Plenarprotokoll 16/212

Deutscher

Stenografischer Bericht

212. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 31: , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Notleidenden Un- a) – Zweite und dritte Beratung des von den ternehmen Sanierungschancen durch effi- Fraktionen der CDU/CSU und der SPD zientere Gestaltung der gesetzlichen Rege- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes lungen im Insolvenzplanverfahren geben zur weiteren Stabilisierung des Fi- (Drucksache 16/12285) ...... 22955 D nanzmarktes (Finanzmarktstabilisie- rungsergänzungsgesetz – FMStErgG) (Drucksachen 16/12100, 16/12316, in Verbindung mit 16/12343) ...... 22955 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Zusatztagesordnungspunkt 8: wurfs eines Gesetzes zur weiteren Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Stabilisierung des Finanzmarktes Barbara Höll, Dr. , weite- (Finanzmarktstabilisierungsergän- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE zungsgesetz – FMStErgG) LINKE: Sicherheit und Zukunft – Initiative (Drucksachen 16/12224, 16/12316, für ein sozial gerechtes Antikrisenpro- 16/12343) ...... 22955 B gramm b) Antrag der Abgeordneten , (Drucksache 16/12292) ...... 22955 D Dr. , Dr. Barbara Höll und der Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) ...... 22956 A Fraktion DIE LINKE: Manager der Fi- nanzbranche an den Kosten der Finanz- Rainer Brüderle (FDP) ...... 22957 B marktkrise beteiligen (CDU/CSU) ...... 22959 A (Drucksache 16/10827) ...... 22955 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) ...... 22960 C d) Antrag der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weite- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 22963 B rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Industriepolitische Kehrtwende – Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin Zukunftsfonds für Industrieinnovation BMF ...... 22964 C und Beschäftigungssicherung Dr. Hermann Otto Solms (FDP) ...... 22965 D (Drucksache 16/12294) ...... 22955 C (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 22967 A in Verbindung mit Dr. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 22968 C (SPD) ...... 22969 C Zusatztagesordnungspunkt 7: Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) ...... 22970 A Antrag der Abgeordneten , Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Dr. Hermann Otto Solms (FDP) ...... 22970 D II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. , Freitag, den 20. März 2009

Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 22971 D (FDP) ...... 22987 A Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 22987 B Namentliche Abstimmungen ...... 22973 D, 22976 B Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 22987 C Ergebnisse ...... 22974 C, 22980 D Dr. (SPD) ...... 22989 C (FDP) ...... 22991 B Tagesordnungspunkt 32: Ulrich Petzold (CDU/CSU) ...... 22992 A a) Erste Beratung des von den Fraktionen der Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) ...... 22993 B CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- (CDU/CSU) ...... 22994 A lung des Rechts des Naturschutzes und (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 22995 B der Landschaftspflege (Drucksache 16/12274) ...... 22977 A b) Erste Beratung des von den Fraktionen der Tagesordnungspunkt 33: CDU/CSU und der SPD eingebrachten a) Antrag der Abgeordneten , Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Lothar lung des Wasserrechts Bisky, weiterer Abgeordneter und der (Drucksache 16/12275) ...... 22977 A Fraktion DIE LINKE: Erhöhung der Re- c) Erste Beratung des von den Fraktionen der gelaltersrente auf 67 zurücknehmen CDU/CSU und der SPD eingebrachten (Drucksache 16/12295) ...... 22996 D Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung b) Beschlussempfehlung und Bericht des des Schutzes vor nichtionisierender Ausschusses für Arbeit und Soziales zu Strahlung dem Antrag der Abgeordneten Irmingard (Drucksache 16/12276) ...... 22977 B Schewe-Gerigk, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der d) Erste Beratung des von den Fraktionen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CDU/CSU und der SPD eingebrachten Kurs halten bei der Erwerbsintegration Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung von älteren Beschäftigten – Teilrenten des Bundesrechts im Geschäftsbereich erleichtern des Bundesministeriums für Umwelt, (Drucksachen 16/9748, 16/11501) ...... Naturschutz und Reaktorsicherheit 22996 D (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt – RGU) in Verbindung mit (Drucksache 16/12277) ...... 22977 B

Zusatztagesordnungspunkt 10: in Verbindung mit Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- Zusatztagesordnungspunkt 9: trag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. , Christian Ahrendt, weite- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- der Zuverdienstgrenzen ten Horst Meierhofer, Michael Kauch, (Drucksachen 16/8542, 16/12311) ...... 22997 A Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Verfahren verein- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 22997 A fachen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 22998 C schaffen – Notwendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Projekts „Umwelt- Volker Schneider (Saarbrücken) gesetzbuch“ (DIE LINKE) ...... 22999 B (Drucksachen 16/9113, 16/10393) ...... 22977 C Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 23001 C , Bundesminister Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23003 B BMU ...... 22977 D Anton Schaaf (SPD) ...... 23003 D Horst Meierhofer (FDP) ...... 22983 A Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23004 D Josef Göppel (CDU/CSU) ...... 22984 D Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/ Lutz Heilmann (DIE LINKE) ...... 22985 D DIE GRÜNEN) ...... 23005 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 III

Volker Schneider (Saarbrücken) Tagesordnungspunkt 35: (DIE LINKE) ...... 23006 C Zweite und dritte Beratung des von der Bun- (CDU/CSU) ...... 23007 D desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Tier- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 23008 A schutzgesetzes (Drucksachen 16/7413, 16/12300) ...... 23026 A Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23008 D Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) ...... 23009 C Tagesordnungspunkt 36: (SPD) ...... 23010 B a) Zweite und dritte Beratung des von den Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23012 A Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, (Köln), , weite- (SPD) ...... 23012 C ren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einrichtung Tagesordnungspunkt 34: eines Registers über unzuverlässige Un- ternehmen (Korruptionsregister-Gesetz) a) Erste Beratung des von den Fraktionen der (Drucksachen 16/9780, 16/11312) ...... 23026 C CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ange- b) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang messenheit der Vorstandsvergütung Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, Kerstin (VorstAG) Andreae, weiterer Abgeordneter und der (Drucksache 16/12278) ...... 23013 D Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Korruptionsbekämpfung bei Hermes- b) Antrag der Abgeordneten Christine Scheel, bürgschaften , Birgitt Bender, weiterer (Drucksache 16/11211) ...... 23026 C Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) ...... NIS 90/DIE GRÜNEN: Exzesse bei Ma- 23026 D nagergehältern verhindern Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/12112) ...... 23014 A DIE GRÜNEN) ...... 23028 C c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD) . . . . . 23029 C nanzausschusses Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ – zu dem Antrag der Abgeordneten DIE GRÜNEN) ...... 23029 D Christine Scheel, Kerstin Andreae, (BÜNDNIS 90/ Britta Haßelmann, weiterer Abgeord- DIE GRÜNEN) ...... 23030 C neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Steuerabzug bei Ma- nager-Abfindungen begrenzen Zusatztagesordnungspunkt 11: – zu dem Antrag der Fraktion DIE Zweite und dritte Beratung des von der Bun- LINKE: Begrenzung der Manager- desregierung eingebrachten Entwurfs eines vergütung fördern Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie ande- (Drucksachen 16/7530, 16/7743, 16/8994) 23014 A rer Vorschriften Joachim Poß (SPD) ...... 23014 B (Drucksachen 16/8100, 16/12315) ...... 23032 B Mechthild Dyckmans (FDP) ...... 23016 A Tagesordnungspunkt 37: (CDU/CSU) ...... 23017 C Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23019 A schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- Joachim Poß (SPD) ...... 23019 D ordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ Michael Goldmann, Dr. Edmund Peter Geisen, DIE GRÜNEN) ...... 23020 D weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Zulassung von gentechnisch verän- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär derten Organismen auf wissenschaftliche BMJ ...... 23022 A Grundlage stellen – Agrarischen Vered- lungsstandort Deutschland sichern Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU) ...... 23023 B (Drucksachen 16/8929, 16/11165) ...... 23032 C Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 23025 A Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) ...... 23033 A IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Tagesordnungspunkt 38: Anlage 4 Bericht des Ausschusses für Familie, Senio- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten ren, Frauen und Jugend gemäß § 62 Absatz 2 Dr. Lale Akgün, , Ottmar der Geschäftsordnung Schreiner, Andreas Steppuhn, Rüdiger Veit, Lothar Mark, Renate Gradistanac, René Röspel, – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel Deligöz, Josef Philip Winkler, Marieluise und (alle SPD) zur na- Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nes Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des NEN: Kinderrechte in Deutschland vor- Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungser- behaltlos umsetzen – Erklärung zur gänzungsgesetz – FMStErgG) (Tagesordnungs- UN-Kinderrechtskonvention zurückneh- punkt 31 a) ...... 23042 C men

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Anlage 5 Jelpke, Diana Golze, Jörn Wunderlich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten DIE LINKE: Für die Rücknahme der Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) zur na- Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder- mentlichen Abstimmung über den Entwurf ei- rechtskonvention und eine – hiervon nes Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des unabhängige – effektive Umsetzung der Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungser- Kinderrechte im Asyl- und Aufenthalts- gänzungsgesetz – FMStErgG) (Tagesordnungs- recht punkt 31 a) ...... 23043 A (Drucksachen 16/1064, 16/8885, 16/12266) 23034 D Anlage 6 Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 23035 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Thomas Mahlberg (CDU/CSU) ...... 23036 A des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Tierschutzgesetzes (Tagesordnungs- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ punkt 35) DIE GRÜNEN) ...... 23036 C Dr. (CDU/CSU) ...... 23043 B Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . 23037 B Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) ...... 23044 D Diana Golze (DIE LINKE) ...... 23038 C Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 23046 B Dr. (DIE LINKE) ...... 23046 C Nächste Sitzung ...... 23039 C Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23047 C Anlage 1 Anlage 7 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 23041 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrich- Anlage 2 tung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Korruptionsregister-Gesetz) Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) zur namentlichen – des Antrags: Korruptionsbekämpfung bei Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes Hermesbürgschaften zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes (Tagesordnungspunkt 36 a und b) (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz – FMStErgG) (Tagesordnungspunkt 31 a) . . . . . 23042 A Gudrun Kopp (FDP) ...... 23048 A Dr. Herbert Schui (DIE LINKE) ...... 23049 A Anlage 3 Anlage 8 Erklärung des Abgeordneten (Wiesloch) (SPD) zur namentlichen Abstim- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung mung über den Entwurf eines Gesetzes zur des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbu- (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz – ches sowie anderer Vorschriften (Zusatztages- FMStErgG) (Tagesordnungspunkt 31 a) . . . . 23042 B ordnungspunkt 11) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 V

Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) ...... 23049 C Anlage 10 Dr. Marlies Volkmer (SPD) ...... 23051 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Hans-Michael Goldmann (FDP) ...... 23051 D des Berichts zu den Anträgen: Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ – Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos DIE GRÜNEN) ...... 23052 B umsetzen – Erklärung zur UN-Kinderrechts- konvention zurücknehmen – Für die Rücknahme der Vorbehaltserklä- Anlage 9 rung zur UN-Kinderrechtskonvention und Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der eine – hiervon unabhängige – effektive Beschlussempfehlung und des Berichts: Zulas- Umsetzung der Kinderrechte im Asyl- und sung von gentechnisch veränderten Organis- Aufenthaltsrecht men auf wissenschaftliche Grundlage stellen – Agrarischen Veredlungsstandort Deutschland (Tagesordnungspunkt 38) sichern (Tagesordnungspunkt 37) (SPD) ...... 23057 C Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) ...... 23053 B Miriam Gruß (FDP) ...... 23058 B Elvira Drobinski-Weiß (SPD) ...... 23054 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) ...... 23055 B Anlage 11 Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 23056 A Amtliche Mitteilungen ...... 23059 A

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22955

(A) (C) Redetext

212. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Die Sitzung ist eröffnet. Lötzer, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich. Industriepolitische Kehrtwende – Zukunfts- Ohne weitere Vorankündigungen rufe ich die Tages- fonds für Industrieinnovation und Beschäfti- ordnungspunkte 31 a, 31 b und 31 d sowie die Zusatz- gungssicherung punkte 7 und 8 auf: – Drucksache 16/12294 – 31 a)– Zweite und dritte Beratung des von den Überweisungsvorschlag: Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Finanzausschuss weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes Ausschuss für Arbeit und Soziales (B) (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsge- ZP 7Beratung des Antrags der Abgeordneten (D) setz – FMStErgG) Christian Ahrendt, Sabine Leutheusser- – Drucksache 16/12100 – Schnarrenberger, Dr. Hermann Otto Solms, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Notleidenden Unternehmen Sanierungschan- Gesetzes zur weiteren Stabilisierung des cen durch effizientere Gestaltung der gesetz- Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungs- lichen Regelungen im Insolvenzplanverfahren ergänzungsgesetz – FMStErgG) geben – Drucksache 16/12224 – – Drucksache 16/12285 – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Überweisungsvorschlag: schusses (7. Ausschuss) Rechtsausschuss (f) Finanzausschuss – Drucksachen 16/12316, 16/12343 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Berichterstattung: Haushaltsausschuss Abgeordnete Leo Dautzenberg ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner Ortwin Runde Dreibus, Dr. Barbara Höll, Dr. Dagmar Frank Schäffler Enkelmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Dr. tion DIE LINKE Dr. Gerhard Schick Sicherheit und Zukunft – Initiative für ein so- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Oskar zial gerechtes Antikrisenprogramm Lafontaine, Dr. Gregor Gysi, Dr. Barbara Höll und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 16/12292 – Manager der Finanzbranche an den Kosten Überweisungsvorschlag: der Finanzmarktkrise beteiligen Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – Drucksache 16/10827 – Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Stabili- Überweisungsvorschlag: sierung des Finanzmarktes liegen ein Änderungsantrag Finanzausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie der Fraktion Die Linke und ein Entschließungsantrag der Haushaltsausschuss FDP-Fraktion vor. Weiterhin weise ich darauf hin, dass 22956 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) wir später zu diesem Gesetzentwurf zwei namentliche menten der sozialistischen oder kommunistischen (C) Abstimmungen durchführen werden. Planwirtschaft zu sprechen, ist für mich persönlich – ich möchte keine alten Wunden aufreißen – eine Missach- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die tung der Opfer der eben beschriebenen Misswirtschaft. Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Denjenigen, (Beifall bei der SPD – Dr. die diese Debatte im Augenblick noch in den Büros ver- [FDP]: Oh, oh!) folgen, kann ich also mitteilen, dass etwa um 10.20 Uhr mit der namentlichen Abstimmung zu rechnen ist. Das lässt mich, ehrlich gesagt, am rechtlichen Verständ- nis derjenigen, die das behaupten, im Hinblick auf unser Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst das Grundgesetz zweifeln. Nach Art. 14 sind Enteignungen Wort dem Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPD- möglich, aber nur zum Wohle der Allgemeinheit. Das ist Fraktion. gut so. Wenn ein Grundstückseigentümer, ein Klein- bauer oder ein Hauseigentümer sein Grundstück oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Haus für einen legalen Zweck – weil ein Messestandort der CDU/CSU) gesichert, eine Rohrleitung verlegt, eine Straße gebaut werden soll – opfern muss, dann ist das alles legal und Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): verfassungsrechtlich einwandfrei. Es stellt sich aber Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und auch die Frage, wieso nicht auch im Zusammenhang mit Kollegen! Wir stehen am Ende einer ereignisreichen der Finanzwirtschaft ein solcher Schritt nach all den be- Woche, in der wir als Gesetzgeber unsere Pflicht erfül- schriebenen vorangegangenen Maßnahmen zum Wohle len, mit dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsge- der Allgemeinheit, zur Stabilisierung unserer Volkswirt- setz ordnungspolitisch in einwandfreier Weise den Steu- schaft und zur Aufrechterhaltung der Funktion unserer erzahler vor vermeidbaren Kosten zu bewahren. In allen Finanzwirtschaft möglich sein soll. Diskussionen und Verhandlungen der letzten Wochen Dass dies möglich und richtig ist, hat die Anhörung ging es immer um die grundlegende Frage: Was hat der am letzten Montag, wie ich finde, eindrucksvoll bestä- Staat zur Bewältigung der aktuellen Finanzmarktkrise zu tigt. Wer gleichwohl immer noch einen ordnungspoliti- tun? Welche Mittel des Steuerzahlers darf, welche muss schen Bruch befürchtet, dem möchte ich vor Augen er in verfassungsrechtlich einwandfreier Weise einset- führen: Die jetzige Krise ist keine Krise der Marktwirt- zen? schaft, sondern primär erst einmal Auswuchs unverant- Nach unserer Ordnungsvorstellung, die wir alle ak- wortlichen Fehlverhaltens bedeutender Marktteilnehmer. zeptieren, trägt ein jeder Unternehmer im Falle des Von daher ist es richtig und konsequent, wenn wir sagen: (B) Misserfolgs seines Betriebes das Risiko dafür, dass sein Ja, wir schützen das Finanzsystem im Ganzen; aber ein- (D) Betriebsvermögen und nach persönlichen Verpfändun- zelne Eigentümer, einzelne Finanzunternehmer sind gen und Bürgschaftserklärungen in aller Regel auch der eben nicht schützenswert. berühmte letzte private Hosenknopf weg sind. Dieses (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Unternehmerrisiko ist ihm bewusst; es ist Teil unserer Ordnungspolitik. Wird nun diese Insolvenzordnung Täten wir dies, wäre das ein Bruch mit den ordnungspo- aufgrund der aktuellen Situation partiell außer Kraft ge- litischen Grundsätzen. setzt, entsteht eine Lücke, die der Staat auf ordnungspo- litische Weise schließen muss, und zwar mit einem Ge- (Beifall bei der SPD) setz, wie es uns heute zur endgültigen Beratung und Um auch das Ende eines möglichen derartigen Pro- Abstimmung vorliegt. zesses zu betrachten: Unser Ziel ist es selbstverständlich Wir alle wissen und sind uns darüber einig: Bei einer nicht, dass der Staat den Banker spielt. Die möglichst ra- systemisch relevanten Bank darf es keine Insolvenz ge- sche, die möglichst einvernehmliche und unverzügliche ben. Das haben wir am Beispiel Lehman Brothers leid- Reprivatisierung, wie es im Gesetzentwurf heißt, ist voll erfahren müssen. Das können wir angesichts der da- das Ziel unserer Gesetzesbemühungen. Auch das zeigt: mit verbundenen Dominoeffekte nicht riskieren. Ist das Dieser Staat, wir alle handeln verantwortungsvoll. aber so, dann dürfen wir auf der anderen Seite nicht ein- Ich sprach eben schon an, dass eine Enteignung unter seitig Risiken auf den Steuerzahler abwälzen, während bestimmten Bedingungen verfassungsrechtlich einwand- wir die Chance auf Gewinn weiterhin – ebenso einseitig – frei sein kann. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, bei dem Eigentümer lassen. Anders gesagt: Wenn der dass wir im Hinblick auf die anstehenden Entscheidun- Staat das Unternehmensrisiko übernimmt und als Retter gen einen zusätzlichen Punkt zu berücksichtigen haben. in der Not auftritt, dann gebührt ihm eine Gegenleistung Wir haben zurzeit auf der einen Seite ein marodes Finanz- getreu dem römischen Motto: Do ut des. institut, dessen Miteigentümer für den Verkauf seiner (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Anteile auf Kosten der Steuerzahler eine möglichst hohe Rendite erzielen wollen. Das ist legitim. Ebenso legitim Deshalb ist als Ultima Ratio die Enteignung nach vo- ist es auf der anderen Seite aber auch, klarzumachen, rangegangener Hauptversammlung und nach all den dass der Marktpreis dieses Unternehmens nur deswegen Schritten, die wir, wie ich finde, sehr präzise in den Ge- höher als null liegt, weil der Staat für das Unternehmen setzentwurf eingebaut haben, das angemessene und rich- bereits Garantien in Höhe von 87 Milliarden Euro bereit- tige Instrument. In diesem Zusammenhang von Instru- gestellt hat. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22957

Dr. Hans-Ulrich Krüger (A) Wir müssen uns fragen: Was hat der Staat zu tun? Es war: Mehr Freiheit wagen. Dreieinhalb Jahre später ist (C) ist meiner Meinung nach keine 75-plus-1-Lösung mög- davon nichts mehr zu sehen. Heute ist ein Tag der Un- lich; dies wäre mit Risiken und Kosten verbunden. Nur freiheit. die vollständige Übernahme ist möglich. Nur so ergeben sich bei der Refinanzierung des Institutes – das haben (Lachen bei Abgeordneten der SPD) uns die Fachleute am Montag eindrucksvoll vor Augen Heute wird eine Grundachse verschoben. Heute wird ein geführt – Zinsersparnisse von 1 bis 1,5 Milliarden Euro Tabu gebrochen. Der Schutz des privaten Eigentums pro Jahr zugunsten des Steuerzahlers. Nur so können wir wird torpediert. im Sinne des Steuerzahlers das Eigenkapital, welches zur Verfügung gestellt werden muss, um circa 4 bis (Beifall bei der FDP – [SPD]: 6 Milliarden Euro niedriger halten als bei einer 75-plus-1- Geht es nicht ein bisschen kleiner?) Lösung. Das Rettungsübernahmegesetz ist ein Schlag gegen (Beifall bei der SPD) unsere Wirtschaftsordnung. Sie sollten es lieber Enteig- nungsgesetz nennen. Das trifft nämlich zu. Es ist gut, dass wir das in Erwägung ziehen. Das zeigt: Wir gehen im Rahmen des heute zu beschließenden Ge- (Beifall bei der FDP) setzentwurfes sorgsam mit den uns anvertrauten Geldern der Allgemeinheit um. Ich zitiere: Wie präzise und fallgenau wir letzten Endes aufgrund Individuelle Freiheit setzt zudem voraus, dass dem der Anhörung arbeiten konnten, zeigt ein weiteres Bei- Einzelnen ein privater Bereich, insbesondere sein spiel: die Laufzeit der Garantien. Selbstverständlich Eigentum, gesichert ist, in den andere nicht eingrei- bleibt es bei den drei Jahren. Die Regelung wird aber in- fen können, auch nicht durch auf demokratischem dividuell angepasst. Die SoFFin erhält die Befugnis, die Wege zustande gebrachte Mehrheitsbeschlüsse. Laufzeit der Garantien im Einzelfall von drei auf fünf Das ist eine Aussage der Bundeskanzlerin aus der Zeit, Jahre zu erhöhen, und zwar für maximal ein Drittel der als sie Erhard und Hayek noch in ihrem Kopf hatte und einem Unternehmen gewährten Garantien. Das ist gut sich von ihnen leiten ließ. so. Das ist europarechtlich einwandfrei und zeigt, dass wir bemüht sind, punktuell und zielgenau zu handeln, (Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter ohne die Gefahr von Kollateralschäden – in diesem Fall [CDU/CSU]: Das hat doch nichts mit dem im Pfandbriefbereich – auch nur ansatzweise eintreten Sachverhalt zu tun, Herr Kollege!) zu lassen. Hayeks Buch Der Weg in die Knechtschaft ist den So- (B) (D) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das wollen zialisten aller Parteien gewidmet. Ich hoffe nicht, dass wir mal hoffen!) wir diesen Weg gehen. Ich will, dass wir freie Bürger bleiben. Wir dürfen keine sozialen Untertanen werden, Ferner haben wir – auch das ist ein Gebot parlamenta- vor denen schon Ludwig Erhard eindringlich gewarnt rischer Fairness – die Informationsrechte des Haus- hat. Der Staat kann in der Finanzkrise nicht tatenlos zu- haltsausschusses und des Finanzausschusses in die- sehen. Er muss handeln. sem Zusammenhang gestärkt. Es ist gut, wenn wir zur Sachlichkeit zurückkehren und weniger aufgeregt disku- (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe tieren; das ist auch eine persönliche Bitte. Wir müssen von der SPD: Ah!) uns überlegen, wie wir die Gelder des Steuerzahlers am besten und am effektivsten einsetzen können, sodass die Dabei müssen aber die Grundsätze der sozialen Belastung für den Steuerzahler, für uns alle, am gerings- Marktwirtschaft gewahrt bleiben. ten ist. Wir müssen fragen, was im Rahmen unseres (Beifall bei der FDP) Rechtssystems in verfassungsrechtlich einwandfreier Art und Weise möglich ist. Wenn wir so vorgehen, kommen Enteignung ist kein Instrument der sozialen Markt- wir zu dem, was Ihnen heute als Entwurf zur Abstim- wirtschaft. Enteignung ist ein Tabubruch. Die Bundesre- mung vorliegt. gierung versucht, das schönzureden. Sie greift damit das Fundament der marktwirtschaftlichen Ordnung an. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Privateigentum gehört zu den konstitutiven Prinzipien einer Wettbewerbsordnung. All das können Sie bei Präsident Dr. Norbert Lammert: Walter Eucken und den anderen Vordenkern unserer so- Nächster Redner ist der Kollege Rainer Brüderle für zialen Marktwirtschaft nachlesen. die FDP-Fraktion. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist nach (Beifall bei der FDP) wie vor richtig, ja!) Die Bundesregierung untergräbt das Fundament unse- Rainer Brüderle (FDP): rer Wirtschaftsordnung seit Jahren: Mit Mindestlöhnen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Über- wird die Tarifautonomie ausgehebelt; das Außenwirt- schrift der ersten Regierungserklärung von Schwarz-Rot schaftsgesetz wird für protektionistische Maßnahmen 22958 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Rainer Brüderle (A) missbraucht; der Gesundheitsfonds trägt Züge der Ent- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das macht (C) eignung. er schon seit 30 Jahren!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – und lässt im Grunde erkennen, dass das, was gemacht Mechthild Rawert [SPD]: Also jetzt reicht es wird, überflüssig ist. Der neue Wirtschaftsminister hat aber!) davor gewarnt, ordnungspolitische Leitplanken panisch einzureißen. Die Enteignung der HRE scheint für die Bundesregie- rung nur ein weiterer Schritt zu sein. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) (Beifall bei der FDP – Widerspruch bei der Im Kabinett hat er in den ersten acht Tagen seiner Arbeit SPD) als Minister die Hand für ein Enteignungsgesetz geho- ben. Das nenne ich nicht ordnungspolitische Konse- Mit dem Enteignungsgesetz gehen Sie zu weit. Man hat quenz. den Eindruck, dass Sie sich überhaupt nicht die Mühe (Beifall bei der FDP) machen wollen, die anderen Möglichkeiten zur Rettung auszuschöpfen. Die FDP hat das erste Finanzmarktstabilisierungsge- setz mitgetragen. (Beifall bei der FDP) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtiger- Den Vorschlag der eingeschränkten Insolvenz von weise! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- , den der neue Wirtschaftsminister aufge- NEN]: Aha!) griffen hat, findet man nicht im Gesetzentwurf. Der Wirtschaftsminister hat sich im Kabinett nicht gegen den Das war unsere patriotische Pflicht. Genauso ist es heute Finanzminister und die Justizministerin durchsetzen unsere Pflicht, gegen dieses Enteignungsgesetz zu stim- können. men. (Beifall bei der FDP) Ihr Konzept hat sofort Nachahmer gefunden. Der DGB-Vorsitzende, Herr Sommer, hat im Spiegel-Inter- Wir haben der Regierung damals einen Vertrauens- view gesagt: Das muss auch für weitere Branchen gel- vorschuss gewährt. Mittlerweile ist das Vertrauen rest- ten, in denen der Staat finanziell hilft. los aufgebraucht. Die Regierung hat reklamiert, sie stehe unter Zeitdruck. Seit September letzten Jahres kennt (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genauso ist es!) man die Misere bei der HRE. Jetzt, nach einem guten halben Jahr und nachdem man 100 Milliarden Euro (B) Auch dort soll das Instrument der Enteignung eingeführt (D) werden. Sie haben einen Geist aus der Flasche gelassen, praktisch dort hineingegeben hat, ist der Zeitdruck plötz- den Sie nur schwer wieder einfangen können. lich groß, und man sagt, man müsse etwas tun, um das Geld des Steuerzahlers zu retten. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Die Professoren Beatrice Weder di Mauro und Martin Hellwig – beide sind Mitglied in Beratergremien der Präsident Dr. Norbert Lammert: Bundesregierung – haben ebenfalls einen Vorschlag un- Herr Kollege, darf ich Sie mit Blick auf das Stichwort terbreitet, der auf Enteignung verzichtet. Wir stellen un- Zeitdruck auf Ihre Redezeit hinweisen? sere Vorschläge heute zur Abstimmung. Mein Freund Otto Solms wird sie noch im Detail darlegen. Rainer Brüderle (FDP): (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Es gibt keine Jawohl, Herr Präsident. Ich komme zum letzten Satz. Vorschläge der FDP!) (Zuruf von der SPD: Enteignet!) Es gibt mehrere Wege. Liebe Kollegen von der Union, Sie haben kein Konzept – Enteignung ist kein Kon- Sie haben sich von der SPD in den Schwitzkasten neh- zept –, men lassen und können sich jetzt nicht mehr befreien. (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der FDP) mit dem Sie die Probleme lösen können. Sie haben kei- Die marginalen Änderungen, die jetzt am Gesetz vor- nen Plan. Sie irren und irrlichtern durch die Landschaft. genommen werden, ändern nichts daran. Jetzt beschlie- Das ist bedenklich für Deutschland. ßen Sie, dass enteignet wird, falls die Aktionäre ihre An- (Beifall bei der FDP – Steffen Kampeter teile nicht freiwillig abgeben. [CDU/CSU]: Das war eine oberflächliche Büt- (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Nein! Stimmt tenrede!) nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: In der vergangenen Woche hat der Kollege Meister von Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun der Kollege der CDU/CSU noch erklärt: Steinbrück stellt sich außer- Leo Dautzenberg das Wort. halb der sozialen Marktwirtschaft. Otto Bernhardt win- det sich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22959

(A) Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Differenzieren Sie bitte zwischen Verstaatlichung und (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Enteignung. Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Brüderle, ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – schätze Sie sonst aufgrund der Sachlichkeit Ihrer Aus- Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aha! Interes- führungen; die heutigen waren aber sehr hoch gegriffen. sant!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nicht zu viel Meine Damen und Herren, ich gebe zu, dass auch unser des Guten!) Koalitionspartner nicht immer zwischen diesen beiden Es wäre sinnvoll gewesen, wenn Sie in den Gesetzent- Begriffen unterscheidet. wurf und die weiteren Änderungen, die wir vollzogen (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Oh ja! – Dr. haben, geschaut hätten. Guido Westerwelle [FDP]: Wohl wahr!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deshalb haben wir, die Unionsfraktion, Wert darauf ge- der SPD) legt, dass beide Begriffe klar getrennt werden Dann könnten Sie die These, hier handele es sich aus- (Beifall bei der CDU/CSU) schließlich um ein Enteignungsgesetz, selber widerle- gen. und dass man sich auch bei der Wahl der Instrumente an dieser Differenzierung orientiert. Das wurde auf unsere Enteignung ist in dem, was jetzt vorliegt, die Ultima Initiative hin in diesem Gesetzentwurf kodifiziert. Ratio. Ich komme auf einen weiteren wichtigen Aspekt im (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aha!) Hinblick auf die Garantien zu sprechen. Im Kabinetts- Vieles ist vorgelagert. Es ist nicht nur vorgelagert – Sie entwurf stand, dass die Befristung der Garantien grund- hatten dazu Ausführungen gemacht –, dass zuerst der sätzlich auf einen Zeitraum von fünf Jahren erweitert Fall eintreten muss, dass man einer Kapitalerhöhung werden soll und dass die Befristung eines Drittels der nicht zustimmt. Wenn eine Bank oder ein Unternehmen Garantien in den letzten zwei Jahren auf den Zeitraum nicht in eigener Verantwortung zur Rettung beiträgt, von fünf Jahren erhöht werden kann. Diese Regelung dann kann der Staat bzw. der Bund, der Fonds über eine war uns zu weitgehend. In dieser Maßnahme sahen wir Kapitalherabsetzung verbunden mit einer Kapitalerhö- eine Gefährdung des Pfandbriefmarktes und des Anlei- hung für den Bund eingreifen, um die Gestaltungsmehr- hemarktes insgesamt. Dass diese Gefahr besteht, wurde heit für die Transfersicherheit der Maßnahmen zu errei- auch im Rahmen der Anhörung deutlich. chen. Das ist anders, als Sie es hier dargestellt haben; sie (B) Jetzt ist an die Gewährung von Garantien, die eine (D) haben es so dargestellt, als würde dieses Gesetz aus- Laufzeit von fünf Jahren haben, eine Konditionierung schließlich auf Enteignung hinauslaufen. geknüpft. Eine Konditionierung kann auch bedeuten, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dass vielleicht, wenn wir im Rahmen von Restrukturie- neten der SPD) rungsmaßnahmen Risikopapiere übernehmen, bei der Refinanzierung noch längere Laufzeiten als, wie bisher, Es war, werter Kollege Dr. Krüger, der Beitrag der fünf Jahre erforderlich sein werden. Union, gerade diese Richtigstellung, diese Konkretisie- rung im Gesetzentwurf zu erreichen, damit Sie mit die- Würden wir die Laufzeit der Garantien grundsätzlich sen Thesen, die Sie hier genannt haben, nicht auf frucht- erweitern, würden wir den Anleihemarkt insgesamt und baren Boden stoßen, sondern sich der Realität – so ist es insbesondere den Pfandbriefmarkt gefährden. Wir wür- auch im Gesetz dargestellt – stellen müssen. Das ist eine den den Markt weder stabilisieren noch, was seine Dy- der Maßnahmen, die wir als Unionsfraktion in der Bera- namik angeht, vitalisieren. Diese Maßnahme hätte viel- tung zum Kabinettsentwurf einbringen konnten. mehr zur Folge, dass man am Markt zukünftig nur noch für solche Anleihen, die staatlich garantiert sind, ver- Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie sich dieser nünftige Konditionen bekommt. Das kann nicht unsere Verantwortung gestellt haben. In der Tat haben Regie- langfristige Zielsetzung sein. Wir müssen alles dafür tun, rung und Parlament im Oktober letzten Jahres relativ dass der Kapitalmarkt bzw. der Anleihemarkt durch die kurzfristig die richtigen Maßnahmen ergriffen, um auf Maßnahmen, die wir ergreifen, seine ursprüngliche Dy- die Finanzmarktkrise, die mittlerweile auch Deutschland namik zurückgewinnt. erreicht hatte, zu reagieren. Dabei spielten drei Punkte eine zentrale Rolle: Garantien, Rekapitalisierung und (Beifall bei der CDU/CSU) Übernahme von Risikopapieren. Meine Damen und Herren, im Rahmen unserer Bera- Herr Kollege Brüderle, Sie haben kritisiert, man hätte tungen haben wir einen dritten Punkt im Kabinettsbe- schon im Herbst letzten Jahres mit der Rekapitalisie- schluss verbessert – dabei geht es um das Selbstver- rung beginnen müssen. Hier stelle ich in Ihrer Argu- ständnis des Parlaments –: Wir haben durchgesetzt, mentation einen Widerspruch fest. Sie sind gegen eine dass zumindest der Haushaltsausschuss und der Finanz- Verstaatlichung. Die Rekapitalisierung wäre allerdings ausschuss, bevor die Verordnung zur Durchführung von der erste Schritt zur Verstaatlichung gewesen. Enteignungsmaßnahmen erlassen wird, informiert wer- den. Es gehört zu unserem parlamentarischen Selbstver- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein! Eben ständnis, dass dies nicht allein dem Handeln der Regie- nicht!) rung überlassen bleiben darf und wir, das Parlament, erst 22960 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Leo Dautzenberg (A) aus der veröffentlichten Meinung, also aus der Presse, Das Ziel dieses Gesetzes ist die Stabilisierung und die (C) erfahren, wann die Regierung welche Maßnahmen er- Fortentwicklung des Marktes. Mit dem, was wir heute griffen hat. entscheiden, leisten wir dazu einen wesentlichen Bei- trag. Ein vierter zentraler Punkt, der uns bei der Verbesse- rung des Kabinettsbeschlusses wichtig war, betrifft die Vielen Dank. Reprivatisierung. Die Zielsetzung der Reprivatisierung (Beifall bei der CDU/CSU) ist im Gesetz formuliert. Wir haben allerdings dafür ge- sorgt, dass dieses Ziel besonders betont wird. Nun ist im Gesetzentwurf zu lesen, dass mit der Reprivatisierung Präsident Dr. Norbert Lammert: schnellstmöglich zu beginnen ist, sobald die erforderli- Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion chen Maßnahmen beendet worden sind. Wir sind der Die Linke. Auffassung, dass der Staat, somit auch der Bund, nicht (Beifall bei der LINKEN) der bessere Unternehmer ist und diese Aufgabe von den im Finanzbereich tätigen Unternehmern besser erfüllt Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): werden kann. Daher haben wir uns für eine Konkretisie- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ent- rung dieser Formulierung stark gemacht. schuldigungsrede von Herrn Dautzenberg haben wir ge- Die vier Punkte des Kabinettsbeschlusses, die ich er- rade mit Interesse zur Kenntnis genommen. Sie war we- wähnt habe und die unserer Meinung nach von zentraler nig offensiv; das wird seine Gründe gehabt haben. Bedeutung sind, wurden in der Form, wie ich es gerade Trotzdem stecken wir in einer der schwersten welt- beschrieben habe, geändert. weiten Finanz- und Wirtschaftskrisen seit 80 Jahren. Das Meine Damen und Herren, das Ziel des Finanzmarkt- Institut für Wirtschaftsforschung Halle – dazu hat die stabilisierungsgesetzes und des Finanzmarktstabilisie- FDP natürlich kein Wort gesagt – hat uns erklärt, dass rungsergänzungsgesetzes ist die Stabilisierung und Wei- die Wirtschaftskraft wahrscheinlich um 4,8 Prozent sin- terentwicklung des Finanzmarktes. Ich gebe zu: Um die ken wird. Ferner wurde prognostiziert, dass wir bis Ende Frage der Weiterentwicklung geht es derzeit noch nicht. 2010 mit 4,5 Millionen Arbeitslosen rechnen müssen. Dagegen müssen wir etwas tun und nicht ein so ideologi- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) sches Geschwätz bieten, wie wir es uns gerade haben an- hören müssen. Deshalb werden auch in Zukunft im Rahmen dieses Ge- setzes weitere Maßnahmen erforderlich sein, zum Bei- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (B) spiel die Neustrukturierung der Landesbanken und, da- (D) mit verbunden, die Verlustnutzung der Landesbanken Die Bundesregierung hat zunächst sehr schnell re- über § 8c des Körperschaftsteuergesetzes. agiert und innerhalb einer Woche einen Rettungsschirm (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr!) von 480 Milliarden Euro für die maroden Banken aufge- legt. Übrigens hat die FDP zugestimmt – das dürfen Sie Wenn diese Maßnahmen nicht erfolgen, werden wir uns nicht vergessen –, mit den Ländern nicht auf eine Umstrukturierung der Landesbanken einigen können. Ich sehe es als Führungs- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das haben wir aufgabe des Finanzministers an, dieses Problem gemein- gerade gesagt!) sam mit den Ministerpräsidenten zu lösen. obwohl das Ding überhaupt nicht funktioniert. (Beifall bei der CDU/CSU) Dann sind Sie drei Wege gegangen, die ich alle für in- diskutabel halte. Sie haben – ich sage das noch einmal Wenn sich die Bankenstruktur nicht verändert, werden ganz kurz – der IKB 8,2 Milliarden Euro zur Verfügung wir mit diesem Gesetz leider nur eine Stabilisierung er- gestellt. Sie haben die IKB verkauft und nicht geregelt, reichen, aber nicht die Umstrukturierung und die Dyna- dass auch nur ein einziger Euro aus den zukünftigen Ge- mik des Marktes, die wir brauchen. winnen dieses Unternehmens zurückgezahlt werden Weiterhin wäre ein Vorschlag des Finanzministers zur muss. Ich halte das für einen schweren Fall von Untreue. Übernahme der Risikopapiere erforderlich. Wenn die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Risiken, die im Abschreibungsbedarf der Banken immer Winkelmeier [fraktionslos]) wieder neu entstehen, nicht eingedämmt werden, werden diese Risiken den Banken auch durch die Umgestaltung Sie haben der Commerzbank ihren sechsfachen Wert von Gesellschaften in Zweckgesellschaften nicht ge- an Geldern zur Verfügung gestellt. Den Steuerzahlerin- nommen. Ebenso werden auch Rekapitalisierungsmaß- nen und Steuerzahlern gehört nur ein Viertel. Das ist in- nahmen nicht erfolgreich sein, weil es immer wieder von diskutabel. Die Gewinne gehen zu drei Vierteln an die neuem zur Kapitalvernichtung kommt. Privaten, die Schulden aber übernehmen allein die Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler. Genau das geht nicht. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Diesen Weg müssen wir gehen. Wir erwarten daher in Winkelmeier [fraktionslos] – Steffen Kampeter nächster Zeit einen Vorschlag des Finanzministers dazu, [CDU/CSU]: Welche Gewinne denn? Es gibt wie dieses Problem zu lösen ist. ein Ausschüttungsverbot!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22961

Dr. Gregor Gysi (A) – Warten Sie ab. Die werden schon kommen. Dann wer- Herr Brüderle, auch wir lehnen den Gesetzentwurf ab, (C) den wir uns darüber unterhalten. Wir können in der aber aus Gründen, die in völligem Gegensatz zu denen nächsten Legislaturperiode gern einen Untersuchungs- stehen, die Sie hier benannt haben. ausschuss einleiten, um einmal all diese Fragen abzuklä- ren. (Beifall bei der FDP – Dr.h.c. Jürgen Koppelin [FDP]: Darauf legen wir auch Wert!) (Zuruf von der CDU/CSU: Für einen Juristen Was Sie unter Freiheit und Eigentum verstehen, das sollte sich hier der Blick ins Gesetzbuch loh- müssen Sie mir einmal erklären. Wenn ein Bäcker pleite nen!) ist, verliert er seine ganze Bäckerei. Darum kümmern Dann müssen Sie aber dafür stimmen. Mal sehen, ob das Sie sich keine Sekunde lang. Bei Herrn Flowers aber klappt. kämpfen Sie um sein Eigentum, obwohl er uns die „plei- teste Bank der Geschichte“ hinterlässt. Das ist nicht (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert mehr nachzuvollziehen. Was haben Sie denn für einen Winkelmeier [fraktionslos]) Freiheitsbegriff? Was machen Sie jetzt bei der Hypo Real Estate? Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- haben ihr schon 87 Milliarden Euro zur Verfügung ge- neten der SPD) stellt. 10 Milliarden Euro kommen noch hinzu. Nun Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Art. 14 und 15 des kommt dieses Gesetz. In einem Punkt hat die FDP recht: Grundgesetzes zu lesen. Nennen Sie es ehrlicherweise doch einfach Enteignungs- gesetz. Warum drücken Sie sich denn aus ideologischen (Dr. h. c. [SPD]: Den interessie- Gründen davor? Wenn es so etwas ist, dann sollte man es ren nur Oasen, sonst nichts!) auch so benennen. – Ich weiß. Die Oasen wollen Sie ebenfalls schützen. Die Oasen gehören zu den Einrichtungen der Erde, die (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Gert jedes Steuerrecht konterkarieren. Das ist das Problem. Winkelmeier [fraktionslos] und Dr. h. c. Jürgen Deshalb müssen wir die Oasen endlich austrocknen. Koppelin [FDP] – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt muss ich fast klatschen!) (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU) Das Problem ist aber, dass Frau Merkel, Herr Steinmeier und Herr Steinbrück ganz schnell sind, wenn Sie sagen, das Ganze sei ein sozialistischer Sünden- es darum geht, Geld für die Banken auszugeben. Da ha- fall und lasse irgendwie die DDR wiederauferstehen. (B) ben sie überhaupt keine Schwierigkeiten. Wenn es aber Wenn das Ihre Einstellung ist, meine wenigen Damen (D) um die Frage geht, wie gesichert werden kann, dass die und vielen Herren bei der FDP, dann ist die CDU nach Gelder an den Steuerzahler zurückfließen, vernachlässi- Ihrer Auffassung inzwischen sozialistisch geprägt. Jetzt gen sie alle Dinge, die man eigentlich tun muss. Deshalb müssen Sie den Wählerinnen und Wählern erklären, nenne ich auch dies Untreue. weshalb Sie mit so einer sozialistischen Union koalieren wollen. Das ist nicht mehr nachvollziehbar. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Guido Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ihr Enteignungsgesetz. Westerwelle [FDP]: Schwere Frage, Herr Das beinhaltet drei Fehler. Der erste Fehler besteht darin, Gysi!) dass es Ende Juni ausläuft. Das ist völliger Quatsch. Das – Eben. ist ein viel zu kurzer Zeitraum. So kann das überhaupt nicht funktionieren. Der zweite Fehler besteht darin, Sie haben ein Staatsverständnis, das nicht hinzuneh- dass es auf die HRE zugeschnitten ist. Was machen Sie men ist. Sie sitzen hier im höchsten Staatsorgan der Bun- denn, wenn die Commerzbank kurz vor der Pleite steht? desrepublik Deutschland, im Bundestag, und Sie können Machen wir dann ein neues Gesetz? Sie hätten das gene- den Staat gar nicht leiden. Der Staat soll zwar alle Schul- rell regeln können. den tragen, aber er soll niemals etwas einnehmen. Das ist eine derart idiotische Einstellung zum Staat, wie ich sie (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das ist kein wirklich selten erlebt habe. Einzelfallgesetz!) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Der dritte Fehler ist die Reprivatisierung. Sie haben ge- neten der SPD) regelt, dass die HRE zu reprivatisieren ist, sobald sie nachhaltig stabilisiert ist. Das ist eine ganz schwammige Um aus der Krise herauszukommen, gibt es theore- Formulierung. Wir haben beantragt, folgende Formulie- tisch vier Wege – darüber müssten wir uns einigen; viel- rung aufzunehmen: „… wenn durch die Reprivatisierung leicht sollten wir uns darüber einmal vertieft unterhal- gesichert ist, dass sämtliche Steuermittel einschließlich ten –: Zinsen wieder zurückfließen.“ Genau an dieser Stelle (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wir sind nicht aber verweigern Sie sich. Deshalb sage ich Ihnen, dass Staatsvertreter, sondern Volksvertreter!) das Ganze auf einen neuen Fall von Untreue hinausläuft. – Herr Westerwelle, hören Sie einmal zu! Jetzt können (Beifall bei der LINKEN) Sie etwas lernen. 22962 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Gregor Gysi (A) Erstens: die Entwertung des Geldes, so wie das Ende schneller Kredite an die Wirtschaft und die Bürgerinnen (C) der 20er-Jahre gemacht worden ist, also eine große Infla- und Bürger geben. Das ist der Vorteil des Staatseigen- tion etc. Wenn das Geld entwertet wird, werden natürlich tums bei Banken. Ich komme noch dazu, weshalb ich bei auch die Schulden entwertet. Das hat aber katastrophale der Industrie wiederum gänzlich dagegen bin. Folgen für die Bürgerinnen und Bürger. Ich glaube, dass Sie das alle nicht wollen, und wir wollen das auch nicht. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das machen Im Übrigen gibt es im Augenblick eher Anzeichen für Sie besser mit der Regierungskoalition, nicht eine Deflation. mit uns!) Zweitens: die Sozialisierung der Verluste; das – Richtig, Herr Westerwelle. Wir haben auch gar nicht schwebt wahrscheinlich der FDP vor. Das heißt, man vor, das mit Ihnen zu machen. Wir haben aber vor, Sie sorgt dafür, dass die Schulden auf zwei Wegen zurückge- dabei in jeder Hinsicht zu erdulden. zahlt werden: indem man Sozialleistungen abbaut und (Beifall bei der LINKEN) indem man Steuern dramatisch erhöht. Dazu reicht Ihre Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent aber Wie könnten wir das Ganze finanzieren? Wenn wir es nicht aus. Dazu müssen Sie ganz andere Wege gehen. gerecht machen wollen, dann brauchen wir in Deutsch- Union und SPD werden dazu vor der Wahl Nein sagen. land wie nach 1945 wieder einen Lastenausgleich. Wir Ich traue Ihnen aber nicht. Ich glaube, dass nach der müssten sagen: Die Vermögenden müssen 5 Prozent des Wahl genau dieser Weg beschritten werden wird. Wir Wertes Ihres Besitzes, der 1 Million Euro übersteigt, ab- lehnen diesen Weg aber vollständig ab. Das will ich an führen. Das wäre ein Lastenausgleich. dieser Stelle ganz klar erklären. ( [CDU/CSU]: Dann müsste die (Beifall bei der LINKEN) Linkspartei aber viel zahlen!) Drittens – dieser Weg wäre spannend; er wäre für die Ich sage Ihnen: Es gibt nicht wenige Vermögende – Herr FDP aber überhaupt nichts –: eine Entschuldung, und Kauder, Sie kennen sie nicht –, die das sogar ganz gerne zwar auf eine ganz andere Art und Weise, nämlich durch bezahlen würden. Die, die das nicht gerne machen wür- eine partielle Enteignung der Großgläubiger. Ich will es den, müssten das dann eben akzeptieren, ohne es gerne Ihnen erklären: Man legte fest, dass Forderungen der zu machen. Das ist uns dann auch egal. Trotzdem wäre Banken bis zu 1 Million Euro befriedigt werden. Forde- das eine Lösung. rungen, die darüber hinausgehen, würden nur noch zu ei- (Beifall bei der LINKEN) nem Teil befriedigt, beispielsweise zu 10 Prozent oder zu 20 Prozent, je nachdem, wie man es verkraften kann. Der Lastenausgleich würde zwar nur einmalig geleis- (B) Das wäre ein sehr revolutionärer Weg, den wir aber nicht tet, aber das wäre zumindest eine Geste. Es wäre ein po- (D) vorschlagen. Ich will Ihnen auch erklären, warum wir sitives politisches Symbol, wenn Sie zu dem Bäcker- ihn nicht vorschlagen. meister und der Verkäuferin bei Lidl nicht sagen würden, dass Sie das schon irgendwie von ihnen bekommen, son- (Heiterkeit bei der FDP) dern wenn Sie den Vermögenden sagen würden: Leistet – Ich muss Ihnen die Enttäuschung gleich servieren. – hier einen Lastenausgleich; ihr habt daran schließlich Wissen Sie, warum wir diesen Weg nicht vorschlagen? Millionen und Abermillionen verdient. Das ist doch das Wir schlagen diesen Weg nicht vor, weil wir die Struktur Problem. der Großgläubiger nicht kennen. Wenn es sich beispiels- Dauerhaft brauchten wir eine Vermögensteuer, eine weise um Pensionsfonds handelt, können wir die ent- Börsenumsatzsteuer, eine Steuer auf Kaufpreiserlöse sprechenden Gläubiger nicht enteignen, weil dies bedeu- und einen neuen Spitzensteuersatz. Wir wollen aber ten würde, den Leuten die Renten zu nehmen. Das nicht nur Steuererhöhungen. Wir sind keine Steuererhö- kommt gar nicht infrage. hungspartei. Wir wollen auch Steuern senken, zum Bei- (Beifall bei der LINKEN) spiel für die Geringverdienenden, für die durchschnitt- lich Verdienenden, die heute den Steuerbauch bezahlen, Wenn die Großgläubiger Banken sind, wenn sich also und auch für das Handwerk. Wir haben hier sehr ver- Banken untereinander etwas schulden, dann ist das ein schiedene Vorstellungen. Nullsummenspiel; dann bringt das gar nichts. Leider werden uns aber die Auskünfte über die Großgläubiger Präsident Dr. Norbert Lammert: verweigert. Ich würde das gern wissen; dann könnte man über diese Frage mehr nachdenken. Herr Kollege Gysi, nennen Sie bitte nur noch die Stichworte, die Sie dann in einer späteren Rede im Ein- Ergo bleibt nur der vierte Weg. Der vierte Weg be- zelnen ausformulieren können. stünde darin, dass man erst einmal die Großbanken ver- staatlicht, nachdem man die Finanzwirtschaft reguliert (Heiterkeit – Joachim Poß [SPD]: Er nennt im- hat. Man verstaatlicht die Großbanken deshalb, weil die mer dieselben Stichworte!) Bundesrepublik Deutschland im Unterschied zur HRE so schnell nicht in Insolvenz geht. Da sie nicht in Insol- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): venz geht, bekommt der Staat viel billiger und schneller Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar. Es ist im- Kredite als die privaten Banken. Wenn er billiger und mer dasselbe: Wenn man hier nicht nur redet, sondern schneller Kredite bekommt, kann er auch billiger und auch etwas sagt, dann vergeht die Zeit zu schnell. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22963

Dr. Gregor Gysi (A) (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Stattdessen haben Sie vor fünf Monaten einen Gesetz- (C) Gerd Andres [SPD]: Da hat er recht!) entwurf vorgelegt, der von der Bankenszene – von Herrn Ackermann und anderen – mitgestaltet worden war. Sie Präsident Dr. Norbert Lammert: haben es zugelassen, dass Ihnen die Banken sagten, wie Das ist wahr. sie am liebsten gerettet werden wollten. Wer von Ihnen Erfahrung mit der Rettungsschwimmerei hat, der weiß, dass es dort einen Grundsatz gibt: Wenn jemand zu ret- Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): ten ist, der in Panik um sich schlägt, dann dürfen Sie ihn Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Wir sind für et- nicht fragen, wie Sie ihn retten sollen, sondern Sie müs- was, was Sie gar nicht kennen, nämlich für Steuerge- sen zupacken, und zwar gegebenenfalls auch etwas stär- rechtigkeit. ker, wenn er sich arg wehrt. Das haben Sie nicht berück- sichtigt. Bei der Finanzmarktstabilisierung geht es um (Zuruf von der SPD: Stichworte!) genau den gleichen Prozess. – Die Stichworte lasse ich jetzt weg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich möchte aber noch etwas zur SPD sagen: Sie stel- Wir sagen: Anders als die FDP muss man die in dem len jetzt tolle Forderungen. Sie wollen eine Börsenum- Gesetzentwurf geregelte Enteignung völlig unideolo- satzsteuer, eine Begrenzung der Managergehälter, eine gisch sehen. Nur dann, wenn die HRE, um die es jetzt ei- Austrocknung der Steueroasen, einen flächendeckenden gentlich geht, zu 100 Prozent dem Staat gehört, werden gesetzlichen Mindestlohn und vieles andere. Immer die Refinanzierungskosten durch die gute Bonität des wenn das hier zur Abstimmung stand, haben Sie dage- Staates um immerhin 1 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr gen gestimmt. Außerdem erklären Sie, dass Sie mit der – so schätzen die Fachleute – gesenkt werden können. FDP koalieren wollen. Das heißt, Sie sagen schon jetzt, Durch die von Ihnen vorgeschlagene Lösung – wenn sie dass nichts davon Realität werden wird. überhaupt zur Rettung der HRE beiträgt – würden die Danke. Steuerzahler also zusätzlich mit diesen Kosten belastet. Deswegen ist es richtig, die Enteignung als Drohkulisse (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. aufzubauen – es ist kein direktes Enteignungsgesetz –, [FDP]) um die 100-prozentige Übernahme zu vernünftigen Kon- ditionen, das heißt zu Marktpreisen, zu erreichen. Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich habe den Eindruck, Herr Westerwelle und Herr Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn für die Brüderle, dass Sie auf einem ideologischen Antienteig- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nungskurs sind. (B) (D) (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Noch ein (Zuruf von der FDP: Was?) Sozialist!) Dabei geht es nicht um ein Enteignungsgesetz. Es geht Ihnen gar nicht um die HRE. Sie gehen aus einem einzi- Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen Grund so vor. Sie haben in den letzten Wochen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Monaten eine taktische Aufstellung gewählt. Sie machen dem 17. Oktober 2008, also seit der Verabschiedung des genau das, was der CDU aus ideologischen Gründen am Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, retten Sie die Ban- meisten wehtut, egal, ob es der Sache hilft. ken in Deutschland, und das mit, so möchte ich sagen, mäßigem Erfolg. Das erkennt man, wenn man genau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der hinschaut. SPD und der LINKEN) Wir haben das Finanzmarktstabilisierungsgesetz da- Herr zu Guttenberg hat uns Ihre Insolvenztheorie dar- mals abgelehnt – Herr Brüderle, es gibt übrigens keine gestellt. Dabei wissen wir doch: Wenn man bei einer patriotische Pflicht, falschen Gesetzen zuzustimmen –, systemrelevanten Bank ein Insolvenzverfahren eröffnet, und zwar aus zwei Gründen: weil eine parlamentarische dann ist der Erdrutsch nicht mehr aufzuhalten. Insofern Kontrolle nach der Systematik des Gesetzentwurfs nicht ist das alles ideologischer Quatsch, der nicht weiterhilft. vorgesehen ist und weil Sie eine effektive und intelli- gente Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung in diesem Einen Vorwurf müssen Sie sich gefallen lassen, liebe Gesetzentwurf explizit nicht regeln wollten. Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Sie schützen zwar das Interesse von Anteilseignern, die spekuliert ha- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben, aber Sie kümmern sich überhaupt nicht um das Ich sage Ihnen: Aus heutiger Sicht, fünf Monate spä- Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ter – der Commerzbank wurde ungeheuer viel Geld zur und damit der Menschen im Land. Verfügung gestellt, und die HRE braucht immer mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geld –, wäre es damals richtig gewesen, durch eine ef- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der fektive Verstaatlichung oder Teilverstaatlichung der SPD und der LINKEN – Abg. Dr. h. c. Jürgen wichtigsten Banken stärker zuzulangen. Man hätte dem Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwi- Steuerzahler manches ersparen können, wenn man das schenfrage) damals getan hätte. – Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu. Sie reden spä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ter selber zu diesem Thema. 22964 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Fritz Kuhn (A) Ich möchte von Ihnen wissen, warum Herr Flowers Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin beim Bun- (C) 3 Euro für eine Aktie bekommen soll, die am Markt ge- desminister der Finanzen: rade noch maximal 80 Cent wert ist. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Lassen Sie mich zu Beginn Art. 14 Grundgesetz zitieren: bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewähr- Gert Winkelmeier [fraktionslos]) leistet. Inhalt und Schranken werden durch die Ge- Stellt sich die FDP unter freier Marktwirtschaft vor, dass setze bestimmt. man Anteilseigner „hochfüttert“? Was haben Sie eigent- Dazu stehen wir. lich für ein ideologisches Konzept? (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zu- Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die Sie im- gleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. mer im Wort führen, helfen Sie mit dieser ideologischen Kampagne jedenfalls nicht. Im Gegenteil, Sie schaden (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ihnen, weil sie bei Ihrem Konzept die Zeche zahlen müs- LINKEN) sen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Brüderle, Sie hätten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den zweiten Absatz in Ihrer Rede nicht verschwiegen, sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der sondern Sie hätten deutlich gemacht, dass es auch um SPD und der LINKEN) die Abwertung der Werte geht. Zum Allgemeinwohl ge- Wir halten den Gesetzentwurf für eine Verbesserung hört auch die Frage, wie wir mit den Steuergeldern um- gegenüber dem Gesetzentwurf von Oktober. Es gibt aber gehen und wie wir den Finanzmarkt stabilisieren kön- viele Punkte, die wir kritisieren. Die Transparenz, die für nen. Das haben Sie vergessen, und das halte ich nicht für die Entscheidung des Parlaments notwendig ist, ist wei- legitim und richtig. terhin ausgehebelt. Wenn wir nicht unseren Abgeordne- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten, der dem Geheimgremium angehört, in die Zange der CDU/CSU) nehmen, dann müssen wir als Parlamentarier aus der Zeitung erfahren, an welches Institut Sie bereits wie viel Worum geht es heute? Es geht um nicht weniger als Geld verteilt haben oder welche Bürgschaft Sie gegeben um die weitere und gleichzeitig absolut notwendige Sta- haben. Für dieses Parlamentsverständnis, das bei Ih- bilisierung des deutschen Finanzmarktes und der HRE. rem Vorhaben zum Ausdruck kommt, werden Sie von Die Notwendigkeit, zu handeln, ist in ihrer zeitlichen (B) meiner Fraktion keine Zustimmung bekommen. Dynamik enorm. Wir hatten am Montag eine außeror- (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dentlich sachlich geprägte Expertenanhörung, was ich sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Leo sehr begrüßt habe. Diese war anders geprägt als teil- Dautzenberg [CDU/CSU]: Wollen Sie eine weise die Reden, die wir bislang gehört haben. In der Mitentscheidung?) Anhörung hat mich – ich glaube, genauso wie viele an- dere – besonders beeindruckt, dass sehr vielen Sachver- – Es ist schon wichtig, wie ein Parlament mit wichtigen ständigen der Ernst der Lage und der zeitliche Druck der Fragen umgeht. Dass wir Steuergelder ausgeben, ohne Situation sehr bewusst war. Die Anhörung hat auch deut- die Konzepte wenigstens in den Fachausschüssen disku- lich gemacht: Der Weg zur Stabilisierung, den die Bun- tieren zu können, ist ein Abgesang an jeden vernünfti- desregierung im vorliegenden Gesetzentwurf dem Parla- gen, aufgeklärten Parlamentarismus. ment vorschlägt, wurde von so gut wie keinem der Anwesenden – einen der Betroffenen ausgenommen – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN negativ dargestellt. Alle haben bestätigt, dass der Weg sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker einer Stufenlösung genau richtig ist. Kauder [CDU/CSU]: Was?) Ich komme auf den Antrag der FDP zu sprechen. In In der Summe führt das dazu, dass wir uns bei der Ab- der Anhörung wurde deutlich, dass die Änderung der In- stimmung über den Gesetzentwurf enthalten werden. Bei solvenzordnung mittelfristig angegangen werden muss. der von der FDP beantragten namentlichen Abstimmung Aber alle haben gesagt, dass jetzt nicht der richtige Zeit- werden wir aber mit Ja stimmen, weil wir die Enteig- punkt ist, in diesem Gesetzgebungsverfahren entspre- nungsdrohung für richtig halten; die HRE sollte wenigs- chende Änderungen vorzunehmen. Es wäre gut, hier den tens jetzt auf eine vernünftige Grundlage gestellt wer- Rat der Experten ernst zu nehmen. den. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Für die Rechtssicherheit und die Geschwindigkeit, die wir beim Handeln brauchen, ist es notwendig, rasch zu einer 100-prozentigen staatlichen Kontrollmehrheit bei Präsident Dr. Norbert Lammert: der HRE zu kommen; denn wir müssen den Zusammen- Für die Bundesregierung spricht nun die Parlamenta- bruch einer systemrelevanten Bank mit anschließenden rische Staatssekretärin Nicolette Kressl. massiven Dominoeffekten verhindern. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22965

Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl (A) Lassen Sie mich in vier Punkten zusammenfassen: Marktpreisbewertung liegt und die zu weiteren massiven (C) Belastungen der Steuerzahler führen würde. Erstens. Die Bundesregierung hat sich international verpflichtet, kein systemrelevantes Institut Konkurs ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hen zu lassen. Es dürfte hier im Parlament auch Konsens der CDU/CSU) sein, dass die HRE mit ihrer Bilanzsumme von circa Viertens. Ich will die Änderungen nicht unerwähnt 400 Milliarden Euro – vergleichbar derjenigen von Lehman lassen, die wir im parlamentarischen Verfahren in den Brothers – und mit ihrer zentralen Rolle im Pfandbrief- Gesetzentwurf aufgenommen haben und die an mehre- markt systemrelevant ist. Ein Zusammenbruch der HRE ren Stellen zu Klarstellungen führen. Ich will nur folgende ist daher für die Bundesregierung im Hinblick auf die Si- Punkte stichwortartig erwähnen – Herr Dautzenberg hat tuation in Deutschland, aber auch wegen unserer interna- das auch schon angesprochen –: die Begrenzung der Ga- tionalen Verantwortung nicht akzeptabel. rantieverlängerung, die verbindliche Normierung der Zweitens. Wir wollen, dass die HRE nach einer nach- Verfahrensschritte vor einer Enteignung, die Beteiligung haltigen Stabilisierung erfolgreich auf dem Markt bleibt. des Parlaments sowie die Verbindlichkeit der Reprivati- Das können wir aber nur mit der Übernahme einer 100-pro- sierung. zentigen Kontrollmehrheit erreichen. 75 Prozent plus Deshalb gilt: Wenn nicht sehr viel Geld mit unsiche- eine Aktie reichen hierzu definitiv nicht aus, rem Ausgang in die systemrelevante HRE gesteckt wer- den soll, ist die Kontrollmehrheit von 100 Prozent unab- (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) dingbar. Insofern stellt sich die Frage nach der weil – das wissen Sie; das ist im Übrigen auch in der An- Enteignung als Ultima Ratio. Die Bundesregierung kann hörung bestätigt worden – bereits eine Aktie ausreicht, keine Verantwortung für den Erhalt eines systemrelevan- um die für die HRE überlebenswichtigen Restrukturie- ten Instituts übernehmen, wenn ihr das Parlament dafür rungsmaßnahmen zu torpedieren, weil nur 100-prozenti- nicht das Handwerkszeug zur Verfügung stellt. Deshalb ges Bundeseigentum eine vertretbare Refinanzierung auf werben wir heute um Ihre Zustimmung. dem Markt erlauben würde – das wurde schon mehrfach (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten angesprochen – und weil aus Marktsicht nur 100 Prozent der CDU/CSU) Eigentum des Bundes die Anforderungen an die Eigen- kapitalausstattung der HRE um circa 3 Milliarden Euro Ich will Ihnen deutlich sagen: Es ist mit den Grund- reduzieren würde. sätzen einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, wenn letztendlich die Steuerzahler eine Drittens. Vor der Enteignung als Ultima Ratio werden Bank retten und damit die Risiken tragen, die Politik als (B) wir – so wie es im Gesetzentwurf vorgesehen ist – alle Treuhänder der Steuerzahler aber nicht den Einfluss hat, (D) denkbaren alternativen Schritte zu einer Enteignung ge- der notwendig ist, um entscheiden zu können, was mit hen. Konkret heißt das, wir werden versuchen, die Zu- dem Geld der Menschen passiert. stimmung der gegenwärtigen Aktionäre zu einer Über- nahme durch den Bund zu erreichen, insbesondere im Ich bin mir sicher: Niemand in den Regierungsfrak- Rahmen einer Hauptversammlung. Auch dies ist im Ge- tionen und auch niemand in der Bundesregierung hat setz festgelegt. Genauso klar ist aber auch, dass wir für sich je gewünscht, ein solches Gesetz auf den Weg brin- den Fall, dass der Weg der Freiwilligkeit nicht zum Er- gen zu müssen, und zwar deshalb, weil es Ausdruck der folg führt, von der befristeten Möglichkeit einer Enteig- instabilen Lage auf den Märkten in diesem Bereich ist. nung der HRE Gebrauch machen, weil die Politik dann Aber nun sind wir eben gefordert, auf diese Situation zu nur noch auf diesem Weg das öffentliche Gut Finanz- reagieren. Das tun wir mit diesem Gesetz in der nötigen marktstabilität sichern kann – damit schlage ich den Bo- Verantwortung, aber auch in der nötigen Konsequenz. gen zum im Grundgesetz verankerten Schutz des Allge- Deshalb werbe ich heute um Ihre Zustimmung für dieses meinwohls –, weil die Politik dann nur noch auf diesem Gesetz. Weg ihrer Verantwortung für das Allgemeinwohlinte- Vielen Dank. resse gerecht werden kann, indem sie eine Enteignung der Steuerzahler, die mit knapp 90 Milliarden Euro an (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Garantien bei der HRE engagiert sind, verhindert. der CDU/CSU)

Niemand in der Bundesregierung glaubt, dass der Präsident Dr. Norbert Lammert: Staat der bessere Banker ist und dass es Aufgabe des Dr. Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für Staates ist, dort länger engagiert zu bleiben als unbedingt die FDP-Fraktion. nötig. Auch dies ist im Gesetz deutlich verankert. Aber wir sind sehr wohl der Überzeugung, dass es die Auf- (Beifall bei der FDP) gabe der Bundesregierung ist, das Gemeinwohlinteresse dort zu verteidigen, wo es bedroht ist. Das wäre der Fall, Dr. Hermann Otto Solms (FDP): wenn der Bund trotz seines massiven finanziellen En- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- gagements bei der HRE keine 100-prozentige Kontroll- gen! Ich will gleich zu Beginn klarmachen: Die FDP ist mehrheit erlangen würde. Das wäre genauso der Fall, grundsätzlich gegen das Instrument der Enteignung. wenn wir eine Preisforderung des privaten Hauptaktio- närs akzeptieren würden, die weit jenseits der aktuellen (Zurufe von der SPD) 22966 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Hermann Otto Solms (A) Privateigentum ist ein Grundrecht. Wir spielen nicht klar sein, dass der Staat zwar verstaatlichen kann – ver- (C) mit Grundrechten, sondern wir verteidigen Grundrechte. staatlichen ist etwas anderes als enteignen –, (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der Punkt!) Wenn der Kollege Gysi das „ideologisches Ge- aber durch ein Instrument, welches in unserer Rechts- schwätz“ nennt, dann zeigt das, welche geistige Her- ordnung, nämlich im Privatrecht, angelegt ist: durch Ka- kunft er hat. pitalerhöhung unter Ausschluss der Bezugsrechte der Altaktionäre. So kann man vorgehen, und so muss man (Beifall bei Abgeordneten der FDP) vorgehen. In der DDR sind im Jahre 1972 11 400 Unternehmen (Beifall bei der FDP) enteignet worden, Wir haben dem Finanzminister eine Reihe von Alter- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) nativen vorgeschlagen. Dazu gehört die Kapitalerhö- und zwar praktisch ohne Entschädigung. Seitdem ist es hung. Dazu gehört das Insolvenzplanverfahren. Dazu mit der Wirtschaft in der DDR bergab gegangen. gehört das Restrukturierungsgesetz, das der Bundeswirt- schaftsminister erarbeitet hat. Dazu gehört auch der Weg (Beifall bei der FDP) über die Gefahrenabwehr nach dem Kreditwesengesetz. Anschließend hatten selbstständige Betriebe nur noch Das alles sind Wege, die gangbar sind und die nicht nur höchstens zehn Mitarbeiter. Das ist doch die Alternative. das Problem lösen, sondern auch die Restrukturierung, die Erneuerung, die Zukunft gestalten würden. ( [SPD]: Es ist genau um- gekehrt, Herr Solms!) Es wird uns vorgehalten, dafür sei jetzt nicht die Zeit, das müsse gründlich vorbereitet werden. Das glaube ich Wenn Herr Kuhn von den Grünen dazu aufruft, hier wohl. Nur: Wer ist denn daran schuld, dass wir diesen nicht ideologisch zu argumentieren, dann enttäuscht Zeitdruck haben? mich das schon sehr. Ich war immer der Auffassung, dass die Grünen die Grundrechte verteidigen, so wie (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) auch wir das tun. Das ist doch der Bundesfinanzminister. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Nun brauchen Sie nicht neidisch auf die FDP zu Auf eine Frage meines Kollegen Carl-Ludwig Thiele schauen, weil wir in der Öffentlichkeit klar positioniert musste er antworten, dass die BaFin den Bundesfinanz- sind. Bei Ihnen weiß kein Mensch mehr, wofür Sie ste- (B) minister bereits im Frühjahr 2007 darauf hingewiesen (D) hen. hat, dass bei Finanzholdings eine Überwachungslücke (Beifall bei der FDP) besteht. Es hat dann schließlich bis Ende 2008 ge- braucht, bis diese Lücke geschlossen worden ist. Wir wollen keine Enteignung. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Da hat er Wichtig ist auch: Wir brauchen das Instrument der recht!) Enteignung überhaupt nicht. Wäre das sofort gemacht worden, hätte es die Beteili- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) gung der Hypo Real Estate an der DEPFA überhaupt Wir dürfen es überhaupt nicht einsetzen, wenn es Alter- nicht gegeben. Das hätte die Bankenaufsicht vorher ver- nativen gibt. Genau das schreibt unsere Rechtsordnung hindern können. vor. (Beifall bei der FDP) (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Dann wären wir gar nicht in diese Situation gekommen, NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Al- und die 90 Milliarden, die der Staat jetzt zur Verfügung ternative?) gestellt hat, wären nicht nötig gewesen. Das zeigt das Jetzt muss ich dem Finanzminister zugutehalten, dass er dramatische Versagen des Finanzministers und der Ban- in den letzten 14 Tagen mehrere Änderungsanträge vor- kenaufsicht in den letzten zwei Jahren. bereitet hat, deren Annahme dazu führt, dass der alterna- (Beifall bei der FDP – Carl-Ludwig Thiele tive Weg einer Kapitalerhöhung durch den Staat gangbar [FDP]: Sehr richtig!) ist und dass die Minderheitsaktionäre das nicht blockie- ren können. Wenn dieser Weg gangbar ist, dann dürfen Die Sprecher der Bankenaufsicht von Bundesbank Sie gar nicht enteignen. Weil das so ist, brauchen wir und BaFin haben in der Anhörung so getan, als gäbe es Art. 3 dieses Gesetzentwurfs, in dem es um die Enteig- keine Alternative zur Enteignung. Das kommt mir etwas nung geht, gar nicht. komisch vor. Die Mitverantwortlichen für den Schla- massel raten uns nun, gegen die Verfassung zu handeln. (Beifall bei der FDP) Ich finde, das ist ein Skandal. Damit Sie sich dazu bekennen können, haben wir ei- (Beifall bei der FDP) nen Antrag auf namentliche Abstimmung in zweiter Le- sung gestellt. Wir fordern Sie auf, mit uns zusammen ge- Ich will zusammenfassen: Es gibt eine glaubwürdige, gen Art. 3 dieses Gesetzentwurfs zu stimmen. Es muss gangbare Alternative, die in diesem Gesetzentwurf ange- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22967

