U M W E L T A A R G A U

Nr. 69 Oktober 2015 Death Valley – im Glutofen der Welt

Liebe Leserin Lieber Leser

Die Schweiz erlebte diesen Sommer Obwohl das Tal des Todes nur weni- Markus Zumsteg, eine der extremsten Hitzeperioden seit ge hundert Kilometer vom Pazifischen Abteilung Landschaft und dem Messbeginn vor über 150 Jahren. Ozean entfernt liegt, ist es eine der Gewässer, Anfang Juli erreichte die durchschnitt- trockensten Gegenden der Erde. Dies Sektionsleiter Wasserbau liche Tagesmaximumtemperatur im liegt daran, dass sich die feuchten Flachland der Alpennordseite 36 °C. Winde auf ihrem Weg vom Pazifik an Am 7. Juli registrierte Genf mit 39,7 °C fünf Bergrücken abregnen, bevor sie die höchste je auf der Alpennordseite über das Death Valley ziehen können. gemessene Temperatur. Mit der Hitze Wenn ausnahmsweise heftige Regen- wurde es auch immer trockener. Die güsse den Talboden fluten, gibt es fehlenden Niederschläge liessen Bä- Regenpfützen, die nicht lange beste- che austrocknen und setzten der Ve- hen bleiben. Die jährliche Regenmen- getation und den Kulturen stark zu. ge beträgt nur 48 Millimeter. Und das Ich erlebte diese Hitzewochen an ei- bei einer Verdunstungsrate von mehr nem ganz anderen Ort auf der Welt- als 3800 Millimeter pro Jahr. Ein 3,5 kugel: im Death Valley in der Mojave- Meter tiefer See würde innerhalb ei- Wüste Kaliforniens. Das Tal des To- nes Jahres verdunsten. Das auskris- des hat seinen Namen zu Recht. Im tallisierte Salz an den tiefsten Stellen Sommer erreichen die Temperaturen des Tals überzieht die Oberfläche mit astronomische Werte: 56,7 °C im Schat- einer 1 bis 1,7 Meter dicken Kruste. ten ist die höchste meteorologisch je Glücklicherweise liegt der Kanton Aar- gemessene Lufttemperatur auf der gau in einer gemässigteren Klimazone. Welt. Unglaubliche 93 °C ist die Re- Die vorliegende Nummer UMWELT kordtemperatur am Boden des Death befasst sich schwerpunkt- Valley. Ich weiss jetzt, wie sich 52 °C mässig mit Wasser: Wie schützt man anfühlen. sich vor zu viel Wasser im Surbtal? Wa- Entgegen der landläufigen Meinung, rum bringt es nichts, Äschen-Fischchen die grösste Sonnenhitze herrsche nahe in die Flüsse einzusetzen? Wie gelan- dem Äquator, treten die höchsten gen die Legionellen ins Trinkwasser? Temperaturen jedoch in den mittleren Wie kommt Unkrautvertilgungsmittel Tropen auf der Nordhalbkugel der in unsere Bäche? Lesen Sie auch die Erde auf. Die kontinuierliche tägliche Bilanz der Sanierung des Hallwiler- Wasserverdunstung in den inneren sees, der weder zu versalzen noch aus- Tropen erzeugt eine dichte Bewölkung zutrocknen droht, aber doch mit Pro- und diese verhindert Temperaturex­ blemen kämpft. treme.

2 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Foto: ArnoStöckli,Abteilungfür Umwelt vor derjährlichenReinigung belüftungslanlage desHallwilersees Titelbild: EinBestandteilderSee­ Recyclingpapier. Gedruckt aufhochwertigem Papier Umwelt schicken. ­Belegexemplar bitteandieAbteilungfür Mit Quellenangabeerwünscht. Nachdruck AARGAU verfügbar. sind sämtlicheAusgabenvonUMWELT Im Internetunterwww.ag.ch/umwelt-aargau Separatdrucke übernommenwerden. nen derkantonalenVerwaltungundfür AARGAU kannauchfürweiterePublikatio- Das ErscheinungsbildvonUMWELT zu einemSchwerpunkt­ AARGAU könnenauchalsSondernummern 5000 Exemplare.AusgabenvonUMWELT Dreimal jährlich.Auflagejeweils Erscheinungsweise nach eigenemOrdnungssystemabzulegen. die Beiträgeherauszutrennenundseparat nung. DergeleimteRückenermöglichtes, Es bestehteinegleichbleibendeGrundord- Inhaltliche Gliederung www.ag.ch/umwelt [email protected] Fax Tel. Entfelderstrasse 22,5001Aarau Abteilung fürUmwelt Departement Bau,VerkehrundUmwelt Dominik Mösch Redaktion undProduktion aufgeführten Personbzw.Verwaltungsstelle. der jeweilsaufTitelseitejedesBeitrags Die VerantwortungfürdenInhaltliegtbei Naturama Kantonsärztlicher Dienst Abteilung Energie Amt fürVerbraucherschutz Abteilung Wald Abteilung Verkehr Abteilung fürUmwelt Abteilung Raumentwicklung Landwirtschaft Aargau Abteilung LandschaftundGewässer Verwaltungseinheiten: Informationsbulletin derkantonalen UMWELT AARGAU IMPRESSUM Umweltinformation 062 8353369 062 8353360 thema erscheinen.

Vom Nutztierzureierlegenden Wollmilchsau? Wie grossistdiegenetischeVielfaltbeidenAargauer Steinkrebsen? Die FischfaunadesHallwilersees Äschenbesatz: ErfolgskontrolleundKonsequenzen Erfolgreiche TagfalterförderungimLandwirtschaftsgebiet Öffentlicher Raum–spannendinszeniert Verkehrsmanagement: Allesklar? Baubegleitende Kommunikation–NeugestaltungSchulhausplatzBaden Grünes LichtfürdieLimmattalbahn Legionellen beiderWarmwasser-Aufbereitung Unbelasteter Genuss:AargauerBienenhonig Gemeindeseminar Littering2015 Hallwilersee –nachhaltigeGesundungsicherstellen Wie kommtdasGlyphosatinunsereGewässer? Das Surbtalisthochwassersicher Renaturierung derWigger Amphibien imAbwasser–wasnützenAusstiegshilfen? Veranstaltungskalender 5 zeitraumaargau.ch: Neumit­ Der Macherder «Sexperten» einem Wegweiser fürSchulen 75 71 65 61 55 51 47 43 39 35 33 29 23 19 15 13 81 77 9

Umwelt­ Nachhaltig­ Natur Raum Energie Mobilität Stoffe Abfall Luft Boden Wasser Allgemeines bildung keit Landschaft Ressourcen Gesundheit Altlasten Lärm Gewässer 4 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Veranstaltungskalender Allgemeines

Inhalt/Organisator Daten/Ort Anmeldung/Kosten

Für Lehrpersonen Mittwoch, Anmeldung unter Kurzkurs oben und unten 28. Oktober 2015 [email protected] Eine Bodenreise durchs Museum: Lebensraum und 14 –17 Uhr Lebensgrundlage entdecken. Naturama Abendführung nur für Frauen Freitag, Keine Anmeldung Die Ausstellung «Sexperten – flotte Bienen und tolle 30. Oktober 2015 erforderlich. Hechte» nur für Frauen, Führung mit Bea Stalder, 18 – 20 Uhr Eintritt: Fr. 15.– inkl. Apéro Bereich Bildung Naturama Aargau, Naturama anschliessend Apéro Informationsveranstaltung Windisch, Anmeldung erforderlich unter energieberatungAARGAU Fachhochschule www.ag.ch/energie > Schwerpunkt: Fenster- und Türersatz Nordwestschweiz Bauen & Energie Rund zehn Fenster pro Einwohner sind in der Schweiz Campus eingebaut. Das Durchschnittsalter der Fenster beträgt Brugg-Windisch, Die Workshops können auch knapp 50 Jahre. Entsprechend hoch ist der Erneue- Bahnhofstrasse 6 unabhängig von den Informa- rungsbedarf. Denn ein professionell ausgeführter tionsveranstaltungen besucht Fensterersatz führt zu mehr Energieeffizienz, Sicher- werden. Bei den Anmeldun- heit und verbessert den Schallschutz. gen für die Workshops Sollen die Ersatzfenster aus Holz oder Kunststoff mit erhalten jene Personen den oder ohne Metallaufdoppelung sein? An den Infor­ Vorzug, die auch an den mationsveranstaltungen und insbesondere auch im Informationsveranstaltungen Rahmen der Workshops, werden anhand von Kosten- teilnehmen. Nutzen-Vergleichen Vor- und Nachteile verschiedener Fenstertypen aufgezeigt. Informations- Durchführungsorte veranstaltungen Workshops Bremgarten, Casino, Untere Vorstadt Montag, Dienstag, 3. November 2015 Wohlerstrasse 4 2. November 2015 16 –17.30 und 18 –19.30 Uhr 19 – 20.30 Uhr, Apéro

Unterentfelden, Schweizerische Bauschule Montag, Dienstag, 10. November 2015 Suhrenmattstrasse 48 9. November 2015 16 –17.30 und 18 –19.30 Uhr 19 – 20.30 Uhr, Apéro

Frick, FiBL Forschungszentrum Montag, Dienstag, 17. November 2015 für biologischen Landbau, Ackerstrasse 113 16. November 2015 16 –17.30 und 18 –19.30 Uhr 19 – 20.30 Uhr, Apéro Naturschutz-Kurs Mittwoch, Der Kurs ist kostenlos. Kostengünstig mausen mit Kleinstrukturen 4. November 2015 Die Anmeldung bis spätestens für Wiesel 13.30 –15.30 Uhr eine Woche vor Kursbeginn mit Pia Schütz, Fornat AG; Seetal ist obligatorisch unter Thomas Baumann, Naturama www.naturama.ch/ veranstaltungen. Für Lehrpersonen Mittwoch, Anmeldung bis zwei Tage Einführung in die Ausstellung «Sexperten – flotte 11. November 2015 vorher an Bienen und tolle Hechte» 18 – 20 Uhr [email protected] Lehrpersonen lernen Inhalt und Vermittlungsideen Naturama, Schulraum kennen und werden befähigt, das Thema Balz, Paarung, Nachwuchspflege im Tierreich mit ihren Klassen selbstständig zu erforschen.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 5 Inhalt/Organisator Daten/Ort Anmeldung/Kosten

50 Jahre SVI Donnerstag, Weitere Informationen folgen Die Schweizerische Vereinigung der Verkehrs­ 12. November 2015 auf www.svi.ch. ingenieure und Verkehrsexperten feiert ihr 50-Jahr- in Zürich (ETH) Jubiläum mit einer Sonderveranstaltung. Diese ist auch den Ergebnissen aus dem Schwerpunktpro- gramm «optimale Geschwindigkeiten in Siedlungsge- bieten» gewidmet, die zurzeit aufgearbeitet werden. Energie-Apéro Aargau Dienstag, Kostenlos. Smart ist «in»! – sind es auch die Lösungen? 17. November 2015 www.energieaperos-ag.ch Verschiedene Referenten informieren über 17.30 – 19.30 Uhr intelligente Systeme rund um die Haustechnik. Bildungszentrum Zofingen (BZZ) Strengelbacherstr. 27 4800 Zofingen Im grünen Bereich: Liebegger Gartenrundgang – Mittwoch, Der Gartenrundgang findet Rückschnitt von Sträuchern 18. November 2015 bei jeder Witterung statt. Im Laufe des Jahres ist der «heisse Draht» zu einer 9 –11 Uhr Keine Anmeldung Gartenfachfrau ab und zu hilfreich. Beim Gartenrund- Liebegg, Gränichen erforderlich. gang werden Ihre Fragen aus dem grünen Bereich Kurskosten: Fr. 5.– beantwortet und gleichzeitig werden verschiedene Schwerpunkte besprochen. «Garten-Beginner», aber auch «Garten-Erfahrene» sind herzlich willkommen. Kursleitung: Thalia Notter, Landwirtschaftliches Zentrum Liebegg Podiumsdiskussion Naturschutz Mittwoch, Keine Anmeldung Invasive Neophyten: grenzenlose Vermehrung? 18. November 2015 erforderlich, kostenlos. Eingeschleppte Pflanzenarten verdrängen mit ihrem 20 Uhr beeindruckenden Ausbreitungspotenzial die einhei­ Naturama mische Flora und gefährden die Biodiversität. Warum sind diese fremden Pflanzen bei uns so erfolgreich und was braucht es, um ihre scheinbar grenzenlose Vermehrung im Zaun zu halten? Diese und weitere Fragen diskutieren Fachpersonen auf dem Podium und mit dem Publikum. Abendführung nur für Männer Freitag, Keine Anmeldung Die Ausstellung «Sexperten – flotte Bienen und 20. November 2015 erforderlich. tolle Hechte» nur für Männer, Führung mit 18 – 20 Uhr Eintritt: Fr. 15.– inkl. Apéro Peter Jann, Direktor Naturama Aargau, Naturama anschliessend Apéro Energie-Apéro Aargau Dienstag, Kostenlos. Smart ist «in»! – sind es auch die Lösungen? 24. November 2015 www.energieaperos-ag.ch Verschiedene Referenten informieren über 17.30 –19.30 Uhr intelligente Systeme rund um die Haustechnik. Alstom-Konnex- Gebäude Brown-Boveri-Strasse 7 5400 Baden

6 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Inhalt/Organisator Daten/Ort Anmeldung/Kosten

Energie-Apéro Aargau Donnerstag, Kostenlos. Allgemeines Smart ist «in»! – sind es auch die Lösungen? 26. November 2015 www.energieaperos-ag.ch Verschiedene Referenten informieren über 17.30 –19.30 Uhr intelligente Systeme rund um die Haustechnik. IBAarau AG Hauptgebäude Obere Vorstadt 37 5000 Aarau Liebegger Beerennachmittag Dienstag, Keine Anmeldung Der Liebegger Beerennachmittag bietet aktuelle 1. Dezember 2015 erforderlich, kostenlos. Fachinfos und Gelegenheit zum gegenseitigen 13.30 –16 Uhr Austausch zwischen Produktion, Beratung und Liebegg, Gränichen Forschung. Die Themen sind Rückblick auf die Beerensaison 2015, Versuchsergebnisse der Agro- scope, News zu Produktionstechnik und Sortenwahl und die aktuelle Situation in den Beerenkulturen. Der Kurs richtet sich an Betriebe mit Erfahrung im Beerenanbau und weitere Interessierte. Kursleitung: Christian Wohler, Landwirtschaftliches Zentrum Liebegg Filmtage mit Natur- und Umweltfilmen Samstag, 16., und Festival-Pass Wir zeigen eine Auswahlschau der besten Filme Sonntag, 17. Januar 2016 Mitglieder des Gönnervereins des NaturVisions Filmfestival, Ludwigsburg 10 –17 Uhr gratis Naturama Spinnen-Liebe Samstag, Museumseintritt oder Sexperten am Naturfilmfestival im Naturama: 16. Januar 2016 Festival-Pass Männchen müssen tolle Tänzer sein, um die Weib- 19.30 – 21 Uhr chen zu beeindrucken. Holger Frick, Leiter Aus­ Naturama stellungen und Sammlung des Naturama Aargau, ist Spinnenforscher und zeigt Faszination und Ekel mit packenden Filmausschnitten. Abendführung nur für Singles Freitag, Keine Anmeldung Die Ausstellung «Sexperten – flotte Bienen und 22. Januar 2016 erforderlich. tolle Hechte» nur für Singles, Führung mit 18 – 20 Uhr Eintritt: Fr. 15.– inkl. Apéro dem Autor der Ausstellung Holger Frick, Naturama anschliessend Apéro Familiensonntag Sonntag, Keine Anmeldung Mama, Papa, Kinder bei den Tieren: neugierige 24. Januar 2016 erforderlich, Museumseintritt. Familien suchen und (er)finden Familiengeschichten 14 –17 Uhr in der Ausstellung «Sexperten». Naturama Gemeindeseminar «Umgang mit Bodenaushub» Mittwoch, 16. März 2016 Das Zielpublikum erhält Informationsveranstaltung zu zwei Vollzugshilfen im vormittags, rechtzeitig Anmeldeformulare. Kanton Aargau für Mitarbeitende von Bauverwaltun- Aarau, Buchenhof Informationen unter BVU, gen, Ingenieurbüros usw. Abteilung für Umwelt, Vorgestellt werden: Prüfperimeter für belasteten 062 835 33 60 Bodenaushub und Verzeichnis zur Aufwertung von Fruchtfolgeflächen.

Hinweis: Den jeweils aktuellsten Stand der Naturama-Veranstaltungen können Sie unter www.naturama.ch abfragen. Unter www.liebegg.ch finden Sie den aktuellen Veranstaltungskalender des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 7 Korrigendum UMWELT AARGAU Nr. 68, Juni 2015, Artikel «Vom Rohstoff zur Energie», Seite 21, Kasten unten, letzter Aufzählungspunkt

Fernwärme wird nur durch die Kernkraftwerke Beznau 1 + 2 bereitgestellt, nämlich 170 Gigawattstunden pro Jahr (nicht 3000). Dies entspricht einem Wärmenutzungsgrad von etwa 0,3 (nicht 1) Prozent. Es gibt im Aargau zurzeit keine Ausbauprojekte für die Nutzung von Fernwärme aus Kernkraftwerken.

Nachtrag zum Artikel «Wohin mit überschüssigem Boden?», UMWELT AARGAU Nr. 68, Juni 2015, Seite 15 und 16:

Das Verzeichnis «Aufwertung Fruchtfolgeflächen» ist ab Ende Oktober 2015 auf dem Geoportal des Kantons Aargau unter www.ag.ch/geoportal in den Online-Karten verfügbar. Informationen zum Verzeichnis «Aufwertung Fruchtfol- geflächen» finden sich auch unter www.ag.ch/umwelt > Umweltinformationen > Boden.

8 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Amphibien im Abwasser – was nützen Ausstiegshilfen?

Barbara Meister | Alex Bösch | Praktikum Abteilung für Umwelt und Abteilung Landschaft und Gewässer | Wasser Gewässer 062 835 33 60 bzw. 062 835 34 50

Jedes Jahr fallen zahlreiche Amphibien in Entwässerungs­ Amphibien treffen auf ihren Wande­ schächte. Damit diese Tiere nicht qualvoll im Entwässe­ rungen immer wieder auf Strassen. rungssystem verenden, wurden an unterschiedlichen Stel­ Dabei fallen sie in deren Entwässe­ len Ausstiegshilfen installiert. Doch nutzen die Amphibien rungsschächte oder hüpfen bei trocke­ diese auch? In einer Versuchsreihe wurden verschiedene nen und warmen Bedingungen in den Ausstiegshilfen getestet – mit unterschiedlichem Erfolg. vermeintlichen Tümpel und sitzen in Mithilfe von Drainagematten konnten am meisten Amphi­ der Falle. Alle Amphibienarten der bien aus dem Schacht entkommen. Die Ausstiegshilfen in Schweiz sind geschützt. Dennoch ver­ den Regenüberlaufbecken haben sich ebenfalls bewährt. enden alljährlich zahlreiche Tiere im Entwässerungssystem. Um das Hin­ Schematische Darstellung des Entwässerungssystems einfallen in Schächte und Becken zu verhindern, wurden Massnahmen er­ 1 Entwässerungsschacht Entwässerungsschacht griffen. Beispielsweise nützt es, wenn im Bereich von Schächten der Rand­ Entlastung 3 stein abgeschrägt wird, damit die Am­ phibien den Strassenraum verlassen ARAARA 2 können. Da nicht alle möglichen «Fal­ len» eliminiert werden können, wur­ Regenüberlaufbecken Regenüberlaufbecken den zusätzlich Ausstiegshilfen instal­ liert. Jene in den Entwässerungs­ Quelle: Zeichnung B. Meister nach einer Vorlage schächten ermöglichen es den Tie­ der ARA Weiern in Männedorf ren, an Ort und Stelle wieder auszu­ Als Erstes müssen Massnahmen ergriffen werden, um zu verhindern, dass steigen. Schaffen sie dies nicht, wer­den die Tiere ins Entwässerungssystem eindringen. Da nicht alle Fallen elimi­ sie womöglich in ein Regenüberlauf­ niert werden können, müssen Ausstiegshilfen installiert werden, um den becken oder direkt auf die Abwasser­ gefangenen Tieren ein Entkommen zu ermöglichen. Am besten ist es, wenn reinigungsanlage (ARA) gespült. Des­ die Tiere dort aussteigen können, wo sie ins System gelangt sind (1). Bei halb wurden die in den letzten 20 Niederschlägen werden jene Amphibien, die sich im Entwässerungssystem Jahren neu erbauten Regenüberlauf­ befinden, in ein Regenüberlaufbecken gespült (2), ansonsten auf die ARA (3). becken mit Ausstiegshilfen ausge­ Diese Bauwerke müssen deshalb ebenfalls mit Ausstiegshilfen ausgerüstet stattet. Da bisher noch keine Erfolgs­ werden. kontrolle gemacht wurde, bleibt die Frage offen, ob die Amphibien die Aus­ stiegshilfen auch wirklich benutzen.

Fest montierte Ausstiegshilfe aus Lochblech in einem Regenüberlauf­ becken. Die Ausstiegsrampe sollte – wie hier – bis in den Pumpensumpf reichen. So werden die Tiere direkt Foto: B. Meister aus dem Becken geleitet.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 9 Ausstiegshilfen für Strassen­ Versuchsanlage te wurden mit etwas Wasser gefüllt – entwässerungsschächte auf dem Werkhof Oftringen zirka 1,2 Meter Steighöhe verblieben. Damit sich die Amphibien selbststän­ Auf dem Areal des Werkhofs in Oftrin­ Zur Dokumentation war ein Schacht dig aus den Entwässerungsschächten gen wurden von der Abteilung Tief­ mit einer Infrarotlicht-Kamera ausge­ befreien können, kommen Kletterhil­ bau drei Versuchsschächte oberirdisch stattet. Amphibien (Erdkröten, Grasfrö­ fen zum Einsatz. Diese sollen geringe aufgebaut und mit verschiedenen Lei­ sche, Gelbbauchunken, Bergmolche) Material- und Montagekosten haben tersystemen ausgerüstet. Die Schäch­ wurden über Nacht in die Versuchs­ und möglichst keinen Aufwand für den Strassenunterhalt verursachen. Die Stadt Zürich hat kürzlich ein Sys­ tem getestet und in zirka 1000 Ent­ wässerungsschächten verbaut. Ein ro­ bustes Blechgitter steht dabei diago­ nal (leicht geneigt) im Schacht. Als problematisch erachten wir die Hand­ habung im Unterhalt. Das Blech muss zur Schachtreinigung entfernt und an­ schliessend wieder eingesetzt werden. Eine Versuchsserie in den Niederlan­ den zeigte, dass auch senkrecht mon­ tierte Leitersysteme für viele Amphi­ bien nutzbar sind. Diese sind gleichzei­ tig kostengünstiger und einfacher im Foto: A. Bösch Unterhalt. Doch was ist das geeigne­ Versuchsanlage auf dem Werkhofareal in Oftringen: Hier wurden Ausstiegs­ te Material für solche Leitersysteme? hilfen aus verschiedenen Materialien getestet. Foto: A. Bösch Foto: A. Bösch

Eine Lochblechschiene, die nahezu senkrecht ist und Bei der Untersuchung verschiedener Ausstiegssysteme oben an den Rost anstösst, ist als Ausstiegshilfe nur schloss die Drainagematte Sytec Terramat am besten bedingt geeignet. ab. Sie wird in den Schacht gehängt, mit etwas Ballast versehen – damit kein Überhang entsteht – und oben zwischen Rost und Rahmen eingeklemmt. 10 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU schächte gesetzt und am folgenden Erfolgskontrolle die Erfolgskontrolle wurden neun Re­ Tag wieder eingesammelt. Die Video­ bei Regenüberlaufbecken genüberlaufbecken ausgewählt. Die aufnahmen lieferten weitere Anhalts­ Metallrampen ermöglichen Amphibi­ Ausstiege wurden mit Eimern oder punkte zur Beurteilung der verschie­ en den Ausstieg aus Regenüberlauf­ Plastikboxen versehen. So konnten denen Ausstiegshilfen. becken. Die Rampen werden fest an die Amphibien, die den Ausstieg ge­ die Beckenwand oder schwimmend schafft haben, bei den regelmässigen Drainagematten schneiden montiert. Letztere passen sich stetig Kontrollgängen zwischen März und am besten ab dem aktuellen Wasserstand an, wo­ Mitte Juni 2015 bestimmt und gezählt Wasser Gewässer Von den getesteten fünf Systemen durch sie weniger verschmutzen. Für werden. konnten nur bei zweien erfolgreiche Aufstiege beobachtet werden. Bei bei­ den handelt es sich um synthetische Total der eingesammelten Tiere in den untersuchten Drainagematten. Bei den beiden Sys­ Regenüberlaufbecken temen mit Metallelementen konnte – 110 in der gewählten senkrechten Monta­ ge – kein erfolgreicher Ausstieg ver­ 100 zeichnet werden. Es gab Erdkröten, die 90 zwar die Lochblechschiene hochklet­ 80 terten, dann aber am Ausstieg schei­ 70 terten. 60 Am besten schnitt die Terramat der Fir­ 50 ma Sytec ab: eine Drainagematte ohne 40 zusätzlichen Filz und ohne Metallver­

Anzahl Individuen 30 stärkungen. Die Matte bildet ein robus­ 20 tes dreidimensionales Netz. Videoauf­ 10 nahmen zeigen, wie sich die kleineren 0 Versuchstiere (Gelbbauchunken, Mol­ Erdkröte Kreuzkröte Grasfrosch Bergmolch Fadenmolch Feuer- Gelbbauch- salamander unke che) ins Material hineindrängen, so zusätzlichen Halt finden und der senk­ Bei der Erfolgskontrolle waren die Erdkröten am häufigsten vertreten. rechte Aufstieg auch für sie möglich Allerdings beeinflussen verschiedene Faktoren Anzahl und Arten der wird. Grössere Tiere (Erdkröten) fin­ Amphibien, die überhaupt in ein Regenüberlaufbecken gelangen: Einzugs­ den auf der reich strukturierten Ober­ gebiet, Grösse und Art der Bestände, Lage und Beschaffenheit der Entwäs­ fläche guten Halt, auch ihnen scheint serungsschächte, Witterung usw. Zudem ist es möglich, dass die Molche die «Tiefe» des Materials entgegen­ aus den Sammelbehältern klettern konnten und somit nicht erfasst wurden. zukommen – es ermöglicht teilweise ein Stehen oder Aufstemmen und es muss nicht die ganze Höhendifferenz Amphibienausstieg aus den einzelnen Regenüberlaufbecken krallend und greifend überwunden 80 werden. Für den Praxiseinsatz müssen noch 70 zwei Aspekte perfektioniert werden: Erstens muss an der Drainagematte 60 etwas Ballast angebracht werden, um 50 ein senkrechtes Hängen (kein Über­ hang) zu gewährleisten, und zweitens 40 ist die endgültige Form der Montage noch zu bestimmen. Die prinzipiellen 30

Anforderungen an die Montage sind Anzahl Individuen klar: 20 1. quer zu den Schlitzen des Rosts; 2. einfach auszuwechseln; 10 3. für den Schachtunterhalt kein Hin­ 0 dernis und kein Mehraufwand. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Regenüberlaufbecken

Gelbbauchunke Feuersalamander Fadenmolch Bergmolch Grasfrosch Kreuzkröte Erdkröte Amphibienarten und deren Anzahl, die während des Untersuchungszeit­ raums einen der kontrollierten Amphibienausstiege nutzten.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 11 Die Kontrollen zeigten, dass alle Aus­ stiegshilfen von den Amphibien ge­ nutzt wurden. Bei sieben der neun aus­ gewählten Objekte stiegen mehrere Individuen erfolgreich aus. Insgesamt konnten 191 Individuen nachgewiesen werden: Erdkröten, Grasfrösche, Berg­ molche, Fadenmolche, Feuersalaman­ der, Kreuzkröten und eine Gelbbauch­ unke. Allerdings ist es möglich, dass Molche aus den Auffangbehältern klet­ tern konnten und somit nicht alle er­ fasst wurden. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Anzahl der Amphibien, die über­ haupt in ein Regenüberlaufbecken ge­ langen. Das Einzugsgebiet spielt da­ bei eine wichtige Rolle. Gibt es grosse Amphibienvorkommen, ist auch mit mehr Tieren zu rechnen. Je nach Lage und Beschaffenheit der Entwässe­ Foto: B. Meister rungsschächte fallen mehr oder we­ Bei Niederschlägen werden zahlreiche Amphibien, die im Entwässerungs­ niger Individuen hinein. Ein weiterer system gefangen sind, in die Regenüberlaufbecken gespült. Diese Tiere Faktor ist die Witterung. Die Regen­ konnten sich mithilfe des Amphibienausstiegs aus dem Regenüberlauf­ überlaufbecken werden nur bei Nie­ becken befreien. derschlag gefüllt. An trockenen Tagen werden die Amphibien von den Ent­ wässerungsschächten aus direkt auf die Abwasserreinigungsanlage ARA Eine ideale Amphibienausstiegshilfe gespült. Auch hier sind Bestrebungen hhreicht bis in den Pumpensumpf, damit die Tiere die Ausstiegsrampe im Gang, um die Amphibien zu retten schnell finden und in kurzer Distanz erreichen können; – mit selbst getüftelten oder gekauf­ hhhat eine Ausstiegsrampe, die direkt an den Beckenrand anschliesst ten Ausstiegshilfen wie dem Amphi­ oder den Zwischenraum mit einer Gummischürze abdichtet. So werden bienabscheider. Die geretteten Tiere Tiere, die den Beckenrand entlangwandern, auf die Ausstiegsrampe ge­ werden eingesammelt und an geeig­ leitet; neten Orten ausgesetzt. Doch nicht hhist bei offenen Regenüberlaufbecken oben konisch, damit aufsteigende alle ARAs sind so ausgerüstet. Des­ Tiere vor Fressfeinden geschützt sind; halb ist es umso wichtiger, dass die hhweist beim Ausstieg Deckung wie Büsche, Ast- oder Steinhaufen auf, Amphibien erst gar nicht in die Ent­ damit sich die Amphibien vor Fressfeinden verstecken können. Hohes wässerungsschächte hineinfallen oder Gras bietet ebenfalls Deckung. Diese fehlt allerdings, wenn das Gras sie sich dank einer Ausstiegshilfe wie­ Anfang Jahr noch kurz ist oder gemäht wurde. der selbst befreien können.

Weitere Informationen Folgende Broschüren bieten einen guten Überblick über die Problematik und zeigen Lösungsansätze auf: hhGaus Caprez S. und Zumbach S., 2013: Amphibien in Entwässerungsan­ lagen. KARCH Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz, Neuenburg hhSchweizerischer Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute VSS, 2009: Strassen und Entwässerungssysteme. Schutzmassnahmen für Amphi­ bien. VSS, Zürich. Enthalten im Ordner Siedlungsentwässerung der Ab­ teilung für Umwelt.

12 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Renaturierung der Wigger

Sebastian Hackl | Abteilung Landschaft und Gewässer | 062 835 34 50 Ziele des Renaturierungsprojekts Wasser Gewässer Durch die Renaturierung erfüllt das Als ökologischer Ausgleich für den 6-Streifen-Ausbau der neue Flussbett folgende Aufgaben: Nationalstrasse A1/A2 wurde die Wigger im Auftrag des hhGewährleistung des Hochwasser- Bundesamtes für Strassen in Aarburg zwischen der Bern- schutzes und der gewässermorpho- strasse und der SBB-Brücke auf einer Länge von 850 Me- logischen Prozesse tern renaturiert. Mit dem neuen Gewässerlauf wurde dem hhVerbesserung der Vernetzung des Fluss mehr Platz gegeben und die Voraussetzungen wur- Gewässers in Längsrichtung und mit den geschaffen seine Eigendynamik zu reaktivieren – den umgebenden Lebensräumen soweit dies im stark genutzten Wiggertal möglich ist. hhAufwertung der Biodiversität durch Steigerung der natürlichen Struktur- vielfalt Im Zuge des Autobahnbaus wurde Das Dimensionierungshochwasser wur- hhFörderung und Lenkung der Naher- die Wigger vor rund 40 Jahren letzt- de damals auf 150 Kubikmeter pro holung durch verbesserten Gewäs- malig korrigiert und in ein streng geo- Sekunde festgelegt und damit gegen- serzugang auf der rechten Flussseite metrisches Trapezprofil gezwängt, das über älteren Planungen schon um bis keine eigendynamischen Prozesse mehr zu 30 Kubikmeter pro Sekunde er- Massnahmen zuliess. Die Sohle war einheitlich 10 höht. Wie die Hochwasserereignisse Die Wigger weist wildbachähnliche Meter breit und in regelmässigen Ab- der Jahre 2005 und 2007 zeigten, ent- Merkmale auf, wie die geringen Vor- ständen mit kleinen Schwellen gesi- spricht der Schutz nicht mehr den heu- warnzeiten vor Hochwasserereignis- chert. Um ungewollte Seitenerosio- tigen Anforderungen. Gemäss der Ge- sen, der hohe Geschiebetrieb oder der nen zu verhindern, wurden die Ufer fahrenkarte beträgt der Abfluss eines sehr grosse Unterschied zwischen mit einer Längsverbauung aus Block- 100-jährlichen Hochwasserereignisses Niederwasser und Hochwasser auf- steinen bzw. Betonplatten verbaut und (heutiges Dimensionierungshochwas- zeigen. Da die Wigger unterhalb des stabilisiert. Die Naherholungsfunktion ser) 180 Kubikmeter pro Sekunde. ­Aeschwuhrs (an der Grenze von Of- und die Erlebbarkeit des Gewässers Die Wigger entsprach also vor der Re- tringen zu Zofingen) nur noch eine wurden durch die steilen Böschungen naturierung weder den hochwasser- Restwasserstrecke darstellt und des- und den dichten Bewuchs entlang der schutztechnischen noch den ökologi- halb etwa die Hälfte des Jahres nur Ufer stark beeinträchtigt. schen Anforderungen. Zudem war die mit 800 Liter pro Sekunde beschickt Funktion als Naherholungsgebiet nur wird, mussten Massnahmen wie der sehr beschränkt vorhanden. Strukturierung der Niederwasserrinne besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, um die ökologischen Ziele zu erreichen. Im Einzelnen wurden folgende Mass- nahmen umgesetzt: hhVerlegung der Werkleitungen aus dem alten Uferdamm in das Trassee des neuen Uferwegs hhErstellung von zwei strukturierten, geschlossenen Rampen mit drei Pro- zent Gefälle zum Ausgleich des Hö- henunterschieds des ehemaligen Brühlwuhrs und der Sicherstellung der Längsvernetzung hhVerbreiterung des Gewässerraums auf bis zu 46 Meter hhErzeugung eines leicht pendelnden Flusslaufes und die Schaffung von Strömungs- und Lebensraumvielfalt Foto: Sebastian Hackl durch die wechselseitige Anordnung Das alte Gerinne der Wigger während des Ausholzens der Buhnen

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 13 hhStrukturierung der Gewässersohle und der unteren Uferböschungen durch verschiedene ingenieurbiolo- gische Massnahmen wie Baumbuh- nen, Steckhölzer und einzelne Soli- tärbäume hhSicherung der Ufer durch Stein- und Holzbuhnen hhStabilisierung der Uferböschungen durch standorttypische Ansaat und Uferbepflanzungen hhOffene Gestaltung des rechten Fluss­ ufers um den Zugang zum Gewäs- ser zu ermöglichen Foto: Sebastian Hackl

Aktueller Stand Bau einer Baumbuhne zum Schutz des Ufers und zur Strukturierung des Die wasserbaulichen Massnahmen und Gewässers erste Ansaaten konnten bereits im Frühjahr 2015 erfolgreich abgeschlos- sen werden. Die noch ausstehenden Bepflanzungen werden im Herbst 2015 erfolgen. Damit ist der Endzustand des Gewässerabschnitts noch lange nicht erreicht. Der optische Eindruck wird sich in den nächsten Jahren noch stark verändern, bis die Gehölze entspre- chend gewachsen sind und erste Hoch- wasserereignisse das Gerinne des Flus- ses umgestalten. Hinsichtlich der ge- stalterischen Kraft des Flusses hat sich schon einiges getan, da bereits zum Ende der Bauphase kleinere Hochwas- ser (von März bis Mai 2015) mit der Umformung des Flussbetts begonnen haben. Ein wichtiger Aspekt für das erfolgrei- che Umsetzen der Wiggerrenaturie- Foto: Sebastian Hackl rung war neben der langen und um- Mit Blocksteinen wird eine Rampe gebaut. Sie dient dem Ausgleich des fassenden Planungsphase die zielori- Höhenunterschieds und der Längsvernetzung. entierte und speditive Zusammenar- beit zwischen dem Bundesamt für Strassen, der Projektleitung, den Bau- unternehmern und den kantonalen Fachstellen. Mit der Umsetzung dieses Projekts konnte im Kanton Aargau nach dem Hochwasserschutzprojekt in Brittnau bereits ein zweiter Abschnitt an der Wigger ökologisch und hochwasser- schutztechnisch aufgewertet werden. Ein drittes Projekt entlang der Wigger in Zofingen und Strengelbach ist be- reits in Planung. Foto: Sebastian Hackl

Kleine Hochwasserereignisse haben das Gerinne der Wigger bereits neu gestaltet (Juli 2015).

