ich gestern dem Parlamentarischen Geschäftsführer Gerd Jahn gegeben mit der dringenden Bitte, sofortige Prüfung einzuleiten, und ich denke, dass wir darüber, was diese Unterlagen ergeben, klar ist, dass das hier diese Mei- nung, da soll jemand dafür gestraft werden, dass er in einer Vereinigung ist, in der auch und so weiter und so weiter, es dort also mit allen Unterlagen, dass wir uns hier damit befassen können. Ich nehme an, bei der Stelle Innenministerium wird das auf die Weise, die dort möglich ist, weitere Kreise ziehen. Inzwischen haben ja einige schon geschrie- ben, jetzt würde der Spieß umgedreht, Sozialdemokraten sollten einmal verdeutlichen, wie sie es mit der Zugehörigkeit von Mitgliedern ihrer Partei zu irgendwelchen sei es Gremien oder sei es Verbänden, aber nicht nur, sondern auch Körperschaften halten, in denen auch – in welcher Eigenschaft immer – Leute der DKP oder andere zugehören. Also ich denke, dass die genaue Prüfung dieses Notrufs und der Unterlagen vom Orts- vereinsvorsitzenden uns auch einen Schritt weiterbringen wird. Wird noch zu diesem Punkt das Wort gewünscht? Dietrich Sperling. Sperling: Herbert Wehner, deine Worte geben mir ein gewisses Maß an Beruhigung, denn hinter der Attacke gegen Charlotte10 Nieß steckt mit Sicherheit eine politische Absicht, nämlich Sozialdemokraten in Misskredit zu bringen. Da hätte ich die Frage oder die Bitte an den Vorsitzenden unserer Partei, nach Prüfung dieser Unterlagen durch zu erwägen, ob das Wir-Gefühl von Mannheim sich dann auch auf Charlotte11 Nieß insoweit erstreckt, als ihr Hilfe zuteilwird, wenn sie den Rechtsweg beschreiten muss. Denn dies wird ja wohl das sein, was wir von ihr erwarten werden und wo wir sie unterstützen müssten gegen die Bayerische Staatsregierung. Wehner: Ludwig Fellermaier. Fellermaier: Zur Information: Der geschäftsführende Bezirksvorstand Südbayern hat sich aufgrund der Unterlagen, die auch Herbert nannte, mit der Frage befasst. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dieses zu tun, Dieter Sperling, nämlich die Genossin zu un- terstützen. Wir haben ein zweiseitiges Schreiben an den Bayerischen Ministerpräsiden- ten gerichtet, in dem wir hinweisen auf die rechtliche Situation, dass dieses unhaltbar ist, was herangezogen worden ist aus dieser Teilauskunft des Bundesinnenministeriums und wir befinden uns aber jetzt in einer Auseinandersetzung mit der Bayerischen Staatsregierung, weil die durch ihren Sprecher hat erklären lassen, sie fordere uns – den

10 Bei der Bearbeitung korrigiert. Im Original zu hören: »Carola«. 11 Vgl. Anm. 10.

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Bezirksvorstand Südbayern – auf, gegen solche Sozialdemokratischen Mitglieder Par- teiordnungsverfahren einzuleiten. Es wird also zu einer öffentlichen Auseinanderset- zung und insofern ist es sicher sinnvoll, wenn man also auch hier vonseiten der Bundes- tagsfraktion – im geeigneten Augenblick, sage ich, nicht jetzt, sondern im geeigneten Augenblick – dazu zusätzlich etwas sagt. Wehner: Ja, ich verstehe, dass der Bericht über die Unterlagen des Ortsvereinsvorsit- zenden jedenfalls zwischenzeitlich so schnell wie möglich gegeben werden soll vor der Fraktion und dann weiter. (Beifall.) Peter Conradi zu einer anderen Frage. Conradi: Auf dem Parteitag hat der chilenische Bischof Frenz berichtet, dass im Sep- tember die Urteile von 102 politisch Verurteilten in Chile geändert wurden in Verban- nung oder Ausweisung und dass seit September 1975 diese Häftlinge ausreisen könn- ten, wenn andere Länder – zum Beispiel die Bundesrepublik – sie aufnehmen würden, und Frenz hat die Formulierung angefügt: Wir also sind es, die sie gefangen halten. Ich habe aus Baden-Württemberg einen ähnlichen Fall. Die Baden-Württembergische Lan- desregierung hat um die Überprüfung von 32 uns gemeldeten Asylsuchenden, die in Chile inhaftiert sind, im Juli die Bundesregierung gebeten. Die Sicherheitsüberprüfung ist bis heute nicht abgeschlossen. Nun hat der Bischof Frenz auf dem Parteitag festge- stellt, dass bei den Sicherheitsüberprüfungen die chilenische Regierung eingeschaltet wird. Das heißt, dass hier die Sicherheitsprüfung vorgenommen wird unter Verwen- dung der Unterlagen der Militärjunta. Meine Fragen sind Folgende: Fordert die Bun- desregierung bei Sicherheitsüberprüfungen Unterlagen der Militärjunta an und ver- wendet sie diese? Zweitens, ist bei ähnlichen Fällen, etwa aus dem Bereich, den Willy Brandt hier erwähnt hat in Südeuropa, also Portugal, Spanien, Griechenland oder in der ČSSR oder DDR, wenn wir Leute dort herausbekommen wollten, ist dort ebenfalls eine Sicherheitsüberprüfung unter Einschaltungen der Regierungen in Madrid, damals Lissabon, Prag oder in Ostberlin erfolgt? Drittens, ist nach der Anschuldigung des Bischofs Frenz dieses sei vergleichbar mit dem Vorgang, dass ein Aufnehmerland, das Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus aufgenommen hätte, sich damals in Berlin bei der Nazi-Regierung Unterlagen über die Sicherheitsrisiken dieser Flüchtlinge geben hätte lassen, ist dieser Vorwurf von Frenz, wird der durch eine öffentliche Klarstellung der Bundesregierung in Kürze, in tunlicher Kürze klargestellt? Wehner: Jürgen Schmude. Schmude: Ich habe Bischof Frenz in Mannheim nicht so verstanden, dass er den Vor- wurf erhoben hat, wir würden bei der chilenischen Regierung Informationen abfragen und einholen, sondern dass er seinen Vorwurf etwa so formuliert hat, dass hier die dortigen Regierungs- beziehungsweise Gerichtserkenntnisse zugrunde gelegt würden der Sicherheitsüberprüfung und dass dies doch ein unhaltbarer Zustand sei. In der Tat gibt es keine Regierungskontakte, durch die solche Informationen hierhergeholt wer- den. Wir sind aber bei den Sicherheitsüberprüfungen und bei der Entscheidung, ob Sicherheitsbedenken vorliegen oder nicht, angewiesen, irgendwelche Informationen zu bekommen und in dieses Informationsmaterial, das wir einzuholen versuchen, was schwierig ist und auch spärlich gelingt, fließt auch das ein, was dort die chilenische Justiz bei ihren sehr zweifelhaften und keineswegs rechtsstaatlichen Verfahren als Ur- teilsspruch über den jeweiligen Mann befunden hat. Das hat dazu geführt, dass in einer Reihe von Fällen die zuständigen Beamten Sicherheitsbedenken erhoben haben und die Aufnahme abgelehnt haben, in denen dies offenbar sowohl nach der Zuverlässigkeit des Materials als auch nach der Quelle unhaltbar war. Wir haben deshalb gestern noch im

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Innenministerium eine Besprechung gehabt, bei der wir zu dem Ergebnis gekommen sind, nunmehr hier sehr großzügig zu verfahren, um keinesfalls in die Gefahr zu gera- ten, schematisch irgendwas aus Chile zu übernehmen, was die dortige Justiz im innen- politischen Kampf ausgesprochen hat. Es gibt aber bei der Informationsbeschaffung immer noch Mängel, die sollen – soweit wie es irgend möglich ist – abgestellt werden, damit wir eine Sicherheitsüberprüfung, die wir den Ländern gegenüber pflichtgemäß vornehmen müssen, trotzdem durchführen können. Einerseits großzügig – andererseits unter Wahrung der Sicherheitsbelange. Denn wenn wir gar nichts mehr tun, lehnen uns die Länder die Aufnahme ab, und wir sind nicht in der Lage, auch nur einem einzigen zu helfen. Hier hat sich die Praxis also geändert. Der von Bischof Frenz beanstandete Zustand besteht nicht mehr und ich hoffe, dass wir zu weiteren Verbesserungen kom- men. Die übrigen Fragen habe ich für mehr rhetorischer Art gehalten, denn es gibt weder vergleichbare Fälle, noch gibt es hier eine Praxis, die wir auf andere Fälle über- tragen könnten. Wehner: Zusatzfragen? Conradi. Conradi: Jürgen, ich habe das Zitat hier. Es heißt: Es leuchtet mir ein, dass Sicherheits- überprüfungen in unserer heutigen Welt vorgenommen werden müssen. Leider ist das so. Dennoch brauchen wir auch dazu die notwendigen Unterlagen und es geht nicht an, dass wir unter uns mit den Unterlagen arbeiten, die die Militärjunta in Chile vorbereitet hat. Zitat Ende. Aus dem, was du sagst, entnehme ich, dass die Bundesregierung Unter- lagen der Militärgerichte hier ihrer Sicherheitsüberprüfung zugrunde legt. Das heißt, dass der Vorwurf von Frenz bestätigt und nicht zurückgewiesen werden kann. Wehner: Jürgen Schmude. Schmude: Ich glaube, dass Bischof Frenz sich da allenfalls missverständlich ausge- drückt hat. Denn das, was er da an Informationen seiner Kritik zugrunde gelegt hat, das hat er letztlich in einem Gespräch vor einigen Wochen von mir bekommen und es han- delt sich in der Tat darum, dass uns die Urteilsergebnisse aus Chile gemeldet worden sind und einige Beamte bei uns hergegangen sind und etwa gesagt haben, der hat fünf Jahre wegen Waffenbesitzes bekommen dort. Das ist aber viel, da muss ein Risiko drin sein. Den lehnen wir ab. Eine, wie wir sicherlich übereinstimmen werden, unhaltbare Praxis. Es gibt aber keine Regierungs- oder Behördenkontakte dieser Art. Das kann ich noch einmal nachdrücklich versichern. Wehner: Dazu Herta Däubler-Gmelin. Däubler-Gmelin: Jürgen, ich glaube, du irrst in deiner Interpretation dessen, was Frenz gesagt hat. Wir haben also in Ludwigshafen zu relativ später Stunde noch Gelegenheit gehabt, uns anderthalb Stunden mit ihm über diese Themen zu unterhalten. Er brachte sehr klar zum Ausdruck, dass er der Auffassung sei, dass auch unser Verfassungsschutz, der euch das Material zukommen lasse, mit Material aus Chile arbeite. Wehner: Jürgen Schmude. Schmude: Ohne dass wir die Interpretation der Äußerungen von Frenz fortsetzen, akzeptiere ich jetzt eure Vorhaltungen, dass wir von Regierungsseite hier ein klarstel- lendes Wort längst hätten sprechen sollen. Ich wollte freilich – und darum bitte ich um Verständnis – die gestrige Besprechung, um die ich meinen Minister seit langem gebeten hatte und die jetzt möglich geworden ist, erst abwarten. Aber das wird nachgeholt. Wehner: Keine weiteren Zusatzfragen? Andere Frage Rolf Meinecke. Meinecke (Hamburg): Genossinnen und Genossen, die Koalitionsfraktionen haben Ende September eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet betreffs Fort- führung der Aufgaben des Deutschen Bildungsrates. Die Anregung hierzu ist direkt in

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der Fraktionssitzung durch den Bundeskanzler – durch Helmut Schmidt – erfolgt, der der Meinung war, dass die Ablehnung zweier CDU-regierter Bundesländer, diesen Bildungsrat fortarbeiten zu lassen, in der Publizistik nicht ausreichend negativ gewür- digt worden ist. Die Antwort auf diese Kleine Anfrage ist euch am 14. 11., also zu Be- ginn dieser Woche, zugestellt worden. In der Antwort heißt es, dass jetzt nach den Verhandlungen in Hamburg zwischen den Ministerpräsidenten der Eindruck entstan- den sei, dass sich die Aussichten für den Abschluss eines Abkommens verbessert haben. Nach meinen Informationen wird hierüber noch in dieser Woche, am Ende der Woche, zwischen den Ministerpräsidenten und dem Bundeskanzler verhandelt. Inzwischen habt ihr auch den Bildungsbericht ’75 des Bildungsrates bekommen, der beweist, welch hohen Wert wir und die Koalitionsfraktionen der Arbeit und damit auch der Fortfüh- rung der Arbeit dieses Bildungsrates beimessen sollten. Ich möchte gerne Helmut Schmidt fragen, ob Chancen bestehen, dass dieser Bildungsrat nicht amputiert wird und dass, wenn er weiterarbeitet, er nicht in einer amputierten Form weiterarbeiten kann? Wehner: Wer antwortet auf Regierungsseite? . Glotz: Rolf, die Verhandlungen sind jetzt am nächsten Freitag in einer Verhandlung zwischen dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten. Es gibt immer noch große Schwierigkeiten, die vor allem zwei Länder oder ein Land vor allem – ein süddeutsches Land – machen. Dabei geht es unter anderem um das Problem einerseits der Geschäfts- stelle, das heißt also der Frage, wo soll eigentlich eine büromäßige Unterbringung und auch eine exekutive Hilfe für diese Kommission untergebracht werden, bei der Bund- Länder-Kommission für Bildungsplanung. Es gibt den alternativen Vorschlag beim Wissenschaftsrat. Das heißt, wir wollen mit aller Kraft durchzusetzen versuchen, dass dieses geht und dass die Länder nicht nur mehr Geld von uns verlangen, sondern dass sie auch bei einer solchen Frage uns den Bildungsrat nicht kaputtmachen. Aber es gibt nach wie vor ein Land, das große Schwierigkeiten macht, und deswegen lässt sich End- gültiges vor dem Freitag nicht sagen. Wehner: Zusatzfragen? Keine. Andere Frage Helga Timm. Timm: Genossinnen und Genossen, ich wollte diese Informationsstunde ausnahmswei- se mal nicht benutzen, um eine Information zu haben, sondern euch auf etwas auf- merksam zu machen. In dem Wust eurer Papiere, die ihr jetzt vorgefunden habt, habt ihr sicherlich auch einen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags der 7. Wahlperiode vom Institut für Psychologie der Georg-August-Universität vorgefunden, einen Fragebogen, eine Umfrage an die deutschen Bundestagsabgeordneten mit der Absicht, wie darinsteht, ein Meinungsprofil unter den Abgeordneten zu erstellen und in regelmäßigen Abständen immer wieder auch der Meinungsprofile der Bevölkerung gegenüberzustellen. Ich weiß natürlich nicht, wer von euch oder ob überhaupt darauf geantwortet wurde. Ich wollte eure Aufmerksamkeit ganz gerne darauf lenken, denn alleine das Lesen der 28 Fragen, die angefügt sind und zur Beantwortung angeboten werden, hat mich mehr Zeit gekostet, als hier sozusagen als Vorgabe schon für das Ausfüllen angedeutet wird und ich meine, wenn man diese Fragen ein bisschen auf- merksamer liest, dann werden einem wahrscheinlich mindestens Zweifel an der Brauchbarkeit dieser Fragestellungen aufkommen. (Beifall.) Aber vor allen Dingen möchte ich hinweisen auf die Gefahr der Manipulierbarkeit. Wenn ihr die vier Kästchen da unten seht, nicht wahr, eintragen welcher Fraktion man angehört, welcher Partei man angehört, solche Dinge sind völlig unkontrollierbar auf diese Weise und damit kann also auch grober Unfug gemacht werden. Ich glaubte, euch mindestens auf diese Weise aufmerksam machen zu sollen. Schönen Dank.