Dr. Hermann Otto Solms (A) legt ist. Diese Alternative muss man in dieser Situation den Aktionären, statt sie in der Notsituation zu enteig- (C) wählen, um Schlimmeres zu verhindern. Wir brauchen nen. Eine Voraussetzung für die Lösung ist aber auch die keine Enteignung, und wir sollten Art. 3 dieses Gesetz- ernsthafte Bereitschaft der Aktionäre, Verhandlungen zu entwurfs streichen. führen. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP) Dazu sind ein Stück Einsicht und ein Stück moralische Verantwortung notwendig. Wirtschaft ist keine moral- Präsident Dr. Norbert Lammert: freie Zone. Nächster Redner ist der Kollege Albert Rupprecht für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und CDU/CSU-Fraktion. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Nicht alles, was rechtlich zulässig ist, ist auch anständig. Zum Anstand gehört auch, dass Aktionäre in dieser Kri- Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): senzeit über ihre rechtliche Verpflichtung hinaus Verant- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! wortung übernehmen und eine angemessene Lösung mit- Wir ändern heute ein Gesetz, um zu verhindern, dass aus tragen. der Finanzkrise eine Finanzkatastrophe wird. Ein Zu- sammenbruch der Hypo Real Estate wäre eine Bedro- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und hung für das Zahlungssystem, für das Bankensystem in der SPD) Deutschland, aber auch darüber hinaus für die gesamte Ich möchte hier sagen: Herr Flowers, darum bitten wir Welt. Die Deutschen haben unmittelbar nach dem Zwei- insbesondere Sie ganz ausdrücklich. ten Weltkrieg erlebt, was der Zusammenbruch des Zah- lungswesens bedeutet: Tauschwirtschaft und Zigaretten- Summa summarum erreicht das vorliegende Gesetz währung statt Wohlstand und soziale Sicherheit. drei Kernziele. Es verhindert die Katastrophe auf dem Finanzmarkt und stabilisiert den Finanzmarkt, es wahrt Die internationale Staatengemeinschaft hat sich nach- die Interessen der Steuerzahler, und es besteht die realis- drücklich verpflichtet, keine systemrelevante Bank kip- tische Chance, eine Enteignung zu verhindern. Priorität pen zu lassen. Man stelle sich den Schaden vor, der ent- muss aus unserer Sicht nach wie vor ganz klar eine Ver- stünde, wenn ausgerechnet Deutschland hier versagen handlungslösung haben. würde. Die Glaubwürdigkeit des Exportweltmeisters Deutschland wäre auf Jahre hinaus weltweit dahin. Sehr Nun zu einigen Kritikpunkten der FDP. Herr Solms, (B) geehrte Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns ei- Sie haben in der ersten Lesung ebenso wie in der heuti- (D) nig: Das sind genügend Gründe dafür, dass die Hypo gen Lesung den Weg der Enteignung heftig kritisiert, in Real Estate auf keinen Fall kippen darf. der ersten Lesung aber keine eigenen Lösungen vorge- schlagen. Ich glaube, dass sich das heute vorliegende (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gesetz substanziell von den ersten Entwürfen des Fi- neten der SPD) nanzministers unterscheidet. Es wäre fair, dies anzuer- Das ändert aber nichts daran, dass um den richtigen kennen. Weg gerungen werden muss. Der Finanzminister ist seit (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Habe ich Wochen davon überzeugt, dass bei der HRE nur eine doch gesagt!) Enteignung die Lösung bringt. Deswegen wurde zu- nächst – bevor Verhandlungen mit Flowers stattgefunden Sie haben vor einigen Tagen in einem Brief an den Fi- haben – ein Enteignungsgesetz vorbereitet. Ich glaube, nanzminister Lösungen vorgeschlagen. Ihre Vorschläge das war die falsche Reihenfolge. sind meiner Meinung nach gut. Es sind nämlich allesamt Vorschläge, die bereits vor Wochen von der Unionsfrak- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tion in die Diskussion eingebracht wurden. Der erste Es ist das Verdienst der CSU und CDU, dass die Reihen- Vorschlag ist eine Kapitalerhöhung. Wir haben das im folge nun eindeutig geändert worden ist. Eine Enteig- Gesetz umgesetzt. Künftig muss zwingend eine Haupt- nung ist im Gesetz klar die Ultima Ratio. versammlung stattfinden, auf der eine Kapitalerhöhung beschlossen werden kann. (Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Das war sie immer!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das, was jetzt im Gesetz steht, ist eine verantwortungs- Ihr zweiter Vorschlag ist die Erweiterung des Insolvenz- bewusste Abwägung zwischen dem Schutz des Privatei- rechts. In einer geordneten Insolvenz soll die Bank um- gentums auf der einen Seite und dem Interesse des strukturiert werden. Herr Solms, wir stimmen dem An- Allgemeinwohls in einer historisch einzigartigen Krisen- liegen ausdrücklich zu. Es war Minister zu Guttenberg, situation auf der anderen Seite. der dazu einen konkreten Entwurf vorgelegt hat. Es war der frühere Wirtschaftsminister Glos, der bereits vor (Beifall bei der CDU/CSU) Monaten diesen Vorschlag eingebracht hat. In der Anhö- Wir beschließen ein klares Stufenkonzept, bei dem rung haben die Fachleute die Richtung des Wirtschafts- zwingend weitere Verhandlungsschritte eingebaut sind. ministers klar und eindeutig unterstützt. Leider – da bin Wir ermöglichen dadurch eine Verhandlungslösung mit ich bei Ihnen – hat der federführende Finanzminister 22968 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Albert Rupprecht (Weiden) (A) Steinbrück den Vorschlag nicht aufgegriffen und ihn nung: Das ist Unsinn. Leider Gottes hat auch in diesem (C) über Wochen hin verschleppt. Fall die SPD Änderungsvorschläge vonseiten der Union nicht mitgetragen. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] – Dr. (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist ja in- Hans-Ulrich Krüger [SPD]: Und die Ergeb- teressant!) nisse der Anhörung? – Gabriele Frechen Nichtsdestotrotz fordern wir diese Änderungen auch [SPD]: Diese Fachleute waren nur eine Min- weiterhin ein. derheit!) (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Wir werden deswegen die Änderung der Insolvenzord- CSU] – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: nung für die Hypo Real Estate bis Ende März nicht hin- Aha!) bekommen. Es sind auch nach Meinung der Experten, die in der Anhörung waren, noch viele Fragen zu klären. Der Bankenrettungsschirm hat uns in den vergange- Wir können das Problem auch nicht dadurch lösen, dass nen fünf Monaten ermöglicht, Banken in der Krise zu wir, wie Sie es vorschlagen, gesetzlich regeln, dass die stabilisieren und die Katastrophe zu verhindern. Aber HRE den Jahresabschluss erst Ende Juni vorlegen muss. die Krise ist nicht zu Ende. Die heutige Gesetzesände- Die HRE ist ein international tätiges Unternehmen, das rung ist ein zwingend notwendiger Schritt. Weitere nach internationalen Regeln verpflichtet ist, den Jahres- Schritte müssen in den nächsten Monaten folgen. abschluss Ende März vorzulegen. Das können wir auch Herzlichen Dank. durch ein Bundesgesetz nicht ändern. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie des Abg. Ortwin Runde [SPD]) Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir sind dennoch mehr denn je davon überzeugt, dass Der Kollege Dr. Gerhard Schick erhält nun das Wort das Instrument einer geordneten Insolvenz für Finanz- für die Fraktion Bündnis90/Die Grünen. institute zügig ausgearbeitet werden muss. Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen, die Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): über die aktuelle Frage zur Hypo Real Estate hinausgehen. Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! In einem Erstens. Wir haben mit dem SoFFin erste Erfahrungen im hat Herr Solms recht: Die Situation, in der wir heute Bereich der Wettbewerbsverzerrungen gemacht. Die sind, ist die Folge einer Serie von Fehlentscheidungen, Gelder an Autobanken stabilisieren den Finanzmarkt Fehleinschätzungen und Unterlassungen der Bundesre- (B) nach meiner festen Überzeugung nicht, sondern schaden gierung, und die muss man schon deutlich benennen. (D) den regionalen Raiffeisenbanken und Sparkassen. Im Er- gebnis werden die kleinen Banken, die in den vergange- Es ist das Ergebnis einer Sonderprüfung bei der Hypo nen Jahren vernünftig gearbeitet haben, am meisten ge- Real Estate liegen geblieben. Es ist der Hinweis der schädigt. Das darf nicht sein. BaFin, man brauche zusätzliche Prüfungsmöglichkeiten, liegen geblieben; er wurde viel zu spät umgesetzt. Dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat die Bundesregierung bei dem Gesetz, das im Oktober Wir wollten deswegen unnötige Wettbewerbsverzerrun- verabschiedet wurde, einen zentralen Fehler gemacht: gen durch das Gesetz klarer untersagen. Leider hat die Sie hat davon abgesehen, die Banken zu zwingen, Kapi- SPD unsere Änderungsvorschläge nicht mitgetragen. tal in Anspruch zu nehmen. In einer Serie von Bürg- schafts- und Garantiegewährungen wurde immer mehr (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Hört! Hört!) Risiko auf den Staat überwälzt, ohne dass man sich ir- gendwelche Kontrollrechte gesichert hat. Sie sind immer Zum Zweiten. Wir haben im Finanzmarktstabilisie- weiter in die falsche Richtung gelaufen. Erst ging es um rungsfondsgesetz eine Regelung, die Landeslösungen 35 Milliarden Euro, dann um 50 Milliarden Euro. Es gegenüber SoFFin-Lösungen eklatant benachteiligt und folgten weitere 10 Milliarden Euro und 12 Milliarden zudem private Lösungen beinahe unmöglich macht. Euro. Heute sind die Bürgerinnen und Bürger bei der Wenn sich der SoFFin zur Stabilisierung mit Eigenkapi- Hypo Real Estate mit 87 Milliarden Euro im Risiko. Das tal an einer Bank beteiligt, gehen die Verluste in der ist eine Serie von Fehlentscheidungen. Deswegen sind Bank nicht unter. Wenn sich aber ein Bundesland oder wir heute in einer Zwangslage. gar ein privater Investor beteiligt, gehen die Verluste un- ter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU) In dieser Zwangslage gibt es eine Scheinlösung und Wenn wir das nicht ändern, erschweren wir Lösungen zwei realistische Lösungen. Die Scheinlösung ist die, für die Landesbanken und schließen privates Kapital zur jetzt über ein anderes Insolvenzrecht und das diesbezüg- Stabilisierung der Banken systematisch aus. liche amerikanische Vorbild zu spekulieren. Der Zeit- (Beifall des Abg. Dr. punkt dafür ist aber längst versäumt. Diesen Weg hätte [CDU/CSU]) man vor Wochen einschlagen müssen. Dann bleiben im Ergebnis nur SoFFin-Lösungen, die zu- Deswegen bleiben heute nur zwei realistische Varian- letzt der Steuerzahler zu zahlen hat. Ich bin der Mei- ten. Die eine Variante ist, Herrn Flowers nachzugeben, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22969

Dr. Gerhard Schick (A) der die Zwangssituation, in die die Bundesregierung die Ich halte das für unverantwortlich. Wenn wir in den (C) Bürgerinnen und Bürger gebracht hat, zu seinem eigenen nächsten Monaten wieder darüber reden, wird man se- Vorteil ausnutzen will. Die andere Variante ist, über die hen, dass hier genauso wie bei der Hypo Real Estate zu- Enteignung eine Möglichkeit zu schaffen, aus der Sack- gelassen wurde, dass vieles viel zu lange in die falsche gasse herauszukommen. Da stellt sich bei der namentli- Richtung gelaufen ist, wodurch die Belastungen für die chen Abstimmung nachher genau die Frage: Verstehen Bürgerinnen und Bürger noch größer geworden sein wir uns als die parlamentarische Vertretung der Heu- werden. Das ist die Wirtschaftspolitik der CDU und der schrecken – so wie die FDP – oder der Bürgerinnen und CSU. Das werden wir auch in Zukunft immer wieder Bürger dieses Landes? Darauf kommt es nachher an. deutlich sagen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Danke schön. sowie der Abg. Ortwin Runde [SPD] und Dr. Hans-Ulrich Krüger [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich will noch einen weiteren Punkt ansprechen, der für uns zentral ist; da frage ich mich schon, welches Rol- Präsident Dr. Norbert Lammert: lenverständnis die Abgeordneten der Großen Koalition Das Wort erhält der Kollege Ortwin Runde für die haben. In den USA haben die Kongressabgeordneten an SPD-Fraktion. verschiedenen Stellen durchgesetzt, dass transparent ge- macht wird, wie es läuft. Da haben die Abgeordneten Ortwin Runde (SPD): den Mumm, einzufordern, dass die Bürgerinnen und Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bürger wissen müssen, wie die Konditionen sind. Auch Herr Schick, auf die USA zu schauen, lohnt in der Tat. bei der UBS in der Schweiz können sie es genau nachle- sen. Warum sollen deutsche Bürgerinnen und Bürger in (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: In jeder Be- dieser Situation nicht wissen, was auf sie übertragen ziehung!) wird, wo sie ins Risiko gehen und welche Konditionen gelten? Warum sollen deutsche Bürgerinnen und Bürger Wir haben ja in der letzten Nacht die Information erhal- das nicht wissen? Diese Fragen müssen Sie einmal be- ten, dass im amerikanischen Kongress ein Gesetz verab- antworten. schiedet wurde, demzufolge die Bonizahlungen an dieje- nigen, die über ein Familieneinkommen von mindestens (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – 250 000 Dollar verfügen und bei Banken tätig sind, die Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist doch über 5 Milliarden Dollar Staatshilfe erhalten haben, in bekannt!) Zukunft mit einem Steuersatz in Höhe von 90 Prozent (B) besteuert werden sollen. (D) Das gilt auch für die Frage, wer eigentlich im End- effekt von den Rettungspaketen begünstigt wird. Sie (Beifall bei der SPD) sprechen hier immer von Systemrelevanz. Ja, aber wis- sen wir denn, wer am Ende wirklich das Geld bekommt? Was lehrt uns das? Einmal lehrt es uns, dass in Ame- Die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses ha- rika in der Vergangenheit bei der Ausgestaltung von Ret- ben erzwungen, dass im Falle des großen Versicherers tungsaktionen Fehler gemacht worden sind. Man hat AIG genau dargelegt werden muss, wer profitiert. Damit dort zugelassen, dass den Anteilseignern von Banken, wird zugleich mit einem Mythos aufgeräumt; manche denen durch Steuergelder geholfen wird, Dividenden ge- Banken scheinen ja zu meinen, sie würden gar nicht von zahlt werden, dass dort hohe Abfindungen gezahlt wer- der staatlichen Hilfe profitieren. Natürlich profitieren sie den und dass Boni ausgeschüttet werden, zum Beispiel davon. Auch die Deutsche Bank profitiert von den Hil- bei der AIG Boni in einer Größenordnung von fen, weil sie indirekt begünstigt wird, wenn andere Un- 170 Millionen Dollar. ternehmen gerettet werden. Warum sollen deutsche Bür- (Zuruf des Abg. [SPD]) gerinnen und Bürger nicht erfahren, wer begünstigt wird? Warum haben die Abgeordneten der Großen Ko- Sie, Herr Dr. Schick, hätten ruhig sagen können, dass alition nicht denselben Mumm wie die Abgeordneten das in Deutschland vernünftiger geregelt worden ist. des amerikanischen Kongresses? Wir haben das im Fi- nanzausschuss vorgeschlagen, Sie aber haben sich für (Beifall bei der SPD) Intransparenz entschieden, die Mauscheleien ermöglicht. Wir haben nämlich festgelegt, dass die Managergehälter Das hat Deutschland nicht verdient. bei Instituten, die Hilfen in Anspruch nehmen, begrenzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) werden, dass keine Dividenden gezahlt werden usw. Schließlich möchte ich noch einen Ausblick auf die Was lehrt uns das weiterhin? Jetzt richte ich mich ins- Landesbanken geben. Dieses Thema wurde ja schon besondere an die FDP. In dieser Wüste, die die Finanz- angesprochen. Ich wünsche der CDU und der CSU viel krise angerichtet hat und unter der wir alle zu leiden ha- Vergnügen. Ihre Ministerpräsidenten blockieren seit ei- ben, gibt es immer noch Oasen, die aus Steuergeldern nigen Monaten eine konstruktive Lösung in der Mei- gespeist werden. Wer dann Kamele an diese Oasen nung, sie könnten es selber stemmen. treibt, muss wissen, dass dies von den Steuerzahlern be- zahlt werden muss. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!) (Beifall bei der SPD) 22970 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Ortwin Runde (A) Da entpuppen Sie von der FDP sich in der Tat als die aufgrund der Zielsetzung, die HSH Nordbank an die (C) Schutzpatrone dieser Kamele, Börse zu bringen und zu privatisieren. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Genau!) Besonders bemerkenswert fand ich, dass der Auf- sichtsrat sich selbst Boni für den Fall, dass Dividenden sowohl Herr Westerwelle in Bezug auf die Steueroasen gezahlt werden, eingeräumt hat. Das hat es zu meiner in Europa als auch Sie, Herr Solms, in Bezug auf eine Zeit nicht gegeben, überhaupt nicht in der Zeit, als wir in mögliche Enteignung der HRE und die Interessen von regiert haben. Herrn Flowers. Das ist Ihre Rolle. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Joachim Poß [SPD]: Herr Westerwelle ist der oberste Kameltreiber! – Abg. Dr. h. c. Jürgen Zu den Ausführungen zum Grundgesetz, die Sie, Koppelin [FDP] meldet sich zu einer Zwi- Herr Solms, hier gemacht haben: Man kann nicht Art. 14 schenfrage) Abs. 1, die Eigentumsrechte, betonen und Art. 14 Abs. 2 und Abs. 3 vergessen. – Wenn Sie wollen, von mir aus gerne. Darf er, Herr Prä- sident? (Beifall bei der SPD) Dass Eigentum verpflichtet, muss in Ihre Köpfe. Das Präsident Dr. Norbert Lammert: Grundgesetz liegt im Übrigen bei Ihnen in der Schub- Nachdem ich jetzt förmlich die Anfrage zur Kenntnis lade. Nehmen Sie es heraus und lesen Sie es! genommen habe und Sie schon im Vorgriff die Frage, die ich eigentlich stellen müsste, ob Sie die Zwischenfrage (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. zulassen wollen, positiv beschieden haben, darf der Kol- Jürgen Koppelin [FDP]: Ich habe es hier!) lege Koppelin eine Zwischenfrage stellen. Eigentum verpflichtet; das sollten Sie ernster nehmen.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): Was Sie hier vorführen, auch indem Sie Herrn Herr Kollege Runde, in der Zeit, als die Sozialdemo- Flowers baten, bei der Anhörung anwesend zu sein, ist kraten in Hamburg und in Schleswig-Holstein regierten, schon ein tolles Stück. Dass der Herr Flowers sich am hatten sie, wenn Sie so wollen, die Verantwortung für die Ende eher als Kronzeuge für die Notwendigkeit einer HSH Nordbank. Darf ich Sie einmal fragen, wie die Enteignungsdrohung erwiesen hat, war von Ihnen nicht HSH Nordbank dazu gekommen ist, Anlegern zu emp- beabsichtigt. fehlen, ihr Geld in Steueroasen anzulegen? Wo waren da (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (B) die Sozialdemokraten? BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D) Es sollte Ihnen zu denken geben, dass alle anwesenden Ortwin Runde (SPD): Verfassungsrechtler gesagt haben, dass dies ganz selbst- Herr Koppelin, schöne Frage. Ich war selbst Auf- verständlich ein Fall ist, in dem Enteignung im Interesse sichtsratsvorsitzender des Gemeinwohls möglich ist. Ich darf da auf Herrn (Rainer Brüderle [FDP]: Aha! Jetzt haben wir Hopt, den bekanntesten Juristen in diesem Bereich, ver- ihn!) weisen. Er hat gesagt, dass „der Staat eine Schutzauf- gabe bei system- und existenzbedrohenden Folgen von der Hamburgischen Landesbank. Zu der Zeit gab es Marktereignissen“ hat. Dass dies eine existenzbedro- noch keinen Herrn Flowers, im Übrigen gab es auch hende Folge von Marktereignissen ist, ist wohl unstrittig. noch die Gewährträgerhaftung. In diesen Jahren, 1993 bis 1997, hat es ein solches Verhalten nicht gegeben, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das stimmt ja gar nicht!) Präsident Dr. Norbert Lammert: Möchten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen weil es eine politische Verantwortung von mir als Auf- Solms zulassen? sichtsratsvorsitzenden gab, der ich gleichzeitig Vor- sitzender des Kreditausschusses war. Ich fand die Ortwin Runde (SPD): Hereinnahme von Herrn Flowers, eines Private-Equity- Investors, in die HSH Nordbank falsch. Ja, wenn er mag.

(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Aha!) Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Das ist etwas, was wir bei anderen Landesbanken nicht Würden Sie mir bitte bestätigen – ich gehe davon aus, haben. Jeder weiß, dass Private-Equity-Investoren das dass Sie das wissen –, dass in der Verfassung die Mög- Interesse haben, nach zwei, drei Jahren auszusteigen. Sie lichkeit der Enteignung sehr wohl vorgesehen ist, aber müssen sich einmal bei der HSH Nordbank ansehen, wie nur unter ganz eng gefassten Bedingungen? Darunter ist die Renditeerwartungen im Zusammenhang mit der He- die, dass es keine andere mögliche Alternative zum In- reinnahme von Herrn Flowers gestiegen sind strument der Enteignung gibt, um das gleiche Ziel zu er- reichen. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Aber nur die Erwartungen!) (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ultima Ratio!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22971

(A) Ortwin Runde (SPD): jetzt festgelegte Termin ist aus meiner Sicht nicht zu ver- (C) Herr Solms, als jemand, der in der Praxis viel mit Ent- antworten. eignung zu tun hatte – im Zusammenhang mit Flughä- Ein letzter Punkt. Herr Rupprecht hat mit Blick auf fen, Straßenbau usw. –, weiß ich, dass man natürlich im- diejenigen, die diese Finanzkrise verursacht haben, ge- mer erst einmal versucht, im Interesse des Gemeinwohls sagt: Wirtschaft ist keine moralfreie Zone. Ich habe den im Verhandlungswege das entsprechende Grundstück Eindruck, dass in gar nicht einmal so kleinen Bereichen oder den Vermögensgegenstand zu erwerben. Das ist die Wirtschaft durchaus eine moralfreie Zone war. Wenn ganz selbstverständlich. Herr Solms, in dem Moment, ich mir das Verhalten einer Vielzahl von Anteilseignern, wo die Betroffenen renitent werden und einen Reibach aber auch von Akteuren aus dem Bankwesen ansehe, machen wollen, kann man auf die Möglichkeit der Ent- dann scheint mir das nach wie vor eine Gefahr zu sein. eignung hinweisen. Die Frage ist letztendlich, was im In- Insofern sind pädagogische Hilfen der Politik für die teresse des Steuerzahlers zu verantworten ist. Wirtschaft erforderlich. Der amerikanische Kongress hat Die Gesetze gelten ja allgemein. Deswegen will ich pädagogische Hilfe geleistet, indem er sagte: Boni, die einmal den konkreten Fall Flowers nehmen. Sein Eigen- ihr euch in irgendeiner Form aneignet, werden mit tumsanteil an der HRE – er hat die Aktien für 22,50 Euro 90 Prozent besteuert. pro Stück erworben; gegenwärtig ist die Aktie nur noch (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 0,80 Euro wert – stellt in Wirklichkeit einen negativen Vermögenswert dar. Dieser Anteil wäre ohne die Hilfe Wir werden vor der Verantwortung stehen, sicherzu- des Staates und ohne den Schutzschirm gar nichts wert; stellen, dass die Mittel der Steuerzahler, die eingesetzt Herr Flowers hätte null. Das gilt auch für alle anderen worden sind, am Ende von der Finanzbranche zurückge- Anteilseigner an der HRE. zahlt werden. Ich darf an unseren gemeinsamen Be- schluss und Prüfungsauftrag an das Finanzministerium (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bzw. die Regierung erinnern, zu kontrollieren, wie durch der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE eine entsprechende Sonderabgabe die Mittel, die am GRÜNEN) Ende aufgewendet worden sind, zurückfließen können. Der Steuerzahler wird natürlich darauf achten, wie weit wir uns von dieser Nulllinie im Rahmen unserer Präsident Dr. Norbert Lammert: Aktivitäten entfernen. Mit der Möglichkeit der Enteignung Herr Kollege Runde. zu drohen, ist deswegen das richtige Instrument. (Beifall bei der SPD) Ortwin Runde (SPD): Dafür eine Lösung zu finden, steht uns sicherlich (B) (D) Ich möchte noch auf einen weiteren entscheidenden noch bevor. Punkt eingehen. Wir werden gerade vor dem Hinter- grund des amerikanischen Beispiels sehr genau darauf Schönen Dank. achten müssen, dass wir öffentliche Steuermittel mög- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Leo lichst effizient und nur in geringem Umfang einsetzen. Dautzenberg [CDU/CSU]) Das gilt auch für die Refinanzierungskosten. Aus diesem Grunde ist jede Übernahme von nur 75 Prozent plus eine Aktie nicht ausreichend. Welches Risiko sich ergeben Präsident Dr. Norbert Lammert: kann, ist vom früheren Leiter des SoFFin beschrieben Bevor ich nun den letzten Redner zu diesem Tages- worden. Er hat gesagt, dass sich Jahr für Jahr über einen ordnungspunkt aufrufe, möchte ich die Kolleginnen und Zeitraum von 30 und mehr Jahren Mehrkosten in Höhe Kollegen, die in der Zwischenzeit zur namentlichen Ab- von 1,5 Milliarden Euro ergeben könnten und dass eine stimmung eingetroffen sind, bitten, Platz zu nehmen. Es Rekapitalisierung 4 bis 6 Milliarden Euro kosten könnte. wird erstens noch ein paar Minuten dauern, und wir wer- Den Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU muss den zweitens vor der namentlichen Abstimmung eine ich deswegen sagen: Es wäre also lebensgefährlich und Reihe einfacher Abstimmungen durchführen. Deswegen nicht verantwortbar, dieses Risiko einzugehen. noch einmal meine Bitte, Platz zu nehmen und dem letz- ten Redner die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. (Beifall bei der SPD) Nun hat der Kollege Kampeter das Wort. Noch eine Bemerkung zur Terminsetzung. Weil der Innenminister es so wollte, endet die Möglichkeit, ein (Beifall bei der CDU/CSU) Enteignungsverfahren durchzuführen, am 30. Juni 2009. Wer gibt aber Ihnen und uns die Garantie, dass die Steffen Kampeter (CDU/CSU): Finanzmarktkrise und die Krise der Finanzinstitute sich Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nach dieser Fristsetzung richten und wir in Zeiten des Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Men- Wahlkampfes nicht auf die Handlungsfähigkeit des Staa- schen spüren in diesen Wochen die Herausforderungen, tes angewiesen sind? Ich finde die beabsichtigte Fristset- vor die uns die wirtschaftliche Entwicklung stellt. Dass zung hochgefährlich. Das Mindeste wäre gewesen, die wir heute eine Fortentwicklung des Finanzmarktret- Frist so festzusetzen, dass ein neu gewähltes Parlament tungssystems vornehmen, macht deutlich, dass diese darüber erneut entscheiden kann. Wir hätten also die Herausforderungen von der Politik entschieden ange- Verpflichtung gehabt, die Frist bis dahin auszuweiten. nommen werden. Unser Handeln führt entschlossen in Ich hoffe, dass es deswegen keine Probleme gibt. Der die Zukunft. Dieses Handeln ist ein Zeichen der Stabili- 22972 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Steffen Kampeter (A) tät. Wir, der Deutsche Bundestag, tun im Interesse unse- Ich will deutlich machen: Die Finanzkrise eignet sich (C) rer Bürgerinnen und Bürger das, was jetzt nötig ist, um nicht für vordergründige parteipolitische Spiele. unseren Staat nach vorne zu bringen und unser Wirt- schafts- und Finanzsystem zu stabilisieren. (Widerspruch bei der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Als jemand, der aus Nordrhein-Westfalen kommt, weise neten der SPD) ich auf Folgendes hin: Eine christlich-demokratisch ge- führte Landesregierung muss jetzt bei der WestLB auf- Ich will nicht verhehlen, dass es auch in unserer Ko- räumen. Die Verantwortlichkeiten dafür lagen in der Re- alition an der einen oder anderen Stelle Unbehagen und gierung von Herrn Clement und Herrn Steinbrück. Wir Unsicherheit gibt. Wir verkünden hier nicht letzte Wahr- müssen aber, anstatt parteipolitische Spielchen zu betrei- heiten. Ich wünschte mir, es wäre das letzte Mal, dass ben, die anstehende Aufgabe lösen. Deswegen novellie- wir Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung treffen ren wir heute das Finanzmarktstabilisierungsgesetz. müssten. Es ist erkennbar, dass wir auf neue Situationen mit veränderten Maßnahmen reagieren müssen. Unsi- (Beifall bei der CDU/CSU) cherheit bzw. Verunsicherung ist allerdings kein Hand- lungskonzept. Eines will ich klar und deutlich sagen: Der Begriff Bankenrettung, der hier oft gefallen ist, führt ein Stück (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und weit in die Irre. der SPD) (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ Sich hier vorne hinzustellen und zu sagen, dass man ei- CSU]) gentlich unsicher sei, ob man es so machen sollte, oder zu äußern, so könne man es nicht machen, ohne zu sa- Es geht doch nicht um die Rettung einzelner Banken, gen, was man machen wolle, ist keine verantwortungs- sondern darum, die Bürger zu retten. Es geht darum, die volle Politik. Dies schafft keine Stabilität in unserem Bürger vor den Folgen einer Finanzkrise mit zusammen- Land. brechenden Banken zu bewahren. Es geht darum, die Bürger davor zu schützen, dass sie nicht mehr an ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Sparguthaben kommen, und darum, die Handwerker da- So behauptet beispielsweise die Opposition, wir wür- vor zu schützen, dass ihre Rechnungen nicht mehr auf den Staatsgelder in die Hand nehmen und Banken stabi- normalem Wege beglichen werden. lisieren, damit diese dann Dividenden zahlten. Kollege (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Runde hat zu Recht festgehalten: Wir machen genau das neten der SPD) (B) Gegenteil. (D) Herr Gysi, Sie sagen nicht die Wahrheit, Das ist der Kern des Bankenrettungspakets. Es geht um den Schutz vor Chaos. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Das kennen wir schon!) Um ein Sujet aufzunehmen, das der Kollege Brüderle vorgetragen hat: Im Kern geht es bei der Bankenrettung wenn Sie hier behaupten, dass wir dazu beitragen, dass um die Sicherstellung der Handlungsfreiheit. Bankenret- beispielsweise die von Ihnen angeführte Commerzbank tung ist Freiheitssicherung für die Wirtschaftssubjekte, unsere Staatsgelder in Form einer Dividendenzahlung für die Kunden, die Senioren und die Sozialhilfeempfän- weiterreicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir handeln ver- ger. Der Kern dieses Bankenrettungsplans ist die Auf- antwortlich im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steu- rechterhaltung unseres Finanz- und Bankensystems. erzahler unseres Landes. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der SPD) Ich muss angesichts dessen, was die FDP vorgetragen Ohne funktionsfähige Finanz- und Bankenmärkte gibt es hat, die Frage stellen, ob die FDP die Herausforderung kein nachhaltiges Wachstum. Ein enormer Anstieg der begriffen hat, vor der wir stehen, oder ob es nicht verant- Arbeitslosigkeit wäre die Folge. Kollege Brüderle, da- wortungslos ist, wenn die FDP als Leichtmatrosenpartei durch droht doch der Weg in die Knechtschaft, nicht da- (Zurufe von der FDP: Oh!) durch, dass wir das Bankensystem funktions- und leis- tungsfähig halten. Vorschläge macht, deren mögliche Folgen – in der Kon- sequenz würden diese Vorschläge beispielsweise reihen- (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ weise zu Bankensterben führen – sie als Oppositionspar- CSU]) tei gar nicht zu tragen hätte. So kann eine verantwortungsvolle Opposition in diesem Hause nicht Als Haushälter halte ich wenig von der Politik der handeln. großen Zahlen. Wir lesen in diesen Tagen viel darüber, auch aus anderen Ländern. Der Behauptung „viel hilft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie viel“ stimme ich nicht zu. Dieser Naivität dürfen wir bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE beim Schuldenmachen, insbesondere angesichts der He- GRÜNEN und des Abg. Dr. Gregor Gysi [DIE rausforderungen, die sich daraus für die nachfolgenden LINKE]) Generationen ergeben, nicht auf den Leim gehen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22973

Steffen Kampeter (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. wenden. Das ist unser Ansatz. Er ist verhältnismäßig. Er (C) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist geboten. Er ist die notwendige Antwort dieser Regie- NEN]) rung auf die Herausforderungen der Finanzmarktkrise. In diesem Sinne werbe ich für die Zustimmung des Hau- Auch den billigen Jakob, den uns hier manche anpreisen ses zu diesem Gesetz. – man müsse nur bei einigen etwas wegnehmen, dann wären alle Probleme gelöst –, kann ich Ihnen nicht emp- Herzlichen Dank. fehlen. Verantwortung und Sicherheit, die wir jetzt brau- chen, gibt es nicht zum Nulltarif. Der Staat muss in die- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ser Krise entschieden und entschlossen handeln, und er muss unter dem Gesichtspunkt von Maß und Mitte auch Präsident Dr. Norbert Lammert: Finanzmittel in die Hand nehmen. Ich schließe die Aussprache. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir kommen zur Abstimmung. Es wäre gut, wenn es der SPD) für die einzelnen Abstimmungen, deren Bedeutung quer durch alle Fraktionen noch einmal verdeutlicht worden Verschiedentlich ist in diesem Zusammenhang auch ist, ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit im Plenum von Enteignung gesprochen worden. Die FDP erweckt gäbe. den Eindruck, das sei das vordergründige Ziel unserer Aktivitäten. Mir liegen zu den eingebrachten Entwürfen eines Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetzes und den (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Natürlich!) von den Fraktionen dazu eingebrachten Änderungsanträ- Herr Kollege Solms, welches Eigentum wollen Sie ei- gen bzw. Resolutionen eine Reihe von schriftlichen Er- gentlich retten oder enteignen? Die Eigentümer der Bank klärungen zur Abstimmung bzw. zu den Gesetzentwür- sind durch die Kursentwicklung enteignet worden. Die fen vor, die wir nach unserem üblichen Verfahren dem Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden durch die Protokoll beifügen.1) Maßnahmen, die wir hier heute beschließen, vor Enteig- nung geschützt. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- fehlung auf den Drucksachen 16/12316 und 16/12343, die (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie der Bundesregierung auf den Drucksachen Das ist doch der Kern: der Schutz vor Enteignung. Die- jenigen, die in einer Größenordnung von 400 Milliarden 16/12100 und 16/12224 zusammenzuführen und in der Euro Forderungen gegen diese Bank haben, wären doch Ausschussfassung anzunehmen. Die Fraktion der FDP (B) auch enteignet, wenn das, was Sie vorschlagen, die un- hat beantragt, über Art. 3 einerseits und über Art. 1, 2, 4 (D) geordnete Insolvenz, bis 6 sowie über Einleitung und Überschrift andererseits getrennt abzustimmen. Wir verfahren jetzt nach diesem (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein! Das wollen Vorschlag. wir doch gar nicht!) Wir kommen zunächst zu Art. 3 in der Ausschussfas- kommen würde und somit Ihre Kapitalerhöhungsstrate- sung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die gie scheitern würde. Unter dem Deckmantel des Argu- Linke vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt ments „Wir sind gegen Enteignung“ werden von der für den Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf FDP vielfältige andere Möglichkeiten zur Enteignung in Drucksache 16/12317? – Wer stimmt dagegen? – Wer weitaus größerem Maße, als ihre Rettungsaktion für enthält sich? – Damit ist dieser Änderungsantrag abge- Herrn Flowers es vermuten lässt, geradezu plausibel dar- lehnt. gelegt. Wir kommen nun zur Abstimmung über Art. 3 in der Diese Form der Ungleichbehandlung von Eigentum, Ausschussfassung. Die Fraktion der FDP wünscht dazu diese Nichtabwägung von unterschiedlichen Eigentums- eine namentliche Abstimmung. Ich will darauf aufmerk- rechten in Bezug auf ein einzelnes Institut werden wir sam machen, dass wir nach dieser namentlichen Abstim- nicht mitmachen. Wir machen das, was dem Gemein- mung weitere Abstimmungen sowie eine weitere na- wohl dient. Wir wägen ab und wählen das Mittel, das das mentliche Abstimmung durchführen müssen, sodass Sie Eigentum in unserer Gesellschaft maßvoll schützt. nach dieser Abstimmung bitte nicht den Plenarsaal ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und lassen. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer der SPD) bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen und mir ein Zeichen zu geben, wenn wir mit der Abstimmung be- Deswegen ist richtig, was Karl-Theodor zu Guttenberg ginnen können. – Ich eröffne die Abstimmung. vorgeschlagen hat. Er hat deutlich gemacht, dass wir für den Finanzmarktbereich ein umfassendes Insolvenz- Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der oder recht brauchen. Deswegen ist richtig, was Wolfgang die bei dieser ersten namentlichen Abstimmung die Schäuble gesagt hat: Wir müssen eine solche Enteignung Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Weitere Inte- befristen. Wir wollen nämlich nicht, dass dies ein Ein- ressenten sehe ich nicht. Dann schließe ich die erste na- fallstor für umfassende Enteignungsstrategien ist. Wir mentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen wollen auf eine spezielle Situation reagieren und müssen deswegen jetzt ein differenziertes Instrumentarium an- 1) Anlagen 2 bis 5 22974 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das ersten namentlichen Abstimmung keine Mehrheit gege- (C) Ergebnis der Auszählung teile ich mit, sobald es vor- ben hat. Eine Mehrheit ist allerdings Voraussetzung für liegt. die Schlussabstimmung. Daher müssen wir vor der zwei- ten namentlichen Abstimmung die Auszählung der Stim- (Unruhe) men der ersten Abstimmung abwarten. Das wird sicher- – Ich bitte Sie, freundlicherweise wieder für einen Au- lich nicht allzu lange dauern. Bis dahin bitte ich um genblick Platz zu nehmen, damit wir, bevor die nächste Geduld. namentliche Abstimmung stattfindet, einige Abstim- Ich unterbreche so lange die Sitzung. mungen durchführen können. (Unterbrechung von 10.41 bis 10.45 Uhr) Wir stimmen zunächst über Art. 1, 2, 4 bis 6 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschussfassung ab. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das Präsident Dr. Norbert Lammert: Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. sich? – Die gerade aufgerufenen Artikel sowie Einlei- Ich kann Ihnen das von den Schriftführerinnen und tung und Überschrift sind mit der Mehrheit der Koali- Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion der FDP Abstimmung über Art. 3 des Gesetzentwurfs der Frak- und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung des tionen der CDU/CSU und der SPD sowie der Bundesre- Bündnisses 90/Die Grünen angenommen. Damit ist der gierung mitteilen – mein herzlicher Dank gilt den Gesetzentwurf in zweiter Beratung insgesamt angenom- Schriftführerinnen und Schriftführern –: abgegebene men. Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 425, mit Nein ha- Zwar lagen bei den gerade durchgeführten offenen ben gestimmt 106. Enthalten haben sich 4 Kolleginnen Abstimmungen übersichtliche Mehrheiten vor. Dennoch und Kollegen. Damit ist der Art. 3 des Gesetzentwurfs können wir nicht gänzlich ausschließen, dass es bei der angenommen.

Endgültiges Ergebnis Leo Dautzenberg Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Hartmut Koschyk Abgegebene Stimmen: 535; Guttenberg (B) davon (D) Thomas Dörflinger Holger Haibach Dr. Günter Krings ja: 425 Marie-Luise Dött Dr. Martina Krogmann nein: 106 Maria Eichhorn Ursula Heinen Dr. Hermann Kues enthalten: 4 Dr. Stephan Eisel Dr. (Heidelberg) (Lübeck) Jürgen Herrmann Andreas G. Lämmel Ja Dr. Norbert Lammert Dr. Hans Georg Faust Ernst Hinsken CDU/CSU Ingrid Fischbach Dr. Max Lehmer Hartwig Fischer (Göttingen) Robert Hochbaum Axel E. Fischer (Karlsruhe- Klaus Hofbauer Land) Franz-Josef Holzenkamp Dr. Klaus W. Lippold Thomas Bareiß Dr. Joachim Hörster Dr. Michael Luther Hubert Hüppe Klaus-Peter Flosbach Thomas Mahlberg Dr. Dr. Peter Jahr (Altötting) Günter Baumann Dr. Hans-Heinrich Jordan Wolfgang Meckelburg Erich G. Fritz Ernst-Reinhard Beck Andreas Jung (Konstanz) Dr. Jochen-Konrad Fromme (Reutlingen) Dr. Otto Bernhardt Dr. Michael Fuchs Bartholomäus Kalb (Hamm) Hans-Joachim Fuchtel Hans-Werner Kammer Dr. Steffen Kampeter Philipp Mißfelder Dr. Jürgen Gehb Dr. Eva Möllring Dr. Maria Böhmer Bernhard Kaster Siegfried Kauder (Villingen- Carsten Müller Wolfgang Börnsen Josef Göppel Schwenningen) (Braunschweig) (Bönstrup) Peter Götz Volker Kauder Stefan Müller (Erlangen) Dr. Wolfgang Götzer Dr. Gerd Müller Klaus Brähmig Jürgen Klimke Hermann Gröhe Julia Klöckner Dr. Georg Nüßlein Dr. Michael Grosse-Brömer Jens Koeppen Franz Obermeier Monika Brüning Markus Grübel Kristina Köhler (Wiesbaden) Cajus Caesar Norbert Königshofen Monika Grütters Dr. Rita Pawelski Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22975

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ulrich Petzold Ingrid Arndt-Brauer Stephan Hilsberg Karin Roth (Esslingen) (C) Dr. Gerd Höfer Ortwin Runde Sibylle Pfeiffer (Neuruppin) (Wismar) Marlene Rupprecht Frank Hofmann (Volkach) (Tuchenbach) Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Eva Högl Anton Schaaf Eike Hovermann Axel Schäfer (Bochum) Daniela Raab Sören Bartol Klaas Hübner Bernd Scheelen Hans Raidel Sabine Bätzing Christel Humme Dr. Dr. Lothar Ibrügger Klaus Uwe Benneter Brunhilde Irber (Potsdam) Dr. Johannes Jung (Karlsruhe) (Aachen) Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Kahrs Heinz Schmitt (Landau) Franz Romer (Heidelberg) Ulrich Kasparick (Erfurt) Johannes Röring Christian Kleiminger Kurt J. Rossmanith Dr. Bärbel Kofler Dr. Norbert Röttgen Reinhard Schultz Dr. Christian Ruck Fritz Rudolf Körper (Everswinkel) Albert Rupprecht (Weiden) Dr. Karin Kortmann (Spandau) Peter Rzepka Klaus Brandner Rolf Kramer Dr. Wolfgang Schäuble Ernst Kranz Dr. (Hildesheim) Nicolette Kressl Dr. Angelica Schwall-Düren Karl Schiewerling Marco Bülow Volker Kröning Dr. Martin Schwanholz Dr. Michael Bürsch Angelika Krüger-Leißner Christian Schmidt (Fürth) Dr. Hans-Ulrich Krüger Rita Schwarzelühr-Sutter Andreas Schmidt (Mülheim) Marion Caspers-Merk Jürgen Kucharczyk Wolfgang Spanier (Berlin) Dr. Helga Kühn-Mengel Dr. Margrit Spielmann Dr. Ole Schröder Ute Kumpf Jörg-Otto Spiller Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Dörmann Dr. Uwe Küster Dieter Steinecke Elvira Drobinski-Weiß Andreas Steppuhn Marion Seib Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Bernd Siebert Dr. Rolf Stöckel Siegmund Ehrmann Helga Lopez Christoph Strässer Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Peter Struck Joachim Stünker (B) Dr. h.c. Dirk Manzewski (D) Christian Freiherr von Stetten Petra Ernstberger Lothar Mark Dr. Rainer Tabillion Annette Faße Katja Mast Jella Teuchner Andreas Storm Elke Ferner Hilde Mattheis Dr. h. c. Max Straubinger Jörn Thießen Matthäus Strebl Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Franz Thönnes (Heilbronn) Gabriele Frechen Ulrike Merten Rüdiger Veit Lena Strothmann Peter Friedrich Dr. Matthias Miersch Simone Violka Michael Stübgen Sigmar Gabriel Ursula Mogg Jörg Vogelsänger Hans Peter Thul Marko Mühlstein Dr. Marlies Volkmer Iris Gleicke Detlef Müller (Chemnitz) Hedi Wegener Dr. Hans-Peter Uhl Günter Gloser Michael Müller (Düsseldorf) Andreas Weigel Renate Gradistanac Gesine Multhaupt Petra Weis Volkm ar U we Voge l Angelika Graf (Rosenheim) Franz Müntefering Gunter Weißgerber Andrea Astrid Voßhoff Dieter Grasedieck Dr. Rolf Mützenich Gert Weisskirchen Thomas Oppermann (Wiesloch) Kerstin Griese Holger Ortel Dr. Gabriele Groneberg Heinz Paula Lydia Westrich Peter Weiß (Emmendingen) Achim Großmann Johannes Pflug Dr. Gerald Weiß (Groß-Gerau) Wolfgang Grotthaus Joachim Poß Andrea Wicklein Wolfgang Gunkel Christoph Pries Heidemarie Wieczorek-Zeul Karl-Georg Wellmann Hans-Joachim Hacker Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Dieter Wiefelspütz Anette Widmann-Mauz Engelbert Wistuba Klaus-Peter Willsch Klaus Hagemann Dr. Dr. Elisabeth Winkelmeier- Alfred Hartenbach Mechthild Rawert Heidi Wright Becker Michael Hartmann (Cottbus) Werner Wittlich (Wackernheim) Gerold Reichenbach Manfred Zöllmer Dagmar Wöhrl Nina Hauer Dr. Carola Reimann Wolfgang Zöller Christel Riemann- Willi Zylajew BÜNDNIS 90/DIE Rolf Hempelmann Hanewinckel GRÜNEN Dr. Barbara Hendricks SPD Sönke Rix Dr. Lale Akgün Petra Heß René Röspel Birgitt Bender Gregor Amann Gabriele Hiller-Ohm Dr. Alexander Bonde 22976 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Ekin Deligöz Nein Patrick Meinhardt Dr. Barbara Höll (C) Dr. Thea Dückert Jan Mücke Dr. Uschi Eid FDP Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Hans Josef Fell Detlef Parr Dr. Karl Addicks Monika Knoche Britta Haßelmann Christian Ahrendt Gisela Piltz (Münster) Frank Schäffler Ulla Lötzer Peter Hettlich Dr. Dr. Gesine Lötzsch Priska Hinz (Herborn) Rainer Brüderle Ulrich Maurer Ulrike Höfken Angelika Brunkhorst Dr. Hermann Otto Solms Dorothée Menzner Dr. Dr. Kornelia Möller Bärbel Höhn Patrick Döring Carl-Ludwig Thiele Kersten Naumann Ute Koczy Mechthild Dyckmans Florian Toncar Wolfgang Nešković Sylvia Kotting-Uhl Jörg van Essen Dr. Daniel Volk Dr. Fritz Kuhn Ulrike Flach Christoph Waitz Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Guido Westerwelle Markus Kurth Paul K. Friedhoff Dr. Claudia Winterstein Elke Reinke (Bayreuth) Dr. Paul Schäfer (Köln) Anna Lührmann Dr. Edmund Peter Geisen Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Volker Schneider Nicole Maisch Hans-Michael Goldmann (Saarbrücken) Jerzy Montag Miriam Gruß Dr. Herbert Schui DIE LINKE Kerstin Müller (Köln) Joachim Günther (Plauen) Dr. Ilja Seifert Dr. Christel Happach-Kasan Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Heinz-Peter Haustein Dr. Frank Spieth Brigitte Pothmer Dr. Kirsten Tackmann (Augsburg) Birgit Homburger Dr. Dr. Axel Troost Dr. Michael Kauch Eva Bulling-Schröter Jörn Wunderlich Elisabeth Scharfenberg Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Christine Scheel Hellmut Königshaus fraktionslose Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk Gudrun Kopp Sevim Dağdelen Henry Nitzsche Dr. Gerhard Schick Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Gert Winkelmeier Heinz Lanfermann Werner Dreibus Rainder Steenblock Harald Leibrecht Dr. Dagmar Enkelmann (D) (B) Ina Lenke Klaus Ernst Enthalten Dr. Wolfgang Strengmann- Sabine Leutheusser- Wolfgang Gehrcke Kuhn Schnarrenberger Diana Golze CDU/CSU Hans-Christian Ströbele Michael Link (Heilbronn) Dr. Gregor Gysi Michael Brand Dr. Harald Terpe Markus Löning Heike Hänsel Uda Carmen Freia Heller Wolfgang Wieland Dr. Erwin Lotter Lutz Heilmann Susanne Jaffke-Witt Josef Philip Winkler Horst Meierhofer Inge Höger Manfred Kolbe

Das beim Präsidium angemeldete Interesse an Offen- beginnen. Das Ergebnis dieser Abstimmung wird Ihnen legung des Abstimmungsverhaltens einzelner Abgeord- später mitgeteilt.1) neter kann durch Einsicht in das Protokoll mühelos be- dient werden. Deswegen führen wir namentliche Wir setzen nun die Abstimmungen zu diesem Tages- Abstimmungen durch. ordnungspunkt fort. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Nun kommen wir zur Drucksache 16/12318. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? – Es wäre gut, wenn zumindest die Mit- dritten Beratung glieder der FDP-Fraktion dem Entschließungsantrag zu- und Schlussabstimmung. Wir stimmen auf Verlangen der stimmen würden. Fraktion Die Linke über den Gesetzentwurf im Ganzen (Dr. Peter Struck [SPD]: Da ist nicht zwin- namentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und gend, Herr Präsident!) Schriftführer, die vorgesehenen Plätze wieder einzuneh- men. – Ich eröffne die Abstimmung. Selbst einzelne Parlamentarische Geschäftsführer könn- ten sich dieser Initiative unter Umständen anschließen. – Ist ein Kollege oder eine Kollegin anwesend, der oder Ich stelle fest, dass die gesamte FDP-Fraktion, soweit die ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das anwesend, diesem Entschließungsantrag zustimmt. Wer scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die zweite namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu 1) siehe Seite 22980 D Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22977

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) stimmt gegen diesen Entschließungsantrag? – Wer ent- Überweisungsvorschlag: (C) hält sich der Stimme? – Damit ist dieser Entschließungs- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 31 b und Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 31 d sowie zu den Zusatzpunkten 7 und 8. Hier geht es Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung um die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen Haushaltsausschuss 16/10827, 16/12294, 16/12285 und 16/12292 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse. Sind Sie ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Überweisungen so beschlossen. und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Meierhofer, Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, weiterer sowie den Zusatzpunkt 9 auf: Abgeordneter und der Fraktion der FDP 32 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten, CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Rechtssicherheit schaffen – Notwendige Be- Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Na- dingungen für die Sinnhaftigkeit eines Pro- turschutzes und der Landschaftspflege jekts „Umweltgesetzbuch“ – Drucksache 16/12274 – – Drucksachen 16/9113, 16/10393 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Berichterstattung: Sportausschuss Abgeordnete Andreas Jung (Konstanz) Rechtsausschuss Dr. Matthias Miersch Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Horst Meierhofer Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Lutz Heilmann Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Sylvia Kotting-Uhl Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache wiederum 75 Minuten vorgesehen. – b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Das ist offenkundig unstreitig. Dann können wir so ver- CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines fahren. Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem (B) – Drucksache 16/12275 – Bundesminister Sigmar Gabriel. (D) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Rechtsausschuss Sigmar Gabriel, Bundesminister für Umwelt, Natur- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie schutz und Reaktorsicherheit: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was das Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Thema Umweltgesetzbuch angeht, kann man der Bun- Haushaltsausschuss deskanzlerin nur sehr wahrsagerische Fähigkeiten zuord- nen. Ich lese Ihnen einmal zu Beginn etwas vor. Angela c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ Merkel hat am 11. Juli 2007 in Ludwigsburg Folgendes CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines gesagt: Gesetzes zur Regelung des Schutzes vor nicht- ionisierender Strahlung Wir sind sehr dankbar, dass die Föderalismus- – Drucksache 16/12276 – reform I – vermeintlich zumindest; ich will nicht ausschließen, dass es trotzdem noch Schwierigkei- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) ten gibt – die Voraussetzung für ein Umweltgesetz- Innenausschuss buch geschaffen hat. Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie In der Tat, meine Damen und Herren, so ist es dann auch Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und gekommen. Ich denke, die Kanzlerin wusste, worüber Verbraucherschutz sie redet. Sie wird ihre eigene Partei vermutlich gut ken- Verteidigungsausschuss nen. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Wir werden heute wohl mehr über das reden, was wir Haushaltsausschuss nicht geschafft haben, als über das, was wir in den Deut- d) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ schen Bundestag einbringen. Dass es nach 20 Jahren CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines auch diese Koalition nicht geschafft hat, ein Umweltge- Gesetzes zur Bereinigung des Bundesrechts im setzbuch mit einer Verfahrensvereinfachung auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Weg zu bringen, ist meines Erachtens kein Ruhmesblatt Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit für die Politik der vergangenen 20 Jahre, auch nicht für (Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt – RGU) diese Große Koalition. – Drucksache 16/12277 – (Beifall bei der FDP) 22978 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) – Ich versuche zwar, zu verhindern, dass Sie nach der che Stabsabteilungen leisten; für die kleinen Unterneh- (C) nächsten Bundestagswahl an der Erstellung des Umwelt- men und die Mittelständler gilt das nicht. gesetzbuches beteiligt sind. Dass Sie dem aber zustim- men, dagegen habe ich natürlich nichts. Ich habe den Eindruck, dass es manchen ganz recht ist, in Zukunft wieder darüber meckern zu können, dass Das wäre auch deshalb sinnvoll gewesen, weil wir das Umweltrecht so bürokratisch ist. uns mitten in einer nicht unerheblichen Finanz- und (Marco Bülow [SPD]: Ja!) Wirtschaftskrise befinden und alles tun müssen, um ne- ben dem Aspekt des Umweltschutzes auch unseren Un- Ich war erstaunt: Jahrelang habe ich in den Zeitungen ternehmen die Chance zu eröffnen, sich der Überbüro- gelesen – auch vom BDI –, dass das deutsche Umwelt- kratisierung zu entledigen. Genau darum ging es im recht wirtschaftsfeindlich sei und dass man es endlich Umweltgesetzbuch. vereinheitlichen müsse. Jetzt wollen wir das, und plötz- lich will der BDI nichts mehr davon wissen. Das zeigt Wir wollten eine integrierte Vorhabengenehmigung doch, dass jedenfalls auf die Funktionäre des BDI kein – so steht es auch im Koalitionsvertrag – mit dem Ziel, Verlass ist und dass nach einer Schamfrist offensichtlich die Unternehmen davon zu entlasten, dass sie, wenn sie doch lieber wieder über das deutsche Umweltrecht ge- beispielsweise eine Industrieanlage genehmigen lassen meckert wird. wollen, die Bezüge zum Wasserrecht oder zum Natur- schutzrecht hat, mehrere unterschiedliche Genehmi- Egal wie die Bundestagswahl ausgehen wird: Ich bin gungsverfahren beginnen müssen: ein immissionsschutz- mir sicher, dass dies eines der ersten Gesetze sein wird, rechtliches und ein wasserrechtliches. das der nächste Deutsche Bundestag beschließen wird. Alles spricht für die integrierte Vorhabengenehmigung. Wir wollten endlich Sorge dafür tragen, dass daraus ein Genehmigungsverfahren wird: ein Antrag, ein Ver- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Harald fahrensgang, eine Genehmigung. Das würde eine deutli- Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) che Entlastung insbesondere für kleine und mittelständi- Von daher bin ich dann doch halbwegs optimistisch; das sche Unternehmen bedeuten. Umweltrecht wird es auch in einem Dreivierteljahr noch Der Normenkontrollrat hat dies bestätigt, indem er geben und die Genehmigungsverfahren werden weiter- zweimal – Ende vergangenen Jahres und dann noch ein- gehen. mal im Januar 2009 – über seinen Vorsitzenden erklärt Da das Umweltgesetzbuch aufgrund des Widerstands hat, dass das Umweltgesetzbuch so, wie es vorgelegt in der CDU/CSU-Fraktion nicht in der Weise zustande wurde, nämlich mit der integrierten Vorhabengenehmi- kommt, dass wir endlich ein einheitliches Verfahrens- (B) gung, ein Beitrag zur Entlastung von Unternehmen ist. recht schaffen, müssen wir jetzt die Konsequenzen zie- (D) Ich zitiere: hen, um eine völlige Zersplitterung des Umweltrechts in Vielmehr sind durch Systematisierung und Verein- Deutschland – im Naturschutzrecht und im Wasserrecht – heitlichung von Verfahrensvorschriften eine deutli- zu verhindern. Neben den Gesetzentwürfen zur Neure- che bürokratische Entlastung und damit auch ein gelung des Wasserrechts und des Naturschutzrechts le- Impuls für Wachstum und Beschäftigung zu erwar- gen wir Ihnen deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur ten. Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung und ein Rechtsbereinigungsgesetz vor. Das war übrigens die Antwort des Normenkontrollrates auf die Vorwürfe des bayerischen Umweltministers, das Worum geht es? Durch die Föderalismusreform I er- Umweltgesetzbuch mit der integrierten Vorhabengeneh- hielt der Bund statt der Rahmengesetzgebungskompetenz migung sei ein bürokratisches Monster. Das Gegenteil die volle Gesetzgebungskompetenz für das Naturschutz- ist der Fall. recht und das Wasserrecht. Ich zitiere den Fraktionsvor- sitzenden der CDU/CSU-Fraktion vom 10. März 2006: Dass wir trotz der Wirtschaftskrise darauf verzichten, den kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich Durch die Föderalismusreform wird nämlich ein ein einfaches Verfahrensrecht im Bereich Umweltschutz Umweltgesetzbuch des Bundes möglich. Das wer- an die Hand zu geben, kann ich weder aus umweltpoliti- den wir schaffen. scher noch aus wirtschaftspolitischer Sicht verstehen. Es gab damals schon Lachen aufseiten der Opposition. Offensichtlich hatten auch Sie wahrsagerische Fähigkei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten. der FDP und des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Manchmal haben wir recht!) Dass der Bundesverband der Deutschen Industrie, der die großen Unternehmen vertritt, die sich einen ganzen Wir müssen jetzt aber ein Bundesnaturschutzgesetz Stab von Juristen leisten können, der Überzeugung ist, und ein Bundeswassergesetz verabschieden; andernfalls ein neues Verfahrensrecht mit integrierter Vorhabenge- gäbe es kein einheitliches Bundesrecht; wir hätten einen nehmigung sei unnötig, kann ich verstehen. Dort herrscht völligen Flickenteppich von jeweils 16 Ländergesetzen ein wenig Denkfaulheit. Das, was die Juristen bislang im Naturschutzrecht und im Wasserrecht. Von daher ist gemacht haben, haben sie gut beherrscht, und sie werden es zwingend erforderlich, dass wir jetzt die entsprechen- gut bezahlt. Die großen Unternehmen können sich sol- den Bundesgesetze verabschieden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22979

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Das Gute daran ist, dass der materielle Regelungsge- Ich glaube, dass wir gut damit fahren, die Umsetzung (C) halt der Gesetze unumstritten ist, sowohl bei der bayeri- jetzt vorzunehmen. Die zweitbeste Lösung wäre, wie ge- schen Landesregierung als auch bei der Koalition und sagt, ein Abweichungsrecht im Wasserrecht gewesen. vor allen Dingen bei den Umweltverbänden. Wir haben Die Bayerische Staatsregierung hat ein komplettes Ab- natürlich Stellungnahmen dazu eingeholt. Die Umwelt- weichungsrecht gefordert. Damit hätten wir in der Tat verbände haben uns mitgeteilt, dass sie mit den materiell- eine Monsterbürokratie geschaffen. rechtlichen Regelungen einverstanden sind. Deswegen setzen wir jetzt um, was im UGB die Gesetzbücher II bis Wir hatten vereinbart, beide Vorschläge zu prüfen. V gewesen wären. Das Einzige, was fehlt, ist der Inhalt Die Prüfung hat ergeben, dass wir nur einen Vorschlag dessen, was das UGB I ausgemacht hätte, in dem die in- umsetzen können. Das hat nicht gereicht. Deshalb tegrierte Vorhabengenehmigung verankert werden sollte. kommt es jetzt zur Umsetzung des Wasserrechts, des Na- Materiell-rechtlich verabschieden wir das, was wir vor- turschutzrechtes und zu den Änderungen im Strahlen- her in der Koalition und auch mit den Umweltverbänden schutzrecht. verabredet haben. Lassen Sie mich zu den einzelnen Punkten nur we- Sicherlich wird es – auch im Umweltbereich – viele nige Ausführungen machen. Das bestehende Wasser- geben, die sich bessere Regelungen hätten vorstellen haushaltsgesetz und das Naturschutzgesetz bedürfen, können. Wir hatten allerdings vereinbart, dass das Um- wie gesagt, der Novellierung. Ich glaube, dass es ein weltgesetzbuch weder Standarderhöhungen noch -absen- Interesse an einer Neufassung des Wasserhaushaltsge- kungen zur Folge haben sollte. Deswegen sind die um- setzes gibt. Das Wasserrecht insgesamt gestaltet sich da- weltrechtlichen Regelungen des Gesetzes kein Versuch, mit übersichtlicher und wird in der Praxis besser hand- die materiell-rechtlichen Regelungen zu verändern; es habbar. Das derzeitige Schutzniveau wird in vollem geht vielmehr darum, eine Eins-zu-eins-Umsetzung zu Umfang beibehalten. erreichen, soweit das möglich ist. Das geht nicht in allen Fällen, insbesondere wenn neuere Entwicklungen – zum In der Abwasserbeseitigung und im Hochwasser- Beispiel durch Europarecht – eingetreten sind. Im Kern schutz werden die jetzigen Rahmenvorschriften zur geht es aber um eine Eins-zu-eins-Umsetzung, die wir Vollregelung ausgebaut. Dies dient der Umsetzung der von Anfang an wollten und vereinbart hatten. Das gehen EG-Hochwasserrichtlinie. Die Zulässigkeit einer Über- wir jetzt auch materiell-rechtlich an. Ich glaube, das ist tragung der Abwasserbeseitigungspflicht auf private jedenfalls eine gelungene drittbeste Lösung. Dritte bleibt wie bisher dem Landesrecht überlassen. Die zweitbeste Lösung wäre gewesen – auch um Le- Mit der Novelle des Naturschutzrechts wird das genden vorzubeugen –, dass wir den Ländern ein Abwei- Naturschutzrecht in Deutschland auf einem anspruchs- (B) chungsrecht bei den rein gewässerrechtlichen Geneh- vollen Niveau harmonisiert. Die Novelle trägt durch die (D) migungsverfahren übertragen hätten. Dazu waren wir mit ihr verbundene Rechtsvereinfachung zugleich zu ei- bereit. Es wäre zwar kompliziert, aber noch hinnehmbar nem wirksameren Vollzug im Naturschutzrecht bei. gewesen. Das hat der Bayerischen Staatsregierung aber nicht gereicht. Sie wollte ein komplettes Abweichungs- Eine wichtige Debatte betraf die Frage der Eingriffs- recht. regelung. Was ist bei Eingriffen in die Natur an Aus- (Zuruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP]) gleichs- und Ersatzmaßnahmen vorzunehmen? Wir alle wissen, dass es in der Vergangenheit zu Ersatzmaßnah- – Nein, nein, die FDP ist in Bayern auch dabei. men gekommen ist, die – lassen Sie es mich so ausdrü- (Horst Meierhofer [FDP]: Das war Herr cken – begrenzt sinnvoll gewesen sind. Es war strittig, Söder!) ob das an den gesetzlichen Regelungen oder an einer mangelhaften Verwaltungspraxis lag. Ich glaube, dass – Nein. Ich wäre nicht darauf zu sprechen gekommen. wir gut daran getan haben, diesen Streit nicht weiterzu- Wenn Sie aber schon dazwischenrufen, dann muss ich es führen, sondern im Gesetz klarzustellen, dass beispiels- doch laut sagen. Ich hatte es mir bei Herrn Kauch, den weise die Nutzung von innerstädtischen Brachen – die ich sehr schätze, verkniffen. Es war nicht allein der Wi- Revitalisierung von Brachen – sinnvoller ist, als bei- derstand der bayerischen CSU; spielsweise gute Ackerböden für Ersatzflächen zu miss- (Horst Meierhofer [FDP]: Natürlich!) brauchen. Insofern bin ich auch den Naturschutzverbän- den dankbar, dass sie in diesem Punkt unseren ich verstehe das vielmehr so, dass es in Bayern eine Re- Gesetzesvorschlag mitgetragen haben. Ich fand diese gierung gibt, in der die Minister der FDP etwas zu sagen Klarstellung notwendig. haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Die Zeit drängt. Ab Januar 2010 verlieren das Was- Entweder haben sie etwas zu sagen – dann haben sie serhaushaltsgesetz und das Bundesnaturschutzgesetz ih- den bayerischen Ministerpräsidenten bei der Verhin- ren Rechtscharakter als verbindliches Rahmenrecht. derung der IVG unterstützt –, oder sie haben nichts zu Deshalb muss das neue Recht noch in dieser Legislatur- sagen. Dann sollten Sie das den bayerischen Wählerin- periode schnellstens verabschiedet werden. Sie wissen, nen und Wählern gelegentlich mitteilen. Das wird sie in- dass es Abweichungsrechte gibt. Allerdings sind im teressieren. Wasserrecht alle anlagen- und stoffbezogenen Regelun- (Beifall bei der SPD) gen des Bundes abweichungsfest. Damit ist das wichtige 22980 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) Umweltschutzziel der Einheitlichkeit in einem zentralen dem bin ich sehr sicher, dass wir in der nächsten (C) Bereich gewährleistet. Legislaturperiode eine Mehrheit für die Integrierte Vor- habengenehmigung finden werden. Ich glaube, dass wir Beim Naturschutzrecht wollen wir klar und eindeutig gut daran tun, diese Arbeitsergebnisse uns sozusagen auf ausweisen, welche Bestimmungen den Charakter allge- Wiedervorlage zu legen. Denn alle Experten sagen: Wir meiner Grundsätze haben, damit auch dort keine Abwei- waren in Deutschland in den letzten 20 Jahren noch nie chungen möglich sind. Dann bestehen auch in diesem so weit bei der Verabschiedung eines Umweltgesetzbu- Bereich klare Verhältnisse. ches, wie wir es diesmal gewesen sind. Nun dauert es ein Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine paar Monate bis zur Wiedervorlage. letzte Bemerkung zu nichtionisierender Strahlung. In Angesichts der großen Arbeitsleistung vieler Beteilig- diesem Zusammenhang wurde über die Frage diskutiert, ter schulden wir auch denjenigen Dank, die außerhalb ob man auch an dieser Stelle eingreifen muss, indem wir der Ministerien und der Parlamente daran mitgewirkt ha- den Solarienbesuch der unter 18-Jährigen verbieten. ben. Das sind die Vertreter der kommunalen Spitzenver- Man muss wissen: Es gibt Selbstverpflichtungserklärun- bände, die engagierten Vertreter der Wirtschaft, die das gen der entsprechenden Wirtschaft, die nicht eingehalten UGB wirklich wollten, Wissenschaftler, Juristen und der werden. Gleichzeitig steigt die Zahl der Hautkrebser- Deutsche Anwaltverein sowie insbesondere die Vertreter krankungen massiv. Ich glaube, dass wir dem Schutz der der übergroßen Mehrheit der Länder. Ich will mich stell- Gesundheit der Kinder und Jugendlichen verpflichtet vertretend für viele bei Margit Conrad, der Umwelt- sind, auch wenn hier gesagt wird: Jetzt greift ihr wieder ministerin von Rheinland-Pfalz, und Tanja Gönner, der bürokratisch-regulierend ein. Ich kann mich nicht auf Umweltministerin von Baden-Württemberg, ausdrück- der einen Seite über steigende Kosten im Gesundheits- lich bedanken. Beide haben engagiert für das Umwelt- wesen beschweren und auf der anderen Seite jede gesetzbuch gestritten. Beide sind sehr offensiv dafür ein- Dummheit in Deutschland dulden. getreten. Das ist in Zeiten parteipolitischer Polarisierung (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vor Wahlkämpfen nicht selbstverständlich. Umso höher DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der soll man das fachliche Engagement der Kolleginnen und CDU/CSU) Kollegen schätzen. Ich glaube, dass sich die Arbeit trotz- dem gelohnt hat. Es wird zur Wiedervorlage kommen. Wer Zweifel hat, dem empfehle ich, nachzulesen, was Ich danke ausdrücklich all denen, die über einen so lan- die Strahlenschutzkommission, die Deutsche Krebshilfe gen Zeitraum engagiert mitgeholfen haben. oder der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte dazu sagen. Sie fordern nachdrücklich ein Verbot des Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (B) Besuchs von Solarien von unter 18-Jährigen. Wir haben (D) natürlich darüber diskutiert, ob man die Altersgrenze auf (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 16 herabsetzen sollte. Aber leider nutzen diejenigen im Alter zwischen 15 und 18 die Solarien überproportional. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: In dieser Gruppe steigt das Hautkrebsrisiko extrem an. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, Deswegen haben wir uns dafür entschieden, den vorge- komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 31 a und schlagenen Weg zu gehen. Ich hoffe, dass der Gesetzent- gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schrift- wurf eine Mehrheit im Parlament findet. führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schluss- (Beifall bei der SPD) abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur wei- teren Stabilisierung des Finanzmarktes bekannt: Abschließend: Natürlich handelt es sich um ein Stück abgegebene Stimmen 532. Mit Ja haben gestimmt 379, Absurdistan, dass wir das Umweltgesetzbuch nicht ins- mit Nein 107, enthalten haben sich 46 Kolleginnen und gesamt verabschieden, sondern einzelne Gesetze. Trotz- Kollegen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Norbert Barthle Helmut Brandt Enak Ferlemann Abgegebene Stimmen: 532; Dr. Wolf Bauer Dr. Ralf Brauksiepe Ingrid Fischbach davon Günter Baumann Monika Brüning Hartwig Fischer (Göttingen) ja: 379 Ernst-Reinhard Beck Cajus Caesar Axel E. Fischer (Karlsruhe- (Reutlingen) Gitta Connemann Land) nein: 107 Otto Bernhardt Leo Dautzenberg Dr. Maria Flachsbarth enthalten: 46 Clemens Binninger Hubert Deittert Klaus-Peter Flosbach Peter Bleser Alexander Dobrindt Herbert Frankenhauser Ja Antje Blumenthal Thomas Dörflinger Erich G. Fritz Dr. Maria Böhmer Marie-Luise Dött Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU Jochen Borchert Maria Eichhorn Dr. Michael Fuchs Ulrich Adam Wolfgang Börnsen Dr. Stephan Eisel Hans-Joachim Fuchtel Peter Albach (Bönstrup) Anke Eymer (Lübeck) Dr. Peter Gauweiler Peter Altmaier Wolfgang Bosbach Ilse Falk Dr. Jürgen Gehb Thomas Bareiß Klaus Brähmig Dr. Hans Georg Faust Norbert Geis Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22981

