Historischer Rundgang der SPD Wilmersdorf-Nord 2

Der Kiez zwischen Sächsische Straße und Spichernplatz 2 Einleitung

Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Wohngebiet zwischen Sächsische Straße und Spichernplatz Im Mai 2008, 75 Jahre nach der Inge Deutschkron; Rudolf Breit- Zerschlagung der Gewerkschaften scheid und Heinrich Mann emi- durch die Nazis, nach den Bücher- grierten aus der Fasanenstraße verbrennungen und nach der und organisierten Widerstand aus Gründung des Exilvorstands der Paris; Berthold Brecht und Helene SPD in Prag, gingen wir auf Spu- Weigel lebten in der Spichernstra- rensuche in unserem Stadtteil. Im ße; Widerstandskreise des Militärs Mittelpunkt standen dabei die waren im ehemaligen Heeres- Schriftsteller und Menschen, die kommando in der Bundesallee tä- Widerstand geleistet haben, in- tig; andere besuchten zuvor das dem sie sich nicht in die gleichge- Joachimsthalsche Gymnasium; in schaltete Gesellschaft einfügten St. Ludwig predigte Bernhard Lich- oder schon vor dem 30. Januar tenberg; zwei Pfarrer der evangeli- 1933 aktiv waren, um die Herr- schen Kirche am Hohenzollern- schaft der Nationalsozialisten zu platz bekannten sich zur Beken- verhindern. In der Sächsischen nenden Kirche. Straße traf sich bei Elfriede Paul Auch an sie zu erinnern, verste- die Gruppe "Rote Kapelle"; Lisa hen wir als Verpflichtung für die Holländer versteckte über Jahre Gegenwart.

Impressum Herausgeber: SPD Wilmersdorf-Nord, c/o SPD Charlottenburg-Wilmers- dorf, Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin, Mail: [email protected] Redaktion: Frank-Axel Dietrich, Monica Schümer-Strucksberg Gestaltung: Ulrich Horb Druck: SPD Berlin, Müllerstr. 163, 13353 Berlin 1. Auflage August 2017

Bestellungen: Diese Broschüre kann beim Herausgeber gegen eine Schutzgebühr von 1 Euro zzgl. Versandkosten oder kostenfrei digital be- stellt werden. Rundgang 2 3

Wir treffen uns nahe Fehrbelli- ner Platz in der Sächsischen Stra- ße. Sächsische Str. 26: 1 Lisa Holländer, „Gerechte unter den Völkern“

Wir erinnern an Lisa Holländer vor der Sächsischen Straße 26. Sie versteckte Inge Deutschkron (s. Rundgang 1) und ihre Mutter Ella vor den Nazis. Die Deutschkrons lebten seit 1942 im Untergrund, um der De- portation zu entgehen. Der Vater hatte nach England emigrieren können. „Meinen Mann haben die Nazis Sächsische Str. 26. Foto: thwulff umgebracht“, sagte die energische Lisa Holländer zu Inge Deutsch- onslager frei zu bekommen. Doch kron und ihrer Mutter Ella, „Ihr eines Tages erhielt sie seine blut- könnt bleiben, solange Ihr wollt.“ befleckte Hose mit der Mitteilung, „Uns schien das kaum glaub- ihr Mann sei an Herzversagen ver- lich. Wir hatten den Eindruck, als storben. Eine Rechnung über Be- kümmerte diese Frau die Gefahr stattungskosten lag bei. nicht, in die wir sie zwangsläufig Die Aus- und Eingänge des Ge- brachten", erinnert sich Inge bäudes in der Sächsischen Straße Deutschkron. 26 mit großem Ehrenhof waren Lisa war die Witwe von Paul unübersichtlich, so dass die Chan- Holländer, einem jüdischen Ex- cen, unbeachtet zu bleiben, recht portkaufmann, mit dem sie ein Le- gut waren. ben in Wohlstand geführt hatte. Als das Haus im Januar 1944 Nach seiner Verhaftung durch die zerstört wurde, trennten sich ihre Nazis hatte sie monatelang ver- Wege. Inge Deutschkron und ihre sucht, ihn aus dem Konzentrati- Mutter mussten ihre Odyssee 4 Rundgang 2 fortsetzen. Die Untergetauchten Sächsische Str. 63a: erlebten mithilfe vieler Freunde 2 Dr. Elfriede Paul das Kriegsende in Freiheit. Lisa Holländer setzte ihre Un- und die terstützung für Verfolgte und Ge- „Rote Kapelle“ fährdete fort. Sie wurde 1971 als „Gerechte unter den Völkern“ in Yad Vashem ausgezeichnet. (mehr dazu im Internet: www.db.yadvashem.org)

Die Zeit bei Lisa Holländer hat Inge Deutschkron in ihrem Buch „Ich trug den gelben Stern“ ein- dringlich festgehal- ten. Ihre Das „Sächsische Palais“ heute. Erinnerun- Foto: Schümer gen dien- ten als Dr. Elfriede Paul geb. 14.01.1900 Grundlage in Köln, seit 1921 Mitglied der KPD, für das er- Studium der Medizin in Hamburg, folgreiche Wien und Berlin. 1934 Eröffnung Theater- ihrer internistischen Privatpraxis stück des hier in der Sächsischen Straße 63a, Grips-Theaters „Ab heute heißt Du Spezialisierung in Frauenheilkun- Sara“. Inge Deutschkron wurde de in der Spandauer Frauenklinik. 2008 in Berlin mit der Louise Hier fand sie Säle voller junger Schroeder-Medaille ausgezeich- Frauen vor, die zwangssterilisiert net. (siehe Rundgang 1) worden waren: Zigeunerinnen, Jü- dinnen und „Arierinnen“, die aus politischen Gründen als nicht Wir laufen die Sächsische Stra- würdig erachtet wurden, Kinder ße nach Norden, überqueren die zu bekommen. Düsseldorfer Straße und gehen Elfriede Paul, eingeführt von weiter bis zum Haus Nr. 63 a Kurt Schumacher, unterstützte Rundgang 2 5 seit 1937 die Widerstandsgruppe dorf und Landtagsabgeordnete „Rote Kapelle“ (der Harro Schulze- und Ministerin in Hannover. 1947 Boysen/Harnack-Organisation). siedelte sie nach Berlin (Ost) über. Die Gruppentreffen fanden als Sie starb 1981 in Ahrenshoop. „geselliges Beisammensein“ in ih- ren Praxisräumen hier in der Säch- Wir gehen weiter bis zur Pariser sischen Straße statt. Straße und biegen rechts ein bis Sie schildert dies in ihrem Erin- zum Eckgebäude an der Emser nerungsbuch „Ein Sprechzimmer Straße. der Roten Kapelle“ (1981).

