„Sieht Aus Wie in Tokio“
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Kultur BERLINALE „Sieht aus wie in Tokio“ Zum ersten Mal finden die Filmfestspiele in Hightech-Atmosphäre am neuen Potsdamer Platz statt – Anlass, durch Kultur, Stars und Glamour das Schlagwort von der neuen Mitte der Republik mit Leben zu erfüllen. eorge Clooney war wenigstens ehr- maxx und Cinestar, Tiefgaragen, einer lich. Nein, er habe nichts von der Spielbank und gläsern überdachten Ein- GStadt gesehen, lächelte der grau kaufsarkaden. melierte US-Star charmant in eine Fern- Hier spielen alle Weltstadt, hier feiert sehkamera, er sei bloß vom Flughafen ins die deutsche Metropolengegenwart sich Hotel gefahren. Da Clooney, 38, Haupt- selbst; nichts, was minimalistisch schick ist darsteller des Berlinale-Beitrags „Three (und irgendwie aus den USA stammt), darf Kings“, in der vergangenen Woche der am Potsdamer Platz fehlen. Die Berlinale- größte Star war, den die Festspiele aufzu- City bietet alles, was der Festival-Mensch bieten hatten (Leonardo DiCaprios fle- so braucht – wer nicht will, braucht nicht hentlich erbettelter Auftritt zu „The Beach“ hinaus in die schmuddelige Stadt. wurde für vorigen Samstag erwartet), wird Die Bayern haben, was fürs Gemüt, so- er – dank Interviews, Empfängen, Presse- gar ein echtes Hofbräuhaus ins Sony Cen- konferenzen und der „Three Kings“-Party ter platziert; letzte Woche wurde es einge- Berlinale-Palast (bei der Eröffnung am vergangenen – auch den Rest der Zeit nicht viel von Berlin gesehen haben. Das immerhin verbindet ihn mit den normalsterblichen Er- werbstätigen der internationa- len Filmbranche, die in diesem Jahr zum ersten Mal ihre An- derthalb-Wochen-Festival-Heer- lager in jenes dreieckige Hoch- hausareal verlegt haben, das in Berlin unter dem Decknamen „Potsdamer Platz“ fungiert. Im Jubiläumsjahr – sie finden zum 50. Mal statt – sind die Film- festspiele mit Sack und Pack und rotem Teppich hierher um- gezogen: eine brandneue Ber- linale im neuen Jahrtausend. Am Potsdamer Platz soll al- AP les größer werden (7500 Plätze Berlinale-Helden Wenders, Jovovich, Jurychefin Gong in 27 Sälen), technisch perfek- „Vor lauter Stars sieht man keine Berliner mehr“ ter und vielfältiger (circa 300 Filme in mehr als 700 Vorführungen), rum- weiht, unter großer Anteilnahme der Lo- meliger (rund 3000 akkreditierte Journalis- kalpresse. Nun steht neben dem Eingang ten) und sicherer (etwa 1300 Sicherheits- ein uniformierter Wachmann und ver- kräfte). schreckt japanische Touristen. Und ein Platz ist allerdings das Einzige, was es paar Meter weiter hastet der neue Bahn- am Potsdamer Platz nicht gibt, stattdessen chef Hartmut Mehdorn, den Blick nach enge, verquererweise nach deutschen oben, durch das zugige Rund, von wo aus Dichtern und Denkern benannte Asphalt- demnächst auch die Deutsche Bahn regiert gassen, in die zwischen steil aufragenden wird. Nein, ein Büro habe er sich noch Neubauten nur wenig Berliner Winterlicht nicht ausgesucht, sagt Mehdorn, und ei- fällt: eine Stadt in der Stadt, retortenper- gentlich würde er sowieso viel lieber zur fekt, mit Hotels, Sushi-Bars, Bagel-Läden, Berlinale gehen: „Bekommt man da ei- Leinwandsupermärkten namens Cine- gentlich noch Karten?