Wechselseitige Diskurse Über Burgtheater Und Comédie Française Von Laube (1849) Zu Wildgans (1931)

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Wechselseitige Diskurse Über Burgtheater Und Comédie Française Von Laube (1849) Zu Wildgans (1931) Marc Lacheny (Valenciennes) Wechselseitige Diskurse über Burgtheater und Comédie Française von Laube (1849) zu Wildgans (1931) […] keine andere europäische Hauptstadt verkörpert wohl im 19. Jahrhundert dermaßen die Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung wie Paris.1 Der Einfluss, den die französische Komödie vom 18. Jahrhundert an auf die Wiener Bühnen ausübte, ist wohl bekannt und zum Teil auch gut dokumentiert. Bereits gegen Mitte dieses Jahrhunderts bestand das Repertoire des Hofburgtheaters vorwiegend aus italienischer Oper und französischem Drama. Im 19. Jahrhundert kamen die Hauptanregungen weiterhin vor allen Dingen von Paris: Als Impulse dienten dabei nicht mehr die Stücke des klassischen französischen Repertoires aus dem 17. und 18. Jahrhundert, sondern die modischen ,comédies-vaudevilles‘, ,comédies à la Scribe‘ und ,comédies de boulevard‘. Die Wiener – und Berliner – Theaterdirektoren hatten in Paris, der „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ (Walter Benjamin), ihre Agenten, die ihnen die beliebtesten französischen Stücke zukommen ließen, welche dann schnell übersetzt oder bearbeitet wurden und in deutschen oder österreichischen Verlagen im Druck erschienen. Dieser „Markt des Theateraustauschs“ (Jeanne Benay) bahnte sich schon in den 1820er und 1830er Jahren an und gelangte in den 1840er Jahren zu voller Blüte. Um nur ein frappierendes Beispiel unter vielen für den konkreten Einfluss von Paris auf Wien2 anzuführen: Viele französische ,comédies-vaudevilles‘ wurden zu dieser Zeit nach Österreich exportiert und landeten schnell auf dem Programm der Wiener Vorstadttheater. Diese auffallende ,Gallomanie‘ Wiens trifft man etwa bei 1 Alice Bolterauer: „Das Geld, die Liebe und die Kunst oder Kein Pariser Leben. Drei Erzählungen von Ignaz Franz Castelli, Betty Paoli und Adalbert Stifter“. In: Österreich in Geschichte und Literatur 50. 2006. 226-237. Hier 227. 2 Ein ähnliches Phänomen ließe sich übrigens auch in London oder Berlin feststellen, wo Louis Angely ebenfalls ,comédies-vaudevilles‘ als Vorlagen benutzte. Johann Nestroy an, dessen Stücke zu einem Drittel auf französischen Vorlagen – insbesondere auf beliebten französischen Romanen und Vaudevilles – beruhen, v. a. auf Werken von Paul de Kock, Louis Picard, Félix-Auguste Duvert, Auguste- Théodore Lauzanne, Jean-François Bayard, Mélesville und Joseph-Philippe Lockroy. Allein zwischen 1840 und 1845 beruhten nicht weniger als 8 Nestroy-Stücke auf ,comédies-vaudevilles‘.3 In diesem Punkt blieben die österreichisch-französischen Beziehungen einseitig: Während die französischen Stücke zum großen Teil das Repertoire der österreichischen Theater (in Wien, aber auch in der Provinz) anregten und prägten, kam in Paris von 1855 bis 1865 kein einziges österreichisches Stück auf die Bühne. Um 1900 hatte sich die Situation noch kaum verändert.4 Die Einführung bzw. Einverleibung französischer Quellen in Wien beschränkte sich allerdings weder auf die 1840er Jahre noch auf die kommerziellen Theater (Theater an der Wien, Carltheater, Theater in der Josefstadt), sondern betraf auch das Burgtheater selbst (v. a. ab Mitte des 19. Jahrhunderts, in der Ära Laube). Eine solche Einbettung des Wiener Theaterbetriebs in den europäischen, ja internationalen Kontext des Unterhaltungstheaters5 fordert dazu auf, den Austausch, die Parallelen und Beziehungen zwischen den Theatermetropolen Paris und Wien ab Mitte des 19. Jahrhunderts näher zu betrachten und sie neu zu hinterfragen, so wie auch deren Darstellung auf Diskursebene. In den Aussagen zu den beiden ältesten Bühnen Europas – die Comédie Française wurde 1680 gegründet, das Burgtheater über 60 Jahre später, 1741 – kann man verschiedene Diskursebenen unterscheiden: Es gibt einerseits den Diskurs der Theaterdirektoren und andererseits den der Schauspieler. Es besteht nämlich zum 3 Siehe hierzu Friedrich Walla: „,Da werden doch die deutschen Affen nicht lange zurückbleiben‘ – Neue französische Quellen zu Stücken Johann Nestroys“. In: Etudes Germaniques 51. 1996. 283-305. 4 Vgl. Robert Vilain: „Austria and France: Introduction“. In: Austrian Studies 13. 2005. 8. Grundsätzlich anders war die Situation im Bereich der Operette: Eine der beliebtesten Nestroy-Rollen im Jahre 1860 war eben die des Jupiter in Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Überhaupt spielte Nestroy eine wesentliche Rolle in der Einführung der satirischen Pariser Operette in Wien ab 1858. 5 Siehe hierzu insbesondere Johann Hüttner: Theater als Geschäft. Vorarbeiten zu einer Sozialgeschichte des kommerziellen Theaters im 19. Jahrhundert aus theaterwissenschaftlicher Sicht. Mit Betonung Wiens und Berücksichtigung Londons und der USA. 2 Bände. Habilitationsschrift Wien (unveröff.). 