14 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Das Surbtal ist hochwassersicher

Martin Tschannen | Abteilung Landschaft und Gewässer | 062 835 34 50 Ein regionales Wasser Gewässer Hochwasserschutzprojekt Die kantonale Strategie im Hochwasserschutz sieht vor, 2007 lag die Gefahrenkarte Hochwas­ Hochwasser soweit möglich zurückzuhalten und damit ser vor und zeigte auf, dass rund 62 einen schadlosen Wasserabfluss zu gewährleisten sowie Hektaren der Bauzone im Surbtal hoch­ Hochwasserschäden zu verhindern. Im Surbtal konnten wassergefährdet sind. Die Hochwas­ langjährige Planungs- und Bauarbeiten abgeschlossen serereignisse von 2005 und 2007 ver­ werden. ursachten im Surbtal keine grossen Schäden – an anderen Orten im Kan­ ton aber schon. Nun war die Zeit reif, Die Surb weist in einen Erste Schritte über Hochwasserrückhaltemassnah­ mittleren Abfluss von 200 Litern pro zum Hochwasserschutz men an der Surb zu diskutieren. Sekunde auf, in Döttingen vor der Schon bald war klar, dass effektiver Unter der Führung des Regionalver­ Mündung in die sind es rund Hochwasserschutz an der Surb – ein­ bandes Zurzibiet und in Zusammen­ 1000 Liter oder 1 Kubikmeter pro Se­ gezwängt in ein enges Korsett im Sied­ arbeit mit den betroffenen Gemein­ kunde. Am 19. Mai 1994 liessen anhal­ lungsgebiet von Lengnau und Endin­ den wurde ein Vorprojekt in Auftrag tende Regenfälle die Pegel an der Surb gen – nur mit Rückhaltemassnahmen gegeben. Das Potenzial von zentralen massiv ansteigen. In Ehrendingen wur­ oberhalb der Siedlungsgebiete reali­ und dezentralen Rückhaltemassnah­ den 35 Kubikmeter pro Sekunde ge­ siert werden kann. In den Jahren von men an der Surb und an den Seiten­ messen, in Döttingen sogar 52. Die 2000 bis 2003 wurde das damals Mach­ bächen wurde untersucht. Insgesamt Dorfzentren von Lengnau und Endin­ bare realisiert: ein Ausbau der Surb wurden 24 potenzielle Beckenstand­ gen standen unter Wasser. Unteren­ in den Dorfkernen von Lengnau und orte ermittelt und grob evaluiert. Da­ dingen, und Döttingen ka­ Endingen im Hinblick auf ein Hoch­ bei zeigte sich, dass kleine und dezent­ men mit einem blauen Auge davon. wasserereignis, das im Durchschnitt rale Rückhaltebecken an den Seiten­ Dieses Hochwasserereignis vom Mai alle 20 Jahre eintritt. Rückhaltebecken bächen nur das lokale Hochwasserpro­ 1994 war ein Auslöser für die Planung oder «Staumauern», wie sie im Surb­ blem am jeweiligen Seitenbach lösen, des Hochwasserschutzes im Surbtal. tal genannt wurden, konnten damals aber kaum zur Dämpfung des Hoch­ weder Behörden noch die Bevölke­ wasserabflusses in der Surb beitra­ rung im Surbtal akzeptieren. gen. Als beste Lösung des Hochwas­ serproblems wurde folgende Varian­ te bestimmt: hhHochwasserrückhaltebecken Ried in Ehrendingen hhHochwasserrückhaltebecken Chilwis in Endingen hhmassvoller Gerinneausbau beim Dorfeingang und im Gewerbegebiet Lengnau Die beiden Hochwasserrückhalte­ becken (HRB) drosseln den Abfluss der Surb so weit, dass die Surb bei einem 100-jährlichen Hochwasser­ ereignis schadlos durch die Dorfzen­ tren von Lengnau und Endingen ge­ leitet werden kann. Der Grosse Rat stimmte diesem regionalen Hochwas­ serschutzprojekt Surbtal am 23. Sep­ tember 2008 zu. In der Folge wurde das Bauprojekt ausgearbeitet und im November 2010 öffentlich aufgelegt. Am 19. Mai 1994 wurde das Dorfzentrum von Lengnau überflutet. Quelle: Bild aus dem «Badener Tagblatt»

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 15 Realisierung Ried am 23. August 2012. Baugrund 1,5 Jahre, diejenigen im HRB Chilwis Am 28. März 2012 konnte der Regie­ und Wetter stellten Planer und Bau­ – begünstigt durch das trockene Wet­ rungsrat das Hochwasserschutzprojekt unternehmung vor verschiedene Her­ ter – 10 Monate. Genau zwei Jahre Surbtal genehmigen. Die Bauarbeiten ausforderungen, die jedoch erfolg­ nach dem Spatenstich, am 23. August wurden gestaffelt ausgeführt und be­ reich gemeistert werden konnten. Die 2014 konnten die beiden Rückhalte­ gannen mit dem Spatenstich im HRB Bauarbeiten im HRB Ried dauerten becken feierlich eingeweiht werden.

Einpassung in die Landschaft und Schaffung zusätzlicher Naturwerte Während rund zwei Jahren waren die Baustellen der beiden HRBs im Surb­ tal gut sichtbar. Bei der Planung wur­ de bereits ein besonderes Augenmerk auf die Einpassung in die Landschaft gelegt. Nach Abschluss der Bauarbei­ ten wurden die Dammflächen mit Blu­ menwiesen angesät. Heute sind die beiden Dämme bewachsen und fallen nicht mehr gross auf. Als ökologische Ausgleichsmassnahmen wurden der Haselhölzlibach in Ehrendingen und der Wiesenbach in Endingen ausge­ dolt. An beiden Beckenstandorten wur­ den Amphibientümpel neu angelegt, die nach kurzer Zeit von den Amphi­ bien entdeckt und besiedelt wurden. Durch das HRB Ried verläuft ein na­ tionaler Wildkorridor. Dieser wurde mit Heckenpflanzungen aufgewertet.

Übersicht über die diskutierten Beckenstandorte an der Surb und den Seitengewässern: Schliesslich wurden die Hochwasserrückhaltebecken Ried in Ehrendingen (Nr. 1) und Chilwis in Endingen (Nr. 20) als Ideallösung realisiert. Quelle: Abteilung Landschaft und Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer

Am 23. August 2014 – genau zwei Jahre nach dem Spatenstich – konnten Als ökologische Ausgleichsmass­ die Bauwerke in Ehrendingen eingeweiht werden. nahme wurde der Haselhölzlibach in Ehrendingen ausgedolt.

16 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Wasser Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer

Die Baustelle des Hochwasserrückhaltebeckens Ried in Ehrendingen im August 2013 (links) und der begrünte und in die Landschaft eingepasste Rückhaltedamm (rechts). Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer

Die Baustelle des Hochwasserrückhaltebeckens Chilwis in Endingen im Dezember 2013 (links) und der fertig gestellte und begrünte Damm mit geöffnetem Wiesenbach (rechts). Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer

Der neu angelegte Amphibientümpel im Stauraum des Hochwasserrückhaltebeckens Ried in Ehrendingen wurde von den Amphibien rasch in Beschlag genommen.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 17 Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer Foto: Abteilung Landschaft und Gewässer

Im Gewerbegebiet Lengnau sind nun keine Sandsackeinsätze mehr notwendig wie im Juli 2009.

Kosten-Nutzen-Überlegungen sinnvoll und schafft bleibende Natur­ Ausblick Für den Hochwasserschutz Surbtal werte. Die Kosten werden gemeinsam Regionale und Gemeindegrenzen über­ wurde ein Kredit von 12,4 Millionen von Bund (4,6 Millionen Franken), Kan­ schreitende Hochwasserschutzprojek­ Franken bewilligt. Mit den realisierten ton (4,8 Millionen Franken) und den te erfordern einen grossen Koordina­ Massnahmen kann bei einem 100-jähr­ Gemeinden Lengnau, Endingen, Teger­ tionsbedarf und benötigen Zeit. Nach lichen Hochwasserereignis eine Scha­ felden und Döttingen sowie dem Ab­ über 20-jähriger Planungs- und Bau­ densumme von 21 Millionen Franken wasserverband Oberes Surbtal (3 Mil­ zeit ist das Surbtal gegen Überflutun­ verhindert werden. Das Hochwasser­ lionen Franken) getragen. Die Haupt­ gen von der Surb weitgehend ge­ schutzprojekt spielt für die nachhalti­ last des Gemeindebetrags tragen Leng­ schützt. Noch offen sind der Schutz ge Entwicklung der Gemeinden eine nau und Endingen, die zusätzlich von beim Dorfeingang in Lengnau und der bedeutende Rolle, denn es schützt Be­ der Mobiliar-Versicherung unterstützt Schutz vor Überflutungen durch die völkerung und Gewerbeunternehmen werden. Seitengewässer. Nach der grossen In­ vor Hochwasser, ist volkswirtschaftlich vestition in den regionalen Hochwas­ serschutz Surbtal stehen weitere Pro­ jekte wie der Hochwasserschutz am Rickenbach in Lengnau oder die Sa­ nierung des Gislibachs in Tegerfelden kurz vor der Genehmigung und der Realisierung.

Hochwasserrückhaltebecken (HRB) im Surbtal Kenndaten HRB Ried hhDammlänge: 140 m 3 3 hhAbflussdämpfung von 30 m /s auf 18 m /s bei einem 100-jährlichen Hochwasserereignis (HQ100) 3 hhRückhaltevolumen: 150’000 m hhÜberfluteter Rückstauraum bei einem HQ100: rund 8 ha hhStauhöhe: etwa 6 m ab Gewässersohle, etwa 4 m ab Terrain Kenndaten HRB Chilwis hhDammlänge: 180 m 3 3 hhAbflussdämpfung von 36,5 m /s auf 30 m /s bei einem 100-jährlichen Hochwasserereignis (HQ100) 3 hhRückhaltevolumen: 100’000 m hhÜberfluteter Rückstauraum bei einem HQ100: rund 6 ha hhStauhöhe: etwa 5 m ab Gewässersohle, etwa 3 m ab Terrain

18 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Wie kommt das Glyphosat in unsere Gewässer?

Martin Märki | Abteilung für Umwelt | 062 835 33 60 | in Zusammenarbeit mit Agroscope und den involvierten ARAs Wasser Gewässer

Glyphosat ist der am meisten eingesetzte Herbizid-Wirk- zide direkt oder indirekt in die Gewäs­ stoff weltweit und auch in der Schweiz. Gilt es Unkraut ser gelangen. Es läuft im Kanton Aar­ zu bekämpfen – in der Landwirtschaft oder im Siedlungs- gau bereits einiges, um die Gewässer gebiet – wird häufig zu Roundup und anderen glyphosat- vor Pestiziden zu schützen: Beratun­ haltigen Produkten gegriffen. Neuste Untersuchungen der gen und Schulungen sowie technische Abteilung für Umwelt zeigen, dass bei starken Regen­ Massnahmen wie driftreduzierte Dü­ ereignissen Abschwemmungen aus landwirtschaftlichen sen an der Feldspritze, ein Frischwas­ Nutzflächen eine bedeutende Quelle für die erheblichen sertank zum Spülen derselben, Aus­ Glyphosat-Belastungen in den Fliessgewässern Wyna und bringen der Restbrühe vor Ort und Surb darstellen. Aber auch Einträge über das gereinigte Pufferstreifen von mindestens sechs Abwasser aus dem Siedlungsgebiet tragen zur Belastung Metern entlang von Gewässern für Be­ bei. Bei längeren trockenen Bedingungen bestimmte der triebe, die nach ÖLN produzieren und Eintrag aus den Abwassereinigungsanlagen (ARA) die Direktzahlungen erhalten (drei Meter Belastung, die zwar wesentlich geringer war, aber den­- für Nicht-ÖLN-Betriebe). Die Sensibi­ noch zu Grenzwertüberschreitungen führen konnte. lisierung und das Umweltbewusstsein zu fördern, bleibt aber eine Dauerauf­ gabe. Wer kennt sie nicht, die lästigen Un­ tiziden solche, die nur in der Land­ Andererseits ist es der Herbizid-Wirk­ kräuter in Acker, Garten, auf Parkplatz wirtschaft zugelassen sind und dabei stoff Glyphosat, der in den höchsten oder Wegen. Anstelle des klassischen gewissen Kulturen wie Mais oder Zu­ Konzentrationen (in Sammelproben Jätens mit einer Hacke wird oft auf die ckerrüben zugeordnet werden kön­ von drei Wochen) bis 1,8 Mikrogramm zuverlässigen und bequemen Dienste nen. Die Quelle «Landwirtschaft» ist pro Liter oder der 18-fachen Über­ eines Unkrautvertilgers (Herbizid) zu­ aber diffus verteilt und umfasst viele schreitung der gesetzlichen Anforde­ rückgegriffen. Herbizide werden haupt­ Eintrittspfade. Diese reichen von der rung und in höchsten Frachten in der sächlich in der Landwirtschaft einge­ Abschwemmung aus dem Acker bei Wyna gefunden wurde. Dies erstaunt setzt, aber nicht nur. Gewisse Wirk­ Regen über die Abdrift bei der Appli­ eigentlich, weil Glyphosat stark an Bo­ stoffe – der bekannteste ist Glyphosat, kation bis hin zu Fehlanschlüssen bei denpartikel adsorbiert und rasch ab­ enthalten in Produkten wie Roundup­ der Hofplatzentwässerung. Bei der Rei­ gebaut wird. Mit rund 200 Tonnen – finden auch im privaten und gewerb­ nigung der Feldspritze können Pesti­ jährlich ist Glyphosat der am meisten lichen Bereich Anwendung. Deshalb ist es besonders schwierig herauszu­ finden, bei welcher Anwendung sol­ che Stoffe in die Gewässer gelangen können. Fakt ist, dass in Gewässern Konzentrationen gemessen werden, welche die aktuellen gesetzlichen An­ forderungen teilweise deutlich über­ schreiten. Die Abteilung für Umwelt (AfU) hat sich zum Ziel gesetzt, die Ein­ trittspfade von Glyphosat in die Ge­ wässer zu identifizieren und zu quan­ tifizieren.

Glyphosat – Nr. 1 der Pestizide Eine erste Messkampagne 2012 zeig­ te, dass die Wyna zwar bereits aus dem Luzernischen belastet in den Aargau fliesst, aber von Reinach nach Suhr Vielfältige Eintrittspfade: Glyphosat (enthalten im Unkrautvertilger Round­ noch erhebliche Mengen der verschie­ up) wird in der Landwirtschaft wie auch im Siedlungsgebiet eingesetzt und denen Pestizide dazukommen. Einer­ kann direkt durch Abschwemmung und Abdrift oder indirekt durch Ent­ seits sind es bei den gemessenen Pes­ wässerungssysteme in die Gewässer gelangen. Quelle Bild: BAFU

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 19 in Lengnau von 9 bis auf etwa 250 Gramm pro Woche. Die Konzentratio­ Wyna Unterkulm nen der Sammelproben stiegen bei heftigen Regenereignissen von 0,035 auf bis zu 2,1 Mikrogramm pro Liter in den Gewässern an. Probensammler Da oberhalb von und Reinach keine ARA in die Gewässer einleitet, war die Belastungszunahme ARA Gontenschwil diffusen Quellen wie Abschwemmung aus landwirtschaftlichen Nutzflächen und Regenentlastungen zuzuschrei­ ben. Der unterschiedliche Einfluss der ARA auf die Glyphosatfracht konnte ARA Reinach mit den Untersuchungen dargestellt werden. Bei heftigen Regenereignis­ sen ist ihr Einfluss aber mit weniger als 20 Prozent an der zusätzlichen Be­ Wyna Reinach lastung zwischen beiden Messstellen Im Jahr 2014 wurden vom 16. Juni bis 1. September in den Kalenderwochen in Wyna und Surb eher gering. An­ 26, 27, 28, 31 und 35 jeweils abflussproportionale Sammelproben an den dere, diffuse Quellen dominierten die Messstellen Wyna Reinach, Wyna Unterkulm, Surb Niederweningen und Glyphosatbelastung in beiden Ge­ Surb Lengnau erhoben. Zudem stellten die Abwasserreinigungsanlagen wässern. Reinach, Gontenschwil und Oberes Surbtal Sammelproben aus dem Zulauf Was macht diesen diffusen Anteil aber und Ablauf der ARA zur Verfügung. aus? In der Wyna wurde der Beitrag der Abschwemmung aus den land­ eingesetzte Wirkstoff in der Schweiz. verschiedene Messkampagnen im Wy­ wirtschaftlichen Nutzflächen am diffu­ Er wird in der Landwirtschaft verwen­ nen- und im Surbtal durchgeführt. sen Anteil abgeschätzt. Eine Bilanzie­ det, aber auch Private können immer rung mit den Beiträgen aus Regen­ noch in einigen Fachgeschäften, Bau- Bei heftigem Regen grosse entlastungen, dem Unterhalt der Kan­ und Hobbymärkten oder Gartenzent­ Abschwemmung aus landwirt- tonsstrassen und aus der Eindämmung ren Glyphosat in Form von Unkraut­ schaftlichen Nutzflächen der Vegetation auf und an Bahngelei­ vertilgern kaufen. Regenereignisse können die Glypho­ sen brachte hier Klarheit. Beim Unter­ Glyphosat ist zwar vom ökotoxikolo­ satfracht in Gewässern um ein Vielfa­ halt der Kantonsstrassen wird Gly­ gischen Punkt her nicht das problema­ ches anheben. Am Beispiel der Wyna phosat nicht verwendet, bei der Ein­ tischste Pestizid, wird aber aufgrund erhöhte sich die Fracht in Reinach dämmung der Vegetation auf dem seiner breiten Anwendung in grossen von 8 Gramm pro Woche bei sehr tro­ Trassee der Wynental-Suhrental-Bahn Mengen in hohen Konzentrationen in ckenen Bedingungen auf bis zu 213 aber schon. Es kann nicht ausgeschlos­ den Gewässern nachgewiesen. Gramm pro Woche bei heftigem Re­ sen werden, dass dabei Glyphosat gen, in Unterkulm von 50 bis auf etwa durch Abschwemmung direkt in die Eintrittspfade in die Gewässer 800 Gramm pro Woche, in der Surb Wyna gelangt. Der Grossteil der Ab­ sind vielfältig in Niederweningen von 2 auf 25 und schwemmung dürfte aber via Kanali­ Nebst den vielen Möglichkeiten in der Landwirtschaft gelangt Glyphosat via Abwasserreinigungsanlage (ARA) in Wyna als Modellgewässer die Gewässer – und zwar durch das Die Abteilung für Umwelt hat in den Jahren 2002 bis 2007 in enger Zu­ Abwasser von Haushalten, Betrieben, sammenarbeit mit dem Kanton Luzern diverse gemeinsame Gewässer Bahngleisen, Drainageleitungen aus und deren Einzugsgebiete auf bis zu 80 verschiedene Pestizide unter­ landwirtschaftlichen Nutzflächen, Lie­ sucht. Die Untersuchungen fanden im Reuss-, See-, Suhren-, Wigger- genschaft- und Strassenentwässerung. und Wynental statt. Insgesamt wurden an 46 Messstellen jeweils 6 Mo­ Nicht jedem dürfte bei der Anwen­ mentanproben erhoben. Wie bereits im UMWELT AARGAU, Nr. 52, Mai dung bewusst sein, dass durch un­ 2011, Seite 17 bis 20, beschrieben, zeigte die Auswertung eine hohe Grund­ sachgemässen Umgang, solche Stof­ belastung in diesen Aargauer und Luzerner Fliessgewässern – insbeson­ fe schliesslich in die Gewässer gelan­ dere in der Wyna. Dadurch rückte die Wyna als Modellgewässer in den gen können. Fokus weiterer Abklärungen. Einerseits ging es darum, Erkenntnisse zu Um die Quellen zu identifizieren und gewinnen, wie und wo welche Pestizide in die Gewässer gelangen. Ande­ deren Bedeutung abzuschätzen hat die rerseits wurde daraus abgeleitet, welche Massnahmen sich daraus erge­ AfU in Zusammenarbeit mit dem For­ ben, im Gewässerschutzvollzug zielgerichteter und wirkungsvoller agie­ schungszentrum Agroscope in Wä­ ren zu können. denswil in den Jahren 2013 und 2014

20 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU sation gehen und nicht direkt in die Anwendungseinschränkungen von Herbiziden Gewässer gelangen. Die grob errech­ Wussten Sie von einem Anwendungsverbot von Herbiziden? Eine Umfra­ neten Glyphosatfrachten aus Regen­ ge des BAFU von 2010 bei Privatgartenbesitzern zeigte, dass etwa die entlastungen lagen in der Grössen­ Hälfte dieses Verbot nicht kannte. Lassen Sie sich beim Kauf beraten! ordnung des ARA-Eintrags, teilweise Gemäss Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung (ChemRRV, Anhang sogar darüber. Nichtsdestotrotz wa­ 2.5106) gilt: ren die Regenentlastungen bei hefti­ hPflanzenschutzmittel, die dazu bestimmt sind, unerwünschte Pflanzen gen Regenereignissen eher unbedeu­ h oder Pflanzenteile zu vernichten oder auf ein unerwünschtes Pflanzen­ Wasser Gewässer tend und somit die Landwirtschaft die wachstum Einfluss zu nehmen, dürfen nicht verwendet werden: wichtigste Quelle der Glyphosatbelas­ – auf Dächern und Terrassen; tung in der Wyna. In der Surb wurden – auf Lagerplätzen; solche Abschätzungen nicht durchge­ – auf und an Strassen, Wegen und Plätzen. führt, das Ergebnis dürfte aber ähn­ hAusnahmen sind Einzelstockbehandlung auf National- und Kantons­ lich sein. h strassen, sofern diese mit anderen Massnahmen wie regelmässigem Bei mässigem Regen stieg hingegen Mähen nicht erfolgreich bekämpft werden können. die Bedeutung von ARA und Regenent­ lastungen. Obwohl nur grobe Abschät­ Der Kanton Aargau verzichtet im Strassenunterhalt auf Glyphosat. zungen gemacht werden konnten, stell­ Jäten mit einer Hacke, kräftiges Wischen, regelmässiges Mähen oder Ab­ ten die Regenentlastungen bei mässi­ brennen sind alternative Methoden im privaten Bereich. gem Regen teilweise sogar die grösse­ re Quelle dar als die Abschwemmun­ gen aus landwirtschaftlichen Nutzflä­ chen. Je nach Witterungsverhältnissen Sachgemässer Umgang mit Pestiziden kann die Bedeutung der verschiedenen hhNur auf humusierten und nicht auf befestigten Flächen anwenden. Quellen ändern. hhNur bei trockenen Bedingungen anwenden. hhGenaue Dosierung gemäss Packungsangabe befolgen und nicht gemäss Fracht durch ARA mehr oder «viel nützt viel» agieren. weniger konstant hhRestbrühe auf humusierte Fläche ausbringen und nicht im Lavabo, Vor­ Die Glyphosatfrachten durch die ARA platz, usw. auswaschen und ausleeren. waren trotz sehr unterschiedlichen Be­ hhWirkstoffreste in die Verkaufsstelle zurückbringen und nicht zu Hause dingungen – ob trocken oder nieder­ entsorgen. schlagsintensiv – relativ konstant. Sie Der Aufruf zu sachgemässem Umgang mit Glyphosat und Pestiziden im betrugen für alle ARA zwischen 6 und Allgemeinen richtet sich nicht nur an die Landwirtschaft, sondern auch 63 Gramm pro Woche. Die beiden Ex­ an die Privathaushalte oder generell an alle, die Pflanzenschutzmittel an­ tremwerte stammten aus der ARA wenden. Gontenschwil. Diese ARA weicht von den andern ARAs dadurch ab, dass sie einen grossen Anteil an Drainage­ wasser aus landwirtschaftlichen Nutz­ Die Geschichte von Glyphosat flächen aufweist, was zu sehr unter­ Glyphosat wurde durch den Schweizer Chemiker Henri Martin 1950 erst­ schiedlichen Frachten führen kann. mals im Labor hergestellt. Die biologische Aktivität blieb aber lange un­ Dies zeigten auch die höchsten Kon­ bekannt. Erst 1970 synthetisierte Monsanto erstmals die Verbindung und zentrationen im Zulauf zur ARA. Die liess Glyphosat 1971 als Herbizid patentieren. Das Patent wurde 1974 er­ andern ARAs wiesen eher konstante teilt. Glyphosatfrachten zwischen 12 und 36 1974 kam Glyphosat erstmals als Wirkstoff des Herbizids Roundup auf Gramm pro Woche auf. den Markt. Zunächst wurde es in der Landwirtschaft eingesetzt, um vor der Aussaat die Felder von Unkräutern zu befreien. In den USA und auch Bei trockenen Bedingungen in der Schweiz wurde es zum meisteingesetzten Wirkstoff – mehr als ist ARA-Beitrag bedeutend 110’000 Tonnen 2011 in den USA und mehr als 200 Tonnen in der Schweiz. Sowohl im Wynen- wie auch im Surb­ Ein Grossteil wird im Mais- und Sojabohnenanbau eingesetzt, insbeson­ tal zeigten die Messungen vom 16. dere seit es Roundup-ready-Sojabohnen gibt, die gentechnisch verändert bis 23. Juni 2014, dass die ARA bei sind, um gegen Glyphosat resistent zu sein. Dies erlaubt auch eine Appli­ trockenen Wetterbedingungen einen kation nach der Aussaat. nicht zu unterschätzenden Beitrag an Mittlerweile sind die Patente auf Glyphosat von Monsanto in den meisten der Pestizidfracht der Gewässer leis­ Staaten abgelaufen. Neben Roundup sind Dutzende anderer glyphosat­ tet. Oberhalb von Reinach und Nieder­ haltiger Herbizide auf dem Markt. weningen betrug die Fracht für Wyna In der EU besteht eine aktuelle Zulassung seit 2002 und sie wurde am und Surb nur 8 resp. 2 Gramm pro 10. November 2010 bis 31. Dezember 2015 verlängert. Die EU-Zulassung Woche. Die gemessenen Konzentra­ war massgebend für die Wiederzulassung in der Schweiz. tionen lagen unter der gesetzlichen An­

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 21 forderung von 0,1 Mikrogramm pro Zwei unterschiedliche Belastungssituationen in Wyna und Surb Liter für Gewässer. Bis Unterkulm und 1000 300 Lengnau erhöhten sich die Belastun­ Wyna: 16. bis 23.6.2014 Surb: 16. bis 23.6.2014

t 250 gen in Wyna und Surb um 42 resp. 7 t 800 Gramm, was dem Beitrag aus den

ARAs entsprach. Andere Quellen wa­ pho s a 200 pho s a y

600 l y ren somit unbedeutend. l 150

400 mm G mm G Wie gelangt Glyphosat bei a

r 100 a r trockenem Wetter auf die ARA? G G Die Resultate der vorliegenden Studie 200 50 zeigen, dass Glyphosat auch bei tro­ ckenen Witterungsbedingungen in be­ 0 0 Reinach Unterkulm Niederweningen Lengnau achtlichen Konzentrationen auf die ARA Wyna ARA Surb ARA gelangt, dort zu einem gewissen Grad (56 bis 85 Prozent) eliminiert wer­ 1000 300 Wyna: 28.7. bis 4.8.2014 Surb: 28.7. bis 4.8.2014 den kann und die Restmengen mit 250 dem gereinigten Abwasser in die Ge­ t 800 wässer geleitet werden. Diese Menge 200 von gerade mal etwa 50 Gramm in pho s a 600 y einer Woche reichte am Beispiel der l 150 Wyna bereits aus, um den aktuellen 400

mm G 100

Grenzwert zu überschreiten. Wie ge­ a r Gramm Glyphosat langt aber Glyphosat bei trockenen G 200 50 Bedingungen in die Kanalisation? Die Applikation des Wirkstoffs erfolgt bei 0 0 trockenen Bedingungen. Selbst die Reinach Unterkulm Niederweningen Lengnau Missachtung des Anwendungsverbo­ Landwirtschaft diffus tes von Herbizid auf befestigen Stras­ Regenentlastungen ARA sen, Wegen und Plätzen kann als Er­ ARA Surb klärung kaum beigezogen werden, da Wyna ohne Regen kaum eine Abschwem­ mung möglich ist. Vielleicht werden Bei trockenen Bedingungen (16. bis 23. Juni 2014) und nach heftigen Gebinde und Sprühflaschen in einem Regenereignissen (28. Juli bis 4. August 2014): Bei länger trockenen Bedin­ Lavabo nach der Anwendung ausge­ gungen (16. bis 23. Juni 2014) war die Belastung wesentlich geringer und waschen, das in die Kanalisation führt. sie stammt überwiegend aus den ARA-Einträgen. Bei niederschlagintensi­ Vielleicht wird bei der Herstellung ei­ ven Bedingungen stieg die Belastung um ein Vielfaches an. Bedeutend ner Anwendungslösung aus einem waren zu dieser Zeit die diffusen Quellen, insbesondere die Abschwem­ Konzentrat etwas verschüttet. Vielleicht mung aus landwirtschaftlichen Nutzflächen. wird aber der besprühte (behandelte) Platz später mit Wasser abgespritzt und bedeutet aber nicht, dass der Eintrag senslücken bezüglich sachgemässen Glyphosat gelangt auf diesem Weg in von Pestiziden in unsere Gewässer Umgangs bestehen, zeigte eine Studie die Kanalisation. Vielleicht sind es auch künftig toleriert werden muss. Es ist des Bundesamtes für Umwelt BAFU im andere – uns unbekannte – Arbeitsab­ zu beachten, dass Herbizide in der Um­ Jahr 2010. Diese Lücken können kaum läufe in der privaten, gewerblichen welt eine Wirkung an gewissen Orga­ geschlossen werden, solange glypho­ oder landwirtschaftlichen Anwendung, nismen erzielen, also Wirkstoffe für sathaltige Produkte in der Selbstbe­ die dazu führen. lebende Organismen sind. Aus Grün­ dienung bei diversen Fachgeschäften, den der Vorsorge sind solche Stoffe Bau- und Hobbymärkten oder Garten­ Grenzwerte und Vorsorge grundsätzlich soweit möglich von den zentren frei erhältlich sind. Wären sol­ Die Gewässerschutzverordnung wird Gewässern fernzuhalten. Ein absolu­ che Produkte nur mit einer fachkundi­ auf den 1. Januar 2016 angepasst. Der tes Verbot für Pestizide wie Glypho­ gen Beratung erhältlich, dürfte dies zu bisherige Grenzwert für organische sat ist nicht realistisch und wohl auch einer Verbesserung führen. Pestizide von 0,1 Mikrogramm pro Li­ nicht sinnvoll. Wichtiger ist ein sach­ Erst Ende Mai 2015 haben Coop und ter soll durch einen Umweltqualitäts-­ gemässer Umgang mit solchen Wirk­ Migros aufgrund der Beurteilung der Standard ersetzt werden. Bezüglich stoffen, das heisst das korrekte Aus­ Internationalen Agentur für Krebsfor­ Glyphosat würde dadurch die gesetz­ bringen gemäss Zulassung, das Ein­ schung (IARC) der Weltgesundheits­ liche Anforderung deutlich gelockert halten der Anwendungseinschränkun­ organisation WHO, dass Glyphosat und alle Resultate der vorliegenden gen sowie die konsequente Rückgabe «wahrscheinlich krebserregend» ist, Untersuchungen würden die neue An­ resp. korrekte Entsorgung der Reste. ihre glyphosathaltigen Produkte aus forderung grundsätzlich erfüllen. Dies Dass bei den privaten Anwendern Wis­ dem Sortiment genommen.