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(Beifall.) Wehner: Hermann Dürr, wolltest du dazu? (Zwischenruf Dürr: Ist erledigt.) Hat sich erledigt. Harald Schäfer. Schäfer (Appenweier): Genossinnen und Genossen, bei der letzten Fraktionssitzung, bei der vorletzten, als das Haushaltsstrukturgesetz beraten wurde, haben wir nach lan- ger Debatte festgestellt, dass an diesem Gesetz aufgrund Koalitionsvereinbarung nichts mehr zu ändern sei. In diesem Gesetzentwurf war auch der ominöse Artikel 16 a enthal- ten, ohne Debatte in der Fraktion, der auf Vorschlag des Bundesrates mit Zustimmung der Bundesregierung und Zustimmung der Koalitionsfraktionen aufgenommen wurde.

In diesem 16 a sollte geregelt werden, dass bei Körperschaften und Anstalten und Stif- tungen mit öffentlichem Recht Leistungen, Arbeitsentgelt und Arbeitsbedingungen nur mit Zustimmung der jeweiligen Aufsichtsbehörde besser sein dürfen als bei vergleich- baren Einrichtungen Bund, Länder und Kommunen. Wir haben hier eine fachliche Debatte gehabt beim 2. BesVNG, als die Problemstellung bei der gesetzlichen Kran- kenversicherung, die auch in 16 a parallel geregelt hat, beschlossen wurde. In der Ple- nardebatte haben wir dann einen Antrag vorgefunden – interfraktionell – auf Strei-

chung dieses 16 a. Ich habe nun zwei Fragen im Zusammenhang. Erstens wäre ich dankbar für die Begründung, warum das nun so hoppla hopp gestrichen wurde und zweitens meine Bitte, wenn es sich als unumgänglich erwiesen hat, ob es in solchen Fällen nicht möglich ist, vorher die Fraktion zu informieren. Ich hatte am Vorabend der Plenarsitzung eine Veranstaltung auf Bitten eines stellvertretenden Fraktionsvorsit- zenden beim DGB in Heidelberg und habe nachhaltig diesen 16 a verteidigt, da sei nichts mehr zu machen und habe dann am nächsten Morgen hier den Antrag vorgefun- den. Für eine Aufklärung wäre ich dankbar. Wehner: Andreas von Bülow. von Bülow: Ja, der ominöse Antrag, den ihr vorgefunden habt, trägt leider Gottes mei- ne Unterschrift. Ich habe sie nicht gerne daruntergesetzt, aber ich sah keine andere

Möglichkeit, als so die Dinge zu handhaben. Der Artikel 16 a war nicht ursprünglicher Bestandteil des Haushaltsstrukturgesetzes. Er ist auf Antrag des Landes Hamburg aufgenommen worden durch den Bundesrat und da die Bundesregierung, wie sie nach- her behauptet hat, auf unterster Ebene dem zugestimmt hat, ist sie ohne jede Beachtung oder fast ohne jede Beachtung durch sämtliche Ausschüsse gegangen. (Zwischenruf.) Untere Ebene geht für mich bis zum Abteilungsleiter. (Heiterkeit.) Auf jeden Fall zeigte sich dann im Laufe der Verhandlung erstens mal, dass wir, ich glaube, bis zu 80 oder 90 Eingaben von allen möglichen Organisationen bekommen haben einschließlich der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften, Vetter und Kluncker, die darauf hinwiesen, dass dies ein massiver Eingriff in die Tarifautonomie sei und dass sie sich in Massenveranstaltungen dagegen zur Wehr setzen würden, dass das hier gemacht würde. Hinzu kommt, dies allein hätte uns nicht verschreckt, hinzu kam aber, dass der Koalitionspartner in seiner Fraktionssitzung beschlossen hatte, dem nicht zuzustimmen. Dann kam es im Laufe der Debatte zu Koalitionsverhandlungen, in denen auch der Bundesfinanzminister erklärte, hätte man die ganze Problematik beach-

tet und wäre der Spitze des Hauses vorgelegt worden, man diesen Artikel 16 a keines-

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wegs zugestimmt hätte. In dieser Situation war Mischnick12 und Lambsdorff13 und eine ganze Reihe der maßgebenden FDP-Leute, Kirst, erklärten, sie könnten dieser Fassung nicht zustimmen und sie würden dem Antrag der CDU zustimmen, dies wieder her- auszunehmen aus dem Haushaltsstrukturgesetz. Und angesichts dieser Situation stan- den wir vor der Frage, ob wir hier klein beigeben sollten oder ob wir darauf bestehen sollten und mit einem unterschiedlichen Abstimmungsverhalten der Koalitionspartner in die Debatte gehen sollten. Wir haben uns dafür entschieden, den Artikel 16 a im Wege eines Gruppenantrags zurückzunehmen. Wir standen vor der Frage, eine Frakti- onssitzung zu machen. Das war ungefähr eine Viertelstunde, bevor dieser Artikel auf- gerufen wurde. Ich habe mit Herbert Wehner Rücksprache genommen und Herbert Wehner war der Meinung, dass in dieser Situation wir uns eine Unterbrechung der Diskussion und der Debatte über das Haushaltsstrukturgesetz nicht leisten konnten. Wie gesagt, das war eine schwierige, eine sehr schwierige Situation, in der wir waren. Korrekt wäre es gewesen, eine Unterbrechung der Plenarsitzung zum Haushaltsstruk- turgesetz durchzuführen, dann möglicherweise auf zwei bis drei Stunden das Plenum sausen zu lassen und hier eine Diskussion kontrovers zu führen und dann nachher die Debatte fortzusetzen. Das hätte einen entsprechenden Eindruck in der Öffentlichkeit gegeben. Dies sollte vermieden werden und darum muss herzlich um Entschuldigung gebeten werden, dass wir diesen Weg in äußerster Bedrängnis gewählt haben. Wehner: Norbert Gansel. Gansel: Zunächst einmal was die Sache anbetrifft, so wird das vielleicht nicht allen Kollegen in der Fraktion bekannt sein, so verbirgt sich dahinter, dass bei verschiedenen Anstalten und Einrichtungen des öffentlichen Rechts, insbesondere bei den Ersatzkas- sen sich Tarife herausgebildet haben, die um 30 bis 40 Prozent liegen über vergleichba- ren BAT-Tarifen und das fängt bei der Phonotypistin an im Büro, die nach BAT etwa verdienen kann 1 200 bis 1 600 und bei der Barmer Ersatzkasse zwischen 1 500 und

2 200. Ich sage euch ungefähr die Relation, nagelt mich nicht auf die einzelne Zahl fest. Das hat dazu geführt, dass die Geschäftsführer der Ersatzkassen zum Beispiel, die uns ständig Vorwürfe machen, weil sie die Beiträge heraufheben müssten, Gehälter bezogen werden, die bei Grundgehalt des Geschäftsführers Barmer Ersatzkasse etwas über kümmerliche 9 000 D-Mark Grundgehalt und deshalb die Überlegung, hier eine Auf- sichtspflicht einzuführen. Wir haben das bei uns im Arbeitskreis Soziales, ich glaube, zweimal ausführlich diskutiert, auch die Frage der Tarifautonomie. Dieses unter ande- rem in Gegenwart des Parlamentarischen Staatssekretärs, den ich nicht als die unterste Ebene des Arbeitsministeriums ansehe, und ich weiß auch, dass das in anderen Kreisen diskutiert worden ist und für uns alle war das Bestandteil des Paketes, das wir in der Fraktionssitzung in der Diskussion über die Ministerialzulage nach allen Beschwörun- gen nicht mehr ändern konnten. Und ich muss sagen, für mich ist dieses Paket aufge- kündigt worden durch einen Überraschungsangriff der FDP, bei dem wir klein beige- geben haben, Alexander, und die Frage ist, ob wir nicht – (Unruhe.) ja, du hast ja die Alternative selbst, Andreas, pardon. Ich dachte an Andreas den Gro- ßen. (Heiterkeit.)

12 Wolfgang Mischnick, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der FDP. 13 Otto Graf von Lambsdorff, MdB-FDP, im FDP-Bundesvorstand.

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Ich bedanke mich für die Aufklärung. Das ist eben doch so in der Politik, dass man immer vorher ankündigen muss mit der Satire. Wie das dann – na ja. (Heiterkeit.) Jedenfalls, für uns war das Bestandteil des Paketes, das von der FDP aufgemacht wor- den ist, und für uns stellt sich halt die Frage, da wir jetzt ständig solche Überraschun- gen erleben, dass immer wieder auch Vorlagen der Regierung vom Koalitionspartner verlassen werden – ich denke etwa an das Jugendarbeitsschutzgesetz – wo für uns die Grenze des Ertragbaren bei solchen Verhandlungen und bei solchen Kompromissen ist. Ich muss das ganz deutlich sagen. Im Übrigen bleibt noch die Frage offen, wie wir uns verhalten wollen bei den Diskussionen in der Partei und mit den Gewerkschaften über dieses Thema. Wer die Kollegen kennt aus der ÖTV und aus der DAG, die gleichzeitig in den Ersatzkassen tätig sind, der weiß, dass dieses oft auch Wort- und Meinungsfüh- rer in Versammlungen sind, die uns nageln, sind so oder so, so wie das einige schon in Gesprächen auf dem Mannheimer Parteitag getan haben. Die Frage ist, wie stehen wir dazu. Bleiben wir nach wie vor dabei, dass das gerechtfertigt war und dass es sinnvoll ist und dass wir uns nur dem Koalitionspartner haben fügen müssen, oder wird jetzt plötzlich eine bessere Einsicht verkündet? Ich wäre dankbar, wenn die Genossen aus dem Ministerium dazu auch noch etwas sagen würden. Wehner: Die werden sicher noch was sagen. Was aber die Gewerkschaften betrifft, so ist, was selten vorkommt, das Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Vorstands ge- kommen und er sagt, das tue er nicht nur persönlich, er bedanke ich ausdrücklich dafür, dass wir das gemacht hätten. Das Gerd Schmitt, von dem hier die Rede ist, und dasselbe ist bei der DAG gewesen. Und im Übrigen habe ich einige Briefe von denen bekom- men, vorher meterlange Fernschreiben, vorher meterlange Fernschreiben, wenn ich also der Sache weiter nachgehen würde, sofern ich Zeit hätte und Lust hätte, müsste hier ein Bund zwischen den Gewerkschaftsspitzen und der FDP geschlossen worden sein. Ja ungefähr, nicht nur ungefähr, sondern in der Sache kam es auf dasselbe hinaus, wenn auch aus wahrscheinlich verschiedenen Interessen. Nur, also ganz so einfach ist das nicht, Norbert, dass wir sagen, das kommt von der FDP. Ich habe hier nur noch zu bestätigen, dass Andreas – den du grade dafür alleine vor die symbolische Flinte ge- nommen hast – da in einer schwierigen Situation war, und ich habe gesagt, hier gibt’s jetzt nur noch eins, Verständigung mit dem Finanzminister und dann durch. Das ist geschehen. Sind noch Zusatzfragen? Hans Apel. Apel: Genossinnen und Genossen, Geld hätte das Ganze natürlich überhaupt nicht gebracht. (Heiterkeit.) Ich bin auch nicht genügend Fachmann, um beurteilen zu können, ob vielleicht die Barmer Ersatzkasse unter diesen Paragraphen fällt. Das müssen andere beantworten. Ich habe ihn eben noch mal nachgelesen. Demnach ist das kein Thema Barmer Ersatz- kasse, aber dies ist eine andere Frage. Hätten wir diesen Paragraphen so aufrechterhal- ten, dann hätten wir monatelange Streitereien darüber gehabt, ob Tätigkeitsmerkmale, die beim Bund vorhanden sind für eine Stenotypistin, in gleichem Maße auch gelten bei einer anderen zuzuordnenden Institution und wir hätten in der Tat die Tarifautonomie massiv ausgehöhlt. Nun ist es so, wie Andreas von Bülow gesagt hat. Ich habe das Ding, ehrlich gesagt, mir nie angeguckt. Hat kein Geld gebracht, habe ich auch nicht drauf geguckt und insofern war ich mir von der Existenz dieses Paragraphen, ehrlich gesagt, nicht bewusst. Ich habe nur dahin geguckt, wo es was bringt oder wo es was kostet. Dafür werde ich bezahlt. Dann ist es genauso gegangen, wie Andreas gesagt hat. Plötzlich kamen also die Proteste der Gewerkschaften massiv über uns, aber wirklich

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massiv und davon hat natürlich auch der Koalitionspartner gehört und es gab in der Tat nur zwei Möglichkeiten: entweder im Plenum untergehen oder diesen nicht sehr ele- ganten Weg zu gehen. Und Andreas hat sich bereiterklärt, diesen nicht sehr eleganten Weg mit seinem Namen für uns zu gehen. Ich bin froh, dass das so gegangen ist. Hätten wir dies so beschlossen, hätten wir heute einen Riesenärger. Das ist die Geschichte, so wie sie wirklich war. Wehner: Hermann Buschfort.

