Stolpersteine 2A Rothg.Qxd
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Historischer Rundgang der SPD Wilmersdorf-Nord 2 Der Kiez zwischen Sächsische Straße und Spichernplatz 2 Einleitung Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Wohngebiet zwischen Sächsische Straße und Spichernplatz Im Mai 2008, 75 Jahre nach der Inge Deutschkron; Rudolf Breit- Zerschlagung der Gewerkschaften scheid und Heinrich Mann emi- durch die Nazis, nach den Bücher- grierten aus der Fasanenstraße verbrennungen und nach der und organisierten Widerstand aus Gründung des Exilvorstands der Paris; Berthold Brecht und Helene SPD in Prag, gingen wir auf Spu- Weigel lebten in der Spichernstra- rensuche in unserem Stadtteil. Im ße; Widerstandskreise des Militärs Mittelpunkt standen dabei die waren im ehemaligen Heeres- Schriftsteller und Menschen, die kommando in der Bundesallee tä- Widerstand geleistet haben, in- tig; andere besuchten zuvor das dem sie sich nicht in die gleichge- Joachimsthalsche Gymnasium; in schaltete Gesellschaft einfügten St. Ludwig predigte Bernhard Lich- oder schon vor dem 30. Januar tenberg; zwei Pfarrer der evangeli- 1933 aktiv waren, um die Herr- schen Kirche am Hohenzollern- schaft der Nationalsozialisten zu platz bekannten sich zur Beken- verhindern. In der Sächsischen nenden Kirche. Straße traf sich bei Elfriede Paul Auch an sie zu erinnern, verste- die Gruppe "Rote Kapelle"; Lisa hen wir als Verpflichtung für die Holländer versteckte über Jahre Gegenwart. Impressum Herausgeber: SPD Wilmersdorf-Nord, c/o SPD Charlottenburg-Wilmers- dorf, Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin, Mail: [email protected] Redaktion: Frank-Axel Dietrich, Monica Schümer-Strucksberg Gestaltung: Ulrich Horb Druck: SPD Berlin, Müllerstr. 163, 13353 Berlin 1. Auflage August 2017 Bestellungen: Diese Broschüre kann beim Herausgeber gegen eine Schutzgebühr von 1 Euro zzgl. Versandkosten oder kostenfrei digital be- stellt werden. Rundgang 2 3 Wir treffen uns nahe Fehrbelli- ner Platz in der Sächsischen Stra- ße. Sächsische Str. 26: 1 Lisa Holländer, „Gerechte unter den Völkern“ Wir erinnern an Lisa Holländer vor der Sächsischen Straße 26. Sie versteckte Inge Deutschkron (s. Rundgang 1) und ihre Mutter Ella vor den Nazis. Die Deutschkrons lebten seit 1942 im Untergrund, um der De- portation zu entgehen. Der Vater hatte nach England emigrieren können. „Meinen Mann haben die Nazis Sächsische Str. 26. Foto: thwulff umgebracht“, sagte die energische Lisa Holländer zu Inge Deutsch- onslager frei zu bekommen. Doch kron und ihrer Mutter Ella, „Ihr eines Tages erhielt sie seine blut- könnt bleiben, solange Ihr wollt.“ befleckte Hose mit der Mitteilung, „Uns schien das kaum glaub- ihr Mann sei an Herzversagen ver- lich. Wir hatten den Eindruck, als storben. Eine Rechnung über Be- kümmerte diese Frau die Gefahr stattungskosten lag bei. nicht, in die wir sie zwangsläufig Die Aus- und Eingänge des Ge- brachten", erinnert sich Inge bäudes in der Sächsischen Straße Deutschkron. 