22 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Hallwilersee – nachhaltige Gesundung sicherstellen

Arno Stöckli | Abteilung für Umwelt | 062 835 33 60 schen Einzugsgebiet des Sees für die Wasser Gewässer Periode 2001 bis 2010 rund 1,2 Millio- Die Sanierung des Hallwilersees hat in den letzten Jahren nen Franken an Beiträgen aus dem grosse Fortschritte gemacht. Das Ziel für den Phosphorge- Phosphorprojekt. Davon trug der Bund halt im See wird seit 2008 eingehalten. Um die erreichten rund 77 Prozent. Fortschritte zu sichern, hat der Regierungsrat einen Ver- Seit 2011 sind im Einzugsgebiet des pflichtungskredit für eine weitere Sanierungsetappe von Hallwilersees besondere kantonale 2016 bis 2020 bewilligt. Vorschriften bezüglich Düngung mit Phosphor in Kraft (§ 29 Verordnung zum Einführungsgesetz zur Bundesge- Der Hallwilersee wurde während rund durchgeführt. Dieses förderte Mass- setzgebung über den Schutz von Um- 100 Jahren mit zu vielen Nährstoffen, nahmen zur Verminderung von Nähr- welt und Gewässer). Die Vorschriften insbesondere Phosphat, belastet. Dies stoffverlusten aus der Landwirtschaft. sollen sicherstellen, dass das bisher führte zu übermässigem Algenwachs- Als bedeutendste und erfolgreichste erreichte Niveau der Phosphorab- tum und zu fehlendem Sauerstoff im Massnahme im Kanton Aargau erwies schwemmungen in den Hallwilersee Tiefenwasser. Die Sanierung des Hall- sich die finanzielle Abgeltung für eine weiterhin erhalten bleibt, auch wenn wilersees ist daher seit Mitte des letz- gegenüber dem Pflanzenbedarf redu- ab 2011 keine Abgeltungen mehr für ten Jahrhunderts ein Thema. zierte Phosphatdüngung. So konnte nicht ausgebrachten Phosphor be- verhindert werden, dass die Bauern zahlt werden. In reduziertem Umfang Langjährige überschüssige Hofdünger aus dem wurden weiterhin kantonale Beiträge Sanierungsbemühungen Kanton Luzern weiterhin annahmen. für Pufferstreifen und erosionsmin- Mit der Fernhaltung der aargauischen Zusätzlich wirkten erweiterte Puffer- dernde Anbauverfahren ausgerichtet. Abwässer vom See und deren Reini- streifen entlang von Bächen und dem Im Bereich Siedlungsentwässerung ha- gung in Seengen sowie der späteren Seeufer sowie pfluglose Saatverfah- ben die Gemeinden durch den Bau von Abwassersanierung im Kanton Luzern ren gegen die oberflächliche Ab- Regenklärbecken und die Abtrennung wurden bis Anfang der 1980er-Jahre schwemmung von Nährstoffen und von Sauberwasser die Abwasserbe- erste wichtige Schritte zur Gesundung gegen die Bodenerosion. Insgesamt lastung des Hallwilersees weiter ver- des Hallwilersees getan. Seither neh- erhielten die Landwirte im aargaui- mindert. men die Phosphorgehalte im Hallwi- lersee und im oben liegenden Baldeg- gersee ab. Um den Gesundungspro- Zeitlicher Verlauf des Phosphorgehalts im Hallwilersee seit 1990

zess der Seen zu beschleunigen wur- ) 140 P den in den 1980er-Jahren in beiden 3 m /

Seen sogenannte seeinterne Mass- g 120 62a m nahmen (Zirkulationshilfe im Winter ( r und Sauerstoffbelüftung im Sommer) 100 ss e in Betrieb genommen. Der Hallwiler- a see wird nun seit beinahe 30 Jahren

80 Phosphorprojekt GSchG Art . ee w S belüftet. m i Gleichzeitig wurde auch der Beitrag 60 der Landwirtschaft zur Überdüngungs- pho r problematik erkannt und erste Mass- 40 Prognose nahmen wurden getroffen (Förderung

t- Pho s nährstoffreich

Güllelagerung, Beratung, Pufferstrei- m 20

a Sanierungsziel fen). Nach Vorbild des Kantons Luzern s e nährstoffarm wurde auch im aargauischen Einzugs- G 0 gebiet des Hallwilersees von 2001 bis 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2010 mit erheblicher finanzieller Be- Die Phosphorkonzentration im See gilt als Leitindikator für den Zustand des teiligung des Bundes ein Phosphor- Hallwilersees. Viel Phosphor führt zu übermässigem Algenwachstum. Das projekt gestützt auf Art. 62a Gewäs- für den Hallwilersee definierte Sanierungsziel liegt bei 10 bis 20 Milligramm serschutzgesetz (GSchG) erfolgreich Phosphor pro Kubikmeter Seewasser.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 23 Massnahmen zeigten Wirkung halt des Sees von 50 auf 20 Milligramm gang des Phosphors im See. Noch bis Alle diese Massnahmen führten zu ei- pro Kubikmeter. letzten Sommer dominierte aber die ner markanten Abnahme der Phos- Durch die Massnahmen des Kantons Burgunderblutalge die Zusammenset- phorbelastung des Hallwilersees. Lag Luzern am damals weit stärker belas- zung des Planktons. Inzwischen zeich- die maximale Belastung des Sees teten Baldeggersee konnte dessen net sich eine weitere Veränderung der Mitte der 1970er-Jahre bei mindes- Phosphorgehalt ebenfalls massiv re- Algenzusammensetzung ab. Im Win- tens 16 Tonnen Phosphor pro Jahr, duziert werden, auf heute 20 bis 30 ter 2014/2015 war der Hallwilersee so so beträgt diese heute durchschnitt- Milligramm pro Kubikmeter. klar wie seit 20 Jahren nicht mehr. lich rund drei Tonnen an algenver- Statt Burgunderblutalgen vermehren fügbarem Phosphor pro Jahr, wie die Burgunderblutalgen nehmen ab sich nun Kieselalgen und weitere Al- laufenden Untersuchungen der Zu- Die Algenentwicklung im Hallwiler- gen, die typisch für eine Artenvielfalt flüsse zum See zeigen. see hat auf die verminderten Phos- unter knappen Nährstoffressourcen Im selben Zeitraum führte dies zu ei- phorgehalte reagiert, wie im UMWELT sind. ner Abnahme des mittleren Phosphor­ AARGAU, Nr. 58, November 2012, Sei- gehaltes im See um mehr als das te 13 bis 20, ausführlich berichtet wur- Grosse Schwankungen Zehnfache – von maximal 250 auf de. Allerdings geschah dies nicht in beim Sauerstoff heute weniger als 20 Milligramm pro linearer Form, sondern, wie von der Die Sauerstoffzehrung des Hallwiler- Kubikmeter. So wurden während des Wissenschaft vorausgesagt, in Phasen. sees blieb trotz Rückgang des Phos- Phosphorprojekts 8 bis 9,5 Tonnen Ab Mitte der 1990er-Jahre entwickelte phorgehalts bis vor wenigen Jahren weniger Phosphor jährlich im Ein- sich die Burgunderblutalge stark und hoch. Somit war eine Belüftung mit zugsgebiet des Hallwilersees auf die bildete vor allem im Winter rote Al- Reinsauerstoff lange notwendig, um Landwirtschaftsflächen ausgebracht genblüten an der Wasseroberfläche. im Tiefenwasser genügend Sauer- (UMWELT AARGAU, Nr. 58, Novem- Um 2002 setzte die Trendwende ein stoff für den Abbau des organischen ber 2012, Seite 9 bis 12). Von 2001 bis mit einer stetigen Abnahme der Algen- Materials sicherzustellen. Erst mit der 2010 reduzierte sich der Phosphorge- biomasse parallel zum weiteren Rück- Abnahme der Algenbiomasse wäh-

Burgunderblutalgen 160

140 ) 2 m

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0 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Jan 12 Jan 13 Jan 14 Jan 15 0–13 m 13–45 m

Entwicklung der Biomasse der Burgunderblutalge Planktothrix rubescens in Mischproben von 0 bis 13 Metern und von 13 bis 45 Metern Tiefe. Im Winter, wenn die Zirkulationshilfe im See läuft, verteilt sich die Alge über die gesamte Tiefe des Sees. Sie wächst aber auch mit wenig Licht. Im letzten Winter hingegen fand unerwartet eine markante Abnahme statt.

24 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Kaum natürliche Fortpflanzung Hallwilersee zukünftig ohne «Burgunderblut»? von Felchen Burgunderblutalgen im Hallwilersee galten als Zeichen für eine verbes- In den letzten Jahren wurden um- serte Wasserqualität. Nun verschwinden sie – aber nicht, weil es dem See fangreiche Untersuchungen zur Fra- wieder schlechter geht. Der geringe Phosphorgehalt fördert nun Kieselal- ge durchgeführt, ob sich Felchen be- gen, die typisch für eine Artenvielfalt unter knappen Nährstoffressourcen reits natürlich im See fortpflanzen kön- sind. nen. Felchen lassen ihre Eier auf den Während der frühlingshaften Schönwetterphase Mitte März 2015 waren Seegrund absinken, vorwiegend im Wasser Gewässer auffallend wenige Burgunderblutalgen an der Wasseroberfläche des Hall- flacheren Uferbereich. Während fünf wilersees sichtbar. Noch vor einem Jahr berichteten Medien, dass weite Jahren wurden jeweils kurz vor dem Uferbereiche in tiefes Rot getaucht seien. Die Blaualge, Planktothrix Schlüpftermin mit einer bewährten Me- rubes­cens bildete während der letzten zwanzig Jahre im Hallwilersee im thode Felcheneier vom Seegrund ge- Winter und Frühjahr regelmässig unansehnliche, rötlich gefärbte Algen- sammelt und auf ihren Entwicklungs- blüten auf dem Wasser – besonders bei schönem windstillem Wetter. stand hin untersucht. Nur vereinzelt Entgegen früheren Jahren entwickeln sich nun im Winter Kieselalgen. fanden sich Eier, die so weit entwickelt Dass sich die Algenzusammensetzung im Hallwilersee markant verändert, waren, dass die Felchen möglicherwei- zeichnete sich bereits letzten Spätherbst ab mit fehlendem Wachstum von se geschlüpft wären. Viele waren auf- Burgunderblutalgen. Seit Jahren war der Hallwilersee im Winter – mit grund der vom schlammigen Grund sieben Metern Sichttiefe im Februar – nie mehr so klar. ausgehenden Sauerstoffzehrung abge- Burgunderblutalgen traten im Hallwilersee bereits 1898 erstmals in Er- storben. Zusätzlich prüfte die Fische­ scheinung, in der Frühphase der Überdüngung. Während der stärksten Be- reifachstelle unter finanzieller Beteili- lastung des Sees mit Phosphor zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren gung der Abteilung für Umwelt mit fehlten Burgunderblutalgen hingegen weitgehend, da nährstoffliebende einem neuen, aufwändigen Markier- Grünalgen sie verdrängten. Als Folge von Sanierungsmassnahmen nahm verfahren, ob sich junge Felchen aus der Phosphorgehalt im Hallwilersee ab, sodass in den 1990er-Jahre Bur- den im See abgelegten Eiern entwi- gunderblutalgen erneut aufkamen und die Zusammensetzung der Algen- ckeln können (Artikel auf Seite 65 in biomasse dominierten. diesem Heft). Erste Beobachtungen im Spätherbst 2014 zeigten, dass we- nige Prozente Jungfelchen ohne Mar- kierung vorhanden waren. Unter be- rend der letzten zehn Jahre konnte wie die Intensität der seeinternen sonders günstigen Bedingungen kön- auch der Sauerstoffeintrag von durch- Massnahmen nun reduziert werden nen sich also Felchen bereits heute schnittlich 600 Tonnen auf heute kann. vereinzelt natürlich fortpflanzen. rund 200 Tonnen pro Jahr reduziert werden. Der Bedarf an Sauerstoff schwankt Belüftungsmassnahmen im Hallwilersee von Jahr zu Jahr stark, je nach Witte- Zirkulationshilfe im Winter Belüftung im Sommer rung. Während eines milden Winters wie 2007 oder 2014 kann sich das See- wasser trotz Zirkulationshilfe ungenü- gend mit Sauerstoff sättigen. Entspre- chend höher ist im folgenden Som- mer der Sauerstoffbedarf. 2007 muss- Druckluft Sauerstoff ten 800 Tonnen Sauerstoff eingetra- Im Winter wird mit grobblasiger Druckluft die Zirkulation im See angeregt. gen werden, um im Herbst am See­ Im Sommer wird der See mit Sauererstoff (feinblasig) belüftet. grund gerade noch genügend Sauer- stoff für die im Schlamm lebenden Sauerstoffeintrag der letzten 30 Jahre Würmer zu gewährleisten. Diese Lebe- wesen haben eine wichtige Funktion im Gesundungsprozess. Sie durch- wühlen den Schlamm und minerali- sieren so das während früherer Jahr- zehnte abgelagerte organische Mate- rial. 2014 genügten 200 Tonnen Sau- erstoff für den gleichen Erfolg. Der Vergleich dieser beiden extrem un- günstigen Jahre zeigt, wie die Gesun- Jährlicher Eintrag von Sauerstoff mittels Druckluft oder Reinsauerstoff von dung des Hallwilersee inzwischen April bis Oktober ins Tiefenwasser des Hallwilersees. Nach milden Wintern grosse Fortschritte gemacht hat und steigt der Sauerstoffbedarf im Sommer markant an (2007).

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 25 Sanierungsziele, Erfolge und den heutigen Erkenntnissen wei- gesichts der Klimaerwärmung muss und Defizite terhin die 2010 definierten Ziele für die Zirkulationshilfe im Winter aller- Für den Seezustand gelten gemäss die nachhaltige Gesundung des Hall- dings auf unbestimmte Zeit beibehal- Vorgaben der Gewässerschutzverord- wilersees: ten werden. Das übergeordnete Sanie- nung (GSchV) vom 28. Oktober 1998 a) 10 bis 20 Milligramm Phosphor pro rungsziel der natürlichen Fortpflanzung Kubikmeter Seewasser der Felchen (e) wird bis heute höchs- b) gesamte Belastung mit algenverfüg- tens punktuell erreicht. Die künstliche Bisherige Sanierungskosten barem Phosphor maximal 2,5 Ton- Aufzucht von Felchen wird daher noch Die Kosten der Seesanierung für nen pro Jahr längere Zeit eine wichtige Stütze für die bisherigen vier Sanierungs­ c) mässige Algenproduktion, das heisst die Felchenfischerei im Hallwilersee etappen betrugen 9,76 Millionen wenig Burgunderblutalgen, aber bleiben. Franken. An den Investitions- und hierfür typische Kiesalgen Betriebskosten beteiligten sich d) ausreichende Sauerstoffversorgung Wie lange muss der Hallwilersee Bund und Kanton Luzern mit 3,05 des Seegrunds für das Überleben noch belüftet werden? Millionen Franken. Mit dem Erfolg von Würmern Die wissenschaftliche Analyse des der Massnahmen liessen sich die e) natürliche Fortpflanzung von Fel- Sauerstoffhaushaltes des Hallwiler- durchschnittlichen Jahreskosten in chen (Felcheneier können sich am sees durch das Wasserforschungsin- den letzten Jahren reduzieren: Sediment entwickeln) stitut Eawag weist nach, dass sich der 1984 – 1995 Fr. 369’000 pro Jahr Der Phosphorgehalt des Hallwilersees Zustand des Sees in den letzten Jah- 1996 – 2002 Fr. 290’000 pro Jahr erreicht das angestrebte Ziel (a) be- ren wesentlich verbessert hat. Insbe- 2003 – 2010 Fr. 295’000 pro Jahr reits seit 2008. Die tolerable Phosphor­ sondere auf die Zirkulationshilfe im 2011 – 2015 Fr. 189’000 pro Jahr belastung des Sees (b) wird im direk- Winter, aber auch auf eine Belüftung ten Einzugsgebiet des Hallwilersees mit Druckluft im Sommer kann aller- Seit 2003 ist eine verursacherge- erreicht. Die gesamte Belastung liegt dings noch nicht verzichtet werden. Es rechte Kostenbeteiligung des Kan- mit rund drei Tonnen pro Jahr nur besteht eine grosse Variationsbreite tons Luzern in Kraft. Sie berück- noch wenig über dem Sanierungs- bei der Sauerstoffsituation im See je sichtigt einerseits den Nutzen des ziel. Die Frachten aus dem Baldegger- nach Witterung und Algenentwicklung. Sees für den jeweiligen Kanton see und der Abwasserreinigungsan- Die Zielsetzungen der Seebelüftung (Anteil Seefläche) und den Verur- lage (ARA) Hitzkirchertal müssen da- sind: sacher der Verschmutzung (Anteil her noch weiter reduziert werden. Die 1. Ende Winter eine optimale Sauer- Phosphorfrachten). Die laufende Algenproduktion (c) dürfte sich mit stoffreserve für die Stagnationspha- Überprüfung der Phosphorfrach- der im vergangenen Winter eingetre- se im Sommer zu erreichen, und ten zum Hallwilersee bestätigt, tenen Umstellung der Algenzusam- 2. wenn nötig im Sommer so viel Sau- dass die für den Kostenteiler ge- mensetzung (markanter Rückgang der erstoff ins Tiefenwasser nachzulie- wählten Faktoren im Berechnungs- Burgunderblutalgen) nun auf ein mäs- fern, dass die Belebung des Sedi- modell richtig gewählt sind. Mit siges Niveau einpendeln. ments (Würmer als Indikator) und der abnehmenden Fracht aus dem Weiterhin unklar hingegen ist, wie lan- genügend Lebensraum für Fische luzernischen Einzugsgebiet hat ge die Belüftung des Sees im Sommer erhalten bleiben. sich der Beitrag des Kantons Lu- noch aufrechterhalten werden muss, Ziel 1 wird mit der Zirkulationshilfe im zern an die Betriebskosten der see- um eine ausreichende Sauerstoffver- Winter angestrebt, Ziel 2 mit der Be- internen Massnahmen von 52 Pro- sorgung des Seegrundes (d) sicher- lüftung des Tiefenwassers je nach Be- zent im Jahr 2003 auf 45 im Jahr stellen zu können. Der Bedarf an Rein- darf mit Druckluft und allenfalls Rein- 2014 reduziert. sauerstoff konnte in den letzten Jah- sauerstoff. ren erheblich reduziert werden. An-

Sanierungsziele und Ist-Zustand Hallwilersee Kriterien Sanierungsziele Situation 2015 Phosphorgehalt 10 – 20 Milligramm pro Kubikmeter 12 Milligramm pro Kubikmeter Phosphorbelastung 2,5 Tonnen pro Jahr rund 3 Tonnen pro Jahr Algenproduktion mässig, wenig Burgunderblutalgen weniger Burgunderblutalgen, weniger Algenblüten Sauerstoffversorgung natürlicherweise ausreichend für Belüftung noch erforderlich des Seegrunds Überleben von Würmern im Sommer und Winter Fortpflanzung der Felchen Felcheneier können sich am Sediment vereinzelt natürliche Fortpflanzung entwickeln möglich

Gewisse Sanierungsziele (Phosphorgehalt und -belastung) werden heute bereits erreicht.

26 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Entwicklung der Würmer grobblasige Zirkulationshilfe im Win- ter aber muss aller Wahrscheinlichkeit nach auf unbestimmte Zeit weiterge- führt werden.

Düngebeschränkungen in Kraft In Zukunft geht es darum, das Erreich- te zu halten und den Landwirten zu Wasser Gewässer signalisieren, weiterhin dem Hallwiler- see Sorge zu tragen. Daher sollen be- währte Einzelmassnahmen weiterhin finanziell gefördert werden. Bei den 2011 eingeführten Düngebe- schränkungen ist nach anfänglichen Schwierigkeiten im Vollzug mittels Bo- denproben seit 2014 eine generelle Be- schränkung der Phosphordüngung auf maximal 100 Prozent des Pflanzen­ Würmer haben den Hallwilersee bis zum Grund wieder besiedelt seit es bedarfs in Kraft. Diese Massnahme dort genügend Sauerstoff gibt. In den mittleren Wasserschichten sind die scheint von den Landwirten nun akzep- Sedimente heute bereits so weit regeneriert, dass die abnehmende Nah- tiert zu sein und soll verhindern, dass rungsgrundlage keinen massenhaften Bestand mehr zulässt. Eine Dredge Böden erneut überdüngt werden. ist eine Art Netz für die Probenahme. Die finanziellen Abgeltungen für be- sondere Leistungen zum Schutz des Hallwilersees (Direkt- und Streifenfräs- Die Zirkulationshilfe im Winter ist da- des Hallwilersees gilt es bereits seit saaten sowie Pufferstreifen entlang bei die effizienteste Methode und deckt 2011, die erreichten Fortschritte zu hal- von Bächen und Seeufer) sind wirk- 80 Prozent des Sauerstoffbedarfs ab. ten und die nachhaltige Gesundung same Massnahmen gegen die Erosion. Sie muss wohl langfristig weiterge- des Sees sicherzustellen. Dazu werden Sie werden weiterhin unterstützt. Nicht führt werden. die seeinternen Massnahmen, Zirku- mehr weitergeführt werden Beiträge Ein Verzicht auf die Belüftung im Som- lationshilfe im Winter und die fein­ für die Stilllegung von Ackerland in mer bereits zum gegenwärtigen Zeit- blasige Belüftung im Sommer mittels drainierten Gebieten, da mit verhält- punkt würde bedeuten, dass die tiefs- Diffusoren bis mindestens 2020 fort- nismässigen Beiträgen zu wenig An- te Zone des Sees im Herbst regelmäs­ gesetzt. reiz für eine Umstellung erreicht wer- sig ohne Sauerstoff wäre. Die positive Beim Einsatz von Druckluft im Som- den konnte. Hingegen sollen im Rah- Wirkung der schlammbewohnenden mer steht die kostengünstige, optima- men von Meliorationsvorhaben tech- Würmer auf den Abbau des organi- le Mischung des Tiefenwassers im nische Massnahmen in einzelnen drai- schen Materials wäre reduziert und Vordergrund. Die Sauerstoffzehrung nierten Gebieten mit hoher P-Auswa- damit der Gesundungsprozess des ist am Seegrund am höchsten. Mit der schung geprüft werden. Sees verlangsamt. Druckluftbelüftung wird die gleichmäs- Ein vollständiger Verzicht auf seein- sige Verteilung des Sauerstoffs im Tie- Sanierungserfolge terne Massnahmen, das heisst auch fenwasser erreicht. Der teure Rein- werden überwacht ein Verzicht auf die Zirkulationshilfe sauerstoff soll nur noch dann zum Ein- Als Wirkungskontrolle für die see­ im Winter, würde die Gesundung des satz kommen, wenn mengenmässig externen und seeinternen Massnah- Hallwilersees gar grundsätzlich infra- mit Druckluft zu wenig Sauerstoff zur men wird das Monitoring der Phos- ge stellen. Unter aktuellen klimatischen Verfügung gestellt werden kann. Dies phorbelastung sowie des Zustandes Bedingungen mischt sich der Hallwi- könnte besonders nach einem milden des Hallwilersees mit den bereits auf lersee natürlicherweise alle zehn Jah- Winter (wie 2007 oder 2014) der Fall die wichtigsten Ziele optimierten Pro- re nur ein- bis zweimal im Winter sein. Der Sauerstofftank wird dazu als grammen weitergeführt. vollständig. Durch die Klimaerwär- Reserve beibehalten, damit im Fall Eine präzise Phosphorbilanz der Zu- mung werden sich die Voraussetzun- ungünstiger Witterung zusätzlich zu und Abflüsse des Hallwilersees ist gen dazu noch verschlechtern. Druckluft mit Reinsauerstoff belüftet wichtig, um Veränderungen im see-­ werden kann. Nach fünf Jahren wird internen Phosphorhaushalt, insbeson- Belüftung so lange wie nötig die Sauerstoffsituation erneut beur- dere die Bedeutung des Rücklösungs- Im Mai 2015 hat der Regierungsrat ei- teilt und der Belüftungsbetrieb ange- prozesses von Phosphor aus dem See- nen Verpflichtungskredit von 800’000 passt. Falls sich der Sauerstoffhaus- sediment, erfassen zu können. Bei ei- Franken für eine weitere Sanierungs- halt des Sees günstig entwickelt, kann nem gesunden See wird wenig Phos- etappe 2016 bis 2020 beschlossen. Ge- der Verzicht auf die Belüftung im Som- phor rückgelöst – die Eigendüngung mäss der Strategie für die Sanierung mer ins Auge gefasst werden. Die ist gering.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 27 Zur Überwachung der Wirkung der teilung für Umwelt spezifische Mass- Aktuell ist der Kanton Luzern mit den Düngungsbeschränkung werden die nahmen zur weiteren Reduktion des Bundesstellen über die zukünftige Aus- Phosphorgehalte in den Schwebstof- Phosphoreintrages sowie zur Verbes- richtung des luzernischen Phosphor- fen von Drainagen und Bächen be- serung der Badewasserqualität ver- projekts im Gespräch. Dabei sollen stimmt. Diese Gehalte widerspiegeln langt. Diese werden nun von den je- Schwerpunkte auf den massgeblich den Düngungszustand von abschwem- weiligen Gemeinden umgesetzt. beitragenden Flächen gesetzt werden, mungsgefährdeten Böden im betref- Langfristig wird kantonsübergreifend um die Phosphorfrachten aus dem fenden Einzugsgebiet. eine gemeinsame Abwasserreinigung Einzugsgebiet weiter zu reduzieren. Der Sauerstoffgehalt und weitere che- im Seetal angestrebt, sodass alles ge- Aus Sicht des Kantons Aargau brach- misch/physikalische Messgrössen so- reinigte Abwasser von den Seen fern- ten die bisherigen Massnahmen des wie das Plankton im See werden mo- gehalten werden kann. Die Abwasser- Kantons Luzern einen erfreulich redu- natlich untersucht. Der Bestand an verbände und Gewässerschutzfachstel- zierten Phosphorgehalt des Baldegger- Würmern am Seegrund wird als bio- len Aargau und Luzern haben entspre- sees. Dieser kann und soll noch wei- logischer Indikator für die Sauerstoff- chende Studien erstellt und wollen ihre ter reduziert werden. Kritisch für die versorgung der Sedimente alle drei Planung auf dieses Ziel ausrichten. Entwicklung im Hallwilersee würde Jahre erhoben. es, wenn beim Baldeggersee eine ne- Massnahmen gative Trendwende einsetzen würde, Massnahmen des Kantons Luzern denn der Phosphoraustrag aus die- Siedlungsentwässerung Der grösste Teil des Einzugsgebiets sem See trägt massgeblich zur Belas- Massnahmen im Bereich Abwasserrei- des Hallwilersees liegt im Kanton Lu- tung des Hallwilersees bei. Daher muss nigung und Siedlungsentwässerung zern. Entsprechend wichtig für die Ge- nicht nur aus finanziellen Überlegun- haben ebenfalls erhebliche Wirkung sundung des Hallwilersees sind die gen der verursachergerechte Kosten- auf den Hallwilersee. Im Rahmen der Massnahmen im Nachbarkanton. Die teiler zwischen den Kantonen Aargau kürzlich revidierten Generellen Ent- aktuell erforderlichen Optimierungen und Luzern beim Betrieb der seeinter- wässerungsplanung des Abwasserver- der ARA Hochdorf und der ARA Hitz- nen Massnahmen auch in den folgen- bands Hallwilersee (VGEP) hat die Ab- kirchertal werden umgesetzt. den Jahren weitergeführt werden.

Jährliche Entwicklung des Sauerstoffinhalts im Tiefenwasser von 2007 bis 2014 2000

1800 ) 2 1600 O t ( s r 1400 ss e a w

n 1200 e f e i T

s 1000 e d

t l

a 800 h n f- I f 4 mg/l O2

o 600 s t r e u

a 400 S

200

0 0 30 60 90 120 150 180 210 240 270 300 330 360 Kalendertage

2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Im Verlauf des Winters nimmt der See Sauerstoff aus der Atmosphäre auf. Im Verlauf des Sommers ist das See- wasser geschichtet. Sauerstoff gelangt nur durch die Belüftung ins Tiefenwasser. Die Variationsbreite der Sauer- stoffzehrung im Sommer hängt entscheidend von der Ausgangslage Ende Winter ab. Die Winter 2007 und 2014 waren ausserordentlich mild.

28 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Gemeindeseminar Littering 2015

Silvan Rüttimann | Abteilung für Umwelt | 062 835 33 60 ring-Massnahmen auf verschiedenen Ebenen sowie auf die Zusammenar- Kaum ein Tag vergeht, an dem in den Medien nicht über beit von Bund, Kantonen, Gemeinden, Littering berichtet wird. Speziell im Sommerhalbjahr wird Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. das Ausmass des Litterings allgegenwärtig sichtbar. Vor Auf besonderes Interesse stiess die allem am Wochenende sind die einschlägig bekannten geplante Umsetzung der parlamenta- Stellen dann regelrecht zugemüllt. Was aber kann man tun rischen Initiative «Bourgeois», die ver- gegen Littering? Wie bringt man die Bevölkerung dazu, den langt, schweizweit eine einheitliche eigenen Abfall nicht einfach liegen zu lassen? Am Gemein- Ordnungsbusse gegen Littering ein- deseminar Littering wurden einige aktuelle Massnahmen zuführen. Gemäss aktuellem Stand der und Dienstleistungen vorgestellt und diskutiert. Auch der Umsetzung ist geplant, das Umwelt- Erfahrungsaustausch und die Entwicklung neuer Ideen schutzgesetz mit einer Verhaltensnorm kamen nicht zu kurz. und einer Strafnorm zum Littering zu ergänzen. Es ist eine Busse von maxi- mal 300 Franken für Littering vorge- Um die Gemeinden im Kampf gegen pendiskussion. Die Gemeindevertre- sehen. das achtlose Wegwerfen von Abfall terinnen und -vertreter hatten so die

(Littering) zu unterstützen, hat die Ab- Gelegenheit, Erfahrungen auszutau- Kann Sauberkeit gemessen Abfall Altlasten teilung für Umwelt (AfU) wie schon schen und neue Ideen für Projekte zu werden? 2014 ein Seminar zum Thema Littering gewinnen. Im Folgenden sollen kurz Wie stellt man fest, ob Massnahmen durchgeführt. Dieses Jahr wurden Re- die einzelnen Beiträge zusammenge- gegen Littering eine Wirkung zeigen? ferentinnen und Referenten von nati- fasst werden. Sauberkeit wird sehr subjektiv wahr- onal und lokal tätigen Organisationen genommen, was die einen schon stört, eingeladen, ihre Dienstleistungen und Littering auf Bundesebene ist den anderen noch kein Dorn im Ideen rund ums Littering zu präsen- Der Bund setzt beim angestrebten Ziel, Auge. Wie kann man aber Sauberkeit tieren. Diese Präsentationen dienten das Littering landesweit zu reduzieren, objektiv bewerten? Hierfür hat die Or- als Basis für die anschliessende Grup- auf eine Kombination von Anti-Litte- ganisation Kommunale Infrastruktur (OKI) einen Leitfaden erstellt: «Sauber- keit im öffentlichen Raum – Katalog zur Beurteilung der Sauberkeit in Städten und Gemeinden». In diesem Leitfaden wird ein Sauberkeitsindex anhand von verschiedenen objektiven Kriterien fest- gelegt. Der Index bewegt sich auf einer Skala von «0 = unzumutbar, stark ver- schmutzt» bis zu «5 = sehr sauber». Hiermit steht der Gemeinde oder wei- teren Interessengruppen ein Werkzeug zur Verfügung, um die Sauberkeit nach gleichbleibenden Kriterien zu messen und über Jahre oder Monate zu ver- gleichen.

Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen Pusch (Praktischer Umweltschutz Schweiz) bietet Umweltunterricht nach Foto: Fabian Blaser dem Motto «erleben, verstehen, han- Unter Littering versteht man das Wegwerfen von Kleinabfällen aus Bequem- deln» an. Vorgestellt wurde das neue lichkeit und fehlenden Manieren, wobei das Tatmotiv nicht die Einsparung Angebot «Tatort Littering» für die Ziel- von Entsorgungskosten ist, sondern Nachlässigkeit und Ignoranz. gruppe der 16- bis 17-jährigen Jugend-

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 29

Entwicklung des Sauberkeitsindexes in einer Stadt lichen (Berufsfachschulen oder Gym-  über mehrere Jahre nasien). Das Unterrichtskonzept ba-

5.0 siert auf der Methode des problem- Index Eindruck basierten Lernens mit dem Ziel, bei 4.5 den Schülerinnen und Schülern eine 4.0 Einstellungs- und Verhaltensänderung

3.5 betreffend Littering herbeizuführen. Da die Schülerinnen und Schüler für Re- 3.0  cherchen in der Stadt oder an neural-   2.5   gischen Orten unterwegs sind, wir- 2.0 ken sie auch als Multiplikatoren, die das Thema an unbeteiligte Passantin- 1.5 nen und Passanten herantragen. 1.0 Was kann die Schule tun? Verschmutzungsgrad (0 bis 5 = sehr sauber) 0.5      Die Schulen in Suhr haben sich ver- 0.0 schiedene Ziele zum Thema Abfall ge- setzt. Diese werden erreicht mit ver-   schiedenen regelmässigen Aktivitäten wie einem «Fötzeliplan» von der Pri-

Beispiel einer zeitlichen Entwicklung des subjektiven momentanen Ein- marschule bis zur letzten Oberstufen- Beispiel einer zeitlichen Entwicklung des subjektiven momentanen Eindrucks des Reinigungspersonals (Linie) sowiedrucks des Sauberkeitsindexes des Reinigungspersonals (Säulen, basierend (Linie)auf den Erhebungen, sowie des von Sauberkeitsindexes0=unzumutbar bis 5=sehr sauber). klasse oder einem bezahlten Einsatz Bei(Säulen, beiden ist einebasierend ungefähr identische auf den Entwicklung Erhebungen, im Verlauf von der Jahre 0 = auszumachen,unzumutbar nämlich bis ein 5 =Anstieg sehr mit beim Spielplatz der Schule durch die zwischenzeitlichem Rückgang. sauber). Bei beiden ist eine ungefähr identische Entwicklung im Verlauf der Oberstufe zwecks Reinigung und In­ Jahre auszumachen, nämlich ein Anstieg mit zwischenzeitlichem Rückgang. standhaltung. Weiter wird jährlich ein

Quelle: Katalog zur Beurteilung der Sauberkeit in Städten und Gemeinden, Kommunale Infrastruktur obligatorischer Clean-up-Day mit dem

 3   Foto: Schule Suhr

In den Schulen Suhr wird jährlich ein obligatorischer Clean-up-Day unter dem Motto «Eine Schule räumt auf!» durchgeführt. Rund 1300 Schülerinnen und Schüler machen jeweils mit.