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Eberhard Gienger Maria Michalk Ingo Wellenreuther Bettina Hagedorn (C) Josef Göppel Philipp Mißfelder Karl-Georg Wellmann Klaus Hagemann Peter Götz Dr. Eva Möllring Anette Widmann-Mauz Alfred Hartenbach Dr. Wolfgang Götzer Marlene Mortler Klaus-Peter Willsch Michael Hartmann Reinhard Grindel Carsten Müller Werner Wittlich (Wackernheim) Hermann Gröhe (Braunschweig) Dagmar Wöhrl Nina Hauer Michael Grosse-Brömer Stefan Müller (Erlangen) Wolfgang Zöller Hubertus Heil Markus Grübel Dr. Gerd Müller Willi Zylajew Rolf Hempelmann Manfred Grund Michaela Noll Dr. Barbara Hendricks Monika Grütters Dr. Georg Nüßlein SPD Gustav Herzog Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Franz Obermeier Dr. Lale Akgün Petra Heß Guttenberg Eduard Oswald Gregor Amann Gabriele Hiller-Ohm Olav Gutting Henning Otte Dr. h.c. Gerd Andres Stephan Hilsberg Holger Haibach Rita Pawelski Ingrid Arndt-Brauer Gerd Höfer Gerda Hasselfeldt Ulrich Petzold Rainer Arnold Iris Hoffmann (Wismar) Ursula Heinen Dr. Joachim Pfeiffer Ernst Bahr (Neuruppin) Frank Hofmann (Volkach) Michael Hennrich Sibylle Pfeiffer Doris Barnett Dr. Eva Högl Jürgen Herrmann Beatrix Philipp Dr. Hans-Peter Bartels Eike Hovermann Bernd Heynemann Ronald Pofalla Klaus Barthel Klaas Hübner Ernst Hinsken Ruprecht Polenz Sören Bartol Christel Humme Peter Hintze Daniela Raab Sabine Bätzing Lothar Ibrügger Christian Hirte Hans Raidel Dirk Becker Brunhilde Irber Robert Hochbaum Dr. Peter Ramsauer Klaus Uwe Benneter Johannes Jung (Karlsruhe) Klaus Hofbauer Eckhardt Rehberg Dr. Axel Berg Josip Juratovic Franz-Josef Holzenkamp Katherina Reiche (Potsdam) Ute Berg Johannes Kahrs Joachim Hörster Klaus Riegert Petra Bierwirth Ulrich Kasparick Hubert Hüppe Dr. Heinz Riesenhuber Lothar Binding (Heidelberg) Christian Kleiminger Dr. Peter Jahr Franz Romer Volker Blumentritt Dr. Bärbel Kofler Dr. Hans-Heinrich Jordan Johannes Röring Kurt Bodewig Walter Kolbow Andreas Jung (Konstanz) Kurt J. Rossmanith Clemens Bollen Fritz Rudolf Körper Dr. Franz Josef Jung Dr. Norbert Röttgen Gerd Bollmann Karin Kortmann Bartholomäus Kalb Dr. Christian Ruck Dr. Gerhard Botz Rolf Kramer Hans-Werner Kammer Albert Rupprecht (Weiden) Klaus Brandner Ernst Kranz Steffen Kampeter Peter Rzepka Bernhard Brinkmann Nicolette Kressl (B) Alois Karl Dr. Wolfgang Schäuble (Hildesheim) Volker Kröning (D) Bernhard Kaster Hartmut Schauerte Marco Bülow Angelika Krüger-Leißner Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Annette Schavan Dr. Michael Bürsch Dr. Hans-Ulrich Krüger Schwenningen) Karl Schiewerling Christian Carstensen Jürgen Kucharczyk Volker Kauder Bernd Schmidbauer Marion Caspers-Merk Helga Kühn-Mengel Eckart von Klaeden Christian Schmidt (Fürth) Dr. Peter Danckert Ute Kumpf Jürgen Klimke Andreas Schmidt (Mülheim) Karl Diller Dr. Uwe Küster Julia Klöckner Ingo Schmitt (Berlin) Martin Dörmann Christine Lambrecht Jens Koeppen Dr. Ole Schröder Elvira Drobinski-Weiß Christian Lange (Backnang) Kristina Köhler (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Detlef Dzembritzki Dr. Karl Lauterbach Norbert Königshofen Uwe Schummer Sebastian Edathy Helga Lopez Dr. Rolf Koschorrek Marion Seib Siegmund Ehrmann Gabriele Lösekrug-Möller Hartmut Koschyk Bernd Siebert Hans Eichel Dirk Manzewski Michael Kretschmer Thomas Silberhorn Dr. h.c. Gernot Erler Lothar Mark Gunther Krichbaum Johannes Singhammer Petra Ernstberger Katja Mast Dr. Günter Krings Jens Spahn Annette Faße Hilde Mattheis Dr. Martina Krogmann Gero Storjohann Elke Ferner Markus Meckel Dr. Hermann Kues Andreas Storm Gabriele Fograscher Petra Merkel (Berlin) Dr. Karl Lamers (Heidelberg) Max Straubinger Rainer Fornahl Ulrike Merten Andreas G. Lämmel Matthäus Strebl Gabriele Frechen Dr. Matthias Miersch Dr. Norbert Lammert Thomas Strobl (Heilbronn) Peter Friedrich Ursula Mogg Helmut Lamp Lena Strothmann Sigmar Gabriel Marko Mühlstein Katharina Landgraf Michael Stübgen Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Dr. Max Lehmer Hans Peter Thul Iris Gleicke Michael Müller (Düsseldorf) Paul Lehrieder Antje Tillmann Günter Gloser Gesine Multhaupt Ingbert Liebing Dr. Hans-Peter Uhl Renate Gradistanac Franz Müntefering Dr. Klaus W. Lippold Arnold Vaatz Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich Dr. Michael Luther Volkmar Uwe Vogel Dieter Grasedieck Thomas Oppermann Thomas Mahlberg Andrea Astrid Voßhoff Monika Griefahn Holger Ortel Stephan Mayer (Altötting) Marco Wanderwitz Gabriele Groneberg Heinz Paula Wolfgang Meckelburg Kai Wegner Achim Großmann Johannes Pflug Dr. Michael Meister Marcus Weinberg Wolfgang Grotthaus Joachim Poß Friedrich Merz Peter Weiß (Emmendingen) Wolfgang Gunkel Christoph Pries Laurenz Meyer (Hamm) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Hans-Joachim Hacker Dr. Wilhelm Priesmeier 22982 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Florian Pronold Heidemarie Wieczorek-Zeul Cornelia Pieper Alexander Ulrich (C) Dr. Sascha Raabe Dr. Dieter Wiefelspütz Gisela Piltz Jörn Wunderlich Mechthild Rawert Engelbert Wistuba Frank Schäffler Steffen Reiche (Cottbus) Dr. Wolfgang Wodarg Dr. Konrad Schily fraktionslose Abgeordnete Gerold Reichenbach Heidi Wright Marina Schuster Henry Nitzsche Dr. Carola Reimann Uta Zapf Dr. Hermann Otto Solms Gert Winkelmeier Christel Riemann- Manfred Zöllmer Dr. Max Stadler Hanewinckel Brigitte Zypries Carl-Ludwig Thiele Walter Riester Florian Toncar Enthalten Dr. Daniel Volk Sönke Rix Nein René Röspel Christoph Waitz CDU/CSU Dr. Guido Westerwelle Dr. Ernst Dieter Rossmann CDU/CSU Michael Brand Dr. Claudia Winterstein Karin Roth (Esslingen) Uda Carmen Freia Heller Manfred Kolbe Dr. Volker Wissing Ortwin Runde Susanne Jaffke-Witt Marlene Rupprecht Christian Freiherr von Stetten Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (Tuchenbach) BÜNDNIS 90/DIE SPD DIE LINKE Anton Schaaf GRÜNEN Axel Schäfer (Bochum) Gert Weisskirchen Hüseyin-Kenan Aydin Cornelia Behm Dr. Hermann Scheer (Wiesloch) Dr. Dietmar Bartsch Birgitt Bender Marianne Schieder Karin Binder Alexander Bonde Otto Schily FDP Dr. Lothar Bisky Ekin Deligöz Ulla Schmidt (Aachen) Heidrun Bluhm Silvia Schmidt (Eisleben) Jens Ackermann Eva Bulling-Schröter Dr. Thea Dückert Heinz Schmitt (Landau) Dr. Karl Addicks Dr. Martina Bunge Dr. Uschi Eid Carsten Schneider (Erfurt) Christian Ahrendt Roland Claus Hans Josef Fell Olaf Scholz Daniel Bahr (Münster) Sevim Dağdelen Kai Gehring Ottmar Schreiner Uwe Barth Dr. Diether Dehm Britta Haßelmann Reinhard Schultz Rainer Brüderle Werner Dreibus Bettina Herlitzius (Everswinkel) Angelika Brunkhorst Dr. Dagmar Enkelmann Peter Hettlich Swen Schulz (Spandau) Ernst Burgbacher Klaus Ernst Priska Hinz (Herborn) Ewald Schurer Patrick Döring Wolfgang Gehrcke Ulrike Höfken Frank Schwabe Mechthild Dyckmans Diana Golze Dr. Anton Hofreiter Dr. Angelica Schwall-Düren Ulrike Flach Dr. Gregor Gysi Bärbel Höhn Dr. Martin Schwanholz Otto Fricke Heike Hänsel Ute Koczy (B) Rolf Schwanitz Paul K. Friedhoff Lutz Heilmann Sylvia Kotting-Uhl (D) Rita Schwarzelühr-Sutter Horst Friedrich (Bayreuth) Inge Höger Fritz Kuhn Wolfgang Spanier Hans-Michael Goldmann Dr. Barbara Höll Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Margrit Spielmann Miriam Gruß Ulla Jelpke Markus Kurth Jörg-Otto Spiller Joachim Günther (Plauen) Dr. Lukrezia Jochimsen Monika Lazar Dieter Steinecke Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Hakki Keskin Anna Lührmann Andreas Steppuhn Heinz-Peter Haustein Katja Kipping Nicole Maisch Ludwig Stiegler Elke Hoff Monika Knoche Jerzy Montag Rolf Stöckel Birgit Homburger Michael Leutert Kerstin Müller (Köln) Christoph Strässer Dr. Werner Hoyer Ulla Lötzer Winfried Nachtwei Dr. Peter Struck Michael Kauch Dr. Gesine Lötzsch Omid Nouripour Joachim Stünker Dr. Heinrich L. Kolb Ulrich Maurer Brigitte Pothmer Dr. Rainer Tabillion Hellmut Königshaus Dorothée Menzner Claudia Roth (Augsburg) Jella Teuchner Gudrun Kopp Kornelia Möller Krista Sager Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. h. c. Jürgen Koppelin Kersten Naumann Manuel Sarrazin Jörn Thießen Heinz Lanfermann Wolfgang Nešković Elisabeth Scharfenberg Franz Thönnes Harald Leibrecht Dr. Norman Paech Christine Scheel Rüdiger Veit Ina Lenke Petra Pau Irmingard Schewe-Gerigk Simone Violka Sabine Leutheusser- Bodo Ramelow Dr. Gerhard Schick Jörg Vogelsänger Schnarrenberger Elke Reinke Grietje Staffelt Dr. Marlies Volkmer Michael Link (Heilbronn) Paul Schäfer (Köln) Rainder Steenblock Hedi Wegener Markus Löning Vol ker Sc hne i de r Silke Stokar von Neuforn Andreas Weigel Dr. Erwin Lotter (Saarbrücken) Dr. Wolfgang Strengmann- Petra Weis Horst Meierhofer Dr. Herbert Schui Kuhn Gunter Weißgerber Patrick Meinhardt Dr. Ilja Seifert Hans-Christian Ströbele Dr. Rainer Wend Jan Mücke Dr. Petra Sitte Dr. Harald Terpe Lydia Westrich Burkhardt Müller-Sönksen Frank Spieth Wolfgang Wieland Dr. Margrit Wetzel Dirk Niebel Dr. Kirsten Tackmann Josef Philip Winkler Andrea Wicklein Detlef Parr Dr. Axel Troost Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22983

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) Nun fahren wir in der Debatte fort. Das Wort hat der Ich sage ganz ehrlich: Für uns als FDP ist nicht wich- (C) Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. tig, wer von Ihnen nun nicht in der Lage war, seine Trup- pen zusammenzuhalten, sondern für uns ist wichtig, dass (Beifall bei der FDP) es insgesamt nicht gelungen ist. Wenn man etwas von ei- ner Großen Koalition erwartet, dann ist das die Fähig- Horst Meierhofer (FDP): keit, die Länder bzw. die eigenen Minister mit uns Boot Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zu holen. Das ist Ihnen leider nicht gelungen. Das Umweltgesetzbuch – und damit entsprechend dem (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Koalitionsvertrag eines der zentralen umweltpolitischen Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Projekte der Großen Koalition in dieser Legislatur- GRÜNEN]) periode – ist wieder einmal gescheitert. Herr Minister Gabriel, vielleicht zu Ihrem Trost: Sie sind nicht der Nicht nur Herr Gabriel hat mit Blick auf das Umwelt- erste Umweltminister, der sich die Finger an der Idee der gesetzbuch von einem großen Wurf gesprochen. Davon Vereinfachung und Zusammenführung des Umwelt- ist außer einer Zitatensammlung, die auf der Homepage rechts verbrannt hat. Es gab jahrelange Abstimmungs- des Bundesumweltministeriums zu finden gewesen ist, prozesse. Nun stehen wir so gut wie vor dem Nichts. Das nichts mehr übrig geblieben. Dort hat sich jemand die UGB hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. Union und Arbeit gemacht, auf neun Seiten zu sammeln, was die SPD haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht mehr verschiedensten Leute zu diesem Thema gesagt haben. zu Großem fähig sind. Das hilft natürlich beim Redenschreiben. Insgesamt ist es aber für das Umweltrecht keine große Hilfe. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist so, dass wir jetzt vor einem Scherbenhaufen ste- hen und nun versucht wird, die Scherben zusammenzu- Wie üblich, ist man sich nicht einmal darin einig, wer kehren. Man will damit das retten, was wichtig ist, um an dem Ganzen die Schuld trägt. Nach dem, was der nicht zu einer kompletten Rechtszersplitterung zu kom- Bundesumweltminister heute gesagt hat, oder nach dem, men. Das ist alles, was von diesem großen Vorhaben was er einen Tag nach der Bekanntgabe des Scheiterns übrig geblieben ist. Das ist aus unserer Sicht mehr als erläutert hat, kann man glauben, die CSU sei schuld. Der eine magere Bilanz der großkoalitionären Umweltpoli- Minister hat erklärt – das fand ich bemerkenswert vor tik. dem Hintergrund, was Sie vorhin in unsere Richtung ge- Mit dem ursprünglichen Ziel der Rechtsvereinfa- sagt haben –: chung und der Entbürokratisierung der Genehmigungs- (B) Man muss sich nicht wundern, wenn in Deutsch- verfahren hat dies leider überhaupt nichts mehr zu tun. (D) land keiner mehr die Demokratie und die Verfas- Prüf- und Abstimmungsprozesse bleiben so kompliziert, sung ernst nimmt, wenn die Kabinettsmitglieder, wie sie waren. Auch Parallel- und Mehrfachprüfungen der Bundestag und der Bundesrat die Verfassung bleiben leider an der Tagesordnung. Hier, Herr Gabriel, auch nicht mehr ernst nehmen. wissen Sie uns an Ihrer Seite. Mittelständische Betriebe ohne eigene Rechtsabteilung werden es sicherlich schwerer Das haben Sie leider falsch dargestellt. Ich dachte ei- haben als Großkonzerne; das ist selbstverständlich. gentlich, das Ganze funktioniert so, dass Sie im Kabinett Wenn die CSU in Form von Minister Söder in Bayern er- die Kraft besitzen, zwischen CDU, CSU und SPD einen klärt, dass hier eine „Monsterbürokratie“ droht, dann Gesetzentwurf abzustimmen. Wenn dieser Gesetzent- halte ich das für eine sehr lächerliche Aussage. wurf abgestimmt ist, dann wird er in den Bundestag ein- gebracht. Im Bundestag haben CDU/CSU und SPD hof- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fentlich eine breite Mehrheit, um den Gesetzentwurf der SPD) durch den Bundestag zu bringen. Danach wird der Ge- Auf Initiative der CSU – sie bestand darauf – kam es setzentwurf an den Bundesrat weitergeleitet. – Sie haben zur Einberufung des Normenkontrollrats. Auf Anfrage immer wieder betont, dass 15 von 16 Ländern die glei- erklärte dieser Normenkontrollrat, man könne 27 Mil- che Position wie Sie haben. Warum haben Sie es dann lionen Euro an Bürokratiekosten sparen. Diese Aussage nicht geschafft, diesen Gesetzentwurf durchzubringen, wurde aber einfach ignoriert und stattdessen ein eigener wenn er so gut ist? Sie hatten offensichtlich Angst vor Vorschlag gemacht, der vermutlich genauso bürokratisch der eigenen Courage. Ihre eigenen Minister und die gewesen wäre. Man sieht: Es geht eigentlich um nichts Kanzlerin haben Sie anscheinend im Stich gelassen. anderes als um Wahlkampf. Hier geht es nur um Profilie- rung: Hauptsache, man steht einmal mehr in der Zeitung. (Beifall bei der FDP) Das scheint vielen Herrschaften schon zu reichen. Das Die Union erklärt natürlich, die Schuld liege beim ist mehr als traurig und ein halbes Jahr vor der Bundes- Bundesumweltminister. Er habe zuerst zugesichert – so tagswahl wirklich tragisch. war es zumindest in der Zeitung zu lesen –, dass Aus- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten stiegsklauseln für Bayern aufgenommen würden. Da- der SPD) nach sollte das nur noch teilweise möglich sein, so wie Sie es heute dargestellt haben. Der Minister habe also Es ist nicht so, dass sich der BDI ausschließlich gegen kalte Füße bekommen und die Zusagen nicht eingehal- das Umweltgesetzbuch gewandt hätte. Der BDI war ten. Deswegen habe man nicht zugestimmt. zwar von Anfang an kritisch, aber selbst der BDI hat zu- 22984 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Horst Meierhofer (A) gestanden, dass ein Umweltgesetzbuch zur Entlastung dass wir nicht 16 unterschiedliche aufgesplitterte Natur- (C) der Wirtschaft führen könnte. Ähnlich haben sich auch schutz- und Wasserrechte haben. andere Verbände geäußert, etwa der Bundesverband der Als nächster Punkt wird kommen – das prophezeie Energie- und Wasserwirtschaft. Die Vertreter dieser Ver- ich schon einmal –: Ihr müsst jetzt auf Anhörungen und bände haben erklärt, es sei sinnvoll, ein Umweltgesetz- auf dieses und jenes verzichten. Wir müssen das jetzt buch zu beschließen. Auch Frau Müller vom BDEW möglichst schnell durchbekommen. – Ich muss ganz ehr- – sie war früher einmal Staatsministerin – wurde mit den lich sagen, es ist nicht unsere Schuld, dass Sie so lange Worten zitiert: gebraucht haben und nicht in der Lage waren, sich zu ei- Wir würden es bedauern, wenn es nicht zu einer nigen. Wir haben auch nicht den Ansatz, auf unsere Vereinheitlichung der umweltrechtlichen Regelun- Rechte im Bundestag deswegen zu verzichten, weil Sie gen käme. uns eine Woche vor Toresschluss schnell etwas präsen- tieren, was viel weniger ist als das, was wir uns alle ge- Frau Gönner, CDU-Umweltministerin, erklärte: wünscht hätten. Wir haben mehrfach versucht, die Kollegen in Bay- (Beifall bei der FDP) ern zu überzeugen. Wir fühlen uns auch nicht an unsere Zusage gebun- Das scheint leider nicht gelungen zu sein. Dass nun den, hier nichts zu ändern; dazu waren wir bereit. Wir am Ende von den fast 1 000 Seiten des Umweltgesetz- werden die Änderungen und die Verbesserungen, die buches nichts mehr übrig ist und dieses Vorhaben schei- nach unserer Vorstellung erforderlich sind, auch was die terte, bevor es überhaupt ins Kabinett kam, ist wirklich verschiedenen Länder betrifft, jetzt einfach ganz allge- mehr als schade und wird dem Anliegen insgesamt nicht mein einbringen. Wir werden uns nicht mehr daran hal- gerecht. ten, was wir vorher gesagt haben, wegen der Vereinheit- Wir selbst haben frühzeitig einen Antrag eingebracht lichung und der Vereinfachung Ja und Amen dazu zu und gesagt: Für uns ist ein Umweltgesetzbuch kein sagen; vielmehr werden Sie uns sehr kritisch erleben. Sie Selbstzweck, sondern es muss bestimmte Voraussetzun- hätten das verhindern können, wenn alle gemeinsam zu gen erfüllen. Die Voraussetzungen sind aus unserer einem Ergebnis gekommen wären. Schade, dass es aus Sicht, die Verfahren zu vereinfachen, die Bürokratie ab- wahlkampftaktischen Gründen nicht möglich war, hier zubauen, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu schaf- zu Verbesserungen zu kommen, die wir alle mitgetragen fen, ohne dabei die materiellen Umweltstandards zu ver- hätten. Das ist sehr bedauerlich. ändern. Auf diesen Kompromiss haben sich alle (Beifall bei der FDP) eingelassen. Wir sind genauso auf ihn eingegangen wie (B) (D) die CDU, die SPD, die Länder – so dachte ich zumindest –, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: die Umwelt- und die Industrieverbände. Man hat gesagt: Nächster Redner ist der Kollege Josef Göppel für die Wenn man nun wirklich ein Umweltgesetzbuch haben CDU/CSU-Fraktion. will, dann darf man nicht die Standards verändern. Viel- mehr muss jeder seinen Teil dazu beitragen, weil es um (Beifall bei der CDU/CSU) die Vereinheitlichung und um die Vereinfachung geht. Wenn uns an den Standards etwas stört, dann muss man Josef Göppel (CDU/CSU): das später ändern. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den ersten Entwürfen waren einige Punkte dabei, Die Große Koalition ist besser als ihr Ruf! Das zeigt sich die uns nicht gefallen haben. Auch wir haben kritisch daran, dass alle materiell-rechtlichen Festlegungen im das eine oder andere angemerkt. Es gab einige Punkte, Umweltgesetzbuch – trotz manchen Schlingerns zwi- von denen wir dachten, dass sie wenig Sinn machen. schendurch – noch in dieser Legislaturperiode verab- Dazu gehört beispielsweise die Abschaffung der Bewil- schiedet werden. Die Umweltpolitiker aller Fraktionen ligungen oder alter Rechte. Das war aus unserer Sicht hätten mit dem Rahmenrecht im Naturschutz gut leben unvernünftig. können. Aber die Strategen der Föderalismusreform meinten im Jahr 2006, dass der Bund auch im Bereich Man muss dem BMU aber zubilligen, dass vielen Kri- des Naturschutzes und der Wasserwirtschaft die kon- tikpunkten, die wir eingebracht haben und die in unse- kurrierende Gesetzgebung haben müsse. Daraus folgt rem Antrag auch nachzulesen sind, Rechnung getragen nun eben ein Vollgesetz. Es ist kein Wunder, dass zahl- wurde, indem entsprechende Änderungen vorgenommen reiche Verschleppungsversuche eingesetzt haben und wurden. Es war also eine große Bereitschaft vorhanden, dass bis zum heutigen Tag aus der Sicht der Landnut- einen Konsens zu finden. Deswegen möchte ich an die- zung immer wieder Verbesserungen gewünscht wurden. ser Stelle betonen, dass zumindest das Verfahren, also Diese Verbesserungen hat – fast bis zur Selbstaufgabe – die Art und Weise, wie es gemacht wurde, relativ gut das Umweltministerium zugestanden. Es geht um bauli- war. Das gilt nicht für die Art und Weise, wie die Oppo- che Nutzungen unseres Landes. Es geht um die landwirt- sition einbezogen wurde. Aber es gilt insoweit, dass man schaftliche, die forstwirtschaftliche und die fischerei- die Länder frühzeitig mit an den Tisch geholt hat. liche Nutzung. Vieles von dem ist sinnvoll, weil wir eine gute Nutzung unseres Landes brauchen. Jetzt haben wir nur noch eines, und das ist eine Reste- verwertung. Das ist so gut wie nichts. Jetzt geht es nur Auf der anderen Seite muss ich sagen: Aus Natur- noch darum, in dieser Legislaturperiode dafür zu sorgen, schutzsicht ist der Entwurf gerade noch vertretbar. Wei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22985

Josef Göppel (A) tere Aufweichungen kann es jetzt nicht geben, weil sonst wie Wirtschaftsentwicklung im Einklang mit der Natur (C) die Balance verloren gehen würde und der Grundsatz, ereicht werden kann. Herr Minister Gabriel, bei der Ein- den wir damals aufgestellt haben, nämlich gegenüber griffsregelung ist es wirklich unverzichtbar, dass vom dem geltenden Recht keine Veränderungen an den Stan- abweichungsfesten Grundsatz nicht abgewichen wird dards vorzunehmen, in eine Schieflage käme. und dass Eingriffe vom Verursacher ausgeglichen wer- den müssen, insbesondere da der FDP-Umweltminister Ich möchte bei dieser Gelegenheit der Vorsitzenden des Landes Niedersachsen ganz unverhohlen ankündigt, der zuständigen CDU/CSU-Arbeitsgruppe, Frau Marie- genau diesen Rückzug von der Eingriffsregelung zu er- Luise Dött, dafür danken, dass sie in diesem langen Pro- möglichen. zess des Abwägens mit den Interessen der Landnutzer sehr klug auf die einzelnen Detailvorschläge eingegan- (Horst Meierhofer [FDP]: Der hat im Gegen- gen ist, sodass wir mit dem Entwurf eine Vorlage haben, satz zu Herrn Söder dem Umweltgesetzbuch die, wie ich schon sagte, noch vertretbar ist. zugestimmt!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Träger des alternativen Nobelpreises Michael Succow hat vor kurzem in einer Rede in der Michael- Meine Damen und Herren, Landnutzung in einem Otto-Stiftung gesagt: Lassen wir die Natur unverändert, dicht besiedelten und hochindustrialisierten Land erfor- dann können wir nicht existieren, zerstören wir sie, dann dert immer auch, dass Rücksicht auf die natürlichen Le- gehen wir zugrunde. – Sinngemäß sagte er weiter: Die bensgrundlagen genommen wird. Eine Wirtschaftsent- Gratwanderung, um die es jetzt geht, besteht darin, ein wicklung, die auf den gesunden Naturhaushalt keine Wirtschaften im Einklang mit den natürlichen Lebens- Rücksicht nehmen würde, hätte auf Dauer keinen Erfolg. grundlagen zu finden. – Um nichts weniger geht es bei Wenn man die Entwicklung einzelner Regionen in Eu- den heutigen Gesetzesberatungen. ropa unter dem Blickwinkel des Standortwettbewerbs anschaut, dann sieht man, dass die Räume am meisten (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) prosperieren, deren Entwicklungsphilosophie die Rück- sicht auf eine intakte Natur und gesunde abiotische Le- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bensgrundlagen enthält. Aus diesem Grunde ist dieses Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Lutz Gesetzesvorhaben im Bereich Naturschutz und Wasser- Heilmann das Wort. wirtschaft jetzt so wichtig. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gerd Bollmann [SPD]) Lutz Heilmann (DIE LINKE): (B) Ich persönlich möchte Sie bitten, dass wir einen Punkt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (D) noch besonders bedenken. Das ist die kooperative Ein- Werte Gäste! Die Umweltpolitik der Koalition ist klein- beziehung der ortsansässigen Landwirte in Natur- kariert und provinziell. Kleinkariert, weil Sie genauso schutz und Landschaftspflege. Ich bin der Meinung, je weiterwurschteln wie bisher. Herr Minister – nehmen mehr wir die ortsansässigen Landwirte in die praktische Sie es mir nicht übel –, Ihre Rede heute war nicht eine Landschaftspflege einbeziehen, desto mehr Bereitschaft Ihrer stärksten. finden wir bei der ganz normalen Bewirtschaftung, Rücksicht auf die Natur zu nehmen. (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Aber jetzt kommt eine ganz starke Rede!) (Beifall bei der CDU/CSU) Vorgenommen hatten Sie sich ein Umweltgesetzbuch, In Landschaftspflegeverbänden, in biologischen Statio- das alle Umweltgesetze, gleich ob im Bereich des Natur- nen in Nordrhein-Westfalen, in den regionalen Bündnis- schutzes oder des Wasserrechts oder Genehmigungsver- sen für Landnutzung in Schleswig-Holstein oder in fahren, beinhalten und zusammenfassen sollte. Ein Um- Landschaftserhaltungsverbänden in Baden-Württemberg weltrecht aus einem Guss sollte es werden. arbeiten jährlich 20 000 Landwirte aktiv für den Natur- schutz. Diese Arbeit hat eine ganz wichtige Brücken- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Der Herr Gabriel funktion in die Landwirtschaft hinein. Deswegen meine hat wenigstens frei gesprochen!) ich, dass wir das Kooperationsprinzip, das freiwillige So verkündete es der Minister am 16. Februar 2007 un- Miteinander, verstärken sollten. weit von hier, bei einer Konferenz in Berlin. Stärkung (Beifall bei der CDU/CSU) des integrativen Umweltschutzes und der Europataug- lichkeit, Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens, Insgesamt können wir uns, Herr Minister Gabriel, mit anwenderfreundliche Ausgestaltung, das waren Ihre diesem Gesetz in Europa sehen lassen. Wenn wir von Worte – Sie haben schon selbstkritisch darauf Bezug ge- Indonesien und Brasilien die Erhaltung von Regenwäl- nommen –, ehrenwerte Worte, Herr Minister. Was ist da- dern verlangen, dann werden wir immer wieder gefragt, von geblieben? Nichts. was wir in unserem eigenen Land tun. Ich erinnere an das Wort eines Abgeordneten aus dem Kongo, der uns All den Umweltsünden der Koalition – ich erinnere sagte: Da, wo jetzt Ihr Reichstag steht, war einmal Erlen- an die kleine Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz, mit bruchwald. – Das Wort hat er extra gelernt. Wenn man der Sie den Artenschutz in Deutschland de facto ad ab- das erlebt, dann muss man schon sagen, dass wir interna- surdum führten, an das Infrastrukturplanungsbeschleuni- tional eine Verpflichtung haben, einen Weg aufzuzeigen, gungsgesetz, mit dem Sie Beteiligungsrechte der Bevöl- 22986 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Lutz Heilmann (A) kerung erheblich einschränkten, an die Abwrackprämie, tes Bundesnaturschutzgesetz. Die Reform ist nach Ih- (C) an die Kfz-Steuer-Reform, an die Dienstwagenbesteue- ren Worten nötig, Herr Minister, weil wir die abwei- rung, um nur einige Beispiele zu nennen – setzen Sie chungsfesten Grundsätze brauchen. hier und heute sozusagen die Krone auf. Noch nicht ein- mal eine Handvoll Einzelgesetze sind von Ihrem Um- (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: So eine weltgesetzbuch übrig geblieben. schwache Rede! Abgelesen und überhaupt nicht von Argumenten getragen, nicht mal Kollege Göppel, ich muss Ihnen widersprechen. Frau wissend, dass heute EU-Rat in Brüssel ist! So Kollegin Dött hat sich anders geäußert. Im Umweltaus- viel Ignoranz kann es nur bei den Linken ge- schuss hat sie vor einigen Wochen gesagt: Das Umwelt- ben!) gesetzbuch läuft uns doch nicht davon. So ungefähr wa- ren doch Ihre Worte, nicht? Bei Durchsicht des Gesetzentwurfs fallen auch etliche Paragrafen auf, die den Titel „Allgemeiner Grundsatz“ (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nein! Das tragen oder in denen die Worte „allgemeiner Grundsatz“ war der Tagesordnungspunkt! – Ulrich Petzold stehen. Also alles in Ordnung? Das könnte man denken. [CDU/CSU], an die Abg. Marie-Luise Dött Man findet sieben allgemeine Grundsätze im Entwurf; [CDU/CSU] gewandt: Über so etwas braucht immerhin. Aber wenn ich an das geltende Bundesnatur- man sich nicht zu streiten!) schutzgesetz denke, fällt mir auf: Dort sind es 15 Grund- sätze. Man könnte jetzt sagen: Quantität zeugt nicht im- – Wir können ja im Protokoll nachschauen. – Die Auf- mer von Qualität. Aber schauen wir einfach einmal nach, fassung, die die Koalition und insbesondere Ihre Frak- um zu sehen, welche Wirkung das entfaltet. tion hier vertritt, rückt auch Ihre engagierte Naturschutz- rede nicht wieder gerade, Herr Kollege Göppel. Fangen wir bei § 1 an. Dort ist eine Menge von Zielen enthalten, und viele davon kann ich sogar unterschrei- Also weiter wie bisher! Immer hübsch Klein-Klein. ben. Zeigt das aber auch Wirkung? Nein, denn es fehlt Damit leisten Sie uns allen einen Bärendienst. Dem Kli- der Verweis auf die Verwirklichung der durchaus ehren- mawandel, dem Artensterben, der zunehmenden Zerstö- werten Ziele. So entpuppen sich Ihre Ziele, die wunder- rung der Umwelt kommen wir so nicht bei. All Ihre bar zu lesen sind, als wirkungslose Prosa. Warum? Weil schönen Reden, Herr Minister, ob in Bonn, Nairobi, die Verwirklichung der Ziele in § 2 festgeschrieben wird, New York oder sonst wo auf der Welt, sind damit nicht wo aber nichts davon steht, dass das ein allgemeiner das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Grundsatz ist. Nur, von einem solchen können die Bun- Um das Schlimmste zu verhindern, wie Sie sagen, desländer ja nicht abweichen. Ich weiß nicht, ob das ein wollen Sie jetzt Einzelgesetze. Das Schlimmste? Ja, wo- Trick ist oder ob Sie das einfach übersehen haben. Ich (B) möglich das Schlimmste, nämlich dass die Länder von nehme freundlicherweise Letzteres an. (D) ihren Abweichungsrechten Gebrauch machen, die sie Dann komme ich noch zu der vielzitierten Eingriffs- sich in der Föderalismusreform von 2006 vorsorglich ge- regelung. Sie ist das Kernstück des flächenbezogenen sichert haben. Die Abweichungsrechte sind wohl mit das Naturschutzes. Eine abweichungsfeste und differenzierte Fatalste, was die Föderalismusreform I zu bieten hatte. Vollregelung ist zur Gewährleistung eines Mindestma- Was hat es damit auf sich? In einem Satz ausgedrückt: ßes an bundeseinheitlichem Recht notwendig. Stellen Egal was wir hier zum Beispiel im Bereich Naturschutz Sie sich einmal länderübergreifende Eingriffe vor! Wie beschließen, außer in den allgemeinen Grundsätzen dür- sollen die behandelt werden, wenn am Ende zwei Rege- fen die Länder ab 2010 überall abweichen. – Wer hat die lungen vorhanden sind? Dafür befindet sich in § 13 zwar Föderalismusreform I gemacht? Ein Geschenk Gottes ein allgemeiner Grundsatz, und man könnte wiederum war sie nicht, aber gerade Sie, Herr Minister, wurden denken, alles sei in Ordnung. Aber auch hier muss ich nicht müde, sie schönzureden. Ihnen sagen: Entweder haben Sie keine Ahnung, oder Provinziell ist die Umweltpolitik der Koalition, zu- Sie wollen uns für dumm verkaufen. Um das Ganze ab- mindest eines Teils. Herr Minister, wo war die von Ihnen weichungsfest zu gestalten, müssten wenigstens die in gerühmte gute Zusammenarbeit mit den Ländern? Zu- § 14 Ihres Vorschlages enthaltenen Legaldefinitionen mindest im Fall Bayern war das ein ordentlicher Trug- aufgenommen werden. schluss. Der bayerische Löwe hat Sie vor die Wand lau- fen lassen. Und die Kanzlerin, die heute durch Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Abwesenheit glänzt? Was machte die Kanzlerin? Sie Herr Kollege, darf ich Sie an die Redezeit erinnern? glänzte durch Nichtstun.

(Josef Göppel [CDU/CSU]: Brüssel! – Weitere Lutz Heilmann (DIE LINKE): Zurufe von der CDU/CSU: Sie ist in Brüssel! – Ein Satz. – Es bleibt festzustellen: Wie Sie sehen, sind Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wie kann man die von Ihnen vorgesehenen allgemeinen Grundsätze nur so schwach sein? – Dr. Maria Flachsbarth wirkungslos und zahnlose Tiger. Für einen ambitionier- [CDU/CSU]: Das ist ihm wahrscheinlich auf- ten Naturschutz bietet Ihr Gesetzentwurf keine Grund- geschrieben worden! – Josef Göppel [CDU/ lage. CSU]: Ja, da war das noch nicht drin!) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Aber kommen wir zu dem, was Sie hier vorschlagen. Ein wesentlicher Gesetzentwurf ist der für ein reformier- (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22987

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Es geht ja darum, dass das Verursacherprinzip gilt. (C) Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, er- Dies drückt sich eben auch in der Formulierung des ab- teile ich dem Kollegen Kauch das Wort zu einer Kurzin- weichungsfesten Kerns aus. Im Gesetzentwurf sind ja tervention, die sich auf die Rede des Kollegen Göppel Flexibilisierungen enthalten. So muss ein Eingriff nicht bezieht. mehr am selben Ort ausgeglichen werden. Das bedeutet, dass Baumaßnahmen in Berlin zum Beispiel in einer (Zuruf der Abg. Christel Humme [SPD]) Zone zwischen der polnischen Grenze und der nieder- – Er hat sich genau zu dem Zeitpunkt gemeldet, als der sächsischen Landesgrenze, also im Naturraum Branden- Kollege Heilmann ans Mikrofon trat. Deshalb lasse ich burger Platten- und Hügelland, ausgeglichen werden diese zu. So weit zur Erklärung. können. Neben dieser erheblichen räumlichen Flexibili- sierung gibt es auch eine zeitliche Flexibilisierung, weil (Christel Humme [SPD]: Gut, dass Sie das er- Eingriffe künftig auch schon vor dem eigentlichen Ein- klären! Ich dachte, er braucht so lange!) griff über das neue Instrument eines bundesweiten Öko- – Nein. – Herr Kollege Kauch, bitte sehr. kontos ausgeglichen werden können. Im Übrigen bedanke ich mich auch sehr für die positi- Michael Kauch (FDP): ven Worte Ihres Sprechers Meierhofer bezüglich mögli- Frau Präsidentin, Frau Humme, ich hätte das auch cher weiterer verfahrensrechtlicher Regelungen. Wir eher geschafft. wissen ja nicht, ob wir auf diese nicht in einer möglichen Lieber Kollege Göppel, ich möchte eine Sache klar- anderen Konstellation in der nächsten Legislaturperiode stellen, weil ich nicht möchte, dass es an dieser Stelle zu noch zurückgreifen werden. einer Legendenbildung kommt, und lege der Unions- (Beifall bei der CDU/CSU) fraktion gerne den Sachstand dar: Die niedersächsische Landesregierung, im Übrigen nicht nur der FDP-Um- weltminister, hat uns einen Brief geschrieben, in dem es Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ihr um den abweichungsfesten Kern bei der Eingriffs- Nun hat das Wort die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl für regelung geht. Die niedersächsische Landesregierung die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. greift nicht die Eingriffsregelung als solche an, sondern stellt die Frage, ob es nicht ausreichen würde, wenn der Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bund in der Eingriffsregelung einfach nur festlegt, dass Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eingriffe in die Natur ausgeglichen werden müssen. Der Herr Minister Gabriel, Sie haben Ihre Rede heute damit Bund will nun darüber hinaus aber auch die Hierarchie (B) begonnen, dass Sie sagten: Wir werden heute mehr von (D) der Maßnahmen regeln, also zum Beispiel Ersatzgeld- dem reden, was wir nicht haben, als von dem, was wir zahlungen nur eine nachrangige Rolle zukommen lassen. haben. – Das will ich jetzt auch so handhaben, bevor Das kritisiert die niedersächsische Landesregierung. sich die Legende festsetzt, Sie hätten ein glorioses UGB Man kann, wie ich denke, sehr wohl darüber diskutieren, vorgestellt, das dann am Widerstand der Union geschei- ob solche Festlegungen unbedingt zum abweichungsfes- tert sei. ten Kern gehören müssen. Der Entwurf des UGB, den Sie vorgestellt haben, Wir als FDP-Bundestagsfraktion haben anders als die wurde nämlich keineswegs den heutigen zentralen He- Unionsfraktion gegen die Föderalismusreform gestimmt, rausforderungen durch Klimawandel und Biodiversitäts- unter anderem wegen der darin enthaltenen Regelungen verlust gerecht. Die Stichworte, die wir über den UGB- zum Naturschutz. Wir waren nämlich der Meinung, das Entwurf gestellt haben, waren: Defizite und Standardab- sollte der Bund regeln. Nachdem man nun aber eine ent- senkung. sprechende Grundgesetzänderung vorgenommen hat, sollte man nicht versuchen, über die Hintertür eines Ein- Beginnen wir mit dem Klimawandel. Fakt ist, dass in zelgesetzes die Folgen dieser Grundgesetzänderung wie- Zeiten des Klimawandels ein Umweltgesetzbuch vorge- der auszuhebeln. Ich denke, es gehört zu einem fairen legt wurde, das zum Klimawandel nichts sagt. Das Ein- Umgang dazu, dass man der niedersächsischen Landes- zige, was sich im UGB findet, ist der Emissionshandel. regierung zugesteht, über diese Fragen diskutieren zu Er ist aber kein nationales Instrument, sondern von der wollen. EU vorgegeben, also keine Leistung dieser Regierung. Es wäre die Zeit und die Gelegenheit gewesen, für Koh- (Beifall bei der FDP) lekraftwerke, die absoluten Klimakiller, Mindesteffi- zienzstandards und eine verpflichtende Quote für Kraft- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wärme-Kopplung vorzugeben. Herr Kollege Göppel, bitte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE Josef Göppel (CDU/CSU): LINKE]) Herr Kollege Kauch, ich bedanke mich für diese Klar- stellung und stelle meinerseits fest, dass die nun gefun- Unsere Vorschläge gingen in diese Richtung: Min- dene Formulierung im Gesetzentwurf genau diesem An- desteffizienzstandards von 58 Prozent Wirkungsgrad, liegen entspricht. Wenn wir darüber Einigkeit erzielen die verpflichtende Quote für KWK für 2020 von 30 Pro- könnten, würde ich mich sehr freuen. zent. 22988 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Sylvia Kotting-Uhl (A) Wenn Sie jetzt klug rechnen und darauf kommen, Das Defizit des Tuns bei der Biodiversität, also des (C) dass das heißt, dass man keine neuen großen Kohlekraft- Erlassens von Regeln, zieht sich durch Ihr damals vorge- werke mehr erlaubt, dann haben Sie recht. Genau das legtes UGB wie ein roter Faden: nichts zu den Min- war unsere Absicht, und genau das wäre die Aufgabe in destanforderungen an den Biomasseanbau; nichts zu den dieser Zeit gewesen. Regeln der guten fachlichen Praxis als allgemeine, ab- weichungsfeste Grundsätze; nichts dazu, ökologisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sensible Gebiete vor der Gentechnik zu schützen – heute sind Sie in der Einschätzung der Gentechnik glücklicher- Sie wissen ganz genau, Herr Minister Gabriel, dass weise etwas weiter als noch vor einem Jahr –; nichts große Kohlekraftwerke von 800 und mehr Megawatt, zum Flächenverbrauch. wie sie derzeit geplant werden, dem Ausbau der erneuer- baren Energien genauso im Weg stehen wie die Atom- Der dritte große Klops ist Gewässerqualität, Hoch- kraftwerke, gegen die Sie ja sind. Nur, gegen die großen wasserschutz. Das Verschlechterungsverbot in Bezug Kohlekraftwerke sind Sie komischerweise nicht und auf die Qualität von Gewässern wurde nicht konkreti- nennen einen Wirkungsgrad von 46 Prozent hocheffi- siert. Dass Wasser – wie das Klima durch den Emis- zient. Wer es ernst meint mit dem Umstieg auf erneuer- sionshandel – einen Preis bekommen muss, der seine bare Energien und dem Ausbau der erneuerbaren Knappheit ausdrückt, wurde völlig ausgeblendet. Dass Energien, der darf ihnen keine nichtregelbaren Kohle- Randstreifen, Uferzonen und Auen nicht vernachlässigt kraftwerke und Atomkraftwerke mehr in den Weg stel- werden dürfen: vergessen. Nicht einmal das Verbot des len. Einsatzes von Pflanzenschutz- und Düngemitteln in die- sen Gebieten wurde festgeschrieben. Der Maßstab für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das inzwischen ungefähr dreijährliche Hochwasser soll sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE weiterhin der für das hundertjährliche sein, und der ur- LINKE]) sprünglich vorgesehene Vorrang natürlicher oder natur- Hätten wir die Chance gehabt, das UGB parlamenta- naher Maßnahmen zum Hochwasserschutz vor techni- risch zu verhandeln, hätten wir gefordert, bestehende schen Maßnahmen ist ersatzlos gestrichen. europarechtliche Spielräume zur Anforderung an Kraft- Ich könnte die Liste der Defizite fortführen: Das werke unter Festlegung des elektrischen Wirkungsgra- Bergrecht, das eine immens große Bedeutung für Mensch des auszuschöpfen und die klassischen und bewährten und Natur hat – das konnte man nicht zuletzt an der Asse Instrumente des Immissionsschutzes und das Effizienz- sehen –, fehlt. Es fehlen noch weitere Punkte: Mit Blick gebot für die dem Emissionshandel unterliegenden Anla- auf den Kern des UGB, die integrierte Vorhabengeneh- (B) gen wieder in Kraft zu setzen. migung, haben Sie die Chance vertan, Genehmigungen (D) Richtig wäre außerdem gewesen, den Klimaschutz nach Ermessen und Bedarf zu erteilen. Zu den Defiziten grundsätzlich als Ziel des UGB festzuschreiben, ein ei- zählt auch die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie verpassen genes Buch „Klimaschutz“ zu integrieren und auch Res- die Chance, endlich EU-konforme Umweltpolitik zu ma- sourcenschonung und Produktverantwortung zu benen- chen und die Umweltverbände den Trägern öffentlicher nen. Das fand sich immerhin noch im Referentenentwurf Belange gleichzustellen. vom 19. November 2007. Da war noch die Rede davon, Der Flurfunk hat uns gemeldet, dass Sie im Kompro- dass über den gesamten Lebensweg von Produkten der missprozess sogar zugestanden hatten, den obligatori- Material- und Energieeinsatz möglichst gering gehalten schen Erörterungstermin bei UVP-pflichtigen Geneh- und die Entstehung von Abfällen so weit wie möglich migungen zu einer Kannbestimmung zu machen. Das ist vermieden werden soll. Das wurde schon im Vorent- ein wirklich unglaubliches Zugeständnis. wurfsstadium gestrichen. „Ökologische Industriepoli- tik“, Herr Minister, war damals Ihr Lieblingswort. Ohne Die Opposition war übrigens während des gesamten Ressourcenschonung und Produktverantwortung und Prozesses auf den Flurfunk und auf Gerüchte angewie- ohne Ausrichtung am Ziel des Klimaschutzes bleibt aber sen. Das ist ein nicht gerade übliches Verfahren, das die nur Industriepolitik. ganze parlamentarische Beratung eigentlich zu einer Farce machte. Das UGB wurde in jeder Koalitionsrunde Zweiter dicker Klops ist die Eingriffsregelung. Ne- weitergeschliffen und war für uns schon lange nicht ben den guten Grundsatz „Mache ich etwas kaputt, er- mehr zustimmungsfähig. setze ich es“ stellen Sie gleichwertig den Grundsatz „Mache ich etwas kaputt, bezahle ich es“. Natur ist aber Wenn man aus Sicht von Umwelt und Naturschutz sa- keine unendliche Ressource, und deswegen ist das ein gen kann „Besser nichts als das, was als UGB vorgelegt schlechter Grundsatz. Anstatt die Kaskade Vermeidung – wurde“, so ist das für Sie als Regierung natürlich keine Ausgleich oder Ersatz – Abwägung – Entschädigung zu Entschuldigung. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, ein am- stützen, haben Sie die Eingriffsregelung in dem damali- bitioniertes und den Aufgaben der Zukunft gerecht wer- gen Entwurf ins Belieben von Verkehrs- und Landwirt- dendes Umweltgesetzbuch vorzulegen. Sie haben die schaftsminister gestellt. Es reicht eben nicht, nur Reden nach vielen Jahren historische Chance, die durch die zur Biodiversität zu halten wie auf der COP 9; man muss Föderalismusreform und durch die Große Koalition er- auch etwas tun. öffnet wurde, in den Sand gesetzt und sind gescheitert. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22989

Sylvia Kotting-Uhl (A) Herr Minister, eines geht natürlich nicht, nämlich dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Sie sich hier als Opfer einer wild gewordenen CSU stili- sieren. Zur Lauterkeit, Herr Minister, gehört schon dazu, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht mit unterschiedlichen Maßstäben zu messen. Wenn Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Sie uns in jeder Debatte vorhalten – das haben Sie auch Dr. Matthias Miersch. gestern in der Asse-Debatte wieder gemacht –, wo Mi- nister Trittin während der rot-grünen Koalition seine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ziele verfehlt hat – dabei wissen Sie doch genau, dass der CDU/CSU) Ihre Forschungsministerin Bulmahn damals auf der Asse genauso intransparent festsaß wie anschließend bis zum Dr. Matthias Miersch (SPD): Sommer 2008 die Ministerin Schavan –, dann müssen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie schon akzeptieren, dass man den gleichen Maßstab Lassen Sie mich gleich vorweg für die SPD-Fraktion er- auch an Sie legt. klären: Wir halten am Umweltgesetzbuch in voller Sie sind immer sehr schnell dabei, mit dem Finger auf Gänze fest. andere zu zeigen. Wenn für Sie bei Herrn Trittin das Prin- (Beifall bei der SPD) zip gilt „Der Minister hat gefehlt“, dann kann bei Ihnen im Falle des Fehlens nicht das Prinzip gelten „Der Koali- Das, was wir heute einbringen, ist ein erster Schritt. tionspartner ist schuld“. Wenn Sie das selbsternannte (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ „größte umweltpolitische Vorhaben dieser Legislaturpe- CSU]) riode“ nicht gegen die Union durchsetzen konnten, dann war es Ihnen entweder nicht prioritär genug – es ist ja Es sind drei Kapitel des neuen Umweltgesetzbuches. Ich auch für die Medien ein eher sperriges Thema –, oder Sie bin mir sehr sicher, dass wir nach der Bundestagswahl sind trotz Ihrer mehr fulminanten als folgenreichen Re- – in welcher Konstellation auch immer, Josef Göppel – den auf internationalen Konferenzen und trotz Ihrer sicherlich eine Neuauflage erleben werden. Ich bin ge- Robin-Hood-Inszenierung bei der Asse vielleicht doch spannt, Herr Meierhofer, ob, falls Ihre Verhandlungsfüh- nicht ganz der, als den Sie sich immer gern verkaufen. rer am Verhandlungstisch sitzen, diese das Umweltrecht so beurteilen, wie Sie das heute gemacht haben. Es war (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) aber eine gute Vorlage dafür. Heute legen Sie uns die Notgesetze zum Naturschutz, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) zum Wasserrecht und zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung vor. Besonders das Naturschutzgesetz und das Es gehört sich, an dieser Stelle einmal Dank an Ihr (B) Wasserhaushaltsgesetz sind in dem Prozess seit Vorlage Haus, Herr Minister, zu sagen. Da haben viele Mitarbei- (D) des UGB-Entwurfs nicht besser geworden. Dass Sie sich terinnen und Mitarbeiter Monate, ja Jahre an Wochen- so gerne an Ihrem Vorgänger abarbeiten und betonen, enden und zu Nachtzeiten daran gearbeitet, diesem Pro- was Sie so viel toller machen als er, veranlasst mich, zu jekt, das seit den 70er-Jahren immer wieder zur sagen: Das Bundesnaturschutzgesetz von Jürgen Trittin Diskussion stand, zum Erfolg zu verhelfen. Ihren Mitar- war um Klassen besser als das, was Sie uns heute hier beiterinnen und Mitarbeitern gebührt an dieser Stelle ein vorlegen. großes Dankeschön. Sie haben nicht zu vertreten, dass wir heute nur den ersten Schritt tun können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Den Kern, den Sinn der Eingriffsregel, hatten Sie Wenn man sich den Entwurf des Umweltgesetzbuches schon von Anfang an verschenkt. Wo ist die Verzah- anschaut, kann man feststellen, dass wir in der Tat noch nung des Naturschutzes mit der Biodiversitätsstrategie nie so weit gewesen sind wie heute. Wir haben eine Vor- und dem Klimaschutzprogramm? Wo ist die Präzisie- lage, die sowohl von der Wissenschaft als auch von der rung der guten fachlichen Praxis, und wo ist die Anglei- Praxis, aber auch von den beteiligten Interessengruppen chung der Klagerechte und Öffentlichkeitsbeteiligung an als positiv bewertet worden ist. Wir haben eine Vorlage, das EU-Recht? Nicht in Ihrer Vorlage. Wasserschutz- die es verdient, nicht in die Schublade gelegt zu werden. gesetz: dito. Pestizide und Düngemittel wollen Sie in Es ist eine Vorlage, die wir stets im Hinterkopf haben Gewässerrandstreifen oder Auen zulassen. Super! So be- müssen, wenn wir jetzt in die Ausschussberatungen und treibt man Gewässerschutz. Beim Hochwasserschutz ha- in die zweite und dritte Lesung gehen. Dieses Umwelt- ben Sie sich wohl vom Umweltminister Ihres Heimatlan- gesetzbuch, liebe Kollegin Kotting-Uhl, ist von schwie- des die Sinne vernebeln lassen. Herr Minister, mein rigen Rahmenbedingungen geprägt gewesen. Trotzdem Lehrer – lang ist’s her – pflegte in solchen Fällen zu sa- ist es das beste UGB, das je dem Deutschen Bundestag gen: Setzen, sechs! vorgelegen hat. Für das Ziel der integrierten Vorhabengenehmi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gung sind Sie zulasten der Umwelt Kompromiss um der CDU/CSU) Kompromiss eingegangen. Die integrierte Vorhabenge- nehmigung bekommen wir nicht; aber Ihre Kompro- Wer sich anschaut, was Unbeteiligte zu diesem Ent- misse bleiben. Vom Umweltgesetzbuch bleibt nur die wurf gesagt haben, stellt fest, dass wir durch die Einfüh- Absenkung der Standards. Das ist Ihre blamable Bilanz rung des Umweltgesetzbuches einen enormen Büro- in dieser Legislatur in der klassischen Umweltpolitik. kratieabbau bekommen können; der Normenkontrollrat 22990 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Matthias Miersch (A) wurde schon erwähnt. Es könnte Einsparungen von jähr- (Horst Meierhofer [FDP]: Wir haben gegen (C) lich 30 Millionen Euro geben. Die Planspiele, die vor das Enteignungsgesetz gestimmt!) allen Dingen CDU-geführte Bundesländer durchgeführt haben – beispielsweise Baden-Württemberg –, haben ge- Was ist das für ein Verständnis von Bürokratieabbau, zeigt, dass das Umweltgesetzbuch praxistauglich und ef- wenn ich nicht einmal das anpacken darf, wenn ich vor- fizient gewesen ist. her erst einmal jahrhundertealte Urkunden wälzen muss? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Horst Meierhofer [FDP]: Das ist ein Ver- ständnis von Enteignung! – Dr. Heinrich L. Man muss das immer wieder betonen, auch wenn die ei- Kolb [FDP]: Für uns hat Eigentum einen Wert, nen oder anderen sagen, es hätte besser sein können. Wir egal wie alt es ist!) leben bei solchen großen Gesetzeswerken immer davon, Kompromisse schließen zu müssen. Das zeichnet auch Es ist nun einmal so: Es ist schrecklich einfach, etwas zu ein solches Gesetzeswerk aus. Umso unverständlicher ist proklamieren; wenn es aber ans Detail geht, kuschen Sie. es für mich, dass wir nicht die Kraft gehabt haben, dieses Sie müssen sich überlegen, wie Sie sich aufstellen, und Umweltgesetzbuch in der Großen Koalition durchzuset- zwar auch bei den Koalitionsverhandlungen; denn dann zen. – das verspreche ich Ihnen – müssen Sie über bestimmte Hürden springen. (Beifall der Abg. Petra Bierwirth [SPD]) (Beifall bei der SPD) Jetzt kann man natürlich sagen, ihr hättet mehr kämp- fen müssen. Aber ich will an dieser Stelle feststellen: All Ich finde, man muss an dieser Stelle auch sagen, dass diejenigen, die in diesem Raum sitzen, haben gekämpft das, worüber wir heute beraten, in einem nicht ganz ein- und sich dafür eingesetzt. Ich bedanke mich ausdrück- fachen Umfeld passiert. Alles, was Naturschutz und lich auch bei meinen Berichterstatterkolleginnen und Wasserrechte anbelangt, passiert in einem schwierigen -kollegen. Umfeld. Wir alle brüsten uns mit Forderungen nach bio- logischer Vielfalt und deren Erhalt. Wenn es aber um die Wir müssen uns schon die Frage stellen, in welcher Sache geht – Josef Göppel hat darauf hingewiesen –, Zeit wir leben, wenn hauptsächlich jemand, der nicht dann wird es schwierig. Deswegen sind wir gut beraten, Mitglied des Kabinetts und des Deutschen Bundestages klarzumachen, dass es einen weiteren Standardabbau ist, die Kraft und die Macht hat, ein solches Projekt zu mit dieser Großen Koalition nicht geben wird. boykottieren. Wir müssen uns die Frage stellen, ob es nicht die ureigene Aufgabe einer Kanzlerin ist, in diesem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Moment von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (B) machen und zu sagen, dass dieses Umweltgesetzbuch, NEN]: Weiterer Abbau!) (D) für das sie selbst gestritten hat, alternativlos ist und Zu- – Frau Kotting-Uhl, ich gebe Ihnen recht. Natürlich ge- stimmung verdient hätte. hört zur Kompromisssuche auch, dass man bestimmte (Beifall bei der SPD) Dinge entscheidet. Ich glaube, dass das Erreichen unse- res Ziels, ein einheitliches Umweltrecht zu schaffen, un- In einer Regierungschefin, die ihre Richtlinienkompe- mittelbar damit verbunden ist, dass man Standards auf- tenz hätte ausüben müssen, sehe ich die Hauptlast. und abbaut. Nehmen Sie das Beispiel Gewässerrand- Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, einen kleinen streifen. Wenn Sie vereinheitlichen wollen und eine Hoffnungsschimmer gab es ja, als Sie, Herr Meierhofer, bundeseinheitliche Regelung finden wollen, stellen Sie in der Ausschusssitzung gesagt haben: Wir haben dies fest, dass in den Bundesländern heute unterschiedliche im Koalitionsvertrag in Bayern bzw. im Rahmen der Regelungen existieren. Eine einheitliche Regelung Absprachen geregelt. Auch Sie sind auf den Boden der würde für das eine Bundesland einen Standardaufbau Tatsachen zurückgeholt worden. Die CSU, die anschei- und für das andere Bundesland eine Standardsenkung nend Profilierungssüchte in dieser Richtung entwickelt bedeuten. Das bringt ein solches Gesetz mit sich. hat, hat auch Sie nicht handeln lassen. Insofern muss ich Das Gleiche gilt für das, was die FDP kritisiert hat: sagen: Auch Sie haben gekämpft, aber auch Sie haben Rechtsunsicherheit. Wenn ich vereinheitliche, neue Ge- verloren. Wir haben gemeinsam verloren. Vielleicht kön- setze und neue Begriffe konzipiere, sind diese ausle- nen wir es gemeinsam ja besser machen. gungsfähig. Die Frage ist immer, ob das Rechtssicher- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, lassen heit mit sich bringt. Wir können uns nur die Frage Sie mich einen Satz zu Ihrem Antrag sagen, der uns stellen, ob unsere Arbeit überflüssig ist. Wenn ja, dann heute ebenfalls vorliegt. Ihr Antrag ist ein schönes Bei- sollten wir das lassen. Ansonsten, wenn wir Reformen spiel dafür, dass die Schlagworte Entbürokratisierung machen wollen, sollten wir mutig sein, neue Begriffe und Bürokratieabbau gut klingen, es aber, sobald es ans finden und für Vereinheitlichung sorgen. Ich bitte Sie Eingemachte geht, richtig schwierig wird. Mit Ihrem deshalb, nicht so sehr mit Schlagworten um sich zu wer- Antrag greifen Sie das auf, was im Zuge der Verhandlun- fen. gen aufgenommen wurde. Sie haben als Erste gesagt, Ich will drei Problemfälle ansprechen, die mir wichtig dass es nicht sein kann, dass die Rechte der Leute, deren sind: Vorfahren im 13. Jahrhundert Wasserrechte erworben haben, durch ein neues Gesetz in irgendeiner Form ver- Erstens. Wir debattieren zurzeit über die sogenannten einheitlicht werden. Baumschulen. Das scheint mir ein Problemfall zu sein, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22991

Dr. Matthias Miersch (A) den wir uns anschauen müssen. Auch in diesem Zusam- (Josef Göppel [CDU/CSU]: Das ist ja auch der (C) menhang rate ich dazu, sich die einzelnen Länderrege- Koalitionsausschuss! – Dirk Niebel [FDP]: lungen, die gegenwärtig schon existieren, beispielsweise Das ändert sich!) in Baden-Württemberg, anzuschauen. Dann sollten wir – Ja, schade; aber es kann ja noch werden. darüber diskutieren, ob die Verabschiedung dieses Ge- setzentwurfs den Untergang des Abendlandes zur Folge Ich möchte noch einmal auf die Ausführungen meines hätte oder ob er praktikable Regelungen enthält. Ich bin Kollegen Herrn Kauch kommen, der hier für die Nieder- mir sicher, dass die Beteiligten gemeinsam eine gute Lö- sachsen schon eine Bresche geschlagen hat. Im Hinblick sung finden können. auf die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes ist uns klar – da stimmen wir mit dem Bundesumweltminister Der zweite Problemfall sind die Sportverbände; überein –, dass wir bundeseinheitliche Vorschriften im Stichwort: freier Zugang zur Landschaft. Wir müssen Naturschutzrecht brauchen. Sonst haben wir eine uns anschauen, ob das Konzept ausreichend ist. Ich will Rechtszersplitterung, die weder der Umwelt noch der die Beratungen gerne konstruktiv begleiten. Wirtschaft hilft. Das wollen auch wir nicht. Der dritte Punkt sind wasserrechtliche Fragen, bei de- (Beifall bei der FDP) nen es beispielsweise um die Einpressung von Lager- stättenwasser geht. Auch diesen Bereich will ich aus- Das UGB als Gesamtpaket war immer ein Kompromiss. drücklich als Baustelle benennen. Einzelne Regeln werden auch in der Zukunft umstritten bleiben. Ich glaube, dass wir auch über das Bundesnatur- Liebe Kolleginnen und Kollegen, letztlich ist das Um- schutzrecht noch viele Diskussionen führen werden. weltgesetzbuch meines Erachtens ein Beispiel dafür, Herr Gabriel, das wird nicht einfach durchgewunken dass wir beim Aufbau des föderalen Systems längst werden; da bin ich mir sicher. nicht am Ende sind. Ich bitte darum, dass wir uns auch künftig im Parlament die Frage stellen, ob Deutschland Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ist aus im europäischen Kontext zeitgemäß aufgestellt ist. Ich niedersächsischer Sicht ein Hauptthema; das ist hier glaube, es bestehen noch viele Defizite. Die Beratungen schon angeklungen. Wir meinen, dass die Föderalismus- zum Umweltgesetzbuch haben diese Defizite in Gänze reform, die eine bundesrechtliche Vollregelung ermög- offengelegt. Trotzdem müssen wir das Beste daraus ma- licht, nicht dazu führen darf, dass die Länder in ein enges chen. Diese drei Gesetze werden die ersten Kapitel eines Korsett gepresst werden. Wir als FDP glauben vielmehr Umweltgesetzbuches sein; dessen bin ich mir sehr si- daran, dass man den Ländern viel zutrauen kann und cher. dass man ihnen bei der Findung von Lösungen für den Naturschutz flexible Regelungen geben sollte. (B) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank. (D) (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Das muss nicht automatisch zu Absenkungen von Stan- dards führen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Nicht automa- Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika tisch, aber gelegentlich schon!) Brunkhorst für die FDP-Fraktion. Ich traue den Ländern zu, sehr verantwortungsvoll damit (Beifall bei der FDP) umzugehen. Ein monetärer Ausgleich muss nicht per se zu ökologischen Verschlechterungen führen. Auch da Angelika Brunkhorst (FDP): kann man in Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gute Diskussionen führen und gute Lösungen finden. Es bleibt kaum noch etwas zu sagen: tiefe Betroffenheit (Beifall bei der FDP) an allen Ecken und Enden. Angesichts der intensiven Vorarbeiten bereits in den 90er-Jahren unter einer Um- Wer die Geschichte des Naturschutzes kennt, weiß, weltministerin , die heute die Chefin der dass es die Länder waren, die als Erste den Naturschutz Regierung ist, und angesichts dessen, was hier von vie- entdeckt und auch als Erste Ziele entwickelt haben. So len Akteuren geleistet worden ist, muss man sich wirk- gab es bereits 1975 die ersten Landesnaturschutzgesetze. lich fragen: Wie konnte es passieren, dass es nicht zu ei- Der Bund verabschiedete ein Jahr später ein entspre- nem Umweltgesetzbuch gekommen ist? chendes Gesetz. Bereits 1984 hat die Bayerische Staats- regierung – ich will, dass die Bayern hier nicht völlig (Beifall der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] verteufelt werden; mein Mädchenname ist Huber; viel- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) leicht sagt das einigen etwas – Ich habe leider auch nicht gehört, Herr Minister Gabriel, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja inte- dass Sie einmal mit dem Entwurf des UGB in den Koali- ressant! – Dirk Niebel [FDP]: Das ist ja alles tionsausschuss gegangen sind. besser geworden! – Lutz Heilmann [DIE LINKE]: Jetzt wollen wir es aber ganz genau (Josef Göppel [CDU/CSU]: Doch! Zweimal!) wissen!) – Sind Sie? Davon habe ich nichts gehört. Na gut, dann den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu einem ist das untergegangen. Staatsziel gemacht. Wenn ich jetzt noch einen draufset- 22992 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Angelika Brunkhorst (A) zen darf: Wer hat überhaupt den Naturschutz, den Um- ligen Veranstaltungen haben wir über das UGB II (C) weltschutz erfunden? Schauen Sie bitte einmal in die diskutiert. Öffentlicher und transparenter, als es in die- Freiburger Thesen der FDP von 1971. sem Fall geschehen ist, kann man ein Gesetz wohl kaum erarbeiten. (Josef Göppel [CDU/CSU]: Ihr seid in der Zeit danach schmählich davon abgerückt! – Gerd (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bollmann [SPD]: Da sollten Sie nachgucken! Karl-Hermann Flach!) In den letzten Monaten hat der Gesetzentwurf eine ganze Reihe von Veränderungen erfahren. Bei seiner ers- Ein schönes Wochenende! ten Überarbeitung habe ich in mehr als 40 Punkten Ge- (Beifall bei der FDP) sprächsbedarf mit dem Umweltministerium angemeldet. Geduldig und mit großer Sachkunde wurde immer wie- der auf die vorgetragenen Bedenken eingegangen. Des- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: wegen kann ich die Kritik an den Mitarbeitern des Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Ministeriums überhaupt nicht nachvollziehen. Ulrich Petzold. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die Änderungswünsche von Industrie, Landwirt- Ulrich Petzold (CDU/CSU): schaft, Wasserwirtschaft und Umweltverbänden waren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten zu bedenken und oftmals gegeneinander abzuwägen. So Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben wir uns zum Beispiel sehr lange mit dem Thema Lieber Herr Minister, ich glaube, Sie haben Ihr Gesetz- Gewässerrandstreifen beschäftigt. Hier standen sich gebungslicht heute etwas zu sehr unter den Wahlkampf- Extreme gegenüber. In dem einen Bundesland waren die scheffel gestellt. Ihre Mitarbeiter, die wirklich sehr gut Gewässerrandstreifen zehn Meter breit, in einem ande- an dem Gesetz gearbeitet haben, haben Dank verdient. ren Bundesland null Meter. Dennoch haben wir hier eine Ihr Ministerium ist nicht so schlecht. Lösung gefunden. Das gelang uns auch in vielen anderen Fällen. (Beifall bei der CDU/CSU) Wir haben einen Gesetzentwurf vorliegen, durch den Ein Knackpunkt ist allerdings geblieben: Im UGB er- die europäischen Vorgaben des Wasserrechtes umgesetzt folgte eine Neuordnung der Gestattungsformen. Dies werden, und einen weiteren Gesetzentwurf, in dem die wurde getan, um die Gestattungsformen im Immissions- Möglichkeiten aufgegriffen werden, die uns die Föde- recht und im Wasserrecht in Übereinstimmung zu brin- (B) ralismuskommission im Umweltbereich geschaffen hat. gen. Gerade diese Maßnahme wurde, wie vom Minister (D) Nun werden einige sagen – einige haben es ja auch erwähnt, auch vom Normenkontrollrat begrüßt und im schon gesagt –: Es ist der Spatz in der Hand statt der Hinblick auf den Bürokratieabbau als förderlich bewer- Taube auf dem Dach. Wir Umweltpolitiker im Deut- tet. schen Bundestag hatten uns die Taube auf dem Dach, Es war jedoch nicht möglich, ein wesentliches Pro- das Umweltgesetzbuch, gewünscht. Aber wir haben end- blem im Rahmen des UGB auszuräumen: Mit dem Weg- lich das Ziel einer bundeseinheitlichen Regelung des fall der Gestattungsform Bewilligung war der Wegfall Wasserrechts statt vieler Landeswassergesetze erreicht. einer Gestattungsform im Wassergenehmigungsrecht Stückwerk ist es also nicht. vorgesehen, die ein hohes Schutzniveau gegenüber den Es war beileibe keine leichte Geburt. Seit eineinhalb Ansprüchen Dritter oder der Behörden bietet. Viele Be- Jahren beschäftigen wir uns mit der Umsetzung des denken richteten sich dagegen, auch wenn Bewilligun- Wasserrechts. Das BMU hat dabei einen völlig neuen gen nur noch eine geringe Rolle im Reigen der Gestat- Weg der Gesetzeserarbeitung eingeschlagen, indem es tungsformen spielen. Auf der anderen Seite wäre die gemeinsam mit den Experten der Bundesländer einen gebundene Entscheidung des Immissionsschutzrechts Vorentwurf erarbeitet und ihn anschließend sofort zur durch die neu eingeführte integrierte Vorhabengenehmi- allgemeinen Diskussion ins Internet gestellt hat. Wenn gung in die behördliche Ermessensentscheidung des die Opposition jetzt den Vorwurf äußert, der vorliegende Wasserrechts eingebettet worden. Damit wäre die gebun- Gesetzentwurf werde durch das Parlament gepeitscht dene Genehmigung entfallen. und sei nicht hinreichend beraten worden, Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Im Gegen- Neuregelung des Wasserrechts wird dieses Problem ge- teil!) löst. Im Wasserrecht mit seinem hohen Schutzniveau wird die Gestattungsform der Bewilligung erhalten, und kann ich Sie nur fragen: Worüber haben Sie in den ver- die behördliche Ermessensentscheidung wird nicht auf gangenen Jahren mit uns diskutiert? das Immissionsschutzrecht ausgeweitet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Natürlich sind längst nicht alle Probleme und Beden- der SPD) ken ausgeräumt. So müssen wir uns im Verfahren mit Si- Das UGB II, das in wesentlichen Teilen mit dem vor- cherheit noch einmal mit Fragen der Reinhaltung, der liegenden Gesetzentwurf übereinstimmt, ist seit Novem- Mindestwasserführung und der Durchgängigkeit be- ber 2007 in dieser Form im Internet zu finden. In unzäh- schäftigen, wenn wir zum Beispiel die kleine Wasser- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22993