26 mit großem Ehrenhof waren Lisa war die Witwe von Paul unübersichtlich, so dass die Chan- Holländer, einem jüdischen Ex- cen, unbeachtet zu bleiben, recht portkaufmann, mit dem sie ein Le- gut waren. ben in Wohlstand geführt hatte. Als das Haus im Januar 1944 Nach seiner Verhaftung durch die zerstört wurde, trennten sich ihre Nazis hatte sie monatelang ver- Wege. Inge Deutschkron und ihre sucht, ihn aus dem Konzentrati- Mutter mussten ihre Odyssee 4 Rundgang 2 fortsetzen. Die Untergetauchten Sächsische Str. 63a: erlebten mithilfe vieler Freunde 2 Dr. Elfriede Paul das Kriegsende in Freiheit. Lisa Holländer setzte ihre Un- und die terstützung für Verfolgte und Ge- „Rote Kapelle“ fährdete fort. Sie wurde 1971 als „Gerechte unter den Völkern“ in Yad Vashem ausgezeichnet. (mehr dazu im Internet: www.db.yadvashem.org) Die Zeit bei Lisa Holländer hat Inge Deutschkron in ihrem Buch „Ich trug den gelben Stern“ ein- dringlich festgehal- ten. Ihre Das „Sächsische Palais“ heute. Erinnerun- Foto: Schümer gen dien- ten als Dr. Elfriede Paul geb. 14.01.1900 Grundlage in Köln, seit 1921 Mitglied der KPD, für das er- Studium der Medizin in Hamburg, folgreiche Wien und Berlin. 1934 Eröffnung Theater- ihrer internistischen Privatpraxis stück des hier in der Sächsischen Straße 63a, Grips-Theaters „Ab heute heißt Du Spezialisierung in Frauenheilkun- Sara“. Inge Deutschkron wurde de in der Spandauer Frauenklinik. 2008 in Berlin mit der Louise Hier fand sie Säle voller junger Schroeder-Medaille ausgezeich- Frauen vor, die zwangssterilisiert net. (siehe Rundgang 1) worden waren: Zigeunerinnen, Jü- dinnen und „Arierinnen“, die aus politischen Gründen als nicht Wir laufen die Sächsische Stra- würdig erachtet wurden, Kinder ße nach Norden, überqueren die zu bekommen. Düsseldorfer Straße und gehen Elfriede Paul, eingeführt von weiter bis zum Haus Nr. 63 a Kurt Schumacher, unterstützte Rundgang 2 5 seit 1937 die Widerstandsgruppe dorf und Landtagsabgeordnete „Rote Kapelle“ (der Harro Schulze- und Ministerin in Hannover. 1947 Boysen/Harnack-Organisation). siedelte sie nach Berlin (Ost) über. Die Gruppentreffen fanden als Sie starb 1981 in Ahrenshoop. „geselliges Beisammensein“ in ih- ren Praxisräumen hier in der Säch- Wir gehen weiter bis zur Pariser sischen Straße statt. Straße und biegen rechts ein bis Sie schildert dies in ihrem Erin- zum Eckgebäude an der Emser nerungsbuch „Ein Sprechzimmer Straße. der Roten Kapelle“ (1981). Die Widerstandsgruppe „Rote Pariser Str. 44: Kapelle“ arbeitete für eine schnel- 3 Centralverein le Beendigung des Zweiten Welt- deutscher Staats- kriegs und eine Verständigung bürger jüdischen mit der Sowjetunion, damit Deutsch-land nach Kriegsende als Glaubens unabhängiger Nationalstaat er- halten bleibe und eine Vermittler- rolle zwischen Ost und West ein- nehmen könne. Harro Schulze-Boysen erhielt aufgrund seiner Position im Luft- fahrtministerium Informationen über die deutsche Kriegsführung, die die Gruppe an die Sowjetunion weitergeben konnte. Nach dem 31.08.1942 wurde die Gruppe zer- schlagen. Über 60 Personen wur- Pariser Str. 44. Foto: Schümer den hingerichtet, darunter 19 Frauen. Ab 1923 residierte hier der Cen- Elfriede Paul selbst wurde vom tralverein deutscher Staatsbürger Berliner Reichskriegsgericht im jüdischen Glaubens bis zu seiner Februar 1943 zu einer sechsjähri- Auflösung nach der Progrom- gen Zuchthausstrafe verurteilt. Im nacht der Gestapo am 10. Novem- Zuchthaus