Körperkonstruktionen in der frühen Prosa Heinrich Heines

Katarzyna Jaśtal

Körperkonstruktionen in der frühen Prosa Heinrich Heines

Wydawnictwo Uniwersytetu Jagiellońskiego REZENSENTEN/RECENZENCI prof. dr hab. Maria Kłańska dr hab. Lech Kolago, prof. UW

UMSCHLAG UND TITELSEITE/PROJEKT OKŁADKI I STRONY TYTUŁOWEJ Anna Sadowska

Publikacja dofinansowana przez Uniwersytet Jagielloński ze środków Wydziału Filologicznego oraz Instytutu Filologii Germańskiej Gedruck mit freundlicher Unterstützung der Jagiellonen-Universität aus Mitteln der Philologischen Fakultät und des Instituts für Germanistik.

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ISBN 978-83-233-2714-1

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jjastal-red.inddastal-red.indd 1 22009-04-09009-04-09 110:09:490:09:49 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 9 1.1 Methodologische Vorüberlegungen 13 1.1.1 Diskursbegriff 13 1.1.2 Literatur vs. Diskurs 15 1.2 Literatur und Wissenschaft im Zeitraum 1815-1848 19 1.3 Zum Textkorpus 24 1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit 30

2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit 39 2.1 Anatomie 41 2.2 Nerven 44 2.3 „Das nervöse Zeitalter“ 48 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 52 2.5 Therapeutische Richtungen 63 2.5.1 Brownianismus 63 2.5.2 Eklektische Methode 64 2.5.3 Hydrotherapie 65 2.5.4 Magnetismus 69 2.5.5 Zu heilkundlich relevanten institutionellen Kontexten der Reisebilder 74

3 Körperkonstruktionen in der Harzreise 77 3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“ 78 3.2 „So kann ich doch sein Werk doch nicht unbedingt empfehlen ...“: Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx 86 3.2.1 Zwischen Medizin und Macht: Medizinische Topographie und der Autor 87 3.2.2 Karl Friedrich Heinrich Marx 90 3.3 Medizin und Karneval 93 3.4 Begehrte Füße 100 3.5 Medizin und Anatomie 104 4 Zur Poetologie des Leibes im Werk Heinrich Heines 115 4.1 Epochenhintergrund 115 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 125 4.2.1 Clauren oder Niederungen der Trivialliteratur 126 4.2.2 Körper-Chiffren 132 4.2.3 Groteske Zurichtung des bürgerlichen Körpers 136 4.3 Körper in Heines Reiseprosa 140 4.4 Körperbotschaften 144 4.4.1 Nebukadnezar und sein Hof: Nordheimer Karikaturen 144 4.4.2 Der Körper des Kantianers 149 4.4.3 Frau ohne Körper 153

5 Poiesis des Leibes in Ideen. Das Buch Le Grand 157 5.1 „Ein Fragment aus meinem Leben ...“ – zur Entstehung des Textes 157 5.2 Zum Inhalt des Textes 162 5.2.1 Zur Körperrede der Ideen 163 5.2.2 Grotesker Körper 169 5.3. Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 173 5.3.1 Vier Temperamente 175 5.3.2 Der Körper der Geliebten 183 5.3.3 Der Körper des Kaisers 193 5.3.4 Laokoon: Körper im Schmerz 201

6 Die Bäder von Lucca: Körper im Kurort 207 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 207 6.2 Körper in Italien 220 6.3 Bagni di Lucca 229 6.4 Facetten der Melancholie 234 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper: Platenpolemik 241 6.6 Körper: natürlich grotesk oder ideal 250 6.7 Elektrische Erotik 256 6.8 Der Dichter und die Naturphilosophie 261

Schlussfolgerungen 267

Bibliographie 273 Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während meiner langjährigen Forschungsarbeit unterstützt haben. Ein herzliches Wort des Dankes möchte ich an Prof. Dr. hab. Maria Kłańska richten, deren fachliche, moralische und freundschaftliche Unterstützung ich in allen Phasen meiner wissen- schaftlichen Arbeit erfahren durfte. Sie hat wesentlich zum Entstehen dieser Veröffentlichung beigetragen. Für erste fundierte Einsichten in die Komplexität der Vormärz-Debatten möchte ich mich bei Prof. Hubert Lengauer bedanken, der mich während meiner mit einem Franz Werfel-Stipendium durchgeführten Forschungsarbeiten zur österreichischen Literatur des 19. Jh.s auf die Bedeutung der Körperproblematik in den Texten Heinrich Heines hinwies. Die Ausarbeitung seiner fach- lichen Anregungen wäre ohne großzügige Unterstützung durch die Stiftung zur Förderung der Polnischen Wissenschaft nicht möglich gewesen, die mir einen Studienaufenthalt an der Freien Universität Berlin erlaubt hat. Dank einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung durfte ich mein Projekt unter den günstigsten fachlichen Voraussetzungen an der Universität zu Köln fortsetzen. Dieser Studienaufenthalt und vor allem zahlreiche fachspezifische Gespräche mit Prof. Erich Kleinschmidt, der mir mein methodisches Rüstzeug entscheidend erweitern und theoretisch verankern half, waren von herausragender Bedeutung für das Zustandekommen dieser Arbeit. Bei Maria und Erich Kleinschmidt möchte ich mich herzlich für ihre besondere Gastfreundschaft und für wichtige Einblicke in die deutsche und französische Kultur bedanken. Die wertvollen Hinweise Frau Hiltrud Hoffmann-Richters aus der Bibliothek des Kölner Instituts für deutsche Sprache und Literatur und freundliche Hilfe bei der Beschaffung aktueller Forschungsliteratur haben erheblich zur Verbesserung der Qualität dieser Arbeit beigetragen, wofür ich ihr sehr danken möchte. Mein aufrichtiger Dank für ihre Gesprächsbereitschaft und Hilfe bei der Informationsbeschaffung gilt auch Frau Marianne Tilch und Herrn Jan-Christoph Haussschild vom Heinrich-Heine-Institut in Düsseldorf. Für die geduldige Lektüre des fertigen Manuskripts und konstruktive Anregungen danke ich herzlich Prof. Maria Kłańska und Herrn Prof. Lech Kolago, deren Zuspruch mir in der Endphase meiner Arbeit sehr wichtig geworden ist. Für das gute Arbeitsklima und ihre Hilfsbereitschaft danke ich allen Kolleginnen und Kollegen von der Abteilung für die Geschichte der deutschen Literatur an der Jagellonen-Universität in Krakau. Dr. Daniel Krause danke ich herzlich für das Lektorat dieses Buches. Seinem fach- lichen Interesse, seiner Sprachkompetenz und Geduld verdanken diese Veröffentlichung und ihre Autorin besonders viel. Wertvolle Unterstützung ist meiner Arbeit in der Endphase auch von Dr. Anna Kluba zuteil geworden. Ihre durchdachten und präzisen Korrekturen haben er- heblich zur Verbesserung der endgültigen Form dieses Textes beigetragen, wofür ich ihr an dieser Stelle sehr danken möchte. Für ihr Interesse an und an der Geschichte der Medizin und nicht zuletzt für ihre Geduld möchte ich meinen Eltern aufrichtig danken. Ich danke herzlich meinem Mann Jacek, der mir in allen Phasen dieser Arbeit tatkräftig zur Seite stand. Ohne seine Unterstützung wäre meine Arbeit nie zustandegekommen.

1 Einleitung

Vorliegende Arbeit geht der Problematik des Körpers in Heines Texten nach. Sie wendet sich somit einem Thema zu, das im Mittelpunkt des Œuevres dieses als „großer literarischer Fürsprecher des Leibes“1 bezeichneten Schriftstellers steht. In der For- schung wird in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Pionierrolle des Autors hin- gewiesen: In seinem Bemühen um die Befreiung des Körpers aus dessen sozialem Korsett gilt Heine unter den schreibenden Intellektuellen seiner Epoche fast schon als einsamer, mutiger Mahner in der Wüste. In seiner Arbeit über Aspekte des Sensu- alismus in Heines Werk schrieb Olaf Hildebrand: „Wohl kaum ein anderer Dichter des 19. Jahrhunderts hat sich so engagiert gegen die restaurative Entsagungsideolo- gie der Metternich-Ära und die christliche Diskriminierung des Eros eingesetzt“2, womit er bündig den einschlägigen Forschungskonsens artikulierte. Die Literaturwissenschaftler sind sich einig darüber, welch wichtige soziale, poli- tische und geistige Konstante die Auseinandersetzung mit dem Körper im Werk Heines darstellt.3 Die Erschließung dieses Problemfeldes erfolgt vordergründig – durchaus im Einklang mit dem Interessenhorizont des Dichters – im Lichte der relevanten Vormärz-Debatte um die „Emanzipation des Fleisches“, in deren Rahmen sich die junge liberale Generation um 1830 vom verknöcherten Konservatismus abzusetzen begann. Damit wird diese Problematik vor der Folie eines umfassenden politischen Emanzipationsprogramms analysiert, das sich gegen rechtliche, soziale, geistige und politische Unterdrückung auf der kollektiven und individuellen Ebene wendet und sowohl die soziale Gleichstellung der bisher ausgegrenzten Gesellschaftsgruppen (Juden, Frauen), als auch die Befreiung des Individuums aus den Zwängen der bürger- lichen Sexualmoral forderte. Die Erkundung der Texte Heines als wichtiger Doku- mente der Vormärz-Debatte um die „Rehabilitation der Fleisches“ ließ die Forscher die Konfrontation des Autors mit der französischen Soziallehre des Saint-Simonismus, seine Selbstbestimmungsversuche zwischen den Fronten „Sensualismus–Spiritualismus“ (bzw., um andere in diesem Zusammenhang gebrauchte Termini zu verwenden, zwi- schen „Materialismus–Spiritualismus“, „Hellenentum und Nazarenertum“) als „ide-

1 Olaf Hildebrand: Emanzipation und Versöhnung. Apekte des Sensualismus im Werk Hein- rich Heines unter besonderer Berücksichtigung der „Reisebilder“, Tübingen: Niemeyer, 2001, 1. 2 Ebd. 3 Hierzu vgl. den paradigmatischen Aufsatz von Norbert Altenhofer: Chiffre, Hieroglyphe, Palimpsest. Vorformen tiefenhermeneutischer und intertextueller Interpretation im Werk Heines. In: Ders.: Die verlorene Augensprache. Über Heinrich Heine, Frankfurt am Main: Insel, 1993, 104-153. 10 1 Einleitung ologische[n] Bezugsrahmen“4 seines gesamten Schreibens bestimmen. Seit dem vielbe- achteten und folgenreichen Aufsatz Norbert Altenhofers (vgl. Anm. 3) wurden diese Antinomien als „tiefenhermeneutische Struktur“ der Texte Heines erkannt, an welcher der Dichter seinen eigenen und zugleich den kollektiven Identitätskonflikt seiner Zeit austrug. In zahlreichen Beiträgen, die dem hermeneutischen Ansatz folgten, wurde auf die Relevanz der antinomischen „fundamentalen Weltformel“ Heines für dessen literarische Geschichtsschreibung5 oder gar seine politischen Ansichten6 verwiesen. Dabei wird im Lichte neuerer Arbeiten die Schreibweise Heines vor allem als Experi- ment gewürdigt, das eine Versöhnung zwischen „hellenistischen“ und nazarenischen Positionen anstrebt, indem es die tradierte dichotomische Geist-Körper Setzung in einem „ganzheitlichen, an einer psychophysischen Totalität des Lebens orientierten Entwurf“7 poetisch aufzuheben versucht. Der in den neueren Forschungen favorisierte Begriff von Literatur als einer Rede- praxis, die kulturelle, sprachlich sedimentierte Konzepte unterschiedlicher intellek- tueller Provenienz verknüpft, neu strukturiert und tradiert,8 regt zur Intensivierung der Reflexion über die Polykontextualität der literarischen Texte an. Er begründet auch die dieser Arbeit zugrundeliegende Annahme, dass mit dem Bedürfnis nach einer argumentativen Verteidigung der Sinnlichkeit die Präsenz der Körperthematik im komplexen Œuevre Heines noch nicht hinreichend erklärt wird. Dies motiviert zu Fragen nach Semantisierung und kommunikativem Wert, die einer der prominentesten deutschen Autoren und Intellektuellen des 19. Jahrhunderts dem Körper auch jenseits der genannten Kontroverse beigemessen hat. Konkreter gesagt zu folgenden Fragen:

4 Vgl. Wolfgang Preisendanz: Heine, Saint-Simonismus und Kunstautonomie. In: Helmut Pfeiffer, Hans Robert Jauß, Françoise Gaillard (Hg.): Art social und art industriel. Funktio- nen der Kunst im Zeitalter des Industrialismus, München: Fink, 1987, 153-169, 158. Ders.: Die Funktionsübertragung von Dichtung und Publizistik. In: Ders.: Heinrich Heine. Werk- strukturen und Epochenbezüge, München: Fink, 1993, 21-68, bes. 41f. 5 Vgl. Jürgen Ferner: Versöhnung und Progression. Zum geschichtsphilosophischen Denken Heinrich Heines, Bielefeld: Aisthesis, 1994, 12. 6 Zu Heines Schreiben als einem „Vermittlungsversuch“ vgl. die berühmte Passage in Die romantische Schule: „Ich gehöre nicht zu den Materialisten, die den Geist verkörpern, ich gebe vielmehr den Körpern ihren Geist zurück, ich durchgeistige sie wieder, ich heilige sie. Ich gehöre nicht zu den Atheisten, die da verneinen: ich bejahe.“ Vgl. Heinrich Heine: Die romantische Schule. In: Heinrich Heine: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. von Manfred Windfuhr, : Hoffman und Campe, 1979, Bd. 8/1, 494. Die Düsseldorfer Ausgabe wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit mit der Sigle DHA und der dem jeweiligen Zitat entsprechenden Nummer des Bandes und Seitenzahl zitiert. 7 Olaf Hildebrand: Emanzipation und Versöhnung, 3. In diesem Sinne sprach auch Ritchie Robertson von Spiritualismus und Sensualismus in Heines Werk als „good but incomplete principles, each of which needs to enter into a synthesis with the other.” Vgl. Ritchie Ro- bertson: Heine, London: Weidenfeld & Nicolson, 1988, 40. 8 Zum Begriff der Literatur als Ort der Vernetzung von vielfältigen kulturbestimmenden so- zialen Konstellationen, Mentalitäten und heterogenen Wissens- und Gesellschaftsdiskur- sen vgl. Ansgar Nünning, Roy Sommer: Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft. Disziplinäre Ansätze, theoretische Positionen und transdisziplinäre Perspektiven. In: Diess. (Hg.): Kulturwissenschaftliche Literaturwissenschaft, Tübingen: Narr, 2004, 9-33, hier: 20. 1 Einleitung 11

Welches Wissen um den Körper des Menschen, welche Wahrnehmungsmuster, welche Körperbilder und -deutungen begegnen dem Leser in den Texten eines der bemerkens- wertesten deutschen Intellektuellen des 19. Jh.s? Bereits seit der Mitte der siebziger Jahre des 20. Jh.s werden in Geschichts- und Literaturwissenschaft, Kunst-, Kultur- und Medizingeschichte, Diskursanalyse, Ge- schlechterforschung und historischer Anthropologie intensive Untersuchungen zu historischen Konstruktionen und Repräsentationen des Körpers geführt. Das vitale Interesse der Wissenschaft an diesem Thema und dessen Hochkonjunktur verdanken sich im wesentlichen der Einsicht, dass das (lange für biologisch gegeben und daher geschichtslos gehaltene) Phänomen „Körper“ neben seiner biologischen, geschichts- losen Materialität auch eine kulturelle, folglich historisch geformte, Realität besitzt. Zur breiten Rezeption dieser These haben wesentlich die seit den 60er Jahren des 20. Jh.s erscheinenden Arbeiten des Philosophen Michel Foucault (1926-1984) beigetragen.9 Der französische Theoretiker belegte an zahlreichen Beispielen aus den Bereichen der Medizin, Sexualität und Justiz, dass es nicht den Körper, sondern eine Pluralität von verschiedenen historischen Körperentwürfen gibt, und machte darauf aufmerksam, dass sich das Körperverständnis weitgehend sprachlicher Formung und Normierung verdankt, die im Zusammenwirken von Wissen und Macht ihren Anfang nimmt. Foucaults Publikationen folgte eine bis heute nicht versiegende Flut von Unter- suchungen, welche die jeweils gegebene historische Wirklichkeit des Somatischen, d. h. die vergangenen Körperbilder, -wahrnehmungen und -praktiken beschreibend zu rekonstruieren und in ihrem geschichtlichen Wandel zu erfassen suchten. Im Bereich der Literaturwissenschaft hatte die Einsicht, dass Wahrnehmung, also auch die literarische Darstellung des Körpers, weitgehend durch kulturelle Vorgaben vermittelt wird, eine interdisziplinäre Profilierung der Forschungen über Körperlich- keit zu Folge. Im Rahmen der sich in den letzten Jahrzehnten transformierenden Li- teraturwissenschaft, die den Körper als „zentrale Herausforderung interdisziplinärer Forschung“10 begreift, wird das Spektrum der Kontexte, die als literaturwissenschaf- tlich relevant gelten, erheblich erweitert. Fruchtbar für die Reflexion über kulturell geprägte Literarisierungsmodi des Körpers erschien die Lektüre fiktionaler Texte vor der Folie der medizinischen, naturwissenschaftlichen, juristischen, theologischen oder politischen Kontexte, auf deren Körperkonzepte Literatur affirmativ, abweisend bzw. modifizierend reagiert.

9 Vgl. Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft (1961), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1969. Ders: Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (1963), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. Ders.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses (1973), Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1976. Ders.: Sexualität und Wahrheit (1976-1984), Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977-1986. 10 Vgl. Anne Fleig: Körper-Inszenierungen: Begriff, Geschichte, kulturelle Praxis. In: Erika Fischer-Lichte, Anne Fleig (Hg.): Körper-Inszenierungen. Präsenz und kultureller Wandel, Tübingen: Attempto, 2000, 7-19, hier: 7 f. 12 1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit stellt sich zunächst die Aufgabe, die vor 1830 entstandene, frühe Prosa Heines zum medizinischen Diskurs seiner Zeit in Bezug zu setzen.11 Dabei erfolgt die Entscheidung für die Heranziehung des medizinischen Diskurses nicht willkürlich: Sie wird durch einschlägige biographische Affinitäten angeregt. Heine lebte in einer Epoche, in der das Bewusstsein von Krankheit und eine reflektierte Ausein- andersetzung mit der eigenen Körperlichkeit ein selbstverständlicher Teil des Lebens war.12 Im Unterschied zu Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)13, Novalis (1772- -1801), Heinrich von Kleist (1777-1811) oder Achim von Arnim (1781-1831) konnte Heine nicht auf naturwissenschaftliche Bildungserfahrungen zurückschauen, welche die Rezeption medizinischer Debatten der Epoche begünstigt hätten. Sein prekärer Gesundheitszustand veranlasste ihn aber zur intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Leiblichkeit, ihrem Versagen und medizinischen Deutungsmustern. Es sind erfahrungsgemäß solche uns als Patienten durch Diagnose, Prognose und Therapie vermittelten medizinischen Konzepte, die unsere Selbst- und Fremdbeobachtung und die dazugehörigen Wahrnehmungsmodi und Beschreibugsformeln des Körpers maßge- blich prägen.14 Betrachten wir das literarische Werk Heinrich Heines im Lichte seiner Korres- pondenz, so erscheint es fast durchweg der körperlichen Schwäche eines leidenden

11 Zur genaueren Begründung der Textauswahl vgl. S. 24ff. der Arbeit. 12 Der sich etwa seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s konstituierende Gesundheitsdiskurs forderte eine gesteigerte Aufmerksamkeit des Subjekts für seinen Körper, die sich in wachsamer Beobachtung körperlichen Unwohlseins und leiblicher Störgefühle niederschlug. Hierzu vgl. Henner Montanus: Der kranke Heine, Stuttgart: Metzler, 1995, 330. 13 Während Angaben über das Studium der Naturwissenschaften in kaum einer Biographie von Novalis, Kleist oder von Arnim fehlen, konzentrieren sich die meisten kurz gefassten Goethe-Biographien auf dessen Jurastudium. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es aufschlussreich, daran zu erinnern, dass Goethe während seines Studien-Aufent- halts in Straßburg 1770/1771 nicht nur juristische, sondern darüber hinaus auch medizinische Vorlesungen hörte. 1775/1776 nahm er anatomische Studien auf, die er in Jena in den acht- ziger und neunziger Jahren des 18. Jh.s bei Professor Justus Christian Loder (1753-1832) fortsetzte. In der Italienischen Reise betont er stolz, wie sehr die am Seziertisch erworbenen anatomischen Erkenntnisse sein Studium des Schönen an den antiken Plastiken gefördert hatten: „(...) es läuft darauf hinaus, daß mich nun mein hartnäckig Studium der Natur, meine Sorgfalt, mit der ich in der komparierenden Anatomie zu Werke gegangen bin, nunmehr in den Stand setzen, in der Natur und den Antiken manches im ganzen zu sehen, was den Künstlern im einzelnen aufzusuchen schwer wird, und das sie, wenn sie es endlich erlangen, nur für sich besitzen und andern nicht mitteilen können.“ Johann Wolfgang Goethe: Italie- nische Reise. In: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Textkritisch durchge- sehen und mit Anmerkungen versehen von Erich Trunz, Hamburg: Christian Wegener, 1948 ff., Bd. 11, 7-556, hier: 386 f. Sein anatomisches Wissen verwendete Goethe im November 1781/1782 als Lehrer der Anatomie für Künstler an der Zeichenschule in Weimar. Die anato- mischen Studien des Autors gipfeln in der Entdeckung des bei dem Menschen bisher ver- missten Zwischenkierferknochens. 14 Vgl. hierzu die repräsentativen Betrachtungen zum Thema „Körperwissen“ von Donna Harraway: Die Biopolitik postmoderner Körper. Konstitution des Selbst im Diskurs des Immunsystems. In: Cornelius Borck (Hg.): Anatomien medizinischen Wissens. Medizin. Macht. Moleküle, Frankfurt am Main: Fischer, 1996, 307-359, hier bes. 318 f. 1.1 Methodologische Vorüberlegungen 13

Subjekts abgerungen. Heine, der bereits mit kaum 20 Jahren unablässig über schwere Migräneanfälle und/oder schlechtes Allgemeinbefinden zu klagen hatte, wurde in seinen späteren Jahren von Lähmungen, Krämpfen, Schmerzzuständen und diversen Augen- leiden heimgesucht, bis er – gelähmt und invalide – in den acht Jahren vor seinem Tode an seine „Matratzengruft“ gefesselt war.15 Die metaphysische Verankerung der zeitge- nössischen Medizin mochte der Geisteshaltung des Schriftstellers wohl widersprochen haben. Dennoch musste der homo patiens Heine mit den auf den Lehren damaliger Heilkunde fußenden Erklärungsmustern im Alltag umgehen und deren praktische Konsequenzen am eigenen Leibe erfahren. Angesichts der nachweisbaren kontinuier- lichen Präsenz der Medizin in Heines Alltag sind die Fragen, die am Beginn dieser Arbeit standen, folgendermaßen zu präzisieren: Welches Körperwissen, welche Kon- zepte, Deutungsmuster und Bilder des Körpers entnehmen Heines Texte dem medizini- schen Diskurs seiner Zeit? Wie werden sie in seinem Werk funktionalisiert?

1.1 Methodologische Vorüberlegungen

1.1.1 Diskursbegriff Mit dem Begriff des Diskurses liegt einer der Termini vor, die nach Gerhard Plumpe „ihre kulturelle Ubiquität semantischer Offenherzigkeit verdanken“16. In seinen Ausführungen, welche die inflationäre Verwendung des Modebegriffs als Gefährdung für Prägnanz und Klarheit der wissenschaftlichen Arbeit reflektieren, fordert dieser Autor kategorisch, eine wissenschaftliche Untersuchung solle entweder auf diesen Begriff verzichten oder aber eine terminologische „Disziplinierung“ vornehmen.17 In diesem Sinne möchte ich im Folgenden die Anwendung des Begriffs erläutern. Der Terminus „Diskurs“ wird zwar in unterschiedlichen intellektuellen Traditions- zusammenhängen und Varianten verwendet, seine Popularität verdankt sich jedoch im Wesentlichen den in den 1970er Jahren entstehenden erkenntniskritischen Schriften Michel Foucaults, deren Lektüre den theoretischen point of departure meiner Arbeit markiert. Der Begriff „Diskurs“, welcher in den Schriften des Philosophen erst seit 1966 eine aussagekräftige Anwendung findet, ist ein wissenssoziologischer Terminus, den Foucault von Anfang an inkonsistent gebraucht. In einer in Archäologie des Wissens (1969) inszenierten Distanznahme gegenüber dem eigenen Denken fasste der Philo- soph die Bedeutungsvielfalt des Ausdrucks „Diskurs“ in seinen Schriften folgender- maßen zusammen:

15 Vgl. die von Montanus zusammengestellte Chronologie der Krankheiten Heines. Montanus: Der kranke Heine, 241-257. 16 Gerhard Plumpe: Kunst und juristischer Diskurs. Mit einer Vorbemerkung zum Diskursbe- griff. In: Jürgen Forhrmann, Harro Müller (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, 330-345, hier: 330. 17 Ebd., hierzu vgl. auch Manfred Frank: Zum Diskursbegriff bei Foucault. In: Fohrmann, Müller (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, 25-52, hier: 25. 14 1 Einleitung

„Hinsichtlich des Terminus Diskurs, den wir hier mit verschiedenen Bedeutungen benutzt und abgenutzt haben, kann man jetzt den Grund seiner Uneindeutigkeit verstehen: auf die allgemeinste und unentschiedenste Weise bezeichnete er eine Menge von sprachlichen Performanzen. Wir verstanden unter Diskurs einmal, was (eventuell sogar alles, was) an Zeichenmengen produziert worden war. Aber wir verstanden darunter auch eine Menge von Formulierungsakten, eine Folge von Sätzen oder Propositionen. Schließlich – und diese Bedeutung hat schließlich überwogen (zusammen mit der ersten, die ihr als Horizont dient) – wird der Dis- kurs durch eine Menge von Zeichenfolgen konstituiert, das heißt insoweit sie Aus- sagen sind, daß heißt insoweit man ihnen besondere Existenzmodalitäten zuweisen kann.“18 Nachdem er terminologische Unschärfe zum wichtigen Merkmal seines intellektuellen Gesamtprogramms erklärt hat, nimmt Foucault gleichwohl eine Begriffspräzisierung vor, die zu den wohl bekanntesten Formeln seines Gesamtwerks gehört. Er schreibt: „Diskurs wird man eine Menge von Aussagen nennen, insoweit sie zur selben diskursiven Formation gehören. (...) Er wird durch eine begrenzte Zahl von Aus- sagen konstituiert, für die man eine Menge von Existenzbedingungen definieren kann. (...) Er ist durch und durch historisch: Fragment der Geschichte, Einheit und Diskontinuität in der Geschichte (...).“19 Diese Definition basiert auf der für das Denken des französischen Theoretikers zentralen These, der gemäß unsere Aussagen über einen Gegenstand bestimmten expliziten oder impliziten, historisch variablen Regeln folgen, die darüber entscheiden, über welche Gegenstände und mit welchen Begriffen geredet werden darf, an welche theoretische Voraussetzungen angeschlossen werden darf und welche Ausdrucksmodi (z. B. wissen- schaftliche Abhandlung, mythologische Darstellung usw.) dabei zu gebrauchen sind. Eine sorgfältige Lektüre von Foucaults Schriften lehrt jedoch, dass diese Formel kaum eine tragfähige pragmatische Grundlage für literaturwissenschaftliche Analysen darstellt, da sie vom Philosophen in seinen späteren Schriften kritisch hinterfragt und durch andere Fassungen des Diskursbegriffs ersetzt wurde, von denen keine den An- spruch auf Allgemeinverbindlichkeit erhebt.20 Angesichts des pragmatischen Anliegens der vorliegenden Arbeit, erschien es ratsam, an einen der terminologischen Vorschläge anzuschließen, die im Rahmen der interdiszi- plinär geführten grundlegenden Kontroversen um den Diskursbegriff formuliert wurden. Fruchtbar für die analytischen Belange der vorliegenden Studie erschien mir ein Theorieangebot von Michael Titzmann. Als besondere Leistung des deutschen Wissen- schaftlers ist anzuerkennen, dass es ihm unter Verzicht auf kontroverse subjekt- und machtkritische wie auch metaphysische Implikationen der foucaultschen Begriffs-

18 Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973, 156. 19 Ebd., 170. 20 Nicht zuletzt aufgrund der uneinheitlichen Begriffsverwendung gilt Focaults Werk als „ver- wirrendes Labirynth“. Vgl. Hinrich Fink-Eitel: Foucault zur Einführung, Hamburg: Junius, 1989, 10. 1.1 Methodologische Vorüberlegungen 15 bildung gelang, einen kohärenten terminologischen Rahmen zu entfalten und zugleich so nah an dem anregenden Konzept des französischen Philosophen zu bleiben, „wie dies ein Präzisierungsversuch erlaubt“21. Mit seinem in Anlehnung an Foucault formulierten Diskursbegriff definiert Titz- mann eine Kategorie, die eine systematische und differenzierte Erschließung der his- torischen Wissensbestände befördern soll. Analog dem französischen Philosophen meint der deutsche Forscher, dass das Gesamtwissen einer Epoche bzw. Kultur22 über einzelne Diskurse konstruiert wird. „Diskurs“ definiert er dabei als ein aus konkreten Texten zu erschließendes „System des Denkens und Argumentierens“23. Titzmann nennt drei konstitutive Merkmale eines Diskurses: den gemeinsamen Redegegen- stand, die Regularitäten der Rede darüber und die Beziehung zu anderen Diskursen. Mit diesen Grundkomponenten erscheint der „Diskurs“ als ein historisches, geregeltes System von Redeweisen, Redefunktionen und Sprachmustern für einen Gegenstand, das die Denkschemata einer Epoche fundiert. Da dieses System mit seinen Kategorisie- rungen einerseits der von uns wahrgenommenen Realität eine logische Struktur vorgibt, andererseits über deren sprachliche Umsetzung entscheidet, gilt es, bei dessen Re- konstruktion sowohl die einschlägigen logischen und methodologischen Vorausset- zungen als auch die dazugehörigen Sprachformen zu eruieren, was vor allem durch Ermittlung des terminologischen Inventars, sprachlicher Muster wie auch bevorzugter Darstellungsformen und Argumentationsmodelle möglich wird.

1.1.2 Literatur vs. Diskurs Titzmann, der Literatur pragmatisch als „Menge aller Texte, die von der jeweiligen Kultur für Literatur gehalten werden“24, definiert, nennt sie „eine kulturelle Redeform ohne spezifischen Gegenstand“25, die bestimmte Regularitäten (z. B. Gattungsregeln oder Präferenzen für bestimmte Typen von Sprechsituationen) aufweist. Aufgrund ihrer Ein- und Ausgrenzungsmechanismen entscheiden die genannten Regularitäten zwar implizit (z. B. nach dem Prinzip des Dekorums) über die literarischen Redege- genstände, dennoch werden diese nicht auf so rigide Weise bestimmt, wie das in den einzelnen wissenschaftlichen Spezialdiskursen geschieht.26 Da aufgrund der relativen

21 Michael Titzmann: Kulturelles Wissen – Diskurs – Denksystem. Zu einigen Begriffen der Literaturgeschichtsschreibung. In: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur (94), 1989, 47-61, hier: 51. 22 Titzmann schlägt hierfür den Begriff „kulturelles Wissen“ vor, mit dem er die Gesamtmen- ge aller Aussagen bezeichnet, welche die Mitglieder einer Kultur für wahr halten, bzw. die eine hinreichende Anzahl von Texten der Kultur als wahr setzt. Vgl. ebd. 23 Michael Titzmann: Skizze einer integrativen Literaturgeschichte und ihres Ortes in einer Systematik der Literaturwissenschaft. In: Ders. (Hg.): Modelle des literarischen Struktur- wandels, Tübingen: Niemeyer, 1991, 395-438, hier: 406 ff. 24 Ebd., 406 25 Ebd., 407. 26 Hierzu vgl. die Kritik Marc Föckings am titzmannschen Modell. In: Marc Föcking: Patho- logia litteralis. Erzählte Wissenschaft und wissenschaftliches Erzählen im französischen 19. Jahrhundert, Tübingen: Narr, 2002, 10 f. 16 1 Einleitung inhaltlichen Offenheit fiktionaler Texte das erste der von Titzmann als konstitutiv für einen Diskurs erörterten Merkmale fehlt, behauptet der Forscher kategorisch: „Lite- ratur ist kein Diskurs; sie kann sich aber verschiedener Diskurse bedienen und sie integrieren.“27 Mit seinem Entwurf, der Literatur als relevanten Ort der Verknüpfung von Spezial- diskursen und somit der Wissensvermittlung reflektiert, positioniert sich Titzmann im Feld der seit den neunziger Jahren des 20. Jh.s intensiv geführten Forschungen über Interferenzen zwischen Literatur und Wissenschaft, bei denen Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Naturwissenschaften besondere Aufmerksamkeit zuteil wird.28 Die im Felde dieser Forschungen betriebene systematische Reflexion über literari- sche Texte als Medien der Vermittlung, Bewertung und Ästhetisierung der diskursiven Angebote einer gegebenen Epoche hat auch die Suchbewegungen der vorliegenden Arbeit in deren Anfängen vorgegeben. Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden knapp auf die grundlegenden Problemstellungen der einschlägigen Studien eingehen. Im Rahmen der genannten Forschungen werden nichtfiktionale und fiktionale Texte, die gleiche Phänomene thematisieren einer synoptischen Betrachtung unter- zogen. Zu den grundlegenden Forschungsprämissen gehört dabei das Konzept der „Kongruenz des Gegenstandes und Differenz seiner Strukturierung“29. Es wird ange- nommen, dass Literatur und Wissenschaft zwei Ordnungen darstellen, die sich mit ihrem Interesse am Menschen in seinem leiblichen, psychischen und intellektuellen Status, am menschlichen Zusammenleben, an der Erfahrung von Natur und der Konstruk- tion von geschichtlichen Zusammenhängen denselben Objekten zuwenden, während die Organisation und Vermittlung der einschlägigen Daten in jeder der Ordnungen diffe- renten Prinzipien gehorcht. Bei der Lektüre jedes literarischen Textes sei zu beachten, dass er bei der Erschaffung seiner fiktionalen Lebenswelten am von Spezialdiskursen erarbeiteten Wissen um die »wirkliche« Welt partizipiert. Zugleich unterliegt er jedoch nicht szientifischen Verbindlichkeits-, Vollständigkeits- und Stringenzanforderungen.30

27 Titzmann: Skizze einer integrativen Literaturgeschichte, 407. 28 Den Impuls für letztere Forschungen bildete der Aufsatz des englischen Physikers und Schrift- stellers Charles Percy Snow, der den bekannten Gedanken über die Differenz zwischen der technisch-naturwissenschaftlichen und der humanistischen Denktradition radikalisierte. Laut Snow tut sich zwischen den Geisteswissenschaften und Literatur einer- und den Naturwissen- schaften und der Technik andererseits eine so tiefe Kluft auf, dass wir es mit zwei „Kulturen“ zu tun haben, die einander gegenseitig ignorieren, was auf beiden Seiten zur geistigen Verar- mung führt. Vgl. Charles P. Snow: Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz, Stuttgart: Klett, 1967. 29 Peter-André Alt: Beobachtungen dritter Ordnung. Literaturgeschichte als Funktionsgeschichte kulturellen Wissens. In: Walter Erhart (Hg.): Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung? (= Akten des DFG-Symposions Bad Irsee, September 2003), Stuttgart, Weimar: Metzler, 2004, 186-209. 30 Vgl. Karl Richter, Jörg Schönert, Michael Titzmann: Literatur – Wissen – Wissenschaft. Über- legungen zu einer komplexen Relation. In: Diess. (Hg.): Die Literatur und die Wissenschaften (1770-1930), Stuttgart: Mezler, 1997, 9-36, hier: 28. Nicolas Pethes: Literatur und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht. In: Internationales Archiv für Sozialge- schichte der deutschen Literatur (IASL), 28 Bd. 2003, 1. H, 179-231, hier: 211. 1.1 Methodologische Vorüberlegungen 17

Dies lässt das in der Literatur niedergelegte Wissen als „normativ kaum einhegbar (...) und daher auch analytisch schwer kontrollierbar (...)“ erscheinen.31 Ausschlaggebend sind insbesondere diese drei Faktoren: Nicht nur amalgamiert Literatur stets Erkennt- nisse aus heterogenen wissenschaftlichen Disziplinen, wobei die Aneignung von Daten aus den einzelnen wissenschaftlichen Diskursen bruchstückhaft erfolgt. Sie vermittelt darüber hinaus die aus wissenschaftlichen Texten importierten Wissensbestände über die ihr eigenen poetischen Darstellungsmodi, welche die Kriterien einer auf logische Konsistenz zielenden wissenschaftlichen Rede nicht erfüllen. Diesen besonderen Umgang mit wissenschaftlichen Daten veranschaulichte Jochen Hörisch, indem er Literatur emphatisch einen „dissidenten Wissensspeicher“32 nannte, in dem die ein- schlägigen Daten abweichend von den geltenden theoretischen und gesellschaftlichen Modellen kumuliert werden. Im Rahmen jener literaturwissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem in literari- schen Texten sedimentierten Wissen auseinandersetzen, wird zuerst danach gefragt, welche Wissenssegmente aus welchen Objektbereichen, Disziplinen, Diskursen in der Literatur einer Epoche vorzugsweise aufbewahrt werden. Im Versuch, die Präsenz eines wissenschaftlichen Diskurses in den jeweils zu untersuchenden literarischen Texten zu erschließen, gilt es zu entscheiden, ob diese Texte an den methodologi- schen und terminologischen Angeboten des jeweiligen Diskurses partizipieren. Die möglichen Beziehungen sind vielfältig: von der punktuellen poetischen Verwertung einzelner Beobachtungen und Erkenntnisse über die stilistische Angleichung an die exakte Sprache der Forschung und die Auseinandersetzung mit Problemen, die sich durch den Fortschritt ergeben bis zur Aufnahme von Methoden und Theorien.33 Das Interesse der Forschung wendet sich nicht nur der Problematik der Partizipation der Literatur an jeweiligen Wissensbeständen, sondern auch der fehlenden Rezeption jeweiliger Diskurse in literarischen Werken zu. Sind bestimmte Wissensbestände im intellektuellen Horizont des jeweiligen Autors, nicht jedoch in seinen Texten selbst vorhanden, spricht man von „abgewiesenem Wissen“34. Und, wie paradox es auch scheinen mag – aufschlussreiche Einsichten über die intellektuelle und ästhetische Beschaffenheit der jeweiligen literarischen Texte können nicht nur aufgrund der Re- flexion über das in ihnen thematisierte, sondern eben auch aufgrund der Reflexion über das abgewiesene Wissen gewonnen werden. Mit den Mechanismen fehlender Rezeption diskursiver Bestände in fiktionalen Texten beschäftigt sich eingehend Marc Föcking in seiner Arbeit über die narrative Funktionalisierung medizinischen Wissens in der französischen Literatur des 19. Jh.s. Er belegt einleuchtend, dass die Tatsache, dass sich ein literarischer Text wissenschaft- lichen Erkenntnissen verschließt, sowohl außen- als auch innenliterarisch motiviert

31 Vgl. Alt: Beobachtungen dritter Ordnung, 194. 32 Jochen Hörisch: Minima Banalia. In: Literaturen 05 (2002), 56-58, hier: 58. 33 Vgl. Jeremy Adler: „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen”. Zur naturwissenschaft- lichen Grundlage der modernen Literatur. In: Merkur 60. Jg. / H. 682, Februar 2006, 112- -123, hier: 113. 34 Vgl. Richter, Schönert, Titzmann: Literatur – Wissen – Wissenschaft, 29. 18 1 Einleitung wird. Der erstere Fall ließe sich exemplarisch unter Hinweis auf die Komplexität des wissenschaftlichen Gegenstandes, der zweite unter Hinweis auf innerliterarische Normierungen erklären. Es kann nicht überraschen, dass die Wissensbestände hochspezialisierter bzw. extrem professionalisierter Diskurse von literarischen Texten abgelehnt werden. Die Schwierigkeit ihrer Literarisierung ergibt sich aus der Tatsache, dass ihre sachgerechte Darlegung einer mathematisierten, formalisierten Sprache und eines abstrakten methodo- logischen Zugangs bedarf, der für Autoren und Leser, die lediglich über Allgemeinbil- dung verfügen, nicht nachvollziehbar ist. Die Suche nach Elementen eines Fachdis- kurses im literarischen Text eines Autors, der über die einschlägige fachliche Vorbildung nicht verfügt, ist jedoch legitim. Man darf nicht von der Annahme ausgehen, dass eine elaborierte Begrifflichkeit und mathematische Abstraktheit der wissenschaftlichen Darstellungsform für einen Autor ohne entsprechende institutionalisierte fachliche Vorbildung zureichende Indizien darstellen, die ihn von der Literarisierung jeweiliger wissenschaftlicher Methoden oder Modelle abhalten. Eine gelungene Übertragung der Potentiale hochprofessionalisierter Diskurse in literarische Texte ist auch in diesem Fall möglich. Die einschlägigen literarischen Verfahren leisten dabei eine Art „Übersetzung“ der Wissensdaten in eine anschauliche Bildlichkeit, vor allem aber in die natürliche (d. h. hier: „nicht mathematisch formalisierte“) Sprache, die die Grundlage jedes literari- schen Textes bildet.35 Berühmte Belege derartiger Leistungen lieferten u. a. Dante Alighieri (1265-1321), der Ergebnisse der zeitgenössischen astronomischen Forschung in die mythologische und allegorische Bildlichkeit seiner um 1307 begonnenen Divina Comedia überführte und Goethe, der in seinen Wahlverwandtschaften (1809) Resultate der damals aktuellen chemischen Forschungen durch Übertragung auf eine Personen- konstellation literarisierte.36 Für die fehlende Rezeption zeitgenössisch relevanter Wissensbestände ist jedoch nicht allein, wie schon erwähnt, die komplexe Beschaffenheit außerliterarischer Kontexte ausschlaggebend, sondern darüber hinaus auch die Beschaffenheit innerlite- rarischer Normen. Der letztere Sachverhalt lässt sich exemplarisch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jh.s an der (partiellen) Ausgrenzung des medizinischen Diskurses aus literarischen Texten verfolgen. Bei der Lektüre literarischer Körperbeschreibungen ist zu beachten, dass sich Lite- ratur in dieser Hinsicht noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jh.s meist an den aus der Antike überlieferten rhetorischen Formulierungsstandards orientiert, die relativ geringen Raum für die Wissensbestände der jeweiligen Epoche vorsahen.37 So basieren z. B. idealisierende Beschreibungen des begehrten („erotischen“) Körpers grund- sätzlich auf der literarischen Tradition der griechischen und römischen Antike und

35 Zur Literatur als einem „sekundären modellbildenden System“, das auf der natürlichen Sprache und den dazu koextensiven diskursiven Formationen aufbaut vgl. Jurij M. Lotman: Die Struktur literarischer Texte, München: Fink, 1972, 39. 36 Vgl. Föcking: Pathologia litteralis, 16. 37 Vgl. ebd. 1.2 Literatur und Wissenschaft im Zeitraum 1815-1848 19 auf den biblischen Sprachbeständen. Es war vor allem die Selektion der zu beschreiben- den Körperteile, bei der ein Autor die Vorgaben der diachronen literarischen Normen zu beachten hatte. Die vor der Folie der rhetorischen Tradition geschriebenen Sonette Petrarcas durften weibliche Haare und Hände beschreiben, ein poetisches Lob der weiblichen Nase wäre jedoch undenkbar gewesen, auch wenn dieser Körperteil in außerliterarischen Kontexten der Zeit selbstverständlich thematisiert wurde. Die absolute Autorität rheto- rischer Regeln, die bei der Wahl der zu beschreibenden Körperteile waltete, fand eine Grenze in der darauf folgenden literarischen Perspektivierung. In diesem Bereich hatten die Elemente außerliterarischer Diskurse, vor allem der antiken medizinischen Lehre der Säftelehre (Humoralpathologie), oder aber Erkenntnisse der Physiognomik durch- aus ihren Platz.38 Zur fehlenden Rezeption des medizinischen Diskurses in literarischen Texten trug bis ins 19. Jh. hinein ganz wesentlich auch die klassizistische Lehre von der „Höhenlage“ der literarischen Darstellung bei. Jene aufmerksame beschreibende Hinwendung zur Materialität des Körpers, die das Zentrum der heilkundlichen Texte ausmacht, war in literarischen Texten in der ersten Hälfte des 19. Jh.s kaum gestattet.39 Erlaubten die rigiden rhetorischen Regeln eine literarische Thematisierung des Alltäglichen und der Körperlichkeit, so hatte dies im niederen Stil und in den ihm entsprechenden komischen Gattungen zu geschehen. Dieser Sachverhalt begünstigte eventuell eine auf den Erkenntnissen der Medizin basierende Darstellung des Körpers in Komödien, was z. B. im tradierten Modus der Ärzte-Satire geschah. In den Gattungen, die dieses „Komische“ nicht zuließen, wurde aber auf das jeweilige zeitgenössische medizinische Wissen meist verzichtet.

1.2 Literatur und Wissenschaft im Zeitraum 1815-1848

Um der Spezifik der literarischen Körperkonstruktionen im Werk Heines nachzugehen, erscheint es notwendig, die vorausgegangenen Ausführungen in Bezug auf Heine historisch zu kontextualisieren. Heines Œuevre entsteht größtenteils im Zeitraum 1815-1848, als dessen politische Zäsuren der mit dem Wiener Kongress 1815 einsetzende Beginn der Restaurations- zeit, die Julirevolution in Frankreich (1830) und die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 gelten. Die Erfassung der spezifischen Kennzeichen jener Epoche bereitet den Literaturwissenschaftlern bis heute erhebliche Schwierigkeiten. Man ist sich zwar darüber einig, dass diese literaturhistorische Phase deutliche Unterschiede gegenüber den angrenzenden Zeiträumen aufweist, was die Rede von einer eigenständigen Epoche auf jeden Fall legitimieren kann. Zugleich führen die Forscher jedoch an, dass dieser

38 Vgl. ebd., 17. 39 Die bahnbrechende Bedeutung des Woyzeck (1837) Georg Büchners (1813-1837) ist, neben vielen anderen Merkmalen, eben auch darin zu sehen, dass der Text die genannte Regel der Körperdarstellung überschreitet. 20 1 Einleitung

Zeitraum von einer derartigen Vielfalt und Heterogenität synchron verlaufender politi- scher, sozialer und kulturhistorischer Prozesse determiniert wurde, dass seine Einord- nung in ein einfaches, linear konstruiertes Modell kaum plausibel erscheint.40 Jede der vorgeschlagenen Etikettierungen („Restaurationsepoche“, „Biedermeier“, „Vormärz“, „Junges Deutschland“, „Früh- bzw. Protorealismus“) grenzt nämlich erhebliche Teile des damaligen Literaturbetriebs aus und kann demgemäß kontrovers diskutiert werden.41 Wichtige Einblicke in die Epoche verdanken sich der Debatte, die im Zusammen- hang mit der monumentalen Veröffentlichung Friedrich Sengles „Biedermeierzeit“ aufkam42 – jener Monographie, die das Bild der Epoche als einer abendländischen Spätzeit entwarf, als letzter Epoche, die nach tradierten ästhetischen und politischen Ordo-Vorstellungen zu leben versuchte. Dieser Auffassung setzten die Arbeiten jüngerer, sozialgeschichtlich orientierter Literaturwissenschaftler in den 1970er Jahren ein Kon- zept entgegen, das die von Sengle marginalisierten Zeittendenzen in den Vordergrund rückte. Aus ihrer Perspektive erschienen nicht mehr das Festhalten an überlieferten ästhetischen Ordnungen, sondern Säkularisierung, Rationalisierung, Emanzipation und Entfaltung operativer Schreibverfahren als zentrale und zukunftsweisende Phäno- mene der Zeit.43 Im Laufe dieser Debatte entstand der weitgehend konsensträchtige Entwurf eines Zeitraums, der von militanten revolutionären Bewegungen sowie wirtschaft- lichen, sozialen und technischen Modernisierungsprozessen einerseits und rigider staat- licher Restaurationspolitik andererseits geprägt wurde. Um das synchrone Auftreten von rückwärtsgewandten und zukunftsweisenden Tendenzen zu veranschaulichen, attestierte man der Restaurationszeit eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“44, womit eine von Ernst Bloch 1935 zur Kennzeichnung der klassischen Moderne vor- geschlagene Formel umfunktionalisiert wurde. Solche literaturwissenschaftlichen Arbeiten, die sich am heuristischen Deutungsmodell von Konservatismus und Aufbruch orientierten, suchten indes die Epochendichotomien im politischen und ästhetischen

40 Vgl. Frank J. Bauer: Das «lange» 19. Jahrhundert. Profil einer Epoche, Stuttgart: Reclam, 2004, 11. 41 Mit Erich Kleinschmidt wäre an der Stelle auf das grundsätzlich Problematische der Epochen- begriffe hinzuweisen. Im Rekurs auf Deleuze erklärt Kleinschmidt, dass Epochenbegriffe die realen Differenzen einebnen und die „Mannigfaltigkeit des Realen” stillstellen. Erich Kleinschmidt: Intensität. Prospekt zu einem kulturpoetischen Modellbegriff. In: Weimarer Beiträge 49 (2003), 165-183, hier: 165. 42 Vgl. Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld von Restau- ration und Revolution 1815-1848, Stuttgart: Metzler, 1971-1980. 43 Dazu vgl. Gerd Sautermeister u. Ulrich Schmid: Einleitung. In: Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 5, Zwischen Revolu- tion und Restauration 1815-1848, hrsg. v. G. Sautermeister u. U. Schmidt, München: Hanser 1998, 9-15, hier: 14. Erhellende Einblicke in die bewegte Geschichte der Periodisierungs- debatte in den frühen 1970er Jahren bietet einer ihrer wichtigsten Exponenten, Peter Stein. Vgl. Peter Stein: Epochenproblem „Vormärz“ (1815-1848), Stuttgart: Metzler, 1974, bes. 21-27. 44 Vgl. Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1992, bes. Kap. „Ungleichzeitigkeit und die Pflicht zu ihrer Dialektik“, 104-126. 1.2 Literatur und Wissenschaft im Zeitraum 1815-1848 21

Bereich mit Begriffen wie „Revolution und Reflexion“, „Integration und Konflikt“, „Tradition und Revolution“ zu fixieren.45 Nachdem die methodischen Paradigmen und leitenden Erkenntnisinteressen der 1970er Jahre und die von ihnen ausgelösten Kontroversen an Aktualität verloren haben, steht die fragliche Epoche seit der Mitte der 1990er Jahre erneut zur Diskussion. Forschungen im Zeichen eines gewandelten Literaturkonzepts suchen der Heterogenität der Epochenphänomene durch eine interdisziplinär geprägte kultur- und mentalitätsge- schichtliche Perspektivierung jenseits der bisher prägenden Dichotomisierungen ge- recht zu werden. Als grundlegend für die Erfassung literarischer Entwicklungen der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts erweist sich die These, dass die literarische Produktion jener Zeit nicht nur ästhetische Antworten auf den Wandel sozialer, öko- nomischer und politisch-nationaler Verhältnisse suchte, sondern sich darüber hinaus jenem fundamentalen epistemologischen „Bruch“46 zu stellen hatte, der die genannten Transformationsprozesse maßgeblich prägte. Die Aufmerksamkeit der Forschung richtet sich zunehmend auf den Umgang der Literatur jener Zeit mit rasant anwachsenden, für den einzelnen Menschen zunehmend unüberschaubaren Wissensbeständen.47 Es wird betont, dass die Tatsache, dass die einzelnen Wissenschaften um 1800 beginnen, sich aus dem Zuständigkeitsbereich der Philosophie zu lösen und über eigene Methoden, Verfahren und Resultate zu defi- nieren, als Verlust an populärer Breitenwirkung verbucht wurde. Vor allem die jungen Intellektuellen, denen auch Heine zuzurechnen ist, forderten eine Engführung der Kunst mit der Wissenschaft und der Lebenswirklichkeit. Im Sinne ihrer literarischen Programmatik, mit der sie sich der Realität, dem Leben, der Zeitgeschichte nähern wollten, suchten diese Autoren in ihren Schriften Möglichkeiten einer nicht diszi- plinär festgelegten Präsentation und Zirkulation des Wissens auszuloten.48 In diesem Sinne wird vom transferierenden und/oder synthetisierenden Charakter jener Prosa gesprochen und zugleich betont, dass das Anliegen dieser Schriftsteller nicht darin

45 Vgl. Manfred Windfuhr: Heinrich Heine. Revolution und Reflexion, Stuttgart: Metzler, 1969. Günter Oesterle: Integration und Konflikt. Die Prosa Heinrich Heines im Kontext oppositioneller Literatur der Restaurationsepoche, Stuttgart: Metzler, 1972. Eda Sagarra: Tradition and Revolution: German Literature and Society 1830-1890, New York: Basic Books, 1971. 46 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1974, 260 ff. 47 Die einschlägigen Entwicklungen der Zeit, bei denen der Literatur eine besondere Funktion zukommt, fassen Link und Wülfing folgendermaßen zusammen: „Hatte das 18. Jahrhundert sein Spezialwissen noch `enzyklopädisch` zu integrieren versucht, so wird das seit Beginn des 19. Jahrhunderts zusehends schwieriger. Eine um so wichtigere Funktion fällt nun selektiv verfahrenden Präsentationsformen des Wissens zu (...), die Elemente verschiedener Spezial- diskurse integrieren.“ Jürgen Link, Wolf Wülfing: Einleitung. In: Diess. (Hg.): Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen, Stuttgart: Klett, 1984, 3-15, hier: 9. 48 Vgl. den grundlegenden Aufsatz von Madleen Podewski: Fragment und Journal: romantische und jungdeutsche Sprechorte. In: Wolfgang Bunzel, Peter Stein, Florian Vaßen (Hg.): Ro- mantik und Vormärz. Zur Archäologie literarischer Kommunikation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Bielefeld: Aisthesis, 2003, 145-163, 147. 22 1 Einleitung bestand, einen alternativen professionellen Diskurs zu schaffen, sondern die Wissens- bestände der professionellen Fachdiskurse in den Zustand einer „prädisziplinären Lebendigkeit“ zu versetzen.49 Bei der Reflexion über die Modalitäten der Wissensvermittlung in den Texten dieses Zeitraums fallen zunächst zwei Merkmale auf. Das erste ließe sich als „Eklek- tizismus der Datenaneignung“ bezeichnen. Neuere literaturwissenschaftliche Forschun- gen zur Literatur der Restaurationszeit betonen nämlich, dass die Schriftsteller jener Epoche in einem „künstlerischen Produktionsfeld“50 agieren, das durch eine Plura- lität ideologischer, intellektueller und ästhetischer Optionen gekennzeichnet ist. In den Texten, die im Spannungsfeld „ungleichzeitiger“ intellektueller und ästhetischer Konzepte (Spätaufklärung, Romantik und zukunftsweisende materialistische Model- le) entstehen, werden alte wie neue Wissensbestände amalgamiert und Rivalitäten konkurrierender wissenschaftlicher Positionen neutralisiert. Theoreme, Konzepte und Methoden unterschiedlicher Traditionen und Optionen gehen in den fiktionalen Tex- ten der Zeit vielfältige, manchmal paradoxe Allianzen ein. Dabei lässt sich beobach- ten, dass progressive Schriftsteller auf rückwärtsgewandte intellektuelle Modelle zurückgreifen, während konservative Dichter in ihren Texten zuweilen auch progres- siven poetologischen Ansätzen und entsprechenden diskursiven Argumentationsmus- tern folgen.51 Aufgrund der Erkenntnis, dass De- und Revaluierung, unablässiges Verändern und Experimente inhaltlicher und formaler Natur als besonders relevante Merkmale der literarischen Texte dieser Zeitspanne zu definieren sind, erscheint es laut Gustav Frank gerechtfertigt, dieser Epoche das Attribut „Labor-Zeit“ zuzuschrei- ben.52 Als zweites wichtiges Merkmal der literarischen Aneignung von Wissen im Vormärz wäre dessen „Subjektivierung“ zu nennen. Die zeitgenössische Program- matik forderte, dass heterogene Wissensbestände entlang der Konturen eines Kon- zeptes vom „Subjekt“, d. h. menschengerecht und lebensnah, ausgestaltet werden. Im Sinne der poetischen Suche nach Lebenswahrheit wurden vor allem quantifizierende, an Statistik und am Wahrscheinlichkeitskalkül ausgerichtete wissenschaftliche Ver- fahren abgelehnt, weil sie sich an subjektfremden bzw. indifferenten Kategorien orien- tierten.53 Bei der Reflexion über Wissensvermittlung in literarischen Texten des Zeitraums von 1815 bis 1848 gilt es aber auch zu berücksichtigen, dass es sich nicht allein um eine Epoche handelt, deren progressive Kunstprogrammatik nach einer Entdifferen- zierung der Literatur gegenüber der Wissenschaft verlangte, sondern das System der

49 Ebd., 157. 50 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frank- furt am Main: Suhrkamp, 2001, 187. 51 Vgl. Bunzel, Stein, Vaßen: Einführung. In: Diess. (Hg.): Romantik und Vormärz, 2-49, hier: 12. 52 Vgl. Gustav Frank: Romane als Journal: System- und Umweltreferenzen als Voraussetzung der Entdifferenzierung und Ausdifferenzierung von Literatur im Vormärz. In: Journalliteratur im Vormärz, hrsg. v. Rainer Rosenberg und Detlev Kopp, Bielefeld: Aisthesis, 1996, 15-47. 53 Vgl. ebd., 159. 1.2 Literatur und Wissenschaft im Zeitraum 1815-1848 23 klassischen Rhetorik noch immer intakt war und seine Formulierungsregeln weiterhin normbildend für literarischen Ausdruck waren.54 Diese u. a. von Friedrich Sengle und Gerd Ueding55 vertretene Ansicht mag auf Anhieb befremdlich erscheinen, widerspricht sie doch der bekannten These von der Ablösung der im Sinne der bürgerlichen Ideologie als Verstellung, Affektation und Heuchelei geächteten Regelrhetorik zugunsten der Genie-Ästhetik. Tatsächlich büsst die (u. a. von Karl Philipp Moritz und Immanuel Kant angegriffene) Rhetorik in den letzten Jahrzehnten des 18. und den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s ihre Stellung als eine der Leitwissenschaften ein, was sich z. B. an der verringerten Anzahl der Lehrstühle für Rhetorik eindrucksvoll verfolgen lässt. Bildungs- und institutionengeschichtliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s (d. h. in Heines Schul- und Studienzeit) von einem signifikanten Schwund rhetorischer Lehrin- halte in deutschen schulischen und akademischen Curricula keine Rede sein kann. Die nach 1810 einsetzenden Schulreformen ließen den Rhetorikunterricht unberührt. An den deutschen Gymnasien, die maßgebliche Träger der klassischen Bildung blieben, wurde in den Fächern Latein und Griechisch ein umfangreicher Kanon von Muster- texten vermittelt. Eine von praktischen Schreib- und Redeübungen begleitete umfang- reiche Lektüre antiker und neuzeitlicher Beispieltexte, die eine genaue Kenntnis der antiken Mythologie und der Bibel erforderte, bildete weiterhin einen wichtigen Be- standteil der akademischen Ausbildung. Rhetorische Lehrinhalte lebten an den Universi- täten z. T. auch innerhalb anderer Fächer weiter. Die Tatsache, dass Lehrstühle für Rhetorik in Ordinariate für nationalsprachliche Philologien (besonders Germanistik), für Ästhetik oder für alte Sprachen umgewandelt wurden, tat den hohen Standards öffentlicher Rede keinen Abbruch. Keiner der Autoren, die ihre Schul- bzw. Universitäts- bildung in den 1820er Jahren absolvieren, „macht sich von der Rhetorik los. Kellers und Fontanes Ungezwungenheit erreicht keiner“56, schreibt Friedrich Sengle. Im Schaffen eines Autors wie Heine, dem eine intensive rhetorische Schulung nicht nur im Rahmen der Schulausbildung, sondern darüber hinaus während seines Jurastudiums zuteil ge- worden war, kommt der Kenntnis der rhetorischen Formulierungsregeln und des Fundus der griechischen und römischen Mythologie und der Bibel eine ganz besondere Bedeu- tung zu. Die Lektüre der einschlägigen Forschungsarbeiten berechtigt zu dem Schluss, dass im „ästhetischen Produktionsfeld“ der Restaurationszeit der Bildungsbegriff weitge- hend mit den hier genannten Kenntnissen gleichgesetzt wird.57 Deswegen scheint es legitim, letztere mit Pierre Bourdieu als „kulturelles Kapital“ des damaligen Schrift-

54 Vgl. Marie-Luise Linn: Studien zur deutschen Rhetorik und Stilistik im 19. Jahrhundert. Marburg: Elwert, 1963, 13. 55 Vgl. Gerd Ueding: Moderne Rhetorik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, München: C. H. Beck, 2000, 77. Sengle: Biedermeierzeit, Bd.1, 430. 56 Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 1, 433. 57 Vgl. Ueding: Moderne Rhetorik, 58. In einem Urteil über die Bedeutung der Rhetorik in Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nennt sie Sengle „ein Deutsch für Gebil- dete“. Vgl. Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 1, 453. 24 1 Einleitung stellers zu bezeichnen, das vor der Folie verpflichtender kultureller Muster mit Intellektu- alität und Kultiviertheit gleichgesetzt wird und auf dieser Grundlage wesentlichen Einfluss auf soziale Wahrnehmung, Status und Prestige eines Individuums ausübt.58 Der Anspruch progressiver Literatur des zweiten und dritten Jahrzehnts des 19. Jh.s, eine Integration diverser – ungleichzeitiger – Spezialdiskurse zu leisten, und die weit- reichende Rhetorisierung des literarischen Ausdrucks sind damit als die wichtigsten unter jenen Faktoren anzuerkennen, welche die Rezeption diskursiven Wissens in den Texten dieser Epoche und folglich auch die literarischen Konstruktionen des Körper- lichen steuern.

1.3 Zum Textkorpus

Den Ausgangspunkt meiner Arbeit bildete die Frage nach der Präsenz der Wahrnehmungs- muster und Deutungen des Körpers, die Heine vom medizinischen Diskurs seiner Zeit vermittelt wurden, in den Texten dieses Autors. Die so gestellte Frage lässt zunächst nach den Spuren des medizinischen Diskurses in dem Werk des Schriftstellers suchen. Diese Suche hat sich nicht nur der Komplexität von Heines Texten, sondern auch der Heterogenität der intellektuellen Paradigmen zu stellen, die in der deutschen Medizin- landschaft in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s aktuell sind. Belangreich für die Vorgehens- weise dieser Arbeit erschien die Erkenntnis, dass die um 1800 im heilkundlichen Diskurs in Deutschland funktionierenden Modelle von denen in Frankreich, wo Heine seit 1830 lebte, weitgehend abwichen. Da eine fundierte, d. h. in der genauen Kenntnis der französischen Kulturkontexte begründete Erarbeitung der intellektuellen Paradigmen der französischen Medizin um 1800 meine germanistische Kompetenz überschreitet, ent- schied ich mich, die vorliegenden Analysen auf den deutschen Kontext zu beschränken. Diesem Entschluss verdankt sich die Einengung meines Arbeitsfeldes auf die in Deutsch- land 1826-31 entstandene Prosa Heines, die der Autor im Rahmen des Zyklus Reise- bilder publiziert, in dem verschiedene Artikulationsformen und Textsorten zusammen- gebracht werden. Darunter sind solche Texte vertreten, die sich – wie Harzreise oder die Reise von München nach Genua - der Reisebeschreibung nähern, solche, die wie Die Bäder von Lucca in der Nähe zur Erzählprosa zu verorten sind, und solche, die sich wie Die Nordsee, der politisch-soziologischen Publizistik zuordnen lassen. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf drei Reisebilder: die 1826 publizierte Harzreise, die 1827 veröffentlichten Ideen. Das Buch Le Grand und Die Bäder von Lucca (1828). Die Entscheidung für die einschlägigen Texte des Autors wurde durch ihre Repräsentativität motiviert. Im Zusammenhang des ersten Textes werden Heines Beziehungen zur Medizin in Göttingen rekonstruiert und seine – in der bisherigen Forschung unbeachtet gebliebene – mit literarischen Mitteln vollzogene Abwendung vom anatomischen Diskurs nachgezeichnet. Die analytisch gewonnene Einsicht in Heines Ablehnung eines der heilkundlich relevanten Modelle der Erkenntnis-

58 Vgl. Pierre Bourdieu: Klassenstellung und Klassenlage. In: Ders.: Zur Soziologie der symbo- lischen Formen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1983, 60 f. 1.3 Zum Textkorpus 25 gewinnung ließ mich die Frage nach den Prämissen und ästhetischen Konsequenzen dieser Entscheidung stellen, die ich durch Rekurs auf die idealistische Kunsttheorie zu beantworten suchte. Anhand von Ideen. Das Buch Le Grand kann belegt werden, dass die von Heine entlang den Ansprüchen der zeitgenössischen Kunsttheorien ent- wickelten poetischen Reflexionsmodi des Körpers als einer Struktur seines Werks zu kategorisieren sind, die es mit dem durch die antike Mythologie und Bibel fundierten Kulturkanon verknüpft. Die im biographischen Kontext von Heines Münchner Aufent- halt (1827/1828) vorgenommene Analyse der Bäder von Lucca lässt die Konsequenzen der Begegnung des Schriftstellers mit den naturwissenschaftlichen Mustern erkennen, die die Medizin der Romantik fundieren. In Bezug auf die Integration der medizini- schen Denkmuster in den literarischen Text markieren Die Bäder von Lucca einen intellektuellen Standpunkt, über den Heine in seinen während des Aufenthalts in Deutschland entstandenen Texten nicht mehr hinausgegangen ist. Die Auseinandersetzung mit den frühen Werken Heines erfordert die Berücksich- tigung der Spezifik von Texten, mit denen sich ihr Verfasser an das zwischen 1750- -1850 florierende Genre der Reiseprosa anschloss. Deren Hochkonjunktur bildete eine literarische Antwort auf die gestiegene Mobilität der Epoche und die fortschrei- tende touristische Erschließung verschiedenster Regionen, denen mit dichterischen Vermessungen der Landschaft, die Authentisches und Fiktionales miteinander ver- banden, entsprochen wurde. Laut Friedrich Sengle ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die „Reisebeschreibung so selbstverständlich wie heute das Photogra- phieren und Filmen. Man kann sich nach der Reise nicht in Gesellschaft sehen lassen, ohne irgendwelche Reisenotizen vorzulesen.“59 Mit seiner Reiseprosa, die ihm den erhofften Durchbruch brachte, stellte sich Heine in eine lange Tradition der literarischen Reisebeschreibung, deren Konventionen er u. a. durch die Problematisierung aktueller politischer Themen durchbrach, um eigene Maßstäbe zu setzen, was für die Leser und Kritiker seiner Zeit genauso faszinierend wie verstörend war.60 Als verstörend oder zumindest irreführend kann bereits der Titel dieser Burchreihe eingestuft werden, dessen Befragung sich gleichzeitig hilfreich bei der Bestimmung der Eigenart dieser Epik erweist. Laut Karol Sauerland kann der Begriff „Reiseberichte“ auf Heines Texte kaum angewandt werden. Als „Reiseberichte“ könnten sie schon darum nicht gelten, „weil in ihnen das wichtigste Strukturelement dieser Gattung, die Reise, eine zu nebensächliche Rolle spielt“61. Mit dem Phänomen „Reise“ verbindet sich diese Prosa laut Wolfgang Preisendanz vor allem durch das Prinzip der Bewegung,

59 Sengle: Biedermeier, Bd.2, 239. 60 Vgl. Sikander Singh: Spiegelbilder. Zur Neukommentierung der „Reisebilder“ 1824-1828. In: Joseph A. Kruse (Hg.): Heine-Jahrbuch 2007, Stuttgart: Metzler, 2007, 148-157, hier: 148 f. Das Heine-Jahrbuch wird im Folgendem mit der Sigle HJb zitiert. 61 Karol Sauerland: Heinrich Heines Reisebilder – ein besonderes literarisches Genre? In: Heinrich Heine. Streitbarer Humanist und volksverbundener Dichter. Internationale wissen- schaftliche Konferenz, Weimar: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur, 1972, hrsg. v. Karl W. Becker; Helmut Brandt u. a., 145-158, hier: 145. 26 1 Einleitung das sich im steten Wechsel heterogener Sujets und subjektiver Beschreibungsmodi (Beobachtung, Analyse, Imagination, Reminiszenz, Traum, Stimmung, Affekt, Medi- tation, Reflexion, Dialog, Lektüre) artikuliert.62 Heine belegt sein literarisches Können als ausgezeichneter Kenner der Gattung „Reisebeschreibung“, er bedient sich der Mittel des sachlichen Berichts und des Hin- weises auf fachliche Autoritäten, aber zugleich subversiviert er die Regeln des Genres, indem er den Angaben ihren informativen Gehalt nimmt und sie im Dienste sei es politischer sei es gesellschaftskritischer Anspielung funktionalisiert.63 Dieses ideologische Merkmal ist laut dem in Gerhards Höhns Heine-Handbuch fixierten Forschungskonsens ausschlaggebend für die ideologische Funktion von Heines Prosa.64 Laut Höhn ist es der politische Kampf gegen die Restaurationspolitik und ihre Zensur, der die ideologische Grundlage der Buchreihe ausmacht und der weitgehend auch ihre ästhetischen Strategien determiniert. In der Politisierung der Reisebeschreibung durch die Bloßstellung der Missstände im vormärzlichen Deutsch- land wird die Differenzqualität der Texte Heines gegenüber früheren Reisebeschreibungen erkannt. Mit ihr wies Heine jenen literarischen Weg, dem auch andere deutsche Reise- schriftsteller wie Heinrich Laube (1806-1884), Theodor Mundt (1808-1861) und Ludolf Wienbarg (1802-1872) folgten.65 Die einschlägige Gattungswahl scheint nicht zufällig. Im genologischen System der Restaurationszeit ist die Reiseprosa zwar eine niedrige, dennoch zugleich auch eine außerordentlich populäre Gattung, zu deren Hauptmerkmalen eine hochgradige formale Flexibilität gehört. Sie benötigt nämlich „keinen konstruierten Aufbau, keine zielbewusste Handlungsführung und (...) keine Katastrophe. Sie kann wenig Zusammenhang haben, »fragmentarisch« sein; aber sie entwertet keinen Teil um des Ganzen, um der Spannung willen. Die Handlungs- neugier ersetzt sie durch das geschickt erregte und wachgehaltene Interesse am immer neuen, fremden Gegenstand (...). Die punktuelle Intensität ist bei dieser Gattung wichtiger als die Durchführung des Werks (...).“66 Die Reflexion über die Kennzeichen der Gattung erlaubt, die relevantesten formalen Merkmale der Reisebilder anzusprechen, die auch ihre Körperkonstruktionen weit- gehend steuern. Es ist vor allem das von Preisendanz genannte gattungskonforme Moment der „punktuellen Intensität“, dem im poetischen System der heineschen Prosa

62 Vgl. Wolfgang Preisendanz: Heinrich Heine, Stuttgart: Metzler, 1995, 17. Aufgrund ihrer formalen und inhaltlichen Kennzeichen sprechen manche Forscher von der „Reiseessayis- tik“ Heines. Vgl. Gerhard Wagner: Heines Modernität. Aspekte seiner Positionierung in der ästhetischen Kultur des 19. Jahrhunderts. In: Wolfgang Beutin, Thomas Bütow, Johann Dvorák, Ludwig Foscher (Hg.): „Die Emanzipation des Volkes war die große Aufgabe unseres Lebens“. Beiträge zur Heinrich-Heine-Forschung anläßlich seines zweihundertsten Geburtstags 1997, Hamburg: Bockel Verlag, 2000, 287-299, hier 298. 63 Vgl. Sauerland: Heinrich Heines Reisebilder, 151 f. 64 Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 185. 65 Vgl. Ralf Schnell: Heinrich Heine, Hamburg: Junius, 1996, 87. 66 Sengle: Biedermeier, Bd. 2, 242. 1.3 Zum Textkorpus 27 eine besondere Signifikanz zukommt. Neben der ästhetischen Qualität der Aufwer- tung des (auch sprachlichen) Details wurde es von Heine zum Transport subversiver politischer Botschaften umfunktionalisiert: In den von restriktiven Zensurmechanismen bestimmten Kommunikationsverhältnissen zwischen Autor und Publikum, die im Restaurationsdeutschland herrschten, durften tiefgründige systematische Analysen prekärer Fragestellungen die Schwelle des öffentlichen Literatursystems nicht über- treten. Die subversive Leistung eines literarischen Textes bestand bereits darin, kritik- würdige Erscheinungen zumindest durch ihre punktuelle Benennung im öffentlichen Raum überhaupt erst präsent werden zu lassen. Heine war eingestandenermaßen davon überzeugt, dass es im öffentlichen Sprechen darauf ankomme, dass man „es“ – wenn auch nur beiläufig, in (witzigen) Anspielungen oder Bildern – „überhaupt ausspricht“ (DHA 6; 127). Mit seinem politischen Verständnis des Schreibens verband Heine auch ein Konzept von Kreativität, das eine Absage an die Genieästhetik leistete. Eine creatio ex nihilo schloss die Logik der heineschen Dichtung aus, denn – so der Autor in den Schöpfungsliedern – „kein Gott erschaff [e] die Welt aus dem Nichts, so wenig, wie irdische Sänger“ (DHA 5; 14). Erzählen heißt für Heine folglich nicht „erfinden“, sondern diverse Informationspartikeln kunstvoll in Verbindung setzen. Damit entwirft er ein poetologisches Konzept, dessen wesentlichste Komponente die Intertextualität ausmacht. Im Rahmen einer Arbeit, die sich mit Spuren des zeitgenössischen Medizin- diskurses im Werk des Schriftstellers beschäftigt, ist die Aussage, in der der Autor sein Schreiben als ästhetisches Arrangement eines heterogenen Materials definiert, von besonderer Bedeutung. Bedeutsam erscheint auch die poetologische Metaphorik, welche der Autor im Zusammenhang dieses Konzepts verwendet. Sie erscheint zum ersten Mal in dem am 11. Januar 1825 an den Freund Moses Moser gerichteten Brief, in dem Heine seine Harzreise als ein „im Grunde zusammengewürfeltes Lappen- werk“ (HSA 20; 184)67 bezeichnet und künftige Texte nach demselben „schneidern- den“ Produktionsverfahren zu gestalten verspricht. Diese von Heine verwendete textile, d. h. den Text im etymologischen Sinne von „Gewebe“ bzw. „Stoff“ reflektierende, Metaphorik weist aufschlussreiche Affinitäten zu jenem Kostüm auf, das eine der wichtigsten Figuren heineschen Œuvres, die Narren- gestalt verhüllt. Das „Lappenwerkhafte“ des Sprachgewands steht zudem in assozia-

67 Bei der Erschließung von Heines Briefwechsel bezog ich mich vornehmlich auf die sog. „Heine-Säkularausgabe“, d. h. auf die historisch-kritische Edition der Werke und Briefe des Schriftstellers, die von den „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassi- schen deutschen Literatur“ in Weimar (heute „Klassik Stiftung Weimar“) und dem „Centre national de la recherche scientifique“ (CNRS) in Paris seit 1970 herausgegeben wird, in welcher der Briefwechsel Bände 20-27 umfasst. Gegenüber der vorherigen Briefausgabe von Friedrich Hirth weist diese zwei Vorteile auf. Nicht nur enthält sie neben den Briefen von auch die Briefe an Heine, sie fällt darüber hinaus in ihren Kommentaren neutraler aus. Im Folgenden wird die Ausgabe (d. h. Heinrich Heine: Säkularausgabe. Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse, hrsg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar und dem Centre national de la recherche scientifique in Paris, Berlin (u. a.): Akademie-Verlag, 1970 ff., unter der Sigle HSA und unter Angabe von Band und Seitenzahl im laufenden Text dieser Arbeit zitiert. 28 1 Einleitung tiver Nähe zur scheinbar wirren Rede des Narren, mit dessen komischen Posten Heine seine schriftstellerische Tätigkeit wiederholt identifizierte. (Vgl. DHA 7/1; 131) Im Zusammenhang einer Arbeit, die nach den Elementen eines Fachdiskurses in Heines Texten fragt, erscheint es hilfreich, Heines Briefe an Moses Moser und Karl August Varnhagen zu betrachten, in denen der Autor diese engen Freunde bittet, ihm die entsprechenden Stoffe und Informationen zur Verfügung zu stellen: „Ich kann da alles brauchen“ eröffnet der Dichter. „Ich kann alles einweben, was ich will“ fügt er hinzu (HSA 20; 167). Im Brief an Varnhagen erklärt sich Heine auch gerne bereit, fertige Textsegmente in sein poetisches Werk zu übernehmen. Er schreibt: „Möchten Sie eine bestimmte Sache angesprochen zu [sic] sehen oder irgend einen unserer Intimen gegeißelt zu sehen (...) schreiben Sie selber in meinem Stil die »Lappen«, die ich in meinem Buche einflicken soll, und Sie können sich auf meine heiligste Discrezion verlassen.“ (HSA 20; 169) Im gegebenen Rahmen ist es von Interesse, dass Heine, dessen Texten eine entschiedene Neigung zum Enzyklopädischen attestiert wird, sich – zumindest während des Aufent- haltes in Lüneburg (1826), bei dem er seine geistige Isolation besonders schmerzlich empfindet – bereit erklärt, im Rahmen der „Lappentechnik“ Elemente wissenschaft- licher Diskurse in seine Texte einfließen zu lassen, die sich nicht seiner eigenen Lektüre verdanken. In dem am 14. 10. 1826 an Moses Moser gerichteten Brief, dem er den Plan des zweiten Bandes der Reisebilder anvertraut, fragt Heine: „Willst Du mir nicht einige neue Ideen dazu schenken? Ich kann da Alles brau- chen. Fragmentarische Aussprüche über Zustand der Wissenschaften in Berlin oder Deutschland oder Europa – wer könnte die leichter skizzieren als Du? Und wer besser verweben als ich? Hegel, Sanskrit, Dr. Ganz, Symbolik, Geschichte, – welche reichen Themata. Du wirst es nicht bequemer bekommen; ich seh voraus, Du wirst nie ein ganzes Buch schreiben und keins, was die ganze Welt liest. Es ist nicht so sehr die Lust, mich mit Deinen Federn zu putzen, sondern mehr der liebe- volle Zug, Dich geistig in mein geistiges Wesen aufzunehmen. (...) Und meine Diskrezion verbürge Dir mein Ehrenwort.“ (HSA 20; 276) Die zitierte Briefpassage, in der Heine seinem engen Freund anbietet, dessen Aus- führungen zu den wissenschaftlich brisanten Themen der Zeit in seine literarischen Texte zu integrieren, ohne sie als fremde Äußerungen kenntlich zu machen, demon- striert die interpretatorische Herausforderung, vor der die heutigen Leser Heines stehen. Die zitierten Äußerungen belegen, dass ein Rückgriff auf die Auskünfte der in Bezug auf die Erfassung von Heines Lektüren zuverlässigen Chronik seines Lebens und Wirkens von Fritz Mende nicht immer ausreichend erscheint.68 Wollen die Forscher die Partikel der untergangenen Diskurse zunächst als solche erkennen, können sie

68 Vgl. Fritz Mende: Heinrich Heine. Chronik seines Lebens und Wirkens, Berlin: Akademie- Verlag, 1970. 1.3 Zum Textkorpus 29 ihre Suchbewegungen kaum nur entlang der verbürgten Lektüren des Autors ausrichten, denn (würde man seiner oben zitierten brieflichen Äußerung glauben) dieser wusste in seinen Schriften nicht nur seine eigenen, sondern auch die Leseergebnisse seiner literarisch weniger begabten Freunde unterzubringen. Da Heine in den einschlägigen Fällen weder entsprechende Anmerkungen verwendet noch etwaige Notizen hinter- lassen hat, kann die intertextuelle Schreibpraxis, mit der er seine belesenen Freunde „geistig in sein geistiges Wesen aufnahm“, unter Rekurs auf den von ihm vergeschla- genen Begriff in der Tat als „diskret“ definiert werden, d. h. als eine Schreibpraxis, die ihre Quellen vorsichtig verschweigt. Die von Heine im Zusammenhang der Einbindung fremder Aussagen in seine Texte eingeklagte Technik des „Lappenwerks“, d. h. das ästhetische Gestaltungs- prinzip des Arrangements von fremden, heterogenen Textelementen wird in der For- schung als innovative „montageartige Schreibstrategie“69 apostrophiert und als einer der Belege für die Modernität der poetischen Verfahren des Autors angeführt.70 Beim Nachdenken über die vom Dichter verwendete Metapher des Lappenwerks ist mir aufgefallen, dass diese poetologische Bestimmung nicht unbedingt als ein Vorgriff auf den damals unbekannten Begriff der „Montage“, sondern ebenso gut als ein Rückgriff auf den literaturgeschichtlich verbürgten Begriff „Cento“ interpretiert werden könnte. Mit diesem Ausdruck, der auf die griechische Bezeichnung kentron zurückgeht, die eine bunte aus verschiedenen Flicken zusammengesetzte Decke bezeich- nete, benannte die lateinische Literatur ein zitierendes Verfahren der Textgestaltung, bei der Segmente eines oder mehrerer anderer Texte aufgenommen und neu kombiniert werden, sodass sie einen neuen Sinnzusammenhang ergeben. Der Name „Cento“ sugge- riert das Bild einer Decke, die einzelnen Flicken zu einem neuen Ganzen vereinigt, ohne dass die „Nahtstellen“ eigens markiert werden. Eins der Hauptmerkmale des Cento besteht darin, dass es ausschließlich aus fremdem Material besteht. Das inter- textuelle Cento-Verfahren kann als eine Form der Kontrafaktur definiert werden, die das Kommunikationspotential der Vorlage für die eigene Botschaft ausnutzt. Cento kann auch als eine Schreibweise der Parodie beschrieben werden, die den ihr zugrunde- liegenden prätextuellen Textkorpus in komischer Form nachahmt. In den als grundlegende Strategien des Cento erkannten Techniken des „Zitierens“, der „Kontrafaktur“ und der „Parodie“ liegen genau jene Verfahren vor, die nach dem allgemeinen Forschungskonsens auch Heines Poetik kennzeichnen. Signifikanterweise war das Cento bis ca. 1770 eine der gebräuchlichen Schreibweisen in der europäischen Literatur, ist allerdings nach dieser Zeit schon des hohen künstlerischen Aufwands und des angeblich unkreativen Charakters in Vergessenheit geraten.71 Mit einem Rückblick auf diese um 1800 vergessene Schreibweise kann Heines Konzept des

69 Vgl. Schnell: Heinrich Heine, 86. 70 Vgl. ebd. 71 Bei der Cento-Definition folgte ich dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hrsg. v. Klaus Weimar, Harald Fricke, Klaus Grubmüller, Jan Dirk-Müller, Berlin: Walter de Gruyter Verlag, 1997, Bd. 1, 293 f. 30 1 Einleitung

„Lappenwerks“, das von der Forschung als ein innovativer Entwurf des modernen Schriftstellers eingestuft wird, durchaus als verfremdende Re-Aktualisierung eines in den 1820er Jahren aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwundenen kulturellen Wissens begriffen werden. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint die Metapher des „Lappen- werks“ besonders aufschlussreich, weil sie prägnant veranschaulicht, worauf die Suche nach Spuren eines wissenschaftlichen Diskurses in Heines Texten hinauswill. Mit seinem metaphorischem Understatement definiert Heine seine Werke als Texte, die aus heterogenen Partikeln zusammengefügt werden. Das in den intellektuell und ästhe- tisch komplexen Texten dieses Autors realisierte Prinzip der punktuellen Intensität konfrontiert die Leser oft mit nur winzigen Partikeln außerliterarischer Diskurse. Die Aufgabe der Interpreten besteht darin, jene parzellierten Informationen („die Lappen“) in die größeren Zusammenhänge ihrer zu rekonstruierenden Herkunftskontexte ein- zufügen. In all diesen Texten bildet die Problematik der Körperlichkeit einen wichtigen Fluchtpunkt der literarischen Argumentation, wobei sie um die grundlegende Oppo- sition Spiritualismus-Sensualismus (vgl. 1. 4) zentriert bleibt. Wie bereits erörtert, möchte die vorliegende Arbeit auf jene in der Heine-Forschung hinreichend unter- suchte Konstellation nicht eingehen. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, nur jene Texte zu analysieren, in denen der medizinische Diskurs der Zeit themati- siert wird. Besonders aufschlussreich in der Hinsicht erschienen: Harzreise, Ideen. Das Buch Le Grand, Die Bäder von Lucca.

1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit

Je nach der definitorischen Abgrenzung des Themas „Körper“ ließen sich die Unter- suchungen zur Körperproblematik in den Texten Heines in drei Gruppen gliedern. Den ersten Bereich bilden die bereits erwähnten Beiträge, die sich der sensualisti- schen Aufwertung der Körperlichkeit als Konstante von Heines Gesamtwerk nähern. Dabei wird entweder auf strukturbildende Bedeutung der Dichotomien „Sensuali- smus“ vs. „Spiritualismus“ bzw. „Hellenentum“ vs. „Nazarenentum“ im Werk des Autors verwiesen oder aber die Relevanz von Heines Pantheismus unterstrichen. Die Darstellung dieser Debatten erfordert eine Erläuterung der grundlegenden Begriffe „Sensualismus“ und „Spiritualismus“, die von Heine und den jungen Intel- lektuellen des 19. Jh.s spezifisch semantisiert wurden. Da meine Arbeit die einschlägi- gen Phänomene nur am Rande berührt, verzichte ich auf differenzierte Erörterungen und beschränke mich auf eine prägnante Definition, die von Heine stammt, der erklärt, mit jenem Begriffspaar wolle er „beide antagonistische Denkweisen“ bezeichnen, „wovon die eine den Geist dadurch verherrlichen will, daß sie die Materie zu zerstö- ren strebt, während die andere die natürlichen Rechte der Materie gegen die Usurpa- tionen des Geistes zu vindiziren sucht“. (DHA 12; 117) Mit dieser in den 30er Jahren des 19. Jh.s populär gewordenen Definition beschreibt Heine den Spiritualismus als 1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit 31 das rein geistige, sinnenfeindliche Prinzip, während er den Sensualismus als das „weltliche“, sinnenfreudige Prinzip identifiziert. 72 Als wegweisend für die Studien zur Präsenz von Sensualismus und Spiritualismus in Heines Werk, die sich im übrigen einer Anregung von Wolfgang Preisendanz ver- danken, hat die bahnbrechende Monographie Dolf Sternbergers (1907-1989) Heine und die Abschaffung der Sünde aus dem Jahre 1972 zu gelten.73 Mit diesem Buch, das sich vorerst als eine Stellungnahme zur Heine-Rezeption der Jahre um 1968 ver- stand und der ideologisch motivierten Profilierung des Autors zum treuen Hegel- Schüler und prototypischen engagierten Schriftsteller entgegentrat, wies Sternberger auf Zusammenhänge zwischen dem politischen Denken des Schriftstellers und der sensualistischen Utopie des Saint-Simonismus nach.74 Dabei legte Sternberger dar, auf welche Weise die saint-simonistische Doktrin von ihren Anhängern zur „modernen Heilsbotschaft“75 stilisiert wurde, die im Unterschied zur Botschaft Christi eine reale neue Gesellschaftsordnung einzuführen versuchte, in der die Selbsterlösung des Menschen durch die Heiligung der Materie und des Leibes die Richtwerte bilden sollten. Die Ergebnisse der vielzitierten Monographie vervollständigte 2001 Olaf Hildebrand in Emanzipation und Versöhnung. Aspekte des Sensualismus im Werk Heinrich Heines unter besonderer Berücksichtigung der „Reisebilder“ (vgl. Anm. 1 der vorliegenden Arbeit), indem er Sternbergers These, Heines Affinität zum Sensua- lismus datiere erst seit den Pariser Jahren, durch detaillierte Analysen der frühen Prosa des Schriftstellers überzeugend widerlegte. Die Kontinuität der sensualistischen Haltung im Œuevre des Schriftstellers bestätigte Robert Steegers im Rahmen seiner Monographie zum Vitzliputzli-Gedicht (Romanzero 1951). Ihr Innovationspotential liegt darin, dass sie mit dem Mythos der Wandlung Heines „vom sinnenfrohen Hellenen zum Schmerzensmann in der Matratzengruft“76 bricht, indem sie die Präsenz des Sensua- lismus im Werk Heines über die Zäsur der Märzrevolution und über den körperlichen Zusammenbruch des Dichters hinaus bestätigt. Heines Polemiken gegen die religiöse und soziale Tabuisierung von Sexualität nähern sich auch solche wissenschaftliche Arbeiten, die die Präsenz jener Thematik in seinem Werk vordergründig mit der Affinität des Schriftstellers zur intellektuellen und literarischen Tradition des Pantheismus in Zusammenhang stellen. Dieser Teil der Forschung, der wichtige Anstöße von den Arbeiten von Albrecht Betz erhielt,77

72 Eine konzise Erklärung der Begrifflichkeiten im Sinne Heines liefert: Historisches Wörter- buch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Darmstadt: Wissen- schaftliche Buchgesellschaft, 1995, Bd. 9, 615. f. 73 Dolf Sternberger: Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, Hamburg, Düsseldorf: Claassen, 1972. 74 Dieser These widersprechen u. a. die Herausgeber der Düsseldorfer Heine Ausgabe (vgl. DHA 12/2, 515 u. 519, DHA 8/2, 531 f.) 75 Dolf Sternberger: Heinrich Heine und die Abschaffung der Sünde, 34. 76 Robert Steegers: Heinrich Heines „Vitzliputzli“. Sensualismus, Heilsgeschichte, Intertextua- lität, Stuttgart, Weimar: Metzler, 2006, 22. 77 Analog zu den Herausgebern der Düsseldorfer Heine-Ausgabe widerspricht Albrecht Betz der These Sternbergers, der Saint-Simonismus sei entscheidend für die Aufwertung der Körper- 32 1 Einleitung vertreten u. a. die Dissertation Ralph Martins Die Wiederkehr der Götter Griechen- lands. Zur Entstehung des »Hellenismus«-Gedankens bei Heinrich Heine (1999) und die Arbeit Kai Neubauers Heinrich Heines heroische Leidenschaften. Anthropologie und Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach (2001),78 deren besondere Leistung darin besteht, dass sie die Relevanz der philosophischen Texte der italienischen Renaissance für Heines Textwelt herausarbeiten. Den zweiten Strang der Forschung bilden Untersuchungen, die sich auf diverse motivische Ausprägungen des Körperthemas in Heines Werk konzentrieren. Diesem Bereich wären die Beiträge über Körpermotivik, bzw. kulinarische Metaphorik in seinen Texten zuzurechnen.79 Der dritte Forschungsstrang umfasst medizinhistorisch orientierte Arbeiten, die aufgrund der Analyse von biographischen Dokumenten und/oder als autobiographi- sche Quellen gelesenen literarischen Texten und Briefen Heines Aufschluss über sein geheimnisvolles schleichendes Leiden suchen, das ihn in den letzten sechs Jahren seines Lebens ans Bett fesselte und zum Tode führte. Einen Eindruck von der Fülle der einschlägigen Studien vermittelt die Meinung des Germanisten und Medizin- historikers Christoph auf der Horst, der in seinem die Geschichte der über 150 Jahre betriebenen Forschungen penibel systematisierenden Beitrag 2004 erklärt: „Es gibt nur wenig prominente Patienten der Geschichte, deren Diagnose so sehr das Experten- wissen der Pathografen und die Gemüter der Laien herausgefordert hat.“80

lichkeit im Werk Heines gewesen. Vielmehr sieht der Forscher die Grundlagen der heineschen Haltung in der Affinität des Schriftstellers zu Texten Goethes und der Gedankenwelt Spino- zas. Betz schreibt: „Goethe und Heine gemeinsam ist ein erotisierter Pantheismus, für den Spinoza eine wichtige Wurzel bildet. Beide streben, im Rekurs auf die Antike, jene Leibfe- indlichkeit zu überwinden, die sie für die pathologische Erbsubstanz des spiritualisierten Christentums halten; sie wollen das Ensemble von Triebfeindschaft und Sündenbewußtsein verabschieden und eine vitale Harmonie von Körper und Geist wiedergewinnen. Die Anti- ke gilt ihnen deshalb als Vorbild, weil in ihr – wie Goethe im Winckelmann-Essay schreibt – noch jene kaum heilbare Trennung in der gesunden Menschenkraft nicht vorgegangen war.” Albrecht Betz, Ästhetik und Politik – Heinrich Heines Prosa, München 1971, 22. Vgl. auch Albrecht Betz: Befreiung der Sinne. Über Goethe und Heine als Anti-Asketen. In: Zeitschrift der Germanisten Rumäniens, 8. Jg./ 1999, 28-32. 78 Kai Neubauer: Heinrich Heines heroische Leidenschaften. Anthropologie der Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach, Stuttgart, Weimar: Metzler, 2001. 79 Bernd Wezel: Das Motiv des Essens und seine Bedeutung für das Werk Heinrich Heines, München: (Diss. Masch.), 1972. Cordula Hupfer: „Und Zuckererbsen nicht minder.“ Die kulinarische Metaphorik im Gesamtwerk Heinrich Heines, Düsseldorf: Grupello, 2005. Clau- dia Albert: Auf der Schwelle Heines Poetik des Essens und am Ende der Kunstperiode. In: Kultur – Literatur – Sprache. Festschrift für Herrn Prof. Lech Kolago zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Katarzyna Grzywka, Joanna Godlewicz-Adamiec, Małgorzata Grabowska, Małgo- rzata Kosacka, Robert Malecki, Warszawa: Zakład Graficzny UW, 2007, 230-240. 80 Christoph auf der Horst: Die Historizität der Diagnosestellung am Beispiel der Syphilis- Diagnosen Heinrich Heines. In: Alfons Labisch, Norbert Paul, Ulrich Koppitz (Hg.): Histori- zität, Erfahrung und Handeln. Geschichte und Medizin, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2004, 121-153, hier: 144. 1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit 33

Ohne auf die Einzelheiten der umfassenden fachlichen Debatte einzugehen, möchte ich unter Hinweis auf die bedeutendsten Arbeiten der letzten Jahre vier repräsentative Standpunkte benennen. Die aktuelle Diskussion wurde motiviert von dem Anliegen, die bekannte, dennoch nie hinreichend bestätigte These von der Syphiliskrankheit Heines zu hinterfragen. Einen Eckpunkt der Diskussion markiert die Monographie von Henner Montanus,81 der eine sorgfältige heilkundliche Analyse der biographischen Dokumente und der als autobiographische Quellen zu lesenden literarischen Texte und Briefe des Autors sowie eine Revision der vorhandenen zeitgenössisch und der retrospektiv vorgenommenen medizinischen Diagnosen durchführte. Das Ergebnis der Arbeit bildet eine In-Frage-Stellung der These von Heines syphilitischer Erkrankung. Nach einer Erwägung von sechs in Frage kommenden Differentialdiagnosen stellt der Mediziner Montanus kategorisch fest, dass die Symptomatik „ohne Einschränkung“ auf eine unspezifisch verlaufende tuberkulöse Infektion schliessen lässt.82 Zwar wurde jener Befund bereits in der Rezension der Arbeit mit Hinweis auf eine selektive Quellen- analyse durch Montanus kritisiert,83 Beweise gegen die Lues-Erkrankung lieferten aber die vor kurzem durchgeführten gerichtsmedizinischen Untersuchungen an den vom Düsseldorfer Heine-Institut zur Verfügung gestellten Haarproben des Schriftstellers. Die Haaruntersuchungen, bei denen keine (auf eine Syphilisbehandlung hinweisenden) Quecksilberspuren nachgewiesen wurden, belegten eine hochgradige Bleivergiftung. Auf diese lassen sich laut dem Urteil der Forscher alle bei Heine auftretenden Symptome widerspruchsfrei zurückführen. Im Fazit ihres Beitrags stellen die Mediziner daher fest, das die Ergebnisse der chemischen Analysen und der Anamnese – jedes für sich und insbesondere in ihrer Kombination – eindeutig dafür sprechen, dass Heinrich Heine an einer schweren chronischen Bleivergiftung gelitten hat.84 2006 wurde die (vorläufig) letzte historische Diagnose gestellt. Der Befund, der sich zunächst als eine formale Stellungnahme des Arztes in der Debatte über Snows „zwei Kulturen“ darstellt, erklärt Heines Krankheit folgendermaßen: „Die Analyse der verfügbaren Briefe und anderen schriftlichen Quellen bestätigt nachdrücklich die alte Diagnose einer Neurosyphilis in Form der chronischen Meningitis mit kranialer Polyneuritis und ausgedehnter Polyradikulitis, der früher so genannten Lues cerebrospinalis. Der sich über 25 Jahre erstreckende chronisch rezidivierende Verlauf mit multiplen schweren Hirnnervenlähmungen, dramati- schen radikulären Neuralgien und radikulären Paresen sowie inkomplettem zervi-

81 Henner Montanus: Der kranke Heine, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1995. 82 Ebd., 494 f. 83 Vgl. Christoph auf der Horst und Alfons Labisch: Rezensionsessay zu Henner Montanus. In: HJb 1996, 245-251. Die Syphilis-These befürworten die Autoren auch in ihren weiteren Arbeiten. Vgl. Christoph auf der Horst u. Alfons Labisch: Heinrich Heine und der Verdacht einer Bleivergiftung. In: H. Ehlert et. all (Hg.): Die Jahre kommen und vergehen. 10 Jahre Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf: Grupello, 1998, 100-105. Diess.: Heinrich Heine, der Verdacht einer Bleivergiftung und Heines Opium-Abusus. In: HJb 1999, 105-131. 84 Für eine detaillierte Darstellung der Methodik und Befunde vgl. H. Kijewski, W. Hucken- beck, U. Reus: Krankheit und Tod des Dichters Heinrich Heine aus der Sicht neuer spuren- kundlicher Untersuchungen an Haaren. In: Rechtsmedizin 10/ 2000, 207-211. 34 1 Einleitung

kothorakalen Querschnittssyndrom und finalen Hustenattacken und Brechanfällen bei Fehlen von Hirn- und Hirnstammsymptomen lässt kaum eine andere Diagnose zu. (...) Die Gesamtheit der klinischen Symptomatik und der Krankheitsverlauf seien mit einer Bleipolyneuropathie oder gar einer Bleienzephalopathie unverein- bar. Ebenso ließen sich eine multiple Sklerose oder eine amyotrophe Lateralsklerose als Ursache seiner neurologischen Symptome und seines Sterbens weitgehend ausschließen. Die schweren über Jahre undulierenden peripheren Hirnnerven- lähmungen ohne Hinweis auf Hirnstammschädigung kämen bei multipler Sklerose ebenso wenig vor wie die schweren radikulären neuralgischen Schmerzanfälle fast des ganzen Körpers und die eindeutig peripher-neurogenen Lähmungen in Armen und Beinen.“85 Im Rahmen der Recherchen für die vorliegende Arbeit war die medizinhistorische Diskussion über die Krankheit des Autors nicht wegen der darin formulierten diagno- stischen Erklärungen hilfreich. Fruchtbar für die Suche nach den Spuren des zeit- genössischen medizinischen Diskurses in Heines Texten erwies sich vor allem die in der genannten Kontroverse geleistete systematische medizinhistorische Auswertung der Texte und Briefe des Autors und seiner Umgebung, die wichtige Aufschlüsse über die Präsenz der damaligen Heilkunde im Alltag des Schriftstellers erlaubt.86 Jene medizinhistorischen Studien machen begreiflich, welche Bedeutung für den Autor und seine Zeitgenossen die Verdachtsdiagnose einer Lueserkrankung hatte und in welchem Maße der Befund die Rezeption von Heines Texten beeinflusste. Aus der heutigen, durch die von der 68er Generation eingeleitete Enttabuisierung des Sexuellen geprägten, Sicht erscheint es vielleicht nicht ganz einfach, die Bedeutsamkeit eines Syphilisbefundes im 19. Jh. nachzuvollziehen, zumal die Krankheit seit ihrer Heil- barkeit durch Penizillin im Jahre 1943 weitgehend an ihrer stigmatisierenden Bedeu- tung verloren hat.87 Anja Schonlau, die sich in ihrer Arbeit mit historischen Deutungs- mustern der Krankheit beschäftigt, vergegenwärtigt den Schrecken, der von ihr einst ausging, durch den Vergleich mit der Immunschwäche Aids, die nach Meinung der Forscherin in unserem Bewusstsein heutzutage das „kulturelle Erbe“ der Syphilis angetreten hat.88 Sie macht begreiflich, dass ein Syphilisbefund nicht nur aufgrund von Schmerz und existenzieller Bedrohung eine seelische Belastung für den Patienten

85 So die Diagnose von Roland Schiffer zit. nach Klinkhammer, Gisela: Heinrich Heine: „Sie küßte mich krank“. In: Deutsches Ärzteblatt, 4. Ausgabe 2005, 174. Schiffers Verdienst ist allerdings auch darin zu sehen, dass er die Grenzen seiner eigenen wissenschaftlichen Kultur überschreitet, indem er eine allgemeinverständliche Fassung seines Beundes, in der er sich gegen die These der Bleivergiftung und für eine Syphilis-Erkrankung ausspricht, liefert. Vgl. Roland Schiffer: „sie küsste mich lahm, sie küsste mich krank”: Vom Leiden und Sterben des Heinrich Heine, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006, 75-84. 86 Von besonderem Interesse erscheinen in der Hinsicht die bereits zitierten Arbeiten von Montanus und Christoph auf der Horst. Vgl. Montanus: Der kranke Heine und auf der Horst: Die Historizität der Diagnosestellung, hier: bes. 150. 87 Anja Schonlau: Syphilis in der Literatur. Über Ästhetik, Moral, Genie und Medizin (1880- 2000), Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, 12. 88 Ebd. 1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit 35 bedeutete. Aufgrund ihrer vornehmlich sexuellen Übertragungsform, die mit einem außerehelichen Sexualleben in Verbindung gebracht wurde, war eine luetische Er- krankung gewissermassen ein Beleg für den Verstoß des Patienten gegen das Werte- system der vorherrschenden bürgerlich-christlichen Moral.89 Mit der moralischen Stigmatisierung des Kranken ging auch eine ästhetisch begründete Distanznahme einher. Diese Einsicht bestätigt u. a. die Lektüre der berühmten Ästhetik des Häßlichen (1853), deren Autor Karl Rosenkranz anlässlich seiner Reflexion über die Darstell- barkeit in der Kunst die zeitgenössische communis opinio zum Thema „Syphilis“ folgendermaßen erfasst: „Im Begriff des Menschen liegt die Hässlichkeit nicht (...). Die Krankheit ist die Ursache des Hässlichen allemal wenn sie eine Verbildung des Skelletts der Knochen und Muskeln zur Folge hat, z. B. bei syphilitischen Knochenauftreibungen (...). Sie ist es allemal, (...) wenn sie die Haut mit Exanthemen bedeckt, wie (...) in gewissen Formen des Syphilis (...). Die scheußlichsten Deformitäten werden unzweilfelhaft durch die Syphilis hervorgebracht, weil sie nicht nur ekelhafte Ausschläge, sondern auch Faulungen und Knochenzestörungen bewirkt.“90 Die von dem Philosophen gebotene Beschreibung der Krankheit bezieht sich nicht auf das Phänomen der Lähmungen, die die Medizin des 19. Jh.s bei Heine als Anzei- chen von Lues cerebrospinalis wahrnahm, sondern thematisiert jene typischen Symp- tome im Sekundär- und Tertiärstadium der Lues, die bei Heine nicht auftraten. Rosen- kranz macht allerdings unmissverständlich klar, dass das Abstoßende der „infamen Krankheit“91 letztendlich nicht die von ihr verursachten körperlichen Deformationen, sondern ihr „unsittlicher Grund“, d. h. das „Geisthässliche“ ausmachen. Aus dieser Überzeugung heraus hält Rosenkranz vor dem Hintergrund seiner an Hegels Ästhetik anknüpfenden Theorie eine literarische Rede über Syphilis für unzulässig.92 Wie bereits erwähnt, hat der nie eindeutig bestätigte Diagnoseverdacht, mit dem Heine und sein Werk bereits zu Lebzeiten des Verfassers diskreditiert wurden, die Forscher zur wiederholten Befragung der vorhandenen krankengeschichtlichen Quellen motiviert. Dabei gestaltet sich die einschlägige Quellenlage relativ dürftig. Aus ärzt-

89 Vgl. ebd., 13. 90 Karl Rosenkranz: Die Ästhetik des Häßlichen. Neuausgabe hrsg. und mit einem Nachwort versehen v. Dieter Kliche, Leipzig: Reclam, 1996, 14 f. 91 Ebd., 33 92 Das Diktum des Theoretikers lautet: “Ekelhafte Krankheiten, die auf einem unsittlichem Grunde beruhen, muß die Kunst von sich ausschließen. Die Poesie prostituiert sich selbst, wenn sie dergleichen schildert, wie das Sue in seinen PARISER MYSTERIEN“ macht, wo er eine genaue ärztliche Beschreibung von St. Layare liefert, oder eine deutsche Schriftstellerin, Julie Burrow, die in einem Roman FRAUENLOS, die exakte Beschreibung der syphiliti- schen Station eines Lazaretts aufgenommen hat. Das sind Verirrungen einer Zeit, welche aus ihrem krankhaft pathologischen Interesse an der Korruption das Elend der Demoralisation für poetisch hält. Krankheiten, die zwar nicht infam sind, sondern mehr nur den Charakter der Kuriosität haben, der sich in seltsamen Deformitäten und Auswüchsen kundgibt, sind auch nicht ästhetische Objekte, wie z. B. die Elephantiasis (...).“ Ebd. 36 1 Einleitung licher Feder sind einzig ein Gutachten, drei Rezepte und ein Brief überliefert, in dem der zuletzt behandelnde Arzt seine Kollegen und den jüngsten Bruder Heinrich Heines, Maximilian, von dessen Ableben benachrichtigt.93 Selbst in dem letzten Dokument wird keine Diagnose über die langjährige Erkrankung Heines, sondern nur die unmittel- bare Todesursache angegeben. Ein Obduktionsbericht liegt nicht vor, da Heine eine Autopsie in seinem Textament ausdrücklich verboten hat. Daher muss – so Christoph auf der Horst – die historische Deutung der Erkrankung ohne Einzelheiten auskommen. Laut Briefen und Augenzeugenberichten hat Heine in Paris seit dem Ende der vierziger Jahre die Syphilisdiagnose geteilt.94 Indem er seine Erkrankung in den literarischen Texten durch direkte Erwähnung der einzelnen Symptome bzw. Metaphorisierungen thematisierte, wandte er sich performativ gegen die in Nachfolge Hegels formulierte Ästhetik von Karl Rosenkranz und setzte damit neue Maßstäbe für die Thematisierung des Körpers in der Literatur. Laut Augenzeugenberichten machte sich der Dichter auch durch intensive medizinische Lektüre über seine Krankheit kundig.95 Die einschlägigen Zeugenauskünfte beziehen sich allerdings auf die Pariser Zeit des Autors, während die früheren Jahre in Bezug auf die Präsenz der Medizin im Alltag des Dichters weit weniger gut belegt erscheinen. Seine brieflichen Äußerungen über seinen Gesundheitszustand waren genauso häufig wie unpräzise. Die von ihm genannten Symptome erscheinen zwar vielfältig, jedoch so unspezifisch und widersprüchlich, dass ihr diagnostischer Wert fraglich ist. Die brieflichen Berichte über die alljährlichen Kuraufenthalte des Schrift- stellers sparen die heilkundlichen Details weitgehend aus. Abgesehen von zwei Fällen,96 lässt sich der medizinische Lektürehintergrund Heines für die Zeit bis 1831 kaum ein- deutig festlegen. Aufgrund der Auswertung der Quellenlage ist festzustellen, dass die Präsenz der Medizin in Heines Alltag ein zwar bekanntes, dennoch im Sinne positivis- tischer Beweise im Detail kaum zu belegendes Phänomen darstellt. Die vorliegende Arbeit, die den Körperkonstruktionen in Heines früher Prosa vor dem Hintergrund des medizinischen Diskurses der Zeit nachgeht, schließt an keinen der

93 Auf der Horst: Die Historizität der Diagnosestellung, 138. 94 Eine Zusammenstellung der einschlägigen Belege s. ebd., 141. 95 1854 berichtet Alfred Meißner Folgendes über Heine: „Aber viele seiner Lektüren gewid- meten Stunden nahmen Werke ernsthafter Gattung in Anspruch. Es waren keine solchen, die zu ihm als Künstler und Dichter in irgend einer Beziehung standen – man darf weder hier weder auf Kunstphilosophie noch Literaturgeschichte rathen – es waren Werke, die mit seinem Leiden in dem schrecklichsten Zusammenhange standen. Er hatte in den letzten Jahren die ganze Physiologie, Anatomie und Pathologie seiner Krankheit auf das Fleißigste studiert und die Schriften von Hesse, Albers, Andral und vornehmlich von Romberg waren ihm ganz geläufig geworden. Aber er war es gewohnt auch hier seine Kenntnisse zu ironi- sieren. ´Meine Studien´ pflegte er zu sagen, werden mir wohl nicht viel helfen. Ich werde höchstens im Himmel Vorlesungen halten können. (...)“ Adolf Meißner: Heine-Erinnerungen aus dem Jahre 1854. In: Werner Houben: Begegnungen mit Heine, Berichte der Zeitgenossen, Hamburg: Hoffmann u. Campe, 1973, Bd. 2, 353. Die von Meissner genannten heilkundlichen Veröffentlichungen waren repräsentative Publikationen aus dem Bereich der Neurologie. 96 Vgl. Kurt Sprengel: Versuch einer pragmatischen Geschichte der Arzneykunde, Halle: Ge- bauer, 1800. Karl Friedrich Marx: Göttingen in medicinischer, physischer und historischer Hinsicht geschildert, Göttingen: Dieterich, 1824. 1.4 Zu dem Forschungsstand und der Aufgabenstellung der Arbeit 37 genannten Forschungsstränge direkt an. Als literaturwissenschaftliche Arbeit beteiligt sie sich nicht an der medizinhistorischen Diskussion, sie geht auch nicht den Analyse- weg, der von der zentrierenden Opposition Spiritualismus vs. Sensualismus aus vorge- geben wird. Mit ihrer Reflexion über Deutungsmuster des Körpers im Schaffen des Autors nähert sie sich am meisten den Untersuchungen zur Körpermotivik in Heines Epik, wobei sie durch Heranziehung relevanter Kontexte der Epoche bisher unbe- achtete Aspekte dieser Prosa herauszuarbeiten sucht. Das zweite Kapitel dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Rekonstruktion des medi- zinischen Diskurses der Restaurationszeit. Da die Medizinlandschaft der Heine-Zeit einen heterogenen Bereich darstellt, in dem unterschiedliche intellektuelle Paradigmen ihre Aktualität einklagen, hat ihre Beschreibung viele verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Dabei gilt das besondere Augenmerk dieser Arbeit den philosophi- schen Implikationen der damaligen Medizin in der Nachfolge Schellings. Als eine Besonderheit der zeitgenössischen Heilkunde wird ihre Abkehr vom anatomischen zugunsten des physiologischen Subdiskurses herausgearbeitet, als ihre Leitbegriffe werden „Nerven“ und „Organismus“ definiert. Das erste analytische Kapitel meiner Arbeit (d. h. Kap. 3) ist der Interpretation der Harzreise gewidmet, bei der die Auseinandersetzung Heines mit dem in seinem Text genannten Arzt Karl Friedrich Marx und dessen medizinischen Schriften fokussiert wird. Als eine weitere Schnittstelle der Harzreise, an der sie dem medizinischen Diskurs der Zeit begegnet, wird die Thematisierung des anatomischen Diskurses betrachtet, wobei den Motiven nachgegangen wird, die Heine veranlassten, diesen Diskurs abzulehnen. Das zweite analytische Kapitel (4) sucht der Poetologie des Leibes im Werk Heines nachzugehen. Da der Autor keine einschlägigen Schriften hinterlassen hat, wird die Poetologie aus den in seinen Texten verstreuten Aussagen unter Berücksichtigung der zeitgenössischen kunstheoretischen Debatten erschlossen. Ein besonderes Augen- merk gilt dabei den ästhetischen Schriften von August Wilhelm Schlegel und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Besondere Aufmerksamkeit beansprucht überdies die von Heine in seiner Distanzierung von dem Unterhaltungsschriftsteller Clauren geleistete Abwendung von der Trivialliteratur. In dem Ideen. Das Buch Le Grand gewidmeten Kapitel wird der Fundus der durch Rhetorik und Ikonographie tradierten Topoi als grundlegendes Bezugsfeld für Heines poetische Konstruktionen herausgearbeitet. Die systematische Herangehensweise erlaubt, auf wichtige, bisher in der Forschung nicht thematisierte Referenzfelder von Heines Texten einzugehen und die mit ihnen für den Text einhergehenden Sinnpotentiale zu erschließen. Das letzte Kapitel der vor- liegenden Arbeit beschäftigt sich mit der Schrift Die Bäder von Lucca, in der Heine seinen im Sommer 1828 erfolgten Italienaufenthalt thematisiert. Im Rahmen der in der vorliegenden Arbeit angebotenen Perspektive wird der Text im Zusammenhang von Heines Aufenthalt in München (1827/1828) betrachtet, wo er Schelling und führenden Vertretern der naturphilosophischen Medizin der Romantik begegnet ist. Im Rahmen der Textanalyse sollen die Reflexe des Münchner Aufenthaltes für die Die Bäder von Lucca nachgezeichnet werden.

