09/Vorlauf Viett (Page

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09/Vorlauf Viett (Page Deutschland TERRORISMUS Geheim-Operation „Stern 2“ Zehn westdeutsche Terroristen tauchten Anfang der achtziger Jahre in den Osten ab – die Aktion war eines der größten Staatsgeheimnisse der DDR. Für den skurrilsten Politkrimi der deutsch-deutschen Geschichte müssen sich jetzt vier frühere Stasi-Offiziere verantworten. REUTERS J. GIRIBÁS J. REUTERS J. GIRIBÁS J. Ex-Stasi-Offiziere Dahl (o.), Jäckel, Zaumseil, Petzold: Auch der BRD genützt? ie Statistiker im Wiesbadener Bun- Kindergärtnerin Inge Viett, gefolgt von Ge- peu waren zehn Terroristen der zweiten deskriminalamt (BKA) führten sinnungsgenossin Sigrid Sternebeck (616). Generation nach Andreas Baader und Ul- Dsorgfältig Buch. Jede Nachricht Manche Angabe war äußerst vage. An- rike Meinhof in die Tarnung angepaßter bekam eine fortlaufende Nummer. Insge- dere klangen, wie die eines nahöstlichen DDR-Bürger geschlüpft. Sie resozialisier- samt gingen 3459 Hinweise „aus fast allen Generals, durchaus überzeugend.Aber alle ten sich, quasi, im realen Sozialismus. Kontinenten“ (Fahndervermerk) auf welt- waren sie falsch – bis auf fünf. Nur ganz wenige im Osten haben da- weit gesuchte Terroristen der Roten Ar- Während sie angeblich in Beirut, Da- von gewußt. Erich Mielke natürlich, der mee Fraktion (RAF) ein. maskus oder Larnaka gesichtet wurden, Horch-und-Greif-Minister, und aller Wahr- Auf der Liste ganz oben rangierte, mit lebten die RAF-Mitglieder in Eisenhütten- scheinlichkeit nach auch Erich Honecker, 642 Tips zu ihrem Versteck, die gelernte stadt, Hoyerswerda oder Schipkau. Peu à sein Chef. 56 der spiegel 9/1997 Ansonsten kannte lediglich eine Hand- gesetzter bei einer „lockeren Aussprache“ voll Offiziere des Ministeriums für Staats- bekundet habe, von Honecker persönlich sicherheit (MfS) jene Operation, die ein gekommen. In dieser heiklen Frage habe es Jahrzehnt lief und einen unverfänglichen seinerzeit wohl „eine Verständigung zwi- Decknamen trug. „Stern 2“, so ein MfS-In- schen Honecker und dem damaligen Bun- sider, war „eines der größten Staatsge- deskanzler gegeben“. Der hieß Helmut heimnisse der DDR“. Schmidt. Seit Mittwoch letzter Woche wird der Wieweit Bonn tatsächlich Bescheid wuß- wohl skurrilste Politkrimi der deutsch-deut- te, darüber ist in der Vergangenheit schon schen Geschichte vor Gericht verhandelt. häufiger spekuliert worden. Die Aktenla- Vier Ex-Offiziere der einst so mächtigen ge gibt bis heute nichts her, und auch jah- wie geheimen Stasi-Hauptabteilung XXII relange Ermittlungen der Staatsanwalt- (Terrorabwehr) werden beschuldigt, die schaft förderten keinen Beleg zutage. Statt per Steckbrief gesuchten RAF-Mitglieder dessen recherchierten die Ankläger ein in der DDR versteckt, mit neuen Identitä- packendes Stück Zeitgeschichte über die ten versorgt und sie so der westdeutschen seltsame Kumpanei von Stasi und RAF. Justiz entzogen zu haben. Ganz zu Beginn steht eine Frau, die eine Vom ursprünglich bombastischen Vor- Art Symbolfigur des deutschen Terroris- wurf der „Beihilfe zum versuchten Mord mus wurde – Inge Viett, damals noch Mit- und zum Herbeiführen einer Sprengstoff- glied der „Bewegung 2. Juni“, später für Explosion, Unterstützung einer terroristi- kurze Zeit auch Angehörige der RAF. schen Vereinigung“ ist nur noch die An- ULLSTEIN Auf Viett war die Staatssicherheit schon klage der Strafvereitelung übriggeblieben. 