Die Widerstandsgruppe „Rote Pariser Str. 44: Kapelle“ arbeitete für eine schnel- 3 Centralverein le Beendigung des Zweiten Welt- deutscher Staats- kriegs und eine Verständigung bürger jüdischen mit der Sowjetunion, damit Deutsch-land nach Kriegsende als Glaubens unabhängiger Nationalstaat er- halten bleibe und eine Vermittler- rolle zwischen Ost und West ein- nehmen könne. Harro Schulze-Boysen erhielt aufgrund seiner Position im Luft- fahrtministerium Informationen über die deutsche Kriegsführung, die die Gruppe an die Sowjetunion weitergeben konnte. Nach dem 31.08.1942 wurde die Gruppe zer- schlagen. Über 60 Personen wur- Pariser Str. 44. Foto: Schümer den hingerichtet, darunter 19 Frauen. Ab 1923 residierte hier der Cen- Elfriede Paul selbst wurde vom tralverein deutscher Staatsbürger Berliner Reichskriegsgericht im jüdischen Glaubens bis zu seiner Februar 1943 zu einer sechsjähri- Auflösung nach der Progrom- gen Zuchthausstrafe verurteilt. Im nacht der am 10. Novem- Zuchthaus -Klein erlebte ber 1938. sie das Kriegsende. Der Centralverein deutscher Sie wurde Landärztin in Burg- Staatsbürger jüdischen Glaubens 6 Rundgang 2 wurde am 26. März 1893 in Berlin Der Zugang zu der hier geführ- als Reaktion auf den erstarkenden ten Buchhandlung war ab 1933 auf Antisemitismus im Kaiserreich Anweisung der Nationalsozialis- gegründet. Er repräsentierte die ten nur noch für Juden erlaubt. Mehrheit der assimilierten Juden Der Verlag musste seine Buchedi- in Deutschland und trat für deren tionen inhaltlich umstellen. Bürgerrechte, deren gesellschaftli- Der Widerstand des C.V. entwi- che Gleichstellung ein und den ckelte sich entsprechend der Ver- Kampf gegen jeglichen Antisemi- schärfung der Repressionen stär- tismus ein. ker hin zur Selbsthilfe. Ab 1922 gab der Centralverein Neben arbeitsrechtlichen Pro- die wöchentlich erscheinende blemen war der C.V. nun auch mit C.V.-Zeitung heraus. Zum Central- Hilfesuchenden konfrontiert, de- verein gehörte auch der Philo-Ver- nen Verhaftungen drohten oder lag, einer der einflussreichsten jü- die bereits inhaftiert wurden. dischen Verlage der Vorkriegszeit Die im Centralverein organi- u.a. auch mit Zeitschriften wie sierten Juden haben lange daran „Der Morgen“ und „Zeitschrift für geglaubt, sich in den nationalen die Geschichte der Juden in Erneuerungsprozess eingliedern Deutschland“. zu können. Die meisten Erfolge der Bera- tungsstellen wurden anfangs auf dem Weg direkter Fühlungnahme mit den örtlichen Behörden er- reicht. Aber je mehr die Regierungs- behörden gleichgeschaltet und die Beamtenschaft nazifiziert wurden, desto seltener konnten solche Kontakte aufgenommen werden. Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 stellten die Tätig- keit des C.V. unter neue Vorzei- chen. Illusionen über die Zukunft der Juden in Deutschland waren Universitätsbibliothek Senckenberg, spätestens dann nicht mehr mög- Frankfurt am Main lich. Rundgang 2 7

Dies wirkte sich vor allem auf das Jüdische Museum (damals Jü- die veränderte Einstellung zur dische Abteilung des Berlin Muse- Auswanderung aus. Die letzte um). Ausgabe der C.V.-Zeitung vom 03.11.1938 beschäftigt sich fast Wir überqueren die Pariser Str. ausschließlich mit der Emigration. und gehen zum Eckhaus Emser Nach den Novemberprogromen Straße 39 d direkt gegenüber. 1938 musste der C.V. schließen, der Philo-Verlag wurde aufgelöst, die Emser Str. 39d: C.V.-Zeitung musste ihr Erschei- nen einstellen. 4 Dr. Edith Jacobssohn und die Gruppe „Neu Beginnen“

Eine Berliner Gedenktafel erinnert an den Centralverein. Foto: Schümer Emser Straße 39 d. Foto: Schümer Die Mitglieder setzten ihre Hilfe im Untergrund fort. Das Jüdische Museum Berlin Dr. Edith Jacobssohn (später Ja- besitzt eine Vielzahl von Doku- cobson) geb.1897, Medizinstudium menten, Fotos und Veröffentli- in Jena, Heidelberg und München, chungen des Vereins. Der Ver- 1929 Eröffnung einer Nervenarzt- triebsleiter und Redakteur der praxis in Berlin. Sie wurde Mit- Centralverein-Zeitung, John F. Op- glied der Deutschen Psychoanaly- penheimer, emigrierte nach der tischen Gesellschaft. In Charlot- Auflösung des Vereins mit seiner tenburg arbeitete sie für die Bera- Frau Hertha in die USA. 1982 über- tungsstelle für Jugendliche. gaben sie ihre Sammlungen an Sie war sich als Jüdin ihrer Ge- 8 Rundgang 2 fährdung bewusst. Trotzdem blieb Prag in die USA. Ihre Studie „Be- sie nach Hitlers Machtergreifung trachtung über physische und 1933 zunächst in Berlin. Sie behan- psychische Hafteinwirkungen“ delte bis 1935 Nazigegner und un- wurde 2015 als „Gefängnisauf- terstützte die sozialistische Wider- zeichnungen“ veröffentlicht. standsgruppe „Neu Beginnen“ in Dr. Jacobson wurde in ihrer ihrer Arbeit gegen den National- späteren Arbeit bekannt durchih- sozialismus. Sie stellte ihre Woh- re weiteren Klassiker der Psycho- nung hier für konspirative Treffen analyse. zur Verfügung und schickte Be- Sie starb 1978 in Rochester im richte nach Prag. Bundesstaat New York. Im April 2005 wurde hier eine Als die Ge- Gedenktafel in der Reihe „Freud in heimpolizei in Berlin“ angebracht. einer Gruppen- (wikipedia.org/wiki/Edith Ja- kartei Hinweise cobson ) auf Edith Jacob- son und ihre Tarnnamen „Neu Beginnen“ fand, wurde sie 1936 verhaftet. Die Gruppe „Neu Beginnen“, Foto: cdn.thin- Das Kammer- war schon vor der Ausrufung des glink.me/api/image gericht verur- Dritten Reiches als ein Zusam- teilte Jacobson menschluss von politisch aktiven, zu einer Zucht- kritischen Menschen aus der Ar- hausstrafe von beiterbewegung tätig. Sie setzte zweieinviertel sich mit der tiefgreifenden Spal- Jahren. tung der Bewegung auseinander- In der Haft und suchte Wege, sie zu überwin- erkrankte Edith den. Jacobson so Die Mitglieder waren sich dabei schwer, dass sie schon früh bewusst, dass sich ein Hafturlaub für faschistisches System lange als ei- eine Klinikbe- ne Diktatur halten würde, wenn Gefängnisaufzeich- handlung er- es erst einmal zur Macht käme, nungen, erschienen hielt. Ihr gelang dass man sich infolgedessen auf im Psychosozial- die Flucht über eine lange Zeit der Illegalität vor- verlag, Gießen München und bereiten müsse. Rundgang 2 9