2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Consilium Medicum Frau Poesie war krank. (Verwitwet schon seit manchem Jahr, Wuchs scheinbar stündlich die Gefahr. Die Stirne heiß, Die Zunge weiß, Die Haut bald Frost und bald in Schweiß, Im ganzen Leib ein schmerzlich Jucken, Von Krämpfen alle Nerven zucken. Obschon noch rüstig und nicht alt, Schien nah des Todes Nachtgewalt.) Doctores kommen von allen Seiten, Die erst sich begrüßen und dann bestreiten, Hippokratisch, Homöopathisch, Allopathisch, Hydropathisch, Antipathisch, Philosophisch gebrüstet, Historisch gerüstet, Dogmatisch, kritisch, Klassisch, britisch; Schreiben Rezepte in langen Zeilen, Umsonst! die Kranke war nicht zu heilen. Da kam ein Bader vom Land herein, Besieht die Kranke beim Tagesschein, Erforscht den Puls, die Zunge auch, Befühlt die Weichen und den Bauch, Zuletzt hebt er mit Lachen an: Die Wissenschaft hier wenig kann, Der guten Dame fehlt ein Mann1

1 Franz Grillparzer: Consilium Medicum. In: Ders.: Sämtliche Werke, München: Hanser, 1960-1965, Bd. 1, 305 f. Kursivierung folgt dem Original. 40 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Das von Franz Grillparzer 1829 geschriebene Gedicht, dessen Autor den (nach seiner Meinung offensichtlich desolaten) Zustand der zeitgenössischen Literatur sati- risch zu erfassen suchte, kann einiges Interesse nicht nur in literatur- sondern auch in medizinhistorischer Hinsicht beanspruchen. Es spiegelt nämlich eindrücklich nicht nur Grillparzers Meinung über die „Pathologie der zeitgenössischen Literatur“ wider, sondern bietet auch eine Stellungnahme zur verwirrenden Vielfalt der in der damaligen Heilkunde gleichwertig nebeneinander existierenden theoretischen Paradigmen und Modelle, der die Forschung heutzutage mit den Etikettierungen „Disparität“ bzw. „Heterogenität“ begegnet. Die Medizinhistoriker sind sich darüber einig, dass das Bild der Heilkunde nach 1800 „ein dynamisches Spannungsfeld“ darstellt, was sowohl der Vielfalt der „Sys- teme“ als auch dem Austausch zwischen ihren jeweiligen Vertretern geschuldet sei.2 Die Vertreter unterschiedlicher heilkundlicher Richtungen dieser Zeit pflegen teilweise enge Kontakte, die aber im Zuge der Differenzierung der Richtungen bzw. der tenden- ziell wachsenden Abgrenzungsbedürfnisse und Machtansprüche der Protagonisten zu (nicht immer endgültigen) Gegnerschaften führen. Die wichtigsten medizinischen Theoriefehden der Zeit: nämlich jene zwischen dem Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) und dem eigenständigen Vertreter des deutschen „Brow- nianismus“3 Andreas Röschlaub (1768-1835), diejenige zwischen Andreas Röschlaub und Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) und schließlich die Fehde zwischen Hufeland und dem Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755-1843), fallen in die Zeit von 1800 bis 1811, ihre Konsequenzen beeinflussen die therapeuti- sche Praxis z. T. noch bis in die 1820er Jahre. Die Formel von der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ nimmt im Falle der medizinischen Landschaft in Deutschland um 1800 eine wissenshistorische Bedeu- tung an. In die letzten Jahrzehnte des 18. und die ersten des 19. Jahrhunderts fallen jene epistemologischen Umbrüche und Neuorientierungen, die z. T. überholte (d. i. in diesem Fall aufklärerische) Modelle fortschreiben, z. T. von romantischen Denkmo- dellen zehren, sich allerdings partiell auch fortschrittlichen positivistischen Modellen öffnen. Dementsprechend sind in Deutschland vom Anfang bis zur Mitte des 19. Jh.s im heilkundlichen Bereich sowohl romantische als auch progressive positivistisch- experimentelle, sowohl spekulative als auch chemische, sowohl mechanische als auch

2 Vgl. Thomas Lenarz: Heilkunde im 19. Jahrhundert zwischen medizinischer Wissenschaft und ärztlicher Kunst, Heidelberg (Diss. Masch.) 1986, 17. 3 Unter Brownianismus versteht man das medizinische Körper- und Krankheitskonzept des schottischen Arztes John Brown (1735-1788), das um 1800 in ganz Europa dank seiner Einfachheit sehr populär war. Der zentrale Begriff Browns heißt „Erregung“, wobei Gesund- heit als Zustand mittlerer Erregung verstanden wird, während jede Krankheit auf übermäßige bzw. mangelhafte Erregung zurückgeführt wird. Entsprechend der Vorstellung kann jede Krankheit durch Stimulierung bzw. Sedierung geheilt werden, die durch Dosierung von einschlägigen Reizen zu erreichen sind. Die Reize teilte Brown in erregende ein wie z. B. Fleisch, Alkohol, Opium, aber auch bestimmte Affekte und mindernde wie z. B. vegetarische Kost und körperliche Ruhe. Bei Übererregung ordnete er Emetika, Purgativa, Beruhigungs- mittel und Aderlass, bei Untererregung Stimulanzien wie Moschus, Kampfer und Alkohol an. 2.1 Anatomie 41 organische Paradigmen vertreten, welche zu einer Vielfalt beitragen, die zusätzlich institutionell potenziert wird. Die staatlich sanktionierte Universitätsmedizin, die über Körperdiskurse weitgehend entscheidet, existiert nämlich in Deutschland zu Heines Zeiten nur sozusagen im Plural. Die fehlende Zentralisierung Deutschlands verhindert die Herausbildung eines allgemeinverbindlichen medizinischen Kanons und befördert ein andauerndes Ringen um Hegemonie im medizinisch-theoretischen Feld.4 Aus den genannten Gründen ist eine systematische Darstellung heilkundlicher Konstellationen in der Zeit Heines als eine Herausforderung zu betrachten, die Reduk- tionen und Simplifizierungen unvermeidlich macht. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit habe ich beschlossen, mich auf grundlegende Entwicklungen zu konzentrieren, die wegweisend für die Mehrheit der heilkundlichen Strömungen waren sowie für auf Erklärungsmuster, die von den meisten Paradigmen übernommen wurden und als repräsentativ für Sichtweisen und Wahrnehmungsmuster des Körpers zu Anfang des 19. Jh.s betrachtet werden können. Diese möchte ich im Folgenden am Beispiel der Anatomie sowie der zeitgenössischen Reflexion über das Nervensystem und das Orga- nismus-Konzept erklären.

2.1 Anatomie

Eine besondere Bedeutung für die medizinische Erforschung des Körpers hat dessen anatomische Betrachtung. Die Öffnung des Leibes und die Untersuchung des Leib- inneren stehen am Anfang des medizinischen Studiums. Die Aufwertung anatomischer Studien verdankt sich nicht zuletzt den Entwicklungen des späten 17. und 18. Jh.s, welche anatomische Kenntnisse nicht nur Ärzten, sondern auch Laien zutrauten. Bereits im 17. Jh. zeigte sich René Descartes (1596-1650) überzeugt, dass anatomische Kenntnisse einen festen Bestandteil der Allgemeinbildung darstellen. Er schrieb:

„Es gibt niemanden, der nicht schon irgendeine Kenntnis von den verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers besäße, der nicht wüßte, dass er aus einer sehr großen Anzahl von Knochen, Muskeln, Venen, Arterien und dazu noch aus einem Herzen, einem Gehirn, einer Leber, einer Lunge und einem Magen zusammenge- setzt ist. Und es gibt sicher keinen, der nicht manchmal Sektionen verschiedener Tiere zugesehen hat, wobei er die Gestalt und die Lage ihrer Teile betrachten konnte, die in ihnen die gleichen sind wie in uns.“5

Descartes ermuntert seine Leser zur anatomischen Reflexion, weil diese einen Weg darstellt, sich selber kennen zu lernen, und erklärt: „Es gibt wohl nichts, womit man sich mit größerem Gewinn beschäftigen könnte als mit dem Versuch, sich selbst kennen- zulernen.“6 Für den Philosophen führt der anatomische Erkenntnisweg zugleich auch

4 Hierzu: vgl. Olaf Briese: Angst in den Zeiten der Cholera, Berlin: Akademie Verlag, 2003, 91 f. 5 René Descartes: Über den Menschen. Beschreibung des menschlichen Körpers. Übers. und eingeleitet von Karl E. Rotschuh, Heidelberg: Verlag Lambert Schneider, 1969, 141. 6 Ebd., 139. 42 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit zu Gott. In einer vielzitierten Passage imaginiert der Philosoph den Körper als eine von Gott geschaffene Maschine, indem er behauptet: „Ich stelle mir einmal vor, daß der Körper nichts anderes sei, als eine Statue oder Maschine aus Erde [,machine de terre’], die Gott gänzlich in der Absicht formt, sie uns so ähnlich wie möglich zu machen, und zwar derart, daß er ihr nicht nur äußerlich die Farbe und Gestalt aller unserer Glieder gibt, sondern auch in ihr Inneres alle jene Teile legt, die notwendig sind, um sein Laufen, Essen, Atmen, kurz all unsere Funktionen nachahmen zu lassen, von denen man sich vorstellen könnte, daß sie aus der Materie ihren Ursprung nehmen und lediglich von der Disposition der Organe abhängen. Wir sehen Uhren, kunstvolle Wasserspiele, Mühlen und andere ähnliche Maschinen, die, obwohl sie nur von Menschenhand hergestellt wurden, nicht der Kraft entbehren, sich aus sich selbst auf ganz verschie- dene Weise zu bewegen. Und wie mir scheint, könnte ich mir von einer Maschine, die – wie ich einmal annehme – aus der Hand Gottes angefertigt sein soll, nicht so viele Bewegungsarten vorstellen noch ihr so viel kunstvolle zuschreiben, daß man sich nicht vorstellen könnte, daß sie nicht noch mehr davon besitzen kann.“7 Von der Analyse der Gesetzlichkeiten unserer Körpermaschinerie qua Sektion ist, folgt man Descartes, ein gehöriger philosophischer, ethischer und praktischer Nutzen zu erwarten. Nicht zuletzt fördert sie die Fähigkeit, Krankheiten vorzubeugen. Auch kann sie helfen, „das Nahen des Alters aufzuhalten, wenn man sich gebührend Mühe geben würde“8. Da sie den Gläubigen naturtheologische Beweise für die Existenz Gottes zu liefern scheint, ist die Anatomie durchaus auch mit religiösem Eifer kompa- tibel. „Ein wissenschaftlich geschulter Blick legt für die Zeitgenossen auch den Blick auf den Schöpfer dieses Mechanismus frei“ – schreibt Rudolf Käser.9 Im Rahmen seines Konzepts, das den Körper als eine seelenlose res extensa betrachtet, empfiehlt Descartes seinem Leser forschende Neugier. In seinen Überlegungen gibt es keinen Platz für jenen Ekel vor der Berührung der Leiche, den, wie vielfach belegt, Medizin- studenten im Rahmen eines „Trainingsprogramms“ überwinden müssen.10 Das Zeitalter der Aufklärung positioniert den Anatomen in der Avantgarde des wissenschaftlichen Fortschritts. Dies belegen eindrücklich die einschlägigen Defini- tionen in Zedlers Universallexicon, wo es von einem „Anatomicus“ heißt, er sei „(...) derjenige, welcher, die Anatomie, von Grund auf verstehet, treibet und exercieret (...)“11. Die anatomische Analyse ist ein „Zerlegen, um die eigentliche Beschaffenheit zu erkennen“12 und erscheint damit geradezu als ein Weg zur Wahrheit. Vom Anatomen erwartet man nicht nur „gründliche Gelehrsamkeit, eine rechte und genaue Erkäntniß

7 Ebd. 8 Ebd. 9 Rudolf Käser: Arzt, Tod und Text. Grenzen der Medizin im Spiegel deutschsprachiger Li- teratur, Paderborn: Fink, 1998, 53. 10 Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte, München: Hanser: 1976, 208. 11 Zedler (Johann Heinrich): Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste, Leipzig, Halle: Zedler, 1743-1754, Bd. 1, 82 ff. 12 Ebd. 2.1 Anatomie 43 aller und jeder Theile des Körpers, Geschicklichkeit und ein gutes Auge“13. Laut Zedler muss ein Anatom gute Allgemeinbildung, soziale und didaktische Kompetenzen aufweisen, er soll „gereist sein, Sprachen können, angenehm, kürzlich und nützlich vortragen, was gesagt und gewiesen ist offt wiederholen, die widrigen Meinungen der Gelehrten erklären und das wahrscheinlichste beweisen und erläutern“14. Das Zedler-Lexikon stattet die Obduktion, die mit höchster Perfektion und Präzision aus- geführt werden muss, mit beträchtlichem Prestige aus, indem es mitteilt: „Heutzutage tun es die besten und vornehmsten Medici.“15 Die Geheimnisse des Körperinneren sind im 18. Jh. nicht nur dem schmalen Kreis der Experten vorbehalten. Gegen Entgelt darf das theatrum anatomicum auch von Laien betreten werden. Zu den grundlegenden bildungsinstitutionellen Wandlungen, die um 1800 stattfinden, gehört auch die allmähliche Begrenzung des Zugangs von Laien zu Sektionen.16 Nicht nur wollen die Mediziner ungestört ihrer Forschung nach- gehen. Auch die Lehre wandelt sich. Anatomisches Wissen wird nicht mehr wie früher im Hörsaal vor einem größeren Publikum vermittelt, sondern in klinischen „Präparier- kursen“, zu denen in der Regel nur Kollegen und Medizinstudenten Zugang haben.17 Der veränderte Stellenwert der Anatomie im öffentlichen Bewusstsein lässt sich auch unter Rekurs auf die (fehlende) Präsenz der zugehörigen Theorien in zeitgenössischen Lexika ablesen. Der ausführlichen Erörterung des Lexems „Anatomie“ in Zedlers Universallexikon von 1743 steht im Brockhaus Conversationslexikon von 1822 nur eine kurze Erwähnung des „anatomischen Präparats“18 entgegen. Die „Zerlegung des Körpers“ scheint um 1800 kein salonfähiges Konversationsthema mehr zu sein. Diese Wandlung kann im Rückgriff auf Thesen von Philippe Ariès mit den Mentalitätsveränderungen erklärt werden, die am Anfang des 19. Jh.s stattgefunden haben und sich als Perfek- tionierung der Verdrängungsmechanismen in Bezug auf den Tod folgendermaßen beschrei- ben lassen: „Todesangst hat sich in der Folge durch die Abneigung zum Ausdruck gebracht, den Toten und seinen Leichnam darzustellen. (...) Die makabre Erotik aber ist ins Alltagsleben eingedrungen, zwar nicht in ihren verwirrendsten und brutalsten Formen, aber in sublimierter, schwieriger zu erkennender Gestalt: in der Aufmerk- samkeit, die man der physischen Schönheit des Todes schenkte. Diese Schönheit

13 Ebd. 14 Ebd. 15 Ebd. 16 Vgl. Robert Jütte: Die Entdeckung des „inneren“ Menschen 1500-1800. In: Richard van Dülmen (Hg.) Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000, Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 1998, 241-260, hier: 250. 17 Aufschlussreiche Angaben über Wandlungen in der Struktur des Gesundheitswesens durch Reform der traditionellen Klinik und Umorientierung der Ausbildung der Ärzte u. a. durch den klinischen Unterricht liefert Nelly Tsoyopulos: Andreas Röschlaub und die Romanti- sche Medizin. Die philosophischen Grundlagen der modernen Medizin, Stuttgart, New York: Fischer, 1982, 215 f. 18 Brockhaus Conversations-Lexikon. Allgemeine deutsche Realenzyklopädie für die gebildeten Stände. Neue Folge in zwei Bänden. Neue Folge, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1822-26, Bd. 1, 41. 44 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

ist zum einen der banalen Gemeinplätze bei Kondolenzbesuchen geworden, zu einem der Hauptthemen oberflächlicher Konversation angesichts des Todes im 19. Jh. nahezu bis heute. Die Toten wurden im verbreiteten gesellschaftlichen Selbstverständnis schön, als sie begannen, wirklich Angst einzuflößen, eine Angst, die derart tief war, dass sie sich nicht zum Ausdruck brachte, es sei denn durch Verbot, d. h. durch Schweigen.“19 Die von Ariès reflektierte Ästhetisierung des Todes und die Entfaltung der romantischen Kultur des Andenkens haben wesentlich zur allmählichen Verdrängung der Anatomie aus dem öffentlichen Bewusstsein beigetragen. Als ein weiterer Grund für die Ablehnung der Anatomie wäre die Popularisierung der romantischen Naturkonzepte zu erwägen, die den Menschen als Teil des großen lebendigen Organismus der Natur verstehen. Im Sinne der romantischen Naturtheorien ist der Mensch eine leiblich-seelische Ganzheit. Die philosophischen Konzepte, die am Ende des 18. Jh.s entfaltet werden, sehen Natur als eine große, lebendige vom Geist durchdrungene Totalität. Da nach der romantischen Vorstellung Materie nicht tot ist, gebührt dem Körper auch nach dem Tode Respekt. Dies ist ein Konzept, dessen Entstehung sich paradoxerweise nicht zuletzt den an toten Körpern durchgeführten anatomischen und in ihrer Folge auch physiologischen Untersuchungen der Aufklärung verdankt.

2.2 Nerven

Dank der im Bereich der Anatomie und Physiologie durchgeführten empirischen Forschungen konnte das 18. Jh. einen beachtlichen Erkenntnisgewinn verbuchen, der mit zahlreichen Entdeckungen zu Erscheinungen der Atmung, des Stoffwechsels, im Bereich der Hämodynamik und der Embryologie zu belegen ist. Für die medizini- sche Praxis waren jene Einzelentdeckungen kaum fruchtbar zu machen, was die Zeit- genossen allerdings nicht mit defizitären technischen, und dementsprechend: pharma- kologischen, Standards verbanden, sondern als Mangel eines umfassenden Erkenntnis- zusammenhangs beanstandeten. Diesen erhofften sie sich von der Antwort auf jene Fragen, die das mechanistische Modell von René Descartes offen gelassen hatte: Was ist das Leben? Welche Kraft bewegt eigentlich den Körper? Was verleiht ihr die Kenn- zeichen des Lebens? Können Leib und Seele miteinander kommunizieren? Von grundlegender Bedeutung für die so motivierte Reflexion über den Körper war die Abkehr von der Untersuchung einzelner Organe zugunsten des Versuchs, den Leib als eine Ganzheit zu denken und zwar durch Erfassung von Strukturen, die im gesamten Körper auftreten. Den auf dieser Grundlage gewonnenen Erkenntnissen verdankt noch das beginnende 19. Jh. nicht nur medizinische Einsichten, sondern anthropologische Konzepte. Im Rahmen seiner Versuche, die allgemeine „Lebens“-Frage zu beantworten, demon- strierte der Dichter und Arzt Albrecht von Haller (1708-1777), dass das Wesentliche am Leben Bewegung ist, welche er konsequenterweise in den Mittelpunkt seiner

19 Philippe Ariès: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, München: Hanser, 1976, 107. 2.2 Nerven 45

Forschungen stellte. In seinem achtbändigen Monumentalwerk Elementa physiologiae corporis humani (1756-1769), der ersten großen Zusammenfassung des physiologi- schen Wissens der Zeit, demonstrierte er, dass die Bewegungen Reaktionen des Körpers auf die Umwelt darstellen. Den äußeren Einfluss der Umwelt definierte er als Reiz, die Fähigkeit des Körpers auf diesen Reiz zu reagieren als Empfindlichkeit. Als Ergebnis zahlreicher Experimente konnte Haller zeigen, dass sich die Befähigung tierischer Körper zur Empfindung und Selbstbewegung in Abgrenzung zum Unbelebten ganz präzise an bestimmte Körperstrukturen binden lässt. Hallers 1752 erschienene Schrift Von den empfindlichen und reizbaren Teilen des menschlichen Körpers fokussierte dabei zweierlei Strukturen. Es waren zunächst solche, auf deren Schädigung das Lebe- wesen mit Sensibilität, d. h. mit einer Schmerzäußerung, reagiert – wie eben Nerven – und solche, die Irritabilität aufweisen, d. h. auf chemische, mechanische oder elek- trische Reize von außen mit Kontraktion reagierten, also die Muskeln. Haller konnte nicht nur den physiologischen Ort der Bewegung festlegen, sondern zeigte darüber hinaus, dass die Nerventätigkeit mit Schmerz und Lust – folglich mit „Empfindungen“ – zusammenhängt, so dass die Nerven als Schaltstelle zwischen Gehirn und Leib fungieren. Es wurde offensichtlich, dass Materie, die dem Trägheitsgesetz unterliegt, einen äußeren Anstoß braucht. Eben diesen konnte Haller als Funktionsgrundlage der leben- den Organismen nicht dingfest machen. Die 1774 von Friedrich Casimir Medicus (1736- -1808) eingeführte spekulative Größe der „Lebenskraft“ als Verbindendes zwischen organisierter Materie und Seele lehnte der streng und konsequent mechanistisch argumentierende Göttinger ab. In Bezug auf die intellektuellen Verstrickungen des 18. Jh.s ist die zwischen Metaphysik und Materialismus angelegte ambivalente Position des Wissenschaftlers aufschlussreich. Der in seinem wissenschaftlichem Denken em- pirisch orientierte Haller demonstrierte den Anhängern der metaphysischen Lebens- ursache (in Form einer „Seele“ oder einer „Lebenskraft“), dass eine physiologische Qualität (Irritabilität) nach dem Tode erhalten bleibt, so dass die Physiologie des Körpers nicht auf bewusste (Seelen-) Regungen zurückzuführen sei. Zugleich lehnte der tiefreligiöse Forscher den weltanschaulichen Materialismus ab und reagierte empört auf den ideologischen Übergriff La Mettries (1709-1751), der mit dem Verweis auf die Autorität der Göttinger Forschungen den Materialismus seines (sogar Haller gewidmeten) L’ homme machine (1748) wissenschaftlich zu untermauern suchte. Aufgrund ihrer Relevanz für die Organismuskonzepte der folgenden Jahrzehnte wären folgende Momente der physiologischen Experimente des Begründers der mo- dernen Physiologie festzuhalten. Haller betrachtete den Körper als eine Ganzheit, zeigte ihn dabei nicht als ein isoliertes, sondern ein mit der Umwelt interagierendes Phänomen. Hallers Konzepte und Begrifflichkeiten: Termini wie „Reizbarkeit“ oder „Irritabilität“ als Fähigkeit, Reize zu empfinden und weiterzuleiten, die Bedeutung der An- oder Abgespanntheit der Nerven für das Verhalten wirkten auf die Naturphilo- sophie und Medizinkonzepte um 1800. Tragfähig in diesem Zusammenhang erwiesen sich die damals Aufsehen erregenden Versuche Luigi Galvanis (1737-1798), die der Italiener im Anschluss an Experimente Hallers durchführte. Mit seiner Entdeckung, 46 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit dass eine elektrische Ladung Nerventätigkeit in Muskeln auszulösen vermag, begann Galvani 1778 mit seinen berühmten Untersuchungen zur Berührungselektrizität, in denen er frisch präparierte Froschmuskeln durch Kontakt mit zwei verschiedenen Metallen, die ein leitender Bogen verband, zum Zucken veranlasste. Alessandro Volta (1745-1827) bezeichnete später diese Phänomene als Galvanismus. Elektrizität er- schien nun als eine organismusinterne Kraft, im Organismus gab es „tierische“ Elek- trizität als eigenes, für sich bestehendes Prinzip.20 Aufmerksamkeit verdienen die Experimente nicht nur, weil sie breites Interesse auf sich zogen und nachgeahmt wurden, sondern weil sie sich als tragfähig für eine philosophische Naturreflexion erwiesen, die das Konzept der Polarität als grundlegend anerkannte. Die Erkenntnis, dass Bewegung durch Gegensätze bedingt sei, die eine Entladung anstreben, bildete den empirischen Ausgangspunkt für die spekulativen Entwürfe der allgemeinen Natur- gesetze bei Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. Die empirischen Unterscheidungen blieben nicht ohne Folgen für die semanti- schen Verschiebungen des Begriffs „Nerv“. So verzeichnet Grimms Wörterbuch, man habe nhd. unter „nerven“ bis ins 18. Jh. vorzugsweise „die muskeln, die sehnen“ verstanden, „welche bedeutung noch (...) nachklingt, wenn wir von gespannten und abgespannten, schlaffen nerven reden“21 . Erst im „heutigen wissenschaftlichen sinne“, erklärt das Wörterbuch weiter, „versteht man unter nerven die von dem gehirn oder von dem rückenmark ausgehenden markhaltigen oder auch marklosen faserbündel, die baumförmig (und unter sich wieder netzförmig verbunden) durch den ganzen körper sich verbreiten als leiter der empfindung und bewegung (...)“22. Ersichtlich wird daraus, dass die bis heute aktuelle Bedeutung des Wortes „Nerv“ sich erst im Laufe des 18. Jh.s etabliert. Die Beschreibungsordnung der empirischen Naturwissenschaften legte Theorie- potenziale frei, die auch in anderen Bereichen – etwa in der Anthropologie – erkenntnis- fördernd waren. Sensibilisiert wurden die Zeitgenossen durch die physiologischen Experimente Hallers zu Schmerz- und Lustempfinden gegenüber den Wahrnehmungs- mechanismen: So konnten außerhalb von hallerschen Theorie, die solches beanstan- dete, an die Nerven die Vorstellungen von der Kommunikation zwischen Körper und Seele fest geknüpft werden. Im Körper, präziser: in dessen Bewegung, wurde der Ursprung der „edlen Vermögen der Seele“ – der Empfindungen – begründet. In der 1778 erschienenen anthropologischen Abhandlung Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele schreibt Johann Gottfried Herder: „Tiefer können wir wohl die Empfindung in ihrem Werden nicht hinabbegleiten, als zu dem sonderbaren Phänomen, das Haller »Reiz« genannt hat. Das gereizte Fäserchen zieht sich zusammen und breitet sich wieder aus; vielleicht ein Samen,

20 Werner Leibbrand: Die spekulative Medizin der Romantik, Hamburg: Claassen, 1956, 24. 21 Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 16 Bde. (in 32 Teilbänden). Leipzig: S. Hirzel, 1854-1960, hier: Bd. 13, Spalte 612. Die alte Bedeutung von „nerven“ als „muskeln“ klingt noch in: „nervig“ – kraftvoll, muskulös - nach. Vgl. ebd., Spalte 616. 22 Ebd. 2.2 Nerven 47

das erste glimmende Fünklein zur Empfindung, zu dem sich die tote Materie durch viele Gänge und Stufen des Mechanismus und der Organisation hinaufgeläutert. So klein und dunkel dieser Anfang des edlen Vermögens, das wir Empfinden nen- nen, scheine; so wichtig muß er sein, so viel wird durch ihn ausgerichtet.“23 Dieser Übergang lässt sich als Wandlung des anthropologischen Erklärungsmodells, das die traditionelle Empfindungslehre leitete, einordnen. Die antike Temperamenten- lehre, welche die psychologische Konstitution (oder ggf. temporäre Schwankungen, wie z. B. die Trauer) des Menschen auf die Dominanz eines der vier Körpersäfte (Blut, Schleim, Galle, schwarze Galle) zurückführte, wird abgelöst durch die neue, physiologisch begründete Kategorie der Sensibilität, also der „Reiz-Fähigkeit“ des Menschen. Dieser Bruch ist nicht als radikal zu betrachten. Vielmehr lässt sich beo- bachten, wie – sowohl in medizinischen als auch literarischen Texten – beide Modelle aufgerufen werden.24 Laut den damaligen Vorstellungen sollte die Beschaffenheit des Nervensystems und dessen Reaktionsfähigkeit nicht nur die emotionalen Fähigkeiten des Menschen bestimmen. Herder fragt nämlich: „Hat die Natur nichts gewebet, das sie einige, das sie leite? Allerdings, und dies ist das Nervengebäude. Zarte Silberbände, dadurch der Schöpfer die innere und äußere Welt, und in uns Herz und Kopf, Denken und Wollen, Sinne und alle Glieder knüpfet. Wirklich ein solches Medium der Empfindung für den geistigen Men- schen ist, was Licht für das Auge (...). Wir empfinden nur, was unsere Nerven uns geben.“25 Vierzig Jahre vor dem Erscheinen der herderschen Schrift wurden die Nerven in Zedlers Lexikon schlicht als „zähes, (...) weißliches Wesen“ beschrieben, wobei sich die Lexikon- autoren an der Frage ihrer genauen Funktionsbestimmung intensiv abgearbeitet haben, um zu dem Schluss zu gelangen, dass „die Bewegung des Cörpers mit den Bewegungen und Gedancken der Seele in allen vollkömmlich übereinstimmen, und doch beyder- ley Bewegungen nach ihrer Ordnung an sich von einander unterschieden“ bleiben.26 Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Materie und Geist, Körper und Seele erscheint den Verfassern zwar außerordentlich relevant, sie sehen sich allerdings außer- stande, diese zu beantworten.

23 Johann Gottfried Herder: Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Ders.: Schriften zu Philosophie, Literatur, Kunst und Altertum 1774-1787. In: Ders.: Werke in zehn Bänden, Frankfurt am Main: Suhrkamp, Bd. 4, 322-357, hier: 331. 24 Vgl. den aufschlussreichen Beitrag von Harald Neumeyer, der diesen Wandlungsprozess in Bezug auf den medizinischen und literarischen Melancholiediskurs untersucht. Neumeyer: „Wir nennen aber jetzt Melancholie” (Adolph Henke). Chauteaubriand, Goethe, Tieck und die Medizin um 1800. In: Lange, Neumeyer: Kunst und Wissenschaft um 1800, 62-88, bes. 66-72. 25 Vgl. Herder: Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, 350 f. 26 Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste, Bd. 23, 1804 f. 48 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Für Herder steht 1778 die einschlägige Verknüpfung bereits außer Frage. Es ist wohl auch die Zielsetzung seiner Arbeit zu beweisen, dass Empfinden und Erkennen nicht hierarchisch gestufte und kategorial voneinander getrennte Seelentätigkeiten sind, sondern Vermögen gleicher Dignität, die eine Erweiterung des Modells fordern: Das, was die Autoren des Universallexikons zu Anfang der vierziger Jahre des 17. Jh.s nüchtern als „weißliche Wesen“ registrierten, wird bei Herder zu schön glänzenden, zarten „Silber-Bändern“. Die Aufwertung der Nerven hängt zusammen mit der Zuordnung einer weiteren Fähigkeit. Da die Nerven nun Körper und Fühlen und Denken verbinden, werden sie nicht nur für emotionale, sondern auch für intellektuelle Fähigkeiten verantwortlich gemacht. „Les nerfs, voilà tout l’homme“27 lautet die bekannte Formel, mit der der berühmte Verfechter des französischen Sensualismus, die medizinische Autorität der Epoche, Pierre Jean George Cabanis (1757-1808), die Vorstellungen des Zeitalters zusammenfasste. Noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s war die neurologische Denkfigur des Körpers vom großen diagnostischen und therapeutischen Interesse, sodass die medi- zinische Epochencharakteristik die allgemeine „Präpotenz des Nervensystems“ mo- nierte.28 Was die zeitgenössischen Mediziner unter dem Begriff verstanden, soll im Folgenden erklärt werden.

2.3 „Das nervöse Zeitalter“

Die allgemeine Auffassung von der Schwäche und Anfälligkeit des Nervensystems spiegelte sich in der Projektion der Krankheiten auf das seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s ins Visier der experimentellen Forschung geratene Nervensystem. Diverse für die damalige Pathologie anders nicht entzifferbare Symptome wurden in dieser Zeit als „Nervenentzündung“ oder „Nervenfieber“ identifiziert.29 Ohnehin diagnosti- zierte man bei fast allen Krankheiten in der ersten Hälfte des 19. Jh.s „einen Nerven- anteil“, d. h. eine Störung des Nervensystems. Die hohe Frequenz der Krankheiten, die die früheren medizinischen Schriften nicht kannten, führte die Zeitgenossen, die ohne die Gefahren einer projektiven Entstellung von Symptomen zu reflektieren, Befunde mit Tatsachen gleichsetzten, zur Überzeugung, die Nervenkrankheiten seien die beherrschenden Krankheiten der Zeit.

27 Den berühmten Satz von Cabanis zitiere ich nach Theodor Mundt: Allgemeine Literatur- geschichte, Berlin: M. Simion, 1846, Bd. 3, 17. Mundt stellt fest, dass die Formel des französischen Arztes „am erschöpfendsten und in einer furchtbaren Kürze“ den Geist seiner Epoche ausspricht. Ebd. 28 Karl E. Rotschuh: Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau: Schultze, 1968, 213-216. 29 Dementsprechend wurde z. B. Typhus als „Nervenfieber“ bezeichnet und damit als Entzündung des Gehirns und Nervensystems definiert. Dieser alte Krankheitsbegriff verweist auf eine repräsentative Weise auf den Schwerpunkt der zeitgenössischen Wahrnehmung. 2.3 „Das nervöse Zeitalter“ 49

Zu Anfang des 19. Jh.s erkennt der Koryphäe zeitgenössischer Medizin, Christoph Wilhelm Hufeland, die „Präpotenz des Nervensystems“ als die charakteristische Zeiter- scheinung an. In seiner Geschichte der Gesundheit nebst einer physischen Charakte- ristik des jetzigen Zeitalters (1812) schreibt er: „Noch nie, so lange die Erde lebt, waren die Nervenkrankheiten so häufig wie jetzt, noch nie so mannigfaltich und wunderbar modificirt; es kommt fast keine reine Krankheit mehr vor, alle erhalten einen Nervenantheil an Krämpfen und dergleichen (...) Was im Alterthum unerhört war, es gibt jetzt Bauern, die hypo- chondrisch sind! (...)“30 Diesem Bericht zufolge ist die Zeit „aus den Fugen geraten“. Kritisiert an den krank- haften Erscheinungen des Zeitalters wird die Tatsache, dass die sozialen Schwellen pathologisch überschritten werden. Diagnostisch virulent wird hier die bereits bei Her- der angesprochene reziproke Verknüpfung von Nervensystem und „Sentimentalität“, womit die emotionale Konstitution für die Entstehung von Krankheiten verantwortlich gemacht wird.31 Hufeland klagt: „Die Kinder bringen den Charakter der Zeit, ferner fühlende und leichter beweg- liche Nerven, gleich mit auf die Welt, dadurch größere Empfänglichkeit für die Außenwelt, sowohl im Physischen als im Geistigen, sowohl im Heilsamen, als im Schädlichen. (...) Mehr Leben in der Geisteswelt, im Lesen, im Denken, mehr noch in der Gefühlswelt! Aber leider hat jetzt das geistige Leben einen passiven Character; es erhöht nicht die Kraft des Geistes, sondern nur seine Empfänglich- keit (...). Daher vermehrt es nur noch die Zartheit und Reitzbarkeit (...).“32 Hufeland, der in Göttingen Medizin studierte, waren die physiologischen Forschungen Hallers vertraut. 1783 promovierte die künftige Medizinkoryphäe mit einer experi- mentellen Arbeit über die Möglichkeit der Wiederbelebung toter Pflanzen und Tiere durch Elektrizität. Mit dem oben zitierten Text liefert der Mediziner eine Gesamt- schau der Epoche, die sich ihrer typischen Argumentationsmuster bedient. Es ist viel- leicht kein Zufall, dass Hufeland, der Arzt Goethes, gerade solche geistige Disposi- tionen verurteilt, die als romantisch zu identifizieren sind. Er entfaltet dabei eine breit gefasste Perspektive, indem er von der universalen Konstitution eines über- feinerten Zeitalters spricht. „Die Wirkung der Cultur auf das Physische ist zunächst Verfeinerung der Organi- sation, dadurch erhöhte Receptivität für äußere Einflüsse und Verminderung der

30 Christoph Wilhelm Hufeland: Geschichte der Gesundheit nebst einer physischen Charakte- ristik des jetzigen Zeitalters, Wien: Akademie der Wissenschaften, 1812, 4. Der Text stellt eine schriftliche Form des von Hufeland am 3. August 1810 unter großem Zuspruch der zeitgenössischen Ärzte gehaltenen Vortrags dar. 31 Hans Sohni: Die Medizin der Romantik. Novalis` Bedeutung für den Versuch der Umwer- tung einer „romantischen Medizin“, Freiburg im Breisgau: Schultze, 1973, 17. 32 Christoph Wilhelm Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 21 f. 50 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

rohen thierischen Kraft. Das Thier geht unter in demselben Verhältnis, als der Geist aufgeht.“33 Hufeland, der auf der empirischen Basis seiner ärztlichen Tätigkeit insistiert, meidet die Leittermini wie „Organismus“ oder „Sensibilität“, die auf begriffliche Nähe zur spekulativen Theorie der Romantiker schließen ließen. Aber die Grenzen zwischen den einzelnen philosophischen und heilkundlichen Orientierungen scheinen durchlässi- ger zu sein, als es ihre Verfechter zugeben mögen. Die hufelandsche Grundlegung des zivilisationskritischen Feldzugs scheint nicht wirklich weit entfernt vom Kon- zept des Romantikers Schelling, der die universale Kräfteverteilung in der Natur folgendermaßen reflektierte: „Sensibilität und Irritabilität stehen in einem sich gegenseitig bedingenden Wechsel- verhältnis. Je höher die Sensibilität entwickelt ist, desto geringer wird die Kraft der Irritabilität und umgekehrt, je höher die Irritabilität, desto schwächer die Sensi- bilität (...).“34 Im Unterschied zu dem von der Unmöglichkeit einer stabilen Kräfteverteilung über- zeugten Schelling ist Hufeland der Auffassung, ein harmonisches Verhältnis zwi- schen Körper und Geist sei durchaus zu erreichen. Ein Heilmittel wäre die Rückkehr zu „der wahren, d. h. die Vernunft erhöhenden Cultur“, einem der aufklärerischen Denkbilder, in denen das von Hufeland angepriesene maßvolle Gesundheitsregle- ment beheimatet war, mit Werten wie „Seelenfrieden, Ordnung, Beherrschung der Leidenschaften“35. Im Rahmen dieses Konzepts erscheint eine exzessive „Anstren- gung der Denkkraft“36 genauso gefährlich wie das Ausleben der Leidenschaften. Hufelands medizinischer und zugleich zivilisationskritischer Einsatz stellt sich dem intellektuellen Habitus der romantischen Zeit kaum verhüllt entgegen. Es sei die Überreizung, das Leben in einer unnatürlichen Spannung, die Hufelands Zeitgenossen krank macht und sie zu „Entkörperung“ führt.37 Wiewohl dieser Terminus nicht weiter erläutert wird, macht dessen negative Besetzung sinnfällig, dass die eklektische Medizin- richtung des 19. Jh.s die „vergeistigte“ Lebensweise der Zeitgenossen mit Unruhe beo- bachtete. Die Klagen der Ärzte des 19. Jh.s über die Kluft zwischen medizinischen Vor- schriften und Lebensweise klingen nicht viel anders als heutzutage. In seinem Bei- trag zur „physischen Charakteristik des Zeitalters“ beanstandet Hufeland vor allem das „Stubenleben“, das er neben dem vielen Lesen (allerdings auch neben der Erfin-

33 Ebd., 9. 34 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Von der Weltseele. Eine Hypothese der höheren Phy- sik zur Erklärung des allgemeinen Organismus. Nebst einer Abhandlung über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur oder Entwicklung der ersten Grundsätze der Naturphi- losophie an den Prinzipien der Schwere und des Lichts. In: Ders.: Sämtliche Werke, hrsg. v. K. F. A. Schelling, Stuttgart: Cotta, 1856-1861, Bd.1, 441-679, hier: 656. 35 Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 21. 36 Ebd. 37 Ebd., 25. 2.3 „Das nervöse Zeitalter“ 51 dung der Brille) für das auffallende Abnehmen der Sehkraft verantwortlich macht, darüber hinaus das viele Sitzen, „das die Circulation des Blutes, die Verdauung und Absonderungen desselben stört und dadurch Anlage zu Hämorrhoiden und Hypochon- drie erzeugt“38. Die zum Schluss angeführte Liste der häufigsten Krankheiten seines Zeitalters benennt tatsächlich Leiden, die als neurologisch und psychisch zu katego- risieren sind. Es sind „Nervenfieber, die langwierigen Nervenkrankheiten, Krämpfe, Hypochondrie, Lungensucht, die Rheumatismen, eine gestiegene Suizidrate, de[r] Wahnsinn (und zwar weniger d[ie] heftigen (Rasereyen) als d[ie]chronischen (Narrheit, Aberwitz, Schwermuth)“39. Dabei registriert Hufeland als besonders merkwürdig, dass mehr Männer als Weiber wahnsinnig werden, „da es sonst umgekehrt der Fall war“40. Der den erörterten Entwicklungen zugrundeliegende experimentelle Weg Hallers erwies sich gegen Ende des 18. Jh.s für die naturwissenschaftliche Forschung letzt- endlich als Sackgasse. Die universale Zielvorstellung der Epoche, die sich durch die Untersuchungen Hallers und seiner Nachfolger eine Antwort auf die „Lebensfrage“ erhoffte, wurde auf dem Wege der Empirie nicht erfüllt. Im Bereich der Theorie wurden die Aporien des mechanistischen Wissenschafts- modells am Ende des 18. Jh.s wahrgenommen, da zeitgenössische Philosophie die naturwissenschaftliche Erkenntnis schlechthin in Frage stellte. Diese In-Frage-Stellung fand viel Gehör, erfolgte sie doch von der Seite Immanuel Kants (1724-1804), der in seiner Schrift Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786) nach der Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis und nach ihrer Gewissheit fragte, um fest- zustellen: „Eigentliche Wissenschaft kann nur diejenige genannt werden, deren Gewissheit apodiktisch ist; Erkenntnis, die bloß empirisch ist, ist ein nur uneigentlich so ge- nanntes Wissen (...). Eine rationale Naturlehre verdient den Namen einer Natur- wissenschaft nur alsdenn, wenn die Naturgesetze, die ihr zugrunde liegen, a priori erkannt werden können, und nicht bloße Erfahrungsgesetze sind. Man denkt die Naturerkenntnis von der ersten Art rein; die von der zweiten Art aber wird ange- wandte Naturerkenntnis genannt.“41 Das Merkmal der wahren Wissenschaft war für Kant vor allem ihre Konstruierbarkeit aus den Verstandesbegriffen. (Aus diesem Grund war die Mathematisierbarkeit für Kant ein grundlegendes Zeichen für Wissenschaftlichkeit.) Dieser Anspruch führte zur Abwertung der empirischen Erkenntnisse, die im Rahmen der medizinischen Grund- lagenwissenschaften der Physiologie oder Chemie gewonnen werden konnten. Nach der kantschen Wissenssystematik konnten diese Fachdisziplinen keinen Anspruch auf den Titel einer „eigentlichen Wissenschaft“ erheben.

38 Ebd., 26. 39 Ebd., 30 f. 40 Ebd. 41 Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft. In: Ders.: Werke in zwölf Bänden, hrsg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, Bd. 9, 9- -148, hier: 11 f. 52 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Angesichts der doppelten intellektuellen Verunsicherung, die die damalige Medizin einerseits durch die Aporien der empirischen Forschung verbuchen konnte, anderer- seits durch die theoretische Einklage ihrer insuffizienten Forschungsgrundlagen erfuhr, wird ersichtlich, worin die Attraktivität der romantischen Philosophie für die zeit- genössische Heilkunde bestand: Die Philosophie holte die Medizin ihrer Zeit gerade dort ab, wo diese am orientierungslosesten war.

2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings

Die Neuorientierung der Körperkunde und Heilkunst des frühen 19. Jh.s gründete in den Konzepten Schellings, genauer in seinen in der schier unglaublichen Produkti- vität zwischen dem 22. und 25. Lebensjahr herausgebrachten Entwürfen zur Natur- philosophie: den bahnbrechenden Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797, der Schrift Von der Weltseele. Eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus von 1798 und der Einleitung zu einem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie von 1799. In diesen Texten lieferte Schelling das organizistische Konzept der leibseelischen Einheit des Menschen und damit ein Deutungsmuster, das medizinisch fruchtbar gemacht werden konnte. Da das Verständnis dieses Modells erst vor dem Hintergrund des schellingschen Gesamtkonzepts der Natur möglich er- scheint, wird dieses im Folgenden knapp skizziert. Zu der Aufgabe, die er sich gestellt hatte, nämlich, die Lehre Johann Gottlieb Fichtes (1762-1814) um die in dessen Konzept fehlende Naturphilosophie zu ergänzen, sah sich Schelling durch seine 1796 in Leipzig begonnenen Studien der Medizin und Naturgeschichte und die damit erworbenen Kompetenzen berechtigt.42 In seinem natur- wissenschaftlichen Studium beschäftigte sich Schelling mit Experimenten Hallers und den nachfolgenden physiologischen Versuchen mit Elektrizität. Er fragte aber nicht mehr nach den Möglichkeiten und Prinzipien, nach denen die Belebung der toten Ma- terie durchführbar wäre, denn das mechanistische Modell und den scheinbaren Aus- weg aus dessen Aporien in Form einer metaphysischen „Lebenskraft“ lehnte er ab.43 Er bestand darauf, dass eine Antwort im Rahmen eines wissenschaftlichen und nicht eines religiösen Systems möglich war. Nachkantisch entschied Schelling, dass neben dem Erkenntnisobjekt auch das Erkenntnissubjekt mitzureflektieren sei. So verlangte der Philosoph zugleich zu wissen: „Wie ist die Natur?“ und „Wie denke ich sie?“ „Wie muss die Materie gedacht werden, damit die Entstehung lebender Organismen

42 U. a. zeigte sich Schelling fasziniert von Phänomenen der Elektrizität und des Galvanismus, mit denen er über Vermittlung des Mediziners und Naturwissenschaftlers Christoph Heinrich Pfaff (1773-1852) vertraut wurde. 43 Gleichzeitig würdigte er die Leistungen Hallers, an den er in dem empirischen Teil der Ideen zu einer Philosophie der Natur anknüpfen wollte: „Vorerst gebührt dem großen Haller der Ruhm, daß als ob er sich gleich von der mechanischen Philosophie nicht völlig losmachen konnte, durch ihn doch zuerst ein Prinzip des Lebens aufgestellt wurde, das aus mechani- schen Begriffen unerklärbar ist, und für welches er einen Begriff aus der Physiologie des innern Sinns entlehnen mußte.“ Vgl. Schelling: Von der Weltseele, 599. 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 53 möglich ist?“ Schellings Radikalität verzichtet auf die Versuche, die erste Ursache des Lebens aus der Materie abzuleiten, vielmehr geht es dem Philosophen um die Bestimmung der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Materie. Da in Schellings theo- riestrategischer Setzung Geist und Natur identisch sind, müssen sich die Naturgesetze auch im Bewusstsein und umgekehrt die Gesetze des Bewusstseins auch in der objek- tiven Natur nachweisen lassen. Aufgrund dieser Identität kann die Natur „konstruiert“, d. h. die Gesetze der Natur können aus vernünftigen Überlegungen abgeleitet, werden: „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur sein. Hier also, in der absoluten Identität des Geistes in uns und der Natur außer uns, muß sich das Problem, wie eine Natur außer uns möglich sei, auflösen. Das letzte Ziel unserer weiteren Nachforschung ist daher diese Idee der Natur; gelingt es uns, diese zu erreichen, so können wir auch gewiß sein, jenem Problem Genüge getan zu haben.“44 Durch die Identität des Geistes und der Natur werde die Trennung zwischen Spekula- tion und Erfahrung aufgehoben.45 Schellings Konzept argumentiert monistisch: Natur und Geist, das Unbewusste und das Bewusste sind eins, sie sind wesensgleiche Stufen derselben Entwicklung. Schellings Beweisführung verwirklicht das Fortschrittstheorem, indem sie annimmt, die ganze Natur strebe Vollkommenheit an. Es heißt: „(...) alle Operationen der Natur in der organischen Welt sind ein beständiges Individualisieren der Materie. Wachstum ist nicht Zweck der Natur, es ist nur Mittel um diese höheren Entwicklungsstufen vorzubereiten (...).“46 Dabei erscheinen die einzelnen Stufen des Strebens, die Objekte der Materie, für Schel- lings Explorationen weniger beachtenswert als die Kräfte, die sie bewegen, denn diese wirken laut dem Konzept des Philosophen auf jeder Stufe der Entwicklung. Die unterste Stufe bilde die „Materie“, die für Schelling keineswegs eine „tote“ ist. Sie erscheint belebt, da in ihr chemische, magnetische, elektrische Kräfte wirken. Die Stufe der Pflanzenwelt wird außer durch die genannten auch durch die Reproduk- tionskraft bewegt, die Tierwelt, neben der Reproduktionskraft, zusätzlich durch Irrita- bilität (Fähigkeit zu Muskelbewegungen). Auf der obersten Stufe der Leiter steht der Mensch, dem außer den genannten Kräften auch die feine Kraft der Sensibilität zu- steht, die ihn zum höheren Empfinden befähigt. Diese oberste Stufe – der Mensch – (und hier konnten die Mediziner einen Anknüpfungspunkt finden) sei durch die in ihr wirkenden Kräfte ein Teil des großen Ganzen, in dem alle Kräfte wirken: die chemi- sche, magnetische und elektrische, die Reproduktionskraft, die tierische Irritabilität und die Sensibilität. Im Rahmen seiner Theorie operiert der Philosoph mit dem Begriff des Organismus, dessen Verwendung auf Aristoteles und die Vorsokratiker zurück- zuführen ist.

44 Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur. In: Ders: Sämtliche Werke, Bd.1, 97-483, hier: 151. 45 Vgl. Thomas Lenarz: Wissenschaft oder Kunst, 23. 46 Schelling: Von der Weltseele, 628. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Philosoph die Dynamik zur Grundwissenschaft der Naturlehre erklärt. 54 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Nachhaltig wirkte die Vorstellung Schellings, dass das Kräfteverhältnis im Orga- nismus nicht stabil sei, da dieser Organismus keine Summe toter Tatsachen sei, son- dern ein stetiges Werden. Dieses Werden realisiere sich im immerwährenden Kampf sowohl der Kräfte des Organismus mit denen der Außenwelt, als auch der einzelnen Kräfte im Organismus selber. So betont Schelling, dass die Sensibilität im umgekehrten Verhältnis zur Irritabilität wachse und abnehme, da „im lebenden Wesen eine Stufen- folge der Funktionen statthat, da die Natur dem animalischen Prozeß die Irritabilität, der Irritabilität die Sensibilität entgegenstellte, und so einen Antagonismus der Kräfte veranstaltete, die sich wechselseitig das Gleichgewicht halten, indem, wie die eine steigt, die andere fällt, und umgekehrt (...)“47. Die puren animalischen Triebe seien den Empfindungsfähigkeiten zwar wesensgleich, jedoch nehmen sie in der Dynamik des Lebens eine Gegensatzposition ein. Der Ursprung der Bewegung, die Trennung vom Absoluten, gründet nach Schelling in der Entstehung von zwei polaren Urkräften. Das Wirken dieser Kräfte begründe den Kreisprozess, d. h. das periodische Geschehen in der Natur, das Werden und Vergehen. Die Polarität ist bei Schelling das a priori konstruierte Weltgesetz schlechthin: Überall in der Natur seien Gegensätze zu beobachten,48 die auf die „Urpolarität“ zwischen Geist und Materie zurückzuführen seien. Das Innovative an Schellings Leistung bestand darin, dass er das alte philosophi- sche Oppositionsmodell mit den Inhalten neuer empirischer Forschung erfüllte und zur gleichen Zeit die Ergebnisse der experimentellen Physik, Chemie und Physiologie in einen theoretischen Rahmen einfügte, der sie alle lückenlos integrieren konnte. Jene Polaritäten, die Schelling aus diesem Urprinzip ableitete, verteilte er folgen- dermaßen: Das Geistige wurde manifest im Licht, im Sauerstoff, in der Freiheit und im männlichen Prinzip. Das Materielle, „Naturhafte“ offenbarte sich in der Schwere, im Wasserstoff, in der Notwendigkeit und im weiblichen Prinzip.49 Schellings Theorie hatte Konsequenzen auch für den Begriff des Geschlechts und des Geschlechterver- hältnisses: Zuerst sei „Zeugungskraft entgegengesetzter Geschlechter“ der Gipfel des fortschreitenden Individualisierens.50 „Wir können uns nicht erwehren“ – schreibt der Philosoph – „auch die Trennung in zwei Geschlechter nach den allgemeinen Grundsätzen des Dualismus zu erklären. Wo die Natur das Extrem der Heterogenität (des gestörten Gleichgewichts) erreicht hat, kehrt sie nach einem notwendigen Gesetze zur Homogenität (zur Wiederher-

47 Schelling: Von der Weltseele, 660 f., vgl. auch 658. 48 „Daß in der ganzen Natur entzweite, reell-entgegengesetzte Prinzipien wirksam sind, ist a priori gewiß; diese entgegengesetzten Prinzipien in einem Körper vereinigt, erteilen ihm die Polarität; durch die Erscheinungen der Polarität lernen wir also nur gleichsam die engere und bestimmtere Sphäre kennen, innerhalb welcher der allgemeine Dualismus wirkt.“ Schel- ling: Von der Weltseele, 572. 49 Vgl. Rotschuh: Naturphilosophische Konzepte der Medizin aus der Zeit der deutschen Romantik. In: Romantik in Deutschland. Ein interdisziplinäres Symposium, hrsg. von Ri- chard Brinkmann, Stuttgart: Metzler, 1978, 243-266, hier: 246. 50 Schelling: Von der Weltseele, 630. 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 55

stellung des Gleichgewichts) zurück. Nachdem die Prinzipien des Lebens in ein- zelnen Wesen bis zur Entgegensetzung individualisiert sind, eilt die Natur durch Vereinigung beider Geschlechter die Homogenität wiederherzustellen.“51 Denkt man das schellingsche Naturgesetzlichkeitsprinzip weiter, wird ersichtlich, dass diese höchste Stufe der Individualisierung, die Beziehung der Geschlechter beim Men- schen52 ein besonders komplexes Kräftefeld darstellt. Nicht nur Sensibilität und pure animalische Irritabilität spielen hier hinein, zur Spannung tragen auch die chemi- schen, magnetischen und elektrischen Kräfte bei. Die Aufhebung der Polaritäten in der Natur war für Schelling gleichbedeutend mit der Aufhebung der Kluft zwischen Materie und Geist, die in einer höheren Syn- these eins werden und so zum Ursprungsprinzip zurückkehren. Am Anfang dieses Denkens liegt die Vorstellung eines „Absoluten“, Idealen, Unendlichen, aus dem sich alles entwickelt und überwindet und auf das alles zurückführt. In diesem Gedanken werden die Widersprüche Körper vs. Seele und Materie vs. Geist, die seit der Philo- sophie von Descartes die wissenschaftlichen Konzepte prägten, behoben. Der Titel der von Schelling herausgegebenen Zeitschrift: Medizin als Wissenschaft kündigte ebenfalls eine Aufwertung an, die die Attraktivität seines Denkens für die zeitgenössische Heilkunde ausgemacht hatte. Ihrem verunsicherten Selbstbewusstsein bot es ein Konzept der Natur und des Organismus, das auf den von Kant eingeforderten transzendentalen Kategorien aufbaute. Rita Wöbkemeier bemerkt, dass das immense Interesse Schellings an der Heilkunst nicht aus der Absicht gespeist wurde, selber als Arzt tätig zu werden. Die Medizin war für ihn der Kristallisationspunkt seiner Theorie, indem sie durch Bewährung an der Praxis die Richtigkeit seiner naturphilosophischen Konzepte sinnfällig machen sollte.53 In der bereits erörterten Situation einer Verunsi- cherung der Medizin konnte eine breite Rezeption Schellings unter der damaligen Ärzteschaft durch die Gegebenheiten des damaligen Medizinstudiums, das im ersten propädeutischen Jahr philosophische Seminare vorsah, gewährleistet werden. Sie re- sultierte auch aus seinen zahlreichen und intensiven Kontakten mit Ärzten (darunter auch medizinischen Autoritäten) und seiner Herausgebertätigkeit für die Zeitschrift Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft. Schließlich war Schelling auch Ehrendoktor der Heilkunde, im ganz unmetaphorischen Sinne: diesen Titel verlieh ihm die Univer- sität Landshut 1802 und die „Physikalisch-medicinische Societät“ in Erlangen erkannte ihm ihre Ehrenmitgliedschaft zu.54 Als „Zeitalter der Nervosität“ wird in sozialhistorischen, literatur- und kulturwissen- schaftlichen Studien herkömmlich die Zeit um 1900 definiert.55 Damit wird dem Selbst-

51 Ebd., 632. 52 Über Geschlechter spricht Schelling bereits auf der Stufe der Pflanzen, vgl. ebd. 53 Vgl. Rita Wöbkemeier: Erzählte Krankheit: medizinische und literarische Phantasien um 1800, Stuttgart: Metzler, 1990, 26. 54 Vgl. Werner E. Gerabek: Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und die Medizin der Romantik, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York u. a.: Peter Lang, 1995, 47 f. 55 Vgl. Peter Philipp Riedl: Epochenbilder. Künstlertypologien, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2005, 531. Grundlegend zu dieser Problematik vgl. Wolfgang Eckart: „Die 56 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit bewusstsein einer geschichtlichen Phase Rechnung getragen, die gesteigerte Nervosi- tät zu ihrer Signatur erklärte und die 1880 zum ersten Mal definierte „Neurasthenie“ zu den häufigsten Krankheitsbildern zählte.56 Die Schlüsselstellung der Nervenschwäche für die moderne Befindlichkeit wurde von führenden Medizinern und Intellektuellen der Zeit reflektiert. Dabei waren es vor allem Deutungsversuche des Arztes Sigmund Freud (1856-1939) und des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900), die ein beson- ders nachhaltiges Echo in der Literatur finden sollten. Freud betrachtete die Nerven- schwäche im Zusammenhang mit seinen Grundtheoremen als Konsequenz der Trieb- unterdrückung, auf die seiner Meinung nach die Kultur der modernen Gesellschaft gründet.57 Hingegen reflektierte der Philosoph die Krankheit im Kontext seiner physio- logisch fundierten Kulturtheorie als eine den Spätgeborenen eigene Abstumpfung der Nervensystems,58 das nun einer permanenten Reizsteigerung benötige, welche dem modernen Menschen die gegenwärtige dekadente Kunst gewährt. Wenn die beiden Denker auch von unterschiedlichen theoretischen Prämissen und Interessen ausgingen, waren sich darüber definitiv einig, dass die von ihnen als zentrales Epochenphänomen wahrgenommene Pathologie des Nervensystems ein Symptom darstellt, das mit dem Kulturfortschritt im Zusammenhang steht. Die um 1800 entstandenen medizinischen Texte bestätigen die geläufige These über intellektuelle Zusammenhänge zwischen den Epochenschwellen 1800 und 1900. Im Lichte der älteren Quellen kann die um 1900 intensiv geführte und in der literatur- wissenschaftlichen Forschung hinreichend gewürdigte Nerven-Diskussion genealo- gisch als eine Anknüpfung an die um 1800 aufkommende Debatte interpretiert werden, die in der empirischen (physiologischen) Erforschung des Nervensystems ihren An- fang nahm. Als ihr Beginn wären die um die Mitte des 18. Jh.s in Göttingen betriebenen physiologischen Untersuchungen zu nennen, die vorerst die Relevanz des Nerven- systems für das Funktionieren des Körpers belegten. Das Innovationspotential der im Rahmen der Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse wurde von führenden Intellek- tuellen in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s in Form anthropologischer Reflexion umge- wachsende Nervosität unserer Zeit“. Medizin und Kultur um 1900 am Beispiel einer Mode- krankheit. In: Kultur und Kulturwissenschaften um 1900, hrsg. v. Gangolf Hübinger, Rüdiger vom Bruch, Friedrich Wilhelm Graf, Stuttgart: Franz Steiner, 1997, Bd. 2., 207-225. 56 Vgl. Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität, München: Hanser, 1998, 29 f. 57 Vgl. Sigmund Freud: Gesammelte Werke, hrsg. v. Anna Freud u. a., London: Imago, 1941, Bd. 7, 143-167, hier: 145. 58 Zu dem von ihm als physiologisch bedingt reflektierten Epigonenschicksal seiner Zeitge- nossen, das er auch als eigenes beklagt, schreibt Friedrich Nietzsche: „Gewiß ist, daß wir uns nicht in Renaissance-Zustände hineinstellen dürften, nicht einmal hineindenken: unsre Nerven hielten jene Wirklichkeit nicht aus, nicht zu reden von unsern Muskeln. Mit diesem Unver- mögen ist aber kein Fortschritt bewiesen, sondern nur eine andre, eine spätere Beschaffenheit, eine schwächere, zärtlichere, verletzlichere (...).“ Vgl. Nietzsche: Götzendämmerung oder wie man mit einem Hammer philosophirt. In: Ders: Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden hrsg. v. Giorgio Colli, Mazzino Molinari, München: DTV, 1967-77, Bd.6, 55-163, hier: 137 f. Der Inbegriff des dekadenten Künstlers, dessen Werke nötige Stimuli für die er- schlafften Nerven der Zeitgenossen liefern, ist für Nietzsche Richard Wagner, dessen Musik 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 57 setzt.59 Die theoretische Umsetzung der Forschungsresultate ist jedoch nicht mit der Etablierung des Nervenkonzepts im allgemeinen Bewusstsein gleichzusetzen, die erst für das letzte Jahrzehnt des 18. Jh.s angenommen werden kann. Darüber belehrt in- struktiv der 1794 publizierte Beitrag von Hufeland, der sich aufgrund seiner Erfah- rungen als Arzt zu folgendem Fazit veranlasst sieht: „Es waren einst glückliche Zeiten, wo kein Mensch wußte, dass er Nerven habe. Man wurde von ihnen aufs beste bedient, ohne ihre Gegenwart zu ahnden, ohne sichs möglich zu denken, dass sie auch untreu werden können. Jetzt will alle Welt die Nerven haben, und zwar piquirt man sich, schwache, reizbare, delikate Nerven zu haben; denn so will es der Ton. Ein nerviger Mensch hieß sonst ein fester, kraft- voller Adamssohn; jetzt heißt es ein Wesen, daß jeden Eindruck tausendfach fühlt, das von dem Getrampel einer Mücke in Ohnmacht fällt, und von dem Geruch einer Rose Convulsionen bekommt.“60 Indem Hufeland darlegt, auf welche Art und Weise die wissenschaftliche Problemati- sierung der Nerven zur veränderten Wahrnehmung des Körpers führt, registriert er nicht nur die in der vorliegenden Arbeit bereits erwähnte semantische Wandlung des Begriffs, vielmehr zeigt er darüber hinaus, wie das Wissen eines zeitgenössischen Durch- schnittspatienten über das Funktionieren des Nervensystems seinen Umgang mit dem Körper und dessen Handlungen prägt. Solange die Patienten über die Nerven nichts wussten, wurden sie von ihnen „aufs beste bedient“, behauptet Hufeland, der seinen Zeitgenossen im Jahre 1794 eine aus dem medizinischen Wissen resultierende Sensibili- sierung attestiert, die nach seinem Urteil geradezu pathologische Ausmaße erreicht. Die zitierte Passage demonstriert aufschlussreich, dass das Phänomen historisch bedingter Körperkonzeptualisierungen nicht erst im Rahmen der jüngst florierenden kulturwissenschaftlichen Studien, sondern (wenn auch im bescheidenem Maße) be- reits um 1800 reflektiert wurde. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist der zitierte Beleg allerdings vor allem deshalb vom Interesse, weil er das Paradigma „Nervensystem“ als festen Bestandteil des „kulturellen Wissens“ um 1800 bestätigt. Die Tatsache, dass Hufeland das Para- das „convulsivische des Affekts“ und die „überreizte Sensibilität“ manifest weden lässt und durch Merkmale des Brutalen, des Künstlichen und des Unschuldigen das nervenkranke Publikum anspricht. Hierzu vgl. Nietzsche: Der Fall Wagner. In: Ders.: Werke. Kritische Gesamtaus- gabe in 15 Bänden, Bd. 6, 9-53, hier: 22 f. 59 In den Jahren 1770-1800 entstehen ca. 40 anthropologische Lehrbücher. Das umfangreiche anthropologische Schrifttum der Zeit bietet ein faszinierendes Forschungsfeld, auf das im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden kann. Einen guten Einstieg in die Problematik bietet der Forschungsbericht von Wolfgang Riedel: Anthropologie und Literatur in der deutschen Spätaufklärung. Skizze einer Forschungslandschaft. In: Interna- tionales Archiv für die Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL), 6. Sonderheft. Forschungsreferate, 3. Folge, 1994, 93-157. 60 Hufeland: Einige Ideen über die neuesten Modearzneyen und Charlataneriien. In: Hufe- land: Gemeinnützige Aufsätze zur Beförderung der Gesundheit, des Wohlseins und vernünf- tiger medizinischer Aufklärung, Leipzig: Göschen, 1794, 107-114, hier: 111. Zitiert nach: Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2001, 345. 58 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit digma spätestens 1814 in seine eklektisch strukturierte Praxis integriert hat,61 kann als Bestätigung der Popularität des Modells interpretiert werden. Die häufigsten Erkrankungen um 1800 sind die Nervenkrankheiten. Sie lassen sich als ein „diskursives Konstrukt“ der zweiten Hälfte des 18. Jh.s identifizieren und damit als ein Gegenstand der wissenschaftlichen Rede, der durch Unterscheidung und Fokussierung bestimmter Objekte und Herstellung neuer Beziehungen unter ihnen ausgestaltet wird.62 Die definitorische Abgrenzung der Nervenerkrankungen wurde grundiert durch neurologische Forschungen Albrecht Hallers und die im Anschluss daran erfolgte Fokussierung der Nerven als Untersuchungsgegenstand der Medizin. Der Sammelbegriff „Nervenkrankheiten“ wurde verwendet, um Schmerzzustände, Krämpfe bzw. Störungen des Körpertonus zu erfassen, deren Ätiologie die zeitgenössi- sche Medizin mit der Vorstellung einer „irritablen Schwäche des Nervensystems“ eines Patienten verknüpfte. Zu diesen Krankheiten zählten „hartnäckige Localschmerzen“, „Krämpfe, spastische und convulsische Migrainen“, „nervöse Zahnschmerzen, Brust- und Magenkrämpfe“63. Im Rahmen der Therapie galt es, das anfällige Nervensystem des Patienten durch eine entsprechende Dosierung der Reize wiederherzustellen. Die Vorstellung, dass die Nerven sowohl durch die Wirkung der äußeren, z. B. elektri- schen, chemischen, magnetischen Impulse als auch durch die seelischen Regungen beeinflusst werden können, ließ die therapeutischen Maßnahmen am Theorem der psychophysischen Einheit Maß nehmen. Die Frage, welche Deutungsmodelle des Körpers dem Autor Heinrich Heine von der Medizin seiner Zeit vermittelt werden, wäre allgemein folgendermaßen zu beant- worten: Es ist das Paradigma des Nervensystems, das in der Zeit um 1800 den medizi- nischen Diskurs prägt und über die Deutung des Körpers und seiner Prozesse entschei- det. Dabei wird das auf dem cartesianischem Modell fußende Konzept der Trennung zwischen Geist und Materie zugunsten des Konzepts einer leibseelischen Einheit verworfen. Der medizinische Diskurs der Heine-Zeit argumentiert jenseits der Dicho- tomie von Körper und Geist, vielmehr verweist er auf deren Abhängigkeit voneinander und von den Reizen der Außenwelt.64 Dieses Modell wird durch die Konzeptualisie- rung der Nerven als der wichtigsten körperlichen Struktur ermöglicht, von der Bewegun- gen, Tätigkeiten, Empfindungen, d. h. Sinnes- und Geistestätigkeit sowie körperliche Prozesse abhängen.65 Um einen allgemeinen Eindruck von der sprachlichen Verfasst- heit der damaligen medizinischen Texte zu vermitteln, werden im Folgenden ihre wichtigsten Begrifflichkeiten genannt.

61 Vgl. Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 21 f. 62 Gemäß einem der Haupttheoreme Michel Foucaults erfasst der (wissenschaftliche) Diskurs nicht die Wirklichkeit schlechthin, sondern konstruiert seine Gegenstände durch Fokussie- rung einzelner Objekte und Herstellung neuer Beziehungen unter ihnen. Zu diesem Pro- blem vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, bes. 65-67. 63 Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 25. 64 Ebd., 347, 349. 65 Sarasin: Reizbare Maschinen, 47. Vgl. auch Jeremy Adler: „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen”. Zur naturwissenschaftlichen Grundlage der modernen Literatur. In: Merkur 60. Jg. / H. 682, Februar 2006, 112-123, hier: 113. 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 59

Wenden sich medizinische Texte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s der Be- schaffenheit des Nervensystems, bzw. der „Nervenfibern“ zu, operieren sie mit Attri- buten „schwach“, „zart“, „delicat“, „empfindlich“, „schlaff“, „erschöpft“, bzw. „stark“, „robust“. Wird die Einwirkung eines Stimulus auf das Nervensystem beschrieben, heißt es, die Nerven würden „gereizt“, „erregt“, „irritiert“, „afficiert“. In der Folge kommt es zu „Anstrengung“, „Anspannung“, bzw. „Über(an)spannung“ oder „Über- reizung“, die zu „Zuckungen“, „Krämpfen“ oder gar „Convulsionen“ führen können. Mangel an Reizen bzw. intensive „Überanspannung“ von Nerven resultiert indes in deren „Erschlaffung“, die ebenfalls gesundheitsschädliche Wirkungen hat. Mit diesen diskursiven Leitbegriffen wird die leibseelische Totalität als ein Netz- werk beschrieben, das sich selbst reguliert. Indem es innere und äußere Reize verar- beitet, strebt es durch immanente Regulationsmechanismen einen gesunden Ausgleich- zustand an, bei dem eine für das jeweilige Individuum ideale Anspannung der Nerven erreicht wird. Wie dieses grundlegende Konzept von den diversen Abzweigungen des medizini- schen Diskurses jeweils variiert wird, wird im folgenden Unterkapitel am Beispiel von Mesmerismus, Brownianismus, Eklektismus und Balneologie exemplarisch erklärt. Um die allgemeine Charakteristik der theoretischen Grundlagen der zeitgenössi- schen Medizin abzuschließen, erscheint es jedoch geboten, die Frage nach dem Ort des Organismus-Konzeptes im damaligen medizinischen Diskurs zu beantworten. Diese Frage mag zuerst befremdlich erscheinen, gilt doch der Organismus-Begriff herkömm- lich als einer der Leitbegriffe, die vor allem dank Schelling den gesundheitlichen Diskurs um 1800 entscheidend geprägt haben. Laut Philipp Sarasin, der in seiner umfangreichen Arbeit populärwissenschaftliche medizinische Schriften des 19. Jh.s untersucht hat, kann jedoch das Organismusmodell nicht als das einzige verbindliche Deutungsmuster des Körpers um 1800 bezeichnet werden.66 Es steht außer Frage, dass im Bereich der Naturphilosophie der Übergang von der Aufklärung zur Romantik als Abkehr vom mechanistischen Modell des Körpers be- griffen werden kann. Dieser Wechsel der medizinischen Episteme lässt sich anhand zahlreicher theoretischer Schriften der Heilkunde, nicht jedoch anhand populärer medizinischer, pragmatisch orientierter Publikationen des frühen 19. Jh.s belegen, in denen kein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen den Körpermodellen „Maschine“ und „Organismus“ besteht.67 Die letzteren Schriften, die abbilden, was Laien des 19. Jh.s von ihren Körpern wissen konnten, verhandeln neben dem Organismuskonzept die alte Vorstellung der Körpermaschine, die mit Elementen der Irritationstheorie Schellings und der alten Säftelehre ergänzt wird. Damit wird die den cartesianischen Entwurf der Körpermaschine prägende Vorstellung der strikten Trennung zwischen Materie und Geist verworfen, da deren Verknüpfung über Nervenbahnen um 1800 nicht nur für die Verfechter des Organismusmodells, sondern auch für die Verfechter des Maschinenmodells außer Frage steht. Während jedoch das Organismus-Modell

66 Sarasin: Reizbare Maschinen, 75. 67 Ebd. 60 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit von der Vorstellung einer unteilbaren Ganzheit fundiert wird, bei der sich der Teil und das Ganze gegenseitig durchdringen, baut das Maschinenmodell auf der Über- zeugung von der Autonomie der einzelnen Körperorgane auf. Als ein repräsentatives Beispiel dieser Argumentation kann die grundlegende Abhandlung Johann Christoph Reils (1759-1813) Von der Lebenskraft (1795) herangezogen werden, deren Autor zu den führenden Ärzten der Zeit gehörte.68 Reil zeigt sich überzeugt von einem zwi- schen Körper und Geist bestehenden Zusammenhang, gleichzeitig bezeichnet er ein- zelne Organe als „Maschinen“ des Körpers69 und erklärt: „jedes Organ ist unabhängig und selbständig, es wirkt für sich und durch sich, durch die Energie seiner eigenen Kräfte“70. Das einschlägige diskursive Muster demonstrieren breiter auch Reils Rhapso- dieen über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen, wo es heißt: „Der Mensch hat Individualität, (...) wenn er gleich ein Aggregat der fremdartigsten Organe ist. Knochen, Knorpel, Muskeln, Drüsen, Eingeweide, wie verschiedner Natur sind nicht diese Dinge? Dazu kömmt noch, daß wir jede derselben als einen isolirten Körper betrachten können, der sich eine bloß mechanische, keine dyna- mische Verknüpfung mit dem andern hat. Erst durch das Nervensystem, an dessen Schnüre sie angereiht sind, kömmt Einheit in die große Mannichfaltigkeit.“71 Mit dieser Aussage erklärt sich einer der wichtigsten Vertreter der romantischen Medizin zum Anwalt des mechanistischen Körperbilds, womit er die komplexen dis- kursiven Verwobenheiten der damaligen Medizin anschaulich demonstriert.

68 Reil ist vor allem durch seine Pionierarbeit im Bereich der Neurologie und als Autor der 1803 erschienenen Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen bekannt geworden, die als Gründungstext der naturwissenschaftlichen Psychiatrie gelten. Er stand mit den Schriftstellern der Romantik persönlich und intellektuell in Verbindung, unter anderem war er ärztlicher Betreuer von Schleiermacher. Vgl. Albrecht Koschorke. Poiesis des Leibes. Johann Christian Reils romantische Medizin. In: Gabriele Brandstetter, Gerhard Neumann (Hg.): Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2004, 259-272, hier: 259. 69 Vgl. Johann Christoph Reil: Von der Lebenskraft (1795), hrsg. v. Karl Sudhoff, Leipzig: Barth, 1910, 30, 65f. 70 Ebd., 20. Im Rahmen des modifizierten Maschinenmodells wird die Existenz einer die Prozesse der Körpermaschine steuernden Lebenskraft angenommen. Sie ist eine qualitas occulta der damaligen Medizin, erfährt daher kontroverse Interpretationen. Die zeit- genössisch beliebteste Definition wäre dem damaligen medizinischen Bestseller Hufelands Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern zu entnehmen, wo die Lebenskraft als eine Struktur der Materie, konkreter: „das feinste durchdrigendste, unsichtbare Agens der Natur“ definiert wird, das die Lebensprozesse steuert. Hufeland: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern, 2 Bd.e, Jena: Akademie Buchhandlung, 1800, Bd.1, 69. Ebenfalls als ein materielles Prinzip definiert sie Reil, der sie einen „Reiz“, der „von einem feinen flüchtigen Stoffe“ wie Wärme, Licht oder Elektrizität kommt, bezeichnet. Vgl. Reil: Von der Lebens- kraft, 15 f. 71 Reil: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen, Halle: Curt’sche Buchhandlung,1803, 54 f. 2.4 Naturphilosophische Konzepte Schellings 61

In der durch eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ gekennzeichneten histo- rischen Phase, in die die Lebens- und Leidensgeschichte Heines fällt, zeichnet sich bereits eine Abwendung von den spekulativ gewonnenen mechanistischen und orga- nizistischen Körpermodellen ab, die sich dem von Michel Foucault in Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (1963) eindrücklich beschriebenen erneuer- ten Interesse an der Anatomie verdankte, das den Weg in die Zukunft der modernen Medizin vorgab. Um festzustellen, ob Heine an dem innovativen Modell wissend partizi- pieren konnte, werden im Folgenden seine wichtigsten Koordinaten genannt. Foucault beschreibt einen „dramatischen Wandel der Körperwahrnehmung“, der sich seiner Meinung nach der Entdeckung des Gewebes durch Marié-François-Xavier Bichats (1771-1802) verdankt.72 Im Fokus der von dieser Entdeckung inspirierten neuen anatomischen Studien stehen nicht mehr die einzelnen Körperorgane, sondern feinstrukturierte isomorphe innere Gewebestrukturen. Dies zwingt die Mediziner zur differenzierten Betrachtung des Körpers, durch die Unterscheidung der jeweiligen Gewebearten überhaupt möglich wird. Da diese feinen Unterscheidungen die Erfas- sung pathologischer Veränderungen gestatten, wird von den Anatomen ein unvoreinge- nommener Blick in das Innere des Körpers verlangt.73 Da nicht mehr quantitative, sondern zunehmend auch qualitative Merkmale des Körpers entscheidende Bedeutung für die medizinische Beobachtung gewinnen, erweisen sich die bisher bewährten empirischen Methoden wie Messen und Wiegen als unzulänglich bei der Auswertung der anatomischen Forschungsergebnisse. Die moderne Anatomie benötigt mithin neue adäquate sprachliche Formeln, die den Körper nuancierter als zuvor beschreiben. Nach Foucault leitet dies eine „Wendung der medizinischen Sprache“ ein,74 die darin besteht, Worte „auf eine qualitative, möglichst konkrete und individuelle Differenzierung hin zu öffnen: auf dem Spiel steht die Wiedergabe der sinnlichen Qualitäten, daher wird die Farbe, die Konsistenz, das »Korn« so wichtig; daher wird die Metapher der Messung vorgezogen (...), daher werden synästhetische Qualitäten (glatt, fettig, löcherig) ebenso geschätzt wie empirische Vergleiche und Anspielungen auf die Alltagserfahrung (dunkler als im Normalzustand).“75 Der durch medizinische Forschungen angeregten Wandlung der Sprache, die „mit allem stilistischen Aufwand einer Wahrnehmung“76, d. i. einer möglichst präzisen Registrierung der Eigenschaften „nachjagt“,77 spricht Foucault eine grundlegende Be- deutung für die Herausbildung der neuen Beschreibungsformeln des Menschen zu.78

72 Die grundlegenden Arbeiten Bichats, die in Paris im ersten Dezennium des 19. Jh.s. erschei- nen, sind Anatomie générale appliqué la physiologie et á la médecine (1801) und Traité des membranes (1807). 73 Foucault: Die Geburt der Klinik, 67. 74 Ebd., 182. 75 Ebd., 182 f. 76 Ebd. 77 Ebd. 78 Ebd., 207. 62 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Diese Verwissenschaftlichung der Medizin qua Durchsetzung neuer Sichtweisen und moderner Wissensstrukturen wird allerdings erst dann möglich, wenn spekulative Erklärungsmodelle des Körpers verabschiedet werden und der ärztliche Blick sich der Materie zuwendet. Dies verlangt eine „sezierende“ Zuwendung zum Körper, eine Art der Wahrnehmung, die Foucault als „klinischen Blick“ bezeichnet, da er erst durch institutionelle Umstrukturierungen des Spitalwesens nach der Französischen Revolu- tion und die in diesen ausgebildeten Beobachtungsmethoden ermöglicht wurde. In der „vorklinischen Epoche“ sei laut dem Philosophen der Aufbau einer Systematik der Körperkrankheiten nicht möglich gewesen: seziert wurden (fast) nur die Leichname der sozialen Outcasts, der Selbstmörder oder Hingerichteten, die nach deren Tode von Behörden der Gewalt der Mediziner übergeben wurden. Da es sich dabei oft um die Körper gesunder Menschen handelte, die eines gewaltsamen Todes gestorben waren, war eine systematische Beobachtung der Krankheitserscheinungen und -entwicklungen nicht möglich. Die Entstehung der Klinik als eines modernen Ortes der Heilkunst, der Therapie, Forschung und deren anschauliche Weitergabe – die Lehre – vereinigt, ermöglichte indes eine bisher unübliche systematische Untersuchung der kranken Körper: Von ihrer Einlieferung in die Klinik über die Medikation bis zur – falls die Bemühungen der Medizin erfolglos blieben – Sektion. Bei einem Versuch, Heines Lebenszeit medizingeschichtlich einzuordnen, erscheint Die Geburt der Klinik von Foucault zunächst von Interesse. Sie behandelt die Zeit von 1770 bis 1825 und beschränkt sich keineswegs ausschließlich auf französische Quellen, sondern geht auch auf Schriften deutscher Mediziner ein. Das Jahr 1800 wird in dieser Studie als eine Zäsur betrachtet, die eine Etablierung der empirisch fundierten Medizin markiert. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass obwohl Foucault behauptet, dass die von ihm beschriebenen Wandlungsprozesse ganz West- europa betrafen, seine Perspektive wesentlich von französischen Verhältnissen geprägt wird. Die These Foucaults über die Etablierung einer dem „klinischen Blick“ verpflich- teten Wahrnehmungsweise des menschlichen Körpers und die Durchsetzung des empirischen Paradigmas um 1800 kann nur behutsam auf den deutschen Sprachraum angewandt werden. Laut Brockhaus Conversationslexikon vom Jahre 1822 wurden die französischen Entwicklungen im intellektuellen Horizont Deutschlands registriert. Dementsprechend berichtet das Lexikon: „Die Anatomie hat neuerlichst durch Bichats Meisterarbeiten eine ganz neue Physiog- nomie gewonnen, ja, die Cultur dieser Wissenschaft und ihre Zweige, der vergleiche- nden und pathologischen Anatomie, sind ein ganz charakteristischer Zug in der französischen Medicin. Mit Dank und Anerkennung haben andere Anatome die Arbeiten des Portal, Senac, (...) Bayle (...) und vieler anderer angenommen. (...) Außer der Diagnostik, die in der That, einige große Ausnahmen abgerechnet, bei den Franzosen auf keiner besonderen Höhe steht.“79

79 Brockhaus Conversationslexikon in zwei Bänden. Neue Folge. Zweite Abteilung des ersten Bandes oder des Hauptwerkes Elften Bandes zweite Hälfte, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1822, 363. 2.5 Therapeutische Richtungen 63

In dieser Würdigung der französischen Entdeckungen, die kritischer ist, als sie sich gibt, wird gerade der Kernbereich der Forschungen, nämlich die auf sorgfältiger Untersuchung des Gewebes gegründete Diagnostik, größtenteils abgelehnt. Anfang der zwanziger Jahre war man in Deutschland auf jeden Fall noch nicht bereit, von spekulativen Körpermodellen abzuweichen, die seit dem Ende des 18. Jh.s im deut- schen Sprachraum fortlebten und bis 1830 ihre Geltung behaupten sollten.80 Von einer Durchsetzung des „klinischen Blicks“ in dem genannten Raum kann in der Zeit noch nicht gesprochen werden.

2.5 Therapeutische Richtungen

In Bezug auf die Medizin seiner Zeit erwarb Heine Kompetenzen, die ein Laie am eigenen Leid erwirbt. Die ungeklärten Ätiologie, der Charakter seines Leidens und seine Wissbegierde sind als jene Faktoren zu betrachten, die das Interesse des Autors an medizinischen Erklärungsmustern förderten. Um die stupide Paraphrase medizinhistorischer Handbücher zu vermeiden, habe ich mich entschieden, aus der Vielfalt therapeutischer Konzepte, die sich in den er- sten Jahrzehnten des 19. Jh.s in Deutschland behaupten, nur diejenigen auszuwählen, die für Heine von Bedeutung waren oder sein konnten. Im Folgenden werden daher Brownianismus, Eklektismus und Balneologie und Magnetismus als exemplarische Konkretisierungen der in Unterkapiteln 2.1, 2.2, 2.3 der vorliegenden Arbeit darge- stellten theoretischen Prämissen dargestellt.

2.5.1 Brownianismus In seinen 1780 veröffentlichten Elementae medicinae lieferte der schottische Arzt John Brown (1735-1788) ein geschlossenes heilkundliches System, das sich der Verall- gemeinerung der von Brown am eigenen Gichtleiden gewonnenen therapeutischen Erfahrungen verdankte. Browns Ideen erfreuten sich einer verstärkten Resonanz in zwei europäischen Ländern: Italien und Deutschland, wobei ihre deutsche Rezeption mit deutlicher Verspätung einsetzte. Die in anderen Ländern in Vergessenheit geratene Therapie wurde in Deutschland in den zwanziger Jahren des 19. Jh.s noch angewandt. Browns Körperkonzept basiert auf der Vorstellung einer leibseelischen Einheit, die in einem dynamischen Verhältnis zu ihrer Umwelt steht. Dieses Verhältnis bestim- men zwei Faktoren: Reize, die von der Umwelt ausgehen, einerseits und die indivi- duelle Fähigkeit des Organismus, auf die Reize der Umwelt zu reagieren, andererseits. Gesundheit wird als vollkommenes Gleichgewicht zwischen Reiz und Reaktion, fol- glich als eine äußerst labile Konstellation imaginiert. Gemäß dieser grundlegenden Annahme gibt es in Browns System nur zwei Arten des Leidens: ein Übermaß der

80 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München: C. H. Beck, 1983, 484. Vgl. Rolf Winau: Krankheitskonzept und Körperkon- zept. In: Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Hg.): Die Wiederkehr des Körpers, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1982, 285-299, hier: 296. 64 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Reize, der als Sthenie bezeichnet wird oder deren Mangel, Asthenie genannt. Browns polare Denkkonstruktion entwickelt auch die Vorstellung einer als „Schwäche“ bezeich- neten extremen Erschöpfung des Organismus, die entweder durch völliges Ausbleiben von Reizen oder aber durch deren letale Überfülle eintritt. Im ersten Falle kommt es zu einer direkten, im zweiten zu einer indirekten Schwächung, in jedem Fall aber zu einem an den Tod grenzenden Zustand. Das in der Abkehr von der Schulmedizin entworfene System des schottischen Arztes versucht, wissenschaftliche Ansprüche durch vermeintliche mathematische Genauigkeit zu erfüllen. Auf einer Skala, auf der beiden polaren „Schwächen“ jeweils die Werte 0 und 80 zugesprochen werden und die Gesundheit als 40 installiert wird, werden den jeweiligen Krankheiten konkrete Werte zugeschrieben. Damit bekommt ein „Brownianer“ ein leicht handhabbares Instrument in die Hand, dank dem das Leiden angemessen therapiert werden kann. Die Therapie hat zum Ziel, den pathologischen Zustand auf Normalmaß zu bringen. So verordnet man bei der „Sthenie“ Reizentzug durch schwächende Mittel wie Kälte, pflanzliche Diät, Aderlass, Brechmittel, Abführmittel. Bei der Asthenie hat man dem Organismus Reize in Form von Wärme, Wein, Fleisch, Fleischbrühe und Opium (Opia- ten) zuzuführen. Das System ist im Zusammenhang einer Heine-Arbeit von einigem Interesse, denn Heines erster Arzt Karl Friedrich Heinrich Marx (1796-1877), der den Studenten in Göttingen im Winter 1820/21 und später in den Jahren 1824 und 1825 behandelte, stützte sich auf den Brownianismus, wobei er allerdings kein radikaler Verfechter dieses Systems war.81

2.5.2 Eklektische Methode Einen wichtigen Bereich der damaligen Medizin stellt die sog. eklektische Methode dar, die auch als Neohippokratismus bezeichnet wurde. Ihre Grundlage bildet die antike Säftelehre, die unter Rückgriff auf aktuelle Forschungen und Erfahrungswerte modifiziert wird. Der Hauptrepräsentant dieser Richtung ist der in der vorliegenden Arbeit bereits erwähnte Christoph Wilhelm Hufeland, dessen Programm folgendermaßen lautet: „[P]ractisch nützliche Erfahrungen, Notizen und Resultat zu verbreiten, unnütze Hypothesen und unfruchtbare Spekulationen zu vermeiden, auf Vervollkommung der Erkenntnis und Behandlung der Krankheiten (...) hinzuarbeiten, sowohl das Neue und das Alte nach seinem practischen Werth gehörig zu würdigen, und alles Gezänk als der Wissenschaft unwürdig auszuschliessen.“82 Dank dem von Hufeland angeregten Austausch, der in den medizinischen Zeitschriften der Zeit stattfindet, entsteht ein Kriterienkanon, auf den der praktische Arzt rekurieren kann und der als beweiskräftig gilt. Bekannt ist Hufeland nicht nur als Integrationsfigur der damaligen Medizin, sondern auch als Autor von medizinischen Bestsellern: Die 81 Vgl. Montanus: Der kranke Heine, 333. 82 Hufeland: Vorerinnerung. In: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst, Bd.11 (Erstes Stück), Berlin: Unger, 1800, 3-6, hier: 3. 2.5 Therapeutische Richtungen 65

Kunst, das menschliche Leben zu verlängern (1797)83, System der practischen Heil- kunde. Handbuch für academische Vorlesungen und für den practischen Gebrauch (1800-1805), Der Scheintod oder Sammlung der wichtigen Thatsachen und Bemer- kungen darüber in alphabetischer Ordnung (1808). Die von Hufeland empfohlenen therapeutischen Maßnahmen basieren auf dem antiken Konzept des Körpers, der als eine Art Behältnis imaginiert wird, das mit Säften, den humores, zu denen Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle gehören, angefüllt ist, die im gesunden Körper im quantitativen Gleichgewicht (Eukrasie) bleiben. Alle humoralpathologischen Maßnahmen zielen darauf ab, dieses gesunde Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Als wichtigste Grundlage der Therapie gilt die Anweisung zum maßvollen Leben, d. h. eine „Diätetik“, deren Reglement, die nötige Balance aufrecht- erhalten lässt. Wird diese durch Überfluss oder Mangel gestört, hat der Arzt die Ableitung überschüssiger Flüssigkeiten durch Aderlass, Purgativa bzw. Vomitiva herbeizuführen. Es handelt sich um therapeutische Verfahren, die zu Heines Zeiten zwar immer noch Anwendung finden, die jedoch allmählich in Misskredit geraten. Da nach zeitgenössischen Vorstellungen die genannten Operationen zur Schwächung des Körpers beitragen, der aufgrund physiologischer Forschungen zur nervös und daher sensibel und anfällig defi- niert wird, verlangen die zeitgenössischen Ärzte nach sanfteren Heilmethoden.

2.5.3 Hydrotherapie Bei den Defiziten der zeitgenössischen Pharmakologie, die auf pflanzlichen Produkten aufbaute, bietet der Genuss von Mineralquellen und Bädern eine erwägenswerte Heilchance und zudem eine Möglichkeit, den Verlauf der Krankheit zu beeinflussen. Die seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s statthabende Revitalisierung der seit der Antike bekannten Form der Wasserbehandlung, die jahrhundertelang eine der wenigen Alternativen zur Verabreichung der pflanzlichen Medikamente gewesen ist, verdankt sich wesentlich dem im 18. Jh. erfolgten Aufschwung der Chemie. Infolge der Ent- wicklung exakter Messtechniken und Entdeckung von zahlreichen Substanzen wan- delt sich die Chemie im Zeitalter der Aufklärung zu einer modernen empirischen Naturwissenschaft. Die innovativen Verfahren ermöglichen die Durchführung von Wasseranalysen in den einzelnen Heilquellen und Badeorten und liefern damit neue Begründungen für die altbekannte Therapieform.84 Die diesen Impulsen geschuldete

83 Dieser medizinische Bestseller erschien ab der dritten Auflage (1805) unter dem Doppelti- tel: Makrobiotik, oder die Kunst, das menschliche Leben zu verändern. Zur Rezeption des „Kultbuchs“, das u. a. ins Englische, Französische, Russische, Polnische, übersetzt wurde vgl. Hans-Peter Nowitzky: Hufeland: Makrobiotik als Sozialanthropologie. In: Katja Regen- spurger, Temilo van Zantwijk: Wissenschaftliche Anthropologie um 1800?, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2005, 33-59, hier: 34 (bes. Anm. 7). 84 Als der Mitbegründer und Initiator der modernen chemisch-analytisch gestützten und medi- zinisch-therapeutisch fundierten Balneo- und Hydrotherapie galt der deutsche Arzt Frie- drich Hoffmann (1660-1742). In zahlreichen Arbeiten hat er verschiedenste Mineralwässer und Quellen untersucht, ihre Inhaltsstoffe qualitativ und quantitativ bestimmt und die medi- zinischen Anwendungen beschrieben. 1735 entwickelte Hoffmann ein Verfahren zur Her- stellung von künstlichen Mineralwässern. 66 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Erneuerung der heilkundlichen Debatte über therapeutische Qualitäten der jeweiligen Heilquellen, über die möglichen Anwendungsmethoden der Wasserbehandlung und den kurativen Nutzen der Aufenthalte in den einzelnen Kurorten findet ihren Nieder- schlag in zahlreichen spezialisierten und populärwissenschaftlich verfassten Veröffent- lichungen. Bereits 1789 wird die Überfülle der balneologischen Publikationen kri- tisch moniert, was dem Strom der Veröffentlichungen keinen Abbruch tut.85 Die balneologischen Veröffentlichungen, deren Spektrum von Beiträgen in Intelligenz- blättern und Fachzeitschriften über selbständige kurze Schriften zu einzelnen Problem- stellungen und mehr oder weniger umfassend angelegte Schilderungen der Kurorte zu einschlägigen Handbüchern reicht, erlauben aufschlussreiche Einsichten sowohl in die materielle Seite des damaligen Badebetriebes als auch in Ordnungen der medi- zinischen Rede, mit denen ein Patient in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s im Zu- sammenhang einer Wasserkur konfrontiert wird. Heine zeigt sich überzeugt vom therapeutischen Wert der Hydrotherapie und unter- zieht sich bis zu seinem Zusammenbruch alljährlich einer Kur. Aus diesem Grund wird im Folgenden das diskursive Umfeld der Therapieform knapp rekonstruiert. In der medizinischen Landschaft der Zeit hat balneologische Literatur, die sich an „Ärzte und gebildete Nichtärzte“86 richtet, einen besonderen Stellenwert. Die Spezifik der Veröffentlichungen zur Wassertherapie, die sich in ihrer historischen Entwick- lung zögernder als andere Behandlungsformen innovativen wissenschaftlichen Erkennt- nissen öffnet, wird markiert sowohl durch die empirische Orientierung der Behand- lungsform selbst als auch durch ihren Adressatenkreis. Die empirisch fundierten balneo- logischen Schriften verstehen sich oft als praxisbezogene Ratgeber. Gerichtet an die medizinisch ungebildete Öffentlichkeit vermeiden sie im Unterschied zu heilkund- lichen Handbüchern meist grundlegende theoretische Erörterungen. Selbst da, wo sie sich auf exakte chemische Analysen berufen, erscheinen sie kaum um wissenschaf- tlich exakte Begründungen und differenzierte Begriffsarbeit besorgt. Das Anliegen der Texte besteht in der Benennung angemessener Behandlungsweisen einzelner Krankheiten und der Weitergabe ärztlicher Anweisungen, wobei des Öfteren auch die soziale Praxis bzw. die wirtschaftliche Seite des Kurbetriebes reflektiert wird. So sind der Lektüre der auf Perpetuierung und Konkretisierung des etablierten Wissens ausgerichteten Vorgaben der heilkundlichen Praxis kaum völlig neue Erkenntnisse

85 So z. B. Rezension der Systematischen Beschreibung aller Gesundbrunnen und Bäder der bekannten Länder vorzüglich Deutschlands, sowohl nach ihrer physisch chemischen Be- schaffenheit, als auch ihrem medizinischen Gebrauch für Ärzte und jeden, der eine Ueber- sicht und Beschreibung aller bis jetzt existierenden Bäder und Gesundbrunnen verlangt (Jena 1798) in der Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek, deren anonymer Autor das „Modestudium der Mineralwasser“ und das Überangebot an Bäder-und Brunnenlitratur heftig kritisiert. Vgl. Anonym (As.): Arzneygelehrtheit. In: Neue Allgemeine Deutsche Biblio- thek, Sieben und dreißigsten Bandes zweites Stück, Sechstes Heft, Intelligenzblatt No. 22, 1798, 343 f. 86 Vgl. Veröffentlichungstitel wie z. B. Eduard Preiss: Meine Entdeckungen und Erfahrungen im Gebiete der Wasserheilkunst. Für Ärzte und gebildete Nichtärzte. Heft 1-2, Berlin: Rücker & Püchler, 1854. 2.5 Therapeutische Richtungen 67

über die Grundlagen der zeitgenössischen Medizin abzugewinnen. Indes präsentieren die Schriften Erklärungen, Argumente und Konzepte, mit welchen Heines Zeitgenosse im Kontext einer Hydrotherapie konfrontiert wird. Im Bereich der Balneologie wird nicht mit einem, sondern mit zwei Körpertheo- remen operiert. Bei ihren einschlägigen Ausführungen und Ratschlägen greifen die Ärzte entweder auf das Körperkonzept der obsoleten Säftetheorie zurück, oder aber sie berufen sich auf die Vorstellung von der organischen Ganzheit von Soma und Psyche, die über Nervenbahnen gewährleistet wird.87 Dabei wird die Thematisierung des Körpers und der Gesundheit in den einschlägigen Schriften von der Vorstellung geprägt, dass die Einwirkung der genannten Faktoren einen starken Einfluss auf die kranken Nerven ausübt, so dass der Organismus des Patienten zuerst empfindlich geschwächt wird, bevor sich die ersten therapeutischen Erfolge zeigen können. Wieder- holt rufen die Mediziner die Patienten zur Minimierung der Gefahren der Schwächungs- phase auf. Sie verweisen darauf, wie wichtig es sei, sich zusätzlichen Belastungen, d. h. – mit dem charakteristischen Vokabular der zeitgenössischen Heilkunde gesprochen – jeglichen zusätzlichen „Reizungen“, „Anspannungen“, „Afficiertheiten“, „Exzessen“, „Irritationen“ während der Kur zu entziehen. Diese einschlägigen Anweisungen be- ziehen sich immer auf das Konzept einer psychophysischen Einheit, die während der Kur durch Anspannungen des Körpers, Leidenschaften der Seele und Überspannt- heiten des Geistes in Form von intensiver intellektueller oder schriftstellerischer Arbeit nicht gestört werden soll. Charakteristische Merkmale der genannten Schriften veranschaulicht sinnfällig die Stellungnahme Wilhelm Christoph Hufelands (1762-1836) zur letzteren Verbots- praxis. Die Bedingungen der therapeutischen Erfolge eines Kuraufenthaltes rekapitu- lierend, gab der Koryphäe der damaligen Medizinpraxis seinen Kollegen 1820 Folgen- des zu bedenken: „Den Denkern, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, das Denken geradezu zu verbieten, ist unmöglich, und in der That auch unklug. Denn ihnen ist das abstracte Denken ein so nothwendiger, integrierender Theil ihres Wesens und Lebens ge- worden, ihre ganze Existenz ist dadurch gleichsam so habituell zu einer Potenz erhoben, daß, wenn diese Exaltationen ihrer geistigen Thätigkeit mit einemmale wegfielen, dadurch eine sehr bedeutende Lücke in der Summe der Lebensreize und eine solche Depotenzierung ihres ganzes Lebensstandes entstehen würde. (...) Also man lasse sie auch hier fortdenken, nur nicht in der Einsamkeit der Studier- stube; und über einen fortgesetzten Gegenstand der Untersuchung, sondern mit Freiheit, Abwechslung der Gegenstände, im Gespräche mit geistreichen Freunden,

87 Das Aufkommen des Konzepts des „reizbaren Körpers“ veränderte nachhaltig auch die balneologischen Maßnahmen. Die auf der Säftetheorie basierende Badekur sah vor, dass die Patienten täglich etwa zehn bis zwölf Stunden im Bad, meist in einem Zuber oder einem sog. Badekasten verbringen sollten, bis ihre Haut wund wurde und die Krankheit durch Abfluss von kranker Flüssigkeit bzw. durch das Eindringen des heilenden Wassers therapiert werden konnte. Das Prinzip des „reizbaren Körpers“ arbeitete mit feiner Dosierung der Reize, daher betrug der Aufenthalt des Patienten im Wasser nur wenige Minuten. 68 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

besonders interessanten Weibern und in der Natur. Es ist unglaublich, wie viel die beiden letzten Puncte vermögen, den Exzess und auch Nachtheil der Geistesan- strengung zu vermindern.“88 Aufschlussreich erscheint der Kommentar nicht zuletzt aufgrund des impliziten Ver- weises auf die sozialen Gegebenheiten des Kurortlebens, denen sich die damalige Medizin auf eine besondere Art und Weise zu stellen hatte.89 In den 70er Jahren des 18. Jh.s war der Aufenthalt in den Brunnen- bzw. Badeorten vor allem den Kranken vorbehalten,90 er wurde bei zahlreichen Patienten als letzte Therapiechance betrachtet. In der Lebenszeit Heines setzt sich die Vorstellung durch, Krankheiten entstünden durch Überanspannung der Nerven. Damit erscheint ein ent- spannender Kuraufenthalt nicht nur als Therapieform, sondern als Vorsorgemaßnahme, die – rechtzeitig angewandt – künftige Krankheiten vermeiden lässt. Die Entwicklung der Vorstellungen von einem alljährlichen Kurortaufenthalt, der von einer genuin therapeutischen Maßnahme zu einer alljährlichen Praxis der Reichen wird,91 resultierte in der Herausbildung eines spezifischen Freizeithabitus, der infrastruk- turell durch Gründung von Konversationszimmern, Damensalons, Bibliotheken, Orches- tern, Promenaden, Aussichtspavillons und Spielhäusern (Farobanken) unterstützt wurde.92 Diese Entwicklungen wurden in den medizinischen Schriften im Zeichen mit

88 Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 44 f. 89 Auch hier warnte der Arzt ausdrücklich vor jedem Überschreiten des diätetischen Maßes, insbesondere vor bedrohlichen Konsequenzen der „Ausschweifungen in der Liebe” während der Kur, indem er schrieb: „Es würde sehr überflüssig seyn, von dem Schaden derselben hier ein Wort zu sagen. Die Sache spricht für sich selbst, daß zu einer Zeit, wo sich der Körper in einer angreifenden, schwächenden Operation befindet, nichts schädlicher seyn kann.“ Ebd., 49 f. 90 In ihrem 1821 erschienenen Roman Gabriele beschreibt die Mutter des Philosophen, Jo- hanna Schopenhauer, die Verordnung einer Badereise durchaus nüchtern als Beweis für die Hilflosigkeit der damaligen Medizin. Sie werde empfohlen, wenn „der Arzt keinen weiteren Rath wisse und den Kranken gern aus seiner Nähe entfernen möchte, um im schlimmsten Fall weiterer Verantwortung enthoben worden zu sein.“ Johanna Schopenhauer: Gabriele. Ein Roman, Theil 1-3, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1821, 264. 91 Die unterschiedlichen Motivationen eines Kuraufenthalts und die einschlägige Zusammen- setzung der Besucher erklärt das Damen Conversationslexikon von 1834 folgendermaßen: „Die Einen kommen, um an der heilsamen Quelle Genesung und Linderung zu finden, die Andern zur Erholung und Zerstreuung, weil in dieser Jahreszeit die Residenzstädte gewöhnlich leerer werden und die Geselligkeit, die besonders im traulichen Winter gedeiht pausiert. So erscheinen im Bade: die Modedame, die es zu wenig vornehm hält, ganz gesund zu sein, und weil es Mode ist, ins Bad zu reisen und Brunnen zu trinken, der reiche Müßiggänger, der Zerstreuung und Wechsel der Bekanntschaften sucht, der Spieler, der Abenteurer und endlich der Reisende, der fürchtend und hoffend der Göttin naht. Der Aufent- halt in Bädern hat eben durch diese Mischung der Stände, Nationen, Charaktere und durch den Umstand, daß in der Regel nur Wohlhabende und Gebildete dieselben zu besuchen im Stande sind, etwas ungemein Reizendes, zumal, da sie größtentheils in schönen Gegenden liegen und überaus viele Veranlassung zu Zerstreuungen, Excursionen etc. gewähren (...).“ Damen Conversations Lexikon. Herausgegeben im Verein mit Gelehrten und Schriftstelle- rinnen von Carl Herlosssohn, Leipzig: Fr. Volckmar, 1834, Bd. 1, 414 f. 92 Hufeland: Geschichte der Gesundheit, 44. 2.5 Therapeutische Richtungen 69

Besorgnis betrachtet. Die Mediziner warnten vor Gefahren, die durch das „Ausbleiben des Nachts“ und den Aufenthalt in den Räumen, in denen „die Luftvergiftung durch große Menschenmenge“ auftritt, entstehen.93 Damit wurde den Patienten während der Kur von der Frequentierung von Theatervorstellungen und Bällen abgeraten. Als der „Inbegriff alles Verderblichen, was sich bei einer Brunnenkur denken läßt“,94 galt das im damaligen Sprachgebrauch „Farobank“ genannte Spielkasino, das „gehässige Leidenschaften“ und „peinliche Spannung“95 weckt. Da die Wasserbehandlung einer kritischen Überprüfung durch naturwissenschaft- liche Methoden über weite Teile nicht standhalten konnte, nahm die wissenschaftliche Skepsis gegenüber der Balneologie in der Zeit immer mehr zu.

2.5.4 Magnetismus In der Reihe medizinischer Konzepte, die für Heine therapeutische Relevanz erlangen, muss auch der Magnetismus genannt werden, den der Autor dank dem angesehenen Arzt und Schriftsteller David Ferdinand Koreff (1783-1851) kennen gelernt hat. Koreff behandelte Heine im März 1836 und im November 1841, also erst während des Aufent- halts des Dichters in Paris, allerdings lernte ihn Heine über Vermittlung des Ehepaars Varnhagen, mit dem Koreff eng befreundet war, schon während seiner Berliner Stu- dienzeit 1822 kennen.96 Dass Heine die Prinzipien der magnetischen Kur vertraut waren, belegt auch ein Brief seines Bruders, des Arztes Maximilian Heine (1806-1879), der dem Dichter im Oktober 1831 aus Sankt Petersburg Folgendes mitteilt: „Es liegen noch 2 Abhandlungen, ausführlich und zum Druck bereit in meinem Re- fecktorium. – Die Erste enthält Thatsachen über die animalisch-magnetische Cur- methode – Ich habe diese blendenden Versuche nicht an mondsüchtigen und anders- süchtigen Berlinerinnen gemacht, sondern unter Leuten, wo das Wort »Magnetis- mus« noch nicht die Gränze passirt hat, ja die noch nie eine Magnetnadel gesehen haben, nemlich auf den Dörfern Rumeliens und Bulgariens – Hier glaube ich vor Trug, Täuschung u. s w. sicher gewesen.“ (HSA 24; 93)97

93 Ebd. 94 Ebd., 49. 95 Ebd. 96 Wohl nicht zuletzt dieser Vermittlung verdankte sich die wohlwollende Erwähnung Koreffs als Librettiautor in Heines Briefen aus Berlin. (Vgl. DHA 6; 408) Koreff, der zu Heines Studienzeit eine der angesehensten Persönlichkeiten des Gesellschaftslebens in Berlin war, übte als Leibarzt des preußischen Staatskanzlers von Hardenberg zeitweilig großen politi- schen Einfluss aus. E. T. A. Hoffmann, der über die enge Freundschaft mit Koreff den Magnetismus kennen gelernt hat, hat ihn im Zyklus Serapionsbrüder in der Gestalt des Vinzenz porträtiert. Hierzu: vgl. Montanus: Der kranke Heine, 350. Auch während seines Aufenthalts in Paris verkehrte Koreff in den bedeutendsten Salons und führte eine modische, von den höchsten Kreisen besuchte Praxis. 97 Nach dem Medizinstudium in Berlin und München trat Maximilian Heine 1829 als Arzt in den russischen Staatsdienst ein und nahm am russisch-türkischen Krieg unter dem General von Diebiè teil. 1832 wurde er in St. Petersburg zum Chirurgen an der Militärschule ernannt. 70 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit

Es überrascht nicht, dass Maximilian das Heilkonzept der „animalisch-magnetischen Cur“ anspricht, dessen Kenntnis er bei seinem Bruder Heinrich voraussetzt, handelt es sich doch dabei um eins der wichtigsten Konzepte, die das europäische Geistesleben des späten 18. und des frühen 19. Jh.s prägen. In Berlin, wo Heinrich und Maximilian Heine sich in den zwanziger Jahren des 19. Jh.s zu Studienzwecken aufhalten, findet das Konzept besonders viel Resonanz. Dies verdankt sich der Unterstützung durch die Regierung Preußens, die 1812 eine Untersuchungskommission zur Erforschung der magnetischen Phänomene ansetzt, deren positivem Urteil 1816 die Gründung eines Lehrstuhls für Magnetismus folgt. In Berlin wird der Magnetismus durch einfluss- reiche Ärzte vertreten, unter denen neben David Friedrich Koreff auch Karl Christian Wolfart (1778-1832) zu nennen wäre, zu dessen Patienten führende Wissenschaftler der Zeit (u. a. Fichte, Savigny, Schleiermacher) und prominente Persönlichkeiten des Gesellschaftslebens, wie der Minister Wilhelm von Humboldt und seine Frau Caroline, ferner einige Verwandte des Staatskanzlers Hardenberg zählen.98 Die größte Popularität des Magnetismus als Heilmethode in Deutschland lässt sich bis in die frühen zwanziger Jahre des 19. Jh.s nachweisen, einige Bedeutung behält er allerdings bis in die Mitte jenes Jahrhunderts. Im Jahre 1822, zu der Zeit also, in der sich Heine in Berlin aufhält, kann man zwar in der führenden medizinischen Fachzeitschrift, dem Journal der practischen Heil- kunde und Wundarzneykunst Folgendes lesen: „Die Wunder des Magnetismus haben sich eher vermindert als vermehrt, seitdem ruhige und nüchterne Beobachtung an die Stelle des anfänglichen Enthusiasmus (...) getreten ist. Er tritt immer mehr in die Klasse der Heilmittel zurück, die be- dingungsweise ihren Werth haben; aber auch diesen beschränken die so leicht damit verbundenen Gefahren der Schwärmerey, des Betrugs, der Selbsttäuschung und der Sinnlichkeit noch mehr. Die Zweifel (...) vermehren sich.“99

Neben heilkundlichen hegte Maximilian auch literarische Ambitionen. In seiner Eigenschaft als Arzt gründete und redigierte er zusammen mit zwei anderen deutschen Ärzten die Medi- zinische Zeitung Russlands, die von 1844 bis 1859 erschien. Seine wichtigsten medizini- schen Veröffentlichungen sind Medico-Topographische Skizze von St. Petersburg (1844), Beiträge zur Geschichte der Orientalischen Plage (1846), Reisebriefe eines Arztes (1853). Überdies verstand sich der Mediziner Heine, der zuweilen mit kleineren literarischen Arbeiten dilettierte, als Vermittler der russischen Literatur nach Deutschland. Neben einigen Ge- dichten veröffentlichte er 1839 seine Briefe aus St. Petersburg, mit denen er an das damals beliebte publizistische Genre der Stadtkorrespondenz anschloss, 1841 publizierte er eine Essaysammlung u. d. T. Geselliges und Literarisches, 1868 Erinnerungen an Heinrich Heine und seine Familie. Er publizierte auch eigene Übersetzungen aus dem Russischen. Vgl. Neue Deutsche Biographie, Bd. 8, 286; August Hirsch: Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg, 1931, Bd. 3, 135. Ein interessantes Porträt Maximilians entfalten Waltraud und Heinz Müller- Dietz: Zur Biographie Maximilian (von) Heines, HJb 1987, 135-166. 98 Olaf Briese belegt, dass Wolfart die magnetische Kur in Berlin noch bei der Cholera-Epidemie im Jahre 1830 anwandte. Vgl. Briese: Angst in den Zeiten der Cholera, 128. 99 Hufeland: Ein Blick auf die Lage der Heilkunst beim Antritt des Jahres 1822. In: Journal der praktischen Heilkunde und Wundarzneykunst, Band LIVXXXXVII/ 1822, 6. Der Autor 2.5 Therapeutische Richtungen 71

Selbst dieses kritische Urteil, das eine immer seltenere Anwendung von magneti- schen Kuren registriert, bestätigt ihre Präsenz im medizinischen Diskurs als kontro- verses Diskussionsobjekt.100 Für die Verwendung der magnetischen Methode plädiert man noch in den vierziger Jahren des 19. Jh.s. Im Jahre 1840 bekennen die Autoren der für die Fachkreise meinungsbildenden Ausführlichen Encyklopädie der gesammten Staatsarzneykunde zum Magnetismus, indem sie erklären: „[a]n der Sache ist, wenn wir sie von allem Schmuck entkleiden, allerdings was Wahres (...)“101. Man ist in den 1840er Jahren nicht mehr überzeugt vom breiten Anwendungsspektrum der Therapie, man empfiehlt auch äußerste Vorsicht bei ihrem Einsatz, ihr sedativer und palliativer Wert wird jedoch nach wie vor geschätzt. Bis in die späten 40er Jahre des 19. Jh.s beansprucht der Magnetismus die Aufmerksamkeit der Medien, indem er zu anästhe- tischen Zwecken bei chirurgischen Eingriffen erfolgreich eingesetzt wird, bis ihn die 1842 zum ersten Mal verwendete Äthernarkose aus dem Operationssaal nach und nach verdrängt. Aufgrund der Popularität des Modethemas „tierischer Magnetismus“ in der ersten Hälfte des 19. Jh.s erscheint es im Zusammenhang mit dem Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit sinnvoll, auf die Voraussetzungen und Prinzipien der magneti- schen Behandlung näher einzugehen. Der tierische Magnetismus, der im Deutschland des 19. Jh.s die Namen „Zoomagne- tismus“, „Tellurismus“, „Magnetismus animalis“, „Mesmerismus“, „Neurogamia“, „Biogamia“, „Lebensmagnetismus“ bekommt102, bildet ein ganzheitlich orientiertes Heilkonzept, das von Arzt Anton Mesmer (1734-1815) um 1775 entwickelt wurde. Die Grundvoraussetzung Mesmers bildete die Vorstellung einer in der Erde und den tierischen (und menschlichen) Körpern zirkulierenden Energie, die Mesmer als eine äußerst feine Flüssigkeit (genannt „magnetisches Fluidum“, „All-Flut“ oder auch „Lebensfeuer“) imaginierte, die Licht, Feuer, Elektrizität und dem mineralischen Magnetismus ähnele, zugleich jedoch mit keiner dieser Energien gleichzusetzen sei. Dieses magnetische Fluidum bestimme das Funktionieren und damit auch die Gesund- heit des Körpers und der Seele, indem es auf die Nerven einwirke, die darauf die Muskelfiber und damit alle körperlichen Tätigkeiten beeinflussen. Alle Krankheits- prozesse lassen sich laut Mesmer auf eine stockende Zirkulation des Fluidums im Körper zurückführen, die es in der Therapie durch Transfer des Fluidums von außen der Kritik, Hufeland, erkannte in den ersten Jahren des 19. Jh.s die Heilerfolge der Methode an und öffnete sein bald berühmtes Journal den Beiträgen zum Magnetismus, womit er wesentlich zu dessen Erfolg in Berlin beitrug. 100 Das publizistische Sprachrohr des animalischen Magnetismus in Deutschland, Das Archiv für den thierischen Magnetismus, das in 12 Bänden seit 1817 erscheint, stellt sein Erschei- nen 1824 ein. 101 Ausführliche Encyklopädie der gesammten Staatsarzneykunde hrsg. von Georg Friedrich Most, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1840, Bd. 2, 1177. 102 Die Autoren der Ausführlichen Encyklopädie empfehlen die Anwendung der magnetischen Streiche bei Nervenleiden und Schmerzen. Es heißt: „Man gebrauche das magnetische Strei- chen vorzüglich als Palliativ zur Minderung heftiger Schmerzen, bedeutender Krämpfe, im Anfalle der Ohnmacht, besonders bei den Krämpfen der Kinder.“ Ebd., 1776. 72 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit zu beheben gelte. Für jenen Transfer, den Mesmer als „Magnetisieren“ bezeichnet, sei die Präsenz eines geeigneten Heilers, des Magnetiseurs erforderlich, der den Kranken durch direkte Beeinflussung oder über Vermittlung magnetisierter Objekte heilen könne. Die Heilung könne vor allem durch Handauflegen, streichende Handbewe- gungen entlang des Körpers knapp oberhalb der Haut (d. h. durch „Manipulationen“ bzw. „passes“), durch Blicke, durch Spiegel oder andere magnetisierte Objekte (aber auch durch magnetisiertes Wasser) herbeigeführt werden. Die Übertragung von Energie könne durchaus auf Distanz erfolgen, da Mauern vermeintlich kein Hindernis für das Fluidum darstellen. Die genannten Kurmaßnahmen lösten bei Patienten häufig Krämpfe oder Ohn- machten aus, zuweilen versank ein Patient in einen tiefen „magnetischen“ Schlaf. All diese Symptome galten als Zeichen „heilsamer Krisen“, in denen sich die Merkmale der jeweiligen Krankheit zuspitzten, die aber letztendlich die Stockungen des Fluidums und damit das jeweilige Leiden zu beheben halfen. Mesmer, der mit seinem Konzept an die Forschungen von Albrecht Haller anzu- knüpfen glaubte, nahm an, dass sich die von ihm wahrgenommenen Phänomene nach mechanischen Gesetzen beschreiben lassen, die man bald vollständig erschließen werde. Er zeigte sich überzeugt von der Wissenschaftlichkeit seines Projekts, das trotz all seiner Bemühungen um physikalische Grundlegung doch bald in den Ruf einer Scharlatanerie geriet. Im Zeichen des um 1800 romantisch redefinierten Wissenschaftsverständnisses wurde der Magnetismus zum beliebten, wenn auch nach wie vor kontrovers disku- tierten Gegenstand des Fachdiskurses, zu dem sich zahlreiche medizinische Auto- ritäten aussprachen. Zu den entschiedenen Befürwortern des Konzepts gehörten führende romantische Naturforscher und Mediziner, zu denen neben dem in der vorlie- genden Arbeit bereits zitierten Johann Christoph Reil auch Lorenz Oken (1779-1851), Gotthilf Heinrich Schubert (1780-1860), Christian Gottlieb Gmelin (1749-1818) und Carl August von Eschenmayer (1768-1852) zählten. Im Zuge der Auseinandersetzung der romantischen Naturwissenschaftler mit diesem Konzept kommt es zu einer folgenreichen Verlagerung der bisherigen Perspektive. Nach 1800 wurde Magnetismus zwar immer noch als erfolgreiche therapeutische Methode verwendet und diskutiert, daher kann er fraglos als Gegenstand des medizinischen Fachdiskurses betrachtet werden. Gleichzeitig gilt er auch als Phänomen, das nicht nur medizinische, sondern auch die naturphilosophische, anthropologische, psycho- logische, schließlich auch die ästhetische Reflexion inspiriert. Seine eigentliche Bedeutung in der Romantik gewinnt der animalische Magnetismus in erster Linie als Mittel zur Erforschung unbewusster seelischer Phänomene. In diesem Sinne definiert das Phänomen u. a. Heinrich Gotthilf Schubert, der eine der einfluss- reichsten romantischen Erklärungen des tierischen Magnetismus liefert. Als repräsen- tativ für die romantische Perspektivierung des Phänomens kann vor allem die drei- zehnte Vorlesung seiner Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808) aufgefasst werden, die den Titel Von dem thierischen Magnetismus und einigen ihm verwandten Erscheinungen trägt. Schubert ist einer der ersten Autoren, die sich auf die 2.5 Therapeutische Richtungen 73

Erscheinung des magnetischen Rapports, d. h. der Beziehung konzentrieren, welche zwi- schen dem Magnetiseur und dem Patienten entstehe.103 Dabei interpretiert Schubert die zwischen Magnetiseur und dem in einen seltsamen hypnoseähnlichen (somnabulen) Zustand versunkenen Magnetisierten bestehende „Sympathie“ als ein Machtverhältnis, in dem der Magnetiseur über die Seele der Magnetisierten vollständig verfüge.104 Den zweiten Fokus des romantischen Interesses am Magnetismus, der im Zusam- menhang mit der Faszination der Epoche an Erscheinungen des Unbewussten steht, bildet der magnetische Schlaf. Die mit dem Schlaf einhergehenden Erfahrungen der Patienten wurden als existenzielle Steigerungszustände interpretiert, die eine höhere ideale Welt offenbaren. Während die romantischen Naturwissenschaftler davon überzeugt waren, dass sie aufgrund ihrer einschlägigen Experimente einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Unbewussten leisten und dass ihre unter Rekurs auf das Nervenparadigma gebo- tenen spekulativen Erklärungen des Magnetismus physikalische Beweise darstellen, fiel die literarische Problematisierung des Phänomens ambivalent aus. Um 1800 gehört der animalische Magnetismus zu jenen naturwissenschaftlich- medizinischen Themen, denen in der Literatur wohl die stärkste Aufmerksamkeit zukommt, wobei die therapeutische Anwendung des Phänomens größtenteils außer Acht gelassen wird.105 Die literarische Perspektivierung des Magnetismus ist nicht als ein innovatives thematisches Angebot der romantischen Literatur zu betrachten, da sich dem Thema auch Autoren, die der Romantik nicht zuzurechnen sind, zugewandt haben. U. a. wird es Moritz August von Thümmel in seiner vielgelesenen Reise in die mittäglichen Provinzen Frankreichs (1791-1805), von Friedrich Schiller in Geisterseher und von Goethe im Roman Wahlverwandschaften (1808) und Wilhelm Meisters Wanderjahre (1821/29) literarisiert. Die literarische Konjunktur des Themas, die bis um 1830 an- dauert, verdankt sich allerdings erst der von den Erkenntnissen der romantischen Naturwissenschaft inspirierten Faszination romantischer Autoren,106 deren Texte die Thematik magnetisch induzierter Abhängigkeit und Willensbeeinflussung fokussieren. Zu den bekanntesten Texten, die das Verhältnis zwischen dem Magnetiseur und den Patienten als eine die Identität des Magnetisierten gefährdende Beziehung problema- tisieren, gehören E. T. A. Hoffmanns Der Magnetiseur (1814), Der unheimliche Gast (1818), Heinrich von Kleists Das Käthchen von Heilbronn (1810), Der Prinz von Homburg (1821), Achim von Arnims Die Versöhnung in der Sommerfrische (1812),

103 Vgl. Jürgen Barkhoff: Magnetische Fiktionen. Literarisierung des Mesmerismus in der Romantik. Stuttgart, Weimar: Metzler, 1995, 244. 104 Gotthilf Heinrich Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften, Nach- druck der Ausgabe von 1808, Leipzig: Eschbort, 1992, 326-328. 105 Es liegen allerdings auch Texte vor, die wie Friedrich Schlegels Tagebuch über die magnetische Behandlung der Gräfin Lesniowska (1820-1826), Jean Pauls Selina (1821) und Friedrich Wil- helm Joseph Schellings Clara (1809-1812) Magnetismus als Heilmethode reflektieren. 106 Vgl. Bettina von Jagow, Florian Steger: Literatur und Medizin: ein Lexikon, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, 531-534. 74 2 Zum medizinischen Kontext der Heine-Zeit sowie Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810). Außer Heinrich von Kleist, der die Phänomene der magnetisch induzierten Willensbeeinflussung in Hinblick auf die Problematik politischer Gewalt reflektiert, stellen die romantischen Autoren die erotische Spannung zwischen den Geschlechtern in den Mittelpunkt ihrer Magnetismus-Darstellungen, wobei vorwiegend Frauen als Opfer eines manipulativen Magnetiseurs dargestellt werden. Es liegen jedoch auch Texte vor, die wie Caroline de la Motte Fouqués Roman Magie der Natur (1810), Achim von Arnims posthum herausgegebene Die Päpstin Johanna, E. T. A. Hoffmanns Dogge und Doggaresse (1817) oder Eduard Mörikes Maler Nolten (1832) das Geschlechterverhältnis im Magnetismus umkehren, indem sie Magnetiseurinnen-Figuren konstruieren. In der Restaurationszeit wird die literarische Erotisierung des Magnetismus in der Novellistik mit Texten von Ludwig Tieck (1773-1853) Die Wundersüchtigen (1829), Liebeswerben (1839) und Heines Freund Karl Leberecht Immermann (1796-1840) Der Karneval und die Somnabule (1830), Münchhausen (1838/39) tradiert. Zugleich entstehen auch Texte, die sich dieser Perspektive entgegensetzen, indem sie den Magne- tismus als eine Methode perspektivieren, mit der sich Gewissheit über das Leben der Seele nach dem Tode des Menschen gewinnen lässt, unter denen Justinus Kerners (1786-1862) Die Seherin von Prevorst (1829) am bekanntesten wurde.107 Die Frage nach der Relevanz des animalischen Magnetismus für den intellektuellen Horizont der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jh.s wäre folgendermaßen zu beantworten: Das Konzept, das einen Transfer von einem unsichtbaren Fluidum zwischen kommuni- zierenden Körpern vorsieht, wird im Bereich des medizinischen Fachdiskurses erörtert, es wird zudem therapeutisch von akademisch ausgebildeten seriösen Ärzten (Koreff, Wolfart) umgesetzt. Gleichzeitig bildet das Konzept in der genannten Zeit ein beliebtes Sujet der literarischen Darstellung, für die allerdings weniger die therapeutische Wir- kung, vielmehr die Möglichkeit der Willensbeeinflussung des Individuums durch die Übertragung von magnetischer Energie auf sein Nervensystem und deren erotische Implikationen eine Rolle spielen.