1974 aufmerksam geworden. Im Frühjahr Ob auch nur einer der vier verurteilt wird, 1978 traf der Offizier Dahl („Genosse hängt von der Antwort auf die Frage ab, ob Harry“) erstmals mit ihr in Ost-Berlin zu- bundesdeutsches Strafrecht überhaupt auf sammen. Dahl sagte ihr auf den Kopf zu, diese früheren DDR-Bürger angewendet sie sei Mitglied der „Bewegung 2. Juni“. werden kann. Im Juni 1978 wurde Viett zusammen mit Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf zwei Frauen bei der Durchreise in der den Einigungsvertrag. Zwar seien die ∏SSR festgenommen. Dahl fuhr sofort mit früheren Stasi-Offiziere „ausschließlich auf Kollegen nach Prag – und eiste das Trio los. dem Gebiet der ehemaligen DDR“ tätig Tschechen und Stasisten kamen überein, geworden.Aber, so die Ankläger, „Tatort“ die Frauen „auf keinen Fall an die BRD“ sei „auch der Ort, an dem der zum Tatbe- auszuliefern. stand gehörende Erfolg eingetreten ist“. Es war die Zeit, als die RAF sich nach Die Haftbefehle gegen die RAF-Mit- ihrem blutigsten Jahr 1977 (Ermordung glieder, die über Jahre nicht zu voll- von Arbeitgeberpräsident Hanns Mar- strecken waren, wurden in Karlsruhe und tin Schleyer, Entführung der Lufthansa- in West-Berlin erlassen. „Der Erfolg der Maschine „Landshut“, Selbstmorde in Vereitelungshandlungen“, argumentiert Stammheim) zu spalten begann. Mehrere die Staatsanwaltschaft, sei demnach auf Kommandomitglieder waren gefaßt, drei Bundesgebiet „eingetreten“. So ganz über- bei Polizeieinsätzen getötet worden – etli- zeugt waren die Ermittler von ihrer sophi- che schworen auch, weil sie nicht mehr stischen Rechtsauffassung offenbar selbst mitmachen wollten, der Gewalt ab. nicht. Eine Zeitlang überlegten sie, ob die SIMON SVEN Diese „Aussteiger“, wie sie von den „Aufnahme der mit Haftbefehl Gesuch- weiterhin Aktiven genannt wurden, gaben ten“ völkerrechtlich nicht als straflose als Zeichen der Aufgabe ihre Waffen ab; im „Asylgewährung“ gewertet werden müßte. Untergrund in Frankreich diskutierten sie Vor Gericht demonstrierte der Oberst die weitere Lebensplanung. a. D. und zeitweilige Stasi-Hauptabtei- Die einen wollten sich nach Angola ab- lungsleiter Harry Dahl, 67, daß er sich we- setzen, andere votierten für Mosambik. Inge niger als Straf- denn als Wohltäter fühlt. Viett, die sich gerade der Rest-RAF ange- „Ich bin“, so der promovierte Diplomju- schlossen hatte, brachte ihre Stasi-Freunde rist, „noch heute der Auffassung, auch der als Helfer ins Spiel, die hätten gute Verbin- BRD genützt zu haben.“ Neben Dahl müs- dungen zu sozialistischen Ländern Afrikas. sen sich sein einstiger Vize Günter Jäckel, Ende Mai 1980 traf Viett in Ost-Berlin 62, sowie die einstigen Stasi-Offiziere Hans- zwei MfS-Mitarbeiter. Beide rieten von ei- Hermann Petzold, 52, und Gerd Peter ner Flucht nach Afrika ab, da die politische Zaumseil, 48, verantworten. Lage dort instabil sei und sie als Weiße Die Unterbringung der Terroristen sei, stets Gefahr liefe aufzufallen. Die beiden so Dahl, eine Entscheidung der „Hoheits- machten, zu Vietts Überraschung, einen träger der Deutschen Demokratischen Re- Gegenvorschlag: „Warum taucht ihr nicht publik“ gewesen. Auf der Anklagebank bei uns unter?“ aber säßen ersatzweise „strafrechtlich Schon wenige Wochen später reisten nicht verantwortliche Nichtentscheidungs- acht Aussteiger in drei Gruppen über Ita- träger“, mithin die falschen Leute, die auf- lien, Österreich und die ∏SSR in die DDR grund „des von uns geleisteten Fahnenei- ein. Jeder hatte als Wegzehrung ein paar des“ als Samariter der RAF im Befehls- Tausender bei sich. 1982 folgten zwei notstand gehandelt hätten. DPA weitere Terroristen, unter ihnen Inge Der Befehl zur Aufnahme der RAF-Ru- In der DDR gefaßte RAF-Aussteigerinnen* heständler sei im übrigen, wie ihm ein Vor- Erster Tip vom Übersiedler * Von oben nach unten: Viett, Maier-Witt, Albrecht. der spiegel 9/1997 57 Viett. Alle zehn erhielten von der Stasi zwischen Beamten des Bundesjustizmini- eine neue Identität und wurden in Betrie- steriums und Bundesanwälten, seien „Kon- ben der DDR untergebracht. takte mit dem Generalstaatsanwalt der Um unliebsame Zwischenfälle auszu- DDR (oberster Ankläger eines Unrechts- schließen, nahm die Stasi die zehn RAF- systems) unerwünscht“. Aussteiger unter lückenlose Kontrolle. Zu- Im November 1986 bekam die Kripo frieden notierte ein Stasi-Mann: „Gegen- Saarbrücken den Tip, Susanne Albrecht, wärtig (sind) keine Gefahrenmomente vor- gesucht wegen Mordes an dem Bankier handen. Alle Personen haben sich fest in Jürgen Ponto, absolviere an einer DDR- das berufliche und öffentliche Leben ein- Hochschule ein Maschinenbaustudium. gegliedert.