Ulrich Petzold (A) kraft als erneuerbare Energie erhalten und fördern wol- CSU hat sich also den Konzernen und dem BDI ange- (C) len. dient, anstatt eine Politik für Umwelt, Bevölkerung und Mittelstand zu machen. Besonders brisant ist, dass der Nicht von der Hand zu weisen ist die Forderung, der Geschäftsführer des BDI der ehemalige bayerische Um- öffentlichen Trinkwasserversorgung der Bevölkerung weltminister ist. Vorrang einzuräumen. Das ist allein deshalb erforder- lich, weil wir sie von der Brauchwasserentnahme ab- (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Auch ein guter grenzen müssen. Mann!) Wir sollten heute nicht nur über die kritischen Punkte Als Folge des UGB-Desasters wird nun für den Was- des Gesetzentwurfes diskutieren. Die Zusammenführung serbereich ein neues, eigenes Wasserhaushaltsgesetz fäl- von 16 Landeswassergesetzen und einer europäischen lig. Wir haben zwar als Oppositionspartei nicht mehr die Richtlinie ist nach Meinung vieler Experten besser ge- allerletzten Entwürfe des UGB gesehen; aber es ist be- lungen, als erwartet wurde. Durch die im Vergleich zum kannt, dass die Fortschritte, die in früheren Entwürfen alten Wasserhaushaltsgesetz übersichtlichere und syste- erzielt wurden – sie wurden einige Male genannt –, jetzt matischere Gestaltung des Gesetzentwurfs werden grö- nicht mehr enthalten sind. Das finden wir schade. Wir ßere Transparenz und Verständlichkeit geschaffen. Es wissen, dass das UGB vor allem von der CSU völlig zer- erfolgen Klarstellungen der Rechtslage und der Begriff- pflückt wurde. lichkeiten. Die Gestattungsformen werden gestrafft und Nehmen wir beispielsweise die Anlagen an oberirdi- der Entwicklung des Umweltrechts angepasst. schen Gewässern und die Gewässerrandstreifen. War im Uns liegt eine europataugliche Vollregelung vor, die UGB-Entwurf vom November 2007 noch der Einsatz über das bisherige Rahmenrecht deutlich hinausgeht. Für von Pflanzenschutzmitteln und Pestiziden verboten, so Wirtschaft und Umwelt schafft dieses Gesetz mehr Klar- ist er nach § 38 des neuen Wasserhaushaltsgesetzes wie- heit. Außerdem eröffnet es aufgrund der sich ergebenden der erlaubt. Im Verfahren wurde die Breite des Gewäs- Rechtssicherheit Chancen für Wirtschaft und Umwelt. serrandstreifens im Außenbereich von ursprünglich an- gedachten 10 Metern auf 5 Meter gesenkt. Ich habe eingangs vom Spatz in der Hand gesprochen. Lassen Sie uns in den nächsten Wochen daran arbeiten, § 34 Wasserhaushaltsgesetz, der die Durchgängig- diesen Spatz vielleicht doch in eine Taube zu verwan- keit der Gewässer behandelt, ist im Vergleich zur UGB- deln. Version von November 2007 quasi substanzlos: War ur- sprünglich die geforderte Durchgängigkeit von Stauanla- Danke schön. gen erst dann gegeben, wenn Gewässerorganismen schadlos stromaufwärts und stromabwärts passieren (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (D) können und der Transport von Geschiebe im Gewässer Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gewährleistet ist, so fehlen diese qualitativen Bestim- mungen nun völlig. Das ist sehr schade, denn das wäre Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva Bulling- revolutionär gewesen. Fischtreppen für den Aufstieg Schröter für die Fraktion Die Linke. sind ja schön und gut. Nach der ursprünglichen UGB- (Beifall bei der LINKEN) Regelung hätten aber erstmals Konzepte dafür entwi- ckelt werden müssen, wie Fische auch wieder schadlos Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): nach unten wandern können. Da sucht sich der Aal näm- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lich nicht die Treppe, sondern nutzt die Hauptströmung, Die Herren Söder und Seehofer haben offensichtlich was ihm aufgrund seiner ungünstigen Körperform spä- nicht begriffen, das ein einheitliches Umweltrecht nicht testens an den Turbinenschaufeln nachhaltige Probleme nur der Umwelt, sondern auch dem Gros der Wirtschaft bereitet. nutzt. Als Bayerin kann ich Ihnen nur sagen: Sie machen Wenigstens ist es ein Fortschritt, dass nunmehr das momentan Fundamentalopposition. Wenn ich mir an- Gebot einer Mindestwasserführung greifen könnte. schaue, was da so passiert, glaube ich, sie wollen die Diese ist erstmals in § 33 verankert. Dadurch kann ver- Wähler ziemlich verarschen. hindert werden, dass zu viel Wasser aus einem Fluss für (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Ernst Wasserkraftanlagen oder Kraftwerke abgezweigt wird Hinsken [CDU/CSU]: Das ist falsch! Das neh- und dadurch die ökologische Funktionsfähigkeit des Ge- men Sie sofort zurück!) wässers Schaden nimmt. Das geschieht bislang in tro- ckenen Sommermonaten nicht selten, weil man mit aller Sie wollen klarmachen, dass sie in Bayern regieren. Macht Kleinwasserkraftanlagen am Laufen halten will. Aber Sie regieren auch in Berlin. Das will man ver- schleiern, und deswegen macht man solche Dinge. Allerdings ist in § 35 der ursprünglich vorgesehene Verweis auf den Stand der Technik bei der Nutzung von (Horst Meierhofer [FDP]: „Verschleiern“ ist Wasserkraftanlagen gestrichen worden. Auch dies ist besser!) eine Abschwächung. Gewonnen haben nur wenige Großunternehmen, die Beim Hochwasserschutz fordert das Gesetz von den glauben, sich mit ihren Stäben im Genehmigungs- Ländern die Festsetzung von Überschwemmungsgebie- dschungel besser bewegen zu können als die Konkurrenz ten innerhalb bestimmter Fristen. Da war die Bundesre- der kleinen und mittelständischen Unternehmen. Die gierung zögerlich. Sie hätte sich am Landeswassergesetz 22994 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Eva Bulling-Schröter (A) von Baden-Württemberg orientieren können, was Büro- dies über einen ganz normalen elektronischen Datenver- (C) kratie erspart hätte. kehr zwischen der Bundesnetzagentur und den Länder- behörden erfolgen. Das bedeutet keinen Mehraufwand (Dirk Niebel [FDP]: Wer regiert da?) für die Funker; das ist im Sinne der Funker. – Das ist ja wurscht, wenn es vernünftig ist. Die Technik wurde bisher im Fernmelderecht gere- (Dirk Niebel [FDP]: Das ist wichtig! – Heiter- gelt, und das bleibt auch so. Die Grenzwerte für den Ge- keit bei der FDP) sundheitsschutz werden in der 26. BImSchV festge- schrieben, und das ist vernünftig. Ich meine, es gibt ganz viele Dinge, die hätten getan werden müssen. Wenn in einem Land etwas Positives (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) passiert, dann darf man das auch einmal loben. Wir wün- schen uns natürlich, dass Sie es auch einmal akzeptieren, Ich komme nun zu den Solarien. Wir haben vorhin wenn wir positive Dinge sagen. darüber gesprochen, Herr Minister. Es wird öffentlich darüber diskutiert, dass UV-Strahlung die Haut schädi- Danke. gen kann, wenn nicht bedarfsgerecht vorgegangen wird. (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. Die Medien berichten von bis zu 3 000 Hautkrebserkran- Kolb [FDP]: Wenn es dazu käme, Frau kungen bzw. -toten im Jahr. Das ist natürlich bedenklich. Bulling-Schröter, dann könnten wir uns das Hinweise von Organisationen – die Sie angesprochen überlegen!) haben –, dass dies auf die Solariennutzung zurückzufüh- ren sei, haben Sie im Ministerium zum Anlass genom- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: men, auf ein Verbot hinzuwirken beziehungsweise zu sa- Das Wort hat der Kollege Jens Koeppen für die CDU/ gen: Wir erlauben den Besuch eines Solariums erst ab CSU-Fraktion. einem Alter von 18 Jahren. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Sehr rich- neten der SPD) tig!) Ich erlaube mir allerdings, zu fragen, lieber Kollege Jens Koeppen (CDU/CSU): Müller, ob dieses Verbot wirklich gerechtfertigt ist, ob es Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ausreichend begründet ist, ob es verifiziert ist und ob die Verehrte Gäste! Wir sind emsig dabei, die Fragmente des Kausalität zu den Solarien hergestellt ist. Ich denke, da- Umweltgesetzbuches irgendwie einzusammeln. Natür- bei haben wir noch ein bisschen Beratungsbedarf. (B) lich wäre es schön gewesen, wenn das Umweltgesetz- (D) buch in Gänze gekommen wäre. Aber es ist eben auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wahr, dass es keine Einigung gab. Deswegen müssen wir Es gibt andere Studien, die ganz klar zum Ausdruck jetzt alles dafür tun, dass wir bundeseinheitliche Rege- bringen, dass Solarien auch eine schützende Wirkung lungen hinbekommen, dass es nicht wieder einen Flicken- bzw. Funktion haben. Ich nenne nur die Vorbräunung der teppich gibt, dass die Umweltgesetzgebung nicht wieder Haut und den Lichtschutz der Haut. Wenn man nämlich zerfasert wird, ähnlich wie es bei den Umweltzonen war, ungebräunt in den Urlaub fährt und sich dort in die als wir etwas Gutes wollten, aber letztendlich eine Sonne legt, ist das wesentlich gefährlicher, Herr Minis- Katastrophe entstanden ist. ter, als wenn man sich bedarfsgerecht im Solarium Vor diesem Hintergrund möchte ich zwei Themen aus bräunt. dem ehemaligen Buch IV näher benennen. Dies sind die Es gibt auch andere gesundheitsfördernde Wirkungen. Bereiche Amateurfunk und Solarien. Sie wissen das alle. Es gibt verschiedene Studien, die Beim Umweltgesetzbuch IV geht es um die nicht- saisonale und bei manchen auch permanente Vitamin-D- ionisierende Strahlung, also um elektrische, elektroma- Mangelerscheinungen belegen. Das kann man zu gnetische und optische Strahlung. Es gibt eine EU-Emp- 90 Prozent deckeln, wenn man sich einer bedarfsgerech- fehlung, wonach die Grenzwerte ausgeweitet werden ten Besonnung unterzieht. sollen und der gesamte Frequenzbereich von 0 bis Ist also das Eingreifen gerechtfertigt? Ich denke, eine 300 Gigahertz jetzt Bestandteil des Umweltrechts wer- Festlegung auf 16 oder 18 Jahre ist eine rein willkürliche den soll. Dies soll sowohl für private als auch für dienst- staatliche Festlegung. Wir müssen vielmehr an die Ei- liche als auch für gewerbliche Anwendungen gelten. genverantwortung appellieren. Das ist für mich ganz Deswegen wurde das jetzt so aufgenommen. Meiner wichtig. Meinung nach ist damit ein sinnvoller Gleichstand aller Bereiche der Funktechnik erreicht worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Es gibt natürlich auch Bedenken, dass es zu Parallel- regulierungen kommen könnte. Meine Einschätzung ist Meine Damen und Herren, 16-Jährige haben in ver- – anders als die Einschätzung der Amateurfunker –, dass schiedenen Bundesländern die Möglichkeit, auf kommu- es zu keiner zusätzlichen Belastung kommt. Es gibt nach naler Ebene zu wählen. Sie haben die Möglichkeit, mit wie vor die Verpflichtung zur Selbstanzeige, was die 17 Jahren den Führerschein zu machen. Sie haben die Standortbescheinigung angeht. Das wird auch nach wie Möglichkeit, mit 16 Jahren eine Ausbildung zu machen. vor gemacht. Wenn die Länder etwas anfordern, kann Sie haben sogar die Möglichkeit, Wein und Zigaretten zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22995

Jens Koeppen (A) kaufen. Wie sollen wir als Politiker den 16-Jährigen nun lieber ein einheitliches UGB mit einzelnen Kapiteln auf (C) erklären, dass sie sich nicht mehr ins Solarium begeben den Weg gebracht, statt nur einzelne Kapitel auf dem dürfen? Ich kann das sicherlich nicht. Weg zu diesem UGB aufzuschlagen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich denke, das eine ist, dass man sein Bedauern da- rüber zum Ausdruck bringt, dass es hier letztlich keine Wohin führt denn der zweite Schritt? Verbietet man Einigung zwischen dem Umweltministerium und den übermorgen dann vielleicht den Besuch im Freibad oder anderen beteiligten Ministerien, zwischen dem Bund am Strand? Ich denke, das ist nicht der richtige Weg. und den Ländern und zwischen den Koalitionsfraktionen (Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Sie bagatel- hat geben können. Das andere ist aber, dass man die, wie lisieren!) ich finde, überzogenen und vor allem auch einseitigen Schuldzuweisungen, die wir in dieser Debatte gehört ha- Herr Müller, ich habe natürlich auch eine Anregung ben, zurückweisen muss. und einen Kompromiss vorzuschlagen: Wir lassen auf der einen Seite zu, dass die Jugendlichen nach wie vor Frau Kotting-Uhl, ich möchte bei Ihnen anfangen. Sie mit 16 Jahren ins Solarium gehen dürfen. Auf der ande- haben zu Recht gesagt, dass es nicht reicht, nur zu reden, ren Seite, Herr Minister, könnten wir die jetzt freiwillige sondern dass man auch etwas tun muss. In diesem Zu- Zertifizierung verpflichtend machen. Wir müssen sie sammenhang will ich nur darauf hinweisen, dass das zer- auch verschärfen – hier bin ich ganz auf Ihrer Seite –; splitterte Umweltrecht nicht mit der Abwahl von Rot- denn die Zertifizierung hat bisher nicht zur Verbesserung Grün im Jahre 2005 vom Himmel gefallen ist, sondern der Situation beigetragen, da sie sozusagen alleine im dass sich diese Zersplitterung über Jahre und Jahrzehnte Raume stand. nach und nach aufgebaut hat und dass kein einziger Ver- such aus den sieben Jahren rot-grüner Regierungszeit Ich glaube, damit könnten alle leben: Wir verbessern überliefert ist, diesen Umstand zu beseitigen und ein so die Qualität in den Solarien, wir überprüfen die Geräte- ehrgeiziges Projekt wie das Umweltgesetzbuch auch nur standards, wir setzen einen Grenzwert von 0,3 Watt pro auf den Weg zu bringen. Quadratmeter – wenn Sie Techniker wären, dann würden Sie wissen, dass dann de facto gar nichts passieren kann –, (Beifall bei der CDU/CSU) wir kennzeichnen die Geräte, wir überprüfen die Inspek- tionen, wir dokumentieren die Wartung, und entspre- Deshalb will ich sagen: Wer sich noch nicht einmal aus chendes Personal wird ausgebildet. Ich glaube, das ist der Kabine heraustraut, der sollte nicht die kritisieren, der richtige Weg. die sich auf dem Spielfeld abmühen. (B) Ich komme zum letzten Punkt. Durch ein Verbot wür- (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting- (D) den die Jugendlichen regelrecht in die Hände von Betrei- Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! bern von Hinterhofsolarien getrieben, in deren Geräte Und das von einem Juristen!) Münzen eingeworfen werden. Ich glaube, wenn sie mit Es stellt sich auch die Frage, wie die Diskussion in 5 Euro ungehindert im Solarium sein dürfen, dann schä- der Bundesregierung war. Minister Gabriel hat über hell- digen sie sich wirklich. seherische Fähigkeiten der Bundeskanzlerin spekuliert. Mein Fazit: Bei allen Dingen, über die wir beraten, Herr Minister, ja, die Kanzlerin kennt ihre Partei, aber brauchen wir keinen Aktionismus. sie kennt auch ihre Minister. (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE Ich glaube, bei der Diskussion über die Frage, warum GRÜNEN]: Von Aktionismus würde ich nicht wir uns heute da befinden, wo wir sind, kommen wir reden!) nicht umhin, auch den Anteil des Mitverschuldens anzu- sprechen, den das Bundesumweltministerium trägt, das – Frau Kotting-Uhl, wir brauchen Aufklärung statt Ver- einen Entwurf für das im Koalitionsvertrag verabredete unsicherung, Zertifizierung statt Verbote und Eigenver- Projekt erst spät vorgelegt hat, das diesen Entwurf mit antwortung statt Bevormundung. den Umweltverbänden ausführlich diskutiert hat – was Vielen herzlichen Dank. richtig war –, das den Entwurf aber zu wenig auch mit den anderen betroffenen Akteuren in der Landwirtschaft (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting- und in der Wirtschaft diskutiert hat und das ihn mit den Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aktionis- Ministerien, die diese Anliegen vertreten, nicht abge- mus nach drei Jahren?) stimmt hat. Sie haben mit diesem Gesetzentwurf vor allem ein Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ziel nicht erreicht. Sie haben vorhin gesagt, dass es eine Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Verabredung gab, wonach dieses Umweltgesetzbuch ein Andreas Jung für die Fraktion der CDU/CSU. Projekt für Verfahrenserleichterungen und Rechtsverein- (Beifall bei der CDU/CSU) heitlichung, aber eben gerade nicht für Bürokratieaufbau sein sollte. Deshalb habe man vereinbart, keine Stan- dardabsenkungen vorzunehmen – das ist richtig –, aber Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): auch keine Standardverschärfungen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis: Wir Umweltpolitiker hätten heute (Beifall bei der CDU/CSU) 22996 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Andreas Jung (Konstanz) (A) Ihr erster Entwurf ist diesem Anspruch aber gerade das bisher gefehlt hat. Die integrierte Vorhabensgeneh- (C) nicht gerecht geworden. Es gab nämlich an zahlreichen migung im Umweltgesetzbuch I ist sozusagen das Dach, Stellen in allen Büchern und Regelungsbereichen Ver- an dem wir in der nächsten Legislaturperiode weiter- schärfungen und Vorschläge, die zu mehr Bürokratie ge- bauen werden. führt hätten. Wir haben eine Liste all dieser Punkte er- Herzlichen Dank. stellt, die im Umfang an ein mittleres Telefonbuch erinnert. (Beifall bei der CDU/CSU) Zur Wahrheit gehört auch das, was die Kollegen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Petzold, Meierhofer und andere angesprochen haben: dass es in zähen Verhandlungen gelungen ist, Schritt für Ich schließe die Aussprache. Schritt diese Punkte abzuarbeiten und dass es dabei auch Bezüglich der Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d Entgegenkommen gegeben hat. Letzten Endes ist es aber wird interfraktionell die Überweisung der Gesetz- nicht gelungen, das Misstrauen, das durch dieses Vorge- entwürfe auf den Drucksachen 16/12274, 16/12275, hen gesät worden ist, in allen Punkten auszuräumen. 16/12276 und 16/12277 an die in der Tagesordnung auf- Wenn Sie die Leute auf die Bäume treiben, muss man geführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, Sie sich nicht wundern, wenn nicht alle wieder herunter- sind damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen kommen. Es erklärt nicht alles, aber es ist ein Teil der so beschlossen. Wahrheit und ein Grund, warum es letzten Endes nicht Zusatzpunkt 9. Dabei geht es um die Abstimmung zur Einigung gekommen ist. über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um- (Beifall bei der CDU/CSU) welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Titel „Verfahren vereinfa- Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Teilweise chen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit schaffen – Not- wurde durch Schwarzmalerei versucht, den Eindruck zu wendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Pro- erwecken, dass derjenige, der für das Umweltgesetzbuch jekts ‚Umweltgesetzbuch‘“. Der Ausschuss empfiehlt in in der Fassung des jetzt vorliegenden besseren Entwurfs seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10393, ist, für mehr Umweltschutz ist, und dass derjenige, der den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9113 gegen diesen und andere Entwürfe argumentiert hat, da- abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- gegen ist. So einfach ist das nicht. Das haben die Aus- lung? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist führungen unseres „Wassermanns“ Ulrich Petzold ge- die Beschlussempfehlung angenommen mit den Stim- zeigt. Er hat darauf hingewiesen, dass die im Bereich des men der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/ Wasserrechts vorgeschlagenen Regelungen die Sorge be- Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Gegenstim- (B) gründen, dass der Kleinwasserkraft buchstäblich der men der FDP-Fraktion. (D) Hahn zugedreht wird. Bei der Kleinwasserkraft geht es Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auch um die Förderung erneuerbarer Energien. Es geht sowie Zusatzpunkt 10 auf: um mehr Klimaschutz und damit auch um Umwelt- schutz. Damit heißt es in dieser Frage nicht „BDI gegen 33 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Umweltschutz“ oder „Kohlekraftwerke gegen Umwelt- Ernst, Volker Schneider (Saarbrücken), schutz“. Vielmehr steht Umweltschutz gegen Umwelt- Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der schutz. Wir müssen in diesem Bereich eine Abwägung Fraktion DIE LINKE vornehmen. Das macht die Materie sehr komplex und an Erhöhung der Regelaltersrente auf 67 zurück- mancher Stelle schwierig. nehmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – Drucksache 16/12295 – Überweisungsvorschlag: Ich komme zum Schluss. Manche Redner haben fest- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) gestellt, dass wir heute mehr über das reden, was ausge- Innenausschuss blieben ist, als über das, was kommt. Ich rate uns allen Finanzausschuss davon ab. Denn was die Regelungen angeht, die kom- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend men, ist es zwar bedauerlicherweise wahr, dass die im Ausschuss für Gesundheit ersten Teil des Umweltgesetzbuchs vorgesehene inte- Haushaltsausschuss grierte Vorhabensgenehmigung noch nicht kommt. Es b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- kommen aber Regelungen zum Naturschutz und zur richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales Landschaftspflege, zum Wasserrecht und zur nichtioni- (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten sierenden Strahlung. Damit bringen wir heute die mate- Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, riell-rechtlichen Regelungen, die im Umweltgesetzbuch Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der vorgesehen waren, auf den Weg. Das macht deutlich, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass die gute Arbeit, die in den Ministerien im Bund und in den Ländern wie auch von den Berichterstattern und Kurs halten bei der Erwerbsintegration von Mitgliedern der Fraktionen im Umweltausschuss geleis- älteren Beschäftigten – Teilrenten erleichtern tet wurde, nicht vergeblich war. Wir schöpfen vielmehr – Drucksachen 16/9748, 16/11501 – die Kompetenzen, die uns durch die Föderalismuskom- mission in diesem Bereich übertragen wurden, aus und Berichterstattung: legen jetzt den Grundstein für ein Umweltgesetzbuch, Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22997

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (A) ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- – Nein, das ist nicht Erich Honecker. Das ist das Wahl- (C) richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales programm der SPD. (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten (Beifall bei der SPD) Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Warum Sie klatschen, verstehe ich überhaupt nicht. der FDP Heute wissen wir genau, dass ein großer Teil der Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall der Menschen in diesem Land, wenn sie in Rente gehen, Zuverdienstgrenzen eine Rente erhält, die nicht mehr ausreicht, um die Kos- ten ihres Lebensunterhalts vernünftig zu decken. – Drucksachen 16/8542, 16/12311 – (Dirk Niebel [FDP]: Wie in der DDR!) Berichterstattung: Abgeordneter Anton Schaaf Viele Menschen werden in der Altersarmut landen, unter anderem wegen der Rente mit 67. Die Rente mit 67 war Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die unnötig. Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich sehe, auch da- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das mit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfah- ist genau falsch!) ren. Wie Sie wissen, erhalten die Menschen, die in den Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das nächsten 20 Jahren weniger als drei Viertel des Durch- Wort der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die schnitts verdienen – das sind etwa 1 900 Euro im Monat –, Linke. im Jahre 2030 nur noch eine Rente in Höhe des Grundsi- (Beifall bei der LINKEN) cherungsniveaus. Nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands wird das Durchschnittsrentenniveau schon im Jahre 2022 unter das Niveau der Grundsiche- Klaus Ernst (DIE LINKE): rung fallen. Erinnern Sie sich noch an das, was Sie da- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und mals plakatiert haben, meine Damen und Herren von der Herren! Die Welt hat sich verändert. Daher ist es not- SPD? Ich gebe zu, dass das länger her ist. Aber damals wendig, dass wir die Konzepte, die vielleicht dem einen waren Sie noch sozialdemokratisch. oder anderen in den letzten Jahren noch schlüssig er- schienen sind, überprüfen und nachdenken, ob das alles Welches ist wirklich das Ziel Ihrer Rentenpolitik? Ihr noch so stimmt, wie es war. Dazu gehört unter anderem Ziel, das Sie mit der Rente mit 67 verfolgen, ist nicht, die Menschen bis zum 67. Lebensjahr arbeiten zu lassen. (B) die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. (D) So viel Realitätssinn traue ich Ihnen noch zu, dass Sie Ich erinnere daran, dass die SPD bei der letzten Bun- selber wissen, dass das nicht geht. Welches ist denn dann destagswahl mit dem Ziel angetreten ist – ich zitiere aus das Ziel? Das Ziel der Rente mit 67 ist eine massive dem Wahlprogramm –: Kürzung der Renten. Unser Ziel ist, das faktische Renteneintrittsalter an (Beifall bei der LINKEN) das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65 Jahren Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. heranzuführen. Ein Müllfahrer, der mit 63 fertig ist, nicht mehr kann und Kurz darauf ging Herr Müntefering mit Frau Merkel dann in Rente geht, muss heute einen Abschlag in Höhe frühstücken. Heraus kam die Rente mit 67. Das war ei- von 7,2 Prozent auf seine Rente hinnehmen. Wenn er ner der größten Wahlbetruge, die bei der letzten Bundes- künftig mit 63 in Rente gehen muss – weil er nicht ge- tagswahl begangen wurden. sünder wird, nur weil er bis 67 arbeiten soll – wird er Rentenabschläge in einer Größenordnung von 14,4 Pro- (Beifall bei der LINKEN) zent hinnehmen müssen. Das ist offensichtlich das, was Sie wollen. Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Ihr Ziel Sie können hier abwinken, so viel Sie wollen. Wenn Sie ist offensichtlich lesen können, dann werden Sie feststellen, dass das im Wahlprogramm der SPD steht. Ich kann es Ihnen noch (Wolfgang Grotthaus [SPD]: So ein dummes einmal zitieren. Nebenbei bemerkt: Wenn natürlich hin- Zeug!) terher Herr Müntefering sagt, „Ich finde es bedauerlich, – Sie können ruhig von dummem Zeug sprechen –, die dass ich nach der Wahl an das erinnert werde, was ich gesetzlichen Renten so weit zu kürzen, dass sich die vor der Wahl gesagt habe“, dann wird es noch schlim- Menschen zusätzlich privat versichern müssen, weil sie mer. sonst im Alter an der untersten Grenze leben müssen. (Beifall bei der LINKEN) Das ist das Ziel Ihrer Politik. Wir stehen vor der Situation, dass das Vertrauen in die Zumindest jetzt, wo wir merken, dass die private Al- Rentenpolitik auf das Äußerste erschüttert ist. Ich habe tersvorsorge nicht funktioniert, wo in Amerika ein gro- Ihnen ein altes Wahlkampfplakat von der SPD mitge- ßer Teil der Menschen damit rechnen muss, überhaupt bracht. Dort steht: „Alter ohne Sorgen – darum SPD“. keine Rente mehr zu bekommen, weil die Rente ver- zockt wurde, und wo selbst in der Schweiz, in der es eine (Zuruf von der CDU/CSU) zweite kapitalgedeckte Säule in der Rentenversicherung 22998 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Klaus Ernst (A) gibt, von Monat zu Monat deutlicher wird, dass die Ich kann Ihnen sagen: In einer solchen Wirtschaftskrise (C) Rente immer weniger wird, müssten Sie doch irgend- und der Erwartung einer hohen Arbeitslosigkeit die wann einmal umkehren und sagen: Die Rente mit 67 ist Menschen länger arbeiten zu lassen, versteht in diesem Unsinn. Die Förderung der privaten Altersvorsorge ist Land kein Mensch mehr. Unsinn. Wir brauchen eine starke gesetzliche Rente. Diese dürfen wir nicht kaputt machen. (Wolfgang Grotthaus [SPD]: In 20 Jahren!) (Beifall bei der LINKEN) Jetzt können Sie sagen: Das höhere Renteneintrittsal- ter wird erst in ein paar Jahren richtig zum Tragen kom- In der gestrigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung men. Glauben Sie denn, dass die Wirtschaftskrise, auf – auch in anderen Zeitungen stand das – war zu lesen: die wir zusteuern, in den nächsten zwei bis drei Jahren Die Zahl der Lehrstellen sinkt um bis zu 10 Prozent. Die spurlos an uns vorbeigegangen sein wird? Glauben Sie Unternehmen bilden um bis zu 10 Prozent weniger aus. nicht, dass es gravierende Veränderungen auf dem Ar- beitsmarkt geben wird? Wer heute noch glaubt, er könne (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mindestlohn so weitermachen wie früher, der befindet sich auf dem ist auf 10 Euro angehoben!) Holzweg. Deshalb sage ich Ihnen: Nehmen Sie die Das ist schon der Vorlauf dessen – das ist mein Eindruck –, Rente mit 67 zurück! dass die Unternehmen offensichtlich annehmen: Wenn die Menschen länger arbeiten, nämlich bis zum Alter (Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L. von 67 Jahren, dann brauchen wir weniger junge Leute; Kolb [FDP]: Das war es? Ich dachte, da wir haben ja dann die Alten. kommt noch etwas! – Gegenruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war es!) (Widerspruch bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Das ist total un- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ter Ihrem Niveau!) Nächster Redner ist der Kollege Peter Weiß für die Offensichtlich kann es nicht anders sein. Wenn das so CDU/CSU-Fraktion. ist, dann würde ich Ihnen empfehlen, einmal darüber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nachzudenken, wo denn die jungen Menschen eine Be- schäftigung finden sollen, wenn die älteren Menschen nicht aus dem Berufsleben ausscheiden: Wo sollen denn Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): dann die jungen Menschen arbeiten? Wenn Ihr Konzept Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- aufgehen und die Menschen tatsächlich zwei Jahre län- gen! Zuerst gilt es, einmal festzuhalten: Diese Woche ger arbeiten würden, was aber nur vereinzelt funktionie- war eine ausgesprochen gute Woche für die Rentnerin- (B) (D) ren wird – das habe ich Ihnen schon erläutert –, dann nen und Rentner in unserem Land. wird das Ergebnis sein, dass die jungen Menschen kei- (Zuruf von der FDP: Das sagst du immer!) nen Ausbildungsplatz und auch keinen Arbeitsplatz fin- den werden. Das ist die Realität. Die Alten dürfen nicht Am Montag hat das Statistische Bundesamt die end- raus, und die Jungen dürfen nicht rein. Das ist sozialde- gültigen Zahlen vorgelegt: Zum 1. Juli dieses Jahres stei- mokratische Politik. Damit schießen Sie den Vogel ab. gen die Renten im Westen um 2,41 Prozent und im Os- ten um 3,38 Prozent. Das ist eine seit vielen Jahren (Beifall bei der LINKEN) wieder erfreuliche Nachricht für die über 20 Millionen Jetzt kommt die Verbindung mit der Krise. Die Frage Rentnerinnen und Rentner in unserem Land. ist: Was bedeutet das jetzt? Wir wissen, dass die Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) losigkeit steigen wird. Ich gehe davon aus, dass im Früh- sommer, wenn die ganzen Maßnahmen, die zurzeit noch Vom wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen andauern, etwa die Kurzarbeit, nicht mehr greifen – die- Jahre profitieren nun endlich auch die Rentnerinnen und jenigen, die zurzeit noch in Kurzarbeit sind, werden Rentner. dann arbeitslos; in anderen Ländern ist das schon so –, (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das wurde auch die Zahl der Arbeitslosen steigen wird. Was bedeutet es Zeit!) in dieser Situation, wenn die älteren Menschen ihre Rente erst mit 67 Jahren bekommen? Sie werden trotz- Gleichzeitig konnte in der Rentenversicherung eine dem eher aus den Betrieben ausscheiden müssen, weil es Rücklage von mittlerweile 15,6 Milliarden Euro gebildet sinnvoller ist, dass die älteren Menschen aus dem Ar- werden; das ist ungefähr eine Monatsausgabe. Vor vier beitsleben ausscheiden, weil sonst keine jüngeren Leute Jahren sah das übrigens noch dramatisch anders aus: Da eingestellt werden. benötigte die Rentenversicherung zusätzliches Geld vom Bund, um die Renten auszuzahlen. (Wolfgang Grotthaus [SPD]: Sie reden über 2029!) Diese beiden Botschaften, endlich wieder eine deutli- che und bemerkenswerte Rentenerhöhung zum 1. Juli – Da können Sie brüllen wie in einem Bierzelt. Das ist dieses Jahres und gleichzeitig eine hohe Rücklage in der so, Herr Kollege, auch wenn es Ihnen nicht gefällt. deutschen Rentenversicherung, zeigen: Es ist eine der (Beifall bei der LINKEN – Peter Weiß [Em- Erfolgsgeschichten dieser Großen Koalition, dass die ge- mendingen] [CDU/CSU]: Woher wissen Sie setzliche Rente heute sicherer und zukunftsfester gewor- das eigentlich?) den ist. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 22999

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- für den Arbeitnehmer um 0,15 bis 0,25 Prozentpunkte, (C) neten der SPD – Dr. Martina Bunge [DIE vermeiden könnte? LINKE]: Das gleicht nicht einmal den Kauf- kraftverlust aus!) (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Das ist falsch!) Mit dem gestern beratenen Bürgerentlastungsgesetz senken wir den Beitrag zur gesetzlichen Krankenversi- Sind Sie tatsächlich der Auffassung, dass das Wohl cherung um 0,6 Prozentpunkte. und Wehe der gesetzlichen Rentenversicherung von die- sen 0,5 Prozentpunkten abhängt, und würden Sie mir, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Den ihr vorher wenn das so ist, darin zustimmen, dass es ganz entsetz- angehoben habt! Tarnen und täuschen!) lich um unsere gesetzliche Rentenversicherung bestellt Auch das wird zum 1. Juli den Rentnerinnen und Rent- sein muss, wenn selbst solche geringfügigen Verände- nern zusätzlich zugutekommen, die dann wieder mehr in rungen katastrophale Folgen für die gesetzliche Renten- ihrem Geldbeutel haben werden. Auch das ist eine gute versicherung haben? Nachricht für die Rentnerinnen und Rentner in Deutsch- (Beifall bei der LINKEN) land. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dirk Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Niebel [FDP]: Gesundheitsfonds!) Herr Kollege Schneider, die Anhebung der Alters- Diese Politik grenze auf 67 Jahre ist eine Antwort auf die sich erst in den nächsten Jahren vollziehende dramatische Verände- (Dirk Niebel [FDP]: Ist schlecht!) rung des demographischen Aufbaus unserer Gesell- der Konsolidierung und Zukunftssicherung des Renten- schaft. Heute sind die sogenannten geburtenstarken Jahr- systems beinhaltet eine ganze Reihe von Maßnahmen. gänge – das sind die heute 35- bis 55-Jährigen; auch ich Dazu gehört als ein wesentlicher Baustein auch die gehöre zu dieser Sorte – schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze bis zum (Dirk Niebel [FDP]: Das sieht man Ihnen aber Jahre 2029 auf dann 67 Jahre. Wer dieses Reformwerk nicht an! – Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: jetzt nachträglich wieder kippen will, der zerstört die So gerade!) Konsolidierungserfolge bezüglich der Rente, der macht die Zukunft der Rentnerinnen und Rentner wieder unsi- alle noch im Arbeitsleben oder – falls sie arbeitslos sind – cherer. suchen Arbeit. Diese geburtenstarken Jahrgänge werden in den kommenden Jahrzehnten in den Ruhestand gehen. (B) (Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU]: Sehr Ihnen folgen Altersjahrgänge nach, die ein Drittel weni- (D) wahr!) ger Personen umfassen. Darauf muss das Rentensystem Deswegen sagen wir im Interesse der Älteren wie der reagieren. Deswegen ist es richtig, dass die Änderung, Jüngeren ein klares Nein zur Rolle rückwärts in der deut- die wir vorschlagen, beim Beitragssatz für Entlastung schen Rentenpolitik. sorgt. Nun haben Sie eine Zahl dazu genannt, was vo- raussichtlich im ersten Jahr an Entlastung möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Grotthaus [SPD] – Dr. Ralf (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE Brauksiepe [CDU/CSU]: Beifall nur vom See- LINKE]: Nein, nein!) heimer Kreis!) – Entschuldigung. Wir gestalten die Rentenversicherung nicht für ein Jahr, sondern für die zukünftigen Generatio- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nen. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider? (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Waren Sie im Ausschuss überhaupt dabei?) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Bitte sehr. Deswegen – das ist genauso entscheidend – sinkt der Rentenversicherungsbeitrag nicht noch mehr. Die Anhe- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): bung der Regelaltersgrenze auf 67 sorgt auch dafür, dass Herr Kollege Weiß, Sie haben eben gesagt, wir wür- wieder Rentenerhöhungen für die Rentnerinnen und den die Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversi- Rentner möglich werden. Was die Linken hier beantra- cherung gefährden, wenn wir das Projekt der Rente ab gen, bedeutet schlicht Rentenkürzungen für künftige 67 wieder kippen würden. Ist es richtig, dass die Deut- Rentnerinnen und Rentner. Das ist die Wahrheit. sche Rentenversicherung Bund in der Anhörung des (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen neten der SPD) Bundestages den Einspareffekt dieser Maßnahme in der Endstufe, also im Jahre 2029, auf maximal 3 bis 5 Mil- In einer solchen Debatte werden immer Unmengen liarden Euro beziffert hat? Ist es weiter richtig, dass man von Zahlen und Prognosen vorgetragen. Bei dem Kolle- das durch eine Anhebung des Beitrags zur gesetzlichen gen Ernst musste man den Eindruck gewinnen, dass die Rentenversicherung um 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte, also Linken sich auf die Krise geradezu freuen; 23000 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Peter Weiß (Emmendingen) (A) (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Natürlich! – umfasst über 1,3 Millionen Frauen und Männer. Diese (C) Anton Schaaf [SPD]: Sie profitieren aber nicht werden im Jahr 2029 – das kann jeder nachrechnen – davon! Das ist das Problem!) 65 Jahre alt sein. Sie sollen nach den Vorstellungen eini- ger dann in Rente gehen. Neu ins Arbeitsleben kommt denn er hat hier Prognosen dazu vorgetragen, was sein dann zum Beispiel der Geburtsjahrgang 2008, also die könnte, wenn noch mehr Leute arbeitslos würden, wenn Jungen und Mädchen, die letztes Jahr geboren worden es weniger Ausbildungsplätze gäbe usw. usf. So kann sind. Wir haben letztes Jahr weniger als 700 000 Gebur- man natürlich auch Politik machen, ten in Deutschland gehabt. (Zuruf von der CDU/CSU: Brandstiftung!) (Dirk Niebel [FDP]: Trotz Frau von der indem man einfach schreckliche Szenarien für die Zu- Leyen! – Gegenruf des Abg. Wolfgang kunft aufzeigt. Grotthaus [SPD]: Sie kann nicht alles selbst machen!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es bringt aber nichts, das schönzureden!) Das heißt auf gut Deutsch: Weniger als 50 Personen sol- Der Punkt ist: Politik muss man mit den Fakten ma- len dann die Arbeit von 100 Personen übernehmen, die chen, die bereits heute feststehen. Dazu möchte ich ei- in Rente gehen. Allein ein solcher Vergleich zwischen nige vortragen: zwei Jahrgängen zeigt, dass wir die Älteren und vor al- lem ihre Erfahrung brauchen, wenn wir unser Sozialsys- Erstens. Die steigende Lebenserwartung, die erfreu- tem und insbesondere die Rente für die Zukunft konsoli- lich ist, sorgt dafür, dass die meisten Menschen länger dieren wollen. Rente beziehen können als je zuvor. Im Jahr 1960 betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer 9,9 Jahre. (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE Heute liegt die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei LINKE]: Deshalb die Rente mit 70!) mehr als 17 Jahren, weil die Menschen länger leben. Da- mit haben sie mehr von ihrer Rente. Nach allen Progno- Dass das so sein wird, zeigt die Tatsache, dass schon sen werden die Lebenserwartung und damit die Renten- heute das faktische Renteneintrittsalter, also das durch- bezugsdauer weiter ansteigen. 2029, also in dem Jahr, in schnittliche Alter, in dem Menschen in Rente gehen, an- dem die Rente mit 67 eingeführt wird, wird die Lebens- steigt. Es lag im Jahr 1995 bei 62,4 Jahren und ist im erwartung noch einmal um drei Jahre länger sein als Jahr 2007 auf 63,1 Jahre angestiegen. heute. Das bedeutet, dass auch bei der Anhebung der Re- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ohne Frühver- gelaltersgrenze in der Rentenversicherung die Rentne- rentung!) (B) rinnen und Rentner länger Rente beziehen können als (D) jede frühere Generation. Das steht schon heute fest. Wer angesichts dieser Tatsache behauptet, die Erhöhung (Dirk Niebel [FDP]: Ist das auch ein Erfolg der der Regelaltersgrenze zum Jahr 2029 bedeute eine Ren- Großen Koalition?) tenkürzung, weil das tatsächliche Renteneintrittsalter nicht ansteige, sagt schlichtweg die Unwahrheit; denn Zweitens. Die Anhebung der Regelaltersgrenze sorgt das Gegenteil ist der Fall. Im Übrigen wird in der Krise dafür, dass die Rentenfinanzen auch in Zukunft stimmen der Beweis für diese Behauptung erbracht. Wie reagie- und Rentenerhöhungen möglich sind. Wer jetzt wie die ren denn – Gott sei Dank – die Arbeitgeber in Deutsch- Linken die Reform wieder kippen will – das muss jeder land auf die Krise? Sie versuchen zunächst einmal, Ar- wissen, der denen nachläuft –, will offenbar den Rentne- beitnehmer nicht zu entlassen, sondern Kurzarbeit rinnen und Rentnern, die in den nächsten Jahren und einzuführen, auch weil wir die Bedingungen für Kurzar- Jahrzehnten in Rente gehen, nur noch Nullrunden zumu- beit deutlich verbessert haben. ten. Das ist die Botschaft der Linken. (Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]) (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Wir wollen eine andere Finanzierung!) Das machen sie nicht, weil sie besondere soziale Wohlta- ten verteilen wollen, sondern weil sie aufgrund der Er- Sie bewahren die Menschen nicht davor, dass sie bis 67 fahrungen der vergangenen Jahre genau wissen, dass sie arbeiten müssen, sondern die Konsequenz ist, dass die dann, wenn sie die guten Leute auf die Straße setzen, Rentnerinnen und Rentner weniger Geld in der Tasche Probleme haben werden, genügend qualifiziertes Perso- haben. nal für ihre Betriebe zu finden, sobald es wieder auf- (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Spieth wärts geht. Deswegen versuchen sie es mit Kurzarbeit. [DIE LINKE]: Sie haben von der Rentenfor- Ich finde, dass die derzeitige Kurzarbeit ein deutliches mel keine Ahnung!) Zeichen der Betriebe in unserem Land ist, dass sie auch die älteren Leute brauchen und diese deswegen nicht auf Im Gegensatz zum vergangenen Jahrhundert wird in die Straße setzen. den kommenden Jahren der sich deutlich beschleuni- gende demografische Wandel dazu führen, dass ältere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in den Vor- neten der SPD – Volker Schneider [Saarbrü- ruhestand geschickt werden, weil sie dringend im Ar- cken] [DIE LINKE]: Warum geht dann die Be- beitsprozess gebraucht werden. Ich nenne Ihnen ein ein- schäftigungsquote der über 60-Jährigen weiter faches Rechenbeispiel. Der Geburtsjahrgang 1964 zurück?) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23001

Peter Weiß (Emmendingen) (A) Ein wesentliches Element der Reformpolitik in der GRÜNEN]: Und was ist mit dem Antrag der (C) Rentenversicherung ist, dass wir die gesetzliche Rente Grünen?) durch die zusätzliche Altersvorsorge ergänzen. Es ist ebenfalls eine Erfolgsgeschichte der Großen Koalition, Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dass sie sowohl die Rahmenbedingungen für den Aufbau Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb für einer betrieblichen Altersvorsorge als auch die Rahmen- die FDP-Fraktion. bedingungen und die öffentliche Förderung für die pri- vate, kapitalgedeckte Altersvorsorge deutlich verbessert (Beifall bei der FDP) hat. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich denke, das Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): hat der Kollege Riester gemacht?) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 78 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Wenn ich den Kollegen Ernst einmal außen vor lasse, Deutschland haben bereits heute Ansprüche in zumin- besteht Einigkeit darüber, denke ich, dass wir alle vor dest einem der zusätzlichen Altersversorgungssysteme dem Hintergrund einer stetig steigenden Lebenserwar- aufgebaut. tung länger arbeiten müssen. Es besteht keine Einigkeit darüber, wie dies erreicht werden kann. Die bisherigen (Dirk Niebel [FDP]: Aber Frau Merkel hat das Erfahrungen zeigen meines Erachtens, wie es nicht geht. nicht gemacht!) Es geht nämlich nicht mit Altersteilzeit, und es geht Deswegen sind die Zahlen, die Herr Ernst hier vorgetra- nicht mit strengen Zuverdienstregelungen. Ich will Ihnen gen hat, allesamt falsch. Bei den allermeisten künftigen das erklären. Rentnerinnen und Rentnern werden die Altersbezüge aus Die Altersteilzeit hat dazu geführt, dass ältere Arbeit- einer Kombination von gesetzlicher Rente, betrieblicher nehmer systematisch aus den Betrieben gedrängt wurden – Altersvorsorge und privater, kapitalgedeckter Altersvor- mit Argumenten, Herr Ernst, wie Sie sie hier vorgetra- sorge, der sogenannten Riester-Rente, bestehen. Sie wer- gen haben: Die Älteren dürfen den Jüngeren nicht die den dank unserer Förderpolitik, mit der wir gerade Ge- Arbeitsplätze wegnehmen. ringverdienern helfen – bei der Riester-Rente fördern wir bis zu 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln, aus Staats- Die Zuverdienstgrenzen führen dazu, dass derjenige, geld; wo gibt es das sonst? –, den Lebensabend mit Al- der einmal aus dem Erwerbsleben raus ist, auch auf tersbezügen verbringen, die hoffentlich deutlich über der Dauer draußen bleibt. Wenn für einen Vollrentner unter Grundsicherung liegen. Das sind die Fakten. Das ist auch 65 Jahren 400 Euro als Zuverdienst erlaubt sind, dann dank der Reformpolitik der Großen Koalition erreicht führt das dazu, dass entweder überhaupt nicht mehr oder (B) (D) worden, und das wird in den kommenden Jahren weiter schwarz gearbeitet wird. Wirkung zeigen. Wir ziehen daraus Konsequenzen. Die FDP will eine (Beifall bei der CDU/CSU) Verlängerung der Erwerbsteilhabe älterer Menschen er- reichen. Wir wollen diese längere Erwerbsteilhabe auf Ich will gern zusammenfassen: Die Reformpolitik im der Basis einer freien Entscheidung unter Wegfall aller Bereich Rente hat dafür gesorgt, dass unser Rentensys- Zuverdienstgrenzen. tem wieder sicherer ist, dass die Rentnerinnen und Rent- ner sich auf die Leistungsfähigkeit der Altersvorsorge- (Beifall bei der FDP) systeme verlassen können und dass den Veränderungen im Altersaufbau unserer Gesellschaft, die erst in den Das unterscheidet uns von der Regierung der Koali- kommenden Jahren wirklich deutlich werden, in einer tion, die mit der Rente mit 67, der Anhebung der starren gerechten und auf Ausgleich zwischen den Generationen Regelaltersgrenze um zwei Jahre, auf Zwang setzt. Diese zielenden Weise Rechnung getragen wird. Anhebung der starren Regelaltersgrenze trifft weder die Erwartungen der Menschen, noch entspricht sie der Wer das alles wieder infrage stellen oder rückgängig Realität; denn nur wenig mehr als 50 Prozent der über machen will, der zerstört das Miteinander der Generatio- 55-Jährigen und 28 Prozent der über 60-Jährigen sind nen, der schafft Entsolidarisierung statt Solidarität, und überhaupt noch erwerbstätig. Weniger als 5 Prozent der der zerstört die finanzielle Sicherheit der Rentenversi- Menschen, die in Rente gehen, sind zu diesem Zeitpunkt cherung. noch sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das muss (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Oh Gott! Von was reden Sie da?) Das müssen Sie sich sagen lassen. Ein zukunftsfestes Rentensystem baut auf Solidarität Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, und Solidität. Wer diese beiden Prinzipien in der Alters- dass die Rente mit 67 von den Menschen vor allem als vorsorge angreift, wie das in den vorliegenden Opposi- eine verkappte Rentenkürzung empfunden wird. tionsanträgen geschieht, muss mit unserem entschiede- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Klaus nen Nein rechnen. Ernst [DIE LINKE] – Volker Schneider [Saar- Vielen Dank. brücken] [DIE LINKE]: Verkappt?) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Auch künftig wird es so sein, dass viele Menschen aus Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE ganz unterschiedlichen Gründen bis zum Alter von 23002 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Heinrich L. Kolb (A) 67 Jahren nicht arbeiten können oder – auch das gibt es – senkung des Rentenniveaus von 67 auf 52 Prozent netto (C) nicht arbeiten wollen. vor Steuern eine immer wichtigere Rolle zukommen. Die FDP macht den Menschen das Angebot, ab dem Im Übrigen sollte man bei der Bewertung unseres 60. Lebensjahr flexibel vom Erwerbsleben in den Ruhe- Vorschlages auch im Blick haben – ich wende mich jetzt stand überzugehen. Wir glauben, dass ein solches Ange- besonders an den Kollegen Ernst –, dass sich die Situa- bot im Ergebnis gerade nicht dazu führen wird, Herr tion auf dem Arbeitsmarkt ab 2012 umkehrt. Das ist ein Schaaf, dass sich nun alle ab dem 60. Lebensjahr verren- Faktum; das ist demografisch absehbar. Ich sage das, ten lassen. weil Sie ja immer die Befürchtung äußern, die Älteren nähmen den Jüngeren die Arbeitsplätze weg. Wenn es (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ denn so ist, dass ab 2012 starke Jahrgänge aus dem Er- DIE GRÜNEN]: Nur die mit hohem Einkom- werbsleben ausscheiden und vergleichsweise schwache men!) Jahrgänge nachrücken, dann werden wir dringend darauf Im Gegenteil: Im Bewusstsein, jederzeit den Umfang der angewiesen sein, dass Ältere bereit sind, noch oder wie- Erwerbstätigkeit zurückführen zu können, werden viele der zu arbeiten. Auch das ist ein bedeutender Punkt länger dabei bleiben, als das bisher der Fall ist. – deswegen führe ich ihn hier an –, warum es wichtig ist, die Zuverdienstgrenzen konsequent zu beseitigen. (Beifall bei der FDP – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!) (Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Ich wusste nicht, dass der Herr Kolb ein solcher Diese Erwartung einer längeren Erwerbsteilhabe, Gewerkschaftsfreund ist!) Frau Schewe-Gerigk, folgt beileibe nicht dem Prinzip Hoffnung. Vielmehr belegen die Erfahrungen aus Drittens. Sozialversicherungsbeiträge werden für Zu- Schweden, dass das genau so funktioniert. verdienste ebenso fällig wie Rentenversicherungsbei- träge. Mit letzteren können auch neue Anwartschaften (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ erworben werden, die zu einem vom Versicherten wähl- DIE GRÜNEN]: Die Erfahrungen zeigen, dass baren Zeitpunkt wieder zur Erhöhung der eigenen Rente das nur die mit hohem Einkommen machen!) eingesetzt werden können. Auch Kranken- und Pflege- Im schwedischen Rentensystem, in dem das normale Ren- versicherungsbeiträge werden bezahlt. Jawohl! Arbeits- teneintrittsalter wie bei uns bei 65 Jahren liegt, ist schon losenversicherungsbeiträge werden nicht fällig. Das jetzt ein flexibler Renteneintritt ab dem 61. Lebensjahr macht für einen Rentner auch keinen Sinn, verschafft möglich. Das führt zu dem Ergebnis – jetzt hören Sie ge- aber aus der Sicht der Unternehmen den Rentnern, die arbeiten wollen, einen Wettbewerbsvorteil, und aus Sicht (B) nau zu –, dass in Schweden sowohl das durchschnittliche (D) Ist-Renteneintrittsalter im Vergleich der EU-25 am der Arbeitnehmer erhöht sich das verfügbare Einkom- höchsten ist, als auch die Erwerbstätigenquote Älterer, men. also der 55- bis 64-Jährigen, im internationalen Ver- Schließlich – das ist der letzte Punkt – gibt es einen gleich, also OECD-weit, mit 72,8 Prozent am höchsten individuellen Zugangsfaktor. Wer länger arbeitet, erhält liegt. In Deutschland liegt diese gerade einmal bei eine höhere Rente. Das gibt es ja im Prinzip heute schon, 52 Prozent. Ich weiß, das geht nicht in Ihre Köpfe. Aber ebenso wie einen kohortenbezogenen Rentenwert, der es ist so. Wir sollten die Augen davor nicht verschließen. die durchschnittliche Rentenbezugsdauer aufgrund der (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Ute durchschnittlichen Lebenserwartung berücksichtigt. Kumpf [SPD]) Dieses FDP-Konzept, meine Damen und Herren, ist Wie sieht nun das FDP-Modell im Einzelnen aus? ein modernes Konzept, das übrigens auch den europäi- schen Forderungen im Gemeinsamen Bericht der Kom- Erstens. Ab dem 60. Lebensjahr ist, wie gesagt, der mission und des Rates mit dem Titel „Angemessene und Bezug einer Voll- oder Teilrente möglich. Voraussetzung nachhaltige Renten“ gerecht wird. In diesem Bericht dafür ist Grundsicherungsfreiheit. Es wird also geprüft, heißt es ja, dass Vorruhestandsregelungen nicht mehr ge- und zwar für die Bedarfsgemeinschaft – das bedeutet, fördert werden sollen, dass gleitende Regelungen in den dass 90 Prozent aller Versicherten diese Möglichkeit ha- Ruhestand ermöglicht werden müssen und dass Anreize ben werden –, ob die gesetzliche Rente plus privater für die Beschäftigung Älterer gegeben werden sollen. bzw. betrieblicher Altervorsorge über dem Grundsiche- Genau das leistet unser Vorschlag. rungsniveau liegt. Ist diese Voraussetzung gegeben, ist der Rentenbezug möglich. (Beifall bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Und der DGB findet es auch gut!) Zweitens wollen wir, dass alle Zuverdienstgrenzen wegfallen. Versicherte sollen selbst entscheiden, ob und Mit dem Vorschlag kommen wir auch den Wünschen in welchem Umfang sie noch erwerbstätig sein wollen. der Menschen entgegen. Nach den Ergebnissen einer (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ von Bertelsmann in Auftrag gegebenen Studie wünschen DIE GRÜNEN]: Und keine Sozialversiche- sich zwei Drittel der Befragten, den Übergang vom Er- rungsbeiträge mehr zahlen!) werbsleben in die Rente flexibel gestalten zu können. Letztlich geht es darum, das Rentenrecht von bevormun- Allerdings – auch das muss man sagen – wird dem Zu- dendem Denken zu befreien und den Wünschen der verdienst wegen der von Rot-Grün beschlossenen Ab- Menschen Vorrang vor der willkürlichen Festlegung zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23003

Dr. Heinrich L. Kolb (A) geben, wann und wie sie ihre eigenen Rentenanwart- können Sie schon daran sehen, dass der DGB, der Deut- (C) schaften abrufen dürfen. sche Gewerkschaftsbund, unser Modell eines flexiblen Renteneintritts begrüßt, (Beifall bei der FDP – Dirk Niebel [FDP]: Ge- nau! Wahlfreiheit!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE Wir sehen mindestens zwei Anwendungsfälle, einmal GRÜNEN]: Das ist etwas für gut verdienende den klassischen, nämlich die bewusste Reduktion der Männer! – Ute Kumpf [SPD]: Das ist etwas Arbeitszeit und Wahl einer Teilrente, zum anderen, viel- für Oasen-Guidos!) leicht in Zukunft besonders wichtig – leider, möchte ich sagen – und von wachsender Bedeutung, die Vermei- und das auch deswegen, Herr Kollege Ernst, weil es sich dung des Aufbrauchens eigenen Vermögens bei Lang- sehr gut mit tariflichen Lösungen zum Beispiel für An- zeitarbeitslosigkeit. Mit der Entscheidung zum Bezug ei- gehörige körperlich besonders belastender Berufe kom- ner Vollrente könnte nämlich vermieden werden, dass binieren lässt. Es wird ja – das habe ich vorhin schon ge- man aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit sein Vermö- sagt – die Bedarfsgemeinschaft geprüft. Das heißt, auch gen bis auf das in den Hartz-IV-Gesetzen vorgesehene die Ehefrau, die vielleicht eine gebrochene Erwerbsbio- Schonvermögen abschmelzen muss. grafie hat und eine geringere Zahl von Entgeltpunkten in ihrem Erwerbsleben ansammeln konnte, kommt in den Zum Antrag der Linken will ich nur sagen: Er er- Genuss der Wirkungen eines solchen Konzeptes. Das schöpft sich leider darin, den Status quo von 2007 wie- zeigt sehr deutlich, dass das wirklich ein Angebot an die derherzustellen. Es gibt keinen Ansatz, keine Idee, wie breite Masse der Versicherten ist, und das lassen wir uns das Rentensystem zukunftssicher gemacht und auf die weder von Ihnen noch von sonst jemandem schlechtre- demografische Herausforderung reagiert werden kann. den. Ich nenne es, Herr Kollege Ernst, schlicht und einfach unsozial, Realitäten vollkommen auszublenden. (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, die Grünen haben zwar die Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bedeutung des flexiblen Übergangs erkannt, bleiben Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des aber auf halbem Wege stehen. Ich frage Sie, Frau Kollegen Ernst? Schewe-Gerigk: Welchen Sinn macht es, Menschen, die keine Ansprüche mehr gegenüber dem Staat haben, weil Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): sie grundsicherungsfrei sind, vorzuschreiben, was sie Sehr gerne; meine Redezeit wird nämlich langsam verdienen dürfen? Was für ein Bild des Bürgers treibt Sie da um, wenn Sie die Menschen so gängeln wollen? (B) knapp. – Bitte, Herr Ernst. (D) Für uns ist das, was Sie vorschlagen, nicht akzeptabel. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Ich fasse zusammen: Der Grundgedanke des FDP- Bitte. Konzepts ist ein Paradigmenwechsel, ein grundlegend neuer Ansatz bei der Gestaltung der politisch gesetzten Klaus Ernst (DIE LINKE): Rahmenbedingungen beim Übergang von der Arbeit in Herr Dr. Kolb, da sehen Sie, wie gern ich Ihnen zu- die Rente. Nicht mehr ein möglichst frühes Ausscheiden höre; ich möchte sogar Ihre Redezeit verlängern. Ich aus dem Erwerbsprozess, sondern eine möglichst lange habe nun das Konzept, das Sie vorschlagen, zur Kennt- Teilhabe am Erwerbsleben muss zum neuen Leitbild nis genommen. Wenn ich es richtig verstanden habe, sa- werden. Wer aber lange Teilhabe will, muss Flexibilität gen Sie, dass jemand, der aufgrund seines Rentenniveaus bieten. über der Grundsicherung liegt, in Rente gehen können Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. soll. Jetzt ist es statistisch so, dass nach gegenwärtigen Berechnungen jemand, der nur 50 Prozent des Durch- (Beifall bei der FDP) schnittsverdienstes hat, künftig 68 Jahre arbeiten muss, bevor er überhaupt über dem Niveau der Grundsiche- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: rung liegt. Ist Ihr Konzept insofern nicht eigentlich nur Nächster Redner ist der Kollege Anton Schaaf für die für diejenigen interessant, die hohe Einkommen haben, SPD-Fraktion. (Ute Kumpf [SPD]: Haben Sie das auch er- (Beifall bei der SPD) kannt?) und würde Ihr Konzept nicht dazu führen, dass jemand, Anton Schaaf (SPD): der wenig verdient, letztendlich viel länger arbeiten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! muss, als es die Regierung gegenwärtig vorsieht? Herr Kollege Ernst, man kann sicherlich über die Frage, wie man mit der demografischen Entwicklung umgeht (Beifall bei der LINKEN) – beispielsweise indem man die Lebensarbeitszeit ver- längert oder andere Modelle erarbeitet –, trefflich strei- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): ten. Das will ich überhaupt nicht wegdiskutieren. Das ist Nein, Herr Kollege Ernst, unser Konzept ist nicht nur ein Punkt, der im Rahmen des Koalitionsvertrages aus- für diejenigen, die einen höheren Verdienst haben oder gehandelt worden ist, und wir halten uns selbstverständ- für die gutsituierten Menschen in unserem Lande. Das lich an Verträge. Das ist überhaupt keine Frage. 23004 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Anton Schaaf (A) Sie vermeiden immer geflissentlich, die Überprü- lichkeit –, bei der Ausgestaltung allerdings überhaupt (C) fungsklausel zu erwähnen. In Ihrem Antrag erwähnen nicht. Denn Sie meinen mit Erwerbstätigenversicherung Sie sie allerdings, gehen aber davon aus, dass sie nicht nur eine gigantische Umverteilungsmöglichkeit. Sie ernst genommen wird, obwohl sie im Gesetz steht. Ich wollen ab einer gewissen Grenze die Ansprüche abfla- bin da völlig anderer Meinung. chen und das eingesparte Geld umverteilen, und zwar an diejenigen, die weniger Ansprüche haben. Sie haben in (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: diesem Hohen Haus viele rentenpolitische Anträge ge- Wir haben keine Chance, das Gegenteil zu be- stellt, die Verbesserungen für diejenigen Menschen ent- weisen!) halten, die durch ihre Berufe schwer belastet werden Mir fällt auf, dass in Ihren Anträgen, die Rente mit oder die erwerbsgemindert sind oder eine Rente nach 67 Jahren zurückzunehmen, die Begründung von Woche Mindesteinkommen beziehen. Wenn all diese Verbesse- zu Woche wechselt. Jetzt kommt Ihnen gerade zupass, rungen über eine Abflachung der Rentenansprüche fi- dass wir eine Weltwirtschaftskrise und Weltfinanzkrise nanziert werden sollen, dann muss ich feststellen, dass haben, die Sie als Begründung heranziehen. Was Sie da Sie schon beim Eckrentner abflachen müssen. machen, ist ziemlich abenteuerlich, wie ich finde. Sie (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: So ein nehmen den Istzustand, schreiben ihn einfach für die Quatsch!) nächsten 29 Jahre fort und sagen, dass man vor diesem Hintergrund bestimmte Dinge nicht machen darf. Das Schauen Sie sich einmal an, welches Volumen die For- haben Sie hier getan, und das steht faktisch so in Ihrem derungen in Ihren Anträgen akkumuliert ergeben! Antrag. Das heißt im Klartext aber auch, dass Sie Ihre Unser Ansatz bei der Erwerbstätigenversicherung ist Legitimität verloren haben. Denn unsere Aufgabe ist es, dieser Wirtschafts- und Finanzkrise Vernünftiges entge- ein anderer: Alle Erwerbstätigen sollen in die Rentenver- sicherung einzahlen, damit alle auch Ansprüche erwer- genzusetzen, um sie zu überwinden, damit wir zukunfts- ben. Es geht darum, Altersarmut zu vermeiden. Diejeni- fähig bleiben. Sie haben, wenn Sie sich mit der Krise ab- finden, dieses Ziel offensichtlich aufgegeben. Das ist der gen, die zurzeit am meisten von Altersarmut bedroht sind, sind im Wesentlichen Einzelselbstständige. erste Punkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Ja!) Ein zweiter Punkt, der mich sehr ärgert und bei dem ich denke, dass er einem Gewerkschafter nicht angemes- Diese sind deshalb besonders von Altersarmut bedroht, sen ist: Mit dem Beispiel vom Müllwagenfahrer haben weil sie als Selbstständige nicht in die gesetzliche Ren- Sie mir netterweise eine Vorlage geliefert. Ich komme tenversicherung einzahlen müssen und weil sie zu wenig (B) (D) ursprünglich aus diesem Bereich. In der Tat ist es so, Einkommen haben, um sich privat vernünftig absichern dass viele Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Be- zu können. reich arbeiten, nicht mit dem Regelalter in die Rente ein- Wir gehen von einem anderen Begriff der Erwerbstä- treten. Herr Ernst, die Frage ist, was zukünftig mit ihnen tigenversicherung aus als Sie; das muss man einmal ganz geschieht. Werden sie arbeitslos? Bekommen sie eine deutlich sagen. Man darf unsere beiden Ansätze nicht Erwerbsminderungsrente, weil sie sozusagen kaputt gleichsetzen. sind? Herr Ernst, Sie sagen: Weil die Gesundheit dieser Menschen aufgrund ihrer Arbeit kaputt ist und sie des- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wegen nicht mit dem Regelalter in die Rente eintreten Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des können, müssen wir das Regeleintrittsalter absenken. Ich Kollegen Ernst? sage: Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen von ihrer Arbeit nicht kaputt gemacht werden. Das muss die erste Priorität sein. Anton Schaaf (SPD): Ja, gerne. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Klaus Ernst (DIE LINKE): CDU/CSU) Herr Kollege Schaaf, ich möchte noch mal auf das Das lassen Sie völlig außer Acht. Beispiel vom Müllwagenfahrer zu sprechen kommen. Ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass es notwendig ist, (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE dass wir über gesundheitliche Maßnahmen reden, die es LINKE]: Diesen Antrag haben wir auch ge- den Menschen erlauben, länger zu arbeiten. Das ist über- stellt!) haupt keine Frage. Das ist, finde ich, für einen Gewerkschafter ein ziemlich Aber ist es nicht so, dass wir zuerst die Regeleintritts- starkes Stück. altersgrenze heraufgesetzt haben, ohne überhaupt dafür Wenn man sich Ihren Antrag genau ansieht, dann zu sorgen, dass die Menschen bis 65 Jahre arbeiten kön- muss man sagen, dass Sie versucht haben, so etwas wie nen? Ist es unter dieser Voraussetzung nicht so, dass Visionen zu formulieren – allerdings sehr unpräzise. Um mein Beispiel vom Müllwagenfahrer vollkommen rich- Ihre Vorstellungen zu finanzieren, wollen Sie die Er- tig ist? Wenn er statt mit 65 jetzt mit 63 Jahren in Rente werbstätigenversicherung einführen. Bei der Begrifflich- geht, muss er für diese zwei Jahre Abschläge in Höhe keit sind wir fast beieinander – aber nur bei der Begriff- von 7,2 Prozent hinnehmen. Wenn er aber bei einem Re- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23005

Klaus Ernst (A) geleintrittsalter von 67 Jahren mit 63 Jahren in Rente Deswegen sage ich: Ihr Ansatz orientiert sich an Gut- (C) geht, dann hat er 14,4 Prozent Abschläge. Ist es unter verdienenden, an Menschen, die aufgrund eines hohen dieser Voraussetzung nicht nachvollziehbar, dass es den Einkommens hohe Ansprüche erworben haben. Betroffenen so erscheint, als sei die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters letztendlich eine drastische Verkür- (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das ist falsch! zung ihrer Rente? Das stimmt nicht!) Es können andere Möglichkeiten eingeräumt werden (Beifall bei der LINKEN) – damit komme ich kurz auf den Antrag der Grünen zu sprechen –, nämlich über die Gewährung von Teilrenten. Anton Schaaf (SPD): Irmingard Schewe-Gerigk, ich bin durchaus der Meinung, Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Sie machen wieder dass man über Verbesserungen der im Zusammenhang das, was Sie vorher schon gemacht haben. Sie schreiben mit der Teilrente bestehenden Möglichkeiten diskutieren den Istzustand einfach fort. Das Regeleintrittsalter von sollte. Dabei geht es um flexiblere Zugangsmöglichkei- 67 gilt ja nicht ab nächstes Jahr und auch nicht ab 2012, ten und um die Hinzuverdienstfrage. Da bin ich dabei. sondern es wird stufenweise eingeführt. Die Rente mit Ich glaube, wir brauchen eine Kombination aus ver- 67 gilt endgültig erst ab dem Jahre 2029. Ich traue mei- schiedenen Möglichkeiten, um flexibel in den Ruhestand ner Partei zu, das, was sie im Konzept „Gute Arbeit“ be- zu gehen. Dazu gehört für uns Sozialdemokraten die Al- schrieben hat – übrigens gleichlautend mit dem DGB –, tersteilzeit. in die politische Realität umzusetzen. Wenn man aller- Dies gilt auch für die staatlich geförderte Altersteil- dings den Anspruch nicht hat, die Lebenssituation der zeit. Wir haben einen entsprechenden Beschluss, in dem Menschen zu verbessern, sondern nur den Istzustand eindeutig gesagt wird: Wenn jemand in Altersteilzeit festschreiben will und daraus Politik ableitet, dann ist geht und ein Auszubildender in eine Festanstellung ohne klar, dass man nicht zukunftsfähig ist. Wir sind es und Befristung übernommen wird, dann kann die Inan- haben es an vielen Stellen nachgewiesen. spruchnahme der Altersteilzeit gefördert werden. Da- rüber hinaus ist es so, dass die Möglichkeit zur Alters- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten teilzeit 2009 nicht in Gänze wegfällt, sondern nur die der CDU/CSU) gesetzlich geförderte. Die Möglichkeit zur Altersteilzeit darüber hinaus bleibt erhalten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die Vorstellungen zur Teilrente sind durchaus mit- Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen- tragbar. Wir stellen uns aber eher vor, dass es eine Kom- (B) frage des Kollegen Schneider? bination aus verschiedenen Möglichkeiten gibt, um fle- (D) xibel in Rente zu gehen. Wir lehnen die vorliegenden Anton Schaaf (SPD): Anträge allesamt ab. Nein danke. Danke. Herr Kolb, ich wollte gerade auf Ihren Antrag einge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) hen. Natürlich hört es sich zunächst einmal sehr schick an, wenn Sie sagen: Lasst die Menschen freier entschei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: den, wann sie in Rente gehen. – Aber dieses Mehr an Das Wort hat nun Kollegin Irmingard Schewe- Freiheit birgt auch mehr individuelle Risiken. Man muss Gerigk, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. gleich hinzufügen, dass dies so ist.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist bei der Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Freiheit manchmal so!) GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rente Ich stelle mir zum Beispiel jemanden vor, der für sich mit 67 ist zugegebenermaßen kein populäres Thema. ausgerechnet hat, er habe mit 60 Jahren einen Renten- Das ist ja auch kein Wunder. Immerhin haben Gewerk- anspruch von monatlich 700 Euro, und der sagt, er schaften, Arbeitgeber und die Politik fast 30 Jahre lang komme mit einem Hinzuverdienst prima zurecht, das für eine Politik der staatlich finanzierten Frühverrentung werde schon funktionieren. Was ist mit diesem Men- geworben. Über drei Jahrzehnte war der Frühausstieg schen, wenn er diesen Hinzuverdienst durch Arbeit nicht nur mit geringen oder vielleicht auch gar keinen finan- mehr hat? Er kommt dann natürlich in existenzielle ziellen Einbußen verbunden. Die Älteren sollten den Schwierigkeiten. Darüber sind Sie hinweggegangen, in- Jüngeren Platz machen; so ist es zum Jugendwahn auch dem Sie gesagt haben: Wenn er keine Grundsicherung in den Betrieben gekommen. bezieht, dann ist es auch nicht weiter dramatisch. Dann muss der Staat nicht helfen. – Es gibt aber andere Leis- Im Antrag der Linken zur Abschaffung des Renten- tungsansprüche, die sich nicht auf die Grundsicherung eintrittsalters mit 67 taucht dieses Argument wieder auf. beziehen, für Menschen, die wenig Einkommen haben; Würden Sie ehrlich damit umgehen, meine Damen und das muss man dazusagen. Unter Umständen werden an Herren von den Linken, dann müssten Sie zugeben, dass anderer Stelle Ansprüche gegenüber dem Staat geltend diese Rechnung nie aufgegangen ist; Herr Ernst hat dazu gemacht werden müssen. gerade noch einmal Ausführungen gemacht. 23006 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Schauen wir uns einmal die Länder mit einer höheren Situation seither entwickelt hat. Vom Statistischen Bun- (C) Erwerbsbeteiligung Älterer an. Dort ist auch die Jugend- desamt erfahren wir: In den letzten zehn Jahren ist die arbeitslosigkeit niedriger als in Deutschland. Erwerbstätigenquote in keiner Gruppe so stark gestiegen wie bei den 55- bis 64-Jährigen. 1997 waren 37,7 Pro- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!) zent erwerbstätig, heute sind es bereits 51,5 Prozent. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Zur Redlichkeit gehört auch, aktuelle Daten zu ver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wenden. Die Linke hat in ihrem Antrag ausschließlich Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des mit Daten, die bis zum Jahre 2004 vorlagen, argumen- Kollegen Schneider? tiert. Dass sich die Entwicklung verbessert hat, und zwar in jedem Jahr in allen Altersstufen Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE GRÜNEN): LINKE]: In allen?) Selbstverständlich. – in allen; ich gebe Ihnen die entsprechenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes –, passt nicht in Ihre Ideolo- Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): gie. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie haben eine relativ große Kohorte, die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen, ge- Deutschland hat zu lange auf die falschen Instrumente nommen. Ich bitte Sie, mir differenziert zu sagen, wie es gesetzt. Noch 2007 hat allein die Bundesagentur bei den 55- bis 60-Jährigen und bei den 60- bis 65-Jähri- 1,2 Milliarden Euro für die Förderung der Altersteilzeit gen aussieht. Sie haben eben behauptet, wir würden mit ausgegeben. Auch wurde die Altersteilzeit dreimal so den falschen Zahlen arbeiten. Ich hoffe, dass die Bun- häufig gefördert, wie junge Beschäftigte eingestellt wor- desregierung uns nicht die falschen Zahlen zur Ver- den sind. Deshalb, Kollege Schaaf, habe ich das Ver- fügung gestellt hat. Die Bundesregierung hat uns die trauen nicht, von dem Sie vorhin gesprochen haben. Das Auskunft gegeben, dass die Beschäftigungsquote bei den interessiert aber die Linke nicht. 60- bis 65-Jährigen leider weiterhin rückläufig ist und im Viele halten es mittlerweile für selbstverständlich, vor Moment noch nicht einmal 15 Prozent mit 65 Jahren in Erreichen der offiziellen Altersgrenze in Rente zu gehen. Rente gehen. Das heißt, 85 Prozent aller Rentnerinnen Es ist eine Art Gewohnheitsrecht daraus entstanden – und Rentner werden, perspektivisch betrachtet, mit Ab- aus verständlichen Gründen. Deshalb ist es so unpopu- schlägen in Rente gehen. Daran hat sich in diesem Drei- lär, für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit einzutre- jahreszeitraum, wie gesagt, nichts geändert; im Gegen- (B) ten. Für die Entscheidung, das Renteneintrittsalter teil: Die Zahlen sind schlechter geworden. Aber (D) schrittweise hochzusetzen, gibt es Gründe von Gewicht. vielleicht hat das Statistische Bundesamt ja andere Zah- Wir von den Grünen stehen dazu. len. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE Bis 2030 steigt die Lebenserwartung von 65-jährigen GRÜNEN): Frauen und Männern um weitere drei Jahre; Kollege Das kann ich Ihnen sagen: Das Statistische Bundes- Weiß hat es vorhin gesagt. Bei der vollständigen Umset- amt hat 2009 deutlich gemacht, dass zwischen 2005 und zung der Regelung zur Rente mit 67 im Jahre 2029 – das 2007 nicht nur in allen Alterskohorten, sondern in jeder Renteneintrittsalter ist dann um zwei Jahre verschoben – Altersgruppe ein Zuwachs vorhanden war. Da Sie dieses ist die höhere Lebenserwartung nur zum Teil kompen- Argument schon im Ausschuss vorgebracht haben, habe siert worden. Mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters ich mir das genau angeschaut. Das Statistische Bundes- wird darauf reagiert, dass die Menschen heute erfreu- amt schreibt nicht das, was Sie gesagt haben. Das Statis- licherweise älter werden und durchschnittlich mehr als tische Bundesamt schreibt vielmehr, dass es wegen des 17 Jahre lang Rente beziehen. Bei Frauen sind es über Babybooms mehr Menschen im Alter zwischen 55 und 20 Jahre. 59 Jahren gibt und weniger Menschen im Alter zwischen Wir Grüne haben die Erhöhung des Renteneintrittsal- 60 und 65 Jahren. ters immer an eine Bedingung geknüpft: Die Beschäftig- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!) ten müssen die Chance haben, auch tatsächlich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten zu können. Deshalb ist eine Das Statistische Bundesamt hat aber nicht gesagt, dass Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters mit uns die Beschäftigung in diesen Bereichen ansteigt. Ich nur dann zu machen, wenn die Beschäftigungschancen stelle Ihnen meine Zahlen gerne zur Verfügung. Wenn von älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen er- die Bundesregierung falsche Angaben gemacht haben heblich verbessert werden. Da hat die Politik noch eine sollte, Herr Staatssekretär, ganze Menge zu tun. (Klaus Brandner, Parl. Staatssekretär: Warum (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sollte sie!) Seit der ersten Debatte über die Erhöhung des Ren- werde ich sie Ihnen selbstverständlich auch geben. teneintrittsalters sind schon drei Jahre vergangen. Herr Ernst, deshalb ist es sinnvoll, zu schauen, wie sich die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23007