2.5.5 Zu heilkundlich relevanten institutionellen Kontexten der Reisebilder Den Überblick über medizinische Kontexte der frühen Prosa Heinrich Heines möchte ich mit dem Hinweis auf zwei in der bisherigen Heine-Forschung nicht berücksichtigte medizinische Schriften abschließen, die Einsichten in das medizinische Umfeld der Reisebilder erlauben. Mit der ersten der beiden Schriften, u. d. T. Die Universitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht (1828) lassen sich Hintergrundinforma- tionen über Strukturen und Personalstand von akademischen Institutionen in den Städten gewinnen, in denen sich der Student und später junge Schriftsteller Heine zur Zeit der Niederschrift der Reisebilder aufhielt.108

107 Ebd., 333 f. 108 Hermann Friedrich Kilian: Die Universitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissen- schaftlicher Hinsicht, Heidelberg und Leipzig: Neue akademische Buchhandlung von Karl Groos, 1828. 2.5 Therapeutische Richtungen 75

In der vorliegenden Arbeit wird die genannte Abhandlung bei der Bestimmung der einschlägigen Kontexte im Falle von Göttingen und München hinzugezogen. Die zweite Schrift, die im Bereich der Heine-Forschung zum ersten Mal fruchtbar gemacht wird, bilden die Reiseberichte des kaum bekannten Schweizer Arztes Conrad Meyer-Hofmeister, der nach dem Abschluss seines medizinischen Studiums in der Heimat eine „Grand Tour“ durch Europa in den Jahren 1827-1831 unternommen hat. Die Besonderheit der Berichte Meyer-Hofmeisters besteht u. a. darin, dass seine Notizen fast ausschließlich auf die medizinische Infrastruktur des jeweiligen Ortes konzentriert bleiben, womit dem Ziel der auf die Vervollständigung der heilkundli- chen Ausbildung ausgerichteten Reise entsprochen wird. Der angehende Arzt hält sich zum großen Teil in denselben Orten wie der Dichter Heine auf, wobei er nicht nur prominente Stätten der europäischen Kulturgeschichte, wie Göttingen, Berlin, München, Florenz, London und Paris, sondern auch weniger relevante und für Heines Texte doch wichtige Orte wie die Bäder von Lucca und die Stadt von Lucca aufsucht. Aufgrund einer – je nach der „Station“ – ein- bis zweijährigen Zeitverschiebung ihrer Aufenthalte sind der deutsche und der Schweizer Europa-Reisende einander nie begegnet. Da das Tempo von infrastrukturellen Veränderungen im Bereich der Heil- kunde in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s nicht rasant war, wird in der vorliegen- den Arbeit das Tagebuch des Arztes als medizinischer Kontext der Reisebilder heran- gezogen, wobei seine Aussagen unter Rekurs auf andere heilkundlich relevante Belege verifiziert werden. Die Reiseschrift Meyer-Hofmeisters erscheint für die Auswer- tung der jeweiligen „medizinischen Landschaft“ besonders wertvoll. Über ihren Wert entscheidet nicht nur die fachliche Kompetenz des Tagebuchschreibers, sondern auch die penible Genauigkeit seines Berichts. Von der wissenschaftlichen Qualität des vom angehenden Arzt verfassten 600-Seiten langen Reisetagebuchs zeugt u. a. die Tatsache, dass es nach der Rückkehr in die Schweiz vom Autor als brauchbare Unter- lage in seiner ärztlichen Praxis verwendet wurde.109

109 Christoph Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier anhand der Reiseberichte des Zürcher Arztes Conrad Meyer-Hofmeister 1827-1831, Basel: Schwabe Verlag, 1997. Die aufwen- dig realisierte Edition, die die in verschiedenen Bibliotheken Zürichs verstreuten Manu- skripte des Mediziners verknüpft, enthält neben den Schriften des Schweizers auch eine 200-Seiten lange Einführung.

3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Die Harzreise (1826) gilt in der Heine-Forschung als erster Versuch des Autors, zu einer innovativen Form der Reiseprosa vorzustoßen, zudem als ein Text, der Heines „Orientierungssuche und Hinwendung zum gesellschaftspolitischen Selbstverständ- nis“1 reflektiert. Im Zusammenhang der literarischen Diskursivierung des Körpers kommt der an ideologischen und ästhetischen Scheidewegen stehenden Schrift eine besondere Stellung zu. Sie weist nämlich die für Heines Prosa charakteristische topi- sche Fixierung des Körpers auf, liefert ein instruktives Beispiel für die Integration des medizinischen Spezialdiskurses in den literarischen Text und darüber hinaus auf- schlussreiche Belege für poetologische Überlegungen zum Ort der Medizin in der Literatur, die sich richtungsweisend für die späteren Texte Heines erweisen sollten. Die Frage nach der spezifischen Affinität der Harzreise zum medizinischen Dis- kurs wird legitimiert durch die besondere biographische Nähe des Verfassers zur Heilkunde während der Niederschrift des Textes. Er geht nämlich auf die Erfahrungen des Autors während seines 1820 angefangenen Studiums in Göttingen zurück, wo Heine besonders oft über seinen schlechten Gesundheitszustand brieflich klagt. Den realen Hintergrund der Harzreise bildet die Fußwanderung, die der Göttinger Jurastudent Heine zwischen dem 12. (bzw. 13.) September und dem 11. Oktober 1824 im Harzgebirge unternimmt und deren Route nach dem Verlassen der Universi- tätsstadt über , den und Ilsenburg letztendlich Jena und Weimar an- steuert, um nach dem Besuch bei der Kultfigur Goethe über Erfurt, Kassel im Aus- gangsort Göttingen ihr Ende zu nehmen. Der realen Wanderung entspricht ein chrono- logisch geordneter poetischer Bericht, der nach einer sechs Tage und fünf Nächte umfassenden Beschreibung bei der Schilderung von Ilsenburg abbricht und in einen orts- und zeitverschobenen Epilog mündet.2 Die Auseinandersetzung der Harzreise mit dem medizinischen Diskurs konzentriert sich in Passagen, die im direkten Zusammenhang mit den Aufenthalten des Ich-Erzählers und Protagonisten in Göttingen und Goslar stehen. Im Zusammenhang mit dem Auf- enthalt im ersten dieser Orte steht Heines Auseinandersetzung mit einer Monographie seines Göttinger Arztes Karl Friedrich Heinrich Marx, die in der bisherigen For- schung keiner eingehenden Analyse unterzogen wurde. Mit der Beschreibung von

1 Sabine Bierwirth: Heinrich Heines Dichterbilder. Stationen seines dichterischen Selbst- verständnisses, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1995, 19. 2 Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 193. 78 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Goslar verband Heine eine (in der Forschung ebenfalls vernachlässigte) Stellungnah- me zu anatomischen Konzeptualisierungen des Körpers in der Kunst. Die genannten Passagen bilden den Fokus der folgenden Analysen.

3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“

Die Auseinandersetzung der Harzreise mit dem zeitgenössischen medizinischen Dis- kurs verbindet sich mit der satirischen Darstellung der Universitätsstadt Göttingen. Um diese These belegen zu können, heißt es auf eine der meistzitierten Stellen des heineschen Œuvres eingehen: Jene „dichte“ Passage, an der die Forscher sowohl die thematischen Konstanten des heineschen Werkes, d. h. Reise, aggressive Philistersatire, Kritik am deutschen Wissensbetrieb, als auch typische formale Strategien des Autors – seine assoziative Schreibweise und das schillernde „Conceptum der Karnevalisie- rung“ festmachen.3 „Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungs- anstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Die Stadt ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie muss schon sehr lang stehen; denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliert wurde, hatte sie schon das- selbe graue, altkluge Aussehen und war dort schon vollständig eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Teedansants, Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promotionskutschen, Pfeifenköpfen, Hofräten, Jus- tizräten, Relegationsräten, Profaxen und anderen Faxen. Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davon stammen all die Vandalen, Friesen, Schwaben (...), die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis und geschieden durch Farben und Mützen (...) über die Weender Straße einherziehen, (...) in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben (...). Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger als geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig. (...). Ausführlicheres über die Stadt Göttingen läßt sich sehr bequem nachlesen in der Topographie derselben von K. F. H. Marx. Obzwar ich gegen den Verfasser, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die heiligsten Verpflichtungen hege, so kann ich doch sein Werk nicht unbedingt empfehlen.“ (DHA 6; 83 f.)

3 Vgl. Slobodan Grubacic: Heines Erzählprosa. Versuch einer Analyse, Stuttgart: Kohlhammer, 1975, 93. Frank Schwammborn: Maskenfreiheit. Karnevalisierung und Theatralität bei Heinrich Heine, München: iudicium, 1998, 14 f. 3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“ 79

Diese Anfangspassage führt dem Leser der Harzreise sinnfällig vor Augen, wie wenig Göttingen, in dem Heine zum ersten Mal zwischen Herbst 1820 und Anfang 1821 und zum zweiten Mal zwischen Anfang 1825 und Sommer desselben Jahres studierte,4 in den Augen des Autors zum Handlungsort eines geglückten Bildungsromans taugt. Die aggressiven Ausfälle Heines gegen seine Universitätsstadt werden in der Forschung als Kompensationsleistungen der existenziellen Traumata gedeutet, die dem Verfasser in seinem Studienort zuteil wurden.5 Die biographischen Rekonstruktionen benennen Göttingen als den Ort mehrfacher Ausgrenzungen aus gemeinschaftlichen, erotischen, religiösen und beruflichen Lebensperspektiven. Sie verweisen vordergründig auf jene Erschütterungen, die direkt und indirekt mit Heines jüdischer Herkunft zu tun haben. Kurz nach dem Anfang des Studiums in Göttingen wird der Jurastudent infolge der sich intern zuspitzenden nationalistischen Stimmungen aus der Burschenschaft aus- geschlossen und aufgrund eines auf den Ausschluss folgenden Duells von der Uni- versität verwiesen. In der letzten Studienphase setzt er sich im dreißig Kilometer von Göttingen entfernten Heiligenstadt dem traumatisierenden Erlebnis der protestanti- schen Taufe aus. Hinzu kommen andere schmerzhaft erfahrene Zurücksetzungen. In Göttingen bekommt der Autor des Buchs der Lieder die Nachricht über die Vermählung seiner Geliebten mit einem anderen. Von Göttingen aus unternimmt er seine Harzreise, mit der Vorstellung, von seinem Idol Goethe in Weimar aufgenommen zu werden, dieser verweigert ihm jedoch seine Aufmerksamkeit. Sein Doktorexamen besteht Heine mit rite, jener wenig erfolgreichen Note III, die ihm den Weg zu einer schnellen erfolg- reichen juristischen Karriere versperrt.6 Hinzu kamen Krankheitserlebnisse, die den Autor intensiven Leibes- und Medizin- erfahrungen aussetzten. Bevor auf diese Erfahrungen näher eingegangen wird, er- scheint es zunächst sinnvoll, den Stellenwert der Medizin in dem die kommunalen Strukturen stark dominierenden akademischen Betrieb Göttingens zu bestimmen. Diese Bestimmung erscheint insofern wichtig, als sie auch die Antwort auf die Frage erlaubt, welches der um 1820 aktuellen Medizinkonzepte in Heines Göttinger Umfeld vor- handen waren.

4 Heine kommt zum ersten Mal im Oktober 1820 nach Göttingen und bleibt dort bis zu seiner einige Tage nach dem aufgrund eines Duells erteilten Consilium Abeundi erfolgten Abreise (Anfang Februar 1821). Zum zweiten Mal immatrikuliert er sich dort im Januar 1824 und verlässt die Stadt nach der im Juli 1825 erfolgten Promotion zum Dr. jur. Zwischen den beiden Göttinger Studienphasen lagen Studienaufenthalte in Bonn und Berlin, aber auch der als be- sonders langweilig empfundene Aufenthalt des Autors im Haus seiner Eltern in Lüneburg. 5 Vgl. Jochen Hörisch: Heine in Göttingen. Geschichte einer produktiven Traumatisierung, HJb 1984, 9-22, hierzu vgl. 9-11. 6 Laut Hörisch hat Heine bereits in Göttingen seine individuellen Traumata als repräsentative Epochenerfahrungen interpretiert. Er schreibt: „In Göttingen bündeln sich für Heine negative, ja traumatisierende Erfahrungen in einer Intensität, die im Schema zufälliger Betroffenheit nicht angemessen zu begreifen ist. Heine, der vielfach Ausgeschlossene, muß sich hier als repräsentativer Märtyrer erfahren. Er wird zum Opfer der Spannungen innerhalb der noch jungen Burschenschaften, und zum Opfer eines – auch im Vergleich mit den vorausliegenden Bonner und nachfolgenden Berliner Erfahrungen – unsinnigen Universitätsbetriebs und schließlich zum Opfer antisemitischer Rancune.“ Ebd., 19. 80 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Göttingen, das in den Tagen Albrecht von Hallers zu einem wichtigen Zentrum der empirischen Naturwissenschaften, der physiologischen Forschung und der Medi- zin in Deutschland geworden war, galt zu Heines Studienzeit immer noch als ein Ort, an dem unter Betreuung medizinischer Berühmtheiten eine gediegene medizinische Bildung eklektischer Prägung erworben werden konnte.7 Der gute Ruf der medizini- schen Fakultät spiegelte sich in den Studentenzahlen wider. Unter den ca. 15 000 Studierenden kamen in Göttingen nach den Studenten der Jurisprudenz diejenigen der Medizin zahlenmäßig gleich an zweiter Stelle.8 Der Schweizer Mediziner Conrad Meyer-Hofmeister, der, vom Ruhm der medizinischen Fakultät begeistert, nach Göttin- gen kam, um hier zu promovieren, erklärte die Wahl des Ortes und der Universität folgendermaßen: „Göttingen war in der damaligen Zeit durch das Zusammenwirken vorzüglicher Lehrer eine der besten Universitäten Deutschlands, besonders mit Hinsicht der Medizinischen Fakultät. (...) Blumenbach, bei dem ich vergleichende Anatomie anhörte, war gealtert, aber immer noch genial und anregend und erfreute durch seine witzigen Einfälle. (...) Langenbeck, ausgezeichnet durch seine operative Fertigkeit und mehr als geniale Methoden, als Lehrer unermüdet, als Schriftsteller ungenießbar. (...) Himly geistreich, wissenschaftlich umfassende Bildung, zuweilen besonders im Kapitel der allgemeinen Pathologie oft in naturphilosophischen Theorien sich ergehend, jedoch angenehm und anregend im Umgange, in der Ophtalmologie und Ohrenheilkunde selbständig vorwärtsschreitend, in beiden Wissenschaften bahnbrechend und befruchtend wirkend für die neuere Zeit. Conradi gelehrter, moderner Dogmatiker.“9 (Hervorhebung K. J.) Wie zahlreiche andere biographische Zusammenhänge lassen sich Heines direkte Kontakte zu Vertretern und Studenten medizinischer Fakultät nicht nachweisen. Daran, dass Heine seinem jüngeren Bruder Maximilian riet, in Göttingen zu studieren (vgl. HSA

7 Nach den Befreiungskriegen hatte sich die Zahl der Studenten der Göttinger Universität vermindert. Vgl. Götz von Selle: Die Georg-August-Universität zu Göttingen 1737-1937, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1937, 228. 8 Kilian: Die Universitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht, 89. 9 Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier anhand der Reiseberichte des Zürcher Arztes Conrad Meyer-Hofmeister, 230 f. Meyer-Hofmeister kommt nach Göttingen zwei Jahre nach Heines Studienabschluss im April 1827 an. Nach dem im September 1828 bestandenen Doktorexamen verlässt der Schweizer die Stadt. Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840), seit 1778 Professor für Medizin in Göttingen, wird als „Vater der modernen Naturforschung bzw. der Naturgeschichte“ bezeichnet. Er entwickelte in Anlehnung an Kant zoologische und anthropologische Gesichtspunkte des modernen Artbegriffs. Berühmt war seine Ordnung menschlicher Schädel, deren sorgfälti- ge Ordnung und Zusammenstellung ihm die Grundlagen für seine anthropologischen Stu- dien lieferte. „Seine Vorlesung zu besuchen, schien für Studierende aller Fakultäten unerläßlich. Er galt sowohl als umfassender Sachkenner als auch Meister wissenschaftlich empirischer Methodik.“ (Neue Deusche Biographie, 329, Hervorhebungen K. J.) Johann Wilhelm Heinrich Conradi (1780-1861), Professor der Medizin in Göttingen seit 1823, Autor zahlreicher, populärer, mehrmals aufgelegter medizinischer Lehrbücher, u. a. über allgemeine und spezielle Pathologie und Therapie. Vertreter der eklektizist. Medizin. (Vgl. 3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“ 81

20; 120), lässt sich allerdings ablesen, dass er sich für die medizinische Fakultät und die von ihren Vertretern repräsentierten wissenschaftlichen Standards interessierte. Die Konfrontation des Jurastudenten Heine mit der Medizin geht jedoch in erster Linie auf seine Krankheitserfahrungen zurück. Vor allem während seines zweiten Göttingen-Aufenthaltes wird er durch diffuses andauerndes Krankheitsbefinden, peini- gende Kopfschmerzen und anhaltende Schlaflosigkeit geplagt, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machen. Der Körper als „Ort der Leiden“ bildet ein wichtiges Thema mehrerer Korrespondenzen des Studenten. In der Göttinger Zeit etabliert sich das im ersten Kapitel der vorliegenden Arbeit erwähnte Korrespondenzmuster, das die intellek- tuellen und literarischen Arbeiten als Leistungen erscheinen lässt, die der körperlichen und nervlichen Schwäche des leidenden Subjekts schmerzhaft abgerungen werden. Aus einer Auswahl der in Frage kommenden Briefe seien hier nur einige wenige Beispiele angeführt, die die charakteristischen Muster dieser Klagen veranschau- lichen sollen. Am 7. März 1824 schreibt Heine an den Freund Christiani: „(...) mit meiner Gesund- heit sieht es wieder schlecht aus”. (HSA 20; 147) In einem Brief an Moses Moser vom 19. März desselben Jahres identifiziert Heine seine Beschwerden als Nervenleiden, indem er mitteilt: „Ich weiß nicht, ob man das Recht hat, mich als ein erloschenes Licht zu betrachten, ich weiß nur daß ich nichts schreiben will, solange meine Kopf- nerven mir Schmerzen machen”. (HSA 20; 152) Am 27. Mai 1824 beklagt sich Heine bei Friederike Robert: „mein Kopfübel will nicht weichen”. (HSA 20; 165) Die reale Fußwanderung, die zur Vorlage der literarischen Harzreise werden sollte, war für Heine nicht nur der herkömmliche, von Göttinger Studenten nicht zuletzt ob der Nähe und der geringen Kosten (vgl. DHA 6; 519) gerne unternommene Ausflug, sondern verfolgte auch therapeutische Zwecke.10 Der selektive Wirklichkeitszugriff der poetischen Konkretisation ließ diese Tatsache außen vor. In diesem Sinne unter- scheidet sich jedoch die Harzreise nicht von anderen Reiseberichten des Schrift- stellers: Mit Ausnahme der Briefe über Polen und des „versifizierten Reisebilds“ Deutschland. Ein Wintermärchen (1844) rekurrieren diese zwischen Authentizität und Fiktionalität schwebenden Texte auf therapeutische Reisen oder Badeaufenthalte des kränkelnden Verfassers und alle scheinen sich einhellig über die körperliche Ver- fassung und Therapie des als Autormaske gedachten Subjekts auszuschweigen. „[N]ie- mand badet in den Bädern von Lucca“ monierte neulich diese Defizite Stuart Fer- guson.11

NDB 340) Conrad Martin Johann Langenbeck (1776-1851), einer der bekanntesten Chirurgen seiner Zeit, entwickelte innovative Operationsmethoden u. a. in der Augenchirurgie. In sei- nem Unterricht und Lehrbüchern betonte er die enge Verbindung der Anatomie mit der Chirurgie und hielt die praktische Anwendbarkeit anatomischer Kenntnisse für eine unab- dingbare Voraussetzung ärztlicher und wundärztlicher Tätigkeit. Langenbeck versuchte, die Konzepte der romantischen Naturphilosophie auf das empirische Fassbare und prak- tisch Anwendbare zu reduzieren (Vgl. NDB, 582 f.) 10 Noch aus Berlin schrieb Heine an Immanuel Wohlwill am 7. April 1823: „Mein Arzt giebt mir Hoffnung daß mich das Reisen, besonders das Fußreisen, herstellen wird.“ (HSA 20; 121) 11 Stuart Ferguson: Heinrich Heines „Die Bäder von Lucca“ als perverse Ethopoetik. Die Ästhetik 82 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Betrachten wir diesen Vorwurf im umfassenderen Zusammenhang der Literarisier- barkeit des Körpers, seiner Physiologie und der Einzelheiten der Heilbehandlung in zeitgenössischen literarischen Kurberichten, so lässt sich besagtes Defizit als eine Vorgabe des kunsttheoretischen Diskurses identifizieren. Selbst die Kurort-Passagen aus der Autobiographie Fanny Lewalds und den Reiseberichten Heinrich Laubes, die das gesellschaftliche Leben der Heilorte heller als Heines Texte beleuchten, indem sie auf die Kasinoerfahrungen der gelangweilten Kurgäste und ihre ephemeren Liebes- geschichten eingehen, muten ihrem bürgerlichen Lesepublikum detaillierte Informa- tionen über die körperlichen Befindlichkeiten ihrer Protagonisten und das therapeu- tische Leibesreglement kaum zu. Nur am Rande des Reiseberichts kann der aufmerksame Leser der Harzeise eine Art „versteckter Offenlegungen“ oder anders formuliert: „Spuren“ der gesundheitlichen Verfassung des Reisenden auffinden, der sich anlässlich einer E. T. A. Hoffmann gewidmeten Kunstreflexion beiläufig über „krampfstillende“ und „beruhigende Quali- täten“ „jedes Naturanblicks“ (DHA 6; 91) äußert, oder – nicht unironisch – ein erfolg- reiches Spekulieren mit sekundärem Krankheitsgewinn veranschaulicht, indem er sein literarisches Subjekt folgendermaßen handeln lässt: „Ich fand das Haus voller Gäste, und wie es einem klugen Manne geziemt, dachte ich schon an die Nacht, an die Unbehaglichkeit des Strohlagers; mit hinsterbender Stimme verlangte ich gleich Thee, und der Herr Brockenwirth war vernünftig genug einzusehen, daß ich kranker Mensch für die Nacht ein ordentliches Bett haben müsse.“ (DHA 6; 117) Wie erwähnt, hielt es Heine für angebracht, das der Literatur größtenteils Vorenthaltene im privaten Rahmen schreibend geltend zu machen. In dem an Goethe gerichteten Brief meinte er unter Hinweis auf die zerrüttete Gesundheit und das Therapeutische der Wanderung seine Bitte um eine Audienz als spontanes Anliegen eines Leidenden darstellen zu können: „Außerdem bin ich auch krank“ – schrieb er – „machte deshalb vor 3 Wochen eine Gesundheitsreise nach dem Harze, und auf dem Brocken ergriff mich das Verlangen zur Verehrung Goethes nach Weimar zu pilgern.“ (HSA 20; 175) Wie bereits erwähnt, war die Aufnahme in Weimar verletzend indifferent, ihre kurz nach der Rückkehr noch spürbaren therapeutischen Effekte12 erwiesen sich auf die Dauer als beschränkt. So zog Heine, dem im Mai bevorstehenden Abschlussexamen und der geplanten Disputation entgegenschauend, am 1. April 1825 folgende Bilanz: der Sexualabweichung und/oder die Rhetorik homophobischer Verunglimpfung, In: HJb 2002, 37-53, hier: 45. In seiner Radikalität interpretiert Fergusson die Auslassungen als Heines Spott über das naive Vertrauen auf die Hydrotheraphie, deren Gültigkeit als Heilmittel – so nimmt Ferguson an – „gegen Ende des 18. Jh. verloren gegangen war.“ Vgl. ebd. Aus medi- zingeschichtlichem Standpunkt ist dem entgegenzuhalten, dass die von Heine gerne in An- spruch genommenen Wasserkuren in die Zeit der balneologischen Hochkonjunktur fallen, die erst um 1850 nachlässt. 12 Vgl. den Brief an Moses Moser vom 26. Mai 1825, wo es über die Tour heißt: „Sie war mir sehr heilsam u ich fühle mich durch diese Reise sehr gestärkt.“ (HSA 20; 178) 3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“ 83

„Diesen Winter, theurer Christiany, hab ich schrecklich gelitten. Ich war fürchter- lich auf dem Hund. Zum Verzweifeln. Ich lebte in Schmerzen und Medizin. Jetzt ist es besser, aber noch immer bin ich sehr leidend, höchst angegriffen von den Leiden dieses Winters“. (HSA 20; 201)13 Diese Auskünfte lassen sich kontextualisieren: Vor der Folie einer genau im Jahr der realen Harzreise des jungen Autors veröffentlichten, mit großer Sorgfalt ausgearbeiteten medizinischen Studie über den ‚Gesundheitszustand’ und das Gesundheitswesen der Stadt Göttingen, erscheint sein beharrlich behauptetes Krankheitsbefinden Heine mindestens zeitweise eine zusätzliche Dimension der Ausgrenzung aus der Gemeinschaft eröffnet zu haben. Der Verfasser der heilkundlichen Schrift betont, dass unter allen anderen Ständen und Gruppen der Stadt die Studierenden überhaupt „(...) selten erkranken und sterben“. Und dies – setzt der Arzt fort – trotz „mancher nachtheiliger Einflüsse“ wie: die „anhaltende Anstrengung des Geistes (...), Ruhe des Körpers, vorwärtsge- beugte Stellung, schlechte Kost“14 und die herkömmliche „studentische Neigung zur unordentlichen Lebensweise“15. Derartige, heutzutage z. T. befremdlich anmutenden Befunde sind an den Theoriekoordinaten der zeitgenössischen Heilkunde zu messen, die einen Zusammenhang zwischen den körperlichen und geistigen Kräften des Orga- nismus behauptete, als wichtigste Körperstruktur die Nerven ansah und sich an den im Rahmen der Irritabilitätslehre profilierten Leitbegriffen der Erregung und der Sensi- bilität orientierte.16 Im frühen 19. Jh. galt die Gesundheit als Gleichgewicht zwischen der Empfindlichkeit des Organismus und den Reizkräften der Umgebung. Vor dem Hinter- grund dieser (seinem Text impliziten) Definition kann der Autor der zitierten heilkund- lichen Schrift auch mit gutem Grund erklären, warum der durchschnittliche zeitgenössi- sche Göttinger Student kerngesund zu nennen sei: „Die anmuthigen Umgebungen erfrischen und erheitern seinen Sinn, und die Kraft des jugendlichen Körpers über- windet leicht viele Anfälle, die verschuldet oder unverschuldet ihn ergreifen“17. Als mindestens genauso wohltuend wie die lokalen Naturfaktoren benennt der Verfasser des medizinischen Berichts die obrigkeitlich prästabilierte Harmonie des kommunalen und universitären Lebens, den Umstand nämlich, dass der Student „(...) auf die

13 Zur umfassenden Rekonstruktion des Gesundheitszustandes von Heine in Göttingen, vgl. Henner Montanus: Der kranke Heine, 15-17, 27-36. 14 Karl Friedrich Heinrich Marx: Goettingen in topographischer, medizinischer und histori- scher Hinsicht, Göttingen: Dieterich, 1824, 379 f. Der Familienname dieses Arztes und zwei seiner Vornamen sind identisch mit jenen des Philosophen Karl Friedrich Marx (1818- -1883), mit dem Heinrich Heine in Paris freundschaftlich verkehrte. Um eventuellen Miss- verständnissen vorzubeugen, habe ich mich entschieden, dem Familiennamen des Arztes jeweils die Initialen K. F. H. voranzustellen. 15 Ebd. 16 In seiner Diskursgeschichte des Körpers schreibt Philipp Sarasin über das am Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jh.s bestehende Körperkonzept Folgendes: „Sein heimli- ches paradoxes Zentrum war der Reiz. Er ermöglichte «ächte Tätigkeit und ächten Genuß» und bedrohte im Exzess Leib und Leben. Auf ihn konzentrierte sich die hygienische Sorge um sich“. Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen, 24. 17 K. F. H. Marx: Goettingen, 380 f. 84 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Einführung einer regelmäßigen Lebensart verwiesen, da ihm von außen wenige Zer- streuungen geboten sind, und er zum Fleiße gezwungen wird“18. Sichtlich erfreut konstatiert der Mediziner, dass der durch die „anhaltende An- strengung des Geistes“ verursachten krankmachenden „Überreizung“ die behördlichen Verordnungen durch Reizentzug in anderen Bereichen lindernd entgegenwirken. Mit Zufriedenheit nimmt er wahr, dass „Lustbarkeiten, von denen die Studierenden die Kosten allein tragen, (...) keineswegs begünstigt“ werden. Lobenswerterweise bemühe man sich vielmehr „von seiten der Behörden sorgfältig alle Gelegenheiten zum unnöthigen Aufwand und zur Zeitzersplitterung unmöglich zu machen, oder sie zu beschränken; wie denn auch keine Schauspielergesellschaften hier geduldet werden, und den Stu- dierenden selbst die Aufführung von theatralischen Vorstellungen, so wie von so- lennen Aufzügen und Musiken untersagt ist“19. Diese Befunde geben nicht nur akademische, sondern auch heilkundliche Standards wieder, mit denen Heine konfrontiert wurde. In diesem Bezugssystem erscheint die von ihm aus dem Text der Harzreise eliminierte Behauptung: „Ich selbst bin zwar in diesem Augenblick ein Mystiker, meiner Gesundheit wegen, indem ich, nach der Vorschrift meines Arztes, alle Anreizungen zum Denken vermeiden soll“ (DHA 6; 227) dur- chaus auf diskursiv überprüfbare Sachverhalte rückführbar, wodurch sie allerdings ihren komischen Aspekt einbüßt. Bei der Kontextualisierung vor der Folie des dama- ligen medizinischen Wissens erweist sich die Stelle als gleichsam „entblößend“, da sie den Lesern die Diagnose des Reisenden,20 nämlich die der „Überreizung“ indirekt mitteilt. Sie reflektiert auch eine damals für solche Fälle empfohlene herkömmliche Anweisung zu einer Reize depotenzierenden „Diät der Seele“, in deren Rahmen „An- strengung der Denkkraft und der Leidenschaft“ als „nervenafficierende“, „gewaltsam anstrengende Zustände überhaupt“ zu vermeiden waren.21 Wie bereits erwähnt, können die früher zitierten allgemeineren Befunde von Marx als Reflexe der trotz der Heterogenität der Medizinlandschaft um 1800 in dieser über- einstimmend artikulierten Überzeugung eingeordnet werden, die im Gleichgewicht

18 Ebd. Dass der Zwang zum „regelmäßigen Leben“ nicht nur im präventiven Bereich aus- geübt wurde, veranschaulichen die Angaben Götz von Selles. Bei seinem Versuch, das Göttinger Studenleben in den zwanziger Jahren des 19. Jh.s zu rekonstruieren, stellte von Selle fest, dass in der Zeit, als an der Universität ca. 15 000 Studenten lernten, pro Semester etwa 500 Karzerstrafen mit 2300 Stunden verhängt wurden. Vgl. Götz von Selle: Die Georg- August-Universität zu Göttingen, 241. 19 K. F. H. Marx: Goettingen, 164. 20 Das Verhältnis zwischen dem literarischen Subjekt und dem Verfasser wäre mit Gerhard Höhn folgendermaßen zu beschreiben: Der vom Jurastudium, Liebeserlebnissen und Uni- versitätsbehörden gleichermaßen beschädigte studentische Ich-Erzähler (und Protagonist) ist „mit dem Autor nicht identisch aber autobiographisch verbunden“. Vgl. Höhn: Heine- Handbuch, 194. 21 Praktische Übersicht der vorzüglichsten Heilquellen Teutschlands nach eigener Erfarung (sic!) von D. Christ. Wilhelm Hufeland, Berlin: Reimer, 1820, 253. 3.1 Göttingen: „Ich lebte in Schmerzen und Medizin“ 85 zwischen äußeren Reizen und der Reizempfänglichkeit des Organismus ein Krite- rium der Gesundheit sah. Gleichzeitig führen sie auch die politischen Konsequenzen dieser Grundsätze vor, indem sie sinnfällig dokumentieren, wie die naturwissenschaft- lich begründete Überzeugung von der gesundheitlichen Notwendigkeit einer Reizökono- mie eine akademisch geheiligte Allianz mit politisch sedierenden Bemühungen der Restaurationsbehörden eingehen konnte, die von ihrer Seite aus gemütserregende studen- tische Zusammenkünfte oder echauffierende Kulturaktivitäten zum Wohle des politi- schen Gemeinkörpers in kleineren Orten untersagten. Mochte die Begründung natur- wissenschaftlich oder politisch ausfallen, verbannten doch beide Diskurse einträchtig den Körper des Bürgers aus der prekären gesellschaftlichen „Reizsphäre“ in die ent- spannend biedere Privatheit oder erquickende Natur. Mit Hinweis auf die willige Selbstdisziplinierung der Bewohner Göttingens, die die gebotenen „natürlichen“ den etwaigen „ungesunden“ gesellschaftlichen Genüssen vorziehen, gibt die erwähnte Schrift folgendes Stadtbild wieder: „Die [in Göttingen, K. J.] vorherrschende Neigung für Naturfreuden und für die des eigenen häuslichen Zirkels, schließt die Lust an geselligen Vergnügen zwar nicht ganz aus, doch beschränkt sie als solche. (...) Man trifft hier kein einziges Kaffeehaus von einigem Belang (...). Im Rathskeller finden sich selten dauernde Gesellschaften zusammen, und für ein nicht zu langes Beisammensitzen in den Gasthäusern Abends sorgt sowohl die Kostspieligkeit, als die Polizey. (...) Tanz- belustigungen kommen in der Stadt wenig vor. Bordelle werden hier so wenig als verdächtige Weibspersonen geduldet.“22 Der zitierte umfangreiche medizinische Bericht ist für eine Heine-Studie insofern von Bedeutung, als er durch die Heranziehung des breiteren sozialen Kontextes die bisher zur Dokumentierung der frühen Lebensphase des Autors verwendeten Quellen mit aufschlussreichem Material ergänzen kann. Anschaulich belegen die Bilder und Wertungen der genannten Monographie die repressive Gemütlichkeit der deutschen Restaurationszeit. Mit eindrücklichen Hinweisen auf die Isolierung der einzelnen Stände23 und defizitäre Begegnungsmöglichkeiten beleuchten sie die tristen Studien- umstände des Autors in der provinziellen Universitätsstadt. Für den weiteren Inter- pretationszusammenhang der Harzreise scheint die genannte Schrift auch deswegen von Bedeutung, weil es sich dabei um einen Intertext handelt, den Heine meint, wenn er seine Leser auf Goettingen in medicinischer, physischer und historischer Hinsicht aus der Feder seines Arztes Karl Friedrich Heinrich Marx verweist.

22 K. F. H. Marx: Goettingen, 322. 23 Vgl. z. B. die bedauernde Überlegung des Autors: „Kämen die Gelehrten mit den Geschäfts- und Gewerbsleuten mehr in Berührung, so würde ihr Einfluß auf die Bildung der Bewohner noch deutlicher werden, und noch manches andere Vorurtheil des gemeinen Mannes ver- schwinden.“ K. F. H. Marx: Goettingen, 158. 86 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

3.2 „So kann ich doch sein Werk doch nicht unbedingt empfehlen ...“: Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx

Bereits Friedrich Sengle hat darauf hingewiesen, dass die in der Harzreise über längere Passagen suggerierte Wahrnehmung der Landschaft durch einen sinnlich-ästhetischen Zugang eine bloß scheinhafte ist.24 Wegweisend für die Entfaltung seiner fragmenta- rischen Strategien der subjektzentrierten poetischen Wirklichkeitserschreibung erwies sich Heines Faszination sowohl durch Moritz August von Thümmels Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich (1791-1805), die Reiseepen Lord Byrons, die Reisedarstellungen Washington Irvings (an erster Stelle mit dem 1823 in deut- scher Übersetzung erschienenen Werk Bracebridge Hall or the Humorists) und die Leittexte der deutschen Romantik, nämlich Sternes Sentimental Journey Through France and Italy und Leben und Ansichten von Tristan Shandy.25 In das produktions- ästhetische Umfeld der Harzreise gehört genregemäß auch die Lektüre von einschlägigen Sachtexten. Im traditionellen Reisebericht, der sich vordergründig als informationsvermittelnde bzw. -korrigierende Instanz verstand, spielte die Heranziehung von Sachtexten eine herausragende Rolle,26 wobei dem informativen Gehalt im Text die Rolle des tragen- den Gerüsts, d. i. „Skeletts“ zukam.27 Die sich in den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jh.s durchsetzenden Schreibweisen, die die Subjektivität des Berichts betonten, begünstigten die Schrumpfung des „Skeletts“, der die zunehmende „Formlosigkeit“ der Reiseberichte entsprach. Die Möglichkeit eines äußerst asketischen Umgangs mit sachlichen Informationen setzte die romantischen Autoren einem Innovationszwang

24 Sengle: Biedermeier, Bd. 2, 259. 25 Vgl. DHA 6; 522. 26 Der traditionelle Reisetext situiert sich in einem Informationskontinuum, das auf fortlau- fende Reproduktion und Komplettierung angelegt ist. Zum Wesen des Reiseberichts gehört, dass er eine wichtige Rolle im Gefüge gesellschaftlicher Informationsbeschaffung und -ven- tilation spielt. Vgl. Alfred Opitz: Reiseschreiber. Variationen einer literarischen Figur der Moderne vom 18.-20. Jahrhundert, Trier: Wissenschaftlicher Verlag, 1997, 74 f. 27 Die im Bereich der vorliegenden Arbeit instruktive Textmetaphorik entstammt einem 1782 entstandenen Reisebericht, der den Wandel der literarischen Funktionalisierung der Reise- schriften sensibel wahrnimmt. Sein Autor, ein Student, dessen Reiseroute zum großen Teil deckungsgleich mit jener Heines erscheint, moniert Erwartungshaltungen „moröser“ (mürri- scher) Leser. Deren Lektürepräferenzen verdanke sich die klägliche Bevorzugung der Texte mit „Skelettwucherungen“ des Informativen auf dem Markt. „Wer seinen Kaufpreis nach der Bogenzahl gar zu ängstlich berechnet, und gleich murret, wann er in einem so mannig- faltigen Werke, als jede Beschreibung sein muß, Seiten und Zeilen findet, woraus er für sein Geld nicht lernen kann: der ist für uns ein gar so moröser Leser; und wird uns doch nicht bekehren, unsre lieben Tagebücher zu skeletiren, und ihnen alles das wegzu- schneiden, was wir aus Freundschaft und Laune hineingeschrieben. Sollten wir denn nur immer wie Pedanten trocken erzählen, was wir sahen und hörten; nie, was wir dachten oder empfanden? (Hervorhebung K. J.) Sollten wir nie der wackern Leute mit Wärme erwähnen dürfen, die uns auf irgend eine Art verpflichteten; wenn es gleich nicht immer berühmte Gelehrte und Professoren sind? Und wenn sie gleich nicht alle uns natürliche, artistische und literarische Seltenheiten zu zeigen hatten? – Giebt s doch noch so 3.2 Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx 87 aus, der u. a. mit dem Anspruch auf eine vertiefte Darstellung der seelischen Vorgänge einherging.28 In dieser Hinsicht geht Heines Harzreise einen anderen Weg als die themenverwandte Prosa des Romantikers Joseph von Eichendorff.29 Während Eichen- dorff bei der Beschreibung seiner Reise durch den vor allem dem Anspruch auf die Darstellung von subjektiver Landschaftserfahrung gerecht zu werden sucht, stützt sich der Reisebericht Heines auf drei topographische Darstellungen des einschlägigen Raumes und entfaltet einen Teil seiner Effekte aus dem intertextuellen Spiel mit den in diesen Schriften vermittelten Angaben. Die Sachtexte sind das Heines Reise tatsäch- lich begleitende Taschenbuch für Reisende in den Harz (1. Aufl. 1806), das Handbuch für Harzreisende von Ludwig Ferdinand Niemanns und die bereits zitierte Veröffent- lichung von Karl Friedrich Heinrich Marx: Goettingen in medicinischer, physischer und historischer Hinsicht von 1824. Unter den Schriften, deren Erkenntnisstrukturen und Präsentationsformen sich in den konservativen wissenschaftlichen Kontext ihrer Entstehungszeit fügen, den der Autor in seiner Beschreibung subversivierte, schenkte er der letzteren eine besondere Aufmerksamkeit. Die intertextuellen Bezüge zwischen der Harzreise und der von dem Arzt Heines verfassten Veröffentlichung, die ein systematisch geordnetes, außergewöhnlich reich- haltiges Beschreibungsmaterial zum Thema Göttingen enthielt, sind trotz Heines ausdrücklichem Hinweis in der bisherigen Forschung nicht diskutiert worden. Ihrem Bestimmungsversuch sollen Hinweise auf die Genrespezifik des medizinischen Textes und eine Erörterung der Umstände vorangehen, die Heines Einstellung zum Verfasser und der medizinischen Schrift beeinflusst haben mögen.

3.2.1 Zwischen Medizin und Macht: Medizinische Topographie und der Autor Unter den in das Sprachgewand der Harzreise eingefügten signifikanten Sachtexten nimmt Goettingen in medicinischer, physischer und historischer Hinsicht durch sei- nen heilkundlichen Charakter eine Sonderstellung ein. Wenn dieser medizinische Zusammenhang in der Heine-Forschung bisher nicht geltend gemacht wurde, lag es daran, dass die Schrift unter Heine-Interpreten grundsätzlich wenig Beachtung fand und zudem einen verblichenen Strang des einschlägigen Fachdiskurses, eine heute vergessene Gattung der „medizinischen Topographie“ repräsentiert. viele andere Leute als Gelehrte, die Reisebeschreibungen lesen, selbst gereiset sind, oder noch reisen wollen! Alle diese interessieret jede kleine Nachricht von freundschaftlichen und dienstfertigen Leuten, wenn es auch nur Gastwirthe wären, weit mehr als eine Versteine- rung, die man auf der Straße gefunden hätte.“ Reise von Casel und Göttingen, durch Braun- schweig und Lübeck, nach Kiel; beschrieben für Herrn Bernouilli, 1782, Erster Abschnitt. In: Johann Bernouilli`s Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweite- rung der Länder- und Menschenkenntnis dienender Nachrichten, Berlin Jahrgang 1783, Zehnter Band, 129. 28 Opitz: Reiseschreiber, 83. 29 Joseph von Eichendorff: Halle, Harz und Heidelberg: Autobiografisches, hrsg. u. mit einem Nachwort versehen v. Heidi Ritter u. Eva Scherf, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 2007. 88 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Trotz ihrer fachlichen Obsoletheit können die Texte dieses Genres wegen ihrer spezifischen informativen Fülle immer noch sowohl in den Bereichen der Medizin- geschichte als auch in anderen geschichtlichen Analysen gewiss einige Signifikanz beanspruchen. Auch im Sinne dieses Angebots soll auf die vergessene Gattung, der die von Heine angesprochene Monographie gehörte, näher eingegangen werden. Den genannten Genrenamen wird der heutige Mediziner zunächst mit der „topo- graphischen Anatomie“30 assoziieren, mit der das „Gelände“ des menschlichen Körpers kartographiert wird. Von einem Laien wird diese Schrift auf Anhieb wahrscheinlich als eine seltsame Fassung der herkömmlichen Stadtgeographie missverstanden werden. Nach den Kriterien der Textklassifikation funktionierte die medizinische Monographie jedoch als Ort der internen Fachdebatte, die von praktischen Ärzten geführt wurde. „Medizinische Topographien“ waren heilkundliche Ortsbeschreibungen, die Wechsel- verhältnisse zwischen den Charakteristika der Ortschaft (oder Landschaft) und der „gesundheitlichen Verfassung“ ihrer Einwohner registrierten. Ihren Telos bildete nur die letztere, allerdings gerieten die Studien, dem akademischen Ehrgeiz ihrer Verfasser zufolge, zu umfangreichen Publikationen, die von naturkundlichen und statistisch erfassten demographischen Details strotzten. Die von Heine aufgerufene und funk- tionalisierte Gattung der medizinischen Topographie repräsentierte im dritten Jahr- zehnt des 19. Jh.s keineswegs innovative wissenschaftliche Standards. In ihrer theo- retischen Schlichtheit eignete sie sich nicht als ein intellektuell privilegierter Ort, aus dem epistemische und/oder begriffliche Importe im 19. Jh. bezogen werden konnten. Beheimatet im Denkhorizont des 18. Jh.s rettete sie, gleichsam an den Ideen der spekulativen Medizin der Romantik vorbei, dessen Methodologie und Wertigkeiten in die Restaurationszeit hinüber und war in dieser „Epoche des wissenschaftlichen Sammelns und Hegens“31 besonders gut aufgehoben und populär.32 K. F. H. Marx scheint die Vorgaben dieses „Architexts“33 vorbildlich erfüllt zu haben, die den Richtlinien zur Verfertigung einer medizinischen Topographie aus dem Jahre 1814 zu entnehmen waren:

30 Vgl. z. B. Reinhard Schmidt: Beitrag zur Größe und Form der Niere und ihre Topographie, Würzburg (Diss.),1982, Cornelia Schneider-Hickl: Geometrische Topographie des Schulter- gelenkes, Düsseldorf (Diss.), 1985, Olaf Wendler: Zur Topographie des Nervi erigentes des Menschen, Hamburg (Diss.), 1990. Diese Liste ließe sich mühelos fortsetzen. Die „territo- riale“ Vermessung des menschlichen Körpers findet ihre Entsprechung bereits in dem Titel „Atlas der Anatomie“. 31 Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier, 19. 32 Karl E. Rotschuh, der den auf den deutschen Kulturbegriff zurückgehenden Namen „Medizin des Biedermeiers“ prägte, bescheinigte den Ärzten der Zeit einen nie vorher bekannten Eifer für die additive Anhäufung des Wissens und beschreibende Vorgehensweisen: „Ana- tomie, Physiologie und Klinik bevorzugen die deskriptive Methode der Vergleichung, der erfahrungsgemäßen Korrelation der Erscheinungen und Umstände. Man sucht nach empiri- schen Gesetzen, die möglichst numerisch gesichert sein sollen.“ Vgl. Karl Eduard Rot- schuh: Deutsche Biedermeiermedizin. Epoche zwischen Romantik und Naturalismus, Ges- nerus 25, 1968, 186 f. 33 Der von Gérard Genette geprägte Begriff „Architext” (gr. archi-, zu árchein: der erste sein) bezeichnet einen Aussagetyp, aus dem ein konkreter Text hervorgeht. Im Akt der Lektüre 3.2 Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx 89

„Man bestimmt zuerst die geographische Lage des Orts, dann die Lage, Form und Höhe der etwa vorhandenen Berge, die Beschaffenheit der Thäler mit Berücksichti- gung der Himmelsgegend; die Wälder in der Nähe, ihre Ausbreitung, Dichtigkeit und Baumart, welche sie bildet. Hiedurch ergibt sich die Richtung der vorherr- schenden Winde, welche so einflussreich auf die Entstehung der Krankheiten sind. Flüsse und Kanäle sowohl als das Quellwasser und die chem. Bestandtheile des- selben erfordern Aufmerksamkeit; ebenso die Beschaffenheit des Bodens, die Temperatur und Witterung und alle Details, welche die Bauart der Häuser, ihre Höhe und Einrichtung, die Richtung und Form der Strassen, die Gewohnheiten, Sitten, Lebensart, Beschäftigung und Vergnügen der Einwohner betreffen. Daraus ergibt sich dann der Schluß auf die vorherrschenden Krankheiten und ihre zweckmäßige Behandlung von selbst.“34 (Hervorhebung K. J.) Diese Argumentationsstruktur verdankt sich der im 18. Jh. vorherrschenden Über- zeugung vom Einfluss der geographisch-klimatologischen Umweltbedingungen auf die leibliche Verfassung der Einwohner und die Verbreitung der Krankheiten.35 Der in vermeintlich schöner Folgerichtigkeit argumentativ konstruierte Körper wird nach dem damaligen Verständnis nicht von der familiären Herkunft, sondern weitgehend von der Natur und von sozialen Lebensumständen einer Gegend determiniert. Laut den damaligen medizinischen Konzepten kann Gesundheit nur über das Harmonieren des Körpers mit der Naturlandschaft und mit der Gesellschaft gewährleistet werden. Derartige Annahmen haben immanente politische Implikationen. Innerhalb des bereits thematisierten theoretischen Bezugssystems Michel Foucaults wären diese im Kontext der Dispositive der Macht zu betrachten, die im 18. Jh. den medizinisch parametri- sierbaren Körper des Bürgers als ihr Eigentum anzusehen begann. Laut dem Macht- analytiker werden die Regierungen im 18. Jh. auf die Körper ihrer Bürger aufmerk- sam, indem sie entdecken, dass „(...) sie es nicht nur mit Untertanen, auch nicht nur mit einem »Volk«, sondern mit einer »Bevölkerung« mit spezifischen Problemen und eigenen Variablen zu tun haben wie Geburtenrate, Sterblichkeit, Lebensdauer, Fruchtbarkeit, Gesund- heitszustand, Krankheitshäufigkeit, Ernährungsweise und Wohnverhältnisse. Alle

wird dieser auf den „Architext” bezogen. Architextuelle Verbindungen entstehen in erster Li- nie durch Thema und Modus der Aussage. Vgl. Gérard Genette: Einführung in den Archi- text. Aus dem Französischen v. Jean-Pierre Dubost ua, Stuttgart: Lequeil, 1990, 100 f. 34 K. F. H. Marx „übererfüllt” sogar den Plan, indem er seiner Schrift den Überblick über die Geschichte der Stadt beifügt. Solches „Beiwerk“ war zwar üblich, jedoch verstieß es gegen die rigorosen Vorstellungen der Gattungsstruktur. 35 Diese wurde auch in die medizinischen Begründungszusammenhänge eingebettet, nach denen die ungünstige Lage eines Ortes die Entstehung von „Miasmen“ – d. h. den krankheitserre- genden Ausdünstungen in der Luft – fördern sollte, die wiederum für die Auslösung von Epidemien („Seuchen“) verantwortlich waren. Mit diesen Prämissen erklärt Christoph Mörgeli die Signifikanz der klimatologischen Umweltbeobachtung für die damaligen medi- zinischen Beschreibungen überhaupt. Vgl. Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier, 135- -205, hier: 142. 90 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

diese Variablen stehen am Kreuzungspunkt von Bewegungen, die dem Leben eigen sind, und Wirkungen, die von Institutionen ausgehen.“36 Eben von dem so verstandenen „sozialen“ Körper des Bürgers, der im Zentrum des Machtinteresses steht, weil sein Zustand wie seine Arbeitsfähigkeit und Lebenser- wartung eine bewusst kalkulierte und unter ärztlichem Beistand zu optimierende Variable der politischen Entscheidungen darstellen, handeln die medizinischen Topo- graphien, die ihrerseits mit ihren Anweisungen zur Verbesserung des Gesundheitszu- stands der Bewohner beitragen sollten. Wie die Vernetzung von Macht und Medizin in den Argumentationsstrukturen derartiger Monographien funktionierte, dürften exempla- risch die bereits zitierten Passagen der Veröffentlichung begreiflich gemacht haben.37

3.2.2 Karl Friedrich Heinrich Marx Die Harzreise thematisiert eine medizinische Schrift, der aus der heutigen Sicht der bedenkliche Charme einer unkreativen Fleißarbeit anhängen mag, die aber unter den praktizierenden Ärzten des 19. Jh.s hoch anerkannt wurde.38 Die Verfertigung der medizinischen Topographien würdigten die medizinischen Praktiker als eine die engen

36 Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, 37 f. 37 Im Entstehungszusammenhang der Schriften wurde die Allianz zwischen Medizin und Macht auf der lokalen Ebene durch doppelte Bewegung vollzogen. Es waren einerseits die lokalen Behörden, die dem schreibenden Arzt entsprechende Gemeindedokumente zur Verfügung stellen sollten. Seinerseits sollte der Mediziner in der Monographie diesen Behörden und deren Umgang mit öffentlicher Gesundheit eine Art „Zeugnis“ ausstellen. Diese doppelte Verpflichtung realisiert auch K. F. H. Marx, der sich in der Einleitung zu seiner Schrift bei den Mitgliedern des Göttinger Magistrats und der Polizeibehörde bedankt, „durch welche [er] nicht nur Erlaubnis zur freien Benutzung des Raths- und Polizey-Archivs, sondern auch über jede Anfrage die liberalste und genügendste Auskunft erhielt“. (K. F. H. Marx: Göttingen, V, Hervorhebung K. J.) Fernerhin bewundert er die „musterhafte Handhabung der öffentlichen Aufsicht in bezug auf die Strassenhaltung“, er lobt auch „nützliche Maas- regeln“ der Behörden (250) und spricht anerkennend über „zweckdienliche Verordnungen, die Säuberung und Reinhaltung der Straßen und Gossen betreffend“ ( 314 ). 38 Vgl. das Plädoyer des Autors der Medizinischen Topographie Sigmaringens, der die fort- schreitende Arbeit der Ärztegenerationen an der Erfassung der lokalen Spezifik mit dem Wissensfortschritt der praktischen Medizin überhaupt gleichsetzt: „Hätte jener meiner Vorfah- rer (sic!) mir eine gute medizinische Topographie des Ortes hinterlassen, oder hätte ich die Materialien hiezu in dem Physikatsarchiv angetroffen; so hätte ich meine Kunst sicherer, und viel leichter ausgeübt. (...) Ich hätte mit einem Blick den Zustand der öffentlichen Gesund- heit gleich bei meinem Antritt übersehen; hätte die herrschenden Krankheiten, ihre eigent- hümlichen Ursachen und Heilarten sogleich bemerkt gefunden; und würde anstatt wieder anzufangen, wo schon ein halbes Tuzent meiner Vorgänger anfiengen, mit meinen Beobachtun- gen um so viel weiter vorwärts gekommen seyn. Sollte also nicht auf jedem Physikat eine solche Topographie, nicht in jedem Physikatsarchiv alles aufbewahrt sein, was auf die öffen- tliche Gesundheit fernen oder nahen Bezug hat? (...) was könnten unsere Nachfolger nicht leisten, wenn wir denselben unsere wissenschäftliche Testamente, unsere auf tausend und tausend naturhistorische Erfahrungen einer Gegend gegründete Resultate (...) hinterließen?“ Hans-Burkhard Hess: Im Ganzen gesehen – Mensch, Medizin und Umwelt. Franz Xavers Mezlers Medizinische Topographie von Sigmaringen, Tübingen: Hagenlocher, 1996, 14. 3.2 Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx 91

Grenzen der privaten Praxis deutlich überschreitende Leistung, die einer eigenen „medizinischen Rechenkunst“39 bedurfte, mit der systematische Beobachtungen (Witterungsverhältnisse), die Auswertung der eigenen Erfahrungen mit Patienten und die Heranziehung von Polizei- und Gemeindearchiven zu bewältigen waren. Im etwa gleichaltrigen Verfasser der von ihm thematisierten medizinischen Publikation begeg- nete Heine einem jener tüchtigen Mediziner, denen die Fachkollegen „einen sehr tieffor- schenden, ächt philosophischen Geist, und eine sehr große Scharfsicht“40 zudem den „festesten Willen und eine eiserne Beharrlichkeit“ attestierten.41 Wenn im Folgenden auf den wissenschaftlichen Lebenslauf des der Medizinge- schichte keineswegs unbekannten Karl Friedrich Heinrich Marx näher eingegangen wird, so geschieht dies nicht zuletzt deswegen, weil dieser sowohl eine gewisse Repräsentativität für die biedermeierliche Forschungslandschaft als auch eine gewisse Signifikanz als Folie des heineschen Werdegangs beanspruchen kann. Die Lebensläufe der Altersgenossen Heine und Karl Friedrich Heinrich Marx sind sozialgeschichtlich gesehen insofern analog, als sie zwei verschiedene Fälle desselben Paradigmas, nämlich der sozial exklusiven jüdischen Assimilation im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jh.s demonstrieren, die entweder über juristische oder medizinische Laufbahn verlaufen konnte.42 An den entgegengesetzten Erfahrungen, die Heine und Marx auf ihren Wegen zuteil wurden, wird aber auch deutlich, in welchem Maße der Verlauf des Assimilationsprozesses von ideologischen Optionen determiniert wird. Als der Cand. jur. Harry Heine dem kaum älteren Mediziner Heinrich Marx (mit diesem Namen wurde Karl Friedrich Heinrich in seinem Göttinger Freundeskreis ange- redet)43 begegnet, ist dieser ein Newcomer in Göttingen, wo er nach seiner in Jena abgelegten Doktorprüfung in Anlehnung an akademische Strukturen Fuß zu fassen versucht. Er blickt auf eine den Restaurationsbehörden nicht ganz genehme studentische Vergangenheit einschließlich einer Vorstrafe zurück: Aufgrund seiner burschenschaft- lichen Aktivitäten (als Student war K. F. H. Marx Anhänger Hegels gewesen und

39 Ebd., 64. 40 Ebd., 70. 41 Ebd., 71. 42 Ohne die „demüthigende Conzession“ der christlichen Taufe blieben den assimilationswil- ligen Juden die Staatsstellen, d. h. auch Unterhaltsmöglichkeiten in Deutschland verwehrt. So sah sich z. B. der Bruder Fanny Lewalds, dessen Schicksal die Vorlage für die Geschichte des jungen talentierten Eduard Meier in ihrem erfolgreichen Roman Jenny (1843) bildet, als Arzt zur Emigration nach Russland gezwungen. An der Figur Eduards zeigte die Schrift- stellerin, wie die Einstellung eines jüdischen Arztes am Krankenhaus von der Konversion abhängig gemacht wurde: „Vergebens waren seine Vorstellungen, wie der Glaube bei einer solchen Anstellung gar kein Hinderniß sein könne, wie diese Zurückweisung in den Geset- zen des Staates nirgends begründet sei – die Regierung war bei ihrem Entschlusse geblie- ben. Man hatte Meier einen unruhigen Kopf genannt; seine Neider, an denen es dem Talent- vollen, Glücklichen nie fehlt, hatten über die jüdische Anmaßung gelacht, die sich zu Würden dränge, für die sie nicht berufen sei, und dabei vergessen, daß die Behörden selbst den verspotteten Gegner durch ihre Wahl für den Würdigsten erklärt hatten.“ Fanny Lewald: Jenny, Frankfurt am Main: Helmer, 1988, 34. 43 Jörg Mathes: Heine in Göttingen. Freundeskreis von August Meyer, HJb 1982, 111-144, 113 f. 92 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise hatte sich maßgeblich an der Gründung der deutschen Burschenschaften beteiligt) wurde er während seiner zur Weiterbildung unternommenen Reise nach Wien 1819 im Laufe der nach dem Attentat auf den als russischen Spion entlarvten August von Kotzebue folgenden Unruhen auf Veranlassung der preußischen Regierung für acht Monate inhaftiert.44 Bei einigen Gemeinsamkeiten, vor allem in der studentischen Lebensphase: der frühen Hegel-Anhängerschaft, Engagement in Burschenschafen und Konversion diver- gierten die Entwicklungen Heinrich Heines und Heinrich Marx’ im Rahmen des ge- nannten Paradigmas vor allem im politischen und wissenschaftlichen Bereich. Von den mehrfachen Ausgrenzungen des Jurastudenten, der über den Umweg der kauf- männischen Lehre in der schwierigen Zeit nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 Zugang zur Universität gefunden hatte, ist bereits die Rede gewesen. Demgegen- über erfuhr der seine Karriere, wie es scheint, von Anfang an fleißig, zielbewusst und letztendlich auch machtkonform realisierende Mediziner das nicht unprekäre Kollektiv- gefühl der Burschenschaft, erreichte eine hohe Anerkennung seiner Studienleistung (das Studium beendet Marx 1817 mit einer prämierten Arbeit Die Struktur und das Leben der Venen) und die Zulassung zu akademischen Strukturen: 1821 bekam Marx in Göttingen eine „Accessisten“-Stelle (was etwa dem heutigen „Leiter der Erwerbungs- abteilung“ entspricht) an der Königlichen Bibliothek, bereits 1822 habilitierte er sich an der Medizinischen Fakultät der Georgia Augusta als Privatdozent, 1826 wurde er zum außerordentlichen, 1831 zum ordentlichen Professor ernannt. Sieben Jahre nach der Veröffentlichung seiner medizinischen Topographie war der Autor fest in jenem Göttinger Professorenstand etabliert, dem sein Text von 1824 vordergründig ein beneidenswert saturiertes und gleichsam „allen Anstrengungen des Geistes zum Trotz“ gesund und friedvoll geführtes Leben bescheinigen wollte. Über das Leben des Göttinger Gelehrten äußert sich Marx folgendermaßen: „[H]at er den mühevollen Anfang überstanden, gelangt bald zu einem sichern Erwerb (...). So ist er im Stande, die größte Regelmäßigkeit in sein Leben einzuführen, und wie ein aufgezogenes Uhrwerk den Lauf der Tage an sich vorüberspielen zu lassen. Das Aufstehen wie das Niederlegen erfolgt nach gesetzlicher Weise, der Spaziergang ist nach der Stunde nachgemessen, jede

44 Die Autoren der Neuen Deutschen Biographie verweisen auf sein vielfältiges wissenschaft- liches Werk, mit dem sich der Arzt vor allem medizingeschichtlichen und medizinethischen Themen zuwandte. Außer der im vorliegenden Text berücksichtigten medizinischen Topogra- phie Göttingens und der 1826 veröffentlichten Euthanasia Medica entstanden die wichtigsten Arbeiten des Mediziners nach seiner Begegnung mit Heine. Medizingeschichtlichnamhaft bleiben v. a. Die Lehre von den Giften in medizinischer, gerichtlicher und polizeilicher Hinsicht, 1827/29; Die Erkenntnis, Verhütung und Heilung der ansteckenden Cholera, 1831, Grundzüge der Lehre von der Krankheit und Heilung, 1838, Über die Abnahme der Krankheiten durch Zunahme der Civilisation, 1844 (engl. Übers.), Lassen oder Tun, 1872. An diesen Arbeiten wurden ihr systematischer Aufbau und Zuverlässigkeit lobend hervorge- hoben. Neben seiner bis zu seinem Lebensende andauernden 55-jährigen Universitätskarriere betrieb K. F. H. Marx eine umfassende eigene Praxis. Vgl. Neue Deutsche Biographie, 327 f. Größtenteils auf den Befunden der NDB basiert das Porträt von Marx in: Göttinger Gelehrte. 3.3 Medizin und Karneval 93

Störung wird gemieden. Die Familie umschließt in der Regel Friede und Freude, die Zuhörer geben ihre Dankbarkeit kund, der Staat erkennt den Verdienst.“ (Hervorhebungen K. J.)45 Im Wissen um die ideologischen Maßstäbe Heines und sein späteres Schicksal fällt es vorerst schwer, die von Marx gepriesene und angestrebte Lebensweise als ein auch von dem Juristen kompromisslos angesteuertes Lebensziel zu imaginieren. Die Heine-Forschung hat allerdings längst nachgewiesen, dass Heinrich Heine bis zum Ende der 1820er Jahre eine Professoren-Stelle als eine von der Unterstützung seiner Verwandten unabhängige erstrebenswerte (Über-)Lebensmöglichkeit vorschwebte, von der er sich ein lukratives Einkommen versprach. Nach dem Scheitern der einschlägigen Berliner Pläne versuchte der Schriftsteller 1828 unter Fürsprache der Freunde und Gönner: des bayrischen Ministerrats (späteren Innenministers) und Landsmanns Eduard von Schenk (1788-1841), des Verlegers Cotta und des russischen Diplomaten Feodor Iwanowitsch Tjutschew (1803-1873) sein Gesuch um eine Professur an der Münchner Universität beim bayrischen König Ludwig I. durchzusetzen. Letztendlich war es der durch das satirische Panorama der deutschen Gesellschaft in der Harzreise begründete literarische Autorenruhm Heines, der den sich lange hinziehenden Entscheidungsprozess des Königs negativ beeinflusste.46

3.3 Medizin und Karneval

Der Rekurs Heines auf die medizinische Publikation seines Arztes stellt sich keines- wegs als ein anspruchsvolles literarisches Projekt einer umfassenden „Poetisierung des Wissens“47 dar, wie sie die Leser aus den Texten von Heines Zeitgenossen Goethe, Novalis oder Kleist kannten. Bereits das wissenschaftliche Niveau der praxisorien- tierten Schrift von Marx machte sie für ein derartiges Anliegen ungeeignet. Dennoch ist ein Versuch, die bisher in der Forschung nicht erörterten Bezüge zwischen der Harzreise und Goettingen in topographischer, medizinischer und histo- rischer Hinsicht näher zu bestimmen, durchaus berechtigt, da er sowohl Heines Umgang mit den populären wissenschaftlichen (medizinischen) Texten seiner Zeit als auch dessen Strategien belegt. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit gilt es

Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen in Bildnissen und Würdigungen 1751-2001, hrsg. v. Karl Arndt, Gerhard Gottschalk und Rudolf Smend, Göttingen: Wallstein, 2002, 129. Die Quellen enthalten keine Angaben zu Marx’ Konversion, die angesichts seines Karriereverlaufs vorauszusetzen ist. 45 K. F. H. Marx: Goettingen, 224. 46 In einer letzten Endes unveröffentlichten in dieser Zeit entstandenen Passage zeigte sich Heine durchaus bereit, seine politischen Haltungen zu revidieren: In diesem Sinne schrieb er: „Ich liebe keine Republiken, ich liebe das Königthum – (ich habe Ludwig von Bayern gesehen).“ (DHA 7; 327) Nach dem Scheitern der akademischen Pläne wurde diese Passage aus der „Reise von München nach Genua“ ausgeschieden. Vgl. Michael Werner: Genius und Geldsack. Zum Problem des Schriftstellerberufs bei Heinrich Heine, Hamburg: Hoff- mann und Campe, 1978, 63. 47 Vgl. Richter, Schönert, Titzmann: Literatur – Wissen –Wissenschaft, 29. 94 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise zudem aufzuzeigen, wie diese Schrift von Heine im Sinne literarischer Körperkon- struktionen funktionalisiert wird. Nach Nikolas Pethes ist die Aneignung von Wissenschaft im literarischen Diskurs gerade deshalb spannend und abenteuerlich zu verfolgen, weil die methodologischen Überlegungen, Elemente und Resultate der Ersteren darin bruchstückhaft angeeignet und mit Mitteln der Literatur weitergegeben werden, die die einschlägigen Bedin- gungen der wissenschaftlichen Rede nicht erfüllen. Pethes schreibt: „Es ist ja der Anspruch der Literatur, dass sie fiktive Lebenswelten unter Rückgriff auf das Wissen um die »wirkliche« Welt erschafft, ohne gleichzeitig den Verbindlichkeits-, Vollständig- keits- und Stringenzanforderungen der Wissenschaft zu unterliegen.“48 Bei der Lektüre eines literarischen Textes erscheint es vorerst wichtig, die Auswahlentscheidungen des Autors zu bestimmen. Die folgenden Ausführungen stellen einen Versuch dar, diesen Forderungen in Bezug auf Heines Umgang mit medizinischem Diskurs in der Harzreise zu entsprechen. Der, wie es scheint, nicht ressentimentfreie Umgang Heines mit dem machtkon- formen Text eines Autors, dem er einst in der hierarchischen Arzt-Patient-Beziehung begegnete und der ihm ein erfolgreiches Beispiel der jüdischen Assimilation bot, lässt sich am bündigsten als karnevalistische Verkehrung im Sinne Michail Bachtins definieren. Über die inverse Zugehörigkeit der Harzreise und der medizinischen Monographie entscheidet eine Reihe von Merkmalen. Bereits die Dynamik der Texte orientiert sie in entgegengesetzte Richtungen. Während die Schrift des Mediziners in einer von der Natur begünstigten und von den Behörden in jeglicher Hinsicht der tadellos verwalteten, „gesunden“, mit lieblichen Gärten gesegneten Stadt in jedem Sinne Schritt für Schritt „anzukommen“ versucht und in epischer Breite deren Ordnung, Reinheit und den Fleiß der Bewohner rühmt,49 schreibt ihr der abschiednehmende literarische Text knapp apotropäische Merkmale zu, indem er behauptet: „Die Stadt ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.“ (DHA 6; 83) Dieser Satz erfüllt eine besondere Funktion, denn – indem er das Merkmal „verkehrt stehen“ thematisiert – verweist er auf das poetologi- sche Programm Heines, dessen Beschreibung von Göttingen jenen Regeln der Inversion folgt, die Michail Bachtin beschrieben und literaturtheoretisch als Prinzipien des Karne- vals fruchtbar gemacht hat. Mehr als einmal hat die Forschung darauf verwiesen, dass die von Heine in der zitierten Eingangspassage verwendeten, als Zusammenstellung der Gegensätze, Egalisierung, Infragestellung der (universitären und kommunalen) Auto- ritäten, Übertretung und Profanation der Normen50 zu definierenden Strategien die bach- tinschen Kriterien der Karnevalisierung einer (Stadt-)Ordnung erfüllen.

48 Nicolas Pethes: Literatur und Wissenschaftsgeschichte. Ein Forschungsbericht. In: IASL, 28 Bd., H.1/2003, 179-231, 211. 49 Vgl. den märchenhaft anmutenden Anfang der medizinischen Monographie: „In einem , das von sanft ansteigenden Höhen gebildet, und von der Leine durchströmt (...) liegt auf dem rechten Ufer des Flusses in einem Kranze anmuthiger Gärten, am Fuße des Heinbergs Göttingen, eine der ersten Städte des Königreichs Hannover.“ K. F. H. Marx: Göttingen, 1. 50 Michail Bachtin: Literatur und Karneval, 48 f. 3.3 Medizin und Karneval 95

Der Vergleich der Beschreibung der Harzreise mit dem Text von K. F. H. Marx macht darüber hinaus deutlich, dass die Erstere nicht nur die „primäre“ Ordnung der realen Stadt, sondern auch die Diskursordnung der medizinischen Stadtbeschreibung karnevalistisch verkehrt. Ein wesentliches Kennzeichen der Harzreise bildet der parodistische Umgang mit der Faktographie, also jenem Merkmal der Wissensordnung, das im Vordergrund der Studie von Marx steht.51 Die in der Göttingen-Passage der Harzreise betriebene Persiflage der heilkundlichen Schrift von Marx kann auf die systematische Textur der medizinischen Topographie bezogen werden. Ziehen wir die biographischen Umstände der Entstehung der Harzreise heran, wird ihre Funktion als Maske, oder, um eine heinesche Denkfigur zu bemühen – ein „aus Lappen zusammengefügtes Narrengewand“ – eine komische Text-Kostümierung des Autorsubjekts, der sein wahres Wesen vor dem Publikum verhüllt, sinnfällig. Parallel zur Niederschrift seines wissenschaftliche Tatsachentreue persiflierenden Wanderbuchs, betrieb Heine nämlich in der Göttinger Universitätsbibliothek akribische Recherchen, die er für die Erstellung der Schrift Rabbi von Bacharach unabdingbar hielt. Auf die Stadtbeschreibung als Bezugstext des Reisebildes hat Heine seine Leser ausdrücklich hingewiesen. Folgen die Leser diesem Hinweis, werden sie bald fest- stellen, dass die Topoi der medizinischen Schrift berücksichtigt werden, um in der Harzreise unter Verkehrung der Wertigkeiten wiederzukehren. Verzeichnet K. F. H. Marx den historischen Durchzug verschiedener germanischer Stämme durch die umliegenden Gebiete, um Göttingen durch ein identitätsstiftendes, archaisch-histori- sches Moment zu nobilitieren, hebt Heine die Logik der Jahrtausende alten Chrono- logie auf, um die seiner unmittelbaren Umgebung präsenten ungeschlachten Burschen- schaftler als bedauernswerterweise stets umherziehende Residuen der unzivilisierten barbarischen Vergangenheit in seiner Stadtlandschaft zu installieren.52 Analysiert Marx penibel die Stratifikation der sozialen Stadtstruktur, um sich im folgenden Kapitel über die Fauna der Stadt auszubreiten, summiert die Harzreise beide Betrachtungen unter Verwendung des marxschen Wortschatzes zu der bekannten auf Degradierung angelegten synthetisierenden Formel, die sowohl Marxens These über die klägliche Isolierung der einzelnen Stände als auch den Sinn der Einteilung schlechthin auf den Kopf stellt: „Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Pro- fessoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger als geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste.“53

51 Grubacic: Heines Erzählprosa, 9. 52 „Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückge- lassen, und davon stammen all die Vandalen, Friesen, Schwaben (...), die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis und geschieden durch Farben und Mützen (...) über die Weender Straße einherziehen, (...), in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völker- wanderung.“ DHA 6; 84. 53 Diese Bemerkung bezieht sich spielerisch eine Fußnote des VI. Abschnitts der Topographie, 96 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Begegnet Marx den lokalen Notabilitäten äußerst pietätvoll und attestiert den Göttingern ein „erhöhtes moralisches Gefühl im Allgemeinen“54, geht Heine im karnevalesken Zugriff der Egalisierung55 von der Aufhebung der sozialen Hierarchie aus und zur Nivellierung der Differenzen zwischen Mensch und Tier über, um auf die inhumanen und zugleich philiströsen Zustände der durch ihre „Würste und Universität“ berühmt gewordenen Stadt aufmerksam zu machen. Derartige Momente der parodierenden Negativierung wissenschaftlicher Rede, ihrer Wiederholung im Zeichen der Differenz scheinen sich auf die Studie von Marx vorerst in ihrem Charakter als Stadtbeschreibung und nicht auf ihre medizinischen Erkennungs- zeichen zu beziehen. Es fällt dabei auf, dass Heine, der die politische Abstinenz der zeitgenössischen Jurisprudenz als ein peinliches Defizit in allegorischen Bildern boshaft beanstandete (vgl. DHA 6; 85), die unübersehbaren politischen Verstrickungen der medizi- nischen Schrift geradezu ausblendet. Er verbleibt bei einer kryptisch-denunziatorischen Formulierung: (Er könne die Topographie seinen Lesern „nicht unbedingt empfehlen“), die erst in Kenntnis der divergierenden ideologischen Implikationen des medizinischen und des literarischen Textes plausibel erscheint. Die Beschreibungen Göttingens aus der Feder von Marx und Heine verbindet ein aufschlussreiches Strukturmerkmal. Analog zur medizinischen Topographie beschließt Heine nämlich seine fulminante Göttingen-Passage mit einem Körperbild. Bevor er zu diesem Streich ansetzt, sieht sich Heine zwar veranlasst, die Leser auf sein ambivalentes Verhältnis zum heilkundigen Autor des Intertextes Göttingen in geogra- phischer, historischer und medizinischer Hinsicht, der ihm als Arzt so „viel Liebes erzeigte“, dass der Patient gegen ihn „die heiligsten Verpflichtungen“ zu hegen hat, zu verweisen. Den aufmerksamen Leser lassen solche Äußerungen jedoch aufhorchen, denn sie scheinen sich in den Zusammenhang der „versteckten Offenlegungen“ des biographischen Hintergrundes des kränkelnden Autors einzureihen. Wer sich „viel Liebes“ von seinem Arzt erweisen lassen musste und sich ihm nach der Behandlung noch derartig verpflichtet weiß, muss entsprechend leidend gewesen sein. Nach dieser Abtragung der Schuld durch die Erwähnung der „heiligsten Verpflichtungen“ sieht sich Heine allerdings berechtigt, sofort zu einem Angriff überzugehen, indem er seinen Harzreisenden erklären lässt: „Ich muss tadeln, daß er (der Arzt, K. J.) jener falschen Meinung, als hätten die Göttingerinnen allzugroße Füße nicht streng genug widerspricht“. (DHA 6; 84) „Ja“ – behauptet der Reisende weiter – „ich habe mich sogar seit Jahr und Tag mit einer ernsten Widerlegung dieser Mei- nung beschäftigt, ich habe deshalb vergleichende Anatomie gehört, die seltensten wo es heißt: „Der Viehstand ist sowohl der Zahl als der Güte nach ziemlich bedeutend, ob er gleich (...) mancher Verbesserung fähig wäre.“ Vgl. K. F. H. Marx: Göttingen, 184. Zu diesem Hinweis auch DHA 6; 592. 54 K. F. H. Marx: Göttingen, 234. 55 Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, aus dem Russischen übers. v. Gabriele Leupoldt, hrsg. u. mit einem Nachwort versehen v. Renate Lachmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987, 57. 3.3 Medizin und Karneval 97

Werke auf der Bibliothek excerpirt, auf der Weenderstraße stundenlang die Füße der vorübergehenden Damen studiert, und in der grundgelehrten Abhandlung, so die Resultate seiner Studien enthalten wird, spreche ich 1. von den Füßen über- haupt, 2. von den Füßen bei den Alten, 3. von den Füßen der Elefanten, 4. von den Füßen der Göttingerinnen, 5. stelle ich alles zusammen, was über diese Füße auf Ullrichs Garten schon gesagt worden, 6. betrachte ich diese Füße im Zusammen- hang und verbreite mich bei dieser Gelegenheit auch über Waden, Knie, usw. und endlich 7. wenn ich nur so großes Papier auftreiben kann, füge ich noch hinzu einige Kupfertafeln mit dem Faksimile göttingischer Damenfüße.“ (DHA 6; 84) In diesem Szenario einer hingebungsvoll betriebenen Wissenschaft brüstet sich der im Text als Jurist Ausgewiesene mit naturwissenschaftlichen Kenntnissen im Bereich der anatomia comparativa, jenes wissenschaftlichen Paradigmas also, mit dem unter Zuspruch von Herder und Kant bereits das 18., aber auch das 19. Jh. „gemeiniglich die Thiere anatomieret, um ihr innerstes Wesen zu erkundigen, und von diesen auf den Menschen schließet: als da sind die Affen, Schweine, Bären, Hunde“56. Das Lob der anatomia comparativa verbanden Heines Zeitgenossen mit der Behauptung, dass die Einsicht in den Körperbau und die Physiologie der Tiere die Kenntnisse der Human- anatomie wesentlich verbessere. Mit seiner Eingangsbehauptung fordert Heine die medizinische Autorität auf dem ihr eigenen Terrain der Körperkunde heraus. Er eignet sich ihre wissenschaftlichen Strategien und ihre Beschreibungsordnung an, um sie durch subversive Verstöße gegen das aptum zu parodieren. Manfred Windfuhr verwies darauf, dass die „Abhandlung“ über die Füße ihre komischen Effekte vor allem aus dem Missverhältnis zwischen der Trivialität des Gegenstands und dem suggerierten wissenschaftlichen Aufwand beziehe.57 Die Bestandteile des „wissenschaftlichen“ Szenarios, das Bild des Studenten Heine, der auf sein jahrelanges einschlägiges Exzerpieren, sein fleißiges empirisches Studium durch ‚Angaffen’ von Frauenfüßen auf der Hauptstraße folgen lässt und den obligaten Vergleich der Ergebnisse in der scientific community durch Diskussionen in einem beliebten Studentenlokal leistet, wären aber ebenfalls als ein Beispiel des auf humoristische Effekte orientierten karnevalesken Umgangs mit den Normen der institutionalisierten Seriosität zu betrachten, mit dem laut Bachtin der Anschein ihrer Unhinterfragbarkeit zerstört wird.

56 Vgl. Zedlers Universallexikon, Bd. 1, 90. Vgl. auch Katarzyna Jaśtal: „Dies Bild gehört nicht in den anatomischen Lehrsaal...“ Anatomie in der Harzreise. In: Dietmar Goltschnigg, Charlotte Grollegg-Edler, Peter Reeves: Harry ... Heinrich ... Henri ... Heine. Deutscher, Jude, Europäer, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2008, 197-219, hier: 203. 57 Manfred Windfuhr ist einer der wenigen Autoren, der Heines Stichworte zur Abhandlung über die Füße nicht nur als ein humoristisches Beispiel zitiert, sondern auch, wenn auch knapp, reflektiert. Sie gelten ihm als methodische Verspottung der wissenschaftlichen Nei- gung, einem „trivialen Gegenstand akademische Weihen zu verleihen und ihn durch Anti- thesen, Abstraktionen und Dokumentationen kolossal aufzubauschen.“ Vgl. Windfuhr: Kri- tische Wissenschaft, fröhliche Wissenschaft. Heine als Anreger der Wissenschaften. In: Heinrich Heine im Spannungsfeld von Literatur und Wissenschaft. Symposium anlässlich der Benennung der Universität Düsseldorf nach Heinrich Heine, hrsg. v. Wilhelm Gössmann und Manfrend Windfuhr, Essen: Reimar Hobbing Verlag, 1990, 25-41, hier: 33. 98 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

Unter Rekurs auf den von Karlheinz Stierle zusammengestellten Katalog der inter- textuellen Bezüge, zu denen der Forscher „Applikation“, „Korrektur“, „Überbietung“, „historische Distanznahme“, „Erweiterung“, „Ausschöpfung eines Spielraums“ und „Aufbietung einer Autorität“ zählt, wäre das Verhältnis zwischen der medizinischen Topographie von Marx und der Passage der Harzreise mit dem letzteren Begriff Stierles wohl am adäquatesten beschrieben.58 Es gehört zur desillusionierenden Logik der heineschen Textwelt, dass sie gerade dies, worauf die parodierende Passage die Lesererwartung richtet, nämlich eine inhalt- liche Korrektur des wissenschaftlichen Urteil des Mediziners, nicht leistet. Folgt der Leser der substituierenden Bewegung des Textes, muss er sich mit einer unerhörten körperlichen Begebenheit konfrontiert sehen. Im Aufschub über ihr genus proximum – die Elephantenfüße – über das Spiel mit medialen Repräsentationsmöglichkeiten jenes versprochenen Kupferstichs, der, wie Heines Zeitgenossen noch wussten, das imposante Großfolioformat erreichen konnte, konstruiert die Harzreise erst recht wahre „Extremitäten“. Den Anhaltspunkt für seine polemische Konstruktion fand Heine in folgender Beschreibung des medizinischen Intertextes: „Das weibliche Geschlecht zeigt hier in allen Perioden seiner Lebensjahre beinahe durchgehend viel Anmuth, und einen Verein von solchen Gaben, die wenn man sie auch nicht Schönheit nennen will, doch mit Liebenswürdigkeit bezeichnen muß. (...) auch bei alten Frauen wird noch eine große Regelmäßigkeit der Gesichts- züge, (wodurch die ursprüngliche Schönheit der Form am deutlichsten hervor- tritt) bemerkt. Brünetten bilden die Mehrzahl, Blondinen bemerkt man weniger (...). Die Haut ist zart und weiß und der Teint bedarf keiner Schminke. (...) Schlanker Wuchs ist bei weitem der gewöhnliche. (...) Hübsch gebildete Füße wird mancher Tadelsüchtige unseren Schönen absprechen; gewiß mit Unrecht. Denn sollte auch hie und da aus Vorsicht gegen Krähenfüße der Schuh etwas weit gemacht werden, damit er nicht drücke, so muß doch jeder zugeben, daß wenn auch Man- che in breiten Schuhen geht, doch die meisten auf ihren eigenen Füßen stehen. Krüppelhafte, Höckerichte usw. bemerkt man selten; und die Polizey wacht darauf, daß keine fremden Personen, die durch ihre körperlichen Verunstaltun- gen Mitleid erregen (...) wollen, auf den öffentlichen Spaziergängen empfindli- che Naturen durch ihren unerwarteten widrigen Anblick erschrecken.”59 (Her- vorhebungen K. J.) Derartige Befunde kongruieren durchaus mit der affirmativen Einstellung des Arztes zur Stadt und seinen wissenschaftlichen Überzeugungen. Der günstigen Stadtlage und mustergültigen Verwaltung entsprechen – (wie hätte es anders sein können?) – eine gesunde Körperverfassung und ein wohlgestalteter Körper.60 Diese professionelle Be-

58 Vgl. Karlheinz Stierle: Werk und Intertextualität. In: Dialog der Texte. Hamburger Kollo- quium zur Intertextualität, hrsg. von Schmid und Stempel, Wien: Wiener Slawistischer Al- manach. Sonderheft 11, 1983, 7-26, hier: 13. 59 K. F. H. Marx: Goettingen, 137-139. 60 Gemäß seinen Prämissen äußerte sich K. F. H. Marx auch über den männlichen Körper der Bürger wohlwollend. Vgl. ebd., 136 f. 3.3 Medizin und Karneval 99 schreibung entspringt naturgemäß keinem interesselosen Wohlgefallen, bei Marx be- steht ihr Telos in der Optimierung des weiblichen zu einem gesunden Mutterkörper. Insbesondere angemessene Bewegung an frischer Luft und der Verzicht aufs Korsett erscheinen dem Arzt in diesem Zusammenhang wichtig, nicht wegen etwaiger direkter Vorteile für die Frauen, sondern im Sinne der Fortpflanzung, da sie – so der Medizi- ner im Originalton der Epoche – zu „einer gesunden Bildung von jenem Theile des weiblichen Körpers, welcher dem Neugebornen die erste Nahrung bereiten soll“ bei- tragen.61 An derartigen Befunden und Wertsetzungen seines Arztes scheint der Jurastudent Heine, wie bereits erwähnt, nur insofern interessiert, als er sie umkehren kann. In Bezug auf die einschlägigen Körperkonstruktionen realisieren die medizinische Topo- graphie von Marx und die Harzreise ein Kontrastprogramm, das unter weiterer Funktio- nalisierung der bachtinschen Theoreme als Gegensatz zwischen dem „klassisch- schönen“ und dem in der karnevalesken Welt beheimateten grotesken Körper zu defi- nieren ist.62 Der klassische Körper ist laut dem russischen Literaturtheoretiker der mit sich selbst identische Körper. Dessen Territorium sei fest umrissen, exemplarisch werde er in der griechischen Skulptur repräsentiert. Die von Bachtin genannten Merkmale des „klassischen“ Leibs: das „ideale Maßverhältnis“, „Symmetrie“, „die porenlos polierte Marmoroberfläche“ wären u. U. durchaus auch mit den zitierten Formulie- rungen des Arztes zu artikulieren, der von einer „schönen Form“ des Körpers, der „großen Regelmäßigkeit der Züge“, einer Haut, „zart und weiß“ und einem „Teint, der keiner Schminke bedarf“, spricht. Dem letzteren Verfasser zufolge überschreiten die Füße der Göttingerinnen keineswegs ein „gesundes Maß“. Täten sie es, würden sie genauso wie andere „Fremdkörper“: Pathologien, Deformationen, Auswüchse von dem Arzt aus der Öffentlichkeit gnadenlos konsequent ausgegrenzt. Prekärerweise arbeitet Marx damit an einem jener Konzepte von der schönen Ganzheitlichkeit des „sozialen Körpers“, die sich besonders anfällig gegenüber politischen Ideologien eines sich in der Abwehr der „Fremdkörper“ konstituierenden „heilen Volkskörpers“ oder einer „gesunden Nation“ zeigen.63 Den Elementen, die wie auffallende Extremitäten, hervorquellende Augen, ansehn- liche Nase, abstehende Ohren, Brüste, Penis, Buckel über die geglättete Idealsilhouette zu deutlich hinausreichen, gibt die klassische Körperkonzeption keinen Raum. Das aus der klassischen Silhouette Ausgegrenzte wird im grotesken Körper privilegiert.64 Die verzerrenden Regeln der Groteske favorisieren und fokussieren ja grundsätzlich alles, was von der Norm abweicht, denn: maßlose Übertreibung gehört eben zu – her-

61 Ebd., 138. 62 Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt, 40. 63 Vgl. Rudolf Schenda: Gut bei Leibe. Hundert wahre Geschichten vom menschlichen Körper. München: C. H. Beck, 1998, 16. 64 Die „Rezentrierung des Marginalisierten“ zählt Peter Fuß zu besonders signifikanten Merk- malen des Grotesken: Vgl. Peter Fuß: Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wandels, Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2001, 7. 100 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise ausragenden – Merkmalen dieses Phänomens überhaupt.65 Im Projekt grotesker Lei- blichkeit werden die Grenzen zwischen dem verzerrten Körper und der Umgebung fließend („der groteske Körper ist nie fertig und abgeschlossen“66), in einer karneva- listisch-grotesker „Welt der Extremitäten“67 wird das Detail selbstständig, ist „ein Teil und zugleich Ganzes“68. Mit diesen Kategorien wäre der Effekt von Heines „Ope- rationen“ am medizinischen Text eigentlich bereits beschrieben. Die Harzreise greift ein marginales Moment des Intertextes auf, um es daraufhin ins Zentrum der Auf- merksamkeit zu rücken und an diesem Ort wuchern zu lassen. Eine (Kupferstich-) Rahmung wird dem hypertrophen Detail letztendlich versagt, so verfließt es kontur- los mit der Text-Landschaft, ist ein Körper-Teil und ein Körper-Ganzes zugleich. Zur Synekdoche des göttingischen Frauenkörpers wird im literarischen Text somit ein Phänomen, das die medizinische Autorität aus der Öffentlichkeit gnadenlos ausge- schlossen hat, d. h. eine körperliche Deformität. Die Effekte der hyperbolisierenden literarischen Operation wären wohl knapp mit folgender bekannten, vom russischen Literaturtheoretiker formulierten Charakteristik des Grotesken zu erfassen: „Das Ma- teriell-Leibliche triumphiert, denn am Ende herrschen Überfluß und Zuwachs. (...) Die Übertreibung wird zur Karikatur.“69 Die Heranziehung der kulturellen Folie der Schönheitsnormen des frühen 19. Jh.s macht begreiflich, dass Heines Beschreibung mit starken negativen Konnotationen einhergeht. Das zeitgenössische Körperideal verlangt von einer Dame Schlankheit, Anmut und Grazie. Vor diesem kulturellen Hintergrund bedeutet die leibliche Über- fülle, die Heine bei seiner Darstellung der Göttingerinnen suggeriert, einen schwer- wiegenden Verstoß gegen den Schönheitskanon.70

3.4 Begehrte Füße

Im Rückgriff auf den textlich zu rekonstruierenden Wahrnehmungshorizont des Körpers im 19. Jh. wäre Manfred Windfuhr an einer Stelle zu widersprechen. Das in Heines „Abhandlung“ konkretisierte Interesse bezieht sich nämlich keineswegs auf ein triviales Objekt, sondern auf eine Stelle des weiblichen Körpers, die das 19. Jh. libidinös besetzte. Diesseits der anthropologischen Reflexion Freuds ließe sich die um das Fußmotiv zentrierte „wissenschaftliche“ Inszenierung Heines mühelos als ein fetischistisches Szenario identifizieren. Im Rahmen der interpretatorischen Ent- scheidung für die psychoanalytische Optik wäre vordergründig der Zusammenhang

65 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 320 ff. 66 Ebd. 67 Rolf Hosfeld: Die Welt als Füllhorn: Heine. Das neunzehnte Jahrhundert zwischen Romantik und Moderne, Berlin: Oberbaum, 1984, 92. 68 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 358. 69 Bachtin: Literatur und Karneval, 113. 70 Nach Peter Fuß nimmt die leibliche Monstrosität in den Grotesken des frühen 19. Jh.s einen breiteren Raum als die groteske Inversion ein. Dabei wird die leibliche Hypertrophie viel negativer konnotiert als etwa in der Literatur der „körperfreundlicheren“ Renaissance. Vgl. Fuß: Das Groteske, 323 f. 3.4 Begehrte Füße 101 des genannten „Lustobjekts“ mit masochistischen Phantasien zu betonen. Diese Verknüpfung charakterisiert die Sprache des Begehrens bereits in dem die frühen Gedichte Heines vereinenden Buch der Lieder. Im 34. Gedicht der Sammlung, in dem der Körper des Liebenden zum lyrischen Subjekt wird, heißt es: „Der Kopf spricht: / Ach, wenn ich nur der Schemel wär, / Worauf der Liebsten Füße ruhn! / Und stampfte sie mich noch so sehr, / Ich wollte doch nicht klagen tun.“ (DHA 1; 112) Die begehrte Fuß-Berührung erscheint als eine Intimität, die den Wünschen des lyri- schen Subjekts zum Trotz in den Gedichten nie „wirklich“ wird, wird sie doch stets in einem „irrealen“, d. h. einem Wunsch- oder Traummodus dargestellt, bzw. wird der Fuß durch einen Gegenstand substituiert: „Es hat mich zu ihrem Hause geführt,“ träumt das lyrische Ich von einer Reise in die Stadt der Geliebten „Der Kopf spricht: / Ach wenn ich nur der Schemel wär, / Worauf der Liebsten Füße ruhn! / Und stampfte sie mich noch so sehr, / Ich wollte doch nicht klagen tun.“ (DHA 1; 123) In dem den späteren, in ihren Artikulationen erheblich freieren Neuen Gedichten (1844) angeschlossenen Zyklus Friederike (entstanden 1823) wird Heine ein in einer irreal- exotischen Kulisse71 angesiedeltes Wunscherfüllungsszenario deutlich ironisch das Religiöse streifen lassen und mit dem Bild leidenschaftlicher Anbetung abschließen: „Dort will ich gläubig vor dir niedersinken, / Und deine Füße drücken, und dir sagen: / »Madame! Sie sind die schönste aller Frauen!«“ (DHA 2; 64) Mehrfache weiter- führende Illustrationen der einschlägigen „Fuß-Topik“ liefern die erotischen Insze- nierungen der Bäder aus Lucca und Florentinischen Nächte. Dennoch ist Heines topische Fuß-Fixierung auch im Rahmen eines anderen, nämlich eines epochenspezifischen Wahrnehmungsparadigmas zu deuten und in diesem zu begründen. In diesem Zusammenhang erscheint die Berücksichtigung von induktiv gewonnenen mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnissen Gerhard Wolfs besonders frucht- bar. Aufgrund seiner Untersuchungen zu Texten und Bildern des ausgehenden 18. und des 19. Jh.s stellt der Kunsthistoriker eine intensive sinnliche Faszination der meisten zeitgenössischen männlichen Autoren durch die weiblichen Füße fest und erklärt sie mit den Konditionierungen der damaligen Kleiderordnung, die den Fuß als einzigen Teil des weiblichen Beines dem öffentlichem Blick freigab.72 In einem Versuch, den damaligen Wahrnehmungsmodus in den heutigen Horizont synthetisierend hereinzuholen, spricht Wolf im Zusammenhang des Topos „weiblicher Fuß“ über eine Bedeutungsverschiebung, die der freudschen entgegengesetzt ist:

71 „Wo (...) Die Pilgerschaaren nach dem Ganges schreiten, / Andächtig und im weißen Fest- gewande. / Dort, wo die Palmen wehen, / die Wellen blinken, / Am heil’gen Ufer Lotosblumen ragen (...).“ (DHA 2; 64). 72 Gerhard Wolf: Verehrte Füße. Prolegomena zur Geschichte eines Körperteils. In: Clau- diaBenthien, Christoph Wulf: Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2001, 500-523. 102 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

„Mit Blick auf die Texte und Bilder des 18. und 19. Jahrhunderts erscheinen Füße geradezu als ein »Geschlechtsorgan«, cum grano salis gilt dies für die mediterra- nen und europäischen Kulturen überhaupt. Die Füße sind dem Geschlecht, dem weiblichen zuvörderst näher als Hände oder Augen, und insofern mit Tabus belegt, sind sie »Extremitäten« des weiblichen Organs. Entsprechend hätte ein histori- sches Epizentrum der (...) kleinen Seismographie des Fußes etwa das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts sein sollen.“73 Die überwiegend anhand französischer Beispiele konstruierte These vom weiblichen Fuß als „erotisches Aufmerksamkeitszentrum“ ließe sich auch mit mehreren Belegen aus deutschen Texten des 18. und 19. Jh.s dokumentieren. Die einschlägigen deutschen Zeugnisse sind so zahlreich, dass sie einer eigenen umfassenderen Betrachtung würdig wären. Es handelt sich hier aber nicht darum, Wolfs Prolegomena fortzuschreiben, sondern darum, durch Beispiele auf das ins 18. Jh. reichende literarische Umfeld kursorisch hinzuweisen, in dem Heines poetische Fußfaszination anzusiedeln ist, auf Schilderungen wie jene des Stadtmusikanten Miller aus Schillers Kabale und Liebe (1784), der seine Tochter voller Stolz so charakterisiert: „Das Mädel ist schön – schlank – führt seinen netten Fuß. Unterm Dach mags aussehen, wie’s will“74, oder – um auch die Anpassung der schreibenden Frauen an den Kanon zu dokumentieren – auf Figuren- beschreibungen in den Romanen Fanny Lewalds.75 Als wichtiger Ort zahlreicher an- schaulicher Belege bieten sich aber vor allem Romane Goethes an, von denen die Wahlverwandtschaften (1809) eindrückliche Beispiele der einschlägigen männlichen Präferenzen liefern, wie z. B. folgende Beschreibung: „Der Graf (...) gedachte mit Lebhaftigkeit an die Schönheit Charlottens, die er als ein Kenner mit vielem Feuer entwickelte: »Ein schöner Fuß ist eine große Gabe der Natur. Diese Anmut ist unverwüstlich. Ich habe sie heute im Gehen beobachtet; noch immer möchte man ihren Schuh küssen und die zwar etwas barbarische, aber doch tief gefühlte Ehrenbezeugung der Sarmaten wiederholen, die nichts Besseres kennen, als aus dem Schuh einer geliebten und verehrten Person ihre Gesundheit zu trinken.«“76 Den Grund seines aufs Gespräch mit dem Grafen folgenden nächtlichen Besuch im Schlafzimmer seiner Gattin erklärt ihr Eduard folgendermaßen:

73 Ebd., 500. 74 Friedrich Schiller: Kabale und Liebe. In: Ders.: Sämtliche Werke. Auf Grund der Original- drucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Her- bert Stubenrauch, München: Hanser, 1962, Bd. 1, 755-858, hier: 757. 75 In einem Versuch, die Optik einer ihrer männlichen Figuren wiederzugeben, beschreibt Fanny Lewald eine Protagonistin folgendermaßen: „Sie war hübsch, sehr hübsch. Obschon es dunkelte, konnte er doch noch sehen, wie fein der Hals auf ihren Schultern saß, wie kräftig ihr Oberleib sich aus den vollen Hüften hervorhob, und wie schön ihr Fuß und ihre Knöchel gebaut waren. Sie war recht ein Mädchen, wie ein Mann sich es zum Weibe wünschen mußte (...).“ Vgl. Fanny Lewald: Von Geschlecht zu Geschlecht, Berlin: Otto Janke, 1871, 123. 76 Johann Wolfgang v. Goethe: Wahlverwandtschaften: In: Goethes Werke. Hamburger Aus- gabe in 14 Bänden, Bd. 6, 242-490, 317. 3.4 Begehrte Füße 103

„»Warum ich denn aber eigentlich komme«, sagte er (...), »muß ich dir nur geste- hen. Ich habe ein Gelübde getan, heute abend noch deinen Schuh zu küssen.« »Das ist dir lange nicht eingefallen,« sagte Charlotte. »Desto schlimmer«, ver- setzte Eduard, »und desto besser!« (...).”77 Bedenkt man den weiteren Verlauf der Szene, wird dem heutigen Leser bewusst, dass die Wahlverwandtschaften nicht nur Einsichten in die individuellen Präferenzen von Goethes Figuren gestatten und/oder Reflexionen über Veränderungen der erotischen Sensibilität und Wunschbilder inspirieren können, sondern auch Einblicke in die dama- ligen Diskursivierungsstrategien der Intimität erlauben und damit auch einen Teil des mentalitätsgeschichtlichen Hintergrunds enthüllen, vor dem Heine seine Fußszenarien entrollte. Die „Fuß-Noten“ der zeitgenössischen Werke beweisen, dass Heine mit einem heutzutage größtenteils verschütteten epochenbedingten Bedeutungskomplex spielte, indem er konnotativ jene verbreiteten erotischen Präferenzen ansprach, die bereits im dritten Jahrzehnt des 19. Jh.s nicht nur auf vestimentäre Vorgaben der Wirklichkeit zurückgingen, sondern auch eine Tradition in der „Höhenkammliteratur“ hatten und vom 19. Jh. auch im Rahmen der naturwissenschaftlich fundierten philosophischen Körperreflexion verankert wurden. Es war Arthur Schopenhauer, der sich in seinem Versuch einer anthropologischen Grundlegung der Metaphysik aus dem Geiste der Physiologie veranlasst sah, „den hohen Wert, den alle (Hervorh. K. J) auf die Kleinheit der Füße legen“78, als eine universale, anthropologische Konstante philosophisch zu objektivieren. Im 1854 er- schienenen zweiten Teil der Abhandlung Die Welt als Wille und Vorstellung holte der Philosoph jenen „hohen Wert“ in das „transcendente und erhabene“ System der men- schlichen Partnerwahl ein, das er mit entwicklungsgeschichtlichen Bestrebungen der Gattung zu einer qualitativen – mit der Entfernung vom Tierreich gleichzusetzenden Verbesserung – in eins setzte.79 Kleine Füße, die laut seiner These das Kind von der Mutter erbe, die also dementsprechend auszuwählen sei, definierte der Philosoph als ein wichtiges körperliches Grundmerkmal der Menschlichkeit überhaupt. Die kleinen Füße seien: „ein wesentlicher Charakter der Gattung (...), indem sie kein Thier (...) so klein hat, wie der Mensch, welches mit dem aufrechten Gange zusammenhängt: er ist ein Plantigrade. Demgemäß sagt auch Jesus Sirach (...): »Ein Weib, das gerade gebaut

77 Ebd., 320. 78 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. In: Ders.: Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, Zürich: Diogenes, 1977, Bd. 1, 635. 79 Vgl.: „Die sämmtlichen Liebeshändel der gegenwärtigen Generation zusammengenommen sind demnach des ganzen Menschengeschlechts ernstliche meditatio compositionis genera- tionis futurae, e qua iterum pendent innumerae generationes. Diese hohe Wichtigkeit der Angelegen-heit, als in welcher es sich nicht, wie in allen übrigen, um individuelles Wohl und Wehe, sondern um das Daseyn und die specielle Beschaffenheit des Menschengeschlechts in künftigen Zeiten handelt und daher der Wille des Einzelnen in erhöhter Potenz, als Wille der Gattung, auftritt, diese ist es, worauf das Pathetische und Erhabene der Liebesangelegen- heiten, das Transcendente ihrer Entzückungen und Schmerzen beruht. (...)“ Ebd. 104 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise ist und schöne Füße hat, ist wie die goldenen Säulen auf den silbernen Stühlen.«”80 Scho- penhauers philosophische Reflexion über den Körperteil „weiblicher Fuß“ ist als ein Zeitdokument zu betrachten, dem Heines literarische Konstruktion entgegengestellt werden kann. Vor den Augen der zeitgenössischen Leser lässt Schopenhauer das ihnen angenehme Bild kleiner weiblicher Füße entstehen. Den von den zeitgenössischen Lesern libidinös besetzten Körperteil idealisiert der Philosoph,81 indem er sich sowohl auf deterministisch-evolutionäre Argumente als auch die Autorität der Bibel stützt. Heines Reisebild geht einen entgegengesetzten Weg. In der Göttingen-Beschrei- bung ruft der Text das leibliche Detail „weiblicher Fuß“ nur zu dem einen Zweck auf, es in der Textlandschaft gleichzeitig lächerlich und schauerlich wuchern zu lassen und im grotesken Modus das Monströse der Göttinger Realität dem Gelächter seiner Leser preiszugeben.