Buschfort: Ich will zunächst einmal ausdrücken, dass wir an einer Regelung 16 a sehr wohl interessiert gewesen wären. Es kommt nicht darauf an zu sagen, Hans Apel, es hätte für mich nichts gebracht, sondern dies hätte etwas für die Versicherten gebracht und hätte durchaus in die Konzeption hineingepasst der Kostensenkung in den ver- schiedensten versicherungsrechtlichen Bereichen. Das ist die eine wichtige Sache. Die- sen Anschluss haben wir verpasst und wir sind auch mehrere Wochen dann doch wohl immer in eine falsche Richtung hineingegangen oder gedrängt worden, dieses durchzu- setzen.

Das Zweite, was ich hier ansprechen möchte, ist Folgendes. Diese 16 a-Regelung hätte auch endlich damit aufgeräumt, dass beispielsweise der Leiter einer Ersatzkasse in der

Größenordnung B 11 bezahlt wird und dass der Leiter der Bundesversicherungsanstalt in einer ganz anderen Größenordnung nach B 6 bezahlt wird. Dieses Missverhältnis wäre mit dieser Regelung und auf einigen anderen Feldern – wie es Gansel gesagt hatte – mit bereinigt worden. Das Dritte – was ich sagen möchte – ist, es stimmt nicht, ich sage das, es stimmt nicht, dass die FDP-Fraktion einen Beschluss gehabt hat. Ich habe mit FDP-Leuten gespro- chen. Sie haben mir gesagt, sie hatten den Beschluss, noch einmal zu versuchen, mit uns über diese Frage zu sprechen. Aber ich frage mich jetzt, was wäre eigentlich gewesen, wenn aus dieser Fraktion nicht Andreas, sondern Müller oder Meier oder Pipe – wie wir ihn nennen wollen – gesagt hätten, mir und uns und die Einflüsse von außen sind so, dass wir das verhindern möchten, jetzt machen wir einen Gruppenantrag. Dann wären wir alle miteinander gescheitert und deshalb verstehe ich nicht, dass man [einen] Tag vorher oder einige Tage vorher sagen kann, nichts geht mehr und wir wären wahr- scheinlich alle miteinander interessiert gewesen, doch an einigen Stellen etwas zu än- dern. Wir haben alle zurückgesteckt und dann an einem Morgen plötzlich geht das mit zwei Unterschriften aus unserer Fraktion und die Fraktion, die am Tag vorher gesagt hat, nichts geht mehr, ist plötzlich überrollt. Ich meine das vom Grundsatz her und das mag hier vielleicht so oder so dargestellt sein und mag jetzt auch nicht passen, dass ich das jetzt hier sage, nur ich sage ganz deutlich, aus den Kostengründen in der Kranken- versicherung, aus den Kostengründen und der Gleichheit in der Rentenversicherung, in der Unfallversicherung und welche Bereiche auch immer tangiert gewesen sein mögen, wir hätten es gern gesehen, dass man den Ersatzkassen zumutet, was der Bundesanstalt für Arbeit als Selbstverständlichkeit, was jeder LVA als Selbstverständlichkeit und was jeder Bundesversicherungsanstalt als Selbstverständlichkeit zugemutet wird, nämlich eine Anlehnung in der Besoldung im Verhältnis zum Bund, zum Land oder zu den Gemeinden. Ich verstehe überhaupt nicht, warum eine öffentlich-rechtliche Einrich- tung wie eine Ersatzkasse nicht gleichbehandelt werden kann beispielsweise mit einer Berufsgenossenschaft oder mit einer LVA. Offenbar habe ich dieses Thema dann von Anfang an falsch verstanden. (Beifall.) Wehner: Das hast du sicher nicht, lieber Hermann. Ich habe hier eine blendende Rede von dir gehört und ich hätte ich sie vorher gewusst, dann hätte ich dich gebeten, auf die

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meterlangen Schreiben des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Deutschen Ange- stelltengewerkschaft zu antworten, nicht, zu antworten, damit wir genau wissen, dass nicht alles genau so ist, wie es sich im Nachhinein unter dem Strich herauszustellen scheint. Axel Wernitz. Wernitz: Genossinnen und Genossen, ich glaube nicht, dass es letzten Endes auch bei Hermann Buschfort um den sachlichen Inhalt alleine ging, sondern sein Beitrag muss ja im Zusammenhang mit der vorausgegangenen Diskussion gesehen werden, und ich darf vielleicht auch daran erinnern, dass ich – obwohl ich im Zusammenhang mit der Mini- sterialzulage eine sehr bestimmte Auffassung hatte in der Arbeitsgruppe, auch im In- nenausschuss –, dass ich aus den Gründen, die hier dann in den abschließenden Bera- tungen vorgetragen worden sind auch von der Fraktionsführung, mich diesen Argu- menten gebeugt habe und angeschlossen habe, ausdrücklich angeschlossen habe. Mir geht es jetzt für die Zukunft darum, wenn ähnliche Situationen im Plenum oder wo auch immer entstehen, dass man es der FDP nicht so leicht macht. Meterlange Schrei- ben kriegen wir auch bei anderen Anlässen, nicht nur hier bei dieser Geschichte. Diese meterlangen Schreiben können wir in Zukunft auch bei anderen Vorgängen bekom- men, das ist kein Problem gerade in der jetzigen Situation, in der wir stehen. Aber da- mit sich Ähnliches nicht wiederholen kann, wäre es sicher hilfreich, wenn dann in Zu- kunft wir eben doch unterbrechen. Denn wenn wir dieses Verfahren, das im Plenum zwei, drei Genossen, auch durchaus kompetente Genossen, die sich die Entscheidung nicht leicht machen, das ist also völlig unbestritten, wenn die das auf ihre Kappe neh- men müssen, das halten wir auf die Dauer nicht aus und – wie gesagt – wir machen es der FDP einfach zu leicht. Sie erringt Erfolge zum Nulltarif und das kann keiner von uns ernsthaft wollen. Meine Bitte also, dass wir dann in Zukunft unterbrechen und damit auch dem Koalitionspartner klarmachen, dass man so einfach nicht ausscheren kann, wenn selbst die FDP vorher gesagt hat, es ist Schluss und wir müssen das Paket so nehmen, wie es durch die Beratungen durchgegangen ist. Dies wäre eine Bitte, die ich hier äußere, bewusst kein unmittelbarer Antrag. (Beifall.) Wehner: Gibt’s nach Wortmeldungen zu diesem Punkt? Andreas von Bülow. von Bülow: Ich meine, Axel, wenn du hier von den meterlangen Fernschreiben, denen wir vor allen Verbänden ausgesetzt waren, redest, dann nehme ich das zur Kenntnis. Nur wenn die Führungsspitzen von DGB und DAG Sondersitzungen machen aus Anlass dieses Problems und einhellig der Meinung sind, dass dies ein massiver Eingriff in die Tarifautonomie ist, haben wir das als sozialdemokratische Bundestagsfraktion ernst zu nehmen. Der zweite Punkt: Ich hatte drei oder vier Stunden mit denen gekämpft und mein Pro- blem war, dass eine Einheitslinie gegeben hat. Bundesfinanzministerium – FDP, das war das Problem und für das Bundesfinanzministerium gibt es auch eine Reihe von Gründen, dass nicht ganz so aus der Hüfte heraus das Problem erschossen werden kann. Es gibt nämlich eine Riesenbandbreite. Es sind nicht nur die AOKs, die betroffen sind. Es sind die Rundfunkanstalten betroffen. Es ist eine fast unüberschaubare Band- breite, die natürlich in den Tarifverträgen vonseiten der Gewerkschaften des öffentli- chen Dienstes eingebunden sind, davon betroffen. Nun standen wir vor der Frage, da wurde eine ganze Reihe von Kompromissangeboten gemacht, sollen wir das eine oder andere herausnehmen und da haben wir gesagt, es gibt insgesamt in der Schnelligkeit der Entscheidungen wahrscheinlich keine vernünftige Lösung. Und da muss ich den Kollegen aus dem Innenausschuss – ich weiß nicht, Helmuth Becker, du bist ja hier –, die mir dann im letzten Moment gesagt haben, im Übrigen haben wir bereits entspre-

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chendes Instrumentarium im BesVNG geschaffen, mit dem wir dieses Problem angrei- fen können. Und nachdem ich dies gehört hatte, ist bei mir der Widerstand gegen die FDP-Regelung etwas geschmolzen, muss ich sagen, wenn mir die Leute aus dem In- nenausschuss sagen, wir können dem Problem auch mit anderen Mitteln beigehen. (Zwischenruf.) Nein, nein, nicht nachher, sondern das war vorher. Und wir standen einfach vor der Frage, der Lambsdorff erklärte, wenn der Finanzminister erklärt, er hält die Regelung nicht für sinnvoll, die Gewerkschaften erklären die Regelung nicht für sinnvoll, im Gegenteil sogar als einen Eingriff in ihre Tarifhoheit, dann werde ich – Lambsdorff – auf die Rednertribüne gehen und werde erklären, dass wir dies für Unsinn halten und dass wir in diesem Fall mit der CDU stimmen werden. In der Situation haben wir nach Rücksprache mit Herbert Wehner – es tut mir leid, ihr könnt mich ja verprügeln dafür – aber so war die Situation, Olaf14, wir haben dann nachher Schlussverfahren, wir wa- ren alle der Meinung, wir würden als Sozialdemokraten das halten, aber in der jetzigen Situation wäre die Entscheidung so die richtige und die sinnvolle. Prügelt uns dafür, aber ich glaube, es war keine andere Möglichkeit damals gegeben. Wehner: Noch Wortmeldungen dazu? Axel Wernitz. Wernitz: Andreas, ich möchte das nur klarstellen. Ich habe das vorhin schon gesagt. Das ist überhaupt kein Angriff auf dich, im Gegenteil. Aus der Situation heraus sicher verständlich und auch zu akzeptieren. Nur es geht jetzt ja darum, wie verhalten wir uns in der Zukunft. Man muss ja das Problem auf der anderen Ebene methodisch sehen. Die FDP könnte ja hier jederzeit beliebig ausbrechen und nicht nur bei diesem Thema, sondern was wäre gewesen, wenn die zum Beispiel entgegen ihrer vorherigen Haltung jetzt in der Schlussphase im Plenum gesagt hätten, wir haben unsere Meinung hinsicht- lich der Ministerialzulage geändert. Das wäre doch dann die gleiche Sachlage gewesen. Ist konstruiert, aber hier liegt doch das Problem, und da müssen wir für die Zukunft klarmachen, was auch bei anderen Anlässen gesagt wurde und auch von der FDP ak- zeptiert wird, dass man nämlich nicht mit wechselnden Mehrheiten im Plenum arbeitet. Auch daran muss man die verehrten Kollegen der Koalition erinnern. Das gilt für beide Seiten und vielleicht kann man dies den Kollegen der FDP-Fraktion auch einmal klar- machen. Denn nur wenn wir auf dieser Basis vernünftig zusammenarbeiten, haben wir auch vernünftige Ergebnisse und das müssen beide Seiten einsehen. Wehner: Helmuth Becker. Becker: Genossinnen und Genossen, Norbert Gansel hat die Frage aufgeworfen, was denn nun eigentlich wir draußen sagen. Ich möchte noch einmal daran erinnern, es war ja nicht ganz einfach, als Berichterstatter im Plenum etwas dazu zu sagen. Aber wir haben ja nicht etwa die Frage als nicht mehr existent oder vom Tisch gewischt betrach- tet, sondern ich habe in dieser kurzen Darlegung zu diesem Artikel 16 a ausdrücklich darauf verwiesen, dass wir jetzt keine Gefahr eingehen wollen, dass man uns vorwirft, wir greifen in die Tarifautonomie ein oder wir tangieren sie und dass wir im Zusam- menhang mit dem Artikel 8 des Zweiten Besoldungsneuregelungs- und Vereinheitli- chungsgesetzes natürlich auch diese Frage wie verschiedene andere, die ja beispielsweise vom Haushaltsausschuss dem Innenausschuss zur weiteren Prüfung überwiesen wor- den sind, auch in Zukunft weiter zu beraten haben. Ich meine also, dass wir draußen die Diskussion damit bestehen können, dass wir sagen, wir haben in dieser Sekunde nicht etwas getan, was uns den Vorwurf hätte einbringen können, wir würden ausgerechnet