30 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Motto «Eine Schule räumt auf!» durch- geführt. Neben den regelmässigen Ak- Interessante Links rund ums Littering tivitäten finden aber auch immer wie- hwww.ag.ch/umwelt > Umweltinformationen > Littering der spezielle Anlässe zu verschiede- h hwww.bafu.admin.ch > Themen > Abfall > Littering nen Abfallthemen wie Recycling oder h hwww.kommunale-infrastruktur.ch > Dokumentation > Abfall > Littering Food Waste (Lebensmittelverschwen- h Die Publikation «Sauberkeit in Städten und Gemeinden – Katalog zur dung) statt. Beurteilung der Sauberkeit in Städten und Gemeinden» kann bestellt werden unter www.kommunale-infrastruktur.ch > Shop > Bereich Rei- IGSU – Botschafter nigung, Strassen und Fahrzeuge Die IGSU (Interessengemeinschaft für hwww.pusch.ch > Themen > Abfälle und Rohstoffe eine saubere Umwelt) ist eine offene h hwww.schule-suhr.ch > suchen: Clean-up-Day Plattform gegen Littering und wird h hwww.igsu.ch getragen durch Firmen aus konsum- h hwww.littering-toolbox.ch nahen Gebieten und aus der Recyc­ h lingwirtschaft. Sie bietet verschiedene Anti-Littering-Aktivitäten an. So kön- nen zum Beispiel ihre Botschafter an die Schulen geholt werden, um den Schülern das Littering-Problem näher- rentinnen und Referenten moderiert ders oft wurden die drei folgenden zubringen. Oder die Botschafter kom- wurden. Als zusätzliche Diskussions- Themen angesprochen und disku- men in die Gemeinden, um die Bevöl- grundlage erhielten die Gruppen noch tiert: kerung für das Thema Littering zu sen- die folgenden drei Fragen: 1. Wie kann man die Eltern in die The- sibilisieren. Die IGSU ist auch zustän- 1. Was würde die Gemeinden bei Pla- matik mit einbeziehen? Frei nach dig für den Betrieb der Littering-Tool- nung und Durchführung von Pro- dem Motto: «Was Hänschen nicht

box (Internetplattform mit Informatio- jekten unterstützen? lernt, lernt Hans nimmermehr.» Abfall Altlasten nen zur Bekämpfung von Littering) und 2. Brauche ich in meiner Gemeinde ex- 2. Wie sinnvoll und nützlich sind initiiert den jährlichen Clean-up-Day. terne Unterstützung und wenn ja, Bussen? welche? 3. Was bringt eine Videoüberwachung? Gruppendiskussion 3. Welche eigenen positiven oder ne- Wie erwartet konnten in der zur Ver- Nach einer kurzen Pause ging es da­ gativen Erfahrungen gibt es bezüg- fügung stehenden Zeit keine umfas- rum, die Ideen und Inputs aus den Vor- lich durchgeführter Projekte bzw. senden und abschliessenden Antwor- trägen sowie die eigenen Erfahrun- Massnahmen? ten auf diese Fragen gefunden wer- gen mit Anti-Littering-Projekten zu dis- Abschliessend wurden die Ergebnisse den. Durch den Austausch an Erfah- kutieren. Es wurden fünf Diskussions- der Diskussionen der einzelnen Grup- rungen unter den Gemeindevertrete- gruppen gebildet, die von den Refe­ pen dem Plenum vorgestellt. Beson- rinnen und -vertretern konnte aber der eine oder andere Anstoss zum Um- gang mit Littering weitergegeben oder mitgenommen werden. Insgesamt konnten während des Se- minars viele Informationen und Ideen gesammelt und ausgetauscht werden. Die lebhaften Diskussionen haben ge- zeigt, dass ein Austausch zum Thema Littering für die Gemeinden ein Bedürf- nis ist. Aus diesem Grund ist geplant, im nächsten Jahr erneut ein Littering-­ Seminar durchzuführen. Foto: Silvan Rü ttimann

In den einzelnen Gruppen fanden unter den Gemeindeverantwortlichen angeregte Diskussionen rund ums Littering statt.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 31 32 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Unbelasteter Genuss: Aargauer Bienenhonig

André Känzig | Amt für Verbraucherschutz | 062 835 30 20 Glossar Honig ist ein Lebensmittel, das seit Jahrtausenden her­ Als Warenlos gilt eine Gesamtein- gestellt und in allen Küchen der Welt hoch geschätzt wird. heit von Produktions- oder Ver- In der heutigen Imkerei sind Hilfsstoffe unverzichtbar, um kaufseinheiten eines Lebensmit- die Bienenstände zu pflegen und die Völker gesund zu tels, das unter praktisch gleichen erhalten. Rückstände von Hilfsstoffen aus der Imkerei oder Umständen erzeugt, hergestellt aus anderen Umweltanwendungen sind im Honig aber oder verpackt wurde. Lebensmit- unerwünscht. Stichproben von Aargauer Honig ergaben tel sind mit einer Bezeichnung zu bei der Rückstandskontrolle einwandfreie Resultate. versehen, mit der sich das Los, zu dem sie gehören, feststellen lässt.

In der Imkerei können verschiedene tragung von Substanzen in den Honig erlaubte und unerlaubte Hilfsstoffe kommen. Die Rückstände der Hilfs- zum Einsatz kommen. Sie können ei- stoffe sind dabei lebensmittelrecht- Bekämpfung der Varroa-Milben der nerseits direkt im Bienenvolk einge- lich als unerwünschte Fremdstoffe zu Trend fort, vermehrt Alternativproduk- setzt werden wie Thymol zur Bekämp- beurteilen. te auf der Basis von organischen Säu- fung der Varroa-Milbe. Andererseits ren einzusetzen (zum Beispiel Amei- können Hilfsstoffe bei der Honigernte Gute Herstellungspraxis bedeu­ sen- und Oxalsäure). zum Vertreiben der Bienen verwendet tet weniger Hilfsstoffrückstände Einzig bei der Kennzeichnung erfüll-

werden, beispielsweise Phenol oder Das Amt für Verbraucherschutz un- ten nicht alle Aargauer Honigproben Nitrobenzol. Ein dritter Anwendungs- tersucht regelmässig Proben von Aar- die gesetzlichen Anforderungen. Teil- bereich von Hilfsstoffen ist die Be- gauer Bienenhonig auf Rückstände von weise fehlten Angaben zum Waren- handlung von Material ausserhalb Imkereihilfsstoffen wie PDCB, Naph- los, zur Datierung, zur Nährwertkenn- Stoffe Gesundheit der Bienenvölker. Bei den leeren Wa- thalin, Thymol, Phenol und Nitroben- zeichnung oder es wurden unerlaub- ben sind zur Bekämpfung der Wachs- zol. Die Proben werden teilweise di- te Anpreisungen gemacht. Letzte- motte zum Beispiel «Mottenkugeln» rekt beim Imker und teilweise im De- res gilt lebensmittelrechtlich als Täu- mit Naphthalin und Paradichlorben- tailhandel erhoben. schung. Im Jahr 2013 waren 7 von 37 zol (PDCB) wirksam. Je nach Stoff und Die Beurteilung allenfalls vorhande- Proben bezüglich Kennzeichnung zu Anwendung kann es zu einer Über- ner Rückstände erfolgt gestützt auf beanstanden. gesetzliche Höchstwerte oder auf die Seit 2008 kommt der Honigqualität Kriterien der «Guten Herstellungspra- auch ein spezielles Augenmerk im Zu- xis» (GHP) respektive der «Guten Im- sammenhang mit dem Antibiotikum kereipraxis». Für Schweizer Honig, Streptomycin zu. Dieses wird in Er- der mit dem goldenen Qualitätssiegel werbsobstanlagen zur Bekämpfung des Dachverbands der schweizeri- von Feuerbrand bei Kernobst verwen- schen Bienenzüchtervereine apisuis- det. Der Einsatz bedarf einer Bewil­ se angeboten wird, gelten zum Teil ligung des Bundesamtes für Land- strengere Anforderungen. So liegt wirtschaft und ist an sehr restriktive beispielsweise der Maximalwert für Kriterien gebunden. Aufgrund des PDCB in Honig mit dem goldenen verantwortungsbewussten Umgangs Qualitätssiegel bei 0,001 Milligramm der Obstproduzenten und unterstützt pro Kilogramm. Dies ist ein Zehntel durch das mittlerweile gut etablierte des gesetzlichen Toleranzwertes. Feuerbrandwarnsystem wurden in den Alle Proben erfüllten die Anforderun- letzten Jahren im Kanton Aargau nur gen bezüglich der genannten Rück- in wenigen Kernobstanlagen Strep­ stände. Auch diese strengeren Werte tomycin-Behandlungen durchgeführt. Foto: Irina Nüesch, AVS des Qualitätssiegels hielten die ent- Die Honiguntersuchungen in Gebie- Honig ist ein hochwertiges Naturpro- sprechenden Produkte ein. ten mit Streptomycin-Einsatz erfolg- dukt. Im Schweizer Lebensmittel- Auffällig waren die niedrigen Thymol- ten im Rahmen der imkerlichen Selbst- recht sind Anforderungen bezüglich gehalte. Erfreulicherweise setzt sich kontrolle in Zusammenarbeit mit dem Fremdstoffen geregelt. bei der konsequenten und wichtigen Pflanzenschutzdienst von Landwirt-

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 33 Foto: www.bienen-ag.ch

Mit Lehrbienenständen leisten die Imkereivereine einen wichtigen Beitrag zur Wissensvermittlung – auch für den korrekten Umgang mit Imkereihilfs- stoffen. Hier der Lehrbienenstand Königstein des Bienenzüchtervereins Aarau und Umgebung.

schaft Aargau und den Honigkoordi- thalinhaltigen «Mottenkugeln» defini- natoren der Aargauer Bienenzüchter- tiv aus den Wabenschränken der Aar- vereine. Es wurden Proben bei Bie- gauer Imker verschwunden zu sein nenständen entnommen, die bis ei- und die alten Honigwabenbestände nen Kilometer von Parzellen entfernt wurden mittlerweile grösstenteils er- sind, die mit Streptomycin behandelt neuert – dies wohl nicht zuletzt auf- wurden und deren Honig verkauft grund der wiederholten Kontrollen Foto: www.vdrb.ch wird. von Honigproben auf Hilfsstoffrück- Imker, die nach dem Reglement zum Gemäss Fremd- und Inhaltsstoffverord- stände. Honig-Qualitätssiegel der apisuisse nung gilt für Streptomycin-Rückstän- 2012 wurde auch ausländischer Ho- produzieren, dürfen den Honig de in Honig ein gesetzlicher Höchstwert nig auf Rückstände geprüft. Von den speziell auszeichnen. Für das End- von 0,01 Milligramm pro Kilogramm insgesamt 52 Proben stammten 31 produkt und die Betriebsweise (Toleranzwert). Erfreulicherweise wur- Proben direkt vom Imker und 21 aus gelten strengere Bestimmungen de dieser Wert in allen jährlichen Mess- dem Detailhandel. Die Produkte ka- als die gesetzlich vorgegebenen. reihen seit 2008 nicht überschritten. men aus der Schweiz (41; Kanton AG: Die zahlreichen koordinierten Mass- 40), Frankreich (8), Neuseeland (2) nahmen zur Feuerbrandbekämpfung oder waren «Import» (1). haben unterdessen grosse Fortschrit- Nebst den oben genannten Rückstän- ten der Enzyme Diastase und Inverta- te beim Schutz der Obstanlagen ge- den wurde in den 11 importierten und se bestimmt. Zwei Blütenhonige aus bracht. Im Zuge dieses Erfolges redu- in 6 inländischen Produkten zusätz- Frankreich und zwei Manuka-Honige ziert sich der Bedarf für Streptomy- lich der Gehalt an Hydroxymethylfur- aus Neuseeland wiesen HMF-Gehalte cin-Behandlungen. Im Jahr 2014 muss- fural (HMF) bestimmt. Frischer, scho- im Bereich von 71 bis 85 Milligramm ten im Aargau keine Parzellen behan- nend gewonnener Honig weist kein pro Kilogramm auf (Richtwert: maxi- delt werden. Damit entfielen auch die oder nur eine geringe Menge an HMF mal 40 Milligramm pro Kilogramm). diesbezüglichen Rückstandsanalysen. auf. Dagegen deutet ein hoher HMF- In diesen Proben zeigten auch die En- Wert auf Wärmeschäden oder länge- zymaktivitäten zum Teil deutliche Ab- Vergleiche mit Proben re Lagerung hin. Für die Beurteilung weichungen zu den entsprechenden aus den Vorjahren hinsichtlich eines allfälligen Wärme- Richtwerten. Dies zeigt, dass bei aus- Rückblickend auf die Untersuchungs- oder Lagerschadens wurden insbe- ländischen Produkten deutlich häufi- reihen von Honigproben der früheren sondere bei den Proben mit erhöhten ger Lager- oder Wärmeschäden auf- Jahre scheinen die PDCB- und naph- HMF-Gehalten zusätzlich die Aktivitä- treten als bei inländischem Honig.

34 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Legionellen bei der Warmwasser-Aufbereitung

Felix Arnold | Abteilung Energie | 062 835 28 80 Bei grösseren Anlagen wird die so­ larthermische Energie in einen Vor­ Stellen Warmwassersysteme im Allgemeinen sowie solche wärmer, also einen separaten Spei­ mit solarthermischer Unterstützung im Besonderen ein er- cher, geleitet. Das kalte Nutzwasser höhtes Risiko für den Befall von Legionellen dar? Das Amt wird zuerst im solarbetriebenen Vor­ für Verbraucherschutz des Kantons Aargau wollte es wissen wärmer durch die Solaranlage vorge­ und hat Warmwasseranlagen in Ein- und Mehrfamilienhäu- wärmt. Da die Leistung der Solaran­ sern untersucht. lage stark witterungsabhängig ist, va­ riiert die Temperatur im Vorwärmer je nach Wettersituation. Das vorge­ Legionellen sind Bakterien, die natür­ schwacher Lungeninfekt oder relativ wärmte Wasser wird dann im Haupt­ licherweise in feuchter Erde, Seen und harmlos als Pontiac-Fieber ablaufen erwärmer durch den Wärmeerzeuger Flüssen vorkommen. Über die Was­ kann, ist anzunehmen, dass die Dun­ auf die gewünschte Temperatur er­ serversorgung gelangen Legionellen kelziffer von tatsächlichen Infektio­ hitzt. in die Hausinstallationen. Legionellen nen mit Legionellen in der Schweiz vermehren sich bei einer Wassertem­ um ein Vielfaches höher liegt, als die Untersuchung peratur zwischen 20 und 45 °C. Ab ei­ statistischen Fallzahlen den Anschein Die extremen Temperaturschwankun­ ner Temperatur von 45 °C beginnen machen. gen in solarthermisch betriebenen die Legionellen abzusterben, ab 60 °C Der Name der Krankheit geht auf ein Vorwärmern mit teilweise optimalen sterben sie schnell. Treffen von Veteranen der «American Wachstumsbedingungen für Legionel­

Legion» im Jahre 1976 in Philadelphia len können ein gesundheitliches Risiko Die Legionärskrankheit zurück. Von den 4400 Teilnehmern darstellen. Das Amt für Verbraucher­ Legionella pneumophila ist der Verur­ wurden 182 Personen schwer krank, schutz des Kantons Aargau hat insge­ sacher der Legionärskrankheit. Die An­ 29 verstarben. Der auslösende Erre­ samt acht Anlagen mit Vorwärmern Stoffe Gesundheit steckung erfolgt durch Einatmen der ger wurde etwa sechs Monate später und zwei Anlagen mit Kombispei­ Bakterien aus feinen Wasserpartikeln identifiziert und erhielt den Namen chern beprobt. Bei den Anlagen mit in der Luft (Aerosole). Krankheitssymp­ Legionella pneumophila. Diese Infek­ Vorwärmern wurden jeweils Proben tome können sich entweder als Lun­ tion wurde durch die Klimaanlage ei­ vom frischen Zulaufwasser, vom so­ genentzündung zeigen oder in grippe­ nes der Hotels, in dem die Kongress­ larthermisch vorgewärmten Wasser ähnlicher Form mit Fieber und Glie­ teilnehmer wohnten, verbreitet. und vom sekundär nachgewärmten derschmerzen (Pontiac-Fieber). Im pri­ Warmwasser des Haupterwärmers ent­ vaten und beruflichen Umfeld kön­ Solare Warmwasseraufbereitung nommen. Zusätzlich wurden jeweils nen feine Wasserpartikel vor allem an Auf dem Markt haben sich zwei Syste­ Proben von Duschen, die am weites­ Duschköpfen, bei Zierbrunnen, in Sau­ me für die Wassererwärmung mit ther­ ten weg vom Wassererwärmer wa­ nen und Sprudelbädern, in Klimaanla­ mischer Solarenergie etabliert. Zum ren, entnommen. Insgesamt wurden gen und industriellen Befeuchtungs­ einen der Kombiwarmwasserspeicher 45 Proben erhoben. einrichtungen mit Wasserzerstäubern und zum anderen der solarbetriebene Diese Untersuchungsreihe hatte fol­ oder Luftwascheinrichtungen auftre­ Vorwärmer. Der Kombiwarmwasser­ genden Hintergrund: In einer Über­ ten und zur Ansteckung führen. Auch speicher beinhaltet sowohl den sola­ bauung war es zu Problemen mit Le­ in industriellen Kühltürmen können ren Wärmetauscher als auch den Wär­ gionellen aus dem stark befallenen sich Legionellen vermehren. Das Trin­ metauscher für die Aufheizung des Warmwassersystem mit separatem, ken von mit Legionellen belastetem Brauchwarmwassers über den Wär­ solarthermisch beheiztem Vorwärme­ Wasser ist gesundheitlich aber abso­ meerzeuger. Dabei wird bei geringer tank gekommen. Da sich die Legio­ lut unbedenklich. Leistung der Solaranlage das gesam­ nellen im Vorwärmetank bereits stark In der Schweiz werden jährlich zirka te Wasser durch den Wärmeerzeuger vermehrt hatten, konnte selbst bei 200 bis 250 Fälle der Legionärskrank­ (beispielsweise Öl oder Holz) konstant dauerhafter Erhöhung der Tempera­ heit diagnostiziert. Bei diesen Fällen auf der benötigten Temperatur gehalten tur des Haupterwärmers auf über 60 °C handelt es sich jedoch meist um aku­ und wenn nötig nachgewärmt. Dieses keine ausreichend wirksame Abtötung te lebensbedrohliche Legionellosefäl­ System kommt vorwiegend bei Einfa­ der Legionellen mehr erreicht werden. le mit Hospitalisierung und Behand­ milienhäusern und kleinen Mehrfami­ Die Sanierung des Warmwassersys­ lung auf der Intensivstation. Da eine lienhäusern zum Einsatz. tems erwies sich als sehr aufwändig. Infektion durch Legionellen auch als

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 35 Ausgehend von den lebensmittelhy­ Vorbeugung Zur Vorbeugung gegen Legionellen gienischen Abklärungen, die diesen In Wohnbauten, wo das Legionellen­ sind auch die Planer gefragt. Die Lei­ Sanierungsfall betrafen, erschien es risiko als gering eingestuft wird, sind tungen des Trinkwasserversorgungs­ angebracht, mit der Beprobung von vor allem einfache Präventivmassnah­ netzes sollten möglichst kurz sein weiteren ähnlichen Installationen der men wichtig. Als sehr wirkungsvoll gilt und so verlegt werden, dass sie über­ Frage nachzugehen, ob möglicherwei­ die konsequente Einhaltung angemes­ all gut durchströmt sind. Sowohl se ein generelles Hygieneproblem sol­ sen hoher Temperaturen im gesam­ Warm- wie auch Kaltwasserleitungen cher Anlagen besteht. ten Warmwasserverteilnetz. Das Bun­ müssen gut gedämmt sein. Steigt die desamt für Gesundheit (BAG) emp­ Kaltwassertemperatur nämlich über Ergebnis der Proben fiehlt eine Warmwassertemperatur bei 20 °C, besteht auch hier ein Risiko. Zum Zeitpunkt der jeweiligen Probe­ der Wassererwärmung von mindes­ Zudem muss die Kapazität der Was­ nahmen wurden nur in einer Anlage tens 60 °C und bei der Entnahmestelle serspeicher dem Bedarf entsprechen, mit Vorwärmer Legionellen nachge­ von mindestens 50 °C. Bei Boilerein­ damit regelmässig das gesamte Warm­ wiesen. Es handelte sich bei dem be­ stellungen um 50 °C sollte deshalb wasservolumen ausgetauscht wird. troffenen Gebäude aber nicht um eine durch eine automatische Legionellen­ Falls anstelle eines Kombispeichers Belastung des Gesamtsystems, son­ schaltung das Warmwasser im Boiler eine Lösung mit separatem Vorwär­ dern um einen punktuellen Befall an täglich während einer Stunde oder metank gewählt wird, sind diese Vor­ einer wenig gebrauchten Duschar­ zumindest einmal in der Woche auf beugungsmassnahmen noch entschei­ matur. mindestens 60 °C aufgeheizt werden. dender: Nur wenn die zu erwartende In den Kombispeichern wurden we­ Wichtig ist, dass die Leitungen und Wassertemperatur und Umsatzrate der Legionellen nachgewiesen noch Speicher regelmässig durchspült wer­ des Vorwärmetankinhaltes optimal in kritische Temperaturen für die Ver­ den. Bei normalem Warmwasserver­ das Gesamtkonzept der Warmwasser­ mehrung von Legionellen festgestellt. brauch ist das Risiko für die Bildung versorgung einbezogen werden, ist Durch die Erwärmung über den Wärme­ von Biofilmen gering, doch bei selten für den nötigen Gesundheitsschutz ge­ erzeuger können Temperaturschwan­ benutzten Zapfstellen und Boilern sorgt. kungen – verursacht durch die solare muss man vorsichtig sein. Typisch Vorerwärmung – verhindert werden. dafür ist die Dusche oder das Lavabo Weitere Informationen Die Systeme sind basierend auf den in einer selten oder nie benutzten Ein­ Das BAG bietet weiterführende Infor­ Messergebnissen hygienisch gesehen liegerwohnung eines Einfamilienhau­ mationen über Legionellen und die unbedenklich. ses. Auch ein Boiler in einer Ferien­ Legionärskrankheit an. Die SIA-Norm Die Ergebnisse der Untersuchung zei­ wohnung kann betroffen sein. Diese 385/1 des Schweizerischen Ingenieur- gen, dass es in der Regel die Kombi­ Installationen sollten deshalb voll­ und Architektenverbandes beschreibt nation mehrerer Schwachstellen ist, ständig entleert oder periodisch ge­ die Grundlagen für die Planung von die Legionellen in einer Warmwas­ spült werden. Nicht mehr gebrauchte hygienisch einwandfreien Warmwas­ serversorgung zum Problem werden Leitungsteile und Wasserzapfstellen sererwärmungssystemen. Der Schwei­ lassen. sind zwingend vom Leitungsnetz ab­ zerische Verein des Gas- und Wasser­ zutrennen. faches (SVGW) hat im Merkblatt «Legi­ onellen in Trinkwassersystemen – Was muss beachtet werden» die wichtigs­ ten Punkte für Planung, Betrieb und Unterhalt von Warmwassersystemen zusammengefasst. Dieses kann herun­ tergeladen werden unter www.svgw.ch > eRegelwerk > Merkblätter. Weitere interessante Informationen­ bieten fol­ gende Webseiten: www.bag.admin.ch, www.sia.ch.

energieberatungAARGAU – eine Dienstleistung des Kantons Aargau Antworten auf alle Fragen rund um das Thema Gebäude und Energie erhalten Sie unter 062 835 45 40 oder [email protected]. Foto: BVU

Selten benutzte Duschen können ein Legionellenrisiko darstellen.

36 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Kosten einer Legionellenanalyse Eine Legionellenanalyse kostet zirka 120 bis 160 Franken pro Probe. Wer sein Warmwasser auf Legionellen überprüfen möchte, wendet sich am besten an ein Privatlabor, das für den Nachweis von Legionellen in Wasser­ proben akkreditiert ist. Bei der Anfra­ ge an ein solches Labor sind auch In­ formationen zur Probenahme und zum Analysenverlauf sowie das benötigte Probenahmematerial erhältlich. Ein Verzeichnis solcher Firmen finden Sie bei der Bundesverwaltung unter www.seco.admin.ch/sas/akkreditier­ testellen. Unter «Suchen nach» die Nummer 11731 eingeben.

Dieser Beitrag entstand in Zu­ sammenarbeit mit Irina Nüesch, Amt für Verbraucherschutz, 062 Foto: Manuel Kley, Amt für Verbraucherschutz 835 30 95. Legionellen aus einem halben Milliliter Wasserprobe (rund 10 Tropfen) und nach 10-tägiger Bebrütung auf einer selektiven Nährbodenplatte: Die typisch milchig-grau wachsenden Legionellen lassen sich leicht von andersfarbig

wachsenden Bakterien unterscheiden. Eine Legionelle ist – wie für Bakte­rien üblich – weniger als einen tausendstel Millimeter lang. Erst nachdem sich die in der Wasserprobe enthaltenen einzelnen Legionellen durch Zellteilung auf der Nährbodenplatte zu «Zellhaufen» von zirka 100 Millionen Bakterien Stoffe Gesundheit vermehrt haben, werden sie von Auge sichtbar.

Förderbeiträge des Kantons Aargau für Solarwärmeanlagen

hhFlachkollektoren 3 – 7 m2 pauschal Fr. 2500.– > 7 m2 Grundbeitrag Fr. 1450.– plus Fr. 150.– pro m2

hhRöhrenkollektoren 3 – 5 m2 pauschal Fr. 2500.– 2 2 > 5 m Grundbeitrag Fr. 1450.– plus Fr. 210.– pro m Ohne gültigen GEAK® Plus reduziert sich der Förderbeitrag um 700 Franken. Der vom GEAK-Experten erstellte Beratungsbericht, kurz GEAK Plus genannt, zeigt konkrete Massnahmen auf, wie ein Gebäude im Bereich Energie auf Effizienz getrimmt werden kann (GEAK: Gebäudeenergieausweis der Kantone). Weitere Informationen zum Förderprogramm des Kantons Aargau finden Sie unter www.ag.ch/energie > Förde­ rungen.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 37 S1

1

2 P 8 T T KW WW

R1

4 1 Sonnenkollektor 2 Pumpenbaugruppe S1 7 3 Kaltwasseranschluss 4 Solar-Wassererwärmer 1 5 Solar-Wärmetauscher 6 Elektroheizeinsatz (Option) 6 9 7 Nachheiz-Wärmetauscher 8 Thermomischer 9 Kessel 5 S2 S1 Kollektorfühler S2 Fühler Wassererwärmer 2 P 8 KW Kaltwasser T T WW Warmwasser 3 KW WW R1 KW

4 1 Sonnenkollektor 2 Pumpenbaugruppe 7 3 Kaltwasseranschluss 4 Solar-Wassererwärmer 5 Solar-Wärmetauscher 6 Elektroheizeinsatz (Option) 6 9 7 Nachheiz-Wärmetauscher 8 Thermomischer 9 Kessel 5 S2 S1 Kollektorfühler S1 S2 Fühler Wassererwärmer

KW Kaltwasser 1 WW Warmwasser 3 KW Schema Kombispeicher 11 8 Bei geringer Leistung der KWSolaranlageWW wird hier das gesamte Wasser durch den Wärmeerzeuger (beispielsweise Öl) auf derSTRG benötigten Temperatur gehalten und wenn nötig nachgewärmt.

10 2 1 Sonnenkollektor 2 BackBox Eco (inkl. Solar- S1 kreispumpe und Steuerung) 3 Kaltwasseranschluss 4 6 4 Solar-Wassererwärmer 1 BackBox 5 Solar-Wärmetauscher 6 Nachheiz-Wassererwärmer 14 11 8 7 Nachheiz-Wärmetauscher KW WW 8 Thermomischer 9 Kessel S1 S2 STRG 10 Umschichtpumpe 10 11 Steuerung Umschichtung 2 1 Sonnenkollektor S1 Kollektorfühler 2 BackBox Eco (inkl. Solar- 125 7 S2 Fühler Wassererwärmer kreispumpe und Steuerung) S2 S1 Fühler Solar-Wasser- 3 Kaltwasseranschluss 4 6 erwärmer (Umschichtung) 4 Solar-Wassererwärmer

BackBox S2 Fühler Nachheiz-Wasser- 5 Solar-Wärmetauscher 9 erwärmer (Umschichtung) 6 Nachheiz-Wassererwärmer 14 7 Nachheiz-Wärmetauscher 3 KW Kaltwasser 8 Thermomischer 9 Kessel S1 S2 KW WW Warmwasser 10 Umschichtpumpe 11 Steuerung Umschichtung

S1 Kollektorfühler 125 7 S2 Fühler Wassererwärmer S2 S1 Fühler Solar-Wasser- erwärmer (Umschichtung) S2 Fühler Nachheiz-Wasser- 9 erwärmer (Umschichtung)

3 KW Kaltwasser KW WW Warmwasser Schema Vorwärmer Bei grösseren Anlagen wird die solarthermische Energie in einen Vorwärmer, also einen separaten Speicher, geleitet. Je nach Wettersituation kann die Temperatur im Vorwärmer stark variieren. Solche Schwankungen bieten den Legionellen optimale Lebensbedingungen. Grafiken: Helvetic Energy GmbH

38 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Grünes Licht für die Limmattalbahn

Oliver Morel | Abteilung Verkehr | 062 835 33 30 25 Prozent) steigen. Allein im unmit- telbaren Grenzraum zwischen Dieti- Das Limmattal ist eine der Regionen, in denen der Kanton kon und Spreitenbach besteht auf ei- Aargau am stärksten wächst. Insbesondere der Raum ner Fläche von rund 70 Hektaren ein Spreitenbach ist ein Schwerpunkt für die Wirtschafts- und Potenzial von 8000 bis 14’000 Arbeits- Siedlungsentwicklung. Darum ist es wichtig, die vorhan­ plätzen und 4000 bis 5000 zusätzli- denen Qualitäten des Limmattals zu stärken und dabei chen Einwohnerinnen und Einwoh- gute Erreichbarkeit und Mobilität innerhalb des Raums nern. Dabei ist die Verkehrssituation für die Zukunft sicherzustellen. Die Limmattalbahn bietet bereits heute angespannt. die grosse Chance, die räumliche Entwicklung mit einem zukunftsgerichteten Verkehrssystem in die richtigen Siedlungs- und Bahnen zu lenken. Der Bau der Limmattalbahn von Zürich Verkehrsentwicklung Altstetten bis Killwangen ist ein gemeinsames Vorhaben Mehr Verkehr kann das bestehende der Kantone Aargau und Zürich. Strassennetz im Limmattal nicht mehr bewältigen, und auch das Busnetz stösst in den Spitzenstunden an seine Seit den 60er-Jahren ist im Limmattal bens- und Wohnraum für über 200’000 Leistungsgrenze. Eine neue leistungs- ein starker Anstieg der Bevölkerung Einwohnerinnen und Einwohner. Der fähige Achse des öffentlichen Verkehrs und der Arbeitsplätze zu verzeichnen. Aargauer Teil des Limmattals weist (öV) mit grosser Kapazität entlang der Die Region ist mehrheitlich zu einem 90’000 Einwohnerinnen und Einwoh- Zentren ist unverzichtbar, um eine zu- durchgehenden Siedlungsband zusam- ner sowie 60’000 Beschäftigte auf. Bis verlässige Verkehrserschliessung im mengewachsen. Der Raum von der ins Jahr 2040 dürfte die Bevölkerung Limmattal auch mit der zukünftigen Zürcher Hardbrücke bis zum Wasser- auf 125’000 (plus 38 Prozent) und die Entwicklung bewältigen zu können. schloss bei Siggenthal ist heute Le- Zahl der Beschäftigten auf 75’000 (plus Eine sehr gute Erreichbarkeit bildet

Die Limmattalbahn als verbindende Zentrumsachse zwischen Zürich Altstetten und Killwangen Mobilität

Limmat Killwangen SBB-Linie

Spreitenbach

Limmat Dietikon Schlieren

Zürich Altstetten AG ZH . . Urdorf Kt N 1 km Kt

Quelle: Limmattalbahn AG

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 39

Limmattalbahn Verkehr Variante 2 QSMGE 16. März 2015 Quelle: Architron GmbH, Zürich

So soll der Bahnhofplatz Killwangen mit dem Trassee der Limmattalbahn einst aussehen.

eine Hauptvoraussetzung für eine kehr übernommen und auf einem ei- kann. Seit 2010 laufen die Projektie- nachhaltige urbane Entwicklung in die- genen Trassee bewältigt werden. Die rungsarbeiten, im Herbst 2013 wurde sem für den gesamten Kanton wichti- Limmattalbahn soll das Rückgrat einer der Antrag auf die eisenbahnrechtli- gen Gebiet. Die unmittelbare Nähe des nachhaltigen Raumentwicklung sein, che Plangenehmigung beim Bundes- Limmattals zum Kern des Metropoli- damit das erwartete Wachstum geord- amt für Verkehr eingereicht. Zurzeit tanraums Zürich sowie das gestiege- net abläuft. Wenn das Bevölkerungs- laufen Einspracheverhandlungen, die ne Bewusstsein für eine grenzüber- und Wirtschaftswachstum nicht im grösstenteils lokale Anpassungen oder schreitende Zusammenarbeit eröffnen Limmattal aufgenommen werden kann, Entschädigungsforderungen zum In- dem Limmattal die grosse Chance, so wird es an Orte ausweichen, die sich halt haben. Angestrebt werden ein- sich geordnet zu einem eigenständi- verkehrlich nicht effizient erschliessen vernehmliche Lösungen und der Ab- gen, attraktiven Arbeits- und Wohn- lassen. Massgebend für die Kapazität schluss des Plangenehmigungsverfah- standort zu entwickeln. Ähnliches kann der neuen öV-Achse ist die prognosti- rens bis Mitte 2016. Die Bauarbeiten man in der Region Zürich Nord beob- zierte Nachfrage. Der Zuwachs an sollen 2017 beginnen. Ab 2019 soll die achten, die dank der Glattalbahn auf Wohnraum und Arbeitsplätzen löst bis Limmattalbahn schrittweise von Zü- bestem Weg ist, sich von einer zent- 2030 mindestens eine Verdoppelung rich Altstetten her in Betrieb genom- rumsorientierten Agglomeration zu ei- der Nachfrage im öV aus. men werden. Durchgehend bis zum ner funktional zusammenhängenden Endpunkt am Bahnhof Killwangen-­ Netzstadt mit eigener Identität zu ent- Projekt Limmattalbahn Spreitenbach soll sie ab Ende 2022 wickeln. Seit 2000 laufen gemeinsame Planun- fahren. Die Limmattalbahn wird zu- Aber auch die Freiraumqualitäten der gen der beiden Kantone Aargau und sammen mit der Bremgarten – Dietikon-­ Limmatlandschaft gilt es zu sichern. Zürich, 2006 und 2007 wurde in den Bahn (S17) und dem anschliessenden Der Fluss, die Hangrücken und die Richtplänen die Linienführung der Lim- Busnetz ein unverzichtbarer Teil des Grünräume quer zum Tal sollen die mattalbahn festgesetzt. Es soll eine zukünftigen öV-Netzes im Limmattal künftige Siedlungsentwicklung mitprä- Bahn sein und nicht ein Bus, wegen sein. Als schneller Feinverteiler ist sie gen. Dazu ist eine koordinierte Pla- deren grosser Kapazität, der hohen Zubringer zur S-Bahn an den Bahnhö- nung von Siedlung, Verkehr und Frei- Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit fen Killwangen-Spreitenbach, Dietikon, räumen notwendig. Um die gewünsch- – vor allem aber auch aus der Erfah- Schlieren und Zürich Altstetten. te Siedlungsentwicklung zu ermögli- rung heraus, dass eine Bahn die beab- Die Limmattalbahn wird als doppel­ chen, muss der Grossteil des zukünf- sichtigte Siedlungsentwicklung nach spurige Stadtbahn in Meterspur gröss- tigen Mehrverkehrs zwischen Zürich innen und die Ausrichtung auf den tenteils ebenerdig geführt und erhält und Killwangen vom öffentlichen Ver- öV langfristig am besten unterstützen für einen zuverlässigen Betrieb sowie

40 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Quelle: Architron GmbH, Zürich

Auf rund 13,4 Kilometer Strecke gibt es 27 Haltestellen. Hier die Visualisierung einer Station in der Landstrasse Spreitenbach.

konkurrenzfähige Fahrzeiten auf 92 Die Gewährleistung der Sicherheit für Die Kosten für die neue Bahn bewegen Prozent der Gesamtstrecke ein Eigen- alle Verkehrsteilnehmenden hat bei der sich pro Kilometer in vergleichbarem trassee. Die Strecke misst rund 13,4 Planung der Limmattalbahn oberste Rahmen wie bei anderen Stadtbah- Kilometer, hat 27 Haltestellen und liegt Priorität. Erfahrungen aus dem Betrieb nen, die in den letzten Jahren gebaut zu einem Viertel im Kanton Aargau in der Glattalbahn sind in die Projektie- wurden oder sich in Planung befinden den Gemeinden Spreitenbach und Kill- rung eingeflossen. Im Ergebnis wur- (beispielsweise Glattalbahn oder Tram wangen. Haltestellen kommen unter den zusätzliche Barrieren ins Projekt Lausanne – Renens – Villars-Ste-Croix).

anderem direkt vor die IKEA und das aufgenommen. Zudem werden an drei Mobilität Shoppingcenter Spreitenbach zu lie- grossen Verkehrsknoten der Bahn- und Ausblick gen. Die Linienführung ist auf eine der Strassenverkehr durch Unter- re- Voraussichtlich im November 2015 maximale Fahrgeschwindigkeit von 60 spektive Überführungen voneinander wird im Kanton Zürich über den Kre- Kilometern pro Stunde ausgelegt. Es getrennt. Für den Veloverkehr werden dit für den Bau der Limmattalbahn ab- wird mit einer durchschnittlichen Be- parallel zur Bahn auf 90 Prozent der gestimmt. Im Kanton Aargau hinge- förderungsgeschwindigkeit von 22 Ki- Streckenlänge neue Velostreifen ge- gen wurde nach der grossmehrheitli- lometern pro Stunde gerechnet, was baut und an einem Grossteil der Hal- chen Zustimmung des Grossen Rates deutlich schneller ist als das Stadtzür- testellen werden Bike + Ride-Anlagen von keiner Seite das Referendum er- cher Tram und vergleichbar mit der erstellt. griffen. Bestätigt das Zürcher Stimm- Glattalbahn im Norden der Agglome- Die Gesamtkosten für die Planung und volk den Realisierungskredit, so kann ration Zürich. In den ersten Betriebs- den Bau der Limmattalbahn werden ab 2017 – entsprechend dem Baufort- jahren soll die Limmattalbahn im auf 755 Millionen Franken veranschlagt, gang und der etappierten Freigabe der 15-Minuten-Takt­ verkehren. Der vorge- die von den Kantonen Aargau und Zü- Bundesmittel – abschnittsweise die sehene Fahrplan sichert an den Bahn- rich sowie vom Bund getragen wer- Umsetzung und Inbetriebnahme er- höfen Killwangen-Spreitenbach und den. Strassenergänzungen, Platzgestal- folgen: 2017 bis 2019 von Zürich Alt­ Dietikon kurze Umsteigezeiten zwi- tungen, Haltestellenzugänge und Velo- stetten nach Schlieren Geissweid und schen Limmattalbahn und S-Bahn. abstellanlagen werden durch die Ge- 2019 bis 2022 von Schlieren Geissweid Damit das Angebot entsprechend der meinden finanziert. Der Grosse Rat nach Killwangen. Eine Verlängerung Nachfrageentwicklung problemlos auf des Kantons Aargau hat einen Ver- der Limmattalbahn in den Raum Ba- den 7,5-Minuten-Takt verdichtet wer- pflichtungskredit über 179,5 Millio- den –Wettingen stellt eine langfristige den kann, werden im Depot von An- nen Franken – der sich um den erwar- Option dar (Zeithorizont nach 2030) fang an die nötigen Abstellplätze vor- teten Bundesbeitrag reduzieren wird und ist im Richtplan bereits als Vor­ gesehen. – mit grosser Mehrheit beschlossen. orientierung enthalten.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 41 Quelle: Architron GmbH, Zürich

Die Limmattalbahn wird zusammen mit der Bremgarten – Dietikon-Bahn und dem Busnetz ein unverzichtbarer Teil des öV-Angebots im Limmattal sein: hier der Bahnhofplatz Dietikon, wie er zukünftig aussehen soll.