3.5 Medizin und Anatomie

Die Auseinandersetzung der Harzreise mit medizinischen Körperkonzepten erschöpft sich nicht in der karnevalistischen Subversivierung der medizinischen Topographie von Heines Arzt K. F. H. Marx, sondern wird bei der Beschreibung des Aufenthaltes des Ich-Erzählers in Goslar fortgesetzt. Da die einschlägige Textpassage auf kunstheo- retische Prämissen verweist, die über Körperkonstruktionen in Heines Œuvre weit- gehend entscheiden, kommt ihrer Analyse für die vorliegende Arbeit besondere Be- deutung zu. Es handelt sich dabei um eine poetologische Reflexion des Autors, die dem Ich- Erzähler in den Mund gelegt wird, der sie gleichsam beiläufig bei der Betrachtung eines spätgotischen Kruzifixes artikuliert. Mit dieser Christus-Darstellung konfrontiert Heine seinen reisenden Jurastudenten bei der Besichtigung der Goslarer Stephans- kirche, in die man sowohl das Kruzifix, als auch zahlreiche andere Gegenstände aus dem gerade niedergerissenen Dom verbracht hat. Die in der engen Kirchenvorhalle chaotisch zusammengetragenen und durch Musea- lisierung des direkten Kultzusammenhangs enthobenen Gegenstände sind heterogener Herkunft und erwecken beim Betrachter größeres Interesse als das Presbyterium. Im engen Raum wird der Protagonist mit „einigen schlechten Gemälden“ und „einem heidnischen Opferaltar getragen von vier Caryatyden“ konfrontiert, die laut seiner Auskunft „unerfreuliche Gesichter schneiden“ (DHA 6; 113). Dabei stellt er fest: „(...) indessen noch unerfreulicher ist das dabeistehende (...) große hölzerne Kruzifix. Dieser Christuskopf, mit natürlichen Haaren und Dornen und blutbeschmiertem

80 Ebd., 635 f. 81 Auch die deutschen Südamerika-Reisenden des frühen 19. Jh.s beschäftigen sich beim Nachdenken über die exotische Mode und Modellierung des weiblichen Körpers mit dem Thema der weiblichen Füße. Dazu vgl. Ottmar Ette: Fuß – Taille – Auge. Europäische Körper /Geschichte(n) der schönen Frauen von Lima. In: Eva Erdmann (Hg.): Der komische Körper. Szenen – Figuren – Formen, Bielefeld: Aisthesis, 2003, 153-162, hier bes.156 f. 3.5 Medizin und Anatomie 105

Gesichte, zeigt freilich höchst meisterhaft das Hinsterben eines Menschen, aber nicht eines gottgebornen Heilands. Nur das materielle Leiden ist in dieses Gesicht hinein geschnitzelt, nicht die Poesie des Schmerzes. Solch Bild gehört eher in einen anatomischen Lehrsaal (...).“ (DHA 6; 113) Zum Konsens der Heine-Forschung gehört die Erkenntnis, dass Textstellen, in denen die Christus-Figur thematisiert wird, vom Leser grundsätzlich erhöhte Aufmerksamkeit verlangen. Laut Siegbert Salomon Prawer ist Christus eine Gestalt, die auf den Autor eine besondere Anziehungskraft ausübte und, wenn auch mit unterschiedlicher Inten- sität, in allen Phasen seines Schaffens thematisiert wird.82 Beate Wirth-Orthmann, die das Christusbild in Heines Gesamtwerk analysiert, kommt zu dem Fazit, dass Heine, der bei aller Schärfe seiner Polemiken gegen das Christentum immer zwischen Kirche und Religion differenziert, die Gestalt des Religionsbegründers nie antaste, sondern im Sinne einer „Projektionsfläche“ funktionalisiere.83 Indem sich Heine auf die subver- sive soziale und revolutionäre Botschaft des historischen Jesus konzentriere, analogi- siere er nämlich seine eigene Schriftstellerrolle mit der des Erlösers, der in Folge der Verkündung seiner Botschaft gemartert und gekreuzigt wird.84 Die leibliche Erscheinung Christi ist neben dem ihr von Heine nachgesagten sozialen Programm als ein weiterer Aspekt dieser Gestalt anzuführen, mit dem sich für den Schrift- steller ein besonderes Identifikationsprogramm verbindet. Seit dem 1823 veröffent- lichten Erstlingsdrama Almansor fungiert der Leib Christi in Heines Werk als Modell des geschmähten und verletzten männlichen Körpers. Da die im genannten Drama etablierte Perspektive die spätere poetische Reflexion des Autors maßgeblich prägt, erscheint es aufschlussreich, auf ihre wichtigsten Merk- male einzugehen. Als das wohl wichtigste Merkmal der genannten Perspektive lässt sich das Moment medialer Vermittlung über die im Inneren einer Kirche versammelten Bilder bzw. Plastiken und damit auch über die tradierte christliche Ikonographie bestimmen. Als weitere Kennzeichen der Perspektive sind die Installierung konfessioneller Fremd- heitsoptik und die mit ihr einhergehende Zurückweisung des metaphysischen Bezugs festzuhalten. Überdies wird Heines Reflexion über den Leib Christi durch provokative Engführung des Transsubstantationsgeschehens mit einem heidnischen Opferritual begleitet. Die Etablierung der genannten Merkmale legitimiert Heine in Almansor durch die Identität der Titelfigur des 1492 aus seiner spanischen Heimat vertriebenen jungen Muslims, der bei seiner Rückkehr aus dem Exil mit der Ordnung der christlichen Eroberer konfrontiert wird. Im Bericht über seine Begegnung mit dem christlichen Ritus beschreibt Almansor, wie er zum ersten Mal das Innere einer spanischen Kirche während einer Messe betreten hat und berichtet:

82 Siegbert S. Prawer: Heines Jewish Comedy, Oxford: Oxford University Press, 1983, 114. 83 Beate Wirth-Orthmann: Heinrich Heines Christusbild. In: Joseph Kruse, Urlike Reuter, Martin Hollender (Hg.): Ich Narr des Glücks: Heinrich Heine 1797-1856: Bilder einer Ausstellung, Stuttgart: Metzler, 1997, 332-341. 84 Ebd. 106 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

„(...) überall sah ich schmerzensbleich und traurig Des Mannes Antlitz, den dies Bildnis darstellt. Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben, Dort sank er nieder unter Kreuzeslast, Hier spie man ihm verachtungsvoll ins Antlitz, Dort krönte man mit Dornen seine Schläfe, Hier schlug man ihn ans Kreuz, mit scharfem Speer Durchstieß man seine Seite, – Blut, Blut, Blut! Entquoll jedwedem Bild.“ (DHA 5; 41) Das vom Text inszenierte Unwissen eines gläubigen Muslims über die Identität und Lebensgeschichte von Christus, den der Islam zu seinen Propheten zählt, erscheint kaum wahrscheinlich. Heine erachtet jedoch den Hinweis auf die exotische Herkunft Almansors für zureichend, um in seinen Text eine radikal fremde Optik auf das Chris- tentum einzuführen. Die Darstellung des Kreuzwegs überantwortet er einer Figur, die – einer dem Text impliziten Prämisse zufolge – auf die im Evangelium gebotene Sinngebung nicht rekurrieren kann. In Almansors phänomenologischer Deutung der via dolorosa erscheint diese daher als bildlich gefasste Geschichte des gemarterten Körpers, genauer: als ein anschauliches Folterprotokoll. Dieser Eindruck wird im Drama im Augenblick der Transsubstantation intensiviert, an den sich der Protagonist später folgendermaßen erinnert: „Da hört ich eine gellend scharfe Stimme »Dies ist sein Blut« und wie ich hinsah, schaut ich (schaudernd) Den Mann, der eben einen Becher austrank. (...)“ (DHA 5; 42) Über den in beiden zitierten Repliken verwendeten Ausdruck „Blut“, überdies durch lückenhafte Wiedergabe der Transsubstantationsformel bei gleichzeitiger „falschen“ Pronomenverwendung stellt der Text einen Konnex zwischen den von Almansor betrach- teten Bildern und den Worten des Priesters, zwischen dem auf den Bildern des Kreuz- wegs gezeigten Leib Christi und dem für ihn mit realen Blut erfüllten Messkelch her. Almansors Schock (sein „Schaudern“) resultiert aus der Überzeugung, dass zwischen den bildlich dargestellten Ereignissen und dem von ihm beobachteten Messgeschehen ein Menschenopfer stattgefunden hat, dem ein vor seinen Augen vollzogenes kanni- balistisches Ritual folgt.85 Die vermeintlich inkorrekte Wiedergabe der Transsubstan- tationsformel, die die Grundlage der genannten Zuschreibung bildet, kann nicht mit etwaigen sozialisationsbedingten Wissensdefiziten des jüdischen Autors Heine erklärt

85 Heines provokante Parallelisierungen von Eucharistie und Menschenopfer, die Susanne- Zantop als einen Verstoß gegen das aptum („an »indecorous« link“) bezeichnet, wurden im Drama durch die Aussagen der aus Überzeugung zum Christentum konvertierten Geliebten Almansors Zuleima relativiert, womit sie dem zeitgenössischen Publikum zuzutrauen waren. Eine prekäre assoziative Verknüpfung der christlichen Eucharistie mit einem kannibalisti- schen Fest stellte Heine auch im Gedicht Vitzliputzli her, das im Rahmen des lyrischen Zyklus Romanzero 1851 veröffentlichtt wurde. In dem späten Gedicht, das eine Episode aus der Eroberung Lateinamerikas zum Ausgangspunkt nimmt, wird die Vergleichsebene erwei- 3.5 Medizin und Anatomie 107 werden, sondern ist als eine lektüresteuernde Textstrategie anzuerkennen. Es ist zwar letztendlich unentscheidbar, wie viel Vertrautheit mit den Inhalten des Christentums Heine seinen Bildungsjahren in der im ehemaligen Franziskanerkloster unterge- brachten Volksschule und im Lyzeum, die er einheitlich als „dumpfkatholische (...) Klosterschule zu Düsseldorf“ (DHA 6; 92) bezeichnet, ferner auch seinen eigenen späteren Lektüren und privaten Kontakten verdankt. Fest steht jedoch, dass er an anderen Stellen des Dramas Almansor äußerst souverän über die Inhalte des Neuen Testaments poetisch verfügt.86 Paradoxerweise definiert Heines vielfach traumatisierter muslimischer Protagonist, der sich von christlichen Eroberern sowohl der Heimat und des rechtmäßigen Erbes als auch der Geliebten beraubt sieht, seine Identität über die Affinität zur körperlichen Erscheinung des Begründers der Religion, von deren Vertretern er krude misshandelt wird. Mit Blick auf ein Christus-Bildnis stellt Heines Protagonist zuerst zwar noch fest, dies sei ein „fremdes Bild“ (DHA 5; 42), doch die von ihm im Anschluss an diese Feststellung wahrgenommenen Merkmale des dargestellten Körpers, nämlich „schmerzens- bleich“, „mild“, „traurig“ (DHA 5;42), nimmt er als ein Identifikationsangebot wahr, dem er auch folgt. In der drei Jahre nach Almansor veröffentlichten Harzreise findet der Leser das im Drama vorgeprägte Motivgefüge vor. In der oben zitierten Goslar-Passage rekurriert Heine auf das Bild des „Martermannes“ Christus (DHA 5; 41) und betrachtet den Tod am Kreuz im konnotativen Umfeld eines heidnischen Opfers. Das spätgotische Kruzifix und der heidnische Altar stehen in der Vorhalle der Goslarer Kirche dicht nebeneinander. Dabei werden die figuralen Elemente des Altars („Caryatyden“) über das Merkmal des Hässlichen mit der Darstellung von Christus am Kreuz verknüpft. Das ästhetische Unbehagen des Reisenden am Kruzifix wird in der Forschung gewöhnlich als eine Spur der in Harzreise betriebenen religiösen Auseinandersetzung mit dem Christentum gedeutet, das den Autor nach seiner 1825 erfolgten Taufe beson- ders intensiv beschäftigt.87 Die einschlägigen Äußerungen des Ich-Erzählers enthalten allerdings nicht nur ein religionspolemisches, sondern auch ein poetologisches Lektüreangebot, das m. E. in der bisherigen Heine-Forschung unbeachtet geblieben ist. Eine eingehende Lektüre des oben zitierten Kommentars zu einer mittelalterlichen Darstellung des Körpers Christi lässt feststellen, dass die darin gebotene Kunstbetrachtung über den tert. Der christliche und aztekische Opfervorgang werden mit der als Akt der Einverleibung gedeuteten territorialen Eroberung verglichen. Vgl. Susanne Zantop: Cannibalism and Li- terary Incorporation. Heine in Mexico. In: Heinrich Heine and the Occident. Multiple iden- tities, multiple receptions, ed. by Peter Uwe Hohendahl and Sander L. Gilman, Lincoln and London: University of Nebrasca Press, 1991, 110-138, bes. 112. Vgl. auch Robert Stee- gers: Heinrich Heines “Vitzliputzli”, 164 f., 203. 86 Eine genaue Analyse einer der Repliken Almansors als Paraphrase der Bergpredigt liefert Beate Wirth-Orthmann: Das Christusbild Heines. In: Ferdinand Schlingensiepen, Manfred Windfuhr (Hg.): Heinrich Heine und die Religion, ein kritischer Rückblick, Düsseldorf: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, 1998, 127-150, hier: 129. 87 Höhn: Heine-Handbuch, 199. 108 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise konkreten Besichtigungsanlass hinausgeht und für den Autor Heine eine Gelegenheit bedeutet, sein Urteil über die Modalitäten der Körperdarstellung in der Kunst schlecht- hin abzugeben. Die kritische Einstellung Heines gegenüber dem hölzernen spätgotischen Kruzifix erscheint nicht überraschend. Mittelalterliche Plastiken finden in Heines Augen selten Gefallen. In der Romantischen Schule (1835) artikuliert der Verfasser seine grundsätz- liche Abneigung gegen romanische und gotische Skulptur und Malerei, die ihn auf- grund ihrer „abscheulichen Themata“ (DHA 12; 174), wie z. B. „Martyrbilder, Kreuzi- gungen, sterbende Heilige, Zerstörung des Fleisches“ (DHA 12; 174) abstoßen. In einer Reflexion über die Wirkung dieser Kunstwerke schreibt Heine im Jahre 1835: „(...) wenn ich jene verzerrten Bildwerke sehe, wo durch schief-fromme Köpfe, lange, dünne Arme, magere Beine und ängstliche unbeholfene Gewänder die christ- liche Abstinenz und Entsinnlichung dargestellt werden sollte, so erfasst mich unsägliches Mitleid mit den Künstlern jener Zeit.“ (DHA 12; 174) Die Schlüsselwörter dieser Passage – „Abstinenz“ und „Entsinnlichung“ – vergegen- wärtigen die ideologischen Prämissen des Saint-Simonismus, vor deren ideologischem Hintergrund die Romantische Schule entstanden ist. Die einschlägigen programmati- schen Voraussetzungen des Autors lassen ihn die bildende Kunst des Mittelalters als Kult der Triebversagung denunzieren, die er als zeitweiliger Anhänger des Saint- Simonismus mit „Hässlichkeit“ gleichsetzt. Die genannten theoretischen Koordinaten sind allerdings im intellektuellen Umfeld der Goslarer Passage noch nicht vorhanden. Die Beschäftigung mit dem Goslarer Kruzifix erfolgt in einem Horizont, der Heine zu einer zweifach motivierten ästheti- schen Positionierung veranlasst. Einerseits erachtet es Heine für wichtig, sich der grundsätzlichen Frage nach dem Abbildbarkeitsmodus (des Körpers) in der Kunst zu stellen. Andererseits versucht er die poetologisch signifikante Frage nach dem Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft zu beantworten, die in seinem Text durch die medizinische Leitwissenschaft der Anatomie repräsentiert wird. Die Differenzqualität der Passage gegenüber der Parallelstelle aus dem Drama Almansor, in der Heine Christusbilder des Kreuzweges verhandelt, besteht u. a. darin, dass im späteren Text auf Fremdheitsoptik und differenzierte Darstellung des Leids der Christus-Figur verzichtet wird, wobei deren Opferstatus außer Acht gerät. Im Unter- schied zur Romantischen Schule äußert die Harzreise keine Bedenken über die unange- nehmen Sujets, die in der mittelalterlichen Kunst ihren Niederschlag finden. Der 1826 geschriebene Text bezieht sich weder auf den als „Fleisch-zerstörend“ definierten Inhalt der Kreuzigungsdarstellung noch auf die asketische Beschaffenheit des abge- bildeten Leibes selbst. (Von diesem wird im Übrigen nur der leidende Kopf anvisiert, der ein „körperliches Aufmerksamkeitszentrum“ im Schaffen Heines darstellt.)88 Der

88 Leslie Bodi: Kopflos – ein Leitmotiv in Heines Werk. In: Internationaler Heine-Kongreß Düsseldorf 1972, hrsg. v. Manfred Windfuhr, Hamburg: Campe und Hoffmann, 1973, 227- -244, hier: 227 f. 3.5 Medizin und Anatomie 109

1826 entstandene Text wendet sich einer Darstellung von Christus zu, dessen Leib und Leid für die meisten Protagonisten Heines ein wichtiges Identifikationsangebot darstellen, allerdings nicht, um die Misere dieses gepeinigten Körpers zu reflektieren. Was der Ich-Erzähler der Harzreise in erster Linie heftig beanstandet, sind die gleich- sam „naturalistischen“ Verfahrensweisen des mittelalterlichen Künstlers, d. h. die Verwendung von „natürlichen Haaren und Dornen“ und das „unschöne“ Arrange- ment der Blutflecken am Gesicht Christi, das „blutbeschmiert“, d. h. nicht „rein“ erscheint. Mit dieser Argumentation verweist Heine implizit auf die Verpflichtungen seines Textes gegenüber der idealistischen Kunstprogrammatik, in der eine genaue Betrach- tung der „Natur“ lediglich den Ausgangspunkt des Kunstwerks bedeutet, das den Rezipienten vom Sinnlichen zum Idealischen führen soll. Gemäß der idealistischen Ästhetikkonzepte, auf die die zitierte Passage rekurriert, besteht die Aufgabe der Kunst nicht darin, die Wirklichkeit abzubilden, sondern – mit dem Begründer des idealisti- schen Plastikdiskurses Johann Joachim Winckelmann gesprochen – sich über diese zu „erheben“ und „nach geistigen Urbildern die wahre Schönheit“89 zu erschaffen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit scheint der zitierte Kommentar zum Goslarer Kruzifix auch deswegen von Interesse, weil Heine mit ihm eine klare Trennungslinie zwischen Kunst und (Natur-)Wissenschaft, genauer: zwischen Literatur und Medizin zieht.90 Dies geschieht in dem Augenblick, in dem der Ich-Erzähler die wirklichkeits- nahe Abbildung des Körpers in den anatomischen Lehrsaal verbannt, in dem künftige Ärzte ausgebildet werden. Diese Entscheidung motiviert der Reisende mit dem Argu- ment, dass die Goslarer Christus-Plastik zwar bestes Handwerk und gediegene wissen- schaftliche Kenntnisse des menschlichen Körpers belege, dennoch zugleich auch einen entscheidenden Mangel aufweise. Dem Kunstwerk, das „höchst meisterhaft“ „das Hin- sterben eines Menschen“ zeigt, verweigert Heine den Namen „Kunst“ unter Hinweis darauf, dass seiner Körperdarstellung „Poesie“ fehle. Mit diesem im heutigen Ver- ständnis in Bezug auf die bildende Kunst etwas befremdlich anmutenden Stichwort aktualisiert Heine einen wichtigen Aspekt der damaligen ästhetischen Programmatik, in deren Rahmen „Poesie“ auch im Bereich der Skulptur oder Malerei einen festen Platz hat. Um 1815 bezeichnet man einen vom Menschen geschaffenen Gegenstand erst dann als „poetisch“, wenn er aufgrund seiner „geistig-sinnlichen Vollendung“ auf eine „vollkommene“, „idealische“ Welt verweist.91 „Das ganze Gebiet der Kunst mit ihren unendlich mannichfaltigen Erscheinungen wird (...) Poesie im Gegensatz zur Wirklichkeit genannt, (...)“ – erklärt Brockhaus Conversationlexikon von 1814 und setzt fort:

89 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. In: Ders.: Kleine Schriften und Briefe, hrsg. v. Wilhelm Senff, Weimar: Böhlau, 1960, 38. 90 Vgl. Jaśtal: „Dies Bild gehört nicht in den anatomischen Lehrsaal“, 205 f. 91 Brockhaus Conversations-Lexikon oder Enzyklopädisches Handwörterbuch für die gebil- deten Stände, Leipzig: F. A. Brockhaus, 1814-1819, Bd. 1, 718. 110 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise

„(...) poetisch nennen wir Menschen, welche für den Genuß des Idealen emp- fänglich sind (...). Poetisch ist eine Wirklichkeit in dem Maße, in welchem es an das Ideale rührt und zu einem schönen Ganzen wird.“92 Diese epochenspezifische Definition, die „Poesie“ mit Kunst schlechthin gleichsetzt, akzentuiert nachdrücklich die griechische Etymologie der ersten Wortes. Demnach ist „Künstler sein“ in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s gleichbedeutend mit poiein – „schaffen“. Den kreativen Prozeß verbinden Heines Zeitgenossen mit dem Wirken der Einbildungskraft und dem Streben nach dem „Idealischen“, bzw. „Göttlichen“, das die Kunst mit der Religion verbindet.93 Die besondere Bedeutung der Goslarer Passage in Heines Œuvre besteht u. a. darin, dass sie als Selbstauskunft des Autors zum Thema „künstlerische Mimesis des Körpers“ interpretiert werden kann. Signifikanterweise spielt Heine dabei Wissenschaft und Kunst gegeneinander aus, um unter Rückgriff auf die klassische Vorstellung des Kunst- idealismus zu betonen: Die Kunst ist kein Anatomietheater, die Prosa der Naturwissen- schaft und die Dicht-Kunst gehören nicht zusammen, folglich ist der Körper für einen Dichter kein Objekt der abbildenden Demonstration, sondern ein Gegenstand, an dem sich das Konzept des Idealischen und die Imagination des Autors zu beweisen haben. Die Tatsache, dass Heine seine einschlägige poetologische Reflexion an der Ana- tomie als Leitwissenschaft der Medizin orientiert, erscheint nicht zufällig, sondern ist als ein impliziter Verweis auf kognitive und mentalitätsgeschichtliche Vorgaben der Epoche anzuerkennen. Heines Einspruch gegen Anatomie ist weder als Korrektiv bzw. Subversivierung des medizinischen Diskurses seiner Zeit zu verstehen, sondern erscheint von wissenschaftstheoretischen Reflexion seiner Zeit begründet. Er fügt sich nämlich nahtlos in die Vorgaben der romantischen Denklandschaft ein, deren episte- misches Zentrum das Postulat der Erfassung des lebendigen, dynamischen Zusammen- hangs der Dinge ausmacht. Die in Heines Text reflektierten Bedenken der Intellektuellen gegen die Anatomie erscheinen als eine für die ersten Jahrzehnte des 19. Jh.s relevante mentalitätsge- schichtliche Prämisse. Repräsentativ für die Vorbehalte der Epoche erscheinen die in Phänomenologie des Geistes (1807) artikulierten Argumente Georg Wilhelm Friedrich Hegels. In der Schrift, in der der führende Philosoph der Epoche grundlegende Reflex- ionen über Bedingungen und Möglichkeiten der Vernunfterkenntnis erfasste, wird Anatomie als „totes Wissen“ abgelehnt, das dem „wahren“, d. h. prozessualen Sein nicht gerecht werden kann. Stillgestellt und anatomisch aus dem Zusammenhang „herausgerissen“, gehören die Körperglieder – so nachdrücklich Hegel – „dem Kadaver, nicht der Erkenntnis“:

92 Ebd., 719. 93 Die Vorgaben prägen Heines Kunstreflexion noch in den späten Pariser Jahren. In den posthum herasgegebenen Aufzeichnungen heißt es: „Schön ist das Kunstwerk, wenn das Göttliche sich dem Menschlichen freundlich zuneigt: Diana küßt Endymion – erhaben, wenn das Men- schliche sich zum Göttlichen gewaltsam emporhebt: Prometheus trotzt dem Jupiter – Aga- memnon opfert sein Kind – Christus schön und erhaben zugleich.“ (DHA 15; 127) 3.5 Medizin und Anatomie 111

„(...) Als solche (...) haben sie (...) aufgehört zu sein, denn sie hören auf, Prozesse zu sein. Da das Sein des Organismus wesentlich Allgemeinheit oder Reflexion in sich selbst ist, so kann das Sein seines Ganzen wie seiner Momente nicht in einem anatomischen Systeme bestehen, sondern der wirkliche Ausdruck und ihre Äußer- lichkeit ist vielmehr nur als eine Bewegung vorhanden, die sich durch die ver- schiedenen Teile der Gestaltung verläuft und worin das, was als einzelnes System herausgerissen und fixiert wird, sich wesentlich als fließendes Moment darstellt, so daß nicht jene Wirklichkeit, wie die Anatomie sie findet, als ihre Realität gelten darf, sondern nur sie als Prozeß, in welchem auch die anatomischen Teile allein einen Sinn haben.“94 Hegels Argumentation markiert einen signifikanten kognitiven Wandel, der 1807 bereits vollzogen scheint. Spricht das 18. Jahrhundert mit dem für die gebildete Öffen- tlichkeit bestimmten Zedlerschen Lexikon von der feinen Fähigkeit des „Zer-Glie- derns“ und würdigt die Anatomie als analytische Kunst der akkuraten Unterschei- dung,95 dank der das Innere und somit die „Wahrheit“ des Körpermechanismus ent- schleiert zu Tage tritt, so wird der anatomischen Praxis am Anfang des 19. Jh.s ein geringer methodischer Wert beigemessen. Vor der Folie der organistischen Körper- konzepte erscheint sie als brutales „Zer-Reißen“ der Ganzheit, als eine wissenschaft- lich kaum zu begründende Gewaltanwendung, die an der wahren Erkenntnis der Lebensprozesse vorbeiführt. Diese Überlegungen finden Eingang nicht nur in philo- sophische, sondern auch in literarische Texte der Zeit. In die Diskussion schreibt sich u. a. Friedrich Schiller ein, der die Praxis der Sprachforschung und der Anatomie auf eine Stufe stellt. Indem er in der Xenie Der Sprachforscher die genannten Wissen- schaften als zweckentfremdete Aktivitäten kritisiert, bei denen am stillgestellten Objekt („Kadaver“) mit grobem Werkzeug vergebens hantiert wird, führt er der Titelfigur die Nichtigkeit ihrer Unternehmungen folgendermaßen vor Augen: „Anatomieren magst du die Sprache, doch nur ihr Kadaver, Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem groben Skalpell.“96 Mit Novalis diskreditiert die romantische Literatur Ärzte und darüber hinaus alle Naturgelehrten, „die mit scharfen Messerschnitten, den inneren Bau und die Verhältnisse der Glieder zu erforschen (...)”97 suchen. Das einschlägige Vorgehen der besagten For- scher erscheint dem Romantiker Novalis wie vorher Friedrich Schiller nicht als wissen- schaftliche, sondern als eine unmotivierte und letztendlich makabre Aktivität. „Unter ihren Händen starb die freundliche Natur und ließ nur tote, zuckende Reste zurück“98, lautet die in Lehrlingen zu Sais (1802) anschaulich formulierte Anklage, die sich

94 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1979, 210 f. 95 Vgl. Zedler: Universallexikon, Bd. 1, 45. 96 Friedrich Schiller: Der Sprachforscher.. In: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 1, 272. 97 Novalis: Lehrlinge zu Sais. In: Ders.: Schriften. Erster Band, hrsg. v. Paul Kluckholm u. Richard Samuel, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1960, 79-110, hier Bd. 1, 84. 98 Ebd. 112 3 Körperkonstruktionen in der Harzreise gegen die Vertreter des materialistischen Rationalismus und ihre Forschungsmethoden richtet.99 Im Rückblick auf die in der vorliegenden Arbeit bereits thematisierten Zusammen- hänge soll daran erinnert werden, dass die erkenntnistheoretischen Bedenken, die mit Hegel und Novalis sehr wohl in intellektueller Nähe zu Heine zu orten waren, für die Zeitgenossen umso plausibler erschienen, weil sie sich in den umfassenderen Kontext der kulturellen Widerstände einschrieben, die sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s allgemein gegen die anatomische Praxis zu Wort meldeten. Eine noch grössere Nähe zu Heine als die zitierten Belege weist ein anderes Zeit- dokument auf, das sowohl aufgrund geringen Interesses seitens des mainstream der Heineforschung als auch aufgrund des für diese fachlich und räumlich exotischen Publikationsortes kaum bemerkt wurde. Es handelt sich dabei um eine Erinnerung Maximilian Heines, der im Jahre 1845 in der Medizinischen Zeitung Russlands über folgende Begegnung mit seinem älteren Bruder berichtet: „Auf der Universität besuchte mich einst mein Bruder Heinrich, indem ich con amore eine Hand präparirte, die ich, um die Handknochen zu sammeln, einem auch ihm bekannt gewesenen Verstorbenen abgeschnitten habe. Indem er sich mit malitiösen Lächeln rasch wieder entfernte, sagte er: »Ihr Mediciner seid auf den Kopf gestellte Liebhaber; Ihr gebt Euer Herz für eine Hand.« – Man sieht aus diesem (...) Urtheile, mit welchen Augen auch die geistig begabtesten Menschen unser medicinisches Gemüth beurtheilen.“100 Der für die Heine-Forschung periphere Text, in dessen Zentrum das Phänomen „Körper als Präparat“ situiert wird, könnte als „Ein Dichter im Anatomiesaal“ oder „Poet und Arzt“ betitelt werden. Er verweist zuerst auf die (familiär bedingte) Nähe zwischen den Exponenten beider Berufe, um diesen Hinweis durch Andeutung der zwischen den Brüdern in Bezug auf Emotionalität und Habitus bestehenden Unterschiede zu relati- vieren. Während sich der von libido sciendi geleitete Mediziner Maximilian ungeachtet seiner früheren Bekanntschaft mit dem Verstorbenen der präparierten Hand nüchtern- pragmatisch und zugleich con amore zuwendet, distanziert sich der Dichter Heinrich durch rasche räumliche Entfernung und durch eine böswillig-ironische Reaktion sowohl

99 Die Pietät des Zeitalters vor der lebendigen leibseelischen Einheit demonstriert u. a. der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann (1755-1843) dessen Heilmethode weit- gehend den romantischen Denkmodellen verpflichtet erscheint. Dies wird u. a. auch dann manifest, wenn Hahnemann den Erkenntniswert der Sektionen anzweifelt, wobei er nicht über die Zergliederung der „Leichen“, sondern immer über Untersuchungen an „verstorbe- nen Menschen“ schreibt. Vgl. Samuel Hahnemann: Organon, V. In: Ders.: Organon-Synop- se. Die 6 Auflagen von 1810-1842 im Überblick. Bearbeitet und herausgegeben von Bern- hard Luft und Matthias Wischner, Heidelberg: Karl F. Haug Verlag, 2001, 53. Diesen spra- chlichen Gepflogenheiten sind die Redemodi des medizinischen Diskurses im 20. Jh. ent- gegenzustellen, der aufgrund seiner materialistischen Orientierung vom „Leichengut eines Forschunginstituts“ spricht. 100 Maximilians Heine: Notiz. In: Medizinische Zeitung Russlands 2/1845, 390 f. Zitiert nach: Müller-Dietz: Zur Biographie Maximilan (von) Heines, 165 (Anm. 22). 3.5 Medizin und Anatomie 113 vom sezierten Körper als auch von seinem Bruder.101 Nicht die „Verwandtschaft“, sondern „Fremde“ zwischen Dichtung und Medizin bestimmen das kleine Szenario, das sich darin den zitierten Passagen der Harzreise nähert. Mein Hinweis auf den kurzen Text von Maximilian Heine bedeutet kein Plädoyer für dessen Authentizität. Maximilian Heine, der sich sein Leben lang vergeblich bemühte, durch eigene literarische Verdienste aus dem Schatten des berühmten Bruders zu treten, gilt als unzuverlässiger Zeitzeuge. Es lässt sich nicht bestimmen, inwiefern die Details der dargestellten Szene dem (ohnehin unsicheren) „Erinnerungssubstrat“ und inwiefern sie literarischen Ambitionen des Verfassers verpflichtet bleiben. Bedenklich erscheint, dass Maximilian als „Präparator“ gerade jenen Körperteil seziert, mit dem feste topische Assoziationen von der „Hand des Künstlers“ oder von der „Hand des Schriftstellers“ verknüpft werden. Prekär erscheint auch die spiegelbildliche Nähe der hier zitierten Geschichte zu einer anderen Anekdote Maximilians über die brüderli- che Aufgabenteilung, laut der Heinrich Heine dem jüngeren Bruder seine literarische Begabung streitig machte und ihm von der Beschäftigung mit der Poesie heftig abge- raten haben sollte. Unter Berücksichtigung dieser Konfigurationen wäre die zitierte Anekdote als literarisierter Selbstbehauptungsversuch Maximilians gegen den älteren Bruder zu interpretieren, bei dem Maximilian in typisierender Verknappung nicht nur mitzuteilen sucht, „mit welchen Augen auch die geistig begabtesten Menschen“ seiner Zeit „das medicinische Gemüth beurtheilen“102, sondern zugleich auch die Eigen- ständigkeit der eigenen intellektuellen Leistung behauptet. Wenn auch mehrere Momente gegen die Authentizität der zitierten Anekdote spre- chen, bietet sie einen aufschlussreichen Zeitbeleg. Mit seinem konform auf die Bestäti- gung des zeitgenössischen Erwartungshorizonts zielenden Text versucht Maximilian, eine Konstellation der intellektuellen Ordnungen der Kunst und Medizin vorzuführen, die das allgemein akzeptierte Rollenverständnis des gefühlvollen Dichters und des nüchternen Mediziners bestätigt. Eben in dieser Hinsicht erscheinen die Harzreise und die zitierte Notiz Maximilians konvergent. Eine eingehendere Lektüre der Harzreise bestätigt die Präsenz der zeitgenössischen Medizin im intellektuellen Horizont Heines. Die Suche nach den einschlägigen Aus- sagen in diesem Text zeigt, dass der Autor im Zusammenhang seiner Ausführungen zur Medizin grundlegende poetologische Prämissen seines Schreibens artikuliert. Dabei lässt sich belegen, dass Heine seinen Text dem medizinischen Diskurs bewusst verschließt. Im Rekurs auf die von Richter, Schönert und Titzmann in ihrer differen- zierten Reflexion zu Gestaltungsformen von Wissen in der Literatur103 vorgeschlagenen systematischen Kategorisierungen ist Medizin in den frühen Texten Heines vielleicht am treffendsten als eine „abgewiesene“, d. h. als eine „wahrgenommene und bewusst

101 Trotz der Vorbehalte der romantischen Wissenschaft gehörte Anatomie um 1800 nach wie vor zum festen Bestandteil der akademischen medizinischen Ausbildung, als deren Verteter Maximilian im Text hantiert. 102 Maximilians Heine: Notiz, 390 f. 103 Vgl. S. 17 der vorliegenden Arbeit. 114 3. Körperkonstruktionen in der Harzreise abgelehnte Wissensform“ zu benennen. Dieser Befund ist allerdings zu präzisieren. Es ist festzuhalten, dass Heines Perspektive auf Medizin keineswegs das vollständige Angebot des einschlägigen intellektuellen Feldes erfasst, sondern auf die im geistigen Horizont des 18. Jh.s beheimateten empirischen anatomischen Sichtweisen des Körpers bezogen bleibt. Das zweite, sich im ersten Jahrzehnt des 19. Jh.s in der Auseinander- setzung mit den frühen Schriften Schellings spektakulär profilierende und um 1820 noch nicht überwundene Paradigma der spekulativ orientierten romantischen Medizin lässt die Harzreise völlig außer Acht. Heines Ablehnung des empirischen Paradigmas von Medizin erscheint als bewusste ästhetische Entscheidung, mit der sich der Autor dem in die Moderne führenden Weg eines Georg Büchner versperrt. Zugleich entscheidet er sich damit auch gegen die Einführung realistischer Darstellungsverfahren nach Art eines Balzac, der den empi- rischen wissenschaftlichen und literarischen Diskurs u. a. dadurch zu verbinden ver- suchte, dass er eine systematische wissenschaftliche Lektüre des Körpers postulierte und den innovativen Prosaiker zum „voyant“ und „anatomiste“ erklärte.104

104 Vgl. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hrsg. v. Gert Ueding u. a., Tübingen: Niemeyer, 1992 ff., Bd. 7, 349. 4 Zur Poetologie des Leibes im Werk Heinrich Heines

4.1 Epochenhintergrund

Jene Passagen, die demonstrieren, dass Kunst und Anatomie für Heine zwei disjunktive Bereiche darstellen, belegen zugleich, dass der Autor seine Reflexion über den Körper in der Kunst primär als ein Problem adäquater künstlerischer Formung reflektiert, bei der empirisch gewonnenem Wissen über den Körper keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Heines poetologische Stellungnahme situiert sich in einem brei- teren ästhetischen Kontext. In ihrem Zusammenhang stellt Heine die grundlegende Frage nach dem Bezug der Kunst zur empirischen Realität und beantwortet sie im Sinne idealistischer Kunstauffassungen. Da Signifikanz und Implikationen der oben zitierten poetologischen Aussage der Harzreise erst vor der Folie des in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s aktuellen Mimesis-Konzepts begreiflich werden, erscheint es notwendig, auf dieses Konzept einzugehen. Dabei werden die kunsttheoretischen Zusammenhänge hauptsächlich anhand der Vorlesungen über die Ästhetik1 des für Heines intellektuelle Biographie wichtigen Philosophen Friedrich Wilhelm Hegel rekonstruiert. Hegels kunstphilosophisch angelegte Ausführungen bleiben um das Anliegen zentriert, die geschichtliche Entwick- lung der vielfältigen Kunsterscheinungen auf der Basis seines Systems darzulegen. Da der Autor die Argumente der vorausgegangenen idealistischen Kunsttheorien systematisiert und der Nachahmung der Wirklichkeit eingehende Aufmerksamkeit widmet, die er zudem am Beispiel der Körperdarstellung erörtert, erscheinen seine Darlegungen für die vorliegende Arbeit besonders instruktiv. Anschließend wird auf das Nachahmungskonzept der Romantiker hingewiesen, die die von Hegel beschriebenen Normen sowohl bestätigen, als auch polemisch erweitern, indem sie neben der vom Philosophen postulierten idealisierenden auch der grotesken Körperdarstellung eine gleichberechtigte Stellung in den Werken zuweisen, die sie als künstlerisch anspruchsvoll gelten lassen wollen. Aufgrund von Analysen der führenden ästhetischen Schriften der Zeit um 1800 weist Jürgen H. Petersen nach, dass die zeitgenössische Kunstheorie mit starkem und zunehmend radikalisiertem Affekt die Vorstellung ablehnt, dass sich das Wesen und die Aufgabe von Kunst in der Nachahmung der Natur erschöpfen könnte. Die einschlägigen

1 Gehalten in Heidelberg 1817/1818 und Berlin 1820/1821, 1823, 1826 u.1828/29. Die erste unautorisierte Mitschrift erschien 1818, eine dreibändige Ausgabe erst posthum in den Jahren 1835-1838. 116 4 Zur Poetologie des Leibes

Urteile gehen auf die Schriften Johann Joachim Winckelmanns zurück, der die Nach- ahmung der Natur als einen irreführenden künstlerischen Grundsatz definiert hat. Die Verfestigung und Radikalisierung der Urteile verdankt sich den Autoren der Ro- mantik, die dem Traumhaften, Wunderbaren und Irrationalen poetisch und poetolo- gisch unbedingten Vorrag eingeräumt haben.2 Die genannten Prioritäten der Literatur um 1800 reflektierend schreibt Petersen: „Die Romantiker, die glauben, das Prinzip der Mimesis in der Kunst endgültig überwunden zu haben, verwenden den Begriff „Nachahmung“ eher als Schimpfwort denn als poetologische Kategorie.“3 All die zeitgenössischen Theorien, die Heines Kunstverständnis geprägt haben, konzedieren, dass Kunst nicht völlig ohne Nachahmung auskommen kann. Die Argu- mente der zeitgenössischen Theorien zusammenfassend fordert Hegel in seinen Vor- lesungen über die Ästhetik ausdrücklich, dass die künstlerische Darstellung „natürlich“ erscheinen soll.4 Die Orientierung des Kunstwerks an der wahrnehmbaren Wirklichkeit darf allerdings nur den Beginn des kreativen Prozesses bedeuten, da laut dem Philo- sophen „Natürlichkeit nicht das Substantielle und Erste“ ist, „welches der Kunst zu- grunde liegt“5. Die Aufgabe des Künstlers besteht für Hegel darin, die „Partikularität der wirklichen Erscheinungswelt“6 aufzuheben und unter Einsatz von Imagination die jeweilige künstlerische Darstellung an einer idealen Vorstellung auszurichten. Das hier postulierte Vorgehen, das zunächst Reduktion, Verdichtung und Harmoni- sierung der Details der Erscheinungswelt erfordert, die in der Kunst von den Kontin- genzen des „bedürftigen Daseins“7 bereinigt werden soll, beschreibt Hegel folgen- dermaßen: „Indem die Kunst nun das in dem sonstigen Dasein von der Zufälligkeit und Äußer- lichkeit Befleckte zu dieser Harmonie mit seinem wahren Begriffe zurückführt, wirft sie alles, was in der Erscheinung demselben nicht entspricht, beiseite und bringt erst durch diese Reinigung das Ideal hervor.“8 Diese allgemein gehaltenen Überlegungen konkretisiert Hegel durch explizite Hin- weise zur ästhetisch adäquaten Abbildung des menschlichen Körpers, bei welcher der Künstler vom anatomisch präzisen Registrieren der Körperbeschaffenheit absehen soll. Die Distanzierung der Vorlesungen von anatomischen Betrachtungsweisen des Körpers erscheint nicht überraschend, da der Autor bereits in der Phänomenologie des Geistes von ihr Abstand genommen hat.9 Allerdings verstellen die Vorlesungen der anatomischen Betrachtung des Körpers den Eingang in die Kunst, ohne sich auf

2 Jürgen M. Petersen: Mimesis – Imitation – Nachahmung; eine Geschichte der europäischen Poetik, München: Fink, 2000, 232. 3 Vgl. ebd. 4 Vgl. Georg Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986, Bd. 1, 69 f., 216. 5 Ebd., 70. 6 Ebd., Bd. 2, 370. 7 Ebd., Bd. 1, 206. 8 Ebd., 205 f. 9 Vgl. S. 110 f. der vorliegenden Arbeit. 4.1 Epochenhintergrund 117 die epistemologischen Argumente der Phänomenologie zu berufen, die Anatomie als eine unfruchtbare Erkenntnismethode verworfen hat. Laut der späteren Schrift kann die exakte Körperbetrachtung in der Kunst deswegen keinen Platz beanspruchen, weil sie einer Kunst prinzipiell wesensfremd sei, die nicht die Materie, d. h. nicht „Blut, Nerven, Muskeln usf.“, sondern „geistige Interessen zu ihrem eigentlichen Gegenstande“10 habe. (Dies ist eine Unterscheidung, mit der das von Heine in der Goslarer Kirche getroffene Urteil über die Differenz zwischen Anatomie und Kunst konvergiert.) Seine Postulate zur Körpernachahmung, bei der geistige Interessen verwirklicht werden sollen, präzisiert Hegel, indem er vom Künstler fordert, dieser solle „das nur Natürliche des bedürftigen Daseins, die Härchen, Poren, Närbchen, Flecke der Haut (...) fortlassen und das Subjekt in seinem allgemeinen Charakter und seiner bleibenden Eigentümlichkeit auffassen und wiedergeben. Es ist etwas durch- aus anderes, ob er die Physiognomie nur überhaupt ganz so nachahmt, wie sie ruhig in ihrer Oberfläche und Außengestalt vor ihm dasitzt, oder ob er die wahren Züge, welche der Ausdruck der eigensten Seele des Subjekts sind, darzustellen versteht. Denn zum Ideale gehört durchweg, daß die äußere Form für sich der Seele entspreche“11. Das Kunstverständnis des Idealismus verlangt, dass die Materie des Körpers im kre- ativen Akt zum Ausdruck der Seele, oder aber, wie das Hegel an einer anderen Stelle seiner Schrift breiter fasst, zum „Ausdruck der Leidenschaften, Gewohnheiten und Bestrebungen“12 sublimiert wird. Genaue Abbildungen des Körpers, die von diesem Postulat absehen, können laut Hegel lediglich als „Kunststücke“ nicht aber als „Kunstwerke“ kategorisiert werden.13 Die Differenz thematisiert der Philosoph auch, wenn er postuliert: „Bei der menschlichen Gestalt z. B. verfährt der Künstler nicht, wie man etwa Restauration alter Gemälde auch in den neugemalten Stellen die Sprünge wieder nachahmt, welche durch das Springen des Firnisses und der Farben alle die übrigen älteren Teile wie mit einem Netz überzogen haben, sondern das Netz der Haut, und mehr noch die Sommersprossen, Bläschen, einzelnen Pockennarben, Leber- flecke usw., läßt selbst die Porträtmalerei fort (...). Ebenso werden auch wohl die Muskeln und Adern angedeutet, doch dürfen sie nicht mit dieser Bestimmtheit und Ausführlichkeit wie in der Natur heraustreten. Denn in alledem ist wenig oder nichts Geistiges, und der Ausdruck des Geistigen ist das Wesentliche in der men- schlichen Gestalt.“14 Hegels Programm, das dem Künstler eine allzu genaue Wahrnehmung der Körper- realität verwehrt, steht in deutlicher Nähe zu Ausführungen Winckelmanns über antike

10 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 206. 11 Ebd. 12 Ebd., 69. 13 Ebd. 14 Ebd., 217. 118 4 Zur Poetologie des Leibes

Plastiken.15 Allerdings werden die Postulate, die Winckelmann im Zusammenhang der bildenden Kunst gestellt hat, von Hegel auf den gesamten Bereich der Kunst extrapo- liert. Dabei beziehen sie sich nicht nur auf die Literarisierung von Körperformen, son- dern darüber hinaus auf Körperbedürfnisse. Über die künstlerische Thematisierung der „physischen Bedingungen, wie Essen, Trinken, Schlafen usf.“16 äußert sich Hegel folgendermaßen: „Dergleichen kann nun allerdings mit in die poetische Kunstdar- stellung aufgenommen werden.“17 Dieser ungern erteilten Lizenz wird folgende an den Künstler gerichtete ausdrückliche Mahnung angeschlossen, die ihn zum sparsamen Umgang mit Einzelheiten und zur abstrahierenden Verallgemeinerung auffordert: „Dennoch muß auch er [der Künstler - K. J.] sich, (...) aller Deutlichkeit für die Anschauung zum Trotz darauf beschränken, solcher Zustände nur im allgemeinen zu erwähnen, und es wird keinem die Forderung einfallen, daß in dieser Bezie- hung alle Einzelheiten, wie das vorhandene Dasein sie gibt, sollten aufgezählt und beschrieben werden.“18 Seine Bestimmungen erstreckt Hegel auf einen weiteren, auch für die Textwelt Heines wichtigen Bereich, nämlich den der künstlerischen Repräsentation von körperlichem und seelischem Schmerz. Der Philosoph würdigt den Schmerz als wichtigen Schaffens- impuls und erkennt die autotherapeutische Bedeutung der Kunst für den Künstler an, der „von Schmerz befallen, die Intensität seiner eigenen Empfindung durch ihre Dar- stellung für sich selber mildert und abschwächt“19. Er schreibt: „Ja, selbst noch in den Tränen schon liegt der Trost. Noch erleichternder aber ist das Aussprechen des Innern in Worten, Bildern, Tönen und Gestalten. Deshalb war es eine gute alte Sitte, bei Todesfällen und Bestattungen Klageweiber anzu- stellen, um den Schmerz zur Anschauung in seiner Äußerung zu bringen.“20 Vom Autor des idealen Kunstwerks fordert der Philosoph jedoch, dass er den Schmerz ästhetisch diszipliniert, was sein Kunstwerk von naturnahen, d. h. „rohen“ bzw. „wil- den“21 Klagen unterscheiden soll. Hegels Meinung nach ist Kunst weder ein Bereich, an dem die den Schmerz begründenden kruden körperlichen Details bzw. Abläufe registriert werden dürfen,

15 Als repräsentativ seien hier die Ausführungen Winckelmanns zu der von ihm zum Ideal der antiken Kunst hochstilisierten antiken Statue des Apollo im Belvedere angeführt, an der er bewundernd registriert: „Der Künstler derselben hat für dieses Werk (...) nur eben so viel von der Materie dazu genommen, als nötig war, seine Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. (...) Keine Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam die ganze Umschrei- bung dieser Figur erfüllt.“ Johann Joachim Winckelmann: Beschreibung des Apollo in Be- lvedere. In: Ders.: Ausgewählte Schriften und Briefe, hrsg. v. Walther Rehm, Wiesbaden: Dieterich`sche Verlagnsbuchhandlung, 1960, 62. 16 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 219. 17 Ebd. 18 Ebd., 225. 19 Ebd., 70. 20 Ebd., 74. 21 Ebd., 14. 4.1 Epochenhintergrund 119 noch ein solcher, an dem sich die Klage über den Schmerz als „haltungsloser Jam- mer“22 präsentieren darf. Die bloße Entäußerung extremer Emotionen, die laut dem Philosophen in „Haltungslosigkeit“23 mündet, erscheint entweder lächerlich, hässlich oder widerlich und damit den Wirkungsabsichten des idealen Kunstwerks gegenläufig. Daher wird der Künstler aufgefordert, bei Darstellungen von Krankheit und Schmerz ästhetische Strategien der Vergeistigung und Verklärung zu verfolgen. Die einschlägige Passage lautet: „Das Hinausschreien des Schmerzes (...) macht noch keine Musik, sondern selbst im Leiden muß der süße Ton der Klage die Schmerzen durchziehen und klären, so daß es einem schon der Mühe wert scheint, so zu leiden, um solche Klage zu vernehmen. Dies ist die süße Melodie, der Gesang in aller Kunst.“24 Diese Ausführungen, in denen künstlerische Verknüpfungen zwischen Genuss und Leid postuliert werden, können gerade im Zusammenhang der Heine-Forschung eine besondere Aufmerksamkeit beanspruchen. Vor ihrer Folie lassen sich poetische Attri- buierungen des Liebesleids in Heines Gedichten als „entzückende Marter und won- niges Weh“ (DHA 1/1; 146) nicht nur als Belege für die „masochistische Natur“25 des lyrischen Ich interpretieren, das nur leidend genießen kann, sondern auch als eine an idealistische Kunstheorie anknüpfende Thematisierung der Verbindung von Schmerz mit Lust im lyrischen Sprechen (Gesang). In dieser Lesart würde „entzückend“ und „wonnig“ erst das in Verse gefasste Leid bezeichnen. Eine besondere Bedeutung gewinnt im Rahmen von Hegels Ausführungen zur künstlerischen Darstellung des Körpers die Tatsache, dass dem Leib in der Kunst Zeichenwert beigemessen wird. Im idealen Kunstwerk, dessen Schönheit Hegel als „sinnliches Scheinen der Idee“ definiert,26 wird der Leib nicht um der empirischen Referenz willen dargestellt, vielmehr soll über sich selbst hinausweisen. Dabei fordert Hegel, dass der dargestellte Körper, wie bereits gezeigt wurde, die individuelle seeli- sche Disposition der jeweiligen Figur darstellt, darüber hinaus aber auch die Werte des Geistes. Im Rekurs auf die griechische Etymologie des Wortes poiein bezeichnet Hegel die künstlerische Tätigkeit als „schaffendes Hervorbringen aus dem Geiste“27. Mit dem letzteren Begriff verweist der Philosoph auf die zentrale Kategorie seines Denkens, das ihm das Medium aller menschlichen Weltbezüge bedeutet. Die Tatsache, dass er den Geist sowohl als den endlich-menschlichen, als auch als absoluten defi-

22 Ebd., 210. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Höhn: Heine-Handbuch, 63 26 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 145. 27 Ebd., 14. Seine allgemein gefassten ästhetischen Postulate ließ Hegel in einem ganz beson- deren Maße für die Dichtung gelten. Das „unendliche Reich des Geistes“ für die eigentliche Domäne der Kunst erklärend, schrieb er: „das Wort, dies bildsamste Material, das dem Geiste unmittelbar angehört und das allerfähigste ist, die Interessen und Bewegungen desselben in ihrer inneren Lebendigkeit zu fassen, muß, (...) auch vorzüglich zu dem Ausdrucke angewen- det werden, welchem es sich am meisten gemäß erweist.“ Ebd., 219. 120 4 Zur Poetologie des Leibes niert, der sich im Produzieren der Menschen historisch offenbart, erweist sich als ausschlaggebend für seine weiteren Ausführungen über die Repräsentation des Körpers in der Kunst. Auf die in den Vorlesungen explizit gestellte Frage „woher denn die Formen für dies aus dem Geist Erzeugte zu entnehmen“28 seien, antwortet Hegel, indem er die Aufmerksamkeit des Künstlers bei der Suche nach den „idealen Vorstel- lungen“ sowohl nach innen als auch nach außen richtet. Seine Inspiration soll der Künstler sowohl in der „inneren Anschauung“ als auch in der objektiv verbindlichen kulturellen Überlieferung suchen. Als einschlägige ästhetische und künstlerische Vorbilder empfiehlt Hegel zuerst die klassischen Darstellungen der mythologischen Figuren der Antike, später weist er auch auf den Figurenkanon der christlichen Tradi- tion hin, wie er über Jahrhunderte in den künstlerischen Produktionen festgehalten wurde. Als einen wichtigen Teil des kreativen Prozesses definiert Hegel damit die stete Befragung und Funktionalisierung der historisch gewachsenen Bestände des univer- sellen topischen (bzw. ikonographischen) Archivs der europäischen Kultur. Damit erklärt er die Poiesis des Körpers zu einem stabilisierenden Akt, der jene Einheit und Ganzheit der Kultur bestätigt, deren allmähliches Zersplittern um 1800 allgemein beklagt wurde. Hegel fordert vom Künstler, dass er über eine tiefgründige Kenntnis des christli- chen und humanistischen Bildungskanons verfüge, betont allerdings nachdrücklich, dass steriles Nachbilden idealer Muster ohne subjektiven (imaginativen) Beitrag des Künstlers nicht fruchtbar sein kann. Die Vorbilder dürfen nämlich nie „starr“ und „leblos“ nachgeahmt, vielmehr sollen sie schaffend umgestaltet werden, indem sie der Künstler als Vorbilder im kreativen Akt der „Selbstvergewisserung der künstleri- schen Freiheit“ jeweilig als Bezugspunkte der Idealisierung der Wirklichkeit befragt. Es heißt: „Nun könnte man sich vorstellen, der Künstler solle sich aus dem Vorhandenen die besten Formen hier und dort auserlesen und sie zusammenstellen oder auch, wie es geschieht, aus Kupferstich- und Holzschnittsammlungen sich Physiogno- mien, Stellungen usf. heraussuchen, um für seinen Inhalt die echten Formen zu finden. Mit diesem Sammeln und Wählen aber ist die Sache nicht abgetan, sondern der Künstler muß sich schaffend verhalten und in seiner eigenen Phantasie mit Kenntnis der entsprechenden Formen wie mit tiefem Sinn und gründlicher Empfin- dung die Bedeutung, die ihn beseelt, durch und durch und aus einem Guß heraus bilden und gestalten.“29 Damit wird die künstlerische Darstellung des Körpers zu einem erhabenen künstleri- schen Akt der Vergeistigung von Materie stilisiert, die einen Prüfstein sowohl für die Bildung als auch die kreativen Fähigkeiten des Künstlers bedeutet. All die genannten Argumente Hegels gründen in der Überzeugung, dass die Kunst als Ausdruck der absoluten Wahrheit ihren Höhepunkt in der klassisch-antiken Phase bereits erreicht habe und zugunsten der Religion und der Philosophie abdanken solle.

28 Ebd. 29 Ebd., 229. (Kursivierung im Original) 4.1 Epochenhintergrund 121

Aus dieser Überzeugung heraus resultiert Hegels berühmtes Diktum vom „Ende der Kunst“30, in dem sich das kritische Urteil des Philosophen über die zeitgenössischen Kunsterzeugnisse, damit auch über die Kunst der Romantik niederschlug. Die von Hegel kritisierte Kunsttheorie und Schreibpraxis der Romantiker rückte auf eine neue und nachdrückliche Weise den Autonomieanspruch des Künstlers in den Vordergrund.31 Sie konvergierte mit den idealistischen Argumenten der Vorle- sungen über die Ästhetik, indem sie auf der von der griechischen Etymologie des Wortes poiein abgeleiteten Definition der Kunst als freier Schöpfung des Künstlers bestand und den naturnahen Illusionismus ablehnte. Einen repräsentativen Beleg für diese These liefern die Ausführungen von Heines Bonner Lehrer August Wilhelm Schlegel (1767-1845), der behauptet, die Kunst „ist nicht an Gegenstände gebunden, sondern sie schafft sich die ihrigen selbst; sie ist die umfassendste aller Künste und gleichsam der in ihnen überall gegenwärtige Universalgeist. Dasjenige in den Darstellungen der übrigen Künste, was uns über die gewöhnliche Wirklichkeit in eine Welt der Phantasie erhebt, nennt man das Poetische in ihnen; Poesie bezeichnet also in diesem Sinne überhaupt die künstle- rische Erfindung, den wunderbaren Akt, wodurch dieselbe die Natur bereichert, wie der Name sagt, eine wahre Schöpfung und Hervorbringung“32 . Das von Hegel postulierte Prinzip der Idealisierung der Wirklichkeit wurde im Rahmen der romantischen Entwürfe, die Kunst als eigene Sphäre der Realität scharf entgegen- setzten, als wichtig, zugleich allerdings auch als unzureichend kategorisiert. Im Sinne des aus dem Willen zur Erfassung aller Aspekte der menschlichen Existenz resultieren- den romantischen Konzepts der Kunst als Integration von Extremen sollte dem Ideal sein Gegenpol, d. h. nach romantischen Verständnis das Komische programmatisch gegenübergestellt werden. Nach den Worten der für die Frühromantik maßgeblichen Schrift Friedrich Schlegels Gespräch über die Poesie (1800) kann von einer kunst- vollen Konstruktion erst dann gesprochen werden, wenn im Werk „die reizende Symme- trie von Widersprüchen, dieser wunderbare ewige Wechsel von Enthusiasmus und Ironie“33 offenbar wird. Das Programm der „reizenden Symmetrie von Widersprüchen“ hat zwangsläufig Konsequenzen für die Ebene der Repräsentation der (körperlichen) Wirklichkeit im künstlerischen Werk. Mit ihm findet seinen Weg in die „hohe Kunst“ das groteske Körperkonzept, das in den romantischen Texten neben dem vom Hegel vorgeschrie- benen klassisch idealen Körperkonzept gleichberechtigt funktioniert, wie es die frühen

30 „Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein.“ Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 187. 31 Petersen: Mimesis-Imitatio-Nachahmung, 242. 32 August Wilhelm Schlegel: Die Kunstlehre. 23. Vorlesung (1801/2). In: Ders.: Kritische Ausgabe der Vorlesungen, München, Paderborn, Wien: Schöningh, 1989, Bd. 1, 387. 33 Friedrich Schlegel: Gespräch über die Poesie. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Erste Abteilung: Kritische Neuausgabe, München, Paderborn, Wien, Zürich: Thomas, 1967, Bd. 2, 311-329, hier: 319. 122 4 Zur Poetologie des Leibes

Texte Ludwig Tiecks und die meisten E. T. A. Hoffmanns auf eine für die romantische Literatur repräsentative Art und Weise belegen.34 Mit dem zwischen dem Grauen und dem Verspielten, dem Komischen und dem Dämonischen angesetzten Prinzip grotesker Gestaltung werden alltägliche Zusammen- hänge phantastisch verkehrt bzw. phantasievoll miteinander verbunden. Das Mittel, dessen sich groteske Kunst bedient, ist ein Wechselspiel sich gegenseitig aufhebender Perspektiven, Modi und Diskurse, mit dem die Realität bis ins bedrohlich Fratzenhafte entstellt wird.35 Diese Modellierungen sollen beim Leser widersprüchliche Gefühle auslösen: vom Lachen über unnatürliche Redistributionen der Wirklichkeitselemente über Ekelgefühle vor dem Monströsen bis zum Grauen und dem Gefühl der Ratlosig- keit in Anbetracht einer aus den Fugen gehenden Welt.36 Dieses rezeptionsästhetisch orientierte Anliegen lösen die Kunstwerke im Bereich der Körperdarstellung ein, indem sie auf die Wandlungsfähigkeit der Figuren verweisen, deren Körper und körperliches Verhalten deformiert und mit heterogenen Zügen (z. B. den menschlich-tierischen) aus- gestattet wird.37 Mit diesen Modellierungen widersetzen sich die literarischen Texte den Regeln der Mimesis. Indem sie die Prinzipien der konventionellen Darstellungen von men- schlichen Figuren, Situationen oder aber Kunstregeln subvertieren, unterlaufen sie den zu einem bestimmten Zeitpunkt für klassisch gehaltenen Kanon, dessen Grenzen durch Überschreitung des bisher ästhetisch Erträglichen neu abgesteckt werden sollen. In der geschichtlichen Wandelbarkeit dieses Kanons ist die geschichtliche Wandel- barkeit des Grotesken begründet. Die Romantik, die für Heines Kunstverstädnis eine konstitutive Rolle spielt, verleiht dem Grotesken ein Gepräge, das sich von anderen Epochen in besonders starkem Maße abhebt. Der russische Kulturtheoretiker Michail Bachtin, der im Rahmen seines einfluss- reichen Theoriekonzepts das Groteske mit der Lachkultur verband, stellt fest, dass in den um 1800 entstehenden Texten das Groteske unter dem Einfluss der dominierenden in der idealistischen Philosophie begründeten Weltanschauung wesentlich seinen heiteren Ton einbüßt.38 Wolfgang Kayser, der in seiner Studie zum Grotesken die Linie von der Romantik zur Moderne zieht, weist nach, dass im Unterschied zu den vorausgegangenen Epochen das Groteske in der Romantik auf die Verdichtung der Angst des Künstlers vor der Welt zielt, die auch dem Leser eingeflößt werden soll.39 Bei der Konzeptualisierung ihrer Figuren verzichtet die romantische Literatur meist auf das groteske Merkmal der vitalen Hypertrophie und schafft hybride Verbindungen der menschlichen Gestalten nicht nur mit tierischen, sondern auch mit mechanischen und marionettenhaften Elementen.

34 Zu diesem Konzept der Groteske vgl. Wolfgang Kayser: Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung, Oldenburg bei Hamburg: Stalling, 1957, 30 f. Zur romantischen Grotes- keauffassung vgl. auch Detlef Kremer: Romantik, Stuttgart, Weimar: Metzler, 2003, 100. 35 Vgl. Rolf Haaser, Günter Oesterle (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Berlin, New York: de Gruyter, 2000, Bd. 1, 745 f. 36 Kayser: Das Groteske, 32. 37 Kremer: Romantik, 100 f. 38 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 86 ff. 39 Vgl. Kayser: Das Groteske, 54. 4.1 Epochenhintergrund 123

Aufgrund des Rekonstruktionsversuchs der für die Kunst um 1800 verbindenden Mimesis-Postulate sollten die ästhetisch sanktionierten Optionen einer künstlerischen Konzeptualisierung des Körpers um 1800 demonstriert werden, die einem literarisch ambitionierten Autor wie Heinrich Heine zur Verfügung standen. In den Werken, die als ästhetisch anspruchsvoll kategorisiert werden sollten, wird der Körper zum Objekt idealisierender, am topischen Kulturarchiv orientierter Verklärung oder aber zum Objekt grotesker Verzerrung.40 Der einschlägige „poietische“, entweder auf das Ideal oder auf dessen groteske Negativierung zielende, subjektive Bezüge mit den archivier- ten Kulturbeständen herstellende Umgang eines Textes mit der empirischen Realität entschied über seine Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zum Bereich des „Kunst- schönen“. Der letztere Sachverhalt lässt sich sinnfällig am Beispiel der Reflexion Hegels zu Werken der niederländischen Malerei nachvollziehen, die der Philosoph irrtümlich als realistische Darstellungen des Alltags einstufte. Die kunsthistorischen Arbeiten von und im Gefolge Erwin Panofskys haben längst belegt, dass es sich im Falle von Hegels einschlägigen Interpretationen um kunsthistorische Fehldeutungen handelt, die übersehen, dass diese holländischen Gemälde bei all ihrem detaillierten Realis- mus wesentlich von Entfaltung ihrer symbolischen Sinnpotentiale leben.41 Bei einem Rekonstruktionsversuch des Normengefüges, das um 1800 die künstlerische Produktion bestimmt, erweist sich die Heranziehung des einschlägigen Urteils Hegels gerade deswegen als fruchtbar, weil sich daran Sanktionen nachvollziehen lassen, mit denen Versuche einer unveränderten d. h. nach Hegels Sprachgebrauch „rohen“ Aufnahme der Wirklichkeit in die Kunstwerke belegt wurden. Sollten nämlich solche Werke wie holländische Gemälde aufgrund der Tradition und der nicht zu verleugnenden Kunstfertigkeiten ihrer Autoren überhaupt als ästhe- tische und nicht handwerkliche Produkte betrachtet werden, so wurde ihnen im um 1800 rigoros hierarchisch gedachten Kunstsystem eine rangniedrige Position zuge- wiesen. Hegel akzeptierte zwar die Zugehörigkeit der Bilder der holländischen Maler zum Bereich der Kunst, zugleich forderte er:

40 Noch 1852 anerkennt z. B. Karl Rosenkranz ihre Geltung, wenn er erklärt, dass der Körper und seine biologischen Bedürfnisse, z. B. „der Erhaltungs- wie der Gattungstrieb“ in der Kunst nicht neutral geschildert werden können, sondern „nur durch sittliche Weihe oder durch die Komik ästhetisch möglich werden“ können. Vgl. Rosenkranz: Ästhetik des Häßli- chen, 187. 41 In diesem Zusammenhang wird Hegel heute mit dem von Erwin Panofsky in dessen Haupt- werk Altniederländische Malerei entwickelten Konzept von „versteckter Symbolik“ („dis- guised symbolism“) der holländischen Gemälde widersprochen, das inzwischen in einer fast unüberschaubaren Anzahl von empirisch angelegen kunsthistorischen Studien belegt wurde. Von Klaus-Peter Schuster in die Fontane-Forschung eingeführt, wird das Konzept des „disguised symbolism“ auch im Bereich der literaturwissenschaftlichen Interpretationen fruchtbar verwendet. Vgl. Klaus-Peter Schuster: Theodor Fontane. Effi Briest – Ein Leben nach christlichen Bildern, Tübingen: Niemeyer, 1978. Zur Literatur der Restaurationszeit vgl. Stefan Busch: Unzeitgemäße Konjunktionen: Saturn und Psychologie in Eduard Mörikes Novelle Mozart auf der Reise nach Prag. In: German Life and Letters 53, 2/2000, 201-215. 124 4 Zur Poetologie des Leibes

„Sie (...) müssen klein sein und auch in ihrem ganzen sinnlichen Anblick als etwas Geringfügiges erscheinen. Es würde unerträglich sie mit dem Ansprüche zu sehen, als ob uns dergleichen wirklich in seiner Ganzheit sollte befriedigen können.“42 Das zitierte Diktum bezieht sich auf die für den begabten und ambitionierten Autor Heinrich Heine, der hochgradige Sensibilität gegenüber den Mechanismen des Literatur- betriebs an den Tag legte, äußerst wichtige Fragestellung des ästhetischen Rangs. Die Texte des Autors, der nicht zuletzt über sein literarisches Schaffen einen berech- tigten Anspruch auf Zugehörigkeit zur deutschen Kultur erhob, wollten keineswegs als „klein“ und „geringfügig“ eingestuft werden. Hilfreich für das Verständnis von Heines ästhetischen Entscheidungen erweist sich ein Rekurs auf das in der Einleitung der vorliegenden Arbeit thematisierte Konzept des „literarischen Feldes“, mit dem Pierre Bourdieu die soziale Dimension künstlerischer Produktionen reflektiert, indem er auf den gesellschaftlichen Raum, in dem die Werke produziert werden und dessen spezifische Bewertungs- und Wahrnehmungsprinzipien hinweist. Im Rückgriff auf dieses Konzept lässt sich behaupten, dass Heines Texte in einem gesellschaftlichen Raum entstehen, in dem über das kulturelle Kapital und somit auch über das Prestige eines Autors nicht naturwissenschaftliche, sondern in erster Linie klassische humanistische Bildung entscheidet, zu deren Prüfstein rhetorische und poietische Qualität seiner Texte werden.43 Heines Situation entspricht der Lage der Künstler, die Bourdieu im Rahmen seiner Feldtheorie als die „Neuen“ bezeichnet, die mit den etablierten Konventionen brechen und auf Innovation setzen. In den Texten dieser Autoren sind neben den innovativen auch solche Verfahren und Motive früherer Produktionen, die überwunden werden sollen, präsent und entscheiden über die Anschließbarkeit der neuen Werke an den Erwartungshorizont des von konservativ orientierten Bildungsinstanzen sozialisierten Publikums. Diesen Phänomenen kommt eine Art „Überbrückungsfunktion“ zu.44 Als ein „Neuer“ behauptet Heine, dass bestimmte literarhistorische Entwicklungen an ihren Endpunkt angelangt seien. Aus dieser Überzeugung heraus spricht er vom „Ende der Kunstperiode“, einer Literaturepoche, die für ihn mit dem Tod Goethes abgeschlossen wurde. Zu der seiner Meinung nach fälligen Wiederbelebung der deut- schen Literatur versucht er beizutragen, u. a. indem er die Prosa durch die Verpflich- tung auf die politischen und sozialen Aufgaben zur Ausdrucksform der neuen Epoche umzugestalten versucht und ihr inhaltliches Repertoire durch die Heranziehung der

42 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 224. 43 Über die im literarischen Feld dominierenden Regeln entscheiden seine Legitimationsin- stanzen, zu denen Bourdieu u. a. Verleger und Theaterdirektor rechnet. Unter ihnen kommt dem Bildungssystem, vor allem den Universitäten, eine ganz wichtige Rolle zu, da es u. a. das Monopol der Vermittlug von Werken der Vergangenheit, die als „klassisch“ kanonisiert werden und die Anerkennungsmechanismen der aktuellen Kulturproduktion beansprucht. Zur internen Hierarchisierug des literarischen Feldes vgl. Bourdieu: Die Regeln der Kunst, 340-353. Hierzu vgl. auch Joseph Jurt: Das literarische Feld: das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1995, 93. 44 Bourdieu: Die Regeln der Kunst, 401 f. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 125

Phänomene des Alltags erweitert. Die Reflexion über die Körperkonzeptualisierungen des Autors demonstriert allerdings, dass der Autor trotz punktueller Thematisierung der alltäglichen Phänomene im Hinblick auf das Nachahmungskonzept den ästhetischen Imperativen der idealistischen Kunsttheorien verhaftet blieb, laut denen die Kunst ihre Gegenstände nicht durch die Abbildung der Wirklichkeit sondern durch poietische Tätigkeit gewinnt, die die rohe Materie des „bedürftigen Daseins“45 in ein Produkt des Geistes transformiert.

4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines

Aufgrund der im vorigen Unterkapitel gebotenen knappen Rekonstruktion kunstheo- retischer Postulate, die Heines Sozialisation als Autor begleitet haben, sollte nachge- wiesen werden, dass die kreative Umgestaltung der Realität in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s als konstitutives Merkmal eines literarischen Textes gilt, das über seinen ästhetischen Rang entscheidet. Vor dem Hintergrund dieses Mimesis-Konzeptes erscheint es im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit geboten, zu fragen, ob und inwiefern diese Postulate in den poetologischen Aussagen des Dichters Heine eine Entsprechung finden. Die Frage nach Heines poetischen Selbstauskünften konfrontiert die Forscher immer mit besonderen Schwierigkeiten. Der Autor unterzieht seine Schreibpraxis wiederholter Reflexion, aber genauso wie bei seinen ideologischen Äußerungen bleibt er auch in dieser Hinsicht ein „elusive poet“, dessen Schriften simultan widersprüchliche Positionen, Perspektiven und Bewertungsnormen artikulieren, womit sie sich einer diskursiven Festsschreibung verweigern.46 Vergebens würde man im umfangreichen Werk dieses Autors nach einer Schrift über ästhetische Theorie suchen, auch seine beachtliche Korrespondenz gibt selten Auskunft über die literarische Werkstatt. Zu seinen literarischen Prinzipien äußert sich Heine beinahe ausschließlich in seiner schriftstellerischen Praxis, dabei formuliert er seine poetologischen Aussagen scheinbar beiläufig, vielfach ex negativo, mehrfach in Form einer aktuellen Polemik, die sich dem heutigen Leser nur über detaillierte (literar-)historische Spezialstudien erschließt.47 Zur Offenheit der poetischen Selbstaus- künfte Heines gegenüber mehreren Lesarten trägt nicht zuletzt die Tatsache bei, dass sie des Öfteren in poetischen Bildern verschlüsselt werden. Ausnehmend oft bedient sich Heine des ironischen Redemodus, wobei es sich stets um die sog. „unstable irony“ handelt, die es unmöglich macht, eine feste Position des Autors auszumachen.48 Darüber hinaus wird bei Heine die Einschätzung der eigenen literaturhistorischen

45 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd.1, 206. 46 Die in der Heine-Forschung vielzitierte Prägung verdankt sich der Arbeit Jeffrey L. Sammons: The elusive poet, New Haven, London: Yale University Press, 1969. 47 Vgl. Sabine Bierwirth: Heines Naturästhetik. In: Literaturkonzepte im Vormärz, hrsg. v. Michael Vogt, Detlev Kopp, Bielefeld: Aisthesis, 2001, 127-137, hier: 127. 48 Vgl. Wolfgang Preisedanz: Der Ironiker Heine. Ambivalenzerfahrung und kommunikative 126 4 Zur Poetologie des Leibes

Prinzipien von einem inszenatorischen Gestus geprägt, mit dem er seine Selbstentwürfe immer wieder als Formen einer poetischen Camouflage markiert und revidiert.49 Im Folgenden soll ein Versuch unternommen werden, diejenigen Passagen des heineschen Werks zusammenzubringen, die das Thema der Körperdarstellung im litera- rischen Text problematisieren. Das spezifische Gepräge von Heines Poetologie erfodert, dass in diesem Zusammenhang so unterschiedliche Formen wie z. B. literarische Bilder, polemische Aussagen und Selbstauskünfte des in Heines Reiseprosa als alter ego des Autor auftretenden Ich-Erzählers in Bezug auf die einschlägigen Sinnangebote ausgewertet werden.

4.2.1 Clauren oder Niederungen der Trivialliteratur Der erste Versuch, Heines Poetologie der Körpers zu ermitteln, beginnt mit der Er- schließung einer literarischen Polemik gegen einen Autor, der seine Texte unter dem Pseudonym H. Clauren publizierte und dessen Erzählungen in der als prüde verrufenen Biedermeierzeit erotische Belange zur Sprache brachten. Mit seinem Angriff auf H. Clauren wandte sich Heine gegen einen der fruchtbarsten und populärsten Unterhaltungsschriftsteller der Biedermeierzeit, den preußischen Hofrat Karl Gottlieb Samuel Heun (1771-1854), der seit 1820 die „Preußische Staatszeitung“ redigierte. Seinen literarischen Durchbruch verdankte Clauren der 1816 erschienenen Erzählung Mimili. In den Jahren 1818-20 veröffentlichte er sechs Bände weiterer Erzählungen, 1818-34 präsentierte er dem Publikum seine Kurzepik in dem jährlich erscheinenden Taschenbuch Vergißmeinnicht. In den Jahren 1827-29 erschienen 80 Bände seiner Schriften. Claurens Texte, die sich genauso wie jene Heines an den zeitgenössischen Liebesdiskurs anschlossen, wiesen – genauso wie jene Heines – ein gesteigertes Interesse ihres Autors für die Belange des Körpers nach.50

Ambiguität. In: Gerhard Höhn (Hg.): Heinrich Heine. Ästhetisch-politische Profile, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 101-115, hier: 106. Den Begriff „unstable irony“ definiert Wayne als eine Form der Ironie, die feste Interpretation unmöglich macht, “leaving the possibility, (...) that since the universe (or at least the universe of discourse) is inherently absurd, all statements are subject to ironic undermining”. Wayne C. Booth: A Rhetoric of Irony, Chicago: University of Chicago Press, 1974, 241. 49 Ralf Schnell: Heines poetische Theodizee. In: Günter Grimm (Hg.): Metamorphosen des Dichters. Das Selbstverständnis deutscher Schriftsteller von der Aufklärung bis zur Gegen- wart, Frankfurt am Main: Fischer, 1992, 151-166, hier: 153. 50 Das Damen Conversations Lexikon beschreibt die schriftstellerische Karriere Claurens im Jahre 1834 folgendermaßen: „Er trat zuerst mit »der grauen Stube« und »der Mimili« als Erzähler auf. Letztgenannte Erzählung machte wegen ihres Patriotismus und der darin ent- haltenen Schilderung der Schweiz, so wie der originellen, naiv-sentimentalen Heldin, unge- meines Aufsehen. Er gab hierauf sein Taschenbuch »Vergißmeinnicht« heraus, welches auf keiner Damentoilette fehlen durfte. Rasch folgte nunmehr Roman auf Roman. Man ver- schlang begierig, was der Dichter in die Lesewelt sandte; Alles war ein Modeerzeugniß, und die Modelust wollte Befriedigung. Er arbeitete auch für das Theater, und seine Stücke behaupteten einige Jahre lang das Repertoir. (...) Clauren war als unterhaltender Schriftsteller ein bedeutendes Talent. Seine Darstellung ist lebendig, charakteristisch; der Stil pikant, oft 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 127

Vor der Folie der im vorigen Kapitel dargelegten Argumente der um 1800 dominie- renden Kunsttheorien sollte begreiflich werden, dass die Entscheidung, in literarischen Texten auf die Bedürfnisse des Körpers einzugehen, in dieser Zeit nicht nur mit sittlichen Einwänden zu rechnen hatte, sondern aus ästhetischen Gründen die Zugehörigkeit der Texte zur „hohen Literatur“ gefährdete. In dieser Hinsicht verfolgen beide Autoren entgegengesetzte Strategien. Während Heine die freizügige Thematisierung der Erotik und Sinnlichkeit mit einer emanzipato- rischen Programmatik verbindet, mit der er die Befreiung des Subjekts aus sozialen Zwängen anstrebt, erklärt Clauren nachdrücklich Frömmigkeit und Anstand zu zen- tralen Werten, die er in seinen Schriften vermeintlich zu verfechten versucht. Während der reisende Ich-Erzähler und Protagonist von Heines früher Prosa immer wieder darauf anspielt, wie frei er von den sich ihm überall bietenden erotischen Gelegenheiten Gebrauch macht, ist die Bewährung der männlichen Tugend gegen die allerorts lauern- den Verlockungen der Weiblichkeit als das Hauptthema der Erzählungen Claurens anzusehen. In diesem Zusammenhang kommt bei Clauren der Erotisierung des weib- lichen Körpers eine besondere Bedeutung zu. Eine typische Claurensche Protagonistin wird vom Autor selten mit individuell ausgeprägten Gesichtszügen, aber fast immer mit „reizender Alabasterhaut“, einem Schwanenhals bzw. einer Schwanenbrust bzw. einem Busen, der „Schneehügeln gleicht“, ausgestattet, sie demonstriert „züchtiglich“ „den zartesten kleinsten Fuß“, „feinge- formte Waden“ und „weisse Knien“51. Vor allem vom weiblichen Lesepublikum wur- de Clauren gerne gelesen. Dem Zeugnis des Damen Conversations Lexikons zufolge kannte ihn dieses Publikum zwar als einen Unterhaltungsschriftsteller, zugleich je- doch auch als ein bedeutendes literarisches Talent. Claurens Schreibweise wurde witzig, seine Erfindung leicht und gefällig. Später verfiel er in Monotonie. – Auf einen höhern als vorübergehenden Werth können seine Schriften keinen Anspruch machen.” Vgl. Damen Conversations Lexikon, Bd. 2, 425. 51 Die einschlägigen Verfahren Claurens lassen sich am besten an der Charakteristik der Pro- tagonistin der Erzählung Mimili nachvollziehen, in der es heißt: „Das Brüstli wie das Miederchen war von schwarzem Sammt, geschnürt mit goldenem Kettchen und reich und geschmackvoll gestickt, mit Gold und buntfarbiger Seide. Die wei- ten Ermel, vom allerfeinsten Battist, reichten vor bis zur kleinen Hand; und gleichfalls vom nehmlichen Battist war das Hemdchen, das den blendend weißen Hals und den Busen züchti- glich verhüllte. Das schwarzseidene, hundertfaltige Röckchen, reichte kaum bis über das Knie, so daß die Zipfel der buntgestickten Strumpfbänder, die feingeformte Wade sichtbar umspielten; die Blumen der Matten aber küßten das Blüthenweiß ihres feinen, baumwolle- nen Strümpfchens, das den zartesten kleinsten Fuß verrieth. Vom Hinterkopfe hingen dem Mädchen zwei geflochtene brandschwarze bandbreite Zöpfe bis in die Kniekehle hinab, und am Arm schaukelte ein Körbchen, gar zierlich gearbeitet und künstlich durchflochten mit Rosen und sammtenen Fäden. Im ganzen Wesen der himmlischen Erscheinung, die frische Kräftigkeit der unverdorbensten Alpenbewohnerin, und doch der Anstand, die Hal- tung der gebildeten Städterin! Das Mädchen wollte hier übernachten! »Du lieber Gott, warum thust du mir das!« rief ich fragend heimlich in die Wolken, und warf einen Blick auf die unter mir liegende arme Welt, daß es mir vorkam, als schmelze das Eis der Jungfrau und ihrer Nachbaren, vor seinem verzehrendem Feuer in brühende Lava über.“ H. Clauren: Mimili. Eine Erzählung, Dresden: Hilscher, 1817, 15 f. 128 4 Zur Poetologie des Leibes folgendermaßen gelobt: „Seine Darstellung ist lebendig, charakteristisch; der Stil pikant, oft witzig, seine Erfindung leicht und gefällig.“52 Der erste Angriff Heines auf den Unterhaltungsschriftsteller Clauren erfolgt in Ideen. Das Buch Le Grand (1827), wo Clauren in einem grotesken Ambiente als ein Schweinskopf auf einer festlich gedeckten Tafel dem Leser präsentiert wird, „wie gewöhnlich sauersüß lächelnd, mit einer Zitronenscheibe im Maul und von der kunstverständigen Köchin mit Lorbeerblättern bedeckt; der Sänger der Korallen- lippen, Schwanenhälse, hüpfenden Schneehügelchen, Dingelchen, Wädchen, Mimili- chen, Küßchen und Assessorchen, nämlich H. Clauren oder, wie ihn auf der Friedrich- straße die frommen Bernhardinerinnen nennen, »Vater Clauren! unser Clauren!«, dieser Echte liefert mir all jene Gerichte, die er in seinen jährlichen Taschenbor- dellchen mit der Phantasie einer näscherischen Küchenjungfer so jettlich zu be- schreiben weiß, und er gibt uns noch ein ganz besonderes Extraschüsselchen mit einem Selleriegemüschen, »wonach einem das Herzchen vor Liebe puppert«; eine kluge, dürre Hofdame, wovon nur der Kopf genießbar ist, liefert uns ein analoges Gericht, nämlich Spargel;“ (DHA 6; 212) In den Ideen bildet namentliche Polemik eine seltene Ausnahme. Diesmal erachtet es Heine jedoch offensichtlich für wichtig, eben diesen Trivialschriftsteller anzugreifen. Die satirische Attacke bezieht ihre komischen Effekte unzweifelhaft aus ihrem Körper- bezug, in dessen Konsequenz eine „Karikatur des Schriftstellers als Schwein“ entsteht. Es ist das Ziel dieser Attacke, das literarische Körperkonzept des Trivialschriftstellers Clauren anzugreifen. Dabei werden insbesondere Claurens berühmte Inventarisie- rungen moniert, die die Aufmerksamkeit des Lesepublikums auf erotische Merkmale des weiblichen Leibes lenken. Die diminuierenden Verfahren Claurens aufgreifend zeigt ihn Heine in diesem Zusammenhang als Sänger der „Schwanenhälse, hüpfenden Schneehügelchen, Dingelchen, Wädchen, Mimilichen“ (DHA 6; 212) und damit als einen Dichter des Belanglosen an. Der zitierte Katalog sollte allerdings mehr leisten, als nur die biedermeierliche Vorliebe Claurens zum Kleinen zu verhöhnen oder die Sujets des Schriftstellers lächerlich zu machen. Zum Angelpunkt der Polemik werden die deskrip- tiven Verfahren eines Autors, der unselektiv, ungehemmt und simpel, d. h. – so Heine im Originalton – „mit der Phantasie einer näscherischen Küchenjungfer“ alles „zu beschreiben weiß“ (DHA 6; 212). Mit diesem Satz wird dem Autor Clauren implizit vorgeworfen, dass er bei seinen Beschreibungen die von der idealistischen Kunsttheorie geforderte „Reinigung“ der Realität nicht leistet. Ferner beanstandet Heine, dass hinter der frommen Fassade der Clauren’schen Texte die erotischen Begehrlichkeiten des Autors und der Leser auf eine unzüchtige Weise befriedigt werden. Aus diesem Grunde verpasst er diesen Texten den Schimpfnamen „Taschenbordellchen“ (DHA 6; 212).53 Mit seinem Angriff auf Clauren stand Heine im damaligen literarischen Feld nicht allein. Ein Jahr nach der Erscheinung der Ideen beanstandete auch der Spätromantiker

52 Damen Conversations Lexikon, Bd. 2, 246. 53 Die Verknüpfung zwischen den Texten Claurens und dem Begriff „Bordell” stand für Heine fest: An einer aus den Ideen ausgeschiedenen Stelle schreibt er: „Clauren ist jetzt in D»eutsch«land so berühmt daß man in keinem Bordell eingelassen wird, wenn m»an«ihn 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 129

Wilhelm Hauff (1802-1827) die einschlägigen deskriptiven Verfahren des Trivial- schriftstellers und persiflierte sie in der unter Claurens Pseudonym veröffentlichten Novelle Der Mann im Mond oder Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme. Nach dem von Clauren erfolgreich angestrengten Plagiatsprozess verschärfte Hauff seinen Angriff zusätzlich, indem er sich in der vehementen Kontrovers-Predigt über H. Clauren und Den Mann im Monde gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse von 1817 um eine begriffliche Erfassung von Claurens Strategien (die er nach dem Titel einer der Erzählungen Claurens „Mimilis-Manier“ nannte) bemühte. Es erscheint fruchtbar, der Argumentation der fast zeitgleich mit der zitierten Attacke Heines publizierten und schnell berühmt gewordenen Schrift von Hauff zu folgen, die die claurenschen Texte als „Panorama aller weiblichen Reize“54 und „berechneten Augenreiz für Männer“55 abtat. Claurens Körperschilderungen bezeichnete Hauff als „köstlich kandierte Zoten für einen verwöhnten Gaumen“56 und verwies auf ihre Wir- kung als „treffliches Hausmittel für junge Wüstlinge und alte Gecken, die mit ihrer moralischen und physischen Kraft zu Rande sind, um dem Restchen Leben durch diese Reizmittel aufzuhelfen“.57 Ferner mahnte er, dass Claurens wiederholte Beteue- rungen von Zucht und Anstand und der Kalkül des bildlichen Diskurses seiner Texte weit auseinanderfallen. Unter Berufung auf die im medizinischen Diskurs der Zeit immer wieder verwendete Kategorie des „Reizenden“ monierte Hauff Claurens Schriften auf- grund ihrer Körperbezogenheit als ungesunde Stimulanzien. Diese Vorwürfe ließ er in folgender „Publikumsbeschimpfung“ gipfeln: „Armseliges Männervolk, daß du keinen höheren geistigen Genuß kennst, als die körperlichen Reize eines Weibes gedruckt zu lesen, zu lesen von einem Marmor- busen, von hüpfenden Schneehügeln, von schönen Hüften, von weißen Knieen, von wohlgeformten Waden und von dergleichen Schönheiten einer Venus Vulgi- vaga. Armseliges Geschlecht der Weiber, die ihr aus Clauren Bildung schöpfen wollet. Errötet ihr nicht vor Unmut, wenn ihr leset, daß man nur eurem Körper huldigt, daß man die Reize bewundert, die ihr in der raschen Bewegung eines Walzers entfaltet, daß der Wind, der mit euren Gewändern spielt, das lüsterne Auge eures Geliebten mehr entzückt, als die heilige Flamme reiner Liebe, die in eurem Auge glüht, als die Götterfunken des Witzes, der Laune, welche die Liebe eurem Geiste entlockt? Verlorene Wesen, wenn es euch nicht kränkt, euer Ge- schlecht so tief, so unendlich tief erniedrigt zu sehen, geputzte Puppen, die ihr euren jungfräulichen Sinn schon mit den Kinderschuhen zertreten habt, leset immer von anderen geputzten Puppen, bepflanzet immer eure Phantasie mit jenen Vergiß- meinnichtblümchen, die am Sumpfe wachsen, ihr verdienet keine andere als sinn- liche Liebe, die mit den Flitterwochen dahin ist.“58 nicht gelesen hat ...“ (DHA 6; 332). 54 Wilhelm Hauff: Controvers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Monde gehalten vor dem deutschen Publikum in der Herbstmesse 1827, Stuttgart: Gebrüder Franckh, 1827, 37. 55 Ebd. 56 Ebd., 41. 57 Ebd., 42. 58 Ebd., 25 f. 130 4 Zur Poetologie des Leibes

In erster Linie ging es Hauff jedoch darum, die heuchlerische Fassade mehrfacher Anstandsdeklarationen Claurens, d. i. seiner „(...) rührenden erbaulichen Redensarten, die als auf ein frommes Gemüt, auf christlichen Trost und Hoffnung gebaut, erscheinen sollen“59 zu entlarven, um zu zeigen, dass die detaillierte Herausstellung der mate- riellen Beschaffenheit des Körpers rundweg zur Hintansetzung des „höheren geistigen Genusses“ führe und lediglich niedrige Triebe des Publikums befriedige. In ethischer Hinsicht kritisierte Hauff den Unterhaltungsautor für dessen Lüsternheit, verantwort- lich für die Wirkung seiner Texte machte er jedoch das von ihm gewählte Repräsenta- tionsprinzip, mit dem er: „die Natur (...) nicht nur nachgeahmt, sondern förmlich kopiert und getreulich abgeschrieben. Aber leider ist es nur die Natur, so wie man sie mittelst einer Ca- mera obscura abzeichnen kann. Der warme Odem Gottes, der Geist, der in der Natur lebt, ist weggeblieben, weil man nur das Kostüm der Natur kopierte“60. Gegenüber der sittliche und ästhetische Angelegenheiten differenziert darstellenden Reflexion Wilhelm Hauffs nimmt sich die in den Ideen festgehaltene Clauren-Polemik Heines in argumentativer Hinsicht flüchtig aus. Wenn auch in Heines Schriftsteller- biographie der Trivialautor eine viel geringere Rolle als in jener des jungen Roman- tikers Hauff spielte, so erschien er Heine doch wichtig genug, um die in die Ideen integrierte Polemik fortzuführen. In Nordsee. Dritte Abtheilung äußerte er sich über Clauren folgendermaßen: „Die Leute nennen ihn dann einen sittlichen Mann und wissen nicht, daß in dem Clauren-Lächeln eines vermummten Satyrs mehr Anstößiges liegt als in der ganzen Nacktheit eines Wolfgang Apollo und daß just in den Zeiten, wo die Menschheit jene Pluderhosen trug, wozu sechzig Ellen Zeug nötig waren, die Sitten nicht anständiger gewesen sind als jetzt.“ (DHA 6; 343) In einer Zeit, in der die Tugendideale des Biedermeiers hedonistische Maximen und ungetrübten Sinnengenuss als eine besondere Gefährdung sozialer Ordnung auffassen ließen, sucht Heine seinem Publikum im Modus einer Polemik gegen einen erfolgreichen Unterhaltungsschriftsteller in prägnanten Bildern nahezubringen, dass Anstandsdeklara- tionen eines Autors der literarischen Vermittlung von anstößigen Themen in seinen Texten keineswegs im Wege stehen. Indem sie die strengen gesellschaftlichen Sank- tionen unterlaufen, bilden solche Texte eine besonders große Bedrohung für die öffent- liche Moral. Mit dem im obigen Zitat erfolgenden Verweis auf den „göttlichen“ Johann Wolfgang Goethe und den Gott Apollo werden Bezüge zur Welt des Geistes hergestellt, mit denen Heine sich für das Recht der Kunst einsetzt, die Schönheit des erotischen Körpers zu thematisieren. In erster Linie wird an dieser Stelle jedoch eine deutliche Absetz- bewegung gegenüber der Trivialliteratur vollzogen. Ex negativo zeichnet sich darin das Programm einer literarischen Produktion ab, die, auch wenn sie über Belange des Körpers spricht, kein (un-)billiger Genuss und keine käufliche Ersatzbefriedigung sein möchte.

59 Ebd., 52. 60 Ebd., 21 f. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 131

Die mimetische Widerspiegelung der Natur in der Kunst lehnt Heine „als banale Wiederholung des Lebens“ ab. (DHA 12; 258) In den sich seit den 1840er Jahren in der Literatur allmählich durchsetzenden mimetischen Prinzipien sieht er negative Charakteristika der Zeit, nämlich ideologische „Gleichgültigkeit“ bzw. „Indifferenz“ (DHA 14; 128) der Autoren. In der zu Beginn seines Pariser Aufenthaltes entstandenen Schrift Französische Maler. Gemäldeausstellung in Paris 1831 erfasst Heine seine ästhetischen Voraussetzungen folgendermaßen: „In der Kunst bin ich ein Supranaturalist. Ich glaube, dass der Künstler nicht alle seine Typen in der Natur auffinden kann, sondern daß ihm die bedeutendsten Typen als angeborene Symbolik eingeborener Ideen, gleichsam in der Seele geoffenbart werden.“ (DHA 12; 25) Diese Ansicht bestätigt der Autor in einer etwa zeitgleich entstandenen Notiz, die das Prinzip der künstlerischen Produktivität so reflektiert: „Dichter während des Dichtens wird ihm zu Muthe als habe »er«, nach Seelen- wandrungslehre der Pytagoreer, in den verschiedensten Gestalten ein Vorleben geführt – ihre Intuizion ist wie Erinnern.“ (DHA 10; 316) Mit dem so formulierten Konzept des Künstlers, der gewissermassen „anamnetisch“61 an dem Reich den Ideen teilnimmt, bekennt sich Heine zu idealistischen Kunsttheorien, welchen zufolge der Dichter in der „inneren Anschauung“ nach Ideen suchen soll, um sie in seinem Kunstwerk zum sinnlichen Ausdruck zu bringen. Das Bemühen um objektive und möglichst detailgetreue Erfassung des Sichtbaren verweist Heine in den 40er Jahren des 19. Jh.s aus dem Bereich der Kunst u. a. dadurch, dass er sich gegen das 1839 in Frankreich entwickelte innovative Bildmedium, nämlich die Daguerro- typie, polemisch wendet. Heines Urteil über dieses neue Abbildungsverfahren ent- spricht der Überzeugung seines Begründers Daguerre, der ausdrücklich betont hat, sein Daguerrotyp sei kein Gerät, das dem Abzeichnen von Natur dient, sondern ein chemischer und physikalischer Prozeß, welcher der Natur dabei hilft, sich selbst abzu- bilden.62 Im Einklang mit den Ansichten Daguerres, denen zufolge das Bewusstsein des Autors keinen Einfluss auf das daguerrotypische Bild nehmen kann, bezeichnet Heine als „daguerrotypisch“ ein deskriptives Verfahren, das eine faktographische, d. h. möglichst objektive und detailgetreue Erfassung der Wirklichkeit unter Ausschluss der künstlerischen Subjektivität anstrebt. Bis 1854 ist Heine der Meinung, ein solches Verfahren, das die ästhetische Souverenität des Subjekts beeinträchtige, könne der Qualität eines literarisch ambitionierten Textes nur abträglich sein.63 Erst in der 1854 entstandenen Schrift Lutezia öffnet sich der Autor den innovativen mimetischen Ver-

61 Vgl. Lothar Schneider: Der Dichter als Daguerrotyp. Zu Heines Alexander-Weill-Vorwort. In: Martina Lauster (Hg.): Vormärzliteratur in europäischer Perspektive III: Zwischen Da- guerrotyp und Idee, Bielefeld: Aisthesis, 2000, 31-54, hier: 48. 62 Vgl. Wilfried Wiegand (Hg.): Die Wahrheit der Fotografie. Klassische Bekenntnisse zu einer neuen Kunst, Frankfurt am Main: Fischer, 1981, 18. 63 Vgl. Schneider: Der Dichter als Daguerrotyp, 47. 132 4 Zur Poetologie des Leibes fahren, indem er das von ihm vor wenigen Jahren abgelehnte daguerrotypische Prinzip für eigene Schreibweise einklagt. In diesem Sinne verspricht Heine in seinem an Fürsten Pückler-Muskau gerichteten Zueignungsbrief der Lutezia, er werde in seinem Text „das Bild der Zeit selbst in seinen kleinen Nüancen [...] liefern“ und erklärt anschließend: „Ein ehrliches Daguerrotyp muß eine Fliege ebensogut wie das stolzeste Pferd treu wiedergeben, und meine Berichte sind ein daguerrotypisches Geschichtsbuch, worin jeder Tag sich selber abkonterfeite, und durch die Zusammenstellung solcher Bilder hat der ordnende Geist des Künstlers ein Werk geliefert, worin das Darge- stellte seine Treue authentisch durch sich selbst dokumentiert. Mein Buch ist da- her zugleich ein Produkt der Natur und der Kunst, und während es jetzt vielleicht den populären Bedürfnissen der Leserwelt genügt, kann es auf jeden Fall dem späteren Historiographen als eine Geschichtsquelle dienen, die, wie gesagt, die Bürgschaft ihrer Tageswahrheit in sich trägt.“ (DHA 13/1; 19) Diese kurz vor Heines Tode entstandenen Zeilen, die die zentralen poetologischen Fragen, jene nämlich nach dem Verhältnis von Text und Kontext, Literatur und Ge- schichte, Fiktion und Wirklichkeit, nach Repräsentation und ihrer Form, nach dem Autor und seiner Funktion, nach Rezeption und Rezeptionsgeschichte stellen, zeigen wie der Autor seinen Text der empirischen Wirklichkeit zuwendet und die eigentliche Aufgabe des Schriftstellers in dem Arrangieren der „authentischen“, d. h. realistisch beschriebenen Bilder erkennt.64 Erst vor der Folie dieses späten Pariser Programms erscheint jene detaillierte Herausstellung der körperlichen Realität möglich, die auf- grund der starken Verpflichtung der frühen Prosa Heines an die idealistische Kunst- theorie nicht denkbar war.

4.2.2 Körper-Chiffren Als eine der wichtigsten poetologischen Aussagen Heines gilt jene Stelle der Harzreise, an der dieser Text das für Heine zentrale produktions- wie auch rezeptionsästhetisch geltende Paradigma der „doppelten Rezeption“ bildhaft formuliert, was bezeichnender- weise unter Berufung auf die Bedeutung des Körpers im Ballett erfolgt. Dies geschieht anlässlich der Erläuterungen, die das literarische Subjekt dieses Reisebildes einem anderen jungen Reisenden über „die wahre, d. h. diplomatische Bedeutung des Balletts“ (DHA 6; 122) zuteil werden lässt, wobei es ihm vermittelt, dass jede Körperbewegung des Tänzers Hoguet65 eine politische Bedeutung habe. Laut den Erklärungen des Erzählers meine Hoguet „die kleinen Fürsten (...) wenn er wie mit gebundenen Beinen

64 Dorotee Kimmich: Daguerrotypie. In: Kalender kleiner Innovationen. 50 Anfänge einer Moderne zwischen 1755 und 1856. Festschrift für Günter Oesterle Kalender, hrsg. v. Günter Oesterle, Roland Borgards, Almuth Hammer, Christiane Holm, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006, 365-372, hier: 365 f. 65 Heine beruft sich hier auf den Namen eines der prominentesten Ballettänzer seiner Zeit. François Michel Hoguet (1793-1871) war von 1821 bis 1832, also in demselben Jahrzehnt, auf das die Entstehung der Reisebilder fällt, als erster Solotänzer in Berlin tätig. Als Ballett- meister und Choreograph am Königlichen Schauspiel in Berlin übte er einen großen Ein- fluss insbesondere auf die Berliner Balletbühne aus. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 133 herumtrippelt“, er habe im Sinne den Bundestag, „wenn er sich hundertmal herum- dreht, ohne vom Fleck zu kommen“, bezeichne das europäische Gleichgewicht, „wenn er wie ein Trunkener hin und her schwankt“ (DHA 6; 122). Diese Erörterungen enden im Ausruf des Erzählers: „Beim Apis! wie groß ist die Zahl der exoterischen, und wie klein die Zahl der esoterischen Theaterbesucher! Da steht das blöde Volk und bewundert Sprünge und Wendungen und studiert Anatomie in den Stellungen von Lemiere, und schwatzt von Grazie und Harmonie und Lenden – und keiner merkt, daß er in getanzten Chiffren das Schicksal des deutschen Vaterlandes vor Augen hat!“ (DHA 6; 122) Diese Stelle, bei deren Veröffentlichung sich Heine ganz besonders vor Eingriffen der Zensur gefürchtet hat, wird in der Forschung als ein wichtiges rezeptionsbestimmendes Signal interpretiert.66 Indem Heine das Konzept des eingeweihten (d. h. im Originalton „esoterischen“) und des uneingeweihten („exoterischen“) Publikums in seine Textwelt einführt, bezeichnet er eine Interpretation als angemessen, die die außerhalb des Textes liegenden Bezugspunkte zu berücksichtigen weiß. Laut den Äußerungen des Erzählers bedarf ja das Publikum für die Entzifferung der Körpersprache des „diplomatischen Tänzers“ einer Reihe von biographischen, historisch-politischen und literarischen Kenntnissen.67 Indem die vorliegende Arbeit dieses Konzept interpretatorisch einklagt, möchte sie gleichzeitig die zitierte Passage als eine frühe Reflexion Heines über den Körper in der Kunst schlechthin und das Verhältnis zwischen den materiellen und nichtmate- riellen Momenten der Kunst näher ins Auge fassen. Nicht zufällig wählt Heine eine an körperlichen Ausdruck gebundene Kunst als Grundlage des Vergleichs. Damit wird nämlich das für den Autor wichtige Phänomen, der menschliche Körper, ins Zentrum gestellt und zugleich – durchaus im Sinne der idealistischen Kunsttheorien, die auf den Zeichenwert des Körpers in der Kunst verwiesen – als das Medium des Inkommunikablen reklamiert, das auf eine außerhalb liegende Botschaft verweist. Heine aktiviert die althergebrachte, hochgradig aufgeladene Denkfigur der Chiffre, die eine wichtige Rolle im mittelaterlichen Verständnis der Natur als „zweites Buch“ der göttlichen Offenbarung in der Signaturenlehre von Paracelsus (verm. 1493-1541) und Jakob Böhme (1575-1624) spielte und im 18. Jh. von Johann Georg Hamann (1730-1788) wieder aufgegriffen wurde.68 Hamann aktualisierte die Denkfigur im in-

66 Norbert Altenhofer: Die verlorene Augensprache. Marginalien zum Problem der »Wirkung« Heinescher Texte. In: Altenhofer: Die verlorene Augensprache. Über Heinrich Heine, 58-76, hier: 63. Eine instruktive Interpretation des heineschen Konzepts der esoterischen Leser- schaft vor der Folie der hermeneutischen Debatten der (Früh-)Romantik liefert Madleen Podewski: Konzeptionen des Unverständlichen um und nach 1800: Friedrich Schlegel und Heinrich Heine. In: Sandra Heinen, Harald Nehr (Hg.): Krisen des Verstehens um 1800, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004, 55-74, hier: 64. Die Autorin belegt, dass Heine, der seine Leser auf die Möglichkeit endgültiger Entzifferung seiner Texte hinweist, von den hermeneutischen Konzepten der Romantik abweicht. 67 Altenhofer: Die verlorene Augensprache, 64. 68 Vgl. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, 300. 134 4 Zur Poetologie des Leibes tellektuellen Horizont seiner Epoche, indem er schrieb: „Das Buch der Natur und der Geschichte sind nichts als Chiffern, verborgene Zeichen, die eben den Schlüssel nötig haben.“69 Kant deutete die „Chiffreschrift“ der Natur moralphilosophisch als Geheim- schrift „wodurch die Natur in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht, um das Handlungsprinzip in den Menschen zu befördern“70. Die Romantik entwickelte im Zusammenhang mit dem Begriff der Chiffre eine eigene literarische Tradition, wobei dieser Terminus für die Bezeichnung der Bezüge zwischen der Natur und ihrem Schöpfer funktionalisiert wurde.71 Diese tradierte, religiös geprägte Verwendung wandelt Heine insofern um, als er mit Chiffren eine – auf anderem Wege nicht zu vermittelnde Botschaft – in der Kunst zeichenhaft ver- und entschlüsselt sehen will. Die angeführte metapoetische Passage der Harzreise identifiziert jenes Inkommunikable mit dem Inhalt, der aufgrund der politischen Zensur die Öffentlich- keitsschranke nicht hätte passieren dürfen. Zum Wesen der heineschen Poetologie gehört, dass sie sich festen Zuschreibungen verweigert. An der in den Ideen. Das Buch Le Grand erfolgenden Thematisierung der Körpers des Protagonisten im Zusammenhang mit der Laokoon-Statue wird deutlich werden, dass sich Heines „Chiffrierungen“ nicht nur auf das politisch, sondern ebenso auf das ästhetisch Inkommunikable beziehen.72 Als Zwischenergebnis sei festgehalten, dass Heine dem Körper in der Kunst die Rolle eines Geheimzeichens zuweist, wobei sich die von ihm angesprochene Chiffren- schrift eindeutigen semantischen Zuordnungen entzieht und letztendlich nur heuristisch begründete „Lesarten“ zulässt.73 Die poetologisch markante Stelle, in der Heine das für seine Texte charakteristische Interesse am Tanz und Ballett zum ersten Mal nachdrücklich formuliert, reflektiert Zeitentwicklungen, die meines Wissens in der bisherigen Heine-Forschung unberück- sichtigt blieben. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s, in denen Heines Reisebilder entstehen, vollzieht sich aufgrund von Entwicklungen der Tanztechnik in der körperbezogenen Kunst des Balletts eine tiegreifende Wandlung. Diese begründete einen Prozess, der dem Wandel künstlerischer wie gesellschaftlicher Koordinaten Rechnung trug.74 Die Fortschritte der Tanztechnik, die u. a. weitere und höhere Sprünge möglich machte, verlangten eine Verknappung der Kostüme, in denen die Balletttänzerinnen auftraten. Die Rocksäume und Ärmellängen der Frauenkleider „rutschten“ nach oben, bis die Knien freilagen und die Arme sich bewegen konnten. Dies ließ einen „Nacktheitseffekt“

69 Johann Georg Hamann: Werke, hrsg. v. Josef Nadler, Wien: Thomas Morus Presse im Ver- lag Herder, 1949-1957, Bd. 1, 308. Zit. nach: Reallexikon der deutschen Literaturwissen- schaft, 300. 70 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, 43. In: Ders.: Werke in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977, Bd. 10, 75-455, hier: 234. 71 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 1002. 72 Vgl. Kapitel Körper im Schmerz der vorliegenden Arbeit. 73 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 1002. 74 Vgl. Dorion Weickmann: Der dressierte Leib. Kulturgeschichte des Balletts (1580-1870), Frankfurt, New York: Campus, 2002, 319. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 135 entstehen, der durch die Anwendung neuer hauchzarter Stoffe intensiviert wurde, die die Konturen des Körpers zum Vorschein brachten. Damit setzten sich im Ballett Bekleidungen durch, die im krassen Widerspruch zum Kleiderkodex der gesellschaft- lichen Konventionen standen, welche sittsamen Frauen die Zurschaustellung ihres Leibes untersagten.75 Während die männlichen Darsteller zusehends an Boden ver- lieren und von Rezensenten als quantité négligeable behandelt werden, richtet sich die kollektive Begierde eines Publikums, das die eigene Körperlichkeit schleichend verdrängt, auf die Tänzerinnen, welche aufgrund ihrer Kostümierung in jeder Hinsicht als „leichte Mädchen“ wahrgenommen werden.76 Dorion E. Weickmann, die sich in ihrem umfassenden Buch zur Geschichte des Balletts u. a. mit den Ballettkritiken des frühen 19. Jh.s beschäftigt, stellt fest, dass die Diskussion über das luftige Gewand der tanzenden Frauen einen bedeutenden Raum in den damaligen Rezensionen einnnimmt. Bewundert man die technische Brillanz der Tänzerinnen, sieht man in ihren Bühnenauftritten allerdings nicht so sehr den Nachweis einer Kunst, die sich der harten Arbeit der Disziplinierung des Körpers verdankt, sondern höchstens Ausdruck der körperlichen Schönheit und Harmonie zwischen Körper und Seele. Während man diese mit angeborener Anmut und Gespür für Rhythmus und Maß77 identifiziert, werden die Körper der Balletteusen zum be- liebten Objekt der Kommentare. Bei diesen Frauen ist es in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s erlaubt, sich öffentlich über die anatomischen Details auszubreiten.78 „Der kleine Fuß, die schmale Hand, die delikaten Brüste, die schlanken Glieder“79 sind Merkmale, die vom Ballettpublikum am häufigsten gepriesen werden, das den Körper der Tänzerin einer strengen anatomischen Prüfung unterwirft und verbal ausein- andernimmt.80 Die Kenntnis dieser Entwicklungen erlaubt die zitierte Stelle der Harzreise als einen sensiblen Kommentar zu zeitgenössischen Wahrnehmungsprozessen des Körpers im Ballett zu intepretieren. Heine, der zu den ersten deutschen Autoren gehört, die zu Anfang des 19. Jh.s den Aufstieg des Balletts zur beliebten Publikumsunterhaltung flankieren, zeigt einen Erzähler, der sich (wie das vor der Folie der Veröffentlichung Weickmanns kenntlich wird) gewissermassen entgegen den zeitgenössischen Entwick- lungen kunstsinnig den Bewegungen des tanzenden Mannes zuwendet, während das an gemeiner Unterhaltung interessierte „blöde Volk“ diese kaum beachtet und statt von „Kunst“ lieber von „Grazie und Harmonie und Lenden“ der Tänzerinnen redet.

75 Vgl. ebd., 342. Es sind vor allem die französischen Schriftsteller der romantischen Ära, (Alexandre Dumas, Thèophile Gautier, Ernest Fedeau), die die Welt des Tanzes entdecken und sich vom Dasein der Tänzerinnen inspirieren lassen. Zur Spezifik ihres Schreibens gehört, dass sie neben dem Glanz auch die Schattenseiten der Tänzerinnenkarriere, den Verlust der Unschuld, die Flüchtigkeit des Ruhms und das Verblühen der Schönheit zeigen. 76 Ebd., 359. 77 Ebd., 342. 78 Ebd., 339. 79 Ebd. 80 Ebd. 136 4 Zur Poetologie des Leibes

Das Anliegen des Ich-Erzählers der Harzreise besteht nicht zuletzt darin, die mate- rielle, körperliche Realität für sekundär anzuerkennen. Vor der Folie der Erkenntnisse von Weickmann überrascht es nicht, dass ein Autor des frühen 19. Jh.s im Zusammen- hang des Balletts die Publikumskommentare über Anatomie der Tänzerinnen erwähnt. Es überrascht ebenfalls nicht, dass Heine in diesem ästhetischen Zusammenhang der „anatomischen Zerlegungskunst“ keinen entscheidenden Erkenntniswert beimisst. Sei- nen Lesern gibt er an dieser Stelle einen Hinweis darauf, dass der Körper im Kunst- werk ein „geheimes Zeichen“ darstellt, das einer eingeweihten, kundigen Lesart bedarf.

4.2.3 Groteske Zurichtung des bürgerlichen Körpers Einen für Heines Texte repräsentativen Modus der Körperliterarisierung bildet die groteske Verzerrung des Körpers. Die Präsenz des grotesken Körperkonzepts in der Harzreise wurde im Unterkapitel 3.3 dieser Arbeit im Zusammenhang einer konkreten Textpassage bereits knapp angesprochen. Im Zusammenhang des vorliegenden Kapi- tels, das sich systematisch der Poetik des Leibes im Werk Heines widmet, sollen die Verknüpfung des genannten Körperkonzepts mit der Philistersatire und die einschlägigen poetologischen Ausführungen Heines näher ins Auge gefasst werden. Aufschlussreich in dem erörterten Kontext erscheint das Eingangsgedicht der Harzreise, in dem der Ich-Erzähler folgendes Porträt der philisterhaften Bewohner von Göttingen liefert: „Schwarze Röcke, seid’ne Strümpfe Weisse, höfliche Manchetten Sanfte Reden, Embrassieren – Ach wenn sie nur Herzen hätten! Herzen in der Brust, und Liebe, Warme Liebe in dem Herzen – Ach, mich tödtet ihr Gesinge Von erlog´nen Liebesschmerzen.“ (DHA 6; 83) Mit dem Spiel von Metonymien, mit denen einzelne Körperteile durch entsprechende Kleidungsstücke ersetzt werden, wird das Bild eines Salons imaginiert. Die Tatsache, dass in dem Bild nicht lebendige Menschen, sondern leere vestimentäre Erscheinungs- formen einander begegnen, weist sowohl auf die der Salonkultur eigene Negation der Körperlichkeit, als auch auf die emotionale Leere des in den Salons um 1800 infla- tionär betriebenen Empfindsamkeitkults hin.81 An die zitierte Gedichtstelle schließen Verse an, die den Aufbruch des Ich-Erzählers in den Harz und zugleich in den Erzählprozess markieren. Das vom Erzähler formulierte Programm lautet: „Auf die Berge will ich steigen, lachend auf euch niederschauen“ (DHA 6; 83). Die hier an- deutete Verhöhnung des Bürgers stellt eine der wichtigsten Konstanten in Heines Frühwerk dar. Die im unmittelbaren Textumfeld des zitierten Gedichts realisierten

81 Als das einzige Residuum des Körpers bleibt in dem von Heine entfalteten literarischen Bild der philisterhaften Stadt Göttingen nur noch die Stimme wahrnehmbar. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 137 poetischen Strategien, demonstrieren ausdrücklich,82 dass die von Heine gewählte Formel der satirischen Kritik das Groteske ist, dessen Kernbereich die Darstellung des Körpers bildet. Damit zentriert Heine seine Kritik gerade um jenes Phänomen, dessen Negation in der Öffentlichkeit das oben zitierte Eingangsgedicht ins Licht gerückt hat. Mit der Zuwendung zum Grotesken entscheidet sich Heine für den antimimeti- schen Darstellungsmodus, dessen Kernmerkmal die Deformation der Wirklichkeit bildet, das außerdem antithetisch zu Qualitäten der Harmonie, der Ordnung und der Ruhe steht, die als Elemente des klassischen Körperkanons in die europäische Kultur eingegangen sind. Dabei folgt Heine nicht dem romantischen Konzept des Grotesken, das laut Wolfgang Kayser mit seinen monströsen Figurationen dem Leser primär Angst einflössen möchte.83 Die grotesken Phänomene, die dem Leser in Heines Texten begegnen, speisen sich im Wesentlichen aus jenen Traditionen der Volkskultur, die auf subversive Komisierung der Wirklichkeit zielen. Für die Erschließung der genannten Phänomene in Heines Texten erscheint dem- nach das Konzept von Michail Bachtin fruchtbar, laut dem die volkstümlich geprägte Lachkultur des Mittelalters und der Renaissance, die in späteren Zeiten immer mehr in Vergessenheit geraten sei, den Hintergrund für die Motive des grotesken Körpers bildet. Unter Hinweis auf die genannten kulturellen Ordnungen interpretiert Bachtin das Groteske im Zusammenhang mit dem Phänomen des Karnevalesken, das er folgen- dermaßen erklärt: „Das Karnevaleske ist eine Weise, die Welt umzustülpen und damit die Ordnung und alle aus ihr erwachsenen Formen der Furcht, Ehrfurcht, Pietät und Etikette außer Kraft zu setzen.”84 Die karnevaleske Ordnung zielt auf Verkehrung der Welt und schafft die Konventionen und gesellschaftlichen Codes ab. Sie kann somit als ein Moment der Enthierarchisierung bezeichnet werden, das sich zu einer repres- siven, ernsten Kultur utopisch und befreiend verhält.85 Sie stellt eine widerständige Kulturpraxis dar, in der die Offenheit, fröhliche Anarchie und Verspottung aller Dogmen stattfinden, als eine Praxis, die Antihierarchie, Relativität der Werte, Synkretismus und die Vielfalt der Perspektiven zulässt.86 Laut Bachtin bildet das Zentrum des Karnevalesken der groteske Leib.87 Das Karne- valeske wendet sich den Phänomenen der Leiblichkeit zu, die die offizielle Kultur im Prozess der Zivilisation weitgehend ausgespart hat. Es ist vor allem der klassische Körper, der in dieser Ordnung herabgesetzt werden soll. Diesem „fertigen, streng begrenzten, nach außen verschlossenen, unvermischten und individuell ausdrucks- vollen Körper“88 wird in der karnevalesken Welt ein deformierter, monströser Leib entgegengesetzt, über den Bachtin schreibt: „Er ist nie fertig und abgeschlossen, er ist

82 Hierzu vgl. Kap. 3. 1 dieser Arbeit. 83 Vgl. S. 122 dieser Arbeit. 84 Bachtin: Literatur und Karneval, 19. 85 Ebd. 86 Renate Lachmann: Vorwort. In: Bachtin: Rabelais und seine Welt, 9. 87 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 18. 88 Ebd. 138 4 Zur Poetologie des Leibes immer im Entstehen begriffen und erzeugt selbst stets einen weiteren Körper; er ver- schlingt die Welt und lässt sich von ihr verschlingen.“89 Die Grundlage aller grotesken Motive ist eine besondere Vorstellung vom Körperganzen und von den Grenzen dieses Ganzen. Die Grenzen zwischen Körper und Welt und zwischen verschiedenen Körpern verlaufen im Grotesken auch völlig anders als in der am klassischen Kanon orientierten Kunst. Der groteske Körper favorisiert die Ausstülpungen und Öffnungen, da „an ihnen die Grenze zwischen zwei Körpern oder Körper und Welt überwunden wird“90 und die gewissermaßen „Ein- und Ausgänge“ für „alle Akte des Körperdramas“ darstel- len.91 Diesen Akten des Austauschs zwischen dem individuellen Körper und seinem Umfeld, zu denen u. a. das Essen, Trinken, Sich-Entleeren, der Koitus und die Geburt gehören, kommt im Rahmen des grotesken Konzepts eine besondere Rolle zu, denn gerade mit ihnen schließt sich der groteske Leib anderen Körpern und seiner Umge- bung an. Neben der Aufhebung der Körpergrenzen nach außen wird auch die Grenze zwi- schen der Körperhülle und seinen inneren Organen vom Grotesken aufgelöst. Bachtin betont, dass sich der groteske Leib aus Erde, Wasser, Feuer und Luft zusammensetzt und durch die Herausstellung dieser Elemente seinen universalen Charakter einklagt. Bachtin schreibt: „Er [der groteske Körper K. J.] ist unmittelbar mit der Sonne und den Sternen verbunden, er enthält die Tierkreiszeichen und spiegelt die kosmische Hierarchie wider; er kann mit der Natur verschmelzen, mit Bergen, Flüssen, Meeren, Inseln und Planeten; er kann die ganze Welt füllen.“92 Das Groteske präferiert das Konzept eines Leibs, der schwillt und sich mit seinem Umfeld verbindet. Interessanterweise wird dieser riesige Körper des Öfteren mit einem reduzierten, d. h. einem besonders schmalen oder kleinen Körper kontrastiert. Dank dem auf diese Weise entstehendem Kontrasteffekt wird die Hypertrophie des über- dimensionierten Leibs besonders sinnfällig. Alle von Bachtin genannten Komponenten finden ihre Entsprechung in der heine- schen Textwelt. Bevor sie im Einzelnen betrachtet werden, erscheint es instruktiv, darauf hinzuweisen, dass Heines Texte einschlägige poetische Selbstbestimmungen liefern, die eine groteske Verzerrung des Körpers zum Gegenstand haben. In einer dieser ironisch-witzigen Selbstreflexionen definiert Heine in Ideen. Das Buch Le Grand seine Stellung im Literaturbetrieb als „Narrenverkäufer“. (DHA 6; 312) Der Kontext dieser Aussage macht deutlich, dass der Autor mit dem in seinen Texten polysemantisch besetzten Begriff des „Narren“ an der zitierten Stelle die philisterhaften Bürger meint, womit er an die Tradition der Narrenkultur der Neuzeit anknüpft, die mit dem Begriff „Narr“ negativ gezeichnete Bürgerfiguren markierte. Bereits hier aktuali- siert Heine einen bedeutenden Teil der Lachkultur der Renaissance, die als der wich-

89 Ebd. 90 Ebd. 91 Ebd., 16. 92 Ebd., 14. 4.2 Zur poetologischen Reflexion Heines 139 tigste Referenzbereich seines Konzeptes des Grotesken zu betrachten ist. Im genannten Kontext beschreibt Heine sein poetisches Tun folgendermaßen: „Und wenn mir auch nicht die Narren gebraten ins Maul fliegen, sondern mir gewühnlich roh und abgeschmackt entgegenlaufen, so weiß ich sie doch so lange am Spieße herumzudrehen, zu schmoren, zu pfeffern, bis sie mürbe und genießbar geworden.“ (DHA 6; 312) Die implizite Berufung auf die ästhetische Kategorie des Geschmacks, erlaubt es Heine, eine ars poetica zu formulieren, die den Ästhetisierungsvorgang mit der kuli- narischen Kunst vergleicht. Mutatis mutandis wird mit ihr auf einschlägige Poiesis- Postulate der zeitgenössischen Kunsttheorien verwiesen, die die Künstler ermahnen, die Wirklichkeit (für Heine sind es die als „Narren“ apostrophierten Philister) nicht „roh“ in ihre Werke zu übernehmen, sondern sie dem Publikum „ästhetisch verfeinert“ anzubieten. Der Imagination des poetischen Aktes als eines kunstverständigen Vor- gangs der ästhetischen Zubereitung stellt Heine die Vorstellung des Rezeptionsaktes als eines für kultivierte Leser bestimmten, erlesenen Genusses entgegen. Die kulina- rische Metaphorik fortführend verspricht Heine seinen Lesern: „Sie sollen ihre Freude haben (...), wenn ich mal eine große Fete gebe. Sie sollen meine Küche loben. Ganze Hekatomben von Narren werde ich einschlachten; Ein trauriger Dichter (...) liefert meiner Tafel einen ganz vorzüglichen Schweinskopf. (...) es wird kein Mangel sein an Göttinger Wurst, (...) pommerschen Gänsebrüsten, gedämpften Kalbshirn, Rindsmaul, Stockfisch.“ (DHA 6; 312) Das im dritten Jahrzehnt des 19. Jh.s niedergeschriebene Reisebild kennt noch nicht die modernen Befürchtungen, der literarische Text könnte als kulinarische Unterhal- tungskunst konsumiert und abgetan werden. Heines Metaphernwahl scheint hier den tradierten rhetorischen Strategien zu folgen, die auf eine für die Zeit um 1800 repräsen- tative Art und Weise u. a. von Goethe thematisiert wurden. Indem er die poetische Analogisierung der Sphäre der Geistes mit jener des Körpers als eine der jeweiligen literarischen Argumentation und dem kognitiven Gewinn zuträgliche poetische Vorge- hensweise definierte, erklärte Goethe: „Die Poesie hat in Absicht auf Gleichnisreden und uneigentlichen Ausdruck sehr große Vorteile vor allen übrigen Sprachweisen, denn sie kann sich eines jeden Bildes, eines jeden Verhältnisses nach ihrer Art und Bequemlichkeit bedienen. Sie vergleicht Geistiges mit Körperlichem und umgekehrt, den Gedanken mit dem Blitz, den Blitz mit dem Gedanken, und dadurch wird das Wechselleben der Welt- gegenstände am besten ausgedrückt.“93 Die zeitgenössisch u. a. dank Goethe populäre rhetorische Strategie verwendet Heine, um im karnevalistisch konnotierten Kontext eines üppigen Festmahls seine satiri- schen Schreibweisen des Körpers zu definieren. Er rekurriert dabei auf die in der zeit- genössischen Kunsttheorie etablierte Forderung nach der poetischen Umgestaltung

93 Goethe: Zur Farbenlehre. In: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 16, 7-718, hier: 433. 140 4 Zur Poetologie des Leibes von „roher Wirklichkeit“, das der Realität den Weg in die Kunst so lange versperrt, bis sie durch sorgfältige Selektion der Details eine „Reinigung“ erfahren habe und durch eine an Idealen orientierte poetische Umwandlung kunstwürdig geworden ist.