14 Gemeint ist entweder Olaf Sund oder Olaf Schwencke.

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als Sozialdemokraten in die Tarifautonomie eingreifen, dass wir aber in der Sache selbst diese Problematik weiter behandeln müssen. Ich meine, dass man sich draußen in Ver- sammlungen damit auf jeden Fall rechtfertigen kann. Wehner: Noch Wortmeldungen? Gibt es Fragen zu anderen Punkten? [C.] Wehner: Wenn nicht, dann kommen wir zum Punkt 4. (Zwischenruf.) Wozu? Zu Punkt 4, Kurt Mattick. Mattick: Genossinnen und Genossen, der Arbeitskreis I hat heute einen Vorschlag von Uwe Holtz aufgegriffen und möchte der Fraktion vorschlagen, eine Gruppe für Men- schenrechtsfragen innerhalb unserer Fraktion zu bilden, die sich insbesondere dafür anbietet, Koordinierungs- und Clearingstelle für alle Eingaben, die Menschenrechtsfra- gen behandeln, ist, die an die Fraktionsangehörigen gerichtet werden. Unterstützung von besonders wichtigen und dringlichen Initiativen, Resolutionen, Konventionen, welche die Verwirklichung der Menschenrechte zum Ziel haben, sowie Information und Koordinierung bedeutender parlamentarischer Aktivitäten auf der internationalen Ebene, zum Beispiel Europäisches Parlament, Europarat, EPU. Gedacht ist also an eine Gruppe in der Fraktion, die möglichst von allen Arbeitskreisen beschickt wird, die sich fortlaufend mit den Fragen der Menschenrechte beschäftigen wird und jeweils der Fraktion dann auch Vorschläge macht, was von Fall zu Fall zu tun ist. Wir würden vorschlagen, wenn das unterstützt wird, dass der 10. Dezember zur Gründung dafür festgelegt wird, weil am 10. Dezember der Tag der Menschenrechte ist und wir bitten die Genossen, die sich dem noch anschließen wollen, sich bei Uwe Holtz zu melden, damit wir den Tag vorbereiten können. Wir schlagen als Vorsitzenden vor Claus Arndt, der sich schon bereiterklärt hat, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich glaube, dass der Gedanke sehr gut ist, damit wir eine gewisse Unabhängigkeit und Entscheidungsfrei- heit in all den Dingen haben, die uns von draußen aufgezwungen werden. Danke sehr. Wehner: Wird das Wort dazu gewünscht? Fraktion einverstanden? Dann bitte ich Horst Krockert zu einem Bericht Wohnbesitz, Gesetzessituation betreffend. Krockert: Genossinnen und Genossen, am 7. November hat der Bundesrat das dritte Mal den Gesetzentwurf Wohnbesitz- und Eigentumsbildungsförderung abgelehnt. Zweimal nach Vermittlungsrunden, in denen wir jeweils Konzessionen gemacht haben und unsere ursprüngliche Position erheblich preisgegeben haben, um der CDU/CSU entgegenzukommen. Wir standen also in der letzten Woche in unserer Arbeitsgruppe vor der Frage, ob die Möglichkeit ergriffen werden soll, nunmehr den Vermittlungsaus- schuss in dieser Sache ein drittes Mal anzurufen, nunmehr vom Bundestag aus. Wir sind in der letzten Woche zu der Überzeugung gekommen, dass wir diesen Versuch nicht mehr machen sollten. Ich sage dann gleich noch wozu. Wir kamen heute in der Ar- beitsgruppe erneut zusammen und erfuhren dabei, dass es gestern im Fraktionsvorstand zu einer Meinungsbildung zu dieser Frage gekommen ist, wohl nicht zu einem Be- schluss, dass aber doch wohl der Fraktionsvorstand mehrheitlich der Auffassung war, es sollte durchaus diese Möglichkeit noch einmal wahrgenommen werden und der Vermittlungsausschuss angerufen werden. In Kenntnis dieser Meinungsbildung haben wir uns heute in der Arbeitsgruppe erneut vor diese Frage gestellt gesehen. Wir haben unsere Meinungsbildung wiederholt und kamen erneut zu der Auffassung, und zwar mit dem praktisch gleichen Ergebnis gegen eine Stimme – das war die von Ernst Wal- temathe, der dazu sicher noch etwas sagen wird – dass wir den Vermittlungsausschuss jetzt nicht mehr anrufen sollten. Der Grund, liebe Genossinnen und Genossen, wir

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haben – wie verständlich ist – schon in den Ausschussberatungen, weil wir ja einen erheblichen Widerstand zu erwarten hatten, Konzessionen gemacht und wir haben weitere machen müssen in den Vermittlungsrunden. Wir waren auch dazu bereit. Wir haben uns einmal gefallen lassen, dass – nachdem uns da also eine Feder nach der ande- ren gerupft wurde – wir festgelegt wurden auf eine überwiegende Eigentumsförderung im Wohnungsbau, wobei aber dieser Wohnbesitz – der ja die Besonderheit dieses Ge- setzentwurfs ist – nicht etwa dazugehören sollte, sondern der Wohnbesitz nunmehr in Konkurrenz tritt zum Mietwohnungsbau und nicht etwa mit eingerechnet wird in die Eigentumsmaßnahme. Wir waren anderer Auffassung. Wir haben uns das abkaufen lassen. Wir haben zweitens uns abtrotzen lassen, dass die Präferenzen, mit denen wir den Wohnbesitz in der För- derung ausgestattet haben, uns eine nach der anderen weggenommen wurde. Dass da- mit natürlich dieses besondere Modell Wohnbesitz an Attraktivität erheblich verloren hat, ist keine Frage. Wir glaubten, dies bis zu einem gewissen Grade noch in Kauf neh- men zu sollen und wir haben drittens in Kauf genommen, dass die Umwandlungsmög- lichkeit dieses Dauerwohnbesitzes in Eigentum, worauf die Opposition besonderen Wert legte, dass dieser Weg eröffnet wurde und dass er von Schritt zu Schritt erleichtert wurde nach den Vorstellungen der Opposition. Die war nämlich der Auffassung, dass von der Gesamtheit der Wohnbesitzberechtigten selbst dann, wenn fast 50 Prozent der Berechtigten gegen eine Umwandlung in Eigentum wären, die aber gezwungen werden könnten durch die Mehrheit, dies dennoch über sich ergehen zu lassen. Wir hatten widersprochen. Wir haben uns dann herunterhandeln lassen, na schön, also wenn es – sagen wir mal – 25 Prozent der Betroffenen sind, die dagegen sind, sollen die das über sich ergehen lassen. Wir haben dann schließlich gesagt, wenn es 40 Prozent sind, die davon betroffen werden und gegen eine Umwandlung sind, sollen sie trotzdem dazu genötigt werden durch die übrigen 60 Prozent. Die Opposition hat in der letzten Run- de erklärt: Nein, auch das genügt nicht und selbst wenn es als 49,9 Prozent sind, die dagegen sind und diesen Dauerwohnbesitz behalten wollen, dann sollen die von den anderen 50 Komma ich weiß nicht wie viel Prozent dazu genötigt werden können. Dies haben wir nun nicht mehr mitgemacht, Genossinnen und Genossen. Die Frage ist jetzt, ob wir diesen letzten Schritt auch noch gehen sollen. Wir sind der Überzeugung, wir sollten es nicht tun. Denn das, was wir ursprünglich einmal wollten mit dem Wohnbesitz, wird dann nicht mehr aufrechterhalten. Wir haben gewollt, dass dies eine neue dritte Institution wird zwischen Miete und zwischen Eigentum für diejenigen nämlich, die kein volles Eigentum bilden wollen, die aber trotzdem Wert legen auf ein Dauerwohnrecht verbunden mit einer gewissen Vermögensbildung. Was die Oppositi- on will und das hat also in der letzten Runde im Bundesrat der Sprecher des Bundesra- tes ganz deutlich gemacht, dass sie sich auf diese Dauerwohnbesitzgeschichte im Grunde überhaupt nur einlassen wollen, wenn wir so weit gehen, dass sie umgewandelt wird in eine bloße Durchgangsstufe zum vollen Eigentum, also überhaupt keinen eige- nen Wert mehr behält, sondern bloß noch sozusagen ein Zwischenschritt wird für die- jenigen, die auf diesem Weg zum vollen Eigentum kommen wollen, auch auf Kosten derjenigen, die das nicht mitmachen wollen, die dann aber eine solche Mehrheitsent- scheidung über sich übergehen lassen sollen. Genossinnen und Genossen, wir sind also deshalb und nun muss ich sagen erstens deshalb gegen die dritte Anrufung des Vermittlungsausschusses, weil wir jetzt nichts mehr preiszugeben haben, wenn wir nicht wollen, dass wir außer ohne Hemd, dann schließlich auch noch ohne Hose dastehen in der Öffentlichkeit. Und wir wollen zwei- tens, und das halte ich für ebenso wichtig, es deshalb nicht, weil wir uns wahlkampftak-

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tisch in der jetzigen Phase überhaupt nichts mehr davon versprechen. Ich meine, dass wir wahlkampftaktisch besser dastehen mit einem durch die CDU kaputtgemachten Eigentums- und Vermögensförderungsgesetz, besser jedenfalls dastehen als mit einem eben noch geretteten und gerupften Torso, an dem besonders Herr Filbinger15 ganz bestimmt den Wählern klarmachen wird, wie sehr es der CDU gelungen ist, den Sozia- listen ihre Giftzähle zu ziehen. Daran können wir im Grunde nicht interessiert sein. Dass übrigens der Koalitionspartner FDP an einer Wiederaufnahme des Verfahrens nicht interessiert ist, sage ich bloß noch als Ornament dazu. Das war für unsere Ent- scheidung nicht maßgebend. Danke schön. Wehner: Das Wort wünscht Ernst Waltemathe. Waltemathe: Genossinnen und Genossen, ich darf euch meine von der Arbeitsgruppe abweichende Meinung hier vortragen und möchte den Fraktionsvorstand bitten, bei seiner gestern geäußerten Meinung zu bleiben und auch die Fraktion bitten, dass wir doch den Vermittlungsausschuss anrufen, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die auf parlamentarischem Wege haben. Wir haben 1972 im Bundestagswahlkampf, meines Wissens auch im Dortmunder Wahlprogramm unserer Partei, diesen dritten Weg ange- kündigt, haben nun entsprechende gesetzgeberische Initiativen, die schon in der letzten Legislaturperiode eingeleitet waren, aufgegriffen und haben ein Gesetz gemacht, das die Eigentumsbildung für kleine Leute, für Sozialwohnungsberechtigte erleichtert und zusätzlich diesen dritten Weg aufgenommen. Wenn es bei einer endgültigen Ablehnung oder einer Nichtanrufung des Vermittlungsausschusses verbliebe, es also einer endgül- tigen Ablehnung schon nach dem zweiten Vermittlungsversuch bliebe, dann müssten wir ohnehin andere Gesetze jetzt schnellstens ändern, weil es bereits Wohnbesitzwoh- nungen gibt und jedenfalls diese Leute, die eine solche Wohnung erworben haben, von uns nicht im Stich gelassen werden können. Das setzt also gesetzgeberische Akte vor- aus. Es ist darüber hinaus damit zu rechnen, dass das, was wir im Bereich der Eigen- tumswohnungen in dieses Gesetz hineingebracht haben, dann wiederum aufgegriffen wird und dann werden wir danach gefragt werden, warum wir nicht als Bundestag und als Bundestagsfraktion alle Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, aufgegriffen haben. Ich meine, dass es politisch taktisch durchaus sinnvoll ist, nochmals den Ver- mittlungsausschuss anzurufen, als Bundestag klarzumachen, weshalb wir dies tun, und ich meine nicht, dass damit von vornherein auch noch die letzten Positionen, die wir im Gesetz selbst haben, aufgegeben sind, sondern dass dann der Vermittlungsausschuss erneut ein Ermittlungsergebnis vorzulegen hat, zu dem Bundestag und Bundesrat auf- gerufen sind, Stellung zu nehmen, Ja oder Nein zu sagen. Ich meine also, wir sollten den Vermittlungsausschuss anrufen. Wehner: Ich habe jetzt noch vier Wortmeldungen. Lauritz Lauritzen. Lauritzen: {…} untergehen lassen. Wenn wir das in die öffentliche Debatte bringen wollen, dann scheint mir das Plenum des Bundestages das geeignete Forum zu sein, in dem wir die Debatte aufnehmen könnten, (Vereinzelter Beifall.) und zwar durch eine Anrufung, nochmalige Anrufung des Vermittlungsausschusses. Damit beginnen wir die Auseinandersetzung. Worum es geht, ist bei diesem Gesetz etwas schwierig. Es ist sehr viel technisches Recht darin. Aber Erich Henke hat doch bei der Debatte im Plenum das letzte Mal sehr deutlich gemacht, worum es geht, hier eine eigentumsähnliche Situation zu schaffen, dass für diejenigen, die für den Bau einer

