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Alexander Dunst UNHEIMLICHE HEIMAT UND DIE ÄSTHETIK DES IMPERIUMS 1

In der ersten Staffel von Homeland unternimmt Sergeant mit Frau und Kindern einen Ausflug nach Gettysburg, einem der blutigsten Schauplätze des amerikanischen Bürgerkrie- ges. Nach seiner Rückkehr aus acht Jahren Gefangenschaft im Irak von den Medien gefeiert und vom demokratischen Vizepräsidenten hofiert, steht der Kriegsheld vor der Kandidatur für das Repräsentan- tenhaus. Doch Brody hat sich der Gegenseite verschrieben und plant insgeheim einen Anschlag. In parallelen Handlungssträngen folgt Homeland den Bemühungen der CIA-Agentin , den Helden der Nation als Verräter zu entlarven sowie dessen Dop- pelleben zwischen Familienalltag und Terrorzelle aufzudecken. Den Ausflug nach Pennsylvania nützt Brody zur Anprobe einer Sprengstoffweste beim ortsansässigen, jedoch arabischstämmigen Schneider und dem Besuch des berühmten Schlachtfeldes. Seinem Sohn erzählt der Soldat dabei im Gewand der Militärgeschichte vom Glauben an die Richtigkeit des eigenen Handelns und kündigt seiner Familie im Geheimen seinen Abschied an. Dabei setzt die Gegenüberstellung mit dem Höhepunkt der Südstaatenoffensive den Terrorismus nicht einfach als Gefahr, sondern als existenzielle Bedrohung der Nation und erklärt den Krieg zum einzig approbaten Mittel. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 bleibt ersteres wie letzteres Konsens.2

1 Zwei frühere Versionen dieses Texts wurden im Juni 2012 an der Universität Luxemburg und im Februar 2013 im Rahmen einer Gast- dozentur am Institut für Kulturwissenschaft der English and Foreign Languages University in Hyderabad, Indien, präsentiert. Mein Dank gilt dem DAAD sowie Martin Doll, Oliver Kohns, Satish Poduval und Christoph Ribbat. 2 »The Vest«, Staffel 1, Episode 11, von Homeland (USA 2011). 20 ALEXANDER DUNST

Hier interessiert indes eher eine für sich unscheinbare Sze- ne, die sich anschließt, nachdem die Familie abends ins Motel zurückkehrt und Gattin Jessica den ehelichen Geschlechtsakt mit den Worten einleitet: »Es ist, als wärst du endlich zu Hause angekommen.«3 Man mag dies angesichts des von Brody geplan- ten Selbstmordattentats für eine melodramatische Pointe halten. Doch verrät sie uns einiges über die Popularität dieses TV-Dramas, das Barack Obama kurz nach Ausstrahlungsbeginn zu seiner Lieb- lingsserie erkor,4 und die Verfasstheit Amerikas in der zweiten Dekade nach dem 11. September. Brodys Gesichtsausdruck lässt in der Nahaufnahme, die dem Ausspruch der Ehefrau folgt, seine tiefe Verwirrung, ja Angst, erkennen. Denn just in dieser geradezu billigen Wendung kommt zusammen, was die Heimat in ihrem Wesen auszeichnet. Die Heimat, das ist die vollständige Erfüllung des Begehrens, die Verkörperung jenes unmöglichen Objekts, um welches das Genießen in seiner Suche kreist – jene Frage, auf die allein der Tod Antwort gibt.5 Die Heimat und der Tod sind also aufs Engste verbunden, doch Brodys Angst blickt nicht nur auf diesen, sondern erwächst aus der Konfrontation mit dem Verlangen seiner Frau. Wir haben Angst, postuliert Lacan, wenn es uns plötzlich an nichts mangelt, und die Ökonomie der Lust, konstituiert in der Abwesenheit des Objekts, zum Erliegen kommt. Des Begehrens beraubt, mit dem wir uns im Netz des Symbolischen verfangen, fällt Brody für einen Augenblick durch den Theaterboden der menschlichen Sexualität. Im Ehebett, in dem er Zeugnis seines Begehrens geben muss, blitzt in der Angst das Wissen auf, dass das wahre Grauen in der völligen Erfüllung unserer Wünsche liegt. »It’s like you’re finally home«, sagt Jessica im englischen Original, und das Heim, die Heimat, wird unheimlich. Das Unheimliche ist nach Lacan die Figur des Begehrens, das dem

3 »The Vest«, TC 00:39:41. Falls nicht anderweitig angeführt, sind im Folgenden alle Übersetzungen meine eigenen. 4 Jordan Zakarin, »›Homeland‹ Producers on Being Obama’s Favorite Show, Shooting Season 2 in Israel«, in: The Hollywood Reporter (2012), http://www.hollywoodreporter.com/live-feed/homeland-producers- obamas-favorite-show-327282, zuletzt aufgerufen am 21.3.2013. 5 Die Dialektik von Verlangen, Angst und Genießen steht im Zen­ trum von Lacans Seminar X, auf das ich mich hier wiederholt bezie- he: Jacques Lacan, Die Angst. Das Seminar von Jacques Lacan. Buch X, 1962–1963, hg. v. Jacques-Alain Miller, aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek, Wien/Berlin 2010.