4.3 Körper in Heines Reiseprosa

Eine wesentliche Bedeutung für die Strategien der Körperliterarisierung in Heines früher Prosa spielen das zentrale Motiv der Reise und das literarische Anliegen des Autors, in den als Aneinanderreihung von Reiseepisoden konzipierten Schriften eine Art geistiges Panorama Deutschlands zu liefern, in dem bisweilen Vertreter anderer Länder berücksichtigt werden. Das narrative Prinzip der Reiseliteratur schreibt eine Textstruktur vor, die sich als eine Aneinanderreihung von episodischen, scheinbar zufälligen Begegnungen des Protagonisten mit der jeweiligen Bevölkerung und anderen Reisenden darstellt. Ent- sprechend den Vorgaben der Wirklichkeit sieht die Genrekonvention vor, dass die Reisekontakte meist flüchtig bleiben und das körperliche Erscheinungsbild der Reisen- den oft den einzigen Maßstab ihrer Wahrnehmung und Beschreibung bildet. Diese Tatsache stellt den Erzähler und sekundär auch die Leser vor die hermeneutische Aufgabe einer Körperlektüre, bei der das Äußere der jeweiligen Figur über ihre Her- kunft und individuelle Züge Aufschluss geben soll. In diesem Zusammenhang erscheint es instruktiv zu fragen, ob und inwiefern Heines Text auf den physiognomischen Diskurs zurückgreift, dessen Aktualisierung 1772 durch die Veröffentlichung der Physiognomischen Fragmente des Zürcher Pfarrers Johann Caspar Lavater (1741-1801) erfolgte. Lavaters Schrift wurde in den ersten Jahr- zehnten des 19. Jh.s zwar nicht als ein innovatives Paradigma angesehen, dennoch war sie populär. Dazu trugen sowohl ihre Verbreitung in der Lebenspraxis als auch ihre literarischen Exponenten bei, zu denen solch beliebte Autoren wie Novalis und Jean Paul gehörten.94 Die Aktualität des physiognomischen Modells wurde wesentlich durch die gestei- gerte Mobilität der Epoche begünstigt, denn eben dieser verdankte sich eine Dynamik der Augenblicksbekanntschaften, bei denen es galt, die Charaktereigenschaften des Gegenübers möglichst rasch zu erkennen. Bis zur Mitte des 19. Jh.s war die Physio- gnomik ein beliebtes Modell der Menschenkenntnis nicht nur in Deutschland, sondern

94 Die Bedeutung der Physiognomik für das Schaffen Jean Pauls ist mehrmals ins Visier der Forschung geraten. Vgl. Gunnar Och: Der Körper als Zeichen. Zur Bedeutung des mimisch- gestischen und physiognomischen Ausdrucks im Werk Jean Pauls, Erlangen: Palm & Enke, 1985. Götz Müller: Jean Pauls Ästhetik und Naturphilosophie, Tübingen: Niemeyer, 1983, hier: 81 ff. u 187. Aufschlussreich über die Bedeutung der Lavaterschen Lehre für Novalis, insbesondere für den Roman Heinrich von Ofterdingen schreibt Ulrich Stadler: Novalis und Lavater. Hardenbergs „höhere Physiognomie“ im „Heinrich von Ofterdingen”. In: Physiognomie und Pathognomie. Zur literarischen Darstellung von Individualität. Festschrift für Karl Pestalozzi, hrsg. v. Wolfgang Groddeck u. Ulrich Stadler, Berlin, New York: de Gruyter, 1994, 186-201. 4.3 Körper in Heines Reiseprosa 141 auch in Frankreich. Die Lavatersche Lehre aktualisierten literarisch die „Klassiker des französischen Romans“, Stendhal (1783-1842), Victor Hugo (1802-1885) und Gustav Flaubert (1821-1880). Als ihr überzeugtester literarischer Anhänger galt in Paris Honoré de Balzac, der in die Literaturgeschichte als Verfechter realitätskonformer Mimesis einging und mit dem sich Heine in Frankreich anfreunden sollte.95 Mit seiner Physiognomik meinte Lavater ein fundiertes Modell zu liefern, das vom Äußeren auf das Innere eines Menschen schließen ließ. Seine vierbändige, aufwendig edierte, mit Übungen und Fallbeispielen zu Theorie und Praxis versehene Sammlung und Codifizierung deskriptiv exakt erfasster Körpermerkmale fokussierte das men- schliche Gesicht. Sie war auf die Ausdeutung der unveränderlichen charakterologi- schen und intellektuellen Fähigkeiten orientiert. In seinen Beschreibungen versuchte Lavater von den im Laufe einer Biographie entstandenen Einschreibungen, zu denen er z. B. Krankheitszeichen rechnete, abzusehen. Das physiognomische Modell, das „den Charakter (nicht die zufälligen Schicksale) des Menschen im weitläuftigsten Ver- stande aus seinen Äußerlichen (...) zu erkennen“96 versprach, gewann an Attraktivität durch die Tatsache, dass es kraft der Autorität des Begründers und aufgrund der detail- lierten empirischen Analysen den hohen Status systematischer Wissenschaft bean- spruchte.97 Die Suche nach den Spuren einer literarischen Aneignung des zeitgenössischen Wissenssegments „Physiognomik“ in den Texten Heines führt zu negativen Befunden, was mit der prinzipiellen Unvereinbarkeit der Grundannahmen dieses Autors mit den Prämissen der physiognomischen Lehre erklärt werden kann. Die entsprechende Begründung lässt sich aus einer Passage der Nordsee. Dritte Abtheilung (1826) ablei- ten, deren Ich-Erzähler anlässlich seines Bekenntnisses zur Metempsychose zur Überzeugung vom „Missverhältnis zwischen Körper und Seele“ (DHA 6; 152) gelangt. Die genannte Diskrepanz erkennt er als Konsequenz der großen „Weltironie, die allerley Widersprüche zwischen Seele und Körper hervorzubringen pflegt“. (DHA 6; 152) Hei- nes witzige Bemerkung über die paradoxe Beschaffenheit der Welt kann allerdings nicht als Beleg einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Physiognomik an- geführt und dem lavaterschen komplex ausgearbeiteten System von Analogien zwi-

95 Vgl. Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 8, 1147. 96 Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkennt- nis und Menschenliebe, Leipzig und Winterthur: Weidmanns Erben und Reich, 1775, Bd. 1, 3. 97 Vgl. ebd., 228. Der Anspruch der Physiognomik auf Wissenschaftlichkeit blieb nicht un- widersprochen. Die Aufklärer, u. a. Nicolai und Lichtenberg, suchten Lavater v. a. auf die Arbitrarität der physiognomischen Zuordnungen hinzuweisen. Charakteristisch für die einschlägige Argumentation erscheinen die (allerdings nicht nur erkenntnistheoretisch son- dern auch persönlich motivierten) Einwände Lichtenbergs, der auf Defizite von Lavater- schen Begründungen hinwies. Statt korrekter Konklusionen leiste Lavater nur logische „Sprünge“: „Was für ein unermesslicher Sprung von der Oberfläche des Leibes zum Innern der Seele!“ empörte sich Lichtenberg. Vgl. Georg Christoph Lichtenberg: Über Physiogno- mik; wider die Physiognomen. Zu Beförderung der Menschenliebe und Menschenkenntnis. In: Ders.: Schriften und Briefe, hrsg. von Wolfgang Promies, München: Hanser, 1972, Bd. 3, 256-295, 258. 142 4 Zur Poetologie des Leibes schen den jeweiligen körperlich-materiellen Merkmalen und den moralischen und intellektuellen Charakteristika eines Menschen entgegengesetzt werden. Das Modell der Dissonanz zwischen Körper und Charakter, d. h. zwischen „Außen“ und „Innen“ spielt eine wichtige Rolle in der frühen Lyrik Heines, die ja nicht zuletzt als literarische Bewältigung der traurigen Einsicht in die Zusammenhanglosigkeit von „Schön“, „Wahr“ und „Gut“ interpretiert werden kann.98 Dieses Urteil wird aller- dings als Folge empirisch erworbener subjektiver desillusionierender Erkenntnis und nicht als Ergebnis einer reflektierten, mit oder gegen Lavater betriebenen, systemati- schen und differenzierten „Lektüre“ körperlicher Zeichen vom Autor eingefordert. In diesem Zusammenhang erscheint es instruktiv, auf das Angebot der Körper- lektüre hinzuweisen, das Heine in der Harzreise im Kontext einer seiner immer wieder zitierten Beschreibungen entfaltet. Die Betrachtung einer älteren Dame, die der Erzähler am Brocken trifft, veranlasst ihn zu folgender Reflexion: „Jene ältere Dame war die Mutter der Jüngeren, und auch sie besaß die vornehm- sten Formen. Ihr Auge verriet einen krankhaft schwärmerischen Tiefsinn, um ihren Mund lag strenge Frömmigkeit, doch schien mirs, als ob er eins sehr schön gewesen sei, und viel gelacht und viele Küsse empfangen und erwidert habe. Ihr Gesicht glich einem Codex Palimpsestus, wo, unter den neuschwarzeren Mönchsschrift eines Kirchenvatertextes, die halberloschenen Verse eines altgriechischen Liebes- dichters hervorlauschen.“ (DHA 6; 119) Ihre Popularität verdankt die Passage Norbert Altenhofer, der sie als eine der wich- tigsten poetologischen Äußerungen des Autors identifizierte und die darin gebotene Körperbeschreibung als einen metaphorischen Kommentar Heines über die konstitu- tiven Merkmale seiner eigenen Texte deutete. Laut Altenhofer definiert Heine an der Stelle den Text als eine mehrschichtige Konstruktion aus manifestem und verborgenem Sinn. „Es gibt [für Heine K. J.] keinen Sinn des Textes außerhalb der sich überlagern- den Textschichten“99 – lautet das Fazit Altenhofers, der die Wirklichkeit der Texte Heines als eine hochgradig intertextuelle interpretiert. Im Laufe der für vorliegende Arbeit geleisteten Analysen erschien diese berühmte Passage auch als Selbstreflexion über das literarische Körperkonzept Heines von Inte- resse. Vor dem Hintergrund des „kulturellen Wissens“ der Epoche wird sinnfällig, wie Heine, ohne das lavatersche Konzept zu reflektieren, in der oben zitierten Passage noch einmal eine Position einnimmt, die als der lavaterschen entgegengesetzt zu definieren ist. Während Lavater überzeugt war, dass man „den Charakter (nicht die zufälligen Schicksale) des Menschen im weitläufigsten Verstande aus seinen Äußerli-

98 Die Situation des lyrischen Subjekts in Heines früher Lyrik beschreibt Johann Jokl folgender- maßen: „Das lyrische Subjekt leidet darunter, dass die immer wieder besungene außerorden- tliche körperliche Schönheit der Holden, Süßen und Milden (...) alles andere als ein Spiegel- bild ihres treulosen Charakters“ ist. Johann Jokl: Von der Unmöglichkeit romantischer Liebe. Heinrich Heines „Buch der Lieder“, Berlin: Westdeutscher Verlag, 1991, 12. 99 Norbert Altenhofer: Chiffre, Hieroglyphe. Palimpsest: Vorformen tiefenhermeneutischer und intertextueller Interpretation im Werk Heines. In: Ders.: Die verlorene Augensprache, 104-154, hier: 152. 4.3 Körper in Heines Reiseprosa 143 chen (...)“100 erkennen kann, deklariert Heine hier seine Überzeugung vom grundsätzli- chen Widerspruch zwischen der Seele und dem Körper. Dem Verständnis des realen Körpers als eines mehrschichtigen Konstrukts aus mehreren „Einschreibungen“, die dem Körper von dessen individuellem Schicksal eingezeichnet wurden, entspricht bei Heine das Konzept des poetisch verschriftlichten Körpers, in den der Autor mehrere Bedeutungsschichten eingeschrieben hat. Vor dem Hintergrund der Definition, mit der Heine seine Körperkonstruktionen als „Codex Palimpsestus” reklamiert, präsentiert sich die Arbeit des Interpreten als Enthüllungs- leistung, die die einzelnen Schichten abzutragen hat. Der Heine-Leser muss stets auch der Tatsache gewahr bleiben, dass sich Heine mit der Versprachlichung der leiblichen Präsenz seiner Prosa-Figuren in erster Linie die rhetorische Aufgabe einer Beglaubigung seiner Erzählung stellt. Diese verpflichtet den Autor, eine „demonstratio ad oculos“ zu leisten, sie fordert eine „evidentia“, d. h. eine „lebhaft detaillierte Schilderung eines rahmenmäßigen Gesamtgegenstandes“101, die das Erzählte glaubhaft macht. Dies lässt die Körperkonstruktionen seiner Texte vor dem Hintergrund tradierter rhetorischer Regeln deuten, die auf der Lehre von den loci communes fußen. Das Fundament der Regeln bilden die traditionellen Topoi, deren Verwendung dem Redner empfohlen wird, weil jeder sie kennt und akzeptiert. Unter den bereits in der Antike definierten loci a persona, die bei der Beschreibung eines Men- schen von Bedeutung sind, finden sich vier, die eine Rolle bei der Körperbeschrei- bung spielen. Es sind: das Alter, die Ethnie, das Geschlecht und das Temperament.102 Als Reminiszenz an die rhetorische Tradition kann neben der Benennung der ge- nannten loci die Topographisierung des Körpers kategorisiert werden. Sie erscheint der primären Bedeutung von locus als „ein Stück der Oberfläche“ verbunden,103 die eine Identität zwischen Topos und Topographie herstellt. Gemäß dieser Vorgabe wird die Darstellung des Körpers traditionell als Beschreibung einer geographischen Fläche gehandhabt, in deren Rahmen der Körper mit einem Land identifiziert wird.104 Die rhetorische Aufgabe der Veranschaulichung seiner Prosa-Figuren hat Heine offensichtlich gut gelöst. Die Forscher sind sich darüber einig, dass die – aus den genannten Gründen stark auf die Körperbeschreibung angewiesenen – Personencha- rakteristiken des Autors wesentlich zur Prägnanz seiner Reiseprosa beitragen. Diese literaturwissenschaftliche Erkenntnis geht dennoch kaum mit analytischer Zuwen- dung einher. Diese ist eine Tatsache, die sowohl auf das bis in die 90er Jahre des 20. Jh.s relativ geringe Interesse der Literaturwissenschaft am Thema „Körper“ als auch auf den Unterhaltungswert von Heines Texten zurückgeführt werden kann.

100 Lavater: Physiognomische Fragmente, 5. 101 Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik: eine Grundlegung der Literatur- wissenschaft, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1990, 399. 102 Vgl. Claudia Schmölders: Das Vorurteil im Leibe: Eine Einführung in die Physiognomik, Berlin: Akademie Verlag, 2007, 75. 103 Lausberg: Handbuch, 399. 104 Vgl. Schmölders: Das Vorurteil im Leibe, 75 f. 144 4 Zur Poetologie des Leibes

Der Sprachwitz von Heines poetischen Konstruktionen bleibt wesentlich der Fähig- keit des Autors geschuldet, im Rahmen einer abgegrenzten Mikrostruktur mehrere Diskurse gegeneinander auszuspielen. Die Beglaubigung der Strategie erreicht Heine durch Konstruktion des Erzählers. Da dieser als ein gleichsam „machtloses“, der Willkür der eigenen Eindrücke, Affekte und Gedanken und fremden Eingebungen ausgelie- fertes literarisches Subjekt inszeniert wird, spiegeln seine Äußerungen sowohl die Kontingenzen subjektiver Wahrnehmung als auch die der Sprache wider und konfron- tieren den Leser mit einer Fülle von den heterogenen Diskurspartikeln. Die Bestim- mung der Herkunft der einzelnen Diskurspartikeln erfordert heutzutage langwierige Bemühungen, häufig erscheint sie kaum möglich, oft erscheint sie kaum nötig, denn die von Heine erschaffenen poetischen Konstruktionen vermögen bis heute auch ohne Kenntnis ihrer vergessenen Kontexte eine „Konsumhaltung“ zu befriedigen. Die charakteristische Haltung von Heines Lesern beschrieb Hartmut Steinecke folgendermaßen: „Heines Leser hat durch die Fülle der Bilder und Anspielungen gar nicht die Zeit, genauer über ihre Logik nachzudenken.“105 Es ist bezeichnend, dass auch dieser Forscher, der auf eine exemplarische, informative Art und Weise die Herkunft und das Sinnangebot einiger Diskurspartikeln erschlossen hat, die Heine im Umfeld seiner Körperkonstruktionen verwendete, sich letztendlich der beschriebenen Lese-Haltung anschließt, indem er entscheidet, dass man die genannten Porträts als Einübungen in sprachliche Metaphorisierungsstrategien aufgrund der Kritierien „Sprach- artistik und/oder Unterhaltsamkeit“ beschreiben kann. Er schlussfolgert: „Wichtiger als die Deutung im einzelnen ist der Eindruck, der von diesen Bildern und ihrer sich überstürzenden Assoziationsfülle hervorgerufen wird.“106 Die folgenden Analysen stellen einen exemplarischen Versuch dar, Heines Körper- konstruktionen unter Berücksichtigung ihrer diskursiven Valenzen zu lesen, womit sie sowohl der komplexen Strukturierung der Beschreibungen als auch den darin angelegten Sinnpotentialen gerecht zu werden versuchen.

4.4 Körperbotschaften

Bevor die vorliegende Arbeit eine „am Leitfaden des Leibes“ durchgeführte Interpre- tation der Ideen. Das Buch Le Grand anbieten wird, soll anhand von drei Beispielen veranschaulicht werden, welche Umsetzung die poetischen Strategien Heines im Text der Harzreise erfahren haben und welcher interpretatorischer Gewinn aus einer ge- nauen Körperlektüre von Heines Schriften gezogen werden kann. 4.4.1 Nebukadnezar und sein Hof: Nordheimer Karikaturen Ein instruktives Beispiel der Chiffrierungsstrategien Heines liefert die Harzreise bei der Schilderung der am ersten Reisetag erfolgten Begegnung des Erzählers mit einer

105 Vgl. Hartmut Steinecke: Unterhaltsamkeit und Artistik. Neue Schreibarten in der deutschen Literatur von Hoffmann bis Heine. In: Ders.: Heines „neue Schreibart“: Eigenarten – Bedeutung – Wirkung, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 1998, 165-180, hier: 169. 106 Ebd. 4.4 Körperbotschaften 145 aus zwei Damen und einem Herrn bestehenden Reisegesellschaft. Der Erzähler ver- weigert alle Auskünfte darüber, ob sich zwischen ihm und den zufällig begegneten Reisenden ein längeres Gespräch ergeben hat. Er berichtet lediglich, dass er auf die Frage nach einer würdigen Unterkunft in Göttingen den Fragenden auf das „Hotel de Brühbach“ hingewiesen hat. Im nachträglichen Kommentar identifiziert er diese Hand- reichung als einen arglistigen Scherz, demzufolge die Herrschaften in Göttingen herumir- rend nach Logis in dem „Hotel de Brühbach“ genannten studentischen Karzer verlangen und sich damit dem Lachen der Göttinger preisgeben werden. Diesem Verhalten des im bisherigen Text durch die Dankbarkeitsbeteuerungen gegenüber seinem Arzt nicht nur als leidgeprüft, sondern als durchaus sensibel ausgewiesenen Erzählers steht der auf- merksame Leser ratlos gegenüber. Die Motivation des aggressiven Aktes der Demüti- gung von völlig unbekannten Menschen durch die Preisgabe an die Spottlust der Göttinger, die der Erzähler zu Anfang des Textes als abstoßende Philister charakte- risiert, bleibt dem Leser zunächst unbekannt. Die besondere Aufmerksamkeit, die der sensible Erzähler der körperlichen Erscheinung der Reisenden schenkt, lässt die Gründe für die Aggression zunächst in einem ästhetisch begründeten Unbehagen vermuten. Diese These findet in folgender Beschreibung des fremden Herren eine Bestätigung: „Der Herr war ganz grün gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rothe Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der König Nebukadnezar in seinen späteren Jahren ausgesehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Thiere des Waldes, nichts als Salat aß. (DHA 6; 87) Einer flüchtigen Lektüre erschließt sich ein satirisches Porträt eines geschmacklos gekleideten, wahrscheinlich dürren und womöglich alkoholisierten bzw. alkoholab- hängigen ältlichen Mannes, bei dessen Schilderung der Autor karikierend reduktio- nistisch verfährt. Fokussiert Heine das Gesicht, so greift er außer der Nase keine üblichen loci communes der Gesichtsbeschreibung auf. Er konzentriert sich vielmehr auf das Farbenspiel zwischen Kleidung und Körper, um es nachfolgend unter Vor- wand der Präzisierung der Optik als ein assoziatives „Sprungbrett“ zu funktionalisie- ren. Die assoziative Ordnung der Passage legitimiert, dass statt der an dieser Stelle zu erwartenden Konkretisierung ein Bedeutungsaufschub erfolgt. Durch eine unerwartete Wendung verweist Heine seine Leser auf ihre Bibelkenntnisse, für deren Mobilisie- rung die Mehrheit des zeitgenössischen deutschen Publikums mit Sicherheit keiner zusätzlichen Hilfestellung benötigte. Damit realisiert Heine die Anweisungen der hegelschen Ästhetik, die den Künstler Inspirationen in dem universalen Musterinventar der antiken und christlichen Überlieferung suchen ließ. Der Hinweis auf König Nebukadnezar kann keineswegs als ein Mittel eingestuft werden, das das visuelle Angebot des Textes erweitert. Während die Herrschaft Nebu- kadnezars zum Gegenstand mehrerer biblischer Bücher geworden ist, sind die Auskünfte über das Äußere des Königs äußerst spärlich.107 Die Angaben über seine

107 Vgl. u. a. Zweites Buch der Könige, Büchern Esra und Nehemia, das Buch Judith, Bücher Baruch und Jeremia, Buch Daniel. 146 4 Zur Poetologie des Leibes körperliche Erscheinung in den „späteren Jahren“, auf die sich ja Heines Beschrei- bung bezieht, sind nur an einer Bibelstelle zu finden, deren unmittelbares Umfeld von Heine bereits einmal literarisch funktionalisiert wurde.108 In der einschlägigen Bibelpassage wird eine Prophezeihung thematisiert, die der Prophet Daniel an den König Nebukadnezar gerichtet hat. Diese lautet: „Man wird dich aus der Gemeinschaft des Menschen verstoßen, und du mußt bei den Tieren des Feldes leben. Du wirst dich vom Gras ernähren wie die Rinder, und du wirst unter dem Tau des Himmels liegen.“ (Daniel 4. 23)109 Das Buch Daniel berichtet ferner, dass sich diese Prophezeihung für Nebukadnezar erfüllte: Er „fraß Gras wie die Rinder, und sein Leib lag unter dem Tau des Himmels (....), bis sein Haar wuchs so groß wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelklauen wurden.“ (Daniel 4. 30)110 Der von Heine eingeführte Vergleich leistet allerdings mehr, als die vom bibel- kundigen Leser im Akt des Lesens zu präzisierende Mensch-Tier-Analogisierung („Mann/Raubvogel“), die charakterologische Schlüsse zulässt. Der literarische Umgang mit der Bibel schöpft ja nicht nur aus der poetischen Deutung ihres Inhalts, sondern bedeutet immer auch den Umgang mit der Geschichte ihrer Exegese. Vor der Folie dieser Erkenntnis eröffnet Heines Text eine weitere semantische Dimension. Um diese erfassen zu können, müssen die Leser auf die jüdische Auslegung der Bibel zurückgreifen, in deren Rahmen König Nebukadnezar, der um 586 Jerusalem zer- stört und das Gottesvolk in die Verbannung geführt hat, die Verkörperung einer gott- widrigen heidnischen Macht darstellt, die die Zerstörung des jüdischen Volks an- strebt.111 Vor dem Hintergrund dieser Tradition wird der zeichenchafte Charakter der Beschreibung offensichtlich. Es wird deutlich, dass Heine eine Körperkonstruktion als „Chiffre“ verwendet, dank deren ein eingeweihter („esoterischer“) Leser den frem- den Reisenden als einen militanten Antisemiten identifizieren kann. Gedeutet vor der Folie ihrer intertextuellen Verweisungen entbindet die von Heine angebotene Schilderung der körperlichen Erscheinung des „Grünen“ (DHA 6; 87)112 semantische Potenziale, die eine im Zusammenhang der Kommentare von Steinecke thematisierte „Konsumlektüre“ der Passage nicht erfassen kann.113 Die Textstelle, an

108 Es handelt sich um die Schilderung des Untergangs des Gotteslästerers Belschazzar, den Heine in der gleichnamigen Romanze im Buch der Lieder poetisch thematisierte. Ihm geht im Buch Daniel der Bericht über die letzten Herrschaftsjahre von Nebukadnezar voraus. 109 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung, Freiburg, Basel, Wien: Herder- verlag, 1980, 819. 110 Ebd. 111 In Judith 1.1 erscheint Nebukadnezar nicht als Herrscher von Babylon, sondern auch als ein Assyrerkönig, was laut traditioneller Exegese auf seine Eigenschaft als übergeschichtlicher Repräsentant des sündigen Heidentums hinweist. Vgl. Die Bibel, 498. 112 Im individuellen Farbsystem Heines konnotiert „grün“, sofern nicht auf Natur angewendet, fast konstant negative Eigenschaften. Vgl. Ursula Hofstaetter: »Ein Meer von blauen Ge- danken«. Bemerkungen zur Farbverwendung bei Heinrich Heine unter besonderer Berücksichtigung des Frühwerks, HJB 1995, 1-25, hier: 11-17. 113 Hierzu vgl. S. 144 der vorliegenen Arbeit. 4.4 Körperbotschaften 147 der Heine das topische Inventar der europäischen Kultur für seine Körperkonstruk- tion funktionalisiert, erscheint als ein „Codex Palimpsestus“. Unter der „Oberfläche“ lässt sich eine weitere Textschicht ermitteln, in der Wertungen erfolgen, die dem zeitgenössischen Publikum offen nicht zu vermitteln waren. Indem Heine bei der Beschreibung der Begleiterinnen des modernen Antisemiten deren politische Couleur außer Acht lässt und sich auf ihre (fehlende) erotische Aus- strahlung konzentriert, macht er ein geschlechtspezifisches Moment geltend. Das auffallendste Merkmal dieser Beschreibung besteht in der Installierung einer für Heine charakteristischen „Zweier-Gruppe“, in deren Rahmen Figuren nach dem Kontrast- prinzip zusammengestellt werden. Das komische Beschreibungsprinzip der von Heine als „Antinomien des Daseins“114 konzipierten Paare, an denen der Autor des Öfteren das kritische Potential seiner Textes festmacht, setzt – wie das in folgender Beschreibung sinnfällig wird – auf die groteske Disproportionalität der Körper. Heine schreibt: „Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große weitläuftigte Dame, ein rothes Quadratmeilengesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen, ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu seyn schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festonirten Krägen, wie mit Thürmchen und Bastionen umbaut war. Die Frau Schwester gegenüber (...) ganz den Gegensatz zu der eben beschriebenen. (...) Das Gesicht nur ein Mund zwi- schen zwey Ohren, die Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Haide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freytisch für arme Theologen.“ (DHA 6; 87) Diese Art der Körper-Lektüre baut auf dem tradierten topisch begründeten Land- schaftsgleichnis auf, sie rekurriert zudem auf den mythisch, literarisch und bildhaft tradierten Gebrauch des weiblichen Körpers als Metapher für Land, Landschaft, Nation oder Erde, der im Rahmen der in der Aufklärung betriebenen Typologisierungen kultu- reller und ethnischer Vielfalt gerne aktualisiert wurde. Heines literarische Territorialisierungsstrategien des Körpers zielen auf groteske Verzerrung ab, indem sie beide „konturlosen“ Frauenkörper (den einen mit seinem „Quadratmeilengesicht“, den anderen mit der, dem größten deutschen Heidegebiet, der leeren Lüneburger Heide, affinen Brust) in der Landschaft zerlaufen lassen. Dieses topographische Referenzangebot, das sich scheinbar an das Visualisierungsvermögen der Leser wendet, wird gleich im ersten Vergleich ins Imaginative verschoben. Folgt der Leser Heines Vergleich zu den Grübchen in den Wangen, die „wie Spucknäpfe für Liebesgötter“ aussahen, der auf die Hässlichkeit des – von der Liebe verschmähten – Gesichts verweist, wird er womöglich die in der Rokokokunst anzusiedelnde ikono- graphische Tradition von mehrfach auf einem Bild erscheinenden Liebesgöttern („Amouretten“) als Grundlage der Passage ermitteln können. Die Erschließung dieses kulturellen Kontextes lässt die Frage nach der Größe der genannten Grübchen weiterhin offen, was die einschlägige Passage als rhetorisches Spiel zu definieren erlaubt.

114 Grubacic: Heines Erzählprosa, 12 f. 148 4 Zur Poetologie des Leibes

Hässliche Frauenkörper weisen in Heines Texten die groteske Tendenz auf, in die Gegend zu zerlaufen. Diese Tendenz scheint der mit „steifen Spitzen und festonierten Kragen“ umbaute Busen insgeheim mit dem „weitläuftigen“ Gesicht der dicken Dame zu teilen. Den einschlägigen Bezugsrahmen für die Passage hat Heine wohl im Hohelied gefunden.115 Im Hohelied sind es die Brüder der Geliebten, die für den schönsten weiblichen Körper der Bibel ein Mauergleichnis aufrufen, indem sie sagen: 8. 10. „Ist sie eine Mauer, / bauen wir silberne Zinnen auf ihr.“116 Diese architektonische Metapher wird von der Geliebten stolz aufgenommen und konkretisiert: 8. 10. „Ich bin eine Mauer, / meine Brüste gleichen Türmen. Da hab´ ich in seinen Augen / Gefallen gefunden.“117 Die biblische Metaphorik findet eine Entsprechung in der zitierten Passage der Harz- reise, in der Heine die Materialität der Kleidung (Spitzen, Vielzackigkeit, den festonier- ten Kragen118) mit der Materialität des Baustoffs (Spitzen, Bastionen und Türmchen) engführt. Gelingt es der Dame, deren Körper in die Landschaft zu zerlaufen droht, durch die Modellierung der in jeder Hinsicht „hochstapelnden“ Kleidung den Ein- druck der Festigkeit (d. h. gewissermassen einen „Mauer-Effekt“) zu erreichen, so kann ihr Körper eine Affinität zur erotischen Wirkung des vom Hohelied pathetisch beschworenen erotischen Leibs der Geliebten letztendlich nur im Modus der Parodie behaupten. Heines Beschreibung erfolgt vor dem mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund der Zeit um 1800, in der das herrschende Körperideal und extreme Körperfülle einander ausschließen, da letztere mit erotischer Zügellosigkeit synonym gesetzt wird. „Alles, was üppig schwillt, bezeugt Wollust“ – fasst der Kunstforscher Bernhard Maaz den einschlägigen Epochenkonsens zusammen.119 Im moralinsauren medizinischen Dis- kurs des frühen 19. Jh.s wird das überlieferte Klischee „dick–sündig“ übernommen und unter Berufung auf den Begriff des Geistes neu fundiert. Die Körperfülle, die übermäßige Stoffaufnahme beweist, wird in dieser Zeit auf Verstöße gegen die Selbst- disziplin und auf Maß- und Hemmungslosigkeit zurückgeführt. Demnach lässt sie

115 Zur metaphernspendenden Rolle der Attribuierungskataloge des Hohelieds für das Buch der Lieder vgl. Margaret A. Rose: Die Parodie: Über die Struktur der biblischen Sprache in Heines Lyrik, Meisenheim am Glan: A. Hain, 1976, hier: 67. Auf die hier analysierte Stelle geht Rose nicht ein. 116 Die Bibel, 652. 117 Ebd. 118 Das phonetisch mit der „Festung” verwandte Verb „festonieren“ kommt aus dem Französi- schen und bedeutet „mit Blumenbehängen schmücken, die Ränder besticken“. Die letztere Bedeutung scheint für die erörterte Stelle zuzutreffen. „Bestickung“ bedeutet u. a. auch „Befestigung“ des Stoffes. 119 Maaz: Kunst und Sinnlichkeit, 103. 4.4 Körperbotschaften 149 auf „geringere geistige Natur“ eines Menschen deuten,120 während Schlankheit nicht nur mit moralischer Stärke und Kultiviertheit, sondern auch schlechthin mit höherer Geistigkeit gleichgesetzt wird. Das gilt allerdings nur so lange, bis sie in hässliche Auszehrung ausartet, denn diese wird von Heines Zeitgenossen genauso wie Korpu- lenz als „entschiedene Herabsetzung des bewußten Geistes“121 moniert, ferner mit Geiz assoziiert122 und als abstoßend empfunden. Vor der Folie der letzteren Erkenntnisse überrascht es nicht, dass sich der Ich- Erzähler der spindeldürren „Frau Schwester“ mit deutlichem Widerwillen zuwendet. Entsprechend dem geringeren Körpervolumen dieser Figur nimmt sich die Beschrei- bung ihres Körpers wesentlich bündiger als im Falle der dicken Dame aus. Während die Gesichtsfläche radikal reduziert wird („Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwey Ohren“) wendet sich der Autor der öden Körperlandschaft der „Frau Schwester“ zu, um ihm unter Rückgriff auf weniger konventionalisierte, autobiographisch verbürgte Kontexte (die Habsucht der Göttinger Studentenwirte und biographische Remini- szenzen seines Aufenthalts in der „Residenz der Langeweile“ – Lüneburg123) meta- phorisch beizukommen. Während in Heines Beschreibung die dicke „Frau Gemahlin“ eine „hypertrophe Sinnlichkeit“ repräsentiert, entspricht ihre abgezehrte Schwester dem Typus der „berech- nenden Ratio“124, womit Heine den gängigen Epochenzuschreibungen folgt. (Vgl. Anm. 122 dieser Arbeit) In der Aussschließlichkeit ihres jeweiligen Anspruchs erscheinen beide Varianten des Frauenkörpers gleich abstoßend. „Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den magern.“ (DHA 6; 87) lautet das Fazit des Erzählers, mit dem er beide Frauenfiguren kraft eines biblischen Vergleichs dem Tier- reich zuführt. Damit schreibt er den Figuren chimärische Identitäten zu, er stigmati- siert sie als Monstren und beglaubigt den grotesken Charakter seiner Beschreibung. Als Zwischenergebnis der Betrachtung kann Folgendes festgehalten werden: Heines Beschreibungen konzeptualisieren den Körper sowohl unter Berufung auf die tradierte metaphernspendende Kraft der Bibel und der griechischen Mythologie als auch auf die autobiographischen Erfahrungen des Autors. Sie sind mehrschichtig strukturiert. Außer der „manifesten“ ist eine in Anlehnung an den kulturellen Kontext gestaltete, „verborgene“ Ebene festzustellen, deren Entdeckung Rückschlüsse auf die Wertung der jeweiligen Figur erlaubt.

4.4.2 Der Körper des Kantianers Besondere Aufmerksamkeit kann im Zusammenhang der Harzreise das eigenwillige Porträt des Philosophen und Anhängers des Kantschen Idealismus Saul Ascher bean-

120 Ebd. 121 Carl Gustav Carus: Die Symbolik der menschlichen Gestalt. Ein Handbuch zur Menschen- kenntnis, Leipzig: Brockhaus, 1958, 81. 122 Ebd., 91. 123 Joseph Kruse: Residenz der Langeweile. In: Ders.: Denk ich an Heine: biographisch-litera- rische Facetten, Düsseldorf: Droste, 1996, 80-106, hier: 97. 124 Olaf Hildebrandt: Emanzipation und Versöhnung, 182. 150 4 Zur Poetologie des Leibes spruchen.125 Die literarische Präsenz dieser Figur im genannten Text erscheint begrün- det durch das Anliegen, das „Panorama Deutschlands“ mit dem Typus eines militanten Kantianers zu ergänzen, an dem Heine seine eigenen zu dieser Zeit im Wesentlichen der Romantik affinen geistigen Positionen profilieren konnte. Am Beispiel von Aschers Körperbild lässt sich exemplarisch zeigen, auf welche Art und Weise Heine manche Wissensbestände seiner Epoche poetisch fruchtbar zu machen wusste. Der Kantianer Saul Ascher ist zur Handlungszeit der Harzreise bereits tot, daher wird er – dem eigenwilligen Authentizitätsanspruch der Reisebilder gemäß – unter Berufung auf die Lizenzen der Erinnerung, der Traumvision und/oder Gespensterer- scheinung in die Handlung hereingeholt. Gerade diese Lizenzen erlauben Heine, eine poetisch fruchtbare Konfrontation der intellektuellen Ordnungen des Rationalismus und der Romantik zu entwerfen. Dies geschieht, indem Heine die Erscheinung des Aufklärers Ascher in dem düsteren literarischen setting einer Gespenstergeschichte herbeizitiert, in der der Geist des verstorbenen Aufklärers in das Zimmer des durch die Lektüre von Spukgeschichten entsprechend konditionierten Studenten um Mitter- nacht erscheint. An diese nächtliche Erscheinung erinnert sich der Student folgender- maßen: „(...) ich zitterte wie Espenlaub und kaum wagte ich, das Gespenst anzusehen. Es sah aus, wie sonst, derselbe transcendentalgraue Leibrock, dieselben abstracten Beine, und dasselbe mathematische Gesicht; nur war dieses etwas gelblicher als sonst, auch der Mund, der sonst zwey Winkel von 22 ½ Grad bildete, war zusammen- gekniffen, und die Augenkreise hatten einen größeren Radius. Fürchten Sie sich nicht, und glauben Sie nicht, daß ich ein Gespenst sey. Es ist Täuschung ihrer Phantasie, wenn Sie mich als Gespenst zu sehen glauben. Was ist ein Gespenst? Geben Sie mir eine Definition? Deduzieren Sie mir die Bedingungen der Möglichkeit eines Gespenstes? – Und nun schritt das Gespenst zu einer Analyse der Vernunft, citierte Kants »Kritik der reinen Vernunft«, construierte alsdann den problemati- schen Gespensterglauben, setzte einen Syllogismus auf den andern, und schloss mit dem logischen Beweise: daß es durchaus keine Gespenster giebt. Mir unter- dessen lief der kalte Schweiß über den Rücken, meine Zähne klapperten wie Kastag- netten, aus Seelenangst nickte ich unbedingte Zustimmung bey jedem Satz, womit der spukende Doctor die Absurdität aller Gespensterfurcht bewies, und derselbe demonstrierte so eifrig, daß er einmal in der Zerstreuung, statt seiner goldenen Uhr, eine Hand voll Würmer aus der Uhrtasche zog und seinen Irrthum bemerkend, mit possierlich ängstlicher Hastigkeit wieder einsteckte. Die Vernunft ist das höchste – da schlug die Glocke: Eins! – und das Gespenst verschwand.“ (DHA 6; 104)

125 Saul Ascher (1767-1822) war tätiger Verfechter der Verbesserung der Lage der Juden in Deutschland und Autor von mehreren Schriften, u. a. Bemerkungen über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1788), Leviathan, oder über Religion in Rücksicht des Juden- tums (1792), Büchern wie Germanomanie (1815) und Die Wartburgsfeier (1818), in denen er die deutschtümelnden Turner und Burschenschaften angriff. (DHA 2; 609 f.) Diesen Aktivitäten des ihm nicht unsympathischen jüdischen Gelehrten stand Heine respektvoll gegenüber. 4.4 Körperbotschaften 151

Heines literarische Strategie führt die fanatisch-aufklärerischen mit den romantischen literarischen Argumentationsordnungen zusammen. Dem in das poetische Paradoxon der eigenen Gespenstererscheinung verstrickten Geist des Aufklärers gibt Heine nur eine Chance, seine Identität aufrechtzuerhalten, die im mutigen Anzweifeln eigener spuk- haften Existenz besteht. Dies erlaubt Heine den skeptischen Rationalismus satirisch als eine Art Verdrängung der Realität zu perspektivieren.126 An die körperliche Erscheinung Aschers zu dessen Lebzeiten erinnert sich Heines Erzähler, indem er vor dem inneren Auge den alten Bekannten sieht: „mit seinen abstrakten Beinen, mit seinen engen transcendentalgrauen Leibrock, und mit einem schroffen, kalten (...) Gesichte, das einem Lehrbuche der Geometrie als Kupfertafel dienen konnte. Dieser Mann war eine personifizirte grade Linie.“ (DHA 6; 103) Im Traum des Erzählers sieht Ascher folgendermaßen aus: „wie sonst, derselbe transcendentalgraue Leibrock, dieselben abstracten Beine, und dasselbe mathematische Gesicht; nur war dieses etwas gelblicher als sonst, auch der Mund, der sonst zwey Winkel von 22 ½ Grad, bildete war zusammen- gekniffen, und die Augenkreise hatten einen größeren Radius“. (DHA 6; 104) Die wohl berühmteste Engführung des menschlichen Leibs und Geometrie, bildet die sog. „vitruvianische Figur“. Diese antike Zeichnung, die einen nackten Mann darstellt, dessen Körper in die geometrischen Koordinaten eines Quadrats und eines Kreises eingezeichnet wurde, sollte ein Exemplum für Maßverhältnisse beim Tempel- bau darstellen und zugleich die ideale Körperarchitektur als ein Meisterwerk von idealen Proportionen und Schönheit feiern.127 Heines Engführung der Geometrie und des menschlichen Körpers dient indes nicht der Feier des letzteren, sondern leistet eine groteske Verzerrung der leiblichen Erscheinung des Gelehrten, der mit seinem Verstand eins geworden ist. Das entsprechende Kommentar S. S. Prawers lautet: „(...) Heine makes no pretence of giving his readers a fully rounded portrait, but a brilliant caricature heightening just one feature, and a symbolic representation of anti-romantic tendencies in nineteenth-century intelectual life, in which a man’s personal appearance is made to reflect his habitual preoccupations.”128 Die eigenartige Verzerrung, die Heine der körperlichen Erscheinung Aschers zuteil werden lässt, ist deskriptiv auf das Prädikat „ganzheitlicher Mathematisiertheit“129 zurück- geführt worden. Überdies wird sogar auf die „moderne“, d. i. „gleichsam kubistische

126 Vgl. Monica Tempian: „Ein Traum, gar seltsam schauerlich...” Romantikerbschaft und Experimentalpsychologie in der Traumdichtung Heinrich Heines, Göttingen: Wallstein Verlag, 2005, 78. 127 Vgl. Hans Belting: Bildanthropologie. Entwürfe einer Bildwissenschaft, München: Fink, 2001, 101 f. 128 Prawer: Heines Jewish Comedy, 105. 129 Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babilons, München: dtv, 1998, 87. 152 4 Zur Poetologie des Leibes

Zeichnung der Gestalt“130 hingewiesen. Prawer erklärt Heines Verfahrensweisen als einen bildlichen Hinweis auf die intensive Auseinandersetzung vieler jüdischer Gelehrten mit Mathematik.131 M. E. ist die besondere Qualität des literarischen Porträts in seiner spezifischen Leistung der Fiktionalisierung von gelehrtem Wissen zu sehen, in der das Gewusste zum Zeichenarsenal für eine autonome literarische Programmierung wird.132 Besonders relevant im Zusammenhang erscheint die Tatsache, dass die gesamte deskriptive Passage durchaus als Moment intellektueller Selbstauskunft betrachtet werden kann, bei der Heine seine souveräne Handhabung der kantschen Begrifflich- keiten und logischen Argumentationsmuster unter Beweis stellt.133 Grundlegend für den wissenskritischen Sinnzusammenhang der Passage und ihr Körperkonzept erscheint die als Referenztext aufgerufene Kritik der reinen Vernunft (1781), in der Kant die fundamentale Frage nach der epistemologischen Bedeutung und Funktionen der sinnlichen und begrifflichen Erkenntnis stellt. Kants Leistung besteht bekanntlich im Angebot der Vermittlung zwischen diesen beiden Erkenntnis- modi. Die sinnliche Wahrnehmung anerkennt der Königsberger Philosoph als unab- dingbare Bedingung der Erkenntnis. Diese These greift Heine auf, um sie auf diesen Satz zu reduzieren: „Vernunft verbietet nicht die Sinnlichkeit“ (DHA 2; 103). Mit ihm kommentiert der Erzähler die Besuche von mehreren „schönen Mädchen“ im Hause Aschers, die er als konsequente Befolgung der philosophischen Erkenntnis- lehren Kants auslegt und kontextualisiert das methodologische Theorem ironisch im trivialen Umfeld der nicht erhabenen Erotik. Im Fokus von Heines Interesse steht jedoch der zweite, Möglichkeiten der objek- tiven Erkenntnis gewidmete Teil der Kritik, in dem Kant zur Bedingung des „eigent- lichen“ Wissens die Einbettung der Sinnesdaten in die Matrix der a priori formulierten Begriffe und objektiven Urteile erklärt, die mathematisch gewonnen werden können.134

130 Markus Winkler: Heines mythisches Denken zwischen Romantik und Realismus, 46. 131 Prawer: Heines Jewish Comedy, 230. 132 Zum spielerischen Charakter der auf die funktional bedingte Suspension heuristischer Zwecke vertrauenden poetischen Wissensfiktionen vgl. Wolfgang Iser: Das Fiktive und das Ima- ginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1991, 426 ff. 133 Unter Hinweis auf die Affinität zum Titel lässt sich behaupten, dass das skurrile Nachtsze- nario eventuell eine narrative Variation zu Kants Träumen eines Geistersehers (1766) dar- stellen könnte, in denen der Philosoph jegliche Aussagen über die Geistererscheinungen als logisch unzulässig und die Seher von „Hirngespenstern“, d. i. die „Träumer“ für pathologi- sche Individuen erklärt, „deren Organe eine ungewöhnlich große Reizbarkeit haben, die Bilder der Phantasie durch harmonische Bewegung mehr zu verstärken, als es gewöhnlicher Weise bei gesunden Menschen geschieht und auch geschehen soll“. Kant: Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik. In: Ders.: Werke in zwölf Bänden, Bd. 2, 921-991, hier: 948 f. 134 Dieses Theorem, laut dem die wahre Wissenschaft nie „rhapsodistisch“, d. h. als Anreihung von empirisch aufgelesenen Bruchstücken formuliert werden kann, sondern mit abstrakten, logischen, das Gebiet der sinnlichen Erfahrung übersteigenden (transzendentalen) Begriffen und aufgrund von logischen, mathematischen Operationen zu gewinnenden objektiven Er- kenntnisurteilen „architektonisch“ strukturiert werden muss, war eins der wissenstheore- tisch fruchtbarsten Konzepten des 18. Jh.s. 4.4 Körperbotschaften 153

Heines komisierende Beschreibung suggeriert zwar Exaktheit, dennoch überlässt sie die Konkretisierung markanter Unbestimmtheitstellen („transcendendalgrauer Leibrock“, „abstracte Beine“, „Gesicht, das einem Lehrbuche der Geometrie als Kupfertafel dienen könnte“) den Lesern. Auf der lexikalischen Ebene ließe sich Heines Verfahren als eine Konzeptualisierung des Körpers durch konsequente Zuordnung jedes genannten Teils der körperlichen Erscheinung zu einer der mathematischen Begrifflichkeiten Kants beschreiben. Ascher wird somit nicht nur als „personifizierte gerade[n] Linie“, sondern auch als personifizierte „reine Wissenschaft“ und „be-rech- nende Ratio“ vorgeführt.

4.4.3 Frau ohne Körper Eine besondere Verdichtung der poetischen Reflexion über den Körper und dessen Abbildung in der Kunst installiert Heine im Kontext der Beschreibung von Goslar, der Joseph Kruse die zentrale Funktion für die Perspektivierung der wichtigsten Themen des Textes zuerkannte.135 Die im Zusammenhang des gesamten Wander-Buchs geradezu statische, d. h. länger an ein einen Ort gebundene, Goslarer Passage beschreibt einen eintägigen Aufenthalt des Erzählers in der Stadt. Außer der bereits thematisierten Kirchenbesichtigung erfasst sie ein Wirtshausgespräch über orientalische Bestattungssitten, einen Friedhofsbesuch, einen Spaziergang durch die Stadt und eine Traumvision des Protagonisten. Die Bedeu- tung der Kirchenbesichtigung für die Ausformulierung der poetologischen Abgren- zung zwischen dem „Körper der Medizin“ und dem „Körper der Kunst“ ist bereits erörtert worden. Im Anschluss an die gegen wissenschaftliche Strategien der Körperdar- stellung gerichtete Passage liefert der Text zwei aufschlussreiche Beispiele „poetischer“ Körperkonstruktionen. Da die Erfassung der einschlägigen Verfahrensweisen des Autors ohne Bezugnahme auf ihre textuelle Einbettung unmöglich erscheint, soll das Umfeld des jeweiligen Körperbildes eingehender berücksichtigt werden. Der reisende Student erzählt: „Der Kirchhof in Goslar hat mich nicht sehr angesprochen - desto mehr aber jenes wunderschöne Lockenköpfchen, das (...) aus einem etwas hohen Parterrefenster lächelnd herausschaute. (...) Als ich eine Stunde später an demselben Hause vor- beyging, stand die Holde im Fenster (...). Ich hatte jetzt das schöne Antlitz noch genauer gesehen; es war eine süße, durchsichtige Verkörperung von Sommerabend- hauch, Mondschein, Nachtigallenlaut und Rosenduft.“ (DHA 6; 101) Zweifellos gelingt es Heine zu vermitteln, dass das Mädchen nicht nur wunder- sondern auch „bildhübsch“ sei. Nicht zufällig umfasst er die Erscheinung mit einem (Fenster-) Rahmen, der die verklärende porträtartige und stereotype Stillstellung des Mädchen- körpers verdeutlicht. Die Statik wird durch einen martialischen Auftritt des Studenten kurz aufgebrochen, der mit der „Zauberformel, (...) wodurch unsere Roth – Blauröcke,

135 Joseph Kruse: „In meiner Brust war es plötzlich so heiß“. In: Ders.: Denk ich an Heine, 106-110, hier: 109. 154 4 Zur Poetologie des Leibes

(...) die Herzen der Frauen bezwingen: »Ich reise morgen fort und komme wohl nie wieder«“ (DHA 6; 101) ein Treffen im Hausflur und einen geheimen „Widerdruck der lieblichen Lippen und der kleinen Hände“ (DHA 6; 101) ergattert. Beide Figuren verlassen allerdings nicht den Rahmen der geschlechtsspezifischen Rollenzuschrei- bungen des „kecken Studenten“ und des „schönen Mädchens“. Das Anliegen der Einfügung der mit den Attributen eines lauen Sommerabends, als sanft- und anmutig, still und verklärt beschriebenen Erscheinung scheint motiviert durch das Bedürfnis, das „deutsche Panorama“ um eine Verkörperung der epochenspezifischen weiblichen Tugenden zu ergänzen.136 Das Gesicht des Mädchens fügt sich in eine Reihe mit den von Heines sensiblem Ich-Erzähler generell dankbar registrierten blassen Frauenge- sichtern, die „nie reitzen, selten entzücken und immer gefallen“ (DHA 6; 118). Die- sem Anblick attestiert der Protagonist folglich eine sedierende Wirkung auf seinen zerrütteten emotionalen Haushalt und somit auch auf seine Gesundheit mit der Behaup- tung: „Ich liebe solche Gesichter, weil sie mein schlimmbewegtes Herz zur Ruhe lächeln.“ (DHA 6; 130) Auskünfte über die körperlichen Merkmale der Goslarerin oder zumindest über ihr „schönes Antlitz“ scheint der Text indes zu verweigern, indem er es als „eine süße, durchsichtige Verkörperung von Sommerabendhauch, Mondschein, Nachtigallenlaut und Rosenduft“ (DHA 6; 101) umschreibt. Das einzige jedoch, was mit dieser Liste romantischer und, wie es scheint, im Rahmen des romantischen Fundus frei austauschbarer Klischees zunächst sinnfällig wird, ist das defizitäre Visualisie- rungsangebot des Textes. Der Eindruck der Austauschbarkeit hört allerdings auf, wenn der genannte Merk- malkatalog als metaphorische Substitution einer anderen Reihe, nämlich einer Reihe sinnlich fassbarer Qualitäten: der Süße, einer sanften Berührung, des gedämmten Lichtes, einer wohllautenden Stimme und eines schönen Geruchs gelesen wird. Die zweite durch den Leser im Akt der Lektüre herzustellende Liste lässt die ästhetischen Entscheidungen des Autors nachvollziehen, der über einen „durchsichtigen“ Körper zu sprechen versucht und dies auch leistet, lässt aber den Körper der jungen Frau nicht entscheidend konkreter werden. In dem Maße, wie die Passage den Blick auf die Materialität jenes wahrgenommenen Frauenkörpers verstellt, legt sie die Perspektive auf die sinnliche Wahrnehmung des literarischen Subjekts frei, dessen Körper als ihr eigentl- iches Sujet zu definieren ist. Nur ein mit sensiblen Wahrnehmungsfähigkeiten ausge- statttes Subjekt kann die im Text genannten sanften Reize empfangen und goutieren. Es erscheint naheliegend, die von Heine genannte Reihe auf das ikonographische Modell der „Fünf Sinne“, das heißt jenes ikonographische Paradigma rückzudekli- nieren, mit dem in der bildenden Kunst das Sujet der sinnlichen Erkenntnis themati- siert wird. Heines Text nimmt tradierte Bildmuster auf, um sie epochengemäß fortzuschreiben. Die zitierte Passage fokussiert nicht nur eine (sanfte) Mobilisierung aller Sinnesmoda- litäten, sondern auch einen Wahrnehmungsakt, in dem die tradierte Sinneshierarchie aufgehoben wird. Mit der einleitenden Formel „ich habe das schöne Antlitz noch

136 Bernhard Maaz: Kunst und Sinnlichkeit im 19. Jahrhundert, 52. 4.4 Körperbotschaften 155 genauer gesehen“ beruft sich der Autor auf den tradierten Primat des Sehsinns. Jenes „genauere Sehen“ definiert sein Text allerdings bald als eine alle Sinnesbereiche synthetisierende Wahrnehmung. Die zitierte Textstelle, an der Heine die körperliche Erscheinung einer zufälligen Reisebekanntschaft en passant wiedergibt, erweist sich bei genauerer Lektüre als eine durchdachte poetische Konstruktion, bei der es sich um eine Konzeptualisierung des weiblichen Körpers im Medium seiner Wahrnehmung handelt. Überdies kann diese Passage als ein Versuch interpretiert werden, die in der Romantik favorisierte totali- sierende Wahrnehmungsform der Synästhesie zu erfassen, und zugleich als ein Hinweis auf die besondere Sensibilität des männlichen Subjekts. Die Frage: „Welches Körperkonzept versucht Heine seinen Lesern zu vermitteln?“ kann nach der Analyse von drei Körperkonstruktionen folgendermaßen beantwortet werden: Die Suche nach Spuren der durch zeitgenössische Autoren in literarischen Texten am häufigsten thematisierten außerliterarischen Diskursen – des medizinischen und des physiognomischen – führt im Fall Heines – sieht man von den wenigen Splittern des ersteren Diskurses ab – zu negativen Befunden. In seinem ausdrücklich formu- lierten Anspruch einer „poetischen“ Gestaltung des Körpers rekurriert der Autor vor- nehmlich auf die tradierten metaphernspendenden Texte, die Bibel und die Mythologie, die er synkretistisch einsetzt, um in seinen Werken Sinnpotentiale zu chiffrieren, die dem Leser auf eine andere Art und Weise nicht zugemutet werden konnten. Die Körper- bilder des Autors weisen eine Doppelstruktur auf. Die manifeste „Oberfläche“ der Körperbeschreibung verweist auf ein ikonographisches (bzw. visuelles) Paradigma, dessen Interpretation eigene Sinnpotentiale entbindet.

5 Poiesis des Leibes in Ideen. Das Buch Le Grand

5.1 „Ein Fragment aus meinem Leben ...“ – zur Entstehung des Textes

Indem Heine die Körperkonstruktionen seiner Texte am überlieferten topischen Fun- dus orientiert, bestätigt er ihre Teilnahme an kulturellen Traditionsbeständen. Im Sinne der im vorigen Kapitel dieser Arbeit vornehmlich anhand von Hegels Vorlesungen über die Ästhetik näher erörterten Postulate idealistischer Kunsttheorien kann Heines poetischer Umgang mit dem Körper als „Überführung des Körpers in die Sphäre des Geistes“, bzw. als seine „Vergeistigung“1 definiert werden, die laut kunstidealistischen Theoremen mit der kreativen Überwindung von Partikularität und Kontingenzen der realen Erscheinungen einhergeht. Ein instruktives Belegmaterial, an dem sich einschlägige ästhetische Verfahren des Autors eindrucksvoll nachvollziehen lassen, lieferte Heine mit Ideen. Das Buch Le Grand, in denen er das Phänomen „Körper“ so variantenreich und intensiv wie in keiner anderen seiner Schriften poetisch gestaltete. Um diese These begründen zu können, erscheint es geboten, zumindest kurso- risch auf die Entstehung und den Inhalt des genannten Textes einzugehen, an dem Heine während des Herbsts 1826 und der Wintermonate 1826/27 arbeitete. In diesem Zeitraum hielt sich der nach seinem Studienabschluss arbeitslose Jurist teilweise im Lüneburger Haus seines bankrotten, rechtlich entmündigten und kranken Vaters auf, teilweise absolvierte er Besuche bei seinen wohlhabenden, ihm dennoch nicht son- derlich wohlgesonnenen Hamburger Verwandten.2 Diesen Text, den Heine in einer bedrückenden Lebensphase schuf, zeichnet eine Komplexität aus, der die irritierte zeitgenössische Kritik mit dem Attribut „blaue Regellosigkeit“ begegnete. Die biogra- phistisch orientierte Heine-Forschung sollte sich bis in die späten 60er Jahre des 20. Jh.s an diesem Werk abarbeiten, das gemäß dem aktuellen Forschungskonsens als komplexester und schwierigster Text des Autors gilt.3

1 Die These stützt sich auf den „Geist“-Begriff Hegels, der darunter sowohl den endlich- menschlichen Geist in der Vergewisserung seiner Freiheit als auch den göttlichen Geist versteht, der sich im freien Produzieren des Menschen offenbart. Hierzu: vgl. S. 119 dieser Arbeit. 2 Auf die ungünstige Aufnahme bei den Verwandten zurückschauend teilt Heine Karl Immer- mann am 14. Oktober 1826 mit: „Ich verließ Göttingen, suchte in Hamburg ein Unterkom- men, fand aber nichts als Feinde, Verklatschung und Aerger.“ (HSA 20; 262) 3 Zur Rezeption der Ideen vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 210, 222 f. 158 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Der zur Zeit der Niederschrift des Textes entstandenen Korrespondenz Heines, die neben charakteristischen genauso häufigen wie vagen Informationen über sein schlechtes Allgemeinbefinden4 zahlreiche selbstbewusste Bemerkungen über den Ablauf und Wert seiner Arbeit an der gerade entstehenden Schrift liefert, können wir entnehmen, dass der junge Autor mit dem neuen Buch ein Prosaexperiment anstrebte, das an intellektuellem Gehalt, an Komplexität und Prägnanz alles von ihm bisher Geschriebene übertreffen sollte. Er zeigt sich zuversichtlich im Hinblick auf die künftige Anerkennung seiner außerordentlichen intellektuellen Leistung, indem er unter Hin- weis auf die Qualität des gerade entstehenden Textes erklärt: „Ich werde eine ganz extraordinäre Professur erlangen an der Universität hoher Geister.“ (HSA 21; 260) Die Qualität des entstehenden Textes wird nicht zuletzt mit der Diskrepanz zwischen der Menge des Gelesenen und des Geschriebenen erklärt. In diesem Sinne schreibt Heine an den Freund Friedrich Merckel: „Ich denke viel, lese viel, und es kann einst etwas aus mir werden“ (HSA 20; 259), gegenüber Karl Varnhagen behauptet er: „Ich schreibe wenig, aber das Wenige ist sehr gut und wird (...) gefallen.“ (HSA 20; 261) Heines briefliche Verweise auf seine für die Herstellung eines relativ schmalen Textvolumens benötigte intensive Lektüre verdienen im Zusammenhang der vorlie- genden Arbeit besondere Aufmerksamkeit. Die einschlägigen Lesebedürfnisse des Autors können nämlich kaum mit der Notwendigkeit der Ergänzung von faktographi- schen, z. B. historischen oder topographischen Informationen erklärt werden. Mit Ideen. Das Buch Le Grand liegt zwar ein Text vor, den Heine durch die Integration in den Zyklus der Reisebilder in die Reiseprosa einordnete, in dem er sich allerdings nicht mit etwaigen Reiseerfahrungen, sondern mit den subjektiv gedeuteten Ereignissen seiner eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzte. Explizit definierte er ihn als ein „selbst- biographische[s] Fragment“ (HSA 20; 267), in dem er den „rein freyen Humor“ (HSA 20; 267) versucht hatte. In einer Abwandlung der Definition bezeichnete er den Text als „ein Fragment aus meinem Leben, im keksten Humor geschrieben“. (HSA 20; 271) Da die Zentrierung der Ideen auf die subjektiven Erfahrungen kaum intensive faktographische Recherchen von Heine erfordert haben mochte, erscheint es gerecht- fertigt zu behaupten, dass er seine ausgiebige Lektüre als notwendig für die ästhetische Formung des Erlebten erachtete. Aufgrund der folgenden Analysen der Körperkonstruktio- nen des Textes lässt sich belegen, dass die in ihre Modellierung integrierten Bildungs- inhalte durchaus das Ergebnis der von Autor erwähnten Lektüren darstellen können.5

4 Die Ergebnisse der unmittelbar vorausgegangenen längeren Seebadkur beurteilt Heine in dem am 6. Oktober 1826 an Friedrich Merckel gerichteten Brief folgendermaßen: „Leider befinde mich noch immer von Kopfschmerzen gequält, obschon das Bad mir erstaunlich heilsam war.“(HSA 20; 260) Eine Woche darauf beklagt er sich bei dem Freund über den langsamen Fortgang seiner Arbeit: „Ich befinde mich schlecht u Alles geht langsam“ (HSA 20; 261). In dem am 24. Oktober desselben Jahres entstandenen Brief, der auf die Ergebnisse der Badekur eingeht, schreibt Heine an Varnhagen: „Es war mir gewiß sehr heilsam, doch habe ich eine radikale Wirkung noch nicht verspürt und befinde mich noch immer ein kopf- schmerzengeplagter Mensch.“ (HSA 20; 269) Am 16. November 1826 berichtet Heine, er befinde sich bereits wieder „grösstenteils en misére“ (HSA 20; 274) 5 An einer Textstelle, an der das Wissen eines Schriftstellers im Sinne seines sozialen Kapitals 5.1 „Ein Fragment aus meinem Leben ...“ 159

Die Analyse der Körperkonstruktionen der Ideen macht begreiflich, dass die „Reise“, die aufgrund der Gattungszuordnung als zentraler Aspekt dieses Textes zu betrachten ist, als eine Wanderung des literarischen Subjekts durch das Archiv der europäischen Kultur verstanden werden kann, in dem laut Heines Lehrer, Hegel, die Welt des Geistes ihren Niederschlag fand. Mit diesem Deutungsangebot möchte die vorliegende Arbeit die von Gerhard Höhn festgehaltene Interpretation ergänzen, nach der sich im Falle der Ideen nur im übertragenen Sinne von einer Reise sprechen lässt, „die in die biogra- phische oder in die zeitgeschichtliche Vergangenheit führt“6. Bei der Niederschrift von Erfahrungen seiner intellektuellen Wanderung durch den überlieferten kulturellen Fundus folgt Heine den Postulaten Hegels, der vom Künstler verlangte, dass er bei der Befolgung der tradierten idealen Muster dem Ge- bot der künstlerischen Freiheit, d. h. „der inneren Lebendigkeit seines Gemüts und seiner Phantasie“ folge.7 Auf diesem in der künstlerischen Subjektivität verankerten kreativen Modus des Umgangs mit der Überlieferung insistiert Heine poetologisch zusätzlich, indem er den „freyen Humor“ zum bestimmenden Gestaltungsprinzip des Textes erklärt. Das Sinnangebot dieser Erklärung erschließt sich erst durch die Heranziehung der historischen Bedeutung des Begriffs „Humor“, der im Rahmen und der Nachfolge der frühromantischen Ästhetik in den kunsttheoretischen Diskussionen um 1800 als wesentliches Moment der modernen Welterfahrung und des künstlerischen Umgangs mit der Realität zu den wohl am häufigsten diskutierten Begriffen gehört. Gemäß den in Deutschland zu Anfang des 19. Jh.s dominierenden ästhetischen Konzepten wird Humor als Ausdruck der conditio humana und als Möglichkeit ihrer ästhetischen Bewältigung definiert.8 Im Rahmen der ästhetischen Diskussionen ver- wenden Heines Zeitgenossen den Begriff in doppelter Bedeutung. Zunächst dient er reflektiert wird, spricht der als Sprachrohr des Autors auftretende Ich-Erzähler den Bildung- sinhalten eine besondere Relevanz bei der Gestaltung eines literarischen Textes zu.In die- sem Zusammenhang prahlt er über die Geschicklichkeit, mit der er diverse Bildungsinhalte in seinen Text zu integrieren weiß: „Überall finde ich Gelegenheit, meine tiefe Gelahrtheit anzubringen. (...) Außerdem kenne ich den Kunstgriff großer Geister, die es verstehen, die Korinthen aus den Semmeln und die Zitate aus den Kollegienheften herauszupicken; ich weiß auch, woher Bartels den Most holt. Im Notfall könnte ich bei meinen gelehrten Freun- den eine Anleihe von Zitaten machen. Mein Freund G. in Berlin ist sozusagen ein kleiner Rothschild an Zitaten und leiht mir gern einige Millionen, und hat er sie nicht selbst vorrätig, so kann er sie leicht bei einigen andern kosmopolitischen Geistesbankiers zusammenbrin- gen – (...).“ (DHA 6; 202 f.) Dieses Zitat erscheint aus zweifachem Grund vom Interesse. Erstens bekennt sich der Protagonist zur Strategie des „Herauspickens von Zitaten aus den Kollegheften“, d. h. zur Selektion von kleinen Wissensmengen, die aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen, sein Werk zieren sollen. Zweitens bekennt er, dass er die Wissenssegmente zumindest partiell second hand („durch Anleihe bei gelehrten Freun- den“) übernimmt. 6 Höhn: Heine-Handbuch, 210. 7 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1, 376. 8 Zu dieser der Einbürgerung des englischen Humorbegriffs in Deutschland um 1800 verpflich- teten Neuperspektivierung des Konzepts vgl. Wolfgang Preisedanz: Die umgebuchte Schreib- art. In: Ders.: Heinrich Heine. Werkstrukturen und Epochenbezüge, 142. 160 5 Poiesis des Leibes in Ideen zur Benennung des komischen Darstellungsmodus, der sich der Eigenart verdankt, Leben und Welt in eigentümlicher Spiegelung darzustellen. Die zweite, geschichts- philosophisch fundierte und in dieser Zeit dominierende Bedeutungsvariante dient zur Bestimmung einer von der poetischen Einbildungskraft diktierten Brechung des durch die Lebenswirklichkeit oder die künstlerische Tradition vorgegebenen Stoffes.9 In der von Jean Paul in seiner Vorschule der Ästhetik gebotenen konsistenten Poetik des Humors, die für die deutsche Literatur der ersten Jahrzehnte des 19. Jh.s eine besondere Relevanz erlangte, wird der Humor als die „weltvernichtende Idee“10 bezeichnet, d. h. eine Idee, aus deren Perspektive alle realen Erscheinungen negativiert werden können. Diese Definition, die den Humor als distanzierte Perspektivierung eines Stoffs beschr- eibt, ergänzt Jean Paul mit der berühmten Formel, mit der er den Humor als „das umge- kehrte Erhabene“ bezeichnet11 und damit als einen ästhetischen Gestaltungsmodus rubriziert, der nicht die jeweilige partikulare Erscheinung, sondern schlechthin „das Endliche durch den Kontrast mit der Idee“12 negiert. Die Tatsache, dass durch eine Betrachtung des Endlichen im Hinblick auf die Idee die Dürftigkeit des Ersteren lächerlich zutage tritt, begründet für Jean Paul den Zusammenhang zwischen Humor und dem Komischen.13 Nicht von allen theoretischen Schriften, die um 1800 entstehen, wird die ästhetische Kategorie des Humors in Bezug auf den Konnex zwischen Idee und Realität reflek- tiert. Die einschlägigen theoretischen Äußerungen beziehen sich meistens auf die Verquickung von Komik und Pathos,14 des Öfteren fällt der Begriff „Humor“ mit den Kategorien „Witz“ und „Ironie“ zusammen und wird damit als eine ars combinatoria betrachtet, die die bekannten Zusammenhänge zerreißt und die damit verfügbar gewor- denen Partikeln „durch die Macht subjektiver Einfälle, Gedankenblitze, frappanter Auffassungsweisen“15 neu arrangiert. Der Humor steht allerdings immer ganz oben auf der ästhetischen Werteskala und wird mit dem geistigen und kreativen Vermögen des Künstlers schlechthin identifiziert.16 Die von Heine brieflich gelieferten poetologischen Definitionen der Ideen lassen erkennen, dass er die Kategorie des Humors als konstitutiv für den Text betrachtete.

9 Ebd., 144. 10 Vgl. Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. In: Ders.: Sämtliche Werke, Abteilung I, Fünfter Band (Vorschule der Ästhetik, Levana oder die Erziehlehre, Politische Schriften), Darm- stadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2000, 7-457, hier: 124. 11 Ebd. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Preisendanz: Die umgebuchte Schreibart, hier: 138. 15 Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 2, 229. 16 In diesem Sinne äußert sich Hegel, wenn er schreibt: „Im Humor ist es die Person des Künstlers, die sich selbst ihren partikulären wie ihren tieferen Seiten nach produziert, so daß es sich dabei wesentlich um den geistigen Wert dieser Person handelt.“ Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 2, 229. Zur Bedeutung des hegelschen Humorbegriffs für Heines späte Gedichte vgl. Sabine Schneider: Die Ironie der späten Lyrik Heinrich Heines, Tübingen: Königshausen & Neumann, 1995, 38 f. 5.1 „Ein Fragment aus meinem Leben ...“ 161

Seine einschlägigen Erklärungen bekräftigte er in der vielzitierten poetologischen Stelle im Kapitel XI der Ideen, indem er seine Schreibart folgendermaßen reflektierte: “Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas, Madame! Aber das Leben ist im Grunde so fatal ernsthaft, daß es nicht zu ertragen wäre ohne solche Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen. Das wissen unsere Poeten. Die grauenhaftesten Bilder des menschlichen Wahnsinns zeigt uns Aristo- phanes nur im lachenden Spiegel des Witzes, den großen Denkerschmerz, der seine eigne Nichtigkeit begreift, wagt Goethe nur in den Knittelversen eines Puppen- spiels auszusprechen, und die tödlichste Klage über den Jammer der Welt legt Shakespeare in den Mund eines Narren, während er dessen Schellenkappe ängstlich schüttelt.“ (DHA 6; 200) Mit dem auf Napoleon I. zurückgehenden Aperçu „du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas“ („vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt“)17 reflektiert Heine die Verbindung des Pathetischen mit dem Komischen scheinbar als ein der Kunst eigenes prophylaktisches bzw. therapeutisches Merkmal, dank dem die Kunst den Ernst des Lebens erträglich macht. Heine argumentiert hier allerdings nicht vor der Folie des in den anthropologischen Schriften und in der medizinischen Praxis um 1800 omnipräsenten diätetischen Diskurses, der auf die begrenzte Belastbarkeit des Nervensystems hin- weisend das Vermeiden von extremen Bedingungen oder extremen Körperzuständen forderte und ggf. ihre Kompensation durch Herbeiführung von entgegengesetzten Bedingungen bzw. Zuständen zu beheben empfahl. Heines Literaturauffassung unter- scheidet sich von der eines Novalis, der im Rahmen seiner poetologischen Überlegun- gen zur Funktion der Literatur heilkundlich argumentierend, dem Dichter die Aufgabe der „Construktion der transcendentalen Gesundheit“18 zuschrieb und den Dichter „trans- cendentalen Arzt“19 nannte, der Menschheit bei der „Erhebung über sich selbst“20 helfen soll. Das von Heine als kompensatorisch interpretierte humoristische Strukturmoment, das seiner Meinung nach die Werke der großen Dichter auszeichnet, erscheint nicht als ein Surplus ihres kreativen Umgangs mit der Wirklichkeit, sondern als Abbild der ontologischen Struktur der Welt. Laut Heines Meinung haben es die großen Dichter „alle dem großen Urpoeten abgesehen, der in seiner tausendaktigen Welttragödie den Humor aufs höchste zu treiben weiß, wie wir es täglich sehen: – nach dem Abgang der Helden kommen die Clowns und Graziosos mit ihren Narrenkolben und Pritschen, nach den blutigen Revolutionsszenen und Kaiseraktionen kommen wieder herangewatschelt die dicken Bourbonen mit ihren alten abgestandenen Späßchen und zartlegitimen Bonmots, und graziöse hüpft herbei die alte Noblesse mit ihrem verhungerten Lächeln, und hintendrein wallen die frommen Kapuzen

17 Diese Bemerkung soll Napoleon I. im Dezember 1812 während der Flucht aus Rußland geäußert haben. Vgl. DHA 6; 829. 18 Novalis: Schriften in vier Bänden, hrsg. v. Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, 1960 ff., Bd. 2, 535. 19 Ebd. 20 Ebd. 162 5 Poiesis des Leibes in Ideen

mit Lichtern, Kreuzen und Kirchenfahnen; – sogar in das höchste Pathos der Welt- tragödie pflegen sich komische Züge einzuschleichen (...)“. (DHA 6; 200 f.) Heines explizite Stellungnahmen zum Humorbegriff betonen vornehmlich den komi- schen Aspekt des Phänomens, wobei Heines poetische Praxis den Humor deutlich mit der Subjektivität des Dichters gleichsetzt, der heterogene Traditionen aufgreift und umwandelt, um sie im Rahmen seiner Texte frappant zu arrangieren. Diese Ein- sicht in Heines Verfahrensweisen erscheint zentral für die Analyse der Körperkon- struktionen der Ideen.

5.2 Zum Inhalt des Textes

Die Ideen werden durch zwei vom Autor ahierarchisch behandelte biographische Stränge konstituiert. Es ist die gescheiterte Liebesbeziehung zu der seit 1821 verhei- rateten Tochter des Onkels Salomon, Amalie, mit der Heine nach Jahren vergeblicher Werbung poetisch abschließt, einer- und andererseits seine in die politischen Ereig- nisse der Befreiungskriege verstrickte Düsseldorfer Kindheit, über die er literarisch Rechenschaft ablegen will.21 Heines Prosaexperiment kann sehr wohl als ein Versuch der Be-/Erschreibung von moderner Subjektivität kategorisiert werden, der die gestalterische Illusion einer kohärenten Geschichte abstreift und die Disparatheit des Lebens literarisch nicht zu kaschieren, sondern diese gerade herauszustellen sucht. Gemäß seinen bereits zitierten Ankündigungen konfrontierte Heine die Leser in der in zwanzig, zum größten Teil kurze Sequenzen gegliederten Geschichte mit fragmentarisch strukturierten, diskon- tinuierlich erzählten Inhalten. Die narrativen Verfahren der Ideen können durchaus als Radikalisierung der vom Schriftsteller im Kontext der Harzreise formulierten, die Lebenszusammenhänge fragmentarisierenden „Poetik der Lappen“ definiert werden, die die realen Zusammenhänge zerreißt, um ihre Partikeln im Text scheinbar kontin- gent zu arrangieren. Die in der früheren Prosa verwendeten Verfahren überbietend steigerte Heine in den Ideen die Polyvalenz des Erzählten zusätzlich durch das verwirrende Spiel mit der Erzähleridentität. Der nicht zuletzt im Zusammenhang seiner jüdischen Herkunft für die Problematik sozialer Rollen und der damit einhergehenden Selbstentfrem- dungsprozesse auf eine besondere Art und Weise sensibilisierte Autor distanzierte sich von seinem autobiographischen Bericht, indem er die Darstellung einem spekta- kulär und zugleich unzuverlässig auftretenden Ich-Erzähler anvertraute, der sich unter phantastischen Rollennamen zu Wort meldet. Er beginnt die Geschichte als ein nobler „Graf vom Ganges” (Cap. II), leugnet diese Identität allerdings bereits drei Kapitel später mit dem Eingeständnis ab: „Ich habe sie belogen. Ich bin nicht der Graf von Ganges. Niemals im Leben sah ich den heiligen Strom (...)“ (DHA 6; 178), worauf er

21 Besondere Beachtung gebührt in dieser Hinsicht den Kapiteln XI-XV der Ideen, die die Schriftstellersituation in der Vormärzzeit problematisieren. 5.2 Zum Inhalt des Textes 163 seinen Bericht als ein „aus Hindostan“ herkommender Zeitgenosse Heines fortsetzt. Diese zweite, im romantischen Phantasieraum angesiedelte Identität straft der Erzähler auch wieder Lügen, um bald als „ein irrender Ritter der Liebe, ein Ritter vom Gefal- lenen Stern“ zu agieren, bald seine rheinische Herkunft zu behaupten.22 Derartige erzähltechnische Entscheidungen mochten vor dem Hintergrund der narrativen Konven- tionen der Romantik nicht ganz unplausibel erscheinen. Um nicht gegen die ästheti- schen Toleranzgrenzen seines Publikums zu verstoßen, entschied sich Heine für eine deutliche Markierung des epischen Integrationsaufwands durch eine konsequent durchge- haltene und darüber hinaus reizvoll erotisierte Erzählsituation. In ihrem Rahmen teilt der unzuverlässige Erzähler seine disparate Geschichte einer gebildeten, als „Madame“ adressierten, daher offenbar verheirateten Frau mit, um mit dem Bericht um ihre Auf- merksamkeit und in der Folge wohl auch um ihre Zuneigung zu werben.23 Die hermeneutische Herausforderung, vor die Madame und mit ihr der Leser ge- stellt werden, erscheint beträchtlich, da sie mit einem diffusen Nacheinander von kunstvoll arrangierten Referenzen auf die zeitgenössische deutsche Wirklichkeit, Appellen an diverse Bildungsinhalte, (selbstironischen) Reflexionen des Erzählers, unzähligen intertextuellen Verweisen und Versatzstücken unterschiedlicher Gattungen konfrontiert werden. Parallel zur jeweiligen Erzähleridentität entfaltet der Bericht des Erzählers entsprechende topographische Kulissen wie z. B. Indien oder Venedig, die mit ihren kaum ausgearbeiteten Details durchweg nur die Rolle stereotypisierter Staf- fagen erfüllen, hinter denen die mit den Aufenthaltsorten des Autors identischen deut- schen Städte Hamburg und Berlin erkennbar werden sollen.24 Die geographischen Kon- stellationen erscheinen für die Körperkonstruktionen des Textes allerdings belanglos. Als wesentlich sind aber die Einbindung des Textes in den zeitgenössischen Liebes- diskurs, die satirische Motivation zahlreicher Passagen, der karnevaleske und der idealisierende Erzählmodus und der nach zeitgenössischem Verständnis „humoristi- sche“ Anteil des Textes am topischen Archiv der Kultur anzusehen.

5.2.1 Zur Körperrede der Ideen Im Rahmen der vorliegenden Analyse der Körperkonstruktionen in Heines Ideen. Das Buch Le Grand wird der Anfangsspassage des Textes eine besondere Bedeutung zuer- kannt, welche die Problematik des Körpers und der Befriedigung seiner Bedürfnisse ins Zentrum der Leseraufmerksamkeit rückt und zugleich den Umgang des Autors mit der kulturellen Überlieferung prägnant exemplifiziert. Aus diesem Grund kommt besagter Textstelle im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit eine besondere Beachtung zu.

22 Höhn: Heine-Handbuch, 211. Auf diese Eigenschaft des Textes eingehend spricht Christian Schärf unter Verweis auf den Reiseaspekt von „einer kühnen Fahrt durch diverse Schein- identitäten“. Vgl. Schärf: Heinrich Heine: Ideen. Das Buch Le Grand. Die Entstehung der artistischen Prosa. In: Goltschnigg, Grollegg-Edler, Reeves (Hg.): Harry... Heinrich... Hen- ri... Heine. Deutscher, Jude, Europäer, 67-76, hier: 71. 23 Vgl. Grubacic: Heines Erzählprosa, 85. 24 Höhn: Heine-Handbuch, 211. 164 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Eine signifikante Rolle bei der Herausstellung der Bedeutung der Körperlichkeit spielt der Anschluss des Textes an die Ordnung des Karnevals, wobei zu beachten ist, dass dieser im Erzählvorgang der Ideen zwar eine wichtige, allerdings keine domi- nante Bedeutung zuerkannt wird. Bei der Erschließung von Karnevalisierungsphäno- menen in den Prosatexten Heines ist laut Rolf Hosfeld nämlich stets zu bedenken, dass die Texte die Strukturen des Karnevals zwar wiederholt aufrufen, in diesen jedoch keineswegs vollends aufgehen.25 Das von Hosfeld für Heines Prosa allgemein geltend gemachte erzähltechnische Prinzip realisieren die Ideen, indem sie jenen Passagen, die in die Ordnung des Karne- vals eingeschrieben wurden, Textstellen entgegenstellen, die den Konzepten der an das Mitgefühl des Rezipienten appellierenden empfindsamen Rede verpflichtet scheinen. Auf die letzteren Konzepte weisen die Ideen implizit mit ihrem vielzitierten Motto hin, das laut Heines ungenauer Quellenangabe aus einem „alten Stück“ (DHA 6; 171) stammen soll, und in Wirklichkeit vom Autor erfunden wurde. Mit dem Gebrauch des Mottos schreibt sich Heine in eine Tendenz ein, die von Gérard Genette als „Motto- schwemme am Beginn des 19. Jahrhunderts“, die erst um die Jahrhundertmitte ab- flaut,26 bezeichnet wird. Der Motto-Satz, den Heine verwendet – aufgrund der refrain- artigen Wiederholung in den Rahmenkapiteln II und XX der Ideen ist er als eines ihrer kohärenzstiftenden Merkmale anzusehen – lautet: „Sie war liebenswürdig, und Er liebte Sie; Er aber war nicht liebenswürdig, und Sie liebte Ihn nicht.“ (DHA 6; 171) Den Zusammenhang zwischen dem lektüresteuernden „Beiwerk“ und dem Text erklärt einleuchtend Christian Schärf, der in einer der neueren Analysen der Ideen schreibt: „Wohl kaum ein Motto kündigt so vielsagend an, was dann folgt, und wohl kaum einmal entziehen sich Sinn und Bedeutung jenes Vorsatzes im Verlauf des Textes so kunstvoll und hartnäckig wie in diesem Prosastück (...).“27 Dem Leser, der auf die Ergänzung des im Motto angedeuteten Schemas mit Angaben hofft, die sich zu einer sinnvollen Liebesgeschichte fügen, antwortet Heine mit immer neuen in unterschiedlichen Stillagen entfalteten Narrationen und mit fortdauerndem Sinnaufschub. Der Beginn der Ideen schließt sich an den das Sujet einer traurigen Liebesver- strickung des männlichen Subjekts signalisierenden Paratext mit Ausführungen an, die die Liebesthematik aufnehmen, um sie mit den Mitteln der für Heines Texte ins- gesamt charakteristischen komisierenden „Kontrastästhetik“28 zu konturieren, deren

25 Hosfeld: Die Welt als Karneval, 17. 26 Gèrard Genette: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 2001, 156. 27 Christian Schärf: Heinrich Heine: Ideen. Das Buch Le Grand, 67. 28 Zum Programm der von Heine epistemologisch begründeten Kontrastästhetik, als deren erstes biographisches Dokument der am 10. Juni 1923 an Immermann gerichtete Brief betrachtet wird, in dem es heißt: „Alle Dinge sind uns ja nur durch ihren Gegensatz erkennbar (...).“ (HSA 20; 90) Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 217 f. 5.2 Zum Inhalt des Textes 165

Regeln zufolge der Autor das jeweilige Phänomen durch Steigerung ins Extreme und Einrückung in eine Opposition vergegenwärtigt. Gemäß diesen Regeln handelt der Ich-Erzähler, auf dessen Situation sich das Motto offensichtlich bezieht, indem er seine eigene Liebes- und Lebenslage jenen der in saturierten Eheverhältnissen lebenden textinternen Rezipientin des Textes, Madame, mit dem Satz entgegenstellt: „Wie man im Himmel lebt, Madame, können Sie sich wohl vorstellen, um so eher, da Sie verheurathet sind.“ (DHA 6; 171) Der Erzähler begnügt sich nicht damit, mit der banalisierten Himmels-Metapher die Ehe als Ort des absoluten Glücks kurz und bündig zu ironisieren, sondern ergänzt seine These mit folgenden Imaginationen, die sein Konzept dieses Glücks sinnfällig werden lassen: „Im Himmel amüsiert man sich ganz süperbe, man hat alle mögliche Vergnügungen, man lebt in lauter Lust und Plaisir. Man speist von Morgen bis Abend (...) die gebratenen Gänse fliegen herum mit den Sauceschüsselchen im Schnabel, und fühlen sich geschmeichelt, wenn man sie verzehrt, butterglänzende Torten wachsen wild wie Sonnenblumen (...), überall Bäume, woran Servietten flattern, und man speist ganz vorzüglich und wischt sich den Mund (...), man singt Psalmen, (...) und die weißwallenden Kleider sitzen sehr bequem, und nichts stört da das Gefühl der Seligkeit, (...), ja sogar, wenn Einer dem Andern zufällig auf die Hühneraugen tritt und excusez! ausfruft, so lächelt dieser wie verklärt und versichert: dein Tritt, Bruder, schmerzt mich nicht, sondern au contraire, mein Herz fühlt dadurch desto süßere Himmelswonne.“ (DHA 6; 171) Anstelle eines im Zusammenhang mit einer Himmelsdarstellung zu erwartenden En- sembles von tradierten paradiesischen Bildtopoi der spirituellen Gemeinschaft der in Gottes Thronsaal betenden und singenden Seligen präsentiert der Erzähler das tableau vivant eines riesigen Festmahls, mit dem er eine weltliche Kontrafaktur der vom theologischen und ikonographischen Diskurs mehrfach vorgegebenen Vorstellungen liefert. Im kreativen Zugriff auf die Tradition leistet Heine eine von poetischer Ein- bildungskraft diktierte Brechung des überlieferten Stoffes, die komische Aspekte aufweist und aus diesem Grund entsprechend den semantischen Vorgaben der Epoche in jedem Sinne als „humoristisch“ kategorisiert werden kann. Bei näherer Betrachtung erweist sich, dass die von Heine dargebotene Vision des himmlischen Glücks auf einer doppelten Stoffbrechung beruht. Die mit diskretem bourgeoisem Charme ausgestattete Esslandschaft, mit deren Vorstellung Heine eine Redimensionierung der theologisch vorgegebenen und in der Literatur und Malerei fortgeführten Vorstellungen der beatitas aeterna zu einem letztendlich profanen Lust- gewinn leistet, speist sich aus Imaginationen des Schlaraffenlandes, d. h. einem der berühmtesten Kulturtopoi, in deren Zentrum leibliches Vergnügen steht.29

29 In seiner Geschichte der „populären Phantasie“ vom Schlaraffenland verweist Dieter Richter auf das Interesse Heines an dem Stoff, dessen Präsenz sich sowohl in der frühen (das Gedicht Mich träumt ich bin der liebe Gott) wie der späten (das Gedicht Bimini) Lyrik nachweisen lässt. In seiner breit angelegten, um die Erfassung übergreifender literaturhistorischer Entwick- lungslinien bemühten Studie konzentriert sich Richter vordergründig auf Heines Lyrik und 166 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Heines Rekurs auf diesen Topos, der in der deutschen Literatur dank Sebastian Brandt (1457-1521), Hans Sachs (1494-1576) und Johannes Fischart (1546-1590) im 16. Jh. populär geworden ist und danach in lange Vergessenheit geriet, entspricht der zeitgenössischen Interessenlage. In dem von den Ereignissen der Befreiungskriege gezeichneten, ökonomisch kargen zweiten Jahrzehnt des 19. Jh.s beginnt der verges- sene Topos dank Erfolgsautoren wie Brüdern Grimm, Ernst Moritz Arndt (1769-1860) und E. T. A. Hoffmann seine erneute literarische Karriere in der Kinder- und Jugend- literatur. Das Märchen vom Schlaraffenland in der Fassung der Brüder Grimm wird zum festen Bestandteil der Sammlung von Kinder- und Hausmärchen seit der Ausgabe von 1815, den Erzählstoff nehmen zudem E. T. A. Hoffmann in der Traumreise der kleinen Marie Stahlbaum ins Zuckerland im Märchen Nussknacker und Mäusekönig (1816) und Ernst Moritz Arndt im Märchen Klas Avanstacken (1818) auf.30 Im Unterschied zu diesen Autoren funktionalisiert Heine den überlieferten Stoff in einem autobiographischen Text, in dem er die als Landschaft derber Sitten konturierte Schlaraffia-Phantasie eines Hans Sachs in eine kultivierte Gegend verwandelt31 und sie zugleich mit dem Paradies identifiziert. Entscheidend für die Interpretation der zitierten autobiographischen Passage er- scheint die Tatsache, dass Schlaraffia einen jener karnevalesken Topoi darstellt, die kraft der Logik der Inversion die Verhältnisse der jeweiligen Realität à rebours anzeigen.32 Wird die oben zitierte Anfangspassage der Ideen gemäß dem von Heine eingesetzten Signalwort als „au contraire“ (DHA 6; 171) gelesen,33 wird sie zu einem traurigen lässt die Anfangspassage der Ideen außer Acht. Vgl. Dieter Richter: Schlaraffenland. Geschichte einer populären Phantasie, Köln: Eugen Diederichs Verlag, 1984, 95. 30 Zu selbständigen bzw. in einen übergreifenden Textzusammenhang integrierten Schlaraffia- darstellungen zu Anfang des 19. Jh.s vgl. Martin Müller: Das Schlaraffenland. Der Traum von Faulheit und Müßiggang. Eine Text-Bild-Dokumentation, Wien: Edition Christian Brandstätter, 1984, vgl. 149. 31 Als charakteristisches Merkmal der Rezeption der Schlaraffia-Vorstellung bei Heine nennt Dieter Richter die Verfeinerung des ursprünglichen Szenarios. Vgl. Richter: Schlaraffen- land, 95. Im Zusammenhang dieses Argumentes ist auch der Standpunkt von Terence Reed geltend zu machen, der feststellt, dass Heines utopische Projektionen von üppigen Essland- schaften nicht nur an primären Bedürfnissen orientiert bleiben, sondern stets mit hedonisti- schen Phantasien (von „Nektar und Ambrosia“) ergänzt werden. Vgl. Terence James Reed: Heines Appetit. In: HJb 1983, 1-29, hier: 22. 32 Ebd., 51. Einen interessanten Beleg für diese Funktionalisierung des Begriffs im Umfeld der politischen Diskussionen der Vormärz-Autoren liefert Karl Gutzkow im Roman Ritter vom Geiste (1852), der die zeitgenössische deutsche Wirklichkeit als eine Umkehrung der schlaraffischen Zustände folgendermaßen interpretiert: „Rühren und tummeln muß man sich und die Welt für kein Schlaraffenland halten. Gebratene Tauben in die Luft gemalt, sind geschmacklos. Wir leben in einem wilden Chaos, in das nie, nie volles Licht kommen wird. Arkadien ist vor der Schöpfung gewesen und mag nach der Schöpfung kommen. Hier auf Erden gibt es nur Reibung, Lärm, Zorn, Leidenschaft, Drängen, Stoßen. Das Einzige, was wir erreichen, ist: Leidliches Glück!“ Karl Ferdinand Gutzkow: Die Ritter vom Geiste. Roman in neun Büchern, hrsg. v. Thomas Neumann, Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1998, 815. 33 Die subversiv-karnevaleske Komponente des Schlaraffischen wird in den zeitgenössischen 5.2 Zum Inhalt des Textes 167

Protokoll, das, zahlreiche vom Ich-Erzähler erfahrenen Traumata registrierend, auf karge Möglichkeiten der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, auf die Brutalität des sozialen Umgangs und die vom Subjekt erfahrenen Verletzungen hinweist. Mit der Heranführung der theologisch fundierten (Paradies-)Bildlichkeit an die irdischen Vorstellungen eines überreichen Festmahls mobilisiert Heine das Haupt- prinzip des Karnevals, dem zufolge die hierarchischen Grenzen zwischen „hoch“ und „niedrig“ im Zeichen einer fröhlichen Relativierung aufgehoben werden. Dabei gehorcht Heines Text auf exemplarische Art und Weise den Regeln der Karnevals- kultur, nach denen die von den religiösen Texten diktierten Bilder und Vorstellungen durch Verweise auf die Sphäre des Leibes und dessen Forderungen profanisiert werden, während dem Körper eine nahezu sakrale Dignität zuerkannt wird. Heine bestätigt die Relevanz des Körpers im Universum seines Textes, indem er gemäß den Vorschriften seiner Kontrastästhetik an die Darstellung des Himmels im Sinne einer Antinomie eine Schilderung der Hölle anschließt. Der unglückliche Erzähler und Protagonist, dem die Erfahrung des (Ehe-)Paradieses nicht zuteil wurde, gibt seine Vertrautheit mit den Bedingungen der Hölle zu erkennen, mit deren Beschreibung er die „etwas zu mässig[e], im ganzen allzupoetisch[e]“ (DHA 6; 172) Schilderung Dantes folgendermaßen zu korrigieren bzw. zu überbieten sucht: „Mir erschien die Hölle wie eine große bürgerliche Küche, mit einem unendlich langen Ofen, worauf drey Reihen eiserne Töpfe standen, und in diesen saßen die Verdammten und wurden gebraten. In der einen Reihe saßen die christlichen Sünder, (...) ihre Anzahl war nicht allzuklein. In der anderen Reihe saßen die Juden, die beständig schrieen. In der dritten Reihe saßen die Heiden, die ebenso wie Juden, der Seligkeit nicht theilhaftig werden konnten, und ewig brennen müssen. Ich hörte wie einer derselben, dem ein vierschrötiger Teufel neue Kohlen unterlegte, gar unwillig aus dem Topfe hervorrief: »Schone meiner, ich war Sokrates, der Weiseste der Sterblichen, ich habe Wahrheit und Gerechtigkeit gelehrt und mein Leben geopfert für die Tugend.« Aber der vierschrötige, dumme Teufel ließ sich in seinem Geschäfte nicht stören und brummte »Ey was! Alle Menschen müssen brennen und wegen eines einzigen Menschen dürfen wir keine Ausnahme machen«. (DHA 6; 171 f.) Es erscheint naheliegend, diese zum Bild einer bürgerlichen Teufelsküche stilisierte Inferno-Vision der karnevalistischen Tradition zuzurechnen, die, die Vorstellung der

Wörterbüchern thematisiert. Im Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von Johann Chri- stoph Adelung (1732-1806) heißt es: „In weiterer Bedeutung verstehet man unter einem Schlaraffen eine Person, welche in einem hohen Grade das Gegentheil von demjenigen ist und thut, was andere vernünftige Menschen sind und thun.“ Johann Christoph Adelung Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Verglei- chung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen, von Johann Christoph Adelung, Churfürstl. Sächs. Hofrath und Ober-Bibliothekar. Dritter Theil, von M – Scr., 1798, Bd. 3, 1506 f. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm definiert das Schlaraf- fenland als ein Gebiet inverser Rechtsgebung, eins nämlich, wo der „müszige belohnt und der fleiszige bestraft wird“. Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 16 Bände [in 32 Teilbänden], Leipzig: S. Hirzel, 1854-1960, Bd. 15, 65, Sp. 495. 168 5 Poiesis des Leibes in Ideen metaphysischen Strafanstalt ad absurdum führend, die Hölle komisiert, um die Angst des Menschen vor dem Tode zu bannen.34 Im Falle aller karnevalistisch verfahrenden Texte führt die Frage nach ihren inter- textuellen Bezügen zu aufschlussreichen interpretatorischen Folgerungen. Aus diesem Grund erscheint es fruchtbar, nach dem Bezug der zitierten Passage zu dem zwischen 1307 bis 1327 niedergeschriebenen Gründungstext italienischer Literatur La divina commedia zu fragen. Bei dem Vergleich der Texte fallen zunächst die von Heine geleistete Überführung der vertikalen Höllenarchitektur Dantes in die Horizontale eines geschlossenen Küchenraums, die Reduzierung der von Dante suggerierten differenzierten Eintei- lung der Sünder zu lediglich drei konfessionell markierten Gruppen, die vollständige Nivellierung des vom italienischen Autor grausam optimierten Strafensystems und die Einführung der drollig-dummen Figur des Leibhaftigen als Unterscheidungsmerk- male zwischen dem italienischen und dem deutschen Text ins Auge. Diese Strategien lassen sich als egalisierende und komisierende Verfahren des karnevalesken Umgangs mit den vom kanonischen Text der europäischen Literatur vorgegebenen Bildstrukturen kategorisieren. Die Textökonomie der Passage, in der dem Schicksal der „Heiden“ größte Aufmerk- samkeit zuteil wird, legt allerdings nahe, eine konkrete Stelle des italienischen Inter- textes, nämlich seinen Vierten Gesang genauer zu betrachten, in dem der italienische Höllenwanderer im ersten Kreis der Hölle Seelen von Gerechten begegnet, die – da sie Christus nicht gekannt haben – ohne Taufe gestorben sind. Dante teilt diesen Kreis des Inferno alttestamentlichen Frommen (u. a. Noah, Abraham, Moses, König David), antiken Philosophen (u. a. Aristoteles, Platon, Demokrit, Sokrates, Vergil) und berühmten Vertretern der antiken Literatur (Homer, Horaz, Ovid, Lucan) zu, wobei er betont, dass sich die Strafen der ungetauften Verdammten, die tugendhaft gelebt haben, erheblich von den Foltern anderer Hölleninsassen unterscheiden. Dank Gottes Barmherzigkeit leiden sie nur „Seelenpein“, d. h. „Gram ohne Qualen“, während sie von der höllisch schmerzlichen körperlichen Folter frei bleiben.35 Das von Heine in seinem autobiographisch fundierten Text angebotene Höllen- konzept substituiert die tradierten Inferno-Vorstellungen mit dem Bild einer „großen bürgerlichen Küche“. Das Bild kann als eine der chiffrierten Botschaften an die esoteri-

34 Vgl. Fuß: Das Groteske, 365. 35 Die entsprechende Stelle bei Dante lautet: „Hier war, so viel als meinem Ohr vernehmlich, / Kein Weheklagen, sondern nur ein Seufzen, / Das jene ew’ge Luft erbeben machte: / Gram ohne Qualen war des Seufzens Ursach, / Der auf den Scharen all, die viel und zahlreich, / Von Kindern, Frau’n und Männern, ewig lastet. / Mein Meister sprach: Du unterläßt zu fragen, / Was es für Geister sind, die du hier siehest; / Doch sollst Du, eh wir weiter gehn, vernehmen, / Daß sie nicht sündigten. Und wenn Verdienste / Sie hatten, g’nügt es nicht, weil ohne Taufe / Sie starben, welche deines Glaubens Teil ist.“ Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übers. v. Karl Witte, Berlin: Askanischer Verlag, 1916, 24. Zum Strafsystem des ersten Höllenkreises bei Dante vgl. Wil Logister: Die Spiritualität der Divina Comedia: Dantes Gedicht theologisch gelesen. Übers. aus dem Niederländischen Gabriele Merks- Leinen, Berlin-Hamburg-Münster: LIT, 2003, 82. 5.2 Zum Inhalt des Textes 169 schen Leser kategorisiert werden, mit denen der Autor die Informationen verschlüsselte, die die Zensur nicht passiert hätten. Indem Heine die Reise durch die „bürgerliche Hölle“ als seine eigene biographische Erfahrung identifiziert, weist er auf seinen harten Assimilationsweg in die deutsche Kultur hin. In komischer Verfremdung sucht er seine traurige Einsicht zu vermitteln, dass in der Gesellschaft, in der er zu leben hat, selbst die durch Sokrates repräsentierte Tugend und Weisheit einen Nicht-Christen (d. h. einen Juden) vor ungerechter Hintansetzung und Bestrafung nicht retten können.36 Konstitutiv für das Sinnangebot der genannten Passage erweist sich die Differenz gegenüber dem italienischen Intertext. Im Unterschied zu Dante verwirft Heine das Konzept des Lei- dens ohne leiblichen Schmerz, um in seinem Textuniversum jedes Erleben als leibliche Erfahrung zu deuten. Mit der Expoxition der Ideen, die in nuce die Geschichte des Erzählers enthält, erklärt Heine qua intertextueller Differenz den Körper zur Grundlage der Welterfahrung des literarischen Subjekts und der Perspektivierung seiner Erlebnisse. Als ein wichtiges Anliegen seiner Texte definiert Heine die Reflexion über den Körper und die Vermitt- lung seiner Bedürfnisse im Sinne der Artikulation von individuellen Ansprüchen auf kompensatorische Aufhebung sozial begründeter Mangelerfahrungen des Subjekts, womit er sich für die Problematisierung eines in den zeitgenössischen Literaturdebatten als „niedrig“ eingestuften Themas ausspricht. Indem er die Thematik über eklektizis- tisch und jeweils in subjektiver, komisierender Brechung angeeignete Vorgaben der Kulturüberlieferung medialisiert, sucht er die Allgegenwart des Körpers in seinen Texten ästhetisch zu nobilitieren.

5.2.2 Grotesker Körper Die Literarisierung des Körpers in Heines Texten folgt entweder dem idealisierenden oder aber dem grotesken Code, wobei der letztere im Zusammenhang der literari- schen Abrechnung des Autors mit seinen jeweiligen Gegnern bemüht wird. Unter den Anliegen Heines rangiert die literarische Polemik immer weit oben. Dabei sucht der Autor immer wieder seine intellektuellen und politischen Gegner mit körperbezo- genen Argumenten zu vernichten, die sich zu eindrücklichen literarischen Karikaturen der Widersacher verdichten. Mit der Zuwendung zu diesem Gestaltungsprinzip nehmen Heines Schriften an der für die ersten Jahrzehnte des 19. Jh.s charakteristischen Auf- wertung der künstlerischen Karikatur teil, die mit ihrer Betonung des Hässlichen und Unfertigen bereits auf die Kunst der Moderne vorausweist.37 36 Es erscheint nicht zufällig, dass Heine aus der im Vierten Gesang von Dante angeführten Gestaltenreihe gerade die Figur des prototypischen Ironikers Sokrates wählt, die durchaus als eine kühne Selbstidentifikation erfasst werden kann. 37 Wurde die Karikatur im 18. Jh. aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit den Qualitäten des Idealen und Typischen, gegen die sie das Individuelle und das Charakteristische geltend machte, ambivalent beurteilt, so wird sie im frühen 19. Jh. im Umkreis der fortschrittlichen Intellektuellen als ein Medium der epochalen Selbstaufklärung, dessen Einflussmöglichke- it auf die Gesellschaft hoch geschätzt wurde, rehabilitiert. Vgl. Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, 234. Zum unmittelbaren Bezug der Karikatur zum Grotesken vgl. Fuß: Das Groteske, 365 (Anm. 43). 170 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Die Spezifik von Ideen. Das Buch Le Grand gegenüber anderen Reisebildern ist u. a. darin zu sehen, dass diese Schrift poetologische Reflexionen zum grotesken Zurich- tungsmodus des Philisterkörpers liefert. In den in der vorliegenden Arbeit bereits analysierten Passagen, in denen Heine eine Absage an das realitätskonforme Mimesis- prinzip leistet, beschreibt er die Literarisierung der körperlichen Erscheinung seiner Gegner als einen kulinarischen Vorgang, bei dem er den rohen Stoff der Wirklichkeit für die gebildeten Leser ästhetisch genießbar zu machen versucht.38 Mit den in seine Texte integrierten Karikaturen suchte Heine nicht nur seine scharfe Beobachtungs- gabe und Fähigkeit zur knappen Charakterisierung eines Menschen unter Beweis zu stellen, sondern auch sein Vermögen, mannigfaltige Elemente kultureller Überliefe- rung nach Maßgabe subjektiver Ausdrucksintentionen souverän zu verwalten. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit legitimiert die Frage, welche Bedeu- tung die naturwissenschaftlich fundierten Kenntnisse des Autors im genannten Bereich spielten. Die Ideen, in denen die Stationen der intellektuellen Biographie des Ich- Erzählers mit denen Heines identisch bleiben, liefern diesbezüglich eine implizite Antwort, indem sie die intellektuellen Präferenzen des literarischen Subjekts im Zu- sammenhang mit seinem Schulunterricht in der Naturkunde thematisieren. Der als Sprachrohr des Autors auftretende Ich-Erzähler geht auf das in den dama- ligen Schulen unterrichtete Fach „Naturgeschichte“ nur einmal ein,39 wobei er einen direkten Bezug zwischen dem Gelernten und der Karikatur folgendermaßen herstellt: „(...) da gibt es bestimmte Kupferstiche von Affen, Känguruhs, Zebras, Nashornen usw. Weil mir solche Bilder im Gedächtnisse blieben, geschah es in der Folge sehr oft, daß mir manche Menschen beim ersten Anblick gleich wie alte Bekannte vor- kamen.“ (DHA 6; 196 ) Der Erinnerungslogik des literarischen Subjekts zufolge scheint die Naturkunde im Unterschied zum anstrengenden und anspruchsvollen Latein- und Griechischunter- richt eine geradezu erholsame Unterbrechung des Schulalltags gewesen zu sein. Mit dieser Auskunft rekurriert Heine wohl nicht nur auf die individuelle Geschichte des Ich-Erzählers, sondern reflektiert auch die Situation der naturwissenschaftlichen Fächer im zeitgenössischen Schulkanon, die bis zur zweiten Hälfte des 19. Jh.s im gesamten Schulwesen in der Defensive blieben. In seiner fundierten Arbeit kommen- tiert Andreas W. Daum diese Situation folgendermaßen:

38 Das Problem wurde im vorausgegangenem Kapitel der vorliegenden Arbeit näher erörtert. vgl. S. x-xx der vorliegenden Arbeit. 39 Das Fach „Naturgeschichte“ wurde bis weit ins 19. Jh. an deutschen Schulen unterrichtet. Es umfasste mineralogische, botanische und zoologische Themen. Vom „Biologieunter- richt“ wurde an den deutschen Schulen etwa seit 1890 gesprochen. In die Lehrpläne ging der Ausdruck ging erst während der Weimarer Republik ein. Vgl. Andreas W. Daum: Wis- senschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848-1914, München: Oldenbourg: Wissenschafts- verlag, 2002, 44. 5.2 Zum Inhalt des Textes 171

„Wer als Schüler (...) eine naturwissenschaftliche Bildung suchte, mußte rasch bemerken, daß zwischen diesem Wunsch und dem Unterrichtsangebot eine große Lücke klaffte. Im Denken der meisten Schulbürokraten, in der Rangordnung der Unterrichtsinhalte und in der Stundenverteilung wurden die Naturwissenschaften deutlich benachteiligt.“40 Der von Heine im Zusammehang seiner Schulerlebnisse thematisierte Gestaltungs- modus des menschlichen Körpers lässt sich repräsentativ am literarischen Porträt der alternden Gattin eines als Philister gekennzeichneten Hamburger Kaufmanns demon- strieren, die in den Ideen folgendermaßen beschrieben wird: „Die Frau Gemahlin ist keine üble Frau - ihre Nase ist wie ein Turm, der gen Damaskus schaut, ihr Busen ist gross wie das Meer, und es flattern darauf allerlei Bänder, wie Flaggen der Schiffe, die in diesen Busen eingelaufen – man wird seekrank – man wird seekrank durch den blossen Anblick – ihr Nacken ist gar hübsch und fettgewölbt, wie ein - das vergleichende Bild befindet sich etwas tiefer unten – (...).“ (DHA 6; 209) Das Porträt der von Heine als „Millionärrin“ (DHA 6; 209) bezeichneten Frau aktua- lisiert die von Michail Bachtin systematisierten Konstruktionsregeln des grotesken Körpers, der als Gegensatz des klassischen von der Umgebung klar abgegrenzten und wohlproportionierten Körpers entfaltet wird. Dieser Körper lebt von der Kunst der grotesken Übertreibung und wird als unförmig, gigantisch und monströs darge- stellt. Analog zu dem in der Harzreise konstruierten Körperbild der Göttingerinnen verwischt Heine auch in der hier zitierten Passage die Grenzen zwischen Leib und Welt, so dass der hypertrophe Leib der Hamburgerin in die vom Text aufgerufene (Meeres-)Landschaft verfließt.41 Wie es das groteske Körperkonzept vorschreibt, fokus- siert Heines Konstruktion alles, was über die geglättete Silhouette hinausragt, sie konzentriert sich auf die leiblichen Ausbuchtungen und mobilisiert zudem das groteske Motiv der überdimensionierten Nase. 42 Die Literarisierung des Körpers sucht Anschluss an einen Text des kulturellen Kanons, der hier im Sinne grotesker Konvention parodistisch profaniert werden soll. Wie des Öfteren bei der Konzeptualisierung des weiblichen Körpers wendet sich

40 Ebd. 41 Auch die von Bachtin als wichtiger Bestandteil einer grotesken Beschreibung betrachteten körperlichen Sekrete werden von Heine im Zusammenhang des Anblick des überdimensio- nierten Busens implizite thematisiert. Diesen Anblick erklärt der Erzähler für ein wirksa- mes Vomitiv, indem er bemerkt: „– man wird seekrank – schon bei dem blossen Anblick“. (DHA 6; 209) 42 Den Ausdruck „Deine Nase ist wie ein Turm auf dem Libanon, der gen Damaskus schaut“, der im Hohelied eine „schöne, gerade Nase“ bezeichnet, weist in dem die gigantischen körperlichen Ausmaße der Frau betonenden Text Heines auf eine grotesk-riesige Nase hin. Vgl. Das Hohelied (1; 9). In: Die Bibel, 651. Zur Säkularisierung des Hoheliedes in Heines Lyrik vgl. Beate Perrey: Rationalisierung von Sinnlichkeit in Heines „Lyrischem Intermez- zo“. Das Hohelied als poetisches Modell im Zerrspiegel „kleiner malitiöser Lieder“. In: Kruse, Witte, Füllner (Hg.): Aufklärung und Skepsis, 846-857, hier: 850. 172 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Heine in diesem Falle den sprachlichen Formeln und Bildern des klassischen Referenz- textes der europäischen Liebeslyrik, d. h. des Hohelieds zu, dessen kleine Partikeln in seinen Schriften durch innovative Kontextualisierung neu semantisiert werden.43 Ihre komischen Effekte bezieht die zitierte Passage insbesondere aus der mit jener These korrelierten Behauptung des Ich-Erzählers, für das Honorar, das er für das Porträt der reichen „Millionärrin“ bekomme, werde er sich ein Pferd anschaffen können. Damit erscheint es, zumindest der Logik der Ideen zufolge, legitim, dass der Erzähler die Frau mit den Augen eines Hippologen betrachtet. Was den Leser überra- schen kann, ist die Tatsache, dass der Erzähler bei näherer Betrachtung des Körpers und Verhaltens der Frau weniger menschliche als vielmehr animalische Eigenschaf- ten registriert und feststellen muss:

“(...) die liebe Frau sieht mich so verständnisinnig, sie wiehert mit dem Auge, sie sperrt die Nüstern, sie kokettiert mit der Crouppe [der hintere Teil des Rückens bei einem Pferd K. J.], sie kourbettiert [vollführt Bogensprünge K. J.]“ (DHA 6; 209).

Dieser Körperkonstruktion, die durch Überblendung der menschlichen und tierischen Züge das groteske Prinzip des Chimärischen realisiert,44 liegt ein im Zeichen der Parodie mobilisierter religiöser Text zugrunde. Meines Erachtens kann nämlich der hier in extenso angeführte Mensch-Tier-Vergleich nicht nur mit der ökonomischen Motivation des Erzählers enggeführt werden, sondern erscheint auch als performative Ausführung der poetischen Handlung, die vom Hohelied mit den Worten vorgegeben wird: „Ich vergleiche dich, meine Freundin, einer Stute (...).“45

43 Neben dem Hohelied parodiert Heine bei den Beschreibungen von älteren Frauen zuweilen auch den petrarkistischen Beschreibungskanon. Ein Beleg für diese Strategie findet sich in Reise von München nach Genua, wo Heine ein Doppelporträt einer jungen Frau und ihrer Mutter liefert, das den Körper der Letzteren folgendermaßen beschreibt: „Die Mutter hin- gegen hatte flache, stumpfe Gesichtszüge, eine rosenrothe Nase, blaue Augen, wie, wie Veilchen in Milch gekocht, und liljenweiß gepuderte Haare.“ (DHA 7; 53) Heines Verfahren lassen sich als Rekombination der vom petrarkistischen Kanon tradierten Substantive und Adjektive definieren. Statt des von diesem Kanon vorgesehenen roten Mundes verpasst der Text der Frau eine rosenrote Nase. Die weiße Farbe der zarten Haut der petrarkischen Geliebten findet einen Reflex in der Erwähnung der weiß gepuderten Haare der Frau. Im Falle der Augen befolgt Heine zwar die petrarkische Vorlage, indem er von blauen Augen der Frau spricht, durch den Vergleich der Augenfarbe der Frau mit den in Milch gekochten Veilchen markiert er allerdings eine hässliche Farbnuance. Hierzu vgl. Tanja Rudtke: Die lachende Träne im Wappen. Karnevalistische Ambivalenz und dialogische Strukturen bei Heinrich Heine, Würzburg: Ergon Verlag, 2003, 159. 44 Die Mensch-Tier-Verknüpfungen bieten eine der Artikulationsformen des im Effekt der Vermischung von Heterogenem (z. B. Mensch-Tier) entstehenden Chimärischen, das in der Forschung als „Quintessence des Grotesken“ bezeichnet wird. Vgl. Hans Richard Brittnacher: Ästhetik des Horrors, 199. Peter Fuß: Das Groteske, 349. 45 Die vollständige Stelle lautet: „Ich vergleiche dich, meine Freundin, einer Stute am Wagen des Pharao. Deine Wangen sind lieblich mit den Kettchen und dein Hals mit den Perlenschnüren.“ Das Hohelied (7; 5), 649. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 173

Wenn Heine die körperliche Erscheinung seiner Hamburger „Freundin“ mit der einer Stute analogisiert, tut er dies allerdings nicht, wie der biblische Referenztext es vorschreibt, um einem jungen, wohlproportionierten Frauenkörper zu huldigen, sondern um die Triebnatur eines hässlich alternden als ein ästhetisches und moralisches Skan- dalon zu stigmatisieren, analog wie er das in der Harzreise gemacht hat.46 Indem der Ich-Erzähler die Beschreibung der geradezu brünstigen Hamburgerin mit dem an die textinterne Rezipientin des Berichts gerichteten Satz: „Sie sehen, Madame, ich kann alle Menschen gebrauchen (…)“ (DHA 6; 209) abschließt, rekurriert er auf die seine Beschreibung einleitende These, seine Narrenporträts brächten ihm den Lebensunterhalt und Ruhm ein. Mit diesem stolzen quod erat demonstrandum wird ein Doppeltes geleistet: Erstens wird die groteske Frauenfigur als ein Monstrum, d. h. etymologisch gesehen, als ein Lebewesen oder eine Sache, die des Zeigens wert ist, vorgeführt,47 zweitens präsentiert Heine die einschlägige poetische Körperkonstruktion als ein Paradestück seines poetischen Könnens.