Meinungen zur Limmattalbahn Zitate und weitere Informationen finden Sie unter www.limmattalbahn.ch.

hh«Die Limmattalbahn ist für die Gemeinde Spreitenbach von grosser Wichtigkeit. Sie erschliesst zahlreiche Ge- biete, welche in den nächsten Jahren bebaut werden. Durch die Anbindung an die wichtigsten Bahnhöfe garan- tiert sie pünktliche Anschlüsse auf die S-Bahnen in Killwangen-Spreitenbach­ und Dietikon. Dazu ergänzende Buslinien verkürzen die Reisewege für alle Spreitenbacherinnen und Spreitenbacher. Mit der Limmattalbahn schlagen wir in Spreitenbach ein neues Kapitel auf.» Valentin Schmid, Gemeindepräsident Spreitenbach

hh«Velofahrende profitieren vom Bau der Limmattalbahn. Eine gute Veloinfrastruktur­ entlang der Strecke und Abstellplätze bei den Haltestellen schaffen die Voraussetzungen für den wachsenden Veloverkehr zwischen Killwangen und Zürich. Limmattalbahn und Veloverkehr ergänzen sich damit optimal.» Monika Hungerbühler, Pro Velo Kanton Zürich

hh«Die Limmattalbahn soll über Wettingen bis nach Baden weitergeführt werden. Unser Strassennetz im Limmat- tal ist ausgelastet. Das Limmattal verfügt über ein enormes Entwicklungspotenzial. Die Siedlungsentwicklung muss in Abstimmung von Siedlung und Verkehr aufgefangen werden.» Dr. Markus Dieth, Gemeindepräsident Wettingen, Grossrat, Präsident Regionalplanungsverband Baden Regio

42 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Baubegleitende Kommunikation – Neugestaltung Schulhausplatz Baden

Karin Wasem | Abteilung Verkehr | 062 835 33 30 werden neu durch die Tunnelgarage und dann über eine Rampe auf den Der Badener Schulhausplatz gehört mit seinen rund 46’000 Schulhausplatz fahren. Fahrzeugen täglich zu den am stärksten frequentierten Kreuzungen der Schweiz. Von Juli 2015 bis Ende 2017 wird Fuss- und Radverkehr dieser Verkehrsknoten saniert und neu gestaltet. Die seit Unterirdisch und somit auch getrennt 1965 grösste Badener Verkehrssanierung wird während vom motorisierten Verkehr wird es eine den Bauphasen gewisse Verkehrseinschränkungen mit sich übersichtliche Passage-Ebene geben, bringen. Baubegleitende Kommunikationsmassnahmen die über behindertengerechte Zugän- und alternative Mobilitätsangebote helfen, den Verkehr ge verfügt. Ladengeschäfte machen während der Bauzeit möglichst flüssig zu halten und Stau- die Passage zusätzlich zum attraktiven zeiten zu minimieren. Begegnungsort mit Mehrnutzen. Fuss- gänger und Velofahrende nutzen die- se Flächen gemeinsam und nehmen Mit der Neugestaltung des Schulhaus- Anwohnerinnen und Anwohner von aufeinander Rücksicht. Natürlich wird platzes in Baden wird einer der gröss- Baden, die Bevölkerung aus der Region auch das oberirdische Queren des Plat- ten Verkehrsknoten im Kanton Aargau und auch die Wirtschaft. zes sowohl für Fussgänger als auch den zukünftigen Mobilitätsbedürfnis- Velofahrende möglich bleiben. sen angepasst. Der Umbau soll zu ei- Bus ner sinnvollen Entflechtung der Ver- Einzigartig in Europa ist der unterirdi- Motorisierter Individualverkehr kehrsträger und zu einer effizienten sche Tunnel, der ausschliesslich von Die Fahrspuren werden neu geordnet, Nutzung des vorhandenen Verkehrs- Bussen befahren wird. Dieser wird vom um Reisezeiten zu reduzieren – zum raums beitragen. Ziel ist, dass das Badener Bahnhof einspurig stadtaus- Beispiel wird es statt einer neu zwei Stadtzentrum von Baden zukünftig für wärts unter dem Schulhausplatz auf Abbiegespuren von der Mellinger- in alle Verkehrsteilnehmenden einfacher, die Hochbrücke und Richtung Wettin- die Bruggerstrasse geben. Ausser- schneller und komfortabler erreichbar gen führen, was den Schulhausplatz dem wird der Verkehr durch eine leis- wird. Vom Projekt profitieren alle – entlastet. Busse in Richtung Mellingen tungsstärkere Lichtsignalanlage flüs-

Visualisierung des neugestalteten Schulhausplatzes Mobilität Quelle: BVU

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 43 hhZum Baubeginn wurde die Bevölke- rung der Gemeinden in der Region In 2,5 Jahren in die Zukunft Baden direkt mit einem Newsletter hEtappe 1, Sommer 2015 bis Anfang 2016: Begonnen werden die Arbei- h über das Grossprojekt und die Mo- ten in den Baubereichen Kiste und Bezirksgebäude. Die Schlossberg- bilitätsangebote informiert. Weitere tunnel-Sanierung und der Bustunnel-Bau beginnen auch in dieser Phase. Ausgaben des Newsletters sollen hEtappe 2, Anfang 2016 bis Mitte 2017: Der Deckenersatz der Tunnelgarage h im Lauf der Bauzeit veröffentlicht erfolgt. Der Zugang Passage Falken und die Bushaltestelle Lindenplatz werden. mit dem grösseren Wartebereich werden erstellt. hInfotafeln rund um die Baustelle ma- hEtappe 3, Mitte 2017: Die Passage wird ausgebaut und die Bruggerstras­ h h chen Verkehrsteilnehmende und An- se saniert. wohnende vor Ort auf das Projekt hEtappe 4 und 5, zweite Hälfte 2017 bis Anfang 2018: Fahrbahnen, Passa- h und das Verkehrsregime aufmerk- ge, Tunnelgarage und der Cordulaplatz werden fertiggestellt. sam. Hinzu kommt die Kommunikation mit spezifischen Anspruchsgruppen wie den Zulieferern, die tagtäglich siger und dadurch werden Wartezei­ Einschränkungen gerechnet werden.» Kundschaft erreichen müssen. Diese ten insbesondere für die Busse des öf- Um Stauzeiten zu minimieren und den Unternehmen wurden direkt mit de- fentlichen Verkehrs verkürzt. Verkehr möglichst flüssig zu halten, taillierten Plänen über Routenände- legt der Kanton gemeinsam mit Part- rungen und mit Mobilitätstipps be- Aufwertung Altstadt nern Wert darauf, die betroffenen dient. Die Quartiere werden durch den ver- Verkehrsteilnehmenden,­ Anwohner, hhWährend der Bauzeit sind neben grösserten Cordulaplatz besser mitei- Unternehmen und das ansässige Ge- dem Fuss- und Radverkehr sowie der nander verbunden und die Altstadt werbe über das Projekt, das aktuelle Bahn vor allem die Busse der RVBW vom Busverkehr entlastet. Die Neuge- Verkehrsregime und alternative Mo- und von PostAuto AG die empfoh- staltung des Schulhausplatzes schafft bilitätsangebote zu informieren: lenen Verkehrsmittel für die Fahrt in Raum für einen attraktiven Eingang in hhDie Projektwebsite www.baden-zen­ ­ die Stadt. Der Kanton und die Bus- die Stadt Baden. trum.ch dient als zentrale Informati- betriebe setzen alles daran, dass die onsplattform. Sie enthält Pläne über Busse während der ganzen Bauzeit Operation am offenen Herzen – die Verkehrsführung für die verschie- informiert und alternativ durch denen Transportmittel und zeigt, wel- Baden che Routen es für die umliegenden Am Spatenstich zum Baustart am Gemeinden von respektive nach Ba- 3. Juli 2015 meinte Stephan Attiger den gibt. Zudem ist über die Web-­ (Vorsteher Departement Bau, Verkehr site auch der Zugriff auf drei Web- und Umwelt): «Geduld ist gefragt! cams möglich, die über die aktuelle Während der gut dreijährigen ‹Opera- Verkehrssituation am Schulhausplatz tion am offenen Herzen› muss mit informieren. Foto: BVU Foto: BVU

Die Baustelle im Sommer 2015: Blick Richtung Weite Gasse Infotafeln machen auf das aktuelle Verkehrsregime aufmerksam.

44 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU möglichst fahrplanmässig verkeh- Mobilitätsmanagement ist litätsbewältigung im Kanton Aargau ren. Um das grössere Fahrgastvolu- wichtig für dieses Grossprojekt dient. men zu bewältigen und die Stabili- Das Mobilitätsmanagement mit Infor- tät des Fahrplans zu sichern, wer- mations- und Kommunikationsmass- Ausblick – Baden feiert den in den Hauptverkehrszeiten bei nahmen sowie alternativen Mobilitäts- Wie Stephan Attiger beim Spatenstich Bedarf zusätzlich Verstärkungskur- angeboten trägt zum Gelingen und am 3. Juli 2015 mit Freude festgestellt se eingesetzt. zum kurzfristigen Staumanagement hat, werden die Eröffnung des Schul- hhPubliRide Baden – machen auch Sie des Grossprojektes bei. Eine Gross- hausplatzes (Fertigstellung Rohbau) mit! Eine innovative Idee von baden- baustelle bietet dabei auch Anlass, das und die Badenfahrt ins gleiche Jahr mobil und PostAuto vereinfacht das eigene Mobilitätsverhalten zu über- fallen: 2017. Dann darf die ganze Re- Bilden von Fahrgemeinschaften. Die denken. Die von Gewohnheiten ge- gion mitfeiern – zweifach. neue App und auch die Website prägte Mobilität wird durch das Aus- (www.publiride.ch/baden) helfen da- probieren von Alternativen neu erlebt bei, dass sich Personen, die fahren, und Verkehrsteilnehmende entschei- Dieser Artikel entstand in Zusam- und solche, die mitfahren wollen, den sich zukünftig bewusster für das menarbeit mit Selina Betschart schnell finden. Das entlastet den an den jeweiligen Zweck am besten und Frank Rüede, Abteilung Ver- Schulhausplatz als Ganzes, denn 100 angepasste Verkehrsmittel – was einer kehr. Fahrgemeinschaften mit je zwei Per- langfristigen und nachhaltigen Mobi- sonen im Auto vermeiden 400 Me- ter Stau. Das Mitfahrnetzwerk zeigt zudem auch passende Verbindungen des öffentlichen Verkehrs (öV) an. Links und Informationen hhSensibilisierungsmassnahmen wie hhwww.baden-zentrum.ch: Informationen zur Neugestaltung Schulhaus- die Aktion Bike4Car (www.bike4car. platz ch) ermöglichen den Verkehrsteil- hhFragen zum Schulhausplatz können Sie via [email protected] stellen. nehmenden, ihre Mobilitätsgewohn- hhwww.publiride.ch/baden: Plattform für Fahrgemeinschaften heiten zu hinterfragen und Alterna- hhwww.bike4car.ch: Auto für zwei bis vier Wochen gegen E-Bike oder tiven auszuprobieren. Teilnehmende E-Scooter eintauschen an der Aktion können den Fahraus- hhwww.ag.ch/verkehr: alles über die sogenannte kombinierte Mobilität weis oder Autoschlüssel gratis für (Park + Ride, Bike + Ride, Park + Pool und Carsharing) zwei bis vier Wochen gegen ein E-Bike eintauschen und bei Bedarf kostenlos ein viermonatiges Testabo von Mobility abschliessen. hhAb November 2015 wird die witte-

rungsgeschützte Velostation Baden Mobilität beim Bahnhof West eröffnet. Dieser zentrale Standort kommt vor allem Pendlerinnen und Pendlern entge- gen. Die Benutzung kostet für einen Tag 2, für einen Monat 20 und für ein Jahr 150 Franken. Den Velofah- renden stehen in der Station Schliess- fächer und Velopumpen zur Verfü- gung. Auf dem Velo ist die Bevölke- rung in Baden während der Bauzeit am flexibelsten unterwegs. Auch bereits existierende Angebote helfen dabei, die individuellen Routen stauarmer und somit stressfreier zu gestalten: Dank Bike + Ride- und Park + Ride-Anlagen können Pendelnde ihre Velos und Autos an einem Bahnhof ausserhalb Badens parkieren, um dann mit dem Zug in die Stadt zu fahren. Auf den Park + Pool-Anlagen an der Au- Foto: badenmobil/PostAuto AG tobahn können sich Reisende verab- Dank PubliRide Baden finden sich Personen, die fahren, und solche, die mit- reden, um anschliessend in einem Auto fahren möchten, leichter. Das entlastet den Schulhausplatz, denn 100 Fahr- gemeinsam weiterzufahren. gemeinschaften mit je zwei Personen im Auto vermeiden 400 Meter Stau.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 45 Foto: Badener Tagblatt

Die Baustelle aus der Vogelperspektive

46 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Verkehrsmanagement: Alles klar?

Daniel Schwerzmann | Abteilung Tiefbau | 062 835 35 60 Was ist überhaupt Verkehrsmanagement? Wer kennt es nicht? Der Arbeitstag ist geschafft, man ist Verkehrsmanagement steht für eine müde und freut sich auf den Feierabend. Doch der Weg aktive Bewirtschaftung des Verkehrs- nach Hause wird zur Geduldsprobe. Man steht im Stau – aufkommens in einem Verkehrssys- vielleicht im eigenen Auto, vielleicht im Bus. Sieht genervt tem – sprich Strassennetz – mit be- die Zeit davonrinnen, ist verspätet, kann Termine nicht schränktem Leistungsangebot. Diese einhalten oder erblickt aus dem Bus gerade noch die Rück­ Bewirtschaftung geschieht durch eine lichter seines Anschlusszugs. Ärgerliche Situationen. Für gezielte Steuerung und Beeinflussung viele sind solche Zustände leider inzwischen Alltag. Warum der Verkehrsströme in einem bestimm- müssen all die anderen Verkehrsteilnehmenden ausgerech­ ten Perimeter. net jetzt die Strassen verstopfen? Verkehrsmanagement Verkehrsmanagement ist in aller Mun- kann da keine Wunder vollbringen, aber deutliche Verbes­ de: von der Politik auch schon als Sub- serungen schaffen. stitut für neue Strasseninfrastruktur- projekte gefordert und von den Me­ dien als Erlösung für die staugeplag- Durch die ständig zunehmenden Mo- glomerationen. Die Verkehrsbelastung ten Regionen gepriesen. Und die Be- bilitätsbedürfnisse geraten unsere Ver- hat in den letzten zehn Jahren deut- völkerung freut sich auf eine mehr kehrsnetze in den urbanen Gebieten lich stärker zugenommen als erwar- oder minder staufreie Zukunft in den zu Hauptverkehrszeiten regelmässig an tet. Das ganze Verkehrssystem wird Zentrumsregionen. Wo sich die Au- ihre Kapazitätsgrenzen. Die Folgen des immer anfälliger für Störungen. Das tos nicht mehr gegenseitig im Weg zunehmenden Verkehrs sind bekannt: bereits heute knappe Gut «Strasse» stehen, wo Velofahrer und Fussgän- Höhere Schadstoff- und Lärmemis­ wird künftig noch knapper. ger wieder grenzenlose Bewegungs- sionen, mehr Unfälle sowie längere Aus volkswirtschaftlicher, ökologischer freiheit und maximale Sicherheit ha- Staus und Reisezeiten, Ausweichver- und sozialer Sicht ist es sinnvoll, die- ben, wo die Busse wieder auf die Se- kehr durch Dörfer, auf Nebenstrassen ser Entwicklung mit geeigneten Mass- kunde genau im Fahrplan fahren und und in Wohnquartieren. Mit Baden, nahmen zu begegnen. Eine zentrale wo Wohnquartiere wieder Wohnquar- Brugg und Aarau schafft es der Kan- Rolle spielt dabei das Verkehrsma- tiere sind. Auf der Strasse herrscht

ton Aargau gleich dreimal in die Top nagement. wieder das Leben und nicht der Ver- Mobilität 20 der schweizweit staureichsten Ag- kehr. Das dürfte man doch erwarten – schliesslich kostet so ein «Verkehrs- management» für eine Region wie Baden-Wettingen fast 40 Millionen Franken. Eins sei vorweggenommen: Das be- schriebene Szenario ist eine Traum- vorstellung, die mit Verkehrsmanage­ ment nicht erreicht werden kann. Die Begründung ist so simpel wie nahe- liegend: Verkehrsmanagement kann den Verkehr nicht verschwinden las- sen. Das Mobilitätsbedürfnis und da- mit das Verkehrsaufkommen sind vor- handen – und das auf einem Strassen- netz, dessen Kapazität sich flächen- mässig durch die Einführung eines Verkehrsmanagements nicht ändert. Trotzdem ist ein aktives Management des Verkehrs nicht nur sinnvoll, son- dern sogar notwendig. Durch eine ak- Lichtsignalanlagen an der Peripherie verhindern, dass sich die Autokolonnen tive dynamische Steuerung der Ver- im Zentrum oder in dicht besiedeltem Gebiet stauen. Quelle: Kanton Aargau kehrsströme kann ein Verkehrssystem

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 47 mit beschränktem Leistungsangebot jedoch mehrere Knoten miteinander sezeit, Route, Tagesziel oder Verkehrs- kontrollierter an der Kapazitätsgrenze koordiniert, um einen möglichst opti- mittel so wählen, dass sie ihr Ziel zu- betrieben und so möglichst optimal malen Verkehrsfluss auf einer Strecke verlässig erreichen. Die Verbreitung bewirtschaftet werden. Die Sicherung zu erreichen. So lassen sich die Fahr- der Informationen erfolgt über ver- einer angemessenen Verkehrsqualität zeuge mit einer sogenannten «grü- schiedene Kanäle: verhindert den Kollaps des Verkehrs nen Welle» ohne Halt über eine Stre- hhRadio (inkl. Radio Data System RDS im Zentrum oder an neuralgischen cke leiten oder aber ein Fahrzeugstrom und Traffic Message Channel TMC) Knotenpunkten. Es ermöglicht, für die wird an einem Knoten aufgehalten, hhInternet (Webseiten und Apps) effizientesten Fortbewegungsarten auf weil der nachfolgende Knoten nicht hhVerkehrsinformationsdisplays auf der der Strasse (zu Fuss, per Velo, mit Bus- bereit ist, noch mehr Fahrzeuge zu Strasse sen des öffentlichen Verkehrs) besse- verarbeiten. re Rahmenbedingungen zu schaffen. Lenken: Beeinflussung Woher weiss das Verkehrs­ Wenn der Verkehr im bewirtschafteten der Routenwahl im Netz managementsystem, wie es in Raum stetiger fliesst, ist die Zuverläs- Mit dem Lenken soll ein betrachtetes der aktuellen Verkehrssituation sigkeit der Busse höher, das Unfallri- Netz möglichst gleichmässig ausge- auf den Verkehr einwirken soll? siko kleiner und sind die Verkehrssi- lastet werden. Dies geschieht über Verkehrsmanagement ist im Grunde cherheit der schwächsten Verkehrs- Umleitungen oder Umleitungsempfeh- ein Regelkreis, wie man ihn von der teilnehmenden sowie die Koexistenz lungen. Auf der Strasse sind das typi- Heizung zuhause kennt. Damit die Hei- der verschiedenen Mobilitätsformen scherweise Wechselwegweiser oder zung entscheiden kann, ob sie jetzt verbessert. Verkehrsinformationsdisplays, die den Wärme produzieren muss, wird zu- Fahrzeuglenkenden informieren. Im erst die aktuelle Zimmertemperatur ge- Die Wirkungsprinzipien Gegensatz zu den Prinzipien Steuern messen. Diese wird mit der gewünsch- Eine Verkehrsmanagementlösung gibt und Leiten, wo sich der Verkehrsteil- ten Solltemperatur verglichen und auf- dem Strassenbetreiber (Bund, Kanton, nehmer per Gesetz an die Anzeigen grund dieser Erkenntnis entscheidet Gemeinde) prinzipiell die folgenden der Lichtsignale halten muss, ist die die Heizungssteuerung, ob geheizt vier Wirkungsmöglichkeiten: Befolgung der Wegweisung fakultativ wird oder nicht. Steuern: Einflussnahme an Knoten und muss nicht zwingend befolgt wer- Genauso verhält es sich mit dem Ver- und Objekten den. Die Einflussnahme des Stras- kehrsmanagement. Zuerst muss der Dazu werden in erster Linie die Licht- senbetreibers ist beim Lenken folglich aktuelle Verkehrszustand erfasst wer- signalanlagen eingesetzt. Sie erlauben nicht mehr so gross wie beim Steu- den. Dieser wird dann ausgewertet und eine gezielte Steuerung der Verkehrs- ern und Leiten und im Wesentlichen interpretiert, um anschliessend eine flüsse an einem Knoten. Steuern ist von der Akzeptanz der angezeigten entsprechende Verkehrsbeeinflussung das direkteste Wirkprinzip, das dem Wegweisungen und Empfehlungen vorzunehmen. Im Vergleich zur einfa- Verkehrsmanagement zur Verfügung abhängig. chen Heizungssteuerung mit einem steht. Informieren: Information Messwert und einer Stellgrösse sind Leiten: Einflussnahme entlang über den Verkehrszustand vor es im Verkehrsmanagement Tausen- einer Strecke und während der Fahrt de Messwerte, die Dutzende Stellbe- Auch das Wirkungsprinzip Leiten ba- Die Verkehrsinformation setzt die Ver- fehle beeinflussen. Ein Verkehrsma- siert auf der Verkehrsbeeinflussung kehrsteilnehmenden frühzeitig über be- nagement für einen urbanen Verkehrs- mittels Lichtsignalen. Im Gegensatz stehende Engpässe, Hindernisse oder raum ist ein hochkomplexes System. zum Steuern werden für das Leiten Staus ins Bild. Sie können folglich Rei-

Was sind die Ziele eines aktiven Verkehrsmanagements? Verkehrsinformation trägt eben- Mit der Einführung eines Verkehrsmanagements in einer Zentrumsregion falls zu einer sowohl räumlich als werden folgende Ziele verfolgt: auch zeitlich homogeneren Netz- hhflüssiger Verkehrsablauf im Siedlungszentrum auslastung bei und minimiert so- hhVerlagerung von Stauräumen in unkritische Bereiche mit wenig sensib- mit Staus und Verlustzeiten. Selbst len Randnutzungen wenn keine räumliche oder zeitli- hhoptimale Ausnutzung der vorhandenen Netzkapazität che Verlagerung der Fahrt mög- hhMinimierung der Gesamtreise- und Verlustzeiten lich ist, stellt die reine Information hhKalkulierbarkeit der Reisezeiten für den öffentlichen Verkehr und den über den aktuellen Verkehrszu- motorisierten Individualverkehr stand (vielleicht sogar mit zu er- hhGewährleistung der Anschlusssicherheit des öffentlichen Verkehrs wartenden Reise- oder Verlust- hhGewährleistung des Komforts für den Langsamverkehr zeiten) eine wertvolle qualitative hhhohe Verkehrsqualität für den motorisierten Individualverkehr während Information für den Verkehrsteil- der Schwachlastzeiten nehmenden dar. Er kann sich so hhGewährleistung der Verkehrssicherheit auf die Situation einstellen.

48 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Wichtigste Voraussetzung für den Be- eine separate Busspur zur Verfügung. trieb eines wirksamen und ausgereif- Sie sind häufig baulicher Natur (zu- Vor Ort sichtbare ten Verkehrsmanagements ist folglich sätzliche Fahrspur). Es gibt aber auch infrastrukturelle Mittel zur die profunde Kenntnis dessen, was sogenannte elektronische Busspuren. Verkehrsbeeinflussung: auf der Strasse aktuell tatsächlich pas- Diese halten den Verkehr in beide Rich- hhLichtsignalanlagen siert. Genauso wichtig sind aber auch tungen auf, sodass der Bus auf der hhDosierstellen/Pförtneranlagen die Entscheidungsschemata, die ei- freien Gegenfahrbahn an der Fahrzeug- hhbauliche Busspuren nem Verkehrsmanagementsystem an- kolonne seiner eigenen Fahrspur vor- hhelektronische Busspuren gelernt werden müssen, um aus ei- beifahren kann. Solche elektronischen hhBusschleusen nem gemessenen Verkehrszustand die Busspuren werden vor allem auch dort hhWechselwegweisungen richtigen Befehle zur Verkehrsbeein- realisiert, wo man den Bus zu Spitzen- hhInformationsdisplays flussung abzuleiten. Der Fachmann zeiten als erstes Fahrzeug vor einem spricht bei diesen Schemata von so- Pulk in ein Zentrum einfahren lassen genannten Verkehrsmanagementplä- will und der Bau eines separaten Tras- nen. sees nicht möglich ist. Damit der Bus auf der Stammroute kann die Weg- dann auch möglichst lange Pulkfüh- weisung sofort die Umleitung anzei- Was muss gebaut werden, um rer bleibt, wird der Verkehr hinter ihm gen. Unterstützt werden die Wechsel- diese Wirkungsmöglichkeiten auch dann aufgehalten, wenn er in wegweisungen von Verkehrsinforma- zu schaffen? eine Haltestelle einfährt (sogenannte tionsdisplays, auf denen ebenfalls Um- Die Erfassung des Verkehrszustands Busschleusen). Dafür werden die Bus- leitungen oder Routenempfehlungen in Echtzeit erfolgt im Kanton Aargau haltestellen auf kritischen Abschnit- dargestellt werden können. primär über die Lichtsignalanlagen. ten ebenfalls mit Lichtsignalen ausge- Die Verkehrsinformationsdisplays die- Da diese für ihre eigene lokale Steue- stattet. nen aber auch der rein informativen rung der Ampeln den Verkehr mit In- Für die Verkehrslenkung eruieren die Anzeige von Störungen und Verzöge- duktionsschleifen in jeder Fahrspur Verkehrsplaner die meistgenutzten rungen, was beim Verkehrsteilnehmer erfassen, stehen diese Informationen Fahrbeziehungen in und um ein Zent- das Verständnis und die Akzeptanz für in den Lichtsignalsteuergeräten für rum. Sie prüfen, ob sich für diese so- die aktuelle Situation fördert. Die ver- eine zentrale Weiterverarbeitung zur genannten Stammrouten auch Alter- mittelten Informationen können wahl- Verfügung. Einige der bestehenden nativrouten anbieten, um so das Ver- weise auch durch Empfehlungen zur Lichtsignalanlagen werden für das Ver- kehrsaufkommen auf zwei oder sogar räumlichen und zeitlichen Disposition kehrsmanagement mit einem neuen mehr Achsen zu verteilen. Wo dies der seiner Fahrt ergänzt werden. Steuergerät ausgerüstet oder auch mit Fall ist, werden dort, wo ein Fahrzeug- weiteren Induktionsschleifen ergänzt. lenker einen Entscheidungspunkt pas- Die Betriebsaufgabe Die zentrale Weiterverarbeitung des siert, die statischen Wegweiser durch Verkehrsmanagement Verkehrszustands, wie auch die Aus- dynamische Wegweiser ersetzt. So Was oft etwas vergessen geht: Ver-

wertung und die Erarbeitung der werden die Verkehrsteilnehmenden kehrsmanagement ist in erster Linie Mobilität Stellbefehle, erfolgt zentral in einem auf die Alternativroute aufmerksam eine Tätigkeit. Wenn der Kanton Aar- übergeordneten Verkehrsrechner. An gemacht oder im Falle einer Störung gau für eine Agglomeration ein «Ver- diesen Rechner müssen folglich alle Lichtsignalanlagen, alle Wechselweg- weiser und alle Verkehrsinformations- displays in der Agglomeration ange- schlossen werden. Die Vernetzung erfolgt über ein Breitbandkommuni- kationsnetz, das 2013 eigens für die Kantonsstrasseninfrastruktur gebaut wurde. Die Massnahmen auf der Strasse wer- den durch ein von den kantonalen Ver- kehrsplanern erarbeitetes Konzept be- stimmt. So dienen Pförtneranlagen und der Bau von Stauräumen zur Rück- haltung des Verkehrs auf den Einfalls­ achsen. Die Autokolonnen stehen so nicht im Zentrum oder in dicht besie- deltem Gebiet, sondern kontrollierbar in weniger sensiblen Bereichen. Foto: Daniel Schwerzmann Damit der Bus nicht auch verzögert ins Verkehrsmanagement kann Verkehr nicht verschwinden lassen. Aber es Zentrum vorgelassen wird, steht ihm hilft, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur optimal auszulasten.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 49 kehrsmanagement realisiert», dann ist damit das Schaffen der infrastruktu- Links rellen Voraussetzungen gemeint, um hhVerkehrsmanagement Kanton Aargau: www.ag.ch/verkehr > Verkehrs- diese Tätigkeit «Verkehr managen» management überhaupt ausüben zu können. Denn hhVerkehrsmanagement Schweiz: www.astra.admin.ch > Themen > Natio- auch wenn die Busspuren gebaut und nalstrassennetz > Verkehrsmanagement die Lichtsignalanlagen vernetzt sind, ist der Verkehr damit noch nicht aktiv be- wirtschaftet. Die vielen baulichen und systemtechnischen Verkehrsmanage- laufend zu optimieren oder auf neue Die Umsetzung der Verkehrsmanage- mentmassnahmen bilden den notwen- Gegebenheiten abzustimmen. Wich- ment-Regionen erfolgt zeitlich gestaf- digen Werkzeugkoffer für den Ver- tig dabei ist auch die Berücksichtigung felt und wird bis zur flächendecken- kehrsingenieur, um seine Arbeit auf- der Auswirkungen derartiger Mass- den Umsetzung noch zirka ein Jahr- nehmen zu können. nahmen auf sämtliche Verkehrsarten. zehnt in Anspruch nehmen. Der Kanton Aargau setzt beim Bau sei- Es handelt sich also um eine intermo- ner Verkehrsmanagementsysteme auf dale Betrachtung und die optimale Fazit einen möglichst hohen Automatisie- Ausnutzung der intermodalen Netz- Verkehrsmanagement ist kein Wun- rungsgrad. Die regional koordinierte kapazität. dermittel gegen die zunehmende Ver- Verkehrsregelung soll möglichst ohne kehrsüberlastung in den Zentrums­ menschliche Intervention funktionie- Die Verkehrsmanagement- regionen. Verkehrsmanagement lässt ren. Wie sich das System in einer spe- Regionen weder Fahrzeugkolonnen verschwin- zifischen Situation verhalten soll, wird Der Kanton Aargau projektiert und re- den noch ersetzt es ein Bauprojekt ihm mit den Verkehrsmanagement- alisiert momentan Verkehrsmanage- zur Kapazitätserweiterung wie eine plänen einprogrammiert. mentsysteme für die Regionen Baden- Umfahrungsstrasse oder eine Verbin- Die Aufgabe des Betreibers liegt darin, Wettingen, Brugg, Aarau und Wigger- dungsspange. Verkehrsmanagement diese Regelungsalgorithmen laufend tal (Aarburg-Zofingen). Die Realisie- ist das Mittel, um unsere bestehende zu optimieren und an die Verkehrsent- rung eines Verkehrsmanagementkon- Infrastruktur so effizient wie möglich wicklung anzupassen. Mit der Vernet- zepts in einer Region umfasst durch- auszunutzen. Verkehrsmanagement er- zung der Lichtsignalanlagen und der schnittlich 30 bis 40 lokale Einzel- laubt, ein Strassennetz kontrolliert so zentralen Erfassung der Echtzeitver- massnahmen, welche innert 4 bis 6 hoch auszulasten, dass die Verkehrs- kehrsdaten steht dem Betreiber erst- Jahren projektiert und umgesetzt wer- sicherheit, die Zuverlässigkeit des öf- mals ein System zur Verfügung, mit den sollen. Die Kosten belaufen sich fentlichen Verkehrs und die Sied- dem er die Verkehrsqualität in seinem je nach Umfang der Arbeiten auf 15 lungsqualität in einem verantwortba- Netz beurteilen kann. So hat er die bis 40 Millionen Franken pro Region. ren Mass gewährleistet werden kann. Möglichkeit, in einem aufbauenden Weitere Regionen wie Lenzburg-See- Verkehrsmanagement ist der Schlüs- Prozess auf Stufe Knoten, Strecke und tal, Rheinfelden oder Wohlen befin- sel zur Aufrechterhaltung unserer Mo- Netz die Steuer- und Regelparameter den sich ebenfalls in Vorbereitung. bilität in den Zentrumsregionen.