15 Ministerpräsident Baden-Württembergs, stellvertretender Bundesvorsitzenden der CDU.

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Wohnung das Eigenkapital nicht haben, im Wege des Nachsparens dieses Eigenkapital geschaffen werden kann, so dass sie dann vermögensmäßig und steuerrechtlich eine eigentümerähnliche Position haben. Genossinnen und Genossen, für die Auseinander- setzung ist es entscheidend wichtig, dass wir alle parlamentarischen Möglichkeiten ausgenutzt haben und dass wir jetzt nicht – das klang so etwas aus den Worten von Horst Krockert heraus – resignieren, sondern dass wir das, was wir an Möglichkeiten haben, einsetzen. Das würde sonst für die Debatte, die wir draußen zu führen haben, sehr hilfreich sein. (Beifall.) Wehner: Erich Henke. Henke: Genossinnen und Genossen, ich bedauere, Ernst Waltemathe und Lauritz Lau- ritzen widersprechen zu müssen. Horst Krockert hat hier sehr deutlich gemacht, dass von dem ursprünglich vorgesehenen Inhalt des Gesetzes – Waltemathe nannte es den dritten Weg, den wir in Dortmund einmal beschlossen haben – ja nun wirklich nichts mehr übriggeblieben ist. Das ist ein Trampelpfad geworden, aber kein dritter Weg mehr. Da ist ein Torso unserer ursprünglichen Vorstellungen zurückgeblieben und, Genossinnen und Genossen, weil das so ist, sollten wir jetzt nicht das, was ohnehin schon nicht mehr ist, jetzt in einem möglichen weiteren Vermittlungsbegehren auf den Nullpunkt zurückdrehen lassen. Wir dienen dem Anliegen damit nämlich überhaupt nicht mehr. Lauritz, wir waren uns in der Arbeitsgruppe darüber im Klaren, dass wir für die drei Wohnbesitzanlagen, die bis heute in der Bundesrepublik existieren und die in der Tat in Probleme hereinkommen, weil das Gesetz nicht kommt, in einem Sonder- gesetz, das wir sehr kurz vorlegen können, die prämienrechtlichen Dinge und die steu- errechtlichen Dinge regeln wollen, dass wir aber nicht das eigentliche Anliegen des Gesetzes mit Gewalt neu aufnehmen wollen. Und ein letztes Wort, Genossinnen und Genossen. Hier könnte der Eindruck entste- hen, als ob wir mit diesem Gesetz, wenn wir es dann doch noch durchkriegen würden, die Situation am Wohnungsmarkt grundlegend verändern würden. Liebe Genossinnen und Genossen, die ist nun leider absolut nicht der Fall. Wir haben heute 23,5 Millionen Wohnungen in der Bundesrepublik. Wenn das Gesetz ganz gut läuft, dann werden in den ersten Jahren pro Jahr 1 000 bis 2 000 Wohnungen damit fördern können. Damit ihr mal ein Gefühl für die Größenordnungen bekommt. Wir verändern also am Woh- nungsmarkt überhaupt nichts und weil dem so ist, Genossen – (Zwischenruf.) wir wollten einen neuen Weg eröffnen, aber der Weg ist ja nicht mehr da, Lauritz. Der Weg ist nicht da, es ist ein Trampelpfad übriggeblieben. Das muss ich sagen und jetzt sollten wir uns wirklich das Ding aufbewahren, um im kommenden Jahr der Union damit schön Feuer unterm Hintern zu machen. Das Gesetz eignet sich dafür und das, was bisher darum gemacht worden ist. Wehner: Hermann Dürr. Dürr: Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe volles Verständnis dafür, dass die Fachleute im Endstadium dieses Gesetzgebungsverfahrens so ähnlich gesinnt sind wie manche Politiker im Endstadium des Hochschulrahmengesetzes, wo sie auch sagen, ja lohnt der Rest eigentlich noch? Aber ich glaube, man muss auch einige andere Aspekte mit in die Diskussion bringen. Erstens, wenn von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, Einspruch einzulegen – und Lauritz Lauritzen hat mit Recht gesagt, das läuft durchs Plenum, und zwar nicht ohne Wortmeldung durchs Plenum – dann ist gar nicht gesagt, dass im nächsten Vermittlungsverfahren noch der Trampelpfad überhaupt her-

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auskommt, sondern es ist so, dass das Land Baden-Württemberg inzwischen sich zu der Meinung durchgerungen hat, an dem Gesetz einiges nicht zu wollen, dem die übri- gen CDU-Länder beim letzten Vermittlungsausschuss sogar zugestimmt haben. Für uns sieht es natürlich so aus, die CDU hat dieses Gesetz kaputtgemacht, aber wartet bloß darauf, bis die Propagandastrategen in Baden-Württemberg – ich nenne dieses Land, weil dort die nächsten Landtagswahlen sind – sagen, wir haben es nicht kaputt- gemacht, sondern die SPD hat selbst eingesehen, dass dieses nichts ist und sie haben von der rechtlichen Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, nicht mehr Gebrauch gemacht. Eine solche Propaganda wäre zwar scheußlich demagogisch, aber dass sie kommen wird, dafür würde ich die Hände ins Feuer legen. Machen wir die Probe aufs Exempel druff. Wehner: Horst Krockert. Krockert: Genossinnen und Genossen, ich hatte gar nicht geglaubt, dass sich ein so relativ langer Diskussionsgang an diese Frage anschließen wird. Ich muss ja gestehen, wenn ich auch nur die Andeutung einer wirklichen politisch gewichtigen Folge dieser Entscheidung sehen würde, wenn ich also wirklich mir davon versprechen könnte, dass wir nach einem solchen Vermittlungsgang – egal wie die Entscheidung aussehen wird, die dabei herauskommt – in der Öffentlichkeit und vor den Wahlen besser dastehen als jetzt, dann wäre ich doch der Letzte, der dem nicht beitreten würde. Ich habe aber diesen Eindruck, entschuldige Hermann Dürr, wirklich nicht. Das, was wir also jetzt haben, ist also wirklich das Letzte, was wir grade noch haben vertreten können. Was immer wir bei einem nächsten Schritt, der ja wieder nur in einer weiteren Konzession bestehen kann, haben werden, ist nichts mehr, womit wir wirklich vor die hintreten können, vor die wir anfangs mal hingetreten sind mit dem Ausgangsgesetz. Das muss doch berücksichtigt werden. Ich glaube nicht, dass wir eine bessere Position haben werden, als wir sie im Augenblick haben. Im Augenblick können wir sagen, die haben uns das kaputtgemacht. Nach einer dritten Runde können wir entweder dasselbe tun, und zwar auch nicht mit mehr Gewicht als jetzt, oder aber wir geben es den anderen in die Hand zu sagen, sie hätten uns die Giftzähne gezogen. Das ist doch die Situation. Dass Filbinger in jedem Falle übrigens, ob so herum oder so herum, sein Kapital daraus zu ziehen versuchen wird, das ist mir auch klar, das wird auf keinen Fall zu verhindern sein. Ich meine aber, dass wir ihm eher einen Gefallen damit tun, jetzt noch mal den letzten Schritt und die letzte Konzession, eine weitere Konzession zu machen als im umgekehrten Fall. Ich habe vorhin vergessen zu sagen und ich will das nachtragen, dass wir uns übrigens mit dem zuständigen Minister in unserer Meinungsbildung einig ge- wesen sind und übrigens auch einig in der Auffassung, dass die Restprobleme, die im Blick auf die bestehenden Wohnbesitzprojekte zu klären sind, tatsächlich baldmöglich geklärt werden. Dies aber eine Sache, die mit erheblich weniger politischem Aufwand verbunden ist, als es jetzt etwa eine dritte Vermittlungsrunde wäre. Wehner: Fritz Schäfer. Schäfer (Tübingen): Liebe Genossinnen und Genossen, ich bitte Folgendes zu beden- ken. Wenn der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anruft, dann kann der Vermitt- lungsausschuss sich nur mit den Punkten befassen, wegen derer er angerufen ist. Wenn die Bundesregierung oder der Bundestag, Horst Krockert, hör grad mal zu, wenn die Bundesregierung oder der Bundestag den Vermittlungsausschuss anruft, dann steht das ganze Gesetz zur Debatte. Neu steht das ganze Gesetz zur Debatte und dann könnt ihr jetzt sogar noch einige zusätzliche Ideen den Mitgliedern im Vermittlungsausschuss mitgeben, die in das Gesetz hineinsollen. Andererseits ist zum Beispiel Baden- Württemberg – und hat es sehr deutlich gemacht – daran offensichtlich

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interessiert, neue Schwierigkeiten zu machen. Gut, sollen sie neue Schwierigkeiten versuchen und neue Gründe vorschieben abzulehnen, dann kann es uns für die Ausein- andersetzung, die vor uns steht, nur angenehm sein, wenn wir sie umso deutlicher fest- legen können, dass es ihnen gar nicht auf die Frage ankam, sondern auf die Verhinde- rung dieses Gesetzes im Ganzen und deshalb habt ihr fachlich vollkommen recht, aber politisch-taktisch ist es richtig, dass wir die letzten Möglichkeiten ausschöpfen und denen die Möglichkeiten geben, noch mehr Gründe zu geben, dass wir sie deutlich in der Öffentlichkeit bloßstellen können. Deshalb bin ich für Anrufung des Vermittlungs- ausschusses. Wehner: Dieter Haack. Haack: Ich möchte nur kurz aus der Sicht des zuständigen Ministeriums das unterstüt- zen, was Krockert und Henke gesagt haben. Wir versprechen uns von einer dritten Anrufung des Vermittlungsausschusses nichts. Die Bundesregierung hat ja schon mal den Vermittlungsausschuss angerufen. Wir haben praktisch alle Kompromissmöglich- keiten ausgeschöpft und wenn jetzt noch irgendwelche Argumente kommen sollen etwa für die Ausnutzung im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg, so sind die hinreichend vorhanden aufgrund der Debatten der bisherigen zwei Vermittlungsrun- den. Alles, was man dort sagen will gegen die CDU, dass sie dieses Gesetz verhindert hat, kann man bereits sagen. Also eine neue Anrufung des Vermittlungsausschusses würde nach unserer Meinung nichts bringen. Ich darf vielleicht noch dazu sagen, das ist eine politische Entscheidung gewesen in der zweiten Runde vonseiten der CDU, dieses Gesetz zum Scheitern zu bringen. Wir haben kurz vor der letzten Runde, nachdem also die Entscheidung in den Landeskabinetten gefallen war, vor der Bundesratsentschei- dung, etwa aus Rheinland-Pfalz gehört, Rheinland-Pfalz ist im Grunde für dieses Ge- setz, es sei denn, dass auf politischer Ebene der CDU-Länder eine andere Entscheidung noch fällt. Diese andere Entscheidung ist gefallen. Rheinland-Pfalz hat sich der unter- worfen, obwohl es in der Sache für dieses Gesetz gewesen ist. Dasselbe wird auch in der dritten Runde geschehen, insofern bringt es in der Sache gar nichts. Ich muss aller- dings der Objektivität halber dazu sagen, die dritte Anrufung würde auch nicht scha- den. Wehner: Genossen, sind keine weiteren Wortmeldungen? Die Arbeitsgruppe hat den Vorschlag gemacht, den hier Krockert begründet hat. Ich frage, wer diesen Vorschlag, nicht anzurufen, unterstützt, den bitte ich ums Handzeichen. Danke. Die gegenteilige Meinung. Dies war die Mehrheit. Wird angerufen. [D.] Genossen, wir kommen dann zum Punkt 5, das heißt unserer Tagesordnung, die uns von morgen früh an fesselt. Dazu Konrad Porzner. Porzner: Genossinnen und Genossen, wir müssen morgen die Sitzung machen von 9 bis 13 Uhr längstens. Für die Regierung sprechen also Genscher und im Lauf der De- batte jedenfalls Walter Arendt. Für die CDU/CSU sind vorgesehen bis jetzt Kohl und Carstens. Die CDU/CSU wird voll präsent sein, wird ihre Leute unterstützen. Wir kennen die chauvinistischen Argumente, mit denen gegen diese Abkommen argumen- tiert wird, angekämpft wird. Wir sollten alle unterstützen, die morgen für die Regie- rung und für die Fraktion und die Koalition sprechen. Nachmittags ist frei für Aus- schüsse und am Donnerstagvormittag ebenfalls. Dann am Donnerstagnachmittag zwei- te und dritte Beratung der Abgabenordnung. Es gibt kontroverse Abstimmungen. Auch die Schlussabstimmung ist für mich womöglich kontrovers, weil man sich nicht darauf verlassen kann, ob – wie beim Strafvollzugsgesetz – die CDU/CSU tatsächlich

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zustimmt oder ablehnt. Wir müssen als am Nachmittag und frühen Abend damit rech- nen, dass wir bei Abstimmungen die Mehrheit haben und aufpassen, dass wir die Mehrheit haben. 4, 5, 6 ohne Debatte. Siebter Tagesordnungspunkt eine kurze Rede je Fraktion. Punkt 8 ohne Debatte und beim Punkt 9 ebenfalls keine Debatte. Auch beim Punkt 10 nicht. Der Tagesordnungspunkt 11 wird gestrichen. Es wird dafür aufgesetzt der CDU- Gesetzentwurf über den Beruf eines Logopäden. Das haben wir einvernehmlich ge- macht. Wir müssen versuchen, alles vom Tisch zu kriegen, damit wir im Januar, Febru- ar, März, wenn es hart hergeht, nicht Anträge und Entwürfe der CDU behandeln müs- sen, die uns dann Zeit kosten. 12, Mindestmotorleistung für LKW eine Runde und das Gleiche beim Antrag zur Deutschen Bundesbahn eine Runde Debatte. Auch beim Punkt 14 eine jeweils kurze Debatte, jeweils ein Redner der Fraktion. Am Freitagvormittag 15, 16 ohne Debatte. Am Freitagvormittag 17, 18 auch noch und 19 ohne Debatte. Dann die Abstimmung über das Ergebnis des Vermittlungsausschus- ses. Das ist natürlich kontrovers, es sei denn, es passiert plötzlich etwas in der CDU- Fraktion, dass sie dem zustimmen würden. Es geht um die 3,8 Milliarden D-Mark, in dem Fall auf jeden Fall schon Entlastung durch den Bundeshaushalt in dieser ersten Runde. Wir müssen damit rechnen, dass wir auch am letzten Tag, am 12., letzten Sit- zungstag, geplanten Sitzungstag am 12. Dezember wiederum abstimmen über eine Vorlage, Ergebnis aus dem Vermittlungsausschuss. Nehmt euch also nicht vor, da mög- lichst früh wegzufahren. Wir müssen präsent sein, um dieses Haushaltsstrukturgesetz zu verabschieden. 20 a und b, dann Große Anfrage zur Entwicklungspolitik und Be- richt der Bundesregierung Zweite Fortschreibung der Entwicklungspolitik. Diese De- batte schließt sich dann am Freitagvormittag nach der Abstimmung über die ersten Ergebnisse aus dem Vermittlungsausschuss an. Die Genossen werden dann darüber berichten, wie diese Debatte verlaufen soll. Wehner: Danke. Wird das Wort dazu gewünscht? Dieter Haack. Haack: Ich habe eine Frage zu der Diskussion über die Polen-Verträge. Ich habe ge- hört, dass als erster Redner der Opposition und überhaupt als erster Redner in der Debatte Kohl sprechen soll. Ist das richtig so? Wenn das nämlich so wäre, würde ich da eine Anmerkung gern machen wollen. Ich bin nämlich der Auffassung, dass es nicht angängig ist. Die erste Runde muss aus dem Parlament nach meiner Auffassung gestar- tet werden. Es kann natürlich niemand die Opposition zwingen, ihren Fraktionsvorsit- zenden ins Feld zu schicken. Dann müsste aber nach meinem Parlamentsverständnis erst die Koalitionsfraktionen kommen und dann kann die Opposition ihre Redner schicken, egal wen. Aber ich halte es für unmöglich, dass der Vertreter des Bundesrats sozusagen als Erster das Wort nimmt im Bundestag. Porzner: Wir haben das der CDU-Fraktion sehr deutlich gesagt. Vor allem hat ja jeder Ministerpräsident Gelegenheit gehabt, in der Bundesratssitzung am 7. dazu etwas zu sagen und da war von der CDU/CSU nur einer da, nämlich Filbinger. Die anderen waren nicht dabei. Im Übrigen ist es zwar das Recht der Mitglieder der Regierung und des Bundesrats, jederzeit gehört zu werden, das heißt das Wort zu ergreifen, aber das wäre nicht nur eine Stilfrage, sondern eine Verschiebung des Verhältnisses der beiden Verfassungsorgane zueinander. Wir haben denen gesagt, dass zuerst eine Runde die Debattenbeiträge der Fraktionen kommt. Das verfassungsmäßige Recht allerdings kön- nen wir niemandem nehmen. Ich hoffe, dass das in der CDU wirkt. Manche sind dort auch so. (Zwischenruf.)