5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes

Mit dem von Heine erfundenen Motto: „Sie war liebenswürdig, und Er liebte Sie; Er aber war nicht liebenswürdig, und Sie liebte Ihn nicht.“ (DHA 6; 171) wird das Thema einer unheilvollen erotischen Verstrickung des männlichen Subjekts ins Zentrum des autobiographischen Textes gerückt. In einem die Entstehung des Ideen begleitenden Brief vom 10. Januar 1827 teilte Heine seinem Freund Friedrich Merckel gleichzeitig das mit, was er aus Zensurgründen den zeitgenössischen Lesern der Ideen verheim- lichte: Dass er die Darstellung seiner politischen Interessen für die eigentlich brisante Botschaft des Textes hielt. In diesem Sinne eröffnete er in dem genannten, die Rezep- tion der Ideen antizipierenden Brief: „Das Buch wird viel Lerm machen, nicht durch Privatskandal, sondern durch die großen Weltinteressen, die es ausspricht. Napoleon und die französische Revolution stehen darin in Lebensgröße.“ (HSA 20; 180) Während einer an den Körperkonzepten orientierten Lektüre der Ideen konnte ich feststellen, dass das Paradigma der Liebesgeschichte und die in dessen Zusammen- hang entfalteten literarischen Körperentwürfe als Scharnierstellen des Textes betrachtet werden können, die den erotischen und politischen Handlungsstrang miteinander verknüpfen. Die Tatsache, dass Heine die Liebeshandlung zum Dreh- und Angelpunkt der auto- biographischen Geschichte hochstilisiert, ist als ein solches Merkmal des Textes einzu-

46 Dieselbe Stigmatisierung erfährt der von Heine als ein schrifstellernder Lüstling charakte- risierte Clauren, dessen Karikatur im vorausgegangenen Kapitel dieser Arbeit als „Porträt des Künstlers als Schwein“ herangeführt wurde. 47 Der Hinweis auf die Wortetymologie verdankt sich Michel Foucault, der in Wahnsinn und Gesellschaft belegt, dass das 19. Jh. die Irren, d. h. „Narren“ als „Monstren“ „wie seltsame Tiere“ öffentlich vorführt. Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, 138. Die literarischen Strategien Heines können als eine literarische Ent- sprechung zu dem von Foucault registrierten sozialen Usus eingestuft werden. 174 5 Poiesis des Leibes in Ideen ordnen, mit dem er sich den epochalen Wandlungen der Liebessemantik stellt. Er rekurriert nämlich auf ein Liebeskonzept, das sich laut Niklas Luhmann in Anleh- nung an die Vorstellung von amour passion im Laufe des ausgehenden 18. Jh.s eta- bliert und erst um 1800 an die Spitze der bürgerlichen Emotions- und Werteskala gelangt. Sein wichtigstes Kennzeichen bildet die Überzeugung von der Exklusivität der Partner und der Ausschließlichkeit ihrer Beziehung, aus der heraus die Liebe zu einem Programm für wahres Menschsein, für gesteigerte Empfindungsfähigkeit, für Welterkenntnis und zugleich zum Garanten spiritueller, quasi-religiöser Erfahrung erklärt wird.48 Eine wichtige Rolle bei der Verfestigung dieses Modells fällt der Literatur der Romantik zu, die mit Friedrich Schlegels Lucinde (1799), die zunächst Liebe als ein friedliches Modell der Geschlechterversöhnung im Dienste der sozialen Institution „Ehe“ konstruiert, um eben dieses Idealmodell in vielen Katastrophengeschichten zu thematisieren, in denen das Ideal an den Vorgaben der Wirklichkeit scheitert.49 Die Tatsache, dass alle Autoren der Romantik den ontologisierenden Imaginationen der Liebe als dem höchsten geistigen Weltprinzip, als der formenden religiösen oder gar mystischen Weltkraft treu bleiben und in ihr vordergründig ein spirituelles Faktum anerkennen, hat gravierende Konsequenzen für die poetische Perspektivierung des Körpers. Die ideale Liebe verbindet sich in den Texten der Romantik mit einer Nega- tivierung der Körperlichkeit, die sich vor allem auf weibliche Figuren bezieht, deren Entkörperlichung vor allem durch Reduktion der weiblichen Körpermerkmale (durch Infantilisierung bzw. Androgynisierung) oder aber durch die räumliche Entrückung in die Ferne bzw. in den Tod betrieben wird. Dieses Verfahren konkretisieren exemplarisch zum Beispiel E. T. A. Hoffmann in dem Märchen Der Goldene Topf oder Eichendorff in den Erzählungen Aus dem Leben eines Taugenichts oder Das Marmorbild. Hoffmanns Protagonisten, dem Schreiber Anselmus, kann die endgültige Erfüllung seiner Träume erst dann zuteil werden, als er sich den erotischen Verlockungen der üppigen Bürgerstochter Veronika entzieht und seiner Faszination für die spirituelle, körperlich auf das Notwendigste reduzierte Schlangenfrau Serpentina nachgibt. Analoge poetische Entsagungs-Aufträge erhalten die männlichen Hauptfiguren der Kurzprosa Eichendorffs, wie der Taugenichts oder Florio aus dem Marmorbild, die ihr Glück erst finden können, wenn sie sich Frauen von einer deutlich androgynen Anziehungskraft zuwenden, deren körperliche Erschei- nung jener von schlanken Knaben gleicht. Indessen erlauben Novalis in Heinrich von

48 Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, Frankfurt am Main: Suhr- kamp, 1984, 13 ff. Anne-Charlott Trepp: Emotion und bürgerliche Sinnstiftung oder die Metaphysik des Gefühls: Liebe am Beginn des bürgerlichen Zeitalters. In: Manfred Het- tling, Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel: Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2000, 23-56, hier 24. 49 Luhmann: Liebe als Passion, 23 f. Detlef Kremer warnt davor, die berühmte Verherrlichung der „Wollust“ in Schlegels Lucinde als repräsentativ für die Texte der Romantik zu betrach- ten und erinnert daran, dass der Roman selbst unter den Frühromantikern auf vehemente Kritik stieß. Vgl. Detlef Kremer: Prosa der Romantik, Stuttgart: Metzler 1997, 106. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 175

Ofterdingen und Clemens Brentano in Godwi der Liebe der Protagonisten sich erst dann vollständig zu entfalten, wenn die erwählten Frauen leibhaftig absent, d. i. fern oder tot sind.50 Mit diesem knappen Hinweis auf den Epochenkontext wird begreiflich, dass Heine in seinem autobiographisch markierten Text, der gleichzeitig die Relevanz der körper- lichen Erfahrung und das von der romantischen Literatur entfaltete spiritualisierte Liebesmodell beansprucht, vor einem Dilemma steht. Dieses Dilemma löst der Autor dadurch, dass er die autobiographisch fundierte Handlung des Textes, in der das Ich allein als Abfolge poetischer Entwürfe, als Stilisierung und Projektion fassbar wird, entlang von überlieferten idealisierenden – d. h. nach dem zeitgenössischen Verständnis „vergeistigten“ – Körpermodellen gestaltet, die eine zentrale Rolle für die einander perspektivisch überlagernden Selbstdeutungen des literarischen Subjekts spielen.

5.3.1 Vier Temperamente Eine konstitutive Rolle in der Geschichte der Liebesverstrickungen des Ich-Erzählers spielt die im Kapitel III der Ideen anzutreffende Beschreibung seiner Kontakte zu seinen vier jungen Nachbarinnen, denen eine besondere Bedeutung in der emotionalen Sozialisation des literarischen Subjekts zukommt. Die markanten Porträts der vier Mädchen, die Heine im Zusammenhang der Geschichte liefert, bildeten eine Herausfor- derung für die biographistisch orientierte Heine-Forschung. Nach den gescheiterten Versuchen, die Identität der einschlägigen Figuren zu bestimmen, kamen die Autoren der Düsseldorfer Ausgabe zum konsensuellen Schluss, mit den literarischen Porträts ziele Heine auf die „wohl fiktive Symbolisierung näher unbekannter Jugenderlebnisse“ (DHA 6; 810), womit die Beschreibung ad acta gelegt wurde. Im Rahmen der hier vorgeschlagenen eingehenderen Lektüre soll nachgewiesen werden, dass die Darstellung der körperlichen Erscheinung der Figuren vordergründig an einem ikonographischen Muster orientiert wird. Die erinnernde Passage lautet: „Die schöne Gertrud war bis zum Tollwerden vergnügt, wenn ich mir zu ihr setz- te; es war ein Mädchen wie eine flammende Rose, und als sie mir einst um den Hals fiel, glaubte ich, sie würde verbrennen und verduften in meinen Armen.“ (DHA 6; 180) „Die schöne Katharina zerfloß in klingender Sanftheit, (...) und ihre Augen waren von so einem innigen Blau, wie ich es noch nicht bei Menschen und Thieren und nur selten bey Blumen gefunden. Man sah gern hinein und konnte sich viel Süßes dabei denken.“ (DHA 6; 180) „(...) die schöne Hedwig liebte mich; denn wenn sie ich zu ihr trat, beugte sie das Haupt zur Erde, so dass die schwarzen Locken über das erröthende Gesicht herab- fielen, und wie die glänzenden Augen wie Sterne aus dunklem Himmel hervorleuch- teten. (...). Sie ließ mich manchmal durch ihre Schwester bitten, nicht so rasch die Felsen zu besteigen, und nicht im Rheine zu baden (...). Ich behorchte einmal ihr

50 Zur Darstellung der Liebe in den Erzählungen der Romantiker vgl. Kremer: Prosa der Ro- mantik, 106. 176 5 Poiesis des Leibes in Ideen

andächtiges Gebet vor dem Marienbildchen, ich hörte deutlich, wie sie die Mutter- gottes bat: Ihm das Klettern, Baden, Trinken zu verbieten. (...)“ (DHA 6; 180) „Die schöne Johanna war die Base der drey Schwestern, und ich setzte mich gern zu ihr. Sie wußte die schönsten Sagen, und wenn sie mit der weißen Hand zum Fenster hinauszeigte, nach den Bergen, wo das alles passiert war, was sie erzählte, so wurde mir ordentlich verzaubert zu Muthe. (...) – und die schöne Johanna sah mich an so seltsam, so heimlich. So räthselhaft traulich (...) sie war ein schlankes, blasses Mädchen, sie war todtkrank und sinnend, ihre Augen waren klar wie die Wahrheit selbst, ihre Lippen fromm gewölbt, in den Zügen ihres Antlitzes lag eine große Geschichte, aber es war eine heilige Geschichte – Etwa eine Liebeslegen- de? (...) Wenn ich sie lange ansah (...) es war mir, als sey ein stiller Sonntag in meinem Herzen und die Engel darin hielten Gottesdienst.“ (DHA 6; 180) Es erscheint nicht zufällig, dass diese Beschreibungen eine zusammenhängende des- kriptive Sequenz bilden, in deren Rahmen ein Vierer-Porträt entsteht. Bei einer auf topische Implikationen orientierten Lektüre lässt sich nämlich die der sinnlichen Ger- trud, der passiven Katharina, der bei all ihrer Schamhaftigkeit doch entschlusskräftigen Hedwig und der nachdenklichen Johanna gewidmete Passage als eine Narrativierung des ikonographischen Konzepts der vier Temperamente erkennen. Damit rekurriert Heine auf ein Modell, mit dem seit der Antike Bezüge zwischen der Beschaffenheit des Körpers, der seelischen Konstitution und den Verhaltensweisen eines Menschen hergestellt wurden. Das vom Arzt Hippokrates (460-377 v. Chr.) formulierte und vom Arzt Galenus (131 bis 200 n. Chr.) popularisierte Konzept der Temperamente fußte auf der Lehre von den vier Körpersäften, aus denen jeder menschliche Körper besteht. Die Dominanz eines dieser Säfte entschied über das Temperament des Menschen. Gemäß der antiken Theorie überwogen angeblich bei der sanguinischen Veranlagung das Blut (sanguis), bei der phlegmatischen der Schleim (Phlegma), bei der cholerischen die gelbe (cholé), bei der melancholischen – die schwarze Galle (melan). Seit dem 18. Jh., in dem die Medizin die im aristotelisch-galenischen Lehrgerüst begründete Säftetheorie aufgibt, wird entsprechend den sich profilierenden neuen medizinischen Konzepten das Temperament mit der Stärke, Reizbarkeit und Empfind- lichkeit der Nervenfibern in Zusammenhang gebracht, wobei das tetradische Schema und die einschlägigen Begrifflichkeiten unverändert bleiben.51 In dieser Ausformung spielt die Temperamentenlehre u. a. in der Anthropologie Kants, aber auch in der physiognomischen Lehre Lavaters und im anthropologischen und medizinischen Schrift- tum bis etwa in die 1840er Jahre eine Rolle.52

51 Zu Umwandlungen des Temperamentenparadigmas und ihrem Widerhall in der Literatur um 1800 vgl. Harald Neumeyer: „Wir nennen aber jetzt Melancholie“. Chateaubriand, Goethe, Tieck und die Medizin um 1800. In: Lange, Neumeyer (Hg.): Kunst und Wissen- schaft um 1800, 63-78. 52 Vgl. Johann Caspar Lavater: Physiognomische Fragmente, bes. 124-136. Als Frontispitz des IV. Teils seiner „Physiognomischen Fragmente“ (1778) wählte Lavater eine Komposition von Daniel Chodowiecki, die die Reaktionen der Vertreter von vier Temperamenten vor einem 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 177

Die Präsenz dieses Schemas im intellektuellen Umfeld Heines kann exemplarisch unter Berufung auf Heinrich Steffens dokumentiert werden, dessen 1822 herausge- gebenes wissenschaftliches Hauptwerk, nämlich Anthropologie Heine nach eigenem, in der Schrift Zur Geschichte der Philosophie in Deutschland abgelegten Zeugnis, kannte. (Vgl. DHA 12; 334) In seinem Plädoyer für die Aufrechterhaltung der Tempe- ramententheorie, das trotz der Einsicht in die Obsoletheit der ihre Grundlage bildenden Säftelehre vorgetragen wird, erklärt Steffens: „Die alte Eintheilung in die Temperamente ist keineswegs eine zufällige (...). Was man gewöhnlich das sanguinische Temperament genannt hat, nennen wir das genießende, das melancholische das sehnsüchtige, das cholerische das thätige, das phlegmatische das leidende.“53 Die Kenntnis der Temperamente wird um 1800 nicht nur als wichtige Komponente der menschenkundlichen Grundausstattung eines Schriftstellers betrachtet,54 sondern spielt eine Rolle im medizinischen Diskurs der Zeit, welcher die therapeutischen Maßnahmen u. a. von dem Temperament des jeweiligen Patienten abhängig machte. Um Einsichten in die im Zusammenhang mit der Temperamententheorie verwen- deten medizinischen Kategorisierungen und Sprachmuster zu gewähren, erscheint es aufschlussreich, Wilhelm Christoph Hufelands Enchiridion medicum oder die Anlei- tung zur medizinischen Praxis zu berücksichtigen, in dem die durch ihren eklektizi- stischen Ansatz berühmte Koryphäe das Vermächtnis ihrer langjährigen Praxis lie- ferte. Hufeland, der mit seiner universitären Tätigkeit und seinen Schriften die medi- zinische Praxis in Deutschland zu Anfang des 19. Jh.s maßgeblich prägte, lehrt, das Temperament sei das „Verhältnis des geistigen Einflusses zum Organismus und die dadurch entstehenden verschiedenen Charaktere“55. Des weiteren argumentiert Hufe- land neurologisch, indem er das melancholische Temperament, das seiner Meinung nach „ein Streben nach Unendlichem“56 auszeichnet, mit dem Überwiegen des gang- liösen Teils des Nervensystems verbindet57, das in langsamer Erregbarkeit resultiert. Aus seiner Gemälde zeigt. Zur Präsenz der Temperamentenlehre in den anthropologischen Kon- zepten im 18. und 19. Jh. vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11, 1156 f. 53 Heinrich Steffens: Anthropologie, Breslau: J. Max, 1822, 441. 54 In diesem Sinne verbreitet die Lehre u. a. Wolfgang Menzel in seiner Monographie Deutsche Literatur, in der er folgende Einteilung vorschlägt: „Das sanguinische Temperament hat eine vorherrschende Neigung zum Sinnlichen. (...) Im cholerischen Temperament herrscht der Wille vor. (...) Das melancholische Temperament zeichnet sich durch Herrschaft der Gefühle aus. (...) Im phlegmatischen Temperament, in welchem die Sinnlichkeit, der Wille und das Gefühl vollkommen beruhigt erscheinen, tritt dagegen der kalte, ruhig beobachtende Verstand hervor.“ Wolfgang Menzel: Die deutsche Literatur, Stuttgart: Hallbergsche Buch- handlung, 1836, 125 f. 55 Hufeland: Enchiridion medicum oder die Anleitung zur medizinischen Praxis: Vermächtnis einer funfzigjährigen Erfahrung, Berlin: Jonas, 1842, 561. 56 Ebd. 57 Als „Ganglien” bezeichnet man um 1800 „den Theil des Nervensystems, welcher vorzugs- weise den Organen des Halses, der Brust und des Unterleibes angehört und mit allen Gehirn- und Rückenmarknerven, außer den Seh-, Riech-, und Hörnerven (...) in Verbindung steht.“ 178 5 Poiesis des Leibes in Ideen dieser Überzeugung heraus definiert Hufeland den Melancholiker als einen Men- schen, dessen Gefühl nicht leicht aufgereizt wird und „einmal entstanden dennoch tief wirkende Eindrücke und lange dauernde oft verborgene Nachwirkung oft sowohl im Physischen als auch im Geistigen hinterläßt“58. Damit erklärt der Arzt die Neigung des Typus „zum Nachdenken, tiefen Denken, d. i „Hypochondrie, Schwermuth (...)“59. Laut Hufeland verbindet sich mit dem sanguinischen Temperament ein Übergewicht der Gehirnfunktionen, vorzugsweise jener des Kleinhirns, was zu leichter Erregbarkeit und kurzer Reaktionszeit führt. Das cholerische zeigt ein Übergewicht des venösen Bluts, daher verknüpft es leichte Erregbarkeit mit langer Dauer der Reaktion. Das phlegma- tische Temperament korreliert Hufeland mit schwacher Reizbarkeit und Empfindlichkeit in allen Funktionen, sowohl geistigen als auch körperlichen, zudem mit Mangel an Wärme und „Schlaffheit der Faser“60 . Die in der zeitgenössischen medizinischen Praxis verwendeten Begrifflichkeiten und Argumentationsmuster weist Heine in den Ideen, ähnlich wie in seinen anderen Texten, ab. Getreu seinen poetologischen Prämissen, denen gemäß die Körperkonzep- tualisierung in der Kunst keine Angelegenheit des naturwissenschaftlichen Wissens, sondern primär eine der adäquaten ästhetischen Formung ist, rekurriert Heine in der oben zitierten Textpassage auf den zeitgenössisch bereits anachronistischen ikono- graphischen Tradierungsstrang der Temperamentenlehre und die in dessen Rahmen verwendeten Attribuierungen. Betrachten wir Heines Viererporträt vor der Folie des wohl bekanntesten barocken ikonographischen Handbuchs mythologischer und allegorischer Figuren, der von Cesare Ripa italienisch 1593 veröffentlichten und in Deutschland aufgrund von zwei Ausgaben (1705, 1760) im 18. Jh. bekannten Iconologia, kann die „bis zum Tollwerden vergnügte“, „warme“ Gertrud dem sanguinischen Temperament zugeordnet werden, das dem Leser von Ripas Ikonologia als „jung und heiter“ entgegentritt.61 Die passive, nachgiebige, „zerfließende“ Katharina, würde dem von Iconologia als „untätig“ defi- nierten Temperament des Phlegmatikers entsprechen.62 Hedwig, deren ungestümes Verhalten Ambivalenzen zwischen der traditionell Frauen zugeschriebenen Scham- haftigkeit und Leidenschaftlichkeit zeigt, könnte dem laut Ripa stets „leidenschaft- lich bewegten“ Cholerikertypus zugeordnet werden.63 Das Bild der „schönen Johanna“ mit ihren Körpermerkmalen (blass, schlank, kränklich) mit ihrer unbestimmten Sehn- sucht, ihrem kontemplativ-trauernden Verhalten und ihrer Todesgewissheit, geht voll- ständig in dem von Ripa ikonologisch festgehaltenen Melancholikertypus auf.64

Vgl. Carl Ferdinand Gräfe (Hg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissen- schaften, Berlin: Boike, 1835, 168. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd. 61 Cesare Ripa: Iconologia oder Bilder-Sprache, Frankfurt: In Verlegung Wilhelm Serlins 1670, 174. 62 Ebd., 171. 63 Ebd., 169. 64 Ebd., 175-176. Die traditionelle Ikonographie korreliert jedes der Temperamente mit einem Naturelement. So entsprechen der Reihe nach dem Sanguiniker die Luft, dem Phlegmatiker 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 179

Nicht zufällig weist die Textökonomie der Ideen Johanna auch die längste Passage zu, denn hinter ihrem Bild scheint, wenn auch vage, jenes des Ich-Erzählers hervor- zutreten. Eine Affinität zwischen Johanna und dem Erzähler manifestiert sich zunächst darin, dass Johanna auf eine für die Literatur der Romantik typische mysteriöse Art und Weise um die Vergangenheit des Erzählers weiß. Beide Figuren zeigen auch narratives Talent. Damit entsteht ein Nexus, der der antiken, in der Säftelehre gründenden Temperamententypologie entspricht, welche Melancholie mit besonderem kreativem Potential verband. Diese Vorstellung wurde vom medizinischen Diskurs des 19. Jh.s übernommen. Dieser konzeptualisierte sie entlang der damals aktuellen Standards und erklärte das besondere Kreativitätspotential der Melancholiker mit ihrer zarten nervlichen Disposition, mit welcher eine rege Einbildungskraft verknüpft wurde.65 Vor der Folie dieser Erkenntnisse verwundert es nicht, dass Johanna „die schönsten Sagen“ (DHA 6; 180) kennt und dass sie überdies diese Sagen narrativ auch so zu gestalten weiß, dass sie die Aufmerksamkeit des Erzählers bannen. Im Nachhinein bekennt dieser: „Wenn sie erzählte, wurde mir ordentlich verzaubert zu Muthe.“ (DHA 6; 181) Darauf, dass sein eigenes Erzählen Interesse erregt und bei Johanna Gehör findet, geht der Protagonist mit der Behauptung ein: „ich erzählte (...) ihr die Ge- schichten aus meiner Kindheit, und sie hörte immer ernsthaft zu (...).“ (DHA 6; 180) Das Interesse Johannas kann kaum mit ihrer Neugier auf den Plot der Erzählungen erklärt werden. Paradoxerweise scheint sie nämlich die Vergangenheit des Erzählers bestens zu kennen, da sie immer wieder seinem Gedächtnis dadurch nachhilft, dass sie die von ihm vergessenen Namen ergänzt. An seine damaligen Reaktionen erinnert sich der Erzähler folgendermaßen: „Wenn ich sie alsdann mit Verwunderung fragte: woher sie die Namen wisse? so gab sie mir lächelnd zur Antwort, sie habe sie von den Vögeln erfahren, die an den Fliesen ihres Fensters nisteteten – und sie wollte mich gar glauben machen, dieses seyen die nämlichen Vögel, die ich einst als Knabe mit meinem Taschengelde den hartherzigen Bauernjungen abgekauft habe (...).“ (DHA 6; 181) Indem diese Passage die Affinität zwischen Johanna und dem Protagonisten durch das Motiv der Vögel etabliert, bestätigt sie die Verbundenheit der Ideen mit der Tempera- mente-Ikonographie, in deren Rahmen die Vögel das traditionelle ikonographische das Wasser, dem Choleriker das Feuer und dem Melancholiker die Erde. Hierzu vgl. Gernot Böhme, Hartmut Böhme: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München: Beck: 2004, 267. In jedem der von Heine erstellten Porträts wird die Affinität der jeweiligen Figur zu einem Element eindrücklich herausgestellt, wobei der Autor den Vorgaben der Tradition nicht folgt. Diese Strategie lässt sich mit den Postulaten der zeit- genössischen Ästhetik erklären, nach denen der Künstler seine Vorgaben nie starr nach- ahmen, sondern sie entsprechend dem Prinzip der steten Selbstvergewisserung seiner künstle- rischen Freiheit im kreativen Akt mehrfachen An- und Umwandlungen unterziehen soll. 65 Vgl. Raymond Klibansky, Erwin Panofsky, Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1990, 91. 180 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Attribut des Melacholikers darstellen.66 Zusätzlich wird dem literarischen Subjekt mit dem Hinweis aufs Geld ein weiteres charakteristisches Merkmal der Melancholiker- Ikonographie zugeteilt. In Heines Text, der verschiedene kulturelle Kontexte miteinander kontaminiert, erscheint Johanna nicht nur als eine allegorische Darstellung des melancholischen Temperaments, sondern verkörpert gleichzeitig den von der Literatur des 19. Jh.s mit Vorliebe thematisierten Idealtypus vergeistigter Frauen, unter deren Vorbildern Novalis’ Mathilde firmiert und die in der Epik dieser Zeit eher Gegenstand ästhetischer Betrach- tungen als sinnlicher Begierden der männlichen Protagonisten werden. Laut Rita Morrien werden diese ätherischen Frauenfiguren bevorzugt als lungenkrank geschildert, wobei die Literatur mit Attributen wie „schlank“, „blass“ „todkrank“, jenen also, die Heine Johanna zuschreibt, eine Ästhetisierung der Tuberkulose vollzieht.67 Einen gewissen Einfluss auf die Etablierung dieses Konzepts hat die Tatsache, dass die Literarisierung der Tuberkulose im 19. Jh. unter Aussparung von Symptomen wie: Blutstürzen, Auswurf, Nachtschweiß und zunehmender Schwäche des Patienten erfolgt, während die euphorischen Zustände, welche diese Krankheit oft hervorruft und die als Vergeistigung gedeutete Auszehrung der Kranken, hervorgehoben werden.68 Die Schwindsucht, deren wahre Ätiologie damals nicht geklärt und deren gezielte Heilung ungesichert war, eignet sich um 1800 zum Projektionsfeld und Medium kul- turell geprägter Imaginationen, was laut Susan Sontag die literarische Karriere der Krankheit maßgeblich fördert.69 Unter Verweis auf die engere Beschaffenheit des weiblichen Thorax, darüber hinaus auf die stärkere Empfindlichkeit und Reizbarkeit der weiblichen Lungennerven wurde zuweilen bei Frauen eine größere Anfälligkeit für die Schwindsucht diagnostiziert.70 Die Rückführung der Tuberkulose auf eine zarte Konstitution, die einer auszehrenden Leidenschaft bzw. anhaltender Frustration nicht standgehalten hat, trug dazu bei, dass die Krankheit vor allem bei jungen fragilen Frauen als Konsequenz unerfüllter Liebe erklärt wurde. Die epochenspezifischen Deutungen finden einen Reflex in dieser Mutmaßung des Protagonisten: „hinter den Zügen ihres [Johannas K. J.] Antlitzes lag eine große Ge- schichte, aber es war eine heilige Geschichte – Etwa eine Liebeslegende?“ (DHA 6; 180)

66 Ebd. 67 Rita Morrien: Sinn und Sinnlichkeit. Der weibliche Körper in der deutschen Literatur der Bürgerzeit, Köln: Böhlau, 2001, 245 f. 68 Vgl. Brigitta Schrader: Schwindsucht – Zur Darstellung einer tödlichen Krankheit in der deutschen Literatur vom poetischen Realismus bis zur Moderne, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Peter Lang, 1987, 5 f. Die Desillusionierung der Literatur hinsichtlich der Natur der Tuberkulose erfolgt erst in der Moderne. 69 Susan Sontag: Krankheit als Metapher, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag, 1996, hier: 22 f. Zur Thematisierung der Tuberkulose in der Literatur vgl. auch die umfassende Übersicht in: Bettina von Jagow, Florian Steger: Literatur und Medizin: ein Lexikon, Göttin- gen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005, 806 ff. 70 Ueber die Krankheiten des Weibes im Allgemeinen oder praktische Andeutungen über die Art und Weise, wie die auch beim Manne vorkommenden Krankheiten im weiblichen Ge- schlechte modificiert werden. (Anonym). In: Analekten für Frauenkrankheiten, 1-28, hier: 25 f. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 181

Entsprechend der in der Literatur des 19. Jh.s kolportierten ästhetisierten Vorstel- lung der schwindsüchtigen Frau, deren Leben mit Entmaterialisierung endet, ver- schwindet auch Johanna sanft aus dem Gesichtskreis des Erzählers, der sich nicht an ihren Tod, sondern nur noch an ihren Abschied erinnert: „Sie wußte auch, wann sie sterben würde, und wünschte, daß ich Andernacht den Tag vorher verlassen möchte. Beim Abschied gab sie mir beide Hände – es waren weiße, süße Hände, und rein wie eine Hostie – ...“ (DHA 6; 181)71 Laut Rita Morrien, die dem Phänomen der kranken Frau in der Literatur des 19. Jh.s. nachgegangen ist, wird in den Texten dieser Zeit erst der tote Körper der verblassten Frauen zum ästhetischen Ausstellungsgegenstand der Erinnerungen des männlichen Protagonisten, an dem seine Liebe haftet.72 Dieser in anderen literarischen Texten der Epoche vorgegebenen Vorstellung weichen die Ideen dadurch aus, dass sie in ihre Handlung das um 1800 populäre Konzept der Seelenwanderung integrieren.73 Im Anschluss an die Beschreibung seiner Begegnungen mit Johanna schließt der Erzähler die Geschichte seiner Beziehung zu der um einige Jahre jüngeren „kleinen Veronika“ (DHA 6: 181) an, die aufgrund mehrerer Textsignale als eine Reinkarnation der gestor- benen Johanna zu identifizieren ist.74 Bei der Einführung dieser Figur gibt der Text wenig Hinweise auf das Äußere des Mädchens, was zunächst als ein Tribut an die literarische Epochenkonvention gedeutet werden kann. Allerdings überschreitet der Erzähler die Grenzen der Konvention da- durch, dass er sich (zuerst) ausdrücklich dagegen sträubt, den Körper von Veronika zu beschreiben: „Madame, Sie wünschen, daß ich erzähle, wie die kleine Veronika ausgesehen hat. Aber ich will nicht.“ (DHA 6; 219) Wenn er danach gegen die hier

71 Die zarte weibliche Hand bildet das bleibende Aufmerksamkeitszentrum in der frühen Prosa Heines. Hierzu vgl. exemplarisch die Passage in Reise von München nach Genua: „Die Hand mit dem bläulichen Geäder und der vornehme Glanz der weißen Finger war mir so befremdlich wohlbekannt, und alle Traumgewalt meiner Seele kam in Bewegung, um ein Gesicht zu bilden, das zu dieser Hand gehören konnte. Es war eine schöne Hand, und nicht, wie man sie bei jungen Mädchen findet, die, halb Lamm, halb Rose, nur gedankenlose, vegetabil animalische Hände haben, sie hatte vielmehr so etwas Geistiges, so etwas ge- schichtlich Reizendes, wie die Hände von schönen Menschen, die sehr gebildet sind oder viel gelitten haben. Diese Hand hatte dabei auch so etwas rührend Unschuldiges, daß es schien, als ob sie nicht mitzubeichten brauche und auch nicht hören wolle, was ihre Eigentümerin beichtete, und gleichsam draußen warte, bis diese fertig sei. Das dauerte aber lange; die Dame mußte viele Sünden zu erzählen haben. Ich konnte nicht länger warten, meine Seele drückte einen unsichtbaren Abschiedskuß auf die schöne Hand, diese zuckte in demselben Momente, und zwar so eigentümlich, wie die Hand der toten Maria zu zucken pflegte, wenn ich sie berührte. Um Gottes willen, dacht ich, was tut die tote Maria in Trient? – und ich eilte aus dem Dome.“ (DHA 7/1; 42f.) 72 Rita Morrien: Sinn und Sinnlichkeit, 223. 73 Andreas Böhn: Seelenwanderung und ewiges Wiederholungsspiel. Zum Verhältnis zwischen linearer und zyklischer Zeit in Heines „Reisebildern“. In: Athenäum. Jahrbuch für Romantik 4 (1994), 283-310. 74 Zum Katalog der beide Figuren verknüpfenden Merkmale vgl. Götz Großklaus: Textstruktur und Textgeschichte. Die „Reisebilder“ Heinrich Heines, Frankfurt am Main: Athenäum, 1973, 59 f. 182 5 Poiesis des Leibes in Ideen deklarierte Absicht zu einer Beschreibung anhebt, fokussiert er genau jene Körper- motive (Augen, helle Stimme und weiße Hand), die die Beschreibung von Johanna bestimmt haben. Die einschlägige Schilderung, die triviale Topoi aneineinderreiht, scheint weniger auf die Vergegenwärtigung eines Frauenkörpers, vielmehr auf eine ironischen Metareflexion über die Rhetorik der Beschreibung abzuzielen. Sie lautet: „In diesem Auge lag alle Herrlichkeit der Erde und ein ganzer Himmel obendrein. Vor Seligkeit hätte ich sterben können, und starb ich in solchen Augenblicken, so flog meine Seele direkt in jenes Auge. O! Ich kann jenes Auge nicht beschreiben!“ (DHA 6; 218) Die Ironie wird bei der Schilderung von Veronikas Hand folgendermaßen potenziert: „Es war eine schöne Hand, so zart, so durchsichtig, glänzend, süß, sanft – wahrhaf- tig, ich muß nach der Apotheke schicken, und mir für zwölf Groschen Beywörter kommen lassen. (...)“ (DHA 6; 218)75 Diese ironisch gehaltenen Sätze münden in einer Passage, bei der die anfängliche Weigerung des Erzählers als Abwehr einer schauerlichen Erinnerung begreiflich wird: „Madame, Sie können sich kaum vorstellen, wie hübsch die kleine Veronika aus- gesehen hat, als sie in dem kleinen Särglein lag. Die brennenden Kerzen, die rund umher standen, warfen ihren Schimmer auf das bleiche lächelnde Gesichtchen, und auf die rothseidenen Röschen und rauschenden Goldflitterchen, womit das Köpfchen (...) verziert war. (...) und als ich die kleine Leiche, mit den Lichtern und Blumen, auf dem Tische ausgestellt sah, glaubte ich anfangs, es sey ein hübsches Heiligenbildchen von Wachs; doch bald erkannte ich das liebe Antlitz, und frug lachend: warum die kleine Veronika so still sey? und die Ursula sagte: Das thut der Tod.“ (DHA 6; 218 f.) Mit dieser Reminiszenz wird deutlich, dass der tote Körper von Veronika in der Erin- nerung und der Erzählung des Protagonisten den Platz des verblassten Körpers von Johanna eingenommen hat. Dass Veronika ein Kind ist, tut der erotischen Zuwendung, die ihrem Körper im Erzählprozess zuteil wird, keinen Abbruch. Letztendlich soll der Körper von Veronika genauso wie der schemenhafte Körper von Johanna zugunsten der Idee überirdischer Reinheit und Schönheit erlöschen. Die Funktion der beiden Frauen im Text besteht darin, dass sie den Protagonisten mit

75 Diese Passage kann auch deswegen besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, weil sie einen ironischen Hinweis auf die zeitgenössische Definition der Liebe als Magnetismus liefert. (Vgl. die Äußerung Friedrich Schlegels: „Was oft Liebe genannt wird, ist nur eine eigne Art von Magnetismus.“ Friedrich Schlegel: Fragmente. In: Kritische Friedrich-Schlegel-Aus- gabe, Bd. 2, 226). Der Definition der Liebe entspricht Heines Erzähler, der behauptet, dass Veronikas Finger ihn des Öfteren auf den Mund geschlagen haben, mit dem ironischem Kommentar, die Veronikas Schläge als magnetische Striche umdeutet: „Seitdem ich solcher- maßen manupoliert worden, glaube ich steif und fest an den Magnetismus.“ (DHA 6; 218) Die Erwähnung der Schläge knüpft an in der im späteren Verlauf des Textes (hierzu vgl. S. xxx der vorliegenden Arbeit) angesprochene Thema der Gewalt an. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 183

Vergänglichkeit konfrontieren und ihn mit ihrer vergeistigten Präsenz und durch ihren Tod auf eine höhere Bewusstseinsstufe heben, von der aus sein dichterisches Tun seinen Anfang nehmen kann.76

5.3.2 Der Körper der Geliebten Mit dem Motto: „Sie war liebenswürdig, und Er liebte Sie; er aber war nicht liebens- würdig, und Sie liebte ihn nicht. (Altes Stück.)“ (DHA 6; 173) werden die Ideen in die Koordinaten der erotischen Rede eingeschrieben, die traditionsgemäß von einer gestei- gerten Wahrnehmung der körperlichen Präsenz der Geliebten lebt und nach einem schönen Körper verlangt, der der rhetorischen Tradition entsprechend in Form des sog. Schönheitslobs umworben werden soll. Die zu Anfang der Ideen mit poetischen Mitteln geleistete Ankündigung Heines, seine Erzählung um die Belange des Körpers zu zentrieren, kann als eine Herausforderung an die Epochenkonvention verstanden werden, die diese Problematik ausgrenzt. Eine eingehende Lektüre der Ideen belegt, dass Heine durch die Zuwendung zur alten Topik, deren Versatzstücke in seinem Text kontaminiert werden, eine Möglichkeit findet, zugleich dem inhaltlichen Anspruch seines Textes und den sittlichen und ästhetischen Vorgaben der Epoche gerecht zu werden. Die im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erfolgte Lektüre der Ideen erlaubt den Schluss, dass die Dynamik dieses Textes und seine Körperkonstruktionen deutliche intertextuelle Bezüge zu Francesco Petrarcas (1304-1374) Canzoniere aufweisen. Die Erkenntnis der Bedeutung des petrarkistischen Modells für Heines Gedichte gehört seit dem 1966 veröffentlichten paradigmatischen Aufsatz Manfred Windfuhrs Heine und der Petrarkismus. Zur Konzeption seiner Liebeslyrik zum festen Konsens der Heine-Forschung,77 wobei die Bedeutung der intertextuellen Bezüge zwischen dem Sonettzyklus Petrarcas und den Texten Heines ausdrücklich auf die Lyrik des Letzteren eingeschränkt wird. Diese Zuschreibung begründet Windfuhr folgender- maßen: „Heines Prosa ist im ganzen differenzierter, weniger formelhaft. In seinen erzählenden, journalistischen und kritischen Arbeiten versucht er von Anfang an, das Bild der Wirklichkeit vielschichtiger zu erfassen.“78

76 Zur Funktion der kranken Protagonistinnen im Roman des 19. Jh.s vgl. ebd. Zur katalysie- renden Rolle von Johanna für das Schreiben des Protagonisten vgl. DHA 6; 181. In dem von Ideen betriebenen Spiel der Fiktionen wird die den Leser repräsentierende Madame mit folgenden Worten zur nächsten Inkarnation von Johanna und Veronika erklärt: „Ich habe nachgerechnet, Madame, Sie sind geboren just an dem Tage, als die kleine Veronika starb. Die Johanna in Andernacht hatte mir vorausgesagt, daß ich in Godesberg die kleine Veronika wiederfinden würde. Und ich habe Sie gleich wieder erkannt – Das war ein schlechter Einfall, Madame, daß Sie damals starben, als die hübschen Spiele erst recht losgehen sollten.“ (DHA 6; 221) 77 Im Folgenden wird der 1966 zum ersten Mal erschienene Aufsatz nach dem letzten erfolg- ten Abdruck als: Manfred Windfuhr: Heine und der Petrarkismus. Zur Konzeption seiner Liebeslyrik. In: Ders.: Rätsel Heine. Autorprofil. Werk. Wirkung, Heidelberg: C. Winter, 1997, 213-236. 78 Ebd. Die Präsenz des petrarkischen Modells in den Ideen. Das Buch Le Grand beschränkt sich laut Windfuhr auf die gelegentliche Benennung der Geliebten als Laura. 184 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Um die Bedeutung des Canzoniere für die Ideen erkennen zu können, erscheint es notwendig, nicht nur die einzelnen sprachlichen Formeln, sondern auch die grundle- genden Strukturen des bekannten italienischen Zyklus zu berücksichtigen, die im Folgenden knapp zusammengestellt werden. Im Zentrum der 365 Gedichte umfassenden Gedichtsammlung von Petrarca steht die wollüstige Schmerzliebe eines dienenden Mannes, der vom ersten Augenblick des inamoramento, d. h. des schicksalhaften Sich-Verliebens, seine donna schreibend umwirbt und eingefangen in einem circulus vitiosus von Hoffen und Verzweiflung bleibt. Dieses Gefangen-Sein kann als die Grundbedingung des petrarkistischen Schrei- bens erkannt werden, das die prekäre Balance einer zwischen Fortschritt und Verweilen gefangenen erotischen Geschichte reflektiert. Es ist vor allem das epiphanische Moment des inamoramento, das im Zyklus in unterschiedlichen Varianten erinnert und vergegenwärtigt wird. Konstitutiv für das Modell ist überdies das kurze Intermezzo einer Gegenliebe, in dem die Hoffnungen des Liebenden, erhört zu werden, Nahrung finden, womit die Fortsetzung des Dichtens motiviert und garantiert wird.79 Die petrarkistische Konstellation lebt im Wesentlichen von der Stilisierung der unnahbaren Geliebten zum Inbegriff körperlicher und seelischer Vollkommenheit, bei welcher der Lobpreis des weiblichen Körpers eine maßgebliche Rolle spielt. Laut fundierten Analysen Roland Beneckers, der die Literarisierungsprinzipien des weibli- chen Körpers bei Petrarca zu erfassen sucht, favorisiert die petrarkische Landkarte des weiblichen Körpers die Augen der Frau, die von Petrarca metaphorisch zum bevor- zugten Wohnsitz des Liebesgottes Amors erklärt werden, aus dem heraus dieser seine Pfeile in die verwundbaren Herzen der Männer schießen kann. Im Canzoniere werden Lauras Augen insgesamt 133 Mal genannt, wobei Petrarca in erster Linie die Wirkung ihres Blickes reflektiert.80 Mit dieser Akzentuierung des Blicks schreibt die italienische Sonettsammlung eine seit der Antike präsente Liebessemantik fort, die nicht zuletzt von dem pragmatischen Sachverhalt begründet erscheint, dass der Blick dank seiner Flüch- tigkeit einen besonderen Kontaktmodus für eine von sozialen Sanktionen bedrohte Liebes- beziehung bildet. Er führt nicht nur zur Anbahnung des Kontaktes zwischen den Lieben- den,81 sondern wird auch zum Gradmesser ihrer Emotionen, an dem sich die jeweilige Hoffnung auf Erfüllung ablesen lässt. Neben den Augen berücksichtigt die von Petrarca poetisch erstellte „carte mor- phologique de Laura“, die für Jahrhunderte die Standards für die Literarisierung des

79 Hierzu vgl. Erika Greber: Petrarkismus als Geschlechtercamouflage? Die Liebeslyrik der Barockdichterin Sibylle Schwarz. In: Bündnis und Begehren. Ein Symposium über die Lie- be, hrsg. von A. Kraß, A. Tischel, Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2002, 142-168, hier: 143 f. 80 Vgl. Roland Bernecker: Fonction de la corporalité chez Pétrarque. In: Günter Krause (Hg.): Literalität und Körperlichkeit. Littéralité et corporalité, Tübingen: Staffenburg-Verlag, 1997, 91-102, hier: 97. 81 Vgl. Matthias Völcker: Blick und Bild. Das Augenmotiv von Platon bis Goethe, Bielefeld: Aisthesis, 1996, 163. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 185 weiblichen Körpers in Europa determinierte, das Gesicht, die Haare, die Füße der Frau, eine wichtige Rolle schreibt sie auch ihrer sanften Stimme zu.82 Der Lobpreis des weiblichen Körpers lebt bei Petrarca im Wesentlichen davon, dass dessen Schönheit mit dem Schmerz und Todeswunsch kontrastiert wird, die der (An-)Blick und die Unerreichbarkeit der Schönheit beim Sprecher verursacht. In den poetischen Konfigurationen des italienischen Dichters erscheinen Liebe und Frustration und folglich Liebe und Gewalt dadurch verknüpft, dass die Frau trotz ihres zarten Körpers und ihrer feinen Umgangsformen den Mann durch ihre Unnahbarkeit verletzt und ihm damit als Aggressorin erscheint. Dabei verdankt Petrarcas Lyrik wesentliche Effekte der hyperbolisch gehandhabten Metaphorik der Verwundung durch den Blick der Geliebten, die neben der Metaphorik des Schmerzes, neben der die unheilvolle Verstrickung des Mannes veranschaulichenden Bildlichkeit des Liebesnetzes und einer hohen Frequenz von Oxymora zum Grundbestand des petrarkischen Formenkanons gehören. Mehrere Belege zeugen davon, dass das freie Verfügen über das Motiv- und Formen- repertoire des Canzoniere im intellektuellen Horizont des 19. Jh.s als kulturelles Kapital eines Dichters eingestuft werden konnte. Im unmittelbaren Bildungsumfeld Heines und, breiter gefasst, auch im literarischen Betrieb der Zeit, war der toskanische Dichter nicht nur mit aktuellen Übersetzungen präsent,83 sondern wurde auch in den kunsttheoretischen Schriften zum Ideal des Dichters stilisiert, wobei sein Sonettzyklus als Musterbild des kultivierten lyrischen Gattungsdiskurses schlechthin reflektiert wurde. Dabei wurden der Name Petrarca, ferner petrarkische und petrarkistische Konstellationen im romantischen Horizont, (und auch von Heine selbst),84 immer mit dem idealisierten Liebeskonzept kurzge- schlossen, was als ein epochenspezifisches Rezeptionsmerkmal kategorisiert werden kann. Denn: Wenn die Entsexualisierung der Liebe in der italienischen Lyriksammlung auch ursprünglich angelegt war, was sich am Beispiel des barocken Petrarkismus belegen lässt, wurde sie in der Geschichte der Petrarca-Nachahmung keineswegs immer zwingend konkretisiert.

82 Bernecker: Fonction de la corporalité chez Pétrarque, 97, 99. 83 Neben den in zahlreichen Taschenbuchausgaben zugänglichen Übersetzungen der Einzel- gedichte erschien 1818 die Verdeutschung des gesamten italienischen Zyklus von Karl Förster. Heines Bonner Universitätslehrer August Wilhelm Schlegel übersetzte Petrarcas Gedichte, um sie in seinen Vorlesungen als Beispiele für lyrische Wendungen und vorbildliche Tropen zu verwenden. Im Literaturbetrieb der Romantik war Petrarca aufgrund von zahlrei- chen Übersetzungen und Nachdichtungen einzelner Sonette, die in den Taschebüchern oder bekannten Sammlungen wie Blumensträusse italienischer, spanischer und portugiesischer Dichtung (1804) A. W. Schlegels erschienen, präsent. Zu diesem Strang der Petrarca-Überlie- ferung vgl. Danilo Bianchi: Die unmögliche Synthese. Heines Frühwerk im Spannungsfeld von petrarkistischer Tradition und frühromantischer Dichtungstheorie, Bern: Peter Lang, 1983, 17. 84 In den von der Berührung mit dem Saint-Simonismus, geprägten in Paris entstandenen Neuen Gedichten 1831 schreibt Heine: „Laura heißt sie! Wie Petrarca / Kann ich jetzt platonisch schwelgen / In dem Wohllaut dieses Namens / Weiter hat er’s nie gebracht.“ (DHA 3; 86) 186 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Zu den deutschen Bewunderern Petrarcas zählten um 1800 die prominenten Univer- sitätslehrer Heines: August Wilhelm Schlegel, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Dem ersteren, dessen Vorträge Heine in Bonn hörte, galt der Canzoniere aufgrund seiner Musikalität und der Suggestivität seiner sprachlichen Bilder als Inbegriff voll- kommener Beherrschung der lyrischen Form.85 Analog gestaltete sich auch das Lob Schellings, der in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst Anerkennung für Petrarca als jenen Dichter verlangte, dem es gelang, die Poesie zu dem höchsten Grad lyrischer Schönheit auszubilden, was sich vollkommener Form- und Selbstbe- herrschung verdankte. Die ästhetischen Distanzierungsleistungen des Italieners pries der Philosoph, indem er schrieb: „Man würde sich irren, in Petrarca einen in Liebe zerfließenden und zerschmelzenden Dichter zu suchen, da seine Gedichte so streng, präcis, bestimmt sind als die des Dante in ihrer Art.“86 Mit Schelling stilisierte die Romantik den italienischen Autor ferner zum sittlichen Ideal einer „harmonischen, von der Blüthe der Bildung und der edelsten Tugenden seiner Zeit erfüllten Seele, deren ganzes Leben“, jener „geistigen Liebe geweiht, die sich in der Anbetung genügt“87. Mit Hegel rechnet sie dem Toskaner zudem hoch an, dass er die Sittlichkeit mit dem „Ausdruck der Innerlichkeit (...), wie die romantische Kunst ihn erfordert“, verband und daher eine nachahmenswerte Synthese von Kunst, Liebe und Religion leistete.88 Der in den Ideen thematisierten erotischen Handlung fehlt der Augenblick des inamoramento. Der Leser wird medias in res in eine Geschichte eingeführt, deren Beginn im Text nicht mehr eingeholt wird. Der Leser, der nach dem verwirrenden Beginn des Textes einigen Aufschluss über den Ablauf der unglücklichen Beziehung erwartet, wird am Beginn des zweiten Kapitels zum zweiten Mal mit dem Paratext konfrontiert: „Sie war liebenswürdig, und Er liebte Sie; er aber war nicht liebens- würdig, und Sie liebte ihn nicht. (Altes Stück.)“ (DHA 6; 173) An dieser Stelle wird

85 Vgl. August Wilhelm Schlegel: Athenäum-Fragmente: „Es wird allgemein, und mit Recht, anerkannt, daß Petrarca die hauptsächlichsten Formen, deren er sich bedient, zur Vollendung gebracht, daß er im Sonett und der Canzone unübertrefflich geblieben.“ In: Athenäum, 54. 86 Einen Zusammenhang zwischen dem Canzoniere und den Prosagattungen stellte August Wilhelm Schlegel her, der am italienischen Gesamtzyklus bewunderte, dass das Werk, das eine vollkommene Realisation der lyrischen Gattung darstellt, auch eine epische Leistung vollbringt. Schlegels diesbezügliches Urteil lautet: „Die Sammlung von Petrarca’s Gedich- ten ist schon Roman. Es giebt ja dergleichen in Briefen, warum nicht in Canzonen und Sonetten? Es braucht keine zusammenhängende Erzählung, Lücken in der Zeit dürften seyn, wenn nur das Eine vollständig da ist. Wesen des Romans, das Poetische im Leben über- haupt aufzufassen, also auch einer speciellen Biographie. Wozu die störenden prosaischen Umgebungen? (...) Petrarca’s Sammlung ist ein wahrer und vollständiger lyrischer Roman.“ Vgl. August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst, hrsg. von Jakob Minor, Dritter Teil (1803-1804): Geschichte der romantischen Litteratur, Heilbronn: Gebr. Henninger, 1884, 203-230, hier: 203 f. 87 Ebd. 88 Hegel schreibt: „Petrarca liess eine Phantasieliebe, die sich (...) in der kunstgebildeten In- brust des Herzens mit Religion verschwisterte, unsterblich werden.“ Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 1 , 241. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 187 das „alte Stück“ als „eine Tragödie“ identifiziert, worauf scheinbar akausal folgende Beschreibung angeschlossen wird: „Die Augen der Heldin sind schön, sehr schön – Madame, riechen sie nicht Veil- chenduft?- sehr schön, und doch so scharfgeschliffen, dass sie mir wie gläserne Dolche durch das Herz drangen, und gewiss aus meinem Rücken wieder heraus- guckten - aber ich starb nicht an diesen meuchelmörderischen Augen. Die Stimme der Heldin ist auch schön – Madame, hörten sie nicht eben eine Nachtigall schlagen? – eine schöne, seidne Stimme, ein süßes Gespinst der sonnigsten Töne, und meine Seele ward darin verstrickt und würgte sich und quälte sich.“ (DHA 6; 173) Der assoziativen Erzähltechnik der heineschen Texte zufolge, die scheinbar kontingente Textsegmente akausal aneinanderreihen, um deren Zusammenhang anzudeuten,89 ist die Schönheit der Frau, präziser: das von ihr ausgelöste Begehren des literarischen Ich als Ursache seiner Tragödie anzuerkennen. Es scheint folgerichtig, dass der Text an dieser Stelle mit einem Schönheitslob reüssiert. Auf diesbezügliche Erwartungen der Leser geht Heine mit einer paradoxen Konstruktion ein, die in dem Augenblick, in dem sie zur Beschreibung des Körpers ansetzt, dem Leser jegliche konkrete Angaben entzieht. Der von Heine konstruierte Körper wird zuerst auf zwei Merkmale (Augen und Stimme) reduziert, die unter Rekurs auf den romantischen Motivfundus mit Luft- und Klangmetaphern in Verbindung gebracht werden. Damit wird in jedem Sinne eine „Sublimation“ der Materie vollzogen, womit Heine den Epochenkonvention ent- spricht. Sein poetischer Ehrgeiz scheint eigentlich auch darin zu liegen, dass er mit seinem Schönheitslob ein Objekt zu vergegenwärtigen sucht, das trotz Distanz nicht nur das Auge des Erzählers, sondern alle fünf Sinne anspricht, wobei die jeweiligen Perzeptionen einander durchdringen. Spricht der Text nämlich vom „süßen Gespinst der Töne“ der „weich-seidenen“ Stimme der Frau, thematisiert er eine Wahrnehmung, bei der im gleichen Maße der Geschmacksinn, das Gehör und das taktile Empfinden des Betrachters angesprochen werden. Versucht der Protagonist den Blick der Augen seiner Geliebten durch den Satz zu vergegenwärtigen: „Die Augen der Heldin sind schön, sehr schön – Madame, riechen sie nicht Veilchenduft?“, problematisiert er Eindrücke, die gleichermaßen den Seh- und den Geruchsinn einbeziehen. Die ange- führte Passage macht deutlich, dass Heine bei der Selektion der thematisierten Ele- mente des weiblichen Körpers den Regeln des petrarkischen Musters gehorcht, auf das an der zitierten Textstelle zusätzlich Metaphern „Gespinst“ und „verstrickt“ verweisen. Bei der Perspektivierung der anhand des traditionellen Musters selektierten Körper- elemente folgt Heine dem romantischen Konzept der Synästhesie, wobei er im Modus der Wahrnehmung auch den Leib seines männlichen Protagonisten thematisiert. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Medizinkonzepte lässt sich diese Beschrei- bung als ein indirekter Verweis auf den „reizbaren“ Leib des Betrachtenden bestimmen, d. h. einen Leib, der aufgrund seiner feinnervigen Disposition bereits durch sanfte Reize erheblich beeinflusst werden kann.90

89 Vgl. Altenhofer: Die verlorene Augensprache, 62. 90 Vgl. Sarasin: Reizbare Maschinen, 80 f. 188 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Heines Umgang mit dem petrarkischen Muster bleibt zudem geprägt durch die für die Texte dieses Autors typische Distanzierung gegenüber dem traditionellen Inventar. Heines Erzähler rekurriert auf die petrarkische Konstellation der Verwundung durch den Blick der Geliebten, metaphorisiert die Empfindung des Durchdrungenseins vom klaren Blick der Augen der Frau, indem er von „zwei gläsernen Dolchen“ spricht, die durch sein Herz dringen, um diese poetische Konstruktion anschließend mit dem Ironiesignal der Übertreibung zu versehen. Während die Überlegungen des Erzählers darüber, dass die Augen der Geliebten „gewiss aus [s]einem Rücken herausgucken“ die Vorgaben des petrarkischen Kanons ironisieren, bringt die Pointe der Passage, die das Verhalten der Geliebten als krude Aggression reflektiert, eine ironische Zurücknahme des Gesagten. Diese besteht darin, dass der Erzähler an seiner, wie anzunehmen wäre, letalen Brustwunde doch nicht stirbt. Die folgende Textsequenz webt die petrarkisch determinierte Motivik des Blickes, der Gewalt, der Verwundung und der Todesthematik fort, wobei der trotz der Wir- kung der „meuchelmörderischen Augen“ am Leben gebliebene Protagonist feststellt: „Ich hatte selbst mahl dergleichen Quälereien satt. Und ich ging nach einem Galan- terieladen auf der Via Burstah, wo ich ein paar schöne Pistolen in einem Kasten ausgestellt fand – (...) – es standen daneben viel freudige Spielsachen von Perle- mutter und Gold, eiserne Herzen an güldenen Kettlein, Porzellantassen mit zärtli- chen Devisen, Schnupftabakdosen mit hübschen Bildern, z. B. der göttlichen Ge- schichte von der Susanna, der der Leda, der Raub der Sabinne- rinnen, die Lukrezia, das dicke Tugendkind, mit dem entblößten Busen, in den sie sich den Dolch nachträglich hineinstößt.“ (DHA 6; 173) Im Erkenntniszusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint diese Stelle aus mehre- ren Gründen relevant. Die Aufmerksamkeit der zeitgenössischen Leser konnte zunächst die freizügige Thematisierung des Selbstmords beanspruchen. Zwar wurde Suizid bereits von Petrarcas lyrischem Ich als möglicher Ausweg erwogen, das im Sonett XXXVI des Canzoniere sagt: „Glaubt ich, es könnte mich der Tod entladen Der Liebeswehn, die mich zu Boden schlagen, Zu Grab hätt ich mit eigner Hand getragen Längst diese Last, die Glieder schmerzbeladen;“91 Diese Tat wird jedoch bald mit den Worten abgelehnt: „Doch würd ich ach! vielleicht auf seinen Pfaden Aus Leid in Leid, aus Krieg in Krieg verschlagen; Drum steh am Weg ich, möcht und kann’s nicht wagen, Und schmachte doch nach anderen Gestaden.“92

91 Francesco Petrarca: Italienische Gedichte. 3 Bände in einem. Übers. v. Carl Förster, Wien: Chr. Fr. Schade, 1827, Bd.1, 140. 92 Ebd. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 189

Der Gedanke an Selbstentleibung erscheint in Canzoniere nur im Konditionalis und wird unter indirektem Hinweis auf die religiöse Sanktion, den Verlust des Seelenheils, verworfen. Es handelt sich dabei um eine in religiösen Denkmustern verankerte Beur- teilung des Suizids, die laut den Erhebungen von Gerald Hartung und Jürgen Brum- mer die Problematisierung des Phänomens in der Literatur bis zum Anfang des 19. Jh.s weitgehend bestimmt hat.93 Erst mit der allmählich abnehmenden sinnstiftenden Bedeutung der Religion im Gefolge der Aufklärung und Säkularisierung beginnt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jh.s ein mentalitätsgeschichtlicher Wandel abzuzeichnen. Wesentlichen Antrieb für diese Debatte liefern die der empfindsamen Tradition ver- pflichteten Texte Anton Reiser (1785-1790) von Karl Philipp Moritz und Die Leiden des jungen Werther Johann Wolfgang Goethes, zu den kontrovers diskutierten Ereignissen gehören u. a. der Selbstmord Heinrich von Kleists und Karoline Günderodes.94 Ein konstitutiver Beitrag zur Wandlung des Selbstmord-Verständnisses verdankt sich dem zeitgenössischem Medizindiskurs, der dem suizidalen Verhalten nicht mehr mit der Kategorie der Sünde begegnet, sondern es als Konsequenz der vor allem bei melan- cholischen Naturen diagnostizierten psychischen Störungen deutet und seine Gründe allgemein nachvollziehbar zu machen sucht. Diese intellektuellen Entwicklungen machten es möglich, dass Heine bei der Thema- tisierung der Selbstentleibung, bei der er auf die Grenzen des Individuell-Erträglichen verwies, auf das Verständnis der Leser rechnen durfte. Er brauchte nicht poetische Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, auf die Goethe in den Leiden des jungen Werthers angewiesen war, wo er – um des zeitgenössischen Publikums willen – die Perspektive seines sensiblen Protagonisten Werther auf die Selbstmordfrage durch die Meinung seines biederen Gegenspielers relativieren musste. Aufgrund der sich an der Epochen- schwelle vom 18. ins 19. Jh. vollziehenden Pathologisierung des Suizids hat der 1827 entstehende Text Heines derartige Relativierungen nicht mehr nötig. Heines Erzähler, der die moralische Seite des Suizids vernachlässigt, kann sich auf die pragmatische Frage des Waffenkaufs konzentrieren, in deren Zusammenhang ein wichtiger körper- bezogener Aspekt des Geschehens ins Zentrum der Leseraufmerksamkeit rückt. Die Passage, die den geplanten Waffenkauf thematisiert, ist in der bisherigen Heine- Forschung im Zusammenhang von Heines Aufenthalt in Hamburg in Bezug auf ihre Wirklichkeitsreferenz hin reflektiert worden. Dank Nachforschungen von Joseph Kruse konnte nachgewiesen werden, dass an einer der wichtigsten Geschäftsstraßen der

93 Gerald Hartung: Über den Selbstmord. Eine Grenzbestimmung des anthropologischen Dis- kurses im 18. Jh.. In: Hans-Jürgen Schings (Hg.): Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jh., Stuttgart, Weimar: Metzler, 1992, 33-53. Jürgen Brummer: Von der „Krankheit zum Tode“ zur Korrektur. Kulturhistorische und suizidologische Anmerkungen zur literarischen Suiziddarstellung. In: Jahrbuch Literatur und Medizin, Bd. 1, 2007, 13-30. 94 Ebd., 15 f. Vgl. auch: Nicholas Saul: Fragmentästhetik. Freitod und Individualität in der deutschen Romantik. Zu den Morbiditätsvorwürfen. In: Konrad Feilchenfeldt, Roger Paulin u.a. (Hg.): Zwischen Aufklärung und Romantik: Neue Perspektiven der Forschung, Fest- schrift für Roger Paulin, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006, 232-253, hier: 239 f. 190 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Hamburger Innenstadt, der „Großen Burstah“ (bei Heine „Via Burstah“) zu Anfang des 19. Jh.s tatsächlich eine prosperierende Waffenhandlung Carl Hagenests existierte.95 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es aufschlussreich, dass Heine mit seiner Beschreibung der Ladenvitrine mehr zu bezwecken scheint, als – wie bisher angenommen – nur eine punktuelle Authentisierung des Plots. Bereits die in dem Schaufenster exponierten kostbaren Gegenstände „von Perlemutter und Gold“, unter denen „eiserne Herzen am güldenen Kettlein“ und „Porzellantassen mit zärtlichen Devisen“ auffallen (DHA 6; 173), lassen m. E. erkennen, dass die scheinbar disparate Sammlung der Gegenstände einem genauen poetischen Kalkül folgt. Dank ihm ergibt das Arrangement eine metonymische Darstellung der bürgerlichen Gefühlskultur, die mit Merkmalen wie „Verfeinerung“ („zärtlich“, „Porzellan“), „Besitz“ („Gold“ , „Perl- mutter“), „emotionale Härte“ und „ökonomischer Zwang“ („eiserne Herzen“, „güldene Kettlein“) markiert wird. In dem vom Schaufenster geschaffenen Rahmen wird eindrücklich auch das Thema der Körperlichkeit durch das Medium der kleinen Schnupftabakdosen-Galerie einge- blendet, deren Bildarrangement genauso wenig zufällig scheint wie die zuvor beschrie- bene Auswahl der in der Vitrine ausgestellten Gegenstände. Die einzelnen Abbildungen der Galerie werden im Text nicht vergegenwärtigt, aber die vom Erzähler aufgezählten Namen der auf ihnen abgebildeten Frauenfiguren ver- weisen ausnahmslos auf Szenarien, in denen junge weibliche Körper, bzw. deren Nacktheit und Schönheit im Kontext von Gewalt aufreizend zur Schau gestellt werden. Die Namen „Sabinerinnen“, „Susanna“, „Leda“, „Lukrezia“ markieren einen antiker und biblischer Überlieferung verpflichteten Kanon, der jahrhundertelang in der euro- päischen Kultur die Darstellung von Gewalt im erotischen Kontext legitimierte.96 Ein signifikantes Merkmal dieses Kanons bildet die weitgehende Aussparung männli- cher Körperlichkeit, was mit einem besonderen Identifikationspotential dieser Bilder für den männlichen Betrachter einhergeht, der schauend die Position einer absenten Männerfigur einnehmen kann und dessen Blick sich damit als eine Form physischer Gewalt bezeichnen lässt.97 Diese Zusammenhänge scheint Heines Text durch die An- ordnung der Textsequenzen auf eine subtile Art und Weise situativ herauszuarbeiten. Die Konstellation dieser Passage, in der der Ich-Erzähler die im Schaufenster ausgestellten „hübschen Bilder“ (DHA 6; 173) goutiert, entspricht spiegelbildlich der vorausgegangenen Textstelle, in der der Protagonist die Verletzungen thematisiert, die ihm der Blick der geliebten Frau zugefügt hat. Der Zusammenhang beider Text- stellen wird durch die Motive „Dolch“ und „Glas“ festgehalten. Spricht der Protagonist zunächst von den Augen seiner Geliebten, die wie „zwei gläserne Dolche“ in seine 95 Kruse: Heine in Hamburg, 123. 96 Daniela Hammer-Tugendhat: Geschlechter-Differenz. Die Bathseba von Rembrandt. In: Lektüren der Differenz, Studien zur Mediävistik und Geschlechtergeschichte gewidmet In- gvild Birkhan, hrsg. v. Ingrid Bennewitz, Bern, Berlin: Peter Lang, 2002, 125-143, hier: 141. 97 John Berger: Ways of Seeing, London: Penguin, 1972, 98. In Bezug auf die genannten Bilder definiert Hammer-Tugendhat die „weibliche“ Betrachterposition als Identifikation mit den Ängsten und der Abwehr der dargestellten Frauenfiguren. Vgl. Hammer-Tugendhat: Ge- schlechter-Differenz, 137. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 191

Brust drangen, so lässt er dann vor der gläsernen Vitrine stehend seinen eigenen Blick entlang einem Dolch auf die Frauenbrust gleiten, als er das Bild der Lukrezia „mit dem entblößten Busen, in den sie sich den Dolch (...) hineinstößt“ (DHA 6; 173), anschaut. Die Kompensation durch einen voyeuristischen Akt wird im Text als ineffektiv ausgewiesen, da sie den Protagonisten vom Kauf der Pistolen und seiner Selbstmord- absicht nicht abbringen kann.98 Diese vom Erzähler aufgebaute Spannung wird in der folgenden (der dritten!) um das Blickmotiv zentrierten Passage des Textes mit Worten aufgelöst: „ – und als ich da stand, ein Verurtheilter, der dem Tode geweiht war, da erblickte ich plötzlich Sie! (...) und ihr Auge sah mich an so mild, so todbesiegend, so lebensschenkend – (...). Sie wissen wohl aus der römischen Geschichte, dass, wenn die Vestalinnen im alten Rom auf ihrem Wege einem Verbrecher begegneten, der zu der Hinrichtung geführt wurde, so hatten sie das Recht, ihn zu begnadigen, und der arme Schelm blieb am Leben. – Mit einem einzigen Blick hat sie mich vom Tode gerettet, ich stand vor ihr wie neu belebt, wie geblendet vom Sonnenglanze ihrer Schönheit, und sie ging weiter – und sie liess mich am Leben.“ (DHA 6; 175) Diese Passage, die die Textkohärenz über Motive „Auge“ und „Blick“ bestätigt, kann meines Erachtens einem konkreten petrarkischen Intertext, nämlich dem 68. Sonett des Canzoniere zugeschrieben werden, das eine unerwartete Begegnung des lyri- schen Ich mit Laura folgendermaßen beschreibt: „Und Mitleid schien ihr Blick zu offenbaren; / (...) Ihr Gang war nicht, wie andre Erdensache, / Sondern von Engelart, (...) // Ein Himmelsgeist, ein Bild lebend’ger Sonnen / war, was ich sah.“99 Das genannte Sonett und die zitierte Passage der Ideen, deren intertextuellen Kno- tenpunkt das Sujet des Körpers bildet, beziehen sich auf die im Vorfeld beschriebene Situation des unglücklich verliebten literarischen Subjekts, das der Angebetenen unver- hofft begegnet.

98 Es gehört dabei zu den zahlreichen bisher unbeachteten Paradoxien der Ideen, dass sie entgegen der von dem Erzähler deklarierten Selbstmordabsicht bildlich die Semantik des Zweikampfs fortschreiben. Das Pistolenpaar stellt nämlich ein eigens für Duelle hergestel- ltes Waffen-Set dar. 99 Francesco Petrarca: Das achtundsechzigste Sonett. In: Francesco Petrarca: Italienische Gedichte. 3 Bände in einem, übers. v. Carl Förster, Wien: Chr. Fr. Schade, 1827, Bd. 1, 147. Die volle deutsche Fassung des Sonetts lautet in der im 19. Jh. am häufigsten verlegten Übersetzung Försters folgendermaßen: „Zerstreut im Wind die goldnen Locken waren, / Zu tausend süßen Knoten aufgewunden, / Und mildes Licht ward ohne Maß entbunden / In Augen, die damit so karg nun sparen. // Und Mitleid schien ihr Blick zu offenbaren; / Ich weiß nicht, ob ich’s wahr, ob falsch erfunden. / Der Liebeszunder drinnen ich empfunden, –/ Was Wunder, wenn ich schnelle Gluth erfahren? // Ihr Gang war nicht, wie andre Erden- sache, /Sondern von Engelart, und ihrem Munde/ Entstiegen Worte, nicht wie Menschen- sprache; // Ein Himmelsgeist, ein Bild lebend’ger Sonnen / War, was ich sah. Und war’ es auch zerronnen; / Ob schwächern Bogens heilet keine Wunde.“ 192 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Beide Texte thematisieren den mitleidigen Blick der Frau (und die folgende freu- dige Reaktion des Mannes). Bei der Vergegenwärtigung des Frauenkörpers stimmen beide Texte darin überein, dass sie am Ende eine Entkörperlichung der als „Engel“ bzw. „Himmelsgeist“ bei Petrarca, als „Vestalin“ bei Heine bezeichneteten Frauen- gestalt betreiben, die in einer Verklärung durch die Sonnenmetapher mündet. Die im Rahmen einer an den Körperkonstruktionen der Ideen ausgerichteten Lektüre gewonnenen Erkenntnisse belegen, dass der Canzoniere nicht nur für Heines Lyrik, sondern auch für seine Prosa einen relevanten Intertext darstellte. Sie demon- striert, dass der Autor seine lyrische Schreibweise der Liebe und des Körpers als Medium der Stilisierung der eigenen Vita für seine Prosa adaptierte. Die Analyseergeb- nisse belegen überdies den hohen ästhetischen Aufwand, den Heine im Rahmen noch der kleinsten Textsegmente seiner Prosa betrieb, wobei er den ästhetischen Normen der Zeit gerecht zu werden suchte. Abschließend erscheint es instruktiv, auf die letzte Passage dieser erotischen Text- sequenz einzugehen, die die Empfindungen des Erzählers nach der Begegnung mit Laura registriert: „Jedes Weib ist mir eine geschenkte Welt, ich schwelge in den Melodien ihres Antlitzes, und mit einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr genießen als andre, mit ihren sämtlichen Gliedmaßen, Zeit ihres Lebens. „Gottlob! ich lebe! In meinen Adern kocht das rote Leben, unter meinen Füßen zuckt die Erde, in Liebesglut umschlinge ich Bäume und Marmorbilder, und sie werden lebendig in meiner Umarmung. (...) Jeder Augenblick ist mir ja eine Unend- lichkeit; (...) ich messe nicht die Zeit mit der Brabanter oder mit der kleinen Ham- burger Elle, und ich brauche mir von keinem Priester ein zweites Leben verspre- chen zu lassen, da ich schon in diesem Leben genug erleben kann (...). Und ich lebe! Der große Pulsschlag der Natur bebt auch in meiner Brust, und wenn ich jauchze, antwortet mir ein tausendfältiges Echo. Ich höre tausend Nachti- gallen. (...) und ich erhebe mich, und schwebe über der kleinen Erde und den kleinen Gedanken der Menschen. Aber wenn sie zischend ins Meer hinabsinkt, und die große Nacht heraufsteigt, mit ihrem großen sehnsüchtigen Auge, o! dann durch- bebt mich erst recht die rechte Lust, wie schmeichelnde Mädchen legen sich die Abendlüfte an mein brausendes Herz, und die Sterne winken, und ich erhebe mich, und schwebe über der kleinen Erde und den kleinen Gedanken der Menschen.“ (DHA 6; 176) Die Einordnung der Passage in den Fluss der Erzählung folgt dem Schema des Canzo- niere-Zyklus, das ein kurzes Intermezzo vorsieht, in dem die Hoffnungen des Lieben- den auf Gegenliebe genährt werden. Diesem Muster entspricht die Dynamik der Ideen, die auf die unerwartete Begegnung mit der geliebten Frau das ekstatische Bekenntnis des Ich-Erzählers zum Leben folgen lassen, in dessen Zentrum die Thematik der Liebe und Körperlichkeit steht. Die emphatische Rede des Ich-Erzählers bleibt dem letzten Sujet vor allem da- durch verbunden, dass sie von einer überwältigenden Erfahrung der Entgrenzung der individuellen Perspektive berichtet, die mit einem Zustand gesteigerter Sensibilisie- rung einhergeht. Indem der Protagonist vom Gefühl der Transzendierung von Raum 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 193 und Zeit und der Einheit des Subjekts mit allem Sein spricht, wendet er sich jenen äußerst schwer diskursivierbaren Zuständen zu, die in mystischen Texten beschrieben wurden. Ein wichtiges Kennzeichen dieser Texte, die die Befreiung der Seele aus den Fesseln des Leibes und ihre Vereinigung mit Gott zelebrieren, bildet bekanntlich die Tatsache, dass sich ihre Bild- und Wortwahl an den Beschreibungsformeln der eroti- schen Ekstase und Verschmelzung orientieren, die damit eine religiöse Aufwertung erfahren.100 Mystische Texte waren im zeitgenössischen Umfeld Heines dank der Bedeutung, die ihnen die romantische Philosophie zuerkannt hat, stark präsent. Mit Ausnahme von Schleiermacher (1768-1834) haben alle führenden Philosophen der Romantik den Wert der mystischen Erkenntnis aus ekstatischer Intuition anerkannt.101 Heines Text folgt hier also einer seinen Zeitgenossen bekannten Rhetorik, gleichzeitig lehnt er jedoch den für die Schriften der Mystiker grundlegenden metaphysischen Begrün- dungszusammenhang ab. Entfaltet der im Gefühl des Einseins mit der Welt schwel- gende Erzähler entlang den religiösen Mustern ein Bild der Entgrenzung und Hingabe, wobei er zugleich unter Rückgriff auf die Augenmotivik die Sublimierung seines Begehrens deklariert („mit einem einzigen Blick meines Auges kann ich mehr genießen als andre mit ihren sämtlichen Gliedmassen“), erklärt er mit den Worten: „ich brauche mir von keinem Priester ein zweites Leben versprechen zu lassen, da ich schon in diesem Leben genug erleben kann“ sein Hochgefühl ausdrücklich zu einer irdischen Angelegenheit. Damit wird die durch mystische Überlieferung nobilitierte Formen- und Bildersprache wieder dem Ursprungsbereich der Erotik zugeführt. Aufgrund des genannten Merkmals lässt sich das Bekenntnis des Erzählers als eine säkularisierende Kontrafaktur der mystischen Körperrede definieren, in deren Rahmen Heine Inhalte zu vermitteln suchte, die 1827 aufgrund sittlicher Zensur nicht kommunikabel waren. Die Passage liefert den Höhepunkt der Liebeshandlung der Ideen. Ihr Pendant in der politischen Handlung bildet die Beschreibung der Begeg- nung des Protagonisten mit Napoleon während dessen triumphalen Einzugs in Düssel- dorf, dem der Protagonist als Kind beiwohnen konnte.

5.3.3 Der Körper des Kaisers Die für den erotischen Diskurs der Ideen bestimmenden Prinzipien poetischer Formung der körperlichen Realität wurden partiell auch in den politischen Handlungsstrang des Textes aufgenommen, der den Ich-Erzähler als „Zaungast der Weltgeschichte“102 zeigt, dessen Düsseldorfer Jugendzeit die großen Ereignisse der europäischen Ge- schichte widerspiegelt. Die spezifische Blickökonomie der Ideen gewinnt eine be- sondere Bedeutung bei der Thematisierung der Figur Napoleons in dem durch seine Mittelstellung im Gesamttext strukturell exponierten Kapitel VII. Das Kapitel berichtet

100 Zur Sprache der mystischen Texte vgl. Kurt Ruh: Einleitung. In: Ruh: Geschichte der abendländischen Mystik, München: C. H. Beck, 1990, 14-27, hier: 25. 101 Vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Lemmata „Mystik“, „mystisch“, Bd. 5, 268- 279, hier: 267 f. 102 Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 214. 194 5 Poiesis des Leibes in Ideen

über die Begegnung des noch nicht vierzehnjährigen Heine mit dem Herrscher, der sich vom 2.-5. November 1811 zu einem mehrtägigen Besuch in der Hauptstadt des von ihm seit 1808 nach französischem Vorbild verwalteten Großherzogtums Berg aufhält. Der Text erhebt die Begegnung zum politischen Schlüsselerlebnis des Ich-Erzählers, bei welchem der Kaiser zum Repräsentanten und Vollstrecker der Ideen der Französi- schen Revolution auf deutschem Boden hochstilisiert wird.103 Einen wesentlichen Beitrag zu dieser Hochstilisierung leisten die Vergegenwärtigungsstrategien der körperli- chen Erscheinung des französischen Herrschers, an die sich der einst in der jubelnden Menge stehende Ich-Erzähler folgendermaßen erinnert: „Aber wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten eignen Au- gen, ihn selber, Hossianah, den Kaiser. (...) Es war eben in der Allee des Hofgartens zu Düsseldorf. Als ich mich durch das gaffende Volk drängte, (...) mein Herz schlug den Generalmarsch. (...) Und der Kaiser mit seinem Gefolge ritt mitten durch die Allee, die schauernden Bäume beugten sich vorwärts, wo er vorbeykam, die Sonnenstrahlen zitterten furchtbar neugierig durch das grüne Laub, und am blauen Himmel schwamm sichtbar ein goldner Stern. Der Kaiser trug seine scheinlose grüne Uniform und das kleine welthistorische Hütchen. Er ritt ein weißes Rösslein, und das ging so ruhig so stolz, so ausgezeichnet. Nachlässig fast hängend, saß der Kaiser, die eine Hand hielt hoch den Zaum, die andere klopfte gutmütig den Hals des Pferdchens. – Es war eine sonnigmarmorene Hand, eine mächtige Hand, eine von den beiden Händen, die das vielköpfige Ungeheuer der Anarchie gebändigt und den Völker- zweykampf gebändigt haben. Auch das Gesicht hatte jene Farbe, die wir bey mar- morenen Griechen und Römerköpfen finden, die Züge desselben waren ebenfalls edelgemessen, wie die der Antiken, und auf diesem Gesichte stand geschrieben: Du sollst keine Götter haben ausser mir. Ein Lächeln, das jedes Herz erwärmte und beruhigte, schwebte um die Lippen. Die Stirn war nicht so klar, so nisteten darauf die Geister künftiger Schlachten (...).“ (DHA 6; 194) Die literarische Visualisierung von Napoleons Einzug in Düsseldorf gilt als ein litera- rischer Beitrag zur Mythologisierung des Herrschers in Deutschland. Die einschlägige szenische Vergegenwärtigung der Gestalt zielt auf die Entrückung der Kaiserfigur ins Heroisch-Göttliche,104 bei der der Autor ins Archiv der hohen Kultur greift, um in seiner Beschreibung die Christus-Ikonographie des Einzugs nach Jerusalem, das Aus- schließlichkeitsgebot Jehovas und Hinweise auf antike Skulpturen miteinander kunst- voll zu verweben. Der dabei geleisteten eklektizistischen Bild- und Zitamontage begegnet die Forschung mit dem Begriff des „mythologischen Synkretismus“.105 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es instruktiv, die Formen- sprache der bildenden Kunst als Referenzbereich der Passage herauszuarbeiten. Die zitierte Beschreibung funktionalisiert nämlich die herkömmliche Form der künstleri-

103 Ebd. 104 Altenhofer: Die verlorene Augensprache, 83 f. 105 Wolf Wülfing: Zum Napoleon-Mythos in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Mythos und Mythologie in der Literatur des 19. Jahrhunderts, hrsg. v. Helmut Koopmann, Frankfurt am Main: Klostermann, 81-108. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 195 schen Visualisierung einer Herrscherfigur, das Reiterporträt, in dem die mimetische und die symbolische Ebene auf sinnfällige Art und Weise einander durchdringen, um politische Botschaften zu vermitteln.106 Diese Visualisierungsformen der Herrscher- figur folgen im Wesentlichen dem Körperkonzept, das von Ernst Kantorowicz in seiner in den 1950er Jahren entstandenen wegweisenden Studie über die „Zwei- leibigkeit des Königs“ erörtert wurde. Laut Kantorowicz ist die Herrscherfigur von einer doppelten somatischen Verfasstheit gekennzeichnet, bestehend aus dem „poli- tischem Körper“ der abstrakten, erhabenen Herrschaftsinstanz und dem individuellen, „natürlichen” Körper des jeweiligen das Monarchenamt bekleidenden Menschen, mit allen dem realen Körper zukommenden Defiziten, wie z. B. unansehnlicher Wuchs, Krankheit bzw. Alter.107 Die Passage, die den Einzug Napoleons in Düsseldoft beschreibt, zeigt sich aus- schließlich um die Erfassung des „politischen Körpers“ des Herrschers bemüht. Der „natürliche Körper“ des in die Geschichte als „kleiner Korporal“ eingegangenen Napoleon wird von Heine in einer schmeichelhaften Positur „hoch zu Ross“ entworfen und bereits dadurch erhöht. Die herausgehobene Position wird von Heine ästhetisch legitimiert, indem Napoleons Körper als ein bewundernswerter Leib beschrieben wird, der an den normativen Kriterien idealschöner antiker Skulpturen gemessen wird. Heine lässt die in seinem Bericht in schlichter grüner Uniform auftretende Herrscher-Figur in mildem Glanz erstrahlen, wobei dieser Glanz nicht der prunkvollen Kleidung (die bei einem Herrscher während seines triumphalen Einzugs in eine Stadt zu erwarten wäre), sondern ausdrücklich den spezifischen Eigenschaften des Körpers zugeschrie- ben wird. Auf diese weist Heine hin, wenn er beim Lob der skulpturalen Schönheit Napoleons dessen Gesicht mit jenen Gesichtern vergleicht, „die wir bey marmorenen Griechen und Römerköpfen finden“. Welche Qualitäten hier konnotiert werden, lässt sich unter Rekurs auf das Lob Hegels erschließen, der unter Berufung auf zeitgenössi- sche Autoritäten die Bedeutung des Marmors als des edelsten bildhauerischen Mate- rials aufgrund dessen „weiche[n] Reinheit, Weiße und Milde des Glanzes“108 bestätigt. Zusammenfassend lässt sich das Napoleon-Bild, das sich Heines poetischem Umgang mit der körperlichen Erscheinung Napoleons verdankt, folgendermaßen beschreiben: Über dem Herrscher steht die Sonne („goldener Stern am blauen Himmel“), von seinem marmornen Gesicht fällt ein milder Glanz auf die Versammelten, die „sonnig- marmorene“ Hand des Machthabers hält die Zügel des Pferdes. Dies lässt die Figur in der Aura der Auserwähltheit und als Inbegriff unbeschränkter und zugleich milder Macht dem Leser entgegentreten.

106 Dirk Möller: Episodik und Werkeinheit, Wiesbaden: Humanitas, 1983,156. 107 Vgl. Ernst E. Kantorowicz: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen The- ologie des Mittelalters, München: dtv, 1990, 31. Zur Visualisierung der Differenz zwischen dem “politischen“ und und „realen“ Körper entwickelte die Kunst spezifische bildliche Strategien. So wird der politische Körper durch Verwendung von Machtattributen, Insze- nierung der Figur an signifikanten Orten (z. B. im Thronsaal) oder bestimmte Bildformen wie eben Reiterporträt markiert. Die letztere Porträtvariante (auf die Heines Text ja rekur- riert) war auch ursprünglich auschliesslich dem Herrscher vorbehalten. 108 Hegel: Vorlesungen zur Ästhetik, Bd. 2, 443. 196 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Die Konstruktion des „politischen Körpers“ des Kaisers vertraut auf die traditio- nellen ikonographischen Attribute, mit denen die Macht Napoleons als eine „charis- matische Herrschaft“ im Sinne von Max Weber bildstrategisch vermittelt wird, als eine Herrschaft also, die nicht traditionell bzw. legal legitimiert wird, sondern durch intensive affektive Bindung zwischen den Beherrschten und dem Herrscher entsteht.109 Diese Art der Bindung thematisiert Heine zuerst unter Verweis auf die enthusiastische Aufnahme, die dem Kaiser bei der Menschenmenge zuteil wird, da es heißt: „und das Volk rief tausendstimmig: es lebe der Kaiser!“ (DHA 6; 194) In Heines Text, in dem das erzählende Subjekt den Mittelpunkt der Weltdeutung darstellt, geht es allerdings in erster Linie um die Herausarbeitung der affektiven Verbundenheit zwischen dem literarischen Subjekt und dem Herrscher, was unter Heranziehung der Körpermotivik gewährleistet wird. Auf der bildlichen Ebene des Textes wird die emotionale Zuwen- dung des Erzählers dadurch festgeschrieben, dass die Konstruktion von Napoleons Körper dieselben körperlichen Merkmale „Hand“, „Auge“, „Sonnenglanz der Erschei- nung“ herausstreicht, denen Heine konstitutive Bedeutung für das im Rahmen der erotischen Handlung entfaltete spiritualisierte Liebeskonzept zuerkannt hat. Das Motiv der „schönen Hand“ verbindet die Erscheinung Napoleons mit der Erscheinung von Johanna und Veronika. Der Sonnenglanz, der von ihr ausgeht, ver- bindet Napoleons Gestalt mit der mit petrarkischen Zügen ausgestatteten Geliebten des Erzählers, in beiden Fällen wird der Erzähler von dem sonnigen Glanz der Figuren gebannt. Ausschlaggebend für die Wirkung der Erscheinung Napoleons erscheint allerdings, genauso wie das in Veronika- und Laura-Episoden der Fall war, das Motiv des Auges. Der von Heine beschriebene „erste Augenblick“ seiner Faszination an Napoleon entspricht dem Moment des „inamoramento“, das bei der Beschreibung der Bezie- hung des Ich-Erzählers zu seiner „Laura” fehlte. Der Konfrontation mit der leibli- chen Erscheinung des Herrschers, in dessen Gestalt der autobiographische Bericht Zeichen von Macht und Gnade, die Merkmale eines Friedenstifters und Messias ein- schreibt, will der Ich-Erzähler seine ganz persönliche Epiphanie verdanken. Die Be- gegnung mit dem Kaiser in diesem Sinne hochstilisierend erinnert sich der Erzähler:

„Aber wie ward mir erst, als ich ihn selber sah, mit hochbegnadigten eignen Augen, ihn selber, Hossianah, den Kaiser! (...) Diese Lippen lächelten und das Auge lächelte. Es war ein Auge klar wie der Himmel, es konnte lesen im Herzen der Menschen, es sah rasch auf einmal alle Dinge dieser Welt, während wir Anderen sie nacheinander und nur ihre gefärbten Schatten sehen.“ (DHA 6; 194)

109 Unter Rekurs auf den in der jüdisch-christlichen religiösen Überlieferung verankerten Aus- druck Charisma (gr. chárisma: „Gnadengabe“, „aus Wohlwollen gespendete Gabe“) defi- niert Max Weber in Wirtschaft und Gesellschaft „die charismatische Herrschaft“, die auf der affektiv vermittelten Form von Autorität basiert. Die Herrschaftsform wird dadurch gekennzeichnet, dass sie die bestehende Sozialstruktur grundlegend verändert. Hierzu vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, 998. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 197

Es erscheint kaum denkbar, dass ein unter der jubelnden, bewegten Menge stehendes Kind aus der Entfernung die Augen eines Vorbeireitenden genau wahrnimmt. Die Herausstellung der visuellen Wahrnehmung, bei der die Wirkung von Napoleons Augen betont wird und die Atrribuierungen, die Heine in diesem Zusammenhang vornimmt, werden allerdings nicht durch die Wirklichkeitsreferenz, sondern durch die Logik des Textes legitimiert. Sie erscheinen gerechtfertigt, wenn als Intertext der Passage das petrarkische Modell angenommen wird, das die Augen der Geliebten fokussiert und in dem der Augenkontakt zwischen den Liebenden eine besondere Rolle spielt. Nennt Heine das Auge des Herrschers „klar“, so entspricht es einem Merkmal des Canzoniere, in dem unter dreizehn Epitheta, mit denen Augen von Laura bezeichnet werden, „klar“ (neben „schön“) zu den häufigsten gehört.110 Betonte Heine bei der Narrativierung der spiritualisierten Liebeserlebnisse seines Protagonisten den klaren Blick seiner Geliebten, so wird dieses Muster im Falle der Faszination an Napoleon bestätigt und unter Verweis auf die besondere Fähigkeit des Herrschers zur syntheti- sierenden Anschauung potenziert. Es ist kein Zufall, dass Heine in seiner Beschrei- bung die Singularform „das Auge“ verwendet. Dieses Verfahren erlaubt ihm das be- schriebene Körperorgan einem ikonographischen Sinnbild, nämlich dem „Auge der Vorsehung“ (auch „Allsehendes Auge“) zuzuführen, das als ein Symbol des alle Ge- heimnisse durchdringenden Auges des Allmächtigen an dessen ewige Wachsamkeit mahnen soll.111 Die Verwendung des Symbols eines von einem Nimbus umstrahlten Au- ges, das im zeitgenössischen Horizont Heines sowohl über den christlichen als auch

110 Vgl. Roland Bernecker: Fonction de la corporalité chez Pétrarque, 97. In diesem Zusammen- hang wäre hinzuzufügen, dass Hegel, dem der Körper in seiner Materialität als sinnlose Ansammlung von einzelnen Gliedern und Organen und somit als Gegenstand der künstleri- schen Reflexion und Darstellung eine belanglose Größe erschien, bei einer künstlerischen Darstellung das Auge einer besonderen Aufmerksamkeit des Künstlers empfahl, da er dem Organ eine Mittlerfunktion zwischen Innen und Außen, zwischen Subjekt und Objekt, zuer- kannte und als Sitz der Seele und den Offenbarungsort des Geistes bezeichnete. In diesem Sinne schrieb er: „Fragen wir aber, in welchem besonderen Organe die ganze Seele als Seele erscheint, so werden wir sogleich das Auge angeben; denn in dem Auge konzentriert sich die Seele und sieht nicht nur durch dasselbe, sondern wird auch darin gesehen. Wie sich nun an der Oberfläche des menschlichen Körpers im Gegensatze des tierischen überall das pulsierende Herz zeigt, in demselben Sinne ist von der Kunst zu behaupten, daß sie jede Gestalt an allen Punkten der sichtbaren Oberfläche zum Auge verwandle, welches der Sitz der Seele ist und den Geist zur Erscheinung bringt. (...) Der Blick ist das Seelenvollste.“ Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 2, 388 f. 111 Neben dem religiösen hatte das Symbol durch einen säkulären Tradierungsstrang als ein vielfach verwendeter Teil der Symbolik der Freimaurer fungiert, u. a. leuchtete es in vielen Logen über dem Stuhl des Meisters. Die vollständige christliche Ausprägung des Symbols sah ein menschliches Auge in einem von einem Nimbus umstrahlten Dreieck vor. Die Frei- maurersymbolik kam ohne das die Trinität symbolisierende Dreieck aus und zeigte ein Auge in einem Strahlenkranz. Das von Heine verwendete Symbol präsentiert sich als eine bildliche Verdichtung seiner Bemerkung aus der Nordsee. 1826. Dritte Abtheilung, wo es über Napoleon heißt: „Ja, was wir durch langsames analytisches Nachdenken und lange Schlussfolgen erkennen, das hatte jener Geist im selben Momente angeschaut und tief be- griffen.“ (DHA 6; 159) 198 5 Poiesis des Leibes in Ideen den säkulären Tradierungsstrang bekannt ist, erscheint als Element der durch die Referenzen auf das Alte und Neue Testament eingeleiteten Deifikationsstrategie des Kaisers. Die „Göttlichkeit“ des kaiserlichen Auges, das alles sehen kann, unterstreicht Heine zusätzlich, indem er es den Augen der anderen Menschen entgegensetzt, die angeblich nur „Schattenbilder“ sehen. Damit wird an das Höhlengleichnis Platons angeknüpft, dem zufolge der gewöhnliche Mensch im Alltag wie in einer Höhle lebt und die Dinge, die er wahrnimmt, nur Schatten des wahren Seienden, des Reichs der Ideen darstellen, dessen Zentrum bei Platon durch die Sonne repräsentiert wird.112 In dem Brief an Varnhagen vom 1. Mai 1827 huldigte Heine Napoleon als dem „Mann der Idee, dem Idee gewordenen Menschen“ (HSA 20; 286). Eine eingehende Lektüre der Ideen belehrt, auf welche Art und Weise der Autor durch eine Konzeptuali- sierung des Herrscherkörpers von der Materialität des „natürlichen Körpers“ absehen, ein an idealen Mustern orientiertes Bild des „politischen Körpers“ des Kaisers liefern und damit einen „Idee gewordenen Menschen“ veranschaulichen kann. Im Zusammenhang der idealisierenden Darstellung der Kaiserfigur erscheint es aufschlussreich, auf die von Heine nicht thematisierten Kulissen des realen Einzugs Napoleons in Düsseldorf hinzuweisen, die einige dunkle Kontrasteffekte zur erhabenen Erscheinung des Herrschers boten. Es sei hier daran erinnert, dass die Jahrzehnte um 1800 in Deutschland und in Europa von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt sind, für die u. a. Namen wie Jena /Auerstädt (1806), Preußisch-Eylau (1807), Leipzig (1813), d. h. die Namen jener Massenschlachten, die die Integrität des menschlichen Körpers bedroht haben, stehen. Durch den Blick in die zeitgenössischen medizinischen Lehrwerke, Feldtage- bücher, Lebenserinnerungen lassen sich nicht nur erschütternde Einblicke in die medi- zinischen Standards der Zeit, sondern auch in das körperliche Schicksal der damals verletzten Kriegsbeteiligten gewinnen, die nach dem Krieg – falls sie das Massen- sterben überlebten – häufig ein Invalidendasein führten.113 Die neueren Arbeiten zur Körperthematik in der europäischen Geschichte bele- gen, dass der Anblick eines verunstalteten Männerkörpers im deutschen Alltag zu

112 In seinem instruktiven Aufsatz schreibt Markus Winkler: „Heine nimmt die Person Napole- ons als Kunstwerk und dieses als symbolisch-mythologische Darstellung des Absoluten wahr“. Markus Winkler: Heines Napoleon-Mythos. In: Kruse, Witte, Füllner (Hg.): Aufklärung und Skepsis, 379-394, hier: 382. Die Analyse der von Heine verwendeten ästhe- tischen Verfahren belegt, wie weit sich das vom Erzähler als Niederschlag seiner unmittel- baren Eindrücke gelieferte Bild Napoleons literarischen Mythisierungsverfahren verdankt. (Die Mythisierung erfolgt dadurch, dass einer Figur bestimmte semantische Merkmale, d. h. „Mytheme“, wie z. B. „ewig“, „göttlich“, „allgegenwärtig“ zugesprochen werden, die zu paradigmatischen Narrationen verbunden werden.) Vgl. Wolf Wülfing: Luise gegen Napo- leon. Napoleon gegen Barbarossa. Zu einigen Positionen Heines in einem Jahrhundert der Mythenkonkurrenzen. In: Kruse, Witte, Füllner (Hg.): Aufklärung und Skepsis, 397-407, hier: 397. 113 Die zeitgenössischen medizinischen Standards empfahlen der Militärmedizin bei kompli- zierteren Frakturen und größeren Verletzungen der Extremitäten immer eine Amputation. Vgl. Irmela Marei Krüger-Fürhoff: Der versehrte Körper. Revisionen des klassizistischen Schönheitsideals, Göttingen: Wallstein, 2001, 15 f. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 199

Anfang des 19. Jh.s äußerst häufig war, was allerdings kaum eine Entsprechung in der zeitgenösischen Kunst fand, d. h. wenn überhaupt, dann nur moderat angespro- chen wurde.114 Die von einschlägigen historischen Quellen dokumentierten Verun- staltungen, d. h. diffuse, mehrfache, inoperable Verwundungen, die das Körperschema bedrohen, gravierende Gesichtsentstellungen kommen in der Literatur der Zeit prak- tisch nicht vor, lautet das Fazit der umfassenden Untersuchungen über das literarische Bild der Invaliden von Achim Hölter.115 Die einschlägige Abstinenz der literarischen Schreibweisen lässt sich als Ausdruck einer persönlichen Überforderung der Autoren und ihrer verzweifelten Suche nach Sinn, zugleich aber auch als ein Bestandteil der Geschichte einer kollektiven Verdrängung deuten.116 Sie kann überdies auf die zeit- genössischen ästhetischen Regulative zurückgeführt werden, die jegliche Aspekte kruder Körperlichkeit aus den literarischen Schreibweisen aussparten, während sie bemüht blieben, den Verletzten mit Hilfe kleiner Anekdoten zum Image rührend- heldenhafter Figuren zu verhelfen.117 Im hier betrachteten Zusammenhang operiert Heines Text entlang der ästhetischen Postulate des Idealismus, die literarische Schreibweisen der kruden Realität ver- schließen, womit er sich nahtlos in die Epochenkonventionen einschreibt. Bei der Beschreibung des Einmarsches von Napoleon in Düsseldorf sehen die Ideen eine kleine Episodenrolle für einen Kriegsinvaliden vor, indem sie ihn als Statis- ten in der Menge, die die Nachricht von der Abdankung des Kurfürsten zur Kenntnis nimmt, kurz aufblitzen lassen. Bei der Schilderung der Reaktionen der Bürger, die die Bekanntmachung lesen, heißt es: „Ein alter pfälzischer Invalide las etwas lauter, und bey manchem Worte träufelte ihm eine klare Thräne in den weissen Schnautzbart. (...) Und dann las er wieder (...), da weinte er noch stärker . – Es ist wunderlich anzusehen, wenn so ein alter Mann mit verblichener Uniform und vernarbtem Soldatengesicht, plötzlich so stark weint.“ (DHA 6; 184) Während der Körper des pfälzischen Invaliden bis auf das Gesicht verhüllt wird, fokussiert der Text das mit dem Merkmal „weißer Schnauzbart“ als alt und männlich gekennzeichnete Gesicht. Verweist Heine auf die „Vernarbung“ und Zeichen tiefer Rührung des alten Mannes, so begnügt er sich damit, die Invalidenfigur als Sinnbild der deutschen Untertanentreue im Dienste sentimentaler Effekte agieren zu lassen. Der „zur Idee gewordene Mensch“ Napoleon findet in Heines Text eine wirklich- keitsnähere Entsprechung in der Figur des Tambour Le Grand, d. h. des französi- schen Soldaten, der bei den Eltern des Erzählers einquartiert wird. An diese erinnert sich Heines Erzähler so:

114 Achim Hölter: Die Invaliden. Die vergessene Geschichte der Kriegskrüppel in der eu- ropäischen Literatur bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1995, 408 f. Krüger-Fürhoff: Der versehrte Körper, 21. 115 Hölter: Die Invaliden, 408. 116 Krüger-Fürhoff: Der versehrte Körper, 20. 117 Ebd. 200 5 Poiesis des Leibes in Ideen

„Es war eine kleine, bewegliche Figur mit einem fürchterlichen schwarzen Schnurr- barte, worunten sich die rothen Lippen trotzig hervorbäumten, während die feurigen Augen hin und her schossen.“ (DHA 6; 191) Diese Figur, als deren literarische Vorbilder der Königsleutnant aus Goethes Dichtung und Wahrheit und der Trommler La Fleur aus der Sentimental Journey Sternes gelten, erfüllt die Rolle eines wahren Sprach- und Revolutionslehrers, der dem Erzähler die Bedeutung elementarer Revolutionsausdrücke wie „liberté“ und „egalité“ vermittelt.118 Die körperliche Erscheinung des Trommlers steht in deutlichem Gegensatz zum von Heine poetisch konstruierten erhabenen Körper des Kaisers, dessen gewissermassen „weltliche“ Entsprechung sie bildet. Im Falle Le Grands konstruiert Heine einen unschönen Körper, der weder idealisiert wird noch zu einem monströsen Leib gerät, womit ihm eine Ausnahmeposition in den Reisebildern zukommt. Der Dynamik des petrarkischen Canzoniere entsprechen die Ideen dadurch, dass sie dem als Glanzpunkt in der Geschichte des literarischen Subjekts beschriebenen Einzug Napoleons das desillusionierte „Jetzt“ der Restaurationszeit entgegenstellen. Auf den euphorischen Bericht über Freude und Jubel beim Einmarsch der Franzosen in Düsseldorf folgt die Nachricht vom Tode Napoleons und eine idyllische Evokation seines Grabs: „Und Sanct Helena ist das heilige Grab, wohin die Völker des Orients und Occidents wahlfahrten in buntgewimpelten Schiffen, und ihr Herz stärken durch große Erinnerung an die Thaten des weltlichen Heilands.“ (DHA 6; 195) Dieser abrupte Übergang hilft Heine alles auszusparen, was eine historische Reflexion über die Gründe für Napoleons Sturz motivieren würde.119 Heine, dem es in erster Linie um die Heraus- arbeitung der affektiven Bezüge zu tun ist, analogisiert auch hier den erotischen und politischen Handlungsstrang, indem er in beiden an den Tod des geliebten Menschen dessen Überhöhung knüpft, die sich mit der Hoffnung auf Wiederkehr verbindet. Während jene Hoffnung im erotischen Strang an die Idee der Metempsychose ange- schlossen wird, geht sie im Politischen mit der Identifizierung der Gestalt Napoleons mit dem Heiland einher, der dem biblischen Gericht zufolge einst am Tag des Jüngsten Gerichts zurückkehren wird. Indem Heine die Darstellung Napoleons, in das in der Bibel festgeschriebene Konzept, das die Notwendigkeit des Opfertodes eines Auserwählten für die Erlösung der Menschheit behauptet, einschreibt, bietet er dem Erzähler eine Grundlage, auf der er sich mit dem Gedanken an den Tod Napoleons emotional aussöhnen kann. Zugleich bemüht er sich, erzähltechnisch zu demonstrieren, dass dieser Tod ein kom- plettes Fiasko der politischen Hoffungen und existenziellen Pläne im lebensprakti- schen Zusammenhang des Protagonisten bedeutete. Der Bericht über die Rückkehr des Erzählers in das herbstlich kalte Düsseldorf und eine bittere Bilanz der ersten schriftstellerischen Erfahrungen vergegenwärtigt die Situation des Protagonisten, der als Schriftsteller auf der Grundlage seiner satiri- schen Kunst eine karge Existenz führt und am eigenen Leibe soziales Außenseiter-

118 Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 213. 119 Vgl. Winkler: Heines Napoleon-Mythos, 385. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 201 tum und ökonomische Abhängigkeit zu spüren bekommt. Anschließend lässt Heine den Protagonisten noch einmal als „Ritter vom Gefallenen Stern“ auftreten, der sich bei seiner geliebten „Signora Laura“ Trost holen möchte.

5.3.4 Laokoon: Körper im Schmerz

„In der Brust des Ritters war nichts als Nacht und Schmerz. Die Dolchstiche der Verläumdung hatten ihn gut getroffen, und wie er dahin ging, (...) war ihm zu Muthe, als wollte sein Herz brechen und verbluthen. Seine Füße schwankten von Müdigkeit. (...) – und als er vor dem wohlbekannten Palaste ausstieg, hörte er: Signora Laura sey im Garten. (...) Sie stand da (...), nebendem rothen Rosenbaum, (...), unfern von den Trauerweiden, die sich wehmütig herabbeugten über den vorbeyziehenden Fluß. Da stand sie lächelnd, ein weiches Bild der Liebe, umduftet von Rosen. Er aber erwachte, wie aus einem schwarzen Traume, und war plötzlich wie umgewandelt in Milde und Sehnsucht.“ (DHA 6; 219) In der lieblichen Gartenlandschaft, in der der Erzähler der Geliebten begegnet, wurde von der Forschung der Garten wiedererkannt, der das Landhaus von Heines Onkel, , umgab. (DHA 6; 814) Ergänzend wäre auf die topische Einordnung der Szenerie hinzuweisen, die dank tradierten Requisiten von Heine zu einem locus amoenus stilisiert wird,120 jener fiktiven Landschaft also, der die Kulturtradition die Unterbrechung der Zeit und eine tröstende Funktion im Unglück zuschrieb. Entlang diesen aus der literarischen Tradition gespeisten Hoffnungen scheint der Ich-Erzähler zu handeln, der sich seiner Geliebten nähert: „Signora Laura! – sprach er – ich bin elend und bedrängt von Haß, Noth und Lüge! – und dann stockte er, und stammelte: – aber ich liebe Euch – und dann schoß eine freudige Thräne in sein Auge, und mit feuchten Augen und flammenden Lippen rief er: sey mein Mädchen, und liebe mich. Es liegt ein geheimnisvoller Schleyer über dieser Stunde, kein Sterblicher weiß, was Signora Laura geantwortet hat, und wenn man ihren guten Engel im Himmel darob befragt, so verhüllt er sich und seufzt und schweigt. Einsam stand der Ritter noch lange bey der Statue des Laokoon, sein Antlitz war ebenso verzerrt und weiß, bewusstlos entblätterte er alle Rosen des Rosenbaums, er zerknickte sogar die jungen Knospen.“ (DHA 6; 219) Den Telos dieser Passage bildet die Vergegenwärtigung der Reaktion des Erzählers auf eine unerwartet niederträchtige Antwort der „Signora Laura“. Während der Wortlaut dieser Antwort verschwiegen wird, wendet sich der Text dem Verhalten des schmerz- lich betroffenen Ich-Erzählers zu, der sich, überwältigt und wortlos, an die Laokoon- Statue lehnt. Die Präsenz dieser Plastik, die das extreme Leiden des trojanischen Apollopriesters Laokoon und seiner zwei Söhne vergegenwärtigt, die von zwei riesigen Schlangen angegriffen werden, an einem locus amoenus mag befremdend erscheinen.

120 Zu den obligaten Motiven eines locus amoenus gehören: Blumen, schattenspendende Bäume, Wasser und Vögel, die Heines Text im Anschluss an die zitierte Passage auch nennt. Vgl. Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Basel: Francke, 1953, 202 ff. 202 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Durch die Heranziehung des Kontextes der ästhetischen Diskussion um die Statue wird allerdings begreiflich, dass Heines seltsam anmutende Raumgestaltung hier einem genauen poetischen Kalkül folgt. Im Zusammenhang des Leidens seines Protagonis- ten rekurriert er auf jene Skulptur, um die im 18. Jh. eine bis dahin in der Heftigkeit nie gekannte Debatte über die Darstellung von Schönheit, Ausdruck, Affekt und Hässlichkeit entfachte.121 Da über das Sinnangebot der zitierten Passage die ersten Wortmeldungen dieser Debatte, nämlich die Stellungnahmen von Johann Joachim Winckelmann und Gott- hold Ephraim Lessing (1729-1781) entscheiden, sollen diese im Folgenden knapp skizziert werden. Den Anfang der Debatte bildet die Wortmeldung Johann Joachim Winckelmanns zu der um 200 v. Chr. entstandenen Bronzeplastik aus Pergamon, die dank der Mar- morkopie, die in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. bekannt war, 1506 auf dem Esquilin in Rom wiedergefunden wurde und seit der Renaissance als ein bedeu- tendes Kunstwerk des antiken Erbes galt. Die Tatsache, dass der deutsche Gelehrte die Plastik von Kupferstichen kannte, die die mittlere Figur, d. h. den Priester Laokoon fokussierten, sollte den Gang der Debatte maßgeblich beinflussen. Konzentriert sich Winckelmann auf die Figur des Priesters Laokoon, so bringt er sie in die ästhetische Diskussion als eine „Vorstellung“122 des „äußersten Leidens“ ein. Er schreibt: „Diese [große und gesetzte] Seele schildert sich in dem Gesicht des Laocoons, und nicht in dem Gesicht allein, bey dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, wel- cher sich in allen Muskeln und Sehnen des Cörpers entdecket, und den man gantz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an den schmertzlich eingezogenen Unter-Leib beynahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmertz, sage ich, äussert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der gan- tzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrey (...). Der Schmertz des Cörpers und die Grösse der Seele sind durch den gantzen Bau der Figur mit glei- cher Stärke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laocoon leidet (...), sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser grosse Mann, das Elend ertragen zu können. Der Ausdruck einer so grossen Seele gehet weit über die Bildung der schönen Natur.”123 Winckelmann hebt hervor, dass der Priester nicht die Beherrschung verliert, obwohl er extremen Schmerz erleidet, ja obwohl sein gesamter Körper diesen Schmerz ausdrückt. Er bewundert, dass trotz des gewaltigen Schmerzes die Gestalt nicht den schönen „Stand der Ruhe“124 überschreitet, dass das Gesicht des Trojaners nicht ver- zerrt sei, dass das extreme Leiden keinen unartikulierten Schrei, sondern lediglich ein „beklemmtes Seufzen“ dem Mund des Apollopriesters entlockt. Diese Merkmale lassen Winckelmann am Laokoon die Beherrschtheit der großen Seele eines Men-

121 Andreas F. Beitin: Der Schrei. Kunst- und Kulturgeschichte eines Schlüsselmotivs in der deutschen Malerei und Grafik des 20. Jh., Münster 2004 (Diss. Masch.), 21. 122 Winckelmann: Geschichte der Kunst des Altertums, 167. 123 Ebd. 124 Ebd. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 203 schen loben, der sich seinem Schmerz nicht hingibt, sondern ihn gefasst erträgt. Anstatt wie ein Tier zu schreien und damit zu einem reinen Körperwesen herabzusinken, erhebt er sich über den Schmerz und beweist seelische Größe. Die zweite für Heine signifikante Perspektive auf die Laokoon-Plastik verdankt sich der Deutung, die Gotthold Ephraim Lessings in seiner Schrift: Laokoon oder über die Grenzen von Malerei und Poesie (1766) formulierte. Im Sinne der eigentlichen Zielsetzung seiner das Thema des Paragone, (also des „Wettstreits der Künste“) aufnehmenden Schrift argumentierend stellt Lessing den Heroismus von Laokoon in Frage. Er gibt Winckelmann Recht darin, dass man im Gesicht des Priesters den extremen Schmerz nicht sehen kann. Zugleich macht er geltend, dass Schmerzempfindung und Schmerz bei den Griechen nicht anders als bei seinen Zeitgenossen waren und dass der Ausdruck des körperlichen Schmerzes auch im antiken Griechenland der unartikulierte Schrei gewesen ist. Die Tatsache, dass der Priester Laokoon nicht schreiend dargestellt wurde, führt Lessing auf die einschlägigen Modalitäten des Ausdrucks in den bildenden Künsten zurück, indem er schreibt: „Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit unter den angenommenen Umständen des höchsten Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftig- keit, war mit jener nicht zu verbinden. Er mußte ihn also herabsetzen. Er mußte Schreien in Seufzen mildern; nicht weil das Schreien eine unedle Seele verrät, sondern weil es das Gesicht auf eine ekelhafte Weise verstellt. Denn man reiße dem Laokoon in Gedanken nur den Mund auf, und urteile. Man lasse ihn schreien und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nur ist es eine häßliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erweckt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das süße Gefühl des Mitleids verwandeln kann.“125 Lessing fordert seine Leser zu einem Gedankenexperiment auf, indem er verlangt, sie sollten Laokoon einmal imaginativ den Mund zu einem Schrei weit aufreißen. Da (Lessings Meinung nach) das auf diese Art und Weise entstandene Bild nur Wider- willen und Ekel hervorrufen würde,126 habe der antike Bildhauer den Ausdruck des heftigen Schmerzes stillgelegt und damit der bildenden Kunst den Weg gewiesen.127 Unter anderem deswegen favorisiert Lessing die Literatur, die die Einbildungskraft des Rezipienten anspricht, ohne ihn direkt mit ihren Gegenständen zu konfrontieren, und die den Schrei thematisieren und beschreiben kann, ohne gegen ästhetische Toleranz- grenzen zu verstoßen. Im weiteren Verlauf der Debatte, in der der Nexus zwischen Kunst/Schmerz bzw. zwischen künstlerischer Expression/Leiden diskutiert wurde, wäre die 1797 erfolgte

125 Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Mit beiläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte (1766), Stutt- gart: Reclam, 2001, 20. 126 Ebd. 127 Ebd. 204 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Stellungnahme des Arztes Aloys Ludwig Hirt zu nennen, der auf das mythische Vor- wissen verzichtete und vom Standpunkt des Mediziners her argumentierend erklärte, dass Laokoons Schrei nicht ästhetisch, sondern anatomisch schier unmöglich sei.128 Eine weitere wichtige (von Hirt beeinflusste) Deutung der Skulptur lieferte Goethe in dem Propyläen-Aufsatz Über Laokoon (1797). An der Debatte beteiligte sich mit zwei wichtigen, 1793 entstandenen, doch erst 1801 erschienen Schriften (Über das Vergnügen an tragischen Gegenständen und Über das Pathetische und das Schöne) auch Friedrich Schiller, der die Darstellung des extremen Leidens in der Kunst nur dann für berechtigt erklärte, wenn dem Leiden eine sittliche Handlung zugrunde lag. Die letztgenannten Wortmeldungen scheinen zwar für den Text Heines kaum von Belang, dennoch wird an den Namen der Diskussionsteilnehmer ablesbar, wie die von den führenden Intellektuellen der zweiten Hälfte des 18. Jh.s im Zusammenhang der Ästhetisierung des Schmerzes in der Kunst immer wieder aufgerufene antike Laokoon-Skulptur im Bewusstsein des deutschen Bildungsbürgers um 1800 zur „Ikone des Schmerzes“ aufsteigen konnte.129 Es ist dieses Verständnis der Skulptur, an das Heine mit der szenischen Vergegen- wärtigung der körperlichen Reaktion des Ich-Erzählers anknüpft. Nach der quälenden Antwort der Geliebten führt Heine seinen Protagonisten an die Laokoon-Statue heran. Die Tatsache, dass der Erzähler an der Statue „noch lange“ stehen bleibt, wobei er ebenso „verzerrt und weiß“ wie jene Plastik wirkt, die laut dem zeitgenössischen Konsens ein Höchstmaß des Schmerzes beim gleichzeitigen Ausbleiben des Schreis veranschau- licht, erscheint besonders signifikant. Sie bestätigt nämlich die zwischen dem im Laufe der Handlung als Dichter identifizierten Erzähler und dem Apollopriester Lao- koon bestehende Verbindung kraft der Kontiguität im Raum und kraft eines Vergleichs. Heine markiert damit das Höchstmaß an Schmerz, der sich unmittelbar in einen usrprüng- lichen, unartikulierten Schrei umsetzt. Für eine solche Artikulation des Leidens sah die idealistische Kunsttheorie keinen Platz in der Literatur vor, von der sie Zügelung der ursprünglichen Affekte und Ästhetisierung des Affektausdrucks erforderte. Heine umgeht diese Norm unter Rückgriff auf das literarische Bild, indem er den Körper

128 Hirt schreibt: „Laokoon schreiet nicht, weil er nicht mehr schreien kann. Der Streit mit den Ungeheuern beginnt nicht, er endet: kein Seufzen erpresst sich aus der Brust, es ist der erstickende Schmerz, der die Lippen des Mundes umzieht. (...) Das Krampfartige, die höchste Spannung, die wüthendsten Zuckungen zeigen sich in allen Gliedern. Der Kampf hat die äußersten Kräfte des Elenden erschöpft (....). Das Geblüt, welches mit voller Empörung gegen die äußern Teile dringt (....) stocket der Umlauf, das verhindert das Einathmen der Luft. (...) das äzende Gift von dem Bisse einer Schlange hilft die heftige Gährung beschleu- nigen; eine erstickende Pressung betäubt das Gehirn und ein Schlagfluss scheinet den Tod plötzlich zu bewirken.“ Aloys Ludwig Hirt: „Laokoon“. In: Die Horen, 3 (1797), Zehntes Stück, 23. Zit. nach: Inka Mülder-Bach: Sichtbarkeit und Lesbarkeit. Goethes Aufsatz Über Laokoon. In: Goethezeitportal. URL: http://www.goethezeitportal.de/db/wiss/goethe/laokoon- muelder-bach.pdf. Zugriff am: 10.05.2007, 2. 129 Manfred Schneider: Der Narkosediskurs. Zur Emergenz der Schmerzthemas um 1800. In: Roland Bogards, Johannes Friedrich Lehmann (Hg.): Diskrete Gebote. Geschichten der Macht um 1800. Festschrift für Heinrich Bosse, Würzburg: Königshausen und Neumann, 2001, 99-113, hier: 101. 5.3 Liebesgeschichte(n) am Leitfaden des Leibes 205 des Erzählers und die Statue des Apollopriesters eine Zeitlang eins werden lässt. Die Funktion der Statue in der zitierten Passage der Ideen kann als metonymische Substi- tution definiert werden, dank der Heine den unerträglichen Schmerz seines Protago- nisten in der Laokoon-Plastik versteinern lässt, die somit – mit Jean Starobinski ge- sprochen – zu einer „Figur der Anästhetisierung“130 wird. Diese metonymische Operation lässt vor der Folie der Laokoon-Debatte zwei Deutungen zu: Entlang von winckelmannschen Vorgaben gelesen, würde die Laokoon- Metonymie die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Selbstbeherrschung des Protagonis- ten lenken, der extrem leidend die „Beherrschtheit der großen Seele“ beweist und „den schönen Stand der Ruhe“ mit einem unartikulierten Schrei nicht gefährden lässt. Die Interpretation der Gartenpassage entlang dem lessingschen Konzept würde indes die Aufmerksamkeit auf die ästhetische Leistung des Autors lenken. Als Hauptmerkmal von Heines Strategie ist zu erkennen, dass er nicht den von Lessing für Literatur vorgeschriebenen Weg geht, auf dem ihm die Darstellung des Schmerzes in seiner ursprünglichen Form, lautmalerisch als klagender Ausruf, oder – in einer Überformung – in einem (an)klagenden Monolog möglich wäre. In der genannten Passage entspricht er den erzähltechnisch dominierenden Strategien der Ideen, nämlich der Verschiebung und Substitution, indem er das extreme Leiden an die Laokoon- Statue bindet, wobei er sich statt deren eingehender Beschreibung eines vage aufgeru- fenen kulturellen Zitats bedient. Die Aufgabe, extreme Gemüts- und Körpererfahrungen des Protagonisten darzu- stellen, löst Heine mit der Heranführung seines Protagonisten an die um 1800 als „Ikone des Schmerzes“ identifizierte Laokoon-Statue. Damit verweist er einen „esote- rischen“, d. h. einen über die Hintergründe informierten Leser, der lesend das visuelle Angebot des Textes wahrnimmt, auf eine tradierte Körperdarstellung, die das Höchst- maß an Leiden veranschaulichen soll, das aus ästhetischen Gründen unterdrückt wird. Im Rückgriff auf den Wissenshorizont der Epoche, in dem die Deutungsmuster der Laokoon-Debatte fest etabliert waren, kann aufgrund der von Heine verwendeten Strategien angenommen werden, dass die Antwort der Frau so verletzend war, dass sie dem Verliebten extremes Leid brachte. Die (dem Sinnangebot des Textes nach definitive und überdies höhnische)131 Absage der idealisierten Dame markiert einen Augenblick, von dem an die narrative Gestaltung der Liebe entlang dem (Ideen. Das Buch Le Grand strukturierenden) petrarkischen Modell nicht mehr möglich ist. Der Moment dieser Absage markiert sowohl die Zer- störung der Hoffnungen als auch des Ideals und damit die Vernichtung von konstituti- ven Komponenten, aus denen sich die Narrativierung der Liebe im Petrarkismus speist.