Verkehrsmanagement in der Region Baden-Wettingen In der Region Baden-Wettingen realisiert der Kanton Aargau das erste Verkehrsmanagementsystem. Das Konzept Verkehrsmanagement Gross- raum Baden-Wettingen sieht vor, nur so viele Fahrzeuge in das Zentrum fliessen zu lassen, wie dieses auch verarbeiten kann. Beginnen sich die Intermodaler Verkehr beschreibt Autos im Zentrum zu stauen, wird der Zugang auf den grossen Einfall- eine mehrgliedrige Transportket- sachsen vorübergehend eingeschränkt. Es werden dann nur noch so vie- te, bei der ein und dieselbe Trans- le Fahrzeuge durchgelassen, wie die Strassen im Zentrum aufnehmen port- oder Ladeeinheit mit min- können. So werden die Auswirkungen der Staus im Zentrumsbereich (bei- destens zwei verschiedenen Ver- spielsweise Lärm, Luftbelastung), an weniger empfindliche Orte verla- kehrsträgern befördert wird. Inter- gert. Der Wirkungsgrad der Bewirtschaftung der Zufahrten für den moto- modal bedeutet, dass beispiels- risierten Individualverkehr hängt davon ab, welcher Verkehrsanteil an weise ein Lastwagen für einen Teil der Dosierungsstelle auch über die nachgelagerten massgebenden Kno- seines Weges mit der Eisenbahn ten fährt. Die Spannweite reicht von der Ehrendingerstrasse, auf welcher befördert wird (Huckepackverkehr). der Grossteil des Verkehrs aus dem Surbtal und nahezu ungefil- Der intermodale Verkehr ist heu- tert bis zum Brückenkopf Ost zufährt, bis zur Landstrasse in Wettingen, te ein allgemein anerkanntes Mit- die einen vergleichsweise geringen Durchgangsverkehrsanteil von 20 Pro- tel zur Senkung der Umweltbe- zent über die leistungsbestimmenden Knoten (inkl. Schartenstrasse) auf- lastung und Entlastung des Stras- weist. Die im Konzept erarbeiteten Massnahmen nehmen auf die unter- sen- und Autobahnnetzes. schiedliche Bedeutung der Achsen Rücksicht.

50 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Öffentlicher Raum – spannend inszeniert

Daniela Bächli und Samuel Flükiger | Abteilung Raumentwicklung | 062 835 32 90

Wie öffentliche Räume belebt werden können, zeigte im Sommer 2015 eine Freiluftausstellung von studentischen Menschen & Orte Interventionen in Muri. «Murianer» und alle Interessierten Die kantonale Webseite zeigt gute erhielten die Möglichkeit, auf einer Fussgängerliege zu Beispiele von öffentlichen Räu- verweilen oder ein Glas Rotwein auf der Klostermauer zu men im Aargau, laufende Planun- geniessen. Die erste fiktive Metrostation im Aargau ver- gen und Einschätzungen aus der führte zum Träumen. Eine Obstbaumstabwiese und weitere Bevölkerung: künstlerische Installationen regten zum Nachdenken an. www.ag.ch/menschen-und-orte Auch die neue Webseite «Menschen & Orte» des Kantons lädt zum Entdecken und Verweilen ein.

Hochwertige öffentliche Räume prä- fentliche Räume in Muri mit kreativen Neue Webseite gen das Gesicht einer Gemeinde und und kostengünstigen Interventionen zum öffentlichen Raum tragen wesentlich zu deren Qualitäten aufzuwerten. Aus 64 eingereichten Die Freiluftausstellung in Muri ist in- als Wohn- und Arbeitsort bei. Mit dem Projektideen wurden acht prämiert zwischen Geschichte. Die Bilder und Projekt «Fokus öffentlicher Raum» soll und umgesetzt. In Zusammenarbeit Kommentare sind jedoch auf der kan- der Blick für die Potenziale und die zwischen den Studierenden und loka- tonalen Webseite «Menschen & Orte» Nutzung von öffentlichen Räumen ge- len Handwerkern entstand eine som- nachzulesen. Und wer weiss, vielleicht schärft werden. Was macht einen gu- merliche Freiluftausstellung. Bilder bleibt die eine oder andere Interven­ ten öffentlichen Raum aus? Wie las- sowie Rückmeldungen aus der Bevöl- tion etwas länger erhalten. sen sich lebendige öffentliche Räume kerung zeigen, dass die Interventio- Auf der Webseite «Menschen & Orte» entwickeln? Diesen Fragen wird im nen in Muri mehrheitlich auf Zustim- sind neben den Pilotprojekten auch Rahmen von sechs Pilotprojekten in mung gestossen sind. Beispiele von gelungenen und gern ge- ländlichen und suburbanen Gemein- In den meisten Gemeinden gibt es so- nutzten öffentlichen Räumen im Kan- den nachgegangen. Nebst konventio- genannte Restflächen, sei es die Ecke ton Aargau dokumentiert. Verschiede­ nellen Planungsprozessen macht Muri neben dem Parkplatz oder eine ver- ne Orte werden mit Bild und Wort fest- den Anfang und zeigt, wie mit dem öf- steckte Nische im Wohnquartier. Mit gehalten. Mit dem Bewertungssystem fentlichen Raum auch spielerisch und einer bewussten, dem Ort angemes- von Jan Gehl wurden die öffentlichen kreativ umgegangen werden kann. senen Gestaltung lassen sich dort mit Räume auf ihre Qualität in Bezug auf geringen Kosten attraktive Aufwer- Schutz, Behaglichkeit und Genuss ge- Temporäre Interventionen tungsmassnahmen zugunsten des öf- prüft. Zudem wurde die Einschätzung Die Gemeinde Muri und der Kanton fentlichen Raums entwickeln. Tempo­ der lokalen Nutzerinnen und Nutzer Aargau organisierten gemeinsam ei- räre Interventionen bilden einen An- eingefangen. nen Wettbewerb für Studierende der satz, die schlummernden Potenziale Auf der Webseite werden laufend Disziplinen Architektur, Kunst und freizusetzen. Durch die Veränderung Neu­igkeiten zum Thema öffentlicher Landschaftsarchitektur. Diese erhiel- eines Raumes auf Zeit lassen sich neue Raum ergänzt. Ein Besuch lohnt sich. ten die Aufgabe, wenig genutzte öf- Ideen sowie Nutzungsformen und die Raum Landschaft Reaktionen darauf austesten.

Dieser Bericht erscheint als Folgeartikel­ zu «Öffentliche Räume erhöhen die Standortattraktivität», UMWELT AARGAU Nr. 68, Juni 2015, Seite 27. Für das Projekt «Fokus öffentlicher Raum» zuständig sind Samuel Flükiger, 062 835 33 15, [email protected], und Daniela Bächli, 062 835 32 70, [email protected].

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 51 Auswahl der in der Gemeinde Muri realisierten Projekte

Dank den roten Tafeltischen bietet die Klostermauer von Muri neu Sitzgelegenheiten, belebt das Dorfleben und verbindet den Strassenraum und die Klostergärten. Die Tafeltische werden von zwei Restaurants über die Markt- gasse bedient. Visualisierung: Mathias Ullmann HTW Chur

Grosse Freiheit: Die Unterführung wird zur imaginären U-Bahn-Station. Von hier aus ist Downtown, Brooklyn und die ganze Welt nur eine Haltestelle entfernt. Die Linie M1 bringt jeden dorthin, wohin er möchte. Die enge, unbe- hagliche Unterführung verwandelt sich, wird mit positiven Assoziationen besetzt und vermittelt für einen Moment ein Gefühl von Fernweh, Reiselust und Freiheit. Visualisierung: Manuel Gensle und Valentin Ebel, HTWG Konstanz

52 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Der Fussgängerstreifen am Adelburger Platz löst sich vom Boden, wird dreidimensional und entwickelt sich zu einer überdimensionierten Liege. Der bisher ausschliesslich vom Autoverkehr geprägte Platz bietet nun einen Ort, der zum Verweilen einlädt und zum Reflektieren über Zeit und Geschwindigkeit anregt. Visualisierung: Elena Mikaus, HTWG Konstanz Raum Landschaft

Wer hat die beste Erde? Unter diesem Motto wird ein Wettkampf durchgeführt. Die Teilnehmenden erhalten einen mit Erde gefüllten stabilen blauen Sack. Die Säcke werden mit Feuerbohnenkeimlingen bestückt. An Messlatten wachsen die Bohnen in einem Wettstreit in die Höhe. Sieger ist, wer bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die höchs- te Feuerbohne hat. Düngen und giessen ist erlaubt. Visualisierung: Raphael Kleindienst und Jonas Frei, HSR Rapperswil

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 53 Viele positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung zu den Interventionen

«Mit einfachen Mitteln wurde so viel Grossartiges geschaffen. Beispielsweise die Markierungen. Die Installationen sind genial.»

Foto: Ona Pinkus Jakob

«Sieht super aus, es ist echt cool. Wir laufen jeden Tag daran vorbei. Schade, kommt es wieder weg.»

Junge Skater

Foto: Ona Pinkus über die «Fussgängerliege»

«Jetzt fehlt nur noch jemand mit Gitarre, der in der Unterführung spielt. Es sollte für immer so bleiben.»

Patrick vom Restaurant Medusa

Foto: Ona Pinkus über das Projekt «Grosse Freiheit»

54 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Erfolgreiche Tagfalterförderung im Landwirtschaftsgebiet

Lilian Kronauer, Agrofutura AG | Matthias Plattner, Hintermann & Weber AG | in Zusammenarbeit mit der Abteilung Landschaft und Gewässer | 062 835 34 50

Trotz der Förderung der naturnahen Landwirtschaft gehen Die Förderung artenreicher Wiesen viele Tagfalterarten im Landwirtschaftsgebiet des Kantons ist ein wichtiger Bestandteil des Pro- Aargau weiter zurück. Um den negativen Trend zu durch- gramms Beve/Labiola. Die Blumen- brechen, wurden im Rahmen des Programms Bewirtschaf- und Magerwiesen insbesondere im tungsvereinbarungen (Beve) gezielte Fördermassnahmen Jura sind ein Hotspot für die Arten- für die Tagfalter ausgearbeitet und in einem Pilotgebiet im vielfalt – unter anderem für die Tag- Jura umgesetzt. Dank der gestaffelten Mahd, der Anlage falter. Die Ergebnisse aus dem kan­ von blütenreichen Saumstrukturen und der intensiven tonalen Biodiversitäts-Überwachungs- Beratung der Landwirte konnte die artenreiche Tagfalter- programm «Langfristbeobachtung der fauna erhalten werden. Einzelne Arten wie die Rote-Liste-­ Artenvielfalt in der Normallandschaft Arten Mattscheckiger Braundickkopffalter und Esparset- des Kantons Aargau» (LANAG) zei- ten-Bläuling besiedelten das Gebiet sogar neu. Das Ergeb- gen aber, dass in den letzten 15 Jah- nis ist umso bedeutender, als im gleichen Zeitraum die ren die Entwicklung bei den Tagfaltern Tagfalterbestände in den Wiesen und Weiden im gesamten in den Wiesen negativ verlief. Die Aargau deutlich zurückgegangen sind. Gründe dafür sind nicht genau be- kannt. Allerdings weiss man, dass die Tagfalter stark auf kleinräumige Tem- Entwicklung der Tagfalterartenzahlen in den Aargauer Wiesen peratur- und Strukturunterschiede in 10 der Vegetation reagieren und natür- lich auf das Vorkommen ihrer spezifi- 9,5 schen Raupennahrungspflanzen und auch von Nektarpflanzen angewiesen 9 sind. Vor diesem Hintergrund wurde das 8,5 vorliegende «Kombi-Projekt Tagfalter», gestartet. Ziel war es, in einem Pilot- gebiet Bewirtschaftung und Pflege der

Tagfalterarten 8 Biodiversitätsförderflächen und Natur­

7,5

7 1998– 1999– 2000– 2001– 2002– 2003– 2004– 2005– 2006– 2007– 2008– 2009– 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Programm Beve/Labiola Bei den Tagfaltern in den Aargauer Wiesen zeigt sich seit Beginn des Moni- Das Programm Bewirtschaftungs­ toringprogramms LANAG (Langfristbeobachtung der Artenvielfalt in der verträge Naturnahe Landwirtschaft Normallandschaft des Kantons Aargau) ein andauernder Rückgang der (Beve), seit 2014 unter dem neuen Artenvielfalt. Dargestellt ist die mittlere Artenvielfalt der Tagfalter bezogen Namen Labiola (Landwirtschaft – ­ auf jeweils fünf Erhebungsjahre. Biodiversität – Landschaft), fördert Leistungen in den Bereichen Bio- diversität und Landschaftsgestal- Eckdaten zum «Kombi-Projekt Tagfalter» tung. Der Kanton Aargau schliesst hhProjektdauer: 2007 bis 2013 dazu Bewirtschaftungsverträge mit hhPilotgebiet: Landschaftskammer in den Gemeinden Ueken und Herznach Landwirtinnen und Landwirten ab. Natur (Aargauer Jura) In diesen auf vollkommen freiwil- hh2007/08: Erhebung des Ausgangszustands der Tagfalterfauna auf acht liger Basis abgeschlossenen Ver- Transsektstrecken zu 250 Meter Länge mit sechs Begehungen über das trägen werden zielgerichtete Be- Sommerhalbjahr verteilt wirtschaftungs- und Aufwertungs­ hhab 2008: Umsetzen der Fördermassnahmen für die Tagfalter massnahmen vereinbart und die hh2012/13: Erfolgskontrolle durch Wiederholung der Tagfaltererhebung finanziellen Abgeltungen geregelt.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 55 Foto: L. Kronauer

Blick auf das Pilotgebiet zum «Kombi-Projekt Tagfalter» im Raum Herznach – Ueken

objekte zu optimieren, um den nega- litativ unterschiedlichen Tagfalterle- insgesamt 47 Tagfalterarten nachge- tiven Trend der dort heimischen Tag- bensräumen – von der artenreichen wiesen werden, davon 25 typische falter zu durchbrechen und eine posi- Magerwiese bis hin zum Getreide- Arten der Wiesen und Weiden. Dank tive Bestandsentwicklung auszulösen. feld. Zudem handelte es sich um ein der guten Qualität der Magerwiesen Die erfolgreichen Massnahmen sol- klar abgrenzbares Untersuchungsge- und angrenzender lichter Föhrenwäl- len in einem zweiten Schritt kantons- biet mit nur wenigen Bewirtschaftern. der wurden auch drei Arten der Roten weit im Programm Beve/Labiola um- So war es möglich, innerhalb der Land- Liste festgestellt, unter anderem der gesetzt werden. schaftskammer über mehrere Jahre sehr seltene Rote Scheckenfalter. Im Massnahmen umzusetzen und deren ersten Projektjahr wurde die Lebens- Pilotgebiet Wirkung mit vertretbarem Aufwand raumqualität der einzelnen Flächen mit reicher Tagfalterfauna zu begleiten und zu dokumentieren. eingeschätzt, die Defizite wurden be- Entscheidend für die Wahl des Pilot- Bei der Erhebung des Ausgangszu- schrieben und das Verbesserungspo- gebiets war eine hohe Vielfalt an qua- standes der Tagfalterfauna konnten tenzial aufgezeigt. Foto: Stalling T. Foto: Stalling T. Foto: Stalling T.

Charakteristische Schmetterlingsarten von Wiesen und Weiden (von links): Himmelblauer Bläuling (Lysandra bellargus), Gewöhnliches Widderchen (Zygaena filipendulae) und Schachbrettfalter (Melanargia galathea)

56 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Definieren falter im gleichen Zeitraum weiter zu- Vertragswiesen. Hauptziel war es zu der Aufwertungsmassnahmen rückgegangen sind. verhindern, dass im Sommer für die Basierend auf der Einschätzung von Le- Die Gesamtindividuenzahl im Unter- Tagfalter ein Futtermangel entsteht, bensraumqualität und Verbesserungs- suchungsgebiet ging allerdings im wenn viele artenreiche Wiesen ab dem potenzial sowie den Ansprüchen der selben Zeitraum zurück. Dies ist auf 15. Juni gleichzeitig gemäht werden. Tagfalterarten an ihren Lebensraum die grossen jährlichen Bestandes- Aus diesem Grund wurden die Schnitt­ wurden Vorschläge für Aufwertungs- schwankungen von einigen wenigen zeitpunkte der verschiedenen Vertrags- massnahmen erarbeitet. Nebst den Arten wie dem Schachbrettfalter zu- wiesen aufeinander abgestimmt. Zum eigentlichen Landwirtschaftsflächen rückzuführen. Der Grossteil der Arten einen wurde bei den wüchsigeren Flä- wurden auch ungenutzte Restflächen weist dagegen stabile Bestandesgrös­ chen der Schnittzeitpunkt auf Mitte sowie die Übergänge zum Waldareal sen auf und bei einigen Arten sind so- Mai vorverlegt und zum anderen auf berücksichtigt. gar deutlich positive Entwicklungsten- den mageren Standorten auf Mitte Juli denzen erkennbar – beispielsweise nach hinten verschoben. Das Vorver- Wichtiger Erfolgsfaktor: beim Gewöhnlichen Widderchen und legen des frühestmöglichen Schnitts die Zusammenarbeit beim Himmelblauen Bläuling. Wiede- hat zudem als positiven Nebeneffekt, mit den Bewirtschaftern rum zeigt der Blick auf die Vergleichs- dass ein Vergrasen (Blütenarmut) der Als positiv erwies sich der frühe Ein- daten aus dem ganzen Aargau, dass nährstoffreicheren Wiesen verhindert bezug der Landwirte und Waldbewirt- sich die Bestände bei den meisten wird und so ein günstigeres Mikro­ schafter. Noch vor Beginn der Feld­ Tagfalterarten im Untersuchungsge- klima für die Entwicklung der Raupen erhebungen wurden sie an einer Ver- biet positiver entwickeln als im restli- vieler Tagfalterarten herrscht. anstaltung über das Projekt informiert. chen Kanton. Eine weitere wirkungsvolle Massnah- Als die Ergebnisse der Feldkartierung me war das Anlegen von Tagfalter- und die Massnahmenvorschläge vor- Welche Fördermassnahmen säumen auf botanisch verarmten Flä- lagen, wurden diese im Rahmen eines wirken? chen. Hierfür wurde eine extra für das Beratungsgesprächs mit den Landwir- Als eine der wirkungsvollsten Mass- Projekt zusammengestellte Samenmi- ten diskutiert und konkretisiert. Da­ nahmen erwies sich die Staffelung der schung verwendet, die an die Samen- raus resultierten eine flächenscharfe Schnittzeitpunkte auf den extensiven mischung «Saum auf Ackerfläche» an- Vorgabe der Aufwertungsmassnah- men und der Fahrplan für die Umset- zung. Übersicht zu den umgesetzten Massnahmen Die ausführliche Beratung der Land- Massnahme Ziele und Umsetzung der Massnahmen wirte mit genauer Erläuterung von Sinn und Zweck der Massnahmen war Schnittzeitpunkte der Schaffen eines permanenten Blütenangebots als wichtig für die gute Akzeptanz und die extensiv genutzten Nahrung für die Tagfalter und günstiger Eiablage­ korrekte Umsetzung. Dank der stetigen Wiesen staffeln möglichkeiten. Beratung während der ganzen Pro- Waldränder Die Vernetzung zwischen Magerwiesen und jektdauer konnten auftretende Proble- auflichten lichten Waldflächen verbessern und blütenreiche me bei der Umsetzung der Massnah- Krautsäume fördern. men aufgefangen werden. Böschungen Erhalten und Schaffen von artenreichen Böschun- aufwerten gen durch regelmässige Pflege und das Ein­ Resultate der Erfolgskontrolle bringen von Nektar- und Raupenfutterpflanzen Die Tagfaltererhebungen zu Beginn in vergraste Böschungen. und am Ende der Projektdauer zei- gen, dass sich die Situation im Unter- Tagfaltersäume Erhöhung des Angebots von Nektarpflanzen suchungsgebiet positiv entwickelt hat. anlegen durch Ansaat von blütenreichen Säumen entlang Für die Beurteilung der Entwicklung von Waldrändern, Hecken und extensiv genutzten am aussagekräftigsten sind die Daten Wiesen als Ausweichflächen, vor allem im zu den «Wiesentagfaltern». Bei dieser Sommer, nach dem ersten Schnitt der extensiv Gruppe konnte während der Projekt- genutzten Wiesen. dauer ein Zuwachs von zwei Arten fest- Hecken pflegen Aufwertung von Struktur und Diversität der gestellt werden: Mit dem Mattschecki- Hecken, Förderung der langsam wachsenden gen Braundickkopffalter und dem Es­ Sträucher, um Eiablagemöglichkeiten zu schaffen, parsetten-Bläuling sind zwei Arten neu und als Nahrungsquelle für die Tagfalter. Natur eingewandert, die beide auf der ge- Rückzugsstreifen Schaffen von Rückzugsorten für viele Kleintiere samtschweizerischen Roten Liste der stehen lassen in frisch geschnittenen Wiesen durch das Stehen- gefährdeten Arten stehen. Diese Ent- lassen von kleinflächigen ungemähten Streifen. wicklung steht im Gegensatz zu den Extensiv genutzte Ausdehnung der tagfalterfreundlichen Lebens- Tendenzen im ganzen Kanton Aar­ Wiesen neu ansäen räume im Gebiet. gau, wo die Bestände der Wiesentag-

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 57 Foto: L. Kronauer

Gestaffelte Wiesenbewirtschaftung: Die obere, hellgrüne Fläche ist frisch geschnitten, während der untere, ein paar Wochen früher geschnittene Bereich bereits wieder aufgewachsen ist und Blüten aufweist. So finden die Tagfalter stets Futterpflanzen.

gelehnt ist. Die Mischung enthält vor produkt zu mehr kleinflächigen Wie- Eine bewährte Massnahme, die aus­ allem Nektarpflanzen für die Falter senbrachestadien. Einzelne Tagfalter- serhalb des Kulturlands umgesetzt wie Dost und Acker-Witwenblume, arten sind auf solche Jungbrachen wurde, ist die grossräumige Aufwer- aber auch den Hornklee als wichtige als Lebensraum angewiesen. Wir ver- tung von Waldrändern. Durch deren Raupenfutterpflanze. Diese Flächen muten, dass dank solcher Jungbra- Auflichtung an verschiedenen Orten werden einmal jährlich geschnitten chen der stark gefährdete Mattsche­ konnten struktur- und blütenreiche und entwickelten sich sehr positiv. ckige Braundickkopffalter ins Projekt- Übergangsbereiche zwischen Wiese Die Fördermassnahme «Rückzugsstrei- gebiet eingewandert ist. und Wald geschaffen werden. Teilwei- fen für Kleintiere» führte als Neben- se wurden direkt ans Offenland an- schliessende grossflächige lichte Wald- standorte geschaffen, die wertvolle Tagfalterlebensräume darstellen und auch von Wiesenarten gerne zur Nah- rungsaufnahme aufgesucht werden. Optimierungsbedarf besteht dagegen noch bei der Massnahme «Aufwer- tung von artenarmen Wegböschun- gen» mit einer extra für das Projekt zusammengestellten Samenmischung. Die angelegten Flächen scheinen zu klein zu sein, als dass sich die einge- säten, kleinwüchsigen Arten, wie Thy- mian oder Wundklee, gegen die Grä- ser behaupten könnten. Zu wenig Beachtung geschenkt wur- de am Anfang des Projekts bestehen- den kleinen – damals noch artenrei- Foto: L. Kronauer chen – Restflächen wie Wegböschun- Neu angelegter Tagfaltersaum im 4. Standjahr: Die lila Blüten der Wiesen-­ gen oder Randbereichen von intensi- Witwenblume sind beliebte Saugpflanzen. Der Wundklee ist eine wichtige ven Weiden. Diese Flächen wurden Raupennahrungspflanze für diverse Schmetterlingsarten. wegen ihrer geringen Grösse nicht ver-

58 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU traglich gesichert. Es hat sich im Pro- im Gegensatz zum negativen Trend im tig ist zudem die Erkenntnis, dass klei- jektverlauf aber gezeigt, dass gerade restlichen Kanton Aargau. Tendenziell nere und grössere Restflächen sowie diese Bereiche infolge der Intensivie- konnten in jenen Teilräumen, die noch die «mittelintensiven» Wiesen und rung der angrenzenden Flächen sehr nicht so wertvoll waren, einige Verbes- Weiden, die ebenfalls eine Bedeu- häufig entwertet wurden. Da sie wich- serungen erzielt werden und in den tung für die Tagfaltervielfalt haben, tige Restlebensräume und auch Ver- bereits wertvollen Teilräumen konnte überdurchschnittlich an Wert einge- bindungselemente im intensiver ge- der Stand gehalten werden. büsst haben. Sie sollten zukünftig bes- nutzten Landwirtschaftsland darstel- Zum Erfolg beigetragen haben nebst ser gesichert und vermehrt gefördert len, gingen somit auch im Projektge- den bereits bestehenden wertvollen werden. biet einige für die Tagfalter überdurch- und gut gepflegten Naturschutzflä- Die bewährten Massnahmen aus die- schnittlich wertvolle Flächen während chen verschiedene Massnahmen, die sem Projekt flossen im Frühling 2014 der Projektdauer verloren. im Rahmen des Projekts initiiert wur- bei der Revision des Programms Beve den. Wichtigste Massnahmen waren in die neuen Labiola-Richtlinien ein. Fazit die Staffelung des Schnittzeitpunkts Insgesamt kann bezogen auf die Um- und die Anlage von Säumen. Auch setzung der Massnahmen und ihre die Anlage von Rückzugsstreifen er- Wirkung auf die Entwicklung der Tag- wies sich für einige Tagfalterarten als Dieser Artikel entstand in Zu­ falterbestände ein positives Fazit gezo- positiv. Die Pflege und Aufwertung sammenarbeit mit Thomas Eg- gen werden. Im Projektgebiet wurden von Böschungen als wichtige Lebens- loff und Isabelle Flöss, Abteilung eine Stabilisierung der Tagfalterviel- raumelemente erwies sich dagegen Landschaft und Gewässer, 062 falt auf hohem Niveau und teilweise in der Umsetzung als schwierig und 835 34 50. eine leichte Zunahme festgestellt. Dies muss weiter optimiert werden. Wich-

Entwicklung der Individuenzahlen ausgewählter Wiesen-Tagfalterarten

RL: Rote-Liste-Status (LC: nicht gefährdet; NT: potenziell gefährdet; VU: verletzlich). AG: Daten aus dem Programm zur «Langfristbeob- achtung der Artenvielfalt in der Normallandschaft des Kantons Aargau (LANAG)». Angezeigt wird, ob die Arten im betreffenden Gebiet einen positiven (), negativen () oder gleichbleibenden () Bestandestrend zeigen.

Artname Artname wissenschaftlich RL Entwicklung Entwicklung AG Ueken/Herznach

Gewöhnliches Widderchen Zygaena filipendulae LC   Senfweissling Leptidea-sinapis-Komplex LC   Heufalter, Goldene Acht Colias-hyale-Komplex LC   Waldbläuling Cyaniris semiargus LC   Kurzschwänziger Bläuling Everes argiades NT   Himmelblauer Bläuling Lysandra bellargus LC   Hauhechel-Bläuling Polyommatus icarus LC   Brauner Bläuling Aricia agestis LC   Hainveilchen-Perlmutterfalter Clossiana dia NT   Westlicher Scheckenfalter Melitaea parthenoides VU   Kleines Wiesenvögelchen Coenonympha pamphilus LC   Schachbrett Melanargia galathea LC

  Natur Verglichen wird die Entwicklung der Individuenzahlen im «Kombi-Projekt Tagfalter» in Ueken/Herznach mit den Resultaten im LANAG-Programm (Erhebungen 2007/08 und 2012/13). Die Entwicklung der Wiesentagfalter im Projektgebiet verlief positiver als im gesamten Kanton Aargau.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 59 Foto: Matthias Plattner

Esparsetten-Bläuling (Polyommatus thersites) Roter Scheckenfalter (Melitaea didyma) Foto: Matthias Plattner

Zwei der Seltenheiten, die im Untersuchungsgebiet vorkommen: Der Rote Scheckenfalter (Melitaea didyma) ist eine gefährdete Art der Roten Liste, der Esparsetten-Bläuling (Polyommatus thersites) hat das Untersuchungsgebiet wahrscheinlich sogar neu besiedelt.