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Ja, natürlich, zuerst Herr Genscher. Es ging um den zweiten Redner. Wehner: Na gut, das ist aber dann, wenn die Lage so ist, dann muss man sich kurz- schalten mit dem amtierenden Präsidenten und der muss wissen oder die muss wissen, dass für den Fall, dass die erste Wortmeldung nach der Einführungsrede des Bundes- ministers des Auswärtigen die des Herrn Kohl ist, dass wir dann darauf bestehen, da liegt unsere Wortmeldung als erste vor, eines Sprechers der Fraktion. Anders geht es dann nicht, wenn es nicht auf eine vernünftige Weise geht, muss es so sein. Da braucht man sich dann nicht überraschen lassen. Denn es hat je keinen Zweck, darüber dort eine Geschäftsordnungsdebatte zu führen, die ganz schiefgehen kann. Aber das muss eine Verständigung sein. Der CDU ist es gesagt. Die kennen unseren Standpunkt, und wir machen auf jeden Fall davon Gebrauch, die Wortmeldung vorweg dort oben hinzu- legen, sind aber bereit, dass der Sprecher der Oppositionsfraktion redet vor unserem Mann, wenn das entsprechend einer aus der Oppositionsfraktion ist. Aber unsere Wortmeldung liegt ansonsten vor. Ich glaube, dass das die einzige Möglichkeit ist, aus einer solchen Lage, in der die anderen sich nicht fair verhalten, herauszukommen. Dann kommen wir zu der ersten Lesung. Dazu sind hier als Berichterstatter aufgeführt Olaf Sund, Bruno Friedrich. Olaf Sund. Sund: Vielleicht darf ich vor dem eigentlichen Bericht noch eine Bemerkung zu den letzten Überlegungen zum Gang der Debatte anschließen. Es ist benannt Bruno Fried- rich als Sprecher und es ist vorgeschlagen worden ich für den Rententeil vom Arbeits- kreis IV. Wir sind übereingekommen, dass – je nachdem wie verfahren wird nach dem Vorschlag, den du eben noch mal gemacht hast, Herbert – dann die Reihenfolge sich danach bestimmt, die Reihenfolge sich danach bestimmt, wie hier die Themen von dem ersten Sprecher der Opposition gesetzt werden. Das Vertragswerk selber, Genossinnen und Genossen, ist in der letzten Zeit mehrfach dargestellt worden und ist bekannt. Es enthält folgende Teile: einmal das Abkommen über die Renten- und Unfallversicherung, zum Zweiten die Vereinbarung über die Zahlung einer Renten- und Unfallversicherungspauschale, drittens das Abkommen über die Gewährung eines Finanzkredits und viertens das Ausreiseprotokoll. Hinzu kommen noch zwei Dokumente, die in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Das ist einmal das Schreiben des Außenministers an den polnischen Außenminister zum Abkommen über die Gewährung eines Finanzkredits und das langfristige Pro- gramm für die Entwicklung der wirtschaftlichen, industriellen und technischen Zu- sammenarbeit. Ich darf mich in der Berichterstattung beschränken auf das Sozialversicherungsab- kommen, auf das sogenannte Rentenabkommen. In dem Abkommen, das nach dem Grundsatz des sogenannten Eingliederungsprinzips abgeschlossen wird, in dem Ab- kommen verpflichten sich beide Länder nach diesen Grundsätzen bei der Rentenbe- rechnung für im Inland wohnende Berechtigte, die im Vertragsland zurückgelegten Rentenversicherungszeiten so anzuerkennen, als seien sie im Inland zurückgelegt wor- den. Das ist ein übliches Verfahren in allen Sozialversicherungsabkommen, die nach diesem Grundsatz abgeschlossen werden, und wir haben auch die Absicht, wie in der Vergangenheit immer wieder deutlich zu machen, dass es sich hier um ein Abkommen handelt, wie es auch mit anderen Staaten auch nach deren Grundsätzen abgeschlossen worden ist. Dieses Eingliederungsprinzip ist beispielsweise auch zugrunde gelegt wor- den für ein Sozialversicherungsabkommen mit Jugoslawien, mit den Niederlanden, mit Luxemburg. Zum anderen: Es ist so, dass in der Bundesrepublik Deutschland der größte Teil der Fälle, die in dem betroffenen Personenkreis zu finden sind, bereits eine entsprechende

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Berücksichtigung gefunden hat in dem sogenannten Fremdrentengesetz. Auch die Po- len haben eine analoge Regelung, eine Art Vorwegregelung, die sicherstellt, dass dort in der Zeit, in der es ein solches Abkommen eben nicht gegeben hat, bestimmte Zeiten anerkannt wurden, so dass es jetzt darum geht, mit dem Abkommen die Einzelfälle, die nicht unter das Dach der in den beiden Staaten getroffenen gesetzlichen Regelungen fallen, hier in eine bessere Situation zu bringen. In der Vereinbarung über die Zahlung einer Renten- und Unfallversicherungspauschale nun ist vorgesehen, dass die Ansprü- che, die beide Staaten gegeneinander aufrechnen können, dass die saldiert werden und der Schlussbetrag schließt mit einer Forderung von Polen an die Bundesrepublik in Höhe von 1,3 Milliarden ab, die in Drei-Jahres-Raten zu erbringen sind. Wichtig ist zu wissen, dass die gute Hälfte dieses Betrages durch den Bund aufgebracht wird und nicht durch die Rentenversicherungsträger, weil es sich hier um Leistungen der Knappschaft handelt, die durch den Bund hier aufzubringen sind. Es ist also so, dass die Saldenbe- wegungen ganz eindeutig das Plus für die polnische Seite ausweisen, dass auf der ande- ren Seite aber eine exakte Durchrechnung auf den einzelnen Fall überhaupt nicht mög- lich ist, so dass also dieser Schlussbetrag selbstverständlich auch etwas von einer Berei- nigung der offengebliebenen Probleme in sich hat, und wir müssen sagen, dass dieser Schlussbetrag auch als ein sehr fairer Betrag anzusehen ist, auch und insbesondere aus polnischer Sicht. Ich möchte mich mit diesen Bemerkungen zur Sache selbst hier be- schränken. (Beifall.) Wehner: Danke. Bruno, hast du noch was? Friedrich: Wir haben es ja in dieser Debatte mit zwei Problemen zu tun. Das eine ist die Begründung der Vereinbarungen. Das andere ist, dass die Union versuchen muss, von ihrer Spaltung loszukommen, auf der einen Seite Reddemann, der Gierek vergli- chen hat mit Himmler, auf der anderen elf Unionsabgeordnete, die erklärt haben, dass sie für das Vertragswerk stimmen. Es wird notwendig sein, deutlich zu machen, dass eine Ablehnung der Verträge das deutsch-polnische Verhältnis zerstört und insoweit ist die ganze historische Belastung aufzuzeigen. Es wird notwendig sein, darauf hinzuwei- sen, wie stark sich die Kirchen hier für die Aussöhnung engagiert haben und da muss man – nachdem die Katholische Kirche in Einzelpositionen sich nur geäußert hat – noch einmal abheben zum Beispiel auf das, was polnische Priester, die in den KZs leben mussten, zur Notwendigkeit der Aussöhnung gesagt haben. Hier darf man der Union morgen nichts ersparen, obwohl meine Meinung ist, dass man dies in einer sehr ruhigen und nichtpolemischen Art tun muss. Wehner: Gibt’s Wortmeldungen? Keine. Dann kommen wir zu dem Punkt Abgaben- ordnung – Erich Meinike. Meinike (Oberhausen): Liebe Genossinnen und Genossen, bei der zweiten und dritten Lesung der Abgabenordnung geht es um die Reform des sogenannten steuerlichen

Grundgesetzes. Es soll in Kraft treten zum 1. 1. des nächsten Jahres und ’77, weil die Finanzämter dafür ausreichend Vorbereitung brauchen, dass dieses Gesetz dann umge- setzt werden kann. Die alte Abgabenordnung, die ein Jubiläum bereits hatte von über 50 Jahren, hat in den letzten Jahrzehnten durch eine Vielzahl von Nebengesetzen ihre Funktion als Mantelgesetz verloren gehabt. Deshalb sind bereits seit zwölf Jahren Vor- arbeiten im Gange, diese Abgabenordnung zu reformieren. Die Beratungen im Aus- schuss laufen seit mehr als zwei Jahren und sollen jetzt also am Donnerstag hier zum Abschluss gebracht werden. Wir glauben, dass durch die gründlichen Vorarbeiten in der Tat hoffentlich mal ein Steuergesetz demnächst von Stund an sofort als positives Werk draußen – glaube ich – abgenommen werden kann. Wir glauben, dass diese Steu-

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ergesetzgebung ihre Zielsetzung erfüllt, wieder Mantelgesetz für das Steuerrecht zu werden. Das heißt, wir fassen hier alle Nebengesetze wieder zusammen. Wir schaffen ein neues Institut der Steuerfestsetzung im Vorbehalt der Nachprüfung. Im Finanzaus- schuss standen darüber hinaus auch einige wichtige politische Fragen im Zusammen- hang mit der Abgabenordnung an. Es ging um das Problem der Vollverzinsung von Steuernachzahlungen. Wir haben auf gesetzliche Regelungen hierfür verzichten müssen. Unsere Finanzämter sind nicht in der Lage, das kurzfristig hier zu erfüllen. Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungen war das Problem der Bestimmungen der Gemeinnützigkeit, hier sicherlich bekannt, im Bereich des Sports. Wir glauben, dass also auch hier Regelungen gefunden werden, mit denen die gemeinnützigen Verbände ab 1. 1. ’77 durchaus gut leben können. Ein nächster Schwerpunkt war das Problem des Steuergeheimnisses. Wir haben das Steuergeheimnis hier nicht aufgehoben, nicht auf- heben wollen, aber ein wenig gelockert, und zwar deshalb, um demnächst dem Problem der Wirtschaftsstraftaten auch insoweit Herr werden zu können, dass nicht dagegen dann das Mittel des Steuergeheimnisses angewandt und vorgebracht werden kann. Statt der Vollverzinsung haben wir uns dazu mehrheitlich durchgesetzt im Ausschuss, dem- nächst auch für die Hauptsteuerarten Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Körperschafts- teuer demnächst Stundungszinsen dann zu erheben, wenn Steuernachzahlungen in diesen Steuerbereichen gestundet werden. Das war bislang nicht üblich. Diese fünf Problemkreise waren im Ausschuss kontrovers. Hierzu hat die CDU/CSU, dazu ist noch die Frage der Buchführungspflichtgrenzen für die Landwirtschaft in der Höhe, dazu hat die CDU/CSU Änderungsanträge im Ausschuss eingebracht. Wir haben alle diese Anträge abgelehnt aus berechtigten Gründen, wie mir sicherlich hier abgenom- men werden kann. Es ist zu erwarten, dass mit Sicherheit bei der zweiten Lesung im Plenum von der CDU/CSU zwei Anträge erneut vorgelegt werden, und zwar zum Problem der Gemeinnützigkeit, sprich Regelung für die Sportvereine und der nächste Antrag betrifft die Festsetzung beziehungsweise die Erhöhung der Buchführungs- pflichtgrenze für die Landwirtschaft. Diese beiden Anträge werden also am Donnerstag wieder dem Plenum vorgelegt werden. Ich darf anmerken, dass im Finanzausschuss die CDU/CSU dem Gesetz in der Schluss- abstimmung ihre Zustimmung gegeben hat. Zur zweiten Lesung muss natürlich hier Präsenz vorhanden sein der Fraktion. Wir müssen beide Anträge der CDU/CSU ab- lehnen. Die AG Steuer hat sich darauf vorbereitet. Dazu werden in der zweiten Lesung zwei Genossen zu den Anträgen sprechen. Die allgemeine Aussprache soll nur in der dritten Lesung vorgenommen werden. Dazu ist vorgesehen, dass ich dazu die Erklä- rung, die {…} der Fraktion abgeben werde. (Beifall.) Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Wir sollten wirklich aufpassen, dass wir zu der Zeit da sind, denn das wäre schlimm, wenn eine so langwierige und schwierige Arbeit, die da von den Genossen im Ausschuss geleistet worden ist, wenn die dann also plötzlich an dieser Stelle revidiert würde. Wir kommen zum nächsten Punkt 8 – Ände- rung Flurbereinigungsgesetz. Hans Büchler. Büchler: Genossinnen und Genossen, der Fraktion liegt in der Vorschau eine Über- sicht vor, die die wesentlichen Punkte beinhaltet. Ich möchte also ergänzend nur dazu sagen, dass diese Novelle den notwendigen Interessenausgleich zwischen den Anforde- rungen an den ländlichen Raum, also hier Agrarstrukturbedürfnisse und auf der ande- ren Seite das, was als Erholungsfunktion für den ländlichen Raum als Anforderung ansteht. Das liegt also dann auch ganz klar in der Zielsetzung dieser neuen Novellie- rung begründet, neben den agrarstrukturellen Maßnahmen kommen jetzt eben die