130 Jean Starobinski: Kleine Geschichte des Körpergefühls. Mit einer Einleitung von Hans Robert Jauß. Aus dem Franz. übers. v. Inga Pohlmann, Frankfurt am Main: Fischer Taschen- buch Verlag, 1991, 67. 131 Ein Vergleich der Schlusspassage mit der Exposition des Textes, in der der ledige Protago- nist darüber klagt, dass ihm der behagliche Himmel der Ehe, in dem man frei von ökonomi- schen Sorgen lebe, nicht zugänglich sei, lässt annehmen, dass die hier erörterte Textstelle der Ideen eine höhnische Absage des Eheantrags des Protagonisten thematisiert. 206 5 Poiesis des Leibes in Ideen

Lässt der Text den Erzähler an der Laokoon-Statue erstarren, so erspart er dem Leser Details über seine Stellung und Gesichtsausdruck. Gemäß den ästhetischen Vorga- ben der Zeit verzichtet er auf einen direkten Ausdruck des extremen Schmerzes durch den unartikulierten Schrei und deutet ihn unter Verweis auf ein kanonisches Werk der europäischen Kultur lediglich symbolisch an. Mit dem Verweilen an der Laokoon- Statue, das den Tiefpunkt in der Geschichte des Erzählers bedeutet, markiert Heine gewissermassen die Grenzen seiner Kunst, die einen Schritt in eine unartikulierte und – mit einem von Hegel häufig verwendeten Ausdruck gesprochen – „natürliche“ Dar- stellung des Leidens, auch des körperlichen Leidens, nicht wagt. Am Ende des Textes greift Heine wiederholt auf das Aperçu Napoleons “Du sub- lime au ridicule il n’y a qu’un pas, Madame!” (DHA 6; 200) zurück, um seine eigene Schreibstrategie abermals herauszustellen. Gemäß dem maßgeblichen Postulat seiner Kontrastästhetik, nach welchem nichts Tragisches ohne sein Gegenteil bestehen kann, schließt er an die Beschreibung der Grenzerfahrung des literarischen Subjekts eine kurze komische Passage an, die den Leser quasi versöhnt entlässt. 6 Die Bäder von Lucca: Körper im Kurort

6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...”

Die Körperkonstruktionen der Ideen demonstrieren, mit welcher Konsequenz Heine den antimimetischen Prinzipien der idealistischen Kunsttheorien gefolgt ist, die ihm eine kreative Überwindung von Partikularitäten der realen Erscheinungswelt und Orientierung am kulturellen Kanon vorschrieben. Die im vorausgegangenen Kapitel dieser Arbeit angeführten Beispiele belegen eindrücklich, dass sowohl idealisierende als auch groteske Körperkonstruktionen Heines durch das Aufgreifen von Elementen der literarischen und kulturellen Tradition entstehen, die einer kreativen Anverwand- lung unterzogen und synkretistisch konfiguriert werden. Das Wissen um die vielfältigen Revisionen, denen Heine seine intellektuellen und formalen Prämissen unterzogen hat, berechtigt allerdings zur Frage, ob der Autor die genannten ästhetischen Prinzipien in seinen weiteren Schriften konsequent verfolgte. Es lässt auch fragen, ob er dem in der Harzreise mit poetischen Mitteln geäußerten Vorsatz der Distanznahme gegenüber dem medizinischen Diskurs auch dann treu geblieben ist, als er im späteren Lebensverlauf mit medizinischen Paradigmen kon- frontiert wurde, die ihm zur Zeit der Niederschrift der Harzreise unbekannt waren. Auf diese Frage soll in der folgenden Interpretation der Bäder von Lucca, deren Handlung im titelgebenden italienischen Kurort Bagni di Lucca spielt, näher einge- gangen werden. Diese Problemstellung wird durch die inhaltlichen und formalen Aspekte dieses Textes gerechtfertigt, in dem sich Heine dem medizinisch relevanten Sujet „Badekur“ zuwandte, während er sich zugleich zur Revision seiner erzähleri- schen Mittel und Strategien veranlasst sah. Dieser letztere Sachverhalt wurde durch die Situierung der Handlung in Italien motiviert, womit der Autor an den zeitgenössisch besonders üppig florierenden Dis- kurs der literarischen Italienberichte anschloss, mit dessen Behandlung er sich zudem gegen eine umfangreiche und gewichtige Tradition zu stellen hatte.1 Bevor ich im Vorfeld der eigentlichen Textanalyse auf diese bedeutenden thema- tischen und formalen Aspekte eingehe, soll im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit die Bedeutung von Heines sechsmonatigem Münchner Aufenthalt 1827/1828 herausge- arbeitet werden, der der italienischen Badekur unmittelbar vorausging. Eine Motiva- tion für diesen interpretatorischen Schritt lieferte die Ermittlung der – m. E. von der

1 Vgl. Höhn: Heine-Handbuch, 231 f. 208 6 Körper im Kurort

Forschung bisher nicht hinreichend gewürdigten – Rückgriffe der Bäder von Lucca auf den naturphilosophischen Diskurs der Romantik. Sie verdanken sich – so meine These – aller Wahrscheinlichkeit nach den Impulsen, die Heine im Zusammenhang seiner Konfrontation mit den intellektuellen Vorgaben des Münchner Universitätsle- bens erhielt, dessen Medizinische Fakultät von den Anhängern der naturphilosophi- schen Medizin der Romantik dominiert wurde. Die Struktur der Arbeit schreibt vor, dass die biographischen Referenzen im Textzusammenhang betrachtet werden, der im zweiten Teil dieses Kapitels erörtert wird. Um Redundanzen zu vermeiden, die sich aus der Tatsache ergeben würden, dass der entstehungsgeschichtliche Hintergrund des Textes zweimal angegangen wird, habe ich mich entschieden, die relevanten biogra- phischen Zusammenhänge nur an einer, nämlich dieser Stelle zu thematisieren. Die Ende November 1827 erfolgte Ankunft Heines in München hing zusammen mit seiner Anstellung bei den vom liberalen Verleger Cotta in der bayrischen Resi- denzstadt herausgegebenen Neuen Allgemeinen Politischen Annalen,2 die bis zum Beginn der Anfang August 1828 angetretenen Italienreise des Autors andauern sollte. Diese seiner Begabung angemessene, angesehene Stellung als Mitarbeiter eines überregio- nalen Blattes mit dem dazugehörigen ansehnlichen Gehalt, das ihm endlich die gewün- schte finanzielle Unabhängigkeit verschaffte, wusste Heine gehörig zu schätzen.3 Zugleich betrachtete er die Anstellung bei einer Zeitschrift, die sich nicht literari- schen, sondern zeithistorisch-politischen Belangen widmete, als eine provisorische Lösung, die es ihm erlaubte, sein damals eigentlich angestrebtes Berufsziel, nämlich die Erlangung einer Professorenstelle an der Münchner Universität, vor Ort zu ver- folgen. Heine-Biographen betonen, dass die Münchner Professur für den jungen, oppositionell profilierten Schriftsteller ein so wichtiges Ziel darstellte, dass er bereit war, bedeutende ideologische Konzessionen zu machen.4 Die spärliche Münchner Korrespondenz Heines liefert keine detaillierten Anga- ben über seine Kontakte zu lokalen Universitätskreisen. Mit Sicherheit lässt sich allerdings annehmen, dass sich der Autor aufgrund der genannten akademischen Karrierepläne für Hochschul-Interna interessierte und sie dank seiner Bekanntschaft mit dem Düsseldorfer Landsmann Eduard von Schenk (1788-1841), der als bayri- scher Staatsrat und Minister des Innern ein prominenter Fürsprecher Heines am Hofe wurde und (bekanntermaßen erfolglos) dessen Anstellung an der Universität beim König durchzusetzen versuchte, auch kannte.5 Einen weiteren prominenten Infor-

2 Vgl. ebd., 228, 242 f. 3 Jan-Christoph Hausschild, Michael Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“. Heinrich Heine. Eine Biographie, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1997, 142. 4 Ebd., 148 ff. Wie weit Heines einschlägige Bereitschaft reichte, belegt seine Bitte an den Verleger Cotta, dieser möge dem bayrischen König Ludwig I., der als Landesherr gleichzeitig auch Universitätsrektor war, drei Bücher Heines mit der Erklärung überreichen, „der Ver- fasser selbst sey viel milder, besser und vielleicht jetzt ganz anders als seine früheren Werke; der König werde weise genug seyn, die Klinge nur nach ihrer Schärfe zu schätzen, und nicht nach dem etwa guten oder schlimmen Gebrauch, der davon schon gemacht worden.“ (HSA 20; 334) 5 Ebd., 151 f. Vgl. auch Hans Georg Pott: Heine in München. In: HJb 1985, 215-226, hier: 217 f. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 209 manten fand Heine in dem seit 1822 in München als Attaché der russischen Botschaft tätigen befreundeten russischen Diplomaten und Dichter Feodor Iwanowitsch Tjut- schew, der eine bayrische Adelige heiratete und als ein Anhänger der schellingschen Philosophie galt.6 Es erscheint kaum möglich, auf die entstehungsgeschichtlichen Hintergründe der Bäder einzugehen, ohne die zunehmend intensive krankheitsbedingte Auseinandersetzung Heines mit der eigenen Leiblichkeit zu berücksichtigen, die in nahezu allen damaligen brieflichen Äußerungen des Autors problematisiert wird. Über eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes klagte Heine gegenüber Karl von Varnhagen und Moses Moser bereits vor der Abreise nach Bayern. In dem vor dem Abschied von Lüneburg verfassten Brief an den Letzteren schrieb er: „Meine Gesundheit, die wieder rück- gängig, erlaubt mir keine große Tätigkeit. Schrecklich, daß ich trotzdem in bitterer Jahreszeit reisen muß.“ (HSA 20; 237) Aufgrund seines angegriffenen Gesundheits- zustands fürchtete Heine, dass das berüchtigte Münchner Klima ihn bald zwingen würde, das lukrative Anstellungsverhältnis zu beenden.7 In München angekommen, schreibt Heine an Varnhagen: „Vor einigen Tagen bin ich hier angelangt, halb todt. Um Bewerbungsvisiten zu machen, bin ich zu sehr herz- und kopfkrank.“ (HSA 20; 245) Während mit dem Ausdruck „Herzkrankheit“ an dieser Stelle nicht auf ein körper- liches, sondern ein seelisches Leiden verwiesen wird, auf das der Autor in den Münch- ner Briefen nicht weiter eingeht, bleibt das weitere erwähnte somatische Symptom, nämlich die Kopfschmerzen, ein Dauerthema der Münchner Korrespondenz des Schrift- stellers. Bis auf einige wenige im Frühling 1828 entstandene Briefe teilt Heine in allen anderen mit, dass er unter quälenden, andauernden Kopfschmerzattacken bzw. Dauerkopfschmerz, Mattigkeit und Konzentrationsschwäche leidet bzw. gerade ge-

Die neueste Veröffentlichung über Heines Aufenthalt in München und seine Abrechnung mit der Stadt in Reise aus München nach Genua lieferte Wolfgang Frühwald: Heinrich Heine liest das München Ludwigs I.: eine Episode und ihre Folgen. In: Simone Hirmer, Marcel Schellong (Hg.): München lesen, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008, 17-32. 6 Tjutschew, dem die Bedeutung des ersten russischen Heine-Übersetzers zukommt, ist einer der namhaftesten russischen Lyriker. Mit Heines Dichtungen hat er sich noch vor der ersten Begegnung mit dem deutschen Schriftsteller bekannt gemacht und daraus zu übersetzen begonnen. Wenn ihn das Werk Heines auch Zeit seines Lebens beschäftigt hat, so hat er doch insgesamt nur acht Gedichte aus dem Buch der Lieder, dem Neuen Frühling und den Neuen Gedichten und eine Prosastelle aus den Reisebildern übersetzt, wobei er die letztere sogar in russische Verse gebracht hat. Die Heine-Übersetzungen Tjutschews gelten, wie auch jene, die er von Gedichten Goethes und Schillers lieferte, als kongenial. Obwohl Tjut- schew und Heine nach 1828 keinen Briefwechsel unterhielten, haben sie sich weiterhin füreinander interessiert. Im Sommer 1853 hat der russische Autor den ans Bett gefesselten Heine in Paris aufgesucht. Vgl. Alois Moosmüller: Interkulturelle Kommunikation in der Diaspora: Die kulturelle Gestaltung von Lebens- und Arbeitswelten in der Fremde, München: Waxmann Verlag, 2002, 85 (insbesondere Anm. 22). 7 Die Kenntnis der Eigenschaften dieses Klimas, das bei den Zeitgenossen für seine nachtei- ligen gesundheitlichen Folgen geradezu verschrieen war, setzt Heine bei seinen Briefpart- nern voraus. Folgender Kommentar des Romantikers Ernst August Friedrich Klingemann (1777-1831) lässt den heutigen Leser die einschlägigen Bedenken Heines nachvollziehen: „Das Münchner Klima ist (...) sehr ungesund, da die große Ebene, auf welcher die Stadt liegt, 210 6 Körper im Kurort litten hat. Darüber hinaus informiert er die Briefpartner über sein Leiden unter dem lokalen Klima, über Fieber, katharralische Beschwerden, ferner über vorübergehende motorische Beeinträchtigungen. Überdies klagt er über andauernde Phasen depressiver Verstimmung, was vor dem Hintergrund des hier aufgerissenen Leidenkatalogs kaum überraschen mag.8 All diese Symptome treffen den jungen Autor mit einer vorher nicht gekannten Intensität, so dass er seinen baldigen Tod fürchtend an den Verleger Campe schreibt: „(...) Doch ich schreibe heute konfus, ich wollte eigentlich sagen, daß ich eben jetzt, wo ich berühmt geworden, das Schicksal deutscher Schriftsteller befürchte, nemlich frühes Hinsterben. (...) Im Ernst, theurer Campe, ich bin sehr krank. Ich bin heut ein krankes altes Weib und schwatze. Wenn ich kränker werde – ich scherze nicht – ordne ich meine Papiere und adressiere sie an Sie für den Fall meines Absterbens. Dann geben Sie solche heraus, und das Honorar soll meine irdischen Schulden hienieden decken (...).“ (HSA 20; 247) Wenn Heines Briefe von einer krankheitsbedingten Beschränkung seiner Lebensqua- lität berichten, wenn sie von Leiden und existenzieller Angst sprechen, so verweigern sie doch konkretere Informationen über die Natur dieser Leiden, die diagnostische Rückschlüsse erlauben würden.9 Sie verschweigen auch, welches medizinisches Wis- sen Heine von dem Münchner Arzt (bzw. den Ärzten) im Zusammenhang seiner Krank- heiten vermittelt wurde, welche Erklärungsmuster dieser Arzt (bzw. diese Ärzte) dem Patienten für seine Beschwerden anbot(en) und welche Therapiemaßnahmen er (sie) vorschrieb(en). Im Unterschied zu der Harzreise, die den Namen des Göttinger Medi- ziners Karl Friedrich Heinrich Marx als jenen würdigt, dem sich der Patient Heine bei aller Ambivalenz seiner Gefühle doch zum Dank verpflichtet weiß, erlauben weder die im Kontext der Münchner Zeit geschriebenen literarischen Texte noch die dama- ligen Briefe Heines, den Namen seines behandelnden Arztes zu identifizieren. Es ist allerdings anzunehmen, dass sich der leidende Redakteur der Neuen Politischen Annalen zumindest im Falle von akuten Beschwerden einer ärztlichen Behandlung unterzog. Während wir Heines krankheitsbedingte Begegnungen mit dem medizinischen Diskurs und seinen Vertretern in München voraussetzen können, so lassen sie sich letztendlich nicht nachweisen. Indessen belegt einer seiner Briefe, dass der Autor sich nicht aus krankheitsbedingten, sondern familiären Gründen für die Medizinische Fakultät der Münchner Universität interessierte. Dieses Faktum blieb dem 1827 na- henden Studienabschluss seines jüngsten Bruders Maximilian geschuldet, der in dieser Zeit in einer anderen Universitätsstadt das erforderliche Praktikum in einer Klinik bzw. einem Krankenhaus absolvieren sollte.10 Wie es scheint, bekommt Heinrich Heine von den rauhen Winden der Tiroler Gebirge scharf bestrichen wird, die Witterung äußerst veränderlich ist, und auf eine große Hitze, oft unmittelbar und ohne mildernden Übergang die empfindlichste Kälte kommt.“ Ernst August Friedrich Klingemann: Kunst und Natur: Blätter aus meinem Reisetagebuche, Bd. 2, Braunschweig: G. C. E. Meyer, 1821, 404. 8 Vgl. Montanus: Der kranke Heine, 53-58, hier: 54. 9 Ebd. 10 Müller-Dietz: Zur Biographie Maximilian (von) Heines, 142. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 211 den Auftrag, die Qualitäten der Münchner Medizinischen Fakultät vor Ort zu prüfen. Das Fazit seiner einschlägigen Erkundungen fällt offensichtlich negativ aus, denn zweieinhalb Monate nach seiner Ankunft in München lässt der Schriftsteller am 15. Februar 1828 den Freund Johann Hermann Detmold folgende Nachricht über zwei- felhafte Qualität des Unterrichts an Maximilian weiterleiten: „(...) Sie sehen bald meinem Bruder, so sagen Sie ihm, daß ich ihm nächstens schreibe, ich rathe ihm Würzburg zu wählen. München ist nicht gut besetzt, sehr zerstreuend u hat ein niederträchtiges Clima, woran jeder der an Brust leidet schwer zu tragen hat. (...)“ (HSA 20; 319)11 Der in dem hier zitierten Schreiben angekündigte Brief an Maximilian ist nicht überlie- fert, bekannt ist nur, dass die von Heinrich Heine angeführten Gründe, die gegen die Münchner Medizinische Fakultät sprachen, so überzeugend waren, dass sich der ange- hende Arzt nach seinem am 15. April 1828 erfolgten Studienabschluss in Würzburg immatrikulierte, um dort sein Praktikum im Sommersemester zu absolvieren.12 Im Zusammenhang mit Heines Einstellung gegenüber den medizinischen Paradig- men seiner Zeit erscheint es aufschlussreich, der Frage nachzugehen, welche „Beset- zung“ der medizinischen Fakultät der Autor als „schlecht“ bemängelte. Da der Autor in dieser Hinsicht weder in seiner Korrespondenz noch in anderen Schriften detail- lierte Hinweise hinterlassen hat, bleibt ihre Beantwortung auf einen nachträglichen Rekonstruktionsversuch des einschlägigen Kontextes angewiesen, der im Folgenden unternommen wird. Es erscheint zunächst notwendig, die Situation der einschlägigen medizinischen Fakultät im Kontext der Universität zu reflektieren, die durch die 1826 erfolgte Ver- legung der altbayrischen Universität Landshut in die Residenzstadt entstand, womit Ludwig I. (1786-1868) den Ausbau Münchens zu einem geistigen und künstlerischen Zentrum fördern wollte. Die an der am 15. November 1826 eröffneten Universität betriebene Forschung und Lehre, die sich der Berufungspolitik des Königs und seines – bereits als Heines Düsseldorfer Landsmann und Bekannter erwähnten – Beraters Eduard von Schenk verdankten, war in allen Fakultäten nicht nur von wissenschaftli- chen Erwägungen bestimmt, sondern zielte auch auf die Gewährleistung eines chris- tlich-konservativen Grundcharakters der Universität, insbesondere auf die Abwehr des Geistes der Aufklärung.13 Dank diesem Anstellungsprofil konnte Heine 1827 an

11 Um die Eindringlichkeit von Heines Gesundheitsklagen vor Augen zu führen, sei hier der repräsentative Anfang des Briefes zitiert, in dem der Absender unmittelbar nach der übli- chen Adressatenanrede verlauten lässt: „[I]ch hab wahrhaftig nicht so viel Zeit u gesunde Zeit um Ihnen so viel zu schreiben wie ich wünschte. (...) mein schlimmster Feind ist meine Gesundheit.“ (HSA 20; 319) 12 Ebd. Nach dem in Würzburg absolvierten Praktikum besuchte Maximilian seinen älteren Bruder in München und begleitete ihn zu Beginn der Italienreise nach Tirol. Auf den Sach- verhalt geht Heinrich Heine am Anfang des ersten italienischen Reisebildes u. d. T. Die Reise von München nach Genua ein. (Vgl. DHA 7/1; 26) 13 Vgl. Max Spindler, Dieter Albrecht, Alois Schmid: Handbuch der bayrischen Geschichte, München: C. H. Beck, 2003, 158. 212 6 Körper im Kurort der Universität den führenden Vertretern der naturphilosophischen Medizin der Roma- ntik begegnen, die ihr Medizinverständnis in der Nachfolge bzw. in der Auseinander- setzung14 mit naturphilosophischen Konzepten Schellings profilierten. Der genannte Sachverhalt hängt allerdings nicht direkt mit der Präsenz Friedrich Wilhelm Joseph Ritter von Schellings in München zusammen. Dieser wird nach der im Jahre 1826 erfolgten Verlegung der Universität von Landshut nach München als ordentlicher Professor berufen, lässt sich aber sofort für ein Jahr beurlauben, um wissenschaftlich zu arbeiten. Seine am 26. 11. 1827, also zwei Tage vor Heines An- kunft, gehaltene Antrittsvorlesung, in der sich der Philosoph gegen den von ihm als falsch identifizierten Gegensatz zwischen Wissen und Glauben, zwischen Religion und Philosophie, widmet, sorgt gerade zur Zeit von Heines Ankunft in der bayrischen Hauptstadt tagelang für das Stadtgespräch.15 Dennoch hat sich Schelling im Jahre 1827 von seinen früheren naturphilosophischen und medizinischen Interessen längst abgewandt und widmet sich dem Anliegen, eine „christliche“ Philosophie mit einem fundierten epistemologischen Anspruch zu entwickeln. Die Tatsache, dass die von Schelling im Rahmen seiner naturphilosohischen Schriften entfalteten Raster der Körperwahrnehmung, Leitvorstellungen und Begrifflichkeiten die Forschung und das Unterrichtsmodell der Münchner Medizinischen Fakultät prägen, hängt damit zu- sammen, dass diese von den prominenten Exponenten der romantischen Medizin, nämlich Heinrich Gotthilf Schubert (1780-1860), Andreas Röschlaub (1768-1835), Johann Nepomuk von Ringseis (1785-1880) und Lorenz Oken (1779-1851) domi- niert wird. Einigen Aufschluss über die Gegenstände und Standards der medizini- schen Forschungen am Institut erlaubt die Einsicht in die wissenschaftlichen und didaktischen Schwerpunkte der Lehrstuhlinhaber. Der mit seinen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften (1808) und Symbolik des Traumes (1814) im Diskurs der romantischen Wissenschaften und in den literarischen Texten der Zeit breit rezipierte Arzt, Naturforscher, Naturphilosoph und Schüler Schellings, Heinrich Gotthilf Schubert, unterrichtet 1827 die Münchner Medizinstudenten in den Fächern „Allgemeine Naturgeschichte“ und „Physiognomik der Natur“, wobei er die schellingsche Naturphilosophie einer christlichen Gesamt- deutung zu unterziehen sucht, um dadurch zu einer Synthese von Bibelglauben und idealistischer Wissenschaft zu gelangen.16 Vorlesungen über „Allgemeine Therapie“ und „Medizingeschichte“ werden von einem der wichtigsten Vertreter der naturphi- losophischen Tradition, Andreas Röschlaub, gehalten. Die Universitätsklinik, also jener Bereich, der für das eventuelle Praktikum von Heines Bruder von größter Bedeu-

14 Ein Beispiel für den zweiten Zugang liefert Andreas Röschlaub, auf den ich im Folgenden knapp eingehe. 15 Marie-Elise Zovko: Natur und Gott: Das wirkungsgeschichtliche Verhältnis Schellings und Baaders, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1996, 272 f. 16 Zu intertextuellen Referenzen auf Schuberts Symbolik der Träume in Heines Pariser Gedicht- sammlung Verschiedene vgl. Katarzyna Jaśtal: „Eine eigenthümliche Ideenassociation....“ Heinrich Heine und Gotthilf Heinrich Schubert. In: „Kwartalnik Neofilologiczny“ [Neo- philologische Vierteljahresschrift], Warszawa, 2002, 179-184. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 213 tung gewesen wäre, befindet sich in den Händen von Johann Nepomuk von Ringseis, der über diese Verpflichtung hinaus Vorlesungen über die klinischen Fächer „Patho- logie“ und „Therapie“ hält und als Arzt des Königs einen großen Einfluss auf die Gesundheitspolitik des bayrischen Staaates ausübt. Auch das Medizinkonzept von Ringseis steht auf den Positionen der romantischen Naturphilosophie, die der Professor eigenwillig adaptiert, indem er zwischen Medizin und Theologie zu vermitteln sucht. Seine einschlägigen Entwürfe, die die Krankheit als Sünde deuten und Sakramente und Gebete als Heilmittel empfehlen, stoßen bereits unter den Zeitgenossen auf hef- tigen Widerstand.17 Die Benennung der prominentesten Vertreter der Münchner Medizinischen Fakultät im Jahre 1828 macht den konservativen Charakter der Institution deutlich, wobei die Standpunkte der einzelnen Professoren durch die Anknüpfung an die zeitgenössische Theologie rückständiger als jene wirken, die Schelling in seinen um 1800 entstandenen naturphilosophischen Schriften formuliert hat. Die Tatsache, dass die anachronistischen wissenschaftlichen Ansätze der Akademiker ihren rückständigen politischen Positionen entsprachen, die sich hochschul- wie stadt- und staatspolitisch auswirkten, mochte Heines ungünstiges Urteil über die Fakultät zusätzlich beeinflusst haben.18 Zu berück- sichtigen bleibt auch, dass der gute Ruf der Medizinischen Fakultät durch stadtbe- kannte wissenschaftlich, politisch und persönlich motivierte Zerwürfnisse unter den Inhabern der einzelnen Lehrstühle litt. Die einschlägigen Konflikte waren so berüch- tigt, dass sich der konservative Schriftsteller und Heines Altersgenosse Wolfgang Menzel (1798-1873), mit dem Heine zu Anfang seines Münchner Aufenthaltes freund- schaftlich verkehrte,19 veranlasst sah, an den Beginn seiner Charakteristik der Münchner Universität folgende Darstellung der lokalen naturphilosophischen Fehden zu stellen: „Auf der Münchner Universität ist die große Menge der Naturphilosophen auffallend. Aber noch auffallender ist ihre Uneinigkeit. Da ihrer so viele hier beisammen

17 Die Angaben über den Vorlesungsbetrieb folgen den Angaben von Hermann Friedrich Kilian: Die Universitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht, 387 ff. 18 Die Tatsache, dass Heinrich Heine seinem Bruder von der Immatrikulation in München abriet, kann auch mit der Situation der jüdischen Studierenden in der Stadt in Verbindung gebracht werden. In ihrer fundierten historischen Arbeit über den Eintritt der Juden in die akademischen Berufe in Deutschland verweist Monika Richartz zunächst auf die grundsätzlich schlechte Situation der Juden in Bayern und belegt, dass erst Mitte des 18. Jh.s einzelnen Hofjuden die Ansiedlung in München erlaubt wurde. Noch um 1800 hatte die lokale Gemeinde zwar eine wirtschaftliche, aber keine kulturelle Bedeutung. Jüdische Ärzte und andere Akademiker sind in München nach dem Zeugnis der Forscherin erst seit den dreißiger Jahren des 19. Jh.s präsent. Die ausgeprägt katholische Atmosphäre der bayeri- schen Universität trug wesentlich dazu bei, dass die Anzahl der jüdischen Studenten in den 1820er Jahren relativ gering blieb. Vgl. Monika Richartz: Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe: Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678-1848, Berlin: Siebeck, 1974, 114. 19 Der berühmte Konflikt zwischen Heine und Menzel, der den Ersteren 1837 zur Publikation des Verrisses Über den Denunzianten bewegt, eskaliert erst nach dem Münchner Aufent- halt Heines. 214 6 Körper im Kurort

sind, ihr großes Haupt Schelling selbst, dann ihre kräftigsten Arme, Oken, (...) Schubert, Ast (...), so sollte man glauben, diese Männer müßten zusammenstehen und durch Concentration ihrer Lichter einen großen Schein von sich geben. Dieß ist aber nicht der Fall. Sie leben isoliert, zum Theil in Fehde.“20 Die zitierte Passage stammt aus dem Jahre 1831. Da ihr Autor deutlich macht, dass die Auseinandersetzungen, von denen er spricht, bereits seit der Gründung der Univer- sität bestehen und einen permanenten Charakter haben, ist anzunehmen, dass die Situation im akademischen Jahr 1827/1828 von der oben beschriebenen nicht gravie- rend abwich. Die Tatsache, dass der medizinisch nicht vorgebildete Menzel es für angebracht hält, im Anschluss an die obige Darstellung seine eigene Perspektive auf die naturgeschichtlichen Fragestellungen zu entfalten, demonstriert, welch eine Heraus- forderung die genannten fachlichen Auseinandersetzungen für Heines Zeitgenossen darstellten. Diese Kontroversen trugen auf jeden Fall zur Bestätigung und Aktuali- sierung des Paradigmas der naturphilosophischen Medizin der Romantik in der baye- rischen Residenzstadt bei. Die zitierte Schilderung Menzels benennt unter Rekurs auf die Namen Gotthilf Heinrich Schuberts und Lorenz Okens einen der lautesten unter Schellings ehemaligen Schülern in den späten 1820er Jahren in München ausgefochtenen Fakultätskonflikte. Der Streit entbrannte unter zwei Professoren, die das heute aus dem Curriculum des Medizinsstudiums verschwundene, um 1800 darin präsente und relevante Studienfach „Naturgeschichte“ vertraten, wobei sie in ihren Forschungen ärztliche und philosophi- sche Kompetenzen verbanden. Ihr wissenschaftliches Fach, die Naturgeschichte (Histo- ria naturalis) war an der aristotelischen Lehre von den „drei Reichen“, dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich, orientiert und umfasste dementsprechend Mineralogie, Bota- nik und Zoologie. Das Ziel der naturhistorischen Forschung war die deskriptive und systematisierende Verarbeitung von Naturbeobachtungen und die Erschließung der natürlichen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten. Ihre Relevanz im zeitgenössi- schen System der Wissenschaft stand im Zusammenhang mit dem um 1800 exponen- tiell anwachsenden Druck der empirischen Daten, als dessen Ergebnis die Forderung nach einer einheitlichen naturwissenschaftlichen Grundlage zur Erklärung aller Natur- phänomene entstand.21 Die Einbeziehung der Naturgeschichte in das Curriculum des Medizinstudiums resultierte aus dem Postulat, die medizinische Reflexion über den Körper des Menschen solle auf einer einheitlichen Theorie fußen, die das immer heterogener werdende Datengefüge und die Mannigfaltigkeit der Naturformen ordnet und zugleich den Ort des menschlichen Körpers im Reich der Natur umfassend reflek-

20 Wolfgang Menzel: Reise nach Oesterreich im Sommer 1831, Tübingen: Cotta, 1832, 46 f. 21 Die um 1800 schnell anwachsende Flut der einschlägigen Daten macht Wolf Lepenies eindrücklich an der Tatsache fest, dass der Mensch um 1740 insgesamt etwa 600 Tierarten kannte, während ca. 100 Jahre später allein schon 2400 Schlupfwespenarten bekannt sind. Vgl. Wolf Lepenies: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlich- keiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts, München: Hanser, 1978, 16 ff. Matthias Maring: Ethisch-philosophisches Grundlagenstudium: Ein Studienbuch, Berlin- Hamburg-Münster: LIT, 2004, 139 f. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 215 tiert.22 Das Denken der Ärzte des 19. Jh.s wurde entscheidend von der Tatsache geprägt, dass sie im Rahmen des einschlägigen fachlichen Unterrichts Denkmuster vermittelt bekamen, die sich gravierend von den Standards des 18. Jh.s unterschieden.23 Während nämlich das Zeitalter der Aufklärung vor allem auf Differenzen zwischen den Orga- nismen verwies und auf dieser Grundlage die Phänomene des Naturreiches in Kata- logen und Inventaren ordnete, betrachtete die Naturgeschichte des 19. Jh.s gemäß den Vorlagen der romantischen Philosophie die Natur als eine Ganzheit. Von diesem Einheitsgedanken geleitet, suchte sie in ihren Ordnungsschemata vor allem die Gemeinsamkeiten und Verbindungen zwischen den einzelnen Naturbildungen zu be- tonen, wobei sie die Denkfigur der Analogie favorisierte. Besonders eindrückliche Belege für die einschlägigen Vorgehensweisen lieferte den Münchner Studenten Lorenz Oken, der in seinen Schriften und Vorlesungen die romantischen Ansätze zuerst übernahm, um sie im Unterschied zu seinen Fakultätskol- legen progressiv zu überschreiten. Da der umfassend gebildete Mediziner und Philo- soph Lorenz Oken, der den Problemhorizont von Schellings metaphysischen Voraus- setzungen teilte, während er seine eigene Position durch stärkere Zuwendung zur Empirie profilierte, von Heine nicht nur wahrgenommen, sondern wie sonst nur wenige zeitgenössische Gelehrte stets mit Respekt bedacht wurde, möchte ich im Folgenden auf seine Leistungen und Konzepte näher eingehen.24 Der an der Medizinischen Fakultät in München 1827 angestellte Lorenz Oken (eigentlich Okenfuß) war einer der bemerkenswertesten deutschen Wissenschaftler der ersten Hälfte des 19. Jh.s. 1804 zum Doctor medicinae promoviert, arbeitete er bereits während seiner Studienzeit den später berühmt gewordenen Grundriß der Naturphilosophie, den er 1803 publizierte, aus. Auf Anregung Schellings, dessen Vorlesungen er in seinem letzten Studienjahr hörte und mit dem er sich anfreudete, begann sich Oken für Phänomene der Zeugung zu interessieren, denen er seine 1805 abgeschlossene Habilitationsschrift widmete. Bereits 1807 wurde der junge Forscher Korrespondent der Königlichen Societät der Wissenschaften zu Göttingen. Die anato- misch-physiologischen Arbeiten aus dieser Zeit veröffentlichte er in seinen zusammen mit einem Vertreter der naturphilosophischen Medizin, Dietrich Georg Kieser (1779- -1862), in den Jahren 1806 und 1807 herausgegebenen Beiträgen zur Vergleichenden Zoologie, Anatomie und Physiologie. Nach der 1807 erfolgten venia legendi in Jena, wo Oken über Naturphilosophie und Naturgeschichte, vergleichende Anatomie und Physiologie las, folgte in den Jahren 1809 bis 1811 das dreibändige Lehrbuch der

22 Im Zusammenhang mit den damaligen Bestrebungen bildet sich erst allmählich das neue selbständige akademische Fach „Biologie“, das sich als autonome Wissenschaft von belebten Naturphänomenen definiert. Vgl. Kristian Köchy: Ganzheit und Wissenschaft: Das histori- sche Fallbeispiel der romantischen Naturforschung, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997, 103. 23 Vgl. Foucault: Die Ordnung der Dinge, 173. 24 Zur Geschichte der Gesellschaft, ihrer Strukturen und sozialer Funktionen vgl. Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert: Bürgerliche Kultur, natur- wissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848-1914, Oldenbourg: Wissenschaftsverlag, 2002, 119-137. 216 6 Körper im Kurort

Naturphilosophie. 1812 erhielt Oken eine ordentliche Honorarprofessur für Philosophie, die mit der Erlaubnis verbunden war, sich Professor der Naturgeschichte nennen zu dürfen. Im Zusammenhang von Heines Aufmerksamkeit für den Forscher erscheint es wichtig, auf seine Herausgebertätigkeit hinzuweisen, die wissenschaftliche mit liberalen politischen Anliegen verband. Seit 1817 gibt Oken die Zeitschrift Isis Enzyklo- pädische Zeitung (1817-1848) heraus, mit der er ein Forum für Repräsentanten aller Wissenschaften (außer Theologie und Jurisprudenz) begründet, was zu Anfang des 19. Jh.s ein Novum darstellt. Unter den wissenschaftlichen Zeitschriften der Restau- rationszeit ragt sein Blatt auch durch eine freie Berichterstattung heraus, wodurch es auch zu einer politischen Plattform wird, die Oken für die Präsentation von liberal- nationalen Anschauungen nutzt. Die mutig geäußerte liberale Einstellung und die politische Dimension des okenschen Wirkens, die sich in der Isis niederschlugen, blieben nicht ohne negative Folgen für die akademische Karriere des Wissenschaftlers. Aufgrund der in der Zeitschrift publizier- ten Berichterstattung über die Geschehnisse auf dem Wartburgfest 1817 verlor Oken seine Professur. Vor die Wahl gestellt, sein Lehramt oder die Herausgeberschaft der Isis niederzulegen, entschloss er sich zur Fortführung seiner Zeitschrift und wurde daraufhin 1819 aus dem Dienst entlassen, wonach er seine wissenschaftliche Arbeit als Privatgelehrter fortsetzte. Seinen Beitrag zur wissenschaftlichen Öffentlichkeit suchte Oken 1822 durch die Gründung der „Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte“ zu erweitern, mit der ein territorial übergreifendes Kommunikationsnetz für Naturforscher und Ärzte enstand. Über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg war diese Gesellschaft ein Forum für die sich neu definierenden Naturwissenschaften. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit scheint die Tatsache, dass der Aufenthalt Lorenz Okens und Heinrich Heines in München 1827/1828 zusam- menfallen. Im Unterschied zu Heine, der München im Sommer 1828 verließ, blieb Oken bis zu seiner Entlassung 1833 in der Stadt. Diese wurde herbeigeführt durch die Konflikte des Forschers, der seine wissenschaftlichen Theorien und progressiven politischen Ansichten in der konservativen Münchner Wissenschaftslandschaft zu behaupten suchte. Am 5. Januar 1833 wurde Oken als Professor für Allgemeine Natur- geschichte, Naturphilosophie und Physiologie an die neugegründete Universität Zürich berufen und bereits am 20. April zum Rektor gewählt. Sein bekanntester Schüler wurde der früh verstorbene Dichter und Naturforscher Georg Büchner (1813-1837).25 Während Okens Forschungen sich über alle Bereiche der Natur erstreckten und mit zahlreichen neuen Beobachtungen in der Anatomie, Physiologie und Zoologie verbanden, galt sein Hauptinteresse der Naturgeschichte, wo er den naturphilosophi- schen Ansätzen Schellings zu folgen suchte. Okens Arbeiten bauten auf dem Konzept einer lebendigen All-Natur auf, das den Menschen als das große Endziel und zugleich als die potenzierte Form dieses All-Organismus intepretierte. Entsprechend dieser Annahme begriff Oken das Artensystem des Tierreichs als die allmähliche Entwick- lung und selbständige Darstellung der einzelnen Organe „des höchsten Tiers, d. h.

25 Vgl. Neue Deutsche Biographie, 499 f. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 217 des Menschen“26. Der Wissenschaftler, der den menschlichen Körper zum „Maß und Messer der Tierleiber“ erklärte und im Menschenleib vier Organsysteme unterschied, teilte dementsprechend das gesamte Tierreich in vier Hauptklassen der Tiere ein.27 Diesem wissenschaftlich-philosophisch problematischen Verfahren verdankte sich ein System von Tier- und Pflanzenarten, dessen Prinzipien und Begrifflichkeiten zeit- genössisch kontrovers diskutiert wurden und heutzutage an manchen Stellen vielfach seltsam anmuten.28 Dieses Gefüge, in dessen Rahmen das einzelne Phänomen stets als Repräsentation eines Ganzen definiert wurde, baute auf der Denkfigur der Analogie auf, in deren Sinne Oken die tradierte Vorstellung von Makro- und Mikrokosmos aktualisierte. Es erscheint kennzeichnend, dass Heine seit dem ersten Tag seines Münchner Aufenthaltes Interesse an Oken zeigte. Es fand seinen Niederschlag in dem bereits anzitierten ersten Münchner Brief vom 28. 11. 1827 an Varnhagen. In dem Schreiben, in dem Heine klagt, dass er aufgrund seines Gesundheitszustands außerstande sei, die obligaten Begrüßungsbesuche zu machen, zeigt er sich über die neuesten Univer- sitätsinterna informiert. In diesem Zusammenhang teilt er mit: „Oken hat wieder fort wollen, da verstand man ihm einen fixen Gehalt zu geben.“ (HSA 20; 245) Heines Motivation, die Nachricht über den progressiven Naturwissenschaftler an Varnhagen weiterzuleiten, scheint den Interessen des Empfängers entsprochen zu haben, der nicht nur einige Beiträge in der okenschen Isis publiziert hatte, sondern mit ihrem Herausgeber auch persönlich bekannt war.29 Heines Briefwechsel erlaubt keine wei-

26 Lorenz Oken: Lehrbuch der Naturgeschichte, Jena: August Schmid, 1815, 1. 27 Ebd. 28 Entsprechend dem angenommenen Prinzip schlägt Oken folgende Stufenleiter des Tierrei- chs vor: Fleischlose Tiere, d. h. „Geweidtiere“ (Infusorien, Korallen, Quallen u. a), „Haut- tiere“, d. h. Weichtiere, „Gliedertiere“ (Spinnen oder Insekten) und „Fleischtiere“ bzw. Gesichtstiere, zu denen er geweidige Fleischtiere, d. h. Fische, Fellfleischtiere, d. h. Lurche oder Amphibien, Gliedergesichttiere d. h. Vögel und Nerven-Fleischtiere bzw. Antlitz- oder Sinnentiere. Hierzu gehören Säugetiere und der Mensch. Vgl. Sibille Mischer: Der ver- schlungene Zug der Seele: Natur, Organismus und Entwicklung bei Schelling, Steffens und Oken, Würzburg: Konigshausen und Neumann, 1997. Es erscheint bemerkenswert, dass Oken bei der Konstruktion seiner umstrittenen Termini eine Vielzahl neuer auf der deut- schen Tradition aufbauender Begriffe wie z. B. Qualle, Lurch, Schleich, Kerf, Nesthocker, Nestflüchter schafft, die sich bis heute erhalten haben. Charakteristisch für die einschlägige Arbeitsweise Okens war die Vermeidung von bombastischen Wörtern wie auch umständli- chen Schulbezeichnungen. Vgl. Thomas Bach, Olaf Breidbach, Dietrich von Engelhard: Einleitung. In: Lorenz Oken: Gesammelte Werke 2. Lehrbuch der Naturphilosophie, hrsg. v. Bach, Breidbach, Engelhard, Weimar: Böhlaus Nachfolger, 2007, 7-12, hier: 9. 29 Folgenden instruktiven Bericht über seine erste Begegnung mit Oken, bei der auch seine Frau Rahel präsent war, liefert Varnhagen in der Erinnerung an den Aufenthalt in Karlsbad im Jahre 1819: „Eine andere flüchtige Erscheinung war Oken. Er war von Jena gekommen und wollte sich die politische Bewegung in Württemberg und Baden ansehen, doch als jenaischer Professor und Herausgeber der »Isis« war er den jetzt besonders aufmerksamen Behörden übel empfohlen, er sah seine Schritte beobachtet, glaubte sich schlimmen Ver- wicklungen ausgesetzt und war wie auf der Flucht. Da ich ihm ein paar Beiträge für die »Isis« geliefert hatte, so dachte er mich, als eine Ausnahme unter den Diplomaten, ohne Gefahr besu- 218 6 Körper im Kurort teren Rückschlüsse darauf, ob er in München dem Hochschullehrer Oken begegnete, dessen Vorlesungen sich unter Studenten einer ganz besonderen Beliebtheit erfreuten.30 Einen aufschlussreichen Querverweis darauf, dass Heine mit dem Naturwissen- schaftler bekannt war, verdanken wir einem Brief Adelbert von Chamissos vom 20. September 1830, der Heine in Begleitung Okens als Teilnehmer der jährlichen Tagung der oben erwähnten „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Hamburg trifft.31 Die Information über die gemeinsame Teilnahme an einer naturwissenschaft- lichen Tagung lässt vermuten, dass Heines Interesse an Oken, wenn auch in erster Linie politisch motiviert, mit einer zumindest flüchtigen Kenntnis seiner natur- wissenschaftlichen Konzepte einherging. Eine Bestätigung dafür liefert die von Heine 1834 in Paris verfasste Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. In dieser Veröffentlichung, in der er mit den Repräsentanten der spekula- tiven Wissenschaft der Romantik bitter abrechnet, erkennt Heine Oken als den genial- chen zu können. Er trat bei mir ein wie ein Flüchtling, eilig und schüchtern, nannte seinen Namen und sah mich forschend an, ob ich etwa durch ihn verlegen würde; da er den Boden fest und gut fand, so begann er mit dunkler Glut seine politischen Meinungen auszuströmen, und es folgten zwischen uns lebhafte Erörterungen. Rahel war dazugekommen, und ihre Aussprüche, wiewohl den seinigen oft ganz entgegengesetzt, gefielen ihm sehr. Über Stände- wesen und Volksvertretung hatte er die absonderlichsten Ansichten, er steigerte seine For- derungen aufs höchste, verwarf die badische wie die bevorstehende württembergische Ver- fassung, spottete unsrer Hoffnungen auf diese traurigen Behelfe. Der deutsche Radikale konnte nicht schärfer ausgeprägt sein; in dem Freiheitsfreunde zugleich die entschiedenste Gewaltslust, die Menschen müßten zur Freiheit gezwungen werden, behauptete er, die Wider- spenstigen wenigstens aus dem Lande gejagt, sonst könne nichts Gescheites zustande kom- men. Die Erfahrungen späterer Zeit würden seine Meinung mächtig bestärkt haben, die uns damals höchst übertrieben dünken mußte. Seine Leidenschaft hatte etwas Schmerzliches, Wehmütiges, das zu den strengen Worten nicht recht stimmte. Wir hörten später, daß er um seines Namens und seiner Religion willen unsägliche Leiden ausgestanden, daher beide gewechselt, den erstern aus Ockenfuß in Oken verwandelt habe und hierüber durchaus nicht Rede stehen wolle. Der seltsame Kauz, der im Grunde mehr zu bedauern als zu schelten war, verließ uns bald wieder, denn er wollte keine Nacht länger in Karlsruhe zubringen.“ Karl August Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, Bd. 2, 377 f. 30 1827 schreibt ein Student aus München an seine Eltern: „Oken ist ein kleines verständiges Männlein, das sehr klug spricht, er erklärt uns den Bau der ganzen Natur und sucht uns die ewigen Gesetze zu zeigen, nach denen alles in der Welt entstehen, bestehen und wieder vergehen muß. Wir haben ihn alle gern, und wie Schubert das Gemüt anregt, so beschäftigt er den Verstand auf das nützlichste und angenehmste.“ Zit. nach: Axel W.-O. Schmidt: Der rothe Doktor von Chicago - ein deutsch-amerikanisches Auswandererschicksal: Biogra- phie des Dr. Ernst Schmidt, 1830-1900, Arzt und Sozialrevolutionär, Berlin, New York u. a.: Peter Lang, 2003, 93. Die um Objektivität bemühte Darstellung Kilians Die Univer- sitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht 1828 bestätigt, dass Oken aufgrund seines empirisch fundierten und zugleich freien Vortrags unter Medizinstu- denten eine viel größere Popularität als sein Kontrahent Schubert erlangte: „Professor Oken liest philosophische Naturgeschichte, Entwickelungsgeschichte der Natur etc. mit ungethe- iltem Beifall.“ Kilian: Die Universitäten Deutschlands in medicinisch-naturwissenschaftli- cher Hinsicht 386. Dieselbe Quelle beurteilt die naturgeschichtlichen Vorlesungen Schu- berts als „ungründlich und mystisch“. Ebd., 387. 31 Hierzu: vgl. DHA 5; 817. 6.1 München: „Im Ernst, ich bin sehr krank ...” 219 sten Denker und einen der größten Bürger Deutschlands an (DHA 8/1; 116). Wenn die Würdigung in der aktuellen Fassung der Passage knapp ausfällt, so erlaubt die Einsicht in ihren zunächst geplanten Wortlaut das Maß von Heines Bewunderung für „den größten Naturforscher“ Oken wahrzunehmen. Die Passage sollte ursprünglich folgendermaßen lauten:

„Von den bedeutenden Schülern des Herren Schelling ist Herr Oken von jeher der bedeutendste gewesen. (...) ich glaube auch, daß sein Name hinlänglich bekannt ist unter den französischen Gelehrten. Seit Cüviers Tod ist er vielleicht der größte Naturforscher. Das ist ein Mann. Sein Geist ist stark und sein Herz ist rein. Weder süße Versuchungen noch bittere Verfolgungen konnten ihn jemals bewegen der Wahrheit untreu zu werden.“ (DHA 8/1; 470)

In seinem in militantem Ton geschriebenen Pariser Text würdigt Heine Oken wie kaum einen der deutschen Naturphilosophen sowohl als Forscher als auch als inte- gren Menschen. Heine ging auf den Kerngedanken Okens, der Mensch stehe an der Spitze der Natur- entwicklung und bilde das Reich der Natur im Kleinen ab, in einem seiner letzten Texte: Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst (1846) ein, indem er die Teufelsfigur folgendermaßen schimpfen ließ:

„(...) es gibt nichts entsetzlicheres und grauenhafteres als der Mensch, in ihm grunzt und brüllt und meckert und zischt die Natur aller andern Thiere, er ist so unflätig wie ein Schwein, so brutal wie ein Ochse, so lächerlich wie ein Affe, so zornig wie ein Löwe, so giftig wie eine Schlange, er ist ein ein Compositum der ganzen Animalität.“ (DHA 9; 109)

Heine hielt es für angebracht, auf die intellektuelle Nähe seiner Spottrede zu oken- schen Theorie hinzuweisen. Im Anschluss an die zitierte Passage sieht sich nämlich das literarische Subjekt des Textes zu dieser Bemerkung veranlasst:

„Die sonderbare Uebereinstimmung dieser alten Komödientirade mit einer der Hauptlehren der neuern Naturphilosophie, wie sie besonders Oken entwickelt, frappirte mich nicht wenig.“ (DHA 9; 109)

Die spielerische Zusammenstellung der Erkenntnis der zeitgenössischen Naturwissen- schaft über die Stellung des Menschen im Tierreich mit der tradierten komischen Schmähung erfolgt in Heines Text punktuell und folgt dem humoristischen Prinzip der Zusammenführung entlegener Bereiche. Sie bekommt keine gravierende Funktion im Gesamtgefüge des Tanzpoems Doktor Faust und lässt kaum den Schluss zu, Heine habe fundierte Kenntnisse der okenschen Theorie erworben. Sie belegt dennoch, dass Heine es für wichtig hielt, seine Vertrautheit mit den Thesen des Naturwissenschaftlers Oken unter Beweis zu stellen. Die Lektüre der Bäder von Lucca bietet Belege dafür, dass Heine sich (wahrschein- lich über die Vermittlung Okens) den von der romantischen Natuphilosophie und Me- dizin entfalteten Perspektiven zuwandte und sie in seinem Werk poetisch adaptierte. 220 6 Körper im Kurort

Bevor ich auf die einschlägigen Affinitäten der Bäder eingehe, möchte ich die Situierung der Handlung in Italien und überdies in dem vom Reglement der Heilkunde bestimmten Raum des Kurorts als Faktoren herausarbeiten, die den literarischen Umgang des Textes mit der Körperlichkeit prägen.

6.2 Körper in Italien

Das literarische Interesse Heines an Italien lässt sich bis in die frühen zwanziger Jahre des 19. Jh.s zurückverfolgen, in denen der Autor eine „venetianische Tragödie“ (DHA 6; 803) geplant hat. Das Dramenprojekt, das nie zustande kommt, bietet dem Autor eine Gelegenheit, sich mit Italien durch eingehende Lektüren bekannt zu machen, bei denen einschlägige Reisebeschreibungen im Vordergrund stehen. 1824 äußert Heine den Wunsch, dieses beliebte Ziel der europäischen Kultur- und Forschungsreisen aus eigener Anschauung kennen zu lernen.32 Als er ihn allerdings vier Jahre später erfüllt, entspricht seine Reise nicht den vorgeschriebenem Mustern der ihm aus zahlreichen Reisebeschreibungen bekannten herkömmlichen Kunst- und Bildungsreisen, sondern folgt einem körperbezogenen Bedürfnis, nämlich der Notwendigkeit eines Kurauf- enthalts. Vor der Folie der bereits zitierten Münchner Klagen Heines über seinen 1827/1828 deutlich verschlechterten Gesundheitszustand erscheint es verständlich, dass der Autor, der im Sommer 1828 in das nahegelegene Italien reist, zunächst nach Erholung in einem der dortigen Badeorte sucht.33 Die therapeutische Motivation wirkt sich entscheidend auf den Verlauf seiner Reise aus. Ihre Anfang August 1828 in München begonnene Route führt über den Brenner, Verona, Mailand und Genua, biegt von der traditionellen nach Rom bzw. auch weiter nach Neapel führenden Bildungsroute ab, um den kleinen, aber bei internationalen Kurgästen sehr beliebten Badeort Bagni di Lucca anzusteuern, in dem sich der Autor bis ca. 24. September aufhält.34 Die darauf folgende zweite Phase von Heines Italien- reise beginnt mit einem längeren Aufenthalt in Florenz, wo sich der Autor zwischen dem 1. Oktober und dem 24. November aufhält, um danach Bologna, Padua und Venedig zu besuchen und am 10. Dezember 1828 in München wieder anzukommen. Bezeichnenderweise wird nur der erste, an therapeutischen Prioritäten orientierte Teil seiner Tour von Heine literarisch verarbeitet. Der (mit Ausnahme von Rom und Neapel) an der traditionellen Bildungsreise orientierte zweite Teil findet weder eine unmittel- bare noch eine ausführliche literarische Umsetzung und schlägt sich lediglich in Form von verstreuten Reminiszenzen in den Pariser Texten des Autors nieder.35

32 Vgl. DHA 7/2; 803. 33 Die Verfasser der DHA betonen, dass der kränkelnde Heine im Grunde bereits von den ersten Tagen seines Aufenthaltes in München auf die Möglichkeit einer Flucht in den Süden anspielt. Vgl. DHA 7/2, 582. 34 Die Darstellung der Strecke vgl. ebd. 35 Zur späteren spärlichen Verwendung des italienischen Reisestoffes vor allem in der Lyrik der Pariser Zeit und in Elementargeistern vgl. DHA 7/2; 586 f. 6.2 Körper in Italien 221

Heine, der sich aufgrund der fehlenden Publikumresonanz auf seine ersten Tragödien Almansor und Ratcliff Mitte der zwanziger Jahre von der Gattung „Drama“ abgewandt hat, sucht mit der Niederschrift der Italienreise zur Fortsetzung seiner Reiseprosa beizutragen. Dieses Vorhaben setzt den Schriftsteller, der seinen frühen Ruhm nicht, wie man es aufgrund der späteren Rezeptionsgeschichte anzunehmen pflegt, der Lyriksammlung Buch der Lieder, sondern der Harzreise und den Ideen. Das Buch Le Grand, also seiner frühen Reiseepik verdankt, einer besonderen Heraus- forderung aus. Mit der Veröffentlichung der neuen Bände der Reisebilder hat Heine nämlich auf die gesteigerten Erwartungen der Leser an die ästhetische und intellektuelle Qualität seiner Texte zu antworten. Sie sind umso höher, als sich der Autor mit seinem Italienbericht in einem zeitgenössisch besonders dicht bestellten Feld der Reiseepik situiert, wobei er sich zugleich auch gegen eine gewichtige Tradition behaupten muss.36 Sein produktionsästhetisches Dilemma definiert Heine zu Anfang seines Italien- berichts als ein allgemein gültiges, eines, dem er sich analog zu anderen dichtenden Italien-Reisenden des zweiten Jahrzehnts des 19. Jh.s zu stellen hat. In diesem Sinne verweist er sich auf seine Vertrautheit mit zahlreichen Intertexten, die die Wahrneh- mung Italiens in Deutschland geprägt und – wie es damals scheint – die Darbietungs- weisen des Sujets nahezu ausgeschöpft haben. In seiner umfangreichen Auflistung von Italienbeschreibungen fehlen weder die älteren wie Karl Philipp Moritz’ (1756- -1793) Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 (1792-1793) oder Johann Gottfried Seumes (1763-1810) Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802, noch die neuesten Veröffentlichungen wie die kürzlich erschienene und von Heine näher ins Visier genommene Italienische Reise Goethes. (Vgl. DHA 7/1; 62)37 Mit dem Rückblick auf die Überfülle an einschlägigen Italien-Darstellungen, die das Publi- kum mit einer Faktenflut überströmen, rechtfertigt er indirekt die von ihm gewählte Strategie, nämlich die Abwendung vom wirklichkeitsbezogenen zugunsten des stark fiktionalisierenden Berichts, bei dem die Subjektivität des Ich-Erzählers im Vorder- grund steht. Das Desinteresse, das Heine gegenüber jenen lokalen, nationalen bzw. kunsthisto- rischen Gegebenheiten des Landes zeigt, die die konventionellen Reisebeschreibungen

36 Vgl. Frank-Rutger Hausmann, Michael Joche, Harro Stammerjohann: Italien in Germa- nien. Deutsche Italien-Rezeption von 1750-1850, Symposium der Stiftung Weimarer Klas- sik Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Schiller-Museum 24.-26. März 1994, 1-17. Eine brauchbare Zusammenstellung der in den ersten Jahrzehnten in Deutschland geläufigen Italien-Topoi lieferte zuletzt Christina Ujma. Vgl. Christina Ujma: Fanny Lewalds urbanes Arkadien. Studien zu Stadt, Kunst und Politik in ihren italienischen Reiseberichten aus Vormärz, Nachmärz und Gründerzeit, Bielefeld: Aisthesis, 2007, 18 ff. 37 Auf eine für Heines Zeitgenossen charakteristische Art und Weise wird dieses Dilemma explizit von dem österreichischen Schriftsteller Joseph Hammer-Purgstall formuliert, der im Zusammenhang seiner zwei Jahre vor Heine, d. i. im Jahre 1826 angetretenen Italienreise das einschlägige inflationäre Moment folgendermaßen erfasst: „Nach allem, was ich über Italien gelesen, war mir der Versuch einer Reisebeschreibung ganz überflüssig erschienen.“ Vgl. Joseph von Hammer-Purgstall: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774-1852, bearbeitet von Reinhart Bachofen von Echt, Wien und Leipzig: Hölder-Pichler-Tempsky, 1940, 276. 222 6 Körper im Kurort zu seitenlangen Ausführungen motiviert haben, gilt in der Forschung als geradezu spektakulär.38 Laut dem italienischen Germanisten Alberto Destro, der die Rolle der realen italienischen Reise für Heines italienischen Reisebericht zu erfassen suchte, dient das bereiste Land dem deutschen Autor lediglich als Lieferant von attraktiven Kulissen und Requisiten, an denen er seine poetischen Konzepte anschaulich demon- strieren kann.39 Der deutsche Forscher Alfred Opitz, dem die Aufgabe zugefallen ist, im Rahmen der Düsseldorfer Heine-Ausgabe die italienischen Reisebilder herausge- berisch zu betreuen, teilt vollständig den Standpunkt Destros, wobei er die von Heine vorgenommene Perspektivierung Italiens primär als Aktualisierung des utopischen Arkadien-Topos, der sich in der deutschen Literatur über Italien seit Herder nachweisen lässt, interpretiert.40 Dabei merkt Opitz an, dass sich die Idealisierungstrategien, mit denen Heine Italien zum Land der „Musik, Misere, Marmorgötter und Madonnen“ (DHA 1/1; 529), d. h. einem Land der befreiten Sinnlichkeit, klassischen Kultur und katholischen Religion stilisiert, in seinen Texten bereits vor der 1828 angetretenen Reise belegen lassen, und dass sie in den späten 1820er Jahren lediglich eine produk- tive Ausgestaltung erfahren.41 Zeigen sich die Forscher auch darin einig, dass Heines italienischer Reisebericht weitgehend vorgegebenen Wahrnehmungsschemata folgt, so erscheint es im Zusam- menhang der vorliegenden Arbeit wichtig, zwei jener tradierten Orientierungsmuster zu benennen, die dem Autor mit Blick auf die, was körperliche Belange angeht, repres- sive Restaurationszeit die Möglichkeit bieten, die Frage des Körpers in seinem Werk literarisch zu reflektieren. Sinnfälligerweise handelt es sich in beiden Fällen um Vor- stellungskomplexe, die der Dialektik zwischen der deutschen nördlichen Heimat und dem italienischen Süden verpflichtet sind. Der erste von ihnen betrifft die von den Reiseberichten der Aufklärung präfor- mierte und von Autoren der Romantik um 1800 aufgenommene und fruchtbar weiter- entwickelte Vorstellung vom „gelobten Land der Kunst“, das Italien als Land klassi- scher Stätten, antiker Statuen und berühmter Renaissance-Kunstschätze erscheinen lässt. Dem zweiten verdankt sich das Bild eines Landes mit blühender Natur und des dieser Natur nahen, sinnlichen Lebens seiner Bewohner. Jedes dieser Konzepte stellt auf eigene Art und Weise die Problematik der Körperlichkeit heraus. Dem ersteren verdankt sich das Image eines Landes, dessen Bewohner, wie die fremden Reisenden, durch die Betrachtung von antiken Skulpturen und Kunstwerken des Cinquecento mit den Abbildungen der ideal proportionierten Leiber konfrontiert werden. Dem

38 Vgl. Alberto Destro: Reiste Heine wirklich nach Italien?. In: Kruse, Reuter, Hollender (Hg.): „Ich Narr des Glücks“, 223-229, hier: 227. Zum „Kulissencharakter von Italien“ in Heines Schriften vgl. auch Gerhart Hoffmeister: Heine in der Romania. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 2002, 78. 39 Destro: Reiste Heine wirklich nach Italien?, 228. 40 Alfred Opitz, „Alle meine Hoffnungen sind auf den Süden gerichtet“. Heinrich Heine und der Mythos der Reise. In: Kruse, Reuter, Hollender (Hg.): „Ich Narr des Glücks“, 201-208, hier: 201. 41 Ebd. 6.2 Körper in Italien 223 zweiten verdanken sich Projektionen ungezwungener Naturbezogenheit auf Italiener, die Körperlichkeit weder verdrängen noch anderswie negieren. Diese Haltung er- scheint in den Augen der deutschen Reisenden zusätzlich durch den religiösen Faktor, nämlich die Dominanz des katholischen Glaubens in Italien, begünstigt, der immer wieder als sinnenfrohe Religion dargestellt wird. Beide Konzepte werden in der einschlägigen Reiseprosa häufig als Korrektiv für die Körperfeindlichkeit des restriktiven deutschen Alltags bzw. der streng normierten protestantischen Sozialisation herangezogen.42 Dies wird nicht zuletzt dadurch moti- viert, dass die naturnahe Lebensart der Italiener als Übernahme aus dem noblen Erbe der Antike kategorisiert wird, was es einem Europäer des 19. Jh.s unmöglich macht, diese Lebensart als roh und unzivilisiert abzutun. Die Rückbindung der italienischen Lebensweise an die Antike bewirkt, dass die Italiener trotz ihrer Misere (oder gar gelegentlich fehlender hygienischer Standards) als eine Kulturnation betrachtet werden, wobei ihre Lebensart als eine anthropologische Alternative zu der im Norden Europas vorherrschenden aufgefasst wird.43 Mit Blick auf diese um 1800 geläufigen Vorstellungskomplexe kann die Frage, auf welche Weise die Situierung der Handlung in Italien die Körperreflexion der Texte Heines prägt, folgendermaßen beantwortet werden: In der im Hinblick auf die sittliche Zensur restriktiven Restaurationszeit, in der Heines Texte entstehen, geht mit der literarischen Vergegenwärtigung der mediterranen Landschaft eine besondere Lizenz einher, nämlich die, dass im Zusammenhang mit ethnographischen Betrachtungen über die Unmittelbarkeit und Spontaneität ihrer sinnenfrohen Bewohner die Fragestellungen der Körperlichkeit affirmativ in den Vorder- grund der Texte gestellt werden dürfen. Eine Erweiterung dieser Lizenz erreicht Heine in den Bädern durch die Lokalisie- rung der Handlung in dem Badeort Bagni di Lucca, d. h. im durch das medizinische Reglement bestimmten Raum des Kurorts. Er entwirft damit einen Handlungsraum, von dem der heutige Leser eine verstärkte Aufmerksamkeit für den kranken Körper und vielfältige Bezüge auf den heilkundlichen Diskurs erwarten würde. Der Erwartungs- horizont des 21. Jh.s darf jedoch nicht ohne weiteres an einen Text des frühen 19. Jh.s herangetragen werden. Bei der Reflexion über die Körperproblematik in den Bädern von Lucca muss in Betracht gezogen werden, dass damit eine der frühesten literari- schen Antworten auf die um 1800 erfolgte Hochkonjunktur der Bade- bzw. Brunnen- kuren vorliegt, welche die Literarisierung des Phänomens „Kurort“ erst erprobt.

42 Das bekannteste literarische Beispiel eines deutschen Italienreisenden, der beide Konzepte verbindet, liefert die Italienische Reise Goethes, welche die Italiener zu einer Nation stilisiert, der dank jener im Alltag erlebten ästhetischen Schulung an den antiken Mustern einer- und der durch das milde Klima begünstigten Naturnähe andererseits ein unschuldiges, zugleich naturnahes und klassisches Körperempfinden eigen sei. Vgl. Italo Michele Battafarano: Körpersprachen in Goethes Italienischer Reise. Zur Relevanz der Sinnlichkeit in Kommuni- kation und Ästhetik. In: Ernst Rohmer, Werner Wilhelm Schnabel, Gunther Witting: Texte – Bilder – Kontexte. Interdisziplinäre Beiträge zur Literatur, Kunst und Ästhetik der Neuzeit, Heildelberg: Universitätsverlag, 2000, 103-118, hier: 105. 43 Ebd. 224 6 Körper im Kurort

In den fiktionalen Texten der ersten Hälfte des 19. Jh.s, die dieses Phänomen allmählich erkunden, dient es kaum zur poetischen Reflexion über die Körperlichkeit bzw. zur Popularisierung des heilkundlichen Wissens. Die Aufmerksamkeit der Lite- ratur gilt zunächst dem Naturambiente und der Infrastruktur jener Kurorte, die als Kulissen funktionalisiert werden und den Badegästen gediegene Anlässe zum sozialen Austausch bieten.44 Dem Erwartungshorizont einer Epoche entsprechend, die die nervöse Erschöpfung und Erholungsbedürftigkeit des sensiblen Individuums kultiviert, modellieren die fiktionalen Texte das Phänomen „Kurort“ als ein Refugium, in dem sich der kränkelnde beau monde momentaner Entlastung von den rigiden Normen des Alltags erfreuen kann. Die Anziehungskraft dieser Kleinwelten für die Literatur liegt in ihren besonderen Qualitäten als soziale Räume begründet. Um diese besonderen Qualitäten knapp erfassen zu können, erscheint es nützlich, den Kurort als eine „Heterotopie“ im Sinne Michel Foucaults zu beschreiben, die ein besonderes Anschauungsmaterial für die Literatur bietet. Den Terminus „Heterotopie“, der in der pathologischen Anatomie eine anomale Lage von Zellen bezeichnet, schlug der französische Philosoph vor, um mit ihm die Menschengruppen in heterogenen „Kleinwelten“, u. a. psychiatrischen Kliniken, Kasernen, Internaten, Kolonien, Altersheimen oder aber Sanatorien, Erholungsheimen und Feriendörfern zu bezeichnen. Das wichtigste Merkmal dieser Enklaven besteht laut dem Philosophen darin, dass sie in sozialer Hinsicht „andere Räume“ darstellen, in denen diverse von der sozialen Norm abweichende Verhaltensweisen lokalisiert und ritualisiert werden. Dies bewirkt, dass innerhalb der Räume die herkömmlichen so- zialen Strukturen durcheinandergebracht und bis zu einem gewissen Grade neu konfi- guriert werden. Als weitere signifikante Kennzeichen der „anderen Räume“ erkennt Foucault neben dem spezifischen Bezug zur Ordnung der gesamten Gesellschaft ihre ungewöhnliche Art der Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Orten, die spezifi- sche Zeitgebundenheit und den eigenwilligen Umgang mit dem Körper. Die Heterotopien weisen eine paradoxe Art der Abgrenzung gegenüber anderen sozialen Räumen auf. Sie setzen nämlich „ein System von Öffnungen und Schließungen voraus, das sie gleichzeitig isoliert und durchdringlich macht. Im allgemeinen ist ein heterotopischer Platz nicht ohne weiteres zugänglich. [...] Man kann nur mit einer gewissen Erlaubnis und mit der Vollziehung gewisser Gesten eintreten“45. Die Heterotopien stellen also zugleich abgegrenzte und begehbare Orte dar. Über die Möglichkeit des Verbleibs auf ihrem Territorium entscheiden die nach den Gepflogen- heiten der jeweiligen Gesellschaft vollzogenen Grenzziehungen, z. B. zwischen gesund /

44 Vgl. z. B. die Kurortpassagen in Karl Gutzkow: Wally die Zweiflerin. Faksimiledruck nach der 1. Auflage von 1835 mit der Vorrede und dem Anhang zur 2. Auflage von 1852, hrsg. v. Günter Heintz, Stuttgart: Reclam, 1979, 21-31. 45 Michel Foucault: Die Heterotopien / Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Zweispra- chige Ausgabe. Übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2005, 44. 6.2 Körper in Italien 225 krank, richtig / falsch und jung / alt. Die „anderen Räume“ werden von der Norm abweichenden Individuen zugewiesen, die aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (z. B. „krank“) zusammengeführt werden. Demgemäß werden im Bereich der außer- halb von herkömmlichen Anforderungen des Alltags situierten Heterotopie Figuren platziert, die sonst kaum aufeinandertreffen würden. Ihr Verbleib in der Heterotopie weist einen besonderen Zeitbezug auf. Zum einen ist der Aufenthalt im jeweiligen „anderen Raum“ häufig zeitlich begrenzt, d. h. an eine Zeitspanne gebunden, die Foucault symmetrischerweise als „Heterochronie“ bezeichnet. Zum anderen scheinen Heterotopien, die sich gegen die Welt abschotten, einer internen Zeitrechnung zu folgen. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es wichtig, auf die von Foucault behauptete signifikante Rolle des Körpers in der Heterotopie hinzuweisen. Laut dem französischen Theoretiker kommt dem Körper in den meisten der „anderen Räume“ die Rolle des Hauptakteurs zu, der im Gefolge der jeweils dominierenden Wissens- bzw. Machtdiskurse diszipliniert werden soll. Die Konzentration auf die körperliche Materialität resultiert in der Etablierung einer eigenartigen heterotopi- schen Ordnung, die zwar auf den üblichen juristischen, ökonomischen und religiösen Maßgaben der Gesellschaft basiert, diese zugleich aber auch durch die jeweiligen dominanten internen Prinzipien ergänzt und damit modifiziert. Damit steht die Ord- nung der „anderen Räume“ in einem besonderen Verhältnis zur Ordnung der Gesamt- gesellschaft, die im Bereich einer Heterotopie sowohl repräsentiert, als auch – auf- grund des Verhältnisses der jeweiligen internen Prinzipien zu herkömmlichen sozialen Übereinkünften – in Frage gestellt wird. Diese Eigenschaft erscheint entscheidend für das Attraktivitätspotential der Heterotopien für Literatur: Mit ihren eigentümlich konfigurierten Figurenensembles und Ordnungen bieten die „anderen Räume“ auf- schlussreiches Anschauungsmaterial, an dem soziale Phänomene und Dynamiken in einprägsamer Verdichtung demonstriert werden können. Und eben dieses letztere Merkmal determiniert weitgehend den Umgang der fiktionalen Texte des 19. Jh.s mit dem Phänomen Kurort. Bis zur Mitte des 19. Jh.s kommen die fiktionalen Beschreibungen des Badelebens ohne eingehende Thematisierung körperlicher Gebrechen der Kurpatienten und (mit seltenen Ausnahmen) ohne umfassendere Narrativierungen medizinischer Konzepte aus.46 Da die Kuraufenthalte dem Erwartungshorizont des zeitgenössischen Publi-

46 Vgl. Richard Brinkmann: Der angehaltene Moment. Requisiten – Genre – Tableau bei Fon- tane. In: Brinkmann: Wirklichkeiten. Essays zur Literatur, Tübingen: Niemeyer, 1982, 221- -287, hier: 256. Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht der 1809 veröffentlichte Roman Jean Pauls Doktor Katzenbergers Badereise. Der Handlungsort des Romans, der Kurort Bad Maulbronn, wird von Jean Paul zur Kulisse der naturwissenschaftlich grundierten Wortgefechte funktionalisiert, die zwischen der titelgebenden Figur des Mediziners Dr. Katzenberger und dem Dichter Nieß ausgefochten werden. In den Kontroversen dieser Figu- ren werden entlang den zeitgenössisch brisanten medizinethischen Problemen aktuelle poeto- logische Fragestellungen, vor allem die Notwendigkeit einer organologisch fundierten Er- kenntnis und Ästhetik, erörtert. Vgl. Andreas Böhn: Leib, Leiche und Maschine: Wie ge- langt man ins Land der Poesie? In: Verleiblichungen. Literatur- und kulturgeschichtliche 226 6 Körper im Kurort kums gemäß primär als Motor der Etablierung bzw. Aufrechterhaltung sozialer Kon- takte thematisiert werden, gerät ihre Bedeutung als Mittel zur Stärkung der angegrif- fenen Gesundheit meist außer Acht.47 Von besonderer Bedeutung für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit scheint die Tatsache, dass in der ersten Hälfte des 19. Jh.s die Literarisierung von Kurorten, in denen wie in allen anderen Heterotopien das übliche soziale Reglement bis zu einem gewissen Grade gelockert wird, spezifische Lizenzen in Bezug auf die Problematisierung der Körperlichkeit mit sich bringt. Im Zusammenhang mit der Thematisierung der Badeaufenthalte darf z. B. bei der Problematisierung ärztlicher Befunde der in dieser Zeit aus der öffentlichen Rede weitgehend ausgeschlossene Körper zur Sprache kommen. Paradoxerweise ist es allerdings nicht der kranke Körper, über den gesprochen wird. In den einschlägigen fiktionalen Texten erscheinen Hinweise auf den kranken Körper wie auf seine im Rahmen der Balneotherapie erfolgende Disziplinierung marginal, stattdessen konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Autoren auf den eroti- schen Körper. Die im balneotherapeutischen Setting realiter gegebene Naturnähe legitimiert enthüllende Inszenierungen, mit denen (stets im Rahmen der epochen- gemäßen Konventionen) die voyeuristischen Phantasien der Leser bedient werden können. Die genannten Merkmale lassen sich exemplarisch an der Novellensammlung Reise durch das Biedermeier (1846) Heinrich Laubes (1806-1884) belegen, in welcher der autor-affine Ich-Erzähler u. a. die Kurorte Baden, Swinemünde, Marienbad und Karls- bad aufsucht. Die den jeweiligen Aufenthalten gewidmeten Novellen lassen kaum ein Interesse an der Kurmedizin mit dem dazugehörigen Fundus an Körperwissen und Fachterminologie erkennen. Heines langjähriger Korrespondenzpartner (und trotz des zeitweiligen Zerwürfnisses auch Freund) Laube, der ins Zentrum seiner Kunst- programmatik und -praxis ebenso wie Heine die Feier des Leibes rückt, nutzt die Thematisierung der Kur zur Exponierung der Körperlichkeit seiner Figuren und zur Erotisierung der Novellenhandlungen. Dementsprechend bietet sich Laube der Kurort als ein Raum dar, in dem innerhalb der Grenzen des gesellschaftlichen Konsens die Scham- und Peinlichkeitsschwellen augenfällig niedriger gesetzt werden. Laube weist zwar knapp auf die balneologische Infrastruktur eines Seebades hin,48 mehr Platz

Studien über Strategien, Formen und Funktionen der Verleiblichung in Texten von der Frühzeit bis zum Cyberspace, hrsg. v. Burkhardt Krause u. Ulrich Scheck, St. Ingbert: Röhrig, 1996, 83-109, hier: 101. 47 Vgl. Richard Brinkmann: Der angehaltene Moment, 259 f. 48 Vgl. Heinrich Laube: Die Reise durch das Biedermeier (Kapitel Swinemünde): „Die vor mir liegenden Hütten sind nur das, was man ein Seebad nennt: auf hölzernen Stegen findet sich ein Quantum Kammern zum Auskleiden, und offene Stege führen etwas weiter in’s Meer hinein; in weiße Tempelherrnmäntel gehüllt wandeln die Entkleideten da umher, bis ihnen der Moment kommt, hineinzuspringen. Kränkere, oder die sich sonst eher separiren wollen, finden zwei große Badekutschen, das heißt mit Leinwand überzogene, auf 4 Rädern stehen- de Kasten; diese sind schon so weit hineingeschoben in See, daß man von ihnen aus gleich in eine genügende Tiefe des Wassers steigen kann. Wer bei mangelndem Wellenschlage das 6.2 Körper in Italien 227 räumt er allerdings den Lizenzen des Kurortlebens ein. So bemerkt er z. B. dankbar, dass die gelockerten Normen des Badelebens den Damen nach dem Bade das Tragen des offenen Haars in der Öffentlichkeit erlauben,49 er registriert die erotischen Heraus- forderungen, die mit den (im 19. Jh. nicht üblichen) unangekündigten Besuchen ein- hergehen50, und weist auf die Verführungskraft vertrauter Zwiegespräche hin, die sich unter den einander bis dato fremden Kurgästen entfalten. Die Novellen Laubes erscheinen im vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der sich die Literatur allmählich der profanen Alltagswirklichkeit zuwendet. Heines Bäder von Lucca entstehen allerdings Ende der 1820er Jahre, als die Literaturpraxis noch im Banne idealistischer Kunstheorien steht, denen gemäß ein literarischer Text eine eigene Wirklichkeit erschaffen soll. Das Eingehen auf die Literarisierung des Kurorts bei Heine und auf die damit einhergehenden Modi der Körpedarstellung erlaubt es, Heines ästhetische Position herauszuarbeiten. Die Kennzeichnung des Handlungsraums der Bäder von Lucca als einer außer- halb der herkömmlichen sozialen Normierungen gelegenen Heterotopie wird in der Exposition des Textes vorgenommen. Der außerordentliche Status des Raums wird im initialen Dialog festgehalten, der die Ankunft des Ich-Erzählers in Bagni di Lucca markiert. Die Teilnehmer des Gesprächs sind der Ich-Erzähler und Protagonist, der vom Autor als „Johann Heinrich Heine, Doktor Juris“ und ein „Schriftsteller des Campe Verlags“ (DHA 7/1; 96) autobiographisch markiert wird, und seine exzentri- sche englische Freundin, Mylady Mathilde. Die Begrüßungsworte, die die Britin an den Angekommenen richtet, benennen zuerst das Merkmal „Normabweichung“, dem in jeder Heterotopie zentrale Bedeutung zukommt. Myladys Begrüßung lautet nämlich: „Wie geht’s, Wahnsinnigster der Sterblichen! Wie glücklich bin ich Sie wiederzu- sehen! Denn ich werde nirgends auf dieser weiten Welt einen verrückteren Men- schen finden. (...) Ich schrieb ihnen einen langen Brief (...) und so machte er die

Wasser stürmischer auf den Leib oder auf bestimmte Theile des Leibes haben will, den verse- hen Badediener mit genügenden Kübelstreichen, das heißt sie versetzen ihm aus ledernen Kübeln, die etwa wie Feuereimer aussehn, so geschickte Wasserstreiche, als man nur ver- langen kann. In der See selbst ist Hauptsache, die heranbrausenden Wellen da aufzufangen, wo sie sich am stärksten brechen. – Das ist alle Verrichtung und Wissenschaft eines Seeba- des.“ Heinrich Laube: Die Reise durch das Biedermeier, Hamburg: Hoffmann und Campe, 1965, 134. 49 Dem Bild einer mit offenem Haar am Meer sitzenden schönen jungen Frau fügt Heinrich Laube in einer seiner Novellen den folgenden Kommentar hinzu: „Das aufgelös’te Haar hätte mich nicht verwundern sollen, alle Damen tragen es nach dem Seebade so, und man sieht sie links und rechts in dieser Manier, als ob Scipio vor Carthago läge, und die Frauen- haare zu Bogensehnen dargebracht würden, wie dort geschehen sein soll.“ Ebd., 138. 50 „Im Zimmer sahen wir vor einem hohen Spiegel ein Mädchen stehen, das nur mit einem blendendweißen Unterröckchen bekleidet war und sich mit vollen frischen Armen die schwar- zen Flechten des Haares band. Ihr Kopf war nach vorne hin niedergebeugt, ein voller Nacken und feste Schultern stachen uns lachend und keck in die Augen. Jetzt wendete sie sich nach einem Seitentisch, um etwas an sich zu nehmen, wir sahen das Profil, es war unser bayri- sches Mädchen. Ein krampfhafter Druck der Hand bedeutete mir zurückzubleiben. Ich ließ mich auf einen Stuhl nieder.“ Ebd., 149. 228 6 Körper im Kurort

Runde durch alle Tollhäuser Englands, Schottlands und Irlands, bis man ihn mir zurückschickte mit der Bemerkung, dass der Gentelman, den die Adresse bezeich- ne, noch nicht eingefangen sey.“ (DHA 7/1; 85) Heines Rekurs auf die Wahnsinnsproblematik entspricht der zeitgenössischen Hochkon- junktur des Phänomens, das die psychiatrischen Arbeiten als Ergebnis der Verfeine- rung der Kultur reflektieren.51 Im Unterschied zu romantischen Texten, die im Zusam- menhang mit dem um 1800 eingetretenen Aufschwung des psychiatrischen Diskurses dessen Leitbegriffe und Konzepte integrieren, schreibt Heine am medizinischen Dis- kurs vorbei. Dies wird in der nächsten Metapher der Mylady deutlich, die den vermein- tlich Verrückten Doktor juris Heine als „Narren“ bezeichnet, womit sie eine tradierte Bezeichnung des Wahnsinnigen aufnimmt, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s aufgrund der Differenzierung der psychiatrischen Terminologie an Bedeutung zu verlieren beginnt. Mit dem Rückgriff auf den polysemantischen Narrenbegriff schafft Heine einen intertextuellen Bezug zu seinen früheren Texten, wo er mit eben diesem Terminus seine Schriftstellerrolle als komischer Verkünder der Wahrheit wiederholt reflektierte und seine Außenseiterposition festschrieb. Im Kontext analoger Stellen des heineschen Œuevres behauptet die zitierte Passage der Bäder dennoch eine Son- derstellung, und zwar dadurch, dass sie es nicht beim ironischen „Selbstbildnis des Künstlers als Narren“52 belässt, sondern das Selbstporträt mit einer passenden (topo- graphischen) Rahmung versieht. Die Britin behauptet nämlich, der Dr. jur. Heine sei in Bagni die Lucca an einem Ort angelangt, an dem seine Narrheit gar nicht auffallen werde und beteuert: „O Freund, hier sind Sie ganz sicher; denn erstens ist gar kein Tollhaus in der Nähe, und zweitens haben wir hier die Oberhand.“ (DHA 7/1; 85) Auf die Vergewisserungsfrage des Erzählers: „Wir? Mylady! Sie zählen sich also zu den unseren?“ (DHA 7/1; 85) antwortet die exzentrische Gesprächspartnerin: „Ach! ich meine wir Badegäste, worunter ich wahrlich noch die Vernünftigste bin (...).“ (DHA 7/ 1; 85) Die bei der Begrüßungsszene vorgenommenen Markierungen klären den Leser darüber auf, dass sich der Protagonist nun in einem „anderen Raum“, oder – direkt mit Mylady gesprochen – in einem „Narrenreich“ (DHA 7/1; 87), und das soll heißen, unter nahen Geistesverwandten auf sicherem Boden, befindet. Den heterotopischen Status der Enklave bestätigt die Britin zusätzlich durch den ausdrücklichen Hinweis

51 Als repräsentativ für andere Schriften sei an dieser Stelle die Diagnose eines der führenden Psychiater der Epoche, Johann Christian Reil, angeführt, der traurig feststellt: „Wir rücken Schritt für Schritt dem Tollhause näher, so wie wir auf dem Wege unserer sinnlichen und intellektuellen Cultur fortschreiten.“ Johann Christian Reil: Rhapsodiien über die Anwen- dung der psychischen Kurmethode auf Geisterzerrüttungen, 12. Hierzu vgl. auch S.49 der vorliegenden Arbeit. 52 Überdies bezieht Heine (z. B. in Ideen. Das Buch Le Grand) den Narrenbegriff auf die deutschen Bürger, die er zu Objekten seiner Satire macht, womit er an die frühneuzeitliche Tradition der Narrenliteratur anschließt. Vor der Folie des zitierten zeitgenössisch gültigen semantischen Potentials des Begriffs wird deutlich, dass Heines Texte das gesamte Bedeu- tungsspektrum des Ausdrucks einsetzen, um mit den sich überlappenden semantischen Nuancen zu spielen. 6.3 Bagni di Lucca 229 auf die merkwürdig funktionierenden Grenzen des Gebiets, die paradoxerweise so- wohl dicht als auch durchlässig erscheinen. Gemäß den Worten der Britin wird der Einlass in den bergenden Raum nämlich ausschließlich den „Narren“, nicht jedoch ihren nicht näher bestimmten potentiellen Verfolgern gewährt. Der eigenartige Status des seltsamen Handlungsraums wird durch das Eintreffen weiteren Textpersonals bestätigt, dessen Angehörige sich in Erscheinung und Verhal- tensweisen in einem noch beträchtlicheren Ausmaß als Mylady und der Erzähler den herkömmlichen sozialen Normierungen entziehen. Dem Begriff der Heterotopie, die in ihrer medizinischen Ursprungsbedeutung eine Ansammlung von Körperzellen an einer (anatomisch) unüblichen Stelle bezeichnet, entspricht der von Heine literarisch entworfene soziale Raum dadurch, dass er ein internationales Textpersonal an einem jenseits der üblichen Reiserouten befindlichen Ort versammelt. Der italienische Schau- platz konfrontiert den deutschen Dr. jur. Heine nicht nur mit der bereits erwähnten Britin, sondern auch mit einem kleinen italienischen (allerdings ortsfremden) Kreis, bestehend aus einer ehemaligen Schauspielerin in ihren Fünfzigern, Signora Laetizia, ihren zwei ebenfalls älternden Galans und der achtzehnjährigen Tänzerin Franscheska. Diesem Personal gesellt der Text zwei Hamburger mit jüdisch-deutscher Identität hinzu: den behäbigen Bankier Gumpel, der sich im Zuge seiner Selbstnobilitierung in Bagni di Lucca als Marchese Christophoro di Gumpelino anreden lässt und seinen schmächtigen Kammerdiener, den Hamburger Lotteriekollekteur und Hühneraugen- operateur Hirsch. Das an Cervantes Don Quichotte und Sancho Pansa orientierte, jedoch umgekehrt parametrisierte komische Duo, ein Herr und ein Knecht, von Heine als seine originellsten Figuren bezeichnet, verwendete der Autor für die Problemati- sierung fast aller in den Bädern behandelten Themen. Ihr Spektrum gestaltet sich in diesem Text genauso vielfältig wie in allen Reisebil- dern. Als wichtigste inhaltliche Nenner des Textes gelten in der Forschung „Bildungs- satire“, „Satire auf den Adel und Geldbourgeoisie“ „Auseinandersetzung mit dem Christentum“, „Identitätssuche assimilierter Juden“, „Feier des erotischen Augen- blicks“ und die sog. „Platen-Polemik“. Da im Zusammenhang der Körperproblematik vor allem die beiden letzten Themen bedeutsam erscheinen, sollen im Folgenden nur diese eingehender betrachtet werden.

6.3 Bagni di Lucca

Die Lokalisierung der Handlung im Raum des Kurorts, dessen Entstehung und Fortbe- stehen sich medizinischen Begründungen verdankt, war für Heine keineswegs gleich- bedeutend mit der Überantwortung der Körperthematik der Bäder an die Autorität der Heilkunde. Der Text enthält weder Reflexionen über Balneologie als Therapie- form, noch geht er auf die medizinischen Einrichtungen des realen Bagni di Lucca ein. Mit einer einzigen Ausnahme (die im Folgenden, vgl. S. 234) betrachtet werden soll) versucht der Autor, seine literarischen Aussagen über das Kurortleben grundsätzlich ohne Rückgriffe auf den Wissensfundus und die Lexik der zeitgenössischen Medizin zu formulieren. 230 6 Körper im Kurort

Es erscheint aufschlussreich, der von Heine vorgenommenen literarischen Per- pektivierung des Badeortes den in meiner Arbeit bereits zitierten zeitgenössischen Reisebericht des Schweizer Mediziners Conrad Meyer-Hofmeister53 und überdies die Angaben des Encyclopädischen Wörterbuchs der medicinischen Wissenschaften (1839)54 und der Physikalisch-medicinischen Darstellung der bekannten Heilquellen der vorzüglichsten Länder Europa’s (1843)55 gegenüberzustellen und damit das Spek- trum der durch die bisherige Heine-Forschung als Folie der Bäder herangezogenen Quellentexte zu erweitern. Der mit Heine fast gleichaltrige Schweizer Arzt Meyer-Hofmeister, der zwecks Vervollständigung seiner professioneller Ausbildung Ende der 1820er Jahre fast ganz Westeuropa bereiste, hielt sich vom 2. zum 3. Juni 1830, d. h. etwa zwei Jahre nach Heine, in der Stadt Lucca auf, von wo er einen Abstecher nach Bagni di Lucca unter- nahm. Sein kurzer Ausflug wurde vom fachlichen Interesse am modischen und zugleich traditionsreichen Kurort motiviert, dessen balneologische Geschichte ins 14. Jh. zurück- reichte. Die Besonderheit des Kurorts erkannte er u. a. in dem relativ breiten medizini- schen Anwendungsspektrum des lokalen erdig-salzigen, eisenhaltigen Thermalwassers. Seinem Bericht ist zu entnehmen, dass es äußerlich gegen Erkrankungen der Atem- wege, chronische rheumatische Beschwerden, Gicht, Nerven- und Hautkrankheiten und Unfruchtbarkeit bei beiden Geschlechtern angewendet wurde.56 Die Liste der Indikationen umfasste überdies „Schwäche der Digestionsorgane und Obstruktionen“,57 sowie „Blasenhämorrhoiden und andere abnorme Hämorrhoidalbeschwerden“,58 wobei das Luccheser Wasser als Getränk mit abführender Wirkung verabreicht wurde. Die entsprechende Anleitung lautete: „Von 3 bis 4 Gläsern täglich, an der Quelle selbst. Zur Verstärkung der abführenden Wirkung bedien[e] man sich auch eines aus dem Thermalwasser gewonnenen Salzes.“59 Um „die Leibesöffnung zu befördern“60, wur- den die Kurgäste in Bagni die Lucca angehalten, zwischen den einzelnen Phasen ihrer Kur einige Dosen eines „eröffnenden Salzes“, gewöhnlich des Bittersalzes, einzu- nehmen.61 Meyer-Hoffmann, der in seinem Bericht offen zugibt, dass ihn die heilkundlichen Eigenschaften der Bäder und die lokale Infrastruktur weit mehr als die historischen

53 Vgl. S. 75 dieser Arbeit. 54 Carl Ferdinand Gräfe (Hg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Berlin: Boike, 1839, Bd. 21, hier: 575-577. 55 Emil Osann, Friedrich Zabel (Hg.): Physikalisch-medicinische Darstellung der bekannten Heilquellen der vorzüglichsten Länder Europa’s, Berlin: Dümmler, 1843, 892 ff. 56 Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier, 453 57 Gräfe (Hg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Bd. 21, 577. 58 Osann, Zabel (Hg.): Physikalisch-medicinische Darstellung der bekannten Heilquellen der vorzüglichsten Länder Europa’s, 894. 59 Gräfe (Hg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Bd. 21, 576, 60 Osann, Zabel (Hg.): Physikalisch-medicinische Darstellung der bekannten Heilquellen der vorzüglichsten Länder Europa’s, 894. 61 Ebd. 6.3 Bagni di Lucca 231

Sehenswürdigkeiten der Stadt Lucca interessieren, beschreibt den Ort, der den Schau- platz des vierten Reisebildes bildet, folgendermaßen: „Am Fuße d[es] Berges liegt eine kleine artige Stadt. Von dieser hat man etwa eine halbe Stunde durch einen zwar guten, aber der Sonne immer ausgesetzten Weg bis zu den ersten Badehäusern Bernabo zu steigen, nicht weit davon, noch etwas höher, [sind] die Docce alte. Diese sind die schönsten Badehäuser; in letzteren sind das Kasino und vier Wohnzimmer, etwa drei grössere und vier kleinere Wasserbäder, die übrigens bei weitem nicht so schön und bequem wie die Bäder bei Pisa eingerichtet sind. Man zahlt dafür das gleiche wie in Pisa. Ausserdem sind mehrere Bagni di vapore, nämlich 24 waren Docce und acht Docce temperate; auch in den anderen Badehäusern sollen verhältnismässig ebensoviele Docce sein. Das Wasser hat eine Wärme von ungefähr 33°, hat weder einen vorherrschenden Geruch noch Geschmack. Die Badegäste waren teils in Privathäusern, die sich um die Bäder herum befinden, teils in der Stadt, in welchem Falle sie dann freilich alle Tage eine halbe Stunde weit steigen müssen, da in der Stadt selbst keine Bäder sind. Ausser den genannten Bädern sind noch die Docce base di S. Giovanni und die Bagni della villa. Der Arzt wohnt hier. (Hervorh. K. J.) Obschon hier fast von aller Welt abgeschlossen (Hervorh. K. J.), ist doch für Lustbarkeiten sehr gesorgt, und vielen Leuten scheint es hier so zu gefallen, dass Engländer schon über drei Jahre hier wohnen.“62 Entsprechend seinem medizinisch motivierten Interesse konzentriert sich der Arzt auf die hydrotherapeutischen Realien, auf die Anzahl der Gästen zur Verfügung ste- henden Badeeinrichtungen, auf deren Erreichbarkeit, auf die Eigenschaften des Heil- wassers und die lokale Infrastruktur. Seine Schrift liefert die Kontextinformationen, die in Heines literarischer Erkundung der Bagni kaum bzw. nur marginal genannt werden. Heines literarische Darstellung des Ortes stimmt mit dem (ihm unbekannten) Bericht des Arztes darin überein, dass die Abgeschiedenheit des Badeortes betont wird, sie harmoniert allerdings nicht mit allen Angaben des Mediziners. Diesem wider- spricht Heine, indem er die Präsenz einer heilkundlichen Machtinstanz in Bagni ne- giert, deren Bestrebungen auf die Aufrechterhaltung des therapeutischen Regimes vorort abzielen würden.63 Angesichts der Tatsache, dass 1826 in einem Ortsteil von Bagni di Lucca ein kleines Krankenhaus mit 50 Betten errichtet wurde, ist die letztere Behauptung als eine Fiktionalisierungsleistung des heineschen Textes anzuerkennen,64 die der Idealisierung der italienischen Realgegend zu einem jenseits von Krankheit und Sünde angesiedelten paradiesischen Raum entgegenkommt. In einer der wenigen

62 Mörgeli: Europas Medizin im Biedermeier, 453. 63 Vgl. DHA 7/1; 85. 64 Gräfe (Hg.): Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Bd.21, 575. Sparsame, dennoch aufschlussreiche realienkundliche Kontextualisierungsmöglichkeiten der Bäder von Lucca bietet auch Ernst Försters: Handbuch für Reisende in Italien. Mit einem Wegweiser für Leidende von Dr. Rudolf Wagner, München: Literarisch-artistische Anstalt, 1848. Zwar erschien diese Veröffentlichung erst zwanzig Jahre nach Heines italieni- scher Kur, da die darin enthaltenen Informationen zur Wandlungen der lokalen Infrastruktur mit entsprechenden Datenangaben versehen wurden, können sie dennoch bei der Interpre- tation der Bäder herangezogen werden. Vgl. ebd., bes. 52, 84. 232 6 Körper im Kurort

Passagen der Bäder, die sich der Ortschaft zuwenden, wird diese folgendermaßen beschrieben: „Die Wohnungen in den Bädern von Lucca nämlich sind entweder unten in einem Dorfe, das von hohen Bergen umschlossen ist oder sie liegen auf einem dieser Berge selbst, unfern der Hauptquelle, wo eine pittoreske Häusergruppe in das reizende Tal hinabschaut. Einige liegen aber auch einzeln zerstreut an den Berges- abhängen, und man muß mühsam hinaufklimmen durch Weinreben, Myrten- gesträuch, Geißblatt, Lorbeerbüsche, Oleander, Geranikum und andre vornehme Blumen und Pflanzen, ein wildes Paradies. Ich habe nie ein reizenderes Tal gese- hen, besonders wenn man von der Terrasse des oberen Bades, wo die ernstgrünen Zypressen stehen, ins Dorf hinabschaut. (DHA 7/1; 85) Die Erwähnung der Badeeinrichtungen wird hier in eine Beschreibung eingefügt, die die (für den Handlungsablauf der Bäder bedeutenden) Entfernungen zwischen den Unter- künften der Kurgäste und das Pittoreske der Gegend heraushebt. Im so entworfenen Rahmen, in dem der knapp erwähnten Badeeinrichtung die Rolle einer Aussichtster- rasse zugesprochen wird, bleibt kein Platz für etwaige Kommentare zu Anwendungsmo- dalitäten und therapeutischen Wirkungen der bekannten Thermen. Die Frage danach, ob Heines Bäder überhaupt irgendeine Form der therapeuti- schen Zuwendung zum Körper thematisieren, kann mit dem Hinweis auf die Akti- vitäten des Kammerdieners und Hühneraugenausschneiders Hirsch-Hyazynth immer- hin mit „ja“ beantwortet werden. Die entsprechenden Anstengungen des (von Heine mit überaus sympathischen Zügen ausgestatteten) medizinischen Dilettanten, der das Fehlen einschlägiger Bildung mit seinen heilkundlichen Ambitionen wettmacht, bewe- gen sich außerhalb akademischer Standards. Allerdings erstrecken sich seine Praktiken auf die Gesamtheit der ärztlichen Tätigkeitsbereiche, da sie sowohl Diagnostik und Medikation als auch direkte operative Eingriffe umfassen. Mit den Berichten über das Ausschneiden von Hühneraugen, mit Befunden wie „(...) ich bin ein Praktikus, und Sie sind ein Diarrhetikus, kurz und gut, Sie sind ganz mein Antipodex.“ (DHA 7/ 1; 118), mit der berühmten Diagnose: „Sie haben ja keine Homeriden“ (DHA 7/1; 123), letztendlich mit der Verabreichung eines Purgativs an Gumpelino, womit dessen Stelldichein mit (der in den Bädern nur in Dialogen präsenten) Lady Julia verhindert wird, trägt Hirsch wesentlich zur Komik des heineschen Textes bei.65 Die Übergabe der medizinischen Kompetenzen an einen Subalternen kann als karnevaleske Umkehrung der (auch während einer balneologischen Behandlung) ide- aliter gegebenen Arzt-Patienten-Hierarchie interpretiert werden. Durch die Fehlbe-

65 Hirschs Figur ist komplex angelegt und geht in der oben erwähnten, wie auch in keiner der ihr von der Heine-Forschung zugewiesenen Rollen vollständig auf. Sigmund Freud erkan- nte in Hirsch das eigentliche movens der Bäder, darüber hinaus beschreibt er die Figur als ein alter ego des realen Autors, wobei er sich auf die Identität der Initialen H. H. von Heinrich Heine und Hirsch Hyazynth und die Affinität des Letzteren zum Sprachwitz be- rief. Hierzu vgl. Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Gesammelte Werke, 9 f., 14 ff., 15 ff. 6.3 Bagni di Lucca 233 setzung lässt Heine keine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit der Kurgäste entste- hen, die mit der einzigen Ausnahme, nämlich der Britin Mathilde, relativ robust und daher einer längeren balneologischen Behandlung eigentlich nicht bedürftig erscheinen. Demzufolge scheinen sie auch keinen gesundheitlichen Schaden daran zu nehmen, dass ihr Badeleben den Regeln der zeitgenössischen Diätetik widerspricht, die weder Gumpelinos strapaziöse Spaziergänge in der italienischen Mittagshitze, noch das nächt- liche Ausbleiben und die amourösen Abenteuer des Dr. jur. Heine, geschweige denn die halsbrecherischen Ausritte Mathildes gut geheißen hätte. In Heines literarischer Perspektivierung wird der Kurraum zu einem von den äußeren Einflüssen isolierten Ort, an dem Repräsentanten gehobener Gesellschaftsschichten eine verhältnismäßig rasche und gesellschaftlich wenig reglementierte Befriedigung der körperlichen Bedürf- nisse möglich wird. Angesichts dieser Verhältnisse sieht sich der Leser gezwungen, der Diagnose Hirsch-Hyazynths zuzustimmen, der das Treiben der Badegäste als ein „Vergnügungsgeschäft“ bezeichnet. Inmitten des heiteren Treibens scheint allerdings der gesundheitliche Zustand einer der Figuren, nämlich der Engländerin Mathilde, doch einige Aufmerksamkeit zu bean- spruchen. Myladys Verhalten wird in Bezug auf etwaige gesundheitliche Konse- quenzen von Gumpelino moniert, der zu einem ihrer Ausritte bemerkt: „Eine kuriose Frau. So zart wie weiße Seide und eben so stark, sitzt zu Pferde eben so gut wie ich. Wenn sie nur nicht ihre Gesundheit zu Grunde reitet. Sahen Sie nicht eben den langen, mageren Engländer, der auf seinem magern Gaul hinter ihr her jagte, wie die galoppierende Schwindsucht?“ (DHA 7/1; 91) Mit dem metaphorischen Hinweis auf die Gefährdung der Engländerin durch „galop- pierende Schwindsucht“ appelliert Gumpelino an das medizinisch fundierte Allge- meinwissen seiner Epoche. In der Zeit vor der Entdeckung des Tuberkuloseerregers (1882) durch Robert Koch (1843-1910), mit der die Theorie von der contagiösen, d. h. übertragbaren Ursache der Krankheit bewiesen wurde, wird im Rahmen des medi- zinischen Diskurses nicht von einer bakteriellen Ätiologie der Krankheit bzw. einer genetisch bedingten Anfälligkeit eines Patienten gesprochen. Als „disponiert“ zu Brustleiden gelten damals Menschen zwischen dem 16. und 30. Lebensjahr mit der sog. „phtisischen Konstitution“, vor allem solche, die auf ihre Gesundheit nicht achten und oft außer Atem kommen. Die phtisische Konstitution bescheinigen die zeitgenössi- schen Ärzte Patienten mit „feinem Fleische, schlankem Körperbau, langem Hals“66. Man attestiert den Patienten zudem Reizbarkeit des Blut- und Lungensystems“ und „eine rasch vorübergehende leichte Erhitzung der Wangen.“67 Mit der von Gumpelino geäußerten Befürchtung, Mylady werde sich anlässlich ihrer halsbrecherischen Eskapaden zu Pferde die Schwindsucht zuziehen, verweist Heine,

66 Goeden: Erfahrungen über den Nutzen der Phosphorsäure in der Lungenschwindsucht. In: Archiv für medizinische Erfahrung, hrsg. v. Ernst Horn, Jg. 1811/ 1. Bd., 256-302, hier: 266. 67 Ebd. 234 6 Körper im Kurort ohne auf die körperlichen Details einzugehen, indirekt auf den schlanken Körper der zum Exzess neigenden Frauenfigur, der dem Schönheitsideal der Epoche entspricht.