Nach der tatsächlichen Macht- übernahme der Nazis mündete die Arbeit von „Neu Beginnen“ in die Erarbeitung von Grundlagen für ein nach-nationalsozialisti- sches Deutschland, in die Schu- lung von Personen für diese Zeit und die Sicherung von deren Emi- gration. Dies waren wichtige Vo- raussetzungen für den Wiederauf- bau eines demokratischen Foto: Schümer Deutschland nach 1945. Ohne sie hätte nach dem Krieg z.B. die dienst zelebrierte. Geboren 1875 in Hochschule für Politik in Berlin Ohlau, Schlesien, Studium der (später Otto-Suhr-Institut der FU) Theologie in Innsbruck und Bres- nicht so zügig ihre Arbeit wieder lau, 1899 Priesterweihe. Ein Jahr aufnehmen können. später kam er nach Berlin und (siehe Richard Löwenthal: Die wurde 1913 Pfarrer der Herz-Jesu- Widerstandgruppe „Neu Begin- Gemeinde in Charlottenburg. nen“, Beiträge zum Widerstand Lichtenberg sah die Notwen- 1933-1945, Heft 20, Gedenkstätte digkeit, sich einer Gruppierung Deutscher Widerstand Berlin, anzuschließen, um die Interessen 2001) der drangsalierten Katholiken auch politisch durchsetzen zu kön- Wir begeben uns quer über die nen. Er wurde deshalb Mitglied Straße zur Grünanlage der Kirche der Zentrumspartei und bis 1931 St. Ludwig. Stadtverordneter in Wilmersdorf. Sein Einsatz gegen die Wieder- belebung des Militarismus stellte St. Ludwig: einen Gegensatz zu den aufkom- 5 Pfarrer Bernhard menden Nationalsozialisten dar, deren Hauptvertreter der Bezirks- Lichtenberg verordnete Dr. Joseph Goebbels war. Einer der Katholiken im öffent- Bernhard Lichtenbergs half Be- lich wahrnehmbaren Widerstand drohten und Verfolgten ganz kon- war Bernhard Lichtenberg, der kret. Und er ging in die Öffentlich- 1937 in dieser Kirche den Gottes- keit. 10 Rundgang 2

verletzungen. (Quelle: Yad Vas- hem: The Righteous Among the World) Nach den Novemberprogro- men 1938 wandte er sich öffent- lich gegen nationalsozialistische Brutalität und schloss täglich be- kennende Juden und jüdische Christen in seine Kanzel-Gebete ein. Zwischen 1933 und 1941 wurde er mindestens siebenmal von der Gestapo vorgeladen. Mitte Oktober 1941 fand Lich- tenberg ein gedrucktes Flugblatt des Propagandaministeriums an alle Haushalte auf seinem Schreibtisch, das übelste Hetze ge- gen die Juden enthielt. Er be- Bernhard Lichtenberg. Foto: Sammlung schloss, gegen den Inhalt dieses Yad Vashem Blattes innerhalb seiner Gemein- de Stellung zu nehmen. Zu diesem Zweck verfasste er eine „Kanzel- Schon 1931 lud er die Katholiken vermeldung“, konnte sie aber zu einer Vorführung des Films "Im nicht mehr verbreiten, er wurde Westen nichts Neues" (zum Buch noch am 23. Oktober 1941 festge- von Erich Maria Remarque) ein. nommen. Goeb-bels reagiert sofort heftig. In der Haft verschlechterte sich Seit 1932 in der St. Hedwigs-Ka- sein Gesundheitszustand. Trotz- thedrale arrangierte Lichtenberg dem bat er aus der Haft heraus um z.B. ein überkonfessionelles Tref- seine Verlegung ins Lager Lodz, fen mit jüdischen Vertretern und um dort Beistand zu leisten. Dies Vertretern der protestantischen wurde ihm nicht „gewährt“, er Be-kennenden Kirche ein. wurde stattdessen Ende Oktober Am 18. Juli 1936 überreichte er 1943 in Richtung Dachau abtrans- im Büro des preußischen Minis- portiert. Auf dem Weg dorthin terpräsidenten Göring ein Protest- verstarb er am 5. November 1943. schreiben gegen Menschenrechts- Am 7. Juli 2004 wurde ihm der Rundgang 2 11

der Pariser Str. 14a / Ecke Uhland- straße geboren. 1927 heiratete sie den Reichs- tagsabgeordneten der SPD Julius Leber, geb. 1891 im Elsass. Nach ei- nem Mordanschlag auf ihn wurde er gleich nach Hitlers Machter- greifung am 31.01.1933 verhaftet und erst 1937 aus dem Konzentra- tionslager Oranienburg-Sachsen- hausen entlassen. Annedore Leber sorgte neben Halle der Gerechten der Welt in Yad Vashem. Foto: David Shankbone, CC BY-SA ihren politischen Aktivitäten für 3.0, https://commons.wikimedia.org/ das Überleben der Familie. w/index.php?curid=3271889 Die Kohlenhandlung, in der Ju- lius Leber nach seiner KZ-Entlas- Ehrentitel „Gerechter unter den sung arbeitete, diente auch der Völkern“ durch die Israelische Ho- Tarnung für Widerstandsaktivitä- locaust-Gedenkstätte YAD VAS- ten der Eheleute. Julius und Anne- HEM zuerkannt.