Irmingard Schewe-Gerigk (A) Die Lebensrealität älterer Menschen, aber auch die digt, dass sie jetzt Übergangslösungen zur Abmilderung (C) Realitäten des Arbeitsmarktes haben sich in den letzten der längeren Lebensarbeitszeit vorschlagen will. Nach Jahren stark gewandelt. Das wird auch weiterhin so sein. diesen zwei Jahren habe ich, außer dass ich in den Me- Viele Menschen wollen und können länger tätig sein. dien immer wieder von Ankündigungen gelesen habe, Die Alternativen zu einer längeren Lebensarbeitszeit wä- noch nichts gehört. Wir warten immer noch darauf, dass ren Rentensenkungen oder höhere Rentenversicherungs- Sie uns einen Antrag zur Erleichterung von Teilrenten beiträge. vorlegen. Wir dürfen uns allerdings nicht mit dem bisher Er- Herr Kollege Schaaf hat gerade gesagt, der grüne An- reichten zufriedengeben. Die Kultur der Beschäftigung trag sei gut. Schöner wäre es gewesen, die Große Koali- von Älteren muss verbessert werden. Ich nenne in die- tion hätte sich auf den Weg gemacht. Denn es ist tatsäch- sem Zusammenhang nur die berufliche Weiterbildung lich ein Unterschied, ob ein 50-Jähriger auf dem Bau für alle Altersgruppen, lebenslanges Lernen und alters- oder an einer Universität arbeitet. Dem einen ist es wahr- gerechte Arbeitsplätze. Dazu gehört aber auch die Ge- scheinlich möglich, sehr viel länger zu arbeiten. Darum sundheitsförderung, damit der Müllmann auch nach vie- schlagen wir flexible Übergangsmöglichkeiten vor. Der len Arbeitsjahren noch in der Lage ist, seinen Rücken Bezug einer Teilrente soll bereits ab dem 60. Lebensjahr gerade zu machen. möglich sein. Das macht es für ältere Beschäftigte leich- ter, bis zur Regelaltersgrenze mit weniger Stunden zu ar- Diese Maßnahmen sind das Gebot der Stunde. Darum beiten und mit der verbleibenden Arbeitszeit weiterhin dürfen wir nicht locker lassen. Wir müssen in den nächs- Rentenanwartschaften aufzubauen. ten 20 Jahren alles dafür tun, damit diese Menschen in Beschäftigung kommen. Sonst wäre das in der Tat eine Außerdem wollen wir, dass die Altersgrenze für eine durch die Hintertür eingeführte Rentensenkung. Dafür abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente wieder auf stehen wir nicht zur Verfügung. 63 Jahre gesenkt wird. Ich habe nicht verstanden, warum bei der Einführung der Rente mit 67 diese abschlagsfreie Jetzt frage ich mich: Was macht die Große Koalition? Erwerbsminderungsrente auf das Alter von 65 hoch ge- Sie ruht sich auf dem Erreichten aus. setzt worden ist. Das passt überhaupt nicht zusammen. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie streitet sich!) Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag – Sie streitet sich. Na ja, in diesem Bereich streitet sie „Kurs halten bei der Erwerbsintegration von älteren Be- sich gerade mal nicht. – Sie macht Wahlgeschenke, die schäftigten – Teilrenten erleichtern“. die Renterinnen und Rentner später zurückgeben müs- Vielen Dank. sen; das wissen sie nur noch nicht. Anfang dieser Woche (B) haben die Bundeskanzlerin und Minister Scholz die au- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) ßergewöhnliche Rentensteigerung in diesem Jahr – man muss sagen: in diesem Wahljahr – wie eine persönliche Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Weihnachtsüberraschung gefeiert; auch Herr Weiß hat Das Wort hat nun Max Straubinger für die CDU/ das vorhin vorgetragen. Sie haben aber verschwiegen, CSU-Fraktion. welche Tricks Sie angewendet haben, damit die Renten im Wahljahr über Gebühr steigen. Max Straubinger (CDU/CSU): (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Allerdings!) Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle- gen! Wir führen heute eine Rentendebatte über die drei Sie verschweigen, dass die Aussetzung der Riester- Anträge der Oppositionsfraktionen, der FDP, der Grünen Treppe in den Jahren 2012 und 2013 nachgeholt werden und der Linken. Es ist schon bezeichnend, dass von der muss. Sie verschweigen den Erwerbstätigen, dass das Fraktion Die Linke im Zusammenhang mit ihrem Antrag Finanzpolster der gesetzlichen Rentenversicherung nichts gekommen ist, außer dass sie die Rente mit 67 ab- durch Ihre Wahlgeschenke schmilzt wie die Butter in der schaffen will. Dass ihr rentenpolitischer Sprecher nicht Sonne. gesprochen hat, zeigt sehr deutlich, dass es mehr um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Polemik als um die Sache geht. Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Stimmt nicht!) der SPD – Widerspruch bei der LINKEN) Das sagen Sie den Menschen nicht. Sie sagen vor der Dies ist typisch für die politische Auseinandersetzung Wahl, dass alle mehr bekommen. Dass sie hinterher der Fraktion Die Linke in diesem Hause, aber auch drau- mehr Belastungen haben werden, sagen Sie jedoch nicht. ßen. Wer den Menschen Opfer abverlangt – die Aussicht, Ich glaube, dass es wichtig ist, zuerst zu verdeutli- länger arbeiten zu müssen, empfinden viele als Opfer –, chen, dass diese Große Koalition in ihrer Regierungszeit, muss glaubwürdig an den Voraussetzungen arbeiten. Sie in den vergangenen dreieinhalb Jahren, eine sehr erfolg- alle erinnern sich daran, mit welcher Heftigkeit in die- reiche Rentenpolitik zustande gebracht hat. Ich darf sem Hause über Sonderlösungen für Dachdecker, Kran- durchaus an die Grundlagen des Jahres 2005 erinnern. kenschwestern und ähnlich belastende Berufe gestritten Im Dezember 2005 war bei der gesetzlichen Rentenver- wurde. Die SPD hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt und sicherung ein vorgezogener Bundeszuschuss des Jahres zwei Jahre lang in regelmäßigen Abständen angekün- 2006 notwendig, um die Renten rechtzeitig an die Rent- 23008 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Max Straubinger (A) nerinnen und Rentner auszahlen zu können. Im Dezem- hung der Renten ist kein Wahlkampfgeschenk, sondern (C) ber 2008 konnten wir vermelden, dass in der gesetzli- das Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung in unse- chen Rentenversicherung mittlerweile eine Rücklage in rem Land. Höhe einer knappen Monatsrente angesammelt worden (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ ist. Dies zeigt sehr deutlich die Erfolge dieser Bundes- DIE GRÜNEN]: Ach! Das ist doch nur das Er- regierung in der Rentenpolitik und dass sich die Rentne- gebnis des Aussetzens der Riester-Treppe! rinnen und Rentner auf unser Rentenversicherungssys- Sonst gar nichts! – Volker Schneider [Saarbrü- tem verlassen können. cken] [DIE LINKE]: Sie lassen sich im Zu- (Beifall bei der CDU/CSU) sammenhang mit der Riester-Treppe bestimmt noch etwas einfallen, um den Leuten das Geld Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wieder abzunehmen!) Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Meine Damen und Herren, derzeit müssen wir wirt- gen Kolb? schaftliche Schwierigkeiten bewältigen. Wir können da- her nicht davon ausgehen, dass wir das Erreichte in den Max Straubinger (CDU/CSU): nächsten 30 Jahren fortschreiben können, auch wenn Sehr gerne, Herr Präsident. diese Vorstellung der Denkweise der Linken entsprechen mag. Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): In der DDR gab es Fünfjahrespläne – möglicherweise Herr Kollege Straubinger, würden Sie mir recht ge- erinnern Sie sich –, die einfach fortgeschrieben wurden. ben, dass 10,5 Milliarden Euro des Volumens der Nach- Dadurch ist der Lebensstandard der Menschen allerdings haltigkeitsrücklage in Höhe von etwa 15 Milliarden immer weiter gesunken. Das ist Ihre Politik, Herr Kol- Euro aus dem 13. Monatsbeitrag resultieren, den Sie An- lege Ernst. fang 2007 erhoben haben? Würden Sie mir zustimmen, dass es relativ dreist ist, diese zinslose Zwangsanleihe, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: die Sie bei den Beitragszahlern erhoben haben, als einen Woher wollen Sie das denn wissen?) rentenpolitischen Erfolg zu verkaufen? Wir hingegen schaffen die Grundlagen für wirtschaftli- chen Aufschwung. Wirtschaftlicher Aufschwung bedeu- Max Straubinger (CDU/CSU): tet mehr Arbeitsplätze Es ist ein rentenpolitischer Erfolg, und die vorgezo- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: gene Beitragszahlung ist nicht dessen Grundlage. Im Ge- Genau!) (B) genteil: Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland (D) insgesamt hat diesen Zuwachs mit erbracht. und mehr Chancen für die Menschen in unserem Land. Ich bin überzeugt, dass unser Rentenversicherungssys- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist leider tem, das sich bewährt hat, auch in Zukunft die Grund- nicht richtig!) lage der Alterssicherung sein wird. Darüber können wir uns durchaus freuen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte deutlich Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des machen, dass die Rentnerinnen und Rentner auch im Kollegen Ernst? Jahr 2009 an der wirtschaftlich erfolgreichen Entwick- lung in unserem Land teilhaben werden. Der Kollege Weiß hat bereits darauf hingewiesen, dass die Renten im Max Straubinger (CDU/CSU): Westen Deutschlands um 2,41 Prozent und im Osten Ja. Deutschlands um 3,38 Prozent steigen. Somit werden die Rentnerinnen und Rentner an der wirtschaftlich posi- Klaus Ernst (DIE LINKE): tiven Entwicklung der vergangenen Jahre teilhaben. Herr Straubinger, da Sie jetzt schon zum zweiten Mal Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass die in einer Replik auf mich die DDR und mich in einem Oppositionsfraktionen in den vergangenen Jahren, vor Zusammenhang erwähnt haben, will ich Sie darauf hin- allem in den Jahren 2006 und 2007, als der wirtschaftli- weisen: An Ihrer Aussprache erkenne ich, dass wir aus che Aufschwung in Form von Lohnsteigerungen in grö- derselben Gegend kommen. Ich wusste gar nicht, dass es ßerem Maße bei den arbeitenden Menschen angekom- dort einmal eine SED und Fünfjahrespläne gab. Das men ist, müssen Sie mir erläutern. (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN) LINKE]: Bei den Arbeitnehmern? Das meinen Sie jetzt doch hoffentlich nicht ernst, oder?) Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Kollege Ernst, Sie sind derjenige, der mit diesem ständig kritisiert haben, dass die Rentnerinnen und Rent- Denken behaftet ist. ner vom wirtschaftlichen Aufschwung in unserem Land nichts haben. Frau Kollegin Schewe-Gerigk, die Erhö- (Lachen bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23009

Max Straubinger (A) Sie kommen zwar aus dem Westen Deutschlands, haben mit 60 Jahren bei ausreichender Rente in den Ruhestand (C) sich aber offensichtlich, was Ihre Denkweise betrifft, Ih- gehen kann, dann ist mir das allemal lieber, als bis zum ren Kolleginnen und Kollegen von der PDS und der SED 65. Lebensjahr an der Werkbank sitzen zu müssen. Das angeglichen. Sie denken in Fünf-, Zehn-, Fünfzehn- und ist eben einfach die Lebenswirklichkeit. Ich glaube, dass Zwanzigjahresplänen, wie in einer Planwirtschaft. Das das Modell der FDP an dieser Lebenswirklichkeit vor- ist Ihr falsches Denken. beigeht. (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Schneider Die FDP bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, ob [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Sie denken im- jemand, der mit 60 in Rente gehen würde, Abschläge er- merhin schon bis 2029! Das ist beachtlich! – warten müsste. Dazu ist in Ihrem Antrag nichts ver- Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben sogar ei- merkt. Es heißt nur, jeder solle ab dem 60. Lebensjahr in nen Dreißigjahresplan! Denken Sie nur einmal Rente gehen können. Danach könne man etwas hinzu- an die Rente! – Heiterkeit bei der LINKEN) verdienen, müsse es aber nicht. Ich gebe manchen Kolle- ginnen und Kollegen ausdrücklich recht, die sagen, dies Verehrte Damen und Herren, weil der Kollege Ernst sei nur ein Programm für die Besserverdienenden in un- unser Rentensystem vorhin als unsozial bezeichnet hat, serem Land. Dies kann meines Erachtens nicht richtig möchte ich daran erinnern, welche sozialpolitischen Fol- sein. gen die Politik des rot-roten Senats in Berlin für die Bür- gerinnen und Bürger hat. Auch Kollege Ernst äußerte sich nach dem Motto: Arbeit macht krank. Darüber bin Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ich verwundert. Ich glaube nicht, dass man den Bürge- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des rinnen und Bürgern mit der These „Arbeit macht krank“ Kollegen Kolb? etwas Negatives suggerieren sollte. Max Straubinger (CDU/CSU): Meines Erachtens ist Arbeit zunächst einmal Erfül- Ja. lung. Die Arbeit, die man hat, muss so organisiert sein, dass die Menschen immer länger arbeiten können. Das ist auch möglich; denn die Lebenserwartung steigt von Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Jahr zu Jahr. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Anhe- Kollege Straubinger, Sie haben eine ganze Reihe von bung des Renteneintrittsalters letztendlich alternativlos. Aspekten angeführt; ich möchte mich – auch mit Blick Denn es ist notwendig, dafür zu sorgen, dass ein ver- darauf, dass die Zeit schon fortgeschritten ist – auf einen nünftiges Verhältnis zwischen Beitragszahlerinnen und Aspekt konzentrieren. Beitragszahlern sowie Rentnerinnen und Rentnern be- (B) Ich habe ausdrücklich gesagt, dass wir einen Paradig- (D) steht. Die Belastungen durch den demografischen Faktor menwechsel, ein anderes Leitbild brauchen. Wir sollten kann die junge Generation nicht alleine schultern. Das gemeinsam der Auffassung sein, dass es nicht wie bisher Programm der Linken bedeutet letztendlich eine Belas- weitergehen kann. Es ist so gewesen, dass die Älteren in tung für die jüngere Generation in unserem Land: heute den Betrieben mehr oder weniger sanften Druck erfahren einen frühen Renteneintritt versprechen, aber die da- haben, nach dem Motto: Bist du nicht bereit, in den vor- durch entstehenden Belastungen auf die junge Genera- gezogenen Ruhestand zu gehen? tion abwälzen. Das ist unseriös und nicht hinnehmbar. Dasselbe gilt im Prinzip auch für das Programm der Reden Sie doch einmal mit den Menschen, die im FDP. Vorruhestand sind! Das ist beileibe nicht nur eitel Son- nenschein und Freude. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da muss man aber ein bisschen differenzieren!) (Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Viele fühlen sich abgescho- Vorhin hat der Kollege Schneider die Frage gestellt, wie ben!) viele Personen zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr noch erwerbstätig sind. Wenn ich mich richtig erinnere, Es kommt eben auch zum Tragen, dass Arbeit durchaus wurde dargelegt, es seien knapp über 10 Prozent. auch Lebensinhalt ist; im Leben vieler Menschen, die bereit gewesen wären, länger tätig zu sein, tut sich plötz- (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE lich eine Lücke auf, die nicht vorhergesehen worden ist. LINKE]: Nur knapp 15 Prozent gehen erst mit 65 in Rente!) Ich glaube, dass der Wechsel des Leitbildes durchaus auf fruchtbaren Boden fallen kann; aber die Politik muss Das widerlegt die These der FDP, die davon ausgeht: sich an die Spitze der Bewegung setzen. Stimmen Sie Wenn die Leute früher in Rente gehen können, dann mir zu? werden sie hinterher länger arbeiten. Mittlerweile ist es doch so – das ist eine praktische Max Straubinger (CDU/CSU): Entscheidung –, dass die Bürgerinnen und Bürger lieber Kollege Kolb, ich glaube, es hat bereits einen Wech- früher in Rente gehen als später. Vielleicht werden Früh- sel des Leitbildes gegeben. Ob der wirtschaftlichen Ent- verrentungsprogramme und Sonstiges im Einzelfall wicklung in den letzten zwei bis drei Jahren wurde nicht nicht gerne angenommen; aber sie werden von sehr vie- nur die Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut, sondern wur- len durchaus willkommen geheißen. Ich sehe das auch den in den Betrieben auch viele ältere Menschen in Ar- bei uns in den Betrieben, wo fast jeder sagt: Wenn ich beit gehalten. Mittlerweile haben sich in den Betrieben 23010 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Max Straubinger (A) die Ansichten geändert; der Jugendwahn wurde über- meisten, dass der Lebensarbeitszeitblock in der Mitte (C) wunden. Früher war es doch immer so, dass am liebsten nicht immer gleich bleiben kann. ein 25-Jähriger mit 25-jähriger Berufserfahrung ange- worben wurde; das gibt es aber nicht. Zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema gehört auch, dass man die Sorgen der Menschen Es ist bei den Betrieben angekommen, dass wir ge- ernst nimmt. Natürlich gibt es Menschen, die sich fra- rade auf die Berufserfahrung der älteren Arbeitnehme- gen: Schaffe ich das überhaupt? Kann ich so lange arbei- rinnen und Arbeitnehmer auf keinen Fall verzichten kön- ten? Was ist, wenn ich vorher kaputt bin? Mit diesen nen. Fragen und Sorgen müssen wir uns auseinandersetzen; die Sozialdemokraten tun das auch. Aus meiner Sicht (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da stimmen wir gehören dazu drei Aspekte, die man diskutieren muss. überein!) Das ist erstens das Thema „Erwerbsminderungsrente“, Deshalb haben wir in der Koalition veranlasst, dass ob das ist zweitens das Thema „flexible Übergänge in die der wirtschaftlichen Krise, die wir derzeit zu bewältigen Rente“, und das ist drittens das Thema „Humanisierung haben, ein längerer Bezug des Kurzarbeitergeldes mög- der Arbeitswelt“. lich ist, damit den Betrieben nicht wertvolle Erfahrung verloren geht. Wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts (Beifall bei der SPD) geht – da bin ich sehr optimistisch –, dann kann die wirt- Die Linken haben zu keinem dieser Themen etwas zu schaftliche Erfahrung der älteren Arbeitnehmerinnen sagen. Die vorliegenden Anträge der Grünen und der und Arbeitnehmer zum Wohl des Betriebes genutzt wer- FDP setzten sich mit diesem Thema auseinander; das den. Hier haben wir keinen Dissens. Ich glaube nicht, kann man positiv feststellen. Ich kann allerdings nicht dass wir dieses Ziel dadurch erreichen, dass wir den Ein- alles, was darin enthalten ist, unterstützen. tritt in die Frühverrentung wesentlich erleichtern. Das ist zu Ihrem Antrag zu sagen, Herr Kollege Kolb. Ich möchte zuerst etwas zum Thema Erwerbsminde- rungsrente sagen. Ich bin davon überzeugt, dass hier (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) noch einiges getan werden muss. Untersuchungen Ich glaube auch, dass Teilverrentungsmöglichkeiten zeigen, dass Erwerbsminderungsrenten durchaus eine durchaus diskussionswürdig sind. Wir sollten aber nicht Ursache für Altersarmut sind. Einfach gesagt: Die vergessen, dass wir bereits Möglichkeiten der Teilver- durchschnittliche Höhe der Erwerbsminderungsrente ist rentung haben, auch wenn sie nur in geringem Maße an- zu niedrig. genommen werden. Allerdings müssen wir uns mit diesem Thema unab- (B) Unsere Bundesregierung hat zudem die Insolvenz- hängig von einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren be- (D) sicherung für Arbeitszeitkonten geschaffen. Ob wir dies schäftigen. Auch wenn wir das Alter auf 60 Jahre, wie es möglicherweise noch erweitern, darüber können wir in im Antrag der FDP gefordert wird, oder noch weiter sen- der Zukunft eine sehr fruchtbare Diskussion führen. Da- ken, wird es immer Menschen geben, die vorher aus ran teilzunehmen, dazu sind alle aufgerufen. Die ent- gesundheitlichen Gründen in Rente gehen müssen. Des- sprechenden Anträge von FDP, Bündnis 90/Die Grünen wegen müssen wir uns mit der Höhe der Erwerbsminde- und Linken werden wir jedoch ablehnen. rungsrente beschäftigen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist kein Geheimnis, dass die SPD hierzu Arbeits- gruppen eingesetzt hat. Die Ergebnisse dieser Arbeits- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gruppen werden in der nächsten Zeit zu seriösen Vor- Das Wort hat nun Gregor Amann für die SPD-Frak- schlägen über eine Verbesserung der Rechtslage führen. tion. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dazu; ich möchte das jetzt nicht im Detail ausführen. Man kann über die Abschläge reden; das ist eine sehr teure Lösung. Man Gregor Amann (SPD): kann auch über die Zurechnungszeiten und deren Be- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! messungsgrundlage sprechen. Ich muss auf die Gründe für die langfristige Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 nicht groß eingehen; Das zweite sehr wichtige Thema sind flexible Über- denn Herr Weiß hat das schon vor mir getan. Er hat zu gänge in die Rente. Der Antrag der Grünen geht in der Recht festgestellt, dass diese Gesellschaft demografi- Tat in die richtige Richtung, wenn es um die Teilrente schen Veränderungen unterliegt. Ob Herr Ernst das aner- geht. In ihm wird aber auch die Abschaffung der Alters- kennen will oder nicht: Es ist so. Sie haben die seit Jah- teilzeit gefordert. Das lehnen wir Sozialdemokraten ab. ren sinkende Geburtenrate, die kontinuierlich steigende Altersteilzeit ist eines von mehreren Instrumenten, wie Lebenserwartung und auch die steigende Rentenbezugs- man einen flexiblen Übergang in die Rente erreichen dauer erwähnt. Das alles bringt unser umlagefinanziertes kann. Die Erwerbstätigenquote Älterer – wir haben die Rentensystem in Probleme. Zahl schon mehrmals gehört – ist in den vergangenen Jahren in der Tat angestiegen, obwohl Altersteilzeit ge- Meine Erfahrung ist: Wenn man Menschen sachlich fördert worden ist. Was behauptet wird, ist also falsch. erläutert, dass die Rentenbezugsdauer in der zweiten Le- benshälfte kontinuierlich steigt, dann verstehen die aller- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23011

Gregor Amann (A) Ich will auch noch kurz auf die Humanisierung der Dieser Eindruck schwindet nicht etwa, sondern er wird (C) Arbeitszeit eingehen, die ich sehr wichtig finde. Toni sogar noch stärker, wenn man sich mit dem Inhalt des Schaaf hat es schon angesprochen – man muss diesen Antrags beschäftigt. Punkt in diesem Zusammenhang immer wieder nen- nen –: Die beste Altersvorsorge ist, möglichst lange zu Er beginnt mit: „Die internationale Finanz- und Wirt- guten Bedingungen im Erwerbsleben verbleiben zu kön- schaftskrise …“ – Im zweiten Satz steht: nen. Die geplante Heraufsetzung des Renteneintritts- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: alters Richtig!) – es geht laut Titel um die Heraufsetzung auf 67 – Deshalb muss ein Teil der Antwort auf die Frage, ob man überhaupt so lange arbeiten kann, immer mit der wird die Situation auf dem Arbeitsmarkt in der sich Forderung nach alterns- und altersgerechter Arbeit ver- zuspitzenden Krise gravierend verschärfen. Die bunden sein. Wir dürfen uns nicht mit Arbeitsbedingun- Krise wird … gen abfinden, die übermäßigen Verschleiß bedeuten. Sie wissen genauso gut wie alle anderen hier, dass die Statt zu akzeptieren, dass sich Menschen kaputtarbeiten, Anhebung des Renteneintrittsalters nicht in diesem Jahr sodass sie mit Erwerbsminderungsrenten und Berufunfä- und auch nicht 2010 oder 2011 beginnt; sie fängt im higkeitsrenten aus dem Arbeitsleben ausscheiden, soll- Jahr 2012 an. In diesem Jahr wird das Renteneintritts- ten wir die Humanisierung der Arbeitswelt wieder viel alter um einen Monat heraufgesetzt. Diese Anhebung stärker in den Mittelpunkt stellen. endet im Jahr 2029, also in 20 Jahren. Dann erst wird der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) erste Rentner mit 67 Jahren in Rente gehen. Ich glaube, es gibt hier gar nicht so sehr ein Erkennt- Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat aber bereits be- nisdefizit, sondern eher ein Umsetzungsdefizit. Ich will gonnen. Wir reden vom Jahr 2009 und nicht vom hier auf INQA, die Initiative Neue Qualität der Arbeit, Jahr 2029. Wer also so tut, als gäbe es irgendeinen Zu- verweisen, die ein gutes Beispiel dafür ist, wie praxis- sammenhang – egal ob einen positiven oder einen nega- taugliche Lösungen gemeinsam mit den Betroffenen ent- tiven – zwischen der aktuellen Wirtschaftskrise und der wickelt werden können. Anhebung des Renteneintrittsalter, zu der es in den Jahren 2012 bis 2029 kommt, der verschaukelt die Men- Ich will noch einmal auf den Antrag der Linken ein- schen. gehen. Durch diesen Antrag und auch Ihren Beitrag, Herr Ernst, wird in meinen Augen sehr deutlich gezeigt, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (B) dass Sie an einer seriösen Auseinandersetzung mit dem (D) Thema Rentenpolitik überhaupt nicht interessiert sind. Es ist noch viel schlimmer: Für jemanden, der wis- sentlich die Unwahrheit sagt – Sie alle kennen die Fak- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ten –, für den gibt es in der deutschen Sprache noch ganz ist es! – Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: andere Begriffe. Doch!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie sind entweder nicht willens oder nicht fähig – viel- der CDU/CSU) leicht auch beides nicht –, sich an der eigentlichen Auf- gabe dieses Hauses zu beteiligen: konstruktiv an der Ge- Glauben Sie doch nicht, dass Sie das den Menschen bei- setzgebung mitzuwirken. Ihr Antrag ist nichts anderes bringen können. als die Aneinanderreihung altbekannter Textbausteine. Es ist nichts Neues darin, er enthält keine neuen Argu- (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: mente und keine neuen Forderungen. Schämen sollten sie sich! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist unseriös!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Man- ches stand schon im SPD-Programm!) Wenn Sie in einem Antrag so tun, als hätten die aktuelle Wirtschaftskrise und die Rente mit 67 irgend- Wir haben das alles hier schon zigmal diskutiert, und es etwas miteinander zu tun, dann zeigen Sie, dass Ihnen wurde schon zigmal darüber abgestimmt. Die große sowohl die Rentenpolitik als auch die Wirtschaftskrise Mehrheit dieses Hauses hat das wiederholt abgelehnt. völlig bedeutungslos sind. Es geht Ihnen nicht um die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sache und auch nicht um die berechtigten Sorgen der CDU/CSU) Menschen; Sie sind an Lösungen nicht interessiert. Sie benutzen diese Ängste nur, um Ihre eigenen Interessen Wenn Sie diese vielfach diskutierten und mehrfach zu bedienen. Ich finde das unerträglich. abgestimmten Versatzstücke jetzt noch einmal in An- tragsform einbringen, dann demonstrieren Sie damit, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) dass Sie die Funktionsweise der parlamentarischen De- mokratie überhaupt nicht verstanden haben. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit durch die Be- Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Die antwortung einer Zwischenfrage des Kollegen Ernst ver- wollen sie ja eh abschaffen!) längern? 23012 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Gregor Amann (SPD): (Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: So ist es!) (C) Ich war am Ende meiner Rede, aber gerne. Sie können ihn zwar auch für die Rente nutzen; das heißt (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das aber, dass in den folgenden Jahren auf Lohnsteigerungen kann man doch nicht unwidersprochen stehen verzichtet werden muss. Man kann den Produktivitäts- lassen! Eine solche Arroganz!) fortschritt nicht zweimal verfrühstücken. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Klaus Ernst (DIE LINKE): (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr! Herr Kollege Amann, Sie haben mich gerade der wis- Wo er recht hat, hat er recht!) sentlichen Unwahrheit bezichtigt. Nachdem Sie das Ge- genteil von dem getan haben, was in Ihrem Wahlpro- Der demografische Wandel wird dazu führen, dass gramm steht, frage ich Sie – erstens –: War das nun eine wir das Renteneintrittsalter anheben müssen. Das haben wissentliche Unwahrheit, oder haben Sie die Erkennt- wir auf den Weg gebracht, und das ist sinnvoll und not- nisse, die Sie hier vorgetragen haben, erst nach der letz- wendig. ten Bundestagswahl gewonnen? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Zweitens. Sie haben sehr viel von Demografie ge- sprochen. Gehen Sie mit mir davon aus, dass wir in 20 Jahren ein größeres Bruttoinlandsprodukt als jetzt ha- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben? Gehen Sie wie ich davon aus, dass es dann also ei- Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt nen größeren Kuchen als jetzt gibt? Gehen Sie wie ich gebe ich Kollegin Katja Mast, SPD-Fraktion, das Wort. davon aus, dass es aber weniger Menschen geben wird, die sich diesen Kuchen im Jahr 2030 teilen werden? Katja Mast (SPD): Wird das zu verteilende Kuchenstück größer oder klei- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! ner, wenn der Kuchen größer wird und ihn sich weniger Werte Kollegen Antragsteller von der Linken, zuerst ein- teilen müssen? mal halte ich wie mein Kollege Gregor Amann fest: Die Wie hängt dieser Tatbestand nach Ihrer Auffassung schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters beginnt mit der von Ihnen geplanten Heraufsetzung des Renten- 2012 und endet 2029. Die Wirtschaftskrise liegt bis da- eintrittsalters zusammen, mit der Sie dem demo- hin hoffentlich weit hinter uns. grafischen Wandel begegnen wollen? Wird nicht der Die in Ihrem Antrag hergestellte Verbindung zwi- Produktivitätsfortschritt in den nächsten Jahren die Aus- schen Wirtschaftskrise, Altersarmut und Erhöhung des wirkungen der demografischen Entwicklung ausglei- Renteneintrittsalters geht am Problem vorbei. (B) (D) chen, wodurch Rentensteigerungen und die Beibehal- tung des Renteneintrittsalters möglich wären? (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Frank Spieth [DIE LINKE]: Die Altersvorsorge leider nicht!) Gregor Amann (SPD): Herr Ernst, zum ersten Teil Ihrer Zwischenfrage muss Arm im Alter sind nämlich diejenigen, die nicht genug ich feststellen, dass Sie wissentlich die Unwahrheit sa- verdienen konnten, um ordentliche Rentenansprüche zu gen: Sie bringen Wirtschaftskrise und Renteneintritts- erwerben. alter in einen Zusammenhang und tun so, als könnte man (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der die Rente mit 67 als Teil des Konjunkturprogramms zu- CDU/CSU) rücknehmen, um die Wirtschaftskrise abzuwenden. Noch schlimmer ist aber, dass Sie mit den Ängsten (Zuruf von der LINKEN: Das ist doch der Menschen spielen, ohne sachgerechte Antworten zu Quatsch!) finden. Altersarmut hat erst in abgeleiteter Form etwas Beides hat nichts miteinander zu tun. Es liegen 20 Jahre mit dem Renteneintrittsalter zu tun. Altersarmut hat et- dazwischen. Das heißt, dass Sie wissentlich die Unwahr- was damit zu tun, wie lange man arbeiten und wie viel heit sagen. man verdienen kann. Würde Ihre Annahme stimmen, dass die Altersarmut auf die Rente mit 67 zurückgeht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Das ist ein wesentlicher Faktor!) Den zweiten Punkt finde ich viel wichtiger. Sie führen immer wieder das Argument an, dass die Rente durch dann gäbe es heute gar keine Altersarmut; wir müssten den Produktivitätsfortschritt immer weiter angehoben uns erst 2029 damit beschäftigen. Das ist aber nicht der werden kann. Ich habe gehört – auch wenn ich es kaum Fall. Da noch immer viele – insbesondere Frauen – glauben kann –, dass Sie Gewerkschafter waren oder im- Minirenten beziehen, die nicht zum Leben ausreichen, mer noch sind. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der haben wir beispielsweise die Grundsicherung im Alter Produktivitätsfortschritt in erster Linie für Tarifsteige- eingeführt. Sollte Ihr Antrag als Beitrag zur Bekämp- rungen genutzt wird. fung der Wirtschaftskrise gedacht sein, dann werfen Sie ihn in den Papierkorb! Er ist das Papier nicht wert, auf (Anton Schaaf [SPD]: So ist es!) dem er gedruckt ist. Sie können das nicht zweimal verfrühstücken. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23013

Katja Mast (A) Verantwortung sieht anders aus. Wenn man will, dass Jeder von uns weiß, es gibt Berufe, die kann auch (C) Menschen am Erwerbsleben teilhaben und später eine heute keiner bis 65 ausüben. Ich denke dabei an die gute Rente beziehen, dann muss man eine gute Arbeits- Krankenschwester, den Dachdecker, den Gießer, den markt- und Sozialpolitik machen. Hören Sie endlich auf, Stahlarbeiter, den Altenpfleger und viele mehr. Ihr An- Ihre Konzeptionslosigkeit in der Arbeitsmarktpolitik trag kapituliert vor dieser Situation. durch radikale Forderungen in der Rentenpolitik zu ver- decken! (Lachen der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ihr Antrag sagt nichts dazu, wie Sie Arbeit menschlicher machen wollen. Ihr Antrag sagt nichts dazu, wie diese Sie lamentieren nur, dass Menschen mit Abschlägen Menschen würdevoll in Rente gehen sollen. Ihr Antrag in Rente gehen. Das Problem besteht vielmehr darin, ist keine Lösung, sondern ein Problem. dass viele Menschen trotz langjähriger Beschäftigung nicht genug verdienen, um eine gute Rente zu haben. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Frank Spieth [DIE LINKE]: Das stimmt! Das Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: habt ihr zu verantworten!) Ich schließe die Aussprache. Menschen brauchen Arbeit. Sie müssen Familie und Be- ruf vereinbaren können, und sie brauchen einen ordentli- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf chen Verdienst. Darauf gibt Ihr Antrag keine Antworten. Drucksache 16/12295 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- (Frank Spieth [DIE LINKE]: Aber die Mini- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung und Midijobs, die Sie eingeführt haben, oder so beschlossen. wie?) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Auch 90 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu haben wir immer noch nicht das Ziel „Gleicher Lohn für dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit gleiche Arbeit“ erreicht. Ihr Antrag ist nicht an konkre- dem Titel „Kurs halten bei der Erwerbsintegration von ten Antworten auf diese brennenden Fragen interessiert, älteren Beschäftigten – Teilrenten erleichtern“. Der Aus- sondern zielt nur auf kurzfristige Effekthascherei in der schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Öffentlichkeit. Er ist ein Schaufensterantrag. Drucksache 16/11501, den Antrag der Fraktion (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9748 abzu- (B) lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – (D) Antoine de Saint-Exupéry, der Autor des Kleinen Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- Prinzen, hat gesagt: „Die Zukunft soll man nicht voraus- empfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die sehen wollen, sondern möglich machen.“ Ihr Antrag Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom- macht keine Zukunft möglich. Er gibt keine Antworten men. auf die Fragen, wie wir es schaffen, dass Arbeit Men- schen nicht krankmacht, dass diejenigen, die kaputt von Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Arbeit sind, in Würde in Rente gehen können, dass wir empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu für schwere Arbeit auch mehr für die Rente einzahlen, dem Antrag der Fraktion der FDP „Flexibler Eintritt in dass wir neue Modelle entwickeln, die das Know-how die Rente bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen“. Der Älterer im Betrieb halten, und dass Betriebsräte, Ge- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf werkschaften und Arbeitgeber unser Engagement für Drucksache 16/12311, den Antrag der Fraktion der FDP gute Arbeit und Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz auf Drucksache 16/8542 abzulehnen. Wer stimmt für mit voller Tatkraft unterstützen. diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Ja, wir Sozialdemokraten wollen, dass Arbeit nicht Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Frak- krank- und kaputtmacht. Ja, wir wollen, dass Teilhabe tion angenommen. durch Arbeit für jede Frau und jeden Mann möglich ist. Damit das klar ist: Wir wissen, dass hierzu ein flächen- Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c deckender Mindestlohn und auch die Regulierung der auf: Leiharbeit notwendig sind. a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Lafontaine ist CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines schon bei 10 Euro, Frau Mast!) Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstands- vergütung (VorstAG) Ja, wir wollen eine gute Rente für jeden Mann und jede Frau. Das ist der Grund für unsere Initiativen zur Huma- – Drucksache 16/12278 – nisierung der Arbeitswelt wie die Initiative „50 plus“, Überweisungsvorschlag: die Initiative „Neue Qualität der Arbeit“, WeGebAU und Rechtsausschuss (f) vieles mehr. Verantwortung bedeutet immer: das Ganze Finanzausschuss im Blick haben und viele Schritte gehen. Damit ist es Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales uns gelungen, das Renteneintrittsalter deutlich zu erhö- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union hen. Das war Arbeitsmarkt- und nicht Rentenpolitik. Haushaltsausschuss 23014 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten tungsstrukturen im Bankensektor waren eine wesentli- (C) Christine Scheel, Kerstin Andreae, Birgitt che Ursache der weltweiten Finanzkrise. Das haben auch Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion die Finanzaufseher der ganzen Welt in einem Untersu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chungsbericht so festgestellt. Die Folgen dieser Vergü- tungsstrukturen vernichten oder bedrohen heute die Ar- Exzesse bei Managergehältern verhindern beitsplätze, die Einkommen und den Wohlstand von – Drucksache 16/12112 – vielen Millionen Menschen auf allen Kontinenten. Überweisungsvorschlag: Das heißt aber auch – ich widerspreche dem, was Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss auch hier im Bundestag von verschiedenen Sprechern Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gesagt wurde und was viele in Deutschland immer noch meinen –: Übermäßige Managervergütungen sind keine c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Privatangelegenheit von Unternehmen, die sie gewäh- richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) ren, und von Managern, die sie kassieren. Es handelt – zu dem Antrag der Abgeordneten Christine sich im Zweifel um Verträge zulasten Dritter: Scheel, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, (Beifall bei der SPD) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zulasten der Steuerzahler und zulasten all derjenigen, die ohne eigenes Zutun die Folgen der Krise ausbaden müs- Steuerabzug bei Manager-Abfindungen be- sen. Das ist der Kern unserer Diskussion, der oft nicht grenzen beachtet wird. – zu dem Antrag der Fraktion DIE LINKE Schärfere Regeln zur Begrenzung von Managergehäl- Begrenzung der Managervergütung fördern tern herbeiführen zu wollen, ist kein Ausdruck irgend- welcher Neidkomplexe, sondern eine schlichte Not- – Drucksachen 16/7530, 16/7743, 16/8994 – wendigkeit, wenn wir die moralischen und die Berichterstattung: ökonomischen Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung Abgeordnete Leo Dautzenberg sichern wollen. Die Explosion der Vorstandsgehälter, die Dr. Barbara Höll wir seit den 90er-Jahren in Deutschland, völlig abgekop- pelt vom allgemeinen Gehaltsniveau, erleben mussten, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die muss gestoppt und zurückgeführt werden. Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion das Wort. Heute liegen die Vergütungen der Vorstandsvorsitzenden (Beifall bei der SPD) im Schnitt beim 45- bis 50-Fachen des durchschnitt- lichen Belegschaftsgehalts, in Einzelfällen noch weit darüber. Früher lag diese Relation – sie war lange Zeit Joachim Poß (SPD): stabil – bei rund dem 20-Fachen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dis- kussion über unangemessene Managergehälter, Millio- Der Ansatz zur Begrenzung der Managergehälter, den nenabfindungen und -boni wird nicht nur in Deutsch- wir Sozialdemokraten seit Ende 2007 erarbeitet und im land, sondern inzwischen weltweit geführt. Wir haben Frühjahr 2008 in unserem Parteipräsidium beschlossen darüber schon im letzten Jahr im Deutschen Bundestag haben und der den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf aus Anlass mehrerer Aktueller Stunden debattiert und prägt, setzt darauf, die Aufsichtsräte stärker in die Pflicht uns über einen längeren Zeitraum mit diesem Thema be- zu nehmen; denn genau sie sind in unserer Rechts- und schäftigt. Wirtschaftsordnung für die Managervergütung verant- wortlich. Um es ganz klar zu sagen: Wir wollen nicht US-Präsident Obama hat es angesichts des jüngsten den Gesetzgeber an ihre Stelle setzen. Wir wollen, dass Bonusskandals beim Versicherungsriesen AIG, der nur die Aufsichtsräte – die Vertreter der Arbeitnehmerseite noch dank exorbitanter Staatshilfen existiert, auf den in den Aufsichtsräten genauso wie die Vertreter der An- Punkt gebracht: „Es geht hier nicht um Dollar und Cent, teilseigner – ihrer Verpflichtung genau im Sinne dessen es geht um fundamentale Werte.“ Überall im Lande gebe nachkommen, was der eben von mir zitierte US-Präsi- es Menschen, die hart arbeiteten und ihren Pflichten dent gesagt hat. nachkämen, ohne dafür Staatshilfen und millionen- schwere Bonuszahlungen zu erhalten. Alles, was diese (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Menschen verlangten, sei, dass alle nach denselben Re- der CDU/CSU) geln spielten. Das sei eine Moral, die man einfordern müsse. Durch dieses Gesetz werden die Aufsichtsräte in die Lage versetzt, Managervergütungen durchzusetzen, die Es geht beim Thema Managergehälter also um die besser als bisher dem Geist einer sozialen Marktwirt- Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung. Die Ereignisse schaft entsprechen. Es geht dabei auch um eine Mentali- der letzten Wochen und Monate haben es klar gezeigt: tätsänderung. Es wird an den Aufsichtsräten, nicht an Die auf extrem hohe Kurzfristboni ausgerichteten Vergü- den Bundestagsabgeordneten liegen, diese Regeln mit Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23015

Joachim Poß (A) Leben zu erfüllen. Das müssen wir in unserer Wirt- Für uns Sozialdemokraten bedeutete Demokratie (C) schaftsordnung klarstellen. noch nie, dass derjenige mit dem meisten Geld das Sa- gen hat. Demokratie im Wirtschaftsleben heißt für uns, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dass die Belange aller Beteiligten, der Arbeitnehmerin- bei Abgeordneten der FDP) nen und Arbeitnehmer, der Anteilseigner und auch der Im Zentrum unseres Gesetzentwurfs stehen also Re- Allgemeinheit eine angemessene Beachtung finden. gelungen zu Verschärfungen der inhaltlichen und verfah- (Beifall bei der SPD) rensmäßigen Vorgaben zu Vorstandsvergütungen gemäß Aktienrecht. Variable Vergütungsanreize sollen sich Im Shareholder-Value-Fieber der letzten Jahre ist das künftig am langfristigen Unternehmenserfolg, nicht an aber aus dem Blickfeld geraten. Deshalb haben wir kurzfristigen Börsenkursentwicklungen ausrichten. Ak- Sozialdemokraten uns in den Vorarbeiten der Koalition tienoptionen, die als Gehaltsbestandteil ausgegeben wer- zu diesem Gesetzentwurf auch für eine entsprechende den, sollen künftig erst nach vier anstatt, wie bisher, Ergänzung des § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes starkge- schon nach zwei Jahren eingelöst werden können. Die macht. Wir wollen die Unternehmensleitung explizit auf Aufsichtsräte sollen die Entscheidung über die Vor- diese Vielfalt von Interessen am Unternehmen verpflich- standsvergütung nicht mehr an separate und geheim ta- ten. Bisher konnte sich unser Koalitionspartner CDU/ gende Ausschüsse delegieren können, sondern sie sollen CSU noch nicht zu einer solchen Änderung durchringen. stets im Aufsichtsratsplenum entscheiden. Geheime (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das wird er Kungelrunden standen schon im Zentrum des Mannes- auch nicht!) mann-Skandals. Auch bei den jüngst diskutierten Zah- lungen bei der Post wurde auf den Beschluss in einem Wir hoffen, dass das im parlamentarischen Verfahren solchen Kleinstgremium hingewiesen. noch geschieht. Die Aufsichtsräte bekommen auch schärfere Rege- Vielleicht hilft Ihnen dabei ja, meine Damen und Her- lungen für eine nachträgliche Herabsetzung von Vor- ren von der Union, die Aussage des früheren Gene- standsvergütungen an die Hand, wenn die wirtschaftli- ral-Electric-Chefs Jack Welch die jüngst in Zeitungen zu che Lage des Unternehmens das gebietet. Gleichzeitig lesen war – ich zitiere –: wollen wir die Haftung der Aufsichtsräte für unange- Genau betrachtet, ist Shareholder-Value die blö- messene Vergütungsentscheidungen verschärfen. deste Idee der Welt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Wir wollen, dass durch Änderungen im Handelsgesetz- Shareholder-Value ist ein Ergebnis, keine Strategie. (B) buch noch mehr Transparenz bei der Veröffentlichung (D) von Pensionszahlungen und sonstigen Nebenleistungen Weiter sagte er: geschaffen wird. Die wichtigsten Interessengruppen sind die eigenen Meine Damen und Herren, ganz bewusst setzt der Ge- Mitarbeiter, die eigenen Kunden und die eigenen setzentwurf auf eine Stärkung der Verantwortung der Produkte. Aufsichtsräte und nicht etwa der Hauptversammlung (Beifall bei der SPD) und der dort ausschließlich vertretenen Aktionäre. Letz- teres spielte in der Debatte der letzten Wochen und Mo- Dem muss man, glaube ich, nichts hinzufügen. nate eine Rolle. Auch aus den Reihen unseres Koali- Darüber hinaus setzen wir Sozialdemokraten auf die tionspartners heraus ist gefordert worden, dass die späte Einsicht unseres Koalitionspartners in der Frage Hauptversammlung entscheidet. der Begrenzung der steuerlichen Absetzbarkeit überhöh- (Dr. Karl Addicks [FDP]: Das wäre auch sinn- ter Vorstandsvergütungen und -abfindungen als Be- voll!) triebsausgaben. Dies wäre ein wichtiges Zeichen an die Unternehmen, dem auch die Steuersystematik nicht ent- Aber was hieße es denn, die Hauptversammlung über gegensteht – ganz im Gegenteil. Unser Körperschaft- die Vorstandsgehälter entscheiden zu lassen? Dort sitzen steuerrecht kennt seit Jahrzehnten eine entsprechende doch nicht nur geduldige Kleinanleger; heutzutage do- Abzugsbeschränkung für die Vergütung von Aufsichts- minieren in den Hauptversammlungen oftmals gerade räten. die Vertreter von Hedgefonds oder anderen kurzfristig agierenden Anlegern, die am Unternehmen gar nicht Die Koalition will diese Fragen parallel zum jetzt an- langfristig interessiert sind. Wenn künftig ausschließlich laufenden Gesetzgebungsverfahren weiter beraten – so diese Leute über die Vorstandsgehälter entscheiden wür- ist es im Koalitionsausschuss vereinbart – und Bera- den, dann hieße das doch wirklich – das zu Ihrem Ein- tungsergebnisse, wenn möglich, noch in das Gesetzge- wurf, meine Damen und Herren von der FDP –, den bungsverfahren einspeisen. Bock zum Gärtner zu machen, Dasselbe gilt für Themen, die ebenfalls Gegenstand (Beifall bei der SPD) der Beratungen des Koalitionsausschusses am Monats- anfang waren: die Reduktion der Anzahl von Aufsichts- Da helfen dann auch keine verharmlosenden Vokabeln ratsmandaten, die Einbeziehung der Vergütungsstruktu- wie etwa das Wort von der sogenannten Aktionärsdemo- ren von Finanzinstituten in die Finanzmarktaufsicht kratie. – eine Art TÜV für Finanzprodukte – oder auch die Ein- 23016 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Joachim Poß (A) führung einer Börsenumsatzsteuer. Aus Sicht der SPD (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C) wäre es unbedingt wünschenswert, am Ende des Gesetz- der CDU/CSU) gebungsverfahrens ein noch umfassenderes Paket als das Wir haben gehört, dass die Diskussion sehr emotional heutige vorliegen zu haben. geführt wird. Der Kollege Poß hat gesagt, dass es große Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Unterschiede innerhalb der Koalition gibt. Der Gesetz- entwurf, der hier vorliegt, ist der kleinste gemeinsame (Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann Nenner, auf den sich die Koalition verständigen konnte. [DIE LINKE: Mit der FDP dann?]) Bevor ich in die Einzelheiten gehe, möchte ich eines sa- gen: Fast alles, was in diesem Gesetzentwurf steht und Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: was gefordert wird, wäre bereits nach der geltenden Das Wort hat nun Kollegin Mechthild Dyckmans für Rechtslage möglich gewesen. die FDP-Fraktion. (Joachim Stünker [SPD]: Nein!)

Mechthild Dyckmans (FDP): – Jawohl. – Die Vergütung der Vorstandsmitglieder muss Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- bereits heute den Aufgaben und der Lage der Gesell- gen! Wie mein Vorredner, der Kollege Poß, bereits ge- schaft angemessen sein. sagt hat, haben wir schon mehrmals über die Manager- (Joachim Stünker [SPD]: Was ist „angemes- gehälter gesprochen. Gerade die Vorstandsvergütungen sen“?) in Aktiengesellschaften – darum geht es bei diesem Ge- setzentwurf – sind in der letzten Zeit wiederholt Gegen- Die Bezüge können gekürzt werden, wenn sich die Lage stand der Diskussion gewesen, auch in diesem Haus. Es der Gesellschaft verschlechtert und die Weitergewäh- ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln, rung unbillig wäre. Das Vergütungssystem für den Vor- dass zum Beispiel Banken, die hohe Verluste machen, stand einschließlich der wesentlichen Vertragselemente sich unter den Schutzschirm des Staates stellen und auch soll nach dem Corporate-Governance-Kodex bereits noch Milliarden an Steuermitteln bekommen, dass sie heute vom Aufsichtsratsplenum entschieden werden. weiterhin hohe Boni an ihre Mitarbeiter zahlen und dass Vorstand und Aufsichtsrat haften bereits nach geltendem eine Rückzahlungspflicht nicht gegeben ist. Recht für schuldhafte Verletzungen der Sorgfaltspflich- ten. Damit will ich sagen: Auch bei der Festsetzung von Das ist den Menschen kaum zu erklären. Managergehältern hat die Kontrolle versagt. Die beste- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) henden Regelungen sind nicht angewandt worden. Auch das hat der Kollege Poß schon gesagt. Das Problem ist, (B) Die Verträge lassen aber bisher nichts anderes zu. Da dass die Kontrolle versagt hat und die Aufsichtsräte die (D) glaube ich – in dieser Frage bin ich mit meiner Fraktion Möglichkeiten, die sie haben, nicht wahrgenommen ha- einer Meinung –: Wenn sich ein Unternehmen unter den ben. Schutzschirm des Staates stellt, dann muss der Staat Re- geln für die Höhe der Managergehälter aufstellen. Aber Kommen wir nun zu den Einzelheiten. Richtig ist – da in den anderen Fällen, in denen Unternehmen ohne die bin ich Ihrer Ansicht –, dass sich die Vergütungsstruktur Hilfe des Staates auskommen, muss der Gesetzgeber am langfristigen Erfolg des Unternehmens ausrichten sehr zurückhaltend agieren. Ein gefühltes Unbehagen in soll. Sie haben schon gesagt, dass die variable Vor- Teilen der Bevölkerung darf nicht zur Richtschnur ge- standsvergütung dazu geführt hat, dass gerade Banken setzlichen Handelns werden. unkalkulierbare Risiken eingegangen sind. Wir sind Ih- rer Meinung, dass sich in dieser Hinsicht etwas ändern (Joachim Stünker [SPD]: Daran werde ich Sie muss. Wir sind auch der Meinung – Herr Poß, das wird erinnern! Das habe ich mir aufgeschrieben, Sie vielleicht wundern –, dass die Entscheidung über die Frau Dyckmans! Nächste Woche im Aus- Vergütung dem Plenum des Aufsichtsrats überlassen schuss!) werden soll und nicht der Hauptversammlung. Die Hauptversammlung soll zwar die Grundsätze festlegen, – Sehr schön, wunderbar. – Wir müssen etwas differen- aber die Entscheidung über die Vergütung soll beim Ple- zieren. Wir haben in Deutschland insgesamt über num liegen. Auch das sieht der Corporate-Governance- 14 000 Aktiengesellschaften. Schon diese Zahl macht Kodex schon zum Teil vor. Ich möchte Sie bitten, in der deutlich, dass es Unterschiede gibt. Das sind zum Teil Gesetzesbegründung den Corporate-Governance-Kodex kleine, mittlere und Familienunternehmen. Die können richtig zu zitieren; denn Sie schreiben in der Begrün- wir doch nicht alle in einen Topf werfen. Nur ein gerin- dung, der Aufsichtsrat solle nur über das Vergütungssys- ger Teil der Aktiengesellschaften, nämlich nur 5 Pro- tem beraten. Nein, der Corporate-Governance-Kodex zent, sind überhaupt an der Börse notiert. Es geht also sieht vor, dass er über das Vergütungssystem und die we- für uns, die FDP, darum, was die Aufgabe des Staates bei sentlichen Vertragselemente zu beschließen hat. Also der Festsetzung von Managervergütungen ist. Da gilt für auch das ist bereits heute so. uns zunächst einmal der Grundsatz der Vertragsfreiheit, natürlich unter Einhaltung der Vorgaben unserer Rechts- Sie wollen ferner die Möglichkeiten der nachträgli- ordnung. Deshalb finde ich es auch richtig, dass dieser chen Herabsetzung der Vorstandsbezüge durch den Auf- Gesetzentwurf erst einmal keine gesetzlichen Obergren- sichtsrat erweitern oder verschärfen. Sie wollen, dass der zen für Vorstandsgehälter festlegt; denn das ist nicht Aufsichtsrat in Zukunft kein Ermessen mehr hat, son- Aufgabe des Gesetzgebers. dern die Herabsetzung vornehmen muss, wenn zwei Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23017

Mechthild Dyckmans (A) Voraussetzungen gegeben sind: zum Ersten die Ver- gesellschaften gelten würde, also auch für kleine und (C) schlechterung der Lage der Gesellschaft und zum Zwei- mittlere Aktiengesellschaften und Familienunterneh- ten dann, wenn die Weitergewährung der Bezüge unbil- men. Gerade bei denen ist von besonderer Wichtigkeit, lig wäre. dass der Wissenstransfer gewährleistet wird. Hier sollte für diesen Personenkreis die Möglichkeit bestehen, doch In der Begründung führen Sie erstens aus, dass eine Mitglied des Aufsichtsrats und natürlich auch des wich- Verschlechterung der Lage der Gesellschaft vorliegt, tigen Prüfungsausschusses zu werden. wenn es zu Entlassungen oder Lohnkürzungen kommt. Frage: Wie viele Entlassungen sind notwendig? Mit Blick auf die Verschlechterung verzichten Sie auf das Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Wesentlichkeitsmerkmal. Das scheint mir zu einer gro- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Ich ßen Rechtsunsicherheit zu führen. war schon sehr großzügig. In der Gesetzesbegründung führen Sie zweitens aus, Mechthild Dyckmans (FDP): dass es nicht nur auf die Unbilligkeit für die Gesellschaft Ja, Herr Präsident; ich komme zum Schluss. ankommt. Sie haben einen Satz aus der Begründung he- rausgenommen, der in der Formulierungshilfe des BMJ Einschränkungen bei der steuerlichen Berücksichti- enthalten war, nämlich den Satz: Unbillig kann die Wei- gung der Vorstandsbezüge lehnen wir ab. tergewährung auch sein, wenn sie von einer allgemeinen Ich danke Ihnen – auch Ihnen, Herr Präsident. Betrachtung aus unbillig erscheint. – Dieser Satz ging einigen Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU (Beifall bei der FDP) offensichtlich – zu Recht – zu weit. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Es freut mich, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dass ich dafür mal gelobt werde!) Nun hat das Wort Kollege Otto Bernhardt für die CDU/CSU-Fraktion. Worauf sich die Unbilligkeit aber jetzt bezieht, ver- schweigt die Koalition. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das sage ich Otto Bernhardt (CDU/CSU): gleich!) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Es muss auf die Unbilligkeit für das Unternehmen an- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt insbe- kommen. Das muss meines Erachtens wieder aufgenom- sondere zwei Gründe dafür, dass der Gesetzgeber nach men werden. (B) Auffassung der Großen Koalition in der Frage der Mana- (D) gerbesoldung tätig werden muss. Natürlich ist dafür zu sorgen – ich habe es schon ge- sagt –, dass der Aufsichtsrat seiner Kontrollpflicht hin- Der erste Grund. Es gibt unangenehme Einzelerschei- sichtlich der Vergütung der Vorstandsmitglieder gerade nungen, die geeignet sind, unser gesamtes marktwirt- in Krisenzeiten nachkommt. Tut er dies nicht, muss er schaftliches System in ein falsches Licht zu bringen. Ich haften. In der Presse wurde großspurig angekündigt will nicht diverse Einzelbeispiele nennen, aber ich sage: – Sie haben es eben wieder gesagt –, die Haftung des Dafür, dass eine Firma, die fast 1 Milliarde Euro Verlust Aufsichtsrats werde verstärkt. Das Aktiengesetz sieht macht, dennoch 12 Millionen Euro Boni auszahlt, hat aber schon heute eine starke Haftung vor. Die Anfügung niemand Verständnis. der beiden Sätze an den § 116 des Aktiengesetzes bringt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus keine materiellen Änderungen. Das sagen Sie in der Be- Uwe Benneter [SPD]: Außer die FDP!) gründung auch. Die geplante Änderung hebt lediglich die Sorgfaltspflichten noch einmal besonders hervor. Wenn wir uns nun anschauen, bei welchen Firmen so Das schadet nichts, aber das nützt auch nichts. etwas passiert, dann müssen wir erstaunt feststellen, dass es sich dabei zum Teil um Firmen handelt, bei denen wir Wichtig ist, die Professionalität und Effizienz der als Staat durchaus etwas zu sagen haben. Aufsichtsräte zu verbessern. Dazu haben wir einen An- trag eingebracht. Wir wollen die Zahl der Aufsichtsrats- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das stimmt! mandate pro Person auf fünf Handelsgesellschaften be- Genau!) grenzen. Wir wollen die Größe der Aufsichtsräte auf Wahrscheinlich ist es rechtlich in Ordnung, dass man maximal zwölf Mitglieder begrenzen. Wir wollen die seine Altersversorgung kapitalisieren lässt. Nur, die Wählbarkeit des früheren Vorstandsvorsitzenden zum 20 Millionen Euro, die jetzt im Raum stehen, stören den Aufsichtsratsvorsitzenden desselben kapitalmarktorien- sozialen Frieden. Ich sage mit aller Deutlichkeit, meine tierten Unternehmens für die Dauer von drei Jahren aus- Damen und Herren: Das geht nicht. schließen und die Arbeit des Aufsichtsrats insgesamt professionalisieren. Das ist der richtige Ansatz. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Lassen Sie mich zum Schluss noch eines ansprechen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie wollen, dass Mitglied des Prüfungsausschusses des Aufsichtsrats nicht sein kann, wer in den letzten drei Das ist der eine Grund, warum ich sage, wir müssen tätig Jahren Vorstandsmitglied der Gesellschaft war. Bitte be- werden. Wenn wir hier nicht tätig werden, werden Teile denken Sie noch einmal, dass das für sämtliche Aktien- der Bevölkerung dafür kein Verständnis haben. 23018 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Otto Bernhardt (A) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt gibt es in beiden Fraktionen und auch darüber (C) Große Teile!) hinaus weitergehende Wünsche. Ich sage für meine Fraktion: Wir werden über jeden Wunsch, der geäußert Es gibt aber auch einen zweiten Grund: Es hat sich wurde, auch im Anhörungsverfahren, in aller Ruhe mit- nämlich in der Tat bei der Analyse der internationalen einander diskutieren. Finanzkrise herausgestellt, dass insbesondere der Tatbe- stand, dass im Finanzbereich die Vergütungen sehr stark Wir haben ja insbesondere zwei Punkte, die von den von kurzfristigen Erfolgen abhängig sind, unangenehme Sozialdemokraten vorgebracht wurden, nicht aufgenom- Entwicklungen – ich drücke es jetzt einmal neutral aus – men: zum einen die verpflichtende Bindung des Han- beschleunigt hat. Das heißt, auch angesichts der Erfah- delns des Vorstandes an das Gemeinwohl und zum ande- rungen aus der Finanzkrise mussten wir tätig werden. ren die Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit Das sagt nichts über den Wert der Arbeit der Cromme- von Vergütungen. Kommission. Diese hat gute Arbeit geleistet. Es zeigt Die Sozialdemokraten haben einige der von uns ange- sich aber, dass bestimmte Vereinbarungen von 90 Pro- führten Punkte nicht aufgenommen. So gab es bei uns zent der Firmen eingehalten werden, von 10 Prozent der die Überlegung, ob man nicht, da die Eigentümer ja am Firmen jedoch nicht, und nur der Gesetzgeber dafür sor- ehesten in der Hauptversammlung zusammenkommen, gen kann, dass bestimmte Vereinbarungen von allen ein- in dieser über bestimmte Grundpositionen bei der Ein- gehalten werden. kommensstruktur beraten und entscheiden sollte. Bei uns gab es ferner die Überlegung, ob nicht ein Aufsichts- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rat mit 20 Mitgliedern – das ist ja die derzeit geltende der CDU/CSU) Obergrenze – zu groß ist. Wir hätten es lieber gesehen, Deshalb haben wir hier einen ganz klaren Auftrag, in wenn die Zahl der Mitglieder etwas reduziert worden Aktion zu treten. wäre. Das sind Punkte, über die man diskutieren kann. Wir hatten nie die Absicht – den Sozialdemokraten Eines sage ich hier mit allem Nachdruck: Die Be- unterstellt man das ja gerne, uns nicht –, Höchstgrenzen schäftigung mit den weiterführenden Wünschen darf für Gehälter festzulegen. Dass man das bei einer Firma nicht dazu führen, dass wir irgendwann im Juni feststel- machen muss, die den Staat um Hilfe bittet, ist richtig. len müssen, dass wir es nicht mehr schaffen, dieses Ge- Die Begrenzung auf 500 000 Euro in diesen Fällen geht setz in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. in Ordnung. Hier muss man vielleicht sogar noch mehr (Beifall bei der SPD) regeln. Aber in anderen Fällen wollten wir das nie, ge- nauso wenig wie die FDP. Das ist völlig klar. Ich sage sehr deutlich: Mir persönlich wäre es sympathi- scher, wir verabschiedeten diese sechs Punkte – viel- (B) Ein Streitpunkt ist die steuerliche Absetzbarkeit von leicht können wir uns ja über noch mehr einigen –, als (D) Vergütungen. Wir werden weiter darüber diskutieren. dass wir das Ganze untergehen ließen und ganz große Wir hatten Bedenken, diese einzuschränken. Sie sagen, Dinge für die nächste Legislaturperiode versprächen. dass das geht, wie man an den Aufsichtsratsvergütungen (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Und das dann sehen kann. Da haben Sie recht. Wir sind allerdings der mit der FDP!) Meinung, dass es sich dabei um einen Sündenfall han- delt, den man nicht noch einmal wiederholen sollte. Ich weiß – ich ertappe mich auch immer wieder dabei –, dass wir gerne große neue Vorhaben für die nächste Le- Ich halte an dieser Stelle fest, dass viele nicht ge- gislaturperiode ankündigen. Aber was wir in dieser glaubt haben, dass es trotz der in diesem Bereich sicher schaffen können, sollten wir in dieser machen. nicht zu unterschätzenden Unterschiede der Großen Ko- alition gelungen ist, sich auf sechs konkrete Punkte zu (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einigen. Ich will die einzelnen Punkte jetzt nicht nennen. Ich möchte abschließend ein herzliches Wort des Sie sind hier im Einzelnen vom Kollegen Poß dargelegt Dankes an die Kollegen in der Arbeitsgruppe richten, worden. Ich sage nur: Das ist ein großer Schritt in die insbesondere an den Mitvorsitzenden, den Kollegen Poß. richtige Richtung. Hiervon wird eine Signalwirkung aus- gehen. (Joachim Poß [SPD]: Den erwidere ich gerne!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich glaube, das, Herr Kollege Poß, was wir gemeinsam der CDU/CSU) mit unseren Kollegen erarbeitet haben, kann sich sehen lassen. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens im Juni Die größte Wirkung hat für mich – ich sehe das an der dieses Jahres die von uns erarbeiteten Punkte verab- eingehenden Post von Betroffenen – der Tatbestand, dass schieden, damit das entsprechende Gesetz noch im in Zukunft der gesamte Aufsichtsrat über bestimmte Sommer dieses Jahres in Kraft treten kann. Dinge diskutieren muss. Bei der Post wäre manches Ich sage noch einmal: Wir müssen handeln. Die Aus- nicht passiert, wenn es statt in einem kleinen Gremium wüchse geben ein falsches Bild in der Öffentlichkeit. im Gesamtaufsichtsrat hätte beschlossen werden müs- Der Tatbestand, dass die internationale Finanzkrise ihre sen. Wenn 12 oder 14 Leute ganz offen über alles disku- Ursache zum Teil auch in der Besoldung von Managern tieren, dann fallen bestimmte Entscheidungen anders aus hat, zwingt uns zum Handeln. als bisher. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23019

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar (C) Das Wort hat nun Kollege Klaus Ernst für die Frak- Enkelmann [DIE LINKE]: Sand in die Augen tion Die Linke. streuen!) (Beifall bei der LINKEN – Ute Kumpf [SPD]: Das Argument von damals ist überholt. Wir haben un- Herr Ernst hat jetzt schon einen roten Kopf!) ter anderem vorgeschlagen, den Betriebsausgabenabzug im Hinblick auf Managergehälter auf 1 Million Euro zu begrenzen. Nicht einmal dazu konnte sich diese Koali- Klaus Ernst (DIE LINKE): tion durchringen. Das wäre nun wirklich nicht viel. Wir Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst wollen die Besteuerung ändern: bei Bezügen ab 1 Mil- zu Herrn Poß: Es freut mich, dass Sie in einigen Punkten lion Euro 60 Prozent, ab 2 Millionen Euro 65 Prozent. aus meiner Sicht durchaus in die richtige Richtung gehen Das ist eine indirekte Begrenzung der Managergehälter, und weiter gehen als der Beschluss, den Sie in der Koali- nicht einmal eine direkte. tion gefasst haben. Wenn ich höre, was Sie in der nächs- ten Zeit koalitionspolitisch vorhaben, frage ich mich al- In den Vereinigten Staaten – auch dort gibt es übri- lerdings, inwiefern Sie glauben, dass Sie das mit der gens Verträge; dass es Verträge gibt, ist ja ein Argument, FDP durchsetzen können. das Sie immer anführen – greift der Gesetzgeber direkt in die Verträge ein. Wir trauen uns nicht einmal, Rege- (Joachim Poß [SPD]: Aber die sind doch nicht lungen für eine höhere Besteuerung durchzusetzen. In in der Koalition! – Christine Scheel [BÜND- den Vereinigten Staaten wird über 100 Prozent Besteue- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Satz haben Sie rung diskutiert, und 90 Prozent werden beschlossen. Die heute schon mal gesagt!) Große Koalition mit ihren Beschlüssen erinnert mich in Sie merken ja, dass Ihr Vorschlag, der jetzt in der Dis- diesem Punkt an Hasen, die davonlaufen, wenn es ernst kussion ist, der FDP schon zu weit geht. wird. Herr Bernhardt, Sie haben gesagt, aus zwei Gründen (Beifall bei der LINKEN – Dr. Jürgen Gehb müsse etwas geschehen. Der eine Grund ist, dass damit [CDU/CSU]: Wenn Ernst spricht, ist es zum das wirtschaftliche System in Misskredit gebracht wor- Davonlaufen! Das ist wahr!) den ist. Ich wundere mich nur, warum diese Debatte über – Was würden Sie denn sagen, wenn ein Abgeordneter die Managergehälter erst entstanden ist, als wir vor zwei hier eine Besteuerung von 100 Prozent fordern würde? Jahren den Antrag eingebracht haben, die Managerge- Dann würden Sie sagen, der kommt aus der DDR. Das hälter zu begrenzen. wird aber in Amerika gefordert. (B) (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Ach!) Die Bundesregierung schlägt Regelungen vor. Diese (D) Regelungen sind absolut unzureichend. Ich kann Ihnen Ein bisschen Verhältnis zur Wahrheit muss man doch auch sagen, warum: weil das mit den Aufsichtsräten noch haben. Vorher hat das keinen Menschen interes- nicht funktioniert. Sie wissen genau, dass nach dem Mit- siert. Es war die Linke, die gefordert hat, die Manager- bestimmungsgesetz die Aufsichtsräte so besetzt sind, gehälter zu begrenzen. Wären wir nicht in der größten dass die Arbeitgeberseite immer die Mehrheit hat. Finanzkrise der letzten 60 Jahre, dann hätten Sie dieses Ebenso wissen Sie um die Verflechtung der Aufsichts- Thema wahrscheinlich nach wie vor nicht angepackt. räte untereinander. Glauben Sie tatsächlich, dass da eine Das ist die Wahrheit. Krähe der anderen die Augen aushackt? (Beifall bei der LINKEN) (Ute Kumpf [SPD]: Sie scheinen es ja zu wis- Meine Damen und Herren, die Linke hat 2007 einen sen!) Gesetzentwurf zur Begrenzung der Managergehälter Keinesfalls! Vielmehr werden Sie zwar eine größere vorgelegt. Sie haben ihn abgelehnt mit der Begründung, Transparenz erreichen – das stimmt –; aber Sie werden das sei ein Eingriff ins Eigentumsrecht. keinesfalls dazu beitragen, dass die Managergehälter ge- (Joachim Stünker [SPD]: Ihr Antrag war es ja ringer werden. auch!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: – Einen kleinen Moment, Herr Kollege. – In dem An- Kollege Ernst, gestatten Sie eine Zwischenfrage des trag, den wir heute hier einbringen, fordern wir, dass we- Kollegen Poß? nigstens in den Unternehmen, in denen der Bund Eigen- tümer ist, diese Regelung getroffen wird. Da ist das Eigentumsrecht nicht berührt. Sie haben in den Unter- Klaus Ernst (DIE LINKE): nehmen, in denen der Bund Eigentümer ist – bei der Ja, gerne. Bahn, bei der Post oder sonst wo –, in den letzten zwei Jahren nichts gemacht, Joachim Poß (SPD): (Joachim Stünker [SPD]: Warten Sie ab!) Kollege Ernst, nur eine kurze Frage, um die Debatte aus Zeitgründen nicht allzu sehr zu verlängern. Ist Ihnen sondern einfach weitergemacht wie bisher. Das ist mei- bekannt, dass die Vorschläge, die in dem vorliegenden nes Erachtens ein Skandal. Denn dies Thema berührt die Gesetzentwurf enthalten sind, sowie das, was ich ergän- Öffentlichkeit. zend vorgetragen habe, der Beschlusslage des Deutschen 23020 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Joachim Poß (A) Gewerkschaftsbundes einschließlich aller Mitgliedsge- an. Unsere Volkswirtschaft, unsere soziale Markt- (C) werkschaften, zum Beispiel auch der IG Metall, entspre- wirtschaft ist eine dynamische Veranstaltung. Die chen? CDU/CSU-Fraktion wird sich daher gegen einen solchen billigen Populismus entschieden wehren. Klaus Ernst (DIE LINKE): Ich freue mich, dass Sie sich unserem Populismus inzwi- Kollege Poß, das ist mir sehr wohl bekannt. Aber ist schen angeschlossen haben, meine Herren, und dass Sie Ihnen bekannt, dass die Forderungen des DGB in diesem nach außen so tun, als würden Sie wirklich etwas ändern Punkt weiter gehen als das, was Sie beschlossen haben? wollen. (Joachim Stünker [SPD]: Das stimmt doch über- (Beifall bei der LINKEN) haupt nicht! Das ist schlichtweg falsch!) Zu den variablen Bestandteilen – Sie wollen nun bei In dem Fall würde ich Sie bitten, sich im Internet anzu- Aktienoptionen eine Frist von vier anstatt von zwei Jah- schauen, was auf der Geschäftsführerkonferenz der ren – heißt es in dem Protokoll zu ihrer Verteidigung IG Metall in dieser Woche beschlossen wurde. Dann – das hat mich schon ein wenig auf die Palme ge- würden Sie vielleicht merken, dass Sie der Zeit hinter- bracht –: herlaufen. – Im Übrigen habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich bei meiner Antwort auf Ihre Frage setzen. Das Weil variable Bestandteile wie vor allem Aktienop- ist nicht so tragisch. tionen die Verantwortung und das Engagement ei- nes Managers noch einmal steigern. Das gilt übri- Sie erwecken den Eindruck, als würden Sie wirklich gens für alle Ebenen eines Unternehmens. etwas ändern. Aber praktisch werfen Sie Nebelkerzen. Wir haben bei den Managergehältern ein Riesenpro- Es freut mich, dass die Realität Sie dazu gezwungen hat, blem. Es geht um Abzocke, um Unverhältnismäßigkeit Ihre Positionen zu verändern. Ich bedaure aber, dass es und – da gebe ich Herrn Bernhardt vollkommen recht – immer erst eine halbe Katastrophe geben muss, bevor um Sprengstoff mit einem enormen Potenzial innerhalb Sie zur Vernunft kommen. der Bevölkerung. Ich habe den Eindruck, dass Sie diese Gefahr noch nicht ausreichend erkannt haben. Ich danke fürs Zuhören. Herr Funke von der Hypo Real Estate will einklagen, (Beifall bei der LINKEN) dass sein Gehalt von vermutlich 1,3 Millionen Euro wei- tergezahlt wird, obwohl er einen Job gemacht hat, der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: absolut daneben war. Da fragt sich der normale Mensch, Das Wort hat nun Christine Scheel für die Fraktion (B) der seinen Job verliert und dann bei Hartz landet: Was ist Bündnis 90/Die Grünen. (D) eigentlich mit mir? Herr Zumwinkel lässt sich seine Rentenansprüche in Höhe von 20 Millionen Euro aus- zahlen, obwohl er vorbestraft ist und er seinen Job offen- Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sichtlich auch nicht ordentlich gemacht hat. Die Gehälter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir der Manager von DAX-Unternehmen haben sich von haben es heute mit einem Gesetzentwurf zu tun, der das 1997 bis 2007 um 240 Prozent erhöht. Ich habe heute in Ziel hat – ich zitiere –, „die Anreize in der Vergütungs- der Zeitung gelesen, dass trotz der stärksten Lohnzu- struktur für Vorstandsmitglieder in Richtung einer nach- wächse seit 13 Jahren den deutschen Arbeitnehmern im haltigen und auf Langfristigkeit ausgerichteten Unter- Jahr 2008 erneut weniger Geld in den Taschen geblieben nehmensführung zu stärken“. Der Titel ist gut. Die Frage ist. Darüber regen sich die Bürger auf. Wenn Sie dieses ist nur, ob der Gesetzentwurf dem Anspruch gerecht Thema nicht angehen, dann werden Sie in der nächsten wird, den der Titel suggeriert. Zeit Proteste in nicht gekanntem Ausmaße erleben. Ich würde sagen, dass dieser Gesetzentwurf ein groß- Was mich natürlich freut, ist, dass Sie sich diesem koalitionärer Minimalkonsens ist – das ist in der Debatte Thema überhaupt zuwenden. Ich habe hier einige Zitate deutlich geworden – und dass er dem, was vonseiten vie- aus einer der letzten Debatten zu diesem Thema, insbe- ler Vertreter und Vertreterinnen der Koalition, auch von sondere von Herrn Krings aufseiten der CDU/CSU. Als der Bundeskanzlerin, gesagt wurde, nicht entspricht. Die wir vorgeschlagen haben, in diesem Bereich Regelungen Bundeskanzlerin hat schon im letzten Jahr gesagt, dass zu treffen, hat er gesagt – ich zitiere aus dem Protokoll millionenschwere Fantasieabfindungen gegeißelt wer- vom 16. November 2007 –: den müssen. Auch Finanzminister Peer Steinbrück hat sich gegen Boni für Versager ausgesprochen. Unser Der Schutz der Schwachen steht im Mittelpunkt un- neuer Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg serer sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet aber findet, dass bei den Manager-Boni nicht nur einmal die nicht, das Einkommen derjenigen, die mehr verdie- Grenzen des Anstandes überschritten worden sind. Alle nen, zu deckeln. drei haben recht. Das widerspricht inzwischen eklatant der hier von Ihnen Die Frage aber ist: Wird in dem, was jetzt vorgelegt vorgetragenen Position. Weiter unten heißt es im Proto- worden ist, der Anspruch, der formuliert worden ist, um- koll: gesetzt? Wir sagen: Dies ist nicht so. Es ist in großen Die Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel nach dem Teilen ein Papiertiger. Es sind in einem großen Umfang Motto: Was man oben abschneidet, kommt unten sehr wachsweiche Formulierungen vorgelegt worden, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23021