6.4 Facetten der Melancholie

Das in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im medizinischen Diskurs eta- blierte Konzept der Schwindsucht ist nicht als einziges heilkundliches Bezugsfeld zu betrachten, auf das Die Bäder von Lucca zurückgreifen. Bei genauerer Lektüre wird ersichtlich, dass der Autor sich über die genannte Referenz hinaus auf die zeitgenössische medizinische Reflexion über Melancholie beruft, um deren Elemente bei der Charak- teristik von Körper und Habitus der Britin und des Erzählers zu funktionalisieren. Dieser letztere Bezug wird im Kontext des oben bereits erwähnten Begrüßungs- gesprächs erkennbar, das sich zwischen der in Bagni di Lucca seit einiger Zeit kuren- den Mylady und dem dort gerade angekommenen Dr. jur. Heine entfaltet. Die ein- schlägige Perspektive eröffnet sich dem Leser durch den Blick, den der Erzähler auf Mathilde während ihrer von Witz und Ironie sprühenden Empfangsrede richtet, bei welcher er distanziert genug bleibt, um die Freundin, der er seit geraumer Zeit nicht begegnet ist, genauer in Augenschein zu nehmen. Jene Beschreibung, die seine er- sten Eindrücke zusammenfasst, appelliert an die Einbildungskraft der Leser, die sich die Britin zunächst als eine Dame mit „wallend goldnen Locken“ (DHA 7/1; 86) und im modischen Reiterkleid vorstellen sollen. Da in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s die modischen faltenlosen und engsitzenden Reiterkleider nicht zuletzt dafür berühmt waren, dass sie durch knappe Passform die Formen des weiblichen Körpers beson- ders zur Geltung brachten,68 kann die von Heine getroffene Wahl der Bekleidung als eine Strategie definiert werden, mit der die erotische Anziehungskraft der Britin her- ausgestellt wird. Diese Strategie dominiert allerdings nicht die gesamte Beschreibung des Erzählers, der sich seiner Freundin vor allem mit dem Sensorium eines durch eigenes Leid geschulten Laien zuzuwenden scheint, was ihn am Körper der Mylady Veränderungen wahrnehmen lässt, die seit ihrer letzten Begegnung stattgefunden haben. Beim Begrüßungshandkuss stellt er fest: „(...) ich küßte Myladys Hand fast inniger als ehemals, obgleich sie minder voll- blühend war und einige Adern allzublau hervortretend, mit ebenfalls zu sagen schienen, Mathilde hat unterdesssen viel gelitten.“ (DHA 7/1; 85) Die Aufmerksamkeit des Protagonisten wird insbesondere durch die traurige Stimme seiner Freundin beansprucht, an der er weitere Zeichen des Leids erkennt. Seine einschlä- gigen Eindrücke reflektierend wendet er sich mit folgender Bemerkung an die Leser: „Lieber Leser, man kann es den Glocken selten ansehen, wo sie einen Riß haben, und nur an ihrem Tönen merkt man ihn. Hättest du nun den Klang der Stimme gehört, womit obige Worte gesprochen wurden, so wüßtest du gleich, Myladys

68 Dorothee Faltejsek: Im Damensattel. Eine Reitlehre für die Frau, Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1998, 97. 6.4 Facetten der Melancholie 235

Herz ist eine Glocke vom besten Metall, aber ein verborgener Riß dämpft wunder- bar ihre heitersten Töne, und umschleyert sie gleichsam mit heimlicher Trauer.“ (DHA 7/1; 85)69 Die Aufmerksamkeit des Erzählers konzentriert sich auf die anfällige Konstitution der Figur, deren Körper und Stimme auf ihre Sensibilität schließen lassen und zugleich Spuren vergangener, nicht näher bestimmter Traumata tragen. Aufgrund seiner „Körperlektüre“ sieht sich der Protagonist zu dem Schluss veranlasst, dass Mathilde sich in einer schlechten psychosomatischen Verfassung befindet, oder – mit seinen Worten gesprochen - dass sie in diesem Moment „innerlich tief elend“ sei. (DHA 7/1; 86) Diese Diagnose, die dem ergriffenen Dr. jur. Heine eine Träne über das Schicksal der Freundin entlockt, mag den Leser angesichts der zur Schau gestellten Heiterkeit der Britin zunächst befremden. Zahlreiche Textsignale deuten allerdings darauf, dass die Fröhlichkeit Mathildes einen Bewältigungsmodus der tiefer liegenden Niederge- schlagenheit darstellen soll. Ihre Heiterkeit wird immer wieder von Schwermut und von Gereiztheit unterbrochen, womit der Text die hochgradige Verletzbarkeit der Mylady vorführt, die ja letztendlich die Konversation abbricht und rasch aus dem Zimmer läuft. Die seltsamen Verhaltensweisen der exaltierten Dame, die in ihrer Überspanntheit die Konventionen der guten Gesellschaft über Bord wirft, diagnostiziert Stuart Fer- guson zurecht als pathologisch und im Speziellen als „hysterisch“.70 Fergusons Schluss- folgerung scheint aus der heutigen Erkenntnisperspektive durchaus berechtigt, gleich- wohl ist es bei einer Interpretation, die den zeitgenössischen heikundlichen Wissens- horizont der Bäder zu ermitteln versucht, vielleicht adäquater, von Mylady als einer Melancholikerin statt einer Hysterikerin zu sprechen. Vor der Folie der im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgten Deutung der Melan- cholie im Zusammenhang des Temperamentenmodells mag die hier vorgeschlagene Diagnose zunächst überraschend scheinen. Im Rückgriff auf den medizinischen Diskurs um 1800 ist aber daran zu erinnern, dass der Begriff „Melancholie“ in dieser Zeit auch jenseits der Temperamentendebatte zur Bezeichnung von episodisch autretenden affektiven Störungen verwendet wird.71 Als Symptome der so verstandenen Melan- cholie gelten damals primär diejenigen Krankheitszeichen, die in der Psychiatrie heut- zutage der Depression zugeschrieben werden, insbesondere: gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Antriebsarmut, Apathie und Zukunftsängste.72 In diesen Symptomen erschöpft sich das zeitgenössische Krankheitsbild allerdings nicht, denn als Melan-

69 Der Handkuss bedeutet nicht zwingend, dass Mylady verheiratet ist. Nach der Auskunft des Brockhausschen Conversationslexikons von 1827 galt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s „in den meisten deutschen Ländern für eine Pflicht des Anstandes“ den Damen bei der Begrüssung die Hand zu küssen. Vgl. Allgemeine deutsche Realencyklopädie für die gebil- deten Stände, 751. (Lemma: „Begrüßung“). Die Information bestätigt das Damenlexikon von 1835, wo es heißt: „In unserm geselligen Leben ist der Handkuß fast überall üblich. Der galante junge Mann küßt der Dame (...) aus Liebe oder Ehrfurcht die Hand.“ Damen Conversations Lexikon, Bd. 5., 159 f. (Lemma: „Handkuß“.) 70 Ferguson: Heinrich Heines Die Bäder von Lucca als perverse Ethopoetik, 42. 71 Jagow, Steger: Literatur und Medizin, 164. 236 6 Körper im Kurort cholie werden auch jähe Stimmungsschwankungen zwischen Traurigkeit und Euphorie diagnostiziert. Damit wird einer im Mittelalter gründenden Tradition entsprochen, die das plötzliche Umschlagen der menschlichen Gemütslagen auf den Einfluss des unsteten Planeten Saturn zurückgeführt hat, der laut damaligen Vorstellungen über den Melancholikern waltet. Unter Hinweis auf diese Tradition warnt der Autor der grundlegenden Arbeit über die diskursive Konstruktion des Melancholiekonzeptes im 18. Jh., Hans-Jürgen Schings, eindringlich davor, den heutzutage gängigen Klischees zu folgen und bei der Lektüre von älteren Texten den Terminus „Melancholie“ vor- schnell mit grundloser Trauer und introvertiertem Auftreten zu identifizieren. Niemals – so Schings – „bestand die »heilige Melancholie« nur aus der tristitia spiritualis, sondern immer auch – (...) – im göttlichen Furor“73. Damit erinnert der Forscher an die Überzeugung, dass Melancholikern neben den schwermütigen auch enthusiasti- sche Aufschwungphasen beschieden werden, darüber hinaus verweist auch auf den Konnex, der herkömmlich zwischen beiden Krankheitsphasen und schöpferischem Wahnsinn hergestellt worden ist. Der sich um 1800 formierende psychiatrische Diskurs bedient sich des Ausdrucks „Melancholie“, um divergierende Krankheitsbilder zu benennen,74 wobei er dem oben angesprochenen Konzept der Melancholie als einer bipolaren, von sich abwechseln- den Phasen übertriebener Traurigkeit und Heiterkeit geprägten affektiven Störung eine feste Stelle zuweist. Die Exponenten der zeitgenössischen Medizin, insbesondere der damaligen Seelenkunde, behaupten: „viele Melancholische sind beständig trau- rig; aber es gibt doch auch viele Melancholische, deren fixe Ideen die Thätigkeit ihres Empfindungswerkzeuges so sehr unterhalten, daß sie beständig heiter und oft zur Ungebühr lustig sind“75. In einer 1820 im Handbuch der physischen Anthropologie oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes von Jakob Friedrich Fries erschienenen Bestätigung dieser Definition heißt es: „Daher zeigt die Melancholie zunächst die Verstimmungen verrückter Fröhlich- keit oder Traurigkeit, so daß manche Kranken fortwährend in einer dieser Stim- mungen bleiben oder periodisch aus der einen in die entgegengesetzte verfallen. Immer wird sich aber diese Gefühlsverstimmung nur als ein Symptom der Krank- heit mit den anderen Symptomen verbunden zeigen.“76

72 Ebd. 73 Hans-Jürgen Schings: Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Er- fahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart: Metzler, 1977, 151. Hierzu vgl. auch: Klibansky, Panofsky: Saturn und Melancholie, 80. Über die Schwierigkeit, die melancholische Symptomatik zu vereindeutigen und festzuschreiben vgl. die grundlegende Arbeit von Martina Wagner-Engelhaaf: Die Melancholie der Literatur. Diskursgeschichte und Textfiguration, Stuttgart, Weimar: Metzler, 1997, 143. 74 Harald Neuymayer: „Wir aber nennen jetzt Melancholie...“, 72. 75 G. Blumroder: Die Narrheit in speziell nosologischer Beziehung. In: Johannes Baptista Friedreich: Magazin für philosophische, medizinische, und gerichtliche Seelenkunde, 8. Heft, Würzburg: Stahel’sche Buchhandlung, 1832, 53-60, hier: 58. 76 Jakob Friedrich Fries: Handbuch der physischen Anthropologie oder der Lehre von der Natur des menschlichen Geistes, Leipzig: Cröker, 1820, 117. 6.4 Facetten der Melancholie 237

Im Rahmen des zu Anfang des 19. Jh.s gängigen Modells benennt Fries die andauernde gedrückte Stimmung als notwendiges Symptom, das die Diagnose „Melancholie“ legitimiert. Aber entsprechend der Tradition und den medizinischen Erkenntnissen seiner Epoche erklärt er zugleich, dass diese Diagnose auch im Falle von Kranken geeignet sei, bei denen Verstimmung und Hochgefühl als reversible Seelenstimmungen auftreten, die ineinander übergehen oder einander ablösen können.77 Das heilkundliche Modell „Melancholie“, das seit dem Ende des 18. Jh.s als „Unmuth, Furcht, Verzwei- flung, und gänzlicher Verlust aller Energie des Geistes, (...) so lange man nicht durch den electrischen Schlag einer herzerhöhenden Leidenschaft getroffen ist“78 beschrie- ben wird und welchem die Psychiatrie des 21. Jh.s mit dem Terminus der „bipolaren affektiven Störung mit depressiven und manischen Episoden“79 beikommen würde, entspricht dem von Heine gezeichneten Bild Mathildes. Während nämlich Myladys Körper und Stimme feine Zeichen von durchlittenen Phasen tiefer Niederge- schlagenheit tragen, können ihre Reden mit Rückblick auf die oben zitierte zeitgenössi- sche Definition von Jakob Friedrich Fries als „verrückt fröhlich“ bezeichnet werden. Den zeitgenössischen Beschreibungen von Melancholie nähert sich das Verhalten Mathildes darin, dass ihr Hochgefühl rasch in Gereiztheit bzw. Traurigkeit umschlägt. Da Melancholie im Deutschland des frühen 19. Jh.s im Rekurs auf das von George Cheyne 1733 herausgegebene Buch The English Malady: or, a Treatise of Nervous Diseases of all Kinds als „englische Krankheit“ bezeichnet wird,80 kommt es wohl nicht von ungefähr, dass Heines Frauenfigur englischer Herkunft ist. Es dürfte außerdem kein Zufall sein, dass der Name der Engländerin „Mathilde“ seinem Klangbild nach dem englischen „Malady“ nicht fern liegt.81

77 Ebd. Gegen die Verwendung des Begriffs „Melancholie“ für „Trübsinn“ protestiert eben- falls der Mediziner Wilhelm Andreas Haase, dessen Definition die Grenzen zwischen Me- lancholie und anderen psychischen Störungen fast vollends verwischt. Melancholie nennt er nämlich „jenen Zustand der Seele, in welchem bey dem Kranken durch ein gestörtes Anschauen seiner selbst und der Welt in ihren mannigfaltigen Verhältnissen, eine solche Verkehrtheit des Vorstellungsvermögens und der Urtheilskraft hervorgeht, die sich durch einen fixen Wahn über irgend einen oder mehrere Gegenstände charakterisirt, von deßen Falschheit der Kranke durchaus nicht überzeugen ist.“ Wilhelm Andreas Haase: Über die Erkenntniss und Cur der chronischen Krankheiten des menschlichen Organismus, Leipzig: Liebeskind, 1820, 493. 78 Johann Georg Zimmermann: Von der Einsamkeit, Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 1783, 54 f. Die im Bestseller des berühmten Schweizer Arztes, Philosophen und Schriftstellers Zimmermann, der seit 1768 in Deutschland lebte, verwendeten Begriffe und Erklärungs- muster behielten in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s ihre Geltung im Bereich des medi- zinischen Diskurses. 79 Hans-Bernd Rothenhäusler, Karl-Ludwig Täschner: Kompendium praktische Psychiatrie, Berlin: Springer, 2007, 8. 80 Julia Schreiner: Jenseits vom Glück. Suizid, Melancholie und Hypochondrie in deutsch- sprachigen Texten des späten 18. Jahrhunderts, München: Oldenbourg, 2003, 13 (Anm. 11). 81 Mathildes Name kann allerdings auch als intertextuelle Referenz auf den Roman Heinrich von Ofterdingen von Novalis identifiziert werden. Hierzu vgl. Hildebrand: Emanzipation und Versöhnung, 180. 238 6 Körper im Kurort

Der Schilderung von Mathildes Körper und Verhalten gebührt die besondere Auf- merksamkeit des Lesers, nicht nur deswegen, weil sie einen Beitrag zur direkten Charakterisierung von wichtigen Frauenfigur der Bäder leistet. Da Heines Text deut- liche Signale enthält, die auf eine besondere Affinität zwischen Mathilde und dem Erzähler schließen lassen, erscheint es überdies gerechtfertigt zu behaupten, dass sich der Leser den körperlichen und seelischen Zustand des Erzählers analog zu jenem der Britin vorstellen soll. Die These von einem besonderen Konnex zwischen dem Erzähler und der Britin stammt von Alfred Opitz. (Vgl. DHA 7/2; 178) Die Tatsache, dass die in der Stadt Lucca artikulierten politischen Aussagen der Engländerin stets deckungsgleich mit den von Heine in seinen Texten und Briefen geäußerten Meinungen bleiben, ließ den Forscher behaupten, dass die weibliche Figur als Porte-parole des Erzählers fungiert. (Vgl. DHA 7/2; 178) Eine genaue Lektüre der Bäder von Lucca erlaubt m. E., die These von Opitz durch den Hinweis zu ergänzen, dass die Verbindung zwischen den Figuren bereits in der Eingangspassage der Bäder etabliert wird und nicht nur eine ideologische, sondern zugleich auch eine körperliche und seelische Verwandtschaft miteinschließt. Auf den zwischen beiden Figuren bestehenden tieferen Bezug verweisen mehrere Textsignale. Begrüßt die Engländerin den Angekommenen, indem sie ihn an beiden Ohrläppchen fasst und „mit drolliger Herzlichkeit“ (DHA 7/1; 76) küsst, so eilt der Besucher, ihr im Gegenzug einen „Bruderkuß auf die Stirne [zu] drücken“. (DHA 7/ 1; 88) Seinen Anspruch auf diese intime Geste bestätigt die Britin mit den Worten, sie und Dr. Heine seien einander nicht nur nah, sondern „noch näher als nah“ (DHA 7/1; 88), was von dem Letzteren nicht bestritten wird. Schließlich begründet der Erzähler seine Ergriffenheit beim Anblick von Mathildes Zustand, der ihn zu Tränen rührt, mit dem Satz: „(...) nur der verwandte Schmerz entlockt uns die Träne, und jeder weint eigentlich für sich selbst“. (DHA 7/1; 88) Die hier ausdrücklich vorgenommene Identifizierung des Protagonisten mit der englischen „Blutsverwandten“82 erlaubt, die Merkmale, die im Porträt der Mylady dominieren, d. h. „Sensibilität“, „Traumatisierung“ und „Melancholie“, dem Erzähler zuzuschreiben. Durch die Betonung dieser Merkmale konstruiert Heine ein Melancholiebild, das dem im medizinischen Diskurs um 1800 eingebürgerten Konzept dieser Krankheit entspricht, das die antiken humoralpathologisch begründeten Erklärungen ersetzt und das Leiden als ein neurologisches Phänomen redefiniert.83 Wenn Heine auch die Leit-

82 Heines Beschreibung der Melancholie als einer „Blutsverwandtschaft“, die ja den „Bruder- kuß“ des Erzählers an Mathildes Stirn legitimieren würde, erscheint affin zu Vorstellungen, die nach der Entdeckung des Blutkreislaufs in den zwanziger Jahren des 17. Jh.s entwickelt wurden und im 18. Jh. noch geläufig waren. Diesen Vorstellungen nach ist Melancholie die Konsequenz einer trägen und kraftlosen Blutzirkulation. Im 18. Jh. wurde die träge Blutbe- wegung, die zur Melancholie führen sollte, auf eine spezifische Zusammensetzung des Blu- tes zurückgeführt. Dieses Konzept erlaubt alle Melancholiker als „blutsverwandte“ zu bezei- chnen. Hierzu vgl. Neumayer: Wir nennen aber jetzt Melancholie, 71. 83 Ebd., 70. Auch: Föcking: Pathologia Litteralis, 74. 6.4 Facetten der Melancholie 239 begriffe der wissenschaftlichen Reflexion wie „Nerven“, „Überspannung“, „Gereizt- heit“ nicht verwendet, so illustriert das von ihm poetisch erschaffene Krankheitsbild doch die im Zuge der Zusammenführung der kulturkritischen und medizinischen Argumentation etablierten Konzepte der Epoche, denen sich die Stilisierung der Melancholie zu einer „maladie du siécle“ verdankt. Die Vertreter der Heilkunde, die zur Erarbeitung der einschlägigen Konzepte beitragen,84 machen die damals ange- nommene Ursache der Melancholie, nämlich die „Präpotenz des Nervensystems“ und die mit ihr einhergehende gesteigerte Sensibilität ihrer Patienten dafür verant- wortlich, dass diese mit den neuen, ihre Epoche prägenden dynamischen Entwick- lungen nicht zurechtkommen. Durch diese Zuschreibung erhält die Melancholie vor dem Hintergrund des Nervenparadigmas die Rolle eines Mediums, über das sich die Selbstreflexion der modernen Gesellschaft vollzieht. Diese Rolle wird sie erst um 1900 an die als nervöse Reaktion auf die Beschleunigung der Moderne interpretierte Hysterie verlieren.85 Heines Erzähler nimmt an der um 1800 aktuellen Zusammenführung von kultur- kritischer und medizinischer Argumentation teil, indem er sein eigenes und Mathildes Leid als Epochensymptome deutet. (DHA 7/1; 87) Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es instruktiv, dass der Erzähler bei der Literarisierung seines Befindens und beim Nachsinnen über dessen zeitdia- gnostischen Wert hinsichtlich seiner eigenen Person einen anderen literarischen Code als im Fall von Mylady bemüht und den Befund „Melancholie“ in Bezug auf den männlichen Körper anders literarisiert als er das im Falle des weiblichen getan hat. Sein eigenes Leiden, das er eingangs für identisch mit jenem Mathildes erkennt, kommentiert der Erzähler im weiteren Verlauf des Textes folgendermaßen: „Ach, teurer Leser, (...) beklage (...), daß die Welt selbst mitten entzweigerissen ist. Denn da das Herz des Dichters der Mittelpunkt der Welt ist, so mußte es wohl in jetziger Zeit jämmerlich zerrissen werden. Wer von seinem Herzen rühmt, es sei ganz geblieben, der gesteht nur, daß er ein prosaisches, weitabgelegenes Win- kelherz hat. Durch das meinige ging aber der große Weltriß, und eben deswegen weiß ich, daß die großen Götter mich vor vielen anderen hoch begnadigt und des Dichtermärtyrtums würdig geachtet haben.“ (DHA 7/1; 95)86 Diese Aussage wird in der Forschung konsensuell als eine der wichtigsten poetologi- schen Äußerungen Heines betrachtet.87 Der Autor aktualisiert darin die populärsten Schlagwörter der 30er und 40er Jahre des 19. Jh.s, nämlich die Metapher vom „Weltriss“ und der „Zerrissenheit“, mit denen die Zeitgenossen ihre Grunderfahrung des gesell- schaftlichen und mentalen Umbruchs, zugleich aber auch ihr eigenes Unvermögen,

84 Zum einschlägigen Beitrag Hufelands zu dieser Debatte siehe Kap. 2. 2 dieser Arbeit. 85 Hartmut Böhme: Natur und Subjekt, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988, 26. 86 Vgl. die analoge Äußerung: „Einst war die Welt ganz, im Althertum und im Mittelalter, (...) und es gab ganze Dichter Wir wollen die Dichter ehren (...); aber jede Nachahmung ihrer Ganzheit ist eine Lüge.“ (DHA 6; 299, DHA 7/2; 95) 87 Wolfgang Preisendanz: Heinrich Heines Dichtertum. In: Ders.: Heinrich Heine. Werkstruk- turen und Epochenbezüge, 11-20, hier: 13. 240 6 Körper im Kurort mit der Dynamik der Zeit zurechtzukommen und die fragmentierten Wirklichkeits- strukturen in eine einheitliche Weltdeutung zu integrieren, artikulierten.88 Es besteht ein Forschungskonsens darüber, dass Heine in der oben zitierten Passage auf eine besonders prägnante Art und Weise der zeitgenössischen Ambivalenzerfahrung Aus- druck verliehen hat. Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint aber in erster Linie bemerkenswert, dass sich die Prägnanz der Passage wesentlich der darin verwendeten Körpermetaphorik verdankt. Die zitierte Passage problematisiert eine besondere Sensibilität des Subjekts, thema- tisiert seine Traumata, den mit ihnen einhergehenden Schmerz, und geht überdies auf sein qualvolles Schwanken zwischen widerstreitenden Gefühlen ein. Damit benennt sie also genau solche Kennzeichen, mit denen zuvor im Text die Melancholikerin Mathilde charakterisiert wurde.89 Es verwundert nicht, dass im Zusammehang der genannten Kennzeichen auf eine besondere Kreativität des Subjekts hingewiesen wird. In der Zeit um 1800 erfährt ja die zuerst im Rahmen der humoralpathologischen Lehre erfolgte Verknüpfung zwischen Melancholie und schöpferischer Kraft eine Bestätigung, indem man sensiblen Melancholikern gesteigertes Einbildungsvermögen attestiert, welches seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s als unabdingbare Basis des künstlerischen Schaffens gilt.90 Im Unterschied zur Darstellung Mathildes, deren Körper und Verhalten von Heine in das Schema des vom Nervenparadigma begründeten Melancholie-Konzepts ein- geschrieben werden, funktionalisiert der Ich-Erzähler zur Markierung seines Leidens die seit der Antike im europäischen Raum überlieferte und im 19. Jh. bereits abge- nutzte poetische Semantik des Herzens als Organ der physiologischen und seelisch- geistigen Lebensmitte, emotionaler Erkenntnis und Identitätsbildung des Menschen. Diese tradierte Metaphorik erneuert Heine, indem er sie mit dem Konzept von Makro- und Mikrokosmos zusammenführt, welches dank den – Heine nachweislich bekannten – Schriften von Paracelsus (1493-1541) in die deutsche Romantik Eingang fand.91 Mit seinem Modell, das direkte Zuordnungen zwischen dem Planetensystem und dem menschlichen Leib vornahm, ersetzte Paracelsus die tradierte medizinische Ana- tomie im Gefolge Galens durch eine „astronomische Anatomie“. Im Rahmen dieses medizinischen Erkenntnismusters suchte er die Wechselwirkungen zwischen dem menschlichen Körper, den Himmelsphären bzw. den jeweiligen Planeten nicht kau- sal, sondern gewissermaßen „kommunikativ“, im Sinne von Korrespondenzen, zu er-

88 Michael Huesmann: Propheten, Priester und Apostel. Die jungdeutsche „Mission“ der Lite- ratur. In: Peter Heßelmann, Michael Huesmann, Hans-Joachim Jakob (Hg.): „Das Schöne soll sein“. Aisthesis in der deutschen Literatur, Bielefeld: Aisthesis, 2001, 253-281, hier: 257. Vgl. auch: Sabine Bierwirth: Heines Naturästhetik, 129. 89 Als Literarisierung der Melancholie fasst die zitierte Passage auch Peter Waldmann auf. Vgl. Peter Waldmann: Der verborgene Winkel der sterbenden Götter: Temporalisierung als ästhetischer Ausdruck im Werk von Heinrich Heine, Würzburg: Königshausen, 2003, 270. 90 Vgl. Klibansky, Panofsky, Saxl: Saturn und Melancholie, 91. 91 Vgl. Georg Braungart: Leibhafter Sinn: der andere Diskurs der Moderne. Studien zur deut- schen Literatur, Tübingen: Niemeyer, 1995, 113. 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper 241 fassen und überhöhte den menschlichen Leib zum Knotenpunkt des kosmischen Ge- schehens. Dieses paracelsische Modell erfährt bei Heine eine Umwandlung. Orientiert sich der Arzt und Philosoph des 16. Jh.s gewissermaßen vertikal, indem er auf Korrespon- denzen zwischen dem menschlichen Körper und den Himmelssphären hinweist, richtet Heine seine Leibesmetapher horizontal aus. In seinem Konzept spiegelt der Mensch als mundus minor nicht mehr das himmlische, sonden das irdische Geschehen wider, wobei sein psychosomatischer Zustand als ein Reflex der sozialen Verhältnisse defi- niert wird.92 Die von Heine vorgenommene Literarisierung der Melancholie dient einer hand- festen Markierung der Differenz männlich/weiblich durch Rückgriff auf unterschie- dliche Codes zur Semantisierung des Phänomens. Diese ist im Zusammenhang mit einem Anliegen zu betrachten, das seinerseits als textzentrierendes Moment in den Bädern von Lucca anzusehen ist, d. h. mit der Diffamierung des Dichters Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermünde (1796-1835), dessen Homosexua- lität zur Zielscheibe von Heines Angriff wird.

6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper: Platenpolemik

Heines Attacke auf Platen, die sog. „Platen-Polemik“ weckte seit der Publikation der Bäder permanentes Leserinteresse und wurde sowohl in publizistischen als auch in wissenschaftlichen Arbeiten so oft und kontrovers diskutiert, dass die Rezeption der Auseinandersetzung bereits ein eigener Forschungsgegenstand geworden ist.93 Um die von Heine im Rahmen seines Angriffs verwendeten literarischen Verfahren ver- stehen zu können, erscheint es notwendig, auf den Konflikt, welcher der Polemik vorausging, einzugehen. Da dieser in der bisherigen Forschung bereits ausführlich erörtert wurde, beschränke ich mich im Folgenden auf einen skizzenhaften Aufriss des Problemfeldes, der im Zusammenhang dieser Arbeit unabdingbar erscheint. Den Anfang von Heines Auseinandersetzung mit Platen markiert der im Frühjahr 1827 erschienene Text Reisebilder. Zweyter Teil. Nordsee. Dritte Abteilung, in dem Heine die Xenien seines Dichterfreundes Karl Leberecht Immermann publiziert. Darin greift Immermann, als dessen Gesinnungsgenosse Heine sich zu erkennen gibt, einige Exponenten der zeitgenössischen Literaturszene, darunter Platen, an. Insbesondere attackiert er dessen Ghaselen (1821-1824), denen er einen forcierten Orientalismus und Epigonalität vorwirft. Darauf antwortet dieser, indem er in seiner ein Jahr später publizierten Komödie Der romantische Ödipus, die in erster Linie auf eine Demontage

92 Hierzu vgl. Gernot Böhme: Der offene Leib. Eine Interpretation der Mikrokosmos-Makro- kosmos-Beziehung bei Paracelsus. In: Christoph Wulf, Dietmar Kamper (Hg.): Transfigura- tionen des Körpers. Spuren der Gewalt in der Geschichte, Berlin: Dietrich Reimer Verlag, 1989, 44-58. 93 Vgl. Ruth Esterhammer: Heine und die Folgen. Die Platen-Attacke als ein Skandal mit Langzeitwirkung, HJb 2007, 1-26, 2. 242 6 Körper im Kurort

Immermanns abzielt,94 auch einen Angriff auf Heine vornimmt, wobei er mit Hilfe antisemitischer Klischees seine jüdische Herkunft fokussiert. Platen spricht vom „ge- tauften Heine“95, den er „Pindarus vom kleinen Stamme Benjamin“96, „Synagogen- stolz“97 und „Petrark des Laubhüttenfestes“98 nennt, dessen „Küsse Knoblauchge- ruch absondern“99, womit er den Gegner als kulturell aufstrebenden, mit Merkmalen des Unreinen und Abstoßenden charakterisierten Juden stigmatisiert. Die antisemitische Attacke setzt Platen zur gleichen Zeit mit dem Gedicht An den Dichterling Heine fort, das folgendermaßen lautet: „Täglich bedanke du dich im Gebet, o hebräischer Witzling Daß du bei Deutschen und nicht unter Griechen du lebst: Solltest du nackt dich zeigen im männlichen Spiel der Palästra Sprich, wie verstecktest du dann jenen vestümmelten Teil?“100 Indem Platen die Beschneidung als jüdisches Kennzeichen thematisiert, berührt er den intimsten Bereich seines Rivalen, womit er Maßstäbe für den weiteren Verlauf der Kontroverse setzt. Die Lektüre der von der Forschung meist einzeln aufgezählten antisemitischen Invektiven aus dem Romantischen Ödipus in ihrem ursprünglichen Kontext, der dem Leser suggerieren sollte, dass zwischen dem Autor der Reisebilder und Platen eine homosexuelle Beziehung besteht, macht deutlich, dass die meist Heine angelastete Einbeziehung der homosexuellen Thematik in den literarischen Streit zuerst durch Platen erfolgt. Der von ihm „Nimmermann“ genannten Dramenfigur, die er als Gefährten des „getauften Heine“ identifiziert, legt Platen folgende Replik in den Mund: „Nimmermann: Sein Freund, ich bin’s, doch möcht’ ich nicht sein Liebchen seyn, Denn seine Küsse sondern ab Knoblauchgeruch. Publikum: Drum führt er sein Riechfläschchen auch beständig mit. Nimmermann: Mein Heine! Sind wir nicht ein Paar Genie’s Wer wagt zu stören, Süßer uns, den süßen Traum?“101

94 Vgl. ebd. 95 August von Platen: Der romantische Ödipus. In: Ders.: Sämtliche Werke in 12 Bänden. Historisch-kritische Ausgabe mit Einschluß des handschriftlichen Nachlasses, hrsg. v. M. Koch, E. Pezet, Leipzig: Rowohlt, 1910, 91-176, 165. 96 Ebd. 97 Ebd. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Zit. nach: Jost Hermand: Heine contra Platen. Zur Anatomie eines Skandals. In: Signaturen. Heinrich Heine und das 19. Jh., hrsg. v. Rolf Hosfeld, Berlin: Argument Verlag, 1996, 108- 120, hier 108. Hermands Rekonstruktion des literarischen Streits zwischen Heine und Pla- ten erscheint besonders instruktiv. 101 Platen: Der romantische Ödipus, 165. 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper 243

Nimmermann erklärt zwar gegenüber dem Publikum, dass er das „Liebchen“ seines Gefährten nicht sein möchte, zugleich spricht er ihn mit „Süßer“ an, was die Zeitge- nossen als Hinweis auf eine zwischen den Dichtern bestehende homoerotische Bin- dung rezipieren.102 Auf diese harschen Provokationen antwortet Heine mit einer in die Bäder von Lucca integrierten, gegen Platen gerichteten Personalsatire, die das Reisebild zu einem der heftigsten zeitgenössischen Literaturskandale seiner Zeit werden lässt, mit dem sich der Autor nach eigenem Zeugnis bei den Zeitgenossen „unsäglich geschadet“103 habe. In diesem Rahmen lässt Heine ideologische und ästhetische Argumenten gelten, indem er seinen literarischen Kontrahenten als einen servilen, klerikalen Aristokraten und epigonalen Literaten angreift, vor allem jedoch brandmarkt er ihn – indem er seine Homosexualität thematisiert – als gesellschaftlichen Fremdkörper.104 Nicht nur die öffentliche Kundgabe des von der vorherrschenden sozialen Norm abweichenden Sexualverhaltens des Gegners, sondern auch die ungeheure Insistenz und Unverblümtheit, mit der Heine auf Platens Homosexualität einging, lassen das zweite italienische Reisebild zu einem jener Texte werden, mit denen es der Schrift- steller seinen Feinden leicht und seinen Verteidigern bis heute schwer macht.105 Selbst diejenigen Forscher, die sich bemühen, Heines „unter die Gürterlinie“106 gehende Attacke unter Hinweis auf die vorausgegangenen Invektiven Platens und damit ihren defensiven Modus zu erklären, beurteilen die Polemik als ein „fatales Mittel sexueller Inquisition“107. Das wahre Ausmaß der Rufschädigung, die Platen widerfahren ist, wird erst dann erkennbar, wenn Heines Angriff im Lichte der Ergebnisse betrachtet wird, welche sich den aktuellen Forschungen zu kulturellen Männlichkeitskonstruktionen verdan- ken, die „Männlichkeit“ als geschichtlich wandelbares, d. h. von den jeweiligen Epochen- vorgaben determiniertes Konstrukt erfassen. Heines Text entsteht in einem Rezeptionshorizont, dessen Geschlechterkonzepte sich den Umwandlungen verdanken, welche Ende des 18. Jh.s eingetreten sind. In ihren Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit betont Ute Frevert, dass die Modelle von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“, die bis ins 20. Jh. wirken

102 Vgl. Thomas Sparr: Die Erfindung des Homosexuellen. Ein Motiv der Wissenschaft und Literatur des 19. Jahrhunderts. In: Thomas Koebner, Sigrid Weigel (Hg.): Nachmärz. Der Ursprung der ästhetischen Moderne in einer nachrevolutionären Konstelation, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1996, 256-272. 103 Heines Brief an Varnhagen vom 4. Februar 1830 (HSA 20; 320). 104 Höhn: Heine-Handbuch, 245. 105 Heines Ressentiment gegen Platen vertiefte sich während des Aufenthalts in München, während dessen der Redaktuer der „Neuen politischen Annalen“ von denselben Klerikalen antisemitisch als frecher Jude betrachtet wurde, die Platens Gedichte überschwenglich lobten. Auch die Tatsache, dass Platen im September 1828 zum Akademiemitglied wurde und eine Jahrespension aus München bezog, während Heines Pläne auf die Münchner Professur scheiterten, trug zu Heines Ressentiment gegen den Grafen bei. Vgl. ebd. 106 Jost Hermand: Der frühe Heine, 109. 107 Alfred Betz: Ästhetik und Politik, 136. 244 6 Körper im Kurort sollten, am Ende des 18. Jh.s im Rahmen medizinischer, psychologischer, philoso- phischer und anthropologischer Forschungen entstehen und sich auf die aufklärerische Leitkategorie des „Natürlichen“ berufen.108 In dieser Zeit sucht man auf dem Wege naturwissenschaftlicher Untersuchungen die tradierte Identifikation der Männlichkeit mit Aktivität, Machtausübung und Kreativität, andererseits der Weiblichkeit mit passiver Hingabe und Anpassung an männliche Bedürfnisse zu belegen, womit den überlie- ferten Geschlechterkonzepten wissenschaftliche Dignität zuerkannt wird. Aufgrund der politischen Ereignisse, insbesondere der Befreiungskriege, wird in Deutschland das genannte Männlichkeitsideal seit dem Anfang des 19. Jh.s zunehmend mit Kompo- nenten des kriegerischen Habitus ausgestattet, wodurch eine Entwicklung eingeleitet wird, die in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s zu einer militaristischen Grundhaltung und Überbetonung des Kriegerischen führt.109 Uwe Hohendahl, der die Erkenntnisse von Frevert bestätigt, stellt fest, dass infolge der genannten mentalitätsgeschichtlichen Transformationsprozesse nach 1815 drei Idealtypen der Männlichkeit bestimmend werden, nämlich: Soldat, Staatsdiener, Künstler, wobei den beiden ersten Typen grund- sätzlich größere soziale Autorität zukommt.110 Ein weiterer Faktor, der neben den zeitgenössischen Männlichkeitskonzepten die Auffassung von Homosexualität um 1800 prägt, ist deren soziale Festlegung, wonach man sie als „aristokratische Libertinage“ definiert, womit sie vor allem im bürgerlichen Milieu anprangert wird.111 Diese Wandlungsprozesse beeinflussen u. a. auch die Bewertung der Homosexua- lität, welche sowohl im säkulär-philosophischen und anthropologischen als auch im theologischen Deutungshorizont eine „Widernatürlichkeit“ genannt wird, die die natür- liche Seinsordnung umkehrt. Die damalige Situation fasst Gustav Frank mit folgen- dem prägnantem Satz zusammen: „Viel mehr noch als der den bürgerlichen Mann kaum nachhaltig stigmatisierende Sachverhalt außerehelicher Kinder ist die seit den 1820 Jahren konzeptualisierte Homosexualität geeignet (...) ganze Lebensläufe und – Leistungen zu liquidieren.“112

108 Vgl. Ute Frevert: Soldaten, Staatsbürger. Überlegungen zur historischen Konstruktion von Männlichkeit. In: Thomas Kühne (Hg.): Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt am Main, New York: Campus, 1996, 68- 87, hier: 76. Karin Hausen: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere”. Eine Spiege- lung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, hrsg. v. Werner Conze, Stuttgart: Klett, 1976, 363-393, hier: 369. 109 Vgl. ebd. 110 Uwe Hohendahl: Die Krise der Männlichkeit im späten 19. Jh. Eine Problemskizze. In: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 2 (2002), 275-286, hier: 286. 111 Aufgrund der sozialen Zuschreibung kann Homosexualität nicht vom liberalen Programm erfasst werden: „Für Homosexuelle einzutreten, galt (...) um 1830 noch nicht als »liberal« – sonst hätte Heine diese Form der Kritik sicher nicht zum Hauptelement seiner Platen- Satire gemacht.“ Hermand: Heine contra Platen, 117. 112 Gustav Frank: Zur Vor- und Frühgeschichte der ‘Sexualität’. In: ‚Emanzipation des Fleisches’: 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper 245

Vor der Folie dieser Befunde wird erkennbar, dass Heine bei der Wahl seiner polemischen Taktik, mit der er die in puncto (Homo-)Sexualität rigiden Tabus der Restaurationszeit brutal verletzt, eine vollständige Demontage seines literarischen Rivalen beim bürger- lichen Publikum anstrebt. Mit den beiden Motti, die er den Bädern voranstellt, nämlich „ich bin wie Weib dem Manne“113 und „Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen, / so mag er’s sagen, / Ich spiel ihm auf“ (DHA 7/1; 82), identifiziert Heine die Auseinandersetzung mit Platen als das Hauptanliegen seines Textes. Um dieser paratextuellen Ankündigung zu entsprechen, gliedert er Die Bäder von Lucca in zwei Teile, deren erster die sozialen Gegebenheiten der kleinen Kurortenklave narrativiert, welche wiederum als Folie einer mit den Mitteln des Grotesken durchgeführten Exekution Platens dienen. Die Installierung des grotesken Modus knüpft Heine vordergründig an die Präsenz des arrivierten Emporkömmlings jüdischer Herkunft, Gumpelino, und seiner kleinbürger- lichen Kontrastfigur, Hirsch-Hyazynth, an, denen eine besondere Affinität zu Platen zugeschrieben wird. Der zweite, erheblich kürzere, nur auf ein (das XI.) Kapitel be- schränkte Textteil, enthält eine direkte Attacke Heines auf seinen Kontrahenten und ist gattungsmäßig als eine mit „sorgfältiger Gemeinheit“114 erarbeitete essayistische Streitschrift zu kategorisieren. Die im Rahmen des elften Kapitels der Bäder entfalteten Argumente zielen darauf, Platens Texte als Belege seines dichterischen Unvermögens abzutun. Es ist ein Merkmal, das Heine auf die gemäß den zeitgenössischen Vorstellungen der adeligen Herkunft affine sexuelle Orientierung des Grafen zurückführt. Dabei beanstandet Heine, dessen Polemik ihre Schlagkraft implizit aus dem erwähnten „Natürlichkeit-Konzept“ und der mit ihm einhergehenden zeitgenössischen Interpretation der Homosexualität als „Widernatürlichkeit“ bezieht, dass der Lyrik seines Gegeners „Naturlaute“ (DHA 7/ 1; 139) fehlen.115 In diesem Zusammenhang moniert der Autor der Bäder die Forciert- heit von Platens poetischem Ausdruck, indem er (unter Rekurs auf eine körperbezo-

Erotik und Sexualität im Vormärz, hrsg. v. Gustav Frank u. Detlev Kopp, Bielefeld: Aistheis, 1999, 11-37, hier: 28. 113 Das Gedicht, in dem Platen eine wechselseitige Austauschbarkeit der Rollen beider Partner in einer Liebesbeziehung suggeriert, lautet: „Ich bin wie Leib dem Geist, wie Geist dem Leibe dir; / Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir: / Wen darfst du lieben sonst, da von der Lippe weg / Mit ewigen Küssen ich den Tod vertreibe dir? / Ich bin dir Rosenduft, dir Nachtigallensang / Ich bin der Sonne Pfeil, des Mondes Scheibe dir; / Was willst du noch? Was blickt die Sehnsucht noch umher? / Wirf alles, alles hin: Du weißt, ich bleibe dir!“ Zit. nach DHA 7/2; 651. Die von Heine vorgenommene Reduktion des Prätex- tes markiert die Liebessprache Platens als eine der metaphorischen Uneigentlichkeit, mit der Platen seine homoerotischen Neigungen verschleiert. 114 Hausschild, Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“, 165. 115 Heine schreibt: „Der Mangel an Naturlauten in den Gedichten des Grafen rührt vielleicht daher, daß er in einer Zeit lebt, wo er seine wahren Gefühle nicht nennen darf, wo dieselbe Sitte, die seiner Liebe feindlich entgegensteht, ihm sogar verbietet, seine Klage darüber unverhüllt auszusprechen (...). Die Angst darüber läßt bey ihm keine eignen Naturlaute aufkommen, sie verdammt ihn, die Gefühle anderer Dichter, gleichsam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, metrisch zu bearbeiten (...).“ (DHA 7/1; 142) 246 6 Körper im Kurort gene Bildlichkeit) diesen Dichter mit einem Seilspringer vergleicht, der seine Kunst- fertigkeit (d. h. mit Heine gesprochen: die Beherrschung der „Metrik des Leibes“, DHA 7/1; 138), der Gewalt verdankt, die er seinem Körper jahrelang angetan habe.116 Nach Heines ungerechtfertigter Einschätzung resultieren die Gedichte des (angeblich) eitlen Nichtskönners Platen aus dem Zwang, den er unter Berufung auf klassisches Formeninventar der deutschen Sprache antut, um seine sexuelle Disposition zu camou- flieren. Während Heine die sprachliche Virtuosität von Platens Versen würdigt, verur- teilt er sie als epigonale Spiegelungen der abgelebten Muster der griechischen Antike, womit er dem Rivalen die schöpferische Kompetenz abspricht.117 Die Voraussetzung der Argumentation bildet die um 1800 konsensfähige Identifi- kation der männlichen Zeugungskraft mit der künstlerischen Potenz, die für Heines Zeitgenossen Instanzen sind, denen sich Kennzeichen wie „Originalität“, „Kreati- vität“ und „Dichtung“ verdanken, welche das Kunstwerk von Imitation, Nachahmung und Skribententum unterscheiden.118 Mit den Platen zugeteilten Attributen „zart“, „zierlich“ (DHA 7/1; 138) und „zärtlich“ (DHA 7/1; 139) strebt der Autor der Reise- bilder eine Effeminierung Platens an, womit er ihm nicht nur die Manneskraft, son- dern auch kreative Potenz abspricht. Vor diesem Hintergrund profiliert sich Heine, der seine eigene Dichtung jener Platens entgegenstellt, welchem er aufgrund seiner sexuellen Disposition die Fähigkeit zur Innovation abspricht, als ein in jeder Hin- sicht potentes männliches Dichter-Subjekt, das seine schöpferische Begabung der „Natur“ verdankt. Wesentliche Momente der hier knapp skizzierten Platen-Polemik werden im ersten Teil der Bäder vorweggenommen und im Zusammenhang mit dem Paar Gumpelino und Hirsch-Hyazynth thematisiert. Der nach seiner Taufe katholisch-frömmelnde Gumpelino, der sich dank seines Kapitals einen Adelstitel kaufen konnte, wodurch er eine Allianz mit den Vertretern der Restauration eingegangen ist, wird vom Erzähler als „Aristokrat, Ultrapapist“ (DHA 7/1; 126) bewertet. Den Körper dieses parvenu gestaltet Heine nach allen Regeln der Konstruktion des durch Ausbuchtungen, Überfülle und Übermaß gekenn- zeichneten grotesken Leibs. An Gumpelinos Körper fallen zuerst der hervorstehende

116 In den Einwänden, die Karl Kraus gegen Heine in seinem berühmten Essay Heine und die Folgen erhebt, der Heine als einen virtuosen Sprachhantierer darstellt, dem es an Witz fehle, der außerdem der Sprache Gewalt antue, erkennt Ruth Estherhammer ein Argumenta- tionsmuster, das demjenigen der Platenpolemik weitgehend entspricht. Vgl. Estherham- mer: Heine und die Folgen, 11. 117 U. a. schreibt Heine über Platen: „Wenn ihm auch die Musen nicht hold sind, so hat er doch den Genius der Sprache in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzuthun;“ (DHA 7/1; 138) 118 Hierzu vgl. Christian Begemann: Poiesis des Körpers. Künstlerische Produktivität und Konstruktion des Leibes in der erotischen Dichtung des klassischen Goethe. In: German Life and Letters 52. (1999), Special Number: The Body in German Literature around 1800, hrsg. von Nicholas Saul, 211-237. Ders: Der Körper des Autors. Autorschaft als Zeugung und Geburt im diskursiven Feld der Genieästhetik. In: Heinrich Detering (Hg.): Autor- schaft. Positionen und Revisionen. DFG-Symposion 2001, Stuttgart: Metzler, 2002, 44-61. 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper 247

Bauch und die riesige Nase auf, die Heine zunächst im Zusammenhang der jüdischen Herkunft der Figur folgendermaßen reflektiert: „Man konnte es ihm nemlich an der Nase ansehen, daß er vom guten Adel war, daß er von einer uralten Weltfamilie abstammte, womit sich sogar einst der liebe Gott, ohne Furcht vor Mesallianse verschwägert hat. Sind vielleicht ihre Nasen eben durch dieses lange an der Nase Herumgeführtwerden so lang geworden? Oder sind diese langen Nasen eine Art Uniform, woran der Gottkönig Jehovah seine alten Leibgardisten erkennt, selbst wenn sie desertirt sind? (DHA 7/1; 88 f.) Indem Heine die „jüdische Nase“ des Markese zum Erkennungsmerkmal erklärt, das unabhängig vom übrigen Körper identifizierend wirkt, funktionalisiert er eine ge- schichtlich entstandene physiognomische Zuschreibung, die sich in der deutschspra- chigen Literatur seit 1750 belegen lässt.119 Mit den Worten des Erzählers Dr. Heine, der mit Genugtuung behauptet, dass dieses körperliche Kennzeichen im Unterschied zu anderen Teilen der jüdischen Identität vom Markese um keinen Preis abgestreift werden kann, wird das etablierte antisemitische Klischee im Text deutlich herausge- stellt. Zugleich wird es dadurch kreativ umgestaltet, dass die Nase mit einer Uniform verglichen wird, womit ihr der Charakter eines Zeichens zukommt, das den Ort des Einzelnen im sozialen Gefüge markiert, indem es auf seine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft verweist. Die Charakterisierung Gumpelinos als komischer Figur des Textes bezieht wesen- tliche Effekte aus den der Nase im Zusammenhang der grotesken Gestaltungsweisen traditionell zuerkannten phallischen Konnotationen,120 die in Heines Text z. B. dann aufgerufen werden, wenn die Nase des Markese bei der Begrüßung mit der Italienerin Laetizia in ihren als „rothes Meer“ (DHA 7/1; 101) beschriebenen üppigen Busen sinkt, bis Gumpelino sie („in schwitzender Selbstwonne“ DHA 7/1; 101) hervorzieht. An den symbolischen Koitus wird im Text wiederholt erinnert.121 Dem sexuellen Treiben Gumpelinos wird im Text besondere Aufmerksamkeit zuteil. Durch Verweise auf dessen Neigung zur Inszenierung eigener Gefühle und Nachah- mung ästhetisch und politisch rückwärtsgewandter Muster stellt ihn der Erzähler bereits zu Anfang des Textes in die Nähe Platens.122 Diese Nähe scheint u. a. auch durch

119 Zur kulturellen Konstruktion der „jüdischen Nase“ vgl. Julia Schäfer: Vermessen, gezeich- net, verlacht: Judenbilder in populären Zeitschriften 1918-1933, Frankfurt, New York: Cam- pus Verlag, 2005, 221. 120 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 357. 121 Zur Interpretation der Textpassage vgl. Tanja Rudtke: „... und lachende Träne im Wappen“, 83. Eben die Passage der Bäder führte Ende des Jahres 1833 zum Verbot der zweiten Auflage des Buches. 122 Die Affinität zwischen dem „Kunstproduzenten“ Graf Platen und dem “Kunstrezipienten“ Markese Gumpelino erfasst Gerhard Höhn folgendermaßen: „Schwärmt der Kunstrezipient von griechischer Bildung, so treibt der Kunstproduzent einen wahren Griechenkult (...). Beide treffen sich in puncto steriler Nachahmung: Der »nachahmenden Begeisterung« des einen entspricht das begeisterte Nachahmen des andern, der eine rezipiert so geistlos wie der andere produziert. (...) Schließlich sind beide durch ihr Sexualempfinden verwandt. (...) Stellen zahlreiche offene oder versteckte Anspielungen von Motto angefangen Platens Homo- 248 6 Körper im Kurort seine sexuelle Disposition gegeben, denn obwohl Gumpelino die im Text abwesende Lady Julia überschwenglich anbetet, wirkt sein Verhalten höchst ambivalent und erlaubt, ihn als homosexuell zu identifizieren.123 Zu dieser Definition sehen sich die Forscher insbesondere durch die merkwürdige Beziehung des Markese zu der mit ambivalenten Merkmalen ausgestatteten Figur des Hirsch-Hyazynth veranlasst.124 Analog zum Markese wird auch sein Kammerdiener mit einem grotesken, d. h. in seinem Fall erstaunlich kleinen Körper ausgestattet, bei dessen Konstruktion Heine die Strategie der grotesken Reduktion mobilisierte. Laut Hausschild und Werner ist dies allerdings nicht die einzig mögliche Interpretation, wobei die Forscher insbeson- dere folgende Erinnerung des Erzählers an seine Begegnung mit dem Kammerdiener interpretatorisch geltend machen: „Die kleine Gestalt (...) hätte vielmehr den Namen einer Feuerlilie verdient. Es war ein schlotternd weiter Scharlachrock, überladen mit Goldtressen, die im Son- nenglanze strahlten, und aus dieser roten Pracht schwitzte ein Köpfchen hervor (...).“ (DHA 7/1; 91) Unter Rekurs auf diese Passage erkennen Hausschild und Werner in Gumpelinos Kammerdiener „einen zweibeinige[n] priapeische[n] Witz, einen echte[n] Peniden, einen abgelöste[n] und in Menschengestalt verselbständigte[n] Penis“,125 der in der Kurortlandschaft umherwandert. Diese Lesart, die nicht die groteske Reduktion, son- dern die groteske Dekomposition der Körperganzheit als grundlegend für die literari- sche Gestaltung von Hirschs Körper erkennt, steigert die komische Wirkung der Bäder erheblich. An die Präsenz dieses grotesken Figurenpaars knüpft Heine die Thematisierung der Homosexualität. Sie erfolgt durch eine Reduktion auf Analerotik, die auf signifi- kante Art und Weise Handlung und Lexik der Bäder prägt.126 Es ist insbesondere die groteske Skatologie, die sich als dichte Kette von Andeutungen durch das gesamte Reisebild zieht und in der berühmten „Glaubersalzepisode“ kulminiert, in der Gum- pelino, vergeblich auf eine Nachricht von Julia wartend, ein Purgativ einnimmt. Die folgende Nacht lässt ihn Heine auf dem Abort verbringen, wo Gumpelino sich die Zeit mit der Lektüre von Platenschen Gedichten vertreibt. Am Morgen danach bleibt er im Bann der Verse, die er dem Erzähler präsentiert. Über das Buchexemplar, auf das sich Gumpelino beruft, äußert sich der Erzähler folgendermaßen: „Dabey roch das Buch nach jenem seltsamen Parfum, der mit Eau de Cologne nicht die mindeste Verwandtschaft hat, und vielleicht auch dem Umstande beyzume- sen war, daß der Markese die ganze Nacht darin gelesen hatte.“ (DHA 7/1; 128) sexualität heraus, (...) so wird die Affinität der beiden Männer in wissenschaftlich gewagter Reduktion über ihre Fixierung auf die Analsphäre hervorgehoben.“ Höhn: Heine-Hand- buch, 244. 123 Vgl. Hermand: Heine contra Platen, 112. 124 Ferguson: Heinrich Heines „Die Bäder von Lucca“ als perverse Ethopoetik, 43 f. 125 Hausschild, Werner: „Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst“, 166. 126 Höhn: Heine-Handbuch, 247. 6.5 Die „unnatürliche” Lust und der Körper 249

Gumpelino kommentiert den Sachverhalt so: „– ich war so sehr bewegt, mußte eilf mahl aus dem Bette steigen, und zum Glück hatte ich dabey diese vortreffliche Lektüre, worauf ich nicht nur Belehrung für die Poesie, sondern auch Trost für das Leben geschöpft habe, Sie sehen, wie sehr ich das Buch geehrt, es fehlt kein einziges Blatt, weil ich so saß wie ich saß, kam ich manchmal in Versuchung – Das wird Mehreren passiert sein, Herr Markese.“ (DHA 7/1; 128) Auf dem Höhepunkt der Handlung wird Platen nicht nur als Lieblingslektüre des aufstrebenden parvenu Gumpelino kompromittiert, sondern auch auf eine sinnfällige Weise dem skatologischen Bereich zugewiesen. Laut Paul Derks, der die Kontroverse zwischen den Dichtern und deren Folgen ausführlich kommentierte, gelang es Heine, seinen Kontrahenten öffentlich vorzuführen, überdies aber auch, Homosexualität, für lange Zeit unwidersprochen, als monströse Abscheulichkeit zu definieren.127 Als das sinnfälligste argumentative Mittel der von Heine vorgenommenen Defini- tion der homosexuellen Orientierung bezeichnet Derks ihre Aufladung durch das breit ausgefaltete anale Bildfeld, was dem Forscher durch zeitgenössisch gängige Klischees bedingt scheint. An diesen Klischees nimmt Heine eine Veränderung vor, indem er das Anale zum Fäkalen erweitert, das unter den Maßgaben bürgerlicher Wohlanständig- keit immer schon Ekel ausgelöst hat. Unter Absehung von der Frage nach der ethischen Seite der erörterten literari- schen Polemik, kann die Präsenz der skatologischen Motivik im Text durch dessen groteske Ordnung erklärt werden. Wie alle Phänomene, die mit den „Akten des Körper- dramas“,128 wie Bachtin das Essen, Trinken und die Verdauung nannte, zusammen- hängen, haben die Ausscheidungen des Körpers in der grotesken Welt einen festen Platz. Die Präsenz skatologischer Motive kann allerdings nicht durch die ästhetische Entscheidung Heines, mit den Mitteln des Grotesken seinen Gegner zu verunglimpfen, erklärt werden. Die Heranziehung der Angaben über die heilkundlichen Realien des italienischen Kurortes erlaubt, die Thematisierung des Fäkalen als Zugriff des Autors auf die Wirklichkeit des Badelebens in einem Ort zu sehen, dessen Heilwasser sowohl zu Badekuren bei Magen- und Darmbeschwerden (inbesondere bei Beschwerden des unteren Verdauungstraktes) als auch aufgrund ihrer abführenden Eigenschaften zu Trinkkuren empfohlen wurde. Die Präsenz des fäkalen Bildfelds in den Bädern von Lucca ist damit als ein Reflex des realen Badealltags zu erkennen, der bezeichnenderweise im Text als solcher nicht markiert wird. Die Berücksichtigung des medizinischen Kontextes des Reisebilds erlaubt zu erkennen, wie Angaben, die die Berührungsängste der bürgerlichen Gesell- schaft gegenüber Körpersekreten mobilisieren, von Heine dem literarisch konstruierten

127 Vgl. Paul Derks: Die Schande der heiligen Päderastie. Homosexualität und Öffentlichkeit in der deutschen Literatur 1750-1850, Berlin: Verlag Rosa Winkel, 1990, 549. 128 Bachtin: Rabelais und seine Welt, 359. 250 6 Körper im Kurort

Bild des Gegners zugeschoben werden, den das Stigma gesellschaftlicher Unzuge- hörigkeit treffen soll.

6.6 Körper: natürlich grotesk oder ideal

Die Diffamierung Platens, die als textzentrierendes Anliegen der Bäder anzuerkennen ist, prägt maßgeblich die Körperkonstruktionen des Textes, deren poetische Gestal- tung sich am Prinzip der Erotisierung orientiert. Als wesentlichstes Merkmal der von Heine entfalteten literarischen Strategien ist die Ausrichtung der literarischen Argumen- tation entlang der Leitkategorie „Natürlichkeit“ anzuerkennen. Aufgrund dieser Ent- scheidung setzt der Autor die von ihm als „unnatürlich“ markierte sexuelle Disposition seines Intimfeindes Platen unter Berufung auf die Kategorie des Ekels ästhetischer Verdammung aus, während er ausführlich auf heterosexuelle Bindungen eingeht, um sie positiv zu markieren. Die literarische Argumentation Heines bezieht ihre Lizenzen aus der Situierung der Handlung in dem von deutschen Reisenden des 19. Jh.s vielfach mit erotischen Projektionen aufgeladenen Italien, die durch Lokalisierung des Textes in einem Kurort erweitert werden. Mit der Thematisierung dieser Heterotopie zeigt Heine einen außer- halb der herkömmlichen sozialen Normierungen gelegenen Raum, in welchem der Körper zum „Hauptakteur“ wird, wo überdies soziale Konventionen liberalisiert und die geläufigen Scham- und Peinlichkeitsschwellen augenfällig niedriger als in anderen sozialen Räumen angesetzt werden. Bei der Problematisierung der einschlägigen Normen- lockerung fokussiert Heine insbesondere die Liberalisierung der vestimentären Praxis und die auf die Belange des Körpers konzentrierten Äußerungen der Figuren. Besondere Bedeutung bei der Literarisierung des Körpers in den Bädern erlangt die Konfiguration des weiblichen Personals, zu dem neben der exzentrischen Engländerin die Italienerinnen Laetizia und Franscheska zählen. Mit den Letzteren werden dem Text Figuren zugeführt, die entsprechend den im 19. Jh. gängigen Fremdprojektionen hin- sichtlich der Bewohner Italiens ihre Körperlichkeit nicht verdrängen. Signifikanter- weise handelt es sich bei Heines Italienerinnen um eine Schauspielerin (Laetizia) und eine Tänzerin (Franscheska), also um Frauenfiguren, die aufgrund ihres Berufsbildes für die Zeitgenossen jenseits der bürgerlichen Verhaltensnormierungen stehen. Von Bedeutung für die Körperkonstruktionen der Bäder ist überdies die von Heine entfaltete Betrachterperspektive. Der Text zeichnet die Besuche und Wanderungen des in Bagni di Lucca angekommenen Ich-Erzählers nach, der dem Leser über seine einschlägigen Eindrücke und Erlebnisse berichtet. Damit etabliert er ein narratives Muster, mittels dessen Authentizität und Unmittelbarkeit des Erzählten fingiert werden und ermöglicht darüber hinaus eine (voyeuristische) Beteiligung des Lesers am dar- gestellten Geschehen. Die in den Bädern an die Präsenz der Italienerinnen gebundene Erotisierung des weiblichen Körpers wird besonders deutlich im Zusammenhang eines Besuchs, den der Erzähler in Begleitung Gumpelinos dem von Signora Laetizia bewohnten Hause abstattet. Bei einschlägigen Beschreibungen, die beiden Italienerinnen schier exhibi- 6.6 Körper: natürlich grotesk oder ideal 251 tionistische Neigungen zuerkennen, wird in Bezug auf Laetizia der groteske, in Bezug auf Franschesca der idealisierende Darstellungsmodus des Körpers funktionalisiert, womit Heine auf die in seinen früheren Texten etablierten Strategien zurückgreift, die in den Bädern eine weitere Ausgestaltung erfahren. Die Beschreibung der Ankunft der Gäste wendet sich zunächst dem Körper der Gastgeberin zu, die ihre Besucher nackt unter einer Decke im Bett liegend empfängt. Die Begründung für diese Aufnahme liefert der Erzähler, indem er sich an die Begrüßungsworte der Italienerin folgendermaßen erinnert: „Signora Laetizia entschuldigte sich bey mir, daß sie zu Bette liege und zwar bäuchlings, indem ein Geschwür an der Legitimität, das sie sich durch vieles Fei- gen-Essen zugezogen, sie jetzt hindere, wie es einer ordentlichen Frau zieme, auf dem Rücken zu liegen. Sie lag wirklich ungefähr wie eine Sphinx; ihr hochfrisier- tes Haar stämmte auf ihre beiden Arme und zwischen diesen wogte ihr Busen wie ein rothes Meer.“ (DHA 7/1; 97 f.) Die vom Erzähler als „eine funfzigjährige junge Rose“ (DHA 7/1; 96) beschriebene Laetizia verkörpert den sowohl in der Harzreise als auch in Ideen. Das Buch Le Grand porträtierten Typus der alternden, begehrenden Frau, deren Körper von Heine nach den Prinzipien des Grotesken modelliert wird. Diesem Modus entsprechend konstruiert der Erzähler einen monströsen Körper, indem er dessen Wölbungen und Busen sowie das Gesäß, dessen zusätzliche Ausbuchtung das von der Schauspielerin angesprochene Geschwür bildet, in den Vordergrund seiner Schilderung stellt. Laetizias Rede, vor allem der Hinweis auf ihre Verdauungsprobleme, überdies ihre Bitte um einen Spucknapf (DHA 7/1; 97), fokussiert die Prozesse der Nahrungsaufnahme und Ausscheidung, denen im Rahmen des Konzepts des grotesken Leibs eine wichtige Rolle zukommt. Analog zu den Körpern ihrer grotesk verformten Vorgängerinnen, der „Dame mit weitläuftigen Gesicht“ aus der Harzreise und der Hamburger „Millio- närin“ aus den Ideen, wird der Körper der italienischen Schauspielerin mit topogra- phischen Metaphern beschrieben. Auf dieses von der traditionellen Rhetorik emp- fohlene Verfahren der „topographisierenden“ Körperbeschreibung greift Heine nur bei seinen grotesken Körperkonstruktionen zurück, um die fehlende Abgrenzung des Leibs gegenüber der Umgebung zu betonen. Dem genannten Merkmal scheint zunächst nur der überdimensionierte Busen Lae- tizias zu entsprechen, der laut der Beobachtung des Protagonisten in „ein rothes Meer“ verfliesst. Der Protagonist geht im Anschluss an diese Auskunft auf den Exhibitionis- mus Laetizias ein, die fortdauernd, und zwar in deutlichen Worten, Aufmerksamkeit für ihre reife Schönheit fordert, auch behauptet er bald, dass der gesamte Leib der Signora jene „verfließende“ Eigenart mit ihrem Busen teilt. Die entsprechende Passage lautet: „Und wie alt halten Sie mich! rief plötzlich Signora Laetizia, und ohne an ihr Eva- Kostüm, das bis jetzt die Bettdecke verborgen hatte, zu denken erhob sich bey dieser Frage so leidenschaftlich in die Höhe, daß nicht nur das rothe Meer, son- 252 6 Körper im Kurort

dern auch ganz Arabien, Syrien und Mesopotamien zum Vorschein kam.“ (DHA 7/1; 106) Bei diesem „gräßlichen Anblick“ (DHA 7/1; 97) lässt Heine seinen Protagonisten erschrecken und zurücktreten, aber dessen ungeachtet rechnet er mit der „alten Ina- morata“ (DHA 7/1; 97) letztendlich doch viel milder ab als mit analogen Figuren, die er in der Harzreise und Ideen. Das Buch Le Grand konstruiert hat. Im Unterschied zu den vorausgegangenen Körperkonstruktionen verzichtet Heine hier auf einen Mensch- Tier-Vergleich, mit dem er die animalische Natur der triebhaften älternden Frauenfi- guren als Bedrohung für die bürgerliche Ordnung markiert hat. Das Äußere der volu- minösen Italienerin veranschaulicht er, indem er es mit dem einer Sphinx gleichsetzt, womit er ihr einen viel größeren Anteil an Menschlichkeit zuerkennt als analogen Frauenfiguren in seinen früheren Texten. Im Unterschied zu früheren Schriften, in denen bei der Betrachtung der grotesken Frauengestalten allein die Perspektive des Erzählers maßgeblich war, erlauben die Bäder ein milderes Urteil über die „ruinierte Schönheit“ (DHA 7/1; 99), u. a. auch dadurch, dass sie den Standpunkt des Erzählers durch die Perspektive zweier alternder italienischer Bewunderer ergänzt, die der Schauspielerin die Zeit durch Gespräch und Gesang vertreiben. Die Präsenz dieser (bei all ihrer Komik) überaus affirmativ ent- worfenen Figuren zweier italienischer Intellektueller, die der Künstlerin seit dem Anfang ihrer Bühnenkarriere den Hof machen und deren Neigung ungebrochen scheint, außerdem das italienische Klima und das balneotherapeutische Setting schaffen ein Koordinatensystem, in dem der Erzähler und mit ihm auch die Leser die Signora mit einer Art amüsierten Wohlwollen betrachten können. In einem Text, dessen Hauptan- liegen die Abgrenzung gegenüber dem Homosexuellen Platen ist, und insbesondere in dem von Heine konstruierten Handlungsrahmen, wird die Sinnlichkeit der bejahrten Laetizia als ein „natürliches“ Phänomen betrachtet. Der groteske Körper Laetizias wird von Heine mit dem makellosen Körper der achtzehnjährigen Tänzerin Franschesca kontrastiert, wobei mit der Huldigung an Letztere eine Frauenfigur nobilitiert wird, die aufgrund der professionellen Zurschau- stellung ihres Körpers noch weiter außerhalb des gesellschaftlich Akzeptierten als eine Schauspielerin steht. Dieses soziale Urteil wird maßgeblich durch die Entwicklungen des zeitgenössi- schen Balletts beeinflusst, in dem aufgrund der Dynamisierung der Tanztechnik die Kostüme knapper und leichter werden und der Körper der Tänzerinnen, die dem damaligen Publikum nahezu nackt erscheinen, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Die einschlägigen Prozesse reflektiert Heine an einer in der vorliegenden Arbeit bereits analysierten Stelle der Harzreise, die sich darüber empört, dass die künstlerische Leistung des berühmten männlichen Darstellers Hoguet unbeachtet bleibt, während sich die Zuschauer über die Anatomie der Balletteusen auslassen. (Vgl. S. 133 f. der vorliegenden Arbeit). In den Bädern von Lucca nimmt der Ich-Erzähler eine entgegengesetzte Position zu jener ein, die der Protagonist der Harzreise vertritt. Während sich das literarische Subjekt des letzteren Reisebilds gegen jene ungeschriebene Übereinkunft empört, 6.6 Körper: natürlich grotesk oder ideal 253 die es um 1800 bei Kommentaren zu Bühnenauftritten erlaubt hat, die Körper der Tänzerinnen einer genauen anatomischen Prüfung zu unterziehen, folgt der Protago- nist der Bäder von Lucca der einschlägigen Übereinkunft ohne Bedenken. Überdies adaptiert er die sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s durchsetzende Auffassung der Tanzkunst, deren Qualität hier vor allem der körperlichen Disposition der Ballet- teusen und ihrer Sensibilität für Rhythmus und Maß zugeschrieben wurde, während die hinter der technischen Meisterschaft stehende harte Arbeit und Körperdiszipli- nierung außer Acht blieben. Feiert Heine die Figur von Franscheska als Verkörpe- rung der natürlichen Anmut, so mobilisiert er den Wahrnehmungshorizont des zeit- genössischen Publikums, das der sittsamen Bürgerin die Tänzerin entgegenstellte, um an die Letztere sowohl seine Sehnsüchte nach der Schönheit als auch sein eroti- sches Verlangen zu adressieren. In diesem Zusammenhang überrascht es nicht, dass der Text insbesondere die Füße der graziösen Tänzerin ins Blickfeld rückt. Diese Aufmerksamkeit erscheint zwar zunächst durch den Beruf der Frau legitimiert, doch das Wissen um den dama- ligen Wahrnehmungshorizont erlaubt zu erkennen, dass Heine hier auf einen von den Zeitgenossen mit besonderer Faszination betrachteten Teil des weiblichen Körpers eingeht. Nicht zuletzt aufgrund der damaligen vestimentären Vorgaben wird ja der weibliche Fuß von Heines Zeitgenossen erotisch besetzt und in literarischen Texten der Zeit entsprechend perspektiviert. (Vgl. S. 100 ff. dieser Arbeit). Bei der Kon- struktion von Franscheskas Körper sucht Heine sowohl dem damaligen Bild der Tän- zerin als in jedem Sinne „leichtes Mädchen“129 als auch der damaligen intensiven sinnlichen Faszination gerecht zu werden, indem er Franscheskas Füße besonders effektvoll in Szene setzt. Er lässt die Italienerin zunächst Schuhe von unterschiedli- cher Farbe tragen, danach mit den Füßen eine charmante Pantonime über eine Liebes- geschichte aufführen. (Vgl. DHA 7/1; 103) Besonders wirkungsvoll rücken Fran- scheskas Füße in das Blickfeld, als sie sich vom Erzähler verabschiedet. Abschied nehmend bittet dieser die Tänzerin „um die Vergünstigung, ihren linken Fuß küssen zu dürfen; worauf sie, mit lächelndem Ernst, den rothen Schuh auszog, so wie auch den Strumpf“ (DHA 7/1; 107). An den weiteren Verlauf der Szene erinnert sich der Erzähler folgendermaßen: „und indem ich niederkniete, reichte sie mir den weißen, blühenden Liljenfuß, den ich vielleicht gläubiger an die Lippen preßte, als ich es mit dem Fuß des Pabstes getan haben möchte. Wie sich von selbst versteht, machte ich auch die Kammerjungfer, und half den Strumpf und den Schuh wieder anziehen.“ (DHA 7/ 1; 107) Diese Passage, die blasphemisch religiöse und erotische Praktiken analogisiert und Fußfetischismus und Masochismus zusammenführt, versteht sich als Heines literari-

129 Diesem damaligen Berufsbild der Tänzerin entspricht Franscheska schon damit, dass ihre Erscheinung nach der Meinung des Protagonisten „nicht die mindeste Ähnlichkeit mit der Tugend hat“ (DHA 7/1; 102), womit auf ihre freizügige Kleidung und eben solches Verhalten angespielt wird. 254 6 Körper im Kurort sche Antwort auf die zeitgenössischen Ballettkritiken, die die „kleinen Füße“130 der Tänzerinnen stets lobend hervorhoben.131 Heines Text entspricht auch einer weiteren Diskursivierungsstrategie der genannten Texte, jener nämlich, sich bei der Beschreibung der Tänzerin auf eine idealtypische Abstraktion zu beziehen, bei denen Göttinnen- Statuen als Referenzgröße herangezogen werden.132 Als dominantes Kennzeichen der Darstellung Franschescas, das darauf abzielt, die erotische Anziehungskraft ihres Körpers zu vergegenwärtigen, erscheint zunächst die Betonung der beschwingten Bewegungen der Figur. Deren Dynamik sucht die Beschreibung des Erzählers mit kurzen Syntagmen und gedrängter Verbanzahl z. B. folgendermaßen zu entsprechen: „Auch ich sehe sie wieder, wie sie aus der aufgestoßenen Thüre bis zur Mitte des Zimmers hervorspringt, in demselben Moment sich unzählige Mal auf einem Fuße herumdreht, sich dann der Länge nach auf das Sopha hinwirft, sich die Augen mit beiden Händen verdeckt hält, und athemlos ausruft: ach, ich bin so müde vom Schlafen!“ (DHA 7/1; 102)133 Die Aufgabe, Franschescas Körper zu beschreiben, reflektiert der Erzähler vorder- gründig als ein Problem der Stillstellung jener immerwährenden Bewegung, in der sich die leichtfüßige Grazie der Tänzerin manifestiert. In diesem Zusammenhang aktualisiert Heine ein bereits in der Harzreise angesprochenes Konzept (vgl. S. 97 der vorliegenden Arbeit), indem er seinen Protagonisten spielerisch über die Abbil- dung des weiblichen Körpers in Form eines Kupferstichs nachdenken lässt. Diesen Gedanken drückt der Erzähler zunächst so aus: „Aber ach! Was hilft die todte Copie der äußern Umrisse bey Formen, deren göttlichster Reitz in der lebendigen Bewe- gung besteht.“ (DHA 7/1; 104) Schließlich findet er aber eine Möglichkeit, die Bewe- gung der „lieblichen, fast leichtsinnig geformten Graziengestalt“ (DHA 7/1; 104) Franscheskas still zu stellen. Dabei bedient er sich eines Vergleichs mit der Venus Italica, die Antonio Canova in den Jahren 1804-1810 verfertigt hat. Laut der Aus- kunft des Protagonisten vermag nämlich nur diese dem Leser „einen marmorenen Begriff von Franscheskas Herrlichkeit zu geben“. (DHA 7/1; 104) Der von Heine gewählte Vergleich erfolgt keineswegs beliebig. Mit ihm verweist der Autor auf die moderne Plastik Canovas, die zur Zeit seiner Reise wegen der zarten

130 Ebd. 131 Die podologische Motivik durchzieht den gesamten Text der Bäder von Lucca. Dies ver- dankt sich nicht nur der Figur von Franschesca, sondern auch der von Hirsch-Hyazynth, der als Hühneraugen-Operateur in den Dialogen wiederholt auf die Fußpflege eingeht. Schließlich sucht sich Hyazynth dadurch zu bilden, dass er die Schemata der Versfüße lernt. Schreibt er diese mit Kreide auf dem Boden des Zimmers auf, so erklärt er: „Das sind Füße in Lebens- größe – (...) – und ich geplagter Mann muß diese Füße im Kopf behalten, und meine Hände thun mir schon weh von all den Füßen, die ich aufschreiben muß. Es sind die wahren, ächten Füße von Poesie.“ 132 Ebd. 133 Vgl. “Auch sprang sie oft in die Höhe, und tanzte während sie sprach, und vielleicht war eben der Tanz ihre eigentliche Sprache.“ (DHA 7/1; 105) 6.7 Elektrische Erotik 255

Modellierung und Anmut ihrer Haltung ebenso berühmt wie die Medici-Venus ist und überdies von den Italienern als ein Argument in der politischen Diskussion um die Eigenständigkeit der italienischen Kultur herangezogen wird.134 Durch die Themati- sierung dieser Plastik, die als Heines Plädoyer in der genannten politischen Diskussion aufgefasst werden kann,135 wird die erotische Wirkung des von Heine konstruierten Körpers erheblich gesteigert. Heine bezieht sich hier auf eine Venus-Darstellung, die den seit der Antike bekannten Bildertypus der Venus Pudica (der schamhaften, d. h. ihre Nacktheit bedeckenden Venus) repräsentiert und deren Körper dem zeitgenössi- schen Ideal der Frauenschönheit entspricht. Die von Canova geschaffene halbnackte Gestalt, die mit schamhafter Gebärde ein herabfallendes Gewand festzuhalten versucht, lässt den Effekt der „enthüllenden Verhüllung“136 entstehen, mit dem die Wirkung der Nacktheit auf den Betrachter gesteigert wird.137 Mit den in den Bädern eingesetzten Strategien werden die von Heine bisher verwen- deten, an idealistischen Kunstvorgaben orientierten Verfahren in einem gewissen Grade modernisiert. Mit der Einsetzung der Göttinnenstatue als Fluchtpunkt seiner Beschreibung des makellosen Körpers beruft sich Heine auf die überlieferten Vorgaben der idealisti- schen Kunstheorie, die eine Vergeistigung des Körpers in der Kunst durch dessen Heranführung an eine ideale Vorstellung fordert. Zugleich entspricht er dem deskrip- tiven Modell, das in den feuilletonistischen und belletristischen Schriften, die den Aufstieg des Balletts zu einer beliebten Publikumsunterhaltung flankieren, domi- niert. Die Erotisierung der Beschreibung erreicht er durch die Wahl des visuellen Musters der Venus Italica, deren Körperbild dem zeitgenössischen Schönheitsideal entspricht.

134 Waltraud Maierhofer: Italia und Germania, 166. Canovas Skulptur entstand aufgrund des Auftrags, eine Kopie der von den Franzosen verschleppten Kopie der Venus Medici herzu- stellen. Diesen Auftrag akzeptierte der Bildhauer unter der Bedingung, das Original variie- ren zu dürfen, woraus eine eigenständige Plastik entstand. Als Standort von Canovas Pla- stik gibt Heine (richtigerweise) Florenz an. (DHA 7/1; 104) Er verschweigt allerdings, dass man die zweite Kopie der Venus Italica seit 1811 in München bewundern konnte. (Hierzu: vgl. Norbert Huse: Kleine Kunstgeschichte Münchens, München: C. H. Beck, 2004, 121.) Diese Information zur in Deutschland stehenden Kopie hätte den ideologischen Mehrwert der Erwähung von Canovas Plastik für die Bäder entschieden geschmälert. 135 Maierhofer: Italia und Germania, 166. 136 Roland Barthes: Strip-tease. In: Ders.: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1964, 68-72, hier 68 137 Die Wirkung, die Canovas Venus auf den Betrachter ausübt, beschreibt Christine Mitchell Havelock treffend, indem sie diese Statue mit der Venus Medici folgendermaßen vergleicht: „The Venus Italica ist based on the Medici, but the difference between the two ist startling. Because shis slutches a large piece of drapery to cover her lower body as well as one breast, and because she turns her head even more abruptly to her right, (...) Canovas Venus, compared to the Medici Aphrodite, ist blatantly aware of an observer who inevitably reacting, will find her cutely evocative and sensual.” Christine Mitchell Havelock: The Aphrodite of Knidos and Her Successors: A Historical Review of the Female Nude in Greek Art, Michigan: University of Michigan Press, 2007, 80. 256 6 Körper im Kurort

6.7 Elektrische Erotik

Seine Polemik gegen Platen, in der die Kategorie des „Natürlichen“ eine herausra- gende Rolle erhält, setzt Heine fort, indem er die erotische Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler und Franscheska als ein naturgegebenes Phänomen reflektiert. Die konzeptuelle Folie dieser Reflexion bildet das von der romantischen Naturphilosophie vertretene Naturkonzept, in dem die Grundkraft der Elektrizität eine zentrale Position einnimmt. Das dieser Problematik gewidmete Kapitel VIII der Bäder beginnt mit einer allge- mein gehaltenen Betrachtung des Ich-Erzählers, der nach der ersten Begegnung mit Franschesca über das Wesen der Liebe sinniert: „Was Prügel sind, das weiß man schon; was aber die Liebe ist, das hat noch keiner herausgebracht. Einige Naturphilosophen haben behauptet, es sei eine Art Elektri- zität. Das ist möglich; denn im Momente des Verliebens ist uns zu Muthe, als habe ein elektrischer Stral aus dem Auge der Geliebten plötzlich in unser Herz einge- schlagen. Ach! Diese Blitze sind die verderblichsten, und wer gegen diese einen Ableiter findet, den will ich höher achten als Franklin. Gäbe es doch kleine Blitz- ableiter, die man auf dem Herzen tragen könnte, und woran eine Wetterstange wäre, die das schreckliche Feuer anderswo hin zu leiten vermöchte.“ (DHA 7/1; 108) Mit dieser Gedankenkette wird, wenn auch ironisch,138 das um 1800 gebräuchliche „elektrische Modell“ der Liebe aufgerufen, das die erotische Anziehung als eine Natur- gewalt definiert, d. h. eine Gewalt, der die Menschen willenlos unterworfen sind. Die Entstehung des genannten Modells geht auf die Popularität der Experimente Luigi Galvanis (vgl. S. 46 der vorliegenden Arbeit) zurück, der im Rahmen seiner Unter- suchungen zur Berührungselektrizität frisch präparierte Froschmuskeln durch Kontakt mit zwei verschiedenen Metallen, die ein leitender Bogen verband, zu Zuckungen ver- anlasst hat. Dieses und nachfolgende Experimente haben Galvani zu der Schlussfolge- rung geführt, solche Bewegungen verdankten sich einer dem Körper eigenen „tieri- schen“ Elektrizität. Mit dem Befund, dass die Bewegung des Körpers und körperliche Prozesse auf Elektrizität zurückzuführen seien, also durch Gegensätze bedingt sind, die Entladung anstreben, hat Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling den empirischen Ausgangspunkt für seine spekulativen Entwürfe der allgemeinen Naturgesetze geliefert. Im Rahmen seines Konzepts, das den Menschen als eine leib-seelische Totalität („Organismus“) definiert, die einen Teil der großen Einheit der gesamten Natur dar- stellt, korrelliert der Philosoph das einzelne Lebewesen mit dem Naturganzen, indem er feststellt, dass beide von denselben, nämlich elektrischen, chemischen und magne- tischen Prozessen bestimmt werden. Den Ursprung all dieser Prozesse erkennt er in der von ihm als grundlegendes Weltgesetz definierten Polarität, die als Gegensatz zwischen Geist und Materie, zwischen Plus- und Minuswerten, zwischen dem männ-

138 Als Ironiesignale dieser Passage sind die komische Inkongruenz der Vergleichsgrößen (Liebe vs. Prügel), das witzige Konzept des „emotionalen Blitzableiters“ und die Emphase des Ausdrucks zu identifizieren. 6.7 Elektrische Erotik 257 lichen und dem weiblichen Prinzip manifest werde. Schelling stellt den Geschlechter- dualismus an die Spitze der Polaritäten, die sich im Naturreich offenbaren, und erklärt in diesem Zusammenhang: „Nachdem die Prinzipien des Lebens in einzelnen Wesen bis zur Entgegensetzung individualisiert sind, eilt die Natur durch Vereinigung beider Geschlechter die Homogenität wiederherzustellen.“139 In der Fassung des im Gefolge Schellings argumentierenden populär geschriebenen Handbuchs der Naturgeschichte, das den „Grund doppelter Geschlechtlichkeit im Kosmischen“140 erkennt, wird dieses Theorem folgendermaßen erläutert: „Die allgemeine Polarität der Natur erregt in dem bildenden Organismus eine gleiche, so, daß in den letzten Productionen desselben die Richtungen erst ein- seitig immer weiter auseinander gehen, und nun eben die Sehnsucht in ihnen rege wird, sich wieder zu vereinigen.“141 Vor dieser Folie kann die Begegnung zweier Geschlechter als ein Prozess beschrieben werden, der von einer elektrischen Kraft der Auf-und Entladung der Pole „weiblich“ und „männlich“ angetrieben wird. Nach dem Zeugnis von den zeitgenössischen Natur- wissenschaftlern Karl Friedrich Burdach (1776-1847) und Karl Ernst von Baer (1792- 1876) nehmen die Verliebten die genannten Prozesse am eigenen Leibe wahr. In diesem Sinne erklären die Forscher: „So durchbebt den Liebenden bei der Berührung der Geliebten ein elektrischer Schlag, und im Wechselblicke spricht sich eine elektrische Wechselwirkung aus.“142 Dabei beschreiben zeitgenössische Wissenschaftler den weiblichen Körper als die energetische Quelle elektrischer Stimulationen, während der männliche als der elektrisierte Empfänger identifiziert wird.143 Das wissenschaftliche Modell der Elektrizität und die ihm zugehörigen Leitbe- griffe und Metaphern der Spannung, der An- und Abstoßung, der Auf- und Entla- dung, außerdem das Konzept des „elektrischen Schlags“, das vom Anblick oder von der Berührung des jeweiligen „elektrischen Gegenpols“ ausgelöst wird, und schließlich die Vorstellung vom elektrisch induzierten „Beben“ und „Zucken“ des Körpers werden in der Literatur um 1800 zur Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen und insbesondere erotischer Konstellationen wiederholt herangezogen. Indem fiktionale Texte das Deutungsmuster der Elektrizität adaptieren, reflektieren sie den Menschen als eine leib-seelische Einheit, die in einen universalen Naturzusammenhang einge-

139 Schelling: Von der Weltseele, 630. 140 Friedrich Sigismund Neuckart: Naturgeschichte der drei Reiche: Zur allgemeinen Belehrung, Stuttgart: E. Schweizerbart, 1832, 138. 141 Ebd. 142 Karl Friedrich Burdach, Karl Ernst von Baer: Physiologie als Erfahrungswissenschaft, Leip- zig: Leopold Voss, 1835, 650. 143 Hierzu vgl. Johannes Bierbrodt: Naturwissenschaft und Ästhetik 1750-1810, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2000, bes. 244 ff. Oliver Hochadel: Öffentliche Wissenschaft: Elektrizität in der deutschen Aufklärung, Göttingen: Wallstein, 2003, 73 f. 258 6 Körper im Kurort bunden ist, und begreifen die Liebe als eine erhabene Naturgewalt, der sich der Mensch nicht entziehen kann.144 Das Phänomen der Elektrizität wird von mehreren deutschsprachigen Autoren der Epochenschwelle um 1800 poetisch adaptiert. Unter ihnen ragen insbesondere Jean Paul und E. T. A. Hoffmann heraus, deren Prosa von vielfältigen Bezügen und Anspielungen auf Elektrizität geradezu überquillt. Eine eigenständige Position be- hauptet die Literarisierung der Elektrizitätsphänomene überdies in den Texten von Novalis, Clemens Brentano, Achim von Arnim und Heinrich von Kleist, die sich analog zu Jean Paul und Hoffmann bei der Darstellung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern an der Verschaltung elektrisierter Körper und am elektrischen Prinzip der Auf- und Entladung orientieren. Signifikanterweise beruft sich die zitierte Passage der Bäder von Lucca nicht auf die vielfältigen literarischen Adaptationen des „elektrischen Liebesmodells“, vielmehr sucht sie den Eindruck zu erwecken, der Ich-Erzähler habe sich eigens mit einigen (im Text nicht spezifizierten) naturphilosophischen Schriften vertraut gemacht. Heines Text verbleibt nicht bei der witzigen Benennung des elektrischen Liebes- modells. Sie ruft im Anschluss an die zitierte Passage das poetische Potential, das der Idee der Anziehung und Abstoßung der Polaritäten und der explosiven Entladung innewohnt, zur Literarisierung der erotischen Erlebnisse des Protagonisten auf. Das Moment der Elektrizität determiniert insbesondere die Gestaltung des situativen Rahmens, in dem die Reflexion über das Wesen der Liebe stattfindet. Der attraktiven italienischen Kulisse schreibt der Ich-Erzähler paradiesische Qualitäten zu, wobei er seine vorausgegangenen Gedanken zum Thema „Liebe“ mit der Beschreibung seines eigenen Zustandes nach der Begegnung mit Franscheska folgendermaßen erweitert: „Zu Muthe ist einem dabey, als sey die Welt erst heute erschaffen worden, und man sey der erste Mensch. Ach, wie schön ist das Alles! (...) Es war mir, als müßte ich allen Pflanzen und Thieren einen Namen geben, und ich benannte Alles nach seiner innern Natur und nach meinem eignen Gefühl, das mit den Außenbedin- gungen so wunderbar verschmolz. Meine Brust war eine Quelle der Offenbarung, und ich verstand alle Formen und Gestaltungen (...).“ (DHA 7/1; 109) Auf eine für Heines Texte nicht gerade repräsentative Weise wird in dieser Passage die Dissonanz zwischen dem Subjekt und der umgebenden Natur im Sinne der roman- tischen Natursympathie aufgelöst, wobei Heine das seit Paracelsus in der deutschen Kultur präsente sprachtheologische Konzept der adamitischen Ursprache aktuali- siert,145 in welcher die Zeichen das Wesen der Dinge benennen. Damit erklärt Heine die Liebe zu einer beglückenden Macht, die dem dichtenden Ich-Erzähler eine

144 „Könntest du mich lieben, wenn ich nicht so brennbar und elektrisch wäre? Bist du es nicht auch?“ fragt eindringlich die Titelfigur des 1799 veröffentlichten Skandalromans Lucinde, wobei sie auf epochentypische Weise die elektrische Spannung zwischen den Liebenden zur notwendigen emotionalen Komponente erklärt. Friedrich Schlegel: Lucinde. In: Kriti- sche Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 5, 1-82, hier: 32. 145 Die adamitische Ursprungssprache, die zum Fundament der Sprachtheologie Jakob Böhmes und Johann Georg Hamanns wurde, geht auf die Sprachtheologie von Paracelsus zurück, der 6.7 Elektrische Erotik 259

Rückkehr zum Anfang der Welt und damit eine Erneuerung seiner sprachlichen Potenz erlaubt. Überdies mobilisiert er das zeitgenössisch relevante mythologische Szenario der Hierogamie, der heiligen Hochzeit von Himmel und Erde, von Geist und Körper, Mann und Frau, auf das der ekstatische Ausruf des Ich-Erzählers verweist: „Ja, (...) der lachende Himmel küßt die geliebte Erde. – O Franscheska, schöner Himmel, laß mich deine Erde seyn. Ich bin so ganz irdisch und ich sehne mich nach dir, mein Himmel.“ (DHA 7/1; 110)146 Entlang romantischer Vorgaben ruft diese Passage der Bäder nicht nur die biblische und mythologische Überlieferung als Deutungsmuster der Erotik auf, sondern erwei- tert die Perspektive, indem sie die italienische Naturkulisse als ein gewittriges Ener- giefeld identifiziert, in dem ein Plus und ein Minus zwecks elektrischer Entladung aufeinandertreffen sollen. Während es langsam dämmert, lässt es Heine am Horizont „wie lichte Küsse“ (DHA 7/1; 110) wetterleuchten, womit er die „Zeit der Liebe“ (DHA 7/1; 132) zu einem ursprünglichen Naturerlebnis erklärt, bei dem sich Himmel und Erde, Tag und Nacht und elektrische Plus- und Minuswerte begegnen. Die Konstruktion des elektrisch aufgeladenen Handlungsrahmens entspricht den Vorgaben der romantischen Naturphilosophie, die mit Schelling die Intensität der Entladungen von der atmosphärischen Beschaffenheit der jeweiligen Gegend folgender- maßen abhängig machte: „Die Erzeugung der Elektrizität im Großen hängt so sehr zusammen mit der Be- schaffenheit der Atmosphäre und den merkwürdigsten Revolutionen derselben, daß eine neue und auf genaue Versuche gebaute Theorie der Elektrizität endlich vielleicht auch über den dunkelsten Teil der Naturlehre, die Meteorologie, einen neuen Tag heraufführen würde.“147 [Hervorhebungen im Original K. J.] Vor der Folie des „elektrischen Liebesmodells“ der Romantik und angesichts der Erkenntnisse Schellings verwundert es nicht, dass Heine, der sich zu Anfang des Capitels VIII auf die Naturphilosophie berufen hat, die elektrostatisch stark aufgela- dene italienische Landschaft zum Zeugen der erotischen Verwicklungen seiner Prota- gonisten erklärt. In den Bädern von Lucca erscheint die Geltung des elektrischen Wahrnehmungs- musters der Erotik auf das Kapitel VIII beschränkt. In der darauf folgenden Schrift

Adam den „ersten Signator“ nannte, der jedem Ding einen dessen Wesen entsprechenden Na- men erfand. Hierzu vgl. Hartmut Böhme: Natur und Subjekt, 136. 146 Seltsamerweise identifiziert sich der Protagonist als Erde, womit er die tradierten Zuordnungen Himmel/Geist und Erde/Frau umkehrt. Ein weiteres seltsames Merkmal der Passage bildet die blasphemische Erhebung der Tänzerin zum „Gott“ des von Heine entfalteten Szenarios: „Manchmal hörte ich auch die göttliche Stimme: Adam, wo bist du? Hier bin ich, Franscheska, rief ich dann, ich bete dich an, denn ich weiß ganz gewiß, du hast Sonne, Mond und Sterne erschaffen und die Erde mit all ihren Creaturen.“ (DHA 7/1; 109) Mit dieser Zuordnung, die Franschesca als den Ursprung der Welt des Verliebten definiert, erhält das von Heine beschriebene Epiphanieerlebnis einen ausschließlich weltlichen Charakter, ist also sekulär. 147 Schelling: Von der Weltseele, 550. 260 6 Körper im Kurort

Die Stadt von Lucca, deren Handlung in der nahe Bagni gelegenen Stadt spielt und mit demselben Figurenarsenal operiert, greift Heine noch einmal auf das elektrische Modell zurück, um die schmerzhaften Momente der körperlichen Nähe zwischen dem „weiblichen“ und dem „männlichen Pol“ deutlich zu machen. Die Schilderung eines Kirchenbesuchs in der Stadt Lucca, bei dem der Protagonist von Franscheska und Mathilde begleitet wird, beginnt folgendermaßen: „Ich führte Signora Franscheska am Arm, und als ich ihr beim Eintritt das Weih- wasser reichte, und durch die süßfeuchte Fingerberührung unsere Seelen elektri- siert wurden, bekam ich auch zu gleicher Zeit einen elektrischen Schlag ans Bein, daß ich vor Schreck fast hinpurzelte über die knienden Bäuerinnen, die ganz weiß gekleidet und mit langen Ohrringen, und Halsketten von gelbem Golde belastet, in dichten Haufen den Boden bedeckten. Als ich mich umsah, erblickte ich ein ebenfalls kniendes Frauenzimmer, das sich fächerte, und hinter dem Fächer erspähte ich Myladys kichernde Augen.“148 (DHA 7/1, 176) In der Erzählung des Protagonisten werden zwei galvanische Ketten: Erzähler-Fran- scheska und Erzähler-Mylady installiert, die aufgrund der den Körpern eigenen „tie- rischen Elektrizität“ die Entladung anstreben. Die bildliche Sprache der Passage ver- weist zunächst auf die zwischen dem als „männlicher Pluspol“ identifizierten Erzähler und dem „weiblichen Minuspol“ Franscheska bestehende elektrische, lies: erotische Spannung. Wie es das physiologische Wissen der Zeit bei „Liebenden“ erwartet, geht bei der Berührung von Mann und Frau der elektrische Impuls vom weiblichen Pol aus, wonach den Mann ein elektrischer Schlag durchbebt. Die Tatsache, dass im roman- tischen Elektrizitätsmodell der Mensch als leibseelische Einheit imaginiert wird, legi- timiert Heines Rede von der „Elektrisierung der Seelen“. Merkwürdigerweise aber erweist sich die Spannung in der zweiten galvanischen Kette, die ja ohne Hilfe des von Heine sachgerecht als elektrischer Leiter eingesetzten (Weih-)Wassers auskommt, viel stärker. Die Berührung von Mathilde lässt den Erzähler nicht „zucken“ bzw. „erbeben“, sondern wirft ihn vielmehr um, womit die Engländerin kraft ihrer körper- lichen Merkmale noch einmal als weibliches Pendant des Erzählers identifiziert wird. Die Adaptation des Elektrizitätsmodells gehört zu denjenigen Textstrategien, mit denen die Erotik in einen umfassenden Naturzusammenhang eingefügt wird, wo- durch ihr die Bedeutung einer erhabenen Naturkraft zukommt, der Menschen sich kaum widersetzen können. Im Zusammenhang der die Bäder von Lucca leitenden Platenpolemik erhält die Einsetzung dieses Modells indirekt einen besonderen Sinn: Während die heterosexuelle Liebe als eine Wechselwirkung zwischen dem weibli- chen und dem männlichen Pol identifiziert wird, scheint die „einpolige“, d. h. homo- sexuelle Liebe gewissermassen „von Natur aus“ nicht möglich.

148 Dasselbe Phänomen beschreibt Heine in den Florentinischen Nächten folgendermaßen: „Als ich einer dieser Damen vorbeistreifte und ihre Robe meinen Arm berührte, fühlte ich von der Hand bis hinauf zur Schulter ein leises Zucken, wie von einem sehr schwachen elektrischen Schlage. Ein solcher Schlag durchfuhr aber mit der größten Stärke mein ganzes Herz, als ich das Antlitz der Dame betrachtete.“ (DHA 12; 134) 6.8 Der Dichter und die Naturphilosophie 261

6.8 Der Dichter und die Naturphilosophie

Wenn die poetische Reflexion des Körpers in den Die Bädern von Lucca die überlie- ferten rhetorischen Normen realisiert, aktualisiert sie zugleich das von der zeitgenössi- schen Naturphilosophie dargebotene und von der damaligen medizinischen Lehre aufgenommene Paradigma des Menschen als einer in den Gesamtorganismus der Natur integrierten leib-seelischen Einheit, womit sie sich von den früheren Schriften Heines absetzt. In diesem intellektuellen Zusammenhang ist nicht nur die poetische Adaptation des zeitgenössischen Wissens über Elektrizität zu sehen, sondern auch die Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen naturphilosophischen Theoremen und dem Thema „Naturphilosophie und Dichtung“, die Heine in dem berühmten „Gespräch mit dem alten Eydechs“ (DHA 7/1; 160 f.) aufnimmt. Der vielzitierte, geradezu märchenhafte Dialog zwischen dem Ich-Erzähler und dem das Naturreich vertretenden Eidechs entfaltet sich in der Anfangspassage der Stadt Lucca, wo der Protagonist auf seinem Weg in den titelgebenden Ort den Bezug des modernen Menschen, insbesondere des Dichters, zur Natur reflektiert. Die Prämis- se seiner Überlegungen bildet die These von der geschichtlich entstandenen Ent- fremdung des Menschen von der Natur: „Menschen und Natur sind phlegmatisch geworden und gähnen sich einander an.“ (DHA 7/1; 159) Indem Heines Protagonist diesen Gedanken entfaltet, gibt er dem Leser zu bedenken, dass nicht nur das Men- schen-, sondern auch das Naturreich durch seine geschichtliche Verfasstheit gekenn- zeichnet sei: „Auch die Natur hat ihre Geschichte und das ist eine andere Naturgeschichte, als wie die, welche in Schulen gelernt wird. Irgendeine von jenen grauen Eydechsen, die schon seit Jahrtausenden (...) leben, sollte man als ganz außerordentliche Pro- fessorin bei einer unserer Universitäten anstellen, und man würde ganz außer- ordentliche Dinge zu hören bekommen.“ (DHA 7/1; 159) Mit dieser Passage wendet sich Heines Text dem Universitätsfach „Naturgeschichte“ zu und benennt somit jenes Fach, das während Heines Münchner Aufenthalts 1827/ 1828 aufgrund der im Rahmen der Münchner Medizinischen Fakultät geführten Ausein- andersetzungen zwischen Gotthilf Heinrich Schubert und Lorenz Oken Stadtgespräch war. Im Zusammenhang mit der zitierten und der anschließenden Äußerung der Erzählers, in denen er behauptet, sein Wissen verdanke er den Gesprächen mit Eidechsen, die ihm die Geheimnisse der Natur anvertraut hätten, greift er auf den für die romantische Literatur bedeutsamen Mythos vom Goldenen Zeitalter zurück, das über eine allum- fassende Natursprache verfügt habe, die Menschen, Tiere und Pflanzen verband.149 Den Vorgaben der Romantik entspricht der Erzähler auch damit, dass er die Zeit, in der die tiefere Einheit des Universums als kommunikativer Einklang aller Dinge und Lebe-

149 Der Mythos vom Goldenen Zeitalter prägt die romantische Literatur in vielfältiger Weise. Als möglichen Intertext der analysierten Passage identifiziert Olaf Hildebrand treffend den Roman Heinrich von Ofterdingen von Novalis.Vgl. Hildebrand: Emanzipation und Versöhnung, 180. 262 6 Körper im Kurort wesen erfahrbar war, für unwiederbringlich verloren erklärt und den Dichter als einen Anwalt der Natur betrachtet, der ihre Zeichen, oder mit Heine gesprochen: „Hiero- glyphen“ (DHA 7/1; 159), versteht und deren Sinn an andere Menschen vermitteln kann. Den Konzepten der romantischen Autoren, die die Phänomene der Natur als eine geheime Zeichensprache begriffen, bleibt Heine auch dann verpflichtet, wenn er den Protagonisten seine Bildungserlebnisse folgendermaßen zusammenfassen lässt: „Die Eydechsen sind ein ironisches Geschlecht und bethören gern die anderen Thiere. (...) Aber sie waren gegen mich so demüthig, sie seufzten so ehrlich, sie erzählten mir Geschichten von Atlantis, die ich nächstens aufschreiben will, zu Nutz und Frommen der Welt. Es ward mir so innig zu Muthe bei den kleinen Wesen, die gleichsam die geheimen Annalen der Natur aufbewahren. (...) Auf ihren Köpfchen, Leibchen und Schwänzchen blühen so wunderbare Zeichenbilder, wie auf egyptischen Hieroglyphenmützen und Hierophantenröcken. Meine kleinen Freunde haben mich auch eine Zeichensprache gelehrt, vermittelst welcher ich mit der stummen Natur zu sprechen vermag.“ (DHA 7/1; 160) Das Konzept einer harmonischen Verbundenheit zwischen dem Dichter und der Na- tur erfährt im Text eine Fortsetzung durch die Darstellung des bereits erwähnten Dialogs zwischen einem Repräsentanten der erwähten Spezies, „dem alten Eydechs“, der dem Wanderers mitteilt: „Nichts in der Welt will rückwärts gehen (...). Alles strebt vorwärts, und am Ende wird ein großes Naturavanzement stattfinden. Die Steine werden Pflanzen, die Pflanzen werden Thiere, die Thiere werden Menschen und die Menschen werden Götter werden.“ (DHA 7/1; 160) Die Behauptung, die Heine das Reptil aussprechen lässt, kann auf die in der damaligen Philosophie breit rezipierten Theoreme Schellings über die Entstehung der Natur zurückgeführt werden, denen zufolge der absolute Geist aus sich selbst heraus die Natur produziert, indem er sich in zwei widerstreitende Kräfte spaltet, welche über mehrere Stufen (sog. „Potenzen“) die verschiedenen Grundstoffe und Organismen hervorbringen.150 Laut Schelling führt die durch den Prozess der Entzweiung begrüdete Produktivität der Natur in der ersten Potenz zur Entstehung von Materie und anorga- nischen Produkten, aus denen sich in zweiter Potenz die organischen Wesen entfal- ten, bis schließlich im letzten potenzierenden Akt das Bewusstsein des Menschen entsteht. Heines Text entspricht den schellingschen Vorstellungen, indem er das ge- lehrte Reptil erklären lässt, dass aus den Steinen Pflanzen, aus Pflanzen Tiere und aus diesen Menschen werden, womit das Prinzip der Naturentwicklung erfüllt werde. Die von dem Eidechs vorgenommene Erweiterung der natürlichen Stufenordnung bis zur Gottwerdung des Menschen findet keine Entsprechung in den schellingschen Schriften, dafür aber m. E. in den Thesen von Schellings Schüler Lorenz Oken, der

150 Eine konzise Darstellung der Entwicklungslehre Schellings liefert Sibille Mischer: Der verschlungene Zug der Seele: Natur, vgl. bes. 168 ff. Hierzu vgl. auch Hildebrand: Emanzi- pation und Versöhnung, 180. 6.8 Der Dichter und die Naturphilosophie 263 im Lehrbuch der Naturphilosophie den Menschen als die letzte Potenz der Natur reflektiert, die ihrerseits auf Gott verweist. Oken, der „die Erkenntniß der Natur als das einzige Mittel zur wahren Erkenntniß Gottes und der Versöhnung mit ihm“151 definiert, identifiziert die Stellung des Menschen im Naturreich, indem er ihn „eine Idee Gottes“152 nennt, und zwar „diejenige, in der sich Gott ganz, in allen einzelnen Acten zum Object wird. Der Mensch ist Gott vorgestellt von Gott in der Unendlichkeit der Zeit. Gott ist ein Mensch vorstellend Gott in einem Selbstbewußtseynsact, ohne Zeit. Der Mensch ist der ganz erschienene Gott.“153 Die von Oken vorgenommene Identifizierung des Menschen mit Gott verdankt sich dem menschlichen Selbstbewusstsein. Diese Identifikation kann laut Oken nur partiell sein, was der Forscher auf die Kategorie der Zeitlichkeit zurückführt. Während Gott zeitlos ist, kann ihm der Mensch „im Endlichen“ gleich sein, allerdings nur dann, wenn er den Schöpfer als eine höhere Potenz anerkennt.154 Im Rahmen des für die zitierte Heine-Passage zentralen Konzepts vom „Naturavan- zement“, in dessen Zentrum Fortschritt steht, wird blasphemisch die Perspektive der Gottwerdung des Menschen reflektiert. Diese Idee sollte Heine im Zusammenhang seiner Religionskritik in Paris weiter entwickeln, in dem er in Anlehnung an den Saint-Simonismus die Göttlichkeit des Menschen in der selbstbewussten geistigen und leiblichen Bestimmung erkannte, die eine neue soziale Ordnung, nämlich die „Demokrazie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter“ (DHA 7/1; 161) herbeiführen sollte. An derselben Stelle, an der die naturwissenschaftliche Reflexion ansatzweise in den Dienst des sozialrevolutionären Programms gestellt wird, beantwortet Heine die Frage, ob der literarische Text ein geeigneter Ort für die Kumulation des naturwissen- schaftlichen Wissens sei, mit einem „Nein“, indem er das Gespräch des Protagonis- ten mit dem als Vertreter der Natur auftretenden Eidechs mit der Verurteilung der von Schelling und Hegel vertretenen Naturphilosophie ausklingen lässt. Während sich der Ich-Erzähler über die argumentative Struktur und stilistischen Eigenheiten der Schriften von Hegel und Schelling auslässt, wobei er den ersteren über den Letzteren stellt,155 beendet der Eidechs seine Ausführungen, indem er den naturphilosophischen Schriften beider Philosophen jeglichen Erkenntniswert ab- spricht:

151 Oken: Lehrbuch der Naturphilosophie, 24. 152 Ebd., 22 153 Ebd. 154 „Der Mensch ist nur Gott, insofern er im Endlichen Gott gleich ist; dieses ist er aber nur mit dem Selbstbewußtseynsact, mit dem Acte der Erkenntniß seiner selbst, der totalen Selbster- scheinung. Des Menschen Erkenntniß seiner Gleichheit mit Gott, ohne Erkenntniß seiner Ungleichheit oder Notwendigkeit, gibt den Wahn der absoluten Gottgleichheit oder Freyheit. Der Wahn, einem höhern gleich zu seyn, ist Dünkel oder Hoffarth.“ Ebd. 155 Vgl. „Wenn Hegel die Grundsätze seiner Philosophie aufstellt, so glaubt man jene hübschen Figuren zu sehen, die ein geschickter Schulmeister, durch eine künstliche Zusammenstellung 264 6 Körper im Kurort

„Denke! (...), denken! wer von Euch denkt? Mein weiser Herr, schon an die dreitausend Jahre mache ich Untersuchungen über die geistigen Funkzionen der Thiere, (...) und als Resultat aller meiner Beobachtungen, Experimente und anatomischen Vergleichungen, kann ich Ihnen bestimmt versichern: kein Mensch denkt, (...) es fällt nur dann und weder Schelling noch Hegel denkt, und was gar ihre Philosophie betrifft, so ist sie eitel Luft und Wasser, wie die Wolken des Himmels; ich habe schon unzählige solcher Wolken, stolz und sicher, über mich hin ziehen sehen, und die nächste Morgensonne hat sie aufgelöst in ihr ursprüngliches Nichts; es giebt nur eine einzige wahre Philosophie, und diese steht, in ewigen Hieroglyphen, auf meinem eigenen Schwanze. Bei diesen Worten, die mit einem dedaignanten Pathos gesprochen wurden, drehte mir der alte Eydechs den Rücken, und indem er langsam fortschwänzelte, sah ich darauf die wunderlichsten Charaktere, die sich in bunter Bedeutsamkeit bis über den ganzen Schwanz hinabzogen.“(DHA 7/1; 162) Heines poetische Imagination demonstriert, dass die Natur einen Bereich darstellt, in dem Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt zusammenfallen. Die mit der Stimme des Eidechs zum Erzähler sprechende Natur bedient sich laut eigenem Zeugnis der Beobachtungen, Experimente und anatomischen Vergleiche, um zum Selbsbewusst- sein zu gelangen, womit die – sowieso unbeholfenen – Erkenntnisversuche des Men- schen entbehrlich werden. Operiert Heine an dieser Stelle mit den Vorstellungen des experimentierenden Reptils, so arbeitet er auf die Komik der Passage hin, die nicht zuletzt dadurch gesteigert wird, dass jener Eidechs, der Schelling das Denkvermögen abspricht, dessen einflussreiche naturphilosophische Lehre weitgehend reproduziert.156 Die Düsseldorfer Heine-Ausgabe liefert mehrere Belege für Heines Vertrautheit mit den Schriften Schellings, indem sie zahlreiche Paraphrasen und Zitate aus den Schriften Schellings in Heines Pariser Schrift Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland belegt. (DHA 8; 334) Fragt man nach dem Spektrum der schellingschen Texte, welches von Heine berücksichtigt wird, verweisen die Autoren der DHA auf- grund der von ihnen in Heines Schriften erschlossenen Zitate und Reminiszenzen auf Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797), Darstellung meines Systems der Philo- sophie (1801), Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie (1806), Philoso- phie und Religion (1804), Philosophische Untersuchungen über das Wesen der Frei- heit (1809), Philosophische Briefe über Dogmatismus und Kriticismus (1811). Man- fred Frank macht allerdings in seinem bis heute unwidersprochenen Aufsatz über von allerley Zahlen zu bilden weiß, dergestalt, daß ein gewöhnlicher Beschauer nur das Ober- flächliche, nur das Häuschen oder Schiffchen oder absolute Soldätchen sieht, das aus jenen Zahlen formirt ist, während ein denkender Schulknabe in der Figur selbst vielmehr die Auflösung eines tiefen Rechenerempels erkennen kann. Die Darstellungen Schellings glei- chen mehr jenen indischen Thierbildern, die ans allerlei anderen Thieren, Schlangen, Vögeln, Elephanten und dergleichen Ingredienzen durch abentheuerliche Berschlingungen zusam- men gesetzt sind. Diese Darstellungsart ist viel anmuthiger, heiterer, pulsirend wärmer, alles darin lebt, statt daß die abstrakt hegelschen Chiffern uns so grau, so kalt und todtan- starren.“ (DHA 7/1; 161) 156 Hildebrand: Emanzipation und Versöhnung, 181. 6.8 Der Dichter und die Naturphilosophie 265

Heine und Schelling darauf aufmerksam, dass die Aneignung der schellingschen Theo- reme und Äußerungen bei Heine oft einen performativen Charakter hat, sodass man von einem „Mißverständnis“ sprechen kann.157 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit erscheint es instruktiv, darauf hinzu- weisen, dass Heine die schellingschen Theoreme erst in den nach seinem Münchner Aufenthalt entstandenen Schriften umfassender berücksichtigt hat, wobei der Aufent- halt und die mit ihm zusammenhängenden Begegnungen (Oken?) als Katalysatoren der Schelling-Rezeption zu identifizieren wären. Von besonderer Signifikanz scheint die Tatsache, dass Heines Text mit poetischen Mitteln eine Abwendung vom schellingschen Paradigma vollzieht und unter Berufung auf den von der romantischen Literatur aktualisierten Mythos vom Goldenen Zeitalter das Wissen der Naturphilosophie von jenem des dank intuitiver Erkenntnis den Geheimnissen der Natur verbundenen Dichters abgrenzt.

157 Manfred Frank: Heine und Schelling. In: Internationaler Heine Kongreß, 250-282, hier: 279.

Schlussfolgerungen

Vorliegende Arbeit hat den Versuch unternommen, die Konstruktionen des Körpers in der frühen Prosa Heinrich Heines zu analysieren. Mit ihren am „Leitfaden des Leibes“ orientierten Lektüren wandte sie sich einem Phänomen zu, das eine zentrale Stelle im Schaffen des Autors behauptet, und bisher vor allem entlang der Koordinaten der Epo- chenkontroverse um die „Emanzipation des Fleisches“ untersucht worden war. Vor dem Hintergrund neuerer literaturwissenschaftlicher Ansätze, die die Verwoben- heit literarischer Texte in die intellektuellen Vorgaben ihrer jeweiligen Epochen reflek- tieren, hat diese Arbeit die Frage nach Heines vom intellektuellen Horizont seiner Epoche vermittelten Wahrnehmungsmustern für Körperlichkeit gestellt. Die biogra- phische Nähe Heines zur Medizin ließ insbesondere nach der Präsenz des zeitgenössi- schen medizinischen Diskurses in seinen Texten fragen. Diese Frage hatte sich nicht nur der Komplexität seiner Texte, sondern darüber hinaus der Heterogenität der intel- lektuellen Paradigmen zu stellen, die in der deutschen medizinischen Landschaft in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s miteinander rivalisieren. Zunächst galt es zu bestimmen, welche der zeitgenössischen diskursiven Ange- bote im intellektuellen Horizont Heines präsent waren. Dieses Anliegen konnte nur durch eine ausführliche Rekonstruktion der zeitgenössischen medizinischen Land- schaft unter besonderer Berücksichtigung geläufiger Leitbegriffe und Denkbilder erfolgen. Bedenkt man die Verschiedenartigkeit der damals aktuellen Ansätze, wird ersichtlich, dass das Angebot an möglichen Beziehungen zwischen Literatur und Wissenschaft in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh.s vielfältig war. Bei der Präzisie- rung der Antwort konnte kaum auf biographische Dokumente und poetologische Äußerungen Heines zurückgegriffen werden. Der Autor unterzieht zwar die eigene Schreibpraxis einer wiederholten Reflexion, aber genau wie bei seinen ideologischen Äußerungen liefert er in dieser Hinsicht ambivalente Aussagen, die sich der diskursiven Festschreibung verweigern. Des Öfteren formuliert er seine poetologischen Ideen scheinbar beiläufig, vielfach ex negativo, häufig in Form einer aktuellen Polemik, die sich dem heutigen Leser nur über detaillierte (literar-)historische Spezialstudien er- schließt. Die semantische Offenheit der poetischen Selbstauskünfte Heines wird auch dadurch gesteigert, dass sich der Autor, der bei seinen Selbstexplikationen konfligierende Positionen, Perspektiven und Bewertungsnormen artikuliert, des ironischen Redemodus bedient, wobei es sich stets um die sog. „unstable irony“ handelt, die es unmöglich macht, die Position des Redenden auszumachen. Die Schwierigkeit, die Präsenz eines Diskurses in Heines Texten nachzuweisen, besteht nicht zuletzt darin, dass Heine den Spezialdiskursen seiner Zeit in einem eigen- 268 Schlussfolgerungen willig verfremdenden und meist assoziativen Zugriff begegnet. In seinen mit hohem ästhetischem Aufwand konstruierten Texten erfolgt die Problematisierung der einzelnen Diskurse bruchstückhaft, woraus nicht zu schließen ist, die jeweiligen Phänomene seien ihm gleichgültig. Die punktuelle Intensität der Benennung eines Phänomens ist in den Texten Heines genauso signifikant wie dessen Einbindung in einigermaßen strin- gente narrative Abläufe. All dies hat von meiner Arbeit eine induktive Vorgehensweise verlangt. Wie und in welchem Maße die medizinischen Wahrnehmungsmuster, Konzepte und Begriffe in Heines Prosa integriert werden, galt es für individuelle Texte separat zu erschließen. Im Rahmen der in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Analysen der Harzreise gelang es nachzuweisen, dass der Dichter eine mögliche Nähe zwischen Kunst und Medizin behauptet. Er orientiert sich dabei allerdings nicht an aktuellen medizinischen Debatten, sondern grundsätzlich an älteren heilkundlichen Paradigmen. Aufgrund der an der Präsenz des medizinischen Diskurses orientierten Lektüre der Harzreise konnte überdies belegt werden, dass in diesem frühen Text eine dezidierte Abwen- dung des Autors von der Medizin erfolgt, die für ihn vom Paradigma der Anatomie repräsentiert wird. Unter Heranziehung zeitgenössischer Kontexte wurde zudem belegt, dass Heine sich mit seiner Ablehnung der Anatomie nahtlos in die erkenntnistheore- tischen und mentalitätsgeschichtlichen Vorgaben der Romantik einfügt, welche die Anatomie als brutales „Zer-Reissen“ der Ganzheit, eine wissenschaftlich kaum zu begründende Gewaltanwendung, einschätzt und als „totes Wissen“, das dem „wahren“, d. h. prozessualen, Sein nicht gerecht wird. Auch wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit nachgewiesen werden konnte, dass sich Heine bereits in seinem frühen Text Die Harzreise, sei es aus ideologischen (Kasus: K. F. H. Marx) oder ästhetischen Gründen, von medizinischen Erkenntnis- modellen für den Körper lossagt, so erlaubt doch die Frage nach der Präsenz der Medizin in seinen Texten, wichtige und in der bisherigen Forschung nicht beachtete poetologische Reflexionen zu beleuchten. Diese Analysen führten zu dem Schluss, dass Heine den Körper in erster Linie als Effekt kreativen „Hervorbringens“ definiert, an dem sich das Spiel der Einbildungkraft des Künstlers und dessen Streben nach Idealen zu beweisen hat. Jene Passagen, die demonstrieren, dass Kunst und Anatomie für Heine zwei disjunk- tive Bereiche darstellen, belegen zugleich, dass der Autor seine Reflexion über den Körper in der Kunst primär als ein Problem adäquater künstlerischer Formung reflek- tiert, bei der empirisch gewonnenen Körperkenntnissen keine ausschlaggebende Bedeu- tung zukommt. Aufgrund des Versuchs, für die Kunst um 1800 maßgebliche kunsttheoretische Prämissen zu rekonstruieren, wurden die relativ beschränkten Optionen für eine künstlerische Konzeptualisierung des Körpers demonstriert, die Heine zur Verfügung standen. In der „hohen Kunst“ durfte der Körper entweder als Objekt idealisierender (am topischen „Kulturarchiv“ orientierter) Verklärung oder aber als Objekt grotesker Verzerrung fungieren. Der einschlägige „poetische“, d. i. (auf ein Ideal bzw. in der Groteske auf dessen Negativierung zielende) imaginative und zugleich Bezüge mit Schlussfolgerungen 269 archivierten Kulturbeständen herstellende Umgang des Autors mit der Wirklichkeit (des Körpers) entschied für Heines Zeitgenossen über die Zugehörigkeit bzw. Nicht- zugehörigkeit des jeweiligen Werkes zum Bereich des „Kunstschönen“. Diesen Epochenvorgaben entspricht Heine, indem er beim Nachdenken über das Problem der Repräsentation in der Kunst den Körper nicht als Gegenstand realistischer Darstellung, sondern als Objekt imaginativer Konstruktion reklamiert. Im Wissen, dass Medizin für Heine in den zwanziger Jahren durch das Paradigma der Anatomie repräsentiert wird und vor der Folie der idealistischen Kunsttheorien verwundert es nicht, dass Heine Kunst und medizinische Wissenschaft engführt, um sie gegene- inander auszuspielen und letztendlich unter Rückgriff auf die klassische Vorstellung des Kunstidealismus die Gegenläufigkeit des ästhetischen und medizinischen Dis- kurses zu betonen. Angesichts der so gewonnenen Erkenntnisse galt es, die Frage nach der Semanti- sierung und dem kommunikativem Wert, die dem Körper in Heines Texten zuge- schrieben werden, neu zu stellen und zu beantworten. Dies gelang durch die induktive Entfaltung einer „Poetologie des Leibs“, die der Prosa Heines abgewonnen wurde. Aufgrund dieser Rekonstruktion konnte belegt werden, dass die von Heine gemäß den Ansprüchen der zeitgenössischen Kunsttheorien entwickelten poetischen Refle- xionsmodi des Körpers als eine Struktur kategorisiert werden können, die sein Werk mit dem durch antike Mythologie und Bibel fundierten Kulturkanon verknüpft, dessen genaue Kenntnis als „symbolisches Kapital“ (Bourdieu) des Künstlers seiner Zeit aufgefasst wird. Aufschlussreich erscheint in der Hinsicht die deutliche Absetzbewe- gung, die Heine gegenüber der Trivialliteratur vollzieht, die für ihn u. a. der Schrift- steller Clauren repräsentiert, der in seinen Texten – analog zu Heine – erotische Be- lange zur Sprache brachte. An Heines Clauren-Polemik zeichnet sich ex negativo das Programm einer literarischen Produktion ab, die, auch wenn sie über Körperbelange spricht, kein billiger Genuss sein möchte und den Titel der hohen Kunst beansprucht. Als ein Text, in dem Heine diese Regel radikal verfolgt, wird in der vorliegenden Arbeit Ideen. Das Buch Le Grand interpretiert. Im Rahmen der Analysen gelang es nachzuweisen, dass der Schriftsteller seine Körperbeschreibungen mit Attributen mythologischer/biblischer Muster ausstattet, ohne die Muster namentlich kenntlich zu machen. Mit der Identifizierung der ikonographischen Affinität der Figuren Heines und der mythologischen Konnotationen konnten die verschütteten Sinnschichten der Texte entdeckt und innovative Lesarten angeboten werden. Die Körperkonstruktionen der Ideen demonstrieren, mit welcher Konsequenz Heine den antimimetischen Prinzipien der idealistischen Kunsttheorien gefolgt ist, die ihm die kreative Überwindung von Partikularitäten der realen Erscheinungswelt und die Orientierung am kulturellen Kanon vorschrieben. Die in dieser Arbeit angeführten Beispiele belegen überdies, dass sowohl idealisierende als auch groteske Körperkon- struktionen Heines durch das Aufgreifen von Elementen der literarischen und kultu- rellen Tradition entstehen, die einer kreativen Anverwandlung unterzogen und synkre- tistisch konfiguriert werden. 270 Schlussfolgerungen

Das Wissen um die vielfältigen Revisionen, denen Heine seine intellektuellen und formalen Prämissen unterzogen hat, berechtigte zu der Frage, ob der Autor die genan- nten ästhetischen Prinzipien in seinen weiteren Schriften konsequent verfolgte. Es warf darüber hinaus die Frage auf, ob er dem in der Harzreise mit poetischen Mitteln geäußerten Vorsatz einer Zurückweisung des medizinischen Diskurses treu geblieben ist, als er mit ihm zur Zeit der Niederschrift der Harzreise unbekannten medizini- schen Paradigmen konfrontiert wurde. Bei der Lektüre der Schrift Die Bäder von Lucca wurde auf diese Problemstellungen näher eingegangen. Die Fragestellung wurde durch inhaltliche und formale Aspekte dieses Textes gerechtfertigt, in dem sich Heine dem medizinisch relevanten Sujet „Badekur“ zuwandte, während er sich zugleich zur Revision seiner erzählerischen Mittel und Strategien veranlasst sah. Dieser letztere Sachverhalt wurde durch die Situierung der Handlung in Italien motiviert, womit der Autor an den zeitgenössisch besonders üppig florierenden Dis- kurs der literarischen Italienberichte anschloss, mit dessen Behandlung er sich gegen eine umfangreiche und gewichtige Tradition zu stellen hatte. Besondere Bedeutung gewann die Herausarbeitung der Umstände von Heines sechsmonatigem Münchner Aufenthalt 1827/1828, der jener italienischen Badekur unmittelbar vorausging. Eine Motivation für diesen interpretatorischen Schritt lieferte die Ermittlung der – m. E. von der Forschung bisher nicht hinreichend gewürdigten – Rückgriffe der Bäder von Lucca auf den naturphilosophischen Diskurs der Romantik. Sie verdanken sich – so zumindest meine These – aller Wahrscheinlichkeit nach den Impulsen, die Heine im Zusammenhang seiner Konfrontation mit den intellektuellen Vorgaben der Münchner Universität erhielt, deren Medizinische Fakultät von den Anhängern der naturphilo- sophischen Medizin der Romantik dominiert wurde. Die im biographischen Kontext von Heines Münchner Aufenthalt vorgenommene Analyse der Bäder von Lucca lässt die Konsequenzen der Begegnung des Schriftstel- lers mit jenen naturwissenschaftlichen Mustern erkennen, welche die Medizin der Romantik fundieren. Anhand der Körperkonstruktionen lässt sich nachvollziehen, dass das balneotherapeutische Setting von Heine zur Legitimierung erotisch gewagter Schilderungen benutzt wird, die im Zusammenhang seiner Platen-Polemik funktiona- lisiert werden. Sind bestimmte Wissensbestände im intellektuellen Horizont des jeweiligen Autors, nicht jedoch in seinen Texten selbst vorhanden, spricht man vom „abgewiesenen Wissen“. Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Analysen belegen, dass man im Falle des medizinischen Diskurses in den Texten Heines von eben solchem abge- wiesenen Wissen sprechen kann, was nicht auf die elaborierten Begrifflichkeiten und die Abstraktheit einschlägiger zeitgenössischer medizinischer Schriften, sondern auf innerliterarische Normierungen zurückzuführen ist. Der an Heines Körperbildern orientierte Interpretationsversuch zeigt, in welch hohem Maße die zahlreichen intertextuellen Verweise auf literarische und kulturelle „Prä-Texte“, mit denen wesentliche Topoi des kollektiven Bildgedächtnisses akti- Schlussfolgerungen 271 viert werden, zu jenem besonderen Gepräge und jener Intensität der Texte beitragen, die als Markenzeichen dieses Autors bekannt sind. In diesem Bereich muss die Moder- nität des als „ästhetischer und politischer Begründer der Moderne in Deutschland” apostrophierten Schriftstellers nicht etwa darin gesehen werden, dass er der Literatur neue Imaginationsräume erschließt, was etwa durch Überschreitung der Grenzen der eigenen „Kultur“ (Snow), d. i. in diesem Falle: durch Aktivierung naturwissenscha- ftlicher Wissensinhalte zu leisten wäre. Sie ist vielmehr in der Vielfalt der vom Autor mobilisierten ikonographischen Modellierungen und ihrer innovativen Konfigurierung zu sehen. Heine erscheint dabei vor allem als ein Autor, der virtuos über die rheto- rische Bildungstradition verfügt und dichte, effektvolle Assoziationsfelder gestaltet.

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