60 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Äschenbesatz: Erfolgskontrolle und Konsequenzen

Kathrin Baumann und David Bittner | Abteilung Wald | 062 835 28 50 Äschenbesätze und -fänge in der Limmat (in Stück) Eine genetische Studie der Äschen aus Aare, Rhein, Reuss Besatz Fangzahl und Limmat zeigt auf, dass die bisherige Äschenbewirt­ (2 Jahre später) schaftung mit Besatz ein Misserfolg war. Künftig wird auf 2001 6’000 58 das Einsetzen von künstlich erbrüteten Jungäschen im 2002 10’000 25 Kanton Aargau verzichtet. Stattdessen werden Lebensraum­ aufwertungen – insbesondere die Schaffung von Laichplät­ 2003 7’000 36 zen und Jungfischlebensräumen – vorgenommen. 2004 16’000 8 2005 10’500 4 2006 10’000 6 Die Äsche (Thymallus thymallus) ist ter Einsätze paradoxerweise sogar ab. 2007 7’000 17 in der Schweiz in den Mittellandge­ Grundsätzlich ist kein Zusammenhang 2008 7’000 32 wässern natürlich vertreten und ist in zwischen Besatz und Anglerfängen 2009 7’000 24 der Roten Liste der bedrohten Fisch­ erkennbar, auch nicht in der Limmat. 2010 7’000 23 arten der Schweiz als verletzlich ein­ Leider werden getätigte Besatzmass­ 2011 7’000 18 gestuft. Die Bestände sind in vielen nahmen nur selten durch eine Er­ 2012 7’800 12 Flüssen rückläufig. Hauptgründe sind: folgskontrolle überprüft. Dies soll sich hhGewässerbeeinträchtigungen zumindest im Kanton Aargau ändern. Es ist kein Zusammenhang zwischen durch die zahlreichen Kraftwerke Gemäss Verordnung zum Bundes­ Besatz und Anglerfängen erkennbar. hhgestörter Geschiebehaushalt gesetz über die Fischerei (VBGF) ist Paradoxerweise nahm die Fangzahl hhmangelnde Fischgängigkeit der Besatz mit standortfremden Fi­ nach Jahren mit erhöhten Äschen­ hhverarmte Gewässerstruktur schen verboten. Die Fischereiverwal­ einsätzen sogar ab. Seit Jahrzehnten werden die Bestän­ tung nahm bisher an, dass es sich bei de durch Besatzmassnahmen gestützt. den Äschen im Kanton Aargau um eine So wurden im Kanton Aargau in den einzige Population handelt. Entspre­ Populationsgenetische letzten 20 Jahren durchschnittlich je­ chend wurde ein Besatz mit Äschen Untersuchungen des Jahr 100’000 Jungäschen einge­ aus dem Rheineinzugsgebiet als stand­ Insgesamt wurden 404 Äschen aus setzt. ortgerechte Herkunft betrachtet. Um Rhein, Aare, Limmat, Reuss sowie den Trotz der intensiven Besatzmassnah­ die bisherigen Besatzmassnahmen zu vier Fischzuchten (Bachofner, Nadler, men nahmen die Fänge der Angler kei­ überprüfen, wurde eine genetische Pfyn und Rueppel), die Jungäschen für neswegs zu. Im Gegenteil: Oft nahmen Studie der Äschen im Kanton Aargau den Besatz liefern, genetisch unter­ die Fänge gerade nach Jahren erhöh­ durchgeführt. sucht. Die Resultate zeigen, dass sich die Äschen von den Fischzuchten sehr stark von den in den Flüssen leben­ den Äschen unterscheiden. Keine ein­ zige Äsche aus den Anglerfängen konnte den Besatzfischen zugewie­ sen werden. Dies zeigt, dass die Fi­ sche aus den Zuchten sich nicht für den Besatz der Gewässer im Kanton Aargau eignen. Weiter zeigten die genetischen Aus­ wertungen, dass in den einzelnen Ge­ wässern (Aare, Reuss, Rhein und Lim­

mat) genetisch unterscheidbare Po­ Natur pulationen leben. Im Bereich der Aare-­Limmat-Reuss-Mündung (Was­ serschloss) vermischen sich diese Po­ Foto: Rainer Kühnis pulationen teilweise. Die Ergebnisse Die Äsche ist gut erkennbar an der grossen Fahne (Rückenflosse) sowie den passen gut zu den Resultaten einer ge­ schwarzen Punkten. samtschweizerischen Äschenstudie.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 61 Basierend auf den vorliegenden Ergeb­ den einheimischen Äschen zusammen sern die fehlende oder beeinträchtig­ nissen konnten die Äschen des Kan­ fortgepflanzt haben, was den Misser­ te natürliche Reproduktion kompen­- tons Aargau in vier Bewirtschaftungs­ folg der getätigten Bemühungen wei­ siert werden. Je mehr aber über die einheiten (Populationen, die aufgrund ter unterstreicht. Andererseits­ ist die­ Bewirtschaftung und den Fischbesatz ihrer Genetik als standortgerecht gel­ ses Resultat erfreulich, da dadurch die generell herausgefunden wird, desto ten und sich für den Besatz in den be­ lokal angepassten Populationen erhal­ mehr werden auch die negativen Aus­ stimmten Gewässern eignen) unter­ ten geblieben sind und nicht durch Hy­ wirkungen erkannt, die der Besatz auf teilt werden. Es muss davon ausge­ bridisierung (genetische Vermischung) die Fitness, das Überleben, die gene­ gangen werden, dass sich innerhalb beeinträchtigt wurden. tische Vielfalt und die Erhaltung von dieser vier Populationen lokale An­ lokalen Anpassungen der Populatio­ passungen an die jeweiligen Gewäs­ Lokale Anpassung nen haben kann. Im Einklang mit ei­ ser entwickelt haben. Um eine nach­ Das klare Ergebnis des Misserfolgs ner schweizweiten Äschenstudie ist haltige Bewirtschaftung zu gewähr­ führte zu einem jähen Erwachen. Alle nun bekannt, dass in der Schweiz zum leisten und die Gesetzgebung einhal­ haben jahrelang nach bestem Wissen Teil sehr ausgeprägte und genetisch ten zu können, müssten künftige Be­ und Gewissen gehandelt. Mit Besatz­ stark differenzierte Äschenpopulatio­ satzmassnahmen mit dem Besatzma­ massnahmen wurde versucht, die För­ nen existieren, die sich im Lauf der terial aus diesen vier Bewirtschaftungs­ derung dieser gefährdeten Fischart zu Evolution an die unterschiedlichen Le­ einheiten vorgenommen werden. unterstützen. Es wurde davon ausge­ bensräume der verschiedenen Gewäs­ Ausserdem konnten bei den gefange­ gangen, dass die Populationsgrössen ser spezifisch angepasst haben. nen Äschen keine genetischen Rück­ der natürlichen oder durch die Fische­ stände der eingesetzten Fische nachge­ rei verursachten schwankenden Jahr­ Lebensraumaufwertung wiesen werden. Offenbar kam es trotz gangsstärken durch Besatzmassnah­ statt Besatz jahrzehntelanger Besatzpraxis nicht da­ men stabilisiert werden könnten. Da­ Die Sektion Jagd und Fischerei setzt zu, dass sich eingesetzte Äschen mit durch sollte in bestimmten Gewäs­ sich zusammen mit anderen Fachstel­ len und Organisationen schon seit ei­ nigen Jahren für die Äschenföderung ein. Mit der vorliegenden Erkenntnis über den Misserfolg der getätigten Äscheneinsätze bemüht sie sich noch intensiver als zuvor um die gezielte Förderung der Laichplätze sowie der Larven-, Jungfisch- und Adultlebens­ räume der Äsche. Eine Erfolgskont­ rolle der neuen Äschen-Strategie im Kanton Aargau wird mit den alljährli­ chen Zählungen der Äschenlarven durch viele engagierte Fischereiauf­ seher gewährleistet. An Reuss, Aare, Rhein und Limmat können sich Äschen – wenn auch teilweise stark einge­ schränkt – natürlich fortpflanzen. In insgesamt 26 Flussabschnitten wurden Äschenlarven gefunden. Die vor Ort geschlüpften Äschen aus den stand­ ortheimischen Populationen haben ei­ne höhere Überlebenschance als eingesetzte Tiere, selbst wenn diese von Elterntieren der lokalen Popula­ tion stammen. Deshalb sollen aus den identifizierten Bewirtschaftungseinhei­ ten der Äschen im Aargau keine Mut­ tertierstämme, etwa aus eingesam­ Die vier aufgrund von genetischen Daten definierten Bewirtschaftungsein­ melten wilden Äschenlarven aufge­ heiten im Kanton Aargau. Um eine nachhaltige Bewirtschaftung zu gewähr­ baut werden. Laichfischfänge, um wil­ leisten und die Gesetzgebung einhalten zu können, müssten künftige de Elterntiere zur Gewinnung von Brut­ Besatzmassnahmen mit dem Besatzmaterial aus diesen vier Bewirtschaf­ material zu fangen, sind in den grossen­ tungseinheiten vorgenommen werden. Die Fischereiverwaltung verzichtet Flüssen des Aargaus­ nicht möglich, da jedoch darauf. Quelle: «Petri-Heil» die Abfischung von grossen Flüssen

62 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU sehr zeitintensiv und in tieferen Berei­ nen Äschenbesatz im Kanton Aargau kaum jemand für möglich gehalten chen nicht mehr effizient ist. Um nicht verzichtet wird. Die Pächter und Inha­ hatte, wurde mit einem Schlag wahr. die letzten wilden, intakten Äschen­ ber der betroffenen Flussreviere, in Seit 2015 werden im Kanton Aargau populationen durch solche Massnah­ denen bislang ein Äschenbesatz statt­ keine Äschen mehr ausgesetzt. Dass men weiter zu beeinträchtigen, sieht gefunden hat, durften selbst entschei­ ein solch radikaler Wechsel von der die zukünftige Äschenstrategie der den, ob sie weitere Einsätze (auf Kos­ Basis mitgetragen wird, ist der offe­ Fischereiverwaltung deshalb primär ten des Kantons) tätigen wollen oder nen Kommunikation und der guten Verbesserungen am Lebensraum der nicht. Doch die Studie und wohl auch Zusammenarbeit zwischen den Päch­ Äschen vor. die intensiven Kommunikationsbemü­ tern von staatlichen und Inhabern von hungen von David Bittner seitens Fi­ privaten Fischereirevieren, dem Aar­ Kein weiterer Besatz – schereifachstelle überzeugten – es gauischen Fischereiverband und der ein gemeinsamer Entscheid wurde kein einziger Äschenbesatz be­ Fischereiverwaltung zu verdanken. Die Studie wurde im März an einer antragt. Was noch vor einem Jahr Versammlung mit den Pächtern der staatlichen und Inhabern von priva­ ten Fischereirevieren mit der Fische­ reiverwaltung vorgestellt. Auch wur­ Weitere Informationen de der Entscheid der Fischereibehör­ Den Bericht zur Studie der Äschengenetik finden Sie auf der Internetseite de mitgeteilt, dass aufgrund der vor­ der Sektion Jagd und Fischrei: www.ag.ch/jagd_fischerei > Fischerei > liegenden Erkenntnisse ab der neuen Informationen für Fischer > Studien und Berichte. Pachtperiode 2018 vollständig auf ei­ Natur Foto: Sektion Jagd und Fischerei

Typischer Äschenlebensraum für jede Altersphase. Die Eier werden in die kiesige Flusssohle gelegt, als Larve suchen sie Flachwasserzonen mit geringer Strömung auf. Je älter sie werden, desto weiter entfernen sie sich vom Ufer. Als Adulte leben die Äschen in den stark strömenden Bereichen des Flusses.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 63 64 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Die Fischfauna des Hallwilersees

Kathrin Baumann und David Bittner | Abteilung Wald | 062 835 28 50 halt erhalten. Trotz grosser Fortschritte ist die Sanierung des Sees nicht ab- Der Hallwilersee ist der einzige grössere See im Aargau geschlossen. und gilt nicht nur als Visitenkarte des Kantons, sondern ist Die starken Veränderungen der Um- auch von entsprechend grosser fischereilicher Bedeutung. weltbedingungen der letzten Jahrzehn- Zahlreiche Untersuchungen geben Einblick in seine Fisch- te wirkten sich auch auf die Fischfau- fauna: Die Felchenfänge der Netzfischer werden seit vielen na und deren Bestandesdichte aus. Jahren in einem Monitoring überwacht, um beispielsweise Beispielsweise sterben die Felchen­ die Maschenweite der Fischernetze festzulegen. In einem eier durch die überdüngungsbeding- grossangelegten Markierungsprojekt wurden über 30 Mil- te Verschlammung am Seegrund ab. lionen Felcheneier markiert, um beobachten zu können, Folglich ist die natürliche Fortpflan- ob und zu welchem Anteil eine natürliche Fortpflanzung zung der Felchen im Hallwilersee nicht stattfindet. Zudem wird im Rahmen der schweizweiten mehr möglich. Um die Bestände der Studie «Projet Lac» die Fischfauna des Hallwilersees zum Hallwilersee-Ballen zu stabilisieren, ersten Mal quantitativ untersucht. Es ist Zeit, Bilanz zu wird mit Besatzmassnahmen versucht, ziehen. die fehlende natürliche Reproduktion zu kompensieren. Da die künstliche Er- brütung auch negative Auswirkungen Die Felchen, lokal Hallwilersee-Bal- fen belastet worden (Eutrophierung). auf die Fitness, die genetische Vielfalt len genannt, sind seit dem Mittelalter Nebst Massnahmen, die den Nähr- und die Erhaltung von lokal angepass- von grosser wirtschaftlicher Bedeu- stoffeintrag reduzieren sollen, wird ten Beständen haben kann, sollte die- tung und gelten seit jeher auch als der See seit Jahren künstlich belüftet. se Massnahme nur angewendet wer- Delika­tesse. Jahrzehntelang ist der Dadurch soll der Hallwilersee wieder den, wenn sie sinnvoll ist und die na- Hallwilersee mit zu vielen Nährstof- einen ausgeglichenen Nährstoffhaus- türliche Population nicht gefährdet.

Fangertrag der Angler- und Berufsfischerei im Hallwilersee von 1900 bis 2013

Bild: Michel Roggo Natur

Anfang der 1990er-Jahre brach der Felchenfang kurzzeitig total zusammen. Danach explodierte er wieder und erreichte 1997 einen Maximalertrag (oben rechts ein Felchen). Quelle: LIMNOS

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 65 Die Auswirkungen der Überdüngung Nachhaltige Fischerei einem flexiblen System, das dem Lauf auf die Bestandesdichte sind in den Die Daten des aktuell vorliegenden der Natur (Wachstum der Felchen) schwankenden Erträgen der Fischer Monitoringberichts 2014 zeigen, dass folgt, sind für 2016 geplant. Eine Än- zu erkennen. So brach etwa der Fel- die Länge der Felchen zwischen 28 und derung der erlaubten Maschenweiten chenfang Anfang der 1990er-Jahre 36 Zentimeter lag und nur unwesent- für den Laichfischfang (Fang von fort- kurzzeitig total zusammen, bevor er liche monatliche Unterschiede festge- pflanzungsfähigen Tieren während der binnen weniger Jahre wieder explo- stellt wurden. Die Altersverteilung wies Schonzeit für die künstliche Erbrütung) dierte und im Jahr 1997 der Maximal­ jedoch ein anderes Bild auf. Das im jeweils Ende Jahr steht nicht an, da ertrag von fast acht Tonnen erzielt Sommer stark zunehmende Wachs- mit einem Anteil von 72 Prozent an der wurde. In der Folge nahmen die Fän- tum der Altersklasse 3 + (Felchen im Altersklasse 3 + eine äusserst nachhal- ge jedoch stetig und markant ab, be- vierten Lebensjahr) erkannte man gut, tige Fischerei vorgewiesen werden vor erneut eine Trendwende festzu- da gegen Herbst dieser Jahrgang an- kann und keine Felchen, die noch nie stellen war. Aktuell haben sich die teilsmässig immer häufiger in den gelaicht haben (Altersklasse 2 + oder Fänge auf einem fischereilich guten Netzmaschen hängen blieb. Solche Er- sogar 1 +), gefangen werden. Die heu- Niveau von rund einer Tonne stabili- gebnisse zeigen, dass die Netzfische- tige fischereiliche Situation der Felchen siert. rei mit den 38-Millimeter-Netzen im im Hallwilersee kann entsprechend als Hallwilersee nachhaltig betrieben wird. sehr befriedigend beurteilt werden. Felchenmonitoring Denn die fortpflanzungsfähigen Fel- Seit vielen Jahren werden die Felchen chen der Altersklasse 2 + können durch Eine Hallwilerseefelchenart im Hallwilersee systematisch unter- diese Maschenweite durchschlüpfen. Im Monitoring wird zusätzlich zum sucht, wobei vor allem das Alter der Da die Fänge im ersten Halbjahr durch Alter – dieses kann an den Schuppen gefangenen Fische und entsprechend die Altersklasse 4 + dominiert werden, abgelesen werden – auch das Ge- das Wachstum die zentrale Rolle des könnten sogar kleinere Maschenwei- schlecht bestimmt. Ausserdem wer- Monitorings (Überwachung) spielen. ten (36 Millimeter) von Frühling bis den seit einigen Jahren die Anzahl der Sämtliche untersuchten Felchen wer- Sommer verwendet werden, ohne Kiemenreusendornen gezählt. Diese den jeweils mit den regulären Ma- dass dies einen negativen Einfluss auf feinfilamentigen Auswüchse der Kie- schenweiten, die auch bei der Fische- den Felchenbestand hat. Anpassun- menknochen werden unter anderem rei eingesetzt werden, gefangen. gen der erlaubten Maschenweiten mit zur Nahrungsaufnahme verwendet.

Altersklassen und Längen der Felchen von Januar 2014 bis Januar 2015

Längenklasse (mm) Längenklasse (mm) Längenklasse (mm) Eine nachhaltige Fischerei zielt auf die Fische ab, die mindestens einmal gelaicht haben – auf die Altersklasse 3 +, das sind Felchen im 4. Lebensjahr. Quelle: LIMNOS

66 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Kiemenreusendornenanzahl der untersuchten Felchen bedarf für eine Anpassung der Schon- vom Januar 2014 bis Januar 2015 zeit ist offensichtlich und soll dem- nächst angepasst werden. Das Felchenmonitoring zeigt zudem auf, dass trotz der vielen Massnah- men der Felchenbestand im Hallwi- lersee noch immer unter den eutro- phierungsbedingten Umweltverände- rungen leidet. Das oberste Ziel der Hallwilerseesanierung besteht deshalb genau in der Wiederherstellung bzw. Gewährleistung der natürlichen Fort- pflanzung der Felchen. Hinweise auf eine Naturverlaichung der Felchen so- wie die Überprüfung der bisherigen Praxis der künstlichen Erbrütung soll- Im Hallwilersee ist nur eine Felchenart bekannt. Anhand der Anzahl Kiemen- ten in einem separaten Projekt unter- reusendornen kann erkannt werden, ob die Fische zur gleichen Felchenart sucht werden. gehören. Aufgrund der grossen Variation von Fischen mit 25 bis 39 Kiemen- reusendornen lässt sich jedoch nicht abschliessend beurteilen, ob sich Markierung von Felcheneiern vielleicht nicht doch eine zweite genetisch differenzierte Felchenpopulation Die Felchen pflanzen sich aufgrund der im See befindet. Quelle: LIMNOS Veränderung des Sees im Zuge der Überdüngung seit vielen Jahren nicht natürlich fort, da ihre Eier auf dem Dort wird das Zooplankton (Klein- chen im Jahr 2014 langsamer wuch- schlammigen Seegrund ersticken. Dies krebse im Freiwasser sind die Haupt- sen als in den Jahren zuvor. Die Al- wurde durch ein jährliches Monito- nahrung der Felchen) vom Wasser ge- tersklasse 2 + war im Dezember 2012 ring der Abteilung für Umwelt belegt. trennt. Normalerweise beherbergen mit ungefähr 60 Prozent vertreten, im Die Stichprobengrösse dieses Moni- Schweizer Seen zwei oder mehrere Dezember 2013 dagegen nur noch mit torings ist mit durchschnittlich nur verschiedene Felchenarten, die sich 17 Prozent und im Jahr 2014 über- wenigen Dutzend Eiern leider äusserst genetisch, morphologisch (Anzahl Kie- haupt nicht mehr. Aufgrund des lang- bescheiden, wenn man bedenkt, dass menreusendornen) und auch ökolo- sameren Längenwachstums sind die ein einzelnes Felchenweibchen bis zu gisch (Laichzeit, Laichtiefe) mehr oder Fische der Altersklasse 2 + zu klein 10’000 Eier legen kann. Mit einem weniger stark voneinander unterschei- und schwimmen durch die Netzma- grossangelegten Markierversuch des den. Im Hallwilersee ist seit jeher nur schen hindurch. Verglichen aber mit gesamten Besatzmaterials eines Jahr- eine einzige Felchenart bekannt. Auch den Werten aus den 1980er-Jahren, gangs soll untersucht werden, ob und die bis heute untersuchten Kiemen- als der Bestand sehr gering war, sind zu welchem Anteil eine natürliche Fort- reusendornen lassen keinen Hinweis diese Zahlen immer noch als durch- pflanzung durch die zunehmend bes- auf die Existenz von mehr als einer schnittlich einzustufen. Die Abnahme sere Wasserqualität im Hallwilersee Felchenart im Hallwilersee zu. Bei den des Wachstums könnte mit einer Be- wieder stattfinden kann. Dieses Pro- meisten Fischen wurden 32 bis 34 Kie- standeszunahme zusammenhängen. jekt wird in Zusammenarbeit mit der menreusendornen gezählt. Aufgrund Bei höherer Individuendichte in einem Abteilung für Umwelt realisiert. Erste der grossen Variation von Fischen mit Lebensraum verläuft das Wachstum Ergebnisse zeigen, dass bereits eine 25 bis 39 Kiemenreusendornen lässt langsamer. Damit weiterhin eine nach- – wenn auch stark eingeschränkte – sich jedoch nicht abschliessend beur- haltige Fischerei im Hallwilersee ge- erfolgreiche Reproduktion der Felchen teilen, ob sich vielleicht nicht doch währleistet ist, muss die Wachstums­ im Hallwilersee nachgewiesen werden eine zweite genetisch differenzierte Fel- änderung weiter beobachtet werden. kann. chenpopulation im See befindet. Zu- Zur Markierung werden die Otolithen künftig geplante genetische Untersu- Anpassung der Schonzeit (kleines Knochenelement im Ohr) der chungen sollen über diese Frage ab- Seit Jahrzehnten besteht für die Fel- Fische mit dem Fluoreszenzfarbstoff schliessend Auskunft geben können. chen eine Schonzeit für die Monate Alzarinrot S eingefärbt. Dieser lagert Oktober, November und Dezember. sich in kalziumhaltigen Knochenele-

Langsameres Wachstum Ursprünglich fand die Laichzeit der Fel- menten ab und ist unbedenklich für Natur Die Stärke eines Monitorings liegt je- chen im November statt. Durch die ver- den Konsum der Fische. Die Felchen­ weils im möglichen Vergleich der Da- änderten Umweltbedingungen pflan- eier werden für eine bestimmte Zeit ten über mehrere Jahre. So konnte zen sich die Felchen zunehmend spä- in einem Wasserbad der Farblösung anhand der Alters- und der entspre- ter im Jahr fort. Der Höhepunkt des ausgesetzt. Um eine möglichst grosse chenden Längendaten herausgefun- letzten Laichfischfangs fand sogar erst Anzahl Fische markieren zu können, den werden, dass die Hallwilerseefel- Anfang Januar statt. Der Handlungs- sollte dies im späten Eistadium erfol-

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 67 schnittliche Sterberate lag bei ledig- lich 5 Prozent, was sogar unter der zu erwartenden natürlichen Rate (10 Pro- zent) lag. Es war das erste Mal, dass alle Felcheneier eines Jahrgangs ei-  nes Sees markiert wurden.

Erfolgskontrolle der natürlichen Fortpflanzung Foto: Aquabios Zur Überprüfung, ob die Markierung Um herauszufinden, ob und in welchem Masse eine Naturverlaichung im das ganze Fischleben über sichtbar Hallwilersee stattfindet, wurden über 30 Millionen Felcheneier markiert: ist, wird eine Kontrollgruppe von mar- Felcheneier kurz vor der Markierung (links); markierter Felchenbrütling (rechts). kierten Fischen in einer Fischzucht auf- Der Pfeil zeigt auf den eingefärbten Otolithen (Knochenelement im Ohr). gezogen und jährlich beprobt. Um ein aussagekräftiges Monitoring durchfüh- ren zu können, sollten nach der Mar- gen. Jedoch ist die Markierung nur er- die Erkenntnisse aus den Versuchen kierung alle Altersklassen untersucht folgreich, wenn die Otolithen bereits der Vorstudie konnten der Markie- werden. Es ist geplant, jeden Herbst ausgebildet sind, folglich darf sie auch rungszeitpunkt, die Expositionsdauer eine entsprechende Anzahl Felchen nicht zu früh durchgeführt werden. und weitere Parameter der Markie- des markierten Jahrgangs mit entspre- rung optimiert werden. Dadurch wur- chenden Netzen zu beproben. Die An- Von der Vorstudie de die Sicherheit erlangt, einen gan- zahl Fische, die untersucht werden zur Durchführung zen Jahrgang Felcheneier ohne grös­ muss, um die natürliche Fortpflan- In einer Vorstudie wurde die Eimarkie- sere Risiken markieren zu können. zung feststellen zu können (Stichpro- rung mit einer kleinen Anzahl Eier ge- Der Laichfischfang dauert mehrere bengrösse), hängt direkt vom effekti- testet. Mit diesen Versuchen konnte Wochen. Es gibt zwei angewendete ven Anteil der natürlichen Fortpflan- beispielsweise herausgefunden wer- Methoden, um die Eier aufzuziehen. zung im See ab. den, dass eine Markierung, die zu nahe Bei der einen wird Normalwasser (See- Im Herbst 2014 wurden rund 66 halb- beim Schlupfzeitpunkt liegt, einen ver- wasser) zur Erbrütung benutzt. Bei der jährige Felchen (Altersklasse 0 +) un- frühten Schlupf durch den zusätzlichen anderen Methode wird das benutzte tersucht. Von diesen 66 waren 3 nicht Stress auslösen und somit die Sterb- Wasser künstlich gekühlt (Kaltwasser­ markiert. Das bedeutet, dass rund 95 lichkeitsrate auf 50 Prozent steigen erbrütung). Dabei wird der Schlupf- Prozent der Felchen im Hallwilersee kann. Durch Anpassung der Färbeme- zeitpunkt gewollt verzögert, um mög- aus der künstlichen Erbrütung stam- thode und weiterer Parameter konn- lichen Algenblüten im Frühjahr aus- men. Eine ähnliche Studie des Gen- te diese deutlich reduziert werden. weichen zu können. Aufgrund der bei- fersees zeigte, dass nur 3 Prozent der Gleichwohl muss noch immer mit ei- den Aufzuchtmethoden sowie der lan- gefangenen Felchen aus dem Besatz ner Sterblichkeitsrate von 10 bis 15 Pro- gen Laichzeit mussten die Felcheneier stammten. In einem Gewässer, in dem zent gerechnet werden, was jedoch in mehreren Etappen in einer speziell die ökologischen Bedingungen stim- der normalen Mortalität bei der künst- für diesen Zweck erstellten Anlage men, funktioniert auch die natürliche lichen Erbrütung entspricht. Die Mar- markiert werden. Bis im März 2014 Reproduktion. Einerseits kann mit die- kierungen in dieser Vorstudie waren in konnten rund 35 Millionen Felcheneier sen ersten Ergebnissen die Tatsache allen Fällen sehr gut erkennbar. Durch erfolgreich markiert werden. Die durch- bestätigt werden, dass die Mehrheit

Foto: Aquabios

Abbildung 6-1 Schematische Darstellung der Versuchsanlage. Schematische Darstellung der Markierungsanlage (links) und die umgesetzte Anlage in der Brutanlage «Delphin» (rechts). Die Felcheneiner werden zur Markierung für eine bestimmt Zeit in einem Wasserbad dem Fluoreszenz- farbstoff Alzarinrot S ausgesetzt.

68 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU der Felchen im Hallwilersee aus der viduen pro Art und See als Referenz weise eine direkte Konsequenz der künstlichen Erbrütung stammt. Ande- für die Zukunft im Naturhistorischen Überdüngung des Hallwilersees. Gute rerseits stammen 5 Prozent der Fel- Museum Bern gesammelt. Des Wei- Lebensräume für Fische, also struktu- chen aus einer wenn auch stark ein- tern werden genetische und chemi- rierte Uferzonen mit Zuflüssen und geschränkten Naturverlaichung. Da- sche Analysen durchgeführt. Schliess- Kiesel, sind wenige vorhanden. Eini- mit hatte bislang niemand gerechnet. lich wurden auch die Uferlebensräu- ge eher kleine Zuflüsse bilden Deltas Es wird spannend sein zu beobach- me kartiert. Die Daten wurden mit ver- aus, was in Schweizer Seen nicht häu- ten, wie sich der Anteil der unmar- schiedenen Methoden gesammelt: fig ist, für die Fische jedoch einen kierten Fische über die nächsten Jah- hhHydroakustik: Untersuchung der wichtigen Lebensraum darstellt. re entwickeln wird. Ausserdem ist es ­Fischfauna mittels Echolot durchaus vorstellbar, dass sich die hhBiometrie: Längenmessung Karpfen- statt Felchensee Anteile an markierten und unmarkier- hhPelagiale Netze: Befischung Freiwas- In 160 Befischungsaktionen, verteilt auf ten Felchen verändern. Die natürliche serzone mit Vertikalnetzen alle Zonen im Hallwilersee, wurden Selektion könnte auf die künstlich er- hhBenthische Netze: Befischung Ufer- 4260 Individuen von 19 Fischarten ge- brüteten Felchen stärker wirken als lebensräume mit spezifischen Verti- fangen. Anzahlmässig sind die Egli auf die Wildfische. Ebenfalls kann an- kalnetzen (Flussbarsch) am häufigsten vertreten. hand dieser ersten Erfolgskontrolle ge- hhElektrofischerei: Uferlebensräume Wird jedoch die Häufigkeit der einzel- sagt werden, dass bei einer weiteren mit geringer Wassertiefe werden spe- nen Fischarten in den Lebensräumen Verbesserung des Sauerstoffhaushal- zifisch mit elektrischem Strom abge- berücksichtigt, wird ersichtlich, dass tes im See eine weitere positive Ent- fischt. die Rotaugen klar die Fischfauna domi- wicklung der natürlichen Fortpflan- nieren. Häufige Begleitarten sind Fel- zung möglich ist. Die wichtigste Er- Viele naturnahe Uferbereiche chen, Kaulbarsch, Egli, Brachse, Rot- folgskontrolle, nämlich der Anteil an Natürlich und gut strukturierte Ufer- feder und Alet. Die Fischzusammen- un- bzw. markierten Felchen in den lebensräume sind wichtig für die Fisch- setzung des Hallwilersees ist somit regulären Netzfängen, also im vierten fauna und deren Diversität. Die Le- atypisch für einen Felchensee, in dem Lebensjahr, steht noch aus. bensraumkartierung hat ergeben, dass der Felchen die Hauptfischart ist. Ver- Ein Markierungsprojekt in dieser Grös­ am Hallwilersee viele naturbelassene glichen mit anderen Schweizer Seen senordnung wurde noch nie zuvor Ufer vorhanden sind. Die wenigen Ver- weist der Hallwilersee eine ähnliche durchgeführt. Die erfolgreiche Anwen- bauungen sind nur in Siedlungsnähe Fischzusammensetzung auf wie an- dung der Methode ermöglicht weitere und an Bootsanlagen zu finden. In ei- dere warme und nährstoffreiche Seen Untersuchungen. So soll zum Beispiel nem grossen Teil des Ufers dominie- und entspricht einem Karpfensee. in Zukunft ein separates Projekt den ren jedoch Feinsedimente. Der hohe Aufgrund der Felchenfänge sind in Erfolg der sehr intensiven Aufzuchts- Feinsedimentanteil ist zumindest teil- der Entwicklung der Berufsfischerfän- methode mit den Netzgehegen, wo- bei Jungfelchen in grossen geschütz- ten Netzanlagen direkt im See aufge- zogen werden, überprüfen. Elektrofischerei Biometrie

«Projet Lac» – Artenvielfalt und Zusammensetzung Hydroakustik der Fischfauna im Hallwilersee Um unsere Gewässer zu schützen und effizient zu bewirtschaften, muss der aktuelle Zustand dieser Ökosysteme bekannt sein. Zur Beurteilung eignen sich Fische sehr gut als Bioindikato- ren. Mit der grossangelegten Studie des Wasserforschungsinstituts EAWAG wurde zum ersten Mal eine standar­ disierte, quantitative Aufnahme der Fischfauna der Alpenrandseen durch- geführt – unter anderem auch im Benthische Netze Pelagiale Netze (am Gewässergrund) Hallwilersee. Mit den gewonnenen Da- (frei im Wasser): Natur ten des «Projet Lac» sollen der aktuel- Vertikal- und Horizontalnetze le Zustand der Fischbiodiversität so- wie die Zusammenhänge zwischen «Projet Lac»: Übersicht der Probenahmestrategie mit den verschiedenen Umwelt und Artenvielfalt aller grös­ eingesetzten Methoden. So können die verschiedenen Seebereiche spezi- seren Schweizer Seen ermittelt wer- fisch befischt werden und Zusammenhänge zwischen den Fischarten und den. Ausserdem werden rund 30 Indi- Lebensräumen hergestellt werden. Zeichnung Quelle: M. Gogouilly

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 69 ge starke Schwankungen zu erkennen. Mit der im Hallwilersee erlaubten Ma- Weitere Informationen schenweite der Fischernetze von 38 Alle folgenden Berichte und Studien können unter www.ag.ch/jagd_­ Millimetern werden vorwiegend grös­ fischerei > Fischerei > Informationen für Fischer > wichtige Dokumente > sere Fischarten wie Felchen und Rot­ Studien und Berichte heruntergeladen werden: augen gefangen. Egli und Kaulbarsche hhBericht Fischereibiologische Untersuchungen am Hallwilersee (Felchen- gehen bei dieser Maschenweite we- monitoring) niger ins Netz. So unterscheiden sich hhVorstudie Fortpflanzung der Felchen im Hallwilersee die Fänge der Berufsfischer stark von hhProjet Lac – Fischpopulation im Hallwilersee den standardisierten Fängen des «Pro- jet Lac». Dies weist darauf hin, dass standardisierte und nicht gezielte Ab- fischungen notwendig sind, um eine Vergleich der Fänge in den verschiedenen untersuchten Seen des objektive Einschätzung der Fischar- «Projet Lac» tenzusammensetzung zu erhalten, und Forellensee Felchensee Flussbarschsee Karpfensee Fangstatistiken nur sehr bedingt Aus- sagen über Bestandesdichten und -arten zulassen.

Warmer und mässig nährstoffreicher See Als Fazit der Studie kann der Hallwi- lersee als warmer See eingestuft wer- den, der mässig mit Nährstoffen be- lastet ist. Trotz Sanierung ist er noch immer stark den menschlichen Um- welteinflüssen ausgesetzt, was sich auf die Fischartenzusammensetzung auswirkt. Obwohl die Sanierungszie- le teilweise erreicht wurden und sich die Phosphatbelastung in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, gleicht der jetzige Zustand sehr dem- Anzahlmässig kommen die Egli (Flussbarsch) am häufigsten im Hallwilersee jenigen in den 1920er-Jahren, als der vor. Wird jedoch die Häufigkeit der einzelnen Fischarten in den Lebensräu- Felchenbestand im See massiv zu- men berücksichtigt, wird ersichtlich, dass die Rotaugen klar die Fischfauna sammengebrochen war. Aufgrund der dominieren. Quelle: Eawag Nährstoffüberlastung kann im Hallwi- lersee noch keine gut funktionierende natürliche Reproduktion der Felchen Unterschied der Fischzusammensetzung in der Berufsfischerei stattfinden, und im Sommer gibt es und im «Projet Lac» nur wenig kühle, sauerstoffreiche, aber nicht übersättigte Bereiche im See. Die Tatsache, dass die höchste Fel- chendichte in nährstoffarmen Seen beobachtet wird, lässt darauf schlies­ sen, dass der Hallwilersee und des- sen Biodiversität von einer weiteren Verringerung der Nährstoffbelastung profitieren würden. Deshalb sollten die Bemühungen zur Sanierung des Hallwilersees weiterverfolgt und allen- falls intensiviert werden. Schliesslich bildet diese standardisierte Moment- aufnahme der Fischfauna einen wich- tigen Ausgangspunkt, um die Entwick- Mit den im Hallwilersee erlaubten Maschenweiten der Fischernetze werden lung der Fischbestände in Zusammen- vorwiegend grössere Fischarten wie Felchen und Rotaugen gefangen hang mit der Seesanierung in Zukunft (Berufsfischer). Eine standardisierte Fangmethode ist also wichtig, um vergleichen zu können. eine objektive Einschätzung der Fischartenzusammensetzung zu erhalten («Projet Lac»). Quelle: Eawag

70 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Wie gross ist die genetische Vielfalt bei den Aargauer Steinkrebsen?

Christian Henle | Master-Absolvent Umweltnaturwissenschaften ETH | in Zusammenarbeit mit der Abteilung Wald | 062 835 28 50

Der Steinkrebs ist eine einheimische und stark bedrohte Flusskrebsart. Die wenigen Bestände im Kanton Aargau sind örtlich stark fragmentiert und eine genetische Durch- mischung ist nahezu unmöglich. Im Rahmen einer Master- arbeit an der Eawag Dübendorf wurde deshalb untersucht, wie ausgeprägt die genetische Differenzierung zwischen den Beständen im Kanton Aargau ist.

Steinkrebse (Austropotamobius torren- Durch gebietsfremde tium) sind die kleinsten einheimischen Krebsarten unter Druck Vertreter der Flusskrebse. Sie bewoh- Weil sie stark gefährdet sind, hat das nen strukturreiche, kühle und saubere Bundesamt für Umwelt (BAFU) 2011 Bäche. Tagsüber und im Winter ver- einen Aktionsplan für Flusskrebse ver- stecken sich Flusskrebse in zum Teil öffentlicht. Darin wird die Einführung selbst gegrabenen Höhlen unter Stei- gastronomisch ertragreicherer Krebs- nen, Wurzelstöcken und im Ufer. Dazu arten aus Nordamerika als Hauptgrund benötigen sie unverbaute Gewässer für den heute beobachteten Bestan- mit vielen Unterschlupf- und Versteck- desrückgang aller drei einheimischen möglichkeiten. Flusskrebse sind durch Krebsarten genannt. Erstens stellen die die Verschlechterung der Wasserqua- grösseren amerikanischen Verwand- lität und den Lebensraumverlust in der ten eine direkte Konkurrenz bezüglich Foto: Urs Leber zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahr- Versteckmöglichkeiten und Nahrung Aufgezogene junge Steinkrebse hunderts selten geworden. Nicht zu- dar. Zweitens sind sie Träger der Krebs- stehen für eine Wiederansiedlung letzt sind auch invasive, fremde Fluss- pest (Aphanomyces astaci), einer für in einem geeigneten Gewässer krebsarten aus Nordamerika ein Grund, europäische Krebse meist tödlich ver- bereit. weshalb die einheimischen Arten nur laufenden Krankheit. Die nordamerika- noch in wenigen Restgebieten vor- nischen Krebse sind dagegen resistent kommen. und haben Steinkrebs, Dohlenkrebs

und Edelkrebs aus den meisten grösse- ren Schweizer Gewässern bereits ver- drängt. Die drei aus Nordamerika stam- menden Arten Kamberkrebs, Amerika- nischer Sumpfkrebs und Signalkrebs werden in der Verordnung zum Bun- desgesetz über die Fischerei als Arten eingestuft, die durch Massnahmen der Kantone entfernt und deren Ausbrei- tung verhindert werden soll. Im Ge- gensatz dazu gilt der einheimische Steinkrebs als stark gefährdet und die

Kantone haben die Pflicht, seinen Le- Natur bensraum zu schützen und gezielt zu verbessern. Dazu gehört auch die Si- cherstellung der Durchgängigkeit der Fliessgewässer bzw. Vernetzung der Foto: Urs Leber einzelnen Bestände. Der Steinkrebs ist eine stark bedrohte, einheimische Flusskrebsart.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 71 Foto: Sektion Jagd und Fischerei

Der Etzgerbach in der Gemeinde Mettauertal ist ein guter Lebensraum für Steinkrebse. Diese besiedeln gerne kleine, kalte Bäche mit vielen Versteckmöglichkeiten.