Christine Scheel (A) die in der Konsequenz nicht zu dem führen, was sugge- Dem Erfolgsbonus soll ein Malus bei Verlusten gegen- (C) riert wird. überstehen. Wir schlagen vor, dass Aktienoptionen lang- fristig, das heißt erst nach zehn Jahren, ausgeübt werden Auch wir finden, dass es nicht Aufgabe der Politik dürfen, weil sich erst dann zeigt, ob ein Manager wirk- sein kann, über konkrete Höhen von Managervergütun- lich nachhaltig gewirtschaftet hat. Dies erhöht übrigens gen zu entscheiden. Es kann aber auch nicht sein, dass den Anreiz, länger in einem Unternehmen zu bleiben. man seitens der Politik, wie es Kollege Poß unlängst ge- Wir sehen ja, dass der häufige Wechsel in den Vorstands- tan hat, nur den Kopf über die Selbstbedienungsmentali- etagen dazu führt, dass in einer ganzen Reihe von Unter- tät schüttelt, die wir in den letzten Monaten und Jahren nehmen die Vorstandspensionen die Vergütungen des erlebt haben. Deswegen muss sich die Politik bekennen, aktiven Vorstands insgesamt übersteigen. Das ist die der- bis zu welcher Höhe Managergehälter und auch Abfin- zeitige Realität. Deswegen greifen die vier Jahre, die die dungen für Managerinnen und Manager gesellschaftspo- Große Koalition im Zusammenhang mit der Einlösung litisch akzeptabel sind. von Aktienoptionen festgelegt hat, zu kurz. Eine Halte- frist von vier Jahren ist übrigens in vielen Unternehmen (Beifall des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]) schon heute Realität. Das ist nichts Neues. Es geht nicht darum, deren Höhe zu begrenzen, sondern Einen Totalausfall leistet sich der Gesetzentwurf beim darum, dass wir ein Signal setzen. Ein Signal kann sein, Thema Managerhaftung. Es stimmt zwar, dass Manager zu sagen: Es erfolgt im Zusammenhang mit dem Steuer- schon heute voll dafür geradestehen, wenn sie dem Un- recht eine Begrenzung. Eine Begrenzung des Betriebsaus- ternehmen durch Gesetzesverstöße oder grobe Fahrläs- gabenabzugs ist kein Widerspruch zur Marktwirtschaft; sigkeit einen finanziellen Schaden zugefügt haben. Dies das wurde schon gesagt. Auch in den USA ist es so, dass ist aber eine eher theoretische Möglichkeit. Nur der Auf- Managerbezüge in börsennotierten Unternehmen nur bis sichtsrat selbst kann letztendlich diese Möglichkeit zu 1 Million US-Dollar als Betriebsausgabe steuerlich wahrnehmen. Das geschieht aber kaum; das sehen wir in absetzbar sind. der Realität. Selbst wenn ein Haftungsfall eintritt, sind Wir schlagen vor, Managergehälter nur bis zu einer sie wegen ihrer Haftpflichtversicherung heute de facto Höhe von 500 000 Euro voll steuerlich absetzen zu kön- keinem Haftungsrisiko in Bezug auf ihr Privatvermögen nen. Das entspricht übrigens der allgemein akzeptierten ausgesetzt. Vergütungshöhe, die im Zusammenhang mit dem Ban- Auch hier sollte es Änderungen geben. Wir schlagen kenrettungsfonds vorgesehen ist. Dabei muss man sagen, vor, dass Manager gegenüber den geschädigten Anlegern dass natürlich alle fixen und variablen Gehaltsbestand- bei Falschinformationen zukünftig mit ihrem Privatver- teile zusammengerechnet werden müssen, um von vorn- mögen haften. Die Managerhaftpflichtversicherung soll (B) herein Gestaltungsmöglichkeiten zu vermeiden. zwingend mit einer angemessenen Selbstbeteiligung des (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Managers am Schadenersatz verbunden werden. Außer- dem muss gesichert sein, dass die Versicherungsbeiträge Wir meinen, dass kurzfristige und auf den schnellen aus dem Gehalt des Managers geleistet werden. Erfolg ausgerichtete Boni die Brandbeschleuniger der Krise gewesen sind. Ich glaube nicht, dass dies von ir- Meine letzte Bemerkung gilt dem Kontrollsystem, gendjemandem hier – selbst von der FDP nicht – bestrit- also dem Aufsichtsrat. Hierauf legt die Große Koalition ten wird. Schauen wir uns einmal die Realität an: Die zwar den Schwerpunkt, aber selbst da bleibt sie sehr in- millionenschweren Vergütungen zum Beispiel der konsequent. Dieses Gremium ist nicht frei von Interes- senkonflikten. Nicht selten sind die Entschädigungen Porsche-Führungsspitze bestehen zu 97 Prozent aus va- des Aufsichtsratsvorsitzenden an die Vorstandsbezüge riablen, also erfolgsbezogenen Anteilen. Der Erfolg von gekoppelt. Häufig sitzen in den Aufsichtsräten Vorstände 2008 stammt ganz wesentlich aus hochriskanten Speku- anderer Unternehmen. Darum gibt es Interessenkollisio- lationen im Zusammenhang mit der VW-Aktie. Das nen. Wir meinen, dass an dieser Stelle ein Mitbestim- kann auch nach hinten losgehen. Dies kann sehr vielen mungsrecht der Aktionärsversammlung notwendig ist, Unternehmen massiven Schaden zufügen. Ich erinnere um einen Schritt voranzukommen. beispielsweise an die Fehlspekulationen von Adolf Merckle und anderen. Das heißt, hier werden falsche Fazit: Wir brauchen klare Begrenzungen bei Mana- Anreize für das Management gesetzt. Chance und Risiko gervergütungen. Wir brauchen eine persönliche Haftung stehen in einem Missverhältnis. Daran hat sich bisher und bessere Kontrollmöglichkeiten. Der Staat muss für wenig geändert. Nur zwei von 30 DAX-Unternehmen wirtschaftliches Handeln einen Rahmen setzen. Gewinn- haben bisher die Berechnung ihrer Managerboni an den chancen ohne persönliches Risiko und mit wenig Kon- empfohlenen Kriterien einer guten Unternehmensfüh- trolle öffnen Gier und verantwortungslosem Handeln rung ausgerichtet. Das heißt, wir brauchen konkrete und Tür und Tor. Das haben wir in der Vergangenheit erlebt. konsequente Regelungen. Davon ist der Gesetzentwurf Deswegen ist es notwendig, dass wir zu mehr Pragmatis- leider sehr weit entfernt. mus kommen. Das hat mit Ideologie gar nichts zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich hoffe sehr, dass wir im Finanzausschuss noch die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) eine oder andere Nachbesserung des Gesetzentwurfs hinbekommen. So, wie er jetzt ist, ist er nicht sehr viel Die Grünen schlagen vor, variable Vergütungsbe- wert. standteile auf ein Viertel der Gesamtvergütung zu be- grenzen und langfristig auszurichten. Wir schlagen vor: Danke. 23022 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Christine Scheel (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – nicht alle Vorschläge der SPD-Seite konsensfähig gewe- (C) Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) sen. Aber die vorliegenden Regelungen sind wichtig und wirkungsvoll. Wir vom Bundesministerium der Justiz Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: waren von der Arbeitsgruppe gebeten worden, die ge- Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär fassten Beschlüsse in die Form eines Gesetzentwurfs zu Alfred Hartenbach. gießen. Das haben wir gerne und, ich glaube, mit Erfolg getan. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf Folgendes vor desministerin der Justiz: – lieber Joachim Poß, ich muss es wiederholen; ich hatte Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich aber einmal einen Deutschlehrer, der sagte, Wiederho- spreche hier zwar für die Bundesregierung; das verbietet lung mache anschaulich –: mir aber nicht, in meinen Erinnerungen an meine Zeit als sozialdemokratischer Abgeordneter zu kramen. Wenn Erstens. Der Aufsichtsrat wird ausdrücklich ver- heute jemand für sich reklamiert, das Ei des Kolumbus pflichtet, bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des Vor- gefunden zu haben, möchte ich an eine Klausurtagung standes dafür zu sorgen, dass langfristige Verhaltensan- der SPD-Fraktion in Leipzig erinnern – Joachim, du reize zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung wirst dich erinnern –, auf der der damals noch junge gesetzt werden. Kollege Christian Lange dieses Thema sehr klar ange- Zweitens. Der Aufsichtsrat hat die Bezüge des Vor- sprochen und in den Vordergrund gestellt hat. Nun will standes auf ein angemessenes Maß herabzusetzen, wenn gut Ding Weile haben; schließlich sind in diesem Zu- sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die sammenhang eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher Weitergewährung der Bezüge unbillig wäre; das ist ein Fragen zu beantworten. Heute legen wir einen, wie ich durchaus verifizierbarer juristischer Begriff. Dies ist eine glaube – ich darf das vorweg sagen; ich wiederhole es dringend benötigte Vorschrift, die unter anderem sicher- gleich –, vernünftigen und verfassungsfesten Gesetzent- stellt, dass Vorstände, die Unternehmen an den Rand des wurf vor. Abgrunds geführt haben und deshalb entlassen werden, Es ist an der Zeit, dass wir uns nicht nur mit der Be- nicht noch die volle Vertragsauszahlung und überhöhte wältigung der Finanzmarktkrise, sondern auch mit der Ruhegelder verlangen können. Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen befassen. Die (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass die Vorstellung, der Markt werde es richten, der Staat Drittens. Aufsichtsräte müssen die Vergütung ange- möge sich aus dem Wirtschaftsleben heraushalten, naiv (B) messen festsetzen. Sie werden durch eine ausdrückliche (D) ist. Der Markt braucht Regeln, wenn er funktionieren Schadenersatzregelung daran erinnert, das zu tun. Das und sich nicht selbst zerstören soll. Nicht das schnelle war bisher nicht so, verehrte Frau Kollegin Dyckmans. Geld oder der rasche Börsenerfolg stabilisieren unser Wirtschafts- und Sozialsystem. Eine der Lehren, die wir Viertens. Der Aufsichtsrat darf die Entscheidung über aus dieser Krise ziehen müssen, ist, dass von kurzfristig die Vorstandsverträge nicht mehr vollständig auf einen ausgerichteten Vergütungsinstrumenten fehlerhafte Ver- Ausschuss delegieren. Mit anderen Worten: Das Gemun- haltensanreize ausgehen können, die zum Eingehen un- kel in kleinen Zirkeln hat damit ein Ende. verantwortlicher Risiken verleiten; das haben vor mir viele andere bereits gesagt. Diese nüchterne volkswirt- Fünftens. Häufig werden in Aktiengesellschaften vom schaftliche Analyse deckt sich mit der spontanen Entrüs- Aufsichtsrat Prüfungsausschüsse gebildet. Zukünftig tung der Menschen über exorbitante Vergütungen und können ehemalige Vorstandsmitglieder für eine Karenz- Bonuszahlungen trotz massiver Verschlechterung der zeit von drei Jahren nicht Mitglied eines solchen Aus- Lage des Unternehmens. schusses werden. Das ist eine, wie ich meine, sinnvolle Regelung zur Vermeidung typischer Interessenkon- Über eines sind sich alle einig: In vielen Unterneh- flikte. Vielleicht kann man in den Beratungen erreichen, men wurde in der Vergangenheit zu stark auf das Errei- dass die Frist noch ein wenig verlängert wird; das wäre chen kurzfristiger Ziele wie Umsatzzahlen oder Börsen- nicht schlecht. kurse zu bestimmten Stichtagen geschaut. Häufig hat man das langfristige Wohlergehen des Unternehmens (Mechthild Dyckmans [FDP]: Was sagen die aus den Augen verloren. Die Politik muss daher eingrei- Familienunternehmen?) fen. Sechstens. Aktienoptionen können zukünftig erst (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD]) nach vier und nicht wie bisher nach zwei Jahren einge- löst werden; auch das ist neu, Frau Kollegin Dyckmans. Der vorliegende Gesetzentwurf stärkt und konkreti- Das zeigt, was der Gesetzentwurf mit langfristigen Ver- siert die Anreize in Richtung einer nachhaltigen und auf haltensanreizen meint. Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung. Er beruht auf den Beschlüssen der Koalitionsarbeitsgruppe Siebtens. Schließlich – Herr Bernhardt, ich habe „Managervergütung“, die unter der Leitung der finanz- einen Punkt mehr als Sie – wird die Transparenz der politischen Sprecher der SPD- und der CDU/CSU-Frak- Vorstandsvergütung gegenüber den Aktionären und der tion sehr konstruktiv und vernünftig gearbeitet hat. Lei- Öffentlichkeit im Falle der Beendigung der Vorstands- der – das darf ich als Sozialdemokrat sagen – sind noch tätigkeit verbessert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23023

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach (A) Wir sind überzeugt, dass diese rechtlichen Instrumente Das Stichwort „Managergehälter“ lieferte nicht nur, aber (C) dafür Sorge tragen werden, dass bei der Vergütung von insbesondere in den letzten Tagen so ziemlich alles, was Vorständen verstärkt Anreize für eine nachhaltige und zu einer hitzigen Debatte führen kann, allerdings eher in auf Langfristigkeit ausgerichtete Unternehmensentwick- der Öffentlichkeit als hier. Ich finde, dass diese Debatte, lung gesetzt werden. wenn man von einem Ausreißerfall absieht, relativ sach- lich war. Einige Regelungsvorschläge greift der Gesetzent- wurf dagegen bewusst nicht auf, zum Beispiel die Be- (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grenzung der Höhe der Vorstandsbezüge. In einer so- NEN]: Wenn man eine andere Position hat, ist zialen Marktwirtschaft ist es immer noch Sache der das nicht gleich ein Ausreißer!) Vertragsparteien – hier geht es auch darum, wie weit man an der Verfassung vorbeischrammen könnte –, das Den Zuhörern und Zuschauern möchte ich sagen: Wir Gehalt untereinander auszuhandeln. Das ist grundsätz- müssen unterscheiden. Manager ist nicht gleich Manager. lich nicht Sache des Staates oder der Politik. Frau Wir müssen bei der Vergütungsregelung trennen zwi- Scheel, die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft schen Banken, die staatliche Unterstützung nach dem Fi- ist gerade bei großen Publikumsgesellschaften nicht nanzmarktstabilisierungsgesetz erhalten, und solchen dazu geeignet, das Gehalt auszuhandeln; Herr Poß und Unternehmungen und Unternehmensteilen, die keinerlei Herr Bernhardt haben das schon dargestellt. Aus diesem staatliche Unterstützung erhalten. Eine weitere Kaste Grund sind wir uns darüber einig, dass das der Auf- will ich ebenfalls außen vor lassen: die vielen Eigen- sichtsrat machen muss. tümer kleiner und mittelständischer Unternehmen, die bis auf ihre Socken haften. Auch sie werden jetzt über Ich betone, Frau Dyckmans, dass wir uns vor allen einen Kamm geschoren. Obwohl sie jeden Tag ordent- Dingen mit der von Ihnen geforderten Professionalisie- lich ihre Arbeit erledigen und sich Sorgen um ihre Ar- rung und Beschränkung der Aufsichtsräte nicht anfreun- beitnehmer machen, geraten sie alle jetzt in Misskredit. den können. Was heißt denn Professionalisierung? (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Mechthild Dyckmans [FDP]: Mehr Frauen!) NEN]: Das ist gar nicht wahr!) Dürfen dann künftig nur noch promovierte Wirtschafts- Diese Unternehmer muss man von vornherein von dieser prüfer oder Wirtschaftsökonomen in einen Aufsichtsrat? Diskussion ausnehmen. Wie verhält es sich mit der Beschränkung? (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Ute Kumpf [SPD]: Wie ist es zum Beispiel Mechthild Dyckmans [FDP]) mit Frauen in Aufsichtsräten?) (B) Auch die Manager der 14 000 Aktiengesellschaften, (D) Das, was Sie wollen, läuft darauf hinaus, die Mitarbei- die keine staatliche Unterstützung bekommen, sind nicht tervertretungen erheblich einzuschränken. Genau das alle Zumwinkels, nach dem Motto Pars pro Toto. In mei- werden Sie mit uns nicht erreichen. nem Kasseler Wahlkreis gibt es die Unternehmen Win- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir haben tershall sowie Kali und Salz. Das sind prosperierende – das möchte ich betonen – sicherlich einen ersten guten Unternehmen, deren Manager ich persönlich kenne. Mit Schritt getan. Aus unserer Sicht ist die Diskussion noch einigen bin ich sogar freundschaftlich verbunden. nicht abgeschlossen. Wir arbeiten auf der Ebene der (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Aha! Sehr inter- G-20-Staaten und der Europäischen Union weiterhin an essant!) der Schaffung einheitlicher internationaler Standards, die nicht nur die Vorstandsebene, sondern alle Hierar- Sie rackern viel und haben Sachverstand. Sie sind Den- chieebenen in Unternehmen, vor allem im Bankenbe- ker und Lenker. reich, betreffen sollen. Warum haben wir in den letzten 60 Jahren den Wohl- Ich bedanke mich und wünsche uns allen gute Bera- stand, den wir jetzt haben, eigentlich erreicht? Ist unser tungen. Gemeinwesen etwa ein dümpelndes Gemeinwesen? Nein. Wir sind eine prosperierende Gemeinschaft; das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten muss man einmal sagen. Man darf nicht immer nur an der CDU/CSU) den Krankenfällen laborieren.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel Das Wort hat nun Kollege Jürgen Gehb für die CDU/ [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch CSU-Fraktion. um die Auswüchse!) Man darf die Augen aber auch nicht davor verschließen. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Der Gesetzgeber handelt schließlich ähnlich wie ein Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine Arzt. Er regelt eigentlich nur die pathologischen Fälle. veritable Position, als Schlussredner in einer so hitzigen Hier wird der Eindruck erweckt, als habe die Vergü- Debatte reden zu dürfen. tung bzw. Haftung von Managern bis zu dieser Debatte (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- im rechtsfreien Raum stattgefunden. Damit komme ich NEN]: So hitzig war sie nun auch wieder zu Ihnen, Frau Scheel. Sie lagen mit Ihrem Beitrag halb nicht!) daneben. Sie haben gesagt: Manager haften nur bei gro- 23024 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Jürgen Gehb (A) ber Fahrlässigkeit. – Schauen Sie sich die einschlägige Die sechs Punkte, die der Kollege Otto Bernhardt auf- (C) Vorschrift an! Machen Sie sich einmal diese Mühe! geführt hat, sind jetzt in Gesetzesform gegossen. Im „Tolle lege“ – nimm und lies –, das hilft manchmal. Rechtsausschuss – in allen einschlägigen Ausschüssen, insbesondere aber im Rechtsausschuss – müssen wir uns (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- damit noch einmal sehr gewissenhaft auseinandersetzen. NEN]: Ja, ja! Das haben wir gemacht! Wir wa- ren schon vorbereitet!) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Nach § 80 ff. des Aktiengesetzes haften Vorstandsmit- NEN]: Ich ahne schon, was dabei heraus- glieder und Aufsichtsratsmitglieder wie sorgfältige, ge- kommt, nämlich gar nichts!) wissenhafte Geschäftsleiter. Hier findet man den höchs- Ich muss Ihnen sagen, dass die Aufgabe des Begriffs ten Verschuldensmaßstab, den es überhaupt gibt. der Unbilligkeit in Bezug auf ein Unternehmen ein Un- (Mechthild Dyckmans [FDP]: Ja! Das ding ist. stimmt!) (Mechthild Dyckmans [FDP]: Ja!) Für sie gilt nicht das Prinzip „Diligentia quam in suis“ Ich habe extra darauf hingewiesen, dass dieser Satz aus – nach dem Motto: Der ist auch zu Hause ein Hallodri –, der Begründung herausgenommen werden soll. Trotz- sondern sie haften wie gewissenhafte, sorgfältige Ge- dem steht er noch im Entwurf. schäftsleiter. (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es kann doch nicht sein, dass man wie auf dem offe- NEN]: Schauen Sie sich doch einmal in der nen Basar das Volk fragt: Findet ihr es richtig, dass Realität an, wie viele Anzeigen erfolgt sind!) Wedeking 100 Millionen Euro kriegt Das ist noch weniger als leichte Fahrlässigkeit. Das ist (Ute Kumpf [SPD]: Das ist eindeutig zu viel!) das Höchstmaß an Sorgfalt. oder der Fußballspieler Arne Friedrich 3 Millionen In einem anderen Punkt gebe ich Ihnen recht: Wo kein Euro? – Hat darüber schon einmal jemand nachgedacht? Kläger, da kein Richter. Soll ein Fußballspieler eigentlich weniger Geld kriegen, wenn er nicht das Tor trifft? Soll er noch Geld mitbrin- (Mechthild Dyckmans [FDP]: Ja, genau!) gen, wenn er ein Eigentor schießt? Wie soll man das ma- Jemand, der, auf Deutsch gesagt, Mist gebaut und nicht chen? – Es ist das Geld des Eigentümers. Wenn der Chef diesen Vorschriften entsprechend gehandelt hat, muss von Hoffenheim einen Mittelstürmer einkauft und ihm natürlich zur Rechenschaft gezogen werden. 20 Millionen Euro im Monat gibt, dann können wir alle (B) hier sagen: „Das ist doch unmöglich, das stört den sozia- (D) (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- len Frieden“, aber es ist verfassungsrechtlich möglich. NEN]: So ist es!) Ich will Ihnen eines sagen: Es soll auch möglich bleiben. Da liegt der Hase im Pfeffer; das hat Frau Dyckmans (Hedi Wegener [SPD]: Das ist aber schon gesagt. Wir müssen uns die Besetzung der Auf- unanständig!) sichtsräte vornehmen. Diese Gremien existieren inzwi- schen in einer Art Parallelgesellschaft mit zum Teil in- – Völlig richtig: Es ist unanständig. Jetzt will ich dir zestuösen Merkmalen. aber etwas sagen, Hedi: Wir sind pausenlos drauf und dran – das war auch beim Antidiskriminierungsgesetz (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – so –, zu glauben, dass der Gesetzgeber den Bürger Ute Kumpf [SPD]: Genau!) Mores lehren kann und ihm durch gesetzliche Verord- Hier muss man eingreifen, aber nicht mit gesetzlichen nung Anstand oktroyieren kann. Das ist ein unmögliches Regelungen. Wir sind dafür der völlig falsche Adressat. Unterfangen. Herr Ernst, bei den Regelungen, die Sie eben an den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Pranger gestellt haben, handelt es sich um individuelles Klaus Uwe Benneter [SPD]: Aber die soziale Fehlverhalten von Aufsichtsratsmitgliedern. Damals wa- Ausgestaltung unserer Wirtschaftsordnung ren es übrigens ein Staatssekretär des Finanzministe- können wir regeln!) riums, das von Hans Eichel geführt worden ist, und zwei Funktionäre von Verdi. Denen müssen Sie einmal ans Es wird immer Fälle geben, in denen sich einzelne Men- Portepee fassen! schen nicht an unsere Regeln halten. (Beifall bei der CDU/CSU) Im Datenschutz ist es übrigens genauso. Dauernd kommt der Ruf nach strengerem Datenschutz. Alles, was Im Grunde genommen begegnen wir hier wieder ein- dort moniert wird, verstößt gegen geltendes Recht. Man mal dem Phänomen, dass der Gesetzgeber nicht der rich- kann das Recht noch so scharf machen, ohne dass man tige Adressat ist, sondern dass es ein Defizit bei der An- damit alle Verstöße ausschalten könnte. wendung des geltenden Rechts gibt. Es handelt sich um ein Vollzugs- und Anwendungsdefizit. Deswegen: Hören Sie bitte mit Ihren Märchen von Haftungsverschärfun- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen und rechtsfreiem Raum auf! Eigentlich reicht unser Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Gesetz aus. Kollegen Ernst? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23025

(A) Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): die berühmte Differenzhypothese –: Id quod interest. (C) Wenn er es ernst meint, ja. Die Vermögensverhältnisse vor dem schädigenden Er- eignis werden mit den Vermögensverhältnissen danach (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – verglichen; die Differenz wird ausgeglichen. Das ist kein Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Im- Strafschadensersatz und auch kein Mindestschadens- mer!) ersatz.

Klaus Ernst (DIE LINKE): Der Entwurf, der jetzt vorliegt, ist ein guter Schritt, Herr Dr. Gehb, ich habe mich gefragt, ob Sie das ge- ein gelungener Versuch, im Spannungsfeld von grund- rade ernst gemeint haben. Sie sagen auf der einen Seite: rechtlich verbürgter Privatautonomie und der Bekämp- Die Aufsichtsräte sollen es richten. Auf der anderen fung von Auswüchsen eine Regelung zu finden; aber er Seite halten Sie ein Plädoyer, dass die Aufsichtsräte es muss jetzt – das ist typischerweise auch bei anderen Fra- nicht gerichtet haben. Dem muss ich jetzt entnehmen gen der Fall – im Gesetzgebungsverfahren mit Argus- – verstehe ich Sie richtig? –, dass Sie eigentlich gar augen betrachtet werden. nichts regeln wollen, sondern eigentlich nur den Appell Wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. äußern wollen, man möge doch bitte in den Aufsichts- Herr Ernst, Sie haben vorhin über Amerika geredet und räten dafür sorgen, dass das, was passiert ist, nicht mehr mich gefragt, was ich sagen würde, wenn hier ein Abge- passiert. Nun ist es aber passiert. ordneter eine Besteuerung von 100 Prozent fordern Glauben Sie tatsächlich, dass Ihre Appelle ausrei- würde, ob er aus der DDR käme oder nicht aus chen? Glauben Sie, dass die Menschen, die dafür verant- Amerika? Ich kann Ihnen nur eines sagen: heute die wortlich sind, dass es momentan so hohe Managergehäl- Löhne, morgen die Preise und übermorgen die Mieten. ter gibt – Sie sagen, es sind die Aufsichtsräte –, plötzlich Selbst um den Preis, dass es diese Auswüchse auch wei- ganz anders denken? Ich mache einmal ein Beispiel: terhin geben wird, möchte ich weder Managergehälter Glauben Sie wirklich, dass Sie eine Metzgervereinigung der Höhe nach festsetzen noch die Bananen- und Kartof- dazu bringen könnten, plötzlich Vegetarier zu werden? felpreise festsetzen noch die Mieten, die in Berlin, Ham- burg oder München bezahlt werden. Dann ist mir unsere Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Gesellschaftsordnung zehnmal lieber. Die Antwort ist eigentlich ganz leicht: Das glaube ich Wo diejenigen hingekommen sind, die das gemacht nicht. – Ich bin jetzt zwar der Redner; aber ich würde Sie haben, das sehen Sie, meine Damen und Herren. Das ist gerne fragen: Glauben Sie eigentlich, dass Sie mit den für mich das Horrorgespenst schlechthin. Dann lasse ich Regelungen, die Sie fordern, alle Auswüchse beheben es lieber so, wie es jetzt ist, ohne dass ich nicht zugeben (B) könnten? Das ist doch ein krasser Irrglaube. Man würde will, dass ich die Empörung des kleinen Mannes und der (D) in der Bevölkerung den falschen Eindruck wecken, der kleinen Frau teile. Gesetzgeber werde es schon richten. Wir können es nicht richten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall der Abg. Andrea Astrid Voßhoff Unser Gemeinwesen ist so gut, wie es jetzt ist, weil wir [CDU/CSU]) fleißige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, Wenn wir über diesen Gesetzentwurf beraten, müssen weil wir aber genauso gut hervorragende Denker und wir noch auf etwas anderes achten: nicht nur auf die Lenker haben, die unsere Unternehmen so weit zum Pros- Frage der Unbilligkeit, sondern auch auf die Frage der perieren gebracht haben, dass wir dort sind, wo wir jetzt Langzeitanreizwirkung. Wir haben festgestellt, dass die sind. So soll es auch bleiben. Wenn wir die Auswüchse Begründung im Regierungsentwurf bzw. in der Formu- ein bisschen kappen können, haben wir alles erreicht, lierungshilfe so verstanden werden konnte – immerhin was ein Gesetzgeber erreichen kann. Mehr können wir bestand die Möglichkeit –, dass Festvergütungen nicht nicht erreichen. mehr möglich sind. Nur auf meinen Hinweis bzw. den Ich schließe mit einem schönen lateinischen Spruch, Hinweis der CDU/CSU hin wurde die Formulierung auf- wie ich es immer gern tue: Impossibilium nulla est genommen: obligatio. Zu Deutsch: Eine unmögliche Leistung kann Unbeschadet der Möglichkeit, eine Festvergütung von niemandem verlangt werden. zu vereinbaren, … Vielen Dank und ein schönes Wochenende, liebe Kol- Ich muss Ihnen etwas ehrlich sagen: Nur gegen mei- leginnen und Kollegen. nen erbitterten Widerstand wird es einen Mindestscha- densersatz geben. Das erinnert mich sofort an anglo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. amerikanische Rechtsfiguren wie Punitive Damages, Klaus Uwe Benneter [SPD]) also Strafschadensersatz. Wer glaubt, über zivilrecht- liche oder wirtschaftsrechtliche Regulierungen von hin- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ten durch die Brust ins Auge Pönalen einführen zu kön- Ich schließe die Aussprache. nen, muss wissen: Das wird mit mir und auch mit der CDU/CSU nicht möglich sein. Mindestschadensersatz Interfraktionell wurde Überweisung der Vorlagen auf ähnelt Strafschadensersatz. Es gibt eine Möglichkeit des den Drucksachen 16/12278 und 16/12112 an die in der Schadensersatzes. Seit Mommsen ist ganz klar – das ist Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. 23026 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann Dritte Beratung (C) sind die Überweisungen so beschlossen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 16/8994. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be- entwurf ist damit mit dem gleichen Stimmverhältnis wie schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak- zuvor angenommen. tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7530 Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf: mit dem Titel „Steuerabzug bei Manager-Abfindungen begrenzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit neten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen des Hau- (Köln), Birgitt Bender, weiteren Abgeordneten ses gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Grünen angenommen. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- richtung eines Registers über unzuverlässige Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- Unternehmen (Korruptionsregister-Gesetz) lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck- sache 16/7743 mit dem Titel „Begrenzung der Manager- – Drucksache 16/9780 – vergütung fördern“. Wer stimmt für diese Beschluss- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – ses für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau- schuss) ses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenom- men. – Drucksache 16/11312 – Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf: Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Ute Koczy, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der – Drucksache 16/7413 – Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Korruptionsbekämpfung bei Hermesbürg- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- schaften (B) (D) cherschutz (10. Ausschuss) – Drucksache 16/11211 – – Drucksache 16/12300 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Berichterstattung: Innenausschuss Abgeordnete Dr. Peter Jahr Rechtsausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Dr. Wilhelm Priesmeier Entwicklung Hans-Michael Goldmann Haushaltsausschuss Dr. Kirsten Tackmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Ulrike Höfken Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Nach einer interfraktionellen Verabredung sind die keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Reden zu Protokoll gegeben worden, und zwar von den Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Kollegen Peter Jahr, Hans-Michael Goldmann, Wilhelm Georg Nüßlein, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. Priesmeier, Kirsten Tackmann und Undine Kurth.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine rung des Tierschutzgesetzes. Der Ausschuss für Ernäh- Herren! Wir haben über dieses Thema, das wir für wich- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in tig erachten und das aufgrund des Gesetzentwurfs der seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12300, Grünen heute, am Freitagnachmittag, zu später Stunde den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- wieder auf dem Programm steht, schon mehrfach disku- sache 16/7413 anzunehmen. tiert. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- GRÜNEN]: So spät ist es noch nicht! – gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge- NEN]: Das liegt ja nicht an uns!) gen die Stimmen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen Nachdem wir uns hier schon einmal zu diesem Thema bei Stimmenthaltung der Linken angenommen. getroffen haben, war ich der Meinung, dass wir auch die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll ge- 1) Anlage 6 ben können. Die Kolleginnen und Kollegen waren aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23027

Dr. Georg Nüßlein (A) offenkundig anderer Auffassung. Deshalb stehe ich noch (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (C) einmal hier. GRÜNEN]: Das steht alles darin! Einmal lesen!) Was uns an dem Gesetzentwurf der Grünen nicht ge- fällt, ist, dass es eigentlich nicht um die Frage „pro oder Wenn Sie das tun, dann ist das eine Vorverurteilung. kontra Korruptionsregister“ geht. Ich gehe sogar noch weiter: Wenn man ein solches (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Register anlegt, dann muss aus meiner Sicht klar sein, NEN]: Warum machen Sie dann keines?) dass ein Richter verfügen muss, dass das entsprechende Unternehmen in das Register einzutragen ist, und nicht Wir sind dafür, ein solches Korruptionsregister einzufüh- irgendeine Behörde. ren, allerdings wohlüberlegt und vor dem Hintergrund, dass Korruption natürlich kein deutsches Problem ist. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Korruption ist in unserer globalisierten Welt ein interna- GRÜNEN]: Sie wollen nicht!) tionales Problem. Es handelt sich aus meiner Sicht nämlich um eine emp- In Deutschland wird Korruption hauptsächlich im Zu- findliche Zusatzstrafe, die vielleicht sogar noch mehr sammenhang mit dem Außenhandel problematisch. Man wiegt als das letztendlich verhängte Bußgeld; kann das deutlich belegen. Auf dem Korruptionsindex (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Transparency International belegt Deutschland NEN]: Sie haben das nicht verstanden!) Rang 13. Immer dann, wenn es bei uns zu Korruptions- fällen kommt, sind unsere Unternehmen mit den Gepflo- denn die ökonomische Konsequenz einer solchen Notie- genheiten anderer Länder in Kontakt gekommen, die auf rung kann ganz erheblich, wenn nicht sogar existenz- den Rängen 50 und schlechter verzeichnet sind. gefährdend sein. Deshalb kann das nicht irgendeine Be- hörde auf Grundlage irgendeines Verdachts machen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Herr Kollege Ströbele, ich entnehme Ihren Zwischen- GRÜNEN]: Fangen wir doch einmal bei uns rufen, dass Sie genau das wollen. Das werden wir sicher- an!) lich nicht mitmachen. Das heißt für uns: Wir müssen diese Thematik auf euro- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- päischer oder sogar internationaler Ebene aufgreifen – NEN]: Was machen Sie denn?) insbesondere im Zeitalter der Wirtschaftskrise. Ein Korruptionsregister ist okay, aber es muss eben an Jetzt aber zu dem, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf sehr enge Kriterien geknüpft werden. Wenn es zu keiner (B) fordern. Ich meine, dass es insbesondere bei dem Verfah- Vorverurteilung kommt (D) ren noch etliche Probleme gäbe, wenn wir das so mach- ten, wie Sie es wollen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und das Unternehmen erst dann in das Register eingetra- GRÜNEN]: Was denn?) gen wird, wenn es rechtskräftig verurteilt ist und der Es ist mir noch immer nicht klar, auf welcher Grundlage Richter die Eintragung angeordnet hat, dann könnte man der Eintrag in das sogenannte Korruptionsregister vorge- über so etwas reden. nommen werden soll. Aus Ihrem Gesetzentwurf geht (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hervor, dass schon der reine Verdacht der Korruption NEN]: Das dauert fünf oder sechs Jahre!) ausreichen könnte. Ich bin der Meinung, dass zumindest eine rechtskräftige Verurteilung vorliegen müsste. Es gibt aber noch mehr Probleme. Was ist mit einem Konzern, wenn ein Tochterunternehmen der Korruption (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE überführt wird? Gilt die Regelung nur für die Tochter, GRÜNEN]: Das ist dann Jahre später! Dann oder ist der gesamte Konzern in Sippenhaft zu nehmen? ist das Kind längst im Brunnen!) Nehmen wir einen anderen Fall. Wenn ein Arbeitneh- – Es kommt nicht darauf an, ob das Jahre später ist oder mer unter Korruptionsverdacht steht – nach Ihren Vor- nicht, Herr Kollege Ströbele. Man kann jemanden, der stellungen reicht der Verdacht schon aus –, gilt das dann unter Verdacht steht, nicht einfach vorverurteilen. für das gesamte Unternehmen? Wer wird in das Korrup- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE tionsregister eingetragen? GRÜNEN]: Tun wir ja nicht!) Das ist eine Reihe von ungeklärten Fragen, die man Letztendlich ist das eine Vorverurteilung; aus meiner Sicht klären müsste, wenn man sich einer solchen Materie annähert. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!) GRÜNEN]: Dann tun Sie es doch!) denn Ihr Korruptionsregister soll ja eine Konsequenz ha- – Wir werden das bei Gelegenheit tun. ben. Ich weiß nicht genau, was Sie wollen; aber ich nehme an, dass Sie diese Firmen dann zum Beispiel von (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE öffentlichen Aufträgen ausschließen wollen. GRÜNEN]: Wann denn? In 100 Jahren?) 23028 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Georg Nüßlein (A) Wir haben aber momentan andere Sorgen hinsichtlich Die Bundesregierung war Treiber bei den Verhandlun- (C) unserer Wirtschaft, als ein Korruptionsregister einzufüh- gen der OECD zu einer gemeinsamen Vorgehensweise ren. Vielleicht ist das an den Grünen vorbeigegangen. bei der Korruptionsbekämpfung. Deutschland zählt zu Ich kann mir das schier nicht vorstellen. Aber dass es an den Erstunterzeichnern der entsprechenden OECD-Kon- Ihnen vorbeigegangen ist, Herr Ströbele, wie so manches vention. Es ist unnötig zu erwähnen, dass wir auch bei andere auch, kann ich mir lebhaft vorstellen. Das scheint der Umsetzung unter den ersten waren. Forderungen, deutlich und in erheblichem Maße der Fall zu sein. Des- Unternehmen, denen Korruption nachgewiesen wurde, halb sind wir sehr zurückhaltend, was Ihren Antrag an- von zukünftigen Deckungen auszuschließen, gehen über geht. die OECD-Vereinbarungen hinaus. Aber auch dabei tun wir das Notwendige und Richtige und brauchen keine Sie haben das Thema Hermesbürgschaften aufgegrif- Belehrungen seitens der Grünen. fen. Ich halte fest, dass im Rahmen des Hermesinstru- ments nur solche Exporte deckungsfähig sind, die sehr Vielen herzlichen Dank. strengen Fachprüfungen standhalten. Grundvorausset- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zung für die Deckungsübernahme ist, dass der Export- oder Kreditvertrag nicht durch eine ungesetzliche Hand- Vizepräsidentin Petra Pau: lung zustande gekommen sein darf. Im Mai 2008 wurde beim Internetauftritt der Bundesregierung zu den Her- Die Rede der Kollegin Gudrun Kopp für die FDP- Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) mesdeckungen dem Thema Korruption sogar eine eigene Seite gewidmet, auf der die Bundesregierung über die Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen informiert und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. die Unternehmen zur Implementierung von entsprechen- den unternehmensinternen Verfahren auffordert. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich halte es für problematisch, dass Sie eines der er- NEN): folgreichsten Außenwirtschaftsinstrumente Deutschlands Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- als Korruptionsbeförderer brandmarken wollen. Das gen! In einem Punkt haben Sie recht, Herr Nüßlein: Sie kann ich offen gesagt nicht nachvollziehen. fordern Nachdenken. Aber dazu haben Sie mindestens sechs Jahre lang Zeit gehabt. Im Jahr 2002 hatte Rot- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es Grün den ersten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung geht um Transparenz!) eines bundesweiten Korruptionsregisters vorgelegt. Die- sen haben Sie damals abgelehnt. Sie haben ihn dann zu Um die Potenziale in schwierigen Märkten nutzen zu Fall gebracht. Deshalb hat das Gesetz keine Gesetzes- (B) können, brauchen Unternehmen eine wirksame und fle- kraft erlangt. Spätestens seit dem Jahr 2002 hätten Sie (D) xible Unterstützung durch staatliche Exportkreditgaran- also Gelegenheit gehabt, nachzudenken. 6 Jahre lang! tien und Investitionsgarantien. Euler Hermes überprüft Entweder haben Sie offenbar nicht nachgedacht, oder schon beim Aufkommen eines Verdachts regelmäßig das Nachdenken war erfolglos. Jedenfalls ist nichts da- und in standardisierten Verfahren seine Kreditnehmer. bei herausgekommen. Das ist Ihre Politik in Bezug auf Diese Überprüfung beinhaltet, wie man mir sagte, ers- die Bekämpfung der Korruption: Worte und nochmals tens die Suche nach konkreten Anhaltspunkten für Kor- Worte, aber keine Taten. Sie tun nichts. ruption, zweitens die Aufforderung an den Antragsteller, einen Fragenkatalog zu Vertretern bzw. Agenten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Provisionen zu beantworten, und drittens die Aufforde- Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: 7 Jahre lang rung an den Antragsteller, die unternehmensinternen waren Sie an der Regierung!) Präventionsmaßnahmen darzustellen. – Sie haben damals über den Bundesrat verhindert, dass Was kann man in diesem Rahmen darüber hinaus tun? ein fertiges Gesetz, dessen Entwurf der Deutsche Bun- Sämtliche Mitarbeiter der Kredit- und Schadensbereiche destag in dritter Lesung verabschiedet hatte, Gesetzes- wurden ausführlich geschult und gleichzeitig durch In- kraft erlangen konnte. Nun stehen wir heute wieder vor formationsveranstaltungen für das Thema Korruption demselben Problem. sensibilisiert. Ich darf auch darauf hinweisen, dass Ver- Das ist kein Spleen des Abgeordneten Ströbele oder treter von Transparency International häufig an diesen der Fraktion der Grünen; vielmehr hat der Bundesrat den Veranstaltungen teilnehmen und insofern miteingebun- Deutschen Bundestag noch im Juli 2008 aufgefordert den sind. – hören Sie zu, Herr Kollege Nüßlein! –, den Entwurf ei- nes Gesetzes über die Einführung eines bundesweiten Ich halte darüber hinausgehende Forderungen für un- Korruptionsregisters vorzulegen. Das heißt, wir folgen nötig, da wir in Deutschland bereits über ein ausreichen- einem Petitum des Bundesrates, natürlich unserer eige- des Instrumentarium für die Aufdeckung, Verfolgung nen Intention und nicht zuletzt der mehrfachen Auffor- und Ahndung von Korruptionsdelikten verfügen. Ich derung von Transparency International. Diese Organisa- glaube, dass wir auch der Bundesregierung insgesamt tion sagt immer wieder: Ein solches Korruptionsregister keine Halbherzigkeit bei der Korruptionsbekämpfung fehlt zur Bekämpfung der Korruption in Deutschland. unterstellen können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Worte, aber es folgt nichts!) 1) Anlage 7 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23029

Hans-Christian Ströbele (A) Nun komme ich auf Ihre Bedenken zu sprechen. In Vizepräsidentin Petra Pau: (C) den meisten großen Bundesländern gibt es bereits ein Das Wort hat der Kollege Reinhard Schultz für die Korruptionsregister. Es gibt ein Korruptionsregister in SPD-Fraktion. Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In all diesen Landesregelungen – manchmal handelt es Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): sich um Gesetze, manchmal nur um Verordnungen – wird Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! davon ausgegangen, dass ein mehr oder weniger starker Tagungsmanagement ist eine hohe Kunst. Es war aus- Verdacht ausreichen muss, um ein Unternehmen in ei- schließlich dem Zufall geschuldet, dass man mich zwi- nem Korruptionsregister aufzuführen, damit die Alarm- schendurch erwischt hat, um mir mitzuteilen, dass die glocken bei den Behörden klingeln und sie prüfen kön- Debatte jetzt stattfindet. Ich konnte gerade noch du- nen, ob sie mit einem solchen Unternehmen ein größeres schen, aber habe es nicht mehr geschafft, eine andere Geschäft machen wollen oder nicht. Das heißt, Sie wer- Hose anzuziehen. Aber ich habe immerhin eine an. fen all diesen Bundesländern, in denen Sie die Regierung führen, vor, etwas Rechtsstaatswidriges zu praktizieren. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Das ist natürlich absoluter Unsinn. GRÜNEN]: Gott sei Dank! – Ute Kumpf [SPD]: Das ist eine sehr interessante Informa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tion des Kollegen!) Denn es geht hier nicht um eine Vorverurteilung, son- Herr Ströbele, die Tatsache, dass Sie versuchen, uns dern darum, dass ein starker, richterlich bestätigter Ver- hier vorzuführen, ist manchmal schon ärgerlich. Trotz- dacht vorhanden ist, dass es eine Auffälligkeit gab, eine dem zur Sache: Wir haben bereits mehrere Debatten zu Bestechung vorliegt oder andere Tatbestände erfüllt diesem Thema gehabt, sowohl anlässlich der ersten Le- sind, die auf Korruption schließen lassen. Wenn man es sung Ihres Antrages, das Korruptionsregistergesetz zu so macht, wie Sie es vorschlagen, nämlich Registrierung verabschieden, als auch im Zusammenhang mit den De- nach einer rechtskräftigen Verurteilung, dann wird man batten um die Reform des Vergaberechts. Wir, die Koali- erst Jahre nach einem solchen Delikt aktiv. Dann gibt es tion, haben Ihnen erklärt, dass wir es für falsch halten, möglicherweise die betreffende Firma oder die betref- ein eigenständiges Register einzuführen. fende Person gar nicht mehr, die deshalb verurteilt wurde. Man kann dann nicht mehr tätig werden. Es geht (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE aber darum, eine Gefahr für die öffentliche Verwaltung GRÜNEN]: Seit wann das denn?) zu bannen, damit sie keine Gelder verschwendet. Wir als Koalition – das steht auch im Bericht – wollen bei (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Reform des Vergaberechts, beschlossen vom Deut- (B) schen Bundestag, das zentrale Gewerberegister, in dem (D) Wir fordern deshalb die Einführung eines solchen Re- schon Tatbestände enthalten sind, zu einem Korruptions- gisters. Vorliegen müssen entweder eine strafrechtliche register weiterentwickeln, in dem neben anderen schwe- Verurteilung, der Erlass eines Strafbefehls – das heißt, ren Straftaten auch die korruptionsbezogenen Straftaten auch hier war ein Richter tätig und hat geprüft – oder ein registriert werden. Allerdings – da gebe ich Herrn dringender Tatverdacht, der durch einen Richter festge- Nüßlein, der gerade ein Bonbon zu sich nimmt, völlig stellt werden muss. Aufgrund eines dringenden Tatver- recht – gilt das nur im Falle einer rechtskräftigen Verur- dachts kommen Sie unter Umständen auch ohne eine teilung. Verurteilung ins Gefängnis, nämlich in Untersuchungs- haft. Wenn ein Richter einen dringenden Tatverdacht Herr Ströbele, Sie sind in all dem, was Sie tun, ein feststellt und die anderen Haftgründe vorliegen, können ausgesprochener Rechtsstaatler. Dass Sie sich dazu ver- Sie auch vor einer Verurteilung sogar der Freiheit verlus- steigen, jemandem aufgrund eines Verdachtes ein Be- tig gehen, also ins Gefängnis kommen, und zwar manch- rufsverbot erteilen und dieses Verbot möglicherweise auf mal für lange Zeit, für Monate oder sogar für Jahre. die ganze Firma ausdehnen zu wollen, halte ich für einen ziemlich dicken Hund. Das ist in keiner Weise verhält- nismäßig. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ströbele, achten Sie bitte auf die Zeit. (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU]) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Vizepräsidentin Petra Pau: Was wir fordern, hat wesentlich geringere Folgen. Kollege Schultz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Wir wollen den Staat und die Allgemeinheit davor schüt- Kollegen Ströbele? zen, dass Firmen, die mit Bestechung und anderen Kor- ruptionshandlungen unlauteren Wettbewerb gegenüber Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): anderen betreiben, den Staat erheblich schädigen und Bitte. deshalb schädlich für die Allgemeinheit sind. Deshalb brauchen wir ein Korruptionsregister. Ihnen stünde es Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gut an, endlich den Worten Taten folgen zu lassen und NEN): diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass Ihr verehrter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Parteivorsitzender Müntefering im Jahr 2002 mit der 23030 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Hans-Christian Ströbele (A) versammelten Fraktion der Sozialdemokraten und mit Vizepräsidentin Petra Pau: (C) uns gemeinsam ein Gesetz auf den Weg gebracht und im Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle- Deutschen Bundestag verabschiedet hat, wobei er sich in gen Montag? der Öffentlichkeit anlässlich der damaligen Korruptions- fälle, etwa in Köln, in den auch SPD-Vertreter verstrickt Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): waren, vehement dafür eingesetzt hat, ein solches Kor- Vo n w e m ? ruptionsregistergesetz zu machen, und vor der damaligen Bundestagswahl den Deutschen Bundestag geradezu be- schworen hat, ein solches Gesetz zu verabschieden, weil Vizepräsidentin Petra Pau: es dringend notwendig und natürlich rechtsstaatlich aus- Des Kollegen Jerzy Montag. reichend gesichert sei? Die versammelte SPD-Fraktion hat daraufhin mit der versammelten Fraktion der Grünen Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): dieses Gesetz im Deutschen Bundestag mit Mehrheit be- Montag oder Freitag? schlossen, und beide Fraktionen haben darin nichts Rechtswidriges und schon gar nichts rechtsstaatlich Be- Vizepräsidentin Petra Pau: denkliches gesehen. Montag.

Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Mir ist das selbstverständlich bekannt, weil ich dabei Ja, klar. war. Wir hatten in der Koalition vereinbart, ein eigen- ständiges Register einzuführen. Das wäre eine Lösung; Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): das ist keine Frage. Allerdings galt das auch damals Danke, Herr Kollege. Es ist offensichtlich die Zeit der nicht völlig uneingeschränkt. Das galt nur für diejenigen, Witzchen im Bundestag ausgebrochen. die unter einem schweren Verdacht standen. Aber aus heutiger Sicht, wo neben dem wichtigen Ziel der Kor- Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): ruptionsbekämpfung auch die Frage von Bürokratieab- Das ist um diese Tageszeit am Freitag immer so. bau sowie andere Fragen zu behandeln sind, sagen wir: Wir nutzen ein bestehendes Instrument, nämlich das zen- Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): trale Gewerberegister. Damit erreichen wir dasselbe, ohne eine zusätzliche Plattform zu schaffen. Das ist eine Ich werde Sie deshalb auch nicht fragen, weswegen relativ bürokratiearme, transparente Lösung für alle, die Sie es an einem Freitag um 15 Uhr für notwendig gehal- (B) öffentliche Aufträge vergeben oder sich an solchen Ver- ten haben, eine Hose anzuziehen. Aber ich frage Sie, ob (D) gaben als Auftragnehmer beteiligen wollen. Sie bereit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ein- richtung eines Korruptionsregisters mitnichten ein Be- Außerdem sage ich Ihnen, Herr Ströbele: Je länger ich rufsverbot für irgendjemanden bedeutet, sondern ledig- mich persönlich damit befasst habe, umso mehr bin ich lich eine Möglichkeit für diejenigen staatlichen der Auffassung, dass ein Berufsverbot für eine ganze Instanzen ist, die einen Auftrag an eine Firma zu verge- Firma nur aufgrund des Verdachtes, dass sich vielleicht ben haben, in eine sachgerechte Prüfung darüber einzu- der eine oder andere fehlverhalten hat, für mich völlig treten, ob es nicht vielleicht falsch wäre, einen Auftrag ausgeschlossen ist. einer bestimmten Firma zu erteilen. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein solches Korruptionsregis- (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ ter in dieser Form von der CSU in Bayern, von der CDU CSU]) in Baden-Württemberg und von der SPD in Nordrhein- Westfalen bereits eingeführt worden ist Für den Fall, dass wir das Vergnügen haben sollten, noch einmal so etwas Ähnliches wie eine rot-grüne Re- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE gierung zu veranstalten, dann wird diese Regelung – das GRÜNEN]: Und in Rheinland-Pfalz prakti- sage ich Ihnen schon jetzt – auf jeden Fall nur bei einer ziert!) rechtskräftigen Verurteilung gelten. Die Verabredung in – in Rheinland-Pfalz und in vielen anderen Ländern der Großen Koalition ist – der Auftrag an das Bundes- auch – und dass ein solches nach Auffassung von Orga- wirtschaftsministerium ist ergangen –, Vorschläge zu ma- nisationen wie – unter anderem – Transparency Interna- chen, um das zentrale Gewerberegister weiterzuentwi- tional absolut notwendig ist, um Korruption zu bekämpfen? ckeln. Ich gehe davon aus, dass das Ministerium daran arbeitet. Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Nun könnte man natürlich fragen: Warum liegt das Zunächst einmal stimme ich Ihnen in Ihrer Aussage noch nicht auf dem Tisch? Sie wissen selber – jetzt be- nicht zu, dass die Eintragung in ein Korruptionsregister ende ich die Beantwortung der Zwischenfrage, um oder ein vergleichbares Register zu einer sachgerechten meine Redezeit nicht von 9 Minuten auf 30 Minuten Prüfung führt; vielmehr ist es ein Signal an die Vergabe- auszudehnen –, wie das ist. stelle, eine eingetragene Firma aus der Liste der Firmen zu streichen, die angeschrieben werden. Das wird in den Ich komme nun zu meiner ursprünglichen Rede zu- Ländern auch so gehandhabt. Oder glauben Sie, dass die rück. Vergabestelle in Kleinkleckersdorf, die einen Auftrag zu Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23031

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) vergeben hat, noch hinterhersteigt, um anstelle der ten; vielmehr geht es darum, dass wir diese Tatbestände (C) Staatsanwaltschaft mit detektivischen Mitteln zu über- überhaupt nach außen dokumentieren, prüfen, was da dran ist? Vielmehr ist die Ampel dann für (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE dieses Unternehmen auf Rot gestellt, und es wird an öf- GRÜNEN]: Deshalb will der Bundesrat ein fentlichen Aufträgen nicht mehr beteiligt. Das wird das solches Register!) Ergebnis sein. damit jede Vergabestelle, die an öffentlichen Auftrags- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE vergaben beteiligt ist, die Möglichkeit hat, sich rechtzei- GRÜNEN]: Sie bekommen Gelegenheit zur tig darüber zu informieren, welche Firmen korrupt sind Stellungnahme!) oder nicht. Da, denke ich, liegen wir nahe beieinander. Was im Übrigen Ihre freundliche Frage zu meiner Deswegen haben wir ja auch damals zusammen etwas Hose angeht, so habe ich das getan, was Sie auch einmal gemacht. tun sollten, nämlich Sport treiben. Diese Möglichkeiten (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE sollte man im fortgeschrittenen Alter nutzen, damit man GRÜNEN]: Es sind jetzt schon sechs Jahre he- um diese Tageszeit noch einigermaßen fit ist. rum!) Zu der Frage, ob wir es mit der Korruptionsbekämp- Ich bin auch der Meinung, dass schnell eine Lösung ge- fung ernst meinen, kann ich nur sagen: Ich habe hier funden werden muss. Wir gehen jetzt einen etwas büro- mehrfach vorgetragen, dass es insbesondere im kommu- kratieärmeren Weg. nalen Baubereich eine ungeheuer große Zahl von Kor- ruptionsfällen gibt. Der kommunale Bau steht von der Ich komme jetzt zu Ihrem Antrag über die Hermes- Zahl der Verfahren her an der Spitze. Es gibt vom Bun- bürgschaften. Selbstverständlich gibt es auch in diesem deskriminalamt und von Transparency International Un- Zusammenhang Korruption. Es reicht mir auch nicht tersuchungen darüber, die zeigen, dass da wirklich ein aus, wenn jemand sagt, dass Bestechung ein wichtiges Sumpf trockengelegt werden muss, und das wollen wir Wettbewerbselement in manchen merkwürdigen Län- auch. dern ist. Das ist so – keine Frage –, aber das Argument reicht nicht aus, wenn wir hier eine Antikorruptionskul- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE tur errichten wollen. Wir können uns also nicht wie ein GRÜNEN]: Sie tun aber nichts!) Potentat in einem afrikanischen Staat verhalten, sondern wir gehen mit Korruption, auch wenn sie im Ausland Wir sind auch dafür, dass die Länder – wie einige es stattfindet, rechtsstaatlich so um, als wenn sie hier statt- schon getan haben – Schwerpunktstaatsanwaltschaften finden würde. Ich bin der Meinung, dass ein Tatbestand (B) damit beschäftigen, damit die Verfahren nicht völlig ver- dann, wenn er bekannt wird, dokumentiert werden muss. (D) sickern. Dann würde jemand, wenn er denn tatsächlich Wir werden Ihren Antrag behandeln. Er wird heute in die schuldig ist, auch relativ schnell rechtskräftig verurteilt Ausschüsse überwiesen, und wir werden die eine oder werden können. Dafür treten wir voll ein. Aber wir sind andere Lehre daraus ziehen. nicht der Meinung, dass wir neben das zentrale Gewer- beregister, das wir – im Gegensatz zu den Ländern – auf Mir ist allerdings aufgefallen, dass Sie in Ihrem An- Bundesebene haben, noch eine andere Dokumentation trag Zeitabläufe vorschlagen, die dem Bestreben zuwi- stellen sollten. derlaufen, sehr schnell zur Absicherung von Exportbürg- schaften zu kommen; denn auch das Ziel müssen wir (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE haben. Sie fordern, 90 Tage bevor der Interministerielle GRÜNEN]: Der Bundesrat ist anderer Mei- Ausschuss über eine Bürgschaft entscheidet, müssten der nung!) Öffentlichkeit die Rahmendaten über alle Projekte be- kanntgegeben werden. Damit verzögern Sie die Bürg- Wenn Sie sich mit dem zentralen Gewerberegister befas- schaftsvergaben ganz erheblich. Nicht nur wegen dieser sen würden, dann wüssten Sie, dass da schon Tatbe- Wirtschaftskrise, aber jetzt natürlich erst recht, wollen stände über Unternehmen festgehalten werden, die au- wir, dass Projekte, die absicherungsfähig wären, so ßerordentlich schwerwiegend sind. schnell wie möglich abgesichert werden. Deswegen (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE muss man ein schnelles, aber auch transparentes Verfah- GRÜNEN]: Haben Sie das dem Bundesrat ren finden. Wir sind gern bereit, auch darüber nachzu- schon einmal mitgeteilt?) denken. Wir haben das vielfach getan, übrigens auch die Regierung, die wir einmal gemeinsam gestellt haben. In Der Bundesrat hat – im Gegensatz zu Ihren Äußerungen – diese Zeit fielen Regelungen, die mit der OECD verein- nicht empfohlen, ein Korruptionsregister einzurichten, bart worden sind. Man kann auch noch deutlich darüber sondern er hat empfohlen, ein Register über schwere hinausgehen. Damit habe ich keine Probleme. Allerdings Verfehlungen in seiner gesamten Breite zu schaffen. Das muss die Balance erhalten bleiben, sodass Bürgschaften ließe sich hervorragend in das zentrale Gewerberegister überhaupt noch möglich sind. einpassen, das beim Bundesamt für Justiz geführt wird. Das ist dann für jeden zugänglich. Das wäre, denke ich, Wir haben jetzt auch im Inland einen riesigen Bürg- der geeignete Ort. schaftsrahmen geschaffen. Auch in diesem Zusammen- hang könnten Sie den Antrag stellen, bei der Absiche- Ich glaube nicht, dass wir jetzt ernsthaft darüber strei- rung der Kredite der KfW ebenso wie bei Bürgschaften ten sollten, ob wir ein oder zwei Register schaffen soll- für größere Volumina auf dem deutschen Markt eine ge- 23032 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) naue Prüfung durchzuführen. Ich bin der Meinung, dass Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C) man das tun müsste. Allerdings, denke ich, werden Un- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- bedenklichkeitsbescheinigungen vorgelegt. Bei einem cherschutz (10. Ausschuss) dringenden Verdacht gibt es sicherlich keine Bürgschaft. Wenn man das formalisieren will, dann kann man das – Drucksache 16/12315 – tun. Ich aber bin der Meinung, dass das nicht zu einer Berichterstattung: Verzögerung zum Beispiel des Konjunkturprogramms Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp führen darf. Man muss also schauen, was man erreichen Dr. Marlies Volkmer kann. Hans-Michael Goldmann Man kann durch Überbürokratisierung viele wichtige Karin Binder und sinnvolle wirtschaftliche Vorgänge so lähmen, dass Ulrike Höfken zum Schluss nichts mehr passiert. Umgekehrt darf das Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu natürlich kein Argument dafür sein, in der Korruptions- bekämpfung nachzulassen. Diese Balance müssen wir diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. erreichen. Mit der Reform des Vergaberechts und der Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich Ankündigung, eine Regelung im zentralen Gewerbere- um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Franz-Josef gister einzuführen, was dem Korruptionsregister nahe- Holzenkamp für die Unionsfraktion, Dr. Marlies kommt, haben wir einen wichtigen Schritt gemacht. Al- Volkmer für die SPD-Fraktion, Hans-Michael Goldmann lerdings gibt es den wesentlichen Unterschied, dass ein für die FDP-Fraktion, Karin Binder für die Fraktion Die Unternehmen erst dann dort aufgelistet wird, wenn es Linke und Ulrike Höfken für die Fraktion Bündnis 90/ 2) ein rechtskräftiges Urteil gibt. Weitere Schritte werden Die Grünen. folgen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Vielen Dank. desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sowie anderer Vorschriften. Der Ausschuss für Ernäh- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12315, Vizepräsidentin Petra Pau: den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- Die Rede des Kollegen Professor Herbert Schui für sache 16/8100 in der Ausschussfassung anzunehmen. die Fraktion Die Linke nehmen wir zu Protokoll.1) Ich Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- (B) schließe die Aussprache. schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – (D) Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Wir kommen zur Abstimmung über den von der Frak- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen tion Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Entwurf ei- der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die nes Korruptionsregistergesetzes. Der Ausschuss für Stimmen der FDP-Fraktion, der Fraktion Die Linke und Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be- der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. schlussempfehlung auf Drucksache 16/11312, den Ge- setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Dritte Beratung Drucksache 16/9780 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- die Stimmen des Bündnisses 90/Die Grünen und der entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der Fraktion Die Linke abgelehnt. Damit entfällt nach unse- SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion, der rer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/11211 an die in der Tagesordnung aufge- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- so beschlossen. richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Dr. Edmund Peter Geisen, weiterer Abgeordne- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes ter und der Fraktion der FDP zur Änderung des Lebensmittel- und Futter- mittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften Zulassung von gentechnisch veränderten Or- ganismen auf wissenschaftliche Grundlage – Drucksache 16/8100 –

2) Anlage 8; die Rede der Abg. Karin Binder (DIE LINKE) wird spä- 1) Anlage 7 ter abgedruckt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23033

Vizepräsidentin Petra Pau (A) stellen – Agrarischen Veredlungsstandort setzungsversuchen die weitere Durchführung dieser Ver- (C) Deutschland sichern suche untersagt hat, ist für den Wissenschaftsstandort Deutschland, für die Freiheit von Forschung und Lehre – Drucksachen 16/8929, 16/11165 – ein absoluter Skandal. Berichterstattung: (Beifall bei der FDP) Abgeordnete Dr. Max Lehmer Elvira Drobinski-Weiß Die jetzige Ministerin fordert, wie ihr Vorgänger, dass Dr. Christel Happach-Kasan die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen auf Dr. Kirsten Tackmann wissenschaftlicher Grundlage erfolgen soll. Wir fordern Ulrike Höfken das auch. Sie könnte es schon jetzt umsetzen, aber sie tut es nicht. Ich bedauere sehr, dass die frühere forschungs- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die politische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, die sich Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre in dieser Funktion großes Ansehen erworben hat, jetzt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. als Ministerin am Gängelband ihres Vorgängers hängt. Das Wort hat die Kollegin Dr. Christel Happach- Das ist keine gute Sache für den Agrarstandort Deutsch- Kasan für die FDP-Fraktion. land. (Beifall bei der FDP – Abg. Dr. Christel (Beifall bei der FDP) Happach-Kasan [FDP] stellt eine Vase mit Die Ministerin fordert heute, dass die Regionen über Blumen auf das Rednerpult – Reinhard den Anbau von Sorten entscheiden. Das ist abenteuerlich Schultz [Everswinkel] [SPD]: Das passt gut! und absolut ungeheuerlich. Das ist Aufgabe der Land- Alles Ton in Ton! Sehr schön!) wirte. Sie brauchen die Freiheit, zu entscheiden, welche Sorte sie anbauen. Es ist nicht Aufgabe eines Kommu- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): nalparlaments oder einer Landesregierung, das zu ent- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! scheiden. Ich bedanke mich auch besonders für die freundlichen Glückwünsche; ich habe allerdings nicht Geburtstag. Je- (Beifall bei der FDP) der weiß: Geteiltes Leid ist halbes Leid, und geteilte Was hielten Sie denn davon, wenn Hamburg oder Freude ist doppelte Freude. Deswegen habe ich Ihnen Schleswig-Holstein bestimmten, bayerische Autos dürf- diesen hübschen Blumenstrauß mitgebracht. ten bei ihnen nicht mehr fahren? Thema ist der Antrag mit dem Titel „Zulassung von (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das wäre (B) gentechnisch veränderten Organismen auf wissenschaft- eine gute Lösung!) (D) liche Grundlage stellen“; die Frau Präsidentin hat es vor- gelesen. Jeder, der verfolgt, was in der EU in Brüssel Die Tierhaltung in Deutschland ist ein ganz bedeuten- passiert, weiß: Bei Abstimmungen im Agrarministerrat der Wirtschaftsfaktor. Sie ist auf Eiweißimporte ange- und im Umweltministerrat enthält man sich in der Regel, wiesen. Zum Import von Eiweißfuttermitteln gibt es in wenn es um transgene Pflanzen, um gentechnisch verän- Deutschland keine Alternative. Insbesondere Schweine- derte Pflanzen geht. Die Minister waschen die Hände in und Geflügelhaltung sind beispielsweise auf Soja- Unschuld; die Kommission entscheidet. Das ist eine un- importe angewiesen. Deshalb muss jeder, der auf diese würdige Prozedur. Minister kommen zusammen, ohne Eiweißimporte verzichten will, sagen, welche Einkom- letztlich zu entscheiden, verzögern das Verfahren, und mensalternativen er den Landwirten, den fleischverar- dann entscheidet die Kommission. Das ist nicht gut. beitenden Betrieben und den Betrieben der Ernährungs- Deswegen wollen wir ein anderes Verfahren. industrie anbieten will. Wir haben ja Regionen in Deutschland, in denen Tierhaltung ein ganz bedeutender (Beifall bei der FDP) Wirtschaftsfaktor ist. Das trifft nicht nur auf Niedersach- Wir sind der Auffassung, dass wir Entscheidungen sen zu, sondern auch auf Nordrhein-Westfalen, auf Ba- über die Zulassung von Sorten auf eine wissenschaftli- den-Württemberg und auf Bayern. Zum Erhalt dieser che Grundlage stellen müssen. Wir sehen mit Betroffen- Standorte ist der Import von Eiweißfuttermitteln uner- heit, dass die Bundesregierung diesem Anspruch nicht lässlich. gerecht wird. Sie sagt immer wieder, dass das Ganze auf (Beifall bei der FDP) wissenschaftlicher Grundlage geschehen soll, aber wenn sie die Chance hat, so zu entscheiden, tut sie es nicht. Die EU hat im vergangenen Jahr 16 Millionen Ton- nen Soja importiert, China 36 Millionen Tonnen. 75 Pro- (Beifall bei der FDP) zent der angebauten Sojapflanzen sind gentechnisch ver- ändert. Diese Sorten bieten nach Einschätzung der Land- Die Bundesregierung hat eine Hightech-Strategie aus- wirte erhebliche Vorteile. Amerikanische Landwirte gerufen, aber im Bereich der Biotechnologie bremst sie rechnen mit einem Einkommensvorteil von über 40 Dol- die Unternehmen aus. Das ist widersprüchlich und un- lar pro Hektar. Diesen Einkommensvorteil wollen sie glaubwürdig. sich selbstverständlich nicht entgehen lassen. (Beifall bei der FDP) In den USA und Südamerika sind neue Sorten zu- Die Tatsache, dass in Deutschland der Rektor einer gelassen worden. 24 Genkonstrukte befinden sich im Universität aufgrund krimineller Zerstörungen von Frei- Genehmigungsverfahren. Wir haben jedoch ein asym- 23034 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Dr. Christel Happach-Kasan (A) metrisches Zulassungsverfahren, was für unsere Vered- Vizepräsidentin Petra Pau: (C) lungswirtschaft erhebliche Nachteile bedeutet. Selbst Auch wenn Ihr Motiv zum Mitbringen des Blumen- kleinste Beimengungen nicht zugelassener Sorten kön- straußes, nämlich die Rede anschaulich zu illustrieren, nen aufgrund des Nulltoleranzprinzips dazu führen, dass sicherlich aller Ehren wert ist, bin ich gehalten, auf die die Mischung hier bei uns nicht zugelassen wird. Das ist Verabredung im Ältestenrat hinzuweisen, dass wir auf nicht in Ordnung. Wir wollen ein Abgehen vom Nullto- das Mitbringen jeglicher Gegenstände zum Redepult leranzprinzip; wir wollen das Schweizer Modell über- verzichten. Wie gesagt, ich erkenne Ihre Motive durch- nehmen und einen Toleranzschwellenwert von aus an. Es ist nur ein freundlicher Hinweis, damit es 0,5 Prozent einführen. auch in späteren Debatten gerecht zugeht. (Beifall bei der FDP) Die Reden des Kollegen Dr. Max Lehmer für die Uni- onsfraktion sowie der Kolleginnen Dr. Kirsten Ich glaube, nur mit einem solchen Toleranzschwellen- Tackmann für die Fraktion Die Linke, Elvira Drobinski- wert kann die Ernährungswirtschaft hier bei uns in Weiß für die SPD-Fraktion und Ulrike Höfken für die Deutschland im derzeitigen Umfang aufrechterhalten Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nehmen wir zu Proto- werden. Zugleich wäre damit die von den Landwirten, koll.1) aber auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern ge- forderte Qualität sichergestellt. Ich schließe die Aussprache. Ich habe Ihnen eine Blume mitgebracht, an der ich Ih- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- nen das derzeitige Zulassungsverfahren in der EU ver- empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- deutlichen möchte. Diese blauen Nelken werden in Aus- schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Frak- tralien seit 1996 angebaut. Sie beruhen auf einer tion der FDP mit dem Titel: „Zulassung von Nelkensorte, die nicht in den USA, nicht in Australien gentechnisch veränderten Organismen auf wissenschaft- liche Grundlage stellen – Agrarischen Veredlungsstand- (Zuruf von der SPD: In den Niederlanden!) ort Deutschland sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in – nein, auch nicht da –, sondern von einem Unternehmen seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/11165, in Baden-Württemberg, genauer genommen in Stuttgart den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8929 gezüchtet wurde. Dieses Unternehmen erhält nach wie abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- vor Lizenzgebühren aus dem Verkauf dieser Pflanzen. lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions- (Reinhard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Frau fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke, der Kollegin, aufessen! Essen Sie die bitte einmal Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der (B) (D) auf!) FDP-Fraktion angenommen. 2004 hat Australien den Antrag gestellt, den Import die- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 38 auf: ser Pflanzen in die EU zuzulassen. 2007 erhielten sie die Zulassung. Drei Jahre dauert in der Europäischen Union Beratung des Berichts des Ausschusses für Fami- die Zulassung einer blauen Nelke, nur weil sie auch den lie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) Farbstoff einer Petunie enthält. Ich halte das für abenteu- gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung erlich. – zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, (Beifall bei der FDP) Josef Philip Winkler, (Bre- men), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Das ist für eine aufgeklärte Region wie Europa, das ist BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für das Abendland einfach ein Drama, wenn – – Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos (Johannes Kahrs [SPD]: Das Abendland würde ich umsetzen – Erklärung zur UN-Kinder- aus der Sache herauslassen!) rechtskonvention zurücknehmen

Vizepräsidentin Petra Pau: – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Diana Golze, Jörn Wunderlich, weiterer Abge- Frau Kollegin Happach-Kasan, achten Sie bitte auf ordneter und der Fraktion DIE LINKE die Zeit. Für die Rücknahme der Vorbehaltserklä- Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): rung zur UN-Kinderrechtskonvention und eine – hiervon unabhängige – effektive Um- Ich achte auf die Zeit und komme zum Schluss: Ich setzung der Kinderrechte im Asyl- und Auf- wollte Ihnen anhand dieses Beispiels einmal zeigen, wie enthaltsrecht schön eine gentechnisch veränderte Pflanze ist und dass die Zulassungsverfahren viel zu lange dauern. Zugleich – Drucksachen 16/1064, 16/8885, 16/12266 – möchte ich Sie auffordern, dem Antrag der FDP-Bun- destagsfraktion hier und heute zuzustimmen. Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Griese Danke schön. (Beifall bei der FDP) 1) Anlage 9 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23035

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ge- (C) Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre nau!) keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Das Ganze ist Ihnen zu kritisch. Lieber verschieben Sie Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- kritische Anträge, als irgendetwas dazu zu sagen. Das ist gin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Drückebergerei; anders kann man das nicht bezeichnen. nen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Oktober 2006, seit dem ersten Antrag, haben Sie Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das Thema fünfmal im Ausschuss und im Plenum abge- Ich sage es Ihnen ganz offen und ehrlich: Irgendwie setzt. Jetzt setzen Sie das fort, und das soll bis zum Ende fühle ich mich bei dieser Debatte gelähmt. Eigentlich ha- der Wahlperiode so weitergehen. Aber Sie können das ben wir zu diesem Thema im Bundestag schon alles ge- Thema nicht wirklich von der Tagesordnung absetzen, sagt, was man dazu sagen kann, und das schon mehr- denn es gibt immer noch unbegleitete minderjährige fach. Mein Fazit daraus lautet: Die Bundesregierung will Kinder, die zum Beispiel am Frankfurter Flughafen an- auf die Bundesländer Rücksicht nehmen; sie muss das kommen, und deren Situation können wir uns vorstellen. aber nicht. Weil die Bundesregierung aber rücksichtsvoll gegenüber den Bundesländern ist, ist sie rücksichtslos (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- gegenüber Flüchtlingskindern. Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jedes Mal sagt die Koalition, dass sie zu diesem und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE Thema leider keine abgestimmte Meinung bilden LINKE]: Sauerei, so was!) konnte. Sie hatten zweieinhalb Jahre Zeit; das hat Ihnen wohl nicht gereicht. Wie lange soll das denn noch dau- Ich freue mich aber, dass zumindest bei diesem ern? Viel mehr Zeit bleibt Ihnen nämlich nicht. Thema die kleinen Fraktionen zusammenhalten und die sehr dicken Bretter bohren, die hier gebohrt werden Noch eines: Die Bundesregierung wird am 5. April müssen. Wir dürfen damit nicht aufhören, weil es um vor der UN-Kinderrechtskonvention Bericht erstatten mehr geht als um einen Schlagabtausch der verschiede- müssen. Was werden Sie tun? Werden Sie das verschie- nen Parteien. ben? Ich glaube, dass hinter der Rücksichtslosigkeit eines (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Vor (B) steckt: dass die Große Koalition, vor allem die Fraktion dem Ausschuss!) (D) der Union, eigentlich ein gestörtes Verhältnis zu Kinder- rechten hat. – Ausschuss oder nicht; der Bericht muss geliefert wer- den. (Beifall bei der LINKEN) (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Ich zitiere aus Ihrem Bericht: Nein, vor dem UN-Ausschuss!) Eine Rücknahme der Erklärung gegen den Willen – Es ist eigentlich egal, wo Sie Bericht erstatten werden. der Länder komme für die Bundesregierung nicht in Entscheidend ist: Was wird in diesem Bericht stehen? Betracht. Dies entspreche der kontinuierlichen Hal- Werden Sie sich auch dann davor drücken? Werden Sie tung der Bundesregierung … das Thema wieder verschieben? Werden Sie sagen: Wir hatten keine Position, liebe UN, von uns gibt es keinen So antworten Sie auf die Anfrage meiner Fraktion. Bericht? Wie werden wir dastehen? Wir sind im Aus- land, in der EU und vom UN-Ausschuss mehrfach ge- Dennoch trauen Sie sich nicht, weder im Ausschuss rügt worden wegen unserer Haltung. Werden Sie diese noch im Bundestag, darüber abzustimmen. Sie trauen Rüge wieder hinnehmen? Werden Sie Deutschland wie- sich nicht, Ihre Meinung auch im Bundestag offen zu sa- der so darstellen, als würden Kinderrechte bei uns keine gen. Stattdessen gibt es einen erzwungenen Bericht. Ich Rolle spielen? Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, erwarte von Ihnen Antworten auf die Fragen: Warum kann und werde ich nicht mittragen. Sie werden sich trauen Sie sich nicht, die Debatte im Ausschuss zu füh- diese Rüge gefallen lassen müssen. ren? Warum lehnen Sie die Anträge nicht einfach ab, wenn die Sache so glasklar ist, wie Sie es darstellen? Sie Wir fordern Sie auf, Ihren Bericht zu erstellen. Wir ist es nämlich nicht. Warum trauen Sie sich nicht, zu Ih- sind gespannt darauf, was Sie hineinschreiben werden. rer Meinung zu stehen, wenn Sie denn eine Meinung ha- Eigentlich müssten Sie zugeben, dass Sie handlungsun- ben sollten? Warum drücken Sie sich davor? Warum fähig sind. Bei Ihnen bleiben die Kinder auf der Strecke. sind Sie zu feige, das zu sagen, was Sie meinen, wenn Das ist ein kinderrechtliches Trauerspiel. ohnehin klar ist, dass Sie das Ganze wie bisher handha- ben wollen? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ingrid Fischbach Die Antwort gebe ich Ihnen gleich mit, denn das liegt [CDU/CSU]: Das ist ja wohl nicht wahr! Un- auf der Hand: Die Große Koalition will nicht Farbe be- verschämt! Bei uns bleibt kein Kind auf der kennen. Strecke!) 23036 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Bereich Innenpolitik –, dass bei den minderjährigen un- (C) Das Wort hat der Kollege Thomas Mahlberg für die begleiteten Kindern in Asylverfahren besondere Sorgfalt Unionsfraktion. angewendet wird. Man geht auf diese Zielgruppe in be- sonderer Weise ein, und man geht mit diesen Kindern (Beifall bei der CDU/CSU) sensibel um.