“ PRESS KRUG / ACTION F. 220 der spiegel 7/2000 BUTZMANN / ZENIT BUTZMANN Mittwoch): Die Augen der Welt blicken nicht allzu begeistert auf „New Berlin“ nicht schwer gefallen“ vom al- Zur Eröffnungsgala am vergangenen ten Standort am Bahnhof Zoo, Mittwoch trat erstmals der amtierende die Gegend wirke schließlich Bundespräsident an, und SPD-Altkader „heruntergekommen“. Johannes Rau hielt, mit Karteikarten ra- Auch die gegenwärtige Re- schelnd, eine jovial plätschernde Rede, an gierung hat sich der Berlinale deren Ende sich die „Berlinjale“ (Rau-Ver- freudiger angenommen, als es sprecher) als eröffnet betrachten durfte. die alte CDU-Garde je für rat- Davor ließ es sich der allgegenwärtige Kul- sam hielt: Helmut Kohl hatte tur-Staatsminister Michael Naumann nicht jahrelang nur seinen Partei- nehmen, mit huldvollem Lächeln dem Fes- freund Eberhard Diepgen vor- tival seinen Weg in die Zukunft zu weisen: geschickt. Der quälte sich „Schluss mit den Rückblicken“, verlangte durch seine Ansprachen und Naumann. outete die christlichen Demo- Für das gesellschaftspolitische Projekt kraten mit jedem Auftritt als der neuen Mitte liefern die Filmfestspiele Leinwand-Ignoranten, die die am Potsdamer Platz, buchstäblich in der internationale Filmlandschaft Mitte der Stadt gelegen, eine maßgefertig- N. KEESTEN / SHAMROCK PHOTO N. KEESTEN als Terra incognita betrachte- te Vorlage: En miniature praktiziert das Berlinale-Gast Campbell: Globales Flair ten. Berlinale, na ja. Das Festival jenen Neustart, der globales Flair, macht die neue Regierungs- Glamour für die Massen und das wohlig Da mag ein Zigarrenasche verstreuender mannschaft ganz anders. Gerhard Schröder wärmende Gefühl entstehen lässt, dass die Filmproduzent beim Eröffnungsempfang lässt per Grußwort im Programmheft aus- Errungenschaften der aufgekratzten neuen fluchen, dass „der Potsdamer Platz nicht richten, die Bundesregierung stehe „mit Republik wohlwollend beklatscht werden. Berlin“ sei: Mit dem neuen Standort ver- Vergnügen“ zu ihrem Engagement bei den „In diesen Tagen schauen die Augen der binden sich große gesellschaftspolitische Festspielen – das Vergnügen war Schröder Welt auf den Potsdamer Platz“, säuselte Erwartungen. Die Filmfestspiele seien anzusehen, als er Ehrengast Jeanne der „Tagesspiegel“ und erspähte „Hol- „dort angekommen, wo sie hingehören: im Moreau („Jules und Jim“), 72, begrüßen lywoods Fußabdrücke an einem Ort, der Zentrum der neuen deutschen Haupt- durfte: Die französische Schauspielerin, noch jung ist, aber mit der Berlinale 2000 stadt“, trumpfte die „Welt“ auf, und die mit einer Hommage an ihr Lebenswerk eine neue Aura gewinnt“. „Bild“-Zeitung übte Hurra-Lokalpatriotis- nach Berlin gelockt, und der deutsche Aber die Augen der Welt blicken bisher mus: „Wer braucht schon Cannes, wir ha- Kanzler dinierten zufällig im selben Res- nicht allzu begeistert auf „New Berlin“. ben den Potsdamer Platz!