Wir gehen rechts an der Kirche vorbei über den Ludwigkirchplatz in die Pariser Str., die sich auf der rechten Seite an den Platz an- schließt, bis über die Uhlandstra- ße zum Eckhaus auf der linken Seite. Pariser Straße 14a 6 (heute: Uhlandstr. 150a): Annedore und Julius Leber

Annedore Leber geborene Ro- Uhlandstr. 150a (ehem. Pariser Str. 14a) senthal wurde am 18.03.1904 in Foto: Schümer 12 Rundgang 2 dore Leber hielten engen Kontakt Julius Leber im Oktober 1944 zum zur Widerstandsgruppe des Kreis- Tode. Bemühungen von Annedore auer Kreises (mehr zum Kreisauer Leber, die Hinrichtung ihres Man- Kreis siehe Rundgang 1) und betei- nes bis zum Ende der Nazidiktatur ligten sich an den Vorbereitungen hinauszuzögern und dadurch zu auf das Hitler-Attentat vom 20. Ju- verhindern, scheiterten. li 1944. Julius Leber wurde im Januar Julius Leber wurde jedoch be- 1945 in Plötzensee hingerichtet. Annedore Leber blieb mit den Kin- dern in Berlin, wurde in der Nach- kriegszeit eine kämpferische Sozi- aldemokratin und beeindrucken- de Politikerin. Nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED, erkläre sie ihren Austritt und trat in die neu gegründete Westzonen-SPD ein, für die sie in die Stadtverord- neten-versammlung geschickt wur-de. Ihre publizistische Arbeit führte sie zur Lizenzträgerin des Telegraf und zur Gründung des Mosaikver- lags, der den Widerstand in der Diese Erinnerungstafel für Annedore Leber befindet sich auf der Fahrbahnseite in NS-Zeit insbesondere mit Wider- Höhe der Verbindungskante Haus 14 und standsbiografien (zusammenge- Uhlandstr. 150A. Foto: Schümer tragen mit Willy Brandt und Karl- Dietrich Bracher) bekannt machte. reits Anfang Juli 1944 erneut ver- Ihre weiteren Lebens-Statio- haftet und Annedore Leber von nen: Bezirksverordnete in Zehlen- August bis September 1944 in dorf, Vorstandsmitglied der Ge- Moabit inhaftiert. Die Kinder Ka- sellschaft für Christlich-Jüdische tharina und Matthias Leber ka- Zusammenarbeit, Delegierte der men in das Kinderheim Bad Sach- Beratenden Versammlung des Eu- sa am Harz. Hier wurden auch die roparats, Mitglied der Deutschen Kinder der Hitler-Attentäter inter- Unesco-Kommission. niert. Ihr Ehrengrab liegt auf dem Der Volksgerichtshof verurteilte Waldfriedhof Zehlendorf. Rundgang 2 13

Wir gehen die Pariser Str. wei- Sie bearbeitete alle Themen der ter geradeaus, überqueren die Fa- Frauenfrage und Gleichberechti- sanenstraße bis zum Haus Pariser gung. Frauen hatten um 1900 kei- Str.58 auf der rechten Straßensei- ne Versammlungsfreiheit und te. kein Wahlrecht, die Debatten um diese Fragen fanden in Verei-nen Pariser Straße 58: und auf Kongressen statt. Erst die Bundesrepublik Deutschland re- 7 Regine Deutsch gelte 1957 die Rechte der Frau mit dem Gleichberechtigungsgesetz. Regine Deutsch redigierte wäh- rend vieler Jahre die Zeitschrift „Ernstes Wollen“ (später „Deut- sche Kultur“ genannt), in der sie schon 1901 die Dienstbotenfrage thematisierte. Sie war zu dieser Zeit eine der ersten drei weibli- chen Armenpflegerinnen in Berlin (heute würde man von Sozialar- beiterin sprechen). Sie wollte die Lage der Dienstbotinnen verbes- sern. Die Pariser Str. 58: heute noch eine Lücke Während des Ersten Weltkrie- mit Flachbau. Foto: Schümer ges organisierte Regine Deutsch den Nationalen Frauendienst in Regine Deutsch wurde am Wilmersdorf. Für ihre Dienste er- 01.03.1860 in Berlin als Tochter ei- hielt sie das Ehrenzeichen für nes jüdischen Bankiers geboren. Kriegsarbeit. Sie wurde eine namhafte Frauen- In eifriger journalistischer Ar- rechtlerin. beit protokollierte sie die wich- Sie war 1922-25 Stadtverordnete tigsten Ereignisse und Fortschrit- Großberlins für die Deutsche De- te. Sie wurde 1935 aus der Reichs- mokratische Partei (DDP) und seit schrifttumskammer ausgeschlos- 1925-1933 Bezirksverordnete in sen und geriet durch die Wil-mersdorf, Vorstandsmitglied nationalsozialistische Verfolgung der DDP (der auch Theodor Heuss völlig in Vergessenheit: Ihr weite- angehörte) und verschiedener rer Lebensweg ist bisher unbe- Berliner Frauenverbände. kannt und ihr Schicksal ungeklärt. 14 Rundgang 2

Wir gehen zurück in die Fasa- rische Erfahrungen als Berliner nenstraße auf der rechten Seite. Stadtverordneter. Die Unterstützung der kaiserli- chen Kolonialpolitik und die Aus- Fasanenstraße 58: grenzung gewählter Vertreter der 6 Rudolf Breitscheid SPD waren die Themen, die zum Bruch Breitscheids mit den Libera- len führten. Er trat 1912 der SPD bei. 1916 wurde er Chefredakteur bei der pazifistischen Zeitschrift „Sozialistische Auslandpolitik“ und trat als entschiedener Gegner der sog. Burgfriedenspolitik 1917 der USPD bei. 1918/19 wurde er im Rahmen der Novemberrevolution in der ersten vorläufigen Regie- rung in Preußen Innenminister

Fasanenstr. 58. Foto: Schümer

Dr. Rudolf Breitscheid lebte in diesem Hause von 1904 bis 1932. Gedenktafel für Rudolf Breitscheid. Geboren am 12.11.1874 in ein bil- Foto: Schümer dungsbürgerliches Elternhaus, war er zunächst beruflich als Re- und wurde 1920 bei der Reichs- dakteur verschiedener rechtslibe- tagswahl für die USPD ins Parla- raler Zeitschriften tätig. ment gewählt. Er engagierte sich in verschie- 1922 - nach der Vereinigung von densten linksliberalen Gruppen USPD und SPD - wurde Breitscheid und sammelte erste parlamenta- außenpolitischer Sprecher der Rundgang 2 15