Thomas Mahlberg (CDU/CSU): (Diana Golze [DIE LINKE]: Mit Röntgen- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau untersuchung der Hand!) Kollegin Deligöz, ich hatte gerade das Gefühl, ich Anders als Sie das gerade dargestellt haben, haben die nehme an einer anderen Antragsberatung teil. Sie bean- Kinder Zugang zu allen Infrastruktureinrichtungen. Ich tragen einen formalen Akt. Aber es ist unbestritten, dass nenne in diesem Zusammenhang die Teilhabe am Ge- die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage ihrer sundheitssystem, den kostenlosen Schulbesuch und Rechtsverordnungen die Verpflichtungen aus der UN- Maßnahmen der Jugendhilfe. Dazu gehört natürlich auch Kinderrechtskonvention uneingeschränkt erfüllt. Darü- die Aufnahme in Pflegefamilien oder in Jugendhilfeein- ber sind sich zumindest diejenigen einig, die an diesem richtungen. Prozess beteiligt sind. (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr (Beifall bei der CDU/CSU) gut! Endlich wird das einmal klargestellt! – Wenn Sie davon sprechen, dass in unserem Land Kin- Diana Golze [DIE LINKE]: Das stimmt ein- derrecht keine Rolle spielen und dass die Union ein ge- fach nicht, Herr Singhammer!) störtes Verhältnis zu den Kinderrechten hat, Es wird also entsprechend der UN-Kinderrechtskonven- (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tion vor Ort Politik gemacht. NEN]: Was sagen Sie zu Kinderrechten in der Verfassung?) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage dann muss ich Ihnen als jemand, der dem Bundestag erst der Kollegin Deligöz? seit letztem Jahr angehört, erwidern: Ich habe das Ge- fühl, dass gerade Familien und Kinder sowie Kinder- rechte im Mittelpunkt der Bundespolitik stehen. Das ist Thomas Mahlberg (CDU/CSU): auch genau das Feedback, das ich draußen bekomme. Klar.

(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) NEN]: Warum stimmen Sie dann nicht ab? Herr Kollege Mahlberg, wenn das alles so stimmen (D) Dann stimmen Sie doch ab!) würde, wie Sie behaupten, hätten wir bestimmte Pro- Mitnichten kann man davon sprechen, dass Kinderrechte bleme nicht. Wir haben sie aber. hier keine Rolle spielen. Vor zwei Wochen ist ein 16-jähriges Mädchen aus So- (Diana Golze [DIE LINKE]: Deshalb verweigert malia in Frankfurt nach Deutschland eingereist. Sie ist ihr die Kinderrechte im Grundgesetz!) mehrfach vergewaltigt worden und hochschwanger. Sie wurde in einer Sammelunterkunft am Frankfurter Flug- Die Gruppe der 16- bis 17-Jährigen, um die es hier hafen untergebracht, weil sie trotz ihrer 16 Jahre als geht, umfasst, wenn ich der Statistik Glauben schenken Volljährige galt und somit keine Rechte als Kind hatte. kann, rund 300 bis 350 Kinder im Jahre 2008. Wir reden Wie kann so etwas zustande kommen? Wie erklären Sie auf der einen Seite über den formalen Akt, und wir reden sich solche Fälle? Diese Fälle gibt es in Deutschland, ob- auf der anderen Seite natürlich über die Frage, ob diese wohl Sie behaupten, dass es sie nicht gäbe. Kinder in irgendeiner Weise benachteiligt sind. Wenn Sie der Meinung sind, dass die Kinderrechte (Zuruf von der LINKEN: Ja!) bei Ihnen eine große Rolle spielen, dann muss ich fra- Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Es stimmt, dass es bisher gen: Warum stimmen Sie nicht einfach ab? Warum ver- einen großen Widerstand der Länder gibt – wenn ich es schieben Sie die Abstimmung, mittlerweile zum fünften richtig sehe, sträuben sich nach wie vor insgesamt zwölf Mal? Ich habe immer noch keine Antwort von Ihnen er- Bundesländer –, die Vorbehaltserklärung zurückzuneh- halten. men. Aber keines dieser Länder handelt nicht auf Basis der UN-Kinderrechtskonvention. Es ist unbestritten, Thomas Mahlberg (CDU/CSU): dass alle Kinderrechte uneingeschränkt beachtet werden. Frau Kollegin Deligöz, ich glaube, zum Stellenwert der Kinderrechte innerhalb der CDU/CSU-Bundestags- Gerade die unbegleiteten minderjährigen Kinder ge- fraktion habe ich schon etwas gesagt. Ich persönlich nießen einen besonderen Schutz. habe das Gefühl, dass gerade Kinder und Familien im (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Fokus unserer Politik stehen. den Sammelunterkünften?) (Beifall bei der CDU/CSU – Ekin Deligöz Sie haben letztendlich die Möglichkeit, an allen sozialen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche Maßnahmen teilzunehmen. Es gilt im Übrigen auch der Kinder? Welche Kinder? – Dr. Dagmar Grundsatz – das weiß ich von meinen Kollegen aus dem Enkelmann [DIE LINKE]: Tatsachen!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23037

Thomas Mahlberg (A) Was die Abstimmung angeht: Es ist unstreitig, dass es Ich finde es schlicht und ergreifend beschämend, dass (C) eine belastbare Vereinbarung zwischen Bund und den wir heute zum x-ten Mal über diese Thematik im Plenum Ländern gibt, die schon sehr lange zurückliegt, eine Vor- reden und darüber beraten, ob wir die Vorbehaltserklä- behaltserklärung bei der UN zu hinterlegen. Den Län- rung zurücknehmen oder nicht. Die letzte Debatte dazu dern ist zugesichert worden, dass diese Vorbehaltserklä- fand vor einem Jahr statt. Eigentlich könnten wir uns die rung so lange Bestand hat, bis die Länder einer Debatte heute sparen. Wir hätten uns die Tonaufnahme Rücknahme zustimmen. Das heißt, dies ist eine Frage der damaligen Sitzung anhören können und hätten keine der Verlässlichkeit. Ich bin der Meinung, dass Sie schon Veränderung im Vergleich zur Situation von vor einem vor Jahren in der rot-grünen Bundesregierung die Gele- Jahr festgestellt. genheit gehabt hätten – wenn Sie es gewollt hätten –, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Oder entsprechend zu handeln. ihr hättet inzwischen zugestimmt! – Jörn (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Genau das ist Wunderlich [DIE LINKE]: Warum hat die Ko- der Punkt!) alition wieder abgelehnt?) – Moment. Sie selber haben doch dieses Problem in die nächste Le- gislaturperiode transportiert. Wir haben am 5. April 1992 die UN-Kinderrechts- konvention in Deutschland in Kraft treten lassen. In den (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann macht 17 Jahren seither gab es im Bundestag viele Beschlüsse es doch jetzt! – Gegenruf der Abg. Ingrid zur Rücknahme der Vorbehalte. Es gab zahlreiche An- Fischbach [CDU/CSU]: Da brauchen Sie nicht träge der Bundesländer im Bundesrat, zuletzt im Juni zu schreien! Wir haben immer unsere Beden- 2008, und zwar seitens der Länder Bremen, Berlin und ken geäußert! Das sind die gleichen geblie- Rheinland-Pfalz. Dieser Antrag wurde ebenfalls abge- ben!) lehnt. Insofern sitzen wir im gleichen Boot. Worum geht es? Es geht – das hat auch die Kollegin Deligöz gesagt – um eine kleine Gruppe junger Men- Nichtsdestotrotz haben – damit will ich zum Schluss schen, nämlich um unbegleitete minderjährige Flücht- kommen – Kinderrechte eine große Bedeutung. Wir linge. Alle anderen Punkte der Vorbehaltserklärung sind müssen versuchen, die Frage der Vorbehaltserklärung im hinfällig, weil wir sie per Gesetz beseitigt haben. Konsens mit den Ländern zu lösen. Es macht keinen Sinn, wenn sich nach wie vor zwölf Bundesländer auf- Manchmal frage ich mich, warum wir uns so schwer- grund von Problemen, die entstehen, weil falsche Erwar- tun, internationale Verpflichtungen ernst zu nehmen. (B) tungen in die Welt gesetzt wurden, zur Wehr setzen. Es (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie (D) ist richtig, zu versuchen, die Länder zu überzeugen und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sie mit ins Boot zu nehmen. Man muss gemeinschaftlich versuchen, die Länder dazu zu bringen, an dieser Stelle Es geht darum, internationale Verpflichtungen nicht als zu einer gemeinsamen Handlungsweise zu kommen. Schauanträge anzusehen. Wir müssen unser innerstaatli- ches Recht daraufhin überprüfen, ob wir dem entspre- Vielen Dank. chen, was wir unterzeichnet haben. Wir müssen diese Abkommen ratifizieren und dann auch in Kraft treten (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes lassen. Wir aber tun so, als ob das zwar für alle Kinder Singhammer [CDU/CSU]: Sehr gut! Endlich auf der Welt gilt, aber nicht bei uns hier. mal Klarheit! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So eine Eierei!) Wir reden permanent von der kinderfreundlichen Ge- sellschaft. Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Manchmal frage ich, ob es an der Sturheit liegt, warum Vizepräsidentin Petra Pau: wir nicht handeln. Bei uns im Schwäbischen gibt es fol- Die Rede der Kollegin Miriam Gruß für die FDP- genden Spruch: „An der Stell’ hat mein Vater bremst, Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) und da brems ich auch, und wenn’s bergaufwärts geht.“ Das Wort hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die (Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE SPD-Fraktion. LINKE]: Wie die Koalition!) Will heißen: Das haben wir schon immer so gemacht, Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): das machen wir so, und deshalb wird es weiter so ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! macht. Liegt es an einer tiefsitzenden Xenophobie, also Um gleich Missverständnisse auszuräumen: Unsere an Fremdenangst, oder ist es die Angst vor der Entste- Ausschussvorsitzende, Frau Griese, kann heute nicht an hung von Kosten in den Ländern? Aber was soll das, dieser Debatte teilnehmen, weil sie an Reihungskonfe- wenn nur für 300 bis 350 Jugendliche Maßnahmen der renzen in NRW teilnehmen muss. Diese sind zwar etwas Jugendhilfe, des Gesundheitsdienstes und der Schulbil- ungünstig angesetzt; aber so ist es eben. Ihre Rede wurde dung finanziert werden müssen? Wenn ich mir unsere zu Protokoll gegeben; der Bericht des Ausschusses liegt Beschlüsse der letzten Monate anschaue, dann muss ich vor. sagen: Es kann doch nicht sein, dass wir vor überborden- den Kosten Angst haben müssten. 1) Anlage 10 (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 23038 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (A) Auch kann es nicht sein, dass wir Angst davor haben, Diana Golze (DIE LINKE): (C) dass auf einmal ganz viele Menschen in dieses Land Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- stürmen, sodass wir dann wiederum Angst davor haben legen! Da wir nun schon zum zweiten Mal diese GO- müssten, überschwemmt zu werden. Ich kann mir das Debatte führen, hatten wir viel Zeit, darüber nachzuden- kaum vorstellen. ken, warum das so ist. Ich habe mir zur Vorbereitung ge- nau dieselben Fragen wie die Kollegin Ekin Deligöz von Herr Kollege Mahlberg, Sie sagten, dass wir keinen den Grünen gestellt: Warum ist das eigentlich so? Wa- Unterschied zwischen Kindern und Jugendlichen zwi- rum müssen wir wieder über eine GO-Debatte eine Dis- schen 16 und 18 Jahren machen. Wenn wir in der kussion über dieses Thema erzwingen? Rechtswirklichkeit keine Unterschiede mehr haben, dann frage ich mich, warum wir es nicht schaffen, dafür Ich komme zu demselben Schluss wie meine Kollegin zu sorgen, dass auch rechtlich kein Unterschied mehr be- von den Grünen: Die Koalition – ich schaue in Richtung steht. Die Kinderkommission hat diesbezüglich bei den der Union – möchte diese Entscheidung nicht treffen und Bundesländern angefragt. Ich sage Ihnen: Es gibt einen schon gar nicht in einem Wahljahr. Unterschied – da waren sich alle Fraktionen einig –; (Beifall bei der LINKEN und dem denn Schulbesuch und Jugendhilfemaßnahmen sind BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nicht in allen Bundesländern selbstverständlich. Es kommt darauf an, wie das einzelne Bundesland das re- Sie will sich nicht festlegen. Sie will in einem Wahljahr gelt. Damit verletzen wir internationales, gezeichnetes nicht sagen: Für uns kommt das Unionsinteresse vor Recht. dem Kinderrecht. Das ist meine feste Überzeugung. Herr Singhammer bestätigt mich in dieser Überzeugung. In (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einem Artikel der Zeitschrift Das Parlament vom DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der 16. März dieses Jahres hat er gesagt – das ist noch gar LINKEN) nicht so lange her; deshalb wird sich Herr Singhammer vielleicht noch erinnern, was er gesagt hat –, Grund für Das schadet nicht nur den 350 Kindern, sondern auch die Absetzung des Antrags der Grünen und unseres An- dem Ansehen der Bundesrepublik. Wenn wir der UN un- trages von der Tagesordnung des Ausschusses sei ein seren Bericht vorlegen – da gebe ich der Kollegin weiterer Antrag der Grünen gewesen, der die Forderung Deligöz recht –, wird uns wieder vorgehalten werden: enthielt, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Ihr wollt in der ersten Liga spielen, schafft es aber nicht, das zu bereinigen. Ich halte das für eine Katastrophe. Erstens: Das war ein ganz anderer Tagesordnungs- punkt. Sie hätten diesen Antrag nicht von der Tagesord- An dieser Stelle möchte ich allen Nichtregierungsor- nung zu nehmen brauchen, bloß weil Sie nicht über die (B) (D) ganisationen dafür danken, dass sie so viel Durchhalte- Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz reden vermögen und einen so langen Atem aufbringen. Ich wollten. danke ihnen dafür, dass sie an dem Thema dranbleiben und immer wieder nachbohren. Ich fordere Sie, liebe Zweitens widerspricht es der Aussage Ihres Kollegen Kolleginnen und Kollegen aus den Reihen unseres Ko- Herrn Mahlberg, der eben meinte, die Union finde Kin- alitionspartners, und den Bundesrat auf – ansonsten bin derrechte sehr wichtig, und diese ständen im Mittelpunkt ich ein versöhnlicher Mensch –: Um Himmels willen, des Interesses. zwingen Sie uns nicht, noch mehr Geschäftsordnungs- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Tun sie strategien anzuwenden, um zu verhindern, dass das doch auch!) Thema im Ausschuss stirbt. Zwingen Sie uns nicht dazu. Wenn man Kinderrechte ernst nimmt, dann lässt man Das ist doch geheuchelt; denn Sie können nichts anderes sich nicht über den Koalitionsvertrag zum Handeln sagen. Er hat nicht einmal seine Redezeit ausgeschöpft, zwingen. Ich sage Ihnen: Ich werde das nicht hinneh- weil auch er auf unsere Frage, warum Sie sich nicht end- men, auch in dieser Legislaturperiode nicht. Ich habe lich stellen, keine Antwort geben kann. bisher alle Anträge unterzeichnet. Ich hoffe, dass Sie (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- vernünftig sind und wir die Sache gemeinsam angehen NIS 90/DIE GRÜNEN) können. Es wäre sowohl für die Koalition als auch für uns Parlamentarier blamabel, wenn wir das nicht hinbe- Sie wollen weder die Kinderrechte im Grundgesetz, kommen würden. noch wollen Sie die Gleichbehandlung aller Kinder in Deutschland. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und euch ein schönes Wochenende. (Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Genau so ist das! – Johannes Singhammer [CDU/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ CSU]: Die Kinderrechte sind im Grundge- DIE GRÜNEN) setz!) Es gibt ein weiteres Problem. Sie versuchen, ver- Vizepräsidentin Petra Pau: schiedene Argumente anzuführen. Eines der Argumente Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Frak- ist – es wurde eben wieder genannt –, die Länder müss- tion Die Linke. ten dem zustimmen, und man solle keine Entscheidung gegen die Länder treffen. Das zeigt mir: Sie haben nicht (Beifall bei der LINKEN) einmal die Überschrift unseres Antrages gelesen, die da Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23039

Diana Golze (A) nicht nur heißt „Für die Rücknahme der Vorbehaltserklä- die Koalition keine Entscheidung voranbringt. Meine (C) rung zur UN-Kinderrechtskonvention“, sondern auch für Fraktion und ich sind der Auffassung: Kinderrechte „eine – hiervon unabhängige – effektive Umsetzung der müssen für alle in Deutschland lebenden Kinder gelten, Kinderrechte im Asyl- und Aufenthaltsrecht“. Sie kön- und zwar unabhängig von ihrer Nationalität, von ihrem nen jetzt und hier, auch wenn Sie den Vorbehalt nicht zu- Sozialstatus oder ihrem Aufenthaltsstatus. Wir werden rücknehmen, die Situation dieser Kinder und Jugendli- uns weiterhin dafür stark machen. chen verbessern. Sie als Bundesgesetzgeber müssen das tun. Vielen Dank. Es darf nicht so weitergehen wie in dem Fall, den (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ekin Deligöz eben beschrieben hat, dass eine 16-jährige neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Schwangere in einer Massenunterkunft untergebracht GRÜNEN) wird und dass ihr nur eine basisgesundheitliche Versor- gung zur Verfügung steht, weil es im Asylbewerberrecht Vizepräsidentin Petra Pau: so geregelt ist. Sie können doch nicht wirklich wollen, Die Rede der Kollegin Kerstin Griese für die SPD- dass das weiterhin der Fall ist. Sie können jetzt handeln, Fraktion nehmen wir zu Protokoll.1) indem Sie ins Asylbewerberleistungsgesetz und ins Asylverfahrensgesetz schreiben, dass sich die Maßnah- Ich schließe die Aussprache. men am Kindeswohl auszurichten haben. Dann könnten Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Sie schon jetzt die Situation der Betroffenen verbessern, Schluss unserer heutigen Tagesordnung. selbst wenn Sie sich nicht zur Rücknahme der Vorbe- halte durchringen können. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 25. März 2009, 13 Uhr, ein. Ich muss mich dem anschließen, was zu dem Bericht, der jetzt wieder abgegeben werden soll, gesagt wurde. Die Sitzung ist geschlossen. Mir ist es peinlich, meiner Fraktion ist es peinlich und (Schluss: 15.57 Uhr) vielen Nichtregierungsorganisationen ist es peinlich, dass Deutschland wieder eine Rüge bekommen wird, und das nur, weil die Union sich hier nicht bewegt und 1) Anlage 10

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23041

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 20.03.2009 Kramme, Anette SPD 20.03.2009

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 20.03.2009 Kunert, Katrin DIE LINKE 20.03.2009 DIE GRÜNEN Lafontaine, Oskar DIE LINKE 20.03.2009 Bär, Dorothee CDU/CSU 20.03.2009 Laurischk, Sibylle FDP 20.03.2009 Brase, Willi SPD 20.03.2009 Lehn, Waltraud SPD 20.03.2009 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 20.03.2009 Lintner, Eduard CDU/CSU 20.03.2009* Burchardt, Ulla SPD 20.03.2009 Lips, Patricia CDU/CSU 20.03.2009 Burkert, Martin SPD 20.03.2009 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 20.03.2009* Dr. Dressel, Carl- SPD 20.03.2009 Christian Dr. h. c. Michelbach, CDU/CSU 20.03.2009 Hans Fischer (Hamburg), CDU/CSU 20.03.2009 Dirk Rachel, Thomas CDU/CSU 20.03.2009

Freitag, Dagmar SPD 20.03.2009 Rauen, Peter CDU/CSU 20.03.2009

(B) Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 20.03.2009 Reichel, Maik SPD 20.03.2009 (D)

Glos, Michael CDU/CSU 20.03.2009 Roth (Heringen), SPD 20.03.2009 Michael Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 20.03.2009 DIE GRÜNEN Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 20.03.2009

Granold, Ute CDU/CSU 20.03.2009 Schily, Otto SPD 20.03.2009

Dr. Hemker, Reinhold SPD 20.03.2009 Schirmbeck, Georg CDU/CSU 20.03.2009

Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 20.03.2009 Dr. Schmidt, Frank SPD 20.03.2009 DIE GRÜNEN Sebastian, Wilhelm CDU/CSU 20.03.2009 Hill, Hans-Kurt DIE LINKE 20.03.2009 Josef

Hinz (Essen), Petra SPD 20.03.2009 Segner, Kurt CDU/CSU 20.03.2009

Hirsch, Cornelia DIE LINKE 20.03.2009 Dr. Stinner, Rainer FDP 20.03.2009

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 20.03.2009 Tauss, Jörg SPD 20.03.2009 DIE GRÜNEN Wächter, Gerhard CDU/CSU 20.03.2009 Dr. h. c. Kastner, SPD 20.03.2009 Susanne Wolff (Wolmirstedt), SPD 20.03.2009 Waltraud Dr. Keskin, Hakki DIE LINKE 20.03.2009* Zimmermann, Sabine DIE LINKE 20.03.2009 Klug, Astrid SPD 20.03.2009

Korte, Jan DIE LINKE 20.03.2009 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Kossendey, Thomas CDU/CSU 20.03.2009 sammlung des Europarates 23042 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Anlage 2 Anlage 4 (C) Erklärung nach § 31 GO Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) der Abgeordneten Dr. Lale Akgün, Hilde zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Mattheis, Ottmar Schreiner, Andreas Steppuhn, wurf eines Gesetzes zur weiteren Stabilisierung Rüdiger Veit, Lothar Mark, Renate des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisie- Gradistanac, René Röspel, Angelika Graf rungsergänzungsgesetz – FMStErgG) (Tages- ordnungspunkt 31 a) (Rosenheim), Wolfgang Gunkel und Christian Kleiminger (alle SPD) zur namentlichen Ab- Dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur kann ich nicht zustimmen, da meines Erachtens der rich- weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes tige Weg für die Lösung der Problematik der Hypo Real (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz – Estate, HRE, und vergleichbarer Fälle die gesetzliche FMStErgG) (Tagesordnungspunkt 31 a) Einführung eines eingeschränkten Insolvenzverfahrens wäre. Dieses würde systemrelevante Unternehmen des Die Bundesregierung und das Parlament haben im Finanzsektors, die ohne staatliche Unterstützungsmaß- Oktober 2008 sehr weit reichende Mittel und Instru- nahmen faktisch insolvent wären, unter eine staatliche mente zur Stabilisierung der Finanzmärkte (500-Milliar- Restrukturierungsverwaltung der Finanzmarktmarktsta- den-Euro-Programm) beschlossen. Der Finanzmarktsta- bilisierungsanstalt stellen. Ein entsprechender ausformu- bilisierungsfonds hat bisher den Finanzmarkt vor dem lierter Gesetzentwurf wurde vom Bundesministerium für Zusammenbruch bewahren können. Um dies auch künf- Wirtschaft vorgelegt, aber leider in der Großen Koalition tig leisten zu können, muss er mit einem Ergänzungsge- verworfen. setz nachgebessert werden. Die Lösung über eine Enteignung ist der falsche Weg. Zum einen weil es aufgrund der faktischen Insolvenz der Die Lage auf den Finanzmärkten hat sich in den ver- HRE wirtschaftlich nichts mehr zu enteignen gibt und gangenen Wochen erneut verschärft. Die Bankenkrise den Aktionären der HRE – zum Beispiel Herrn hat sich zu einer akuten Krise des Finanzsystems ausge- Flowers – eine Position eingeräumt wird, die ihnen gar weitet. Die dramatische aktuelle Lage hat überall in nicht mehr gebührt. Zum anderen werden mit der Ein- Europa staatliche Interventionen zum kurzfristigen Kri- führung eines Enteignungsverfahrens für ein ganzes senmanagement erforderlich gemacht. Großunternehmen Ängste provoziert, die geeignet sind, dem Wirtschaftsstandort Deutschland insbesondere in- Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner stimmen (B) ternational zu schaden. Bemerkenswert ist ja, dass die diesem Gesetz als einem weiteren wichtigen Schritt zur (D) Linke dieses Enteignungsverfahren auch deshalb be- Krisenbekämpfung zu. grüßt, weil sie in Zukunft dessen Anwendungsbereich auf andere Wirtschaftszweige erweitern will. Diese neue Maßnahme im Zuge des Krisenmanage- Der von der Bundesregierung immer wieder ange- ments muss als alternativlos angesehen werden, auch führte Zeitdruck, der andere Lösungsmöglichkeiten als wenn klar ist, dass es massiv heutige und zukünftige ein Enteignungsverfahren, etwa das oben näher geschil- Steuerzahler belastet. Somit stehen wir erneut und nun derte Restrukturierungsverfahren, verhindere, ist selbst endgültig vor der grundlegenden Frage nach einer fairen geschaffen. Die Probleme der HRE sind seit vielen Mo- Verteilung der Lasten der Krise und der Sicherstellung naten bekannt, und es war auch bekannt, dass zum einer gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. 31. März Quartalszahlen vorgelegt werden müssen. Es wäre genug Zeit gewesen, andere, grundsätzlichere und Es ist zu befürchten, dass der Staat bald nicht mehr marktwirtschaftlichere Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, über ausreichende Mittel zur Aufrechterhaltung der wirt- wenn man sie ernsthaft gewollt hätte. schaftlichen und staatlichen Ordnung verfügt – es sei denn, er greift zu Zwangsmaßnahmen, Verstaatlichung, Zwangsanleihen, Enteignungen. Anlage 3 Deshalb müssen nun auch diejenigen zur Bewälti- Erklärung nach § 31 GO gung der Lasten der Krise einen eigenen Beitrag leisten, des Abgeordneten Gert Weisskirchen (Wies- die maßgeblich für diese Krise verantwortlich sind bzw. loch) (SPD) zur namentlichen Abstimmung auch diejenigen, die es sich – auch aufgrund der Steuer- über den Entwurf eines Gesetzes zur weiteren entlastungen der letzten beiden Jahrzehnte – leisten kön- Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarkt- nen. Wir meinen: Das ist eine Frage der Gerechtigkeit stabilisierungsergänzungsgesetz – FMStErgG) und dient auch der Legitimierung unserer Sozialen (Tagesordnungspunkt 31 a) Marktwirtschaft.

In der Ergebnisliste zur heutigen zweiten namentli- Deshalb fordern wir mit der Zustimmung zum chen Abstimmung (Finanzmarktstabilisierungsergän- Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz auch die zungsgesetz – Gesamt) ist mein Name unter „Nein“ auf- Einleitung nötiger Schritte für eine Gegenfinanzierung geführt. der zu erwartenden zusätzlichen Kosten für den Bundes- Mein Votum lautet: „Ja“. haushalt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23043

(A) Die Gegenfinanzierung muss auch aus Gründen der cherheit für die deutschen Landwirte. Auch wenn es kri- (C) Steuergerechtigkeit die Steuerentlastungen für Hochver- tische Stimmen zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat mögende aus der Vergangenheit revidieren. Sie muss und gibt, sage ich: Die Gesetzesänderung ist ein bedeu- sich auf folgende Maßnahmen konzentrieren: Die Wie- tender Fortschritt gegenüber der gegenwärtigen Praxis. dereinführung der Vermögensteuer, die Einführung von Ich werde Ihnen das begründen. Finanztransaktionsteuern (einer erweiterten Börsenum- satzsteuer, die es wiedereinzuführen gilt), eine höhere Bereits im Koalitionsvertrag haben sich die Regie- Erbschaftsteuer, die Revision der Abgeltungsteuer sowie rungsparteien darauf verständigt: „Mit einem praxisge- die Verhinderung von Steuerflucht (Schließung der rechten Prüf- und Zulassungsverfahren für serienmäßig Steueroasen), rückstandsloser Steuervollzug und eine hergestellte Stalleinrichtungen zur artgerechten Haltung Neujustierung der Steuerprogression mit einer Erhöhung von landwirtschaftlichen Nutztieren werden wir die Hal- des Spitzensteuersatzes. tungsbedingungen grundlegend und nachhaltig weiter verbessern.“ Die Bundesländer haben uns in diesem An- liegen unterstützt. So hat der Bundesrat im Jahre 2006 Anlage 5 die Bundesregierung gebeten, „die Möglichkeiten des Tierschutzgesetzes auszuschöpfen und schnellstmöglich Erklärung nach § 31 GO ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren für Legehennenhaltungssysteme zu entwickeln und so ein- der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann zuführen, dass spätestens ab dem 1. Januar 2012 nur (DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung noch auf Tiergerechtheit geprüfte und zugelassene serien- über den Entwurf eines Gesetzes zur weiteren mäßig hergestellte Stalleinrichtungen für Legehennen in Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarkt- den Verkehr gebracht werden“. stabilisierungsergänzungsgesetz – FMStErgG) (Tagesordnungspunkt 31 a) Wir, die Koalition aus CDU/CSU und SPD, haben Ich kann dem Rettungsübernahmegesetz, mit dem Wort gehalten. Mit der nun vorliegenden Gesetzesände- zeitweise Enteignungen zur Sicherung der Finanzmarkt- rung haben wir somit ein wichtiges im Koalitionsvertrag stabilität ermöglicht werden sollen, nicht zustimmen. festgelegtes Tierschutzziel erreicht. Zudem haben wir die Bitte der Bundesländer aufgegriffen und umgesetzt. Zwar ist es ebenso begrüßenswert wie überfällig, dass Und so ganz nebenbei ist das ein deutlicher Beweis da- sich die Große Koalition bei der Bewältigung der für, dass wir unseren Wählerauftrag ernst nehmen und Finanz- und Wirtschaftskrise auf die grundgesetzlich bis zum Ende der Legislaturperiode unseren Regierungs- mögliche Enteignung besinnt, das Rettungsübernahme- auftrag erfüllen. Oder anders formuliert: In der Koalition (B) gesetz dient jedoch erklärtermaßen einzig und allein dem wird bis zur letzten Minute gearbeitet. (D) Zweck, die Hypo Real Estate, HRE, vor dem Zusam- menbruch zu retten. Nachdem bereits rund 100 Milliar- Zum Gesetzentwurf im Einzelnen verweise ich auf ei- den Euro an Geldern des Steuerzahlers für die HRE auf- nige Kernaussagen: Wer ein Tier hält, betreut oder zu be- gewendet wurden und dieses Finanzinstitut zugleich nur treuen hat, muss nach § 2 Tierschutzgesetz das Tier sei- noch ein Bruchteil dessen wert ist, läuft die Enteignung ner Art und Bedürfnissen entsprechend angemessen auf eine weitere Sozialisierung bereits eingetretener Ver- ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. luste hinaus. Mit dem letzten Mittel der Enteignung will Er darf die Möglichkeit des Tieres zur artgemäßen Be- die Bundesregierung im Kern kaschieren, dass ihre vo- wegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder rausgegangenen Maßnahmen aufgrund fehlender Ein- vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Um fluss- und Mitspracherechte, zu geringer Kontrolle und zu gewährleisten, dass genau diese haltungsbedingten Transparenz weitgehend erfolglos blieben und die seit Probleme von vornherein ausgeschlossen werden kön- langem drohende Insolvenz der HRE nur hinauszöger- nen, soll der Tierhalter beim Erwerb oder bei der Beur- ten. Mit Enteignungen im Sinne des Allgemeinwohls, teilung einer Haltungseinrichtung durch eine staatliche wie vom Grundgesetz gewollt, hat das nichts zu tun. Stelle, die Haltungseinrichtungen prüft und zulässt, un- terstützt werden. Dies hilft nicht nur den Tieren, sondern schafft auch Sicherheit bei Tierhaltern. Daher sieht das Anlage 6 Gesetz ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfah- ren für Haltungseinrichtungen für Nutztiere vor, das für Zu Protokoll gegebene Reden das Inverkehrbringen und das Verwenden solcher Ein- zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- richtungen Voraussetzung sein soll. Das Verfahren soll setzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Ta- dazu dienen, dass zukünftig nur noch auf Tiergerechtheit gesordnungspunkt 35) geprüfte und zugelassene serienmäßig hergestellte Stall- einrichtungen in Verkehr gebracht werden. Damit soll si- chergestellt werden, dass Nutztiere tierschutzkonform Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Wir beraten heute in nur noch in zugelassenen Haltungseinrichtungen unter- zweiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf der Bun- gebracht werden. desregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Lassen Sie es mich gleich zu Beginn Gemäß einer Protokollerklärung im Ausschuss soll zusammenfassend ausdrücken: Erstens. Diese Gesetzes- von der Ermächtigung zunächst jedoch nur für den Be- änderung ist ein großartiger Erfolg für den Tierschutz. reich der Legehennenhaltung Gebrauch gemacht wer- Zweitens. Diese Gesetzesänderung bringt Produktionssi- den, das heißt: Für Legehennen dürfen demnach ab 2012 23044 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) nur noch geprüfte Stalleinrichtungen in Verkehr gebracht gleichen Zulassungsvoraussetzungen erbringen wie hei- (C) werden. Das mag für manche nicht weit genug gehen, mische Produkte. Das heißt, auch diese Produkte müssen für andere wiederum ist es aber bereits zu viel des Gu- das Zulassungsverfahren durchlaufen und sich auf Tier- ten. Ich betrachte das Ganze vor allem als eine vertrau- gerechtheit prüfen lassen. ensbildende Maßnahme. Im Bereich der Legehennen kann sich das Prüf- und Zulassungsverfahren als echter Von einem bürokratischen Monster kann auch keine Fortschritt für den Tierschutz in der Praxis bewähren. Rede sein, ganz im Gegenteil: Vor allem für das Geneh- Zudem kann man die Zeit nutzen und schauen, an wel- migungsverfahren und die anschließende Kontrolle bringt chen Ecken unter Umständen Probleme auftreten und wo das Zertifizierungsverfahren große Vorteile und Erleich- vielleicht akuter Handlungsbedarf besteht. Das gibt uns terungen für alle Beteiligten. Das heißt aber auch, wir allen die Möglichkeit, die Erfahrungen zu nutzen und müssen mit beiden Augen darauf schauen, dass nicht nur möglicherweise auch auf andere Nutztierarten auszudeh- das Gesetz, sondern auch die Verwaltungsvorschrift die- nen. sem Anspruch gerecht wird. Ich bin der festen Überzeu- gung, dass unsere Bundesministerin mit klarer politi- Ich habe da eine Vision. Wenn es uns gelingt, dieses scher Vorgabe dafür sorgen wird, dass die Gesetz sachlich, ideologiefrei, zielorientiert und vor al- Verwaltungsvorschrift genauso schlank bleibt wie das lem pragmatisch umzusetzen, dann werden uns in abseh- Gesetz selbst. barer Zeit nicht nur die Tierschutzverbände, sondern auch die Hersteller von Stalleinrichtungen und vor allem Es ist wichtig, das es sich eben nicht um eine turnus- auch die Landwirte bitten, das vorliegende Gesetz auf mäßige wiederkehrende Prüfung, vergleichbar mit der andere Bereiche auszuweiten. Stalleinrichtungen made Fahrzeugüberprüfung, handelt. Vielmehr werden Hal- in stehen dann nicht nur für höchste technische tungseinrichtungen vor ihrem Inverkehrbringen einer Qualität, sondern auch für staatlich anerkanntes höchstes staatlichen Prüfung unterzogen. Erhält die Anlage den Niveau im Tierschutz. Das ist ein Standortvorteil, der Zulassungsbescheid einmal, gilt dieser, und zwar bun- monetär qualifizierbar ist. desweit – eine erhebliche Vereinfachung, wie ich finde. Eine zentralisierte Funktionsprüfung mit möglichst glei- Und ich wage bereits heute den Ausblick: Auch bei chen Anforderungen zur Genehmigung von Haltungs- der Tierhaltung im Freizeitbereich wird die Normung einrichtungen bedeutet daher nichts anderes als eine und Zertifizierung Einzug halten, sei es bei den Käfigen Gleichbehandlung aller Wirtschaftsbeteiligten, Erzeuger, für Singvögel, sei es bei der Hobbytierhaltung in Holz- Verbraucher und ebenso möglicher Wettbewerber, die an kästen und vielem mehr. In vielen Bereichen unseres Le- die gleichen Voraussetzungen gebunden sind. Zudem bens haben Normung und Zertifizierung Einzug gehal- werden Behörden und Wirtschaft entlastet, da die Ein- ten. Das ist nicht immer schön und scheint manchmal (B) zelfallprüfung der Übereinstimmung mit Tierschutzan- (D) lästig, es verursacht Aufwand und kostet manchmal auch forderungen bei der Genehmigung von neuen Anlagen Geld. Andererseits bringt Normung und Zertifizierung entfallen kann. Mit anderen Worten: Dies ist eine klare Sicherheit. Wenn ich auf dem Rummel in eine Achter- Vereinfachung und Verkürzung des Verfahrens. Auch die bahn einsteige, bin ich mir trotz dreifachem Überschlag Überwachung von tierschutzrelevanten Auflagen wird sicher, dass ich da heil rauskomme, weil die Bahn vorher dadurch wesentlich einfacher und unbürokratischer. zertifiziert wurde. Und wenn ich im Baumarkt einen Hammer kaufe, will ich mir sicher sein, dass sich der Dieses Gesetz bringt nicht nur den Tierschutz voran, Hammerkopf auch noch nach einem Schlag am Ham- sondern nutzt auch den Herstellern von Haltungseinrich- merstiel befindet. Oder, wo es an Normung fehlt oder tungen und den Tierhaltern selbst. Aber nicht nur für den diese verpasst wurde, verzweifelt man schon bei der Su- Tierschutz bedeutet der vorliegende Gesetzentwurf ei- che nach dem passenden Handyladegerät. Normung und nen Fortschritt; auch für die Landwirte wird es zahlrei- Zertifizierung können erleichternd wirken, sie sind für che Verbesserungen geben, womit wieder einmal belegt alle gleich gestaltet, stets wiederholbar und letztendlich ist, dass sich der Verfassungsgrundsatz Tierschutz und kostengünstig bzw. kostensparend, also auch aus Sicht die Praxis, in diesem Fall die Landwirtschaft, nicht aus- des Verbrauchers wünschenswert. Wie heftig wurde schließen müssen. Im Gegenteil, es zeigt sich deutlich, seinerzeit gegen die Einführung der Deutschen Indus- dass die Interessen des Tierschutzes und der Landwirt- trienorm, DIN, interveniert! Lange wurde der TÜV schaft, insbesondere der Tierhalter, durchaus Hand in kritisiert, heute sind die deutschen Normungen uneinge- Hand gehen können, sich ergänzen können und sich schränkt anerkannt. Das sind anerkannte Qualitätsstan- nicht zwangsläufig konträr gegenüberstehen müssen. Ich dards; andere Länder übernehmen unsere guten Erfah- bin sicher, dass die Koalition mit dieser Gesetzesände- rungen sehr gern. rung einen wichtigen Schritt vollzieht, Tierschutz umzu- setzen und anzuwenden. Insgesamt ist das ein guter Tag Mit Blick auf unseren Entwurf kann ich keine Be- für den Tierschutz und ein guter Tag für die deutsche nachteiligung im europäischen Wettbewerb für die deut- Landwirtschaft. schen Hersteller erkennen. Denn sowohl Schweden als auch die Schweiz haben bereits gute Erfahrungen damit gemacht, ihre Haltungssysteme zertifizieren zu lassen. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Der heutige Tag er- Es hat sich in der Praxis bewährt und trägt maßgeblich füllt mich zugegebenermaßen mit einem gewissen Ge- zu einer Verbesserung des Tierschutzes bei der Tierhal- fühl der Genugtuung. Nach einer heftigen und zum Teil tung bei. Zudem müssen Stalleinrichtungen aus Drittlän- sehr emotional geführten Diskussion erweist sich die dern, die auf dem deutschen Markt verkauft werden, die Koalition in der Tierschutzpolitik als handlungsfähig. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23045

(A) Mein Mitgefühl gilt natürlich auch meinem Kollegen trieb der Anlage gewähren. Ein bundesweites Prüf- und (C) Holzenkamp, der auf der Internetseite der ISN für seine Zulassungsverfahren bedeutet: Eine Stelle, das heißt eine klare Position zum Tierschutz-TÜV als Witz der Woche Forschungseinrichtung auf Bundes- oder Länderebene gehandelt wurde. oder die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, DLG, prüft und bewertet ein Haltungssystem auf der Grund- Wer die Historie dieses Gesetzes nachvollzieht, er- lage vorher festgelegter Kriterien. Dabei bezieht sie den kennt, dass für die Sozialdemokraten heute eine zentrale Sachverstand aus Wissenschaft, Wirtschaft, Tierschutz Kernforderung der SPD zur Tierschutzpolitik umgesetzt und Landwirtschaft mit ein. Danach erteilt eine zentrale wird. Auf unsere Initiative hin ist die Umsetzung eines behördliche Einrichtung einen Zulassungsbescheid. Vor- obligatorischen Prüf- und Zulassungsverfahrens für serien- gesehen dafür ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft mäßig hergestellte Stalleinrichtungen in den Koalitions- und Ernährung, BLE. Erfahrungen aus der Schweiz bele- vertrag geschrieben worden. Unser Grundgesetz bein- gen, dass eine Verbesserung der Anlagen im Rahmen des haltet das Staatsziel „Tierschutz“. Ferner fordert das Prüfverfahrens zu konkurrenzfähigeren Produkten und Tierschutzgesetz in § 1 unmissverständlich von jedem, damit auch zu besseren Marktchancen für die Hersteller aus der Verantwortung für das Mitgeschöpf Tier heraus, führt. Leiden zu verhindern und dessen Leben und Wohlbefin- den zu schützen. Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt anfügen. Ge- Es hat seit 2003 mehrere Beschlüsse des Bundesrates rade die Wirtschaftsbeteiligten fordern immer wieder gegeben mit dem Ziel, Prüf- und Zulassungsverfahren Gleichbehandlung durch die Behörden. Wie kann dieser für serienmäßig hergestellte Stalleinrichtungen einzu- Forderung besser Rechnung getragen werden als in führen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Ur- Form einer einheitlichen Prüfung der Funktionalität von teil vom Juli 1999 diesbezüglich Handlungsoptionen Haltungssystemen nach gemeinsam festgelegten und ob- vorgegeben. So wird ausführlich begründet, dass die jektiven Kriterien? Genau dies kann und soll ein Prüf- Grundbedürfnisse von Tieren nicht eingeschränkt wer- und Zulassungsverfahren leisten. den dürfen. Das gilt für alle landwirtschaftlichen Nutz- Die Wirtschaftsbeteiligten, der Bauernverband, die tiere, immerhin circa 12 Millionen Rinder, 27 Millionen FDP und besonders der Kollege Goldmann haben im Schweine und etwa 36 Millionen Legehennen, die ge- Vorfeld der Beratungen Stimmung gegen ein obligatori- genwärtig in Deutschland gehalten werden. Das Bundes- sches Prüf- und Zulassungsverfahren gemacht. Der Kol- verfassungsgericht fordert in seinem oben zitierten Ur- lege Goldmann spricht sogar von dem neuen Bürokra- teil eine Rechtsgüterabwägung, die Schaffung eines tiemonster Tierschutz-TÜV. Das Gegenteil ist der Fall: Ausgleiches zwischen den rechtlich geschützten Interes- Auch im Tierschutz regelt sich nicht alles von alleine – sen der Tierhalter und den Belangen des Tierschutzes. (B) sonst wäre ja eine Tierschutz-Nutztierhaltungsverord- (D) Die Grundbedürfnisse von Legehennen sind beispiels- nung überflüssig. Es will mir nicht in den Sinn: Für un- weise das Schlafen, die Nahrungs- und Flüssigkeitsauf- ser geliebtes Auto gibt es den TÜV als zentrale Prüfein- nahme oder das Sitzen auf erhöhten Stangen. Diese richtung zur Erteilung der Betriebserlaubnis. Aber bei zwingend zu berücksichtigenden Maßgaben sind Gegen- stand der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. So Tierhaltungseinrichtungen soll das nicht möglich sein? wurden bewusst nicht nur die Abmessungen für Liege- Die Vorteile liegen auf der Hand: für den Tierschutz, für flächen, Sitzstangen oder Nester festgelegt, sondern die Anlagenhersteller, für die Landwirte und für den Ver- auch deren Funktionalität beschrieben. Dementspre- braucher. chend müssen Legehennen ungestört ruhen oder picken, Vielleicht fehlt es an Aufklärung, denn in anderen scharren und staubbaden können. Schweine müssen ih- Ländern funktioniert ein solches Verfahren. Schauen Sie rem Erkundungsverhalten nachkommen können; dazu nach Schweden und in die Schweiz. Ich begrüße es aus- brauchen sie bewegliches, veränderbares Beschäfti- drücklich, dass sich die vorliegende Ermächtigungs- gungsmaterial. grundlage nicht auf Haltungssysteme für Legehennen Nicht tiergerecht ausgestaltete Haltungssysteme kön- beschränkt. Für keines der nach der Tierschutz-Nutztier- nen zu schwerwiegenden Erkrankungen führen. Wir haltungsverordnung zulässigen Haltungssysteme kann Tierärzte bezeichnen das als Technophatien. Die recht- nach meiner Ansicht kurz- bis mittelfristig auf eine Prü- lich vorgegebene und notwendige Funktionalität einer fung der Funktionalität verzichtet werden. Dies gilt für Haltungseinrichtung kann nur durch Beobachtung des die Kleingruppenhaltung von Legehennen genauso wie Verhaltens der Tiere in dem jeweiligen System überprüft für die Abferkelsysteme im Sauenstall oder für andere werden. Es liegt auf der Hand, dass die vor Ort für Tier- Haltungssysteme – beispielsweise für Kaninchen. Das schutzkontrollen zuständigen Behörden – bundesweit ist gelebter Tierschutz in der Landwirtschaft! sind es weit über 400 – eine solche Funktionalitätsprü- fung nur schwer leisten können. Insbesondere vor dem Daher ist die gegenwärtige Haltung der Bundesländer, Hintergrund der Neuerrichtung von Haltungseinrichtun- ihre Zustimmung zu den notwendigen Verordnungen gen ist es problematisch, eine objektive Bewertung ab- von der Klage des Landes Rheinland-Pfalz vor dem zugeben. Bundesverfassungsgericht abhängig zu machen, nicht nachvollziehbar. Dieses Verfahren wird von der SPD Hier kann ein Prüf- und Zulassungsverfahren Abhilfe entschieden zurückgewiesen. Ich erwarte, dass nun die schaffen und den Nutzern von Tierhaltungsanlagen sehr Bundesregierung die erforderlichen Verordnungen zügig hohe Rechtssicherheit bei der Errichtung und beim Be- noch in dieser Legislaturperiode vorlegt. 23046 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Ich nehme die Sorgen und Bedenken der Hersteller Nachteil unserer Bauern und ihrer Konkurrenzfähigkeit. (C) und Tierhalter ernst. Eine bundesweite Arbeitsgruppe Wir wollen Tierhaltung in Deutschland, Sie hingegen unter Leitung der Landestierärztin aus Mecklenburg- betreiben die Vernichtung von Tierhaltung. Fazit: Der Vorpommern, Frau Dr. Dayen, hat in Abstimmung mit Tierschutz-TÜV taugt nichts. den Bundesländern NRW und Niedersachsen für den Be- reich der Hennenhaltung einen vorbildlichen Verfahrens- Der Tierschutz-TÜV schafft erstens riesigen bürokra- katalog für ein obligatorisches Prüf- und Zulassungssys- tischen Aufwand und Wettbewerbsnachteile für die tem für Legehennen erarbeitet. Beteiligt waren bei der Landwirte, bringt zweitens keinerlei verbessertes Wohl- Ausarbeitung auch Vertreter der Hersteller, die Tierhalter befinden für die Tiere und entmündigt drittens den Bau- und Tierschützer, die Wissenschaftler und Behörden. Es ern, der sich schon jetzt an hohe Tierschutzstandards ist eine pragmatische Regelung gefunden worden, die hält, wie zum Beispiel die Beachtung der Schweinehal- aussagekräftig, umsetzbar und finanzierbar ist. An dieser tungshygieneverordnung und die Produktion nach QS. Stelle sei ausdrücklich allen am Diskussionsprozess Be- Herr Kollege Bleser, es tut mir leid, das sagen zu müs- teiligten gedankt – insbesondere Frau Dr. Dayen und den sen, Sie sind doch sonst der große Befürworter des bäu- Vertretern der Tierschutzverbände. erlichen Familienbetriebes, aber Ihr Tierschutz-TÜV schadet gerade diesen Betrieben. Was bei den Legehennen gut funktionieren wird, Liebe Frau Ministerin Aigner, so langsam wird es muss im Interesse des Tierschutzes auch auf Haltungs- Zeit, dass Sie die Situation der Tierhalter in Deutschland systeme für andere Tierarten übertragen werden. Dafür verinnerlichen. Auch Sie sollten wie die FDP konse- muss die Tierschutzforschung in Deutschland gestärkt quent für Eins-zu-Eins-Umsetzungen sein und echten werden. Ein nationales Forschungszentrum zum Tier- Bürokratieabbau betreiben. Ihre Mogelpackung Tier- schutz kann hier einen bedeutenden Beitrag zur Ver- schutz- TÜV bedeutet Wettbewerbsverzerrung für un- besserung der Haltungsbedingungen unserer Nutztiere sere Landwirte. leisten. Einen Ansatzpunkt dafür bietet etwa der For- schungsverbund der Bundesforschung in Mariensee mit der Tierärztlichen Hochschule in Hannover. Auch die Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Linke weitere Vernetzung mit anderen universitären Einrich- hält ein obligatorisches Prüf- und Zulassungsverfahren tungen ist von zentraler Bedeutung. für Ställe, Anlagen und Einrichtungen, in denen Tiere gehalten werden, für überfällig. Vermutlich denken Im Forschungsrahmenplan der EU bildet der Tier- viele, dass das längst so geregelt ist. Und es gibt nun schutz einen Schwerpunkt der Agrarforschung. Wir soll- wirklich sinnlosere Regelungen als zur Sicherung des ten die Chancen nutzen, die die finanzielle Unterstüt- Tierschutzes, der ja Verfassungsrang hat, auch in den (B) zung der EU bietet, um die für die Ausgestaltung des Ställen und Anlagen. Die entsprechende Forderung des (D) Systems notwendigen Tierschutzindikatoren zu entwi- Bundesrates ist nur folgerichtig. Und es sollte eigentlich ckeln. Es ist das politische Ziel der SPD, das deutsche auch klar sein, dass dieser sogenannte Tierschutz-TÜV Prüf- und Zulassungsverfahren in Abstimmungen mit für alle Nutztierhaltungen gelten muss. den anderen Mitgliedstaaten EU-weit zu etablieren. Die deutsche Ratspräsidentschaft hat wesentliche Vorschläge Ziel muss es sein, in der Nutztierhaltung die Hal- zur Kennzeichnung von Lebensmitteln aus tiergerechter tungsbedingungen zu verbessern, die Rechtssicherheit Haltung gemacht. Diese gilt es nun umzusetzen, damit herzustellen – einschließlich fairer Wettbewerbsbedingun- sich der Mehrwert Tierschutz bezahlt macht und der Ver- gen – und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. braucher über mehr Tierschutz mitentscheiden kann. Unsere Grundposition ist klar und eindeutig: Haltungs- Heute ist ein guter Tag für den Tierschutz. anlagen müssen sich an die Tiere anpassen und nicht umgedreht. Hans-Michael Goldmann (FDP): Vor knapp vier Bei Legehennen und Mastschweinen sind die Fort- Jahren haben Sie in Ihre Koalitionsvereinbarung hinein- schritte diesbezüglich übersichtlich, aber immerhin. Bei geschrieben, „wir sind edel und gut, wir machen einen Zuchtsauen, Puten, Mastkaninchen und Masthühnern Tierschutz-TÜV“. Zehn Wochen vor Ende der parlamen- gibt es anerkannten Handlungsbedarf. tarischen Arbeit beschließen Sie einen Tierschutz-TÜV, dessen zentraler Baustein einen Teilbereich der Geflü- Der Tierschutz-TÜV ist auch deshalb sinnvoll, weil gelwirtschaft betrifft und der dann, Sie sind ja unheim- die bisher geltenden tierschutzrechtlichen Vorgaben le- lich schnell, 2012 in Kraft tritt. Das ist Mogelpackung diglich die Festlegung von Mindestmaßen regeln. Da- pur, das ist noch nicht einmal „versprochen und gehal- gegen spielen Anforderungen an die Funktionalität der ten“, das ist gar nichts und schon gar nicht Tierschutz. Ställe und Stallanlagen zur Anpassung an tierartspezifi- sches Verhalten oder zur Sicherung der Tiergesundheit Schon länger, aber jetzt verschärft, produziert die bisher praktisch keine Rolle. Freiwillige Prüfverfahren Große Koalition Stückwerk, das gilt sowohl für das können den von einer gesellschaftlichen Mehrheit ge- Zweite Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes als wollten Verbesserungen im Tierschutz bei landwirt- auch für das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz, über schaftlichen Nutztieren kaum Rechnung tragen, erst das wir im Anschluss beraten. recht nicht, weil der ökonomische Druck auf die Be- triebe schon jetzt oft erheblich ist. Der Tierschutz-TÜV bringt nichts zum Schutz der Tiere, entmündigt die tüchtigen Landwirte, schafft einen Mehrkosten für die reinen Verfahren sind vermutlich riesigen Bürokratieaufwand und verursacht Kosten zum eher übersichtlich und sollten sowieso von den Anla- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23047

(A) genanbietern getragen werden. Aber die nötige techni- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE (C) sche Weiterentwicklung könnte die Anlagen schon ver- GRÜNEN): Wir Grünen begrüßen jeden Fortschritt, der teuern. Das heißt aber gleichzeitig, dass den Betrieben für den Tierschutz erreicht wird, also begrüßen wir auch auch bei der Umsetzung der gesellschaftlichen Forde- prinzipiell die Einführung eines obligatorischen Prüf- rung nach mehr Tierschutz Unterstützung gegeben wer- und Zulassungsverfahrens für Haltungssysteme soge- den muss, wo nötig. Nicht kostendeckende Erzeuger- nannter landwirtschaftlicher Nutztiere. Es ist gut, dass preise schränken eben auch die Spielräume für den einen durch diesen Tierschutz-TÜV serienmäßig hergestellte oder anderen Betrieb für sehr sinnvolle Investitionen ein. Tierhaltungssysteme künftig darauf überprüft werden Niedrige Lebensmittelpreise haben damit auch was zu sollen, ob sie wenigstens den Mindestanforderungen des tun – aber hier schränkt die zunehmende Armutsent- Tierschutzes gerecht werden. Ein obligatorisches Prüf- wicklung in unserem Land auch die Spielräume vieler und Zulassungsverfahren könnte einen großen Fort- Verbraucherinnen und Verbraucher ein. Alles hängt eben schritt im Bereich der Nutztierhaltung bringen. Ich be- oft mit allem zusammen. Die Linke unterstützt jedenfalls tone jedoch: „könnte“. Denn entscheidend sind hier die die Einführung von obligatorischen Prüf- und Zulas- Kriterien des Prüfverfahrens. Es dürfen nur solche Ein- sungsverfahren. richtungen den Stempel „tiergerecht“ bekommen, die es tatsächlich sind. Ansonsten bekommen wir eine große Trotzdem werden wir uns beim vorliegenden Ge- Mogelpackung. Unbedingt notwendig ist daher, dass setzesentwurf enthalten, und zwar aus sechs wesentli- eine unabhängige und nicht von wirtschaftlichen Lob- chen Gründen: byinteressen geleitete Behörde das Prüfverfahren nach Erstens. Der Gesetzentwurf erklärt nicht explizit, für wissenschaftlichen Standards durchführt. Vermieden welche Nutztierarten ein Prüf- und Zulassungsverfahren werden muss, dass, wie beim bisherigen freiwilligen für serienmäßig hergestellte Haltungseinrichtungen durch- Prüfverfahren der DLG, Deutsche Landwirtschaftliche geführt werden soll. Doch warum sollen serienmäßig Gesellschaft, vor allem der Gebrauchswert der Haltungs- hergestellte Stallanlagen für Legehennen zukünftig ge- systeme – wie Funktionalität oder Haltbarkeit, also die prüft und zugelassen werden, die für Puten oder Rinder wirtschaftlichen Interessen der Tierhalter – und nicht der aber nicht? Tierschutz im Vordergrund der Prüfung steht. Zweitens. Der Gesetzentwurf berücksichtigt nur die Um zu gewährleisten, dass der Tierschutz eine wichti- Haltungssysteme für Nutztiere. Aber auch im Heimtier- gere Rolle spielt, haben wir in unserem Änderungsantrag bereich und in Schlachthöfen gibt es Regelungsbedarf. zum Beispiel die Einberufung einer Kommission zur Unterstützung der Behörde beim Prüf- und Zulassungs- Drittens. Es fehlt ein obligatorisches Prüf- und Zulas- verfahren gefordert, die so zusammengesetzt sein muss, (B) sungsverfahren für serienmäßig hergestellte Betäubungs- dass auch Mitglieder in ihr sitzen, die von anerkannten (D) geräte und -anlagen zur Verwendung beim Schlachten. Tierschutzorganisationen entsandt werden. Leider ha- Hier ist lediglich von einer allgemeinen oder Bauart- ben CDU/CSU, SPD und FDP unseren Antrag abge- zulassung die Rede. Das reicht aber nicht. lehnt. Im Gegensatz zu Versprechungen des ehemaligen Landwirtschaftsministers an die Tier- Viertens. Es fehlt ein obligatorisches Prüf- und Zulas- schutzorganisationen sieht der jetzige Gesetzesentwurf sungsverfahren für serienmäßige Transportbehältnisse der Bundesregierung nämlich leider keine Beteiligung für Nutztiere. Immerhin werden jährlich 360 Millionen der Tierschutzorganisationen am Prüf- und Zulassungs- Nutztiere transportiert. verfahren vor. Allerdings ist die Beteiligung von Tier- Fünftens. Es fehlt die Regelung der Zuständigkeit für schutzvertretern am Prüf- und Zulassungsprozess sehr die Durchführung des Prüfverfahrens. Das sollte aus un- wichtig. Nur dadurch kann verhindert werden, dass zum serer Sicht bundeseinheitlich durch eine Bundesoberbe- Beispiel die sogenannte Kleingruppenhaltung im „aus- hörde, bundesunmittelbare Körperschaft oder Anstalt gestalteten Käfig“ – eine euphemistische Wortkreation des öffentlichen Rechts durchgeführt werden. Und es der Geflügelindustrie, die den Tieren kaum mehr Raum fehlen beratende Kommissionen für die Prüf- und Zulas- gibt als die konventionelle Käfighaltung – künftig als sungsstelle. tiergerecht zertifiziert werden kann. Sechstens. Es fehlt die Trennung von Prüf- und Zulas- Außerdem stellen wir uns vehement dagegen, dass die sungsverfahren. Mit dieser Trennung könnten Interes- Prüfung auf juristische Personen des privaten Rechts senskonflikte beispielsweise zwischen Produzenten, übertragen werden kann. Dies eröffnet nämlich die Mög- Tierhaltern und Tierschützern gelöst werden. lichkeit, dass Nutzerorganisationen damit betraut wer- den. Ich hoffe sehr, dass dies nicht ernsthaft Ihr Ansin- Aber entscheidend für die Wirksamkeit des Gesetzes nen ist. werden ohnehin die noch nicht vorliegenden Zulas- sungskriterien sein! Wir können also noch viele span- Warum fehlt außerdem ein Verbot nicht zugelassener nende Diskussionen erwarten, bis wir wissen, ob uns die Haltungseinrichtungen? Warum sehen Sie nicht vor, auch heute zur Abstimmung stehende Gesetzesinitiative wirk- die vor Einführung des Prüf- und Zulassungsverfahrens lich voranbringt. Aber es ist zumindest ein Schritt in die in Betrieb genommenen Haltungssysteme nachträglich richtige Richtung! Immerhin! Darüber ist man beim jet- zu prüfen und Regelungen festzuschreiben, diese – wenn zigen Zustand der Koalition und der Regierung ja schon sie nicht den Kriterien entsprechen – mit einer Über- fast froh! gangsfrist umzustellen? 23048 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Mein Resümee: Die Einführung eines Prüf- und Zu- Auch neue Informationspflichten für die öffentlichen (C) lassungsverfahrens für Tierhaltungssysteme ist gut. Auftraggeber und die Unternehmen würden geschaffen, Doch auf das wie kommt es an. Ihr Vorschlag hat große die vielfach überflüssig sind und mehr Kosten und Auf- Mängel! Daher können wir diesem so nicht zustimmen. wand als Nutzen bringen; vor allem, da sie auch die ehr- lichen Unternehmen betreffen. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Mehrzahl der Unternehmen zuverlässig Anlage 7 und ohne Korruption arbeitet. Zu Protokoll gegebene Reden Mit dem Bundeszentralregister und dem Gewerbe- zentralregister bestehen bereits zwei einschlägige Regis- zur Beratung ter, die beide gegen unzuverlässige Unternehmen und für – des Entwurfs eines Gesetzes zur Einrichtung die Korruptionsbekämpfung gut einsetzbar sind. Das In- eines Registers über unzuverlässige Unter- strumentarium ist also ausreichend vorhanden. Wenn es nehmen (Korruptionsregister-Gesetz) trotzdem zu Missständen kommt, sollte zuerst geprüft werden, wie die bestehenden Informationsquellen besser – des Antrags: Korruptionsbekämpfung bei und effektiver genutzt und vernetzt werden können. Hermesbürgschaften Für die Wirtschaft ist vor allem der Abbau von Büro- (Tagesordnungspunkt 36 a und b) kratie entscheidend. Mit diesem Gesetz soll nun neue Bürokratie durch ein weiteres Register entstehen. Das Gudrun Kopp (FDP): Die FDP-Bundestagsfraktion Ziel der Bekämpfung von Korruption und Unzuverläs- unterstützt den Kampf gegen Korruption und Unzuver- sigkeit wird so leider nicht erreicht; ebenso wenig wie lässigkeit von einzelnen Unternehmen, aber keine Sym- die Förderung des gerade jetzt äußerst wichtigen Wachs- bolpolitik. Als solche entlarvt sich aber der vorliegende tums. Stattdessen entstehen auf staatlicher und unterneh- Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. merischer Seite Kosten, die einer wirtschaftlichen Erho- lung Deutschlands zusätzlich abträglich sein werden. Allein schon in rechtsstaatlicher Hinsicht ist es über- aus heikel, Unternehmen bereits bei bloßem Verdacht Inhaltlich ist vor allem anzumerken, dass hier unter auf Verfehlungen in ein Register über unzuverlässige dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung diverse Unternehmen – wie in dem vorliegenden Antrag ge- weitere Verfehlungen von Unternehmen und Ausschrei- plant – aufzunehmen. Nach Vorstellungen von Bündnis 90/ bungsteilnehmern registriert werden sollen, die mit Kor- Die Grünen soll bereits die Einleitung eines Strafverfah- ruption im engeren Sinne gar nichts zu tun haben. Im rens gegen ein Unternehmen dafür ausreichen, ohne des- (B) Gesetzentwurf der Grünen finden sich neben den Kern- (D) sen Ausgang abzuwarten. Diese Art der Vorverurteilung punkten der Korruption (Bestechung und Vorteilsgewäh- und Anprangerung lehnt die FDP als Rechtsstaatspartei rung sowie Bestechlichkeit und Vorteilsannahme) zahl- ab. reiche weitere mögliche Verstöße aus den Bereichen des Ein fairer Wettbewerb kann ohne die Einhaltung von Kartellrechts, des Arbeitsrechts, des Insolvenzrechts und Gesetzen und Regeln nicht funktionieren – das wissen sogar des Wertpapierrechts. Diese Verstöße sind natür- alle am Wirtschaftsleben Beteiligten sehr wohl. Korrup- lich nicht zu entschuldigen, aber sie sind allesamt durch tion und kriminelle Machenschaften im Wirtschaftsge- unsere Rechtsordnung bereits sanktioniert und werden füge müssen zweifellos konsequent bekämpft werden – bei Straftaten auch registriert. Somit hätte das von den aber mit den geeigneten Mitteln. Ein „Korruptionsregis- Grünen geforderte nationale Korruptionsregister insge- ter“ klingt gut und ist öffentlichkeitswirksam zu verkau- samt eine Prangerwirkung und löste zugleich das eigent- fen. Dies ist allerdings schon der größte Nutzen, den sich liche Problem nicht. Bündnis 90/Die Grünen von dieser Gesetzesinitiative Wir Liberalen wollen geltendes Recht umsetzen, wir versprechen können. wollen aber keine überflüssigen neuen Gesetze und Vor- Geeignete Möglichkeiten zur Bekämpfung von Kor- schriften – vor allem wollen wir keine zusätzliche Büro- ruption stehen bereits zur Verfügung. Die FDP hat schon kratie! 1997 mit ihrem damaligen Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig das „Gesetz zur Bekämpfung der Kor- Gegen diese Grundsätze verstößt auch der Antrag von ruption“ als Rechtsgrundlage einer effektiven Bekämp- Bündnis 90/Die Grünen zur „Korruptionsbekämpfung fung der Missstände eingeführt. Dieses Gesetz hat sich bei Hermesbürgschaften“. Durch Informationsverpflich- bewährt. Wie bei allen Gesetzen ist die Verwaltung bei tungen für Unternehmen, Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Durchsetzung das wichtigste Instrument; eine gut or- bei Großprojekten, die Einrichtung eines unabhängigen ganisierte Behördenstruktur ist auch die beste Möglich- Antikorruptionsbeauftragten, Eingriffe in Unternehmens- keit zur Beseitigung von Defiziten. strukturen und weitere Maßnahmen, die in dem Antrag aufgeführt sind, werden neue bürokratische Hürden Es gibt also keine Gesetzeslücke, wie hier suggeriert hochgezogen, die für alle – also auch ehrlich agierende – werden soll. Vielmehr würden mit einem Gesetz, wie es Unternehmen erhebliche Mehrkosten verursachen wür- uns im Entwurf vorliegt, neue administrative Kosten und den. Insbesondere in der derzeitigen Wirtschaftskrise mehr Bürokratie durch neue Verwaltungsapparate anstatt wären diese Maßnahmen konjunkturelles Gift. Die in effektiver Korruptionsbekämpfung entstehen. Die Kos- dem Entwurf geplanten rückwirkenden Projektprüfun- ten hätte am Ende wieder der Steuerzahler zu tragen. gen und erhöhten Vertragsstrafen in den Deckungsver- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23049