“ Das BKA wurde erneut aktiv, aber wie- Die DDR-Führung lief ein hohes Risiko. derum ohne Erfolg: „Vorliegende Quellen- Sie hatte alle internationalen Anti-Terror- informationen besagen“, so heißt es in ei- Konventionen unterzeichnet und buhlte nem internen Vermerk, „daß Albrecht im Westen um einen Milliardenkredit – nach wie vor … in Syrien, wahrscheinlich ausgerechnet Franz Josef Strauß, auf der in Damaskus, aufhältlich“ sei. RAF-Abschußliste zeitweilig obenan, fä- Wenig später ging bei der Polizei in Ber- delte ihn ein. lin ein zweiter, präziserer Hinweis auf Al- Warum Ost-Berlin „ehemalige Kämpfer brecht ein. Der führte auch nicht weiter, der RAF legalisierte“ (MfS-Vermerk), weil der BND amtlich mitteilte, sie sei „in bleibt rätselhaft. Vermutlich gefiel der einem Palästinenserlager in der Nähe von Staatsspitze der Kampf der Revoluzzer ge- Sidon festgestellt worden. Von einem wei- gen die Bonner Republik. Die Erklärung ei- teren dortigen Aufenthalt der Albrecht ist nes früheren Stasi-Offiziers, diese Men- auszugehen“. schen „aus einem teuflischen Aktionsfeld“ Auch Inge Viett geriet, vier Jahre nach herauslösen zu wollen, klingt jedenfalls ihrem Abtauchen in die DDR, ins Visier wenig überzeugend – zumal die Stasi auch westlicher Behörden. Ein internes Papier die noch aktiven, in der westlichen Illega- dokumentiert die Daten: lität lebenden Terroristen unterstützte. 30.05.1986: Hinweis eines DDR-Bürgers … 24 Treffen zwischen RAF-Mitgliedern daß sein in der DDR lebender Bruder den und Stasi-Offizieren hat das BKA akten- Verdacht habe, daß sich Inge Viett unter kundig gemacht, bis 1984
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  • „Sieht Aus Wie in Tokio“
    Kultur BERLINALE „Sieht aus wie in Tokio“ Zum ersten Mal finden die Filmfestspiele in Hightech-Atmosphäre am neuen Potsdamer Platz statt – Anlass, durch Kultur, Stars und Glamour das Schlagwort von der neuen Mitte der Republik mit Leben zu erfüllen. eorge Clooney war wenigstens ehr- maxx und Cinestar, Tiefgaragen, einer lich. Nein, er habe nichts von der Spielbank und gläsern überdachten Ein- GStadt gesehen, lächelte der grau kaufsarkaden. melierte US-Star charmant in eine Fern- Hier spielen alle Weltstadt, hier feiert sehkamera, er sei bloß vom Flughafen ins die deutsche Metropolengegenwart sich Hotel gefahren. Da Clooney, 38, Haupt- selbst; nichts, was minimalistisch schick ist darsteller des Berlinale-Beitrags „Three (und irgendwie aus den USA stammt), darf Kings“, in der vergangenen Woche der am Potsdamer Platz fehlen. Die Berlinale- größte Star war, den die Festspiele aufzu- City bietet alles, was der Festival-Mensch bieten hatten (Leonardo DiCaprios fle- so braucht – wer nicht will, braucht nicht hentlich erbettelter Auftritt zu „The Beach“ hinaus in die schmuddelige Stadt. wurde für vorigen Samstag erwartet), wird Die Bayern haben, was fürs Gemüt, so- er – dank Interviews, Empfängen, Presse- gar ein echtes Hofbräuhaus ins Sony Cen- konferenzen und der „Three Kings“-Party ter platziert; letzte Woche wurde es einge- Berlinale-Palast (bei der Eröffnung am vergangenen – auch den Rest der Zeit nicht viel von Berlin gesehen haben. Das immerhin verbindet ihn mit den normalsterblichen Er- werbstätigen der internationa- len Filmbranche, die in diesem Jahr zum ersten Mal ihre An- derthalb-Wochen-Festival-Heer- lager in jenes dreieckige Hoch- hausareal verlegt haben, das in Berlin unter dem Decknamen „Potsdamer Platz“ fungiert.
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