Sind die Steinkrebsbestände hoch. Der Kanton Aargau ist da keine extrahiert, dann die genetische Diffe- im Aargau genetisch verarmt? Ausnahme. In einer weiteren, klein- renzierung zwischen den Beständen Aufgrund ihrer starken geografischen räumigeren Untersuchung wurde da- basierend auf Mikrosatelliten unter- Isolation stellt sich die Frage, ob die rum der Frage nachgegangen, ob das sucht. Darunter versteht man moleku- Distanz zwischen den Steinkrebsbe- Vorkommen von Barrieren (beispiels- lare Marker, das heisst Abschnitte im ständen auch genetisch spürbar ist. Ein weise Abstürze und Eindolungen) in Erbgut, die sich zwischen Beständen drastischer Rückgang der Bestandes- einem Bach mit der genetischen Dif- unterscheiden. Eine Statistik-Software grösse kann zum Verlust von Genva- ferenzierung von Steinkrebsen zusam- durchsuchte die Proben nach geneti- rianten (Allelen) und damit zu gerin- menhängt. schen Clustern, also nach Gruppen ger genetischer Diversität innerhalb von untereinander ähnlichen Genva- eines Bestandes führen. In Anbetracht Beprobung der Steinkrebse rianten. Mitglieder desselben Clusters des Klimawandels hat eine Popula­ und Datenauswertung sind sich genetisch ähnlicher als Mit- tion durch eine hohe genetische Viel- Im Sommer 2014 wurden im Rahmen glieder verschiedener Cluster. Indivi- falt eher die Möglichkeit, sich an ver- einer Masterarbeit elf Standorte auf- duen mit ähnlichen Mikrosatelliten lan- änderte Bedingungen – zum Beispiel gesucht, an welchen gemäss kanto- den idealerweise im selben Cluster. eine höhere Wassertemperatur – an- nalem Inventar Steinkrebse vorkom- Fünf solche Cluster konnten aufgrund zupassen. Da die Art stark rückläufig men. An vier Standorten wurden kei- der Untersuchung im Kanton Aargau ist und eines nachhaltigen Schutzes ne Krebse gefunden. An den anderen unterschieden werden. bedarf, sind Informationen über die Stellen wurden wenn möglich je 20 bis Die genetische Diversität jedes Stein- genetische Diversität eines Bestandes 30 Krebse gesammelt. Ein Schwimm- krebs-Bestandes wurde ebenfalls be- auch wichtig für die Festlegung von bein pro Individuum wurde als DNS-­ stimmt. Um den Effekt von Barrieren prioritären Beständen für Schutzmass- Probe (Gewebeprobe zur Untersuchung auf den Genfluss der Tiere zu unter- nahmen und die Planung von Förder- des Erbgutes) gesammelt – dies be- suchen, wurden Anzahl und Höhe der massnahmen. einträchtigt die Krebse nicht – und die Barrieren aufgenommen, die zwischen Die Dichte an Wanderhindernissen in Tiere anschliessend wieder ausgesetzt. den Beprobungsstellen liegen. Ferner den Fliessgewässern im Mittelland ist Zuerst wurde die DNS von jedem Tier wurde die Fliessstrecke gemessen.

72 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Clusteranalyse der Steinkrebspopulationen im Kanton Aargau

Die Kreisdiagramme zeigen für jeden Bestand die Clusterzusammensetzung. Sie zeigen zum Beispiel, dass Stein- krebse von Lenzburg, Niederwil und Mühlau genetisch sehr nah verwandt sind. Denn das gelbe Cluster ist in allen drei Populationen am häufigsten.

Starke Differenzierung zwischen sen aus Niederwil in die Bäche von pulationen zeigen keine hohe geneti- den einzelnen Beständen Lenzburg vor wenigen Jahren erklärt sche Vielfalt auf. Eine Ausnahme bil- Das Resultat ist eindeutig: Die Bestän- die starke genetische Ähnlichkeit zwi- det der Bestand in der Gemeinde Met- de des Steinkrebses im Kanton Aargau schen diesen Beständen. tauertal, der einzige im Kanton, der sind genetisch deutlich voneinander Erklären lässt sich der übergreifende sich (noch) über ein ganzes Bachsys- differenziert. Dies ist gut aus der Clus- Trend damit, dass die Bestände geo- tem erstreckt. Er wurde aus diesem teranalyse ersichtlich: Mit Ausnahme grafisch weit auseinander liegen und Grund im Aktionsplan des BAFU als Natur der Bestände in Lenzburg, Niederwil grösstenteils keinen genetischen Aus- Genpool-Standort­ klassifiziert und ver- und Mühlau unterscheiden sich die tausch miteinander haben. Zusätzlich fügt daher über eine nationale Be- Bestände genetisch so stark vonein- sind Steinkrebse äusserst sesshafte deutung. ander, dass jeder ein eigenes Cluster Tiere und verlassen ihren Gewässer- bildet. Eine Umsiedlung von Steinkreb- abschnitt nur selten. Die meisten Po-

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 73 Foto: Urs Leber

Die Bewirtschaftungseinheiten gemäss Clusteranalyse bilden die Grundlage für Nachzucht und Wiederansiedlung von Steinkrebsen.

Die Frage, ob Wanderhindernisse und wässern gearbeitet werden muss. invasiven, fremden Arten ist ein wei- genetische Strukturierung des Stein- Kleinere Bestände mit eingeschränk- terer wichtiger Bestandteil der Schutz­ krebses in Mettauertal zusammenhän- ter Verbreitung sind den Umweltein- bemühungen, damit uns diese cha- gen, konnte aus statistischen Gründen flüssen wie auch der genetischen Ver- rismatischen Bachbewohner erhalten nicht beantwortet werden. Jedoch fand armung stärker ausgesetzt als grosse, bleiben. sich innerhalb dieses einzelnen Bach­ vernetzte Populationen. Eine langfris- systems bereits eine ausgeprägte ge- tige Sicherung der Steinkrebsbestän- netische Strukturierung. de basiert auf der Vergrösserung und Das genetische Bild der Steinkrebs- Verbesserung des nutzbaren Lebens- Dieser Artikel entstand in Zusam- bestände gibt unter anderem für die raums und der Neubegründung von menarbeit mit Thomas Stucki, Ab- Nachzucht und den Einsatz von auf- Beständen bzw. der Wiederansiedlung teilung Wald, 062 835 28 50. gezogenen Jungkrebsen vor, mit wel- in geeigneten Gewässersystemen. Die cher Herkunft an den einzelnen Ge- Bewahrung vor der Krebspest und vor

74 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Vom Nutztier zur eierlegenden Wollmilchsau?

Cynthia Müller | Naturama Aargau | 062 832 72 80 minimieren. All diese Eigenschaften entsprechen nicht einer natürlichen In der Nutztierzucht ist Romantik fehl am Platz. Wenige Entwicklung des Tieres. Hochleistung Hochleistungsrassen dominieren, die Rassenvielfalt bleibt wird mit neuen Technologien heran­ auf der Strecke, Profit steht im Vordergrund. Was darf die gezüchtet, Tiere werden instrumenta­ Zucht von heute und morgen mit ihren technischen Mög- lisiert und es wird in Kauf genommen, lichkeiten und wo müssen ethische Grenzen zugunsten des dass sie körperliche und gesundheit­ Tierwohls gesetzt werden? Die Podiumsdiskussion Nach- liche Schäden davontragen. Zudem haltigkeit vom 20. August 2015 im Naturama gab im Rah- kritisierte Thomas Gröbly die produkt­ men der Sonderausstellung «Sexperten» Einblicke in orientierte Sprache als Ausdruck un­ aktuelle Fragen der Nutztierzucht. serer Wertvorstellung, wenn es um «Nutz-Tiere» oder gar um «Tier-Mate­ rial» geht. Er schloss sein Referat mit In der Sonderausstellung «Sexperten» Nahrungsmittelproduktion und als Ar­ der Forderung, dass die Menschen des Naturama werden romantische beitshilfe gebraucht, damit verknüpft sich mit ihrem Verhalten und ihrer Geschichten aus dem Tierreich er­ ist auch die Selektion und Züchtung Nachfrage nach tierischen Produkten zählt. Kräftige Männchen legen sich der Tiere nach gewünschten Merkma­ der Leistungsfähigkeit der Tiere anpas­ im Kampf um die besten Weibchen len. Er betonte, dass Tiere grundsätz­ sen und nicht die Tiere an die Ökono­ ins Zeug, wenn es darum geht, ihr lich ähnliche Ansprüche an ein gutes mie herangezüchtet werden sollen. wertvolles Genmaterial weiterzuge­ Leben haben wie wir Menschen. Ge­ ben. Bei den Nutztieren steuert der rade bei Nutztieren bleiben jedoch Wie sind überdimensionierte Mensch in verschieden starker Aus­ viele Bedürfnisse ganz oder teilweise Hühnerbrüste und Megaeuter prägung die Fortpflanzung und ge­ auf der Strecke. So sollen Pouletbrüs­ zu erklären? staltet die Tiere nach seinem Gusto. te möglichst gross sein, Kühe durch Laut Birgit Gredler ist ein Hauptgrund Eine Tatsache, die aus nachhaltiger ein überdimensionales Euter mög­ für den heutigen Stand in der Nutztier­ Sicht viele Fragen aufwirft. Diese dis­ lichst viel Milch liefern und Schweine zucht, dass die meisten gewünschten kutierten im Naturama Hans Braun möglichst schnell an Gewicht zulegen, tierischen Merkmale relativ einfach als engagierter Biobauer, Birgit Gred­ um die Tage bis zur Schlachtreife zu mit Zucht bearbeitet werden können. ler von der Schweizerischen Vereini­ gung für Tierproduktion als Kennerin sämtlicher Zuchtmethoden, Philippe Ammann von der Stiftung Pro Specie Rara, die sich für den Erhalt der Ras­ senvielfalt einsetzt, und Konsumen­ tenschützerin Sara Stalder. Rund 60 Gäste besuchten die unter der Lei­ tung von Sabine von Stockar souve­ rän und lebendig geführte öffentliche Podiumsdiskussion.

Von der archaischen Nutztierhaltung zum Umgang mit Tiermaterial Als Ethiker und ehemaliger Landwirt fiel es Thomas Gröbly zu, mit seinem Einführungsreferat pointierte Aussa­ Foto: Andreas Wolf gen als Diskussionsgrundlage zu lie­ Die Podiumsteilnehmer diskutierten sowohl Chancen als auch ethische fern. Er zeigte auf, dass die Domesti­ Grenzen der Nutztierzucht. Von links: Sara Stalder (Konsumentenschutz), zierung von Tieren einer langen Tradi­ Philippe Ammann (Pro Specie Rara), Birgit Gredler (Schweizerische Vereini- tion folgt. Seit die Menschen sesshaft gung für Tierproduktion), Hans Braun (Biobauer), Thomas Gröbly (Ethiker), geworden sind, werden Tiere für die Sabine von Stockar (Moderation). Nachhaltig - keit

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 75 So seien Resultate wie ein hohes Mus­ schlechtes Gewissen geniessen zu nerell ein Umdenken bei politischen kelwachstum schnell sichtbar. Sie fin­ können, verschliessen viele als Schutz­ Massnahmen stattfinden. Ökologische det es wichtig, dass den züchtenden mechanismus ihre Augen vor der Re­ Ausgleichszahlungen sollen sich nicht Betrieben alle aktuellen Zuchtmetho­ alität. nur auf Massnahmen im Naturraum den zur Verfügung stehen und es eine konzentrieren, sondern vermehrt di­ freie Auswahl gibt. Es sei notwendig, Mit tierfreundlicher Nutztier- rekt im Stall ansetzen. So sollte die dass auch eine konventionelle Produk­ zucht zum schweizerischen Haltung von bedrohten Rassen unter­ tion mittels Hochleistungstieren mög­ Nischenprodukt stützt werden, um einen alternativen lich ist. Dabei spielt auch die Höhe Allen ethischen Fragen zum Trotz, die Genpool zu erhalten. Birgit Gredler der Nachfrage nach tierischen Produk­ Herstellung von tierischen Produkten hebt hervor, dass auch in der Hoch­ ten seitens der Konsumenten eine muss wirtschaftlich rentabel sein. Dies leistungszucht Änderungen im Gang wichtige Rolle. Braucht es überhaupt ist gemäss Hans Braun auch mit Fokus sind und der Tiergesundheit künftig die Zucht von Hochleistungsrassen, auf das Tierwohl problemlos mög­ vermehrt Beachtung geschenkt wird. um den Markt zu befriedigen? Sara lich. Seit er von einem konventionel­ Ob dabei Gründe des Tierwohls oder Stalder ist überzeugt, dass viele Kon­ len Hochleistungsbetrieb auf die Bio­ eher wirtschaftliche Überlegungen die sumenten zu wenig informiert sind produktion umgestellt hat, schreibt er grössere Rolle spielen, wurde nicht und ein verzerrtes Bild von der Nutz­ höhere Gewinne. Seiner Meinung klar geäussert. Für die schweizerische tierzucht haben. Dieses wird einer­ nach kann die Schweiz in einem inter­ Tierproduktion spricht, dass sie über seits durch beschönigende Werbung nationalen Wettbewerb ohne Verände­ einen besseren Tierschutzstandard als hervorgerufen, so konnte die Mehr­ rungen in der Nutztierzucht nicht be­ das Ausland verfügt. Haltungsbedin­ heit der verzehrten Poulets kaum so stehen. Tierische Produkte, die in der gungen und Zuchtweisen hin oder her: frei übers Land spazieren, wie es das Schweiz hergestellt werden, sollen Um das Tierwohl zu unterstützen, soll glückliche Huhn in der Werbung vor­ sich vom Ausland abheben. Bessere der Konsument tierische Produkte aus zeigt. Andererseits ist die Deklaration Fleischqualität durch erhöhten Tier­ dem Inland kaufen und ab und zu das der Herkunft von tierischen Produk­ schutz und erhöhtes Tierwohl könne Steak mit dem Vegi-Schnitzel austau­ ten oft intransparent, insbesondere sich als Nischenprodukt etablieren. Da­ schen. Das Naturama ging diesbe­ bei der zunehmend auswärtigen Er­ von ist auch Philippe Ammann über­ züglich vorbildlich voran und lud an­ nährung der Konsumierenden. Gera­ zeugt. Vom Aussterben bedrohte Tier­ schliessend zu einem bewusst fleisch­ de hier möchte Philippe Ammann die rassen seien dazu besonders vorteil­ los gehaltenen Apéro ein. Konsumierenden jedoch in die Man­ haft, gerade auch, wenn ein Betrieb gel nehmen. Die Unwissenheit sei nicht auf eine extensive Bewirtschaftung fo­ unverschuldet. Um den Konsum ohne kussieren möchte. Zudem müsse ge­

Dieser Artikel entstand in Zusam­ menarbeit mit Corinne Schmidlin, Naturama Aargau, 062 832 72 80. Foto: Naturama Aargau

Die eierlegende Wollmilchsau: Was darf die Nutztierzucht von heute und morgen mit ihren technischen Möglichkeiten und wo müssen für das Tierwohl Grenzen gesetzt werden?

76 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU zeitraumaargau.ch: Neu mit ­einem Wegweiser für Schulen

Bea Stalder | Naturama Aargau | 062 832 72 65 Raum und Umwelt schärfen können. Das Lernportal expedio.ch des Na­ zeitraumaargau.ch ist seit 2010 die Videoplattform zur turama Aargau ist das Navi auf dieser Raumentwicklung des Kantons Aargau. Sie erlaubt es Reise. einem breiten Publikum, sich mit raumplanerischen The- men auseinanderzusetzen. Neu gibt es auf dem Natura- Eine Lupe zum Wimmelbild ma-Lernportal expedio.ch einen Wegweiser für Schulen. Schülerinnen und Schüler sind «digi­ tal natives» und sie sind flink beim intuitiven Bedienen der Videoplattform Die Videoplattform zeitraumaargau.ch Schülern, sich dem Lebensraum Aar­ zeitraum­aargau.ch. Sie surfen durch wurde entwickelt, um seitens des De­ gau aus unterschiedlichen Perspekti­ die Site, klicken Filme an, hoppen von partements Bau, Verkehr und Umwelt ven zu nähern. Passage zu Passage und zappen durch auf die gesamtschweizerisch intensi­ Um die über 550 historischen und ak­ Zeit und Raum – ohne Probleme, wie vierte Diskussion um Raumentwick­ tuellen Filme den Lehrpersonen und in der Unterrichtssequenz einer 5. Pri­ lung und Ressourcenmanagement ein­ ihren Klassen attraktiv zugänglich zu marklasse festzustellen war. Das «digi­ zugehen. Das Portal sensibilisiert mit machen, hat die Abteilung Raument­ tale Wimmelbild» zeitraumaargau.ch Filmen, Panoramen und Überflügen wicklung das Naturama Aargau mit macht neugierig, regt an und erwei­ für die brennenden Fragen der kan­ der Erarbeitung eines Wegweisers für tert den Horizont. Für einen zeitlich tonalen Raumentwicklung und setzt Schulen beauftragt. begrenzten, thematisch fokussierten diese zugleich in den zeithistorischen und zielorientierten Einsatz dient der Horizont. Schulen den Weg weisen Wegweiser als Orientierung: einer­ Als frei zugängliche Videoplattform Der Wegweiser gibt Lehrpersonen von seits für die Lehrpersonen in der Vor­ bietet sich zeitraumaargau.ch dank Mittel- und Oberstufe einen Routen­ bereitung, andererseits für die Schü­ der thematischen Breite und vielfälti­ planer in die Hand, damit sie mit ihrer lerinnen und Schüler bei der Erarbei­ gen Bezüge der Filme zu Ort und Zeit Klasse die Reise durch die Videoplatt­ tung von Themen. Der Wegweiser ist auch für den Unterricht an. Das Portal form zeitraumaargau.ch zielorientiert die Lupe zum «digitalen Wimmelbild» ermöglicht es den Schülerinnen und planen, durchführen und den Blick für zeitraumaargau.ch und das Lernpor­ tal expedio.ch die Navigation dazu.

Drei Themen für Raum und Zeit Den Raum, der uns umgibt, erleben wir als selbstverständlich und gege­ ben, ebenso die Zeit, in der wir sind. Schülerinnen und Schüler erst recht, die noch stärker als Erwachsene das Hier und Jetzt ohne zeitliches Vorher und Nachher wahrnehmen. Wie also kann im Unterricht der uns umgeben­ de Raum Gegenstand des Nachden­ kens – also frag-würdig – werden? Der Wegweiser zu zeitraumaargau.ch fo­ kussiert auf drei Themenbereiche und hat dazu je fünf bis sieben Filme aus den über 500 auf zeitraumaargau.ch ausgewählt. Es sind die Themenbe­ reiche «Gewässer», «Siedlung» und «Mobilität». Gewässer im Aargau ge­ hören zu den prägenden Landschafts­ elementen. Siedlung und Mobilität Der Wegweiser auf dem Naturama-Lernportal expedio.ch hilft Lehrpersonen, sind die treibenden Kräfte, mit denen ihre Schülerinnen und Schüler durch die Videoplattform zeitraumaargau.ch der Mensch Natur und Landschaft ge­ zu navigieren und ihren Blick für Raum und Zeit zu schärfen. staltet. Landschaft, Siedlung und Mo­

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 77 Umwelt­ bildung sieht ein Quartier aus, in dem Kinder gerne leben? In dem ich gerne lebe? Was lerne ich eigentlich alles auf mei­ nem Weg zur Schule? Wie will ich spä­ ter einmal wohnen? Kinder und Ju­ gendliche schärfen ihre Wahrnehmung des Raumes, indem sie mit Inhalten, Aussagen und Fragestellungen kon­ frontiert werden, etwa jener Feststel­ lung eines Experten, dass Kinder ein ganzes Dorf brauchen, um gesund auf­ wachsen zu können. Sein erstaunliches Fazit nach jahrelanger Forschung: Städtische Wohnquartiere sind dafür besser geeignet als eine ländliche Ein­ Foto: Naturama Aargau, Thomas Flory familienhausidylle! Verdichtetes Bau­ Jugendliche im Gespräch über Raumentwicklung in der Naturama-Ausstel- en kann also einer guten Kindheit för­ lung «Stadt vor Augen – Landschaft im Kopf» derlich sein, besonders dann, wenn Aussenräume kindliche Entdeckerlust und Spielfreude anregen, nachbar­ schaftlichen Austausch fördern und bilität sind denn auch die «big three» gen zu den Fragestellungen. Ebenso erlebnisreiche Naturvielfalt beherber­ der Raumentwicklung. Fachleute der werden Vorschläge für Exkursionen gen. Aargauer Raumentwicklung gaben oder ausserschulische Lernorte ge­ wichtige Hinweise, welche Filmaus­ macht, damit der Raum real erlebbar Gepflügt, aber nicht vollständig wahl aus dem grossen Fundus auf wird. Denn mit geschärftem Blick und beackert zeitraumaargau.ch das jeweilige The­ geschultem Verstand schaut man an­ Der Wegweiser zu zeitraumaargau.ch ma möglichst breit illustriert. Ein wich­ ders hin. gibt den Lehrpersonen zwar viele tiges Auswahlkriterium war auch die Handreichungen: eine didaktisierte Berücksichtigung der Perspektive von Auch draussen wird gewohnt Film­auswahl aus über 60 Stunden Vi­ Kindern und Jugendlichen, denn die Viel ist gegenwärtig die Rede von deomaterial, die Verknüpfung der «big Filme auf dem Videoportal richten verdichtetem Bauen und Ökologie im three» der Raumentwicklung mit den sich mehrheitlich an ein erwachsenes Siedlungsraum. Die Filmauswahl zum gängigsten Lehrmitteln im Realien- Laien-, aber auch Fachpublikum und Thema «Siedlung» ist eine Einladung und Geografieunterricht, kompetenz- sind sprachlich anspruchsvoll. an Kinder und Jugendliche, sich über und schulstufenorientierte Zielformu­ den täglich erlebten Wohn- und Aus­ lierungen, die wichtigsten Navigati­ Didaktisierte und mit Lernzielen senraum Gedanken zu machen: Wie onshilfen für eine effiziente und ziel­ verknüpfte Filmauswahl Damit der Wegweiser zu zeitraum­ aargau.ch im Unterricht ab Mittel- bis Oberstufe als «Lupe im Wimmelbild» funktioniert, sind die Lernziele zu den Filmen für die Schülerinnen und Schü­ ler auf expedio.ch kommuniziert. Sie erhalten Fragestellungen zur Bearbei­ tung. So werden ihre Kompetenzen gestärkt, einen Inhalt zu erfassen, ihn zu reflektieren und in Bezug zum ei­ genen Alltag zu setzen. Die Arbeit mit dem Wegweiser zu zeitraumaargau.ch fördert generell die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Für Lehrpersonen gibt es zu jedem aus­ gewählten Film Hinweise auf die gän­ gigsten Lehrmittel des Realien- und Geografieunterrichts, Hintergrundin­ formationen zum Film, einen Time­ Foto: Naturama Aargau, Thomas Flory code mit Inhaltsangaben und Lösun­ Auch draussen wird gewohnt: der Aussenraum als kindlicher Erlebnisraum.

78 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU führende Nutzung des Videoportals zeitraumaargau.ch sowie technische Weitere Informationen Tipps, damit E-Learning mit der Com­ hhwww.zeitraumaargau.ch: Über 550 Filme zur Raumentwicklung im Kan­ puter-Infrastruktur des eigenen Schul­ ton Aargau betriebes funktioniert. Eine Gruppe hhwww.expedio.ch: Lehrpersonen loggen sich auf dem Lernportal des von Mittel- und Oberstufenlehrperso­ Naturama Aargau ein und erhalten Zugang zum Wegweiser zeitraum­ nen gab kritisches Feedback und hat aargau.ch und zu weiteren Lernangeboten der Umweltbildung Unterrichtssequenzen erprobt, bevor hhEinführungskurs zum Wegweiser: Dienstag, 2. und 23. Februar 2016, der Wegweiser auf expedio.ch auf­ www.fhnw.ch/ph/iwb geschaltet wurde. Eine Feststellung hhReliefraum im Naturama Aargau: Das grosse Aargau-Relief und die bleibt, jetzt, wo der Wegweiser in den PC-Station «Aussicht Aargau» machen ausgewählte Filme aus zeitraum­ Klassenzimmern als nützliche Lupe aargau.ch zu einem dreidimensionalen Erlebnis. zum Wimmelbild zeitraumaargau.ch hhNaturama-Mediothek: Alle verwendeten Lehrmittel im Wegweiser zeit­ eingesetzt werden kann: Lehrperso­ raumaargau.ch liegen zur Ansicht auf nen kommen nicht um die kreativste hhBeratung für Lehrpersonen: [email protected] und ihrer Tätigkeiten herum: nämlich das [email protected] Lernangebot des Wegweisers in den Lernprozess ihrer Klasse zu übertra­ gen und Unterrichtssequenzen so zu Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Christian Bachofner und gestalten, dass das «Wimmelbild» zeit­ Stephanie Tuggener, Projektleitung zeitraumaargau.ch, Abteilung Raum­ raumaargau.ch für ihre Schülerinnen entwicklung, 062 835 32 90. und Schüler bedeutsam wird.

zeitraumaargau.ch bietet über 60 Stunden Videomaterial zur Aargauer Raumentwicklung.

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 79 Umwelt­ bildung 80 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU Der Macher der «Sexperten»

Ka Marti | Naturama | 062 832 72 81 Durch den provokativen Titel der Ausstellung ist das Interesse der Noch bis zum 13. März 2016 ist die Ausstellung «Sexper- Medien gross. Der «Sonntags-Blick» ten – flotte Bienen und tolle Hechte» im Naturama zu schrieb von der «Schamesröte, sehen. Der Kurator dieser Wanderausstellung Holger Frick die es einem ins Gesicht treibt». ist seit letztem Frühling der neue Leiter Ausstellung und Was sagen Sie dazu? Sammlungen des Naturama Aargau. Das ist die Gelegen- Völlig übertrieben. Es gibt einiges zum heit, dem Ausstellungsmacher auf den Zahn zu fühlen. Schmunzeln, vor allem, wenn man den Vergleich zum menschlichen Verhal- ten zieht. Für uns geht es um den wis- Sex ist der Motor der Evolution und Sie haben die Ausstellung für das senschaftlichen und den technischen führt in der Tierwelt zu einer überwäl- Amt für Umwelt und das Liechten- Aspekt der Paarungsstrategien und tigenden Vielfalt an Formen, Farben steinische Landesmuseum konzi- weniger um Boulevardjournalismus. und Verhaltensweisen bei Balz, Paa- piert, wie gefällt Ihnen der Ausstel- Für einen Biologen ist Sex das Natür- rung und Brutpflege. Partner werden lungsort Aarau? lichste der Welt. Die Frage, die wir uns angelockt und verführt, Nebenbuhler Nach Vaduz war die Ausstellung ja be- in der Ausstellung stellen, ist vielmehr, werden verdrängt, und selbst der Akt reits in St. Gallen und Luzern. So wie warum es überhaupt verschiedene Ge- ist nicht ohne Tücken. Einen Partner sie sich aber hier präsentiert, kommt schlechter gibt und was das mit der zu überzeugen ist kostspielig, gefähr- sie der ursprünglichen Version von Artenvielfalt zu tun hat. lich und erfordert Ausdauer und Kre- Vaduz am nächsten. Obwohl es im Na- ativität. Wer alle Hürden nimmt, wird turama nur halb so viel Platz hat, konn- Ist die Ausstellung auch schul- mit Nachwuchs belohnt: Das sind te die Szenografie mit den drei Schwer- und familientauglich? dann eben die Experten in Sachen punkten Inhalt, Objekt und Umgebung Auf jeden Fall! Ein grosser Teil der Sex – oder eben «Sexperten». Mit Hol- sehr stimmig umgesetzt werden. Ausstellung ist der Brutpflege gewid- ger Frick, Macher dieser spannenden met. Wir zeigen viele herzige Jungtie- Ausstellung, hat Ka Marti, Naturama, re. Diese kommen bei den Kindern be- gesprochen. sonders gut an. An den Familiensonn- tagen geht es um Mama, Papa und Kinder im Tierreich – ein Programm ganz auf Familien zugeschnitten. Auch für Schulen stellen wir umfangreiches Unterrichtsmaterial zur Verfügung und bieten Einführungen in die Ausstellung speziell für Lehrpersonen.

Im Rahmenprogramm bieten Sie Führungen nur für Männer, Frauen oder Singles an. Weshalb so spezifisch? Männer und Frauen wollen grundsätz- lich das Gleiche, nämlich sich vermeh- ren. Doch die Strategien, dies erfolg- reich zu tun, unterscheiden sich mit- unter ziemlich stark. Bei den Spezial- führungen gehen wir etwas mehr auf diese Strategien ein. So vergleichen wir das Balzen der Männchen mit den Vorlieben der Weibchen, und dabei gibt es natürlich allerlei Parallelen zu unserem Balz- und Paarungsverhalten. Foto: Ka Marti Deshalb sind diese Führungen auch Holger Frick ist der «Macher» der «Sexperten».

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 81 Umwelt­ bildung Foto: Holger Frick Foto: Holger Frick

Eines der beeindruckendsten Präparate sind die kämp- Sex ist der Motor der Evolution und führt in der Tierwelt fenden Hirsche. Keiner wollte nachgeben – und so sind zu einer überwältigenden Vielfalt an Formen, Farben beide im Kampf verendet. und Verhaltensweisen bei Balz, Paarung und Brutpflege.

immer etwas anders und immer lus- Warum sollte man die Ausstellung Elch hat der Präparator sogar einen tig egal ob sie spezifisch für Männer, «Sexperten – flotte Bienen und tolle internationalen Preis erhalten. Das und Frauen oder Singles sind. Hechte» auf keinen Fall verpassen? die kurzen, aber präzisen Texte zeigen Wir erklären eines der fundamentals- einen minimalistischen Ansatz und die Was war Ihre Motivation, ten Prinzipien der Evolution einfach, gesamte Ausstellung hat eine ausser- diese Ausstellung zu realisieren? anschaulich, unterhaltsam mit einem gewöhnliche Ästhetik. Für jene, die Das Amt für Umwelt Liechtenstein be- Augenzwinkern und nicht belehrend. mehr Infos möchten, liegen Ausstel- sitzt eine grosse Sammlung einzigar- Die Exponate sind aussergewöhnlich lungsführer in Englisch und Deutsch tig präparierter Jungtiere, und es be- sorgfältig präpariert. Für den kleinen bereit. stand schon lange der Wunsch diese auszustellen. Für mich stellte sich aber vielmehr die Frage, was für Anstren- gungen unternehmen die Eltern, um Rahmenprogramm zu den «Sexperten» sich zu finden und zu paaren, damit es überhaupt Junge gibt? Alle Tiere hhFamiliensonntag bei den «Sexperten»: sind dabei «Sexperten», mit ganz un- Sonntag, 24. Januar 2016, 14 bis 17 Uhr terschiedlichen Strategien. Die Gesän- hhEinführung für Lehrpersonen in die Sonderausstellung: ge der Vögel, die Tänze der Spinnen Mittwoch, 11. November 2015, 18 bis 20 Uhr oder die Kämpfe der Hirsche, es geht immer nur um das eine, um die Fort- hhPodiumsdiskussion Naturschutz pflanzung und somit um die Arten- Invasive Neophyten: grenzenlose Vermehrung? vielfalt – und da fängt es an spannend Mittwoch, 18. November 2015, 20 Uhr zu werden. hhAbendführung nur für Frauen: Freitag, 30. Oktober 2015, 18 bis 20 Uhr Haben Sie ein Lieblingsobjekt? hhAbendführung nur für Männer: Freitag, 20. November 2015, 18 bis 20 Uhr Ganz klar das Video der tanzenden Dar- hhSexperten am Naturfilmfestival: lington’s Pfauenspinnen. Sie kommen Samstag, 16. Januar 2016, 19.30 bis 21 Uhr daher wie Paradiesvögel, sind aber hAbendführung nur für Singles: Freitag, 22. Januar 2016, 18 bis 20 Uhr winzig klein. Das fasziniert mich an h den Spinnen – je kleiner, desto span- hhAutorenlesung «Kinder machen» mit Andreas Bernard, nender. Kulturwissenschafter und Autor des Buches «Kinder machen»: Donnerstag, 25. Februar 2016, 19.30 bis 21 Uhr

hhÖffentliche Führung und Finissage: Sonntag, 13. März 2016, 13.30 bis 14.15 Uhr

82 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU An die Redaktion UMWELT AARGAU

❑ Senden Sie mir weitere Exemplare UMWELT AARGAU Bemerkungen / Anregungen / Kritik: Nr. 69, Oktober 2015. Zutreffendes ankreuzen. Vollständige Adresse nicht ❑ Ich interessiere mich nicht mehr für UMWELT AARGAU. vergessen! Bitte streichen Sie mich von Ihrer Abonnentenliste. Karte ausfüllen und im Couvert an folgende Adresse senden: ❑ Ich möchte UMWELT AARGAU regelmässig gratis erhalten. Bitte nehmen Sie mich in Ihre Abonnentenliste auf. UMWELT AARGAU c/o Abteilung für Umwelt ❑ Meine Adresse hat geändert. Buchenhof 5001 Aarau alt: oder Fax 062 835 33 69 [email protected]

neu:

UMWELT AARGAU Nr. 69 Oktober 2015 83 UMWELT AARGAU SCHLUSSPUNKT

Der AareLandWeg ist in Zusammenarbeit der drei Städte und Regionen Aarau, Olten und Zofingen sowie der Kan- tone Aargau und Solothurn entstanden. Er führt durch ver- schiedene Landschafts-, Landwirtschafts- und Siedlungs- räume, die unsere Region prägen. Das Nebeneinander von teils widersprüchlichen Interessen hat das AareLand auch zu einem Raum grosser Gegensätze geformt. Idylli- sche Landschaften wechseln ab mit Verkehrsinfrastruktu- ren oder Industriegebieten mit herbem Charme. Wasser ist das verbindende Element auf der Strecke. Die Route führt zu einem grossen Teil entlang der Aare, der Wigger und des Kanals «Tych».

www.aareland.ch > Publikationen > Broschüre AareLandWeg

84 Nr. 69 Oktober 2015 U M W E L T AARGAU