Leipzig-Klein erlebte ber 1938. sie das Kriegsende. Der Centralverein deutscher Sie wurde Landärztin in Burg- Staatsbürger jüdischen Glaubens 6 Rundgang 2 wurde am 26. März 1893 in Berlin Der Zugang zu der hier geführ- als Reaktion auf den erstarkenden ten Buchhandlung war ab 1933 auf Antisemitismus im Kaiserreich Anweisung der Nationalsozialis- gegründet. Er repräsentierte die ten nur noch für Juden erlaubt. Mehrheit der assimilierten Juden Der Verlag musste seine Buchedi- in Deutschland und trat für deren tionen inhaltlich umstellen. Bürgerrechte, deren gesellschaftli- Der Widerstand des C.V. entwi- che Gleichstellung ein und den ckelte sich entsprechend der Ver- Kampf gegen jeglichen Antisemi- schärfung der Repressionen stär- tismus ein. ker hin zur Selbsthilfe. Ab 1922 gab der Centralverein Neben arbeitsrechtlichen Pro- die wöchentlich erscheinende blemen war der C.V. nun auch mit C.V.-Zeitung heraus. Zum Central- Hilfesuchenden konfrontiert, de- verein gehörte auch der Philo-Ver- nen Verhaftungen drohten oder lag, einer der einflussreichsten jü- die bereits inhaftiert wurden. dischen Verlage der Vorkriegszeit Die im Centralverein organi- u.a. auch mit Zeitschriften wie sierten Juden haben lange daran „Der Morgen“ und „Zeitschrift für geglaubt, sich in den nationalen die Geschichte der Juden in Erneuerungsprozess eingliedern Deutschland“. zu können. Die meisten Erfolge der Bera- tungsstellen wurden anfangs auf dem Weg direkter Fühlungnahme mit den örtlichen Behörden er- reicht. Aber je mehr die Regierungs- behörden gleichgeschaltet und die Beamtenschaft nazifiziert wurden, desto seltener konnten solche Kontakte aufgenommen werden. Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 stellten die Tätig- keit des C.V. unter neue Vorzei- chen. Illusionen über die Zukunft der Juden in Deutschland waren Universitätsbibliothek Senckenberg, spätestens dann nicht mehr mög- Frankfurt am Main lich. Rundgang 2 7 Dies wirkte sich vor allem auf das Jüdische Museum (damals Jü- die veränderte Einstellung zur dische Abteilung des Berlin Muse- Auswanderung aus. Die letzte um). Ausgabe der C.V.-Zeitung vom 03.11.1938 beschäftigt sich fast Wir überqueren die Pariser Str. ausschließlich mit der Emigration. und gehen zum Eckhaus Emser Nach den Novemberprogromen Straße 39 d direkt gegenüber. 1938 musste der C.V. schließen, der Philo-Verlag wurde aufgelöst, die Emser Str. 39d: C.V.-Zeitung musste ihr Erschei- nen einstellen. 4 Dr. Edith Jacobssohn und die Gruppe „Neu Beginnen“ Eine Berliner Gedenktafel erinnert an den Centralverein. Foto: Schümer Emser Straße 39 d. Foto: Schümer Die Mitglieder setzten ihre Hilfe im Untergrund fort. Das Jüdische Museum Berlin Dr. Edith Jacobssohn (später Ja- besitzt eine Vielzahl von Doku- cobson) geb.1897, Medizinstudium menten, Fotos und Veröffentli- in Jena, Heidelberg und München, chungen des Vereins. Der Ver- 1929 Eröffnung einer Nervenarzt- triebsleiter und Redakteur der praxis in Berlin. Sie wurde Mit- Centralverein-Zeitung, John F. Op- glied der Deutschen Psychoanaly- penheimer, emigrierte nach der tischen Gesellschaft. In Charlot- Auflösung des Vereins mit seiner tenburg arbeitete sie für die Bera- Frau Hertha in die USA. 1982 über- tungsstelle für