schen Politikern beteiligt er sich an den Besprechungen des von der KPD initiierten Volksfrontaus- schusses, dem Heinrich Mann vor- steht. Gemeinsam unterzeichnet dieser Kreis eine Protesterklärung gegen die Hinrichtung des Rote Hilfe-Funktionärs Rudolf Claus im Dezember 1935 in Deutschland. Am 2.2.1936 traf sich auf Einla- dung des Schriftstellers Heinrich Mann in Paris die erste größere so genannte Volksfrontkonferenz mit 118 Teilnehmern. An dieser Versammlung nahmen neben Kommunisten auch Rudolf Breit- scheid und andere Organisations- vertreter wie etwa Willy Brandt teil. Rudolf Breitscheid. Foto: Archiv der Im Ergebnis dieser Konferenz Sozialen Demokratie, Friedrich Ebert- wurde ein Appell verabschiedet Stiftung und die Bildung eines gemeinsa- men Flüchtlingskomitees be- SPD-Reichstagsfraktion und 1928 schlossen. Dauerhaft wurde eine gemeinsam mit Wilhelm Ditt- Publikation - die so genannten mann und Otto Wels einer von Deutschen Informationen - he- drei gleichberechtigten Vorsitzen- rausgegeben, die Nachrichten den. 1931 wurde er in den Partei- über die Kriegsvorbereitungen vorstand gewählt. des Hitler-Regimes beinhalten. Im März 1933 flieht er mit seiner Ein weiterer Ausschuss unter Frau Tony in die Schweiz und von Vorsitz von Heinrich Mann, an dort im August nach Paris. Er hält dem auch Breitscheid beteiligt Verbindungen zur Exilorganisati- war, wurde gebildet, um eine on der SPD, unternimmt Aus- Plattform zur Sammlung der Op- landsreisen und schreibt für ver- positionsgruppen auszuarbeiten. schiedene sozialistische Zeitun- Dieser Ausschuss rief in einer gen in West- und Mitteleuropa. Kundgebung an das deutsche Volk Mit anderen sozialdemokrati- die einzelnen Parteien und Grup- 16 Rundgang 2 pierungen auf, sich „unter Ach- Fasanenstr. 61: tung ihrer jeweiligen Sonderziele 7 Heinrich Mann für die Wiederherstellung der ele- mentarsten Menschenrechte in Deutschland zu vereinen“. Heinrich Mann, geboren 1871, Die „jeweiligen Sonderziele“ als ältester Sohn einer Lübecker machten eine engere Vereini- Kaufmannsfamilie, lebte seit 1893 gung zunehmend unmöglich. in München. 1904 entstand sein Breitscheid erreichte es im Sep- wohl bekanntestes Werk „Prof. tember 1938 noch, dass die Zen- Unrat“, das durch die sehr erfolg- tralvereinigung Deutscher Emig- reiche Verfilmung unter dem Titel ranten vom Völkerbund als offi- „Der blaue Engel“, 1930, Weltruhm zielle Vertretung der deutschen erlangte. 1890 bis 92 lernte er als Flüchtlinge anerkannt wurde. ca. 20jähriger Volontär beim S. Fi- Nach dem deutschen Angriff scher Verlag Berlin kennen. Nach auf Frankreich floh Breitscheid ins einem Aufenthalt in München unbesetzte Marseille. Er wurde je- kam er Ende der zwanziger Jahre doch von der Vichy-Regierung zum zweiten Mal nach Berlin.Er verhaftet und an die geheime Staatspolizei ausgeliefert. Nach Haft in einem Berliner Gefängnis wird Breitscheid mit seiner Frau in das KZ Sachsenhausen und von dort 1943 in das KZ Buchenwald überführt. Am 24.08.1944 starb Rudolf Breitscheid in Buchenwald.

Wir passieren das Haus Nr. 60 vorbei an Stolpersteinen für Lud- wig Baruch, Slata Gulko, Jacob Gulko, Marita Lachmann,Gerhard Silbermann, Josef Silbermann, Al- betine Soldin, Adolf Zucka und Helene Konicki, die Anfang der 40er Jahre von hier deportiert und Heinrich Manns Buch „Der Untertan“. ermordet wurden. Foto: Schümer Rundgang 2 17 hatte zunächst viele wechselnde Wohnsitze und bezog nach seiner Wahl zum Präsidenten der Sektion Dichtkunst der „Preußischen Aka- demie der Künste“ 1932 die Woh- nung Fasanenstraße 61. Im Freundeskreis berieten im Februar 1933 Heinrich Mann, Bert Brecht, Johannes R. Becher und an- dere Schriftsteller bei Bernhard von Brentano in der Schaperstra- ße 22, was nach der Machtergrei- fung zu tun sei. Nur wenige Tage später erhielt Heinrich Mann jedoch vom fran- zösischen Botschafter den drin- genden Hinweis, Deutschland zu verlassen. Es sei beabsichtigt ihm - der jahrelang für ein Volksfront-

Biographie über Heinrich Mann. Foto: S.Fischer Verlag Deutschland und ging nach Frankreich. Dort bemühte er sich weiter um ein übergreifendes Bündnis gegen die Nazis u.a. in Pa- ris im Volksfrontausschuss - wir hörten davon bei Breitscheid. Vor der deutschen Besetzung Frankreichs floh Mann mit seiner Gedenktafel für Heinrich Mann. Ehefrau Nelly in die USA. Foto: Schümer Nach dem 2. Weltkrieg wurde er 1949 zum Präsidenten der Akade- bündnis der linken Parteien und mie der Künste in Ostberlin ge- aller Demokraten gegen die Nazis wählt, verstarb jedoch 1950 in den geworben hatte - den Reisepass USA, bevor er die geplante Rück- abzunehmen. kehr nach Deutschland in die DDR Heinrich Mann verließ realisieren konnte. 18 Rundgang 2

In den Zeiten des kalten Krieges „Der Beginn der Barbarei in wurde Heinrich Mann in der Bun- Deutschland“ zieht er endgültig desrepublik nicht zur Kenntnis ge- den Hass der Nationalsozialisten nommen. Sein bekanntes Werk auf sich, seine Bücher werden ver- „Henri Quatre“ erschien hier erst brannt. 1958. In seiner Wohnung versam- Seit 1961 befindet sich sein Grab meln sich die widerständigen auf dem Dorotheenstädtischen Schriftsteller-Freunde (s. vorher Friedhof. bei Heinrich Mann). 1933 emi- griert er in die Schweiz und kehrt Wir überqueren den Fasanen- erst 1949 nach Deutschland (Wies- platz, an dem sich ein Neubau baden) zurück. Sehr bekannt wird (Eingang Fasanenstraße) befindet. er mit seinem 1936 vollendeten Hier stand das Haus Schaperstr. 22 Roman „Theodor Schindler“, „ei- ner Deutschen Familie“ „im Zu- sammenbruch des Wilhelmini- Schaperstr. 22: schen Kaiserreichs“ (so seine Re- 8 zensenten). Bernhard von (siehe seine umfangreiche Brentano Werkliste bei wikipedia)

1901 in eine Politiker- und Wir gehen weiter bis zur Bun- Schriftsteller-Familie in Offen- desallee und biegen rechts ein zur bach geboren, 1964 in Wiesbaden Bundesallee (ehemals Kaiserallee) gestorben. Er studiert Philosophie 1-3 in Freiburg, München und Berlin, wird 1920 Mitglied des P-E.N. Bundesallee 1 - 3: 1925-1930 arbeitet er in Berlin für das Feuilleton der Frankfurter 9 Ehemaliges Zeitung und wird Mitglied im Joachimsthalsches Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Gymnasium Er wertet Berichte aus dem 1. Weltkrieg aus und kritisiert 1929 Dieses Gebäude beherbergte in seinem Essay „Über den Ernst zwischen 1880 und 1912 das Joa- des Lebens“ massiv die öffentliche chimsthalsche Gymnasium, ein Verherrlichung des Krieges. Mit Elitegymnasium, das Schüler aus seinem 1932 veröffentlichten Buch ganz Deutschland anzog. Auch die Rundgang 2 19