1982. –, W. E. Yates: „Internationalization of European Theatre: French Influence in Vienna between 1830 and 1860“. In: Austrian Studies 13. 2005. 37-54. –, Marion Linhardt, Residenzstadt und Metropole. Zu einer kulturellen Topographie des Wiener Unterhaltungstheaters (1858-1918). Tübingen: Niemeyer 2006. einen ein Diskurs, der die These einer Rivalität oder einer Suche nach dem Vorrang im symbolischen Raum des europäischen Theaters von 1850 bis 1930 zu bestätigen scheint: Heinrich Laube, der von 1849 bis 1867 das Burgtheater leitete, fungiert als Paradebeispiel hierfür. Zum anderen aber haben wir es mit einem zweiten Diskurs zu tun, der diesen scheinbar dominierenden Diskurs im Zeichen der Rivalität, ja der Feindseligkeit aufwiegt, relativiert und größtenteils widerlegt. Ein Musterbeispiel für diesen Sachverhalt stellt die enge Freundschaft zwischen dem renommierten Burgschauspieler Adolf [von] Sonnenthal und dem legendären Comédien Français Constant Coquelin dar. Zwischen einem Diskurs auf der Ebene der Theaterinstitutionen, bei dem das Symbolische im Vordergrund steht, und einem Diskurs auf der privaten Ebene, der sich vielmehr im Zeichen des Austauschs und der gegenseitigen Freundschaft und Bewunderung entfaltet, ist nicht selten eine weite Kluft festzustellen. Eben dieser Diskrepanz zwischen dem Diskurs der Theaterdirektoren und dem der Schauspieler über Comédie Française und Burgtheater sind die ersten zwei Teile dieses Beitrags gewidmet. Als Ausblick oder im Gegenteil vielleicht als Sackgasse in diesem Zusammenhang erscheint die Polemik Kraus’ gegen Wildgans und Auernheimer anlässlich von Molières 300. Geburtstag in Paris und Wien 1922. 1. Die Comédie Française als ,großer Rivale‘ des Burgtheaters? Hinter all diesen Stellungnahmen der verschiedenen Direktoren des Burgtheaters von Laube zu Wildgans steht das beträchtliche Prestige der 1680 gegründeten Comédie Française. Davon zeugt etwa folgende Anekdote : Zu dem Erfurter Fürstenkongress mit Napoleon und Zar Alexander im Jahre 1808 wurde der legendäre Comédien Français Talma eingeladen, der vor den Herrschern folgenden Vers aus Corneilles Œdipe sprach: „L’amitié d’un grand homme est un bienfait des dieux.“ Darauf wandte sich Alexander zu Napoleon, um ihm die Hand zu schütteln. Einführung: Schreyvogel und das Burgtheater, Grillparzers Aussagen zur Comédie Française Von 1752 bis 1772 stand das Repertoire des Burgtheaters unter dem Einfluss von französischem Drama und ,opéra comique‘. Die Entfernung des Burgtheaters vom französischen Drama in den darauf folgenden Jahren und die Idee der Etablierung eines „nationalen Theaters“ – mit einem literarischen Drama in deutscher Sprache – sind eine direkte Folge der Übertragung des hamburgischen Experiments (das Hamburger Theater wurde 1767 gegründet) und der theoretischen Überlegungen Lessings in seiner Hamburgischen Dramaturgie auf Wien. Bekanntlich erhob Joseph II. das Burgtheater 1776 zum Nationaltheater (genauer: zum „teutschen National Theater“) und erließ zugleich die „Spektakelfreiheit“ (oder „Schauspielfreiheit“). Daraus ergab sich, dass das Theater ein ideologisch-politischer Gegenstand wurde, der zu einer kulturellen Emanzipierung von der bisher durch das französische Repertoire dominierten Hofbühne dienen konnte. Als erster machte Joseph Schreyvogel (1768-1832) das Burgtheater, das er von 1814 bis 1832 als Dramaturg sozusagen leitete, zur führenden deutschsprachigen Bühne. Zugleich ging es ihm darum, ein Programm des internationalen Dramas zu bieten und aus der Burg ein Theater europäischen Ranges zu machen6, das „[might] be said to correspond with the Théâtre Français at Paris“ [Handbook for Travellers in Southern Germany. London: John Murray 1837. 133]. Schreyvogels Interesse galt einerseits der Weimarer Klassik – insbesondere Goethes Werk – und andererseits dem ,Weltrepertoire‘: Meisterwerken aus England (Schreyvogel selbst bearbeitete mehrere Stücke von Shakespeare), Spanien (er bot auch freie Bearbeitungen von Moreto und Calderón, wobei hier daran erinnert sei, dass Das Leben ein Traum zum ersten Mal Schreyvogel und Grillparzer zusammenbrachte), Frankreich (Molières Tartuffe 1818 und Les Femmes savantes 1819 waren zwar wenig erfolgreich, aber zahlreiche andere Komödien aus Frankreich, z. B. Stücke von Picard und Scribe, wurden zu dieser Zeit ins Programm 6 Zu der zentralen Bedeutung von Schreyvogel für das Burgtheater, siehe auch W. E. Yates: Theatre in Vienna. A Critical History 1776-1995. Cambridge: Cambridge University Press 1996. 51-59. des Burgtheaters aufgenommen), Deutschland (auf dem Programm standen die damals modischen deutschen Dramatiker, wie Müllner und Raupach). Schreyvogels Hauptzweck war es doch, bedeutende Stücke von jungen österreichischen Dramatikern zu fördern: Grillparzer natürlich, aber auch Zedlitz, Deinhardstein und Bauernfeld. Nur auf der Grundlage dieser Arbeit
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