“ Selbst der ewi- taurant, und zum Glück waren ganz zufäl- „Das sieht hier aus wie in Tokio“, empört ge Festival-Chef Moritz de Hadeln, 59, be- lig Fotografen zur Stelle, um den Hand- sich Asako Fujioka von der japanischen kannte, letztlich sei ihm „der Abschied schlag Berlin–Paris zu verewigen. Independentfilm-Organisation New Cine- der spiegel 7/2000 221 Kultur Grillparty mit der Stasi Volker Schlöndorff drehte das Leben der Terroristin Inge Viett nach – und bekam eine Menge Ärger. ass die sauberen Herren der Stasi autor Wolfgang Kohlhaase („Solo Sun- Richtig sei, bestätigt Schlöndorff, „dass ausgerechnet den Stadtguerrilla- ny“), 68, in die Geschichte ihrer ideellen wir ihr kein Mitspracherecht einräumen DAussteigern der RAF Asyl in ih- Gesamtterroristin eingearbeitet. wollten“. Der Film sei zwar „nicht denk- rem sozialistischen Arbeiter-und-Bau- Obwohl der Film erst am Mittwoch die- bar ohne Vietts Leben, wohl aber ohne ern-Paradies gewährten, zählt sicher zu ser Woche uraufgeführt wird, hat Viett ihre Autobiografie“. Während die ersten den absurderen Polit-Deals der deutsch- bereits massiv gegen „Die Stille nach dem Drehbuchfassungen „haarscharf an der Aktenlage geklebt“ hätten, seien er und Kohlhaase, als sie das Projekt nach mehr- jähriger Unterbrechung wieder in Angriff nahmen, zum Schluss gekommen: „Wir verfügen frei über alles, was wir kennen.“ So geriet die Hauptfigur schließlich zu ei- nem Destillat mehrerer RAF-Schicksale. Aus Vietts lesbischen Affären wird im Film eine einzige amouröse Beziehung zu einer Frau; stattdessen verliebt sich die Filmheldin, Rita Vogt (Bibiana Beglau) ge- tauft, während der Sommerfrische in ei- nen strammen Aushilfsbademeister, der sie heiraten und in seine Ausbildungsstät- te nach Russland mitnehmen will – dieses Kapitel stammt angeblich aus Susanne Albrechts DDR-Erfahrung. Insgesamt entwirft der Film, für knapp fünf Millionen Mark an 36 Drehtagen zu „besseren Fernsehbedingungen“ (Schlön- dorff) fertig gestellt, ein rundum schmei- ARTHAUS chelhaftes Porträt der radikalen Rita: „Stille nach dem Schuss“-Darstellerin Beglau (2. v. l.): RAF-Geschichte im Zeitraffer Sie ist eine aufrechte Weltverbessererin, loyal, strahlend, sie arbeitet hart und deutschen Geschichte. Aber es war ein Schuss“ protestiert. Ihren Prozess An- ist stets von der Sache begeistert – egal Deal, von dem alle Seiten profitierten: fang der Neunziger hatten Kohlhaase und ob es anfangs der bewaffnete Kampf ist Die gejagten, ausgelaugten RAF-Ausstei- Schlöndorff beobachten und sich einen oder später der antikapitalistische Traum ger – insgesamt waren es zehn, die von 100-seitigen Bericht darüber liefern las- der DDR. 1980 an in der DDR mit neuen Lebens- sen. 1993 begannen sie, sich um eine Zu- Im Zeitraffer hastet die Geschichte zu- läufen ausgestattet wurden – waren ihre sammenarbeit mit Viett zu bemühen. erst durch die Siebziger. Berlin, Naher Verfolger los, und die DDR hatte (neben Kohlhaase besuchte die Ex-Terroristin Osten, Paris, ein Bankraub („Nieder mit besten Quellen über die westdeutsche mehrfach im Gefängnis, und die war zu- dem Kapitalismus!“), eine Gefangenen- illegale Szene und der Sicherheit, nicht erst recht angetan von dem „sprühenden befreiung, ein paar konspirative Treffs. selbst Ziel von Anschlägen zu werden) Mann“. Nachdem sie aber erste Dreh- Sehr bald läuft Rita einem gewieften Sta- ein paar Staatsbürger mehr, die tatsäch- buchfassungen gelesen hatte, verweiger- si-Mann (basierend auf dem für „Anti- lich an ihr System glaubten. te Viett die Mitarbeit am