Erwin Planck, geb. 1893 in Berlin als viertes Kind des Physikers Max Planck, Abitur hier 1911, anschlie- ßend als Offizier Teilnahme am Ersten Weltkrieg. Im Generalstab tätig lernte er dort den späteren Reichskanzler Kurt von Schleicher kennen. 1920 holte Schleicher Planck ins Reichswehrministerium. Er wurde Das frühere Joachimsthlsche Gymnasium einer der profiliertesten politi- gehört heute zur Universität der Künste. schen Beamten der Weimarer Re- Foto: thwulff publik, als Regierungsrat in der Reichskanzlei, 1930 Referent des drei späteren Widerstandsaktivis- Reichskanzlers Brüning, 1932 ten Ernst von Harnack, Paul von Staatssekretär unter Franz von Pa- Hase und Erwin Planck wurden pen und später unter Kurt von hier ausgebildet. Schleicher. In dieser einflussreichen Positi- on spielte Planck hinter den Kulis- Erwin Planck sen eine unrühmliche Rolle bei der Zerstörung demokratischer Struk- An dieser Stelle möchten wir turen der Republik: Er war maß- uns vor allem auf das Schicksal Er- geblich an der Vorbereitung und win Plancks beschränken. Den- Ausführung des Staatsstreichs ge- noch sei hier auch an Ernst von gen die preußische Regierung be- Harnack und Paul von Hase erin- teiligt. nert, die im Zusammenhang mit Er verkannte die Gefährlichkeit dem versuchten Staatsstreich ge- der Nationalsozialisten. gen das NS-Regime zum Tode ver- Am Tag der Ernennung Hit-lers urteilt und hingerichtet wurden: zum Reichskanzler schied Planck Harnack als Mitwisser der Ver- auf eigenen Wunsch aus dem schwörer, Paul von Hase als Stadt- Staatsdienst. Die Ermordung sei- kommandant von Berlin, der am nes Freundes Kurt von Schleicher 20. Juli 1944 den Befehl gab, das während des sogenannten Röhm- Regierungsviertel abzuriegeln Putsches 1934 nahm er zum An- und Reichspropagandaminister lass, Widerstand gegen das Hitler- Joseph Goebbels zu verhaften. Regime zu entwickeln. Planck war 20 Rundgang 2

Das verzweifelte Gnadenge- such des 86jährigen Nobelpreis- trägers Max Planck an Adolf Hit- ler, das Leben seines Sohnes zu schonen, blieb vergebens. Erwin Planck wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet.

Wir überqueren die Bundesal- lee und begeben uns zum Bundes- haus.

Bundesallee 216- 10 218: Das Bundeshaus Gedenktafel am ehemaligen Joachimsthalschen Gymnasium. Foto:thwulff Wir befinden uns vor dem soge- nannten Bundeshaus, heute das zwar kein überzeugter Demokrat, Bundesministerium des Innern, aber bestrebt, seine politischen das 1895 an der damaligen Kaiser- Irrtümer der Vergangenheit zu allee als Verwaltungsgebäude für korrigieren. Es folgten Versuche, die Königlich Preußische Artille- den Oberbefehlshaber des Heeres, rie-Prüfungs-Kommission eröff- General von Fritsch, für den Wi- net wurde. derstand zu gewinnen, und die Auch im Dritten Reich waren Mitarbeit an dem Entwurf einer hier militärische Einrichtungen neuen Nachkriegsverfassung in angesiedelt. So befand sich hier der Widerstandsgruppe um Carl das Gruppenkommando 1 des Friedrich Goerdeler. Heeres. Über die Staatsstreichpläne un- In diesem Gebäude wurden so- terrichtet, wurde er nach dem wohl der Einmarsch in die Sude- Scheitern am 23.07.44 von der Ge- tengebiete als auch der Krieg ge- stapo verhaftet und drei Monate gen Polen maßgeblich vorbereitet. später vom Volksgerichtshof zum Während des Zweiten Weltkrieges Tode verurteilt. arbeiteten hier mit den beiden Of- Rundgang 2 21

Bundeshaus an der Bundesallee. Foto: thwulff fizieren Erich Hoepner und Hen- Hoepner trotz entschiedener Ab- ning von Tresckow zwei wichtige lehnung des Krieges an verschie- Akteure des Umsturzversuches denen Feldzügen teil und galt als gegen das NS-Regime vom einer der erfolgreichsten und be- 20.07.1944. kanntesten deutschen Panzerge- nerale. Hierbei war er auch für Kriegsverbrechen gegen die Zivil- Erich Hoepner bevölkerung verantwortlich. Un- ter anderem aus diesem Grund Erich Hoepner geb. 1886. Nach hat das Charlottenburger Erich- dem Abitur entschied er sich für Hoepner-Gymnasium sich in eine Offizierslaufbahn. Hoepner Heinz-Berggruen-Gymnasium um- stand dem NS-Regime seit dessen benannt. Machtübernahme ablehnend ge- Hoepners militärische Karriere genüber. Nichtsdestotrotz setzte endete jedoch abrupt im Januar er seine Karriere auch im Dritten 1942, nachdem er während der Reich fort. 1935 wurde er in den sowjetischen Winteroffensive ei- Generalstab des Heeres nach Ber- nen Durchhaltebefehl ignoriert lin versetzt und bekam durch sei- und stattdessen den taktischen nen Vorgesetzen Ludwig Beck Rückzug seiner Einheiten ange- Kontakt zum Widerstand in der ordnet hatte, um unnötige Verlus- Wehrmacht. te zu vermeiden. Daraufhin wurde Im Zweiten Weltkrieg nahm er wegen „Feigheit und Ungehor- 22 Rundgang 2 sam“ unehrenhaft aus der Wehr- führer einer kleinen Fabrik. Erst macht entlassen. Mitte der 20er Jahre trat er wieder In der Folgezeit verstärkte sich in die Armee ein und machte dort sein Kontakt zum Widerstand. Im schnell Karriere. Zunächst be- Herbst 1943 wurde er in die Um- trachtete er den Aufstieg der Na- sturzpläne der Verschwörer gegen tionalsozialisten aufgrund ihres Hitler eingeweiht. Im Falle eines Widerstands gegen den Versailler erfolgreichen Staatstreiches ge- Vertrag mit Wohlwollen. gen das NS-Regime war Hoepner Der Röhm-Putsch ließ jedoch als Oberbefehlshaber des Heeres Bedenken gegen das NS-Regime vorgesehen. bei ihm aufkommen. 1938 hatte In den frühen Morgenstunden Henning von Tresckow erstmals des 21. Juli wurde Hoepner nach Kontakt mit oppositionell einge- dem gescheiterten Attentat auf stellten Kreisen im Umfeld des Hitler im Bendlerblock verhaftet späteren Generalfeldmarschalls und im ersten Prozess gegen die Erwin von Witzleben. Wie Hoep- Verschwörer am 7. August 1944 ner lehnte auch Tresckow den vor dem Volksgerichtshof unter Krieg ab, war aber an verschiede- Roland Freisler wegen Verrats am nen Feldzügen beteiligt. Volk vor Gericht gestellt. Am Nachdem er von Judenerschie- nächsten Tag wurde er zum Tode ßungen durch die SS und Völker- verurteilt und noch am gleichen rechtsverletzungen der Wehr- Tag in Plötzensee durch Strangula- macht erfahren hatte, versuchte tion hingerichtet. er mehrfach vergeblich, seinen Onkel, Generalfeldmarschall Fe- Henning von Tresckow dor von Bock, davon zu überzeu- gen, offiziellen Protest einzulegen. Henning von Tresckow geb. Im September 1941, nachdem er 1901. Tresckow trat mit 16 Jahren zunehmend auch Berichte über noch während des Ersten Welt- die Zustände in den Konzentrati- krieges in die Armee ein und wur- onslagern bekommen hatte, de dort zu einem der jüngsten nahm er Kontakt zur Berliner Wi- Leutnants überhaupt. derstandsgruppe um Beck, Goer- Nach dem Krieg absolvierte er deler und Hans Oster auf. eine Lehre als Bankkaufmann, be- Tresckow, der mittlerweile zum gann ein Jurastudium, arbeitete Oberst im Generalstab der Heeres- an der Börse, begab sich auf eine gruppe Mitte aufgestiegen war, Weltreise und wurde Geschäfts- entwickelte sich zu einer treiben- Rundgang 2 23