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Maßnahmen zur Landeskultur und zur Förderung der Landesentwicklung. Stärker berücksichtigt werden also die Naturschutzangelegenheiten, die Landschaftspflege, die Erholungsfunktion und die Ausgleichsfunktion des ländlichen Raumes allgemein. Nach 22 Jahren, so alt ist das Flurbereinigungsgesetz war es auch notwendig, eine Rechtsan- gleichung zu vollziehen. Das betrifft vor allem das Raumordnungsrecht, städtische Bodenrecht, Straßenrecht, Wasserrecht, Naturschutz- und Landschaftspflegerecht. Diese Punkte werden also auch in dieser neuen Novellierung aufgearbeitet. Darüber hinaus bringt dieser Gesetzentwurf auch wesentliche Verbesserungen für das Flurbe- reinigungsverfahren insgesamt. Es kann gestrafft durchgeführt werden durch Zusam- menlegungsverfahren und durch Teilnehmergemeinschaften, die jetzt auf größerer Basis arbeiten können und dadurch auch effektiver und, so hoffen wir, kostensparender ar- beiten können. Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Nicht. Beim nächsten Punkt ist mir gesagt worden, betrifft Verbesserung der Agrarstruktur Küstenschutz, dass Rudolf Müller den Bericht übernimmt statt Schmidt (Gellersen). Müller (Schweinfurt): Genossinnen und Genossen, zum Bericht der Bundesregierung gab es im Ausschuss keine Meinungsverschiedenheiten. Er wird einstimmig zur Kennt- nis genommen. Die Bundesregierung wird nur ersucht, bei Vorlage des neuen Berichtes ’76 darüber zu berichten, ob Einzelmaßnahmen mit diesem Gesetz sich in Überein- stimmung befinden. Im Plenum wird es keine Erklärung und auch keine Debatte geben. Wehner: Danke. Wird hier das Wort gewünscht? Nicht der Fall. Der nächste Punkt, ist mir gesagt worden, ist abgesetzt. Das ist diese erste Lesung CDU/CSU Schutz der Jugend vor Mediengefahren. Aber wir schieben hier ein Horst Jaunichs Bericht zu dem Gesetzentwurf CDU über Beruf des Logopäden. Jaunich: Genossinnen und Genossen, der Logopäde sei nicht ärztlicher Heilberuf, und zwar dient er dazu, Sprach-, Stimm- und Hörgeschädigte zu behandeln, leider nicht Zuhörgeschädigte, (Heiterkeit.) von denen wir in der Fraktion und im Plenum sicherlich eine ganze Menge haben. Die- ser Gesetzentwurf folgt der allgemein üblichen Systematik zur Regelung solcher Be- rufsordnungen, ist also nichts Neues. Die Bundesregierung hatte verschiedentlich an- gekündigt, dass sie selbst einen solchen Gesetzentwurf vorlegen wollte. Sie ist zeitlich noch nicht dazu gekommen. Das Wesentlichste, nämlich der Inhalt der Rechtsverord- nungen, in denen die Ausbildungsgänge beschrieben werden und das Wesentliche für die Prüfung hat die Union hier nicht geliefert. Ich soll nach dem Beschluss des Arbeits- kreises hierzu die Stellung der Fraktion abgeben. Das heißt, wir stimmen der Überwei- sung in den Ausschuss Jugend, Familie und Gesundheit zu. Es handelt sich um einen wichtigen Gesetzentwurf insofern, weil dieser Beruf wichtig ist, aber es darf nicht der Eindruck entstehen, als wenn aufgrund dieser Initiative ein einziger Logopäde mehr ausgebildet würde, als das derzeit der Fall ist. Die Ausbildungskapazität für diesen Beruf ist sehr minimal. Wehner: Danke. Wer wünscht das Wort? Offenbar nicht. Dann kommen wir zum nächsten Punkt, Günther Tietjen, betrifft Rauschmittel- und Drogenmissbrauch. Tietjen: Genossinnen und Genossen, ich bitte euch zunächst um Verständnis, wenn ich etwas nachhole, das Konrad Porzner vergessen hat. Wir haben im Ausschuss nämlich den Antrag der CDU/CSU abgelehnt und bitten euch, am Donnerstag zu noch späterer Stunde anwesend zu sein und das zu bestätigen, was der Ausschuss mit Koalitions- mehrheit wollte, nämlich den Antrag der CDU/CSU abzulehnen. Es geht hierbei in

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dem Antrag der Opposition um das Ersuchen an die Bundesregierung, nun eine große Bestandsaufnahme zu machen, die an sich in den vergangenen Jahren in vielfältiger Weise auf Große und Kleine Anfragen und auf Fragen in der Fragestunde der CDU/CSU an sich schon erledigt ist. Wir wollen mit der Ablehnung dieses Antrages keinesfalls die Drogenszene verharmlosen. Wir meinen aber, dass der Bereich der Dro- genszene so einem ständigen Wechsel unterworfen ist, dass das, was die Opposition mit ihrem Antrag will, nichts anderes ist als ein Schauspiel. Der kleine Didi aus Hamburg16 ist Veranlasser, dass überhaupt dieser Punkt diskutiert wird. Ich darf für die Fraktion dazu etwas sagen. Ich bitte euch also, auch für diesen Punkt im Plenum zu sein, damit das, was der Ausschuss mit Mehrheit meinte tun zu müssen, auch durch die Mehrheit des Bundestages Bestätigung findet. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Kann man nur hoffen, dass nicht grade wegen Getränkegebrauch die Möglichkeit, gegen diesen Drogenmissbrauchsantrag zu stim- men, vergeudet wird. Erhard Mahne – Mindestmotorleistung für Lastkraftwagen. Mahne: Genossinnen und Genossen, in der Bundesrepublik Deutschland gilt national eine Mindestmotorleistung von acht PS je Tonne Nutzlast bei den LKWs. Eine EG- einheitliche Regelung hat es bisher noch nicht gegeben und konnte auch noch nicht erreicht werden. In den europäischen Nachbarländern liegt die Mindestmotorleistung weit unter dem deutschen Niveau. Hieraus haben sich erhebliche Wettbewerbsnachteile für die deutschen Güterkraftverkehrsunternehmen ergeben und die haben ja auch zum Teil mit zu den Demonstrationen geführt. Die CDU hat jetzt in ihrem Antrag die Bun- desregierung aufgefordert, die Wettbewerbsverzerrungen, die sich aufgrund dieser nationalen Regelung ergeben, zu neutralisieren, falls auf der nächsten Ministerratsta- gung im Dezember keine Einigung auf europäischer Ebene erzielt wird. Der Bundes- minister für Verkehr hat bereits deutlich gemacht, dass er die Absicht hat, eine Rege- lung im Sinne des Antrages europäisch herbeizuführen. Falls das aber nicht der Fall ist, hat er in einem Schreiben an den Präsidenten des Bundesverbandes des Ferngüterver- kehrs deutlich gemacht, dass er dann auch bereit ist, eine nationale Regelung zu treffen. Wir werden also hier diesem Antrag eine in etwa wohlwollende Tendenz zusprechen und ihn überweisen an den Fachausschuss. Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Nicht. Dann kommen wir zu Lothar Wredes Bericht betreffend Deutsche Bundesbahn, ein CDU-Antrag. Wrede: Genossinnen und Genossen, hier geht es um das Thema, das der Finanzmini- ster in seiner Haushaltsrede als Haushaltsrisiko bezeichnet hat und das unter anderem den Verkehrsminister veranlasste, in seinen Zielvorgaben dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn eine Reihe von Aufträgen mit auf den Weg zu geben. Ich möchte mir Aus- führungen zur Sache hier ersparen, weil wir das Thema der wirtschaftlichen Situation der Bundesbahn in der Vergangenheit wiederholt hier behandelt haben. Ihr wisst also, worum es geht. Die Opposition hat eine Reihe von Punkten aus diesem Gesamtkatalog der Dinge, die bei der Regierung in der Bearbeitung sind, zum Teil auch beim Vorstand der Bundesbahn, hier aufgegriffen und möchte dazu der Regierung bestimmte Aufträge erteilen. Wir haben uns in der Arbeitsgruppe darauf verständigt, dass es sinnvoll ist, da dieses Thema am Mittwoch aufgrund einer Vorlage des Verkehrsministers im Kabinett behandelt wird, dass der Verkehrsminister selbst nach dem Sprecher der Opposition in die Debatte sofort eingreift, um auch der Darstellung der Antworten der Regierung das

16 Gemeint ist der CDU-Abgeordnete Dietrich Rollmann aus Hamburg.

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notwendige Gewicht zu geben und wir würden erst, falls sich eine zweite Runde an- schließt, dann eingreifen. Dann würde ich für die Fraktion Stellung nehmen. Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Wird nicht. Dann kommen wir zu dem Punkt Große Anfrage Entwicklungspolitik, Zweiter Bericht Bundesregierung zur Ent- wicklungspolitik und Zweite Fortschreibung der entwicklungspolitischen Konzeption. Erwin Stahl. Stahl: Liebe Genossinnen und Genossen, am Freitagmorgen soll die Debatte stattfin- den. Wir werden im Wesentlichen drei Punkte behandeln, erst mal die Große Anfrage der CDU/CSU, die von der Bundesregierung beantwortet wurde, zweitens die Fort- schreibung der entwicklungspolitischen Konzeption und drittens Zweiter entwick- lungspolitischer Bericht der Bundesregierung. Es wird eine verbundenene Debatte geben und vielleicht nur zu einigen Punkten etwas. Die Große Anfrage ist relativ harm- los und bedeutungslos, denn die Fragen sind schon in den Ausschüssen behandelt wor- den. Der wichtige Punkt ist der zweite Punkt: die Zweite Fortschreibung der Konzep- tion. Hier ist aufgrund der 25 Thesen, die die Bundesregierung in Gymnich ja verab- schiedet hat, auch in die Fortschreibung diese Sache eingeflossen und ich glaube, dass es vor allen Dingen wichtig ist, im Zuge der neuen Entwicklung der Weltwirtschaft und der Vorstellung der Entwicklungsländer zum Beispiel bei der siebten Generalversamm- lung. Der dritte Punkt im Bereich der entwicklungspolitischen Berichte. Dies ist ein Bericht, den die Bundesregierung dem Parlament alle zwei Jahre vorlegt und er enthält alle Neuerungen im Bereich der Entwicklungspolitik und ich würde euch mal empfeh- len, den zu lesen. Er ist sehr gut lesbar. Im Übrigen haben wir der Fraktion vonseiten des Arbeitskreises ein entwicklungspolitisches Argumentationspapier zur Verfügung gestellt. Es wäre nett, wenn der eine oder andere dieses in seinem Wahlkreis mal ver- wenden könnte. Zur Debatte selbst: Die Debatte wird etwa knapp vier Stunden dauern nach der Vor- stellung, die wir haben. Die Opposition wird anfangen. Wir wollen eine Runde, ange- fangen mit der Opposition. In der zweiten Runde soll einsteigen. Wir haben die Themen abgestimmt im Arbeitskreis. Es werden sprechen für die Bundesregierung Bahr und Brück, für die Fraktion Stahl, Schluckebier, Bühling, Peiter und Holtz. Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Das Unglück ist, dass es da keine Ab- stimmung gibt am Schluss und man nicht sagen kann, seid wenigstens dazu da. Ich habe es mir abgewöhnt, hier irgendwas zu verlesen. Solche Briefe kommen viele. Ich habe grade letzte Woche wieder einige bekommen, wo also Leute aus ganz verschiedenen Gegenden, darunter Sozialdemokraten, die sich, ihr Unglück ist, dass sie älter sind, aber zum Beispiel sich in der Kommunalpolitik betätigen, die sagen, würden wir in unserem Gemeinderat uns so verhalten wie ihr, die sozialdemokratische Fraktion im Bundestag, dann würden uns die Leute herauskehren. So sehen sie das eben. Nur, wem sage ich das und hier sind die meisten auch schon weg. Schönen Dank. Also es war nur zur Schau. Wir kommen dann, Genossen, zu dem Punkt 15. Das ist der von mir im Fraktionsvor- standsbericht erwähnte: Einsetzung eines Sonderausschusses Artikel 48 Grundgesetz. Gerhard Jahn. Jahn: Genossinnen und Genossen, die Folgerungen, die aus dem Urteil gezogen wer- den müssen, gehen natürlich über das hinaus, was wir an dem Abend hier kurz bespro- chen haben. Das ganze Thema muss sehr ernst genommen werden. Wie wir es behan- deln in der Form des Verfahrens, aber auch in der Sache, ist eine Frage, die dann einiges in der Beurteilung des Parlaments, aber auch unserer Fraktion ausmachen wird. Wich- tig ist im Augenblick zunächst, wie wir das Thema angehen und damit die Vorausset- zung für das schaffen, was wir in der Sache zu entscheiden haben. Noch einmal: Wir