(A) trägen würden vielfach unternehmerische Planungssi- Kann die Regierung ihre Energie darauf verwenden, (C) cherheit gefährden und sind zudem rechtlich zweifelhaft. das Recht gegen die wirtschaftliche Macht durchzuset- zen – das ist die Frage! Die FDP lehnt aus diesen Gründen den Gesetzentwurf sowie den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ab. Anlage 8 Dr. Herbert Schui (DIE LINKE): Ein Korruptions- Zu Protokoll gegebene Reden register, wie hier von den Grünen gefordert, ist keine schlechte Idee. Intransparenz fördert Korruption, und ein zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Register schafft Transparenz. Ein sprunghafter Rück- Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel- gang von Korruption lässt sich damit allerdings nicht gesetzbuches sowie anderer Vorschriften (Zu- herbeiführen. Dafür greift das Register zu kurz. Nur öf- satztagesordnungspunkt 11) fentliche Auftraggeber können es einsehen. Eine Ent- scheidung für das im Register aufgeführte Unternehmen Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Was lange ist zudem weiterhin möglich. Für Auserwählte schafft währt, wird endlich gut! Vor über einem Jahr standen wir das Register also mehr Transparenz. Immerhin. an gleicher Stelle und haben über das Lebens- und Fut- Doch warum das Register auf so wenige Beteiligte termittelgesetzbuch debattiert. Über ein Jahr hat es ge- beschränken? Besonders schädlich ist die Korruption der dauert, bis das Gesetz heute im Bundestag verabschiedet Politik durch die Wirtschaft. Bei Korruption innerhalb werden kann. der Wirtschaft wird der Wettbewerb ausgehebelt. Bei der Die Verzögerung erklärt sich mit den intensiven Dis- Korruption der Politik wird die Demokratie ausgehebelt. kussionen zum Thema Informantenschutz. Die Frage, Das ist besonders besorgniserregend. die sich uns stellte, war: Sind Mitarbeiter, die eine inner- betriebliche Straftat, zum Beispiel die Verarbeitung von Warum also nicht ein Korruptionsregister, das für die sogenanntem Gammelfleisch, feststellen und melden, gesamte Öffentlichkeit einsehbar ist und in das auch ausreichend geschützt? Wir sind der Meinung, ja. Schon Fälle der Korruption von Politik eingetragen werden? jetzt gibt es klare Regeln und Grundsätze für den Schutz Dort könnte man beispielsweise die vielen Wechsel ehe- von Arbeitnehmern, die ein Fehlverhalten des Unterneh- maliger Politiker in hoch bezahlte Jobs in der Wirtschaft mens zur Anzeige bringen wollen. Zu diesen Grundsät- festhalten. Man würde die Namen von Gerhard Schröder zen gehören aber auch Pflichten, die das Treueverhältnis lesen, der sowohl bei der Investmentbank Rothschild als zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer betreffen. Des- auch beim russischen Konzern Gasprom anheuerte. (B) wegen kann dem vom Bundesarbeitsminister vorgeleg- (D) Wolfgang Clement würde man wiederfinden und erfah- ten Vorschlag, die Informationsmöglichkeiten über das ren, dass er neben seiner Tätigkeit bei RWE auch die Ci- BGB § 612 a zu erweitern, nicht zugestimmt werden. tigroup berät. Die Liste ließe sich problemlos erweitern. Denn die Grenzen, ab wann das Fehlverhalten eines Un- Getan wäre es damit jedoch nicht. ternehmens angezeigt werden darf, ohne vorher eine in- nerbetriebliche Klärung herbeizuführen, wären damit so Korruption lebt auch davon, dass Gesetze nicht aus- weit gesenkt, dass der Betriebsfriede in vielen Unterneh- geführt werden. Ein Beispiel: Ein Vollzugsbeamter hat men erheblich gestört würde. einen Auftrag zur Steuereinziehung bei einem Unterneh- mer. Der weigert sich. Eine Kontopfändung bei der Bank Ich weiß, wovon ich rede. Gerade im letzten Jahr des Unternehmers wird angekündigt. Am Morgen darauf hatte ich in meinem Wahlkreis einen Fall, wo ehemalige sucht der Vollzugsbeamte den Amtsvorsteher auf. Dieser Mitarbeiter ihr altes Unternehmen bei der Staatsanwalt- ist schon informiert. Er sagt dem Vollzugsbeamten: „Sie schaft bewusst denunziert hatten. Hintergrund: angebli- haben sich gestern wohl etwas ungeschickt verhalten, che Verarbeitung von Gammelfleisch. Das Ergebnis: wie?“ So rasch lassen sich Fragen des Gesetzesvollzugs Nichts war dran an den Vorwürfen. Nur, der Schaden für lösen. das Unternehmen war enorm. Viele Arbeitsplätze stan- den zur Disposition. Wollen wir das? Es ist wichtig, dass Nun ist das Verhalten des Vorstehers sicherlich ge- Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, erhebliches Fehl- setzwidrig. Aber wie ein Verfahren gegen ihn einleiten? verhalten in ihrem Unternehmen zur Anzeige zu brin- Der Hinweisgeber will als Zeuge nicht auftreten. Der gen. Und dazu haben sie schon heute die Möglichkeit. Rechtsstaat aber braucht seine Aussage. Das weiß er. Einen Denunziantenschutz brauchen wir nicht. Ich finde Aber er weiß auch, dass er sich Schikanen einhandelt es bedauerlich, dass dieses Thema über das LFGB disku- und dass es mit seiner beruflichen Zukunft dann nicht tiert wurde. Da gehört es nicht hin. So wurden die wirk- mehr weit her ist. lich wichtigen Neuerungen im LFGB deutlich verzögert. Korruption ist das Verhalten des Amtsvorstehers in Denn die Änderungen sind ein weiterer wichtiger einem rechtlichen Sinn nicht: Denn die Gegenleistung Baustein in der verbraucherschutzpolitischen Arbeit der kommt nicht vom begünstigten Unternehmen, sondern Bundesregierung im Bereich der Lebensmittelsicherheit. von der Finanzverwaltung, indem der betreffende Be- Was unter Minister Horst Seehofer mit dem 10-Punkte- amte keine Schikanen auszustehen hat. Die Aufgabe der Plan und seiner Umsetzung zum Beispiel im Verbrau- Exekutive ist es, die vom Parlament beschlossenen Ge- cherinformationsgesetz begonnen hat, wird nun unter setze auszuführen, das Recht durchzusetzen. Ministerin fortgesetzt. Vor dem Hintergrund 23050 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) der sogenannten Gammelfleischfälle hat die Bundes- ten. Das Abschreckungsmoment steigt. Und wer seine (C) regierung, flankiert von den Ländern, erhebliche An- Aufgabe als Lebensmittelunternehmer nicht ernst nimmt, strengungen unternommen, um Verbraucher besser vor muss eben eine empfindliche Strafe hinnehmen. den schwarzen Schafen in der Lebensmittelbranche zu schützen. „Nur der Döner macht schöner“, sagt man ja Ein weiterer, für unsere Tierhalter sehr wichtiger bekanntlich. Wenn der Döner aber mit überlagertem, Aspekt im neuen LFGB ist die Wiederzulassung der Ver- vergammeltem Fleisch gefüllt ist, dürfte es mit der fütterung von tierischen Fetten – auch wenn sich die Schönheit schnell vorbei sein. Jedes Kilo schlechtes Zulassung auf die Verfütterung tierischer Fette an Nicht- Fleisch, das an einer Imbissbude der nichtsahnenden wiederkäuer beschränkt. Die anderen EU-Mitgliedstaa- Kundschaft untergejubelt wird, ist ein Kilo zu viel. Bes- ten sind da schon weiter. Aber sei es drum: Das ist im- sere Kontrolle, bessere Informationen und härtere Stra- merhin ein Anfang. Im Zuge der BSE-Krise hatte die fen für die Täter, das sind die Leitgedanken in der Arbeit Europäische Union die Verfütterung von tierischen Pro- der Bundesregierung für eine verbesserte Lebensmittel- teinen zu Recht als potenzielle Überträger des BSE-Vi- sicherheit. rus verboten. Aber wir Deutschen sind mal wieder über das Ziel hinaus geschossen. Unsere Vorgängerregierung Erwähnt hatte ich bereits das Verbraucherinforma- hat zudem auch noch die in der Veredelungswirtschaft so tionsgesetz, das 2007 beschlossen wurde. Es ist ein wichtigen tierischen Fette verboten. Ich kann mich nur Meilenstein im Verbraucherschutz. Dadurch haben die wiederholen – kein anderes EU-Mitgliedsland sah sich Verbraucher erstmalig einen gesetzlich festgelegten An- zu dieser Maßnahme gezwungen. spruch auf behördliche Information bei Verstößen gegen das Lebens- und Futtermittelrecht. Im vergangenen Jahr Oscar Wilde sagte einmal „Der Mensch ist ein ver- wurden über die neue allgemeine Verwaltungsvorschrift nunftbegabtes Wesen, das immer dann die Ruhe verliert, für die Überwachung lebensmittelrechtlicher Vorschrif- wenn von ihm verlangt wird, dass es nach Vernunftge- ten zahlreiche Neuerungen und Verbesserungen in der setzen handeln soll.“ Meine Damen und Herren, der Lebensmittelkontrolle umgesetzt. So gelten künftig bei- muss damals die Grünen vor Augen gehabt haben! Denn spielsweise das Vier-Augen-Prinzip bei der Kontrolle die Entscheidung, die Fette als angebliche BSE-Überträ- und die Rotation der Kontrolleure sowie ein länderüber- ger zu verbieten, entbehrte schon in der BSE-Krise jeg- greifendes Qualitätsmanagement. licher wissenschaftlichen Vernunft. Dass aber unsere Sie sehen, trotz der allzu bekannten Unkenrufe vor al- grüne Ausschussvorsitzende diesen wissenschaftlich lem der grünen Opposition hat sich viel getan. Und mit vollkommen unhaltbaren Quatsch auch neun Jahre spä- dem jetzt von der Bundesregierung eingebrachten Ent- ter noch von sich gibt, erstaunt mich dann schon. Noch (B) wurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebens- und Fut- einmal und für die Grünen besonders: Die Europäische (D) termittelgesetzbuches werden wir die Barrieren für die Behörde für Lebensmittelsicherheit, das Bundesinstitut schwarzen Schafe in der Lebensmittelbranche noch ein- für Risikobewertung und das Friedrich-Löffler-Institut mal hoch setzen. So gab es in der Vergangenheit Fälle, sind unisono der Meinung, dass das Verbot der tierischen bei denen nicht sichere Lebensmittel zwar von Abneh- Fette nicht gerechtfertigt ist. Zudem: Auch in allen Län- mern zurückgewiesen worden sind. Diese verschwanden dern, in denen die Verfütterung tierischer Fette an der dann nicht vom Markt, sondern vorerst wieder in den Tagesordnung ist, liegt die BSE-Zahl mittlerweile auf Lagern, um dann erneut einem anderen Abnehmer ange- niedrigstem Niveau. An den Fetten kann es also nicht boten zu werden. Das ging dann so lange, bis sich ein liegen. Dass sich die Grünen wissenschaftlichen Er- unaufmerksamer oder ebenso krimineller Abnehmer kenntnissen, auch in anderen Themenfeldern, immer fand und die Lebensmittel in Verkehr brachte. wieder verweigern, wird langsam peinlich. 2009 ist ja bekanntlich Superwahljahr. Ich habe einen Wahlslogan Drei wesentliche Punkte des Gesetzentwurfes möchte für Sie, meine Damen und Herren von den Grünen: ich noch einmal kurz vorstellen: „Fortschritt – nein danke!“ Mit dem Gesetz werden wir Lebensmittelunterneh- Bevor ich in den Verdacht komme, mich den Grünen mer künftig verpflichten, die Behörden zu informieren, als Wahlkampfmanager anzubieten, komme ich lieber wenn ihnen überlagerte Lebensmittel angeboten werden. wieder zurück zum LFGB. Ich bin froh darüber, dass wir Damit können wir dem Verschiebebahnhof für Gammel- heute das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch endlich fleisch sehr direkt begegnen. beschließen. Denn mit dem Verbot der tierischen Fette sahen sich unsere Veredelungsbetriebe im Vergleich mit Zum besseren Risikomanagement bei länderübergrei- fenden Vorkommnissen wird der Bundesregierung die den europäischen Nachbarn deutlichen Wettbewerbs- Möglichkeit eröffnet, einen Lagebericht auf Basis der nachteilen ausgesetzt. Denn sie mussten die tierischen Länderinformationen zu erstellen. Die daraus gewonne- Fette durch pflanzliche Futtermittel ersetzen. Das hat für nen Erkenntnisse können zur Umsetzung und Koordina- die Tierhalter zu erheblichen Zusatzkosten geführt. Und tion notwendiger rechtlicher Maßnahmen dienen. nicht nur das: das deutsche Verbot hat keinerlei Auswir- kungen. Wir können zwar in Deutschland Regelungen Als dritten Punkt möchte ich noch die Anhebung des und Verbote einführen. Bei offenen Märkten nützt das Bußgeldrahmens bei fahrlässigen Verstößen nennen. Mit nur oftmals nichts. So auch hier: Wer zum Beispiel nie- der Anhebung von 20 000 Euro auf 50 000 Euro haben derländisches Kalbfleisch in Deutschland kauft, muss die Behörden nun weitaus schärfe Sanktionsmöglichkei- wissen, die Tiere wurden mit tierischen Fetten gefüttert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23051

(A) Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich bin froh, dass wir zip Genüge getan, ohne die Lebensmittelprozenten mehr (C) die Änderung des Lebensmittel und Futtermittelgesetz- als nötig einzuschränken. buchs (LFGB) heute abschließend beraten. Die Konse- quenzen aus den Gammelfleischskandalen müssen end- Allerdings hätten wir noch mehr tun können. Denn lich Wirkung entfalten. viele Rechtsverletzungen – wie zum Beispiel die Ver- arbeitung verdorbenen Fleischs zu Wurstwaren – können Falls Sie das vergessen haben – weil man sich an so nur von Mitarbeitern aufgedeckt werden. Selbst Zufalls- etwas ja auch nicht gerne erinnert –: Seit dem Herbst kontrollen bleiben hier oft ohne Befund. 2005 gab es mehrere Vorfälle: Verdorbenes Fleisch wurde gehandelt, aufgetautes Fleisch als Frischfleisch Deshalb ist es sehr bedauerlich, dass es unser Koali- vertrieben, überlagertes Fleisch umetikettiert und ver- tionspartner abgelehnt hat, im Gesetz diejenigen Mit- kauft, Schlachtabfälle wurden zu Lebensmitteln verar- arbeiter vor Sanktionen zu schützen, die rechtswidrige beitet. Genau heute wird der Prozess gegen einen Mann- Praktiken im Unternehmen bei der zuständigen Behörde heimer Fleisch-Großhändler eröffnet. Laut Anklage anzeigen. Während Bundesminister Seehofer a. D. in wurden in seinem Kühlhaus 11 000 Kilogramm verdor- seinem 10-Punkte-Plan von Ende 2005 noch vollmundig benes und falsch deklariertes Lammfleisch und Geflügel einen solchen Informantenschutz forderte, will die gefunden. Der Fund gehörte zu dem Skandal um Ekel- Unionsfraktion heute nichts mehr davon wissen. So blei- fleisch von Döner-Produzenten. ben die Maßnahmen gegen Gammelfleisch unvollstän- dig. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wurden un- sichere, nicht verkehrsfähige oder schlicht ekelerregende Unser Vorschlag aus dem März 2008, das Problem Lebensmittel angeboten. Diese Häufung von Rechtsver- branchenübergreifend im Arbeitsrecht zu lösen, hat sich letzungen hat das Vertrauen der Konsumenten in die Si- als vorausschauend erwiesen. Denn der Informanten- cherheit der Lebensmittel untergraben. schutz wird heute dringender denn je gebraucht. Die Datenschutzskandale bei der Telekom oder bei der Bahn Es ist unsere Aufgabe, mit den Änderungen im LFGB sowie Fehlberatungen bei den Geldinstituten hätten nie dafür zu sorgen, dass die hohe Lebensmittelsicherheit in solche Ausmaße annehmen müssen, wenn verantwor- Deutschland ihrem guten Ruf wieder flächendeckend ge- tungsbewusste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in recht wird. Wahrnehmung ihrer staatsbürgerlichen Pflichten die ex- Lebensmittelunternehmer wie Restaurantbesitzer oder ternen Datenschutzbeauftragten und die Finanzdienst- Metzgereien im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch leistungsaufsicht ohne Angst vor Sanktionen über die sind nun verpflichtet, die Behörden zu informieren, Rechtsverletzungen hätten informieren können. (B) (D) wenn ihnen nicht sichere Lebensmittel angeboten wur- Es gibt kein schützenswertes Interesse der Unterneh- den. So wird verhindert, dass solche Waren so lange an- men an der Geheimhaltung und Fortsetzung rechtswidri- geboten werden, bis weniger sorgsame Abnehmer gefun- ger Praktiken. Die Gesellschaft aber hat ein erhebliches den sind. Interesse daran, dass solche Rechtsverletzungen den zu- Das Verbraucherschutzministerium kann künftig bei ständigen Behörden gemeldet werden. Sie muss deshalb länderübergreifenden Skandalen schnell ein Lagebild er- die Hinweisgeber vor Sanktionen schützen. Solange stellen, weil die Länder zur Datenübermittlung ver- Rechtsverstöße ungefährlich erscheinen, weil sie ohne- pflichtet sind. So erreichen wir, dass die Bundesregie- hin kaum aufzudecken sind, werden Verantwortliche in rung ohne Verzögerung Maßnahmen ergreifen und den den Unternehmen sich nicht mit aller Kraft für einwand- Deutschen Bundestag und die EU zeitnah und ordnungs- freie Prozesse einsetzen. Wir halten deshalb an dem Vor- gemäß informieren kann. haben fest, den Informantenschutz für alle Branchen im Arbeitsrecht zu regeln. Die Erhöhung des Strafrahmens bietet den Anreiz, sorgfältiger mit Lebensmitteln umzugehen, und hilft so, Trotz dieser erheblichen Einschränkung stimmen wir fahrlässige Verstöße zu vermeiden. dem Gesetzentwurf zu. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher hätten kein Verständnis dafür, wenn wir Diese Regelungen nützen auch den redlichen und ver- nicht wenigstens die konsensfähigen Schritte hin zu antwortungsvollen Lebensmittelunternehmern. Qualita- mehr Lebensmittelsicherheit machten. Ich bitte deshalb tiv hochwertige Produktion ist natürlich teurer als auch Sie um Zustimmung. Schlamperei oder Betrug auf Kosten der Verbraucher. Es ist deshalb eine Frage fairen Wettbewerbs, dass diejeni- gen belangt werden, die sich durch Fahrlässigkeit oder Hans-Michael Goldmann (FDP): Der Gesetzent- gar kriminelle Energie einen Vorteil verschaffen. wurf der Bundesregierung bringt „Krümel der Verbesse- rungen“ für den Verbraucherschutz und die Landwirt- Mit diesen Maßnahmen werden die Verbraucherinnen schaft in Deutschland. So ist die Meldepflicht an die und Verbraucher besser vor Gesundheitsrisiken durch zuständige Behörde für Unternehmen, denen vergam- Lebensmittel geschützt. Dazu trägt auch das Verbot der melte Lebensmittel und Futtermittel angeboten werden, Verfütterung von Tierfetten an Wiederkäuer bei. Auch die Verankerung einer Selbstverständlichkeit, die Grund- nach Auffassung der Europäischen Lebensmittelbe- bestandteil des Handelns als ehrlicher Kaufmann ist. hörde, des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Richtig ist auch die verbesserte länderübergreifende Friedrich-Löffler-Instituts wird hier dem Vorsorgeprin- Überwachung bei der Lebensmittelsicherheit. 23052 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Die Verfütterung tierischer Fette an Nichtwiederkäuer Ministerin Renate Künast war es damals gelungen, diese (C) ist zu begrüßen. Es ist nicht einzusehen, war es auch nie, ekelhafte und riskante Perversion der Landwirtschaft ge- weshalb der deutschen Landwirtschaft und Futtermittel- gen den Lobbydruck der Fleisch- und Futtermittelmafia wirtschaft dieses Verbot bislang aufgebürdet wurde, ob- zu stoppen. Im Jahr 2000 wurde die bis dahin übliche wohl gleichzeitig der Fleischimport von Tieren nach Verfütterung der Fette an Masttiere verboten, da die Deutschland erlaubt ist, die mit tierischen Fetten in euro- Tierfette und der Milchaustauscher als Träger des ge- päischen Mitgliedstaaten gefüttert wurden. Das war im- fährlichen BSE-Erregers galten (und noch heute gelten). mer agrar- und verbraucherpolitischer Unsinn. Wir Und solange die genauen Übertragungspfade für BSE haben dauerhaft dagegen angekämpft. Es tut gut, dass weiterhin im Unklaren liegen, ist es völlig unverantwort- dieser Unsinn jetzt ein Ende hat. lich, Hochrisikomaterial über die Futtermittel wieder in den Lebensmittelkreislauf zu bringen. Denn Tierfette Die Bundesregierung bleibt auch mit diesem „Krü- zählen genau zu der Gruppe der Stoffe, die nach wie vor melgesetz“ hinter ihren vollmundigen Ankündigungen im Verdacht steht, Auslöser von BSE-Erkrankungen bei zum Verbraucherschutz und zur Lebensmittelsicherheit Rindern zu sein. Da ja das BSE-Testalter bei Rindern zurück. Man kann sich ja noch dunkel daran erinnern, hochgesetzt wurde, werden viele Tiere gar nicht mehr dass der ehemalige Landwirtschaftsminister Seehofer auf die Krankheit untersucht. Es ist daher wahrschein- schon im Mai 2008 eine Lockerung bei der Verfütterung lich, dass die Dunkelziffer infizierter Tiere hoch ist, weil von Tiermehlen für Nichtwiederkäuer versprochen hatte. die Krankheit nur selten bei jüngeren Tieren ausbricht. Allerdings muss man sagen, dass die Bundesregierung Ende 2008 gab es wieder zwei BSE-Fälle in Niedersach- leider weit hinter ihren vollmundigen Ankündigungen sen, und in Spanien sind erst kürzlich zwei Menschen er- der Vergangenheit zurückbleibt. In diesem Zusammen- bärmlich an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit – also der hang ist an die Ankündigung des ehemaligen Bundes- BSE entsprechenden Krankheitsform beim Menschen – landwirtschaftsministers Seehofer zu erinnern, der eine gestorben. Lockerung der Verfütterung von Tiermehlen an Nicht- wiederkäuer schon im Mai 2008 versprochen hatte. Im Gemeinsam mit der Aufgabe des besseren Informan- Klartext, nicht nur tierische Fette sollten nach den An- tenschutzes fordert diese Maßnahme das Risiko Tierseu- kündigungen von Herrn Seehofer verfüttert werden, son- chen geradezu heraus und provoziert fahrlässig neue Ge- dern auch die Eiweiße, die im Tiermehl sind. Jeder Fach- sundheitsgefahren für Mensch und Tier. Die Große mann weiß, dass uns die Eiweiße in der Tierernährung Koalition beugt sich wieder einmal massivem Lobby- fehlen, die für den Preisdruck verantwortlich sind. Aber druck und geht ohne triftigen Grund große Risiken ein. davon wollen Union und die Bundesregierung leider Auch das Friedrich-Löffler-Institut für Tiergesundheit heute nichts mehr wissen. Auch hier sind dringend Kor- geht davon aus, dass die Verfütterung von tierischen Ab- (B) rekturen im Interesse der Landwirtschaft notwendig, fällen die Verbreitung von Krankheiten begünstigt. (D) ohne dass der Verbraucherschutz leidet. Stinkende Schweineköpfe in den Wurstbetrieben, Einen weiteren gravierenden Vorwurf muss sich die gammelige Hühnerfleischexporte oder ekelerregende neue Landwirtschaftsministerin Frau Aigner gefallen Dönerspieße aus verdorbenen Fleischabfällen: Allein die lassen. Auch wenn der Gesetzentwurf einige Verbesse- letzten Skandale lassen keinen Zweifel an dem kriminel- rungen für den Verbraucherschutz enthält, ist er nicht ge- len Potenzial in diesem Bereich. Es kommt einer staatli- eignet, Gammelfleischskandale zukünftig zu verhindern. chen Unterstützung krimineller Entwicklungen gleich, Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, endlich das auch noch die Verwendung der Tierfette zu gestatten. Einfärben von Schlachtabfällen, K3-Materialien, ver- Garantiert landen diese auch wieder im Futter der Wie- bindlich vorzuschreiben. derkäuer. Wie bitte schön soll der Mitarbeiter Schlachtabfälle Bund und Länder erweisen sich wiederholt als unfä- erkennen? Der Fachmann weiß, dass das zum Beispiel hig, Abfallmaterial von den Futtertrögen und damit letzt- bei eingefrorenem und nicht eingefärbtem K3-Material endlich von den Tellern der Verbraucherinnen und außerordentlich schwierig ist. Frau Aigner, Sie müssen Verbraucher fernzuhalten. Den Machenschaften der sich schon die Frage gefallen lassen: Hundefutterschutz Gammelfleischmafia steht die staatliche Kontrolle als vor Verbraucherschutz? zahnloser Tiger gegenüber. Mit der zunehmenden räum- Was nützen die ganzen schönen Programme der Bun- lichen Trennung der Produktionsschritte und dem inter- desregierung zur Bekämpfung von Gammelfleisch, nationalen Handel kann diese nicht Schritt halten. Und wenn sie letztendlich doch nicht in zentralen Punkten Gammelfleischfunde sind dabei nur die Spitze des Eis- umgesetzt werden? Über die Handlungsunfähigkeit und berges. Regelmäßig werden 20 Prozent der geprüften das generelle Versagen der Bundesregierung im Verbrau- Fleischwaren beanstandet. Die Kontrollstrukturen sind cherschutz werden wir leider beim nächsten Gammel- nicht in der Lage, kritische und riskante Lebensmittel fleischskandal wieder zu reden haben, auch weil diese schnell und flächendeckend zu überprüfen. Bundesregierung Stückwerk vorlegt. Diese Bundesregie- Die Einführung einer Meldepflicht der Unternehmen rung ist fachlich ausgelaugt und am Ende. bei den Behörden, wenn ihnen Gammelfleisch angebo- ten wird, hat in der Praxis ohne Informantenschutz kei- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir nen Biss. Während Bundesminister Seehofer a. D. in sei- Grüne sind strikt gegen die Wiederzulassung von Tier- nem 10-Punkte-Plan von Ende 2005 noch vollmundig fetten als Tierfutter für Nichtwiederkäuer! Unserer einen solchen Informantenschutz forderte, will die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23053

(A) Unionsfraktion heute nichts mehr davon wissen. Auch abhängig machen. Das wäre unverantwortlich. Im Ge- (C) das Verbraucherinformationsgesetz, welches noch eine genteil: Wir müssen Deutschland als Technologie- und gewisse öffentliche Kontrolle ermöglicht hätte, präsen- Wissenschaftsstandort stärken, uns nicht in ideolo- tiert sich in der aktuellen Form und behördlichen Hand- gischen Debatten verirren – fern von wissenschaftlichen habung eher als Unternehmens-Schutz-Gesetz und lässt Erkenntnissen. Der Zulassungsprozess von GVO muss die Verbraucher im Regen stehen. stärker an wissenschaftlichen Kriterien und Erkenntnis- sen ausgerichtet werden. Hierfür müssen die Erkennt- In der Gesamtschau zeigt sich hier das Bild einer Re- nisse der EFSA durch Expertisen nationaler Forschungs- gierung, die den vorsorgenden Verbraucherschutz zu- und Wissenschaftseinrichtungen ergänzt werden. gunsten der Interessen der Massentierhaltungs-Lobby auf dem Altar der billigen Jägerschnitzel- und Chicken- Die Ängste und Sorgen der Menschen nehmen wir Nuggets-Produktion opfert. Statt einer immer unsinnige- sehr ernst. Ich betone deshalb ausdrücklich folgende ren Billigfleischproduktion, die unter Verbraucher- und Punkte: Tierschutzgesichtspunkten mehrheitlich abgelehnt wird, ist nur eine gesundheits-, tier- und umweltgerechte Qua- Auch wir wollen keine Monopolisierung, keine Pa- litätsproduktion zukunftstauglich und klimaverträglich. tentierung von Leben und kein Risiko für Mensch, Tier und Umwelt. Wir wollen echte Wahlfreiheit für Land- Wir Grüne stehen für sinnvolle Alternativen der Rest- wirte und Verbraucher – dies muss eine transparente stoff- und Abfallverwendung bei der Energieerzeugung: Kennzeichnung bewerkstelligen – sowie die Koexistenz Wer „Kreislaufwirtschaft“ unterstützen will, der muss der Anbauformen und die Transparenz auf allen Ebenen sich für eine streng kontrollierte und abgesicherte Ver- (Entwicklung, Zulassung, Sicherheitsforschung). wendung der Tierabfälle in der Energiegewinnung im Rahmen der offiziellen Tierkörperbeseitigung einsetzen Hier sind wir mit dem 4. Gesetz zur Änderung des und sich dafür stark machen, dass deutlich weniger, da- Gentechnikgesetzes im vergangenen Jahr einen großen für aber gutes Fleisch aus ökologischer und bäuerlicher Schritt vorangekommen. Die Einzelheiten wurden an Landwirtschaft produziert wird, eben Klasse statt Masse – dieser Stelle, denke ich, bereits ausreichend diskutiert. der Wahlspruch grüner Verbraucherpolitik. Nur einige Hauptpunkte seien noch einmal genannt: In unserem Antrag „Kein Leugnen der BSE-Gefah- ren – Tierfette und -mehle raus aus der Lebensmittel- Die strengste mögliche Haftung des GVO-Anbauers erzeugung – Rein in die energetische Verwertung“ fordern überhaupt wurde beschlossen (gesamtschuldnerisch und wir Grünen daher: weiterhin das strikte Fütterungsverbot verschuldensunabhängig), ferner die Schaffung von ver- für Tierfette und -mehle beizubehalten, die Verwendung bindlichen Anbauabständen (150 bzw. 300 m – Faktor 6!), (B) von Tierabfällen in der Lebensmittelkette zu unterbin- die Ermöglichung nachbarschaftlicher Vereinbarungen (D) den, Tierfette als sinnvolle Alternative zur Reststoff- und und die Kennzeichnung (nicht ganz zufrieden, aber Abfallverwendung für die Energienutzung einzusetzen, Fortschritt, nicht „Wahrheit und Klarheit“, wie sie die sowie ein bundesweites und koordiniertes Kontrollpro- Union wollte – SPD hat sich gesperrt – Chance ver- gramm, eine deutlich bessere Personenausstattung bei passt). den zuständigen Behörden, eine landesweite mobile Weltweit werden bereits mehr als 125 Millionen Hek- Task-force einzusetzen, die Veröffentlichungspflicht für tar GVO angebaut – mit weiter steigender Tendenz. Zum Kontrollergebnisse, eine umfassende Reform des Ver- Vergleich: Die gesamte landwirtschaftlich genutzte Flä- braucherinformationsgesetzes und eine gesetzliche Re- che in der Bundesrepublik Deutschland beträgt 17 Mil- gelung des Informantenschutzes für Mitarbeiter. lionen Hektar. Seit 1996 werden gv-Pflanzen angebaut. Bis zum heutigen Tage ist es nicht zu einem einzigen – ich betone, nicht zu einem einzigen – Schadensfall Anlage 9 weltweit gekommen, weder an einem Menschen noch an Zu Protokoll gegebene Reden einem Tier oder etwa der Umwelt. 13,3 Millionen Land- wirte in 25 Ländern bauten im Jahr 2008 GVO an. Mehr zur Beratung der Beschlussempfehlung und des als 90 Prozent davon waren kleine und ressourcenarme Berichts zu dem Antrag: Zulassung von gen- Bauern aus Entwicklungsländern. technisch veränderten Organismen auf wissen- schaftliche Grundlage stellen – Agrarischen Der internationale Warenaustausch bei Lebens- und Veredlungsstandort Deutschland sichern (Ta- Futtermitteln schreitet unaufhaltsam voran. Deutschland gesordnungspunkt 37) und Europa sind in der Tierernährung in hohem Maße abhängig vom Import von hochwertigen Eiweißfutter- mitteln (vor allem Sojaschrot). Der überwiegende Teil Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) dürfe der weltweiten Produktion besteht aus gentechnisch ver- nicht zu einer politischen Frage gemacht werden, son- änderten Sojabohnen (72 Prozent). Viele davon sind bei dern müsse strikt an den wissenschaftlichen Ergebnissen uns nicht zugelassen. Engpässe bei der Futtermittelver- ausgerichtet werden, so die FDP in ihrem Antrag. sorgung sind also vorprogrammiert. Die Auswirkungen auf die deutsche und europäische Tierproduktion werden Ich kann dieser Aussage nur vorbehaltlos zustimmen! immens sein. Geradezu aberwitzig ist, dass wir in der Wir dürfen Entscheidungen über innovative Technolo- Folge zur Deckung des hiesigen Bedarfs Fleischerzeug- gien mit Zukunftspotenzial auch nicht von Stimmungen nisse aus dem Ausland importieren werden, die mit 23054 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) ebendiesen Sojaerzeugnissen gefüttert wurden, die wir cherinnen und Verbraucher die Grüne Gentechnik ab- (C) zuvor nicht ins Land gelassen haben. lehnen, interessiert Sie nicht und wird von Ihnen seit Jahren ignoriert! Und wenn namhafte Wissenschaftler Niemand behauptet, die Grüne Gentechnik könnte die infrage stellen, dass der Stand der Wissenschaft über- großen Herausforderungen der Zukunft für den Pflan- haupt schon so weit ist, dass wirklich belastbare Aus- zenbau alleine lösen, nämlich die Sicherung der Welt- sagen über das Risikopotenzial des Einsatzes der Grünen ernährung bei wachsender Weltbevölkerung und gleich- Gentechnik gemacht werden können, dann wird auch zeitig rückläufiger Anbaufläche, die Folgen des das von Ihnen ignoriert! Klimawandels für die Nutzpflanzenproduktion, den stei- genden Bedarf an nachwachsenden Rohstoffen für stoff- Wir, die SPD, sehen uns in der Verantwortung gegen- liche und energetische Verwendungen, den Erhalt der über den Bürgerinnen und Bürgern. Wir sehen es als un- Wettbewerbsfähigkeit in globalisierten Märkten und vie- sere Aufgabe, für größtmögliche Transparenz bei den les mehr. Die Grüne Gentechnik kann aber in Anbetracht Zulassungsverfahren zu sorgen – und für nachvollzieh- der großen Potenziale zur Lösung dieser Aufgaben einen bare und demokratische Entscheidungsprozesse. wesentlichen Beitrag leisten. Gerade die Veränderung und die Verbesserung der genetischen Eigenschaften der Deshalb bleiben wir bei unserer Forderung nach Pflanzen spielen dabei eine herausragende Rolle. Überarbeitung des EU-Zulassungsverfahrens für GVO, denn das derzeitige Verfahren wird diesen Anforderun- Ich appelliere an alle Beteiligten, die öffentliche Dis- gen nicht gerecht. Diesen und weitere Punkte zur Weiter- kussion wieder auf eine sachliche Grundlage zu stellen, entwicklung des EU-Gentechnikrechts haben wir in ei- sich mit den vorhandenen, umfangreichen objektiven nem Antrag zusammengefasst, der aber bisher nicht wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen eingebracht werden konnte, weil die CDU/CSU sich und nicht die Ängste und Sorgen der Menschen – ohne hartnäckig der Diskussion darüber verweigert. Anlass – leichtfertig zu schüren. Was ist „Wissenschaft“? Der Glaube an die Unfehl- barkeit der Wissenschaft, der sich in diesem FDP-Antrag Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Mit dem vorliegen- manifestiert, ist von erstaunlicher Naivität. Dabei sind den Antrag der FDP zur Grünen Gentechnik haben wir auch in der Wissenschaft absolute Wahrheiten eher sel- uns bereits im Plenum und ausführlich im Ausschuss be- ten. Und gerade im Bereich Grüne Gentechnik gibt es schäftigt. Wir lehnen ihn ab. Ich werde mich kurzfassen, immer noch viele Wissenslücken und große Differenzen denn dieser Antrag gehört in die Kategorie „alter Wein innerhalb der Wissenschaft in der Beurteilung bestimm- in neuen Schläuchen“. Die ständige Wiederholung mehrt ter Risiken. Außerdem dürfen wir niemals vergessen, aber nicht den Wahrheitsgehalt. dass es bei der Zulassung von gentechnisch veränderten (B) (D) Auf zwei Punkte möchte ich eingehen, nämlich zum Pflanzen zum Anbau im Freien, auf dem offenen Feld einen auf das Verständnis von Politik, welches sich in eben noch ganz andere Fragen zu berücksichtigen gilt, diesem Antrag offenbart, und zum anderen auf den Be- als wenn es um die Zulassung zum Umgang mit GVO griff „Wissenschaft“. Beides wird hier gegenüberge- im geschlossenen System, im Labor geht. Es geht um stellt: Für die FDP ist anscheinend die „Wissenschaft“ eine für die Natur irreversible Ausbringung des Mate- immer objektiv und über jeden Zweifel erhaben, also rials in den Lebensraum. Deshalb müssen zum Beispiel „gut“. Politik dagegen ist „böse“, ideologisch und irra- Auswirkungen auf die Landwirtschaft, auf traditionelle tional. (Das mag für FDP-Politik zutreffen …, für uns Anbauformen, auf den Wettbewerb, auf die Naturschutz- aber nicht.) gebiete und auf Kulturlandschaften unbedingt berück- sichtigt werden. Zur Wissenschaft gehören eben nicht Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, nur Molekularbiologie, Genetik, Biotechnologie, sondern fordern in diesem Antrag, dass wir als Politikerinnen auch Ökologie. Wissenschaft ist nicht nur Naturwissen- und Politiker unsere Verantwortung abgeben und die schaft, sondern auch zum Beispiel Sozialwissenschaften Entscheidung über die Zulassung von gentechnisch ver- und Ökonomie. änderten Organismen der Europäischen Behörde für Le- bensmittelsicherheit EFSA und der Zentralen Kommis- Aber was für einen eingeschränkten Wissenschafts- sion für biologische Sicherheit ZKBS überlassen. begriff Sie haben – und nicht nur Sie von der FDP, son- Obendrein fordern Sie dann auch noch die Anerkennung dern leider auch einige Kollegen von der CDU –, das von Zulassungen anderer OECD-Staaten, die gar nicht war leider auf der letzten Sitzung unseres Verbraucher- nach EU-rechtlichen Vorgaben geprüft worden sind. ausschusses zu beobachten. Nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, haben Sie wissenschaft- Sie, meine Damen und Herren von der FDP, wollen lich fundierte Zweifel an der Sicherheit von GVO des den Durchmarsch der Grünen Gentechnik um jeden Bundesamtes für Naturschutz abgetan, und einige waren Preis! Am liebsten wäre Ihnen doch, wenn die Biotech- sich nicht zu schade, die Qualifikation der geladenen Ex- Unternehmen ihre Entwicklungen ausschließlich von ih- pertinnen anzuzweifeln. Während die zugrunde gelegten nen nahestehenden oder gar verpflichteten Wissenschaft- Studien erläutert wurden, wurde ostentativ nicht zuge- lern wohlwollend überprüfen lassen könnten und diese hört und Desinteresse demonstriert, dafür aber umso lau- Überprüfung dann – ohne jede lästige Einmischung der ter der Vorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ erhoben. Politik, der Gesellschaft oder anderer Wissenschaftler – Liebe Kolleginnen und Kollegen, abgesehen davon, dass gleich als Zulassung gilt. Ein merkwürdiges Politik- und solches Verhalten einfach beschämend unwürdig ist, Demokratieverständnis: Dass 80 Prozent der Verbrau- zeigt das doch vor allem eins: Es geht Ihnen nicht um In- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23055

(A) halte, es geht nicht um Wissenschaft, es geht Ihnen nur fahren sofort gestoppt werden. Das fordert nicht nur Die (C) um Ideologie. Blinde Technologiegläubigkeit, dafür tre- Linke seit langem. ten Sie ein! Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die dem entgegenstehen, werden ignoriert, alle Experten, die Die FDP will, dass die Bundesregierung im EU- Zweifel äußern, werden diffamiert! Ministerrat nur noch so abstimmt, wie das vorher von der Zulassungsbehörde EFSA empfohlen worden ist. Dabei wird es langsam eng für die Freunde der Grü- Würde man diesen Gedanken konsequent weiterdenken, nen Gentechnik: Nicht nur das Bundesamt für Natur- dann könnte man den Agrar-Ministerrat gleich auflösen schutz, auch der Weltagrarbericht, mehrere Berichte des und nur noch die Verwaltung entscheiden lassen. Ausge- Büros für Technikfolgenabschätzung und des Sachver- rechnet die FDP empfiehlt also die Auflösung demokra- ständigenrats für Umweltfragen machen deutlich, dass tischer Entscheidungsgremien! Das ist mit der Linken wir einen Paradigmenwechsel brauchen: Wir müssen nicht zu machen. Gerade eine Risikotechnologie darf weg von technologieorientierten Lösungen, wir sollten nicht nur rein wissenschaftlich, sondern muss auch poli- nicht zur Rechtfertigung nach Einsatzmöglichkeiten für tisch bewertet werden: Wo keine Gentechnik gewünscht die Grüne Gentechnik suchen, sondern wir brauchen ist, soll sie sich vom Acker machen! Demokratische problemorientierte Lösungen. Mehrheiten müssen respektiert werden! Die Probleme lauten zum Beispiel Artenschwund, Die FDP will die Nulltoleranz für in der EU nicht zu- Wassermangel oder Krankheits- und Schädlingsanfällig- gelassene gentechnisch veränderte Pflanzen aufheben. keit. Es gibt Hinweise darauf, dass die Grüne Gentech- Das ist nun wirklich ein politischer FDP-Freibrief für die nik als Fortführung der High-Input-Hochertragsland- Saatgut-Konzerne, um die Landwirtschaft und Lebens- wirtschaft, die mit „Intensivierung, Rationalisierung, mittel zu verunreinigen, wenn auch nur ein bisschen. Die Spezialisierung und Konzentration der Produktion maß- Linke sagt dagegen: Die Nulltoleranz muss bleiben! Was geblich zum Rückgang der biologischen Vielfalt ge- nicht zugelassen ist, gehört auch nicht in kleinen Men- führt“ hat, diese Probleme nicht löst, sondern verschärft. gen in den Boden oder in die Regale! – Soviel zu diesem Also muss geprüft werden: Welche verschiedenen Mög- Antrag und zur FDP. lichkeiten gibt es denn, um diese Probleme zu lösen? Für Aber es gibt in letzter Zeit auch Zeichen der Hoff- viele gibt es wohl bessere Lösungen als die Gentechnik. nung, dass andere unterdessen die Kritik an der Agro- Aber das werden Sie vermutlich weiterhin hartnäckig Gentechnik verstanden haben: Der Industrie-Auto-Um- ignorieren. weltminister Gabriel spricht sich überraschend für natio- nale Anbauverbote aus. Die Bundesagrarministerin Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Viele Dinge Aigner will den Monitoringplan von MON810 nun doch (B) (D) sollen mit der Zeit ja besser werden, guter Wein bei- noch einmal prüfen. Sie sollte sich damit beeilen, denn spielsweise. Bei Anträgen der FDP ist das allerdings die Anbausaison steht vor der Tür und die gentechnik- sehr oft nicht so. Der heute vorliegende Antrag zur freie Landwirtschaft und Imkerei wartet auf ihren Agro-Gentechnik ist schon fast ein Jahr alt, aber gedank- Schutz! Ihr Vorgänger hat eine solche Prüfung auch lich immer noch in den Windeln. Die im Antrag formu- schon einmal bis nach der Maisaussaat hinausgezögert. lierten Forderungen sind in dieser Zeit nicht kompeten- Das war für alle Beteiligten eine schwierige Situation. ter, sondern eher noch unsinniger geworden. Einige Und es gibt auch in Brandenburger Kommunen Besin- Beispiele: nung. Besonders froh bin ich über einen Antrag in einer Stadtverordnetenversammlung. Im Antrag heißt es: „Die Die FDP will eine nach wissenschaftlichen Kriterien Stadtverwaltung wird aufgefordert sich bei Anträgen auf ausgerichtete Zulassung für gentechnisch veränderte Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen … Pflanzen. als Träger öffentlicher Belange gegen eine Freisetzung auszusprechen. … Initiativen und landwirtschaftlichen Das wollen wir auch. Aber dann müsste wirklich allen Betrieben, die sich für gentechnikfreie Landwirtschaft wissenschaftlichen Fragen nachgegangen werden. Doch einsetzen, entsprechende Unterstützung zu geben“. Des genau das ist nachweislich nicht der Fall. Fragen zu Weiteren argumentieren die Antragsteller: „Die Freiset- Langzeitwirkungen, insbesondere subklinischen, zu so- zung von gentechnisch veränderten Pflanzen und deren zioökonomischen Auswirkungen oder nach den Auswir- Pollen in die Natur erhöht die Gefahr der Schädigung der kungen auf das Bodenleben sind weiter nicht bzw. nicht hier heimischen Naturpflanzen und der Tiere.“ Und wer zweifelsfrei oder unvollständig beantwortet. Das ist hat den Antrag gestellt? Die CDU/FDP-Fraktion in der nicht akzeptabel, erst recht, da wir davon ausgehen kön- Stadtverordnetenversammlung von Werneuchen. nen, dass es sich hier meist um sehr komplexe Wirkun- gen handeln dürfte, die besonders genau untersucht wer- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Frak- den müssen. Das Zulassungsverfahren ist nicht sicher im tion, vielleicht überdenken Sie Ihre Position hier im Sinne der Vorsorge vor ökologischen und gesundheitli- Bundestag und stellen Ihren Antrag zurück. Ihre Frak- chen Risiken. Weiterhin ist es weder transparent noch tion in Werneuchen würde sich bestimmt freuen und Ih- demokratisch. Auch die zuständigen EU-Kommissare nen bei der Erarbeitung eines neuen, besseren Antrages sehen die Zulassungsverfahren kritisch und selbst der zur Seite stehen! Das wäre doch mal ein wichtiges Bundesagrarminister a. D. Seehofer hatte es zwischen- Signal für die gentechnikfreie Landwirtschaft und Imke- zeitlich erkannt! Bis diese Mängel des Zulassungsver- rei! Und wenn Sie noch mehr Anregungen brauchen, fahrens nicht behoben sind, müssen alle Zulassungsver- können sie einfach mal in Anträge der Linken zur Agro- 23056 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Gentechnik schauen. Abschreiben ist da ausnahmsweise wird, gibt es noch weitaus mehr – sie werden nur unzu- (C) mal erlaubt. Ihren heutigen Antrag lehnen wir ab. reichend gefördert. So stehen den rund 7 Millionen Euro jährlich aus Mitteln des Bundesprogramms Ökologi- scher Landbau 165 Millionen Euro für die Biotechnolo- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wis- gieforschung durch das Bundesforschungsministerium senschaftliche Grundlagen“ anwenden bei Sicherheits- gegenüber, und dies, obwohl der ökologische Landbau bewertung – das wollen alle, hier sind wir ausnahms- bisher, weit mehr als der Anbau von gentechnisch verän- weise mal parteiübergreifend einer Meinung. Aber wer derten Sorten, bewiesen hat, dass er zu einer gesunden wirklich Interesse an einer wissenschaftlichen Bewer- Agrarlandschaft auch noch wirtschaftlich stabile Betriebe tung der Risiken hat, der müsste – wie wir Grünen dies sowie mehr regionale Wertschöpfung und Beschäfti- in unserem Antrag 16/9134 gefordert haben, die Ver- gungszuwachs mit sich bringt. Die Ungleichstellung der flechtungen der Experten in den Behörden in Deutsch- verschiedenen Ansätze innerhalb der Agrarforschung ist land und der EU mit der Industrie offenlegen und besei- daher von einer ausgewogenen, wissenschaftlichen He- tigen. rangehensweise, die zu einer Herausarbeitung der best Seit wann gilt die Bewertung eines Sachverhalts aus practice führt, weit entfernt. einer einzigen Quelle, hier der EFSA, als „wissenschaft- lich“? Wie unsere Studie „Kontrolle und Kollaboration“ Zum aktuellen Agro-Gentechnik-Kurs der EU-Kom- gezeigt hat, können wir uns auf die wissenschaftliche mission: Das derzeitige Debakel in der EU um die natio- Prüfung in den Zulassungsbehörden der EU und nalen Einfuhrverbote von Ungarn, Österreich und dem- Deutschlands nicht verlassen. Mein Erlebnis auf der nächst um die von Griechenland und Frankreich zeigt COP in Bonn, wo Detlef Bartsch, der im Bundesamt für aktuell ganz klar, dass wissenschaftlich gut begründete Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für Bedenken von den Experten in den Behörden reihen- Koexistenz und für Monitoring zuständig ist, im Rah- weise als „nicht relevant“ vom Tisch gefegt werden und men des Panel on GMO der EFSA jetzt gemeinsam mit dass die Wünsche der EU-Bürger einfach nicht ernst ge- Vertretern von Monsanto, DuPont Crop, Syngenta, nommen werden. Die EU-Kommission hatte angekün- BASF und einer Vielzahl von US-Firmen in einem ge- digt, das wissenschaftliche Risikoverfahren verbessern meinsamen Artikel nichts anderes zum Ziel hatte, als zu wollen. Stattdessen treibt sie aktuell die Agro-Gen- – ich formuliere das einmal vorsichtig – zu verhindern, technik voran: Sie will neue Gentech-Maislinien – erst- dass es zu einer unabhängigen Bewertung, nämlich zu malig seit über zehn Jahren – für den Anbau zulassen, einer Bewertung außerhalb der von der Industrie vorge- sie hat vor wenigen Tagen Gentech-Raps für den Import legten Daten kommt, habe ich hier schon einmal be- zugelassen, und sie will andere Länder – zum Glück er- folglos – zwingen, ihre nationalen Einfuhrverbote aufzu- (B) schrieben. Wissenschaftliche Risikostudien von unab- (D) hängigen Experten, die zum Beispiel auf die schädliche heben. Das heißt, sie treibt den Anbau und den Import Wirkung von Gentech-Mais auf Schmetterlingslarven gentechnisch veränderter Pflanzen in der EU auf der Ba- oder auf Mäuse hinweisen, werden regelmäßig von den sis der bisherigen umstrittenen wissenschaftlichen Zu- Experten in den Behörden vom Tisch gefegt. lassungs- und Risikoprüfungskriterien voran. „Agrarischer Veredelungsstandort Deutschland“ – Dies ist umso unverständlicher, als erst im Dezember dieser Halbsatz im Titel des FDP-Antrags im Zusam- 2008 der EU-Umweltministerrat in seinen Schlussfolge- menhang mit der Agro-Gentechnik offenbart ein mehr rungen (Rat der Europäischen Union, 5. Dezember 2008, als technokratisches Verständnis von Lebensmittelpro- 16882/08) betonte, dass sowohl ökologische als auch so- duktion. Wir finden es schädlich für den „agrarischen zioökonomische Aspekte bei der Risikoprüfung stärker Veredelungsstandort Deutschland“, wenn Hochleis- einbezogen werden sollten und sich sowohl die EU- tungsmonokulturen befürwortet werden, die zusätzlich Kommission als auch die einzelnen Mitgliedstaaten um zu ihrer eigenen gentechnisch erzeugten „Giftproduk- einen stärkeren Schutz gentechnikfreier Regionen und tion“ noch abhängig sind vom hohen Einsatz von Pflan- ökologisch sensibler Gebiete bemühen sollen. zenschutzmitteln und die sowohl durch ihren Anbau an Oder nehmen wir, um wieder nach Deutschland zu- sich als auch durch ihre Auswirkungen die Artenvielfalt rückzukehren, die – begrüßenswerte – Ankündigung von bedrohen. Und bezogen auf die Tierproduktion ist Ministerin Aigner, „prüfen“ zu wollen, ob sie den Anbau Deutschland als Agrarstandort gut beraten, mehr auf von MON810-Mais in Deutschland verbieten will: An- eine Begrenzung der Tierbesatzdichte, Weidehaltung statt sich von Anbausaison zu Anbausaison zu hangeln, und einen einheimischen Eiweißfuttermittelanbau zu set- wäre es doch sinnvoller, Ministerin Aigner würde sich zen. Das ist energieeffizienter, klimaschonender und kommt noch der Qualität der Böden und dem Erhalt von die zahlreichen wissenschaftlichen Risikostudien an- Kulturlandschaft und Artenvielfalt zugute. Eine Ermög- schauen, die seit der Zulassung von MON810 in der lichung des Imports von GV-Futtermittel entspricht da- Europäischen Union – vor über zehn Jahren – erschienen rüber hinaus auch nicht den mehrheitlichen Wünschen sind – und dann wie Ungarn, Österreich, Griechenland der Verbraucher, die auch in tierischen Produkten keine und Frankreich ein nationales Einfuhrverbot in die Wege Gentechnik haben wollen. leiten. Stattdessen will sie sich auf die Bewertung ihrer Experten im zuständigen Bundesamt für Verbraucher- Wissenschaftliche Ansätze, den „Veredelungsstandort schutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verlassen. Das Deutschland“ zu verbessern, indem die Ertragsfähigkeit ist heikel, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Denn der Böden erhalten oder zum Klimaschutz beigetragen auch ihr Vorgänger Horst Seehofer vollführte um den Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23057

(A) Anbau von MON810 einen regelrechten Eiertanz: Zu- Viele Studien weisen auf eine Gefährdung für (C) nächst einmal ließ er den Saatgutverkauf von MON810 Mensch, Tier und Umwelt durch die vorhandenen Gift- zu, dann verbot er ihn (nach der Aussaat) wegen nicht gene im Genmais MON810 hin. Das hat das Positions- auszuschließender Risiken für die Umwelt und weil ein papier Welternährung, Biodiversität und Gentechnik des ausreichender Monitoringplan nicht vorlag, und dann BfN aktuell wieder bestätigt. Die Verbraucherinnen und ließ er ihn rechtzeitig zur nächsten Verkaufssaison wie- Verbraucher wollen diesen Genmais weder in den Futter- der zu. Was hatte sich seinerzeit wissenschaftlich in den und Lebensmitteln noch im Honig. Daher müssen Sie paar Monaten zwischen Verbot und Wiederzulassung ge- neben dem Verbot von MON810 auch der erstmaligen ändert? Nichts! Trotzdem ließ das Bundesamt für Ver- Zulassung der gentechnisch veränderten Maissorten braucherschutz und Lebensmittelsicherheit MON810 Bt 11 und 1507 von Syngenta bzw. Pioneer eine Absage wieder zu, obwohl Monsanto die Bedingungen, die das erteilen! Entscheiden Sie sich endlich! BVL gestellt hat, nicht im Mindesten erfüllt hat und die „nicht auszuschließenden Risiken“ weiterhin nicht aus- geschlossen werden konnten. Eine interne Mail über den Anlage 10 Vorgang aus dem BVL kam sogar auf unerklärlichen Wegen zur Firma Monsanto und landete als Vorlage in Zu Protokoll gegebene Reden einer gerichtliche Auseinandersetzung mit Imkern, die zur Beratung des Berichts zu den Anträgen: gegen den MON810-Anbau klagen. – Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos Statt Risikostudien unabhängiger Experten überhaupt umsetzen – Erklärung zur UN-Kinder- ernsthaft näher zu prüfen, nannte das BVL peinlicher- rechtskonvention zurücknehmen weise Monsanto selbst Schlupflöcher für die Wiederzu- lassung, so zum Beispiel andere Monitoring-Vorhaben, – Für die Rücknahme der Vorbehaltserklä- die von Imkerverbänden freiwillig gemacht werden. Es rung zur UN-Kinderrechtskonvention und wurde aber nicht wissenschaftlich geprüft, ob diese eine – hiervon unabhängige – effektive überhaupt für gentechnikspezifische Fragen geeignet Umsetzung der Kinderrechte im Asyl- und sind. Genau das sind sie nicht. Noch dazu wurden die Aufenthaltsrecht Verbände wie zum Beispiel die Imker oder das Helm- holtz-Zentrum gar nicht gefragt, ob sie für das Mon- (Tagesordnungspunkt 38) santo-Monitoring tätig sein wollten. Kerstin Griese (SPD): Nach § 62 Abs. 2 unserer Ge- (B) Genau die Ergebnisse dieses miserablen Monitoring- schäftsordnung habe ich einen Bericht vorzulegen, wes- (D) plans, den seinerzeit das BVL akzeptiert hatte, hat halb die beiden Anträge noch nicht abschließend im fe- Ministerin Aigner nun als wissenschaftliche Grundlage derführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen vorgeschoben, um die Aussaat von MON810 angeblich und Jugend behandelt wurden. stoppen zu wollen. Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Wir fordern Frau Aigner auf, sich endlich für eine „Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos umsetzen – wirkliche Verbesserung des EU-Zulassungsverfahrens Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurückneh- für gentechnisch veränderte Pflanzen einzusetzen: unter men“ habe ich bereits vor fast einem Jahr im Plenum be- anderem dafür, dass die Verfahren für die Öffentlichkeit richtet. Damals wie heute gilt: Die Rechte von Kindern transparenter und dass wissenschaftliche Bedenken na- haben im Familienausschuss und in unserem Unteraus- tionaler Behörden der EU-Länder und unabhängiger Ex- schuss, der Kinderkommission, höchste Priorität. Die perten stärker als bisher berücksichtigt und einbezogen erstmalige verbindliche Festschreibung der Kinderrechte werden. Vorige Woche äußerte Aigner nun, ganz ihrem in dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes war bisherigen Eiertanz entsprechend, eine Mehrheit für ein ein Paradigmenwechsel auf internationaler, aber auch generelles Verbot in Deutschland sei aus derzeitiger auf nationaler Ebene. Die UN-Kinderrechtskonvention Sicht nicht zu erreichen. Frau Aigner, wenn Sie wollten, sagt klipp und klar, dass Kinder eigene Rechte haben. hätten Sie sehr wohl die Möglichkeit, MON810 aus dem Die Bundesrepublik Deutschland hat 1992 aber unter der Verkehr zu ziehen. Der Genmais besitzt keine lebensmit- damaligen Regierung fünf Vorbehalte gegen diese Kon- telrechtliche Zulassung. Sein Anbau führt aber dazu, vention geltend gemacht. In den letzten Jahren haben wir dass Genpollen im Honig wiedergefunden werden. es geschafft, fast alle dieser Vorbehalte aufzuheben. Jetzt Grund genug, den Genmais zu verbieten. geht es noch um den Punkt IV, die Situation unbegleite- ter minderjähriger Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jah- In den EU-Ländern Österreich, Frankreich, Ungarn, ren. Griechenland, Polen und Italien ist MON810 verboten oder mit einem Moratorium belegt. Deutschland hätte Mit der UN-Kinderrechtskonvention und der Debatte ebenso die Möglichkeit, sich auf die „Schutzklausel“ in über die Rücknahme der Vorbehaltserklärung beschäfti- Art. 23 der EU-Freisetzungsrichtlinie zu berufen: Da- gen wir uns seit geraumer Zeit, und zwar sehr intensiv. nach kann ein EU-Land den Anbau untersagen, wenn Die Unterstützung für die Rücknahme der Vorbehalte ist aufgrund neuer Erkenntnisse von der Pflanze ein Um- in dieser Zeit stetig gewachsen. Darüber freue ich mich weltrisiko ausgeht. außerordentlich! 23058 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Wir alle wissen, dass der Deutsche Bundestag die Am 5. April 1992, vor über 16 Jahren, trat für die (C) Bundesregierung bereits mehrfach zur Rücknahme der Bundesrepublik Deutschland das „Übereinkommen über Erklärung aufgefordert hat. Noch in der letzten Legisla- die Rechte des Kindes“ vom 20. November 1989 in tur hat die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit un- Kraft. Mit diesem Übereinkommen über die Rechte des serem damaligen grünen Koalitionspartner einen Antrag Kindes wurden erstmals völkerrechtlich verbindlich zur UN-Kinderrechtskonvention in den Bundestag ein- politische Bürgerrechte und soziale Menschenrechte for- gebracht. Damals hat die FDP-Fraktion sowohl im Fami- muliert, die ihren Ausdruck in der Festschreibung von lienausschuss als auch hier im Plenum des Deutschen Mindestanforderungen an die Versorgung, den Schutz Bundestages gegen den Antrag zur Aufhebung der Vor- und die Beteiligung von Kindern am gesellschaftlichen behaltserklärung gestimmt, die Unionsfraktion hat sich Leben finden. enthalten. Heute ist die FDP glücklicherweise einen Schritt weiter. Aber für die CDU/CSU gilt weiterhin, Die Bundesregierung begrüßte bei Hinterlegung der dass sie der Rücknahme des letzten Vorbehalts im Weg Ratifikationsurkunde am 6. März 1992 das Übereinkom- steht. Schon im letzten Jahr habe ich an die Union appel- men als einen Meilenstein der Entwicklung des Interna- liert, ihren Widerstand aufzugeben und auf die von ihnen tionalen Rechts und erklärte, sie werde die Ratifizierung regierten Länder einzuwirken, an denen die Zurück- des Übereinkommens zum Anlass nehmen, Reformen nahme der Vorbehalte weiterhin scheitert. des innerstaatlichen Rechts in die Wege zu leiten, die dem Geist des Übereinkommens entsprechen. Nach unserer Debatte im Plenum des Deutschen Bun- Diese bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde ab- destags im April 2008 hat die SPD im Bund und in den gegebene Erklärung enthält ferner Vorbehalte, die sich Ländern einen neuen Vorstoß unternommen. Damals ist insbesondere auf das elterliche Sorgerecht, die Anwalts- deutlich geworden, dass unter den Bundesländern die vertretung sowie weitere Rechte von Kindern im Straf- Zustimmung zugenommen hat. Berlin, Bremen und Rhein- verfahren, auf die Altersgrenze bei Soldaten sowie in land-Pfalz haben im Juni vergangenen Jahres einen ent- Vorbehalt IV auf die Einreise und den Aufenthalt von sprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht. Leider Ausländern sowie die Bedingungen ihres Aufenthalts ist dieser Antrag an den CDU-geführten Bundesländern und Unterschiede zwischen In- und Ausländern bezie- gescheitert. hen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass bald auch die Durch Änderungen im Familienrecht und im Lichte CDU/CSU einer Aufhebung des letzten Vorbehalts zu- des Zusatzprotokolls zur UN-Kinderrechtskonvention stimmen wird. Ich appelliere daher noch einmal ein- über die Beteiligung von Kindern in bewaffneten Kon- dringlich an Sie: Schließen Sie sich der Mehrheit des (B) flikten ist der Vorbehalt diesbezüglich obsolet geworden. (D) Deutschen Bundestages an! Setzen Sie sich mit uns da- Auch in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Frak- für ein, dass Deutschland auch im internationalen Zu- tion der FDP im Deutschen Bundestag erklärte die da- sammenhang uneingeschränkt für eine kinderfreundliche malige Bundesregierung, dass sie ebenso wie der Deut- Politik steht! sche Bundestag der Auffassung sei, dass die Erklärung zurückgenommen werden sollte. Miriam Gruß (FDP): Die ständige Auf- und Abset- zung der Anträge zur UN-Kinderrechtskonvention wird In Anbetracht dessen besteht daher keine Notwendig- immer mehr zur Farce. Und wie so oft diskutieren wir keit, länger an dieser Erklärung festzuhalten. Und es be- dieses wichtige Thema der Rücknahme der Vorbehalts- steht erst recht keine Notwendigkeit, parteitaktische erklärung zu später Stunde. Unsere Kinder und ihre Spielchen mit dieser Erklärung zu treiben. Rechte sollten es uns eigentlich wert sein, eine Kernzeit- Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung ist nicht nur debatte zu führen. rechtlich möglich, sie ist auch politisch geboten. Denn sie ist geeignet, national wie international bestehende Ganz grundsätzlich bin ich aber der Meinung: In die- Zweifel am Willen Deutschlands, die UN-Kinderrechts- sem Hohen Haus sollten wir über Inhalte, und nicht über konvention uneingeschränkt durchzusetzen, auszuräumen. § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung sprechen. Die FDP- Bundestagsfraktion hat sich immer für die Aufsetzung Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung stellt ein der Anträge und gegen eine Absetzung ausgesprochen. dringend notwendiges und überfälliges Signal für ein Sicher: Es ist das Schicksal der Oppositionsparteien, kinderfreundliches Deutschland dar. Sie wird die Posi- überstimmt zu werden. Aber wenn es um Kinder geht, tion der Bundesrepublik Deutschland in der Frage des sollte taktisches Lavieren ein Tabuthema sein. Insofern internationalen Menschenrechtsschutzes stärken und habe ich für dieses „Erst rauf, dann runter“-Spielchen helfen, innerhalb und außerhalb Deutschlands Irritatio- der Großen Koalition absolut kein Verständnis. Dabei nen zu vermeiden. debattieren wir hier über eine Erklärung, die ansonsten die ganze Welt unterschrieben hat. Ich fordere die Bundesregierung deshalb zum wieder- holten Male auf, unverzüglich die hinterlegte Erklärung Die Geschichte um die Rücknahme der Vorbehalts- der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen erklärung ist lang, und wenn man sie genau betrachtet, über die Rechte des Kindes zurückzunehmen und auf die erscheint es vollkommen absurd, dass sie überhaupt Länder hinzuwirken, die Voraussetzungen hierfür zu noch besteht: schaffen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009 23059

(A) Anlage 11 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben (C) mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Amtliche Mitteilungen Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung Der Bundesrat hat in seiner 856. Sitzung am 6. März zu den nachstehenden Vorlagen absieht: 2009 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 Innenausschuss des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Gesetz zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts Erfahrungsbericht der Bundesregierung zu Durchfüh- – Gesetz zum Schengener Informationssystem der rung und Finanzierung der Integrationskurse nach § 43 zweiten Generation (SIS-II-Gesetz) Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes – Drucksache 16/6043 – – Gesetz zur Änderung des Zivilschutzgesetzes (Zivilschutzgesetzänderungsgesetz – ZSGÄndG) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Nationale Integrationsplan – Gesetz über den Zugang von Polizei- und Straf- Neue Wege – Neue Chancen verfolgungsbehörden sowie Nachrichtendiensten – Drucksache 16/6281 – zum Visa-Informationssystem (VIS-Zugangs- gesetz – VISZG) – Unterrichtung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – Zweites Gesetz zur Änderung des Aufstiegsfort- Siebter Bericht über die Lage der Ausländerinnen und bildungsförderungsgesetzes Ausländer in Deutschland – Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung – Drucksache 16/7600 – (Neuregelung des Zugangs zum Anwaltsnotariat) – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsaus- Migrationsbericht 2006 gleichs (VAStrRefG) – Drucksache 16/7705 – – Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Außenwirt- – Unterrichtung durch die Beauftragte der Bundesregierung schaftsgesetzes und der Außenwirtschaftsverord- für Migration, Flüchtlinge und Integration nung Erster Fortschrittsbericht zum Nationalen Integra- – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- tionsplan (B) kel 106, 106b, 107, 108) – Drucksachen 16/10800, 16/11306 Nr. 1, 16/11478 Nr. 2 – (D)

– Gesetz zur Neuregelung der Kraftfahrzeugsteuer – Unterrichtung durch die Bundesregierung und Änderung anderer Gesetze Migrationsbericht 2007 – Gesetz zur Neuordnung der Entschädigung von – Drucksachen 16/11300, 16/11718 Nr. 1.1 – Telekom-munikationsunternehmen für die Heranziehung im Rahmen der Strafverfolgung Finanzausschuss (TK-Entschädigungs-Neuordnungsgesetz – TKEntschNeuOG) – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Emp- – Gesetz über das Verfahren des elektronischen fehlung des Zentralen Kreditausschusses zum Giro- Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) konto für jedermann Die Fraktion der FDP hat mitgeteilt, dass sie den An- – Drucksachen 16/11495, 16/11718 Nr. 1.6 – trag Schulden des Bundes durch das Konjunktur- paket II vollständig im Bundeshaushalt etatisieren – Ausschuss für Ernährung; Landwirtschaft und Kein Sondervermögen Tilgungsfonds auf Druck- Verbraucherschutz sache 16/11668 zurückzieht. – Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Abgeordnete Günter Gloser hat darum gebeten, Verbraucherpolitischer Bericht 2008 bei dem Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von – Drucksache 16/9163 – Schwangerschaftskonflikten auf Drucksache 16/11347 nachträglich in die Liste der Antragsteller aufgenommen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben zu werden. mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Die Abgeordneten Ilse Falk und Michael Link (Heil- ner Beratung abgesehen hat. bronn) haben darum gebeten, bei dem Entwurf eines Ge- setzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht (Patientenverfügungsgesetz – Sportausschuss PatVerfG) auf Drucksache 16/11360 nachträglich in Drucksache 16/5505 Nr. 1.2 die Liste der Antragsteller aufgenommen zu werden. EuB-EP 1484 23060 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2009

(A) Finanzausschuss Drucksache 16/11517 Nr. A.25 (C) Drucksache 16/9693 Nr. A.7 Ratsdokument 16087/08 Ratsdokument 9385/08 Drucksache 16/11517 Nr. A.26 Drucksache 16/10666 Nr. A.3 Ratsdokument 16162/08 EuB-EP 1775; P6_TA-PROV(2008)0387 Drucksache 16/11819 Nr. A.10 Drucksache 16/11132 Nr. A.3 Ratsdokument 5005/09 EuB-EP 1789; P6_TA-PROV(2008)0425 Drucksache 16/11132 Nr. A.4 EuB-EP 1790; P6_TA-PROV(2008)0426 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 16/11132 Nr. A.5 Drucksache 16/6389 Nr. 1.84 EuB-EP 1809; P6_TA-PROV(2008)0476 Ratsdokument 12169/07 Drucksache 16/11132 Nr. A.6 Drucksache 16/11721 Nr. A.21 Ratsdokument 14938/08 EuB-EP 1822; P6_TA-PROV(2008)0544 Drucksache 16/11721 Nr. A.12 Ratsdokument 16776/08 Drucksache 16/11721 Nr. A.13 Ausschuss für Gesundheit Ratsdokument 17059/08 Drucksache 16/11819 Nr. A.12 Drucksache 16/11721 Nr. A.14 Ratsdokument 17427/08 Ratsdokument 17247/08 Drucksache 16/11819 Nr. A.13 Drucksache 16/11819 Nr. A.3 Ratsdokument 17430/08 EuB-EP 1832; P6_TA-PROV(2008)0581

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Haushaltsausschuss Reaktorsicherheit Drucksache 16/10666 Nr. A.6 Drucksache 16/10958 Nr. A.38 Ratsdokument 13292/08 Ratsdokument 14024/08 Drucksache 16/10958 Nr. A.10 Drucksache 16/10958 Nr. A.39 Ratsdokument 14005/08 Ratsdokument 14027/08 Drucksache 16/10958 Nr. A.11 Ratsdokument 14180/08 Drucksache 16/10958 Nr. A.14 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ratsdokument 14481/08 Drucksache 16/11721 Nr. A.15 Drucksache 16/11517 Nr. A.33 Ratsdokument 16859/08 EuB-EP 1819; P6_TA-PROV(2008)0527 Drucksache 16/11819 Nr. A.4 Drucksache 16/11721 Nr. A.30 Ratsdokument 17606/1/08 REV 1 EuB-EP 1830; P6_TA-PROV(2008)0570 Drucksache 16/11819 Nr. A.5 Drucksache 16/11819 Nr. A.27 Ratsdokument 17281/08 EuB-EP 1835; P6_TA-PROV(2008)0582 (B) Drucksache 16/11965 Nr. A.12 (D) EuB-EP 1839; P6_TA-PROV(2008)0641 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Drucksache 16/11965 Nr. A.13 Verbraucherschutz EuB-EP 1840; P6_TA-PROV(2009)0642 Drucksache 16/10666 Nr. A.7 Ratsdokument 12604/08 Drucksache 16/11517 Nr. A.23 Ausschuss für Bildung, Forschung und Ratsdokument 15950/08 Technikfolgenabschätzung Drucksache 16/11721 Nr. A.18 Drucksache 16/11517 Nr. A.34 Ratsdokument 17140/08 Ratsdokument 14906/08 Drucksache 16/11819 Nr. A.9 Drucksache 16/11721 Nr. A.31 Ratsdokument 17489/08 Ratsdokument 15980/08

Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 16/11517 Nr. A.24 Drucksache 16/11132 Nr. A.20 EuB-EP 1815; P6_TA-PROV(2008)0513 EuB-EP 1796; P6_TA-PROV(2008)0459

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