Wir laufen die Bundesallee nach Süden bis zur Ecke Spichern- straße. Hier kann entschieden werden weiterzugehen oder die restlichen Seiten auf einer Bank in der rechts am Platz gelegenen Gerhard Hauptmann-Anlage zu lesen. Zum Weitergehen überqueren wir die Spichernstraße und gehen auf der anderen Straßenseite zum Haus Nr. 16. Spichernstr. 16: 12 Bertolt Brecht und Bundesallee 216-218. Foto: thwulff Helene Weigel den Kraft im Widerstand. Er ent- warf verschiedene Pläne für At- tentate auf Hitler, die erfolglos blieben. Er selbst hatte keinen ungehin- derten Zugang zu Hitler. Stauffen- berg wurde zum Zentrum der so- genannten „Operation Walküre“. Kurz vor der Ausführung des At- tentats wurde er an die Ostfront abkommandiert und verfolgte die Geschehnisse des 20. Julis aus der Ferne. Als er am 21. Juli 1944 vom Scheitern des Attentats erfuhr, In der Spichernstraße steht heute ein setzte er seinem Leben selbst mit Neubau. Foto: Schümer einer Handgranate ein Ende, um nicht die Namen weiterer Beteilig- In dem früher hier stehenden ter preisgeben zu müssen. Haus lebten der Schriftsteller Ber- (nach wikipedia) told Brecht und die Schauspielerin 24 Rundgang 2

Helene Weigel. Brecht schrieb hier brannt wurden. Brecht war in den den Text der sehr erfolgreichen Augen der Nazis ein marxistischer „Dreigroschenoper“, die am 31. Au- Schriftsteller, Helene Weigel war gust 1928 im Theater am Schiff- Jüdin und Mitglied der Kommu- bauerdamm mit viel Erfolg urauf- nistischen Partei und von daher geführt wurde. Die Familie wohn- gefährdet. Beiden wurde die deut- te seitdem in der Hardenbergstra- sche Staatbürgerschaft aberkannt. In Santa Monica trafen Brecht und Weigel sich regelmäßig mit deutschen Emigranten wie Tho- mas und Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger. Für Brecht war das Exil eine produktive Zeit. Es entstanden Dramen wie „Das Leben des Gali- lei“ (1939), „Der aufhaltsame Auf- stieg des Arturo Ui“ (1941),„Mutter Courage und ihre Kinder“ (1941), „Der gute Mensch von Sezuan“ (1943), „Der Kaukasische Kreide- kreis“ (1948) und über 2500 Ge- dichte.In seinem Werk „Der auf- haltsame Aufstieg des Arturo Ui“ setzt er sich mit dem Nationalso- zialismus auseinander. Ui stellt ei- Verlagseinband des Erstdruckes der ne Bedingung für seine „Schutzar- Dreigroschenoper 1928. Foto: H.-P.Haack - beit“ - ein Bild der Nazi-Zeit, Antiquariat Dr. Haack Leipzig / Wikipedia brandaktuell wieder im Jahr 2017:

ße 1A, am heutigen Ernst-Reuter „Wer da nicht für mich ist,ist Platz. gegen mich und wird für diese Einen Tag nach dem Reich- Haltung die Folgen selbst sich stagsbrand vom 27.02.1933 emi- zuzuschreiben haben. Jetzt grierten Brecht und Weigel über könnt ihr wählen!“ Skandinavien und die Sowjetuni- on, zuletzt 1941 in die USA. Eine solche Folge ist im Stück ei- Brechts Werke gehörten zu den ne sofortige Hinrichtung und da- Büchern, die am 10.05.1933 ver- raufhin erfolgt eine einstimmige Rundgang 2 25 Hohenzollernplatz: Wahl für Ui. Im Weiteren erlebt die Stadt Diktatur und Terror. 13 Gemeinde zwischen Brechts Epilog: Bekennender Kirche Ihr aber lernet, wie man und sieht statt stiert Und handelt, statt zu reden Deutschen Christen noch und noch. So was hätt einmal fast die Welt regiert! Die Völker wurden seiner Herr, jedoch Dass keiner uns zu früh da triumphiert Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Brecht und Weigel kehrten 1948 nach Berlin (Ost) zurück. Sie grün- deten 1949 die Theatertruppe Hohenzollernplatz. Foto: thwulf „Berliner Ensemble“. Brecht starb am 14. August 1956, Helene Weigel Am 19. März 1933 wurde die Kir- am 6. Mai 1971. che am Hohenzollernplatz feier- lich eingeweiht. Die Gemeinde Wir laufen die Spichernstraße war geprägt vom gehobenen Bür- wieder zurück, biegen am IBB- gertum, politisch überwiegend Hochhaus in die Bundesallee ein deutschnational denkend. Umso und gehen bis zur Ecke Nachodstr. bemerkenswerter ist es, dass sich Dort überqueren wir die Bundes- zwei der drei zur Kirche gehören- allee. den Pfarrer der Bekennenden Kir- An der Ecke Hohenzollern- che zuwandten. Namentlich han- damm sehen wir schon den Turm delt es sich um Eduard Linden- der Kirche am Hohenzollernplatz. meyer und Bernhard Teicke. Wir überqueren den Hohenzol- Um seine Macht auch im reli- lerndamm und begeben uns zum giösen Bereich zu verankern, schuf Hohenzollenplatz. Adolf Hitler innerhalb der evange- 26 Rundgang 2 lischen Kirche eine Propaganda- für sachfremde politische Zwecke truppe in Gestalt der so genann- zurück. ten Glaubensbewegung „Deut- Nach anfänglichen Erfolgen sche Christen“. wurde die Bekennende Kirche et- Im Juli 1933 ordnete Hitler im wa ab 1937 zunehmend verfolgt, ganzen Reich Kirchenwahlen an. hielt aber an ihrer eigenen Organi- Wie bei dem Einsatz aller staatli- sation fest und setzte sich seit chen Propagandamittel nicht an- 1938 auch für verfolgte Juden ein. ders zu erwarten war, konnten die An der Kirche am Hohenzol- Deutschen Christen einen über- lernplatz gab es drei Pfarrer. Einer wältigenden Wahlsieg erringen. von ihnen, Adolf Schettler, war ein Nur wenige Monate später nutz- glühender Anhänger der Deut- ten sie diese Mehrheit, um die schen Christen. Die Pfarrer Eduard Übertragung des staatlichen Lindenmeyer und Bernhard Teicke „Arierparagraphens“ auf die Kir- wandten sich hingegen der Be- che zu beschließen, mit dem ge- kennenden Kirche zu. taufte Juden als „Nichtarier“ aus Am 14. Januar 1934 protestiert der evangelischen Kirche ausge- Pfarrer Lindenmeyer von der Kan- schlossen werden sollten. zel gegen eine Verordnung des Als Reaktion gründeten einige deutsch-christlichen Reichsbi- Berliner Pfarrer, darunter Martin schofs Ludwig Müller. Daraufhin Niemöller und Dietrich Bonhoef- beantragt der Gemeindekirchen- fer, im September 1933 den Pfar- rat am 6. Februar 1934 ein Diszipli- rernotbund. Dieser erklärte die narverfahren und bittet um sofor- Unvereinbarkeit des kirchlichen tige Amtssuspension. Am 27. Feb- Arierparagraphens mit dem ruar 1934 teilte das Konsistorium christlichen Glaubensbekenntnis dem Vorsitzenden des Gemeinde- und organisierte Hilfe für die Be- kirchenrates mit, dass Pfarrer Lin- troffenen. denmeyer die Ausübung seines Der Pfarrernotbund ist ein Vor- Amtes mit sofortiger Wirkung läufer der Bekennenden Kirche, vorläufig untersagt wurde. die sich 1934 auf der ersten Reichs- Pfarrer Dr. Schettler arbeitete bekenntnissynode in Wuppertal- währenddessen darauf hin, dass Barmen gründete. In der so ge- den Lindenmeyers die Nutzung nannten Barmer-Erklärung wies der Dienstwohnung entzogen die Bekennende Kirche den Totali- wird. Käme Lindenmeyer wieder tätsanspruch des Staates und die in den Dienst, müsste er in eine Vereinnahmung des Evangeliums andere Pfarrstelle. Rundgang 2 27

Gestapo, in deren Folge Teicke im Januar 1934 vier Wochen Redever- bot erhielt. Die durch den Natonalsozialis- mus von 1933 bis 1945 gespaltene Gemeinde der Kirche am Hohen- zollernplatz konnte auch nach dem Krieg nicht wieder zusam- menfinden. Bernhard Teicke ging 1954 in den Ruhestand. Sein Nachfolger Pfarrer Herbert Kittel notierte, dass sich jene Kräfte, die Kultur- protestantismus und Deutsch- Christentum geformt hatten, in Foto: thwulff Gemeindekirchenrat und Füh- rung der Gemeinde sehr bald wie- Der Betroffene klagt gegen sei- dergefunden hatten. Die Gemein- ne Suspendierung und gewinnt in de war zutiefst zerrissen und rat- erster Instanz. Der Gemeindekir- los. Pfarrer Teicke verließ fast ver- chenrat legte zunächst Berufung einsamt und völlig verbittert, gegen das Urteil ein, zog diese Gemeinde und Pfarrhaus. aber später zurück. Wohl nicht zuletzt aufgrund des Hier schließt der Rundgang. Unmutes bei etlichen Gemeinde- Auf dem Mittelstreifne des Ho- mitgliedern, die für ihren suspen- henzol-lerndamms sehen Sie den dierten Pfarrer eintraten, wurde Eingang zur Bahnstation Hohen- dieser Anfang 1935 wieder in sein zollerndamm. Amt eingesetzt. Auch Pfarrer Teicke wurde für Diese Broschüre kann beim Her- die bekennende Kirche aktiv. So ausgeber gegen eine Schutzgebühr veranlasste er Kollekten zu deren von 1 Euro zzgl. Versandkosten Gunsten, die zum Beispiel für die oder kostenfrei digital bestellt wer- Ausbildung des theologischen den. Um vergleichbare Broschüren Nachwuchses an inoffiziellen zu unseren weiteren Rundgängen, kirchlichen Ausbildungsstätten die wir in lockerer Folge her- verwendet wurden. Hierüber fer- ausbringen wollen, sind wir be- tigte der Küster Berichte für die müht. 10

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Karte: © OpenStreetMap-Mitwirkende 1 Sächsische Str. 26: Lisa Holländer - 2 Sächsische Str. 63a: Dr. Heinrich Mann - 10 Schaperstr. 22: Bernhard von Brentano - 11 Elfriede Paul / Rote Kapelle - 3 Pariser Str. 44: Centralverein deut- Bundesallee 1-3: Erwin Planck / Ernst von Harnack/ Paul von scher Bürger jüdischen Glaubens - 4 Emser Str. 39d: Dr. Edith Hase Joachimsthalsches Gymnasium (Universität der Künste) - Jacobssohn / Neu Beginnen - 5 Ludwig-Kirch-Platz: Bernhard 12 Bundesallee 216-218: Erich Hoepner / Henning von Treskow Lichtenberg / St. Ludwig - 6 Uhlandstr. 140a (früher: Pariser Str. (Bundeshaus) - (13) Spichernstr. 16: Bertolt Brecht / Helene 14 a): Annedore und Julius Leber - 7 Pariser Str. 58: Regine Weigel - (14) Hohenzollernplatz: Eduard Lindenmeyer / Bernhard Deutsch - 8 Fasanenstr. 58: Rudolf Breitscheid - 9 Fasanenstr. 61: Teicke, Kirche am Hohenzollernplatz, Bekennende Kirche