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müssen uns auseinandersetzen mit nahezu allen Fragen, die die Rechtsstellung der Ab- geordneten betreffen, und wir sollten uns auch in der Diskussion dieses Themas nicht abdrängen lassen auf das, was unter der Überschrift – wie das jetzt heißt – Alimentation oder mit der anderen Überschrift Besteuerung zusammenhängt. Dieses sind Teilfragen in einem umfassenderen Komplex. Das heißt, wir müssen nach außen deutlich machen, dass wir das Thema mit Sorgfalt angehen und dass wir uns nicht einlassen wollen dar- auf, die Sache vor uns herzuschieben. Da gibt es in der Presse bereits eine ganze Reihe von verdächtigenden Stimmen, die sagen, die schieben das dann wieder vor sich her. Wir haben ein Interesse daran, deutlich zu machen, dass wir die Zeit dieser Wahlperi- ode – soweit das in unseren ernst eingesetzten Kräften steht – nutzen wollen, um mög- lichst alle wesentlichen Punkte zu entscheiden. Das geht nur, wenn wir darüber Einig- keit unter den Fraktionen herstellen können. Das geht nur, wenn wir einen dafür be- sonders eingesetzten Ausschuss zur Verfügung haben, der sich ausschließlich mit den Fragen beschäftigt, die damit zusammenhängen, und der kann das wiederum nur tun, wenn er nicht zu groß ist, das heißt wenn er eine Größenordnung hat, die Effektivität in der Arbeit darstellt. Aus diesem Grunde ist von uns und nicht von anderen, die jetzt hier mit irgendwelchen Presseerklärungen meinen, da Scheinprioritätenstreit in Gang setzen zu sollen, ist von uns und den beiden anderen Fraktionen der euch vorliegende formulierte Antrag übersandt worden mit der Bitte, sich dazu zu äußern. Herbert Wehner hat eingangs schon darauf hingewiesen, grundsätzliche Zustimmung ist von beiden Fraktionen inzwischen erteilt worden. Wenn wir uns über die Einzelheiten heute beziehungsweise morgen verständigen, wäre es gut, wenn wir diese oder nächste Woche spätestens den Antrag im Bundestag förmlich behandeln, das heißt beschließen und damit die Voraussetzung dafür schaffen, das halte ich jedenfalls für erstrebenswert, dass auch die Konstituierung dieses Ausschusses noch vor Beginn der Weihnachtspause erfolgt, damit er alsbald förmlich seine Arbeit als Sonderausschuss aufnehmen kann. Wir brauchen aber für das, was die Meinung der Fraktion oder als Meinung der Frakti- on in den Ausschuss eingebracht werden soll, sorgfältige eigene Vorarbeit. Unsere Arbeitsgruppe hat, sie wird nicht erst, sondern sie hat heute bereits ihre erste Sitzung gehabt. Wir wollen, auch weil dazu eine Menge an Sachverstand aus den verschiedenen Bereichen zusammenkommen muss, diese Gruppe in Zukunft jede Woche, auf jeden Fall jede Woche einmal mindestens zusammenkommen lassen, damit rechtzeitig vorge- arbeitet werden kann für die weiteren Entschließungen im Sonderausschuss des Bun- destages. Wir haben heute die Überlegungen für unsere weitere Arbeit versucht, zu- nächst mal in eine Ordnung zu bringen und wollen dann am Dienstag der nächsten Woche unsere ersten Vorstellungen weiterführen. Wir müssen darüber hinaus eng mit den Ländern zusammenarbeiten. Einige Entscheidungen, die wir hier zu treffen haben, berühren die Länder unmittelbar, zum Beispiel das Thema Besteuerung. Aber das ist eine Entscheidung, die hier nur getroffen werden kann. Andere Entscheidungen wer- den in den Ländern ebenfalls in eigener Verantwortung zu treffen sein. Uns muss daran gelegen sein, möglichst viel mit den Genossen in den Ländern so abzustimmen, dass wir auf allen Ebenen möglichst an einem Strang ziehen, nach einer Linie verfahren. Mit den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen ist fest verabredet, dass wir eine Arbeits- gruppe hier bilden, in die jede Landtagsfraktion zwei ihrer Mitglieder entsenden wird, so dass wir durch die beiden Gremien den eigenen Ausschuss, die eigene Arbeitsgruppe der Fraktion und diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe in einer ständigen engen Verbin- dung so stehen, dass von daher alles, was zur Entscheidung in den Ausschuss gebracht werden muss, auch entsprechend vorbereitet haben. Ich bitte um Zustimmung zu dem euch vorliegenden Antrag. Wehner: Wird das Wort gewünscht? Norbert Gansel.

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Gansel: Wir könnten den Verdächtigungen, dass das nur ein Trick sein soll, um das hinauszuzögern, dadurch gut entgegentreten, indem wir in diesen Antrag aufnehmen, dass der Ausschuss – ich glaube, wie das auch in anderen Fällen öfters gemacht wird –, dass der Ausschuss vielleicht zum 1. oder zum 15. Mai seinen Bericht vorlegen soll oder dass – das wäre das mindeste, das müsste von unseren Vertretern bei der Begründung klargestellt werden –, dass er die Arbeiten so abschließen wird, dass dieser Bundestag noch darüber entschließen kann. Wehner: Das müssen wir versuchen, Norbert. Nur musst du dir eines doch mal ins Gedächtnis rufen. Dies heißt, eine von Grund auf völlig neue Definition der Rechtsstel- lung des Abgeordneten und das ist eine Arbeit, um die niemand zu beneiden ist. Wir müssen uns selber Zwischenziele stecken, aber wir sollten auch nicht anderen sozusa- gen den Vorwand geben, uns in dieser Frage als eine Art von Zauderern zu verdächti- gen. Ich nehme nicht an, dass es bei der Einbringung des Antrags und der Einsetzung des Ausschusses eine Debatte geben muss. Gäbe es sie, so wäre sie wahrscheinlich ent- weder über das Vermögen dieses Bundestages auf sachliche Konzentration und Diszi- plin hinausgehend oder es würde allgemein jeder erdenkliche Brei dort gerührt. Das wäre wahrscheinlich noch schlechter. Wir müssen den Versuch machen, deutlich zu machen, dass wir uns einen Abschluss in dieser Periode nicht nur vorstellen, sondern dass wir darauf hinarbeiten, dass das eine interfraktionelle Sache ist, zu der wir alle anderen auch auffordern, und wir müssen unter Umständen auch dabei erwähnen, dass wir zu angemessener Zeit Zwischenberichte vom Ausschuss erwarten wollen. Das ist wahrscheinlich nicht weniger wichtig. Nur einen Termin in den Ausschuss selbst hineinzubringen, hat noch eine andere Schattenseite, über die ich nicht reden will, weil er dann praktisch also von anderen Leuten, die das gar nicht wollen, so gehindert wird, dass er den Termin nicht einhalten kann. Und das kann uns passieren, weil es gibt ja Leute, die sagen, ist sowieso erst 1980 möglich und wenn jemand sich so innerlich festlegt, ist die Möglichkeit, dass er dann Sand hineinstreut, nicht von der Hand zu weisen. Hier sind noch Wortmeldungen. Gunter Huonker. Huonker: Ich habe, nachdem sowohl Herbert Wehner als auch Gerhard Jahn klarge- macht haben, dass wir an einer sehr zügigen Bearbeitung interessiert sind, nur die Bitte, dass die Kommission, die wir eingesetzt haben von der Fraktion, uns vielleicht Ende Januar/Anfang Februar mal einen Zwischenbericht gibt, dass wir, auch wenn wir drau- ßen gefragt werden, wir werden ja immer gefragt, wenn einige, nicht von uns, sondern von der anderen interessierten Seite so blöde Äußerungen in der Öffentlichkeit machen, dass wir wissen, was noch in dieser Legislaturperiode zu schaffen ist und was nicht. Wehner: Müsste man auf jeden Fall machen können, dass man das Gerippe sieht, nach- dem diese unsere eigene Arbeitsgruppe vorgeht und was sie bisher angepackt oder wem übertragen und welche Aussichten. Gibt’s noch Wortmeldungen? Keine. [E.] Wehner: Dann kommen wir zu dem Punkt 16, Ludwig Fellermaier. Da gibt es eine Vorlage, Genossen, und die ist deswegen leider heute an den Termin gebunden, weil ihr unter II. seht, die SPD-Bundestagsfraktion erwartet, dass der Europäische Rat am 1. und 2. Dezember 1975 in Rom Beschlüsse über den Vertragsentwurf fasst, den das Europäische Parlament zur allgemeinen und direkten Wahl seiner Mitglieder vorgelegt hat. An sich ist das nicht schön, wenn man eine Sache so im Eilverfahren machen muss, aber der Fraktionsvorstand stand gestern vor dieser Frage, und wir haben deswegen

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den Versuch gemacht, ist noch einmal umredigiert worden ein wenig in gegenseitigem Einverständnis und jetzt berichtet Ludwig Fellermaier. Fellermaier: Genossinnen und Genossen, Ausgangslage war die Entscheidung der Staats- und Regierungschefs im Dezember 1974, die sich festgelegt haben, dass Direkt- wahlen zum Europäischen Parlament, die im Römischen Vertrag vorgesehen sind, statt- finden sollen und die selbst genannt haben das Jahr 1978. Die Außenminister haben vor zwei Wochen ihrerseits einen Bericht fertiggestellt. Vor allem die Bundesregierung hat dabei an dem Termin ’78 festgehalten und die Außenminister werden diesen Bericht dem Europäischen Rat, also den Staats- und Regierungschefs, am 1. und 2. Dezember in Rom erstatten. Die Ad-hoc-Gruppe Direktwahl der Fraktion hat diese Entschließung vorbereitet auf der Grundlage des Entwurfs des Europäischen Parlaments für die direkten Wahlen, zu denen das Parlament wiederum von den Staats- und Regierungschefs im Dezember ’74 aufgefordert worden war. Dieses Parlament würde, falls es dann in dem oder in einem anderen Jahr direkt gewählt wird, aus 355 Abgeordneten bestehen nach der Konvention des Europäischen Parlaments und die wird den Ratsberatungen auch zugrunde liegen. Davon würden entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland 71 Mitglieder, auf das Vereinigte Königreich 67, auf Italien 66, auf Frankreich 65, auf die Niederlande 27, auf Belgien 23, auf Dänemark 17, auf Irland 13 und auf Luxemburg sechs. Wenn man in Prozenten genau rechnet, müssten die größeren Länder insgesamt mehr Mandate erhal- ten. Das würde aber sich so negativ auswirken können, dass kleine Länder wie Irland und Luxemburg dann überhaupt in einem Europäischen Parlament nicht vertreten sein könnten. Die Bundesrepublik stellt jetzt 18 Prozent der Abgeordneten im Europäi- schen Parlament. Sie müsste nach der Bevölkerungszahl 24 in einem künftigen stellen und der Kompromiss war, dass die Bundesrepublik beispielsweise mit 20 Prozent ver- treten sein wird. Das heißt, die großen Länder haben also hier gegenüber den kleinen Ländern nachgegeben. Es kann vielleicht ganz interessant sein, wir haben mal errechnen lassen anhand der letzten nationalen Wahlen, wenn man die überträgt in ein vermutliches gleiches Wahl- verhalten der Bürger bei einer europäischen Direktwahl, wie dann die politischen Strömungen sich in Mandaten niederschlagen würden oder auch in Prozenten. Bei diesen 355 Abgeordneten würden auf Kommunisten entfallen 25 Mandate, auf Soziali- sten 118 Mandate, auf Christdemokraten 94, auf Konservative 36, auf die französischen Gaullisten 28, auf die Liberalen 43 und auf sogenannte Unabhängige und Rechtssplit- tergruppen elf Mandaten, jeweils gemessen nach den letzten nationalen Wahlen zu Parlamenten. Dies nur als Anhaltspunkt dafür, wie es aussehen könnte bei allem Un- wägbaren, was natürlich dabei ist. Der Ad-hoc-Gruppe und auch dem Fraktionsvorstand gestern ist es darum gegangen, nicht etwa nun in alle Einzelheiten zu gehen dessen, was wir dann als nationales Wahl- recht selbst zu machen haben, weil die Konvention davon ausgeht, dass zur ersten Wahl das nationale Wahlrecht herangezogen wird und dass erste direkt gewählte Parlament in den fünf ersten Jahren dann eine europäische Wahlkonvention ausarbeitet. Deshalb haben wir auch hier in den Punkt 6 hineingeschrieben, dass in der Bundesrepublik rechtzeitig ein nationales Wahlrecht geschaffen werden muss und die Ad-hoc-Gruppe arbeitet daran auch in enger Abstimmung mit den Genossen im Innenausschuss des Bundestages, die dafür ja die Federführung haben werden. Ich bin aus der Fraktion gefragt worden im Zusammenhang auch mit Diskussionen, die von der CDU um Ber- lin inzwischen öffentlich geführt werden, wie denn es um diese Frage bestellt sei. Dazu kann ich schlicht und einfach sagen, wir gehen davon aus, dass die Berliner Abgeordne-

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ten mit vollen Rechten im Europäischen Parlament vertreten sein werden, so wie sie übrigens jetzt auch schon mit vollen Recht vertreten sind. Das heißt, sie haben einen höheren Status jetzt schon im Europäischen Parlament, als sie etwa im Deutschen Bun- destag haben und das Gleiche kann auch unterstellt werden in der Regelung für die Berliner, wozu natürlich eine Abstimmung mit den westlichen Alliierten der Bundesre- gierung und dem Senat notwendig ist, was aber im Übrigen auch bereits geschieht. Ich würde bitten, dieser Entschließung zuzustimmen, damit wir als Sozialdemokratische Bundestagsfraktion in dieser Woche vor der Sitzung der Staats- und Regierungschefs in Rom deutlich sagen, dass wir die Haltung der Bundesregierung und des Bundeskanz- lers bei den Beratungen in Rom damit unterstützen. (Beifall.) Wehner: Danke. Wird das Wort gewünscht? Darf ich abstimmen lassen. Wer für die Verabschiedung dieser Entschließung ist, bitte ich ums Handzeichen. Danke. Gegentei- lige Meinung. Stimmenthaltungen. Ist beschlossen. Dann, Genossen, sehe ich leider keinen Punkt außer Verschiedenem. Wünscht jemand das Wort unter Verschiedenem? Nicht der Fall. Danke, schließe.

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